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German Pages 300 Year 2019
Schriften zum Strafrecht Band 343
Die prozessuale Stellung des Unternehmens bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG Eine Bestandsaufnahme des geltenden Verfahrensrechts und Lösungsvorschläge de lege ferenda
Von
Jasmin Hense
Duncker & Humblot · Berlin
JASMIN HENSE
Die prozessuale Stellung des Unternehmens bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG
Schriften zum Strafrecht Band 343
Die prozessuale Stellung des Unternehmens bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG Eine Bestandsaufnahme des geltenden Verfahrensrechts und Lösungsvorschläge de lege ferenda
Von
Jasmin Hense
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D30 Alle Rechte vorbehalten © 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15814-0 (Print) ISBN 978-3-428-55814-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-85814-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 durch den Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Juni 2018 berücksichtigt werden. Herzlich bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Matthias Jahn, der mir den erforderlichen wissenschaftlichen Freiraum gewährte und stets für ein konstruktives Gespräch zur Verfügung stand. Auch danke ich Herrn PD Dr. Sascha Ziemann für die Erstellung des Zweitgutachtens und die wertvolle Kritik. Meiner guten Freundin Marie Dickel-Görig danke ich für die vielen hilfreichen Anmerkungen zu dieser Arbeit. Neben dem fachlichen Austausch haben insbesondere die gemeinsamen Erlebnisse zu einer sehr schönen Promotionszeit beigetragen. Einen ganz besonderen Dank möchte ich meiner Familie aussprechen, die immer hinter mir steht und mich bedingungslos unterstützt. Allen voran geben mir meine Eltern, Anita und Georg Hense, in jeder Phase meines Lebens den notwendigen Rückhalt. Der größte Dank gebührt schließlich meinem Ehemann Philip Hense: Für sein Verständnis in der Zeit der Entstehung der vorliegenden Arbeit, aber vor allem auch für sein Vertrauen in mich und seine uneingeschränkte Unterstützung in jeder Lebenslage. Ihm ist diese Arbeit gewidmet. Frankfurt a.M., im Juli 2019
Jasmin Hense
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Kapitel 1 Die Verantwortlichkeit des Unternehmens nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
20
A. Die Sanktionierung des Unternehmens im Kontext der historischen Entwicklung des Sanktionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 I. Bestrafung von Verbänden vom römischen Recht bis zum gemeinen Recht . . . . . 20 II. Abkehr von der Verbandsstrafbarkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . 21 III. Einführung von Ordnungsstrafen als Folge der Industrialisierung und Auswirkungen auf die Sanktionierung des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 IV. Lösung für die Frage nach einer Unternehmenssanktion ab 1949 durch den neuen Deliktstyp der „Ordnungswidrigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Die Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Kriminalpolitisches Bedürfnis für eine Unternehmensstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . 27 1. Anzahl und Bedeutung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Schwächen bei der Bestrafung des Individualtäters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Internationale Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Rechtsdogmatische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Handlungsfähigkeit von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Ablehnung von natürlicher Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Konstruktion von rechtlicher Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 aa) Anlehnung an die Handlungsdogmatik des Individualstrafrechts . . . . . . 32 bb) Loslösung von der Handlungsdogmatik des Individualstrafrechts . . . . . 34 2. Schuldfähigkeit von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Ablehnung von natürlicher Schuldfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Schuldunabhängige Modelle für ein Unternehmensstrafrecht . . . . . . . . . . . . 36 c) Konstruktion von rechtlicher Schuldfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 aa) Anlehnung an die Schulddogmatik des Individualstrafrechts . . . . . . . . . 38 bb) Loslösung von der Schulddogmatik des Individualstrafrechts . . . . . . . . 40 3. Straffähigkeit von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4. Gerechtigkeit der Bestrafung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
8
Inhaltsverzeichnis III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
C. Sanktionierung des Unternehmens nach § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Entstehungsgeschichte von § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Ursprüngliche Version nach dem OWiG 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Änderungen der Unternehmensgeldbuße 1974 und 1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Ausdehnung des § 30 OWiG in den 1990er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4. Erweiterung der Sanktionsnorm ab 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 II. Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 III. Dogmatische Einordnung von § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Die Unternehmensgeldbuße 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Geltung der aliud-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Dogmatische Ausgestaltung der Unternehmensgeldbuße . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Das gewandelte Verständnis von dem Wesen des Ordnungswidrigkeitenrechts 64 3. Deutungen von § 30 OWiG nach 1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) § 30 OWiG als schuldunabhängige Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 b) § 30 OWiG als schuldabhängige Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 aa) Zurechnungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Kombinationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 cc) Das den Modellen zugrunde liegende Schuldverständnis . . . . . . . . . . . . 71 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 D. Einziehung bei Unternehmen als Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Einziehung gemäß § 73b StGB und § 74e StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 II. Einziehung gemäß § 29a Abs. 2 OWiG und § 29 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
Kapitel 2 Das Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG und die prozessuale Stellung des Unternehmens 77 A. Grundsätzliche Verfahrensausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Hintergründe der Verfahrensausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 II. Einheitliches, selbstständiges und getrenntes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Die Regelungen zum selbstständigen Verfahren in § 30 Abs. 4 OWiG . . . . . . . 81 a) Die Voraussetzungen des selbstständigen Verfahrens in § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 aa) Nichteinleitung eines Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Einstellung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
Inhaltsverzeichnis
9
cc) Absehen von Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Weitere Fälle des selbstständigen Verfahrens gemäß § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG 89 c) Ausschluss des selbstständigen Verfahrens gemäß § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG 94 2. Das Verhältnis der Verfahrensarten zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Einheitliches und selbstständiges Verfahren als Regelfall- und Ausnahmekonstellation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Die Ausnahme des getrennten Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 III. Auswirkungen der Anknüpfungstat auf das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I. Einheitliches Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Das Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Das Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Das Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4. Das Rechtsmittelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Selbstständiges Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Die Ermittlungen gegen das Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Das Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Das Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Verweisungen in § 444 Abs. 3 S. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Schriftliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Mündliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4. Das Rechtsmittelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 III. Einheitliches Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit . . . . . . . . . 121 1. Das Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Das Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Das Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Verfahren nach zulässigem Einspruch von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 aa) Systematisierung der anwendbaren Verfahrensnormen . . . . . . . . . . . . . . 127 bb) Ablauf des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (1) Mündliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (2) Schriftliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Verfahren nach alleinigem Einspruch durch das Unternehmen . . . . . . . . . . . 130 aa) Einschlägige Verfahrensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Ablauf des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
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Inhaltsverzeichnis 4. Das Rechtsmittelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Verfahren nach zulässigem Einspruch von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Verfahren nach alleinigem Einspruch durch das Unternehmen . . . . . . . . . . . 135 IV. Selbstständiges Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit . . . . . . . . 138 1. Die Ermittlungen gegen das Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Das Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Das Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4. Das Rechtsmittelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 V. Getrenntes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
C. Folgen der Verfahrensausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 I. Stellung eines Einziehungsbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 II. Komplexe Verweisungsketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 III. Unterschiede im Verfahrensaufbau und -ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Kapitel 3 Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens in den einzelnen Verfahrensstadien
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A. Das Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I. Die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 II. Regelungen für das Unternehmen in Bezug auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Keine Beteiligung des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Dennoch: Einbeziehung des Unternehmens in das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter über die §§ 426, 428 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 c) Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Geltung der Mitwirkungsrechte im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 167 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 III. Regelungen für das Unternehmen in Bezug auf das Ermittlungsverfahren nach dem OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Anordnung der Beteiligung durch die Verwaltungsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Beteiligung an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Beteiligung im selbstständigen Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
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2. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 c) Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3. Geltung der Mitwirkungsrechte im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 182 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 B. Das Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 I. Sinn und Zweck des Zwischenverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 II. Rechtslage bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters . . . . . 188 1. Anordnung der Beteiligung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Beteiligung an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 aa) Voraussetzungen der Beteiligungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 bb) Zeitpunkt der Beteiligungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Beteiligung im selbstständigen Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Schwache Mitwirkungsrechte des Unternehmens im Rahmen des Zwischenverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Umfassende Mitwirkungsrechte im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . 198 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 III. Rechtslage bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. Verbesserte Ausgangslage: Beteiligung und „Befugnisse, die einem Betroffenen zustehen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im einheitlichen Verfahren . . . . . . . . . . 203 3. Geltung der Mitwirkungsrechte im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 205 C. Das Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Regelungen für das Unternehmen bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 1. Verbesserte Ausgangslage: Beteiligung und „Befugnisse, die einem Angeklagten zustehen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im einheitlichen Verfahren . . . . . . . . . . 207 a) Anwesenheit in der Hauptverhandlung als Voraussetzung für die Ausübung der Mitwirkungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Beweisantragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Einschränkung durch §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . 211 bb) Umgang mit der Einschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 3. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . 214 a) Schriftliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Mündliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
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Inhaltsverzeichnis 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 II. Regelungen für das Unternehmen bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im einheitlichen Verfahren . . . . . . . . . . 219 a) Verfahren nach zulässigem Einspruch von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 aa) Mündliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (1) Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (2) Beweisantragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 bb) Schriftliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 b) Verfahren nach alleinigem Einspruch durch das Unternehmen . . . . . . . . . . . 225 aa) Schriftliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 bb) Mündliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . 227 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
D. Das Rechtsmittelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 I. Rechtslage bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters . . . . . 229 1. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im einheitlichen Verfahren . . . . . . . . . . 229 a) Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . 233 II. Rechtslage bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im einheitlichen Verfahren . . . . . . . . . . 235 a) Verfahren nach zulässigem Einspruch von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 aa) Schriftliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 bb) Mündliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 cc) Einschränkung des Prüfungsumfangs durch § 431 StPO . . . . . . . . . . . . . 237 b) Verfahren nach alleinigem Einspruch durch das Unternehmen . . . . . . . . . . . 239 2. Geltung der Mitwirkungsrechte im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 240 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Kapitel 4 Prozessuale Ausgestaltung de lege ferenda
242
A. Die Schwächen und Stärken des geltenden Verfahrensrechts im Überblick . . . . . . . . . 242 I. Schwächen des Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 II. Stärken des Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Inhaltsverzeichnis
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B. Grundsätzliche Überlegungen zu einer Neuausrichtung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . 246 I. Stellenwert des getrennten Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 II. Verankerung der Regelungen in unterschiedlichen Verfahrensordnungen . . . . . . . 248 III. Prozessuale Stellung des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1. Beibehaltung der Stellung eines Einziehungsbeteiligten? . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2. Oder: Berücksichtigung des eigenständigen Sanktionscharakters von § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 C. Vorschläge für eine Reform des Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 I. Einführung des getrennten Verfahrens als Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 1. Trennung und Verbindung der Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Folgen für die Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 b) Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 II. Ausrichtung des Verfahrens an den Individualvorschriften der StPO . . . . . . . . . . . 257 1. Pauschaler Verweis auf die Regelungen für natürliche Personen . . . . . . . . . . . . 257 2. Spezielle Vorschriften für das Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 a) Einleitung und Abschluss des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 b) Durchführung der Ermittlungen gegen das Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . 259 c) Ladung und Anwesenheit in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 d) Verteidigung des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 3. Änderungen für das Unternehmen im Vergleich zum geltenden Recht . . . . . . . 262 a) Das gegen das Unternehmen gerichtete Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . 263 b) Fortführung des Ansatzes in § 435 Abs. 3 S. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 c) Entscheidung aufgrund einer Hauptverhandlung durch Urteil . . . . . . . . . . . . 264 d) Revision als zulässiges Rechtsmittel gegen das Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 III. Ausrichtung des Verfahrens an den Individualvorschriften des OWiG . . . . . . . . . . 265 1. Pauschaler Verweis auf die Regelungen für natürliche Personen . . . . . . . . . . . . 266 2. Spezielle Vorschriften für das Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 3. Änderungen für das Unternehmen im Vergleich zum geltenden Recht . . . . . . . 268 a) Das gegen das Unternehmen gerichtete Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . 269 b) Wegfall der verschiedenen Verfahrenskonstellationen im Hauptverfahren
270
c) Rechtsbeschwerde als zulässiges Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
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Inhaltsverzeichnis Kapitel 5 Resümee
273
Kapitel 6 Zusammenfassung der wichtigsten Thesen
280
Anhang: Änderungen durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 im Hinblick auf das Einziehungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
Einleitung Nach dem geltenden Recht können Unternehmen1 nicht bestraft werden. Gegen sie kann jedoch nach § 30 OWiG eine Unternehmensgeldbuße festgesetzt werden, wenn einer der in § 30 Abs. 1 Nr. 1 – 5 OWiG Genannten (im Folgenden bezeichnet als „Unternehmensmitarbeiter“) eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat. Der Gesetzgeber hat § 30 OWiG seit seiner Schaffung im Jahre 1968 infolge der wachsenden Bedeutung von Unternehmen in Wirtschaft und Gesellschaft sukzessive angepasst und erweitert.2 Wenngleich die Vorschrift somit Gegenstand gesetzgeberischer Aktivität ist, behandelt die Literatur die Norm oftmals nur am Rande der Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts.3 Auch die in 2014 präsentierten Reformvorschläge4 des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen und des Deutschen Instituts für Compliance zu § 30 OWiG sind auf einen Gesetzesentwurf5 des Landes Nordrhein-Westfalen aus 2013 zurückzuführen, der die Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen vorsah. Trotz des rechtspolitischen Scheiterns dieses Gesetzesentwurfs wird die Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts fortgesetzt. Der 2017 in
1 Die vorliegende Arbeit verwendet einheitlich den Begriff des „Unternehmens“. Eine Unterscheidung zwischen dem Unternehmen als wirtschaftlicher Einheit auf der einen Seite und dem sanktionsfähigen Träger des Unternehmens, der eine juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft sein kann, auf der anderen Seite erfolgt also nicht. 2 Vgl. die Ausführungen unter: Kapitel 1, C. I. 3 So wird teilweise die Effektivität des § 30 OWiG kritisiert und als Argument für die Einführung eines Unternehmensstrafrechts angeführt; vgl. etwa: Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 19. Andere sehen die Vorschrift – gerade im Hinblick auf die hohe Bußgeldandrohung in § 30 Abs. 2 OWiG – wiederum als ausreichend an, um das Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen; vgl. etwa: von Rosen, in: Unternehmensstrafrecht, S. 264 f.; Leipold, in: ZRP 2013, 34, 34 f. 4 Gemeint sind der „Gesetzgebungsvorschlag für eine Änderung der §§ 30, 130 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG)“ der Fachgruppe Compliance im Bundesverband der Unternehmensjuristen e.V. und Rechtsanwalt Professor Dr. Werner Beulke aus April 2014, abrufbar unter: http://www.arbeitsrechtsummit.de/resources/Server/BUJ-Stellungnahmen/BUJ_ Gesetzgebungsvorschlag_OWiG.pdf (letzter Abruf am 20. 07. 2018), und das „Gesetz zur Schaffung von Anreizen für Compliance-Maßnahmen in Betrieben und Unternehmen“ des Deutschen Instituts für Compliance e.V. aus August 2014, abrufbar unter: http://www.dico-ev. de/wp-content/uploads/2016/10/CompAG_21_07_2014.pdf (letzter Abruf am 20. 07. 2018). 5 „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden“ des Landes Nordrhein-Westfalen aus November 2013 (VerbStrG-E), abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/2013/herbst konferenz13/TOP_II_5_Gesetzentwurf.pdf (letzter Abruf am 20. 07. 2018).
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Einleitung
die Debatte eingebrachte „Kölner Entwurf“6 bezieht sich etwa auf die Sanktionierung von Unternehmen für Straftaten.7 Einen neuen Ansatz verfolgen hingegen die 2018 vorgelegten „Frankfurter Thesen“8, die ein parastrafrechtliches Konzept der Unternehmensverantwortung vorsehen.9 Als Sanktionen kämen danach eine Unternehmenskorrektur auf Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und der zuständigen Verfolgungsbehörde, „Blacklisting“ und monetäre Wiedergutmachungen als materieller Schadensausgleich in Betracht.10 Die genannten Reformvorschläge haben gemeinsam, dass sie sich mit der prozessualen Umsetzung ihres jeweiligen Konzepts auseinandersetzen und dabei die verfahrensrechtliche Stellung des Unternehmens in den Blick nehmen.11 Damit wird die Tendenz der letzten Jahre fortgesetzt, in denen zunehmend eine Auseinandersetzung mit prozessualen Fragen der Unternehmenssanktionierung stattgefunden hat. Zurückzuführen ist diese Entwicklung auch auf den nordrhein-westfälischen Gesetzesentwurf, welcher konkrete Vorschläge für ein zukünftiges Strafverfahrensrecht gegen Unternehmen enthielt.12 So griff die Literatur verschiedene Verfahrensregelungen des Gesetzesentwurfs auf und analysierte sie kritisch.13 Auffällig ist jedoch, dass eine Einbeziehung des derzeit geltenden Verfahrensrechts, etwa in 6 „Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes“ der Forschungsgruppe an der Universität zu Köln und einer Expertengruppe aus 2017 (Kölner Entwurf), abrufbar unter: http://www.verbandsstrafrecht.jura.uni-koeln.de/sites/fg_verbandsstrafrecht/user_upload/Koel ner_Entwurf_eines_Verbandssanktionengesetzes__2017.pdf (letzter Abruf am 20. 07. 2018). 7 Der Begriff der Unternehmensstrafe wird allerdings vermieden und durch das neutralere Wort „Sanktion“ ersetzt; vgl. hierzu die Begründung von Weigend und Hoven, die den Kölner Entwurf mitverfasst haben: Weigend/Hoven, in: ZRP 2018, 30, 31. 8 „Unternehmensverantwortung für Unternehmenskriminalität – Frankfurter Thesen“ von Matthias Jahn, Charlotte Schmitt-Leonardy und Christian Schoop, veröffentlicht in: wistra 2018, 27 – 31. 9 Nach diesem Modell soll das Unternehmen grundsätzlich für alles verantwortlich sein, was Teil der Unternehmensmatrix ist oder im Laufe der Zeit wird und einen funktionalen Bezug zur Unternehmenstätigkeit aufweist. Der konkrete Verantwortungsgrad werde dann auf der Grundlage eines Folgenverantwortungsdialogs in zwei Stufen zugerechnet; vgl. Jahn/SchmittLeonardy/Schoop, in: wistra 2018, 27, 29 f.; ausführlich auch: Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität, S. 481 ff. 10 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, in: wistra 2018, 27, 31. 11 Vgl. §§ 11 – 22 Kölner Entwurf (Fn. 6) sowie die sechste Frankfurter These (Fn. 8). 12 Sofern in der Literatur bereits zuvor eine Auseinandersetzung mit strafprozessualen Fragen erfolgte, bezog sich diese weniger auf konkrete Einzelregelungen, sondern vielmehr auf grundsätzliche Überlegungen im Hinblick darauf, welche strafprozessualen Garantien in einem Unternehmensstrafverfahrensrecht gelten müssten; vgl. etwa: Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 81 ff.; Drope, Strafprozessuale Probleme, S. 146 ff.; Haeusermann, Verband, S. 175 ff. 13 So etwa: Hamm, in: Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 185 ff.; Fischer/ Hoven, in: ZIS 2015, 32 ff.; Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann, in: NZWiSt 2014, 201 ff.; Witte/Wagner, in: BB 2014, 643, 647 f. Nur Osterloh setzt sich mit allen vorgeschlagenen Verfahrensregelungen ausführlich auseinander; vgl. Osterloh, Einführung und Umsetzung einer Verbandsstrafbarkeit, S. 208 ff.
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Form eines Vergleichs, nicht erfolgte. Ohnehin fehlt es in der Literatur an einer vertieften Beschäftigung mit dem Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG. Die wenigen Monografien, die sich auf die Unternehmensgeldbuße konzentrieren, streifen das Verfahrensrecht lediglich.14 Im Übrigen beschränken sich die Ausführungen zu den prozessualen Vorgaben für die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG auf einzelne Kapitel oder Kommentierungen.15 Die geringe Beachtung, die das geltende Verfahrensrecht erfährt, verwundert angesichts der scheinbaren Schwierigkeiten, die mit der prozessualen Umsetzung einer Unternehmenssanktion einhergehen. Es stellt sich die Frage, wie die Sanktionierung des Unternehmens nach den bestehenden Verfahrensvorschriften gehandhabt wird. Die vorliegende Untersuchung unterzieht das geltende Verfahrensrecht für Unternehmen daher einer näheren Betrachtung und bewertet es im Hinblick auf seine Tauglichkeit für die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG. Dies erfordert zunächst eine Auseinandersetzung mit der Rechtsnatur des § 30 OWiG und der dogmatischen Grundlage für die Verantwortlichkeit des Unternehmens nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht. Nur wenn das Konzept, welches der Unternehmensgeldbuße zugrunde liegt, verstanden wird, können Rückschlüsse für das Verfahrensrecht gezogen werden. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, warum die Bestrafung des Unternehmens einerseits abgelehnt wird, andererseits aber die Festsetzung einer Geldbuße gegen das Unternehmen möglich ist. Neben § 30 OWiG werden deshalb auch die Argumente, die im Zuge der Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts ausgetauscht werden, beleuchtet. Diesen Fragen nach der Verantwortlichkeit des Unternehmens gemäß dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht widmet sich der erste Teil der Arbeit. Davon sind ebenfalls die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Einziehungsmaßnahmen umfasst, die in Bezug auf das Unternehmen angeordnet werden können. Die weitere Untersuchung nimmt die prozessualen Bestimmungen zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG in den Blick, wobei der Schwerpunkt auf einer Bestandsaufnahme des geltenden Verfahrensrechts liegt. Dieses ist in § 30 Abs. 4 OWiG, § 444 StPO und § 88 OWiG geregelt. Aus den Vorschriften folgt, dass die Geldbuße gegen das Unternehmen entweder in dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Verfahren festgesetzt wird (im Folgenden bezeichnet als „einheitliches Verfahren“) oder die Festsetzung losgelöst von dem Individualverfahren selbstständig erfolgt (im Folgenden bezeichnet als 14 Zu nennen sind hier: Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 179 ff. und 213 ff.; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 89 ff. und 101 ff.; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 132 ff. 15 Engelhart widmet den verfahrensrechtlichen Aspekten der Unternehmensgeldbuße einen eigenen Abschnitt; vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 444 ff. Im Hinblick auf die Kommentarliteratur zu § 30 OWiG beschreibt nur Rogall das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße detaillierter; vgl. KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 162 ff.
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„selbstständiges Verfahren“). Je nachdem, ob der Unternehmensmitarbeiter eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, wird das Verfahren dann nach den Regelungen in der StPO oder dem OWiG durchgeführt.16 Bereits diese grundsätzliche Verfahrensausrichtung zeigt, dass dem Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG eine kompliziertere Struktur zugrunde liegt als etwa dem Verfahren, das gegen den Unternehmensmitarbeiter geführt wird. Ziel ist es daher, die verschiedenen Verfahrenskonstellationen17 einer genauen Analyse zu unterziehen und in einem ersten Schritt den jeweiligen Verfahrensablauf für das Unternehmen herauszuarbeiten. Sonderkonstellationen, wie beispielsweise die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens oder die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße im Strafbefehlsverfahren, finden dabei nur Berücksichtigung, soweit sich Überschneidungen zu den grundlegenden Verfahrenskonstellationen ergeben. In einem zweiten Schritt werden die Rechte des Unternehmens in den einzelnen Verfahrensstadien beleuchtet und dahingehend geprüft, ob sie dem Unternehmen ausreichende Möglichkeiten geben, sich in das Verfahren einzubringen. Den Kern der Untersuchung bilden dabei ausgewählte Verfahrensrechte des Unternehmens, die im Folgenden unter dem Begriff der „Mitwirkungsrechte“ zusammengefasst werden und etwa in Form von Anhörungs- oder Beweisantragsrechten bestehen können. Etwaige Verteidigungsrechte, wie sie das Unternehmen beispielsweise gegen Ermittlungsmaßnahmen der Verfolgungsbehörde einsetzen kann, werden nur behandelt, wenn sie für die Ausübung der Mitwirkungsrechte von Bedeutung sind. Sofern sich die weiteren Ausführungen dabei auf die Rechtsausübung „durch das Unternehmen“ beziehen, ist stets die Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte durch die zur Vertretung des Unternehmens berechtigten Personen gemeint. Die Vertretungsberechtigung ergibt sich entsprechend der zivilrechtlichen Vertretungsgrundsätze.18 Von der Vertretung ausgeschlossen ist allerdings der Täter der Straftat beziehungsweise Ordnungswidrigkeit, an die für die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße angeknüpft wird, da in diesen Fällen ein unauflösbarer Interessenskonflikt besteht.19 Insgesamt liegt der Bestandsaufnahme die zentrale Frage zugrunde, welche Stellung dem Unternehmen in dem Verfahren eingeräumt wird und ob eine Gleichstellung mit anderen Verfahrensbeteiligten erfolgt. Entscheidend ist, dass die Verfahrensbestimmungen dem Konzept des § 30 OWiG Rechnung tragen 16
Vgl. zu den Hintergründen dieser Verfahrensausrichtung: Kapitel 2, A. I. In Betracht kommt zum einen die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße in einem einheitlichen Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters und zum anderen die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens bei Anknüpfung an eine Straftat. Hat der Unternehmensmitarbeiter eine Ordnungswidrigkeit begangen, ist ebenfalls ein einheitliches oder ein selbstständiges Verfahren möglich. 18 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 198; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 468; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 103; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 218. 19 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 200; BeckOK OWiG-Meyberg, § 30 OWiG, Rn. 113; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 468. Anders: Müller, Stellung der juristischen Person, S. 103 f.; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 219 f. 17
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und das Unternehmen in die Lage versetzen, sich gegen die drohende Geldbuße angemessen zu verteidigen. Sofern das Verfahren in dieser Hinsicht Defizite erkennen lässt, werden Vorschläge für eine Neuregelung des Verfahrensrechts erarbeitet. Ziel ist es dabei auch, die grundsätzliche Verfahrensausrichtung mit ihren verschiedenen Verfahrenskonstellationen in den Blick zu nehmen und Ansätze für Vereinfachungen zu entwickeln. Der letzte Teil der Untersuchung widmet sich daher einem möglichen Prozessrecht de lege ferenda.
Kapitel 1
Die Verantwortlichkeit des Unternehmens nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Die Verankerung der Unternehmensverantwortlichkeit im Ordnungswidrigkeitenrecht ist das Ergebnis verschiedener historischer Entwicklungen, über die zunächst ein Überblick gegeben wird. Im Anschluss werden die wesentlichen Argumente dargestellt, die für und wider eine Unternehmensstrafbarkeit vorgebracht werden. Die weitere Untersuchung konzentriert sich auf § 30 OWiG und das der Vorschrift zugrunde liegende Konzept einer Unternehmensverantwortlichkeit, bevor abschließend die Einziehungsmaßnahmen in den Blick genommen werden, die in Bezug auf das Unternehmen nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ergriffen werden können.
A. Die Sanktionierung des Unternehmens im Kontext der historischen Entwicklung des Sanktionsrechts Die heutige Ausgestaltung des Unternehmenssanktionsrechts geht auf eine verhältnismäßig kurze Rechtsgeschichte zurück. Die Verantwortlichkeit des Unternehmens ist mit § 30 OWiG in einer Bußgeldnorm geregelt, die erst 1968 in das Ordnungswidrigkeitenrecht aufgenommen worden ist. Es war bis dahin vielmehr die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen, die den Diskurs der letzten Jahrhunderte prägte.20
I. Bestrafung von Verbänden vom römischen Recht bis zum gemeinen Recht Bereits die Juristen des römischen Rechts kannten die Bestrafung von Verbänden, wenngleich sich der Begriff der juristischen Person noch nicht herausgebildet hatte. Infolgedessen war es nie zu einer grundsätzlichen Diskussion über eine Verbands-
20 Vgl. hierzu die ausführlichen Darstellungen bei Schmitt (Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 16 – 28 und S. 47 – 102), Busch (Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 32 – 88) und Hafter (Hafter, Delikts- und Straffähigkeit, S. 6 – 42).
A. Sanktionierung des Unternehmens
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strafbarkeit gekommen.21 Erst im Mittelalter entwickelten Kanonisten und Postglossatoren die Figur der juristischen Person und untersuchten in diesem Zusammenhang deren grundsätzliche Deliktsfähigkeit. Man kam zu dem Ergebnis, dass der Verband zwar eine fiktive Person sei, aber dennoch Delikte begehen könne.22 Im 14. Jahrhundert wurde dieser Grundsatz weiterentwickelt, indem zwischen eigentlichen und uneigentlichen Verbandsdelikten differenziert wurde: Während zu den eigentlichen Verbandsdelikten die Unterlassungsdelikte und alle in den typischen Funktionsbereich des Verbandes fallenden Begehungsdelikte zählten, sollten uneigentliche Verbandsdelikte solche sein, die nur von natürlichen Personen begangen werden konnten, aber uneigentlich auch durch den Verband begangen wurden, wenn er den Auftrag zu der Tat gegeben oder sie nachträglich gebilligt hatte. Die Gesamthandlung aller Verbandsmitglieder sollte dabei der Grundtyp körperschaftlichen Handelns sein.23 In Deutschland wurde die Lehre vom Verbandsdelikt im Rahmen der Rezeption übernommen.24 Die im deutschen Recht schon zuvor praktizierte strafrechtliche Belangung von Städten und Gemeinden, aber auch von Zünften, Genossenschaften und ähnlichen Zusammenschlüssen, erhielt so eine theoretische Grundlage.25
II. Abkehr von der Verbandsstrafbarkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts Dieser Rechtszustand hielt bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts an, wurde jedoch zunehmend kritisch beurteilt und schließlich überwiegend abgelehnt.26 Ursächlich dafür war das Zusammenwirken zweier Gegensätze, die die rechtliche und gesellschaftspolitische Entwicklung des 18. Jahrhunderts bestimmt hatten: Absolutismus und Aufklärung. Das Gedankengut der Aufklärung hatte ein Umdenken hin zu einem auf natürliche Personen bezogenen Individualstrafrecht gefördert.27 Der Absolutismus hatte hingegen zu einer Einbindung der zuvor sehr eigenständig agierenden Körperschaften und Zusammenschlüsse in die hierarchisch strukturierte Staatsverwaltung geführt, so dass das kriminalpolitische Bedürfnis für eine Verbandsbe21
Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 18. Hafter, Delikts- und Straffähigkeit, S. 15 ff.; Gierke, Genossenschaftsrecht, S. 234, 343 f., 402 f., 491. 23 Vgl. zu der auf Bartolus von Sassoferratus zurückgehenden Lehre: Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 21 f. 24 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 42; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. 69; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 26. 25 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 42 f. 26 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 26; vgl. auch: Hafter, Delikts- und Straffähigkeit, S. 20 ff. 27 Vgl. Feuerbach, Lehrbuch des Peinlichen Rechts, S. 29; Grolman, CriminalrechtsWissenschaft, S. 25 ff. 22
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
strafung mit der Zeit entfallen war.28 Dieses neue Verständnis von der Verantwortlichkeit juristischer Personen fand schließlich Eingang in die Gesetzgebung: Im Zuge der Neuregelung des Strafrechts in den einzelnen Staaten wurden in den Strafgesetzbüchern Bayerns von 1813 und Hessens von 1841 sowie dem Strafgesetzbuch des Königreichs Hannover von 1840 Regelungen aufgenommen, die eine Verbandsbestrafung ausschlossen.29 Das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 sowie das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 verzichteten angesichts der zu diesem Zeitpunkt bereits allgemein anerkannten Abkehr von der Verbandsstrafbarkeit auf einen entsprechenden Ausschluss.
III. Einführung von Ordnungsstrafen als Folge der Industrialisierung und Auswirkungen auf die Sanktionierung des Unternehmens Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam es dann zu teilweise gegenläufigen Entwicklungen im Sanktionsrecht, die sich auch auf die Sanktionierung von Unternehmen auswirkten. Das Preußische Strafgesetzbuch überführte zunächst die überwiegende Anzahl der sogenannten Polizeidelikte in das Strafrecht: Sie wurden als Straftaten in das Preußische Strafgesetzbuch aufgenommen und als Übertretungen neben Verbrechen und Vergehen geregelt.30 Die Bedeutung des Polizeistrafrechts wurde dadurch erheblich geschmälert. Diese Dreiteilung zwischen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen übernahm das Reichsstrafgesetzbuch 1871.31 Die Strafprozessordnung von 187732 sah für Übertretungen in § 211 ein vereinfachtes Verfahren vor dem Schöffengericht vor; im Falle eines Geständnisses fand dieses vor dem Amtsrichter statt. Entscheidungen durch die Verwaltungsbehörden waren nur noch durch Strafbescheide oder im Rahmen eines Strafverfügungsverfahrens möglich, wobei das gerichtliche Strafmonopol durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewahrt werden konnte.33 Parallel zu dieser gesetzgeberischen Ausgestaltung rief das mit der
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Heinitz, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. 70; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 27; vgl. auch: Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 44 ff. 29 Siehe Art. 49 Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern von 1813, Art. 56 Allgemeines Criminal-Gesetzbuch für das Königreich Hannover von 1840 und Art. 44 Strafgesetzbuch für das Großherzogthum Hessen, nebst den damit zusammenhängenden Gesetzen von 1841. 30 Siehe § 1 und §§ 332 – 349 Strafgesetzbuch für die preußischen Staaten, nebst Gesetz über die Einführung desselben von 1851. 31 Siehe § 1 und §§ 360 – 370 Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich von 1871 (RGBl. S. 127). 32 Strafprozessordnung vom 01. Februar 1877 (RGBl. S. 253). 33 Bennecke/Beling, Lehrbuch des Deutschen Reichs-Strafprozessrechts, S. 664.
A. Sanktionierung des Unternehmens
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Industrialisierung34 einhergehende Wirtschaftswachstum die Notwendigkeit hervor, Fehlentwicklungen des Marktes und Missbrauchsmöglichkeiten einzudämmen sowie soziale Ungleichheiten zu beseitigen.35 Da es nunmehr an dem hierfür regelungstechnisch geeigneten Polizeistrafrecht fehlte, behalf sich der Gesetzgeber, indem er eine Vielzahl neuer Übertretungstatbestände schuf und so etliche Delikte mit nur geringem Unwertgehalt als Kriminalstrafen einführte.36 Ende des 19. Jahrhunderts ging man schließlich wieder dazu über, der Verwaltung punktuell die Befugnis zur Verhängung von Ordnungsstrafen zu übertragen.37 Dies wirkte sich auch auf die Sanktionierung von Verbänden aus. Die Industrialisierung hatte dazu geführt, dass Unternehmen insbesondere in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht erneut an Bedeutung gewannen.38 Es wurde deshalb regelmäßig über die Wiedereinführung der Unternehmensstrafe diskutiert,39 wenngleich es zumindest im Bereich des Kernstrafrechts bei der fehlenden Strafbarkeit für Unternehmen blieb. Auf dem Gebiet des Nebenstrafrechts bewirkte die erneute Einführung von Ordnungsstrafen jedoch, dass gegenüber Unternehmen ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts vereinzelt Geldstrafen implementiert wurden.40
IV. Lösung für die Frage nach einer Unternehmenssanktion ab 1949 durch den neuen Deliktstyp der „Ordnungswidrigkeit“ Die Ende des 19. Jahrhunderts begonnene Tendenz, die verwaltungsbehördlichen Befugnisse auszuweiten, setzte sich in der Weimarer Republik fort und erreichte ihren Höhepunkt schließlich in den Jahren ab 1933.41 Das nationalsozialistische Ordnungsstrafrecht gab der Verwaltung umfassende Sanktionsmöglichkeiten und 34 Vgl. zu dem Begriff der „Industrialisierung“ und ihrem Beginn in Deutschland: Schmoeckel/Maetsch, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, S. 62. 35 Vgl. hierzu: Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 243 ff. 36 Dietrich, Bindung des Bußgeldverfahrens, S. 27. 37 Mattes, Untersuchungen I, S. 167, vgl. insbesondere Fn. 338 auf S. 167. 38 Dies galt vor allem für die Aktiengesellschaft; vgl. hierzu: Schmoeckel/Maetsch, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, S. 158 ff. 39 So etwa von: Hafter, Delikts- und Straffähigkeit, S. 162; Liszt, Lehrbuch, S. 117, insbesondere Fn. 3 auf S. 117 f.; Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 147 ff. 40 Beispielsweise ermöglichte § 393 Reichsabgabenordnung (früher: § 357 Reichsabgabenordnung) die Verhängung einer Geldstrafe gegenüber einer juristischen Person oder Personenvereinigung wegen bestimmter Steuervergehen. §§ 416, 417 Reichsabgabenordnung (früher: §§ 381, 382 Reichsabgabenordnung) sahen eine subsidiäre Haftung für Verbände vor. Weitere Strafbestimmungen enthielten etwa § 17 der Verordnung gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom 02. November 1923 und § 39 der Verordnung über die Devisenbewirtschaftung vom 23. Mai 1932. Vgl. hierzu auch: Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 30 – 46. 41 Mattes, Untersuchungen I, S. 169 f.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
beseitigte die richterliche Kontrolle nahezu vollständig.42 Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft suchte man einen Weg, die weitreichenden Strafbefugnisse der Behörden einzudämmen, ihnen aber auch Möglichkeiten zur Wirtschaftslenkung, etwa durch Verhängung von Sanktionen, zu belassen.43 Beeinflusst von der Lehre James Goldschmidts44 und Erik Wolfs45 sowie dem Wirken Eberhard Schmidts46 wurde daher 1949 das Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz [WiStG 1949])47 eingeführt. Dieses differenzierte erstmals zwischen Wirtschaftsstraftaten und Ordnungswidrigkeiten und gab in § 6 WiStG 1949 eine Abgrenzungsformel vor. Damit wurden – beschränkt auf das Gebiet des Wirtschaftsrechts – Ordnungswidrigkeiten neben Verbrechen, Vergehen und Übertretungen als neue Deliktskategorie etabliert.48 Dies hatte auch Auswirkungen auf die Sanktionierung von Unternehmen, da unter der Überschrift „Ordnungswidrigkeiten“ nun erstmals gemäß §§ 23, 24 WiStG 1949 die Festsetzung einer Geldbuße gegenüber juristischen Personen und Handelsgesellschaften möglich war. Das Besatzungsrecht enthielt daneben im Bereich des Kartell- und Devisenrechts Vorschriften, die eine Unternehmensstrafe normierten. Obwohl dies dem angelsächsischen Rechtsdenken entsprach und der Bundesgerichtshof (BGH) die Vereinbarkeit der Normen mit dem deutschen „ordre public“ und Art. 43 Haager Landkriegsordnung bestätigte,49 wurde die Anwendung der Vorschriften kritisch beurteilt.50 Auch der BGH räumte ein, dass die Verhängung einer Kriminalstrafe gegenüber Unternehmen dem deutschen Rechtsdenken widerspreche.51 Nun gab es mit dem Deliktstyp „Ordnungswidrigkeit“ jedoch eine Alternative zum bisherigen Kern- und Nebenstrafrecht. Um die Trennung zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten über das Wirtschaftsrecht hinaus vornehmen zu können, erließ der Gesetzgeber 1952 das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG 1952)52, welches einen allgemeinen
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Mattes, Untersuchungen I, S. 170; Dietrich, Bindung des Bußgeldverfahrens, S. 29 f. Mattes, Untersuchungen I, S. 174 f.; Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 28. 44 Vgl. insbesondere: Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 529 ff. 45 Vgl. Wolf, in: Festgabe für Reinhard von Frank, S. 516 ff., der die Stellung der Verwaltungsdelikte im Strafrechtssystem unter anderem durch Aufarbeitung der Lehre Goldschmidts analysiert. 46 Vgl. insbesondere: Schmidt, in: SJZ 1948, 225, 236; ders., in: SJZ 1948, 569, 571 ff. 47 Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts vom 26. Juli 1949 (WiGBl. S. 193). 48 Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 28; Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 24. 49 BGHSt 5, 28, 32. 50 So etwa von: Lange, in: JZ 1952, 261, 263 f.; Wilmanns/Urbach, in: BB 1953, 102, 102 f.; Siegert, in: NJW 1953, 527, 528; Jescheck, in: ZStW 65 (1953), 210, 225; Bruns, in: JZ 1954, 250, 253. 51 BGHSt 5, 28, 32. 52 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952 (BGBl. I S. 177). 43
A. Sanktionierung des Unternehmens
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Rahmen für das Recht der Ordnungswidrigkeiten vorgab.53 So wurden auf der Grundlage der Regelungen im WiStG 1949 der allgemeine Teil für das Recht der Ordnungswidrigkeiten und das Verfahren geregelt sowie eine neue, generell geltende Abgrenzungsformel implementiert. Nach dieser kam es für die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nun nicht mehr auf materielle Kriterien an, sondern gemäß § 1 OWiG 1952 allein auf die formale Unterscheidung, ob eine Handlung mit Geldbuße oder mit Strafe bedroht war. In den Jahren nach 1952 forcierte der Gesetzgeber auf der Grundlage des OWiG 1952 die Trennung zwischen Kriminal- und Ordnungswidrigkeitenrecht und führte in diversen Gesetzen Ordnungswidrigkeitentatbestände ein.54 Dabei wandelte er bestehende Übertretungstatbestände in Ordnungswidrigkeiten um und implementierte solche Delikte als Ordnungswidrigkeiten, die früher noch als Übertretungen eingestuft worden wären.55 Im Hinblick auf die Unternehmenssanktion wurden ebenfalls weitere Bußgeldvorschriften in verschiedene Bundes- und Landesgesetze aufgenommen, wobei die einzelnen Normen im Hinblick auf ihren Regelungsgehalt zum Teil deutlich voneinander abwichen.56 Die voranschreitende Etablierung des Ordnungswidrigkeitenrechts und die darauf gestützte Einführung von Unternehmensgeldbußen trugen dazu bei, dass die im Nebenstrafrecht enthaltenen Strafbestimmungen gegenüber Unternehmen sowie die besatzungsrechtlichen Vorschriften, die eine Unternehmensbestrafung ermöglichten, aufgehoben wurden.57
53 Vgl. die Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BTDrs. 1/2100, S. 15. 54 Diese Entwicklung setzte sich in den folgenden Jahrzehnten fort und führte zu einer „Flut von bundes- und landesrechtlichen Bußgeldtatbeständen“; vgl. Göhler, Einleitung, Rn. 14a. Kritisch äußerte sich ebenfalls: Weber, in: ZStW 92 (1980), 313, 314 f. und 319 f. 55 Vgl. die Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BTDrs. 5/1269, S. 23. Ziel war es, die Übertretungen als Deliktsart entfallen zu lassen; vgl. hierzu: Mattes, Untersuchungen I, S. 181 f. 56 Vgl. Müller, Stellung der juristischen Person, S. 31; Göhler, Vor § 29a OWiG, Rn. 6. 57 Im Zuge der Einführung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1081), welches in § 41 GWB 1957 die Festsetzung einer Geldbuße gegenüber einer juristischen Person oder Personenvereinigung vorsah, wurden etwa gemäß § 109 GWB 1957 die kartellrechtlichen Besatzungsvorschriften außer Kraft gesetzt und § 17 der Verordnung gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom 02. November 1923 aufgehoben. Die besatzungsrechtlichen Vorschriften zum Devisenstrafrecht wurden von dem Außenwirtschaftsgesetz vom 28. April 1961 (BGBl. I S. 481), welches in § 37 AWG 1961 ebenfalls eine Bußgeldvorschrift gegenüber juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften enthielt, gemäß § 47 AWG 1961 abgelöst. Das Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 10. August 1967 (BGBl. I S. 877) führte mit Artikel 1 Nr. 5 und 8 AOStrafÄndG zu der Aufhebung von § 393 Reichsabgabenordnung und §§ 416, 417 Reichsabgabenordnung.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Die Regelungen des OWiG 1952 erwiesen sich jedoch angesichts der Vielzahl neuer Fälle insbesondere im Hinblick auf das Verfahrensrecht bald als nicht mehr ausreichend,58 so dass es 1968 zu einer Neuregelung des Ordnungswidrigkeitenrechts durch das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG 1968)59 kam. Dabei wurde die rein formale Abgrenzung zwischen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten in § 1 OWiG 1968 beibehalten. Im Übrigen änderten sich aber der allgemeine Teil des Gesetzes, in den unter anderem Vorschriften über die zeitliche und räumliche Geltung des OWiG 1968 und einzelne Ordnungswidrigkeiten aufgenommen wurden, und besonders umfassend das Bußgeldverfahrensrecht im zweiten Teil. Eine entscheidende Änderung erfolgte außerdem im Bereich des Unternehmenssanktionsrechts: Mit § 26 OWiG 1968 (seit 1975: § 30 OWiG) wurde eine Vorschrift in das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten integriert, die allgemein die Festsetzung einer Geldbuße gegenüber Unternehmen ermöglichte und so die zahlreichen, spezialgesetzlichen Sanktionsvorschriften gegenüber Unternehmen ablöste.60 Ziel war es, die Frage der Unternehmensgeldbuße einer einheitlichen und abschließenden Lösung zuzuführen.61 Die letztliche Verankerung der Unternehmensgeldbuße im Ordnungswidrigkeitenrecht bewirkte somit zum einen die Vereinheitlichung der damals geltenden Rechtslage und stellte zum anderen eine eindeutige Entscheidung gegen ein Unternehmensstrafrecht dar. Auch wenn § 26 OWiG 1968 seitdem mehrfach geändert wurde und die Diskussion über die Einführung einer Unternehmensstrafbarkeit nie ganz verstummte,62 hält der Gesetzgeber bis heute an dieser Lösung fest.
58 Vgl. die Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BTDrs. 5/1269, S. 23 – 27. 59 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. Mai 1968 (BGBl. I S. 481). 60 Die Aufhebung von Sondervorschriften über Geldbußen gegen Unternehmen erfolgte durch das Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. Mai 1968 (BGBl. I S. 503); beispielsweise durch Artikel 7 Nr. 2, Artikel 63 Nr. 2 oder Artikel 153 Abs. 1 Nr. 3 des Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. 61 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BTDrs. 5/1269, S. 57. 62 Vgl. zu der in den letzten Jahren erneut aufgekommenen Diskussion nur den Tagungsband zum Symposium „Unternehmensstrafrecht“ im November 2011 (Kempf/Lüderssen/Volk, Unternehmensstrafrecht, 2012), die in der ZIS 1/2015 dokumentierten Vorträge einer Tagung im Juni 2014 zu dem Thema „Der NRW-Entwurf für ein Verbandsstrafgesetzbuch – das Konzept und seine Folgefragen“ und den von Matthias Jahn, Charlotte Schmitt-Leonardy und Christian Schoop veröffentlichten Band zu einem Unternehmensstrafrecht und seinen Alternativen aus 2016 (Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, 2016).
B. Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts
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B. Die Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts Die Darstellung der historischen Entwicklung des Sanktionsrechts mit Bezugnahme auf die Sanktionierung von Unternehmen hat aufgezeigt, warum Unternehmen nach derzeit geltendem Recht nicht bestraft werden. Vielmehr ist mit § 30 OWiG eine Vorschrift vorhanden, die als zentrale Sanktionsnorm gegenüber Unternehmen die Möglichkeit bietet, eine Geldbuße gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen festzusetzen, wenn einer der in § 30 Abs. 1 Nr. 1 – 5 OWiG Genannten eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat. Gleichwohl bleibt die Frage nach einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen ein ständig wiederkehrendes Diskussionsthema in Literatur und Politik.63 Im Folgenden soll daher ein Überblick über die im Rahmen der Diskussion vertretenen zentralen Argumente sowie die diversen Ansätze zur Begründung einer Unternehmensstrafbarkeit gegeben werden.
I. Kriminalpolitisches Bedürfnis für eine Unternehmensstrafbarkeit Die Befürworter eines Unternehmensstrafrechts begründen ihre Position in erster Linie mit kriminalpolitischen Erwägungen und verweisen in diesem Zusammenhang auf die Anzahl und Bedeutung von Unternehmen, die Schwächen des geltenden Rechts bei der Bestrafung des Individualtäters und internationale Entwicklungen. 1. Anzahl und Bedeutung von Unternehmen Unter Berufung auf eine steigende Anzahl und wachsende Bedeutung von Unternehmen wird geltend gemacht, dass die aus Unternehmen heraus begangenen Delikte erheblichen Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft hätten, so dass neben dem individuellen Rechtsgüterschutz vermehrt auch der Schutz kollektiver Interessen in den Mittelpunkt der Gesetzgebung rücken müsse.64 Hier sei das Ordnungswidrigkeitenrecht nicht mehr ausreichend.65 Eine Strafe bringe in größerem Ausmaß eine sozial-ethische Missbilligung gegenüber dem Unternehmen zum 63 Schünemann verwendet diesbezüglich den Begriff der „rechtspolitische[n] Zombies“, mit dem er Regelungsvorschläge beschreibt, „die nach gründlicher Prüfung verworfen worden sind, aber nach einer gewissen Latenzzeit wieder hervorgekramt werden und eine erneute Diskussion mit wenigen neuen und überwiegend aufgewärmten alten Argumenten provozieren.“; vgl. Schünemann, in: ZIS 2014, 1, ebd. 64 VerbStrG-E (Fn. 5), S. 1; vgl. auch: Kölner Entwurf (Fn. 6), S. 13. 65 VerbStrG-E (Fn. 5), S. 2; Kölner Entwurf (Fn. 6), S. 13 ff.; Wessing, in: ZWH 2012, 301, 304; vgl. auch: Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 76.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Ausdruck und entfalte durch die damit verbundene Stigmatisierung eine stärkere Lenkungswirkung.66 Die Gegner eines Unternehmensstrafrechts wenden jedoch ein, dass der Name einer Sanktion für das betroffene Unternehmen zumeist keine Rolle spiele.67 In die Entscheidung über die Begehung eines Pflichtverstoßes würden allenfalls Aspekte wie die Höhe einer möglichen Sanktion und das tatsächliche Entdeckungs- und Sanktionsrisiko einbezogen werden. Sofern sich durch die Bezeichnung einer Sanktionsnorm als „Strafe“ also eine stärkere Beeinflussung des Unternehmens durch das mit der Strafe verbundene Unwerturteil versprochen werde, sei dies zu bezweifeln.68 2. Schwächen bei der Bestrafung des Individualtäters Zugunsten eines Unternehmensstrafrechts werden weiter Schwächen aufgeführt, die das geltende Recht bei der Bestrafung des Einzelnen aufweise. Zum einen schwinde durch die zunehmende dezentrale Organisation der Unternehmen, welche etwa eine Aufgabenverteilung auf verschiedenen Ebenen sowie Outsourcing beinhaltet, das individualstrafrechtliche Täterpotential.69 Hier drohe eine Beweisnot des Staates dergestalt, dass tatbestandsmäßiges Handeln, Rechtswidrigkeit und Schuld nicht mehr bei einer natürlichen Person vollständig zusammenträfen.70 Die aktuelle Rechtsentwicklung tendiere daher vor dem Hintergrund dieser sogenannten organisierten Unverantwortlichkeit auf Unternehmensebene dazu, die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen etwa in Form einer extensiven täterschaftlichen Zurechnung zu überspannen.71 Zum anderen stelle sich im Hinblick auf die Beweiserhebung noch ein weiteres Problem: Die oftmals komplexen Betriebsabläufe und Geschäftsstrukturen eines großen Unternehmens ließen sich teilweise nur mithilfe der Unternehmensmitarbeiter aufklären.72 Kämen diese aber zugleich als Tatverdächtige in Betracht, könnten sie sich beispielsweise auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen. Es sei Unternehmen und Unternehmensmitarbeitern daher durch strategisch geschicktes Ver-
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Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 639; ders., in: NZWiSt 2015, 201, 209; Kubiciel, in: ZRP 2014, 133, 135; Wessing, in: ZWH 2012, 301, 303. 67 Vogel, in: StV 2012, 427, 432; Leipold, in: ZRP 2013, 34, 37. 68 Leipold, in: ZRP 2013, 34, 37; DAV-Stellungnahme 54/2013, S. 12. 69 Schönke/Schröder-Heine/Weißer, Vorbemerkungen zu den §§ 25 ff. StGB, Rn. 128; MüKo StGB-Joecks, Vorbemerkung zu § 25 StGB, Rn. 20; Dannecker, in: GA 2001, 101, 102. 70 Wessing, in: ZWH 2012, 301, 302; Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 11 und 14; VerbStrG-E (Fn. 5), S. 24. 71 Schönke/Schröder-Heine/Weißer, Vorbemerkungen zu den §§ 25 ff. StGB, Rn. 128. 72 Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 14; Wessing, in: ZWH 2012, 301, 302.
B. Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts
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halten möglich, die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden zumindest zu erschweren.73 Gegen das Argument der Zurechnungs- und Beweisschwierigkeiten bei der Strafverfolgung des Individuums infolge organisierter Unverantwortlichkeit wird eingewandt, dass die zunehmende Pflichtendiffusion innerhalb des Unternehmens auch neue Beweismöglichkeiten schaffe: Durch die zwingend notwendige Kommunikation zwischen den verschiedenen Ebenen sei eine Vielzahl an (elektronischen) Dokumenten vorhanden, die eine Rekonstruktion der im Tatzeitpunkt bestehenden Verantwortungsverteilung ermöglichten und so Beweis erbringen könnten.74 Selbst wenn dies aber nicht gelänge und daher auf die extensiven Zurechnungskonstruktionen im Individualstrafrecht zurückgegriffen werden müsste, sei nicht garantiert, dass die Einführung einer Unternehmensstrafbarkeit hier zu einer Entlastung führe. Es bestünde vielmehr die Gefahr, dass die Ausdehnungen im Individualstrafrecht neben einem möglicherweise ebenfalls weiten Unternehmensstrafrecht beibehalten werden.75 Hinsichtlich des Arguments, es drohe eine Beweisnot unter praktischen Gesichtspunkten, da Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter durch Behinderung der Ermittlungen gezielt versuchen könnten, Sanktionen zu umgehen, wird geltend gemacht, dass solche Verhaltensweisen insbesondere in Unternehmen anzutreffen seien, in denen eine kriminelle Verbandsattitüde vorherrsche.76 Dabei handele es sich aber um eine Ausnahme, die einem umfassenden Unternehmensstrafrecht keine hinreichende Grundlage geben könne.77 3. Internationale Entwicklungen Die Vertreter einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen verweisen zuletzt auf den internationalen Trend zur Normierung eines Unternehmensstrafrechts. So würden die meisten europäischen Länder mittlerweile eine Bestrafung von juristischen Personen und Personenvereinigungen kennen, während Deutschland einen Sonderweg beschreite.78 Der internationale Druck wachse,79 was 73 Als Beispiele für ein solches Verhalten werden neben der Aussageverweigerung etwa die aktive Sockelverteidigung, das „Opfern“ eines Unternehmensmitarbeiters und sogar das Fälschen oder Beseitigen von Dokumenten aufgezählt; vgl. Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 14; Wessing, in: ZWH 2012, 301, 302. 74 Schünemann, in: ZIS 2014, 1, 13; Schmitt-Leonardy, in: ZIS 2015, 11, 13. 75 Trüg, in: wistra 2010, 241, 246. 76 Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 56 f.; vgl. auch: Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 272 f. 77 Schünemann, in: ZIS 2014, 1, 13; Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 57 f. 78 Krems, in: ZIS 2015, 5, 6; Vogel, in: StV 2012, 427, 431; vgl. auch: Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, S. 13. Einen Überblick über die Rechtslage in den anderen europäischen Ländern gibt Rogall; vgl. KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 263 ff.
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etwa Erwägungsgrund 14 des Entwurfs einer Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Insidergeschäfte und Marktmanipulationen der Europäischen Kommission vom 20. 10. 201180 zeige.81 Dieser sieht eine Ausweitung der Verantwortlichkeit juristischer Personen so weit wie möglich auch für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit vor. Dagegen wird jedoch eingewandt, dass die völker- und europarechtlichen Vorgaben nicht zwingend die Einführung eines Strafrechts für Unternehmen vorsähen, sondern nichtstrafrechtliche Sanktionen genügen ließen.82 Auch Erwägungsgrund 14 des Richtlinienentwurfs wurde in dieser Form nicht in die am 16. April 2014 erlassene Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation aufgenommen. In Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2014/57/EU wird lediglich formuliert, dass die Mitgliedstaaten, deren nationales Recht eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen vorsieht, gegebenenfalls diese strafrechtliche Verantwortlichkeit im Einklang mit ihrem nationalen Recht auf die in der Richtlinie genannten Straftatbestände ausdehnen sollten. Zudem wird betont, dass Entwicklungen in anderen Ländern höchstens unter rechtspolitischen Gesichtspunkten Anlass zur Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen geben könnten.83 Solange jedoch auf europäischer oder außereuropäischer Ebene noch keine verbindlichen Vorgaben für die Normierung einer Unternehmensstrafbarkeit bestünden, sei die Entwicklung in Nachbarländern nicht geeignet, einen Rechtsstaat zur Rechtsänderung zu bewegen.84
II. Rechtsdogmatische Überlegungen Während sich die Befürworter eines Unternehmensstrafrechts vorrangig auf kriminalpolitische Erwägungen stützen, werden gegen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen insbesondere dogmatische Argumente vorgebracht, die auf eine fehlende Handlungs-, Schuld- oder Straffähigkeit von Unternehmen verweisen. Über diese rechtsdogmatischen Einwände hinausgehend wird der Vorwurf mangelnder Gerechtigkeit erhoben.
79 Mitsch, in: NZWiSt 2014, 1, ebd.; Schmitt-Leonardy, in: Unternehmensstrafrecht, S. 112; Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 91 f.; Jäger, in: Festschrift für Imme Roxin, S. 43. 80 KOM (2011) 654 endgültig, S. 10. 81 Zieschang, in: GA 2014, 91, 97. 82 Trüg, in: wistra 2010, 241, 245. 83 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 619. 84 Schünemann, in: ZIS 2014, 1, 12.
B. Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts
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1. Handlungsfähigkeit von Unternehmen a) Ablehnung von natürlicher Handlungsfähigkeit Sofern die Ablehnung eines Unternehmensstrafrechts damit begründet wird, dass Unternehmen nicht strafrechtlich handeln können,85 beruht diese Auffassung auf den für das Individualstrafrecht entwickelten Handlungstheorien. Trotz Uneinigkeit im Hinblick auf einzelne Ausprägungen des Handlungsbegriffs haben die strafrechtlichen Handlungstheorien gemeinsam, dass unter Handlung grundsätzlich das vom menschlichen Willen beherrschte oder beherrschbare Verhalten verstanden wird.86 Da es Unternehmen als nicht-natürlichen Personen an einer psychisch-geistigen Substanz und damit an der Fähigkeit zur Willensbildung und -umsetzung fehle, seien sie als solche handlungsunfähig.87 b) Konstruktion von rechtlicher Handlungsfähigkeit Dieser Auffassung stehen jedoch verschiedene Ansätze gegenüber, mittels derer versucht wird, eine rechtliche Handlungsfähigkeit von Unternehmen zu konstruieren.88 Dabei muss zwischen zwei Lösungswegen differenziert werden: Zum einen wird auf die für das Individualstrafrecht entwickelte Handlungsdogmatik zurückgegriffen. In diesem Zusammenhang wird entweder eine abgeleitete Handlungsfähigkeit von Unternehmen begründet, indem ihnen die Handlungen bestimmter für sie agierender Individualpersonen zugerechnet werden, oder es wird von einer eigenen, originären Handlungsfähigkeit von Unternehmen ausgegangen. Zum anderen wird eine zweite Möglichkeit für die Konstruktion rechtlicher Handlungsfähigkeit darin gesehen, sich von der individualstrafrechtlichen Dogmatik zu lösen und – statt an der Handlung eines Individuums anzuknüpfen – auf ein eigenes Unternehmensunrecht abzustellen.89 85 So etwa: Engisch, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E24; Hartung, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E43; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 53; Schwinge, Unternehmen, S. 101; Jäger, in: Festschrift für Imme Roxin, S. 49 f.; Blauth, Handeln, S. 14 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 8, Rn. 59; Jescheck/Weigend, Lehrbuch Strafrecht AT, § 23, VII, 1; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 181 ff. und 231; Zieschang, Sanktionensystem, S. 385. 86 Vgl. zu den verschiedenen Handlungsbegriffen: Roxin, Strafrecht AT I, § 8; Jescheck/ Weigend, Lehrbuch Strafrecht AT, § 23. 87 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 8, Rn. 59; Blauth, Handeln, S. 15. 88 Die folgenden Ausführungen sollen lediglich einen Überblick über die für ein Unternehmensstrafrecht diskutierten Handlungskonstruktionen geben. Eine umfangreichere Darstellung findet sich etwa bei Kindler (Kindler, Unternehmen als haftender Täter, S. 212 – 223) oder Kirch-Heim (Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 140 – 154). 89 Beachtet werden muss, dass im Rahmen des ersten Lösungsweges zwar an das Handeln von Individualpersonen angeknüpft wird, dies jedoch nicht dazu führt, dass auch dem Unternehmen individualstrafrechtliche Handlungsfähigkeit zukommt. Sowohl über das Zurechnungsmodell als auch über den Ansatz, der von einer originären Handlungsfähigkeit von
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
aa) Anlehnung an die Handlungsdogmatik des Individualstrafrechts Im Rahmen des ersten Lösungsweges, der sich an die individualstrafrechtliche Handlungsdogmatik anlehnt, wird von der überwiegenden Ansicht in der Literatur ein Zurechnungsmodell für ein künftiges Unternehmensstrafrecht favorisiert.90 Begründet wird dies teilweise mit einem Verweis auf § 31 BGB, der im Bereich des Zivilrechts die Handlungszurechnung für Organ- und Vertreterhandlungen regelt.91 Hiergegen wird jedoch eingewandt, dass aus einer zivilrechtlichen Konstellation der Handlungszurechnung noch keine strafrechtliche Handlungsfähigkeit von Unternehmen abgeleitet werden könne.92 Zum Teil stellen die Vertreter eines Zurechnungsansatzes deshalb auf die im StGB geregelten Täterschaftsformen der Mittäterschaft und der mittelbaren Täterschaft sowie auf die Regelungen zur Einziehung in § 74e StGB und § 29 OWiG ab.93 Sofern hiergegen vorgebracht wird, dass bei der Mittäterschaft und der mittelbaren Täterschaft auch immer an ein eigenes Verhalten des zu bestrafenden Täters angeknüpft werde und die Einziehung das Unternehmen nur in Form einer Rechtsfolge treffe,94 wird im Gegenzug auf § 30 OWiG verwiesen,95 der bereits de lege lata regelt, dass Unternehmen die Handlungen ihrer Organe als eigene Handlungen zugerechnet werden.96 Unternehmen ausgeht, wird keine natürliche Handlungsfähigkeit von Unternehmen konstruiert, sondern vielmehr eine „rechtliche“ (Kindler, Unternehmen als haftender Täter, S. 212) beziehungsweise „juristische“ (Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 44; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 19) Handlungsfähigkeit geschaffen. 90 So etwa: Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 185; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. 84; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 57; Scholz, in: ZRP 2000, 435, 438; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 19; Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 45 ff.; Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 75; Kindler, Unternehmen als haftender Täter, S. 274 ff.; Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität, S. 399 ff.; Schroth, Unternehmen, S. 177 ff.; Stratenwerth, in: Festschrift für Rudolf Schmitt, S. 298; Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 14 f.; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 211 ff.; Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des DJT, S. 197; Quante, Sanktionsmöglichkeiten, S. 137; Haeusermann, Verband, S. 141 ff.; Osterloh, Einführung und Umsetzung einer Verbandsstrafbarkeit, S. 57; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 668 f., der zusätzlich einen Bezug zu dem Unternehmensklima herstellt. 91 So zum Beispiel: Heinitz, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. 84 f.; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 57 f.; Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des DJT, S. 197 f.; Scholz, in: ZRP 2000, 435, 438. 92 Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 103; Zieschang, Sanktionensystem, S. 384; ders., in: GA 2014, 91, 95. 93 So zum Beispiel: Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 182 ff.; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 58; Scholz, in: ZRP 2000, 435, 438; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 215 f.; Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 45; Osterloh, Einführung und Umsetzung einer Verbandsstrafbarkeit, S. 58. 94 Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 103; Wiesener, Verantwortlichkeit, S. 32; Hirsch, Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 10; Mitsch, in: NZWiSt 2014, 1, 3; so auch: Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 75. 95 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 19. 96 Siehe: Kapitel 1, C. III. 3.
B. Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts
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Einigkeit besteht dahingehend, dass die Zurechnung von Mitarbeiterhandlungen gegenüber Unternehmen nur dann möglich ist, wenn ein tragfähiger Zurechnungsgrund vorliegt.97 Ein solcher wird größtenteils darin gesehen, dass ein Unternehmen allein durch seine Organe und Vertreter am Rechtsleben teilnehmen könne und daher mit deren Verhalten in gewissem Umfang identifiziert werden müsse. Gerade weil ein Unternehmen nur durch sie tätig werden könne, seien ihm die Organ- und Vertreterhandlungen zuzurechnen (Identifikationsgedanke).98 Ein anderer Begründungsansatz knüpft hingegen an das Prinzip des Organisationsmangels an.99 Danach obliege einem Unternehmen die Pflicht zur ordentlichen Organisation seines Geschäftsbetriebs. Sofern es dieser Pflicht nicht nachkomme und infolgedessen Zuwiderhandlungen begangen werden, müsse es sich diese zurechnen lassen.100 Ein dritter Ansatz sieht schließlich in der Pflichtenadressatenschaft von Unternehmen den Grund für die mögliche Zurechnung von Individualhandlungen. Da das Unternehmen selbst Adressat von Normpflichten sei, könnten ihm die Handlungen der Personen, die für das Unternehmen diese Pflichten wahrnehmen, zugerechnet werden.101 Eine Zurechnung käme folglich nicht nur bei Organen, sondern auch bei allen sonstigen Beauftragten in Betracht.102 Als Alternative hierzu wird im Rahmen des ersten Lösungsweges eine eigene, originäre Handlungsfähigkeit von Unternehmen konstruiert.103 Zum Teil werden die diesbezüglichen Überlegungen auf die von v. Gierke entwickelte Theorie der realen Verbandstäterschaft gestützt, wonach das Unternehmen ein eigenes Wesen sei, dessen Wille in der Beschlussfassung der Organe Ausdruck finde.104 Die Umsetzung der Beschlüsse sei dann als Handeln des Unternehmens anzusehen.105 Einen anderen Ansatz, um eine originäre Handlungsfähigkeit von Unternehmen zu entwickeln, wählt hingegen Hirsch, indem er auf die Strukturei97 So etwa: Kindler, Unternehmen als haftender Täter, S. 214; Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 45. 98 Stratenwerth, in: Festschrift für Rudolf Schmitt, S. 298; Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 15; Haeusermann, Verband, S. 141 f., insbesondere Fn. 4 auf S. 142; Kindler, Unternehmen als haftender Täter, S. 214 f. und 277, die aber auch auf systemtheoretisches Gedankengut zurückgreift. 99 Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 46 f., der sein ursprünglich für § 30 OWiG entwickeltes Konzept (vgl. hierzu: Tiedemann, in: NJW 1988, 1169, 1172) in diesem Zusammenhang zur Begründung einer Unternehmensstrafe heranzieht. 100 Tiedemann, in: NJW 1988, 1169, 1172. 101 Schroth, Unternehmen, S. 179. 102 Schroth, Unternehmen, S. 224 f., der die Unternehmensverantwortlichkeit dahingehend einschränkt, dass die Organe und Beauftragten in Ausübung ihrer Funktion als Repräsentanten und unter Verstoß gegen Unternehmenspflichten handeln müssen. 103 So etwa: Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 142; Dannecker, in: GA 2001, 101, 111; Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 104 f.; Hirsch, Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 10 ff.; Hafter, Delikts- und Straffähigkeit, S. 65. 104 Vgl. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 603 ff., insbesondere S. 613 – 615 und S. 624 f. 105 Vgl. Hafter, Delikts- und Straffähigkeit, S. 82 ff.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
genheiten von Unternehmen abstellt. Da diese nach außen nur durch die menschlichen Handlungen ihrer Organe tätig werden könnten, seien deren Handlungen gleichzeitig auch die des Unternehmens.106 Im Ergebnis lehnt Hirschs Begründung somit eng an den im Rahmen des Zurechnungsmodells vertretenen Identifikationsgedanken an.107 Ein weiterer Ansatz wird mit systemtheoretischen Erwägungen begründet.108 Zurückgehend auf Jakobs109 soll es sich bei Unternehmen (bestehend aus Verfassung und Organen) wie auch bei natürlichen Personen (bestehend aus Psyche und Körper) um Systeme handeln, deren Output entscheidend sei. Verfassungsgemäße Organhandlungen würden dadurch zu eigenen Handlungen des Unternehmens.110 Die Vertreter des systemtheoretischen Ansatzes knüpfen somit ebenso wie die anderen beiden Begründungen, mit deren Hilfe eine originäre Handlungsfähigkeit von Unternehmen konstruiert werden soll, an das Verhalten und den Willen der Organe an. Im Kern werden somit auch hier Zurechnungslösungen gewählt.111 bb) Loslösung von der Handlungsdogmatik des Individualstrafrechts Die Verbindung zwischen der Handlungsfähigkeit von Unternehmen und dem Handeln bestimmter natürlicher Personen wird von Heine kritisiert, der im Sinne des zweiten Lösungsweges unabhängig von der individualstrafrechtlichen Handlungsdogmatik eine originäre Unternehmensverantwortlichkeit zu begründen versucht.112 Er geht davon aus, dass die in einem Unternehmen auftretenden Störfälle das Ergebnis systemischer Fehlentwicklungen seien, die sich nicht punktuell auf einzelne 106
288 f.
Hirsch, Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 10; ders., in: ZStW 107 (1995), 285,
107 Kindler, Unternehmen als haftender Täter, S. 218; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 352. 108 Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 142 f. und 154; Dannecker, in: GA 2001, 101, 111. Beide Autoren kombinieren den systemtheoretischen Ansatz mit dem Modell einer „originären Unternehmensverantwortlichkeit“ (vgl. Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 154) beziehungsweise eines „Systemunrechts“ (vgl. Dannecker, in: GA 2001, 101, 111). Mittelsdorf, Kindler und Schmitt-Leonardy wählen hingegen im Kern ein Zurechnungsmodell, welches sie mit systemtheoretischen Erwägungen verknüpfen; vgl. Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 75 ff.; Kindler, Unternehmen als haftender Täter, S. 277 und Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität, S. 405 ff. 109 Jakobs, Strafrecht AT, 6. Abschnitt, Rn. 44. Jakobs hat seine Ansicht, Unternehmen seien kriminaldeliktisch handlungs- und schuldfähig, inzwischen ausdrücklich aufgegeben; vgl. Jakobs, in: Festschrift für Klaus Lüderssen, Fn. 7 auf S. 560. 110 Jakobs, Strafrecht AT, 6. Abschnitt, Rn. 44. 111 So auch: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 351. Ablehnend: Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 104. 112 Heine, Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 248 ff.; ders., in: Verantwortung und Steuerung von Unternehmen, S. 103 ff.; Schönke/Schröder-Heine/Weißer, Vorbemerkungen zu den §§ 25 ff. StGB, Rn. 131; vgl. auch: Dannecker, in: GA 2001, 101, 111; Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 151 ff. und 154.
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Entscheidungen zurückführen ließen, sondern Ausdruck eines meist langjährigen Defizits an Risikobewusstsein und -vorsorge seien.113 Es sei daher erforderlich, die Zurechnungskategorien des Individualstrafrechts, wie etwa Tatherrschaft, Handlung und Schuld, funktions-analog auf Unternehmen zu übertragen: Bei jeder Kategorie sei neu zu ermitteln, welche Aufgabe ihr in einem System kollektiver Verantwortlichkeit zukommen solle.114 So trete an die Stelle der Tatherrschaft eine funktionalsystemische Organisationsherrschaft. Die Haftung aufgrund der Organisationsherrschaft werde durch das Erfordernis einer gravierenden sozialen Störung, in der sich eine betriebstypische Gefährdung niedergeschlagen haben müsse, begrenzt. Zurückzuführen sei diese Störung nicht mehr auf eine individuelle Täterhandlung, sondern auf Akkumulationsprozesse und synergetische Effekte eines mit der Zeit entstandenen Missmanagements, für welches das Unternehmen im Rahmen einer „Betriebsführungsschuld“ die Verantwortung trage.115 2. Schuldfähigkeit von Unternehmen a) Ablehnung von natürlicher Schuldfähigkeit Eine weitere dogmatische Schwierigkeit, die meist als das zentrale Argument gegen ein Unternehmensstrafrecht angeführt wird,116 ist die Frage der Schuldfähigkeit von Unternehmen. Der im deutschen Strafrecht geltende Schuldgrundsatz besagt, dass eine Strafe nicht ohne Schuld verhängt werden darf.117 Die Gegner einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen argumentieren nun, dass dieses über das Rechtsstaatsprinzip und die Menschenwürdegarantie mit Verfassungsrang ausgestattete Prinzip auch bei der Bestrafung von Unternehmen gelte.118 Diese müssten ebenso wie natürliche Personen schuldfähig sein, um mit der Sanktion „Strafe“ belegt werden zu können.119 Der Begriff der Schuld sei dabei mit Vorwerfbarkeit gleichzusetzen, deren innerer Grund darin liege, dass der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt sei, 113
Heine, Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 307. Heine, in: Verantwortung und Steuerung von Unternehmen, S. 103; Schönke/SchröderHeine/Weißer, Vorbemerkungen zu den §§ 25 ff. StGB, Rn. 131. 115 Heine, Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 287 ff. und 311 ff. 116 So etwa: Engisch, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E24 f.; Hartung, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E43; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. 85 f.; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 53; Schwinge, Unternehmen, S. 103 f.; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 194; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 59 ff.; KirchHeim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 171; Stratenwerth, in: Festschrift für Rudolf Schmitt, S. 302; Zieschang, Sanktionensystem, S. 386; Quante, Sanktionsmöglichkeiten, S. 157. 117 BVerfGE 50, 125, 133; vgl. auch: § 46 Abs. 1 S. 1 StGB. 118 Vgl. zu der verfassungsrechtlichen Verankerung des Schuldprinzips etwa: BVerfGE 20, 323, 331; BVerfGE 25, 269, 285; BVerfGE 50, 125, 133. 119 Vgl. Schwinge, Unternehmen, S. 103 f.; Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 171 und 186 f. 114
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sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden.120 Da es Unternehmen an einem personalen Substrat und daher an der Fähigkeit zur freien, sittlichen Selbstbestimmung fehle, sei der Schuldbegriff nicht auf sie übertragbar und mithin ihre Bestrafung abzulehnen.121 b) Schuldunabhängige Modelle für ein Unternehmensstrafrecht Ausgehend von der Prämisse fehlender Schuldfähigkeit wurden in der Literatur verschiedene Versuche unternommen, ein von der Schuld losgelöstes Modell für ein Unternehmensstrafrecht zu entwickeln. Die in diesem Zusammenhang unterbreiteten Vorschläge sehen vor, das Schuldprinzip durch ein alternatives Legitimationsprinzip zu ersetzen, anstelle einer Unternehmensstrafe eine schuldgelöste, repressive Sanktion eigener Art einzuführen oder die Frage der Sanktionierung von Unternehmen über ein subsidiäres Haftungsmodell beziehungsweise ein Maßregelmodell zu lösen. Ein zum Schuldprinzip alternatives Legitimationsprinzip wurde in Form des Rechtsgüternotstandes von Schünemann in die Diskussion eingebracht, der das von ihm entwickelte Konzept allerdings in erster Linie als Vorschlag für eine neue Regelung der Unternehmensgeldbuße in § 30 OWiG versteht.122 Er geht davon aus, dass eine schuldunabhängige Sanktion des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts durch einen Rechtsgüternotstand legitimierbar sei, der in Bezug auf Unternehmen aus einer notstandsähnlichen Schwächung der Präventionseffizienz im Bereich der Unternehmenskriminalität resultieren könne.123 Dem Rechtsgedanken des § 34 StGB entsprechend sei die schuldunabhängige Inanspruchnahme des Unternehmens gerechtfertigt, wenn der erforderliche Rechtsgüterschutz auf andere Weise nicht sichergestellt werden könne, die Erhaltung der gefährdeten Rechtsgüter schwerer wiege als die dem Unternehmen zugefügte Einbuße und die Verfolgung des höherrangigen Interesses auf Kosten des geringwertigen Interesses nicht gegen rechtsethische Prinzipien verstoße.124 120
Die Kritiker eines Unternehmensstrafrechts nehmen damit auf eine Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen Bezug, in der dieser die genannte Definition für den im Einzelnen stark umstrittenen Schuldbegriff entwickelt hatte; vgl. BGHSt 2, 194, 200 f. 121 Heinitz, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. 85. 122 So unterbreitet Schünemann einen Vorschlag für eine Vorschrift, die an die Stelle des § 30 OWiG treten soll und nur „vielleicht“ in das Strafgesetzbuch einzustellen sei; vgl. Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 254. 123 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 236. Während die für den Notstand erforderliche Notsituation von Schünemann ursprünglich nur in einer speziellen Beweisnot gesehen wurde (vgl. Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 237), geht er mittlerweile davon aus, dass auch das Vorliegen einer kriminellen Verbandsattitüde einen Präventionsnotstand auslösen kann (vgl. Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 287). 124 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 236 f.; ihm folgend: Schwinge, Unternehmen, S. 128 f.
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Einen anderen Ansatz wählt Kirch-Heim, der die Auffassung Schünemanns mit der Begründung ablehnt, dass der Schuldgrundsatz absolut gelte und daher nicht durch andere Legitimationsgrundlagen ersetzt werden könne.125 Schuldunfähige Unternehmen könnten daher nur mit einer repressiven Sanktion eigener Art belegt werden, bei der an die Stelle des Schuldgrundsatzes der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit trete. Im Übrigen sei die Sanktion gerechtfertigt, wenn das Unternehmen in zurechenbarer Weise einen Unrechtstatbestand verwirkliche und somit ein generalpräventives Sanktionsbedürfnis herbeigeführt habe.126 Alwart spricht sich hingegen für die Verhängung von echten Strafen gegenüber Unternehmen aus und stützt seine Ansicht auf das Modell einer subsidiären Unternehmenshaftung.127 Danach solle es nicht mehr zu einer kumulativen Haftung von Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter kommen, sondern zu einer alternativen Haftung, bei der das Unternehmen nur hilfsweise zur Verantwortung gezogen werde, wenn keine Straftat im individualstrafrechtlichen Sinne vorliege.128 Da es folglich an einer Anknüpfungsmöglichkeit bezüglich der individuellen Tat fehle, solle eine gemeine Gefahr den Grund für die subsidiäre Haftung des Unternehmens bilden. Diese löse dann eine Bestrafung aus, wenn ihre Entstehung dem Unternehmen den Umständen nach zuzurechnen sei und eine die Gefahr herbeiführende Individualtat aus Gründen, für die das Unternehmen einzustehen habe, nicht festgestellt werden könne.129 Als Ausnahme vom Schuldprinzip sei das Unternehmen somit für das Entstehen einer Gemeingefahr verantwortlich, wenn die Einbeziehung des Unternehmens in das Geschehen nicht von einer primären Straftat überlagert werde.130 Schließlich wird vorgeschlagen, die Lösung für ein Unternehmenssanktionsrecht in einer Analogie zu dem bestehenden System der sichernden Maßregeln zu suchen.131 Diese würden keine Schuld voraussetzen und – zumindest theoretisch – keinen sittlichen Tadel enthalten. Die Rechtfertigung für die Sanktion bilde der Aspekt des überwiegenden öffentlichen Interesses.132 Sollten die Maßregeln allerdings auf Unternehmen angewandt werden, dürfe allein der Sicherungszweck maßgeblich sein und nicht etwa auch der Zweck einer Übelzufügung.133
125
Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 169 ff. Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 193 ff. und 196. 127 Alwart, in: ZStW 105 (1993), 752, 758 und 768 ff. 128 Alwart, in: Verantwortung und Steuerung von Unternehmen, S. 82 f.; ders., in: ZStW 105 (1993), 752, 769. 129 Alwart, in: ZStW 105 (1993), 752, 769 f. und 771. 130 Alwart, in: ZStW 105 (1993), 752, 771. 131 So etwa: Stratenwerth, in: Festschrift für Rudolf Schmitt, S. 303 ff.; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 214 f.; Hartung, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E51 f.; Bruns, in: JZ 1954, 250, 254. 132 Stratenwerth, in: Festschrift für Rudolf Schmitt, S. 303 f. 133 Hartung, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E51. 126
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
c) Konstruktion von rechtlicher Schuldfähigkeit Neben den dargestellten Ansätzen, die den Kritikern im Hinblick auf die fehlende Schuldfähigkeit zustimmen und daher verschiedene, von der Schuld losgelöste Modelle für ein künftiges Unternehmensstrafrecht entwickeln, versucht eine Gegenauffassung, ein schuldabhängiges Modell für ein Unternehmensstrafrecht zu konstruieren, indem eine rechtliche Schuld von Unternehmen begründet wird.134 Dabei wird die Lösung für die Frage der Schuldfähigkeit von Unternehmen – ebenso wie bei der Handlungsfähigkeit – teilweise in einem Zurechnungsmodell und teilweise in einer originären Unternehmensschuld gesehen, wobei beide Ansätze mit bestimmten Modifikationen des individualstrafrechtlichen Schuldbegriffs verbunden sind. Ein anderer Lösungsweg versucht hingegen eine Neubewertung des klassischen Schuldbegriffs in Bezug auf Unternehmen vorzunehmen.135 aa) Anlehnung an die Schulddogmatik des Individualstrafrechts Die Befürworter eines Zurechnungsmodells gehen davon aus, dass dem Unternehmen neben der Handlung auch die Schuld des handelnden Unternehmensmitarbeiters zuzurechnen sei.136 Begründet wird dies zum einen mit einem Verweis auf die Vorschriften des § 74e StGB, § 30 OWiG und § 31 BGB, denen entnommen werden könne, dass bereits das geltende Recht das Konstrukt einer Schuldzurechnung kenne.137 Zum anderen habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der „Bertelsmann-Lesering-Entscheidung“138 ausgeführt, dass nur die Schuld der für die juristische Person verantwortlich handelnden Personen maßgebend sein könne, wenn die juristische Person für schuldhaftes Handeln im strafrechtlichen Sinne in Anspruch genommen werde. Daraus ergebe sich, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf eine strafrechtliche Schuldzurechnung bestünden.139 Kritiker wenden hiergegen ein, dass die in der Entscheidung thematisierte strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen verfassungsrechtlich zu verstehen 134
Eine ausführlichere Darstellung, als sie hier möglich ist, erfolgt beispielsweise bei Kindler (Kindler, Unternehmen als haftender Täter, S. 223 – 257). 135 Auch bei der Frage der Schuldfähigkeit ist somit zu beachten, dass die schuldabhängigen Konstruktionen keine natürliche Schuldfähigkeit von Unternehmen im Sinne des klassischen Schuldbegriffs zu begründen vermögen, sondern mit Modifikationen beziehungsweise Neubewertungen des individualstrafrechtlichen Schuldbegriffs verbunden sind. 136 So etwa: Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 186 f.; Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 48; Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des DJT, S. 208; Schroth, Unternehmen, S. 209 f.; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 231 f.; Kindler, Unternehmen als haftender Täter, S. 274 ff.; Haeusermann, Verband, S. 151 ff. 137 So zum Beispiel: Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 197; Schroth, Unternehmen, S. 204 ff. 138 BVerfGE 20, 323. 139 So zum Beispiel: Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 48; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 232; Vogel, in: StV 2012, 427, 428 f.
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sei und folglich neben Strafen im Sinne des StGB auch Sanktionen nach dem Ordnungswidrigkeiten- oder Verwaltungsrecht erfasse, so dass dem Urteil keine Aussage über die Zulässigkeit einer Unternehmensstrafe entnommen werden könne.140 Zudem habe das BVerfG in einer neueren Entscheidung festgestellt, dass gegenüber einer juristischen Person lediglich die Festsetzung einer Geldbuße möglich sei, die weder einen Schuldvorwurf noch eine ethische Missbilligung enthalte.141 Sofern trotz der Einwände ein Zurechnungsmodell für ein künftiges Unternehmensstrafrecht bejaht wird, sehen die Befürworter dieses Ansatzes den Grund für die Zurechnung zum Teil in dem Identifikationsgedanken.142 Darüber hinaus werden, ebenso wie bei der Handlungszurechnung, der Gesichtspunkt des Organisationsmangels und -verschuldens143 sowie die Pflichtenadressatenschaft von Unternehmen144 als tragfähiger Zurechnungsgrund bemüht. Anders als bei der Frage nach der Handlungsfähigkeit von Unternehmen lässt sich bei der Schuld eine klare Trennung zwischen den verschiedenen Begründungsversuchen jedoch nicht vornehmen. So wird auf den Gedanken der Pflichtenadressatenschaft nur noch ergänzend abgestellt,145 während der von Tiedemann in die Diskussion eingebrachte Aspekt des Organisationsverschuldens zum Anlass für Kombinationsmodelle genommen wird, die eine originäre Unternehmensschuld zu begründen versuchen. Tiedemann selbst geht davon aus, dass für ein künftiges Unternehmensstrafrecht nicht nur die Zurechnung eines Mitarbeiterverschuldens auf der Grundlage eines Organisationsmangels, sondern auch die Zurechnung persönlicher Organisationsschuld ge-
140 So zum Beispiel: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 323; vgl. auch: Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 30 f. 141 BVerfGE 95, 220, 242; vgl. auch: Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 158. 142 So etwa: Haeusermann, Verband, S. 152 f.; Schroth, Unternehmen, S. 203; Kindler, Unternehmen als haftender Täter, S. 274 ff., die den Identifikationsgedanken allerdings mit systemtheoretischem Gedankengut kombiniert. 143 Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 48; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 192 ff., der mangelnde Stringenz dahingehend vorgeworfen wird, dass sie den Grund für die Zurechnung bei der Handlungsfähigkeit von Unternehmen in dem Identifikationsgedanken sieht, bei der Schuld aber auf das Prinzip des Organisationsmangels abstellt; vgl. zur Kritik: Kindler, Unternehmen als haftender Täter, Fn. 862 auf S. 226; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, Fn. 229 auf S. 353. 144 Schroth, Unternehmen, S. 201; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 187 f.; Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 49. 145 Vgl. hierzu die Nachweise bei Fn. 144. Selbst Schroth, der die Handlungsfähigkeit von Unternehmen allein auf ihre Pflichtenadressatenschaft stützt, geht im Rahmen der Schuldfähigkeit maßgeblich davon aus, dass sich „eine Unternehmensschuld […] nur im schuldhaften Verhalten der für die Unternehmen verantwortlich handelnden natürlichen Personen äußern kann“ und vertritt mithin einen Identifikationsansatz; vgl. Schroth, Unternehmen, S. 179 und 203. Anders: Osterloh, Einführung und Umsetzung einer Verbandsstrafbarkeit, S. 80 ff., die aus der Pflichtenadressatenschaft des Unternehmens eine originäre Unternehmensschuld aufgrund von Zurechnung ableitet.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
genüber dem Unternehmen in Betracht komme.146 Darüber hinaus sei die Annahme einer eigenen, aus dem Organisationsmangel folgenden und nicht auf Zurechnung gegründeten Unternehmensschuld ebenfalls möglich.147 Die Möglichkeit einer nicht abgeleiteten, originären Unternehmensschuld wird nicht nur von Tiedemann, sondern auch von anderen Autoren gesehen.148 Gestützt wird dieser Ansatz teilweise auf die Theorie der realen Verbandstäterschaft: Da das Unternehmen fähig sei, durch Beschlussfassung einen eigenen Willen zu begründen, sei es auch in der Lage, einen rechtlich fehlerhaften Willen zu bilden. Würde dieser dann durch die Unternehmensmitarbeiter umgesetzt werden, führe dies zu einer eigenen Schuld des Unternehmens.149 Hirsch, der eine originäre Handlungsfähigkeit von Unternehmen mit deren Struktureigenheiten begründet und sich dabei eng an den Identifikationsgedanken anlehnt, kombiniert diesen Gedanken hingegen mit dem des Organisationsverschuldens und verlangt für die Begründung einer direkten Unternehmensschuld neben der Schuld des Täters der Anknüpfungstat die Vermeidbarkeit der Tat durch das Unternehmen.150 bb) Loslösung von der Schulddogmatik des Individualstrafrechts Andere Autoren versuchen hingegen, unabhängig von dem individualstrafrechtlichen Schuldbegriff eine originäre Unternehmensschuld zu begründen. So will Müller in einem künftigen Unternehmensstrafrecht die Schuld nicht als sittlichmoralische, sondern als soziale Schuld begreifen und infolgedessen von sozialer Verantwortlichkeit sprechen, deren materieller Gehalt in dem Zurückbleiben hinter den Anforderungen der Gesellschaft liege.151 Diese erwarte, dass ein Unternehmen das Entstehen einer kriminellen Verbandsattitüde durch entsprechende Kontrollen verhindere. Käme es dennoch zu einer Tatbegehung durch einen Unternehmensmitarbeiter, sei dies Ausdruck des Versagens der internen Kontrollen und Grund für die Bestrafung des Unternehmens.152 Auch die Autoren, welche an systemtheoretische Erwägungen anknüpfen, gehen davon aus, dass künftige Strafen gegenüber Unternehmen keinen individualethischen Vorwurf, sondern ausschließlich einen sozialethischen Tadel beinhalten, mit der Folge, dass gegenüber dem Unternehmen mit der Bestrafung der Vorwurf mangelnder Richtigkeit im Sinne einer ungenü146 Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 48 f., der dieses Konzept bereits für § 30 OWiG entwickelt hat; siehe hierzu: Kapitel 1, C. III. 3. b) bb). Darauf aufbauend: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 672 ff. 147 Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 49. 148 So etwa: Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 117 ff.; Hirsch, Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 12 ff.; Hafter, Delikts- und Straffähigkeit, S. 97. 149 Hafter, Delikts- und Straffähigkeit, S. 94 ff. 150 Hirsch, Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 26; ders., in: ZStW 107 (1995), 285, 313. 151 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 22 f. 152 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 23.
B. Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts
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genden Unternehmensphilosophie oder einer fehlerhaften Unternehmensorganisation gemacht werde.153 Heine sieht schließlich die Lösung für die Frage der Schuldfähigkeit, wie auch bei der Handlungsfähigkeit von Unternehmen, in der funktions-analogen Übertragung der individualstrafrechtlichen Zurechnungskategorien auf Unternehmen.154 An die Stelle der natürlichen Schuld trete dabei eine Betriebsführungsschuld im Sinne einer spezifischen Verantwortlichkeit des Unternehmens für gravierende soziale Störungen.155 3. Straffähigkeit von Unternehmen Die Ausführungen zu der Handlungs- und Schuldfähigkeit von Unternehmen haben gezeigt, dass sich im Rahmen der dogmatischen Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts zwei konträre Positionen gegenüberstehen. Auf der einen Seite steht die Ansicht, welche Unternehmen als abstrakte Organisationsformen einordnet und ihnen infolgedessen die Fähigkeit zu schuldhaftem Handeln abspricht. Auf der anderen Seite steht die Auffassung, die Unternehmen als durch ihre Mitglieder repräsentierte soziale Strukturen betrachtet, deren Handlungsund Schuldfähigkeit konstruiert werden kann. Die Antwort auf die Frage nach der Straffähigkeit von Unternehmen ist durch diese beiden Positionen vorgegeben: Verneint man die Handlungs- und Schuldfähigkeit von Unternehmen, kann man auch im Hinblick auf ihre Straffähigkeit nicht zu einem positiven Ergebnis kommen. Wird Unternehmen hingegen die Fähigkeit zu schuldhaftem Handeln zugeschrieben, ist auch ihre Straffähigkeit begründbar. Die Gegner eines Unternehmensstrafrechts lehnen die Straffähigkeit von Unternehmen unter zwei Gesichtspunkten ab: Zum einen sei eine Unternehmensstrafe mit dem Wesen der Kriminalstrafe nicht vereinbar;156 zum anderen könnten die mit der Kriminalstrafe verfolgten Zwecke nicht gegenüber Unternehmen erreicht werden.157 153
Dannecker, in: GA 2001, 101, 113; Kindler, Unternehmen als haftender Täter, S. 243 ff. und 277; Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 82, die – anders als bei der Handlungsfähigkeit von Unternehmen – im Bereich der Schuld nicht zusätzlich auf ein Zurechnungsmodell abstellt. 154 Heine, in: Verantwortung und Steuerung von Unternehmen, S. 103; Schönke/SchröderHeine/Weißer, Vorbemerkungen zu den §§ 25 ff. StGB, Rn. 131. 155 Heine, Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 313; ders., in: Verantwortung und Steuerung von Unternehmen, S. 104. 156 So etwa: Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 196; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 63; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. 86; Engisch, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E15; Hartung, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E43; Peglau, in: ZRP 2001, 406, 408; ders., in: JA 2001, 606, 609. 157 So etwa: Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 63; Peglau, in: ZRP 2001, 406, 408; Hartung, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E43; Jescheck, in: ZStW 65 (1953), 210, 213.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Im Hinblick auf den erstgenannten Einwand lassen sich zwei Argumentationslinien unterscheiden. Es wird vertreten, dass das Wesen der Strafe in der bewussten Zufügung eines Übels liege, welches von dem Bestraften auch als ein solches empfunden werden müsse. Da diese Empfindung nur bei natürlichen Personen möglich sei, fehle es dem Unternehmen an dem Merkmal der Strafempfänglichkeit, welches die innere Voraussetzung und Rechtfertigung der Strafe bilde.158 Andere Autoren stützen ihre Argumentation hingegen vielmehr darauf, dass Unternehmen durch den für die Strafe essentiellen ethischen Vorwurf nicht erreicht werden könnten.159 Ein Vorwurf richte sich begrifflich nur an jemanden, der auf eine bestimmte Weise gehandelt habe, obwohl er anders hätte handeln können. Die Fähigkeit und Freiheit zur Entscheidung besitze allerdings nur der Mensch und nicht ein Gebilde, dem bereits der Wille fehle. Das Unternehmen könne daher niemals Objekt eines Vorwurfs werden.160 Neben dem Argument der Unvereinbarkeit einer Unternehmensstrafe mit dem Wesen der Kriminalstrafe wird auf die Strafzwecke abgestellt, die gegenüber Unternehmen nicht erreicht werden könnten. Insbesondere sei die Bestrafung von Unternehmen mit der Vergeltungstheorie nicht vereinbar, nach welcher es Zweck der Strafe sei, dem Täter ein Übel zuzufügen, um dadurch dessen Schuld zu vergelten und zu sühnen.161 Da Unternehmen schuldunfähig seien, greife der Gedanke des Unrechts- und Schuldausgleichs nicht.162 Zudem sei ein Unternehmen nicht zur sittlichen Einsicht fähig und könne daher keine Sühneleistung erbringen.163 Die Befürworter eines Unternehmensstrafrechts entkräften den Einwand der fehlenden Strafempfänglichkeit von Unternehmen mit einem Verweis auf die Rechte und Freiheiten, die dem Unternehmen selbst zukämen und die mittels Strafe vermindert oder entzogen werden könnten.164 Zudem würden solche Einbußen nicht nur die wirtschaftliche Situation des Unternehmens beeinträchtigen. Sie hätten auch Auswirkungen auf die einzelnen Mitarbeiter, die etwa mit Einkommensminderungen oder Entlassungen zu rechnen hätten, und die Gewinnerwar-
158 Peglau, in: ZRP 2001, 406, 408; ders., in: JA 2001, 606, 609; Engisch, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E15; Hartung, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E43. 159 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 196; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 63; vgl. auch: Heinitz, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. 86. 160 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 196. 161 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 3, Rn. 2. 162 Jescheck, in: ZStW 65 (1953), 210, 213; vgl. auch: Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 63. 163 Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 63; Peglau, in: ZRP 2001, 406, 408; Korte, Juristische Person, S. 44; Hartung, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E43; Jescheck, in: ZStW 65 (1953), 210, 213. 164 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 199 f.; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 676.
B. Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts
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tungen von Anteilseignern. Eine Bestrafung treffe daher das Unternehmen als soziale Gemeinschaft.165 Gegen eine Unternehmensstrafe spreche auch nicht, dass ein Unternehmen nicht Adressat des in der Strafe enthaltenen ethischen Vorwurfs sein könne. Denn diese Ansicht gehe von einer fehlenden Handlungs- und Schuldfähigkeit von Unternehmen aus. Bejahe man diese aber, könne auch gegenüber einem Unternehmen der Vorwurf erhoben werden, auf eine bestimmte Weise gehandelt zu haben. Im Falle einer schuldhaften Pflichtverletzung sei dann eine Reaktion in Form einer vorher angedrohten Sanktion möglich.166 Im Hinblick auf den ethischen Kern des Vorwurfs müsse beachtet werden, dass die an Unternehmen gerichteten Rechtsnormen keineswegs ethisch indifferent seien. Da Unternehmen im Hinblick auf die Verletzung solcher Normen ein Schuldvorwurf gemacht werden könne, seien sie auch im ethischen Sinne ausreichend Person, um Adressat einer Bestrafung zu sein.167 Aus diesem Grund stelle auch der Vergeltungsgedanke gegenüber Unternehmen kein Problem dar: Wenn das Unternehmen selbst als Normadressat angesehen werde, der die Normen in verantwortlicher Weise verletze und daher sozialen Tadel verdiene, gehe auch der Gedanke des Unrechts- und Schuldausgleichs nicht fehl.168 Bezüglich der teils geforderten Sühneleistung sei wiederum zu beachten, dass Sühne ein rein innerlicher Vorgang sei, der nicht erzwungen werden könne und daher auch nicht Zweck der Strafe sein könne, sondern nur erwünschte Folge.169 Darüber hinaus seien sowohl general- als auch spezialpräventive Strafzwecke gegenüber Unternehmen erreichbar. So zeige die Bestrafung des Unternehmens, dass der eigentlich Verantwortliche sanktioniert werde, wodurch das Rechtsbewusstsein der Allgemeinheit gestärkt werde.170 Zudem könne dies weitere Unternehmen von der Begehung solcher Taten abhalten und insoweit eine abschreckende Wirkung im Sinne negativer Generalprävention entfalten.171 Zugleich werden das konkret straffällig gewordene Unternehmen sowie die handelnden Unternehmensmitarbeiter durch die
165 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 201 f.; vgl. auch: Hirsch, Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 18; Dannecker, in: GA 2001, 101, 115. 166 Hirsch, Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 18; vgl. allgemein zu dem Argument: Kindler, Unternehmen als haftender Täter, S. 287. 167 Hirsch, Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 18; vgl. auch: Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 202. 168 Tiedemann, in: Freiburger Begegnung, S. 52; Dannecker, in: GA 2001, 101, 115; ders., in: Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 52. 169 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 207; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 200. 170 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 196 f. 171 Hirsch, Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 17; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 197; Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 242 f.; Haeusermann, Verband, S. 155 f.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Bestrafung abgeschreckt.172 Weiter sei mit einer Besserung des Unternehmens dergestalt zu rechnen, dass beispielsweise durch Umstrukturierung versucht werde, künftige Deliktsbegehungen zu verhindern.173 Der Schutz der Allgemeinheit sei schließlich durch besondere Sanktionen, etwa einer Betriebsstillegung, erreichbar.174 4. Gerechtigkeit der Bestrafung von Unternehmen Ein letzter Einwand, welcher gegen die Einführung eines Unternehmensstrafrechts erhoben wird, ist schließlich der Vorwurf mangelnder Gerechtigkeit. Zum einen bestünde die Gefahr einer Doppelbestrafung im Hinblick auf den Individualtäter, wenn dieser unmittelbar selbst sowie mittelbar noch einmal durch die dem Unternehmen auferlegte Sanktion bestraft werde.175 Zum anderen treffe die Unternehmensstrafe auch die an der Tat unbeteiligten Anteilseigner und Mitarbeiter, so dass es letztlich zu einer Bestrafung Unschuldiger käme.176 Den Bedenken bezüglich einer unzulässigen Doppelbestrafung wird entgegen gehalten, dass eine bloß faktische Betroffenheit des Individualtäters keinen eigenständigen Strafcharakter habe und daher nicht ausreiche, um eine Verletzung von Art. 103 Abs. 3 GG zu begründen.177 Zudem fehle es für einen solchen Verstoß an der notwendigen Identität der Sanktionsadressaten.178 Etwas anderes sei nur denkbar, wenn Individualtäter und juristische Person bei natürlicher Betrachtungsweise identisch seien. Ein Verstoß könne dann allerdings vermieden werden, wenn Einzelunternehmer von dem Anwendungsbereich einer Unternehmensstrafbarkeit ausgenommen wären.179 Gegen das Problem der Bestrafung Unschuldiger wird eingewandt, dass sich die Strafe nicht gegen die Anteilseigner und Mitarbeiter des Unternehmens richte,
172 Dannecker, in: GA 2001, 101, 114; ders., Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 52; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 205. 173 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 205. 174 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 199; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 205. 175 Heinitz, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. 90; Engisch, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E37 f.; Hartung, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E44. 176 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 197; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. 88 ff.; von Freier, in: GA 2009, 98, 115 f.; von Rosen, in: Unternehmensstrafrecht, S. 266; Hartung, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E43 f.; Engisch, in: Verhandlungen des 40. DJT, S. E35 und E38. 177 Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 236; vgl. auch: Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des DJT, S. 207. 178 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 214 f.; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 679; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 28. 179 Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 236.
B. Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts
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sondern auf das Unternehmen selbst abziele.180 Zwar könne es zu einer indirekten Betroffenheit kommen, doch sei dies sowohl im Hinblick auf die Anteilseigner als auch die Mitarbeiter vertretbar: So stünden den Anteilseignern Mitwirkungsrechte in Form von Kontroll- und Verwaltungsrechten zu. Je größer ihre daraus folgenden Beeinflussungsmöglichkeiten seien, desto weiter gehe auch ihre Mitverantwortung für kriminogene Unternehmensstrukturen und umso weniger erscheine ihre Betroffenheit als ungerecht.181 Bezüglich der Mitarbeiter sei zu bedenken, dass auch das Individualstrafrecht die mittelbare Betroffenheit von Unschuldigen kenne, etwa wenn eine Familie infolge einer Gefängnisstrafe den alleinverdienenden Vater verliere. Es handele sich folglich nicht um ein Charakteristikum der Unternehmensstrafe, sondern sei allgemeine Folge einer Sanktion.182 Insgesamt müsse berücksichtigt werden, dass ein aus der Unternehmensbestrafung resultierender Nachteil die Folge der Teilhabe an dem Unternehmen beziehungsweise der Eingliederung in das Unternehmen sei und durch die Vorteile ausgeglichen werde, die mit der Unternehmenszugehörigkeit für den Einzelnen verbunden seien.183 Es wäre außerdem möglich, die nachteiligen Folgen für die nicht an der Tat beteiligten Anteilseigner und Mitarbeiter bei der Bestrafung des Unternehmens in die Strafzumessung miteinzubeziehen.184
III. Stellungnahme Die vorstehende Auseinandersetzung mit den Argumenten, die für und wider die Einführung eines Unternehmensstrafrechts vorgebracht werden, hat gezeigt, dass insbesondere entgegen der beiden zentralen Einwände einer fehlenden Handlungsund Schuldfähigkeit von Unternehmen die Begründung einer Unternehmensstrafbarkeit möglich ist. Das Unternehmen kann zwar nicht wie eine natürliche Person schuldhaft handeln, doch gibt es diverse Modelle, die eine rechtliche Handlungs- und Schuldfähigkeit von Unternehmen zu begründen vermögen.185 Eine entsprechende Neubewertung des individualstrafrechtlichen Schuldbegriffs ist verfassungskonform: Das Schuldprinzip stellt eine Ausprägung der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Menschenwürde dar und bezieht sich folglich nur auf solche Personen, denen Menschenwürde zukommt. Unternehmen, die nach Art. 19 Abs. 3 GG zwar Träger 180 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 204; Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 237; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 677. 181 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 209 f. 182 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 204; Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des DJT, S. 204 f.; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 209. 183 Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, S. 237 f.; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 27. 184 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 213. 185 Siehe: Kapitel 1, B. II. 1. b) und 2. c).
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
von Grundrechten sein können, gehören nicht zu diesem Kreis. Ihre Bestrafung verletzt daher auch nicht ein Prinzip, welches von vorneherein keine Anwendung auf sie findet.186 Zu Recht wird allerdings der Einwand erhoben, dass die Bestrafung von verfassungsrechtlich schuldunfähigen Personen eine Aufweichung der dem Individualstrafrecht zugrunde liegenden Schuld- und Unrechtslehre zur Folge hätte.187 Zudem liefe ein Strafrecht, das einerseits die Bestrafung natürlicher Personen auf der Grundlage des verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzips ermögliche und andererseits Personen „bestrafe“, auf die das Schuldprinzip keine Anwendung finden könne, auf einen anderen Begriff der Strafe hinaus: Das Konzept der Strafe selbst würde sich ändern.188 Ob diese Gefahren, die mit der Einführung eines Unternehmensstrafrechts für die Institution der Strafe einhergehen, getragen werden sollten, ist letztlich eine rechtspolitische Frage.189 Die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente können bislang nicht überzeugen. Sofern sich die Befürworter eines Unternehmensstrafrechts auf internationale Entwicklungen berufen, ist dem – neben den bereits genannten Argumenten190 – entgegen zu halten, dass bereits erste gegenläufige Tendenzen festzustellen sind.191 Zudem enthält das deutsche Recht mit § 30 OWiG eine Sanktionsmöglichkeit gegenüber Unternehmen, die den europarechtlichen Vorgaben genügt.192 Durch die Vorschrift können empfindliche Geldbußen gegen das Unternehmen festgesetzt werden: Im Falle des Vorliegens einer vorsätzlichen Straftat des Unternehmensmitarbeiters kommt etwa gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG eine Geldbuße von bis zu zehn Millionen Euro in Betracht. Ferner ermöglicht § 30 Abs. 4 OWiG die Durchführung eines Verfahrens gegen das Unternehmen, wenn der Täternachweis gegenüber einer konkreten Person nicht gelungen ist.193 Selbst wenn sich der Individualtäter daher aufgrund der im Unternehmen vorhandenen Organisationsstrukturen seiner Bestrafung entzieht, ist die 186 So auch: Jahn, in: Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 74; Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, S. 19 f.; Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität, S. 438 f.; Vogel, in: StV 2012, 427, 429; Prittwitz, in: Rationalität und Empathie, S. 114; Weigend/Hoven, in: ZRP 2018, 30, 31. 187 Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, S. 20; Jahn, in: Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 81; Wohlers, in: Unternehmensstrafrecht, Fn. 10 auf S. 233. 188 Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, S. 20. 189 So auch: Jahn, in: Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 81. 190 Siehe: Kapitel 1, B. I. 3. 191 Besonders deutlich zeigen sich diese an dem Beispiel der USA: Infolge des „YatesMemorandums“ steht seit September 2015 wieder verstärkt die strafrechtliche Verfolgung des Individualtäters innerhalb eines Unternehmens im Vordergrund; vgl. hierzu: Pant, in: CCZ 2015, 242, 244 ff. Schneider weist zudem darauf hin, dass sich in den USA mittlerweile mehrheitlich gegen ein Unternehmensstrafrecht ausgesprochen wird; vgl. Schneider, in: Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 39. Ein solcher Trend zeichnet sich in Österreich zwar nicht ab, doch konnte dort seit Einführung des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes im Jahre 2006 nur eine geringe Anzahl an Verfahren verzeichnet werden; vgl. Schröder, in: NZWiSt 2016, 452, 458. 192 Vgl. nur: Rönnau/Wegner, in: ZRP 2014, 158, 162. 193 Vgl. zur sogenannten anonymen Unternehmensgeldbuße: Kapitel 2, A. II. 1. a) bb).
B. Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts
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Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße denkbar.194 Auch unter diesem Gesichtspunkt ist ein Rückgriff auf ein Unternehmensstrafrecht also nicht erforderlich. Darüber hinaus stehen neben § 30 OWiG mit den Einziehungsvorschriften im Strafund Ordnungswidrigkeitenrecht und verschiedenen öffentlich-rechtlichen Präventivmaßnahmen ausreichende Möglichkeiten zur Verfügung, um gegen das Unternehmen vorzugehen.195 Beispielsweise können Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die in einem Unternehmen begangen werden, Auswirkungen auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen dergestalt haben, dass das Unternehmen gemäß §§ 123, 124 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen wird. In extremen Fällen ist eine Auflösung des Unternehmens, etwa gemäß § 396 Aktiengesetz oder § 62 GmbH-Gesetz, denkbar. Eine Notwendigkeit für die Einführung eines Unternehmensstrafrechts ist vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen. Gesetzgeber und Literatur sollten ihren Blick daher auf die bereits implementierte Unternehmensverantwortlichkeit richten und, sofern ein Reformbedarf besteht,196 sich auf diesen konzentrieren.
IV. Fazit Die in der Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts vorgebrachten Argumente scheinen weitgehend ausgetauscht. Während in erster Linie kriminalpolitische Erwägungen zugunsten einer Unternehmensstrafbarkeit bemüht werden, beruhen die Einwände gegen eine solche auf rechtsdogmatischen Überlegungen. Die Auseinandersetzung mit den Argumenten hat zu dem Ergebnis geführt, dass eine Unternehmensstrafbarkeit trotz fehlender natürlicher Handlungs- und Schuldfähigkeit von Unternehmen – verfassungskonform – begründbar wäre. Die Unternehmensstrafe ist jedoch mit dem auf individueller Schuld beruhenden Strafsystem letztlich nicht in Einklang zu bringen und daher abzulehnen. Die kriminalpolitischen Erwägungen sprechen vor diesem Hintergrund nicht überzeugend für die Einführung einer Unternehmensstrafbarkeit. Ob sich die in der Literatur geführte Diskussion auch in Zukunft auf das Unternehmensstrafrecht konzentrieren wird, bleibt abzuwarten. Einen Anstoß hinsichtlich anderer Sanktionsmechanismen gegenüber Unternehmen haben zuletzt die 194 Vgl. zu den Beweisschwierigkeiten in Bezug auf den Individualtäter, die als Argument für ein Unternehmensstrafrecht angeführt werden: Kapitel 1, B. I. 2. 195 Dem Schutz kollektiver Interessen wird dadurch Rechnung getragen; vgl. hierzu: Kapitel 1, B. I. 1. 196 Eine Reformbedürftigkeit des § 30 OWiG wird zum Beispiel im Hinblick auf die Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen bei der Bemessung von Unternehmensgeldbußen gesehen; vgl. hierzu die Gesetzgebungsvorschläge der Fachgruppe Compliance im Bundesverband der Unternehmensjuristen e.V. (Fn. 4) und des Deutschen Instituts für Compliance e.V. (Fn. 4). Weitere Änderungsvorschläge finden sich bei Achenbach; vgl. Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, S. 275 f. Auch Schmitt-Leonardy äußert sich kritisch zu der aktuellen Konzeption des § 30 OWiG; vgl. NK OWiG-Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG, Rn. 12 f.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
zu Beginn des Jahres 2018 vorgelegten Frankfurter Thesen gegeben.197 Zumindest auf politischer Ebene könnte das Scheitern des nordrhein-westfälischen Gesetzesentwurfs dafür sprechen, dass entsprechende Versuche zur Einführung einer Unternehmensstrafbarkeit in den nächsten Jahren nicht erfolgen werden.
C. Sanktionierung des Unternehmens nach § 30 OWiG Die ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens ist mit § 30 OWiG in einer Vorschrift geregelt, die seit ihrer Aufnahme in das OWiG im Jahre 1968 zahlreichen Änderungen unterlag. Da diese für das heutige Verständnis von § 30 OWiG entscheidend sind, wird im Folgenden in einem ersten Schritt die Entwicklung der Norm nachgezeichnet. Darauf aufbauend werden die Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße und das dogmatische Konzept des § 30 OWiG einer kritischen Betrachtung unterzogen.
I. Entstehungsgeschichte von § 30 OWiG 1. Ursprüngliche Version nach dem OWiG 1968 Die ursprüngliche Fassung von § 30 OWiG – damals noch § 26 OWiG 1968 – sah in Absatz 1 vor, dass gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung als Nebenfolge eine Geldbuße festgesetzt werden konnte, wenn jemand als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, als Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins oder als Mitglied eines solchen Vorstandes oder als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind, oder die juristische Person oder Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte. Die Geldbuße gegenüber dem Unternehmen betrug gemäß Absatz 2 im Falle einer vorsätzlichen Straftat bis zu 100.000,00 Deutsche Mark beziehungsweise bei fahrlässiger Straftatbegehung bis zu 50.000,00 Deutsche Mark, während sich die Höhe der Geldbuße im Falle einer Ordnungswidrigkeit nach dem für die Ordnungswidrigkeit angedrohten Höchstmaß der Geldbuße richtete. Die Besonderheit der Vorschrift lag in ihrer Ausgestaltung als Nebenfolge der Straftat oder Ordnungswidrigkeit einer natürlichen Person. Zurückführen lässt sich diese Konstruktion auf das Ziel des Gesetzgebers, dem Sanktionsrecht gegenüber Unternehmen eine abschließende Grundlage zu geben, und in diesem Zusammenhang endgültig die Frage zu entscheiden, ob eine Sanktionierung des Unternehmens 197
Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, in: wistra 2018, 27, 28 ff.
C. Sanktionierung des Unternehmens nach § 30 OWiG
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nach dem Strafrecht oder nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht erfolgen soll.198 Da der Gesetzgeber Unternehmen als handlungs- und schuldunfähige Wesen einordnete, die nur durch ihre Organe zu handeln imstande sind, ging er davon aus, dass eine Unternehmensstrafe mit dem persönlichen Schuldbegriff des Strafrechts kollidiere.199 Es blieb daher die Alternative des Ordnungswidrigkeitenrechts, bei der die „grundlegenden Bedenken, die gegen eine Bestrafung juristischer Personen und Personenvereinigungen bestehen, [nicht galten] oder jedenfalls nicht in dem gleichen Maße“200. Sofern jedoch nicht alle Zweifel ausgeräumt würden, sollten durch den Rückgriff auf die Nebenfolgenlösung etwaige dogmatische Bedenken im Übrigen ganz beseitigt werden.201 Darüber hinaus brachte der Gesetzgeber über die Nebenfolgenkonstruktion zum Ausdruck, dass er Unternehmen als einer natürlichen Tat nicht fähig ansah und folglich eine Täterschaft des Unternehmens ablehnte.202 Entscheidend für die Ausgestaltung der Unternehmensgeldbuße als Nebenfolge der Individualtat waren folglich dogmatische Überlegungen;203 darüber hinaus wurden auch verfassungsrechtliche und prozesswirtschaftliche Gründe angeführt.204 So sollte durch die Nebenfolgenkonstruktion der Eindruck einer Doppelbestrafung vermieden werden, welcher nach Auffassung des Gesetzgebers in den Fällen hätte entstehen können, in denen der Individualtäter an dem Vermögen des Unternehmens beteiligt ist.205 Aus prozesswirtschaftlicher Sicht wurde schließlich geltend gemacht, dass in beiden Verfahren die Individualtat Gegenstand der Verfahren sein werde. Die Verfahren könnten daher zusammengefasst werden, mit der Folge, dass einem unangemessenen Verfahrensaufwand vorgebeugt und die Gefahr divergierender Entscheidungen beseitigt werde.206
198 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 58. 199 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 58. 200 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 58. 201 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 59. 202 Vgl. die Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 61. 203 Vgl. zu der dogmatischen Einordnung der als Nebenfolge konstruierten Unternehmensgeldbuße: Kapitel 1, C. III. 1. 204 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 61. 205 Siehe in Bezug auf das Doppelbestrafungsverbot auch die im Rahmen der Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts ausgetauschten Argumente, die unter Kapitel 1, B. II. 4. aufgeführt sind. 206 Entsprechende prozesswirtschaftliche Erwägungen werden seit der Einführung des getrennten Verfahrens im Jahre 1997 gegen dieses vorgebracht; vgl. hierzu: Kapitel 2, A. II. 1. b).
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
2. Änderungen der Unternehmensgeldbuße 1974 und 1986 Im Zuge der Großen Strafrechtsreform kam es 1974 zu einer Änderung des Ordnungswidrigkeitenrechts durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB 1974)207, durch welches unter anderem die im StGB verbliebenen Übertretungen teilweise in das Ordnungswidrigkeitenrecht überführt wurden. Wegen dieser und weiterer Änderungen in dem ersten Teil des OWiG 1968 wurde § 26 OWiG 1968 rein formal in § 30 OWiG umgewandelt; im Übrigen änderte sich der Verweis in Absatz 3. Neu hinzugefügt wurde ein fünfter Absatz, laut dem die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße es ausschloss, dass gegen das Unternehmen wegen derselben Tat der Verfall angeordnet wurde.208 Eine inhaltliche Änderung des § 30 OWiG erfolgte erst im Jahre 1986 durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG)209. In der Literatur war die Ausgestaltung der Unternehmensgeldbuße als Nebenfolge zuvor auf erhebliche Kritik gestoßen.210 Insbesondere wurden die vom Gesetzgeber vorgenommenen Überlegungen, die Einführung einer Nebenfolgenlösung sei aus dogmatischen, verfassungsrechtlichen und vor allem prozesswirtschaftlichen Gründen geboten, als nicht überzeugend verworfen.211 Die Bundesregierung schlug in ihrem Gesetzesentwurf für ein 2. WiKG in Bezug auf die Unternehmensgeldbuße nunmehr vor, den Anwendungsbereich von § 30 OWiG auszudehnen, die Ausgestaltung der Sanktion als Nebenfolge zu lockern und das Verfahrensrecht zu ändern.212 Die vorgeschlagene Ausdehnung des Anwendungsbereichs lehnte der Rechtsausschuss im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens mit der Begründung ab, dass die bestehende Formulierung bestimmter sei und Strafbarkeitslücken nicht zu erwarten seien, während durch die Ausweitung des Täterkreises auf die für die Leitung des Betriebs verantwortlich handelnden Personen Abgrenzungsprobleme auftreten könnten.213 Die Vorschläge, in § 30 Abs. 1 OWiG die Worte „als Nebenfolge der Straftat oder Ordnungswidrigkeit“ zu streichen und das Verfahrensrecht zu ändern, wurden hingegen von der Ausschussmehrheit angenommen. Begründet hatte die Bundesregierung ihre Vorschläge damit, dass die enge, durch das Nebenfolgenkonstrukt bedingte Verbindung der Verfahren gegen die 207
Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 02. März 1974 (BGBl. I S. 469). Siehe zu den Änderungen bezüglich § 26 OWiG 1968: Artikel 29 Nr. 17 EGStGB 1974. 209 Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986 (BGBl. I S. 721). 210 Tiedemann, in: ZStW 83 (1971), 792, 796; Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 165; Schmitt, in: Festschrift für Richard Lange, S. 883 f.; vgl. auch: Schroth, in: wistra 1986, 158, 162. 211 Vgl. Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 53 ff.; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 46 ff. 212 Vgl. die Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 38 ff. 213 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 10/5058, S. 36. 208
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natürliche Person und gegen das Unternehmen zu Schwierigkeiten in der Praxis geführt hatte. Die Möglichkeit zur Durchführung eines selbstständigen Verfahrens gegen das Unternehmen sollte daher ausgedehnt und auf die Bezeichnung als Nebenfolge verzichtet werden.214 Ausweislich der Entwurfsbegründung war mit der Streichung des Terminus „Nebenfolge“ aber nicht die Aufgabe der Nebenfolgenlösung verbunden; vielmehr sollte wegen prozessökonomischer Gründe und des „inneren Zusammenhanges zwischen der Zuwiderhandlung und der Verbandssanktion“ die Verbindung zwischen Individualtat und Unternehmenssanktion nur gelockert werden.215 Ob durch diese Lockerung etwaige dogmatische Bedenken wieder zum Tragen kommen könnten, die durch die Nebenfolgenlösung „im übrigen“216 gerade beseitigt werden sollten, wird in der Entwurfsbegründung nicht thematisiert. Das 2. WiKG führte 1986 somit zu Änderungen in der Terminologie und im Verfahrensrecht. Darüber hinaus wurde das Höchstmaß der Unternehmensgeldbuße auf eine Million Deutsche Mark bei vorsätzlichen Straftaten angehoben und auf 500.000,00 Deutsche Mark bei fahrlässigen Straftaten. Erforderlich wurde diese Erhöhung, weil die Unternehmensgeldbuße bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit, die sich gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 OWiG an dem für die Ordnungswidrigkeit angedrohten Höchstmaß der Geldbuße ausrichtet, bis zu einer Million Deutsche Mark betragen konnte und damit höher war als die Unternehmensgeldbuße, die an eine Straftat anknüpfte.217 Zuletzt wurde in Absatz 5 noch ein Ausschluss für den Verfall nach § 29a OWiG hinzugefügt.218 3. Ausdehnung des § 30 OWiG in den 1990er Jahren In den 1990er Jahren wurde § 30 OWiG schließlich im Hinblick auf den Täterkreis, die Bußgeldhöhe und das Verfahren geändert. 1994 wurde zunächst der Kreis der Täter, an deren Handlung für die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße angeknüpft werden kann, auf Generalbevollmächtigte und Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte in leitender Stellung ausgedehnt.219 Vorausgegangen war der Gesetzesänderung eine erneute Diskussion darüber, ob 214 Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 41. 215 Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 41. 216 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 59. 217 Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 41 f. 218 Siehe zu den Änderungen bezüglich § 30 OWiG: Artikel 2 Nr. 4 2. WiKG. 219 Siehe zu den Änderungen bezüglich § 30 OWiG: Artikel 2 Nr. 2 Einunddreißigstes Strafrechtsänderungsgesetz – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität – (31. StrÄndG – 2. UKG) vom 27. Juni 1994 (BGBl. I S. 1440).
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allgemeiner an die Taten der für die Leitung des Betriebs verantwortlichen Personen angeknüpft werden sollte.220 Dies wurde, wie auch schon 1986, mit dem Hinweis auf die fehlende Bestimmtheit abgelehnt.221 Die beschriebene Änderung des § 30 OWiG nahm der Gesetzgeber zum Anlass, um kurz auf die Handlungs- und Schuldfähigkeit von Unternehmen einzugehen. Die Ausführungen blieben aber oberflächlich und trugen letztlich nicht dazu bei, § 30 OWiG eine fundierte dogmatische Grundlage zu geben. So wurde unter Bezugnahme auf die „Bertelsmann-Lesering-Entscheidung“222 des BVerfG ausgeführt, dass juristische Personen und Personenvereinigungen als solche nicht handlungsfähig seien. Würden sie für schuldhaftes Verhalten im strafrechtlichen Sinne – wozu auch Sanktionen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz gehörten – in Anspruch genommen werden, könne nur die Schuld der für sie verantwortlich handelnden Personen maßgebend sein.223 Dadurch blieb offen, ob § 30 OWiG die Zurechnung fremder Schuld oder die Zurechnung der vorwerfbar begangenen Organhandlungen als eigene bewirkt und wie dies im letzteren Fall mit der Vorwerfbarkeitsvoraussetzung im Ordnungswidrigkeitenrecht in Einklang zu bringen ist. Interessanter war daher die Begründung zu § 33 OWiG, bei dem die indirekte Bezeichnung der Unternehmensgeldbuße als Nebenfolge durch eine Klarstellung im Wortlaut aufgegeben wurde.224 Der Gesetzgeber erkannte die Unternehmensgeldbuße nun ausdrücklich als selbstständige Sanktion an und nicht mehr nur als bloße Nebenfolge, wie er es 1986 noch beabsichtigt hatte.225 Drei Jahre später wurden durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption226 Anpassungen bei der Bußgeldhöhe und dem Verfahrensrecht des § 30 OWiG vorgenommen.227 Anlass für die Änderungen war die vorgeschlagene Einführung des § 298 StGB, einem Straftatbestand zur Sanktionierung wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen. Da dessen Tathandlungen mit Ordnungswidrigkeiten nach dem GWB zusammenfallen konnten und diese verdrängten, suchte man 220
Angeregt wurde die Diskussion durch einen maßgeblich von der Fraktion der SPD getragenen Entwurf für ein Strafrechtsänderungsgesetz – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, BT-Drs. 11/6449, S. 6, der eine Legislaturperiode später unter der BTDrs. 12/376 erneut eingebracht wurde. 221 So beispielsweise durch den gleichzeitig zu dem BT-Drs. 11/6449-Entwurf erschienenen Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP für ein … Strafrechtsänderungsgesetz – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität –, BT-Drs. 11/6453, S. 31. 222 BVerfGE 20, 323. 223 Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines … Strafrechtsänderungsgesetzes – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität –, BT-Drs. 12/192, S. 32. 224 Siehe zu den Änderungen bezüglich § 33 OWiG: Artikel 2 Nr. 3 31. StrÄndG – 2. UKG. 225 Begründung zu § 33 OWiG des Entwurfs eines … Strafrechtsänderungsgesetzes – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität –, BT-Drs. 12/192, S. 33. 226 Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997 (BGBl. I S. 2038). 227 Siehe zu den Änderungen bezüglich § 30 OWiG: Artikel 7 Nr. 1 Gesetz zur Bekämpfung der Korruption.
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nach einer Möglichkeit, die Bußgeldhöhe der Unternehmensgeldbuße weiterhin an den höheren Beträgen des GWB ausrichten zu können.228 In § 30 Abs. 2 OWiG wurde daher geregelt, dass sich bei einer Tat, die gleichzeitig Straftat und Ordnungswidrigkeit ist, das Höchstmaß der Unternehmensgeldbuße nach dem für die Ordnungswidrigkeit angedrohten Höchstmaß der Geldbuße bestimmt, wenn dieses das Höchstmaß der Unternehmensgeldbuße wegen einer Straftat übersteigt. Darüber hinaus wurde in § 30 Abs. 4 OWiG ein neuer Satz 2 eingefügt, demzufolge durch Gesetz bestimmt werden kann, dass die Geldbuße auch in weiteren Fällen selbstständig festgesetzt werden kann. Im Zusammenspiel mit der neuen Zuständigkeitsregelung in § 81a GWB 1997 führte dies dazu, dass die Kartellbehörden für die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße zuständig blieben, wenn die Anknüpfungstat sowohl eine Straftat als auch Ordnungswidrigkeit ist und folglich die Strafverfolgungsbehörden gegen den Unternehmensmitarbeiter wegen der vorrangigen Straftat ermitteln.229 4. Erweiterung der Sanktionsnorm ab 2001 Während 2001 im Zuge der Einführung des Euro lediglich die Bußgeldbeträge in § 30 OWiG an die neue Währung angepasst wurden,230 erfolgte 2002 eine umfassendere Reform der Unternehmensgeldbuße.231 Notwendig wurde diese aufgrund drei europäischer Rechtsakte,232 welche die Verantwortlichkeit von juristischen Personen unter anderem an die Führungsposition des Individualtäters anknüpften, die dieser aufgrund einer Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person innehat. Personen, denen nur Kontrollbefugnisse zukamen und die weder vertretungs- noch geschäftsführungsbefugt waren, wurden damals nämlich noch nicht von § 30 OWiG
228
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/8079, S. 16. Siehe: Kapitel 2, A. II. 1. b). 230 Siehe zu den Änderungen bezüglich § 30 OWiG: Artikel 24 Nr. 2 Gesetz zur Einführung des Euro in Rechtspflegegesetzen und in Gesetzen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, zur Änderung der Mahnvordruckverordnungen sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 13. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3574). 231 Siehe zu den Änderungen bezüglich § 30 OWiG: Artikel 2 Nr. 4 Gesetz zur Ausführung des Zweiten Protokolls vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, der Gemeinsamen Maßnahme betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998 und des Rahmenbeschlusses vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro (Ausführungsgesetz 2002) vom 22. August 2002 (BGBl. I S. 3387). 232 Rechtsakt des Rates über die Ausarbeitung des Zweiten Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Juni 1997 (ABl. C 221/11), Gemeinsame Maßnahme betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998 (ABl. L 358/2) und Rahmenbeschluss des Rates über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro vom 29. Mai 2000 (ABl. L 140/1). 229
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
erfasst, so dass eine Anpassung vorgenommen werden musste.233 Da sich die „auf Kontrollbefugnissen beruhenden Leitungspersonen“ nicht exakt definieren ließen und der deutsche Gesetzgeber zudem Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen „Personen, deren leitende Stellung aus Vertretungs- und Entscheidungsbefugnissen abgeleitet wird, und solchen, bei denen diese auf Kontrollbefugnissen beruht“, befürchtete,234 erweiterte er den Täterkreis bei § 30 OWiG über die europarechtlichen Vorgaben hinausgehend auf alle „sonstige[n] Person[en], die für die Leitung des Betriebs oder Unternehmens […] verantwortlich handel[n], wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört“235. Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit, die 1986 und 1994 noch zur Ablehnung einer solchen Regelung geführt hatten, wurden im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nicht geäußert. Die europarechtlich vorgegebene Erweiterung in § 30 Abs. 1 OWiG nahm der Gesetzgeber auch zum Anlass, den Kreis der einbezogenen Unternehmen auf alle rechtsfähigen Personengesellschaften auszudehnen, zu denen neben Personenhandelsgesellschaften insbesondere auch Partnergesellschaften und Gesellschaften bürgerlichen Rechts zählen. Zudem sah der Gesetzgeber im Bereich der Bußgeldhöhen Reformbedarf: Da neu geschaffene Ordnungswidrigkeitentatbestände zunehmend eine Bußgeldverhängung in Höhe von bis zu einer Million Euro zuließen, konnten Unternehmensgeldbußen bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit höher ausfallen als bei Anknüpfung an eine Straftat.236 Um dies auszugleichen, wurden die Bußgeldgrenzen für Unternehmen auf eine Million Euro bei vorsätzlichen Straftaten und 500.000,00 Euro bei fahrlässigen Straftaten angehoben. Schließlich änderte der Gesetzgeber die Überschrift des achten Abschnittes dahingehend, dass die Unternehmensgeldbuße neben den Nebenfolgen aufgezählt wurde.237 Diese begriffliche Anpassung war 1986 und 1994 übersehen worden und sollte nun nachgeholt werden zwecks Klarstellung, dass die Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG eine eigenständige Sanktionsnorm ist.238
233 Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes 2002, BT-Drs. 14/ 8998, S. 10. 234 Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes 2002, BT-Drs. 14/ 8998, S. 11. 235 Artikel 2 Nr. 4 a) cc) des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes 2002, BT-Drs. 14/8998, S. 6. 236 Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes 2002, BT-Drs. 14/ 8998, S. 11. 237 Siehe zu den Änderungen bezüglich der Überschrift: Artikel 2 Nr. 6 Ausführungsgesetz 2002. 238 Vgl. die Begründung zu Artikel 2 Nr. 6 des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes 2002, BT-Drs. 14/8998, S. 12.
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Eine vorläufig letzte inhaltliche Änderung erfuhr § 30 OWiG dann im Jahre 2013 durch das Achte Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-Novelle)239. Erneut wurde das Höchstmaß der Unternehmensgeldbuße angepasst, indem die Bußgeldgrenzen auf zehn Millionen Euro bei vorsätzlichen Straftaten und auf fünf Millionen Euro bei fahrlässigen Straftaten angehoben wurden.240 Im Gleichlauf wurden auch die Bußgelder für Unternehmensgeldbußen bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit erhöht: Da Individualtäter bei Verstoß gegen Ordnungswidrigkeitentatbestände in der Regel mit einem Bußgeld von bis zu einer Million Euro belegt werden können und folglich auch die Unternehmensgeldbuße höchstens eine Million Euro betrug,241 stellte der neue § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG sicher, dass sich das Höchstmaß der Unternehmensgeldbuße verzehnfacht, wenn der jeweilige Ordnungswidrigkeitentatbestand auf § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG n.F. verweist. Eine weitere, durch die 8. GWB-Novelle eingetretene Änderung ging auf eine Entscheidung des BGH zurück, der über die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit einer juristischen Person wegen einer möglichen Beteiligung ihrer Rechtsvorgängerin an wettbewerbswidrigen Absprachen zu entscheiden hatte und in diesem Zusammenhang beschloss, dass die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG gegen den Rechtsnachfolger nur möglich ist, wenn zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung Identität beziehungsweise nahezu Identität besteht.242 Diese enge Voraussetzung ermöglichte es Unternehmen, durch Umwandlung und „gezielte Vermeidung wirtschaftlicher Identität“243 einer Sanktion nach § 30 OWiG zu entgehen. Der Gesetzgeber ergänzte § 30 OWiG daher um Absatz 2a, der die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße gegen den Rechtsnachfolger im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge oder einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge zulässt. Zudem wurde § 30 OWiG noch um eine Regelung zum dinglichen Arrest in Absatz 6 erweitert. Durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung244 erfolgte in 2017 schließlich eine formale Angleichung der Absätze 5 und 6: § 30 Abs. 5 OWiG wurde an die begriffliche Änderung der §§ 73 ff. StGB und § 29a OWiG angepasst, wonach anstelle des Terminus „Verfall“ nun die Bezeichnung 239 Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1738). 240 Siehe zu den Änderungen bezüglich § 30 OWiG: Artikel 4 Nr. 1 8. GWB-Novelle. 241 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie, BTDrs. 17/11053, S. 21. 242 BGHSt 57, 193, 196. 243 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie, BTDrs. 17/11053, S. 21 f. 244 Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872). Das Gesetz hat unter anderem die strafprozessualen Vorschriften über das Einziehungsverfahren (§§ 430 ff. StPO a.F.) neu systematisiert. Eine Übersicht zu den Änderungen ist dieser Arbeit angehängt.
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„Einziehung von Taterträgen“ verwendet wird. In Absatz 6 änderte sich lediglich der Verweis auf die Arrestvorschriften.245 Mit den letzten Erweiterungen durch die 8. GWB-Novelle und den formalen Änderungen in 2017 hat § 30 OWiG seine heutige Fassung erlangt. Dass die Reformbemühungen damit abgeschlossen sind, ist aber zu bezweifeln. In 2014 wurden etwa mit dem „Gesetzgebungsvorschlag für eine Änderung der §§ 30, 130 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG)“246 und dem „Gesetz zur Schaffung von Anreizen für Compliance-Maßnahmen in Betrieben und Unternehmen“247 zwei weitere Gesetzesinitiativen vorgelegt, die eine Anpassung des § 30 OWiG vorschlagen.
II. Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße Der historische Abriss hat gezeigt, dass die in § 30 OWiG geregelte Unternehmensgeldbuße seit ihrer Normierung im OWiG 1968 zahlreichen Änderungen unterlag. Der ständige Anpassungs- und Erweiterungsbedarf resultierte zum einen aus gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, die eine Reaktion auf gesetzgeberischer Ebene erforderten. Er ist zum anderen aber auch darauf zurückzuführen, dass es dem Gesetzgeber 1968 trotz seiner Bemühungen, dem Sanktionsrecht gegen Unternehmen eine umfassende und abschließende Grundlage zu geben, nicht gelungen war, der neu geschaffenen Unternehmensgeldbuße ein durchdachtes und in sich stimmiges Konzept zugrunde zu legen. Dies zeigte sich unter anderem an der Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße: Der Gesetzgeber gestaltete diese 1968 als Nebenfolge zur Individualtat aus und wählte damit einen Terminus, der unterschiedliche Bedeutungen haben kann. So werden Rechtsfolgen einer Straftat, die trotz repressiver Elemente keinen spezifischen Strafcharakter aufweisen und sich ihrer Natur nach weder als Strafe noch als Maßregel der Besserung und Sicherung einordnen lassen, als Nebenfolgen bezeichnet.248 In verfahrensrechtlicher Hinsicht stellen sich Nebenfolgen als Annexe einer Strafe oder Geldbuße dar, die in der Regel nicht selbstständig verhängt werden können, sondern vielmehr ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen einen Täter voraussetzen.249 Die Ausgestaltung als Nebenfolge gab daher wenig Anhaltspunkte für die Frage, welcher genauen rechtlichen Natur die Unternehmensgeldbuße war. 245 Siehe zu den Änderungen bezüglich § 30 OWiG: Artikel 5 Nr. 5 Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. 246 Gesetzgebungsvorschlag der Fachgruppe Compliance im Bundesverband der Unternehmensjuristen e.V. (Fn. 4). 247 Gesetzesentwurf des Deutschen Instituts für Compliance e.V. (Fn. 4). 248 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 46; Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, Vorbemerkungen zu den §§ 38 ff. StGB, Rn. 31. 249 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 46.
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Auszuschließen war eine Einordnung als bloße Gewinnabschöpfungsmaßnahme,250 da eine Unternehmensgeldbuße auch dann festgesetzt werden konnte, wenn keine Bereicherung im Sinne eines Gewinns vorlag; es reichte schon 1968 aus, dass Pflichten des Unternehmens verletzt wurden. Zudem ließ sich §§ 26 Abs. 3, 13 Abs. 4 OWiG 1968 entnehmen, dass die Geldbuße den aus der Tat gezogenen wirtschaftlichen Vorteil übersteigen sollte.251 Die Abschöpfung des Gewinns bildete daher damals, wie auch heute, nur die untere Grenze der Unternehmensgeldbuße, welche noch um den Ahndungsteil zu erhöhen war.252 Gegen die Klassifizierung als Sicherungsgeld sprach hingegen, dass ein solches als rein präventive Maßnahme lediglich an eine rechtswidrige Tat anknüpfte und somit unabhängig von der schuldhaften Begehung verhängt werden konnte.253 Die Unternehmensgeldbuße setzte aber nicht nur eine schuldhaft begangene Anknüpfungstat voraus, sondern war in ihrer Höhe auch noch von der Schwere des Schuldvorwurfs abhängig.254 Die Unternehmensgeldbuße war somit weder reine Präventivmaßnahme noch wirkte sie ausschließlich abschöpfend. Vielmehr enthielt sie zusätzlich repressive Elemente und wurde gegen das Unternehmen als unmittelbaren Sanktionsadressaten festgesetzt.255 Dies sowie der Umstand, dass das Unternehmen über § 26 OWiG 1968 mit der zentralen Sanktion des Ordnungswidrigkeitenrechts – der Geldbuße – belegt wurde, sprechen dafür, dass die Unternehmensgeldbuße schon damals eine eigenständige Hauptsanktion gewesen sein könnte.256 In einem unauflösbaren Widerspruch zu dieser Ausgestaltung steht aber die Entscheidung des Gesetzgebers, die Unternehmensgeldbuße lediglich als Nebenfolge zu konstruieren. Auch die Gesetzesänderungen 1974 und 1986 brachten zunächst keine Klarheit, obwohl sich der Gesetzgeber im Rahmen des 2. WiKG mit der Nebenfolgenlösung auseinandersetzte.257 Erforderlich wurde dies aufgrund des bisherigen Verfahrensrechts, welches vorsah, dass die Unternehmensgeldbuße in dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Verfahren festzusetzen war. Nur in Ausnahmefällen 250
Vgl. Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 48 f.; so auch: Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 87; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 75 f. 251 Die Abschöpfungsfunktion der Unternehmensgeldbuße ist heute in §§ 30 Abs. 3, 17 Abs. 4 OWiG geregelt. 252 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 140; NK OWiG-Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG, Rn. 42; vgl. auch: OLG Karlsruhe, in: NJW 1975, 793, ebd. 253 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 51. 254 Vgl. Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 51 ff.; so auch: Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 87. 255 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 53; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 378; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 75. 256 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 378; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 86 f. 257 Siehe: Kapitel 1, C. I. 2.
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war die Verhängung einer Geldbuße gegenüber dem Unternehmen in einem selbstständigen Verfahren möglich. Da aber die engen Voraussetzungen, unter denen ein selbstständiges Verfahren durchgeführt werden konnte, in der Praxis zu Schwierigkeiten geführt hatten, erweiterte der Gesetzgeber die Möglichkeit zur Durchführung eines selbstständigen Verfahrens und gab deshalb die Bezeichnung der Unternehmensgeldbuße als Nebenfolge auf.258 In der Literatur wurden diese Änderungen unterschiedlich bewertet: Cramer ging davon aus, dass sich trotz Streichung der Worte „als Nebenfolge der Straftat oder Ordnungswidrigkeit“ nichts geändert habe.259 Diese Ansicht kann sich auf die Gesetzesmaterialien stützen, in denen nur von einer Lockerung der Ausgestaltung der Unternehmensgeldbuße als Nebenfolge gesprochen wird, nicht aber von einer Aufgabe.260 Der Gesetzgeber wollte somit an der Nebenfolgenlösung festhalten und beließ es daher systematisch bei der Ausnahmeregelung in Bezug auf das selbstständige Verfahren. Allerdings setzte er sich zu diesem Entschluss in Widerspruch, indem er die Voraussetzungen für die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens so weit lockerte, dass es der Verfolgungsbehörde fast immer möglich sein wird, ihrem Willen entsprechend ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen durchzuführen: Sie muss lediglich das Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter entweder nicht einleiten oder ein bereits eingeleitetes Verfahren wieder einstellen.261 Die überwiegende Ansicht in der Literatur folgerte daher von den verfahrensrechtlichen Änderungen auf eine neue Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße: § 30 OWiG sei zur Hauptfolge aufgewertet worden und somit als eigenständige Sanktionsnorm anzuerkennen. Dementsprechend sei die selbstständige Festsetzung der Unternehmensgeldbuße in weitreichenderem Umfang möglich.262 Problematisch ist bei der letztgenannten Einschätzung allerdings, dass ein geändertes Verfahrensrecht für sich genommen noch nicht genügt, um auf ein gewandeltes Verständnis von der Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße schließen zu können.263 Es müsste vielmehr umgekehrt so sein, dass auf der Basis eines Konzepts, welches einer Norm zugrunde liegt, eine Ausrichtung des Verfahrens und eine Auslegung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen erfolgt. Doch auch hierfür finden sich Anhaltspunkte in den Gesetzesmaterialien: Dort wird ausgeführt, dass die 258
Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 41. 259 KK OWiG-Cramer, 1. Auflage, § 30 OWiG, Rn. 146. 260 Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 41. 261 Vgl. Schroth, in: wistra 1986, 158, 163; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 445; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 163. 262 Deruyck, in: ZStW 103 (1991), 705, 715 f.; Franzheim, in: wistra 1986, 253, 255; Schroth, in: wistra 1986, 158, 162 f.; Göhler, Vor § 29a OWiG, Rn. 14. 263 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 333; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 81.
C. Sanktionierung des Unternehmens nach § 30 OWiG
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Möglichkeit einer Sanktion gegen ein Unternehmen darauf beruhe, dass dieses rechtsfähig sei und gleichwertig mit natürlichen Personen am Rechtsleben teilnehme. Das Unternehmen sei als solches Adressat von Rechtspflichten, die es verletzen könne.264 Im Ergebnis erkannte der Gesetzgeber damit die Normadressatenschaft von Unternehmen – wie bei natürlichen Personen – an.265 Folglich muss das Unternehmen bei einer Verletzung dieser Pflichten gleichwertig zu einer natürlichen Person zur Verantwortung gezogen werden und nicht mehr nur angehängt an die Sanktionierung des Unternehmensmitarbeiters. Vor diesem Hintergrund ist der Annahme zuzustimmen, dass sich das Verständnis von der Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße in § 30 OWiG gewandelt hat. Auch wenn dies von dem Gesetzgeber nicht beabsichtigt war, ist die Unternehmensgeldbuße seitdem de facto nicht mehr bloße Nebenfolge, sondern eine eigenständige Sanktionsnorm. Ausgehend davon können dann auch die verfahrensrechtlichen Änderungen sowie die Streichung der Worte „als Nebenfolge“ als Umsetzung dieses neuen Verständnisses in § 30 OWiG gewertet werden. Schließlich erkannte auch der Gesetzgeber 1994 im Rahmen der Änderung des § 33 OWiG die Unternehmensgeldbuße als selbstständige Sanktion an, ohne jedoch näher zu begründen, warum oder wann er zu dieser Einschätzung gekommen war.266 Durch die in den Jahren 1994 und 2002 erfolgte Beseitigung der letzten Formulierungen, die auf die Nebenfolgenlösung hindeuteten, bestehen nunmehr aber keine Zweifel daran, dass § 30 OWiG eine eigenständige Sanktionsnorm ist. Die Selbstständigkeit des § 30 OWiG reicht jedoch nicht so weit, um die Norm vollständig als eigenständigen Ordnungswidrigkeitentatbestand einstufen zu können.267 Zwar weist § 30 OWiG die einen Tatbestand kennzeichnende Wenn-DannStruktur auf und sieht mit der Festsetzung einer Geldbuße die typische Rechtsfolge eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes vor. Doch müssten auf Unternehmen dann auch die von § 14 OWiG erfassten Beteiligungsformen Anwendung finden können, was jedoch mit der Konstruktion des § 30 OWiG nicht zu vereinbaren ist, die eine Verantwortlichkeit des Unternehmens an die Tat des Unternehmensmitarbeiters anknüpft. So können sich beispielsweise die Mitarbeiter verschiedener Unternehmen zu der Begehung einer Tat verabreden und in Mittäterschaft handeln; dies führt aber nicht dazu, dass die Unternehmen, gegen die jeweils eine Geldbuße nach § 30 OWiG
264 Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 39 f. 265 Tiedemann, in: NJW 1988, 1169, 1171; Bauer, in: WuW 1989, 304, 305; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 81 f.; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 333. 266 Vgl. die Begründung zu § 33 OWiG des Entwurfs eines … Strafrechtsänderungsgesetzes – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität –, BT-Drs. 12/192, S. 33. 267 BGHSt 46, 207, 211; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 2; NK OWiG-Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG, Fn. 2; ausführlich dazu: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 379 f.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
festgesetzt wird, Mittäter sind.268 § 30 OWiG ist daher nicht nur als Sanktionsnorm, sondern selber als „eine Art Beteiligungsregel“269 für Unternehmen anzusehen, was auch die systematische Stellung der Norm im Allgemeinen Teil des OWiG erklären würde. Zudem enthält § 30 OWiG noch verfahrensrechtliche Bestimmungen, die ein Ordnungswidrigkeitentatbestand in der Regel nicht aufweist. Insgesamt ist § 30 OWiG somit im Kern eine eigenständige Sanktionsnorm, die aber zugleich verfahrensrechtliche Elemente enthält und ihrer rechtlichen Natur nach – zumindest in Ansätzen – ebenso als Beteiligungsregelung verstanden werden kann. Eine Einordnung als Ordnungswidrigkeitentatbestand im herkömmlichen Sinne scheidet damit aus.
III. Dogmatische Einordnung von § 30 OWiG Die dogmatische Beurteilung von § 30 OWiG stützt sich auf die Beantwortung zweier Fragen, denen beiden das gleiche Problem zugrunde liegt: Gemäß § 1 OWiG ist eine Ordnungswidrigkeit eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt. Die Verhängung einer Geldbuße setzt folglich das Vorliegen einer vorwerfbaren Handlung voraus, wobei die Vorwerfbarkeit mit der Schuld im Strafrecht gleichgesetzt werden kann.270 Wird nun einem Unternehmen eine Geldbuße als Sanktion auferlegt, findet ebenfalls § 1 OWiG Anwendung, mit der Folge, dass sich auch im Ordnungswidrigkeitenrecht das bereits oben diskutierte Problem der Handlungs- und Schuldfähigkeit von Unternehmen stellt.271 Zum einen ist daher zu ermitteln, warum die Sanktionierung von Unternehmen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht trotz Verschuldenserfordernis möglich ist, während eine Bestrafung überwiegend abgelehnt wird; zum anderen muss untersucht werden, wie die Verantwortlichkeit eines Unternehmens in Anknüpfung an ein individuelles Fehlverhalten begründet werden kann. 1. Die Unternehmensgeldbuße 1968 Ausgangspunkt für die Beantwortung der Fragen bilden die historischen Umstände, die zunächst zu der Einführung diverser Unternehmensgeldbußen in verschiedenen Gesetzen und schließlich zu deren Vereinheitlichung in § 26 OWiG 1968 führten.
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Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 380. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 379; vgl. auch: KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 2. 270 Vgl. hierzu: Kapitel 1, C. III. 1. und 2. sowie insbesondere Fn. 294. 271 Siehe: Kapitel 1, B. II. 1. und 2. 269
C. Sanktionierung des Unternehmens nach § 30 OWiG
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a) Geltung der aliud-Theorie In dem ungefähren Zeitraum zwischen 1949 und 1968 herrschte – gestützt auf Eberhard Schmidt – die Auffassung vor, dass zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ein qualitativer Unterschied bestünde (sogenannte aliud-Theorie).272 Danach unterliege das Kriminalunrecht einem besonderen ethischen Unwerturteil, während das Verwaltungsunrecht aus dem bloßen Ungehorsam gegenüber den zur Durchführung von Verwaltungsaufgaben erlassenen Ordnungsvorschriften bestehe.273 Zwar seien tatbestandsmäßiges Verhalten, Rechtswidrigkeit und Schuld Elemente beider Unrechtsformen, doch sei die kriminelle Schuld eine sozialethische Belastung der Täterpersönlichkeit in ihrem gesamten Verhältnis zur Rechtsordnung, während sich die Schuld bei der Ordnungswidrigkeit in der Fehlerhaftigkeit des auf Verwaltungsungehorsam ausgerichteten Willens erschöpfe.274 Da somit die Fehlerhaftigkeit des Willens die Schuld beziehungsweise Vorwerfbarkeit275 bei der Ordnungswidrigkeit begründete und die Organe das Unternehmen mit dem Willen als solchem jederzeit repräsentieren konnten, war die Verhängung einer Geldbuße gegenüber einem Unternehmen vor dem Hintergrund der aliud-Theorie möglich.276 Dementsprechend führte der Gesetzgeber bei Implementierung des § 26 OWiG 1968 aus, dass eine Geldbuße zwar ein vorwerfbares Verhalten voraussetze, ihre Festsetzung aber nicht an ein Verschulden im Sinne eines sittlichen Vorwurfs anknüpfe, da die Geldbuße kein sittliches Unwerturteil ausdrücke.277 Um auf die oben aufgeworfenen Fragen zurückzukommen, ist damit beantwortet, warum die Sanktionierung von Unternehmen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht 1968 legitimiert werden konnte: Der Gesetzgeber ging von einem qualitativen Unterschied zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit, Strafe und Geldbuße und krimineller Schuld und Schuld bei einer Ordnungswidrigkeit aus und konnte deshalb gegenüber Unternehmen die Festsetzung einer Geldbuße zulassen.
272 Diese Auffassung wurde von Gesetzgeber, Rechtsprechung und herrschender Literatur übereinstimmend vertreten; vgl. exemplarisch: Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 1/2100, S. 14; BGHSt 11, 263, 264 ff.; OLG Karlsruhe, in: NJW 1955, 1200, ebd.; Bergold, in: NJW 1952, 405, ebd.; Lange, in: JZ 1957, 233, 238. 273 OLG Karlsruhe, in: NJW 1955, 1200, ebd.; Lange, in: JZ 1956, 519, 521. 274 Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 51 f.; ders., in: Wirtschaftsstrafgesetz, S. 31 f. 275 Wegen des qualitativen Unterschieds zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten hatte der Gesetzgeber 1968 im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten den Begriff der Schuld vermieden und stattdessen den Begriff „vorwerfbar“ verwendet; vgl. die Begründung zu § 6 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 46. 276 Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 52; ders., in: Wirtschaftsstrafgesetz, S. 32 f.; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 42; vgl. auch: Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 116. 277 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 58 f.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
b) Dogmatische Ausgestaltung der Unternehmensgeldbuße Offen ist damit aber noch die Frage nach der genauen dogmatischen Ausgestaltung der Unternehmensgeldbuße in § 26 OWiG 1968. Der Gesetzgeber sah Unternehmen als fiktive und im natürlichen Sinne handlungsunfähige Wesen an, die weder einer strafrechtlichen Schuld fähig noch einer sozialethischen Missbilligung zugänglich seien. Es sei aber möglich, dass Unternehmen Organhandlungen als eigene zugerechnet werden könnten.278 Mit diesen Ausführungen hatte der Gesetzgeber hinsichtlich der Handlungsfähigkeit von Unternehmen ein Zurechnungsprinzip etabliert: Handlungsunfähigen Unternehmen werden die Handlungen ihrer Organe als eigene zugerechnet. Schwieriger gestaltet sich hingegen die Frage der „Schuldfähigkeit“, zu der sich der Gesetzgeber nicht explizit äußerte. Er führte aber aus, dass Unternehmen einer Tat im natürlichen Sinne nicht fähig seien und daher keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begehen könnten. Vielmehr könne ihnen nur die Tat eines ihrer Organe zugerechnet werden, welches wiederum ein Vorwurf treffen müsse. Aus diesem dogmatischen Grund sei die Unternehmensgeldbuße als Nebenfolge der Tat einer natürlichen Person ausgestaltet.279 In der Literatur werden die Ausführungen des Gesetzgebers unterschiedlich ausgelegt. Eine Ansicht folgert aus ihnen, dass der Gesetzgeber von einer Haftung für eine fremde Tat ausgegangen sei und das Unternehmen folglich für die fremde Schuld beziehungsweise Vorwerfbarkeit seiner Organe einzustehen habe.280 Eine andere Ansicht nimmt hingegen an, dass dem Unternehmen Handlung und Verschulden seiner Organe als jeweils eigene Handlung und eigenes Verschulden zuzurechnen seien.281 Ein Teil der Autoren, welche davon ausgehen, der Gesetzgeber habe eine Haftung des Unternehmens für eine fremde Tat normiert, kritisiert an dieser Konstruktion, dass ein solches Einstehen für fremde Schuld einen Fremdkörper im deutschen Strafrechtssystem darstelle. Zudem werde dem als schuldunfähig geltenden Unternehmen letztlich eine schuldabhängige Sanktion auferlegt.282 Bei dieser Kritik wird allerdings nicht deutlich, ob mit „Schuld“ die Schuld im strafrechtlichen Sinne oder Vorwerfbarkeit im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts gemeint ist und ob folglich der qualitative Unterschied zwischen Straftat und 278 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 58 f. 279 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 61. 280 Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 86; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 76 f.; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 54; Schroth, in: wistra 1986, 158, 162; Tiedemann, in: NJW 1988, 1169, 1171. 281 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 47 f.; Göhler, in: Beiheft ZStW 1978, 100, 109. 282 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 77; Schroth, in: wistra 1986, 158, 162.
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Ordnungswidrigkeit, von dem der Gesetzgeber bei Schaffung des § 26 OWiG 1968 ausging, hinreichend berücksichtigt wurde.283 Denn die Unternehmenssanktion konnte, wie dargestellt, gerade deshalb im Ordnungswidrigkeitenrecht eingefügt werden, weil sich die Vorwerfbarkeit in der Fehlerhaftigkeit des auf Verwaltungsungehorsam ausgerichteten Willens erschöpfte und das Unternehmen durch den fehlerhaften Organwillen, also durch die Vorwerfbarkeit des Organhandelns, repräsentiert wurde.284 Das Einstehen für fremde Vorwerfbarkeit über § 26 OWiG 1968 stand somit nicht im Widerspruch zu dem damals vorherrschenden Verständnis von der Konzeption des Ordnungswidrigkeitenrechts.285 Berechtigt ist die Kritik allerdings im Hinblick darauf, dass eine Unternehmensgeldbuße nicht nur bei Ordnungswidrigkeiten verhangen wurde, sondern auch dann, wenn das Organ eine Straftat begangen hatte. Geht man mit den Vertretern dieser Literaturansicht davon aus, dass § 26 OWiG 1968 eine Haftung für eine fremde Tat normiere, würde das Unternehmen in dem Falle einer Straftat für das fremde, schuldhafte Handeln seiner Organe einstehen, obwohl es selbst einer solchen persönlichen Schuld nicht fähig ist und das Strafrecht eine „Stellvertretung“ für Straftaten nicht kennt. Auch die Ausgestaltung der Unternehmensgeldbuße als Nebenfolge vermag dieses Problem nicht zu lösen.286 Denn die Nebenfolgenkonstruktion steht im Gegensatz dazu, dass das Unternehmen erstens mit der zentralen Sanktion des Ordnungswidrigkeitenrechts – einer Geldbuße – belegt wurde, zweitens unmittelbarer Normadressat war und drittens unter repressiven Gesichtspunkten zur Verantwortung gezogen wurde. Die tatsächliche Ausgestaltung der Unternehmensgeldbuße deutet folglich darauf hin, dass die Geldbuße eine eigenständige
283 Ehrhardt verwendet die Termini „Schuld“ und „Schuld im kriminalstrafrechtlichen Sinne“, ohne deutlich zu machen, ob „Schuld“ auch „Vorwerfbarkeit“ erfasst. Hiergegen könnte sprechen, dass sie auch die Begriffe „vorwerfbar“ und „Vorwurf“ verwendet; vgl. Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 77. Schroth spricht hingegen von der Haftung der Verbände für die Schuld der Organe, obwohl es eine Stellvertretung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht gäbe. Dies deutet darauf hin, dass er die Schuld im strafrechtlichen Sinne und die Vorwerfbarkeit im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts gleichsetzt und folglich den von dem Gesetzgeber angenommenen, qualitativen Unterschied zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit nicht berücksichtigt; vgl. Schroth, in: wistra 1986, 158, 162. 284 Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 52. 285 Müller nimmt hingegen an, dass die Repräsentation des Unternehmens durch seine Organe – wie bei § 31 BGB – zu einer Haftung für eigenes Verschulden führe; vgl. Müller, Stellung der juristischen Person, Fn. 28 auf S. 47. Ein solcher Bezug zu § 31 BGB kann den Überlegungen Schmidts jedoch gerade nicht entnommen werden; vgl. Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 52 f. Zudem ist auch bei § 31 BGB nicht unstrittig, ob die Norm ein eigenes Verbandshandeln begründet. Kaiser geht beispielsweise davon aus, dass es sich bei § 31 BGB um ein Einstehen des Unternehmens für fremde Handlung und Schuld handelt; vgl. Kaiser, Verbandssanktionen, S. 24. 286 So auch: Schroth, in: wistra 1986, 158, 162; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 89.
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Hauptsanktion war, die wiederum die Täterschaft des zu Sanktionierenden voraussetzte und somit nur das Einstehen für die eigene Tat begründen konnte.287 Eine andere Ansicht in der Literatur geht deshalb davon aus, dass trotz Bezeichnung der Geldbuße als Nebenfolge das Unternehmen als Täter anzusehen sei: Wenn der Gesetzgeber von der Zurechnung der Tat eines Organs spreche, sei die Zurechnung von Handlung und Verschulden der Organe als jeweils eigene Handlung und eigenes Verschulden gemeint.288 Doch so wie die tatsächliche Ausgestaltung der Unternehmensgeldbuße als mögliche Hauptsanktion gegen die Haftung für eine fremde Tat spricht, steht umgekehrt der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, die Täterschaft des Unternehmens auszuschließen und deshalb die Unternehmensgeldbuße als Nebenfolge auszugestalten, gegen die Annahme einer Zurechnung als eigene Tat.289 Auch diese dogmatische Auslegung des § 26 OWiG 1968 überzeugt daher nicht vollständig. Im Ergebnis ist es dem Gesetzgeber somit nicht gelungen, der neu eingefügten Bußgeldvorschrift für Unternehmen in § 26 OWiG 1968 eine widerspruchsfreie dogmatische Grundlage zu geben. 2. Das gewandelte Verständnis von dem Wesen des Ordnungswidrigkeitenrechts In den Jahren nach 1968 lebte die scheinbar schon geklärte Frage, warum eine Sanktionierung von Unternehmen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht trotz Verschuldenserfordernis möglich ist, vor dem Hintergrund wieder auf, dass sich in der Literatur eine Auffassung durchzusetzen begann, nach der eine qualitative Unterscheidung zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nicht mehr möglich sei. Die Vertreter dieser sogenannten quantitativen Theorie290 gingen davon aus, dass sich Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht mehr nach der Art des tangierten Rechtsgutes unterscheiden ließen, da etwa die Entkriminalisierung der Straßenverkehrsdelikte durch den Gesetzgeber gezeigt habe, dass die Ordnungswidrigkeiten der Straßenverkehrsordnung letztlich dieselben Rechtsgüter wie die Straßenverkehrsdelikte des StGB schützen.291 Eine Differenzierung sei daher nur noch nach dem Grad des verwirklichten Unrechts möglich: Denn das Unrecht einer Tat ziehe sich von dem kriminellen Kernbereich hin bis zu den Ordnungswidrigkeiten und werde zwar 287 288
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Siehe hierzu: Kapitel 1, C. II. Müller, Stellung der juristischen Person, S. 47 f.; Göhler, in: Beiheft ZStW 1978, 100,
Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 87 f. Vertreten wird die quantitative Theorie etwa von: Jescheck, in: JZ 1959, 457, 460 f.; Weber, in: ZStW 92 (1980), 313, 316; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 73 f.; Schoreit, in: GA 1967, 225, 231; Kaiser, Verbandssanktionen, S. 86; Zieschang, Sanktionensystem, S. 387; ders., in: GA 2014, 91, 93. 291 Weber, in: ZStW 92 (1980), 313, 316. 290
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schwächer, aber verschwinde als normativer Anknüpfungspunkt nie ganz.292 Auch Ordnungswidrigkeiten seien daher nicht sozialethisch belanglos, weshalb der Unterschied zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht quantitativ an den Gradabstufungen innerhalb des sozialethischen Unwerturteils festgemacht werden könne.293 Die Anhänger der quantitativen Abgrenzungstheorie stuften die Geldbuße und auch die Vorwerfbarkeit294 somit nicht als wertneutral ein, sondern gingen davon aus, dass die ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktion – ebenso wie die Strafe, wenngleich schwächer – mit einem sozialethischen Tadel behaftet sei. Folglich lehnten sie eine Unternehmensgeldbuße ebenso wie eine Unternehmensstrafe ab.295 Obwohl die quantitative Abgrenzungstheorie noch 1985 als die wohl herrschende Theorie angesehen wurde,296 gab es schon früh erste Stimmen in der Literatur, die sowohl die qualitative als auch die quantitative Theorie als nicht ausreichend erachteten, um den Unterschied zwischen Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht zu bestimmen.297 Mit der Zeit gewann daher eine gemischt qualitativ-quantitative Betrachtungsweise an Bedeutung, die auch noch heute Geltung beansprucht.298 Danach unterscheide sich der Kernbereich des Strafrechts, welcher anhand der grundgesetzlichen Wertordnung zu ermitteln sei, qualitativ von dem der Ordnungswidrigkeiten.299 In dem übrigen Grenzbereich sei hingegen eine Unterscheidung nach quantitativen Gesichtspunkten vorzunehmen, wobei schon 1969 das BVerfG die Schwierigkeit attestierte, „die exakte Grenzlinie zwischen dem Kernbereich des Strafrechts und dem Bereich der bloßen Ordnungswidrigkeiten zu ziehen, zumal in diesem Grenzbereich die in der Rechtsgemeinschaft herrschenden Anschauungen über die Bewertung des Unrechtsgehaltes einzelner Verhaltensweisen in besonderem Maße dem Wechsel unterworfen [seien]“300. Als entscheidende Abgrenzungskriterien werden heute die Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit eines Verhaltens benannt, doch geht man davon aus, dass dem Gesetzgeber letztlich ein 292
Welzel, in: JZ 1956, 238, 240. Jescheck, in: JZ 1959, 457, 461; Weber, in: ZStW 92 (1980), 313, 316; Tiedemann, in: ZStW 83 (1971), 792, 799; Schoreit, in: GA 1967, 225, 231; Zieschang, Sanktionensystem, S. 387; ders., in: GA 2014, 91, 93. 294 Vor diesem Hintergrund hat der Begriff „vorwerfbar“ sachlich den gleichen Inhalt wie der im Strafrecht verwendete Begriff „schuldhaft“, weshalb eine Gleichsetzung von Vorwerfbarkeit und Schuld möglich ist; vgl. Göhler, Vor § 1 OWiG, Rn. 30. 295 Jescheck, in: JZ 1959, 457, 462; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 61, 65 f.; ders., in: JZ 1970, 796, 797; Kaiser, Verbandssanktionen, S. 93; Zieschang, Sanktionensystem, S. 387. 296 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 36, 38. 297 Wimmer, in: NJW 1957, 1169, 1172; Patzig, in: DÖV 1962, 737, 741. 298 KK OWiG-Rogall, Vorbemerkungen, Rn. 2; Göhler, Vor § 1 OWiG, Rn. 6; BeckOK OWiG-Gerhold, Einleitung zum OWiG, Rn. 12 f.; Lemke/Mosbacher, Einleitung zum OWiG, Rn. 17; R/R/H-Förster, Vor § 1 OWiG, Rn. 8; Maurach/Zipf, Strafrecht AT, S. 17; Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 15; Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 18. 299 Göhler, Vor § 1 OWiG, Rn. 6; KK OWiG-Rogall, Vorbemerkungen, Rn. 2. 300 BVerfGE 27, 18, 29 f. 293
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Entscheidungsspielraum zukomme, weshalb seine Entscheidung Vorrang habe.301 Vor dem Hintergrund dieser eher unscharfen Abgrenzung besteht auch hinsichtlich der Zulässigkeit der Unternehmensgeldbuße keine Einigkeit. Während sie teilweise auf der Grundlage der gemischt qualitativ-quantitativen Abgrenzungstheorie abgelehnt wird,302 erachten verschiedene Vertreter der Theorie die Geldbuße gegenüber Unternehmen für zulässig.303 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach der gemischt qualitativ-quantitativen Theorie jede Ordnungswidrigkeit ein – wenn auch abgeschwächtes – sozial-ethisches Unwerturteil enthält.304 Die Bejahung einer Unternehmensgeldbuße lässt sich daher nur dann widerspruchsfrei erklären, wenn dem Begriff der Vorwerfbarkeit in Bezug auf Unternehmen ein anderes Verständnis zugrunde gelegt wird. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass mittlerweile verschiedene Auffassungen über das Wesen der Ordnungswidrigkeit bestehen, die – in unterschiedlich starker Gewichtung – heute noch vertreten werden. Die grundlegende Frage, ob die Festsetzung einer Geldbuße gegenüber Unternehmen zulässig ist, kann deshalb nicht mehr einheitlich beantwortet werden. Denn je nachdem, von welchem Verhältnis zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ausgegangen wird und wie die Vorwerfbarkeit des Ordnungswidrigkeitenrechts verstanden wird, kann die Geldbuße gegenüber schuldunfähigen Unternehmen entweder begründet werden oder muss abgelehnt werden. 3. Deutungen von § 30 OWiG nach 1986 Der Gesetzgeber ließ sich von dem Theorienwechsel in Rechtsprechung und Literatur im Ergebnis nicht beeinflussen und hielt an der Bußgeldregelung für Unternehmen in § 30 OWiG fest. Trotz zahlreicher Änderungen der Norm setzte er sich nach 1968 nicht mehr mit der Frage auseinander, warum die Sanktionierung von Unternehmen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht trotz eines gewandelten Verständnisses von dem Wesen des Ordnungswidrigkeitenrechts und der Vorwerfbarkeit weiterhin möglich sein soll. Stattdessen wurde durch die Aufgabe der Nebenfolgenlösung im Jahre 1986, durch die zumindest eine gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Unternehmenstäterschaft angenommen werden konnte, das „dogmatische Vakuum“305 offenbar, welches der Unternehmensgeldbuße von Beginn an zugrunde lag. In der Literatur entwickelten sich in der Folgezeit diverse Ansätze, die 301 KK OWiG-Rogall, Vorbemerkungen, Rn. 2; BeckOK OWiG-Gerhold, Einleitung zum OWiG, Rn. 12. 302 Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 117. 303 Göhler, Vor § 29a OWiG, Rn. 13; Lemke/Mosbacher, § 30 OWiG, Rn. 9; R/R/HFörster, Vor § 30 OWiG, Rn. 10. 304 Vgl. nur: BVerfGE 27, 18, 29. Dies wird aber nicht von allen Vertretern der Theorie, die eine Unternehmensgeldbuße für möglich halten, gesehen; vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 303. 305 Schroth, in: wistra 1986, 158, 163.
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das dogmatische Konzept der Unternehmensgeldbuße und die Verantwortlichkeit des Unternehmens zu begründen versuchen. a) § 30 OWiG als schuldunabhängige Sanktion Einige Autoren wollen das Problem der Vorwerfbarkeit bei der Unternehmensgeldbuße umgehen, indem sie einen von der Schuld losgelösten Ansatz wählen.306 So wird eine Rechtfertigung für § 30 OWiG zum Teil in dem sogenannten Veranlassungsprinzip gesehen: Das Unternehmen müsse unabhängig von einem eigenen Verschulden dafür haften, dass es die Taten bestimmter Unternehmensmitarbeiter veranlasst habe.307 Eine solche Gefährdungshaftung ist jedoch dem Einwand ausgesetzt, dass sie – ebenso wie etwa die Haftung für fremde Schuld – dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht fremd ist.308 Schünemann sieht hingegen als Legitimationsbasis für § 30 OWiG einen Rechtsgüternotstand an, der aus einer „notstandsähnlichen Schwächung der Präventionseffizienz im Bereich der Unternehmenskriminalität“ resultieren könne.309 Gegen eine Deutung der Norm als Präventivsanktion spricht jedoch, dass die Unternehmensgeldbuße in § 30 OWiG auch der Ahndung dient und mithin repressiv ausgestaltet ist.310 Die Versuche, § 30 OWiG unabhängig von dem Schuldgrundsatz zu legitimieren, können daher nicht überzeugen. Es bleibt somit nur die Deutung der Unternehmensgeldbuße als schuldbezogene Sanktion. b) § 30 OWiG als schuldabhängige Sanktion In der Literatur werden verschiedene Ansätze vertreten, die § 30 OWiG als schuldabhängige Sanktion zu begründen versuchen. In diesem Zusammenhang geht die überwiegende Anzahl der Autoren von einer schlichten Zurechnungskonstruktion aus, bei der dem Unternehmen das Handeln und Verschulden der Unternehmensmitarbeiter entweder als fremdes oder als eigenes Handeln und Verschulden zugerechnet werden. Ein weiterer Lösungsansatz knüpft ebenfalls an das Verhalten 306 So etwa: Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 236 ff.; Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 120 f. und 123. 307 Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 120 f. 308 Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 99. Diesen Einwand sieht Mittelsdorf ebenfalls, weshalb sie sich für eine Reform des § 30 OWiG ausspricht; vgl. Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 123. 309 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 236 f.; ders., in: wistra 1982, 41, 50. Das von Schünemann entwickelte Konzept ist jedoch weniger als Deutung des bestehenden § 30 OWiG zu sehen, sondern stellt vor allem einen Vorschlag für eine neue Regelung der Unternehmensgeldbuße dar; vgl. Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 254 f. 310 Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 97; Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 120.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
der Unternehmensmitarbeiter an und konstruiert auf dieser Grundlage ein originär eigenes vorwerfbares Verhalten des Unternehmens. Andere Modelle versuchen hingegen, in einer Kombination aus Zurechnung und eigener „Schuld“ des Unternehmens eine dogmatische Grundlage für § 30 OWiG zu finden.311 aa) Zurechnungsmodelle Die Befürworter eines schlichten Zurechnungsansatzes knüpfen die Verantwortlichkeit des Unternehmens an das schuldhafte Verhalten des Unternehmensmitarbeiters an.312 Dabei legen einzelne Autoren, die ursprünglich noch eine Haftung für eine fremde Tat angenommen hatten, die Gesetzesänderungen 1986 dahingehend aus, dass das Unternehmen als Normadressat nun mit einer eigenständigen Sanktion belegt werde, die eine Verletzung eigener Pflichten und folglich die Handlungs- und Schuldfähigkeit des Betroffenen voraussetze.313 § 30 OWiG könne systemkonform daher nur als eine Norm verstanden werden, durch die dem Unternehmen das fremde Handeln und Verschulden seiner Organe als eigenes Handeln und Verschulden zugerechnet werde.314 Der Gesetzgeber habe den Unternehmen durch die Neuregelung somit Handlungs- und Schuldfähigkeit „im juristischen Sinne“ zuerkannt.315 Andere Autoren halten hingegen an der akzessorischen Haftung des Unternehmens für Handeln und Schuld der Unternehmensmitarbeiter fest.316 Hiergegen spricht aber zum einen der schon oben dargestellte Einwand, dass zumindest ein solches Einstehen für fremde Schuld dem Strafsystem wesensfremd ist und – ausgehend etwa von einem quantitativen Unterschied zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht – sich auch im Ordnungswidrigkeitenrecht die Haftung für fremde Vorwerfbarkeit nicht mehr begründen lässt. Zum anderen bleibt unberücksichtigt, dass die Literatur die Haftung des Unternehmens für die fremde Mitarbeitertat ursprünglich aus der Nebenfolgenkonstruktion ableitete, welche aber aufgegeben wurde.317 311
Bei all diesen Ansätzen muss berücksichtigt werden, dass sie die Vorwerfbarkeit gegenüber dem Unternehmen nur durch eine Umdeutung des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Schuldbegriffs zu begründen vermögen, indem sie diesen entweder, wie noch 1968, allgemein anders als den strafrechtlichen Schuldbegriff verstehen oder nur in Bezug auf Unternehmen von einem anderen Begriff ausgehen. 312 So etwa: Göhler, Vor § 29a OWiG, Rn. 12; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 82; Jeger, Geldbuße, S. 100 f.; Lemke/Mosbacher, § 30 OWiG, Rn. 9; Poller, Verbandsgeldbuße, S. 27 f.; Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 166; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 111; Haeusermann, Verband, S. 24. 313 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 82; vgl. auch: Tiedemann, in: NJW 1988, 1169, 1171 f. 314 Göhler, Vor § 29a OWiG, Rn. 12; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 82; Jeger, Geldbuße, S. 101; Lemke/Mosbacher, § 30 OWiG, Rn. 9; vgl. auch: Tiedemann, in: NJW 1988, 1169, 1172. 315 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 82. 316 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 166; Poller, Verbandsgeldbuße, S. 27. 317 Siehe bezüglich beider Einwände: Kapitel 1, C. III. 1. b).
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Ein weiterer Ansatz geht davon aus, dass das Verhalten des Unternehmensmitarbeiters dem Unternehmen als ein originär eigenes rechtswidriges und vorwerfbares Verhalten „zugerechnet“ werde.318 Das Unternehmen selbst sei als primärer Träger von Rechten und Pflichten anzusehen, die allerdings durch seine Organe und Vertreter wahrgenommen und erfüllt werden.319 Deren Delinquenz müsse daher über § 30 OWiG als Eigendelinquenz des Unternehmens verstanden werden.320 Da auch im Rahmen dieses Lösungsvorschlags an das Verhalten der Unternehmensmitarbeiter angeknüpft wird, kann das Modell den Zurechnungsansätzen zugeordnet werden.321 bb) Kombinationsmodelle Neben diesen Zurechnungskonstruktionen existieren schließlich noch weitere Modelle, die – zusätzlich zu einer Zurechnung – versuchen, eine eigene „Schuld“ des Unternehmens zu begründen. Nach der von Tiedemann geprägten Lehre vom Organisationsverschulden werden die fremden Handlungen der Organe dem Unternehmen als eigene Handlungen zugerechnet, während im Hinblick auf die Schuld in Form des Organisationsverschuldens ein eigener sozialer Vorwurf gegenüber dem Unternehmen erhoben werden kann, der dessen „Verantwortlichkeit“ begründet. Das Organisationsverschulden knüpfe daran an, dass das Unternehmen Vorsorgemaßnahmen zu treffen unterlassen habe, die erforderlich gewesen wären, um einen ordentlichen, nicht deliktischen Geschäftsbetrieb zu gewährleisten.322 Tiedemann selbst räumt aber ein, dass der Rückgriff auf das Organisationsverschulden als „Vorverschulden“ allein nicht genüge, um das dogmatische Konzept des § 30 OWiG zu erklären: Da sich die Vorwerfbarkeit im Rahmen des § 30 OWiG auf die natürlichen Personen beziehe, könne es auch im Schuldbereich nur um die Zurechnung eines Mitarbeiterverschuldens gehen.323 Offen bleibt dabei die Frage, ob dem Unternehmen im Rahmen der Zurechnung des Mitarbeiterverschuldens das in Bezug auf die Anknüpfungstat verwirklichte Verschulden zugerechnet wird oder das Organisationsverschulden, welches ebenfalls durch die Organe vermittelt werden muss.324 318
KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 8; ders., in: GA 2015, 260, 264; NK OWiG-SchmittLeonardy, § 30 OWiG, Rn. 3; vgl. auch: Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität, S. 296. 319 Grundlage dieser Ansicht bildet die gesellschaftsrechtliche Organtheorie, welche maßgeblich von v. Gierke geprägt wurde; vgl. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 603 ff., insbesondere S. 613 – 615 und S. 624 f. 320 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 8. 321 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 376 f.; NK OWiG-Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG, Rn. 3. 322 Tiedemann, in: NJW 1988, 1169, 1172. 323 Tiedemann, in: NJW 1988, 1169, 1173. 324 Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, S. 121 f.; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 104.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Brender greift daher die Lehre vom Organisationsverschulden auf und entwickelt den von Tiedemann vorgedachten Ansatz weiter. Nach seiner Auffassung lässt sich nur durch eine Zurechnung der Organschuld bezüglich der Anknüpfungstat eine eigene Schuld des Unternehmens begründen.325 Dabei sei auf der Ebene des Unternehmens das Verschulden der Organe aus der Anknüpfungstat normativ als ein organisatorisches Hauptverschulden des Unternehmens zu werten, da das Unternehmen wegen der Begehung einer Anknüpfungstat durch das Organ der Vorwurf treffe, nicht so organisiert zu sein, wie es den gesellschaftlichen Verhaltensanforderungen entspreche.326 § 30 OWiG führe deshalb über eine bloße Zurechnung des Mitarbeiterverschuldens hinaus zu einer Umwandlung des gegenüber dem Organ erhobenen Vorwurfs in eine verbandsadäquate Verantwortlichkeit.327 Zusätzlich beruhe die Einstandspflicht des Unternehmens für seine Organe aber auch auf dem von Tiedemann beschriebenen Organisationsverschulden als Vorverschulden. Dieses Vorverschulden sei das, dem § 30 OWiG zugrundeliegende Haftungsprinzip, welches als Zurechnungsgedanke eine Schuldzurechnung von den Unternehmensmitarbeitern auf das Unternehmen legitimiere und immer dann greife, wenn die Unternehmensmitarbeiter eine Anknüpfungstat begehen und sich hierdurch ein Hauptverschulden realisiert.328 Engelhart vertritt schließlich ein Kombinationsmodell aus Zurechnung und Unternehmensverantwortlichkeit, wobei der Zurechnungsansatz in dem Verhältnis zu dem Element der Unternehmensverantwortlichkeit stärker gewichtet sein soll.329 Dem Unternehmen sei einerseits Handeln und Verschulden der Unternehmensmitarbeiter als eigenes Handeln und Verschulden zuzurechnen.330 Es müsse andererseits aber auch berücksichtigt werden, dass § 30 OWiG bestimmte eingrenzende Elemente enthalte, nämlich die Beschränkung auf bestimmte Unternehmen, auf bestimmte handelnde Unternehmensmitarbeiter, auf die Begehung der Tat „als“ Unternehmensmitarbeiter und auf die Verletzung besonderer Unternehmenspflichten. Aus diesen vier Eingrenzungen folge, dass Unternehmen nicht für jede Mitarbeitertat zur Verantwortung gezogen werden sollten, sondern nur für solche Taten, die in einem bestimmten Unternehmensumfeld entstehen und folglich durch eine bestimmte Unternehmensstruktur bedingt sind. § 30 OWiG setze daher auch eine besondere Unternehmensverantwortlichkeit voraus, die einen eigenständigen Schuldvorwurf gegenüber dem Unternehmen begründe und als integrativer Bestandteil der Norm anzusehen sei.331 325
Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 110. Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 112 ff. und 122. 327 Brender spricht deshalb von § 30 OWiG als einem „Transformator“; vgl. Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 122. 328 Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 108 ff. und 122 f. 329 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 384; ders., in: NZWiSt 2015, 201, 207 f. 330 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 381 f. 331 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 382 ff. 326
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cc) Das den Modellen zugrunde liegende Schuldverständnis Bei all diesen auf dem Schuldgrundsatz beruhenden Begründungsversuchen darf nicht übersehen werden, dass es keinem Modell gelingt, die Sanktionierung des Unternehmens nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht ohne eine Umdeutung des Schuldbegriffs zu begründen. So konstruiert etwa Ehrhardt eine Schuld von Unternehmen „im juristischen Sinne“, da sie von einem quantitativen Unterschied zwischen Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht ausgeht und eine eigene „Schuld“ des Unternehmens folglich weder Schuld im strafrechtlichen Sinne noch Vorwerfbarkeit im Sinne des § 1 OWiG sein kann.332 Auch Engelhart weist darauf hin, dass der Begriff der vorwerfbaren Handlung in § 1 OWiG bezüglich Unternehmen ein eigenständiges Verständnis erfordere und nicht mit dem für natürliche Personen gleichgesetzt werden könne.333 Tiedemann geht hingegen davon aus, dass das Ordnungswidrigkeitengesetz das kriminalstrafrechtliche Schulderfordernis gezielt senke, weshalb es allgemein möglich sei, anstelle der persönlichen Schuld einen an sozialen und rechtlichen Kategorien ausgerichteten Schuldbegriff im weiteren Sinne zu setzen.334 Hiergegen lässt sich jedoch einwenden, dass dies mit dem heutigen Verständnis vom Wesen des Ordnungswidrigkeitenrechts nicht in Einklang zu bringen ist. Zwar wird angenommen, dass in dem Grenzbereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts der Grad des verwirklichten Unrechts schwächer werde, doch enthält auch die Geldbuße einen sozialethischen Tadel, der zu einer Anlehnung der in § 1 OWiG genannten Vorwerfbarkeit an den persönlichen Schuldbegriff des Strafrechts führt. Die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht lässt sich folglich nur dann erklären, wenn man – wie Ehrhardt und Engelhart – davon ausgeht, dass der Begriff der Vorwerfbarkeit nur in Bezug auf Unternehmen anders zu verstehen ist als in Bezug auf natürliche Personen – ebenso wie die Verhängung einer Unternehmensstrafe ein anderes Verständnis des strafrechtlichen Schuldbegriffs bezüglich Unternehmen verlangen würde.335 Akzeptiert man dies, vermag es letztlich am ehesten das Kombinationsmodell von Engelhart, der Unternehmensgeldbuße eine dogmatische Grundlage zu geben. Im Unterschied zu den reinen Zurechnungslösungen wird durch dieses Modell berücksichtigt, dass § 30 OWiG selbst Elemente enthält, die eine Verantwortlichkeit des Unternehmens nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht erst im Falle bestimmter Unternehmensstrukturen begründen. Daraus kann auf eine besondere Unternehmensverantwortlichkeit geschlossen werden, die weiter ist als das von Tiedemann und Brender bemühte Organisationsverschulden. Dieses knüpft an das Unterlassen von Maßnahmen durch Vorgesetzte an und kann daher nicht alle von 332
Vgl. Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 73 f. und 82. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 385. 334 Tiedemann, in: NJW 1988, 1169, 1172. Brender knüpft an diesen Gedanken an und betont dabei, dass der Schuldbegriff bei Unternehmen in erster Linie normativ zu verstehen sei und eine kollektivspezifisch neue Bestimmung erfahren müsse; vgl. Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 111 f. 335 Siehe: Kapitel 1, B. II. 2. c), insbesondere Fn. 135. 333
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§ 30 OWiG erfassten Fallkonstellationen erklären.336 Im Rahmen der weiteren Untersuchung zu den prozessualen Rechten und Pflichten des Unternehmens muss daher beachtet werden, dass dem Unternehmen einerseits das Handeln und Verschulden der Unternehmensmitarbeiter als eigenes Handeln und Verschulden zugerechnet wird und es andererseits mit einem eigenständigen Schuldvorwurf im Sinne einer besonderen Unternehmensverantwortlichkeit belegt wird. 4. Zusammenfassung Zusammengefasst können die oben aufgeworfenen Fragen, warum die Sanktionierung von Unternehmen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht trotz Verschuldenserfordernis möglich ist und wie die Verantwortlichkeit des Unternehmens begründet werden kann, daher wie folgt beantwortet werden: Der Gesetzgeber ging 1968 bei der Vereinheitlichung des Unternehmenssanktionsrechts von einem qualitativen Unterschied zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht und folglich von einem unterschiedlichen Vorwurf in den beiden Rechtsgebieten aus. Es war ihm daher möglich, gegenüber Unternehmen die Festsetzung einer Geldbuße nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht anzuordnen und zugleich deren Bestrafung auf der Grundlage des persönlichen Schuldvorwurfs im Strafrecht abzulehnen. Die These, dass Ordnungswidrigkeiten im Vergleich zu Straftaten einen qualitativen Unterschied aufweisen und daher auch der Vorwurf ein anderer sei, ließ sich jedoch bald nicht mehr halten. Dennoch verblieb es bei der Regelung der Unternehmensgeldbuße im Ordnungswidrigkeitenrecht und es wurde letztlich der Literatur überlassen, hierfür eine Grundlage zu finden. Diese entwickelte daraufhin diverse Ansätze, die eine Sanktionierung von Unternehmen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht jedoch nur dergestalt erklären können, dass die Vorwerfbarkeit des Ordnungswidrigkeitenrechts entweder allgemein abweichend oder nur in Bezug auf Unternehmen abweichend von dem strafrechtlichen Schuldbegriff zu verstehen ist. In dem Zusammenhang werden sowohl schlichte Zurechnungskonstruktionen vertreten als auch Modelle, die (zusätzlich) eine eigene „Schuld“ des Unternehmens zu begründen versuchen. Wegen der engen Bezugnahme zu den Bestimmungen des § 30 OWiG überzeugt dabei der von Engelhart gewählte Ansatz, der dem Unternehmen einerseits das Handeln und Verschulden der Unternehmensmitarbeiter als eigenes Handeln und Verschulden zurechnet und andererseits bei Vorliegen der sich aus § 30 OWiG ergebenden einschränkenden Merkmale eine besondere Unternehmensverantwortlichkeit vermutet.
336 Ein entsprechendes Beispiel findet sich bei Engelhart; vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 383 f.
D. Einziehung bei Unternehmen als Dritten
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D. Einziehung bei Unternehmen als Dritten Mit den Regelungen zur Einziehung sehen das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht schließlich Maßnahmen vor, die sich auch an Unternehmen richten. Im StGB finden sich die Vorschriften, über die einerseits die aus einer Straftat erlangten Vorteile abgeschöpft und andererseits die bei der Tatbegehung genutzten Gegenstände eingezogen werden können, in den §§ 73 ff. StGB (Einziehung von Taterträgen) und §§ 74 ff. StGB (Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten). Im Ordnungswidrigkeitenrecht sind die Bestimmungen über die Einziehung von Gegenständen in den §§ 22 ff. OWiG und die Regelung zur Einziehung des Wertes von Taterträgen in § 29a OWiG normiert.
I. Einziehung gemäß § 73b StGB und § 74e StGB Die Rechtsnatur der Einziehung ist umstritten. Ein Hinweis gibt das Gesetz in § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB, wonach es sich bei der Einziehung weder um eine Strafe noch um eine Maßregel der Besserung und Sicherung handelt, sondern um eine Maßnahme eigener Art. Für die Vorschriften über die Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten in den §§ 74 ff. StGB wird dies aber als zu pauschal abgelehnt, da je nach Fallkonstellation der Einziehung Strafcharakter beziehungsweise strafähnlicher Charakter oder präventiver Sicherungscharakter zukomme.337 Auch der Gesetzgeber ordnet die §§ 74 ff. StGB inzwischen als strafähnliche Maßnahmen ein.338 In Bezug auf die Einziehung von Taterträgen nach den §§ 73 ff. StGB wird in der Literatur, insbesondere seit Geltung des Bruttoprinzips, ebenfalls die Ansicht vertreten, dass eine entsprechende Anordnung Strafcharakter beziehungsweise zumindest strafähnlichen Charakter habe.339 Gesetzgeber und Rechtsprechung340 gehen hingegen von einem quasi-kondiktionellen (bereicherungsrechtlichen) Charakter der §§ 73 ff. StGB aus.341
337
Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 342; vgl. auch: LK StGB-Schmidt, § 74 StGB a.F., Rn. 4 ff.; BeckOK StGB-Heuchemer, § 74 StGB, Rn. 3 und 5.1. 338 Vgl. die Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 48. 339 So etwa: Schönke/Schröder-Eser, § 73 StGB a.F., Rn. 2; Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 24; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 341; anders: BeckOK StGB-Heuchemer, § 73 StGB, Rn. 1 f. Vgl. zum allgemeinen Meinungsstand: MüKo StGB-Joecks, § 73 StGB a.F., Rn. 4 ff. 340 BVerfGE 110, 1, 21 f.; BGHSt 47, 369, 372 ff. Die Entscheidungen beziehen sich noch auf die Rechtslage vor der Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung in 2017. Ausweislich der Gesetzesmaterialien wird der quasi-kondiktionelle Charakter der Vermögensabschöpfung durch die Reform jedoch nicht in Frage gestellt; vgl. die Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/ 9525, S. 48.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Durch die Einziehung von Taterträgen sollen unrechtmäßige Vermögensverschiebungen ausgeglichen und dem Täter so der Anreiz zur Tatbegehung genommen werden.342 Über § 73 Abs. 1 StGB kann daher die Einziehung von Gegenständen angeordnet werden, die der Täter oder der Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie erlangt hat. Da schon die Tatbestandsverwirklichung nach dem StGB nur durch natürliche Personen möglich ist, richtet sich die Einziehungsanordnung in § 73 Abs. 1 StGB lediglich an diese.343 Die Einziehung bei Unternehmen erfolgt hingegen über § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB,344 der die Anordnung der Einziehung von Taterträgen gegenüber einem „anderen“ ermöglicht, wenn dieser durch die Tat etwas erlangt hat und der Täter oder der Teilnehmer für ihn gehandelt hat.345 Begeht also beispielsweise ein Unternehmensmitarbeiter eine rechtswidrige Tat und wird das Unternehmen dadurch bereichert, kann der entstandene Vorteil bei dem Unternehmen abgeschöpft werden. Sofern die Einziehung eines Gegenstandes nicht möglich ist oder von der Einziehung eines Ersatzgegenstandes abgesehen wird, kann nach § 73c S. 1 StGB die Einziehung eines Geldbetrages angeordnet werden, der dem Wert des Erlangten entspricht. Zu beachten ist, dass auch bei der Anordnung der Einziehung gegenüber einem anderen das Bruttoprinzip gilt. Danach unterfallen nicht bloß der Gewinn, sondern grundsätzlich alle Vermögenswerte, die einem Tatbeteiligten oder Drittbegünstigten aus der Verwirklichung des Tatbestandes zugeflossen sind, der Einziehung.346 Das darin enthaltene Abzugsverbot wird in § 73d Abs. 1 S. 2 StGB allerdings auf das beschränkt, was für die Vorbereitung oder Begehung der Tat aufgewendet oder eingesetzt wurde. Sonstige Aufwendungen des Unternehmens finden hingegen bei der Bemessung des Einziehungswertes über § 73d Abs. 1 S. 1 StGB Berücksichtigung und mindern den Wert des erlangten Etwas.347 Neben dieser Einschränkung der Einziehungsvorschriften folgt weiter aus § 30 Abs. 5 OWiG, dass die Einziehung nach § 73 StGB oder § 73c StGB nicht angeordnet werden kann, wenn bereits eine Unternehmensgeldbuße festgesetzt wurde.
341
Vgl. zu der Rechtsnatur der Einziehung von Taterträgen sowie der Verortung im Strafrecht: Saliger, in: ZStW 129 (2017), 995, 1000 ff. 342 NK StGB-Saliger, Vorbemerkungen zu §§ 73 ff. StGB a.F., Rn. 2; LK StGB-Schmidt, § 73 StGB a.F., Rn. 7; BeckOK StGB-Heuchemer, § 73 StGB, Rn. 1. 343 Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 25; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 337. 344 BVerfG, in: wistra 2004, 378, 382; BGHSt 47, 369, 373; BGHSt 45, 235, 244 f.; NK StGB-Saliger, § 73 StGB a.F., Rn. 34; Schönke/Schröder-Eser, § 73 StGB a.F., Rn. 35; Fischer, § 73b StGB, Rn. 4. 345 Vor der Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung im Jahre 2017 fand sich die Regelung des § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB in § 73 Abs. 3 StGB a.F. 346 Begründung zu § 73d StGB (Nummer 13) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 67. 347 Vgl. zu der Neuregelung der Bruttoabschöpfung durch die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung in 2017: Saliger, in: ZStW 129 (2017), 995, 1010 ff.
D. Einziehung bei Unternehmen als Dritten
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Im Gegensatz dazu ist die Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten trotz Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG möglich. Die Grundnorm dieser Einziehung ist § 74 Abs. 1 StGB, der die Einziehung von Gegenständen regelt, die durch eine vorsätzliche Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind. Gemäß § 74 Abs. 3 StGB ist die Einziehung nur zulässig, wenn der Gegenstand dem Täter oder dem Teilnehmer gehört oder zusteht. Daneben dürfen Gegenstände auch dann eingezogen werden, wenn derjenige, dem sie gehören oder zustehen, mindestens leichtfertig dazu beigetragen hat, dass sie als Tatmittel verwendet worden oder Tatobjekte gewesen sind, oder die Gegenstände in Kenntnis der Umstände, welche die Einziehung zugelassen hätten, in verwerflicher Weise erworben hat, § 74a StGB. Auch diese Vorschriften greifen somit lediglich bei natürlichen Personen,348 weshalb § 74e StGB regelt, dass Unternehmen die einziehungsbegründenden Handlungen ihrer Organe und Vertreter zuzurechnen sind. Die Einziehung von Gegenständen nach § 74 StGB oder § 74a StGB ist daher auch bei einer Eigentümerstellung des Unternehmens möglich, welches so gestellt wird, als hätte es selbst gehandelt.349
II. Einziehung gemäß § 29a Abs. 2 OWiG und § 29 OWiG Im Ordnungswidrigkeitenrecht wird die Einziehung bei Unternehmen über § 29a Abs. 2 OWiG und § 29 OWiG ermöglicht. Da die Normen als Pendant zu den strafrechtlichen Einziehungsvorschriften ausgestaltet sind, soll im Folgenden nur auf die Unterschiede zu den Regelungen im StGB eingegangen werden. Die Grundvorschrift für die Einziehung des Wertes von Taterträgen bildet § 29a Abs. 1 OWiG, nach dem – anstelle einer Geldbuße – die Einziehung eines Geldbetrages bis zu der Höhe angeordnet werden kann, die dem Wert dessen entspricht, was der Täter durch eine mit einer Geldbuße bedrohten Handlung oder für sie erlangt hat. Im Vergleich zu § 73 Abs. 1 StGB weist die Norm damit drei Unterschiede auf: Erstens kommt bereits der Geldbuße selbst gemäß § 17 Abs. 4 OWiG abschöpfende Wirkung zu, weshalb § 29a Abs. 1 OWiG ausdrücklich anordnet, dass die Einziehung nur möglich ist, wenn keine Geldbuße verhängt wird. Für die Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG ergibt sich dies auch aus § 30 Abs. 5 OWiG. 348
Anders ist dies bei der Sicherungseinziehung nach § 74b StGB, die bei Dritten zulässig ist, wenn die Gegenstände nach ihrer Art und nach den Umständen die Allgemeinheit gefährden oder die Gefahr besteht, dass sie der Begehung rechtswidriger Taten dienen werden. Da es in diesen Fällen nicht auf ein quasi-schuldhaftes Handeln des Dritten ankommt, kann die Einziehung bei einer Eigentümerstellung oder Rechtsinhaberschaft des Unternehmens angeordnet werden. 349 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 343; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 39; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 12.
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Kap. 1: Verantwortlichkeit nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Zweitens wird die Anordnung der Einziehung in das Ermessen der Bußgeldbehörde gestellt. Und drittens wird nicht das Erlangte selbst für eingezogen erklärt, sondern dessen Geldwert.350 Die Anordnung der Einziehung gegenüber einem „anderen“ als dem Täter erfolgt über § 29a Abs. 2 OWiG, wodurch Unternehmen erfasst werden.351 Absatz 3 ermöglicht es ihnen, ebenso wie bei einer strafrechtlichen Einziehung die Aufwendungen bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten in Abzug zu bringen, die nicht für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt wurden. Anders als die Einziehung nach § 29a OWiG kann die Einziehung eines Gegenstandes parallel zu einer Unternehmensgeldbuße angeordnet werden. § 29 OWiG stellt dabei eine speziell für Unternehmen geltende Sondervorschrift dar, die mit § 74e StGB vergleichbar ist. Der Anwendungsbereich der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Einziehung von Gegenständen ist jedoch durch die Voraussetzung des § 22 Abs. 1 OWiG deutlich eingeschränkt, wonach die Einziehung nur angeordnet werden kann, wenn das Gesetz dies ausdrücklich zulässt.
III. Fazit Das Unternehmen ist nicht nur Adressat der in § 30 OWiG normierten Unternehmensgeldbuße, sondern kann ebenso von Einziehungsmaßnahmen getroffen werden. Deren Regelungen befinden sich sowohl im StGB als auch im OWiG. Die Einziehung von Taterträgen beziehungsweise des Wertes von Taterträgen erfolgt bei dem Unternehmen als einem „anderen“ entweder gemäß § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB oder § 29a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG. Ein entscheidender Unterschied zwischen diesen Einziehungsmöglichkeiten liegt für das Unternehmen darin, dass die Einziehung nach dem StGB zwingend vorgeschrieben ist, während die Einziehungsanordnung bei Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit im Ermessen der Verwaltungsbehörde steht. In beiden Fällen kommt die Einziehung allerdings gemäß § 30 Abs. 5 OWiG nur alternativ zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße in Betracht. Bei der Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten, welche gegenüber dem Unternehmen über § 74e StGB oder § 29 OWiG ermöglicht wird, handelt es sich hingegen stets um eine Ermessensentscheidung, die unabhängig von der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße ist. Bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit ist der Anwendungsbereich der Einziehung jedoch nach § 22 Abs. 1 OWiG auf spezialgesetzlich geregelte Fälle beschränkt.
350
Vgl. zu den Unterschieden auch: Göhler, § 29a OWiG a.F., Rn. 2. OLG Koblenz, Beschluss vom 28. 09. 2006 – 1 Ss 247/06, Juris, Rn. 8; BeckOK OWiGMeyberg, § 29a OWiG, Rn. 62; KK OWiG-Mitsch, § 29a OWiG, Rn. 37; Göhler, § 29a OWiG a.F., Rn. 20. 351
Kapitel 2
Das Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG und die prozessuale Stellung des Unternehmens Nachdem im vorangegangenen Kapitel ein Überblick über die Verantwortlichkeit des Unternehmens nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht gegeben und dabei die Sanktionierung des Unternehmens nach § 30 OWiG näher betrachtet wurde, konzentriert sich die weitere Arbeit auf die prozessualen Bestimmungen zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG. Hierfür werden zunächst die Hintergründe der heutigen Verfahrensausrichtung untersucht und die Regelungen in § 30 Abs. 4 OWiG, § 444 StPO und § 88 OWiG dargestellt, aus denen sich die Unterteilung in ein einheitliches und ein selbstständiges Verfahren und die Anbindung der Verfahrensvorschriften an die Anknüpfungstat ergeben. Die entsprechenden Verfahrenskonstellationen werden anschließend im Hinblick auf ihren jeweiligen Verfahrensablauf aufgeschlüsselt, bevor die Folgen dieser Verfahrensausgestaltung analysiert werden und insbesondere die prozessuale Stellung des Unternehmens herausgearbeitet wird.
A. Grundsätzliche Verfahrensausrichtung Das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG kann entweder zusammen mit dem Verfahren gegen den einzelnen Unternehmensmitarbeiter geführt werden oder aber unabhängig von diesem Verfahren selbstständig erfolgen. Die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens ist gemäß § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG nur dann möglich, wenn das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter nicht eingeleitet oder eingestellt wird oder von Strafe abgesehen wird. Die getrennte Durchführung zweier separater Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen ist hingegen grundsätzlich unzulässig.352 Ausnahmen von diesem Grundsatz sind über § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG möglich, welcher bestimmt, dass die Geldbuße in weiteren gesetzlich geregelten Fällen selbstständig festgesetzt werden kann.353
352 353
Siehe: Kapitel 2, A. II. 2. b). Siehe: Kapitel 2, A. II. 1. b).
78
Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
Darüber hinaus richten sich die anwendbaren Verfahrensregeln nach der Frage, ob die Unternehmensgeldbuße an eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit eines Unternehmensmitarbeiters anknüpft. Sofern Anknüpfungspunkt eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters ist, greift § 444 StPO, der auf die strafverfahrensrechtlichen Regelungen der Einziehung verweist. Liegt hingegen ein ordnungswidrigkeitenrechtlicher Verstoß vor, ist § 88 OWiG einschlägig.
I. Hintergründe der Verfahrensausrichtung Die Ausgestaltung des Verfahrens als einheitliches beziehungsweise selbstständiges Verfahren sowie die Wahl der Verfahrensvorschriften in Abhängigkeit von der Tat des Unternehmensmitarbeiters sind auf die Entscheidung des Gesetzgebers aus dem Jahre 1968 zurückzuführen, die Unternehmensgeldbuße als Nebenfolge zu der Tat des Unternehmensmitarbeiters zu normieren.354 Der annexhaften Verbindung zwischen einer Unternehmenssanktionierung und der Anknüpfungstat wurde prozessual Rechnung getragen, indem die Durchführung eines einheitlichen Verfahrens als Regelfall vorgesehen und nur in den eng umgrenzten Ausnahmefällen des § 26 Abs. 4 OWiG 1968 die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens zugelassen wurde.355 So konnte die Geldbuße gegen ein Unternehmen gemäß § 26 Abs. 4 S. 1 OWiG 1968 nur dann selbstständig festgesetzt werden, wenn wegen der Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus tatsächlichen Gründen keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt oder eine Geldbuße gegen eine bestimmte Person nicht festgesetzt werden konnte und die Voraussetzungen von § 26 Abs. 1 OWiG 1968 im Übrigen vorlagen. Gleiches galt gemäß § 26 Abs. 4 S. 2 OWiG 1968, wenn das Gericht von Strafe absah oder das Verfahren nach einer Vorschrift eingestellt worden war, die dies nach dem Ermessen der Verfolgungsbehörde oder des Gerichts oder im Einvernehmen beider zuließ. Darüber hinaus gestaltete der Gesetzgeber das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße akzessorisch zu dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter aus und schuf mit § 88 OWiG 1968 und § 444 StPO 1968356 gleich zwei Beteiligungsregeln für das Unternehmen für die Alternativen, dass die Individualtat des Unternehmensmitarbeiters entweder eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit ist.357 354 Vgl. die Begründung zu § 19 OWiG und § 77 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 61 f. und 113 sowie die Begründung zu § 444 StPO (Nummer 11) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 82. 355 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 62. 356 Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. Mai 1968 (BGBl. I S. 503). 357 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 61.
A. Grundsätzliche Verfahrensausrichtung
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Die aufgrund der Nebenfolgenkonstruktion gewählte Ausrichtung des Verfahrens stieß bald auf praktische Probleme. So musste wegen der engen Voraussetzungen in § 26 Abs. 4 OWiG 1968 immer erst die Verfolgung des Unternehmensmitarbeiters aufgenommen werden, bevor im Hinblick auf das Unternehmen die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens möglich war. Es setzte sich infolgedessen die Praxis durch, das pro forma eingeleitete Verfahren gegen die natürliche Person zügig einzustellen, damit das Verfahren gegen das Unternehmen dann allein weiterbetrieben werden konnte.358 Trotz dieser Schwierigkeiten hielt es der Gesetzgeber erst 1986 für geboten, den „verfahrensrechtlichen Zusammenhang mit der Verfolgung einer bestimmten Person weiter zu lockern“359. Durch das 2. WiKG wurde das Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG daher dergestalt geändert, dass die Voraussetzungen zur Durchführung eines selbstständigen Verfahrens erleichtert wurden. Im Übrigen blieben jedoch die Differenzierung zwischen dem einheitlichen und dem selbstständigen Verfahren im Sinne der Regelfall- und Ausnahmekonstellation sowie die Abhängigkeit der Verfahrensvorschriften von der Tat des Unternehmensmitarbeiters bestehen. Dies war zwar vor dem Hintergrund konsequent, dass der Gesetzgeber materiell-rechtlich an der Nebenfolgenlösung festhalten wollte und „wegen des inneren Zusammenhanges zwischen der Zuwiderhandlung und der Verbandssanktion eine noch weitere Lockerung oder Lösung der Verbandssanktion als Nebenfolge der Zuwiderhandlung [für] nicht möglich“360 hielt. Faktisch ist die Unternehmensgeldbuße seit 1986 aber nicht mehr als bloße Nebenfolge, sondern als eigenständige Sanktionsnorm zu sehen.361 Aus diesem Grund wäre es erforderlich gewesen, das Verfahrensrecht entsprechend anzupassen,362 etwa durch eine völlige Verselbstständigung des Verfahrens.363 Die 1997 über § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG neu geschaffene Möglichkeit, auch eine getrennte Verfahrensführung gesetzlich zu normieren, hat der Gesetzgeber aber bislang nur in zwei Fällen genutzt.364 De lege lata erfolgt daher eine Sanktionierung des Unternehmens nach einem an der Nebenfolgenlösung ausgerichteten Verfahrensrecht. Wie sich im Folgenden zeigen wird, muss die Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße als eigenständige Sanktionsnorm daher bei der Anwendung und Auslegung der prozessualen Regelungen beachtet werden. 358
Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 331 und 445; Schroth, in: wistra 1986, 158, 163; vgl. die Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 41. 359 Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 38. 360 Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 41. 361 Siehe: Kapitel 1, C. II. 362 So auch schon: Tiedemann, in: NJW 1988, 1169, 1171. 363 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 331 f. 364 Die entsprechenden gesetzlichen Regelungen befinden sich in § 82 GWB und § 96 EnWG.
80
Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
II. Einheitliches, selbstständiges und getrenntes Verfahren Das Verfahrensrecht bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG lässt sich in drei Verfahrenskategorien einteilen: das einheitliche, das selbstständige und das getrennte Verfahren. Dabei bilden das einheitliche und das selbstständige Verfahren die Hauptanwendungsfälle, nach denen ein Verfahren gegen ein Unternehmen durchgeführt wird, während das getrennte Verfahren lediglich Ausfluss der Erweiterung des selbstständigen Verfahrens in § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG ist und sich in seinem Anwendungsbereich auf die Fälle in § 82 GWB und § 96 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (EnWG) beschränkt. Die Aufteilung des Verfahrens in ein einheitliches Verfahren und in ein selbstständiges Verfahren kann zum einen § 444 StPO und § 88 OWiG, den beiden zentralen Vorschriften über das verfahrensrechtliche „Wie“ der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße, entnommen werden. So wird in § 444 Abs. 3 StPO und § 88 Abs. 2 OWiG explizit das selbstständige Verfahren genannt, während jeweils in Abs. 1 die Entscheidung über die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG im Strafverfahren beziehungsweise im Bußgeldverfahren (gegen die natürliche Person), also im einheitlichen Verfahren, geregelt ist. Zum anderen enthält § 30 OWiG als Sanktionsnorm selbst in Absatz 4 und Absatz 6 verfahrensrechtliche Vorgaben. Während der erst 2013 eingefügte § 30 Abs. 6 OWiG zur Sicherung einer Unternehmensgeldbuße die Anordnung des Vermögensarrests bereits ab Erlass des Bußgeldbescheides ermöglicht, regelt § 30 Abs. 4 OWiG seit Schaffung der Norm im Jahre 1968 die Voraussetzungen für die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens gegen das Unternehmen, also das „Ob“ der Durchführung. Die Möglichkeit zur Durchführung eines einheitlichen Verfahrens ist hingegen in § 30 OWiG nicht normiert. Dies erklärt sich damit, dass der Gesetzgeber 1968 davon ausging, dass Gegenstand eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens nur die Tat einer natürlichen Person sein könne und dass es nach den Grundsätzen der Verfahrensordnung stets die natürliche Person und ihre Tat seien, die im Mittelpunkt eines Verfahrens stünden.365 Aus diesem Grund könne die Geldbuße gegen das Unternehmen grundsätzlich nur in dem wegen der Tat gegen das Organ durchzuführenden Straf- oder Bußgeldverfahren angeordnet werden, nicht aber in einem davon unabhängigen Verfahren.366 Es bestand somit aus Sicht des historischen Gesetzgebers keine Notwendigkeit, die grundsätzliche Verfahrensausrichtung als einheitliches Verfahren, die sich nach seiner Auffassung aus den Grundsätzen der Prozessordnung selbst ergab, in § 30 OWiG zu regeln. Vielmehr hielt er es nur für erforderlich, in Absatz 4 eine Ausnahme für den Fall festzulegen, dass gegen das Organ selbst aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ein Verfahren nicht durchgeführt werden
365
Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 61. 366 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 62.
A. Grundsätzliche Verfahrensausrichtung
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konnte.367 Systematisch wurde diese Konstruktion beibehalten; Änderungen im Hinblick auf das Verfahren erfolgten 1986 und 1997 nur im Rahmen von § 30 Abs. 4 OWiG selbst. Die Regelung in Absatz 4 wurde schon zur Zeit der Nebenfolgenlösung als „komplizierte Vorschrift“368 beschrieben. Dies ist vor dem Hintergrund nicht verwunderlich, dass die Nebenfolgenlösung von Beginn an ein nicht ausgereifter Versuch des Gesetzgebers war, die Probleme der Dogmatik und der Rechtsnatur einer Unternehmenssanktion über ein Nebenfolgenkonstrukt zu lösen. Dass dieser Versuch gescheitert ist und auch noch nach tatsächlicher Aufgabe der Nebenfolgenlösung 1986 nebst unklarer Rechtsnatur ein „dogmatische[s] Vakuum“369 übrig blieb, wurde bereits dargestellt.370 Die Schwächen der materiell-rechtlichen Ausgestaltung wirkten sich auch auf das Verfahrensrecht aus. Als der Gesetzgeber 1994 schließlich § 30 OWiG ausdrücklich als eigenständige Sanktionsnorm anerkannte und dadurch zumindest im Hinblick auf die Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße die bestehenden Zweifel ausräumte, geschah dies ohne Begründung zu sich daraus ergebenden Folgen für das Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße.371 Rechtsprechung und Literatur sind daher bei Anwendung und Erläuterung des Verfahrensrechts weitgehend auf sich allein gestellt. Dies führt zu unterschiedlichen und teilweise inkonsequenten Auslegungen des § 30 Abs. 4 OWiG. Im Folgenden soll daher zunächst die Grundstruktur des Absatzes 4 offengelegt und systematisiert werden, bevor auf das Verhältnis zwischen einheitlichem, selbstständigem und getrenntem Verfahren eingegangen werden kann. 1. Die Regelungen zum selbstständigen Verfahren in § 30 Abs. 4 OWiG § 30 Abs. 4 OWiG regelt das selbstständige Verfahren in drei Sätzen. a) Die Voraussetzungen des selbstständigen Verfahrens in § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG ordnet an, dass die Geldbuße selbstständig festgesetzt werden kann, wenn wegen der Straftat oder Ordnungswidrigkeit ein Straf- oder
367 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 62. 368 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 182. 369 Schroth, in: wistra 1986, 158, 163. 370 Siehe: Kapitel 1, C. II. und III. 371 Vgl. die Begründung zu § 30 OWiG und § 33 OWiG des Entwurfs eines … Strafrechtsänderungsgesetzes – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität –, BTDrs. 12/192, S. 31 ff.
82
Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
Bußgeldverfahren nicht eingeleitet wird oder eingestellt wird oder von Strafe abgesehen wird. aa) Nichteinleitung eines Verfahrens Die Variante der Nichteinleitung eines Verfahrens wurde 1986 durch das 2. WiKG neu in § 30 Abs. 4 OWiG aufgenommen. Im Hinblick auf die strafrechtliche Verfolgung eines Unternehmensmitarbeiters wird dieser Variante ein eher geringer Anwendungsbereich attestiert, da die Staatsanwaltschaft wegen des Legalitätsprinzips in § 152 Abs. 2 StPO verpflichtet ist, Ermittlungen aufzunehmen und folglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wenn ein Anfangsverdacht gegeben ist.372 Unberücksichtigt bleibt dabei aber die Möglichkeit der Staatsanwaltschaft, so genannte Vorermittlungen durchzuführen. Diese bewegen sich im Vorfeld eines Anfangsverdachts und dienen allein der Klärung der Frage, ob ein solcher gegeben ist.373 So ist es beispielsweise denkbar, dass die zuständige Verfolgungsbehörde durch die Medien auf Missstände in einem Unternehmen aufmerksam gemacht wird und ihre Ermittlungen vorerst auf Vorermittlungsmaßnahmen, wie etwa auf einzelne Zeugenvernehmungen oder auf die Anfrage bei anderen Behörden beschränkt.374 Dies kann gerade auch zum Schutz der betroffenen natürlichen Personen vor den Nachteilen, die mit der formellen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens einhergehen können, geboten sein.375 Sollten sich durch diese Vorermittlungen keine zureichenden Anhaltspunkte ergeben, um ein Ermittlungsverfahren (notfalls gegen Unbekannt)376 einzuleiten, kann die Staatsanwaltschaft gegen das Unternehmen über § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG im selbstständigen Verfahren vorgehen. Es besteht allerdings nur ein schmaler Grat zwischen Anhaltspunkten, die die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens noch nicht rechtfertigen und konkreten Tatsachen, die einen Anfangsverdacht begründen und somit zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens verpflichten.377 Nichtsdestotrotz unterliegt es innerhalb dieser Grenzen dem Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft, die Qualität der vorliegenden Anhaltspunkte zu beurteilen und aufgrund
372
Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 446 f.; KK OWiGRogall, § 30 OWiG, Rn. 164; R/R/H-Förster, § 30 OWiG, Rn. 55. 373 LG Offenburg, in: NStZ 1993, 506, ebd.; KK StPO-Griesbaum, § 160 StPO, Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, § 152 StPO, Rn. 4b. 374 Keller/Griesbaum, in: NStZ 1990, 416, 417. 375 Meyer-Goßner/Schmitt, § 152 StPO, Rn. 4b; KK StPO-Diemer, § 152 StPO, Rn. 10. 376 Zur Möglichkeit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Unbekannt vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 152 StPO, Rn. 5. 377 Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Schwelle für das Vorliegen eines Anfangsverdachts niedrig angesetzt ist; vgl. KK StPO-Diemer, § 152 StPO, Rn. 7; LR StPOBeulke, § 152 StPO, Rn. 21, 23.
A. Grundsätzliche Verfahrensausrichtung
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dessen zu entscheiden, ob die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unterbleiben darf und gegen das Unternehmen selbstständig vorgegangen werden kann.378 Wenn sich die Anhaltspunkte allerdings zu einem Anfangsverdacht verhärten, kommt die Variante der Nichteinleitung eines Verfahrens nur noch dann in Betracht, wenn dem Verfahren gegen die natürliche Person eindeutige Verfahrenshindernisse tatsächlicher Natur entgegenstehen, wie etwa der Tod des Verdächtigen, dessen Verhandlungsunfähigkeit oder dauerhafte Abwesenheit.379 In Abgrenzung dazu ist die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens infolge rechtlicher Verfolgungshindernisse aufgrund von § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG nicht möglich. Liegen keine tatsächlichen oder rechtlichen Verfolgungshindernisse vor und wurde deshalb – infolge des Anfangsverdachts – ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, kann ein Vorgehen gegen das Unternehmen im selbstständigen Verfahren nur noch über die beiden anderen Varianten des § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG oder über § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG erreicht werden. Gleiches gilt für das Ordnungswidrigkeitenverfahren: Ist ein Ermittlungsverfahren erst einmal eingeleitet worden, kommt die Variante der Nichteinleitung eines Verfahrens gemäß § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG nicht mehr in Betracht. Da ein Ermittlungsverfahren bereits dann als eingeleitet gilt, wenn die Verfolgungsbehörden erste Maßnahmen treffen, die erkennbar darauf abzielen, gegen jemanden wegen einer Ordnungswidrigkeit in einem Bußgeldverfahren vorzugehen,380 wird der Variante der Nichteinleitung eines Verfahrens im Ordnungswidrigkeitenrecht ebenfalls nur ein geringer Anwendungsbereich zugestanden.381 Dabei wird aber übersehen, dass auch hier die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 152 Abs. 2 StPO davon abhängt, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte auf einen ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verstoß hindeuten.382 Sind diese nicht gegeben, hat die Verfolgungsbehörde die Möglichkeit, von der Einleitung eines Verfahrens gegenüber einem Unternehmensmitarbeiter abzusehen und direkt gegen das Unternehmen im selbstständigen Verfahren nach § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG vorzugehen. Darüber hinaus findet das in § 47 Abs. 1 S. 1 OWiG statuierte Opportunitätsprinzip Anwendung, welches die Entscheidung der Behörde über die Einleitung eines Er-
378
Vgl. BVerfG, in: NJW 1984, 1451, 1452; BGH, in: NJW 1989, 96, 97; Keller/Griesbaum, in: NStZ 1990, 416, 417; LR StPO-Beulke, § 152 StPO, Rn. 28. 379 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 447; KK OWiGRogall, § 30 OWiG, Rn. 167; R/R/H-Förster, § 30 OWiG, Rn. 55. 380 Göhler, Vor § 59 OWiG, Rn. 27; KK OWiG-Lutz, Zweiter Teil. Dritter Abschnitt. Vorverfahren. Vorbemerkungen, Rn. 36. 381 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 166; vgl. auch: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 447. 382 KK OWiG-Lutz, Zweiter Teil. Dritter Abschnitt. Vorverfahren. Vorbemerkungen, Rn. 36; R/R/H-Hannich, Vor § 53 OWiG, Rn. 4.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
mittlungsverfahrens in ihr pflichtgemäßes Ermessen stellt.383 Selbst wenn demnach ein entsprechender Anfangsverdacht gegeben ist, muss die Verfolgungsbehörde – anders als im Strafverfahren – nicht zwingend ein Ermittlungsverfahren einleiten; vielmehr steht ihr infolge des Opportunitätsprinzips ein weiter Ermessensspielraum dahingehend zu, ob sie ein Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter einleitet oder § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG gegenüber dem Unternehmen anwendet. Dabei hat sie ihre Entscheidung auf sachliche Erwägungen, unter Beachtung des Willkürverbots und des Gleichheitsgrundsatzes, zu stützen.384 Darüber hinaus können aber auch Überlegungen wie die Geringfügigkeit des individuellen Vorwurfs, die Erreichbarkeit der Sanktionsziele nur mit einer Unternehmensgeldbuße oder die Unverhältnismäßigkeit des Aufklärungsaufwandes in die Entscheidung einbezogen werden.385 Schließlich ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter – wie auch im Strafverfahren – nicht vorzunehmen, wenn der Verfolgung tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegenstehen,386 wobei im letzteren Fall die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße im selbstständigen Verfahren wiederum gemäß § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG ausgeschlossen ist. Im Ergebnis gewinnt die Variante der Nichteinleitung eines Verfahrens in § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG daher wegen der fehlenden Verpflichtung der Verfolgungsbehörde, ein Bußgeldverfahren bei Vorliegen von zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten einleiten zu müssen, im Vergleich zum Strafverfahren an Bedeutung. bb) Einstellung des Verfahrens Die zweite Variante in § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG – die Einstellung des Verfahrens – war bereits in § 26 Abs. 4 S. 2 OWiG 1968 enthalten, wobei die Einstellungsvariante nach damaliger Gesetzeslage nur Opportunitätseinstellungen erfasste. So musste die Einstellung ausweislich des historischen Wortlauts aufgrund einer Vorschrift erfolgen, die eine Einstellung nach dem Ermessen der Verfolgungsbehörde oder des Gerichts zuließ.387 Unter die Einstellungsvariante konnten somit nur Einstellungen nach §§ 153 ff. StPO, § 398 AO und § 47 OWiG subsumiert werden.388 Auch heute wird noch vertreten, dass nur Opportunitätseinstellungen unter § 30 Abs. 4 S. 1
383
R/R/H-Hannich, § 47 OWiG, Rn. 1; Göhler, § 47 OWiG, Rn. 1; KK OWiG-Mitsch, § 47 OWiG, Rn. 2. 384 Göhler, § 47 OWiG, Rn. 7 ff. 385 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 165 f.; GJW-Niesler, § 30 OWiG, Rn. 78; R/R/HFörster, § 30 OWiG, Rn. 42, 55. 386 Göhler, Vor § 59 OWiG, Rn. 37; KK OWiG-Lutz, Dritter Abschnitt. Vorverfahren. Vorbemerkungen, Rn. 36. 387 § 26 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten vom 24. Mai 1968 (BGBl. I S. 481, 487 f.). 388 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 94; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 192 f.
A. Grundsätzliche Verfahrensausrichtung
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Var. 2 OWiG fallen.389 Dabei wird aber nicht berücksichtigt, dass der Gesetzgeber 1986 den Wortlaut von Absatz 4 änderte und sich nunmehr Regelungslücken ergeben, wollte man die Einstellungsvariante weiterhin nur auf Opportunitätseinstellungen beschränken: Zum einen wäre in Fällen, in denen nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Unternehmensmitarbeiter ein Verfahrenshindernis tatsächlicher Art auftritt, die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße – außer in den Fällen des § 82 S. 1 GWB und § 96 S. 1 EnWG – nicht mehr möglich.390 Verstirbt beispielsweise der Unternehmensmitarbeiter nach Verfahrenseinleitung, ist das Verfahren gegen ihn zwingend gemäß § 170 Abs. 2 StPO, gegebenenfalls in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG, beziehungsweise § 206a Abs. 1 StPO, gegebenenfalls in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG, einzustellen,391 so dass § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG nach der dargestellten Ansicht keine Anwendung findet. Ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen über § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG kommt nun aber auch nicht mehr in Betracht, da eine Verfahrenseinleitung bereits stattgefunden hat. Ein selbstständiges Verfahren wegen Absehens von Strafe durch rechtskräftiges Urteil nach § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG ist – mangels Urteils – ebenfalls nicht mehr möglich. Schließlich ist die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße im einheitlichen Verfahren ausgeschlossen, da kein Verfahren mehr existiert, an welchem das Unternehmen noch beteiligt werden könnte. Eine Geldbuße gegen das Unternehmen würde folglich allein deshalb nicht festgesetzt werden, weil der Unternehmensmitarbeiter – wie in diesem Beispiel – nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens gestorben ist.392 Dies ist jedoch kein ausreichender Grund, um eine Sanktionierung des Unternehmens – außer eben in den Fällen des § 82 S. 1 GWB und § 96 S. 1 EnWG – entfallen zu lassen.393 Zum anderen wird die Möglichkeit, eine anonyme Geldbuße gegenüber dem Unternehmen zu verhängen, eingeschränkt: In den Fällen der anonymen Geldbuße kommen mehrere Unternehmensmitarbeiter als Täter einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit in Betracht, ohne dass die Identität des Täters festgestellt werden
389 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 168; GJW-Niesler, § 30 OWiG, Rn. 76; Bohnert, § 30 OWiG, Rn. 63; BeckOK OWiG-Meyberg, § 30 OWiG, Rn. 132. 390 Bei Vorliegen eines Verfahrenshindernisses rechtlicher Art wäre die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße bereits über § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG ausgeschlossen. 391 BGHSt 45, 108, 113 f.; KK StPO-Moldenhauer, § 170 StPO, Rn. 15; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 206a StPO, Rn. 8. 392 Nach der alten Rechtslage hatte sich dieses Problem hingegen nicht gestellt: Da Tod, Verhandlungsunfähigkeit und dauerhafte Abwesenheit als tatsächliche Verfahrenshindernisse im Sinne des § 26 Abs. 4 S. 1 OWiG 1968 gewertet wurden, konnte das selbstständige Verfahren über diese Vorschrift durchgeführt werden; vgl. Müller, Stellung der juristischen Person, S. 91 f.; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 187 ff. 393 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 448; vgl. auch: PohlSichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 190.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
kann.394 Hier muss das Verfahren, sofern es schon eingeleitet worden ist, mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO, gegebenenfalls in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG, eingestellt werden.395 Steht aber fest, dass jeder der Unternehmensmitarbeiter, wäre er Täter, schuldhaft beziehungsweise vorwerfbar die Tat verwirklicht hätte, kann gegenüber dem Unternehmen eine sogenannte anonyme Geldbuße festgesetzt werden.396 Beschränkt man die Einstellungsvariante allerdings auf Einstellungen infolge von Ermessensentscheidungen, kann eine anonyme Geldbuße nur verhangen werden, wenn ein Verfahren gemäß § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG nicht eingeleitet wurde oder § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG greift. Da aber in den beschriebenen Fallkonstellationen in der Regel hinreichend Beweise für eine Anknüpfungstat und eine Unternehmensverantwortlichkeit vorliegen und nur der Täter nicht zweifelsfrei identifiziert werden kann, besteht kein sachlicher Grund, die Festsetzung einer anonymen Unternehmensgeldbuße nach Einstellung des Individualverfahrens nicht über § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG zuzulassen.397 Die Ansicht, welche von der Einstellungsvariante nur Opportunitätseinstellungen erfasst sieht, ist daher insgesamt zu eng.398 Vielmehr ist gegen das Unternehmen bei einer Einstellung aufgrund zwingender Vorschriften ebenfalls in einem selbstständigen Verfahren über die zweite Variante in § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG vorzugehen, was nach dem 1986 neu gefassten Wortlaut auch zulässig ist. Im Hinblick auf die Opportunitätseinstellungen ist insbesondere bezüglich der §§ 153 ff. StPO nicht abschließend geklärt, welche Einstellungsgründe im Einzelnen die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens gegen das Unternehmen ermöglichen. So ist es beispielsweise umstritten, ob nach einer Einstellung unter Auflagen gemäß § 153a StPO gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter noch ein
394 OLG Hamm, in: wistra 2000, 393, 394; Müller-Gugenberger-Niemeyer, § 21, Rn. 118; Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 22 f.; NK OWiG-Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG, Rn. 58. 395 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 448. 396 Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 22; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 183; Göhler, § 30 OWiG, Rn. 40; R/R/H-Förster, § 30 OWiG, Rn. 52. 397 Dass in diesen Fällen ein selbstständiges Verfahren über die Einstellungsvariante durchgeführt werden kann, wurde auch schon von Pohl-Sichtermann so gesehen, wobei dies wiederum insoweit widersprüchlich ist, als nach dem Wortlaut von § 26 Abs. 4 S. 2 OWiG die Einstellungsvariante auf Opportunitätseinstellungen beschränkt war; vgl. Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 193 f. Konsequenter ist hier Müller, der die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens nach einer Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO ausschließt. Allerdings begründet er dies zu Unrecht damit, dass es in diesen Fällen offen bliebe, ob die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 OWiG vorlägen. Das mag zwar teilweise stimmen, kann aber nicht pauschal angenommen werden, da eben gerade in den Fällen der anonymen Unternehmensgeldbuße eine Anknüpfungstat gegeben sein wird und nur der individuelle Täter nicht ermittelt werden kann; vgl. Müller, Stellung der juristischen Person, Fn. 40 auf S. 94. 398 So auch: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 448; vgl. auch: Cordes/Reichling, in: NJW 2016, 3209, 3212.
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selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen zuzulassen ist.399 Zum Teil wird auch vertreten, dass nach einer Einstellung gemäß §§ 154, 154a StPO ein selbstständiges Verfahren nicht mehr in Betracht komme.400 Ausgangspunkt ist dabei die Frage, ob durch die Einstellung des Verfahrens gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter auch das Interesse an der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße beseitigt wird.401 Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn durch den Unternehmensmitarbeiter eine Schadenswiedergutmachung erfolgt ist und das Verfahren daher gemäß § 153b StPO in Verbindung mit § 46a StGB eingestellt wurde. Herrscht in dem Unternehmen aber beispielsweise eine Kultur vor, durch welche die Begehung von Rechtsverstößen durch die Mitarbeiter begünstigt wird, muss das Interesse an der Sanktionierung des Unternehmens nicht entfallen, nur weil gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter aufgrund individueller Umstände eine Einstellung erfolgt. Zu Recht wird deshalb darauf hingewiesen, dass das Vorgehen gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter einerseits und gegenüber dem Unternehmen andererseits jeweils eigenständig zu beurteilen ist.402 Die Gründe für die Verfahrenseinstellung gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter, wie in dem Beispiel die Wiedergutmachung des Schadens, sind daher auch erst bei der behördlichen Entscheidung über die Verfolgung des Unternehmens im Rahmen von § 47 OWiG zu berücksichtigen.403 Hinsichtlich der grundsätzlichen Frage aber, bei welchen Einstellungsvorschriften ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen möglich sein soll, ist einzelfallbezogen darauf abzustellen, ob die Gründe für die Einstellung individuell in der Person des Unternehmensmitarbeiters liegen oder ob sie auf den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen gleichermaßen zutreffen.404 Im letzteren Fall wird die Möglichkeit zur Durchführung eines selbstständigen Verfahrens gegen das Unternehmen wohl eher zu verneinen sein.405
399 Bejahend: Müller-Gugenberger-Niemeyer, § 21, Rn. 113; GJW-Niesler, § 30 OWiG, Rn. 76; Cordes/Reichling, in: NJW 2016, 3209, 3211. Für diese Auffassung spricht auch die interne Verwaltungsvorschrift Nr. 180a Abs. 3 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), die eine Regelung enthält, nach der auch Einstellungen gemäß § 153a StPO von den Fällen des § 30 Abs. 4 OWiG erfasst sind. Ablehnend: Eidam, Unternehmen und Strafe, S. 233; KK OWiG-Cramer, 1. Auflage, § 30 OWiG, Rn. 151. 400 So etwa von: KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 172; Cordes/Reichling, in: NJW 2016, 3209, 3211 f.; Müller-Gugenberger-Niemeyer, § 21, Rn. 113; anders: LG München I, Beschluss vom 04. 10. 2007 – 5 KLs 563 Js 45994/07, Openjur, Rn. 28. 401 Vgl. KK OWiG-Cramer, 1. Auflage, § 30 OWiG, Rn. 151; R/R/H-Förster, § 30 OWiG, Rn. 56. 402 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 449. 403 Vgl. KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 170; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 449 f. 404 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 450 f. 405 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 451.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
cc) Absehen von Strafe Die letzte Variante des § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG findet Anwendung, wenn in dem gerichtlichen Strafverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter ein Urteil ergeht, in dem das Gericht von einer Strafe gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter absieht.406 Schon § 26 Abs. 4 S. 2 OWiG 1968 eröffnete in diesen Fällen die Möglichkeit zur Durchführung eines selbstständigen Verfahrens gegenüber dem Unternehmen.407 Dies ist wiederum vor dem Hintergrund sachgerecht, dass die Gründe, die zu einem Absehen von Strafe gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter führen, nicht zwangsläufig auch das Interesse an einer Unternehmenssanktionierung beseitigen.408 Es ist allerdings strittig, ob § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG nur greift, wenn das Unternehmen zuvor an dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter beteiligt war, mithin zunächst ein einheitliches Verfahren durchgeführt wurde.409 Die bejahende Ansicht erscheint mit Blick auf § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG nicht ganz fernliegend: Danach ist die selbstständige Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße ausgeschlossen, wenn rechtliche Verfolgungshindernisse gegeben sind. Zu diesen zählt auch die rechtskräftige Entscheidung über die Tat.410 Ein Urteil, in dem zwar von einer Strafe gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter abgesehen wird, aber in dem dennoch über die Tat entschieden wird, stünde einem im Anschluss gegen das Unternehmen eingeleiteten Verfahren somit entgegen. Dem Wortlaut von § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG kann allerdings nicht entnommen werden, dass die Beteiligung des Unternehmens an dem Strafverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter Voraussetzung ist, um die Unternehmensgeldbuße über die dritte Variante selbstständig festsetzen zu können.411 Es stellt sich zudem die Frage, warum überhaupt noch ein selbstständiges Verfahren gegenüber dem Unternehmen nötig sein soll, wenn dieses zuvor bereits an dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter beteiligt wurde. Vielmehr böte es sich in einem solchen Fall an, in dem strafabsehenden Urteil gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter zugleich die Unternehmensgeldbuße festzusetzen. Ein selbstständiges Verfahren müsste dann nicht mehr durchgeführt werden.412 Damit § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG ein sinnvoller Anwendungsbereich zukommt, muss deshalb davon ausgegangen werden, dass diese Variante gerade dann 406
KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 174; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 451. 407 § 26 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten vom 24. Mai 1968 (BGBl. I S. 481, 487 f.). 408 Vgl. Müller, Stellung der juristischen Person, S. 94. 409 Bejahend: KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 174; Cordes/Reichling, in: NJW 2016, 3209, 3212. Ablehnend: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 451. 410 Siehe: Kapitel 2, A. II. 1. c). 411 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 451. 412 So auch schon: Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 192.
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Anwendung finden soll, wenn das Unternehmen an dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter nicht beteiligt wurde. § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG ist somit als Ausnahme von § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG zu verstehen, da in diesem Fall auch noch nach einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung ein selbstständiges Verfahren durchgeführt werden kann.413 Ob die Verfolgungsbehörden in der Praxis allerdings tatsächlich erst das Urteil gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter abwarten werden, in welchem dann auch von Strafe abgesehen werden muss, um erst im Anschluss das fortbestehende (und sich vermutlich im Vorfeld abzeichnende) Sanktionsinteresse gegenüber dem Unternehmen durchzusetzen, darf bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist es, dass das Unternehmen entweder direkt am Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter beteiligt wird und ein einheitliches Urteil ergeht oder die Verfolgungsbehörden über die anderen beiden Varianten des § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen einleiten werden.414 b) Weitere Fälle des selbstständigen Verfahrens gemäß § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG Den bisherigen Ausführungen ist zu entnehmen, dass es in Bezug auf die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße hauptsächlich zwei Verfahrenskategorien gibt: das einheitliche Verfahren und das selbstständige Verfahren. § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG ändert daran zunächst nichts, sondern knüpft an die Kategorie des selbstständigen Verfahrens an, indem er vorsieht, dass die Geldbuße auch in weiteren Fällen selbstständig festgesetzt werden kann, wenn eine gesetzliche Vorschrift dies anordnet. Durch den Passus „auch in weiteren Fällen“ wird deutlich, dass über Satz 1 hinausgehend der Anwendungsbereich des selbstständigen Bußgeldverfahrens erweitert wird.415 § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG wurde erst 1997 durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption eingefügt, wobei der ursprüngliche Gesetzesentwurf der Fraktionen CDU/CSU und FDP noch keine Änderung des § 30 OWiG vorgesehen hatte.416 Erst der Rechtsausschuss hatte im laufenden Gesetzgebungsverfahren den Vorschlag unterbreitet, in § 30 Abs. 4 OWiG einen neuen Satz 2 einzufügen.417 Dabei ging es 413
Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 451, insbesondere Fn. 31 auf S. 451. 414 Liegen die Voraussetzungen, unter denen das Gericht von Strafe absehen kann, beispielsweise schon im Ermittlungsverfahren vor, kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter mit Zustimmung des Gerichts gemäß § 153b Abs. 1 StPO einstellen, so dass im Hinblick auf die Verfolgung des Unternehmens § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG Anwendung fände. 415 Die Gesetzesmaterialien sprechen insoweit von einer „Ausdehnung des selb[st]ständigen Bußgeldverfahrens über die Fälle des § 30 Abs. 4 OWiG hinaus“; vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/8079, S. 17. 416 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption, BT-Drs. 13/5584. 417 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/8079, S. 7.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
ihm allerdings nicht originär um eine Erweiterung der Möglichkeit, eine Unternehmensgeldbuße in einem selbstständigen Verfahren festzusetzen. Vielmehr handelte es sich bei dem vorgeschlagenen Satz 2 um eine klarstellende Folgeänderung, die durch eine neu geschaffene – ebenfalls vom Rechtsausschuss vorgeschlagene – Zuständigkeitsregelung in § 81a GWB 1997 bedingt worden war.418 Beide Änderungsempfehlungen des Rechtsausschusses sind letztlich in den Gesetzgebungsvorschlag aufgenommen und umgesetzt worden.419 § 82 GWB – vormals § 81a GWB 1997 – sieht in Satz 1 vor, dass die Kartellbehörde für Verfahren wegen der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße in den Fällen ausschließlich zuständig ist, denen entweder eine Straftat zugrunde liegt, die auch den Tatbestand des § 81 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 GWB verwirklicht, oder denen eine Ordnungswidrigkeit nach § 130 OWiG zugrunde liegt, bei der eine mit Strafe bedrohte Pflichtverletzung auch den Tatbestand des § 81 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 GWB erfüllt.420 Diese Zuständigkeitszuweisung an die Kartellbehörde ermöglicht es ihr, bei Vorliegen einer entsprechenden Anknüpfungstat unabhängig von dem Strafverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter selbstständig gegen das Unternehmen zu ermitteln und eine Geldbuße festzusetzen. Erforderlich wurde diese Regelung durch die schon von der Bundesregierung vorgeschlagene Einführung des § 298 StGB.421 Gemäß § 298 StGB werden Submissionsabsprachen unter Strafe gestellt, die vor 1997 lediglich Kartellordnungswidrigkeiten darstellten und daher von den Kartellbehörden sowohl im Hinblick auf den Unternehmensmitarbeiter als auch hinsichtlich des Unternehmens verfolgt wurden.422 Durch die Hochstufung zu einer Straftat waren nunmehr aber die Strafverfolgungsbehörden zur Aufklärung und Ahndung berufen, weshalb die Erfahrungen und das Wissen der Kartellbehörden bezüglich der Verfolgung solcher Taten verloren zu gehen drohten.423 Der Rechtsausschuss schlug daher die Regelung in § 81a S. 1 GWB 1997 vor, um „die Sachkunde und Erfahrung der Kartellbehörden bei der Verfolgung von kartellrechtswidrigen Absprachen bei Ausschreibungen auch nach der Hochstufung der bisherigen Ordnungswidrigkeit zu 418
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/8079, S. 16 f. 184. Sitzung des Deutschen Bundestages, Plenarprotokoll 13/184, S. 16655 (C), (D). 420 § 81a GWB 1997 wurde durch die 6. GWB-Novelle ein Jahr nach seinem Erlass zu § 82 GWB. Die alte Regelung in § 81a GWB 1997 verwies noch auf den Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 38 Abs. 1 Nr. 1 oder 8 GWB 1997. Dieser wurde – ebenso wie § 39 Abs. 1 GWB 1997 – ebenfalls durch die 6. GWB-Novelle 1998 in § 81 GWB zusammengefasst und zum Teil neu formuliert; vgl. zu den Änderungen durch die 6. GWB-Novelle in Bezug auf die genannten Vorschriften die Begründung zu § 81 GWB und § 82 GWB des Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BTDrs. 13/9720, S. 68. 421 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/8079, S. 16 f.; MüKo Kartellrecht-Vollmer, § 82 GWB, Rn. 2; Immenga/Mestmäcker/Körber-Dannecker/ Biermann, § 82 GWB, Rn. 3 f. 422 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/8079, S. 17. 423 Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption, BTDrs. 13/5584, S. 9; Immenga/Mestmäcker/Körber-Dannecker/Biermann, § 82 GWB, Rn. 4; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Meyer-Lindemann, § 82 GWB, Rn. 1. 419
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einer Straftat umfassend nutzen zu können“424. Die Möglichkeit zur Durchführung eines selbstständigen Verfahrens gegenüber dem Unternehmen durch die Kartellbehörden wurde daher für die genannten Fälle ausgebaut. Darüber hinaus wird durch die Zuständigkeitsregelung in § 82 S. 1 GWB aber auch die Möglichkeit eröffnet, gegen das Unternehmen einerseits und gegen den Unternehmensmitarbeiter andererseits durch unterschiedliche Behörden in unterschiedlichen – das heißt: auch parallel laufenden – Verfahren vorzugehen, was im Ergebnis zu einer dritten Verfahrenskategorie führt: die des getrennten Verfahrens. Die Kartellbehörde kann zwar das Verfahren gegen das Unternehmen gemäß § 82 S. 2 GWB an die Staatsanwaltschaft abgeben, jedoch ist sie hierzu nicht verpflichtet.425 Die in § 41 Abs. 1 OWiG statuierte Pflicht, ein Verfahren gegen einen Individualtäter bei Vorliegen von Anhaltspunkten für eine Straftat an die Staatsanwaltschaft abgeben zu müssen, wird hingegen von § 82 GWB nicht berührt.426 Die Zuständigkeitsregelung in § 82 S. 1 GWB kann somit zu einem getrennten Verfahren führen, wenn die Staatsanwaltschaft unter dem Gesichtspunkt der Straftat gegen das Individuum ermittelt, aber die Kartellbehörde für die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße ausschließlich zuständig bleibt.427 Die durch § 82 S. 1 GWB ermöglichte Verfahrensaufspaltung wird in der Literatur unterschiedlich bewertet. Zum Teil werden Bedenken im Hinblick auf Doppelermittlungen, die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen und die unter Umständen schwierige Abstimmung der festzusetzenden Sanktionen erhoben.428 Zudem wird vertreten, dass die Aufspaltung der Ahndungskompetenz gegen die aus §§ 155 Abs. 2, 264 StPO folgende Verpflichtung des Strafgerichts zur allseitigen Kognition verstoße und den Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung aus Art. 103 Abs. 3 GG verletze.429 Dem letzten Einwand liegt der Gedanke zugrunde, dass die Unternehmensgeldbuße lediglich Rechtsfolge der Anknüpfungstat sei, weshalb die Kartellbehörden – um eine Geldbuße gegen das Unternehmen selbstständig festsetzen zu können – zwingend Feststellungen bezüglich der Anknüpfungstat des Unternehmensmitarbeiters treffen müssten, was letztlich zu dessen Einbeziehung in das Verfahren gegen das Unternehmen führe.430 Dabei wird aber übersehen, dass die Festsetzung 424
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/8079, S. 17. Immenga/Mestmäcker/Körber-Dannecker/Biermann, § 82 GWB, Rn. 7; MüKo Kartellrecht-Vollmer, § 82 GWB, Rn. 18. 426 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 175; Immenga/Mestmäcker/Körber-Dannecker/ Biermann, § 82 GWB, Rn. 17; Göhler, § 30 OWiG, Rn. 34. 427 MüKo Kartellrecht-Vollmer, § 82 GWB, Rn. 3; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 175. 428 Göhler, § 30 OWiG, Rn. 34a; R/R/H-Förster, § 30 OWiG, Rn. 40a; König, in: JR 1997, 397, 403; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Meyer-Lindemann, § 82 GWB, Rn. 6. 429 Achenbach, in: wistra 1998, 168, 171 f.; ders., in: NJW 2001, 2232, 2233; Göhler, § 30 OWiG, Rn. 34a; Wegner, in: wistra 2000, 361, 367. 430 Achenbach, in: wistra 1998, 168, 172; ders., in: NJW 2001, 2232, 2233. 425
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
einer Unternehmensgeldbuße neben dem Vorliegen einer Anknüpfungstat noch weitere, eigenständige Elemente beinhaltet, die durch die Kartellbehörden ermittelt werden müssen. Die Anknüpfungstat, die der Unternehmensmitarbeiter begangen hat, sowie deren Ahndung einerseits und die Unternehmensgeldbuße andererseits sind somit nicht identisch.431 Vielmehr betreffen die Verfahren und Sanktionsentscheidungen verschiedenartige Vorwürfe und richten sich darüber hinaus gegen rechtlich unterschiedliche Personen.432 Aus den gleichen Gründen ist auch die Kognitionspflicht des Strafgerichts nicht verletzt: Es handelt sich bei dem Lebenssachverhalt bezüglich des Unternehmens und bei dem Lebenssachverhalt bezüglich des Unternehmensmitarbeiters um jeweils eine prozessuale Tat für rechtlich verschiedene Personen.433 Unter die strafgerichtliche Kognitionspflicht fällt daher nur der auf den Unternehmensmitarbeiter bezogene Lebenssachverhalt, weil dieser allein Gegenstand des gegen den Unternehmensmitarbeiter gerichteten Strafverfahrens wird. Die Verpflichtung des Gerichts, die ihm zur Beurteilung vorgelegte Individualtat unter allen relevanten Gesichtspunkten – also auch im Hinblick auf die Rechtsfolgenseite der Tat – umfassend zu würdigen, schließt ebenso nicht die Beurteilung der Unternehmensgeldbuße ein. Denn die Unternehmensgeldbuße ist gerade nicht eine bloße Rechtsfolge der Anknüpfungstat, sondern eine eigenständige Sanktion. Im Gegensatz zu den Bedenken hinsichtlich der Kognitionspflicht und Art. 103 Abs. 3 GG sind die praktischen Einwände, die gegen die Aufspaltung des Verfahrens vorgebracht werden, schwerer von der Hand zu weisen. Denn die Tat des Unternehmensmitarbeiters ist eine grundlegende Voraussetzung für die Sanktionierung des Unternehmens nach § 30 OWiG, so dass eine verfahrensrechtliche Verbindung zur Vermeidung von sich widersprechenden Entscheidungen oder zur leichteren Abstimmung der Sanktionen sinnvoll sein kann. Allerdings ist die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen kein spezifisches Problem des § 30 OWiG, sondern stellt sich stets, wenn eine Sanktion an eine andere Tat anknüpft, wie etwa die Bestrafung nach § 259 StGB an das Vorliegen einer Vortat.434 In diesem Fall erfolgt eine erneute, und daher unter Umständen abweichende Bewertung der Vortat durch das Strafgericht, welches über die Strafbarkeit des der Hehlerei beschuldigten Angeklagten urteilt.435 Im Übrigen sind unabhängig von der Regelung des § 30 Abs. 4 S. 2 431
Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 452. Dölling, in: ZStW 112 (2000), 334, 350; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 452; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Meyer-Lindemann, § 82 GWB, Rn. 8. 433 MüKo Kartellrecht-Vollmer, § 82 GWB, Rn. 13; Immenga/Mestmäcker/Körber-Dannecker/Biermann, § 82 GWB, Rn. 12; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 452. 434 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 453. 435 LK StGB-Walter, § 259 StGB, Rn. 13; Schönke/Schröder-Stree/Hecker, § 259 StGB, Rn. 11; NK StGB-Altenhain, § 259 StGB, Rn. 11; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Jahn, § 259 StGB, Rn. 10. 432
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OWiG in Verbindung mit § 82 GWB sich widersprechende Entscheidungen möglich, wenn das Unternehmen und der Unternehmensmitarbeiter im einheitlichen Verfahren unterschiedlich gegen eine gerichtliche Entscheidung oder einen Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde vorgehen.436 Auch der behördliche Austausch zur Vermeidung von Doppelermittlungen und abweichenden Entscheidungen sowie die Berücksichtigung einer bereits verhängten Sanktion gegen das Unternehmen oder gegen den Unternehmensmitarbeiter sind in einem getrennten Verfahren möglich;437 Nr. 242 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) hält die Behörden gerade aus diesen Gründen zur Zusammenarbeit und Abstimmung an. Den kooperativen Ansatz hat der Gesetzgeber zuletzt 2017 gestärkt, indem er die Behörden in dem neu eingefügten § 82 S. 3 GWB auffordert, sich gegenseitig frühzeitig über geplante Ermittlungsschritte mit Außenwirkung zu unterrichten.438 Schließlich lassen sich prozessökonomische Gründe ebenso für eine getrennte Verfahrensführung anführen. So kann die Beweisaufnahme in dem Verfahren gegen das Unternehmen deutlich umfangreicher sein als in dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter und folglich für diesen in einem einheitlichen Verfahren zu einer Verfahrensverzögerung führen.439 Die vorgebrachten Einwände gegen die Regelung in § 82 S. 1 GWB verlieren daher an Gewicht. Auch der Gesetzgeber hat die in der Literatur vorgebrachten Bedenken als nicht durchgreifend bewertet und 2005 die Möglichkeit des § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG erneut genutzt, um ein selbstständiges Bußgeldverfahren gegen Unternehmen in einem weiteren Fall zu ermöglichen: Gemäß § 96 S. 1 EnWG kann die Regulierungsbehörde als ausschließlich zuständige Behörde eine Unternehmensgeldbuße selbstständig festsetzen, wenn eine Straftat gegeben ist, die auch den Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 4 EnWG verwirklicht, oder eine Ordnungswidrigkeit nach § 130 OWiG vorliegt, bei der eine mit Strafe bedrohte Pflichtverletzung auch den Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 4 EnWG erfüllt. Diese Zuständigkeitsregelung führt ebenso wie § 82 S. 1 GWB zu einem getrennten Verfahren, wenn die Regulierungsbehörde in den genannten Fällen für die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße zuständig bleibt, während die Staatsanwaltschaft gegen den Unternehmensmitarbeiter wegen Missbrauchs einer Marktstellung vorgeht.440 In den Gesetzesmaterialien zu § 96 EnWG stellte der Gesetzgeber nunmehr klar, dass die Geldbuße gegen das Unternehmen auch dann festgesetzt werden kann, wenn die Individualtat gegen den Unternehmensmitarbeiter aus rechtlichen Gründen nicht 436 R/R/H-Förster, § 30 OWiG, Rn. 40b; vgl. auch: BGH, in: wistra 1991, 30, 31; KG Berlin, in: NJW-RR 1987, 637, 638. 437 Immenga/Mestmäcker/Körber-Dannecker/Biermann, § 82 GWB, Rn. 15; Bangard, in: wistra 1997, 161, 171; MüKo Kartellrecht-Vollmer, § 82 GWB, Rn. 16. 438 Die Änderung erfolgte durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 01. Juni 2017 (BGBl. I S. 1416). 439 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 445. 440 Britz/Hellermann/Hermes-Hölscher, § 96 EnWG, Rn. 8; Danner/Theobald-Theobald/ Werk, § 96 EnWG, Rn. 1 f.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
verfolgt werden kann.441 Die über § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG geregelten Fälle eines selbstständigen Verfahrens in § 96 EnWG und § 82 GWB442 sind daher wie § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG als Ausnahme zu § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG zu verstehen. Wird das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter zum Beispiel früher als das Verfahren gegen das Unternehmen durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschlossen, ist entgegen § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG die selbstständige Festsetzung der Unternehmensgeldbuße nicht ausgeschlossen. Dies ist überzeugend, denn nur so können die prozesswirtschaftlichen Vorteile eines getrennten Verfahrens, wie etwa ein – aufgrund des geringeren Umfangs der Beweisaufnahme – schneller durchgeführtes und abgeschlossenes Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter, genutzt werden. c) Ausschluss des selbstständigen Verfahrens gemäß § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG Der letzte Satz in § 30 Abs. 4 OWiG beschreibt schließlich, wann ein selbstständiges Verfahren nicht durchgeführt werden darf: Ein solches ist ausgeschlossen, wenn die Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus rechtlichen Gründen nicht verfolgt werden kann. Welche Verfolgungshindernisse im Einzelnen unter den Begriff der rechtlichen Gründe fallen, ist nicht abschließend geklärt; der Gesetzgeber nannte 1986 bei der Einführung der Regelung lediglich die Verjährung und die Amnestie als Beispielsgründe für einen Ausschluss des selbstständigen Verfahrens.443 Die Literatur hat sich dieser Vorgehensweise weitgehend angeschlossen und teilt verschiedene Fälle wahlweise den rechtlichen oder den tatsächlichen Verfolgungshindernissen zu, ohne jedoch eine allgemeingültige Formel entwickelt zu haben, nach der eine Zuordnung vorgenommen werden kann.444 Einigkeit besteht dahingehend, dass der Tod der natürlichen Person, deren Verhandlungsunfähigkeit oder dauerhafte Abwesenheit tatsächliche Gründe sind, die eine Verfolgung hindern können, während die Verjährung ein rechtliches Verfolgungshindernis im Sinne des § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG darstellt und daher die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens
441
Begründung zu § 96 EnWG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, BT-Drs. 15/3917, S. 74; vgl. auch: Danner/Theobald-Theobald/ Werk, § 96 EnWG, Rn. 2. 442 § 96 EnWG und § 82 GWB sind als strukturgleiche Normen mit identischem Regelungsinhalt ausgestaltet. Wortlaut, Systematik und auch den Gesetzesmaterialien kann nicht entnommen werden, dass Unterschiede zwischen den Vorschriften bestehen. Daher ist eine Gleichbehandlung geboten. 443 Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 41. 444 So etwa: KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 190; R/R/H-Förster, § 30 OWiG, Rn. 55, 58; GJW-Niesler, § 30 OWiG, Rn. 82 f.; Göhler, § 30 OWiG, Rn. 42.
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sperrt.445 Auch Immunität, Exterritorialität, das Fehlen eines Strafantrages, Amnestie oder die rechtskräftige Entscheidung über die Individualtat werden zu den rechtlichen Gründen gezählt.446 Einen überzeugenden Abgrenzungsansatz hat aber bislang allein447 Engelhart entwickelt, der zwischen tatbezogenen und täterbezogenen Faktoren differenziert: Steht das Hindernis im Zusammenhang mit der zuzurechnenden Tat oder der Unternehmensverantwortlichkeit, liegt ein rechtlicher Grund vor, der zur Anwendung des § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG führt; ist das Hindernis aber durch die Person des Täters begründet, kann ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen noch durchgeführt werden.448 Für diese Überlegung spricht, dass die dogmatische Konstruktion des § 30 OWiG vorrangig auf der Zurechnung einer Individualtat beruht. Dabei werden dem Unternehmen aber nur solche Taten zugerechnet, die durch eine besondere Unternehmensverantwortlichkeit bedingt worden sind. Das Handeln eines bestimmten Unternehmensmitarbeiters ist dabei lediglich ein Teilelement dieser Unternehmensverantwortlichkeit.449 Entscheidend ist deshalb in erster Linie nicht die Anknüpfung an den Täter, sondern das Vorliegen einer zurechenbaren Tat und einer spezifischen Unternehmensverantwortlichkeit.450 Diese Kombination aus Individualtatzurechnung und Unternehmensverantwortlichkeit bildet den dogmatischen Ausgangspunkt von § 30 OWiG und ist der Grund, warum das Unternehmen sanktioniert werden kann. Bestehen nun Hindernisse im Hinblick auf die zuzurechnende Tat oder die Unternehmensverantwortlichkeit, entfällt die Sanktionsgrundlage für § 30 OWiG. Es ist daher gerechtfertigt, in diesen Fällen ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen nicht mehr zuzulassen. Vor diesem Hintergrund ist die Einteilung der Faktoren Tod, Verhandlungsunfähigkeit und Abwesenheit als nicht-rechtliche Verfolgungshindernisse richtig, da es sich bei diesen um täterbezogene Umstände handelt, die unabhängig von der ausgeführten Anknüpfungstat oder der Verantwortlichkeit des Unternehmens sind.451 445
Vgl. Fn. 444. Eine abweichende Einteilung erfolgt durch Engelhart im Hinblick auf Immunität und Exterritorialität; vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 455. 447 Die Abgrenzungsformel von Pohl-Sichtermann bezieht sich noch auf die Rechtslage vor 1986, nach der ein selbstständiges Verfahren nur durchgeführt wurde, wenn wegen der Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus tatsächlichen Gründen keine bestimmte Person verfolgt werden konnte. Der Begriff der tatsächlichen Gründe wurde dabei aus dem Gegensatz zu den rechtlichen Gründen entwickelt; vgl. Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 184, 189 ff. Das von Brender nach 1986 entwickelte Abgrenzungskriterium soll wiederum nur de lege ferenda gelten; vgl. Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 139 ff. 448 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 454; so auch ansatzweise schon: Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 187; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 139. 449 Vgl. zur dogmatischen Konstruktion des § 30 OWiG: Kapitel 1, C. III. 3. b). 450 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 454. 451 So auch schon: Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 187; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 139 f.; vgl. auch: BGHSt 58, 158, 168 f. 446
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
Auch Immunität und Exterritorialität betreffen lediglich die Person des Unternehmensmitarbeiters und hindern daher nicht die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens gegen das Unternehmen.452 Bei einer Amnestie ist hingegen eine einzelfallbezogene Betrachtung erforderlich, die zu einer unterschiedlichen Einordnung führen kann: Je nachdem, ob sich die Amnestie auf die Tat selbst oder auf den Unternehmensmitarbeiter oder auch auf das Unternehmen bezieht, kommt § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG zur Anwendung und sperrt die selbstständige Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße.453 Im Gegensatz dazu muss sich ein Strafantrag stets auf eine bestimmte Tat beziehen, während der Täter auch unbekannt sein kann.454 Sein Fehlen stellt daher ein rechtliches Verfolgungshindernis da. Ein weiterer rechtlicher Grund im Sinne des § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG ist die rechtskräftige Entscheidung über die Individualtat. Hierbei erfolgt zwar auch eine Verurteilung des Individualtäters und damit eine Entscheidung über ihn, doch ist abgeurteilter Verfahrensgegenstand die prozessuale Tat selbst.455 Ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen kommt daher nicht mehr in Betracht, es sei denn, § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG ist einschlägig oder eine Ausnahme, wie sie über § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG möglich ist, liegt vor.456 Die Verjährung ist schließlich ebenfalls in die Kategorie der rechtlichen Verfolgungshindernisse einzuordnen, da es die Tat ist, die verjährt. Ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen kann daher nicht mehr durchgeführt werden, wenn die Individualtat noch vor Einleitung des Unternehmensbußgeldverfahrens verjährt ist.457 Wurde allerdings bereits ein Verfahren gegen das Unternehmen eingeleitet, richtet sich die Verjährung des § 30 OWiG ausnahmsweise nicht nach der Verjährung der Individualtat. § 33 Abs. 1 S. 2 OWiG bestimmt für diese Fälle vielmehr, dass die Verjährung für das selbstständige Verfahren durch dessen Einleitung unterbrochen wird. Die Individualtat wird davon wiederum nicht berührt und kann nach Einleitung des Verfahrens gegen das Unternehmen verjähren, während die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße dennoch möglich bleibt.458 Auf diese Ausnahme verweist § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG ausdrücklich.
452
So auch schon: Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 140. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 455. 454 Meyer-Goßner/Schmitt, § 158 StPO, Rn. 4; KK StPO-Griesbaum, § 158 StPO, Rn. 47. 455 BeckOK StPO-Eschelbach, § 264 StPO, Vorbemerkung; Meyer-Goßner/Schmitt, § 264 StPO, Rn. 1, 7. 456 Siehe: Kapitel 2, A. II. 1. a) cc) und Kapitel 2, A. II. 1. b). Diese Ausnahmen übersieht Engelhart, wenn er von einer Hinderung des selbstständigen Verfahrens „insbesondere“ wegen einer rechtskräftigen Entscheidung über die Individualtat ausgeht, obwohl er selbst zumindest § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG als Ausnahme zu § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG anerkennt; vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 455 f. 457 OLG Frankfurt, in: NStZ 1992, 193; OLG Dresden, in: NStZ 1997, 348, 349. 458 OLG Dresden, in: NStZ 1997, 348, 349; R/R/H-Förster, § 30 OWiG, Rn. 58; Göhler, § 30 OWiG, Rn. 42. 453
A. Grundsätzliche Verfahrensausrichtung
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2. Das Verhältnis der Verfahrensarten zueinander Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass es sich bei § 30 Abs. 4 OWiG um eine komplexe Regelung des selbstständigen Verfahrens handelt, die dadurch erschwert wird, dass im Rahmen des selbstständigen Verfahrens indirekt das getrennte Verfahren normiert ist. Im Gegensatz dazu ist das einheitliche Verfahren in § 30 OWiG nicht erwähnt, so dass es im Hinblick auf das „Ob“ seiner Durchführung an Voraussetzungen fehlt. Aus dieser Systematik wird in der Literatur – teilweise im Umkehrschluss – auf verschiedene Regelfall- und Ausnahmekonstellationen geschlossen, in welchen die drei Verfahrensarten zueinander stehen sollen. Zum einen soll der Regelung in § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG, wonach die selbstständige Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nur unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig sei, entnommen werden können, dass die Unternehmensgeldbuße grundsätzlich in einem einheitlichen Verfahren zu verhängen sei.459 Zum anderen soll sich im Umkehrschluss ebenfalls aus § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG ergeben, dass die Durchführung eines getrennten Verfahrens im Grundsatz unzulässig sei.460 Kritisch erscheint dabei, dass der Blick zu sehr auf die Regelung in § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG und die gesetzestechnische Ausgestaltung des Verfahrensrechts in § 30 OWiG verengt wird. Um das einheitliche, selbstständige und getrennte Verfahren jedoch in das richtige Verhältnis zueinander zu setzen, bedarf es sowohl einer umfassenden Betrachtung der verfahrensrechtlichen Regelungen, wozu insbesondere auch Satz 2 in § 30 Abs. 4 OWiG zählt, als auch einer Berücksichtigung des gewandelten Verständnisses des Gesetzgebers von der Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße. Unter diesen beiden Aspekten soll daher im Folgenden das Verhältnis der Verfahrenskategorien zueinander bewertet werden. a) Einheitliches und selbstständiges Verfahren als Regelfallund Ausnahmekonstellation? Der Gesetzgeber entschied sich 1968 bei der Einführung der Unternehmensgeldbuße dafür, diese als Nebenfolge der Tat der natürlichen Person zu konstruieren, mithin als bloße Rechtsfolge der Straftat oder Ordnungswidrigkeit der natürlichen Person. Entsprechend gestaltete er das Verfahren aus und schuf als Grundtypus eine Verfahrenskonstellation, nach der in dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter lediglich als Annex über die Festsetzung einer Geldbuße gegen ein Unter459 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 162; Göhler, § 30 OWiG, Rn. 28; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 444 f.; R/R/H-Förster, § 30 OWiG, Rn. 37. Ohne Bezug zu § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG wird die Regelfall- und Ausnahmekonstellation bejaht von: GJW-Niesler, § 30 OWiG, Rn. 73, 75; NK OWiG-Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG, Rn. 57; BeckOK OWiG-Meyberg, § 30 OWiG, Rn. 110. 460 Göhler, § 30 OWiG, Rn. 31; R/R/H-Förster, § 30 OWiG, Rn. 40; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 179; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 446.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
nehmen entschieden wird. Nur in Ausnahmefällen, die explizit in § 30 Abs. 4 OWiG geregelt wurden, sollte die Rechtsfolge der Unternehmensgeldbuße losgelöst von der Individualtat Verfahrensgegenstand sein können. Die so geschaffene Regelfall- und Ausnahmekonstellation hinsichtlich des einheitlichen und selbstständigen Verfahrens behielt der Gesetzgeber auch 1986 bei, obwohl er in diesem Jahr die Ausnahmevoraussetzungen für die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens wesentlich lockerte. So wurde unter anderem die Bezugnahme auf Absatz 1 gelöscht und die Variante der Nichteinleitung eines Verfahrens als weitere Möglichkeit aufgenommen, um ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen durchführen zu können. Dies ermöglichte es den Verfolgungsbehörden erstmals, direkt gegen das Unternehmen vorzugehen, ohne zuerst ein Ermittlungsverfahren gegen die natürliche Person einleiten zu müssen.461 Obwohl der Gesetzgeber an der Nebenfolgenlösung festhalten wollte, führte sein Vorgehen 1986 dazu, dass die Unternehmensgeldbuße seitdem nicht mehr als bloße Nebenfolge der Individualtat anzusehen ist, sondern zu einer Hauptfolge im Sinne einer eigenständigen Sanktionsnorm aufgewertet wurde.462 Durch das Abweichen zwischen tatsächlicher und gewollter Rechtsnatur ist jedoch ein Verfahrensrecht entstanden, welches Elemente beider Konstruktionen enthält: Auf der Basis der Nebenfolgenlösung wurde die Grundsatz- und Ausnahmeregelung bezüglich des einheitlichen und selbstständigen Verfahrens formell beibehalten, während die inhaltliche Ausgestaltung des selbstständigen Verfahrens die Eigenständigkeit der Sanktionsnorm betont und für ein gleichwertiges Verhältnis der beiden Verfahrensarten spricht. 1994 bekannte sich der Gesetzgeber schließlich ausdrücklich zu der geänderten Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße, indem er den Wortlaut von § 33 Abs. 1 S. 2 OWiG anpasste, um klarzustellen, dass die Unternehmensgeldbuße als selbstständige Sanktion anzusehen sei.463 Eine Änderung des Verfahrensrechts erfolgte aber erst 1997, als über Satz 2 in § 30 Abs. 4 OWiG für weitere Fälle die Möglichkeit zur Durchführung eines selbstständigen Verfahrens zugelassen wurde. Zwar wird von Rogall vertreten, dass § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG den Ausnahmecharakter von § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG und damit die grundsätzliche Verbundenheit der Verfahren nicht in Frage stelle.464 Doch führt er für diese Behauptung weder einen Nachweis noch eine Begründung an. Den Gesetzesmaterialien lässt sich diese Schlussfolgerung jedenfalls nicht entnehmen; vielmehr wird durch die über § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG ermöglichten Fälle in § 82 GWB und § 96 EnWG eine vollständige Entkoppelung der selbstständigen Verfahren gegen Unternehmen von Verfahren gegen natürliche
461
Schroth, in: wistra 1986, 158, 163; R/R/H-Förster, § 30 OWiG, Rn. 53. Siehe: Kapitel 1, C. II. 463 Begründung zu § 33 OWiG des Entwurfs eines … Strafrechtsänderungsgesetzes – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität –, BT-Drs. 12/192, S. 33. 464 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 162. 462
A. Grundsätzliche Verfahrensausrichtung
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Personen bewirkt.465 Spätestens mit § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG schuf der Gesetzgeber daher die Möglichkeit, in weitem Umfang selbstständige Verfahren gegen Unternehmen zuzulassen. Dies ist vor dem Hintergrund, dass Unternehmen selbst Sanktionssubjekte sind, nur folgerichtig und untermauert die heute allgemein anerkannte Auffassung, dass § 30 OWiG eine eigenständige Sanktionsnorm ist. Die 1968 eingeführte und 1986 beibehaltene Ausgestaltung des einheitlichen und selbstständigen Verfahrens als Regelfall- und Ausnahmekonstellation wurde somit entscheidend durch die Einführung von § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG aufgebrochen. Satz 1 kann daher nicht mehr isoliert gelesen werden als eine Vorschrift, nach der die selbstständige Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nur möglich ist, wenn das Straf- oder Bußgeldverfahren gegen die natürliche Person nicht eingeleitet oder eingestellt wird oder von Strafe abgesehen wird. Vielmehr ist Satz 1 heute in Zusammenhang mit Satz 2 unter dem Verständnis von der Unternehmensgeldbuße als eigenständiger Sanktionsnorm wie folgt auszulegen: Eine Unternehmensgeldbuße kann zum einen selbstständig festgesetzt werden, wenn die (geringen) Voraussetzungen einer Variante in Satz 1 gegeben sind, und zum anderen auch dann, wenn ein Gesetz dies bestimmt. Insgesamt hat das selbstständige Verfahren daher in den letzten Jahrzehnten eine erhebliche Aufwertung erfahren und nimmt heute den gleichen Stellenwert wie das einheitliche Verfahren ein. Selbst Autoren, die weiterhin daran festhalten, dass das selbstständige Verfahren strukturell als Ausnahme erscheine, gestehen den Verfolgungsbehörden ein Wahlrecht zwischen der Durchführung eines einheitlichen oder eines selbstständigen Verfahrens zu, wenn beide Verfahrensarten in Betracht kommen.466 Ob dieses in der Praxis auch genutzt wird und das selbstständige Verfahren nicht ohnehin zum Regelfall geworden ist, kann mangels Daten zur gewählten Verfahrensart bei § 30 OWiG nicht bestätigt werden.467 Zumindest in Verteidigungshandbüchern wird aber darauf hingewiesen, dass für Unternehmen die Abstimmung mit Behörden dahingehend sinnvoll sein kann, dass diese von Sanktionen gegen die verantwortlichen Unternehmensmitarbeiter absehen und stattdessen auf das (finanziell meist bessergestellte) Unternehmen zugreifen.468 Dies kann zugleich für den Strafverteidiger eines Unternehmensmitarbeiters eine wirksame Verteidigungsstrategie sein, um eine Verfahrensbeendigung gegenüber seinem Mandanten zu erreichen.469
465
Begründung zu § 96 EnWG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, BT-Drs. 15/3917, S. 74; bezüglich der Gleichbehandlung von § 96 EnWG und § 82 GWB siehe Fn. 442. 466 So etwa: KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 163, 176; NK OWiG-Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG, Rn. 60. 467 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 445 f., 487 ff. 468 Bosbach, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, S. 385 f.; Flore/Dörn/Gillmeister, Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren, S. 190; vgl. auch: MAH Wirtschaftsstrafrecht-Britz, § 5, Rn. 30. 469 Flore/Dörn/Gillmeister, Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren, S. 188 f.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
Für ein gleichrangiges Verhältnis zwischen dem einheitlichen und selbstständigen Verfahren spricht zudem, dass eine trennscharfe Abgrenzung zwischen den beiden Verfahrensarten nicht gegeben ist, sondern auch das einheitliche Verfahren selbstständige Elemente beinhaltet. Besonders deutlich zeigt sich dies in den Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit, wenn nur das Unternehmen gegen einen an den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen adressierten Bußgeldbescheid bezüglich seines Teils Einspruch einlegt. Nimmt die Behörde daraufhin den Bescheid nicht zurück und verwirft sie den Einspruch auch nicht, werden die Akten an die Staatsanwaltschaft und gegebenenfalls an das Gericht weitergeleitet, die jeweils den unternehmensbezogenen Sachverhalt beurteilen, während der Teilbescheid bezüglich des Unternehmensmitarbeiters in Rechtskraft erwächst.470 Gleiches gilt für den umgekehrten Fall: Unterwirft sich das Unternehmen der Ansicht der Verwaltungsbehörde, während der Unternehmensmitarbeiter Einspruch gegen den ihn betreffenden Teil des Bußgeldbescheides einlegt, wird der Bußgeldbescheid für das Unternehmen hinsichtlich der angeordneten Unternehmensgeldbuße rechtskräftig.471 In beiden Fällen wird also, obwohl ein einheitliches Verfahren eingeleitet worden ist, im Laufe des weiteren Verfahrens selbstständig über die Geldbuße von Unternehmen beziehungsweise Unternehmensmitarbeiter entschieden. Im Ergebnis folgt daher aus der historischen Entwicklung des Verfahrensrechts, dem Wandel des Verständnisses von der Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße und der nicht konsequenten Unterscheidung zwischen einheitlichem und selbstständigem Verfahren, dass die beiden Verfahrenskategorien als gleichgewichtet einzustufen sind. b) Die Ausnahme des getrennten Verfahrens Auch die These, dass die Durchführung eines getrennten Verfahrens grundsätzlich unzulässig sei, bedarf einer näheren Untersuchung, wobei zwei Besonderheiten beachtet werden müssen, welche die Verfahrenskategorie des getrennten Verfahrens im Vergleich zu dem einheitlichen und dem selbstständigen Verfahren aufweist. Zum einen ist das getrennte Verfahren nicht schon seit Schaffung der Unternehmensgeldbuße im Jahre 1968 Bestandteil des Verfahrensrechts, sondern wurde erst später über die Vorschrift des § 81a GWB 1997 ermöglicht. Zum anderen finden das einheitliche und das selbstständige Verfahren ihren Ursprung in § 30 OWiG selbst, während das getrennte Verfahren nicht unmittelbar in § 30 OWiG normiert ist, sondern aus den Zuständigkeitsregelungen in § 82 GWB und § 96 EnWG resultiert. Die Regelungen zum getrennten Verfahren finden sich also außerhalb des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, nämlich im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und im Energiewirtschaftsgesetz. Der Bezug zu § 30
470 471
KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 231. BGH, in: wistra 1991, 30, 31; KG Berlin, in: NJW-RR 1987, 637, ebd.
A. Grundsätzliche Verfahrensausrichtung
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OWiG wird erst über § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG hergestellt, der aber nur das selbstständige Verfahren regelt.472 Sowohl die Entstehungsgeschichte als auch die systematische Stellung dieser Verfahrenskategorie zeigen somit, dass das getrennte Verfahren nicht Hauptbestandteil des Verfahrensrechts zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße werden sollte, sondern erst nachträglich und bewusst außerhalb des Verfahrensrechts bei § 30 OWiG implementiert wurde. Auch der jeweilige Wortlaut der Normen beschränkt den Anwendungsbereich des getrennten Verfahrens auf bestimmte Fälle. So kommt eine Zuständigkeitsaufspaltung und damit ein getrenntes Verfahren nur in den Fällen in Betracht, denen eine Straftat, die auch den Tatbestand des § 81 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 GWB beziehungsweise § 95 Abs. 1 Nr. 4 EnWG verwirklicht, oder eine Ordnungswidrigkeit nach § 130 OWiG, bei der eine mit Strafe bedrohte Pflichtverletzung auch den Tatbestand des § 81 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 GWB beziehungsweise § 95 Abs. 1 Nr. 4 EnWG verwirklicht, zugrunde liegt. Ist eine dieser Verfahrenskonstellationen nicht gegeben und wird dennoch getrennt gegen das Unternehmen und den Unternehmensmitarbeiter vorgegangen, führt dies dazu, dass entweder das Verfahren gegen das Unternehmen einzustellen ist oder die Verfahren miteinander zu verbinden sind.473 Die Zulässigkeit des getrennten Verfahrens ist somit auf bestimmte Fallgruppen begrenzt und bislang lediglich in zwei Normen geregelt. Dies spricht ebenso wie die Systematik und die Normhistorien für den Ausnahmecharakter dieser Verfahrenskategorie. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überzeugend, dass in der Literatur die Betrachtungen zur grundsätzlichen Unzulässigkeit des getrennten Verfahrens allein auf einen Umkehrschluss zu § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG gestützt werden.474 So bieten schon die allgemeinen Auslegungsmethoden Ansatzpunkte, um das Verhältnis des getrennten Verfahrens zu den anderen beiden Verfahrensarten zu bewerten. Darüber hinaus ist die Bildung eines Umkehrschlusses unter der oben herausgearbeiteten Schlussfolgerung, dass einheitliches und selbstständiges Verfahren in einem gleichrangigen Verhältnis zueinander stehen, verfehlt. Wenn eine Norm lediglich besagt, dass unter bestimmten Voraussetzungen ein bestimmtes Verfahren durchgeführt werden kann, führt dies nicht zur grundsätzlichen Unzulässigkeit eines anderen Verfahrens. Vielmehr werden nur in dem Anwendungsbereich des normierten Verfahrens, welcher sich aus den genannten Voraussetzungen ergibt, andere Ver472
Siehe: Kapitel 2, A. II. 1. b). Eine Einstellung kommt in Betracht, wenn ein Strafverfahren gegenüber der natürlichen Person anhängig ist, ein Bußgeldverfahren gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter schwebt oder bereits ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid gegen den Unternehmensmitarbeiter ergangen ist; vgl. KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 180 ff. Die Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen werden hingegen miteinander verbunden, wenn zwei getrennte Bußgeldbescheide ergangen sind und gegen beide Einspruch eingelegt wurde; vgl. Thüringer OLG, Beschluss vom 01. 12. 2006 – 1 Ss 199/06, Juris, Rn. 14. 474 Siehe zum Nachweis der Vertreter dieser Auffassung: Fn. 460. 473
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
fahrensarten ausgeschlossen. Wenn § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG daher normiert, dass ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen bei Nichteinleitung oder Einstellung des Verfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter oder bei einem Absehen von Strafe durchgeführt werden kann, hat dies nicht zur Konsequenz, dass das einheitliche Verfahren oder das getrennte Verfahren grundsätzlich unzulässig sind. Richtig ist nur, dass in diesen Fällen ein getrenntes Verfahren ebenso wenig wie ein einheitliches Verfahren in Betracht kommt. Ebenso logisch folgt aus dem einheitlichen Verfahren, in welchem gegen das Unternehmen und die natürliche Person gleichzeitig durch eine Behörde ermittelt und gerichtlich vorgegangen wird, dass ein getrenntes und selbstständiges Verfahren ausgeschlossen sind. Im Anwendungsbereich des einheitlichen Verfahrens und § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG ist ein getrenntes Verfahren folglich unzulässig. Auch die Regelung des § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG hilft im Hinblick auf die Einordnung des getrennten Verfahrens nur eingeschränkt weiter, da sie es dem Gesetzgeber lediglich ermöglicht, weitere Fälle von selbstständigen Verfahren zu regeln. Zwar können dann auch neue Zuständigkeitsaufspaltungen – vergleichbar mit denen in § 82 GWB und § 96 EnWG – geschaffen werden, doch werden diese stets nur an eine weitere Möglichkeit zur Durchführung eines selbstständigen Verfahrens angehängt sein. Es fehlt somit bislang an einer speziellen, § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG entsprechenden Vorschrift für das getrennte Verfahren, die es ermöglicht, das getrennte Verfahren als eigenständige Verfahrenskategorie zu etablieren. Denkbar wäre eine solche Regelung vor dem Hintergrund, dass § 30 OWiG eine eigenständige Sanktionsnorm ist und der Gesetzgeber schon bei Einführung des § 96 EnWG im Jahre 2005 erkannte, dass das Verfahren gegen das Unternehmen eine weitaus größere Bedeutung haben kann als das Verfahren gegen die natürliche Person.475 Nichtsdestotrotz beließ er es 2005 bei der bestehenden Struktur und entschied sich damit bewusst gegen die umfassende Einführung eines getrennten Verfahrens. Ob es auch in Zukunft bei dieser Entscheidung bleiben wird, muss abgewartet werden. Gesetzesinitiativen wie der Gesetzesentwurf des Landes Nordrhein-Westfalen oder der Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes deuten zumindest darauf hin, dass vollständig getrennt geführte Verfahren gegen das Unternehmen einerseits und gegen den Unternehmensmitarbeiter andererseits nicht mehr ganz fernliegend sind.476 Solange jedoch der Gesetzgeber diesen Schritt noch nicht vollzogen hat, wird das getrennte Verfahren nur in den bislang geregelten Fällen der § 82 GWB und § 96 EnWG als Ausnahmekonstellation zur Anwendung kommen. 475 Vgl. die Begründung zu § 96 EnWG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, BT-Drs. 15/3917, S. 74. 476 So ist ein wesentliches Ziel des nordrhein-westfälischen Gesetzesentwurfs, ein eigenständiges Vorgehen gegen Unternehmen sowohl in materiell-rechtlicher wie auch prozessualer Hinsicht zu ermöglichen; vgl. VerbStrG-E (Fn. 5), S. 26. Auch der Kölner Entwurf schlägt die Durchführung eines eigenen Verfahrens gegen Unternehmen vor; vgl. §§ 11 S. 1, 12 Abs. 3 Kölner Entwurf (Fn. 6).
A. Grundsätzliche Verfahrensausrichtung
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III. Auswirkungen der Anknüpfungstat auf das Verfahren Die durch einen Unternehmensmitarbeiter begangene Tat ist seit Einführung des § 26 OWiG 1968 Voraussetzung und dogmatischer Anknüpfungspunkt für die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße. Dabei kommt es für das „Ob“ der Festsetzung nicht darauf an, ob es sich bei der Tat des Unternehmensmitarbeiters um eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit handelt; entscheidend ist allein das Vorliegen einer rechtswidrigen und schuldhaft beziehungsweise vorwerfbar begangenen Anknüpfungstat.477 Sowohl im Hinblick auf die Bußgeldhöhe als auch auf die Durchführung des Verfahrens ist die Differenzierung jedoch von Bedeutung: Während § 30 Abs. 2 S. 1 OWiG bestimmt, dass die Unternehmensgeldbuße im Falle einer vorsätzlichen Straftat bis zu zehn Millionen Euro und im Falle einer fahrlässigen Straftat bis zu fünf Millionen Euro betragen kann, ist in den Sätzen 2 bis 4 das Höchstmaß der Geldbuße für den Fall geregelt, dass es sich bei der Anknüpfungstat um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Die Auswirkungen auf das Verfahren können hingegen § 30 OWiG nicht direkt entnommen werden, sondern ergeben sich aus § 444 StPO und § 88 OWiG. Beide Vorschriften sind als prozessuale Ergänzungen zu § 30 OWiG zu verstehen und regeln die konkrete Durchführung des Unternehmensbußgeldverfahrens.478 Hat der Unternehmensmitarbeiter eine Straftat begangen und wird folglich gegen ihn ein Strafverfahren geführt, richtet sich das anwendbare Verfahrensrecht für das Unternehmen gemäß § 444 StPO ebenfalls nach der StPO. Die Norm verweist im Kern auf die strafrechtlichen Verfahrensregeln der Einziehung und hat daher zur Folge, dass das Unternehmen grundsätzlich wie ein Einziehungsbeteiligter behandelt wird. Knüpft § 30 OWiG aber an eine durch einen Unternehmensmitarbeiter begangene Ordnungswidrigkeit an, gilt für das Verfahren gegen das Unternehmen gemäß § 88 OWiG das Ordnungswidrigkeitengesetz. § 88 Abs. 3 OWiG verweist auf § 87 Abs. 2 S. 1, 2 und Abs. 5 OWiG und damit auch auf Regelungen über die Anordnung der Einziehung. Zudem findet über § 46 OWiG im Bußgeldverfahren gegen das Unternehmen insbesondere § 444 StPO ergänzend zu § 88 OWiG Anwendung. Im Ergebnis führt die Differenzierung zwischen Straftat oder Ordnungswidrigkeit somit zu der Anwendung unterschiedlicher Verfahrensordnungen auf das Unternehmensbußgeldverfahren, die für das Unternehmen nicht nur zu anderen Verfahrensabläufen, sondern auch zu stärker oder schwächer ausgestalteten Mitwirkungsrechten führen können. Welche Unterschiede im Einzelnen bestehen, wird Gegenstand der weiteren Untersuchung sein.
477 478
OLG Hamm, in: wistra 2000, 393, 394; Göhler, § 30 OWiG, Rn. 15. Meyer-Goßner/Schmitt, § 444 StPO a.F., Rn. 1; Göhler, § 88 OWiG, Rn. 1.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
IV. Fazit Die grundsätzliche Ausrichtung des Unternehmensbußgeldverfahrens wird nur durch wenige Vorschriften vorgegeben: Während § 30 Abs. 4 OWiG die Fälle regelt, in denen ein selbstständiges Verfahren durchgeführt wird, folgen aus § 444 StPO und § 88 OWiG die geltenden Verfahrensvorschriften je nach Anknüpfungstat des Unternehmensmitarbeiters. Bei der Anwendung der Regelungen wird insbesondere die Vorschrift des § 30 Abs. 4 OWiG nicht einheitlich ausgelegt und es werden die Möglichkeiten zur Durchführung eines selbstständigen Verfahrens unterschätzt. So wird übersehen, dass den Verfolgungsbehörden ein Beurteilungsspielraum dahingehend zukommt, ob sie nach der Durchführung von Vorermittlungen ein Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter einleiten oder gemäß § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 1 OWiG direkt gegen das Unternehmen vorgehen. Auch die anderen beiden Varianten des § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG werden zu Unrecht verengt, wenn § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG auf Opportunitätseinstellungen beschränkt wird und die Beteiligung des Unternehmens an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Verfahren als Voraussetzung von § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG gesehen wird. Darüber hinaus besteht über § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG die Möglichkeit, zukünftig weitere Fälle einzuführen, in denen ein selbstständiges Verfahren durchgeführt werden kann. Dem selbstständigen Verfahren kommt letztlich der gleiche Stellenwert wie dem nicht normierten einheitlichen Verfahren zu. Ein getrenntes Verfahren ist hingegen nur ausnahmsweise gemäß § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG in Verbindung mit § 82 GWB oder § 96 EnWG möglich. Diese drei Verfahrenskategorien führen im Ergebnis ebenso wie die Anbindung der Verfahrensvorschriften an die Anknüpfungstat dazu, dass der Sanktionierung von Unternehmen ein deutlich komplexeres Verfahrensrecht zugrunde liegt als etwa der Sanktionierung von natürlichen Personen.
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße Aus den verfahrensrechtlichen Vorgaben des § 30 OWiG sowie den Regelungen in § 444 StPO und § 88 OWiG ergibt sich, dass zwischen vier möglichen Verfahrenskonstellationen differenziert werden muss: dem einheitlichen Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat und dem selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat sowie dem einheitlichen Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit und dem selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit. Darüber hinaus wird das getrennte Verfahren im Folgenden als eine eigene Verfahrenskonstellation behandelt. Es wird nun zunächst ein Überblick über die genannten Verfahrenskonstellationen und -abläufe gegeben, bevor näher auf die Folgen dieser Verfahrensausgestaltung für das Unternehmen eingegangen wird.
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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I. Einheitliches Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat Das einheitliche Verfahren zeichnet sich – unabhängig davon, ob der Unternehmensmitarbeiter eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat – dadurch aus, dass gegen den Unternehmensmitarbeiter ein Verfahren geführt wird, an welchem das Unternehmen beteiligt wird, wenn die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG in Betracht kommt. Der Ablauf des Verfahrens gegenüber dem Unternehmen richtet sich daher nach dem Ablauf des Verfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter. 1. Das Ermittlungsverfahren Sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte auf eine Straftat eines Unternehmensmitarbeiters hindeuten, ist die Staatsanwaltschaft als zuständige Verfolgungsbehörde gemäß § 152 Abs. 2 StPO verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren gegen diesen einzuleiten. Liegen zugleich auch Hinweise dafür vor, dass eine Unternehmensgeldbuße gemäß § 30 OWiG festgesetzt werden kann oder ergeben sich solche im Rahmen des gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Ermittlungsverfahrens, kommt eine Einbeziehung des Unternehmens in das Verfahren nach den Vorschriften der StPO über § 444 Abs. 1 und 2 StPO in Betracht.479 Eine förmliche Beteiligung des Unternehmens an dem Ermittlungsverfahren gegen die natürliche Person ist allerdings nicht möglich. Gemäß § 444 Abs. 1 StPO kann eine solche erst nach Anklageerhebung durch das Gericht angeordnet werden.480 Die Einbeziehung des Unternehmens in das Ermittlungsverfahren beschränkt sich vielmehr darauf, dass das Unternehmen nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO zu hören ist und unter bestimmten Voraussetzungen seine Vernehmung nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2 StPO in Betracht kommt. Zudem kann es sich über §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 und 3 StPO auf gewisse Verteidigungsrechte berufen.481 2. Das Zwischenverfahren Sofern die Staatsanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter annimmt, erhebt sie gemäß § 170 Abs. 1 StPO Anklage bei dem zuständigen Gericht. Dies hat zur Folge, dass zunächst in einem nichtöffentlichen Zwischenverfahren gerichtlich über die Eröffnung des Hauptverfahrens ge479 Über die interne Verwaltungsvorschrift Nr. 180a Abs. 1 RiStBV wird die Staatsanwaltschaft dahingehend gebunden, dass sie prüfen muss, ob die Festsetzung einer Geldbuße gegen das Unternehmen in Betracht kommt, wenn der Beschuldigte zu dem Leitungsbereich des Unternehmens gehört. 480 Vgl. hierzu: Kapitel 3, A. II. 1. 481 Eine genauere Untersuchung der Mitwirkungsrechte des Unternehmens im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter erfolgt in Kapitel 3; siehe: Kapitel 3, A. II. 2.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
genüber dem Angeschuldigten entschieden wird.482 Ab diesem Verfahrensstadium ist es nunmehr möglich, das Unternehmen durch eine entsprechende Anordnung des Gerichts förmlich an dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter zu beteiligen und so das einheitliche Verfahren einzuleiten. Zuständig für die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße ist also das Gericht, welches über die Anknüpfungstat zu entscheiden hat. Da § 30 OWiG voraussetzt, dass durch die Mitarbeitertat Unternehmenspflichten verletzt worden sind oder das Unternehmen bereichert worden ist oder werden sollte, weist die Anknüpfungstat in der Regel einen wirtschaftsdeliktischen Bezug auf, mit der Folge, dass eine sachliche Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern der Landgerichte nach § 74c Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) für die Anknüpfungstat, aber eben auch für die Unternehmensgeldbuße in der ersten Instanz gegeben sein kann. Sollte hingegen das Schöffengericht erstinstanzlich zur Entscheidung berufen sein, kommt eine Zuständigkeit der landgerichtlichen Wirtschaftsstrafkammern für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung nach § 74c Abs. 1 S. 1 GVG in Betracht. 3. Das Hauptverfahren Bejaht das zuständige Gericht einen hinreichenden Tatverdacht in Bezug auf den Unternehmensmitarbeiter, beschließt es gemäß § 203 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens. Ist das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt bereits beteiligt, stehen ihm – wie einem Einziehungsbeteiligten – über § 444 Abs. 2 S. 2 StPO ab der Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 427 Abs. 1 S. 1 StPO die Befugnisse eines Angeklagten zu. War das Unternehmen hingegen noch nicht beteiligt, kann seine Beteiligung gemäß §§ 444 Abs. 1 S. 2, 424 Abs. 3 StPO noch bis zur Festsetzung der Geldbuße im Urteil durch das Gericht angeordnet werden.483 Die Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung richten sich nach den §§ 212 ff. StPO und §§ 226 ff. StPO, wobei § 444 Abs. 2 S. 1 StPO und §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 2, 429 Abs. 2 und 3 Nr. 1, 430 Abs. 2 und 4 StPO modifizierende Regelungen für das beteiligte Unternehmen enthalten. § 444 Abs. 2 S. 1 StPO bestimmt, dass das Unternehmen zu der Hauptverhandlung geladen wird;484 eine Verhandlung ohne das Unternehmen ist möglich, wenn der Unternehmensvertreter ohne genügende Entschuldigung ausbleibt.485 Indem § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 StPO die Ladung des Unternehmens vorsieht, weicht die Norm von den Vorschriften über das Einziehungsverfahren ab, nach welchen der Einziehungsbeteiligte grundsätzlich nur eine Terminsnachricht über den Termin zur Hauptverhandlung erhält. Der 482 483 484
StPO.
KK StPO-Schneider, § 199 StPO, Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, Einleitung, Rn. 63. Vgl. hierzu: Kapitel 3, B. II. 1. a) bb). Eine Ladung des Verteidigers erfolgt gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, 218
485 Nicht geregelt sind die Fälle, in denen sich der Unternehmensvertreter aus der Hauptverhandlung entfernt oder bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ausbleibt; vgl. hierzu: Kapitel 3, C. I. 2. a).
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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Verweis des § 444 Abs. 2 S. 2 StPO auf § 429 Abs. 2 StPO ist daher dahingehend zu lesen, dass dem Unternehmen zusammen mit der Ladung (und nicht mit der in § 429 Abs. 2 StPO genannten Terminsnachricht) die Anklageschrift zugestellt wird. Dem Unternehmensmitarbeiter wird hingegen alsbald nach Einleitung des Zwischenverfahrens die Anklageschrift mitgeteilt und spätestens mit der Ladung zu dem Hauptverhandlungstermin der Eröffnungsbeschluss zugestellt, §§ 201 Abs. 1 S. 1, 215 S. 1 StPO. Auch das Unternehmen erhält mit der Ladung den Eröffnungsbeschluss; gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 429 Abs. 2 StPO allerdings nur in den Fällen des § 207 Abs. 2 StPO, wenn das Gericht die Anklage zu der Hauptverhandlung mit Änderungen zulässt. In der Ladung muss gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 429 Abs. 3 Nr. 1 StPO darauf hingewiesen werden, dass auch ohne das Unternehmen verhandelt werden kann. Zudem kann das Gericht in einer späteren Hauptverhandlung nur dann die Vorführung des zum persönlichen Erscheinen verpflichteten Unternehmensvertreters anordnen, wenn er zuvor unter Hinweis auf diese Möglichkeit geladen worden ist, §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 2 S. 2 StPO. Abweichungen gegenüber den individualstrafrechtlichen Regelungen bestehen darüber hinaus gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 und 4 StPO in Bezug auf das Beweisantragsrecht und die Verkündung sowie den Umfang des Urteils. 4. Das Rechtsmittelverfahren Wird in dem Urteil gegen den Unternehmensmitarbeiter schließlich eine Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG festgesetzt, kann das Unternehmen hiergegen Rechtsmittel einlegen, §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1 StPO. Für eine Überprüfung des Urteils stehen ihm sowohl die Berufungs- als auch die Revisionsinstanz zur Verfügung. a) Berufung Gehen sowohl das Unternehmen als auch der Unternehmensmitarbeiter gegen das Urteil vor, wird das Berufungsverfahren nach den §§ 312 ff. StPO geführt. Über die Berufungen wird demnach aufgrund einer Hauptverhandlung durch Urteil entschieden, deren Vorbereitung und Durchführung sich insbesondere nach § 323 StPO und § 324 StPO richten. Die Vorschriften des Berufungsverfahrens werden zudem gemäß §§ 323 Abs. 1, 332 StPO durch die strafprozessualen Regelungen ergänzt, die für die erstinstanzliche Hauptverhandlung gelten. Für das Unternehmen erfolgt darüber hinaus ein Rückgriff auf die unternehmensspezifischen Vorschriften in § 444 Abs. 1 und 2 StPO, die allerdings mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 StPO nur eine einzige auf das Rechtsmittelverfahren zugeschnittene Regelung enthalten. § 431 Abs. 1 StPO schränkt den Umfang der Urteilsprüfung für das Berufungsgericht ein und enthält damit eine von § 327 StPO abweichende Vorschrift zum Nachteil des Unternehmens. Aus §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 2 StPO folgt aber, dass § 431 Abs. 1 StPO keine Anwendung findet, wenn neben dem Un-
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
ternehmen noch ein anderer Beteiligter, wie etwa der verurteilte Unternehmensmitarbeiter oder die Staatsanwaltschaft, Rechtsmittel eingelegt hat. In dem vorliegenden Fall gilt §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 StPO somit nicht. Dafür greifen über den Verweis in § 444 Abs. 2 S. 2 StPO die Regelungen in § 427 Abs. 1 S. 1 StPO und § 428 Abs. 1 StPO: § 427 Abs. 1 S. 2 StPO räumt dem Unternehmen von der Eröffnung des Hauptverfahrens an die Befugnisse eines Angeklagten ein. Die Vorschrift legt damit lediglich den Beginn der Befugnisse fest, ohne eine zeitliche Begrenzung auf das Hauptverfahren vorzunehmen. Daraus kann geschlossen werden, dass dem Unternehmen ebenso im Rechtsmittelverfahren die Befugnisse des Angeklagten zukommen sollen. Auch § 428 Abs. 1 StPO, der die Verteidigung des Unternehmens in jeder Lage des Verfahrens garantiert, gilt ausweislich seines Wortlauts im Rechtsmittelverfahren. Im Übrigen finden die Regelungen in § 444 Abs. 2 StPO, die sich auf das Hauptverfahren beziehen, Anwendung, sofern im Rahmen des Berufungsverfahrens gemäß § 323 Abs. 1 StPO und § 332 StPO die Vorschiften über die erstinstanzliche Hauptverhandlung ergänzend herangezogen werden. So gelten im Hinblick auf die Beweisaufnahme sowie die Verkündung des Urteils § 430 Abs. 2 und 4 StPO über § 332 StPO in Verbindung mit § 444 Abs. 2 S. 2 StPO. Ferner wird das Unternehmen gemäß § 323 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 StPO zu der Hauptverhandlung geladen. Die Vorgaben zur Anwesenheit und Vorführung in § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 StPO und §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 2 StPO greifen hingegen nicht. Für das Berufungsverfahren regelt § 329 StPO das Ausbleiben des Angeklagten und ist damit vorrangig vor den gemäß § 332 StPO geltenden Vorschiften zur Anwesenheit in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung. Auch für das Unternehmen entfällt dadurch ein Rückgriff auf die entsprechenden Vorschriften zur Hauptverhandlung; es sind gemäß § 444 Abs. 2 S. 2 StPO lediglich die speziellen Normen für das Rechtsmittelverfahren heranzuziehen. Da § 431 StPO jedoch die Anwesenheit des Unternehmens im Rechtsmittelverfahren nicht regelt, muss hilfsweise auf die für den Unternehmensmitarbeiter geltende Vorschrift des § 329 StPO abgestellt werden.486 Gleiches gilt im Hinblick auf § 323 Abs. 1 S. 2 StPO, der eine Hinweispflicht bezüglich der Folgen des Ausbleibens vorsieht und damit Vorrang vor §§ 444 Abs. 2 S. 2, 429 Abs. 3 Nr. 1 StPO hat. Legt nur das Unternehmen Berufung gegen das Urteil ein, entfällt die Einheitlichkeit des Verfahrens und mithin die grundsätzliche Ausrichtung an den §§ 312 ff. StPO. Es muss daher auf die unternehmensspezifischen Regelungen in § 444 Abs. 1 und 2 StPO abgestellt werden, die sich im Hinblick auf das Rechtsmittelverfahren aber auf §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 bis 3 StPO beschränken. Anders als im Falle der Berufung von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen findet die Vorschrift zwar Anwendung, doch betrifft sie lediglich den Prüfungsumfang im Rechtsmittelverfahren und nicht den Verfahrensablauf. Mangels anderweitiger Regelungen 486 § 329 StPO findet daher auf das Unternehmen Anwendung, obwohl es sich weder um eine allgemeine Verfahrensvorschrift handelt, die aufgrund der Einheitlichkeit des Verfahrens auch für das Unternehmen gilt, noch die Befugnisse eines Angeklagten geregelt werden, auf die sich das Unternehmen gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1 StPO berufen kann.
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bleibt daher nur ein Rückgriff auf die Berufungsvorschriften der §§ 312 ff. StPO. Mit Ausnahme von §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 StPO ergeben sich demnach keine Abweichungen zu dem Verfahren nach eingelegter Berufung von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen. Die Anwendung von §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 StPO führt allerdings dazu, dass sich die Prüfung, ob die gegen das Unternehmen festgesetzte Geldbuße gerechtfertigt ist, nur dann auf den Schuldspruch des angefochtenen Urteils erstreckt, wenn das Unternehmen insoweit Einwendungen vorbringt und im vorausgegangenen Verfahren ohne sein Verschulden zum Schuldspruch nicht gehört worden ist. §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 2 StPO bestimmt für den Fall, dass diese Voraussetzungen vorliegen, dass das Gericht grundsätzlich nur die erstinstanzlichen, zur Schuld getroffenen Feststellungen seiner Überprüfung zugrunde legt. Sofern das Unternehmen mit seinen Einwendungen gegen den Schuldspruch Erfolg hat, erstreckt sich die Aufhebung des Urteils lediglich auf den, die Unternehmensgeldbuße anordnenden Teil des Urteils, nicht hingegen auf das Urteil im Ganzen.487 b) Revision Ein weiteres Rechtsmittel steht dem Unternehmen mit der Revision zur Verfügung, die gegen das Berufungsurteil beziehungsweise das im ersten Rechtszug ergangene Urteil eingelegt werden kann. Sofern auch der Unternehmensmitarbeiter in Revision geht, geben die Individualvorschriften der §§ 333 ff. StPO den Rahmen für das weitere Verfahren vor. Danach müssen die Revisionen binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils schriftlich eingelegt werden sowie die Revisionsanträge und ihre Begründungen innerhalb eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei Gericht eingehen, §§ 341, 344 f. StPO. Über die Revisionen wird dann grundsätzlich in einer Hauptverhandlung gemäß §§ 350, 351 StPO entschieden; eine Entscheidung durch Beschluss ergeht nur in den Fällen des § 349 StPO. Aus § 350 Abs. 2 StPO ergibt sich, dass die Anwesenheit des Unternehmens beziehungsweise seines nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 StPO beauftragten Verteidigers in der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht erforderlich ist.488 Erscheint das Unternehmen allerdings zu dem Termin, muss es gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 351 Abs. 2 S. 1 StPO angehört werden. Im Übrigen gilt für das Unternehmen gemäß § 444 Abs. 2 S. 2 StPO die Regelung zum Rechtsmittelverfahren in § 431 Abs. 1 StPO, die den nach § 352 StPO vorgegebenen Prüfungsumfang des Revisionsgerichts einschränkt. Anders als für das Berufungsverfahren in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 2 StPO vorgesehen, besteht für das Revisionsverfahren keine Ausnahme für den Fall, dass sowohl der Unternehmensmitarbeiter als auch das Unternehmen Revision einlegen. Einwendungen gegen den Schuldspruch können 487
Rn. 6.
Vgl. LR StPO-Gössel, § 437 StPO a.F., Rn. 10; KK StPO-Schmidt, § 437 StPO a.F.,
488 Vgl. zu der Anwesenheitsregelung in § 350 Abs. 2 StPO: KK StPO-Gericke, § 350 StPO, Rn. 7 ff.
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folglich nur unter den Voraussetzungen des §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 StPO erhoben werden und sind gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 3 StPO innerhalb der Revisionsbegründungsfrist geltend zu machen. §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 2 StPO ist allerdings gegenstandslos, da im Revisionsverfahren stets nur eine Überprüfung in rechtlicher Hinsicht erfolgt. Verzichtet der Unternehmensmitarbeiter auf die Anfechtung des Urteils und legt nur das Unternehmen Revision ein, stellt sich – wie beim Berufungsverfahren – die Frage, nach welchen Vorschriften das Rechtsmittelverfahren durchgeführt wird. Da es in § 444 Abs. 1 und 2 StPO an diesbezüglichen Vorgaben fehlt, muss hilfsweise auf die Individualvorschriften in §§ 333 ff. StPO zurückgegriffen werden.489 Es gelten daher auch bei alleiniger Revisionseinlegung durch das Unternehmen die Fristen der §§ 341, 344 f. StPO sowie die Regelungen zur Hauptverhandlung in §§ 350, 351 StPO. Ferner kann der Prüfungsumfang des Gerichts im Hinblick auf den Schuldspruch des Urteils gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StPO begrenzt sein.
II. Selbstständiges Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat Im Gegensatz zu dem einheitlichen Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat fehlt es bei dem selbstständigen Verfahren gegen das Unternehmen an einer zeitgleichen Verfolgung des Unternehmensmitarbeiters und damit an einem verfahrensrechtlichen Gerüst, wie es etwa für das einheitliche Verfahren durch die prozessualen Vorschriften des Individualverfahrens vorgegeben wird.490 Eine Orientierung gibt lediglich § 444 Abs. 3 S. 1 StPO, der auf §§ 435, 436 Abs. 1 und 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 oder 3 StPO verweist. Über § 435 Abs. 3 StPO finden wiederum die §§ 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO sowie die Regelungen in den §§ 424 bis 430 StPO und § 433 StPO entsprechend Anwendung. 1. Die Ermittlungen gegen das Unternehmen Den Vorschriften kann entnommen werden, dass es im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegt, bei Gericht die selbstständige Festsetzung einer Geldbuße zu beantragen. Ein solcher Antrag setzt gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 1 S. 1 StPO zum einen voraus, dass die selbstständige Festsetzung gesetzlich zulässig ist. Dies 489
Vgl. hierzu auch: Kapitel 2, B. I. 4. a). Zwar erfolgt im Hinblick auf die Fälle des § 82 GWB und § 96 EnWG eine parallele Verfolgung von Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter, doch gilt für das Unternehmen das Verfahrensrecht des OWiG und für den Unternehmensmitarbeiter das der StPO. Auch in diesen Fällen bietet das gegen den Unternehmensmitarbeiter geführte Verfahren somit keine Orientierung für das Verfahren gegenüber dem Unternehmen. Vgl. zu den Besonderheiten des getrennten Verfahrens im Übrigen: Kapitel 2, B. V. 490
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ergibt sich für den Fall der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße aus den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 OWiG. Zum anderen muss die selbstständige Festsetzung nach dem Ergebnis der Ermittlungen zu erwarten sein. Obwohl das Ermittlungsverfahren und die in diesem gewonnenen Ergebnisse somit wesentlich für die Entscheidung sind, ob ein selbstständiges Verfahren durchgeführt wird, enthalten die §§ 421 ff. StPO nur wenige Vorschriften in Bezug auf das Ermittlungsverfahren. Aus dem Verweis auf § 424 Abs. 1 StPO folgt, dass es dem Gericht – und nicht der Staatsanwaltschaft – obliegt, die Beteiligung des Unternehmens anzuordnen.491 Ebenso wie im einheitlichen Verfahren ist eine förmliche Beteiligung des Unternehmens im Ermittlungsverfahren vor der Staatsanwaltschaft also nicht möglich. Im einheitlichen Verfahren kann die fehlende Möglichkeit der Beteiligung des Unternehmens dadurch kompensiert werden, dass ein gegen den Unternehmensmitarbeiter geführtes Verfahren anhängig ist, in dessen Rahmen die Staatsanwaltschaft auch gegen das Unternehmen ermitteln und es beispielsweise als „potentiellen Beteiligten“ anhören kann. Hat die Staatsanwaltschaft die (Vor-)Ermittlungen gegen den Unternehmensmitarbeiter unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG aber bereits abgeschlossen, kann dieses Verfahren nicht mehr herangezogen werden, um unter einem bestehenden Aktenzeichen gegen das Unternehmen zu ermitteln. Die Staatsanwaltschaft steht somit stets vor dem (technischen) Problem, dass sie ihre Ermittlungen gegen einen Nicht-Beteiligten richten muss, der nach geltendem Recht nicht Beschuldigter sein kann, und es insofern an einem Verfahrenssubjekt und damit an einem Verfahren fehlt. Dennoch hat sie die, dem Unternehmen gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 426 und 428 StPO zukommenden Rechte im Rahmen der Ermittlungen zu berücksichtigen. Das Gesetz gibt an dieser Stelle keine weiteren Hilfestellungen und überlässt es folglich den Ermittlungsbehörden, eine Lösung für die Durchführung ihrer Ermittlungen gegen das Unternehmen zu finden.492 2. Das Zwischenverfahren Sofern sich die Staatsanwaltschaft entschließt, einen Antrag auf selbstständige Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße zu stellen, leitet sie mit diesem das gerichtliche Verfahren ein.493 Der Antrag stellt somit eine besondere Form der Erhebung der Strafklage dar,494 dessen Inhalt sich aus § 435 Abs. 2 S. 1 und 2 StPO und §§ 435 Abs. 2 S. 3, 200 StPO ergibt. Für das weitere Verfahren gelten gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO die Vorschriften der §§ 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO entsprechend. Es wird somit ein dem Zwischenverfahren nach Anklageerhebung entsprechendes Verfahren durchgeführt, wodurch der Ablauf des selbst491
Siehe zur Anwendbarkeit von § 424 Abs. 1 StPO: Kapitel 2, B. II. 3. a). Siehe in Bezug auf eine vermeintliche Lösung: Kapitel 3, A. II. 1. 493 Ausweislich Nr. 180a Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 RiStBV muss in dem Antrag die Beteiligung des Unternehmens beantragt werden. 494 LR StPO-Gössel, § 440 StPO a.F., Rn. 16; Meyer-Goßner/Schmitt, § 440 StPO a.F., Rn. 4. 492
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
ständigen Verfahrens an den des einheitlichen Verfahrens angenähert wird. Ab der Einleitung des Zwischenverfahrens kann die Beteiligung des Unternehmens gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 424 Abs. 1 StPO angeordnet werden. Die Durchführung eines Zwischenverfahrens im Rahmen des selbstständigen Verfahrens bei Anknüpfung an eine Straftat ist erst seit der Reform des Rechts der Vermögensabschöpfung im Jahre 2017 vorgesehen.495 Zuvor war über den Antrag der Staatsanwaltschaft entweder in einem schriftlichen Verfahren durch Beschluss oder aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil unmittelbar entschieden worden; ein Zwischenverfahren wurde nicht durchgeführt. Dies stellte die Praxis vor erhebliche Schwierigkeiten, etwa bei der Frage, wann und in welcher Form die Antragsschrift dem Unternehmen zu übermitteln sei und ein Hinweis erfolgen müsse, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt werden könne.496 Um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu vermeiden, behalfen sich Rechtsprechung und Literatur mit der Annahme, dass dem Unternehmen mit dem Beteiligungsbeschluss auch die Antragsschrift zur Äußerung zuzustellen sei und zugleich der entsprechende Hinweis zu erfolgen habe, wobei eine angemessene Frist zur Ausübung des Antragsrechts gewährt werden müsse.497 Abgeleitet wurde die Pflicht zur Übersendung der Antragsschrift aus §§ 440 Abs. 3, 433 Abs. 1 StPO a.F. in Verbindung mit § 201 Abs. 1 S. 1 StPO, wodurch die Regelung in § 433 Abs. 1 S. 1 StPO a.F. dahingehend erweitert wurde,498 dass dem Unternehmen zum einen ab Anordnung der Beteiligung die Befugnisse einer natürlichen Person zukamen und es sich zum anderen nicht nur auf die Befugnisse eines Angeklagten, sondern auch auf die eines Angeschuldigten berufen konnte.499 Durch den neu eingefügten § 435 Abs. 3 S. 1 StPO hat der Gesetzgeber nunmehr zumindest einige praktische Schwierigkeiten beseitigt und dem gerichtlichen Verfahren nach Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft mehr Struktur gegeben. So 495 Vor der Änderung des Einziehungsrechts durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung waren die heute in § 435 StPO enthaltenen Regelungen in § 440 StPO a.F. normiert. § 440 StPO a.F. normierte in Absatz 3 lediglich einen Satz, der nunmehr in § 435 Abs. 3 S. 2 StPO enthalten ist. 496 Gemäß § 441 Abs. 3 StPO a.F. wurde nur dann aufgrund einer mündlichen Verhandlung durch Urteil entschieden, wenn die Staatsanwaltschaft oder sonst ein Beteiligter es beantragt oder das Gericht es angeordnet hatte. Dies entspricht der heutigen Regelung in § 434 Abs. 3 StPO. 497 OLG Karlsruhe, in: NJW 1974, 709, 711; KK StPO-Schmidt, § 440 StPO a.F., Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, § 440 StPO a.F., Rn. 13; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 113. 498 § 433 StPO a.F. ist wortgleich in § 427 StPO geregelt. 499 Zumindest die erste Erweiterung deckte sich auch mit dem Willen des Gesetzgebers von 1968. Nach seiner Vorstellung sollten dem Einziehungsbeteiligten im selbstständigen Verfahren die Befugnisse eines Angeklagten schon von dem Zeitpunkt der Anordnung über die Verfahrensbeteiligung an zukommen. Eine ausdrückliche Regelung wurde indes nicht für notwendig erachtet; vgl. die Begründung zu § 440 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 82.
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folgt zum einen aus der entsprechenden Anwendung des § 201 StPO, dass der Vorsitzende des Gerichts dem Unternehmen die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft von Amts wegen unverzüglich und in Schriftform mitzuteilen hat.500 Eine Erweiterung des § 427 StPO, wie sie von Rechtsprechung und Literatur vor der Reform vorgenommen wurde, ist daher nicht mehr erforderlich. Zum anderen kann das Gericht gemäß § 202 StPO einzelne Beweiserhebungen anordnen und gemäß § 202a StPO mit den Verfahrensbeteiligten den Stand des Verfahrens erörtern, bevor es schließlich über die Eröffnung des Hauptverfahrens im Sinne der §§ 203, 207 StPO oder des § 204 StPO durch Beschluss entscheidet. Auch für das Unternehmen führt die vorgeschriebene Durchführung eines Zwischenverfahrens zu Verbesserungen im Hinblick auf seine Position. Nach der alten Rechtslage hätte etwa aufgrund einer richterlichen Anordnung unmittelbar in einem mündlich geführten Hauptverfahren über die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße verhandelt werden können. Durch die entsprechende Geltung der §§ 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO besteht für das Unternehmen jetzt ein gewisser Schutz, sich zunächst in einem nichtöffentlichen Verfahrensabschnitt gegen die in der Antragsschrift erhobenen Vorwürfe verteidigen zu können. Mitwirkungsmöglichkeiten ergeben sich dabei über § 201 StPO aus dem Recht, die Vornahme einzelner Beweiserhebungen beantragen und Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen zu können. Hinzu kommen die Rechte, die für das Unternehmen aus §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 428 StPO folgen. Gleichwohl bleiben verschiedene Fragen in Zusammenhang mit der Durchführung des Zwischenverfahrens ungeklärt. Insbesondere stellt sich für die Staatsanwaltschaft die Frage, welches Gericht im Rahmen des Zwischenverfahrens zuständig ist. Zwar enthalten §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 1 S. 1 StPO und § 444 Abs. 3 S. 2 StPO Zuständigkeitsregelungen, doch beziehen sich diese auf die Entscheidung über die selbstständige Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße und damit auf die gerichtliche Zuständigkeit im Hauptverfahren. Für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens fehlt es hingegen an einer Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit. Die Staatsanwaltschaft wird daher auf § 199 Abs. 1 StPO zurückgreifen müssen und in entsprechender Anwendung der Vorschrift ihren Antrag auf selbstständige Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße bei dem Gericht einreichen, welches in einem späteren Hauptverfahren gemäß den §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 1 S. 1 StPO und § 444 Abs. 3 S. 2 StPO zuständig wäre.501 500
Vgl. zu den Anforderungen des § 201 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StPO: BeckOK StPO-Ritscher, § 201 StPO, Rn. 2 ff. 501 Es erschließt sich nicht, warum der Gesetzgeber in § 435 Abs. 3 S. 1 StPO von einem Verweis auf § 199 StPO abgesehen hat. Auch die Gesetzesmaterialien helfen an dieser Stelle nicht weiter. Es wird lediglich allgemein darauf hingewiesen, dass durch Satz 1 die Durchführung eines Zwischenverfahrens vorgeschrieben und damit der hohe Stellenwert des Gebots rechtlichen Gehörs hinreichend berücksichtigt werde; vgl. die Begründung zu § 435 StPO (Nummer 12) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 92.
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Weiterhin ungeklärt ist die Frage, wann das Gericht das Unternehmen darauf hinweisen muss, dass es die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragen kann.502 Denn nach wie vor wird das Hauptverfahren nur dann mündlich geführt, wenn dies gerichtlich angeordnet wird oder die Staatsanwaltschaft beziehungsweise sonst ein Beteiligter einen entsprechenden Antrag stellt.503 In Einklang mit der bisherigen Praxis sollte das Unternehmen frühestmöglich auf sein Antragsrecht hingewiesen werden, also mit Erhalt der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft. So kann es in seine Überlegungen zur weiteren Verteidigung die Frage einbeziehen, ob die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter bestimmten Gesichtspunkten vorteilhaft sein kann und daher beantragt werden sollte. Dem Unternehmen muss dabei – entsprechend der Frist in § 201 StPO für die Erklärung von Beweisanträgen und Einwendungen – ein angemessener Zeitraum zur Ausübung seines Antragsrechts eingeräumt werden. 3. Das Hauptverfahren Erachtet das Gericht die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße in einem Hauptverfahren für wahrscheinlicher als ihre Ablehnung, wird es gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1, 203, 207 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens beschließen.504 Über die Sanktionierung des Unternehmens wird dann grundsätzlich in einem schriftlichen Verfahren gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO durch Beschluss entschieden. Eine Entscheidung ist aber auch nach mündlicher Verhandlung durch Urteil entsprechend den Vorschriften über die Hauptverhandlung möglich, wenn dies von der Staatsanwaltschaft oder einem anderen Beteiligten beantragt wird oder das Gericht es anordnet, §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 3 S. 1 StPO. Dies sind die einzigen Vorschriften, die sich unmittelbar auf das Hauptverfahren beziehen. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber keine Notwendigkeit gesehen, den Ablauf des Verfahrens näher zu bestimmen. Vielmehr wurde der pauschale Verweis in § 435 Abs. 3 S. 2 StPO auf §§ 424 bis 430 StPO und § 433 StPO für ausreichend erachtet, um zu regeln, wer im selbstständigen Verfahren Beteiligter ist und wie seine Beteiligung im Einzelnen ausgestaltet ist.505 Die Regelungen zum selbstständigen 502 Eine Hinweispflicht des Gerichts folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG, der auch für Unternehmen gilt (vgl. Fn. 723): Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst zum einen ein Äußerungsrecht der Prozessbeteiligten, zum anderen aber auch die Pflicht des Gerichts, die Beteiligten dergestalt zu informieren, dass sie ihr Äußerungsrecht ausüben können. Da das Äußerungsrecht unter anderem die Möglichkeit schützt, prozessrechtlich vorgesehene Anträge, wie den Antrag nach § 434 Abs. 3 S. 1 StPO, stellen zu können, führt dies zu einer entsprechenden Hinweispflicht des Gerichts; vgl. auch: Maunz/Dürig-Remmert, Art. 103 Abs. 1 GG, Rn. 76 und 78. 503 Siehe: Kapitel 2, B. II. 3. 504 Vgl. zu dem Verdachtsgrad des § 203 StPO: MüKo StPO-Wenske, § 203 StPO, Rn. 8 ff. 505 Begründung zu § 440 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 82.
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Hauptverfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße zeichnen sich somit einerseits durch fragmentarische Regelungen in § 434 Abs. 2 und 3 StPO aus und andererseits durch den Versuch des Gesetzgebers, mittels Verweisungstechnik auf möglichst einfache Weise weitere Vorgaben für das Verfahren und seinen Ablauf zu schaffen. Vor diesem Hintergrund sollen nun in einem ersten Schritt die einschlägigen Regelungen aus den Verweisungen herausgearbeitet werden, um dann in einem zweiten Schritt den genauen Ablauf des Hauptverfahrens darstellen zu können. a) Verweisungen in § 444 Abs. 3 S. 1 StPO Bei dem selbstständigen Verfahren muss zwischen zwei Hauptverweisen unterschieden werden: Erstens verweist die Vorschrift zur selbstständigen Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße in § 444 Abs. 3 S. 1 StPO auf die Vorschriften über die Entscheidung im selbstständigen und im nachträglichen Einziehungsverfahren in den §§ 436 und 434 StPO. Zweitens enthält § 444 Abs. 3 S. 1 StPO einen Verweis auf die allgemeine Regelung zum selbstständigen Einziehungsverfahren in § 435 StPO, wodurch wiederum bestimmte Vorschriften des einheitlichen Einziehungsverfahrens entsprechend gelten. Der erste Verweis in § 444 Abs. 3 S. 1 StPO auf die Regelungen in §§ 436 und 434 StPO wurde in der Form erst 2017 durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung in die Norm aufgenommen. Es handelt sich um eine Folgeänderung, die auf der Neufassung der §§ 421 ff. StPO beruht.506 Vor der Reform war das Verfahren bei selbstständiger und nachträglicher Einziehung zusammengefasst in § 441 StPO a.F. geregelt. Durch die Aufteilung der Vorschrift auf die §§ 436 und 434 StPO hat der Gesetzgeber nun zumindest für das Einziehungsverfahren eine übersichtlichere Systematik der Normen geschaffen.507 Für das selbstständige Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße hat sich hingegen eine kompliziertere Regelungsstruktur ergeben. Während § 444 Abs. 3 S. 1 StPO a.F. nur auf die einzelne Norm des § 441 StPO a.F. verwies, gelten nun zum einen § 436 Abs. 1 StPO und zum anderen § 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 oder 3 StPO sinngemäß. Hierdurch erklärt der Gesetzgeber § 436 Abs. 2 StPO für entsprechend anwendbar, der wiederum selbst Verweise enthält, namentlich auf § 423 Abs. 1 S. 2 StPO und § 434 Abs. 2 bis 4 StPO.508 Da somit auch § 436 Abs. 2 506 Begründung zu § 444 StPO (Nummer 14) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 93. 507 So ist nun an erster Stelle das Nachverfahren in den §§ 433, 434 StPO geregelt und nachfolgend das selbstständige Einziehungsverfahren in den §§ 435, 436 StPO. 508 Die einschränkende Formulierung „§ 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 oder 3 StPO“ in § 444 Abs. 3 S. 1 StPO zeigt allerdings, dass für das selbstständige Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße über § 436 Abs. 2 StPO lediglich § 434 Abs. 2 oder 3 StPO entsprechend gelten und nicht die übrigen, in § 436 Abs. 2 StPO normierten Verweise.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
StPO auf § 434 Abs. 2 und 3 StPO verweist, stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber die Verweisungskette in § 444 Abs. 3 S. 1 StPO um ein weiteres Glied in Form des § 436 Abs. 2 StPO verlängerte und nicht §§ 435, 436 Abs. 1 StPO und § 434 Abs. 2 und 3 StPO für sinngemäß anwendbar erklärte. Es kann nur vermutet werden, dass er durch die Verweisung über § 436 Abs. 2 StPO betonen wollte, dass das Verfahren zur selbstständigen Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße an das selbstständige Einziehungsverfahren angelehnt ist und nicht an das nachträgliche Einziehungsverfahren: Die Vorschriften für das Nachverfahren in § 434 Abs. 2 und 3 StPO gelten nicht von sich aus sinngemäß, sondern finden nur über den Verweisungsweg des selbstständigen Einziehungsverfahrens Anwendung. Auch wenn dies einerseits zu einer klareren Anlehnung des Unternehmensbußgeldverfahrens an das selbstständige Einziehungsverfahren führt, hat der Gesetzgeber andererseits eine komplexere Verweisungskette geschaffen, die nicht zur Übersichtlichkeit der Verfahrensregelungen beiträgt. In Bezug auf den zweiten Verweis in § 444 Abs. 3 S. 1 StPO auf § 435 StPO wird in der Literatur geltend gemacht, dass die Verweisung auf § 435 Abs. 3 S. 2 StPO nur insoweit gelte, wie die Vorschriften zum einheitlichen Einziehungsverfahren gemäß § 444 Abs. 1 und 2 StPO auch im einheitlichen Verfahren bei Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße Anwendung fänden.509 Dies würde bedeuten, dass anstelle der §§ 424 bis 430 StPO und § 433 StPO nur die § 424 Abs. 3 und 4 StPO, §§ 426 bis 428 StPO, § 429 Abs. 2 und 3 Nr. 1 StPO und § 430 Abs. 2 und 4 StPO gelten würden. Gestützt wird diese Vermutung durch die Gesetzesbegründung510 und die Überlegung, dass durch eine solche Beschränkung ein zumindest ähnlicher Verfahrensablauf mit einer vergleichbaren Stellung des Unternehmens geschaffen wird. Zu bedenken ist allerdings, dass der Wille des Gesetzgebers keinen Ausdruck im Wortlaut des Gesetzes gefunden hat: Dem Verweis in § 444 Abs. 3 S. 1 StPO kann keine Einschränkung entnommen werden. Unberücksichtigt bleibt zudem, dass § 444 Abs. 1 und 2 StPO selbst Regelungen zur Beteiligung des Unternehmens und zur Durchführung der Hauptverhandlung treffen, die vorrangig vor § 424 Abs. 1 StPO, § 429 Abs. 1 StPO und § 430 Abs. 1 S. 1 StPO sind. Da es in § 444 Abs. 3 StPO an entsprechenden Vorschriften fehlt, müssen zumindest in diesen Fällen zur Vermeidung von Regelungslücken über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO die Vorschriften zum einheitlichen Einziehungsverfahren Anwendung finden, die sonst im einheitlichen Verfahren bei Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße ausgeschlossen werden. Der Literatur kann daher nicht uneingeschränkt gefolgt werden. 509 So etwa: LR StPO-Gössel, § 444 StPO a.F., Rn. 38; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 221; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 112; wobei Rogall und Müller auf Gössel verweisen, der seine Aussage nicht belegt. 510 Vgl. die Begründung zu § 444 StPO (Nummer 11) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 83. Auch den Gesetzgebungsmaterialien zu dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017, durch welches die §§ 421 ff. StPO neu gefasst wurden, lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber seine diesbezügliche Auffassung geändert hat.
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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Es muss aber auch berücksichtigt werden, dass der pauschale Verweis auf § 435 Abs. 3 S. 2 StPO und damit auf die §§ 424 bis 430 StPO und § 433 StPO in Bezug auf gewisse Normen nicht geeignet ist: So findet § 433 StPO im einheitlichen Unternehmensbußgeldverfahren keine Anwendung, weil die Festsetzung einer Geldbuße gegenüber dem Unternehmen stets dessen Beteiligung voraussetzt und eine Konstellation im Sinne des § 433 StPO folglich nicht entstehen kann.511 Gleiches gilt aber für die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße im selbstständigen Verfahren, so dass der Verweis auf § 433 StPO über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO ins Leere führt. Weiter ist problematisch, dass allgemein auf die Vorschriften des einheitlichen Einziehungsverfahrens verwiesen wird, die auf ein mündlich geführtes Verfahren ausgelegt sind. Wird das selbstständige Verfahren aber in Form eines schriftlichen Hauptverfahrens geführt, können § 429 StPO und § 430 StPO keine beziehungsweise nur teilweise Anwendung finden. Die Schwierigkeit bei der Frage, welche Vorschriften bei der Festsetzung der Unternehmensgeldbuße im selbstständigen Hauptverfahren einschlägig sind, liegt somit darin, dass auf der einen Seite eine scheinbar eindeutige gesetzliche Regelung besteht, die über § 444 Abs. 3 S. 1 StPO und § 435 Abs. 3 S. 2 StPO auf die §§ 424 bis 430 StPO und § 433 StPO verweist. Auf der anderen Seite ist der Verweis jedoch undifferenziert und der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers steht zum Teil in Widerspruch zu den, von ihm für anwendbar erklärten Normen. Bei der Auslegung und Anwendung der §§ 424 bis 430 StPO und § 433 StPO muss daher darauf geachtet werden, dass die Unterschiede zwischen dem einheitlichen und dem selbstständigen Verfahren nicht zu groß werden, aber die Besonderheiten des selbstständigen Verfahrens dennoch Berücksichtigung finden. Im Ergebnis gelten daher über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO für das schriftliche Hauptverfahren die §§ 424 Abs. 1, 3 und 4, 427 Abs. 1, 428 und 429 Abs. 2 StPO entsprechend, während sich der Ablauf des mündlich geführten Hauptverfahrens nach den §§ 424 Abs. 1, 3 und 4, 427, 428, 429 Abs. 1, 2 und 3 Nr. 1 und 430 Abs. 1, 2 und 4 StPO richtet. b) Schriftliches Verfahren Für das schriftliche Verfahren ergibt sich demnach folgender Ablauf: Eingeleitet wird das Hauptverfahren gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1, 203, 207 StPO durch den gerichtlichen Eröffnungsbeschluss. Hat bis zu diesem Zeitpunkt keiner der Beteiligten die Entscheidung durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung beantragt und ordnet auch das Gericht ein entsprechendes Verfahren nicht an, findet das Hauptverfahren gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO in Form eines Beschlussverfahrens statt. Zuständig für dessen Durchführung und die Entscheidung über die selbstständige Festsetzung der Unterneh511 Vgl. die Begründung zu § 444 StPO (Nummer 11) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 83.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
mensgeldbuße ist gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 1 S. 1 StPO das Gericht, welches bei der Strafverfolgung der natürlichen Person sachlich und örtlich zuständig wäre. Ebenso wie im einheitlichen Verfahren kann daher für die selbstständige Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße eine sachliche Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern der Landgerichte gegeben sein. Eine weitere Bestimmung zur örtlichen Zuständigkeit enthält § 444 Abs. 3 S. 2 StPO, wonach auch das Gericht, in dessen Bezirk die juristische Person oder Personenvereinigung ihren Sitz oder eine Zweigniederlassung hat, zuständig sein kann. In dem Beschlussverfahren wird nach den Grundsätzen des Freibeweises verfahren, weshalb § 430 Abs. 2 StPO keine Anwendung findet.512 Dafür gilt mit § 429 Abs. 2 StPO eine andere Vorschrift, die grundsätzlich auf ein mündlich geführtes Hauptverfahren zugeschnitten ist. § 429 Abs. 2 StPO bestimmt, dass dem Unternehmen mit der Terminsnachricht die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft und in den Fällen des § 207 Abs. 2 StPO der Eröffnungsbeschluss mitgeteilt wird. Relevant ist die Vorschrift in der vorliegenden Verfahrenskonstellation allein im Hinblick auf die Mitteilung des Eröffnungsbeschlusses, da es an einer Terminsnachricht im schriftlichen Verfahren fehlt und die erneute Zustellung der Antragsschrift nicht erforderlich ist. Das Unternehmen muss für seine weitere Verteidigung jedoch Kenntnis davon haben, ob das Gericht die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft unverändert oder mit Änderungen für das Hauptverfahren zugelassen hat, so dass die Mitteilung des Eröffnungsbeschlusses gemäß § 429 Abs. 2 StPO auch im schriftlichen Verfahren geboten ist. Bevor das Gericht schließlich seine Entscheidung trifft, hat es das beteiligte Unternehmen gemäß § 33 Abs. 2 und 3 StPO anzuhören. Das Anhörungsrecht ist allerdings an die Voraussetzungen geknüpft, dass das Gericht in seiner Entscheidung Tatsachen oder Beweisergebnisse zum Nachteil des Unternehmens verwerten will, zu denen dieses noch nicht gehört worden ist. Die Entscheidung des Gerichts ergeht schließlich durch Beschluss, der dem Unternehmen nach § 35 Abs. 2 StPO oder dessen Verteidiger nach §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, 145a Abs. 1 StPO zuzustellen ist. c) Mündliches Verfahren Sofern das Unternehmen die Entscheidung durch Urteil beantragt, ist eine mündliche Verhandlung zwingend durchzuführen.513 In diesem Fall hat der Vorsitzende des zuständigen Gerichts gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 2, 213 StPO einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, welcher dem Unternehmen gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 429 Abs. 1 StPO beziehungsweise dem Verteidiger des Unterneh512
LR StPO-Gössel, § 440 StPO a.F., Rn. 46; vgl. hierzu: Kapitel 3, C. I. 3. a). Auch ein entsprechender Antrag der Staatsanwaltschaft oder sonst eines Antragstellers führt zwingend zu einem Urteilsverfahren. In allen anderen Fällen liegt es im Ermessen des Gerichts, ob es ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss oder aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil entscheidet; vgl. KK StPO-Schmidt, § 441 StPO a.F., Rn. 6. 513
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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mens gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, 145a Abs. 1 StPO durch Zustellung bekannt zu geben ist. Eine Ladung des Unternehmens, wie sie im Rahmen des einheitlichen Verfahrens zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße in § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 StPO vorgesehen ist, erfolgt somit grundsätzlich nicht. Wenn das Gericht in der späteren Verhandlung allerdings die Vorführung des Unternehmensvertreters anordnen will, muss dieser – über § 429 Abs. 1 StPO hinausgehend – unter Hinweis auf die Vorführungsmöglichkeit gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 427 Abs. 2 StPO geladen worden sein. Die Regelung des § 429 Abs. 2 StPO erübrigt sich im Hinblick auf die Antragsschrift. Diese wird dem Unternehmen bereits unmittelbar nach Einleitung des Zwischenverfahrens gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1, 201 Abs. 1 S. 1 StPO mitgeteilt. Der Eröffnungsbeschluss muss dem Unternehmen hingegen noch förmlich mitgeteilt werden, wobei § 429 Abs. 2 StPO dessen Bekanntgabe auf die Fälle beschränkt, in denen das Gericht die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft mit Änderungen zur Hauptverhandlung zugelassen hat. Gemäß § 429 Abs. 3 Nr. 1 StPO ist das Unternehmen mit der Terminsnachricht darauf hinzuweisen, dass auch ohne es verhandelt werden kann. Im Übrigen richtet sich der Ablauf der Verhandlung entsprechend dem Verweis in § 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO nach den Vorschriften über die Hauptverhandlung, soweit in §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 430 StPO keine abweichenden Regelungen enthalten sind. Solche sind ebenso wie im einheitlichen Verfahren hinsichtlich des Beweisantragsrechts und der Verkündung sowie des Umfangs des Urteils in § 430 Abs. 2 und 4 StPO normiert. Darüber hinaus besteht für das selbstständige Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße keine mit § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 StPO vergleichbare Regelung, weshalb § 430 Abs. 1 S. 1 StPO Anwendung findet. Danach kann ohne das Unternehmen verhandelt werden, wenn es in der Hauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Terminsnachricht ausbleibt. Gleiches gilt gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 430 Abs. 1 S. 2 StPO, wenn sich das Unternehmen aus der Hauptverhandlung entfernt oder bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ausbleibt. Anders als im einheitlichen Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße kommt es bei dem selbstständigen Verfahren folglich nicht auf die Entschuldigungsgründe für das Ausbleiben an.514 Dementsprechend wird auch die Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 235 StPO zu beantragen, in §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 430 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 StPO ausgeschlossen.
514 Die Entschuldigungsgründe können von dem Gericht allerdings im Rahmen seines Ermessens berücksichtigt werden, wenn es darüber entscheidet, ob die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Unternehmens durchgeführt wird; siehe: Kapitel 3, C. I. 3. b).
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
4. Das Rechtsmittelverfahren Auch im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens muss danach differenziert werden, ob eine Entscheidung durch Beschluss oder durch Urteil ergeht: Gegen den Beschluss kann gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO sofortige Beschwerde eingelegt werden; das Urteil ist hingegen mit den Rechtsmitteln der Berufung und Revision angreifbar. Für den Fall der zulässigen Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil enthält § 434 Abs. 3 S. 2 StPO aber eine Einschränkung dahingehend, dass gegen das Berufungsurteil nicht mehr Revision eingelegt werden kann. Hat das Landgericht oder das Oberlandesgericht erstinstanzlich entschieden, ist ohnehin nur die Revision statthaft. In allen Fällen steht den Beteiligten somit nur ein Rechtsmittel zur Verfügung.515 Abgesehen von den genannten Normen fehlt es in den §§ 444 Abs. 3, 435 und 436 StPO an Vorschriften, die Regelungen bezüglich des Verfahrensablaufs treffen oder auf die jeweiligen Vorschriften in den §§ 311, 304 ff. StPO, §§ 312 ff. StPO und §§ 333 ff. StPO verweisen. Selbst die spezielle Vorschrift zum Rechtsmittelverfahren in § 431 StPO greift mangels eines Verweises in §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO nicht.516 Es muss daher davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mit der pauschalen Bezugnahme auf die sofortige Beschwerde in § 434 Abs. 2 StPO sowie die Berufung und Revision in § 434 Abs. 3 S. 2 StPO implizieren wollte, dass die jeweiligen Rechtsmittelvorschriften des Individualstrafrechts Anwendung finden. Ergänzend gelten für das Unternehmen gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO die Regelungen in § 427 Abs. 1 StPO und § 428 Abs. 1 StPO.517 Für das Beschlussverfahren ergibt sich somit, dass das Unternehmen gemäß § 311 Abs. 2 StPO binnen einer Woche Beschwerde gegen die gerichtliche Entscheidung einlegen muss. Der Verfahrensablauf richtet sich dann nach den §§ 304 ff. StPO, wobei das erstinstanzliche Gericht gemäß § 311 Abs. 3 S. 1 StPO grundsätzlich nicht befugt ist, seine durch die Beschwerde angegriffene Entscheidung abzuändern. Eine Ausnahme besteht lediglich gemäß § 311 Abs. 3 S. 2 StPO, wenn es im Rahmen des Beschlussverfahrens zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs kam. Sofern die Beschwerde dem Beschwerdegericht vorgelegt wird, trifft dieses seine Entscheidung gemäß § 309 Abs. 1 StPO ohne mündliche Verhandlung. Wird in der ersten Instanz hingegen durch Urteil entschieden, gelten im Berufungsverfahren die allgemeinen Regeln der §§ 312 ff. StPO. Im Falle des Rückgriffs auf die Vorschriften über die erstinstanzliche Hauptverhandlung gemäß §§ 323 Abs. 1, 332 StPO finden für das Unternehmen allerdings vorrangig § 429 Abs. 1 StPO und § 430 Abs. 2 und 4 StPO 515 Die Regelung in § 434 Abs. 3 S. 2 StPO hat somit zu einer Angleichung des mündlich geführten Verfahrens an das Beschlussverfahren geführt, in welchem es ebenfalls nur ein Rechtsmittel gibt. Es ist aber außer Acht geblieben, dass damit zugleich eine Ungleichbehandlung zwischen dem einheitlichen und dem selbstständigen Verfahren herbeigeführt wurde. 516 Vgl. hierzu: Kapitel 3, D. I. 2. 517 Vgl. zu der grundsätzlichen Geltung der Vorschriften im Rechtsmittelverfahren: Kapitel 2, B. I. 4. a).
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO Anwendung. Das Unternehmen wird somit nicht geladen, sondern erhält gemäß § 323 Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 429 Abs. 1 StPO nur eine Terminsnachricht. Das Revisionsverfahren richtet sich schließlich nach den §§ 333 ff. StPO.
III. Einheitliches Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit Der Zweite Teil des OWiG enthält ein eigenständiges Verfahrensrecht, dessen Vorschriften im Vergleich zum Individualstrafverfahren zu einem anderen Verfahrensablauf führen. Dies wirkt sich unter anderem auf das einheitliche Unternehmensbußgeldverfahren aus, da sich dessen Ablauf nach dem Ablauf des gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Verfahrens richtet.518 Das einheitliche Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit unterscheidet sich daher schon in seiner Grundstruktur von dem Verfahren, welches nach den Vorschriften der StPO gegen Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter geführt wird. Die speziell für das Unternehmen geltenden Regelungen sind in § 88 Abs. 1 OWiG und §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 und 2, Abs. 5 OWiG normiert. Die Vorschriften greifen jedoch nur einzelne Aspekte des Verfahrens zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße auf und erschweren durch ihre lückenhafte Ausgestaltung, eine Struktur für das Verfahren gegenüber Unternehmen zu finden. Bleiben Einzelheiten des Verfahrens gegenüber dem Unternehmen nach den Vorschriften des OWiG ungeregelt, müssen über die allgemeine Verweisungsvorschrift in § 46 Abs. 1 OWiG die Vorschriften der StPO, insbesondere § 444 Abs. 1 und 2 StPO, herangezogen werden. 1. Das Ermittlungsverfahren Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ist grundsätzlich die Verwaltungsbehörde zuständig, § 35 Abs. 1 OWiG. Sie kann bei Vorliegen eines Anfangsverdachts gegen eine natürliche Person im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens ein Ermittlungsverfahren gegen diese einleiten, welches entweder mit einer Einstellungsverfügung oder mit dem Erlass eines Bußgeldbescheides endet.519 Ihr stehen dabei über § 46 Abs. 2 OWiG die Rechte und Pflichten zu, die auch die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten für sich in Anspruch nehmen kann. Im Gegensatz zu der Staatsanwaltschaft hat sie allerdings darüber hinaus die Befugnis, die Beteiligung eines Unternehmens an einem gegen einen Unterneh518
Dies gilt gemäß § 88 Abs. 1 OWiG zumindest für den ersten Verfahrensabschnitt vor der Verwaltungsbehörde, wonach diese im Bußgeldverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter über die Festsetzung einer Geldbuße gegen das Unternehmen entscheidet. Siehe zu den weiteren Verfahrensabschnitten: Kapitel 2, B. III. 2. bis 4. 519 Vgl. KK OWiG-Lutz, Zweiter Teil. Dritter Abschnitt. Vorverfahren. Vorbemerkungen, Rn. 1, 36.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
mensmitarbeiter geführten Ermittlungsverfahren anzuordnen. Dies folgt aus § 88 Abs. 1 OWiG, der weiter bestimmt, dass die Verfolgungsbehörde für die Beiordnung eines Rechtsanwalts oder einer anderen Person, die als Verteidiger bestellt werden darf, und die Zurückweisung eines Verteidigers zuständig ist. Mit diesem ersten Absatz in § 88 OWiG (in Verbindung mit § 60 S. 2 OWiG) erschöpfen sich jedoch die Regelungen zu dem einheitlichen Ermittlungsverfahren, da sich die Vorschriften in § 87 Abs. 2 S. 1 und 2 sowie Abs. 5 OWiG lediglich auf den Zeitpunkt ab Erlass des Bußgeldbescheides beziehen. Auch die Befugnisse eines Betroffenen kommen dem Unternehmen gemäß § 87 Abs. 2 S. 1 OWiG erst zu diesem Zeitpunkt zu und nicht bereits mit der Anordnung seiner Beteiligung. Für das Unternehmen würde das bedeuten, dass es an dem Ermittlungsverfahren zwar beteiligt wird, eine weitergehende Einbeziehung in das Verfahren vor der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG aber nicht erfolgt. Da dies mit dem Grundsatz auf rechtliches Gehör kollidiert, besteht in der Literatur Einigkeit, dass das Unternehmen zumindest angehört werden muss,520 wenngleich umstritten ist, woraus sich ein solches Anhörungsrecht ableitet.521 Kommt die Verwaltungsbehörde am Ende ihrer Ermittlungen zu dem Ergebnis, sowohl gegen den Unternehmensmitarbeiter als auch gegen das Unternehmen ein Bußgeld zu verhängen, geschieht dies in einem einheitlichen Bescheid, der sich gegen den Unternehmensmitarbeiter richtet. Dem Unternehmen muss dieser Bußgeldbescheid zugestellt werden, §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 2 OWiG. Obwohl nur ein Bescheid ergeht, handelt es sich bei den beiden Bußgeldern um jeweils rechtlich selbstständige Bescheidteile, die eine unterschiedliche Reaktion von Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter auf ihren jeweiligen Teil zulassen.522 2. Das Zwischenverfahren Wird ein entsprechender Bußgeldbescheid erlassen, hängt der weitere Verfahrensablauf davon ab, ob und durch wen Einspruch eingelegt wird. Neben dem Unternehmensmitarbeiter kann auch das Unternehmen unter den Voraussetzungen des § 67 OWiG mittels Einspruch gegen das festgesetzte Bußgeld vorgehen, da ihm ab Erlass des Bescheides gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG die Befugnisse eines Betroffenen zukommen. Eine Möglichkeit besteht daher darin, dass sowohl der Unternehmensmitarbeiter als auch das Unternehmen Einspruch gegen den jeweils 520 So etwa: KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 227; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 115; Göhler, § 88 OWiG, Rn. 4; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 482; R/R/H-Hannich, § 88 OWiG, Rn. 12; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 236. 521 Eine Erörterung des Streitstandes findet sich im Rahmen der Darstellung der Mitwirkungsrechte des Unternehmens in dem Ermittlungsverfahren nach dem OWiG; siehe: Kapitel 3, A. III. 2. a) und b). 522 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 483; vgl. auch: Müller, Stellung der juristischen Person, S. 118 f.; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 231.
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eigenen Bescheidteil erheben. Denkbar ist aber auch, dass entweder der Unternehmensmitarbeiter oder das Unternehmen gegen den Bescheid vorgehen und folglich nur ein Teil des Bußgeldbescheides in Rechtskraft erwächst, während der andere Teil Gegenstand weiterer Überprüfung wird. In Betracht kommt schließlich, dass keine der Parteien Einspruch einlegt und die Rechtskraft hinsichtlich des gesamten Bescheides eintritt.523 Legen der Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen Einspruch ein, bleibt es bei einem einheitlichen Vorgehen und die Verfahrensvorschriften für den Unternehmensmitarbeiter bilden weiterhin den gemeinsamen Rahmen für den Verfahrensablauf gegenüber dem beteiligten Unternehmen. Es findet dann § 69 OWiG Anwendung, dessen Regelungen dem Zwischenverfahren einen dreistufigen Aufbau geben: Auf der ersten Stufe entscheidet die Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat, über die Einsprüche.524 Sofern sie zu dem Ergebnis kommt, dass die Einsprüche unzulässig sind, verwirft sie beide Einsprüche durch Bescheid, der gemäß § 62 OWiG mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten werden kann, § 69 Abs. 1 OWiG. Ist nur einer der beiden Einsprüche unzulässig und hat ein auf die Entscheidung der Verwaltungsbehörde folgender Antrag auf gerichtliche Entscheidung keinen Erfolg, ist die Konstellation gegeben, nach der nur eine Partei Einspruch einlegt und der Bußgeldbescheid gegenüber der jeweils anderen Partei rechtskräftig wird. Sind die Einsprüche hingegen zulässig und kommt die Verwaltungsbehörde im Rahmen einer sachlichen Nachprüfung zu dem Ergebnis, dass beide auch begründet sind, nimmt sie den Bußgeldbescheid zurück, § 69 Abs. 2 S. 1 OWiG.525 In allen anderen Fällen hält sie an ihren ursprünglichen Bußgeldentscheidungen fest und übersendet die Akten gemäß § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 OWiG an die Staatsanwaltschaft. Mit Eingang der Akten bei der Staatsanwaltschaft ist die zweite Stufe des Verfahrens erreicht. Die Staatsanwaltschaft wird durch Nr. 281 RiStBV angehalten, erneut die Zulässigkeit der Einsprüche zu prüfen und – sofern die Einsprüche unzulässig sind und dies von der Verwaltungsbehörde übersehen wurde – dieser die Akten zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Einsprüche nach § 69 Abs. 1 OWiG zurückzusenden.526 Sind die Einsprüche dagegen
523 Da der auf die Unternehmensgeldbuße bezogene Teil des Bußgeldbescheides bei einem alleinigen Einspruch durch den Unternehmensmitarbeiter in Rechtskraft erwächst, ist diese Konstellation im Hinblick auf das Verfahren gegenüber dem Unternehmen nicht weiter relevant und wird daher in der folgenden Betrachtung nicht untersucht. Gleiches gilt für den Fall, dass weder der Unternehmensmitarbeiter noch das Unternehmen Einspruch einlegen und der Bescheid damit rechtskräftig wird. 524 Die Zuständigkeit der ursprünglich bescheidenden Verwaltungsbehörde für den Einspruch ergibt sich aus § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG. 525 Auch wenn lediglich einer der Einsprüche begründet ist, muss die Verwaltungsbehörde den gesamten Bußgeldbescheid zurücknehmen, da eine teilweise Rücknahme unzulässig ist; vgl. Göhler, § 69 OWiG, Rn. 24. 526 Gleiches gilt, wenn nur einer der beiden Einsprüche unzulässig ist, da die Verwerfungskompetenz gemäß § 69 Abs. 1 OWiG bei der Verwaltungsbehörde liegt. Diese wird die
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
zulässig, wird gemäß Nr. 282 Abs. 1 RiStBV durch die Staatsanwaltschaft geprüft, ob der hinreichende Verdacht einer Ordnungswidrigkeit besteht, die Verfolgung geboten ist (§ 47 Abs. 1 OWiG) und Verfahrenshindernisse nicht entgegenstehen. Sollte einer der Fälle in Bezug auf den Unternehmensmitarbeiter und/oder das Unternehmen gegeben sein, kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter einstellen und/oder von einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG absehen. Anderenfalls hat sie die Akten dem Richter am Amtsgericht gemäß § 69 Abs. 4 S. 2 OWiG unter Beachtung der Vorgaben des Nr. 284 RiStBV vorzulegen, wodurch die dritte und letzte Stufe des Verfahrens nach Einspruch eingeleitet wird. In dieser wird nun zum dritten Mal die Zulässigkeit der Einsprüche geprüft, § 70 Abs. 1 OWiG. Sind die beiden Einsprüche beziehungsweise einer der beiden Einsprüche zulässig und verweist das nach § 68 Abs. 1 OWiG zuständige Amtsgericht die Sache nicht gemäß § 69 Abs. 5 OWiG wegen offensichtlich ungenügender Aufklärung des Sachverhalts an die Verwaltungsbehörde zurück, tritt es ohne weitere Entscheidung in das Hauptverfahren ein. Schwieriger sind die Fälle zu beurteilen, in denen allein das Unternehmen Einspruch einlegt. Ab diesem Zeitpunkt verändert sich das ursprünglich einheitlich geführte Verfahren, da nun ausschließlich gegen das Unternehmen vorgegangen wird. Die § 88 Abs. 1 OWiG und §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 und 2, Abs. 5 OWiG enthalten diesbezüglich keine weiteren Bestimmungen, wenngleich § 87 Abs. 2 S. 1 OWiG vorsieht, dass dem Unternehmen von dem Erlass des Bußgeldbescheides an die Befugnisse eines Betroffenen zukommen. Pohl-Sichtermann leitet daraus ab, dass die Vorschriften über den Einspruch des Betroffenen nach den §§ 67 ff. OWiG auch für das Unternehmen gelten müssen.527 Die gegenteilige Auffassung in der Literatur geht hingegen davon aus, dass bei alleinigem Einspruch durch das Unternehmen über § 46 Abs. 1 OWiG die Vorschriften über den Einspruch nach Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße durch Strafbefehl in den §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO gelten.528 Dies hätte zur Folge, dass ein Zwischenverfahren im Sinne des § 69 OWiG nicht durchgeführt werden würde, sondern über den Einspruch des Unternehmens unmittelbar in einem schriftlichen Gerichtsverfahren durch Beschluss entschieden würde, sofern es nicht zu einer mündlichen Verhandlung aufgrund eines Antrags oder einer Anordnung von Amts wegen käme.529 Müller begründet diese Ansicht mit der ursprünglichen Fassung der §§ 87, 88 OWiG, welche den Bußgeldbescheid einem Strafbefehl gleichstellten. Der Gesetzgeber habe dadurch zum Ausdruck gebracht, dass nach seinem Willen für den alleinigen Einspruch Akten gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 OWiG im Anschluss erneut an die Staatsanwaltschaft übersenden müssen, damit das Verfahren über den anderen, zulässigen Einspruch fortgesetzt werden kann. 527 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 259. 528 So etwa: Müller, Stellung der juristischen Person, S. 123; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 484 f.; Göhler, § 88 OWiG, Rn. 11; R/R/H-Hannich, § 88 OWiG, Rn. 24; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 242. Allerdings findet sich nur bei Müller eine Begründung für diese Ansicht. 529 Vgl. KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 217 f.
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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des Einziehungsbeteiligten in Form des Beschlussverfahrens die gleichen Verfahrenserleichterungen gelten sollten wie im Strafbefehlsverfahren.530 Mit der Formulierung „ursprünglichen Fassung der §§ 87, 88 OWiG“ bezieht sich Müller auf den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 08. Januar 1967, der in § 76 Abs. 2 OWiG die folgende Regelung enthielt: „Der Bußgeldbescheid, in dem die Einziehung angeordnet wird, steht im Sinne des § 433 Abs. 1 und des § 438 der Strafprozessordnung einem Strafbefehl gleich.“.531 Aufgrund der direkten Bezugnahme auf § 438 StPO a.F.532 hätte bei einem alleinigen Einspruch des Beteiligten über §§ 77 Abs. 3, 76 Abs. 2 OWiG des Entwurfs § 438 Abs. 2 StPO a.F. Anwendung gefunden, welcher auf § 441 Abs. 2 und 3 StPO a.F. verwies.533 Beide Absätze des § 441 StPO a.F. sind seit dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 in § 434 Abs. 2 und 3 StPO geregelt. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung in §§ 77, 76 Abs. 2 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten spricht somit für die von Müller und anderen Autoren vertretene Auffassung. Es wird allerdings außer Acht gelassen, dass die vorgeschlagene Regelung auf Vorschlag des Rechtsausschusses hin abgeändert wurde und daher keinen Eingang in das OWiG 1968 fand.534 Darüber hinaus wird die Begründung des Rechtsausschusses zu der Änderung übersehen: Nach der Auffassung des Ausschusses müsste der in § 438 530 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 123; vgl. auch: Begründung zu § 76 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 113. 531 Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 17. 532 Die Vorschrift ist seit 2017 mit wenigen Abweichungen in § 432 StPO geregelt. § 438 StPO a.F. lautete: „(1) Wird die Einziehung durch Strafbefehl angeordnet, so wird der Strafbefehl auch dem Einziehungsbeteiligten zugestellt. § 435 Abs. 3 Nr. 2 gilt entsprechend. (2) Ist nur über den Einspruch des Einziehungsbeteiligten zu entscheiden, so gelten § 439 Abs. 3 Satz 1 und § 441 Abs. 2 und 3 entsprechend.“. 533 Die Bundesregierung führt in ihrer Entwurfsbegründung zu § 77 Abs. 3 OWiG zwar aus, dass über den Verweis in Absatz 3 auf § 76 Abs. 2 OWiG für das Unternehmensbußgeldverfahren nur Absatz 1 von § 438 StPO a.F. gelten soll. Dadurch sollte aber lediglich der Verweis in § 438 Abs. 2 StPO a.F. auf § 439 Abs. 3 S. 1 StPO a.F. ausgeschlossen werden, da eine Anordnung nach § 431 Abs. 2 StPO a.F., auf die sich § 439 Abs. 3 S. 1 StPO a.F. bezog, in dem Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gegen Unternehmen nicht zulässig war. Im Übrigen sollte § 438 StPO a.F. in dem Umfang Anwendung finden, wie dies in § 444 StPO über das Verfahren bei der Festsetzung von Unternehmensgeldbußen bestimmt ist, vgl. die Begründung zu § 77 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 114. Schon damals enthielt der in dem Entwurf für ein Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vorgeschlagene § 444 Abs. 2 S. 2 StPO allerdings die heutige Regelung für den alleinigen Einspruch des Unternehmens (vgl. Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 10), weshalb über §§ 77 Abs. 3, 76 Abs. 2 OWiG des Entwurfs § 438 Abs. 2 StPO a.F. in Verbindung mit § 441 Abs. 2 und 3 StPO a.F. hätte angewendet werden können. 534 Vgl. den schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses (12. Ausschuss) über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) – Drucksache V/1269, BT-Drs. 5/2600, S. 37 f., und das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. Mai 1968, BGBl. I S. 481, 498.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
Abs. 2 StPO a.F. geregelte Fall des Einspruchs gegen einen Strafbefehl nicht ausdrücklich erwähnt werden, da nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ohnehin die Vorschriften der StPO sinngemäß anzuwenden seien, die im Falle eines Einspruchs gegen einen Strafbefehl gelten würden.535 Dabei verweist der Rechtsausschuss ausdrücklich auf § 60 OWiG des Entwurfs, der heute in Form des § 71 OWiG umgesetzt ist. Auch § 71 OWiG bezieht sich ausweislich seines Wortlauts auf das „Verfahren nach zulässigem Einspruch“. Aus der systematischen Stellung der Norm ergibt sich aber, dass damit das gerichtliche Verfahren gemeint ist, welches mit dem Ende des Zwischenverfahrens im Sinne des § 69 OWiG beginnt. Während somit nach dem Vorschlag der Bundesregierung schon ab Erlass des Bußgeldbescheides die Vorschriften der StPO über die Einziehung durch Strafbefehl Anwendung gefunden hätten, bezieht sich der Vorschlag des Rechtsausschusses – welcher in dem OWiG 1968 umgesetzt wurde – auf das gerichtliche Hauptverfahren und damit auf einen späteren Verfahrensabschnitt. In diesem hat ein Zwischenverfahren im Sinne des § 69 OWiG bereits stattgefunden, wohingegen nach dem Vorschlag der Bundesregierung ein solches nicht durchgeführt worden wäre, da die strafprozessualen Vorschriften zum Strafbefehlsverfahren ein Zwischenverfahren nach Einspruch nicht kennen. Die 1968 auf Vorschlag des Rechtsausschusses in das OWiG aufgenommene Regelung sowie die diesbezügliche Begründung des Rechtsausschusses sprechen daher dafür, von einer Geltung der §§ 67 ff. OWiG auszugehen. Danach findet auch in Fällen, in denen nur das Unternehmen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt hat, § 69 OWiG Anwendung.536 3. Das Hauptverfahren Hat das Gericht gemäß § 70 OWiG über die Zulässigkeit des Einspruchs beziehungsweise beider Einsprüche positiv entschieden, tritt es ohne Erlass eines Eröffnungsbeschlusses in das Hauptverfahren ein.537 Der Übergang zwischen der letzten Stufe des Zwischenverfahrens und dem Beginn des Hauptverfahrens ist somit fließend. Der anschließende Ablauf des Hauptverfahrens hängt entscheidend davon ab, ob das Verfahren infolge der Einsprüche beider Parteien oder aber infolge des alleinigen Einspruchs des Unternehmens geführt wird. Auf die beiden Konstellationen soll 535 Begründung zu den Änderungen bei § 76 OWiG durch den schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses (12. Ausschuss) über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) – Drucksachen V/1269, V/2600, BTDrs. zu Drucksache 5/2600, S. 12. 536 Ist der Einspruch des Unternehmens zulässig und begründet, hebt die Verwaltungsbehörde den Bußgeldbescheid im Ganzen auf, was den bereits rechtskräftig gewordenen Bescheidteil gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter einschließt. Die Behörde kann ihm gegenüber dann einen neuen Bescheid erlassen. 537 KK OWiG-Senge, § 71 OWiG, Rn. 8; Göhler, § 71 OWiG, Rn. 3.
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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daher im Folgenden getrennt eingegangen werden. Bevor jedoch der Verfahrensablauf im Detail dargestellt werden kann, ist es aufgrund der Vielzahl an Vorschriften, die teilweise nur bestimmte Verfahrenssituationen regeln und in unterschiedlichen Gesetzestexten normiert sind, erforderlich, zunächst jeweils das geltende Verfahrensrecht herauszuarbeiten. a) Verfahren nach zulässigem Einspruch von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen aa) Systematisierung der anwendbaren Verfahrensnormen Die Struktur für den Verfahrensablauf gegenüber dem Unternehmen ergibt sich, wie schon bei dem einheitlich geführten Zwischenverfahren, grundsätzlich aus den für den Unternehmensmitarbeiter geltenden Normen. Die Vorschriften für das Hauptverfahren gegen diesen sind in den §§ 71 bis 78 OWiG enthalten und werden über die Verweise in § 71 Abs. 1 OWiG und § 46 Abs. 1 OWiG sowohl durch die Vorschriften der StPO, die nach zulässigem Einspruch gegen einen Strafbefehl gelten, als auch durch die allgemeinen Regelungen in der StPO zur Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung ergänzt.538 Das gerichtliche Bußgeldverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter richtet sich daher nach den § 411 Abs. 1, 3 und 4 StPO sowie den §§ 212 ff. StPO und §§ 226 ff. StPO, soweit nicht die §§ 71 bis 78 OWiG vorrangige Regelungen enthalten.539 Inwieweit die §§ 71 bis 78 OWiG auch gegenüber dem Unternehmen gelten, kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern hängt von der Art der Vorschrift ab: Handelt es sich um eine allgemeine Vorschrift, die sich generell auf das bußgeldrechtliche Hauptverfahren und seine Durchführung bezieht, gilt sie wegen der Einheitlichkeit des Verfahrens zwingend auch für das Unternehmen. So folgt etwa aus § 71 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 411 Abs. 1 S. 2 StPO, dass das Gericht grundsätzlich aufgrund einer Hauptverhandlung zu entscheiden hat. Auch über die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG wird daher mündlich verhandelt. Bezieht sich die Regelung in den §§ 71 bis 78 OWiG hingegen direkt auf 538 Eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem Verweis des § 46 Abs. 1 OWiG und dem Verweis des § 71 Abs. 1 OWiG kann der Literatur und der Rechtsprechung nicht entnommen werden; vgl. exemplarisch KK OWiG-Senge, § 71 OWiG, Rn. 1; NK OWiG-Krumm, § 71 OWiG, Rn. 1 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 04. 08. 2011 – III-3 RBs 222/11, Juris, Rn. 4. Es bleibt unklar, ob über § 71 Abs. 1 OWiG nur die Vorschriften der StPO Anwendung finden, die nach zulässigem Einspruch gegen einen Strafbefehl gelten, oder ob von dem Verweis in § 71 Abs. 1 OWiG auch die allgemeinen strafprozessualen Vorschriften zur Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung erfasst sind. Da sich der Wortlaut des § 71 Abs. 1 OWiG jedoch auf § 411 StPO beschränkt, dem nur indirekt die Geltung der Vorschriften zur Hauptverhandlung entnommen werden kann, liegt den folgenden Ausführungen die Annahme zugrunde, dass §§ 212 ff. StPO und §§ 226 ff. StPO in dem Bußgeldverfahren über § 46 Abs. 1 OWiG Anwendung finden. 539 Vgl. KK OWiG-Senge, § 71 OWiG, Rn. 3.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
den Betroffenen, hängt die Anwendbarkeit der Vorschrift für das Unternehmen davon ab, ob die Befugnisse des Betroffenen geregelt werden. Da dem Unternehmen gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG diese zukommen, kann es sich auf die entsprechenden Normen berufen. In allen anderen Fällen muss, da § 88 OWiG keine weiteren Regelungen im Hinblick auf das einheitliche Hauptverfahren enthält, über den Verweis in § 46 Abs. 1 OWiG auf die Vorschriften der StPO zurückgegriffen werden. Für Unternehmen bedeutet das in erster Linie einen Rückgriff auf § 444 Abs. 1 und 2 StPO, der speziell das Verfahren bei Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße regelt. bb) Ablauf des Hauptverfahrens (1) Mündliches Verfahren Wird das einheitliche Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen als mündliches Verfahren gemäß § 71 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 411 Abs. 1 S. 2 StPO geführt, muss der zuständige Richter am Amtsgericht einen Termin zur Hauptverhandlung bestimmen und die Beteiligten zu dem Termin laden. Die §§ 72 bis 78 OWiG enthalten keine weiteren Bestimmungen in Bezug auf die Ladung des Unternehmensmitarbeiters, so dass dieser über § 46 Abs. 1 OWiG gemäß den §§ 214, 216 f. StPO geladen wird. Für das Unternehmen erfolgt die Ladung dementsprechend gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 StPO. Die Pflicht zur Anwesenheit an dem angesetzten Hauptverhandlungstermin ergibt sich für den Unternehmensmitarbeiter aus § 73 Abs. 1 OWiG. Er kann allerdings bei Gericht einen Antrag gemäß § 73 Abs. 2 OWiG stellen, von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden zu werden. Wird dem Antrag entsprochen und erscheint der Unternehmensmitarbeiter daraufhin nicht zu dem angesetzten Termin, wird die Verhandlung in Abwesenheit des Unternehmensmitarbeiters geführt, § 74 Abs. 1 OWiG. War der Unternehmensmitarbeiter von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen hingegen nicht entbunden und bleibt er dennoch ohne genügende Entschuldigung aus, kann das Gericht gemäß § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil verwerfen. Ein Teil der Literatur geht davon aus, dass § 74 OWiG, insbesondere § 74 Abs. 2 OWiG, ebenfalls für das beteiligte Unternehmen gilt: Habe das Gericht gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 2 StPO das persönliche Erscheinen des Unternehmensvertreters angeordnet und sei dieser trotz der Anordnung nicht in der Hauptverhandlung erschienen, könne das Gericht den Einspruch des Unternehmens gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verwerfen, worüber das Unternehmen gemäß § 74 Abs. 3 OWiG in der Ladung belehrt werden müsse.540 540 So etwa: Müller, Stellung der juristischen Person, S. 122; Göhler, § 88 OWiG, Rn. 8; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 239.
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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Gegen diese Annahme spricht jedoch, dass es sich bei den §§ 73, 74 OWiG weder um allgemeine Normen handelt, die sich generell auf das bußgeldrechtliche Hauptverfahren beziehen und die daher auch für das Unternehmen gelten, noch um Normen, in denen bestimmte Befugnisse des Betroffenen geregelt werden und auf welche sich das Unternehmen über §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG berufen kann. Vielmehr enthalten die §§ 73, 74 OWiG spezielle Vorgaben für den Betroffenen, die auf das Unternehmen als Nicht-Betroffenen keine Anwendung finden können und in § 88 OWiG auch nicht für entsprechend anwendbar erklärt werden. Dies wird von den Vertretern der dargestellten Ansicht übersehen. Darüber hinaus ist ihr Ansatz inkonsequent: Einerseits wird auf die Regelungen für die Abwesenheit in § 74 OWiG zurückgegriffen, andererseits wird aber keine Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Sinne des § 73 Abs. 1 OWiG angenommen, sondern ohne nähere Begründung über § 46 Abs. 1 OWiG die Regelung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 2 StPO herangezogen. Wegen der Vorrangigkeit des OWiG hätte jedoch § 73 OWiG gelten müssen. Im Ergebnis kann der Ansicht somit nicht gefolgt werden.541 Da es für das Unternehmen an Anwesenheits- und Abwesenheitsregelungen im OWiG fehlt, gilt über § 46 Abs. 1 OWiG die Regelung in § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 StPO und §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 2 StPO. Nach der letztgenannten Vorschrift kann das Gericht das persönliche Erscheinen des Unternehmensvertreters anordnen und im Falle des Ausbleibens ohne genügende Entschuldigung dessen Vorführung anordnen, wenn er unter Hinweis auf diese Möglichkeit durch Zustellung geladen worden ist. Sieht das Gericht von der Vorführung des Vertreters ab, kann gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 StPO wie in den Fällen, in denen das persönliche Erscheinen nicht angeordnet wurde, ohne das Unternehmen verhandelt werden. Hierauf muss gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 429 Abs. 3 Nr. 1 StPO in der Ladung hingewiesen werden. Der weitere Verlauf der Hauptverhandlung ergibt sich grundsätzlich aus § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 238 ff. StPO. Modifizierende Regelungen enthalten die §§ 75, 76 OWiG in Bezug auf die Teilnahme der Staatsanwaltschaft an der Hauptverhandlung sowie die Beteiligung der Verwaltungsbehörde und die §§ 77 ff. OWiG, die Vereinfachungen im Hinblick auf die Beweisaufnahme und Urteilsbegründung vorsehen. Bei den Vorschriften handelt es sich um allgemeine, das Verfahren regelnde Normen, die nicht nur gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter, sondern aufgrund der Einheitlichkeit des Verfahrens auch gegenüber dem beteiligten Unternehmen gelten.542 Den Abschluss des Hauptverfahrens bildet schließlich die Entscheidung des Gerichts durch Urteil, welches beispielsweise auf Festsetzung einer Geldbuße gegen den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen lautet. War das Unternehmen bei der Verkündung des Urteils nicht zugegen, wird ihm das 541
So auch: KK OWiG-Mitsch, § 87 OWiG, Rn. 54; R/R/H-Hannich, § 87 OWiG, Rn. 40. Welche Auswirkungen § 77 OWiG auf die Beweisanträge des Unternehmens hat, wird im Rahmen des 3. Kapitels untersucht; siehe: Kapitel 3, C. II. 1. a) aa) (2). 542
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
Urteil gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 4 StPO zugestellt. (2) Schriftliches Verfahren Sofern das bußgeldrechtliche Hauptverfahren nicht in Form einer mündlichen Verhandlung gemäß § 71 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 411 Abs. 1 S. 2 StPO, sondern als schriftliches Verfahren nach § 72 OWiG geführt wird, entscheidet das nach § 68 Abs. 1 OWiG zuständige Amtsgericht durch Beschluss. Voraussetzung für die Durchführung des schriftlichen Verfahrens ist zum einen, dass das Gericht eine Hauptverhandlung für nicht erforderlich hält, und zum anderen, dass der Unternehmensmitarbeiter und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen, § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG. Auch das Unternehmen hat gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen und so eine Hauptverhandlung herbeizuführen. Damit die Beteiligten von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen können, muss das Gericht gemäß § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG das Unternehmen sowie den Unternehmensmitarbeiter und die Staatsanwaltschaft auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens und des Widerspruchs hinweisen und ihnen Gelegenheit geben, sich innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Hinweises zu äußern. Erfolgt kein Widerspruch, ergeht die Entscheidung des Gerichts über die Festsetzung einer Geldbuße gegen den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen schließlich durch Beschluss, welcher dem Unternehmen gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 35 Abs. 2 StPO durch Zustellung bekannt zu machen ist. Zuvor müssen das Unternehmen und der Unternehmensmitarbeiter gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 33 Abs. 2 und 3 StPO angehört werden, wenn das Gericht Tatsachen oder Beweisergebnisse verwerten will, zu denen eine Anhörung noch nicht erfolgt ist. b) Verfahren nach alleinigem Einspruch durch das Unternehmen aa) Einschlägige Verfahrensnormen Wird das Hauptverfahren infolge eines alleinigen Einspruchs des Unternehmens geführt, stellt sich die Frage, welche Verfahrensvorschriften einschlägig sind.543 Pohl-Sichtermann geht im Sinne des § 71 Abs. 1 OWiG von einem Vorrang der OWiG-Vorschriften, mithin der §§ 72 ff. OWiG, aus.544 Dies hätte zur Folge, dass über den alleinigen Einspruch des Unternehmens grundsätzlich durch Urteil entschieden wird und nur ausnahmsweise durch Beschluss. Die überwiegende Literatur stellt hingegen über den Verweis in § 46 Abs. 1 OWiG auf die §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO ab, was dazu führen würde, dass die gerichtliche Entscheidung 543
Bereits in Bezug auf das Zwischenverfahren wird diskutiert, ob ein solches gemäß den §§ 67 ff. OWiG durchzuführen ist, wenn nur das Unternehmen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt hat; siehe hierzu: Kapitel 2, B. III. 2. 544 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 259.
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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grundsätzlich nach einem schriftlichen Verfahren durch Beschluss ergeht und nur in Ausnahmefällen aufgrund einer mündlichen Verhandlung durch Urteil.545 Gegen die von Pohl-Sichtermann vertretene Ansicht spricht in erster Linie die oben herausgearbeitete Systematik des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahrens.546 Die in den §§ 71 bis 78 OWiG enthaltenen Vorschriften, die sich generell auf das bußgeldrechtliche Hauptverfahren und seine Durchführung beziehen, greifen bei einem einheitlichen Vorgehen von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen gerade wegen der Einheitlichkeit des Verfahrens auch für das beteiligte Unternehmen. Wird das Hauptverfahren aber infolge des alleinigen Einspruchs des Unternehmens geführt, verliert es seinen einheitlichen Charakter und damit den Bezug zu den gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter anwendbaren Verfahrensnormen.547 Die allgemeinen Verfahrensnormen finden daher keine Anwendung. Auch die Normen, die die Befugnisse des Betroffenen regeln und auf die sich das Unternehmen gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG berufen kann, gelten bei einem alleinigen Einspruch des Unternehmens nicht, weil sie sich auf das nicht anwendbare, allgemeine Verfahrensrecht beziehen. Da § 88 OWiG darüber hinaus keine weiteren Regelungen für entsprechend anwendbar erklärt, muss im Sinne der herrschenden Literaturauffassung auf die Vorschriften der StPO zurückgegriffen werden. Dies deckt sich ebenfalls mit dem Willen des Gesetzgebers von 1968, der von einem Verweis in § 87 OWiG auf die Strafbefehlsvorschrift des § 438 StPO a.F. abgesehen hatte, weil nach seiner Auffassung ein solcher Verweis bereits in § 71 OWiG vorhanden sei.548 Auch der Gesetzgeber ging folglich davon aus, dass ab dem Hauptverfahren die Vorschriften in der StPO über den Einspruch gegen einen Strafbefehl für das Unternehmen Anwendung finden sollten. Fraglich ist allerdings, ob auf die Vorschriften der StPO über den Verweis in § 71 Abs. 1 OWiG oder über den Verweis in § 46 Abs. 1 OWiG zurückgegriffen wird. Da es sich bei § 71 OWiG um eine das Hauptverfahren gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter regelnde Vorschrift handelt, ist es konsequenter, die Verweisungsnorm des § 46 Abs. 1 OWiG heranzuziehen, die sich als allgemeine Verfahrensvorschrift auf das „Bußgeldverfahren“ und damit auch auf das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße bezieht. Zwar verweist § 46 Abs. 1 OWiG 545 So etwa: Müller, Stellung der juristischen Person, S. 123; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 484 f.; Göhler, § 88 OWiG, Rn. 11; R/R/H-Hannich, § 88 OWiG, Rn. 24; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 242. 546 Siehe: Kapitel 2, B. III. 3. a) aa). 547 Zwar lässt sich dies auch im Hinblick auf § 69 OWiG einwenden; der Vorschlag des Rechtsausschusses sowie dessen Umsetzung durch den Gesetzgeber von 1968 implizieren aber, dass ein Zwischenverfahren durchgeführt werden soll; siehe hierzu: Kapitel 2, B. III. 2. Mangels entsprechender Regelungen in der StPO bleibt nur ein Rückgriff auf das für den Betroffenen geltende Verfahrensrecht des OWiG. 548 Begründung zu den Änderungen bei § 76 OWiG durch den schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses (12. Ausschuss) über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) – Drucksachen V/1269, V/2600, BTDrs. zu Drucksache 5/2600, S. 12.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
– anders als § 71 Abs. 1 OWiG – nicht mehr ausdrücklich auf die Vorschriften der StPO, die nach zulässigem Einspruch gegen einen Strafbefehl gelten, so dass bezweifelt werden könnte, ob auch in diesen Fällen §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO gelten oder nicht vielmehr andere Vorschriften heranzuziehen sind. Bei der Anwendung des § 46 Abs. 1 OWiG muss man sich allerdings an der grundsätzlichen Ausrichtung des bußgeldrechtlichen Hauptverfahrens an den Strafbefehlsvorschriften der StPO orientieren. Da diese Ausrichtung nach dem Willen des Gesetzgebers von 1968 auch für Unternehmen gelten soll, sind bei § 46 Abs. 1 OWiG ebenfalls nur die für das Unternehmen geltenden Vorschriften der StPO nach zulässigem Einspruch gegen einen Strafbefehl anzuwenden. Im Ergebnis richtet sich das Hauptverfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens daher gemäß § 46 Abs. 1 OWiG nach den §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO. Die sonst in § 444 Abs. 2 S. 1 StPO getroffenen Regelungen sowie die weiteren Verweise in § 444 Abs. 2 S. 2 StPO werden durch diesen engen Verweis ausgeschlossen.549 Hätten die in § 444 Abs. 2 StPO normierten Vorgaben für das einheitliche Verfahren nämlich auch im Falle des alleinigen Einspruchs des Unternehmens gegen einen Strafbefehl gelten sollen, wäre in § 444 Abs. 2 S. 2 StPO lediglich auf § 432 StPO verwiesen worden. Über §§ 444 Abs. 2 S. 2, 432 Abs. 2 StPO hätte dann letztlich § 434 Abs. 2 und 3 StPO Anwendung gefunden. Der Gesetzgeber hat in § 444 Abs. 2 S. 2 StPO allerdings zwischen § 432 Abs. 1 StPO und § 432 Abs. 2 StPO differenziert, indem er den Verweis auf § 432 Abs. 2 StPO durch den letzten Halbsatz in § 444 Abs. 2 S. 2 StPO ersetzt hat. Dadurch wird deutlich, dass der erste Verweisungsteil des § 444 Abs. 2 S. 2 StPO das einheitliche Strafbefehlsverfahren regelt, während im Falle des alleinigen Einspruchs des Unternehmens gegen einen Strafbefehl ausschließlich § 434 Abs. 2 und 3 StPO gilt. Mithin findet gemäß § 46 Abs. 1 OWiG ebenfalls nur der Verweis auf § 434 Abs. 2 und 3 StPO in § 444 Abs. 2 S. 2 StPO Anwendung. bb) Ablauf des Hauptverfahrens Grundsätzlich wird das Hauptverfahren gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 StPO als Beschlussverfahren geführt. Eine Entscheidung durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung kommt nur dann in Betracht, wenn dies von der Staatsanwaltschaft oder einem anderen Beteiligten beantragt wird oder das Gericht ein solches Verfahren anordnet, § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StPO. Um von der Antragsmöglichkeit in § 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StPO Gebrauch machen zu können, ist es notwendig, dass das Gericht nach Erhalt der Akten dem Unternehmen einen ent549
Das Unternehmen erhält dadurch eine stärkere Verfahrensposition als etwa in dem selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat. Dort wird der Verweis des § 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO auf die Vorschriften über die Hauptverhandlung durch die spezielleren, über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO geltenden §§ 424 Abs. 1, 3 und 4, 427, 428, 429 Abs. 1, 2 und 3 Nr. 1, 430 Abs. 1, 2 und 4 StPO eingeschränkt.
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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sprechenden Hinweis gibt. Anders als etwa in § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG in Bezug auf die Widerspruchsmöglichkeit vorgesehen, enthalten die Verfahrensregelungen in § 434 Abs. 2 und 3 StPO zwar keine ausdrückliche Hinweispflicht, doch ergibt sich eine solche aus Art. 103 Abs. 1 GG.550 Bleibt es bei der Durchführung des Beschlussverfahrens, muss das Unternehmen gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 33 Abs. 2 und 3 StPO angehört werden, wenn das Gericht Tatsachen oder Beweisergebnisse verwerten will, zu denen eine Anhörung noch nicht erfolgt ist. Das Verfahren endet schließlich mit Erlass eines gerichtlichen Beschlusses, welcher dem Unternehmen gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 35 Abs. 2 StPO zuzustellen ist. Wird das Hauptverfahren nach zulässigem Einspruch des Unternehmens hingegen als mündliches Verfahren geführt, hat der gemäß § 68 Abs. 1 OWiG zuständige Richter am Amtsgericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 2, 213 StPO. Da sich das weitere Verfahren ausschließlich nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO richtet, finden unmittelbar die Vorschriften über das Individualverfahren Anwendung, die in dem fünften und sechsten Abschnitt des zweiten Buchs der StPO geregelt sind. Daraus folgt, dass das Unternehmen entsprechend §§ 214, 216 f. StPO wie ein Angeklagter zu dem angesetzten Hauptverhandlungstermin geladen werden muss. Für seine Anwesenheit gelten gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO die Individualvorschriften der §§ 230 ff. StPO. Im Übrigen kann sich das Unternehmen im Verlauf der Hauptverhandlung direkt auf die Rechte berufen, die einem Angeklagten zukommen. 4. Das Rechtsmittelverfahren Setzt das Amtsgericht in seinem Urteil oder Beschluss eine Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG fest, ist das Unternehmen gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG befugt, hiergegen Rechtsmittel einzulegen. Die Anfechtung der gerichtlichen Entscheidung durch das Unternehmen ist gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 5 OWiG allerdings nur zulässig, wenn die Unternehmensgeldbuße den Wert von zweihundertfünfzig Euro übersteigt. Das im Rechtsmittelverfahren anwendbare Verfahrensrecht hängt wie schon in den vorherigen Verfahrensstadien davon ab, ob neben dem Unternehmen auch der Unternehmensmitarbeiter gegen die Entscheidung vorgeht: Wurde das Hauptverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen geführt und folglich über beide entschieden, können beide gegen den sie jeweils beschwerenden Teil des Urteils oder Beschlusses Rechtsmittel einlegen. In Betracht kommt aber auch, dass nur eine Partei, beispielsweise das Unternehmen, die Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung in der nächsten Instanz anstrebt und der Unterneh550
Vgl. Fn. 502.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
mensmitarbeiter auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet. Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen das Hauptverfahren nach alleinigem Einspruch durch das Unternehmen geführt wurde: In dem anschließenden Rechtsmittelverfahren geht ebenfalls nur das Unternehmen gegen das Urteil oder den Beschluss vor, doch fehlt es in Bezug auf den Unternehmensmitarbeiter an einer gerichtlichen Entscheidung. a) Verfahren nach zulässigem Einspruch von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen Legen sowohl der Unternehmensmitarbeiter als auch das Unternehmen Rechtsmittel gegen das Urteil oder den Beschluss ein, richtet sich der Verfahrensablauf gegenüber dem Unternehmen nach den Vorschriften, die allgemein den Ablauf und die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens für den Unternehmensmitarbeiter regeln und in den §§ 79 bis 80a OWiG normiert sind. Ergänzend zu diesen Regelungen gelten gemäß § 79 Abs. 3 OWiG die Vorschriften der StPO und des GVG über die Revision entsprechend. Als zulässiges Rechtsmittel sowohl gegen Urteile als auch Beschlüsse des Amtsgerichts sieht das OWiG die Rechtsbeschwerde vor, welche gemäß § 79 Abs. 1 und 2 OWiG und § 80 OWiG unter den dort genannten Voraussetzungen bei dem zuständigen Oberlandesgericht erhoben werden kann.551 Für das Unternehmen wird sich die Möglichkeit, Rechtsbeschwerde gegen die Bußgeldfestsetzung einzulegen, regelmäßig aus § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG ergeben, wonach die Rechtsbeschwerde zulässig ist, wenn eine Geldbuße von mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt wurde.552 Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde beginnt gemäß § 79 Abs. 4 OWiG mit der Zustellung des Beschlusses oder des Urteils, wenn es in Abwesenheit des Unternehmens verkündet wurde. Das Rechtsbeschwerdeverfahren wird nach fristgerechter Einlegung der Rechtsbeschwerde grundsätzlich als schriftliches Verfahren vor den Oberlandesgerichten geführt. Eine Entscheidung durch Urteil aufgrund einer Hauptverhandlung ist aber möglich, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil richtet, § 79 Abs. 5 OWiG. Das Verfahren endet schließlich mit der Entscheidung des Beschwerdegerichts, welches gemäß § 79 Abs. 6 OWiG im Falle der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung unter anderem unbeschränkt in der Sache selbst entscheiden kann. Im Übrigen richten sich der Ablauf des Verfahrens und der gerichtliche Prüfungsumfang über den Verweis in § 79 Abs. 3 OWiG nach den nachrangigen Revisionsvorschriften der StPO. Auch für Unternehmen muss daher über § 79 Abs. 3 OWiG auf die strafprozessualen Regelungen zum Revisionsverfahren in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StPO zurückgegriffen 551 Zuständig für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde sind gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG in Verbindung mit § 121 Abs. 1 Nr. 1a GVG und §§ 80a, 46 Abs. 7 OWiG die Bußgeldsenate der Oberlandesgerichte. 552 Diese Regelung entspricht der Beschränkung für Unternehmen in §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 5 OWiG.
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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werden. Sofern in der Literatur eine Anwendung des § 431 StPO nur für die Fälle diskutiert wird, in denen allein das Unternehmen Rechtsmittel einlegt,553 wird verkannt, dass ausweislich der Gesetzesbegründung die Beschränkung in § 431 StPO auch dann gelten soll, wenn neben dem Unternehmen noch ein anderer Beteiligter ein Rechtsmittel eingelegt hat.554 Verzichtet der Unternehmensmitarbeiter im Gegensatz zu dem Unternehmen auf die Einlegung eines Rechtsmittels, stellt sich die Frage, welche Verfahrensvorschriften für das Unternehmen gelten. Da es sich insbesondere bei § 79 OWiG um eine Norm handelt, die sich generell auf das Rechtsbeschwerdeverfahren und seine Durchführung gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter bezieht, entfällt der Grund für ihre Anwendung, wenn der Unternehmensmitarbeiter gegen die ihn gerichtete Entscheidung des Amtsgerichts nicht vorgeht. Für das Unternehmen kommt daher ein Rückgriff auf die unternehmensspezifischen Vorschriften in der StPO über § 46 Abs. 1 OWiG in Betracht. Die einzige Regelung zum Rechtsmittelverfahren, auf die § 444 Abs. 2 StPO verweist, ist jedoch § 431 StPO. Die Norm enthält lediglich Vorgaben zum Prüfungsumfang und reicht daher nicht aus, um als grundlegende Verfahrensvorschrift herangezogen zu werden. Um Regelungslücken zu vermeiden, verbleibt somit nur die entsprechende Anwendung der §§ 79 ff. OWiG, auch wenn diese das Verfahren gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter regeln.555 Ergänzt werden die Vorschriften wiederum durch die Revisionsvorschriften des GVG und der StPO, zu denen die unternehmensspezifische Regelung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StPO bezüglich des Umfangs der Prüfung durch die Rechtsbeschwerdegerichte zählt.556 b) Verfahren nach alleinigem Einspruch durch das Unternehmen Die letzte mögliche Konstellation besteht darin, dass nur das Unternehmen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einlegt und folglich Haupt- und Rechtsmittelverfahren ausschließlich gegen das Unternehmen geführt werden. Da sich das Hauptverfahren bei alleinigem Einspruch des Unternehmens gemäß § 46 Abs. 1 OWiG nach den §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO richtet, stellt sich die Frage, ob die Vorschriften auch für das Rechtsmittelverfahren gelten. Wäre dies der 553
So etwa von: Müller, Stellung der juristischen Person, S. 125; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 244. 554 Begründung zu § 437 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 80. Dies folgt im Übrigen auch aus der Ausnahmeregelung in § 431 Abs. 2 StPO. 555 Die gleiche Schwierigkeit stellt sich in Bezug auf das Zwischenverfahren nach alleinigem Einspruch durch das Unternehmen. Auch dort bleibt mangels strafprozessualer Vorschriften nur ein Rückgriff auf die §§ 67 ff. OWiG übrig; siehe: Kapitel 2, B. III. 2. 556 In der Literatur ist allerdings umstritten, ob § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StPO Anwendung finden sollen. Eine Darstellung des Streitstandes erfolgt in Kapitel 3; siehe: Kapitel 3, D. II. 1. a) cc).
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
Fall, müsste das Unternehmen gegen einen Beschluss des Gerichts mittels der sofortigen Beschwerde vorgehen, während gegen ein Urteil entweder Berufung oder Revision statthaft wären. Denkbar ist aber auch, dass die Normen des OWiG Anwendung finden und damit die Vorschriften über die Rechtsbeschwerde in den §§ 79 ff. OWiG. Durch § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO soll das Verfahren gegenüber dem Unternehmen geregelt werden, soweit nur über den Einspruch des Unternehmens zu entscheiden ist, § 444 Abs. 2 S. 2 StPO. Dem Gesetz ist an dieser Stelle keine Differenzierung zwischen dem Haupt- und dem Rechtsmittelverfahren zu entnehmen und da § 434 Abs. 2 und 3 StPO Regelungen zu beiden Verfahrensabschnitten enthalten, ist es auf den ersten Blick nicht fernliegend, von einer Geltung der Normen in dem Rechtsmittelverfahren auszugehen. So heißt es auch in der Literatur, dass die sofortige Beschwerde das zulässige Rechtsmittel sei, wenn das Gericht gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 StPO im Beschlussverfahren über den alleinigen Einspruch des Unternehmens entschieden habe.557 Wie die Autoren zu dieser Auffassung gelangen und warum nur auf das Beschlussverfahren nach § 434 Abs. 2 StPO abgestellt wird, bleibt allerdings offen. Sofern man von einer Anwendbarkeit der strafprozessualen Vorschriften ausgeht, müsste über § 46 Abs. 1 OWiG ebenfalls §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 3 StPO heranzuziehen sein. Zweifel bezüglich der Geltung der §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO ergeben sich allerdings aus der Systematik des OWiG: Der Grund, warum sich das Hauptverfahren an den §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO ausrichtet, liegt darin, dass die §§ 71 ff. OWiG auf das Unternehmen keine Anwendung finden, wenn nur das Unternehmen gerichtlich gegen den Bußgeldbescheid vorgeht. Über die Verweisungsnorm des § 46 Abs. 1 OWiG müssen deshalb die §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO herangezogen werden, da sie – entsprechend der grundsätzlichen Ausrichtung des bußgeldrechtlichen Hauptverfahrens an den Strafbefehlsvorschriften der StPO – das Verfahren nach zulässigem Einspruch gegen einen Strafbefehl für das Unternehmen regeln.558 Für das Rechtsmittelverfahren sieht das OWiG hingegen vorrangige Regelungen in den §§ 79 ff. OWiG vor, die das Verfahren an das Revisionsrecht der StPO und des GVG anlehnen. Der auch hier erforderliche Rückgriff auf die Vorschriften der StPO erfolgt somit stets auf die unternehmensspezifischen Revisionsvorschriften in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StPO, nicht aber auf die §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO. Auch wenn §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO selbst daher keine Einschränkung auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt entnommen werden kann, ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang mit den Vorschriften des OWiG, dass durch § 46 557
So etwa bei: Müller, Stellung der juristischen Person, S. 124; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 485 f.; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 243; R/R/HHannich, § 88 OWiG, Rn. 24. 558 Siehe: Kapitel 2, B. III. 3. b) aa).
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO nur das Hauptverfahren gegenüber dem Unternehmen nach alleinigem Einspruch geregelt werden soll. Im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens finden nach alleinigem Einspruch des Unternehmens hingegen grundsätzlich §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StPO Anwendung. Da § 431 StPO allerdings – wie auch schon in der vorherigen Konstellation559 – keine ausreichende Verfahrensgrundlage darstellt, müssen zur Vermeidung von Regelungslücken hilfsweise die §§ 79 ff. OWiG herangezogen werden.560 Darüber hinaus spricht gegen eine Geltung der § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO, dass dem Unternehmen dann durch das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde oder der Berufung sowohl bei einer Entscheidung des Gerichts durch Beschluss als auch durch Urteil eine zweite Tatsacheninstanz zur Verfügung stünde. Im Gegensatz dazu kann der Unternehmensmitarbeiter die gerichtliche Entscheidung nur mit der Rechtsbeschwerde nach § 79 OWiG anfechten, wenn er allein gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegt. Im Rechtsmittelverfahren kann er folglich nur eine rechtliche Überprüfung des Beschlusses beziehungsweise des Urteils erreichen und wäre somit schlechter gestellt als das Unternehmen in der vergleichbaren Situation. Aber nicht nur in dem Verhältnis zwischen Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter ergäben sich Unstimmigkeiten: Auch in Bezug auf die Unternehmen untereinander würde eine unterschiedliche Behandlung erfolgen, je nachdem, ob sich der Unternehmensmitarbeiter entschließt, Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einzulegen. Sofern er davon absieht, wäre dem Unternehmen die tatsächliche Überprüfung des Urteils oder Beschlusses in der Rechtsmittelinstanz möglich, wohingegen es bei einer anderslautenden Entscheidung an die Restriktionen des Revisionsrechts gebunden bliebe. In dem letztgenannten Fall würde folglich die Entscheidung des Unternehmensmitarbeiters, auf welche das Unternehmen keinen Einfluss hat, zu einer Schlechterstellung des Unternehmens führen. Beide Konflikte werden jedoch aufgelöst, wenn im Sinne des obigen Ergebnisses von einer Anwendbarkeit der §§ 79 ff. OWiG ausgegangen wird und das Unternehmen folglich auch in den Fällen, in denen es allein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einlegt, auf das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde beschränkt wird.
559 Gemeint ist der Fall, dass das Hauptverfahren infolge des Einspruchs von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen geführt wird, allerdings nur das Unternehmen gegen die gerichtliche Entscheidung Rechtsbeschwerde einlegt; siehe: Kapitel 2, B. III. 4. a). 560 Vgl. zu der grundsätzlichen Geltung von §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StPO in dem Verfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens: Kapitel 3, D. II. 1. b).
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
IV. Selbstständiges Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit Wird unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG selbstständig gegen das Unternehmen vorgegangen, richtet sich das Verfahren nach den § 88 Abs. 2 OWiG und §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 und 2 sowie Abs. 5 OWiG. Mit diesen Vorschriften erschöpfen sich die Regelungen, die das OWiG speziell für das selbstständige Verfahren gegenüber dem Unternehmen bei Anknüpfung an eine von einem Unternehmensmitarbeiter begangene Ordnungswidrigkeit vorsieht. Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob darüber hinaus gemäß § 46 Abs. 1 OWiG auf die strafprozessualen Vorschriften zum selbstständigen Verfahren in § 444 Abs. 3 StPO zurückgegriffen werden kann oder ob in Ergänzung zu den § 88 Abs. 2 OWiG und §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 und 2 sowie Abs. 5 OWiG die allgemeinen Verfahrensbestimmungen des Ordnungswidrigkeitenrechts herangezogen werden müssen, die für den Betroffenen gelten. 1. Die Ermittlungen gegen das Unternehmen Die Ermittlungen gegen das Unternehmen werden durch die Verwaltungsbehörde geführt, deren sachliche und örtliche Zuständigkeit aus §§ 88 Abs. 2 S. 2 Hs. 1, 35 ff. OWiG sowie § 88 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 OWiG folgt. Sie kann sich dabei gemäß § 46 Abs. 2 OWiG derselben Ermittlungsbefugnisse bedienen wie die Staatsanwaltschaft. Ist die Verwaltungsbehörde am Ende der Ermittlungen davon überzeugt, dass die Voraussetzungen des § 30 OWiG gegeben sind, Verfolgungshindernisse nicht vorliegen und eine Verfolgung des Unternehmens auch unter dem Gesichtspunkt von § 47 Abs. 1 OWiG geboten ist,561 setzt sie eine Geldbuße gegen das Unternehmen in einem selbstständigen Bußgeldbescheid fest, § 88 Abs. 2 S. 1 OWiG. Bei den dargestellten Normen handelt es sich um die einzigen Vorschriften, die sich auf die Ermittlungen gegenüber dem Unternehmen beziehen. Anders als in § 88 Abs. 1 OWiG fehlt es somit an einer Regelung, die der Verwaltungsbehörde die Befugnis zur Anordnung der Beteiligung des Unternehmens überträgt. Da die Unternehmensgeldbuße aber gegen das Unternehmen festgesetzt wird, kann sie gegenüber diesem nur dann Wirkung entfalten, wenn es vor der Sanktionierung an dem Verfahren beteiligt wird.562 Der Verwaltungsbehörde muss daher entsprechend § 88 Abs. 1 OWiG die Kompetenz zugestanden werden, die Beteiligung des Unternehmens an dem Verfahren anzuordnen.563 Darüber hinaus muss das Unternehmen vor 561 Vgl. zu den Anforderungen in Bezug auf den Erlass eines Bußgeldbescheides: Göhler, Vor § 65 OWiG, Rn. 1. 562 Begründung zu § 76 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 112. 563 Dies führt letztlich zu der paradoxen Situation, dass eine Beteiligung angeordnet werden muss, obwohl es kein Verfahren gegen eine natürliche Person gibt, an dem das Unternehmen beteiligt werden könnte; vgl. hierzu: Kapitel 3, A. III. 1. b).
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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Erlass des Bußgeldbescheides angehört werden, wobei sich hier, ebenso wie im einheitlichen Verfahren, die Frage stellt, woraus das Anhörungsrecht des Unternehmens folgt.564 Wird schließlich eine Unternehmensgeldbuße in einem Bußgeldbescheid wirksam festgesetzt, kommen dem Unternehmen die Befugnisse zu, die ein Betroffener hat, §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG. Der Bußgeldbescheid muss dem Unternehmen gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 2 OWiG zugestellt werden. 2. Das Zwischenverfahren Das Unternehmen ist über §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG befugt, gegen den ergangenen Bußgeldbescheid innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Einspruch gemäß § 67 OWiG einzulegen. Für den Unternehmensmitarbeiter würde sich das weitere Verfahren nun nach den §§ 67 ff. OWiG richten, während für das Unternehmen die wenigen Vorschriften des OWiG, die sich speziell auf das selbstständige Verfahren gegenüber dem Unternehmen beziehen, Anwendung finden. Die §§ 88 Abs. 2 und 3, 87 Abs. 2 S. 1 und 2 sowie Abs. 5 OWiG enthalten jedoch keine weiteren Vorgaben für das Verfahren nach Einspruch, weshalb über § 46 Abs. 1 OWiG auf die Vorschriften der StPO zurückgegriffen werden muss. Dort ist das selbstständige Verfahren gegenüber dem Unternehmen in § 444 Abs. 3 StPO geregelt, der in Satz 1 auf §§ 435, 436 Abs. 1 und 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 oder 3 StPO verweist. Der im Jahre 2017 neu hinzugefügte § 435 Abs. 3 S. 1 StPO sieht vor, dass §§ 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO, die das Zwischenverfahren gegenüber einem Angeschuldigten regeln, nach der Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft entsprechend gelten. Fraglich ist, ob die Vorschriften nunmehr auch im Rahmen des selbstständigen Verfahrens bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit Anwendung finden. Dies würde dazu führen, dass nach Einspruchseinlegung seitens des Unternehmens ein dem strafprozessualen Zwischenverfahren nach Anklageerhebung entsprechendes Verfahren durchgeführt wird. An die Stelle der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft träte dann der von der Verwaltungsbehörde erlassene Bußgeldbescheid. Denn die Funktion des Bußgeldbescheides ändert sich durch den Einspruch dergestalt, dass er nicht mehr als sanktionierende Entscheidung der Verwaltungsbehörde, sondern als bloße Beschuldigung gesehen wird. In dieser Form grenzt er die zu beurteilende Tat für das weitere Verfahren ein und ähnelt dadurch der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft.565
564 565
Rn. 6.
Vgl. hierzu: Kapitel 3, A. III. 3. Vgl. BeckOK OWiG-Gertler, § 67 OWiG, Rn. 1; KK OWiG-Ellbogen, § 67 OWiG,
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
Darüber hinaus sind die Verfahren nach der StPO und dem OWiG jedoch grundlegend verschieden.566 So sieht die StPO ein Zwischenverfahren vor, das unabhängig von dem Willen des Beschuldigten auf die Initiative der Staatsanwaltschaft hin eingeleitet wird, indem sie eine Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht einreicht, § 170 Abs. 1 StPO. Es wird damit ein Verfahren normiert, welches eine aktive Beteiligung des Beschuldigten in Form eines Einspruchs nicht kennt und folglich auch keine Vorgaben für ein solches Verfahren enthält. Das Zwischenverfahren nach dem OWiG wird hingegen nur dann geführt, wenn der Adressat des Bußgeldbescheides gemäß § 67 Abs. 1 OWiG bei der Behörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat, Einspruch einlegt. Auch das Unternehmen ist über §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG an die Vorgaben des § 67 Abs. 1 OWiG gebunden, so dass über den Einspruch des Unternehmens und die in dem Bescheid enthaltene Beschuldigung ebenfalls zuerst die Verwaltungsbehörde entscheidet. Da gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO bereits zu diesem Zeitpunkt die Verfahrensregelungen der §§ 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO Anwendung fänden, hätte ihre Geltung zur Folge, dass es in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde fiele, über die Eröffnung des Hauptverfahrens im Sinne der §§ 203, 204 StPO zu entscheiden. Der Exekutive die Entscheidung über die gerichtliche Überprüfung einer ihrer Bußgeldbescheide zu überlassen, ist aber mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbaren. Vielmehr müsste die Verwaltungsbehörde verpflichtet werden, die Rechtssache nach Einlegung des Einspruchs durch das Unternehmen an das zuständige Gericht abzugeben. Da die §§ 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO jedoch gerade für ein Zwischenverfahren gelten, das ab dem Zeitpunkt seiner Einleitung gerichtlich geführt wird, fehlt es in den Vorschriften an einer entsprechenden Regelung. § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1, 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO können daher auf das weitere Verfahren gegenüber dem Unternehmen nicht entsprechend angewandt werden. Es bleibt somit nur ein Rückgriff auf die allgemeinen Verfahrensbestimmungen des OWiG, die das Einspruchsverfahren für natürliche Personen regeln. Mithin gelten in der vorliegenden Konstellation die §§ 67 ff. OWiG und insbesondere § 69 OWiG. Gemäß § 69 OWiG ist das Zwischenverfahren in drei Stufen unterteilt, die eine Überprüfung des Einspruchs durch die Verwaltungsbehörde, die Staatsanwaltschaft und das nach § 68 Abs. 1 OWiG zuständige Amtsgericht vorsehen.567 Erachtet der Richter am Amtsgericht den Einspruch des Unternehmens für zulässig und den Sachverhalt für genügend aufgeklärt, beginnt ohne weitere Entscheidung seitens des Gerichts das Hauptverfahren.
566
Dies gilt zumindest im Hinblick auf das Ermittlungs- und Zwischenverfahren. Ab der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgt hingegen über § 71 Abs. 1 OWiG und § 79 Abs. 3 OWiG eine Annäherung des Verfahrensablaufs an das strafprozessuale Verfahren. 567 Siehe bezüglich des genauen Ablaufs des Zwischenverfahrens: Kapitel 2, B. III. 2.
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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3. Das Hauptverfahren Für das selbstständige Hauptverfahren normieren die §§ 88 Abs. 2 und 3, 87 Abs. 2 S. 1 und 2 sowie Abs. 5 OWiG ebenfalls keine Vorschriften, die den Ablauf des Verfahrens gegenüber dem Unternehmen beschreiben. Auch die §§ 71 ff. OWiG sind nicht unmittelbar anwendbar, da sie das Verfahren gegenüber dem Betroffenen regeln. § 71 Abs. 1 OWiG enthält allerdings mit dem Verweis auf die Vorschriften der StPO, die nach zulässigem Einspruch gegen einen Strafbefehl gelten, Anhaltspunkte für die grundlegende Ausrichtung des bußgeldrechtlichen Hauptverfahrens. Danach müssen bei einem Rückgriff auf § 444 Abs. 3 StPO die Normen gelten, die das Verfahren nach Einspruch des Unternehmens gegen einen Strafbefehl betreffen. Anders als § 444 Abs. 2 S. 2 StPO („soweit nur über ihren Einspruch zu entscheiden ist“) enthält § 444 Abs. 3 StPO jedoch keine ausdrückliche Regelung, die auf einen Einspruch des Unternehmens nach Erlass eines Strafbefehls abstellt, da das Strafbefehlsverfahren auf die Bestrafung des Täters ausgelegt ist und die selbstständige Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße durch Strafbefehl somit nicht in Betracht kommt.568 Fraglich ist daher, ob mangels einer Regelung in § 444 Abs. 3 StPO auf die §§ 71 ff. OWiG abgestellt werden muss,569 oder ob § 434 Abs. 2 und 3 StPO gilt,570 der im Rahmen des einheitlichen Strafbefehlsverfahrens bei alleinigem Einspruch des Unternehmens Anwendung findet. Zugunsten von § 434 Abs. 2 und 3 StPO spricht, dass § 444 Abs. 3 S. 1 StPO über § 436 Abs. 2 StPO gerade auf diese Vorschrift verweist. Auch wenn eine unmittelbare Verbindung zwischen den Strafbefehlsvorschriften nach alleinigem Einspruch des Unternehmens und dem selbstständigen Bußgeldverfahren somit nicht hergestellt werden kann, richten sich beide Verfahrensarten aufgrund ihrer strukturellen Ähnlichkeit nach der gleichen Norm. Zudem wird durch die Anwendbarkeit des § 434 Abs. 2 und 3 StPO ein Gleichlauf zu dem einheitlichen Hauptverfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit hergestellt, welches infolge des alleinigen Einspruchs des Unternehmens gegen den Bußgeldbescheid geführt wird. Das Hauptverfahren richtet sich im Ergebnis daher nach § 434 Abs. 2 und 3 StPO. Gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO entscheidet das Amtsgericht grundsätzlich in einem Beschlussverfahren. Nur wenn die Staatsanwaltschaft oder sonst der Antragsteller die mündliche Verhandlung beantragt oder das Gericht sie anordnet, ergeht die gerichtliche Entscheidung in Form eines Urteils, § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 3 S. 1 StPO. Für den Ablauf beider Verfahrenstypen ergeben sich keine Besonder568
Aus diesem Grund enthält auch § 435 Abs. 3 S. 2 StPO keinen Verweis auf § 432 StPO; vgl. KK StPO-Schmidt, § 440 StPO a.F., Rn. 8 f. 569 So etwa: Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 262. 570 So etwa: Müller, Stellung der juristischen Person, S. 126; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 486; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 248.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
heiten im Vergleich zu dem Hauptverfahren, welches an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters anknüpft und nach Festsetzung einer Geldbuße sowohl gegen den Unternehmensmitarbeiter als auch das Unternehmen infolge des alleinigen Einspruchs des Unternehmens geführt wird.571 4. Das Rechtsmittelverfahren Das Unternehmen ist gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG befugt, gegen den Beschluss beziehungsweise das Urteil wie ein Betroffener Rechtsmittel einzulegen. Die Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung in der nächsten Instanz ist jedoch nicht möglich, wenn die festgesetzte Unternehmensgeldbuße unter dem Wert von zweihundertfünfzig Euro bleibt, §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 5 OWiG. Mit dieser Regelung erschöpfen sich die unternehmensspezifischen Vorschriften im OWiG in Bezug auf das Rechtsmittelverfahren, weshalb über § 46 Abs. 1 OWiG die Vorschriften für das Unternehmen in der StPO anzuwenden sind. In Anlehnung an die grundsätzliche Ausrichtung des Rechtsmittelverfahrens der §§ 79 ff. OWiG muss dabei auf die Vorschriften abgestellt werden, die das Rechtsmittel der Revision betreffen.572 In den §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435, 436 Abs. 1 und 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 oder 3 StPO fehlt es jedoch an entsprechenden Normen und insbesondere an einem Verweis auf § 431 StPO. Letzteres erklärt sich damit, dass im Rahmen des selbstständigen, ausschließlich gegen das Unternehmen geführten Verfahrens kein Schuldspruch gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter erfolgt, dessen Überprüfung Gegenstand der Regelung in § 431 StPO wäre. Hilfsweise muss daher auf die Regelungen über das Rechtsbeschwerdeverfahren in den §§ 79 ff. OWiG zurückgegriffen werden, die bereits im Rahmen des einheitlichen Verfahrens bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit beschrieben wurden.573
V. Getrenntes Verfahren Die letzte mögliche Verfahrenskonstellation besteht darin, dass gemäß § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG in Verbindung mit § 82 GWB oder § 96 EnWG getrennt gegen das Unternehmen und den Unternehmensmitarbeiter vorgegangen wird. In diesen Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen einer Straftat oder – nach Übernahme des Verfahrens gemäß § 42 OWiG – wegen einer Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 OWiG gegen den Unternehmensmitarbeiter, wohingegen die Kartellbehörde 571
Siehe daher: Kapitel 2, B. III. 3. b) bb). Anders sieht dies Müller, der bei einer Entscheidung durch Beschluss im Hauptverfahren im Hinblick auf das Rechtsmittelverfahren § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO anwenden will und damit an die Ausrichtung des bußgeldrechtlichen Hauptverfahrens anknüpft, welches sich an die Vorschriften nach Einspruch gegen einen Strafbefehl anlehnt; vgl. Müller, Stellung der juristischen Person, S. 126. 573 Siehe: Kapitel 2, B. III. 4. a). 572
B. Mögliche Verfahrenskonstellationen und -abläufe
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beziehungsweise die Regulierungsbehörde für die Ermittlungen gegen das Unternehmen und die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG zuständig bleibt. Den Bezugspunkt für die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden bilden die Bußgeldvorschriften der § 81 Abs. 1, 2 Nr. 1 und Abs. 3 GWB sowie § 95 Abs. 1 Nr. 4 EnWG, deren Tatbestände von der Straftat beziehungsweise der mit Strafe bedrohten Pflichtverletzung jeweils auch verwirklicht werden. Der Gesetzgeber hat damit bewusst darauf verzichtet, das Verfahren gegenüber dem Unternehmen in diesen Konstellationen an den Normen der StPO auszurichten. Vielmehr hat er die Anknüpfung an die Verwaltungsbehörde und das Bußgeldverfahren gewählt, um das Fachwissen der Kartellbehörde beziehungsweise der Regulierungsbehörde nutzen zu können.574 Da die Verwaltungsbehörden unabhängig von der Verfolgung des Unternehmensmitarbeiters selbstständig gegen das Unternehmen vorgehen, ergeben sich für den grundsätzlichen Ablauf des Verfahrens im Vergleich zu dem zuvor beschriebenen selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit keine Besonderheiten: Auch hier stehen die Verwaltungsbehörden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zunächst vor der Herausforderung, ihre Ermittlungen gegen eine Person richten zu müssen, die nach der Konzeption des Gesetzes zu diesem Zeitpunkt weder Betroffener noch Verfahrensbeteiligter ist.575 Kommen sie trotz dieser Problematik im Rahmen der Ermittlungen zu dem Ergebnis, dass die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße zu erfolgen hat, geschieht dies gemäß § 88 Abs. 2 S. 1 OWiG in einem selbstständigen Bußgeldbescheid, gegen den das Unternehmen Einspruch einlegen kann. Das anschließende Einspruchsverfahren richtet sich nach den §§ 67 ff. OWiG und geht fließend in das Hauptverfahren über, welches gemäß § 46 Abs. 1 OWiG nach den Vorschriften der §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 oder 3 StPO geführt wird. Den gerichtlichen Beschluss beziehungsweise das Urteil kann das Unternehmen dann mit der Rechtsbeschwerde gemäß § 79 OWiG anfechten.576 Ermittelt parallel zu den Verwaltungsbehörden allerdings auch die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf den Unternehmensmitarbeiter, sollten die Behörden ihre Ermittlungen miteinander abstimmen, um doppelte Ermittlungen und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zu vermeiden.577 Insbesondere die Kartellbe574
Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/8079, S. 17. Anders als in dem selbstständigen Verfahren, welches unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG eröffnet wird, besteht zwar die Möglichkeit, dass gleichzeitig ein Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter geführt wird. Doch können die Verwaltungsbehörden ihre Ermittlungen gegen das Unternehmen nicht im Zuge dieses Verfahrens vornehmen, da es von der Staatsanwaltschaft und somit einer anderen Behörde geleitet wird. 576 Siehe bezüglich des genauen Ablaufs des selbstständigen Verfahrens bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit: Kapitel 2, B. IV. 577 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/8079, S. 17 sowie die Begründung zu § 82 GWB des Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drs. 18/10207, S. 99. 575
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
hörden werden durch § 82 S. 3 GWB und Nr. 242 Abs. 1 und 2 RiStBV zu einer frühestmöglichen Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft angehalten. Diese umfasst grundsätzlich auch eine gegenseitige Unterrichtung über geplante Ermittlungsschritte mit Außenwirkung sowie eine Abstimmung der zu treffenden oder zu beantragenden Rechtsfolgen. Weitere Abweichungen ergeben sich durch die besonderen Verfahrensbestimmungen, die das GWB beziehungsweise das EnWG für das Bußgeldverfahren im Hinblick auf die gerichtliche Zuständigkeit vorsehen.578 So entscheidet über den Einspruch des Unternehmens gegen den Bußgeldbescheid der Kartellbehörde nicht das Amtsgericht, sondern das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die zuständige Kartellbehörde ihren Sitz hat, § 83 GWB.579 Für eine etwaige Rechtsbeschwerde des Unternehmens gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist der BGH zuständig, § 84 GWB. Auch die Vorschriften des EnWG enthalten mit §§ 98, 99 EnWG entsprechende Regelungen, die eine Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im gerichtlichen Verfahren sowie des BGH im Rechtsbeschwerdeverfahren begründen. Eine solche Zuständigkeitsverteilung ist nur sinnvoll, da so nicht allein auf die Sachkunde und Erfahrung der Kartellbehörden beziehungsweise Regulierungsbehörden für das Unternehmensbußgeldverfahren zurückgegriffen wird, sondern auch das Wissen der Fachsenate an den Oberlandesgerichten und dem BGH genutzt wird.
C. Folgen der Verfahrensausgestaltung Die voranstehende Untersuchung der einzelnen Verfahrenskonstellationen ermöglicht es, nunmehr die Folgen dieser Verfahrensausgestaltung zu betrachten. Es wurde bereits aufgezeigt, dass sich das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße an dem Verfahren der Einziehung ausrichtet, welches Drittbegünstigte sowie Dritteigentümer und -inhaber von Sachen und Rechten lediglich als Einziehungsbeteiligte behandelt. Daran anknüpfend wird als erstes die prozessuale Stellung des Unternehmens in den Blick genommen. Weitere Folgen der Verfahrensausgestaltung sind die komplexen Verweisungsketten und die Unterschiede, die sich je nach Verfahrenskonstellation für den Aufbau und den Ablauf des Verfahrens ergeben.
578 Da im Rahmen des Einspruchs- und Rechtsmittelverfahrens hilfsweise auf die allgemeinen Verfahrensvorschriften der §§ 67 ff. OWiG und §§ 79 ff. OWiG zurückgegriffen werden muss, gelten auch für das Unternehmen anstelle der § 68 OWiG und § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG in Verbindung mit § 121 Abs. 1 Nr. 1a GVG die speziellen Zuständigkeitsregelungen im GWB beziehungsweise EnWG. 579 Die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte wird auch in dem Bericht des Rechtsausschusses ausdrücklich erwähnt; vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/8079, S. 17.
C. Folgen der Verfahrensausgestaltung
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I. Stellung eines Einziehungsbeteiligten Die Vorschriften über das Einziehungsverfahren beziehen sich seit 2017 sowohl auf die Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten als auch auf die Einziehung von Taterträgen. Vor der Reform des Vermögensabschöpfungsrechts galten sie hingegen nur für Einziehungsmaßnahmen nach den §§ 74 ff. StGB beziehungsweise §§ 22 ff. OWiG unmittelbar, während sie auf die Einziehung von Taterträgen – damals noch als „Verfall“ bezeichnet – nur entsprechend anwendbar waren.580 Als der Gesetzgeber daher 1968 das Verfahrensrecht für die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße an die prozessualen Vorschriften über die Einziehung anlehnte, hatte er die Einziehung nach den §§ 74 ff. StGB beziehungsweise §§ 22 ff. OWiG im Blick. Eine Angleichung bot sich aus seiner Sicht an, weil die Unternehmensgeldbuße lediglich eine Rechtsfolge der gegen den Unternehmensmitarbeiter verhängten Sanktion sein sollte und in dieser Hinsicht mit den Vorschriften über die Einziehung übereinstimmte. Diese knüpfen auch heute noch an eine vorsätzliche Tat beziehungsweise Ordnungswidrigkeit an und ermöglichen die Einziehung von Gegenständen, die dem Täter oder Teilnehmer der Straftat beziehungsweise dem Täter der Ordnungswidrigkeit gehören oder zustehen. Darüber hinaus ist unter bestimmten Voraussetzungen aber auch die Einziehung von Gegenständen zulässig, die unter das Eigentum oder die Inhaberschaft eines Dritten fallen. In allen Fällen wird die Einziehung unabhängig von der Frage, wem die einzuziehende Sache gehört oder das einzuziehende Recht zusteht, gegen den Täter angeordnet.581 Sofern die Einziehung dann Dritte trifft, haben diese ein vermögensrechtliches Interesse an dem Erhalt ihres Eigentums oder ihrer Inhaberschaft.582 Um dieses zu wahren, gesteht das Gesetz ihnen über §§ 421 ff. StPO und § 87 OWiG die Möglichkeit zu, an dem Verfahren gegen den Täter beteiligt zu werden. Da die Interessenslage des Unternehmens bei der Einziehung ihm gehörender Sachen oder zustehender Rechte aus Sicht des 580 Vgl. § 442 Abs. 1 StPO a.F. („Verfall, Vernichtung, Unbrauchbarmachung und Beseitigung eines gesetzwidrigen Zustandes stehen im Sinne der §§ 430 bis 441 der Einziehung gleich.“) und § 87 Abs. 6 OWiG a.F. („Die Absätze 1, 2 Satz 1 und 2, Absatz 3 Satz 1 bis 3 Halbsatz 1 und Absatz 5 gelten im Verfahren bei Anordnung des Verfalls entsprechend.“). 581 Fischer, 64. Auflage, § 74 StGB a.F., Rn. 21. Das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat dies nicht geändert. 582 Dies gilt auch für den Dritten im Sinne des § 74a StGB beziehungsweise § 23 OWiG, der mindestens leichtfertig dazu beigetragen hat, dass Gegenstände als Tatmittel verwendet wurden oder Tatobjekt gewesen sind, oder der die Gegenstände in Kenntnis der Umstände, welche die Einziehung zugelassen hätten, in verwerflicher Weise erworben hat. Zwar handelt es sich bei der ihn treffenden Einziehung um eine strafähnliche Maßnahme, doch ist diese nicht mit dem sozialen Unwerturteil der Strafe verbunden (MüKo StGB-Joecks, § 74a StGB a.F., Rn. 5), weshalb die Verteidigung gegen die Einziehung bloß durch vermögensrechtliche Belange motiviert wird. Auch in Bezug auf das Unternehmen wird kein Vorwurf erhoben, wenn ihm über § 74e StGB beziehungsweise § 29 OWiG lediglich die Handlungen bestimmter Personen zugerechnet werden. Das Interesse des Unternehmens ist somit allein auf den Schutz der ihm gehörenden oder zustehenden Gegenstände ausgerichtet.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
Gesetzgebers derjenigen bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße entsprach, glich er die prozessualen Vorschriften einander an. Dass die §§ 421 ff. StPO und § 87 OWiG nunmehr auch die Einziehungsmaßnahmen nach den §§ 73 ff. StGB beziehungsweise § 29a OWiG unmittelbar umfassen, fügt sich in die bestehende Struktur der Verfahrensvorschriften ein. Denn auch die Einziehung von Taterträgen bei einem Drittbegünstigten berührt als quasikondiktionelle Maßnahme lediglich dessen vermögensrechtliche Interessen,583 weshalb es naheliegend ist, die Vorschriften für den Einziehungsbeteiligten nicht mehr nur entsprechend auf ihn anzuwenden. Es ist allerdings fraglich, ob die Interessen des Unternehmens bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG mit denen eines Einziehungsbeteiligten vergleichbar sind und die Anlehnung des Verfahrensrechts über § 444 StPO und § 88 OWiG an die Vorschriften über die Einziehung in §§ 421 ff. StPO und § 87 OWiG daher gerechtfertigt ist. In der Literatur stieß die Ausrichtung des Verfahrensrechts an den prozessualen Vorschriften über die Einziehung schon zur Zeit der Nebenfolgenlösung auf Kritik, soweit die Unternehmensgeldbuße entgegen der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht als Nebenfolge, sondern als repressive Sanktion verstanden wurde.584 Auf der Grundlage dieser Ansicht wurde argumentiert, dass sich die Unternehmensgeldbuße unmittelbar gegen das Unternehmen richte und als Pflichtenmahnung auf dieses einwirke, weshalb ein wesensmäßiger Unterschied zu der Anordnung der Einziehung bestehe.585 Dieser Auffassung ist vor dem Hintergrund, dass § 30 OWiG spätestens seit 1994 eindeutig als eigenständige Sanktionsnorm anerkannt ist, zuzustimmen.586 Das Unternehmen muss in Bezug auf die Unternehmensgeldbuße als Sanktionsadressat gesehen werden; ihm gegenüber wird ein Vorwurf erhoben, der es von rein vermögensrechtlichen Interessen und damit von der prozessualen Stellung eines Einziehungsbeteiligten entfernt. Es ist daher erforderlich, das Verfahrensrecht zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße von den Vorschriften über das Einziehungsverfahren zu trennen. Der Gesetzgeber hätte 2017 dazu die Möglichkeit gehabt, als er das Recht der Vermögensabschöpfung reformierte und die prozessualen 583 Zwar wird in der Literatur teilweise vertreten, dass es sich bei der Einziehung von Taterträgen um eine zumindest strafähnliche Rechtsfolge handele; vgl. Fn. 339. Doch stützt sich diese Auffassung maßgeblich auf die Geltung des Bruttoprinzips, welches der Gesetzgeber 2017 durch die Regelungen in § 73d Abs. 1 StGB und § 29a Abs. 3 OWiG eingeschränkt hat. Es ist daher fraglich, ob die Literaturmeinungen – entgegen der Wertung des Gesetzgebers und der Rechtsprechung – auch in Zukunft aufrechterhalten werden. So hat etwa Heger seine Einwände gegen die Einordnung der Einziehung von Taterträgen als quasi-kondiktionelle Maßnahme bereits zurückgezogen; vgl. Lackner/Kühl-Heger, § 73 StGB, Rn. 1. 584 Vgl. zur Rechtsnatur der Unternehmensgeldbuße vor 1986: Kapitel 1, C. II. 585 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 101. 586 So auch: Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 143; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 469; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 193.
C. Folgen der Verfahrensausgestaltung
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Vorschriften neu fasste. Seine Bemühungen beschränkten sich aber auf die §§ 421 bis 439 StPO; sowohl in § 444 StPO als auch § 88 OWiG kam es lediglich zu redaktionellen Folgeänderungen.587 De lege ferenda muss dem Unternehmen deshalb eine Stellung zugestanden werden, die dem heutigen Verständnis von der Unternehmensgeldbuße als eigenständiger Sanktionsnorm entspricht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 30 OWiG sowohl an eine Ordnungswidrigkeit als auch an eine Straftat eines Unternehmensmitarbeiters anknüpft. Dem Unternehmen wird folglich je nach Anknüpfungstat entweder die vorwerfbare Handlung des Unternehmensmitarbeiters oder die schuldhafte Handlung des Unternehmensmitarbeiters zugerechnet. In dem letztgenannten Fall enthält der gegenüber dem Unternehmen erhobene Vorwurf dann auch das mit der Straftat verbundene stärkere Unrecht, weshalb dem Unternehmen eine mit einem Straftäter vergleichbare Verfahrensstellung zuzustehen ist. Bei dem Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat ist es dementsprechend geboten, dass sich das Unternehmen auf die prozessualen Rechte eines Betroffenen berufen kann.588 De lege lata ist das Unternehmen jedoch an die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Einziehungsrechts gebunden. Die Interessenslage des Unternehmens sollte daher so weit wie möglich berücksichtigt werden, wenn es um Auslegungsfragen hinsichtlich einzelner Verfahrensrechte geht.
II. Komplexe Verweisungsketten Eine weitere ungünstige Folge der derzeitigen Verfahrensausgestaltung findet sich in den langen Verweisungsketten, welche die Komplexität des Verfahrens zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße steigern und dadurch zu einer unübersichtlichen Rechtslage führen. Die Anwendung der Verweisungstechnik durch den Gesetzgeber hängt eng mit dessen Entscheidung zusammen, das Verfahren in Anlehnung an die Vorschriften über das Verfahren bei der Einziehung von Gegenständen zu regeln. Es stellte sich am einfachsten dar, die Besonderheiten für das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße in einzelnen Vorschriften, namentlich § 444 StPO und § 88 OWiG, zu normieren und im Übrigen über einen Verweis bestimmte Vorschriften des Einziehungsverfahrens für entsprechend anwendbar zu erklären.589 Da diese teil-
587 Siehe zu den Änderungen bezüglich § 444 StPO und § 88 OWiG: Artikel 3 Nr. 14 und Artikel 5 Nr. 7 Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. 588 Vgl. hierzu: Kapitel 4, B. II. 589 Vgl. die Begründung zu § 444 StPO (Nummer 11) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 82 sowie die Begründung zu § 77 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 113.
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
weise wiederum auf die Vorschriften des Individualverfahrens Bezug nehmen, ergeben sich für die Verfahren an verschiedenen Stellen bereits zweiteilige Verweise.590 Eine Erweiterung erfährt diese Ausgestaltung in dem selbstständigen Verfahren nach der StPO, wenn zunächst über § 444 Abs. 3 S. 1 StPO auf die Regelungen zum selbstständigen Einziehungsverfahren nach §§ 435 und 436 StPO abgestellt wird. § 435 Abs. 3 S. 1 StPO nimmt zwar unmittelbar auf bestimmte Individualvorschriften Bezug, doch enthält Satz 2 einen Verweis auf Normen des einheitlichen Einziehungsverfahrens, über welche dann wiederum ebenfalls bestimmte Vorschriften des Individualverfahrens Anwendung finden. Auch in § 436 Abs. 2 StPO wird nicht direkt auf das Individualverfahren verwiesen, sondern erst auf die Vorschriften über das nachträgliche Einziehungsverfahren abgestellt, nach denen dann die Regelungen über die Hauptverhandlung im Individualverfahren entsprechend gelten. Knüpft die Unternehmensgeldbuße somit an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters an, kann es bei einer selbstständigen Festsetzung zu einer Verkettung von bis zu vier Normen kommen. Noch komplexer gestaltet sich die Rechtslage, wenn die Unternehmensgeldbuße in Zusammenhang mit einer Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters ergeht und folglich das OWiG greift. Dieses sieht schon von seiner grundlegenden Konzeption vor, dass ergänzend zu den Vorschriften des OWiG die Regelungen anderer Gesetze Anwendung finden.591 Es muss daher in jedem Einzelfall geprüft werden, um welchen Normentyp es sich bei der OWiG-Vorschrift handelt und ob dieser auf das Unternehmen Anwendung finden kann. Sollte dies nicht möglich sein, muss über § 46 Abs. 1 OWiG auf § 444 StPO und die in § 444 StPO enthaltenen weiteren Verweise zurückgegriffen werden. In diesen Konstellationen können somit drei- oder vierteilige Verweisungsketten entstehen.592 An vielen Stellen ist jedoch nicht eindeutig, ob die Vorschriften der StPO ergänzend herangezogen werden müssen. So geht die überwiegende Literatur bei einem alleinigen Einspruch des Unternehmens gegen einen Bußgeldbescheid, in dem sowohl gegen das Unterneh590 Exemplarisch kann für das einheitliche Verfahren der Verweis in § 444 Abs. 2 S. 2 StPO auf § 428 Abs. 1 S. 2 StPO genannt werden, der die §§ 137 bis 139, 145a bis 149 und 218 StPO für entsprechend anwendbar erklärt. Auch in dem Verfahren nach dem OWiG finden sich zweiteilige Verweise, wenn über § 88 Abs. 3 OWiG die Regelung in § 87 Abs. 2 S. 1 OWiG gilt, die das Unternehmen etwa mit der Befugnis zur Einspruchseinlegung nach § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG ausstattet. 591 Vgl. beispielsweise § 46 Abs. 1 OWiG oder § 71 Abs. 1 OWiG. 592 Ein Beispiel für eine dreiteilige Verweisungskette findet sich bei dem einheitlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens gegen den Bußgeldbescheid. Dort richtet sich der Gang der Hauptverhandlung gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO nach den Vorschriften über die Hauptverhandlung im Individualverfahren. Eine vierfache Verbindung verschiedener Normen ergibt sich hingegen in dem selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit: Über § 46 Abs. 1 OWiG findet § 444 Abs. 3 S. 1 StPO Anwendung, der auf § 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 StPO verweist, über dessen Absatz 3 wiederum die Vorschriften über die Hauptverhandlung im Individualverfahren entsprechend gelten.
C. Folgen der Verfahrensausgestaltung
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men als auch den Unternehmensmitarbeiter eine Geldbuße festgesetzt wurde, ohne Erklärung von einer Anwendbarkeit des § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 oder 3 StPO aus, obwohl es richtig ist, die §§ 67 ff. OWiG anzuwenden.593 Auch das Rechtsmittelverfahren richtet sich nach den Vorschriften des OWiG, namentlich §§ 79 ff. OWiG, wenngleich dies zumindest im Hinblick auf die Fälle, in denen das Hauptverfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens als Beschlussverfahren geführt wird, bestritten wird.594 Der Komplexität des Verfahrensrechts kann an diesen Stellen nur mit einer konsequenten Anwendung systematischer Grundsätze begegnet werden. Da dies jedoch nicht immer gesehen wird, kommt es zu unterschiedlichen Ansichten über die Frage, nach welchen Vorschriften sich einzelne Verfahrensabschnitte richten. Damit verbunden sind Unsicherheiten bei der Rechtsanwendung durch die Verfahrensbeteiligten.
III. Unterschiede im Verfahrensaufbau und -ablauf Schließlich stellen die Unterschiede, die zwischen den einzelnen Verfahrenskonstellationen in Bezug auf den Aufbau und den Ablauf des Verfahrens bestehen, einen Nachteil für das Unternehmen dar. Ihre Ursache liegt darin, dass in Anlehnung an die Anknüpfungstat auf verschiedene Verfahrensordnungen zurückgegriffen wird, die in ihrer grundsätzlichen Konzeption voneinander abweichen. Zudem treten auch innerhalb einer Verfahrensordnung – bedingt durch die Differenzierung zwischen einheitlichem und selbstständigem Verfahren – Unterschiede hinsichtlich Verfahrensaufbau und -ablauf auf. Die Verankerung des Verfahrensrechts in der StPO und dem OWiG führt insbesondere im Rahmen des vorgerichtlichen Verfahrens zu einem unterschiedlichen Aufbau. So ähnelt das Verfahrensrecht des OWiG historisch bedingt dem behördlichen Verwaltungsverfahren, indem es den Erlass eines Bescheides vorsieht und die Möglichkeit zulässt, gegen diesen mittels eines Rechtsbehelfs vorzugehen. Anders ist hingegen das Strafverfahren aufgebaut, welches eine solche Interaktion zwischen Staatsanwaltschaft und Unternehmen nicht kennt. Mit der Verankerung in unterschiedlichen Verfahrensordnungen gehen ferner verschiedene Zuständigkeiten in den einzelnen Verfahrensabschnitten einher, was insbesondere im Hinblick auf die Zuständigkeit des Amtsgerichts in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit kritisiert wird.595 Darüber hinaus ergeben sich Besonderheiten in Bezug auf den Ablauf einzelner Verfahrensabschnitte, wenn beispielsweise in dem einheitlichen Hauptverfahren nach dem OWiG eine Beteiligung der Verwaltungs-
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Siehe: Kapitel 2, B. III. 2. Siehe: Kapitel 2, B. III. 4. b). 595 Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, S. 276; Heuking/von Coelln, in: BB 2014, 3016, 3021; Engelhart, in: NZWiSt 2015, 201, 209. 594
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
behörde gemäß § 76 OWiG erfolgt, während eine entsprechende Maßnahme in dem strafprozessualen Hauptverfahren ausscheidet. Doch auch innerhalb einer Verfahrensordnung treten Unterschiede im Aufbau und Ablauf der Verfahren auf. In dem einheitlichen Verfahren nach dem OWiG wird etwa nach beiderseitigem Einspruch von Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter ein mündliches Verfahren nach § 71 OWiG geführt und nur ausnahmsweise durch Beschluss entschieden. Wird die Unternehmensgeldbuße jedoch selbstständig festgesetzt, ist diese Grundsatz-Ausnahme-Regel vertauscht: Es kommt grundsätzlich zu einem schriftlichen Verfahren, welches nur nach einem entsprechenden Antrag oder infolge einer gerichtlichen Anordnung in Form einer Hauptverhandlung stattfindet. Ähnliches gilt für das Verfahren, welches an eine Straftat anknüpft: Im Rahmen des einheitlichen Verfahrens kann nur aufgrund einer mündlichen Verhandlung über die Straftat des Unternehmensmitarbeiters und die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße im Hauptverfahren entschieden werden. Für das selbstständige Verfahren ist hingegen grundsätzlich ein Beschlussverfahren vorgesehen. Die Aufbauten des einheitlichen und selbstständigen Verfahrens unterscheiden sich somit schon in ihren Grundkonstellationen. Schließlich kann auch der Verfahrensablauf innerhalb einer Verfahrensordnung variieren. So setzt beispielsweise das zuständige Gericht in dem einheitlichen Verfahren nach der StPO im Anschluss an den Erlass des Eröffnungsbeschlusses einen Termin für die Hauptverhandlung fest und ordnet die erforderlichen Ladungen an. Erst zu diesem Zeitpunkt wird dem Unternehmen gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 429 Abs. 2 StPO die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft mitgeteilt. Zuvor hat das Unternehmen beziehungsweise der Verteidiger des Unternehmens lediglich über das Akteneinsichtsrecht nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, 147 StPO die Möglichkeit, von den gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter erhobenen Anklagevorwürfen sowie den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen für den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Beteiligung des Unternehmens zu erfahren.596 Im Rahmen des selbstständigen Verfahrens hat das Unternehmen hingegen durch den neu hinzugefügten Satz 1 in § 435 Abs. 3 StPO, der bestimmte Vorschriften des individualstrafrechtlichen Zwischenverfahrens in Bezug auf das Unternehmen für entsprechend anwendbar erklärt, eine stärkere Verfahrensposition nach Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft eingeräumt bekommen. Diese beinhaltet unter anderem, dass das Unternehmen unmittelbar nach Einleitung des Zwischenverfahrens die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft erhält und somit zu einem früheren Zeitpunkt als in dem einheitlich geführten Verfahren. Die dargestellten Unterschiede in dem Verfahrensaufbau und -ablauf sind nur eine exemplarische Aufzählung von Abweichungen, die zwischen den einzelnen Verfahrenskonstellationen bestehen. Sie zeigen jedoch bereits die Notwendigkeit für den Rechtsanwender, in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen, nach welcher Konstellation das Verfahren gegen das Unternehmen geführt wird. Bedenklich erscheint im 596
Vgl. hierzu: Kapitel 3, B. II. 2.
D. Fazit
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Hinblick auf diese Verfahrensausgestaltung, dass es zu einer Ungleichbehandlung von Unternehmen kommen kann. So ist es beispielsweise möglich, dass das eine Unternehmen im Rahmen eines einheitlichen Verfahrens nach der StPO sanktioniert wird, während sich das andere Unternehmen bei gleicher Sachverhaltslage aufgrund der Verfolgungspraxis der in diesem Fall zuständigen Staatsanwaltschaft dem selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat ausgesetzt sieht. In dem erstgenannten Fall wird das Unternehmen gemäß § 444 Abs. 2 S. 1 StPO zu dem Hauptverhandlungstermin geladen; eine Verhandlung ohne das Unternehmen ist nur möglich, wenn der Vertreter ohne genügende Entschuldigung ausbleibt. Wird hingegen ein selbstständiges Verfahren mündlich geführt, erhält das Unternehmen gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 429 Abs. 1 und 3 Nr. 1 StPO lediglich eine Terminsnachricht und wird darauf hingewiesen, dass – unabhängig von Entschuldigungsgründen – auch ohne es verhandelt werden kann. Dabei liegt die Frage, ob die Staatsanwaltschaft beispielsweise von einer Verfolgung des Unternehmensmitarbeiters absieht, außerhalb der Einflusssphäre des Unternehmens, so dass dieses keine oder nur eine geringe Möglichkeit hat, das letztlich geltende Verfahrensrecht zu beeinflussen. Im Hinblick auf eine Neuregelung des Verfahrens muss es daher das Ziel sein, die verschiedenen Ausgestaltungen des Verfahrens zu vereinheitlichen, um eine nahezu gleiche Behandlung der Unternehmen sicherzustellen.
D. Fazit Die im Rahmen des Verfahrens zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße bestehende Differenzierung zwischen dem einheitlichen und selbstständigen Verfahren einerseits und den Anknüpfungstaten andererseits ist auf die für § 30 OWiG ursprünglich gewählte Nebenfolgenkonstruktion zurückzuführen. Gleiches gilt für die Anbindung des Verfahrensrechts an die Vorschriften über das Einziehungsverfahren. Trotz der Aufgabe der Nebenfolgenkonstruktion haben sich die Grundzüge der Verfahrensausrichtung bis heute nicht geändert. Das Unternehmensbußgeldverfahren kann daher entweder als einheitliches oder als selbstständiges Verfahren infolge einer Straftat des Unternehmensmitarbeiters oder als einheitliches oder als selbstständiges Verfahren infolge einer Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters geführt werden. Ferner ist in den Fällen des § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG in Verbindung mit § 82 GWB oder § 96 EnWG die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße in einem getrennten Verfahren zulässig. Die Ausgestaltung des Verfahrens in der beschriebenen Form führt für das Unternehmen zu einer ungünstigen Ausgangslage, die im Kern an den folgenden Punkten festgemacht werden kann: Zum einen kommt dem Unternehmen bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nur die prozessuale Stellung eines Beteiligten zu. Dies entspricht nicht der Interessenslage des Unternehmens, welche – anders als bei einem Einziehungsbeteiligten – auf die Verteidigung gegen den mit § 30 OWiG erhobenen Vorwurf ausgerichtet ist. Zum anderen ist das Verfahrensrecht
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Kap. 2: Verfahren bei der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße
durch komplexe Verweisungsketten geprägt, welche die Rechtslage unübersichtlich gestalten und Schwierigkeiten im Hinblick auf die Frage bereiten, nach welchen Vorschriften sich die einzelnen Verfahrensabschnitte richten. Schließlich stellen auch die Unterschiede, die zwischen den einzelnen Verfahrenskonstellationen in Bezug auf den Aufbau und Ablauf des Verfahrens bestehen, eine Herausforderung bei der Rechtsanwendung dar.
Kapitel 3
Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens in den einzelnen Verfahrensstadien Die Beschäftigung mit den verschiedenen Verfahrenskonstellationen hat aufgezeigt, dass das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße durch die Anbindung an die Vorschriften über das Einziehungsverfahren, komplexe Verweisungsketten und Unterschiede im Verfahrensaufbau und -ablauf gekennzeichnet ist. Im Folgenden soll nun untersucht werden, wie sich diese Verfahrensausgestaltung auf die prozessualen Rechte des Unternehmens auswirkt und ob seine Möglichkeiten zur Mitwirkung mit denen übereinstimmen, die einer natürlichen Person in einer vergleichbaren Situation zur Verfügung stehen. Da es in diesem Zusammenhang auch auf die förmliche Beteiligung des Unternehmens an dem Verfahren ankommt, werden der Zeitpunkt und die Voraussetzungen für die Beteiligungsanordnung ebenfalls in den Blick genommen.
A. Das Ermittlungsverfahren I. Die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens Das Ermittlungsverfahren nimmt im straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Prozess eine entscheidende Stellung ein. In seinem Rahmen werden die Beweise gegen, aber auch zu Gunsten eines Beschuldigten gemäß § 160 Abs. 1 und 2 StPO, gegebenenfalls in Verbindung mit § 46 Abs. 2 OWiG, gesammelt, geordnet und bewertet. Die Erforschung des Sachverhalts ist dabei nicht mehr nur eine rein hoheitliche Aufgabe. Vielmehr tragen auch nichtstaatliche Verfahrensbeteiligte zur Wahrheitsfindung bei.597 In seiner Funktion als Stoffsammlungsverfahren prägt das Ermittlungsverfahren das Gesamtverfahren, da in ihm die Weichenstellung für das spätere Urteil erfolgt.598 Daneben hat das Ermittlungsverfahren auch als isolierter Verfahrensabschnitt, der nicht zwingend zu einem gerichtlichen Verfahren führen muss, an Bedeutung gewonnen. So wird der Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf die Rechtstatsachenforschung attestiert, sie habe sich von einer Anklagebehörde zu einer 597
Vgl. zu der Funktion der nichtstaatlichen Verfahrensbeteiligten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens: Heghmanns/Scheffler-Jahn, Kap. I, Rn. 42 ff. 598 Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 299; MüKo StPO-Kölbel, § 160 StPO, Rn. 5; MAH Strafverteidigung-Schlothauer, § 3, Rn. 1.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Einstellungsbehörde gewandelt.599 Für nichtstaatliche Verfahrensbeteiligte besteht daher die Möglichkeit, sowohl im Hinblick auf ein späteres Hauptverfahren als auch auf die oft genutzte Möglichkeit der Verfahrensbeendigung durch Einstellung an der Beweisfindung und -bewertung mitzuwirken. Insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität ist eine verstärkte Einbeziehung von nichtstaatlichen Verfahrensbeteiligten in die Ermittlungen zu beobachten. Diese erstreckt sich vor allem auf die hinter den natürlichen Personen stehenden Unternehmen, obwohl diese – zumindest in Bezug auf strafrechtliche Ermittlungen – noch nicht einmal Beteiligte des Ermittlungsverfahrens sind. So zeigen beispielsweise die Verfahren gegen die Mitarbeiter der MAN SE und der Siemens AG wegen Korruptionsvorwürfen, dass die Verfolgungsbehörden verstärkt dazu übergehen, den Sachverhalt durch das betroffene Unternehmen aufklären und sich anschließend die Ergebnisse der „Ermittlungen“ aushändigen zu lassen.600 Diese als „Privatisierung der Strafverfolgung“601 kritisierte Praxis führt auf Seiten der Behörden zu einer Entlastung der ohnehin knappen Ressourcen und begründet bei den Unternehmen die Hoffnung, ein mögliches Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße gemäß § 30 OWiG – auch wegen der medialen Aufmerksamkeit – zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt zu beenden. Dass dies in vielen Fällen gelingt, zeigen zum Beispiel die Verfahren der letzten Jahre, die gegen Mitarbeiter verschiedener Kreditinstitute wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur Steuerhinterziehung geführt wurden.602 Daraus ergibt sich, dass der Schwerpunkt des Verfahrens auf die Kooperation mit den Verfolgungsbehörden gelegt wird und dass die Bemühungen dahin gehen, den Umfang der Unternehmensgeldbuße auszuhandeln und schon vor ihrer Festsetzung durch das Gericht oder die Verwaltungsbehörde zu akzeptieren. 599
Heghmanns/Scheffler-Jahn, Kap. I, Rn. 38. Die MAN SE gab etwa in ihrer Presseerklärung vom 10. Dezember 2009 an, dass die Verständigung über die Geldbußen und der Abschluss der Ermittlungen möglich geworden seien, weil Vorstand und Aufsichtsrat eine umfassende unternehmensinterne Aufklärung in enger Kooperation mit der Staatsanwaltschaft durchgeführt hätten; vgl. Presseerklärung „Ermittlungen gegen MAN-Konzerngesellschaften mit Bußgeldbescheiden beendet“ vom 10. Dezember 2009, abrufbar unter: http://www.truck.man.eu/de/de/man-welt/man-in-deutsch land/presse-und-medien/Ermittlungen-gegen-MAN-Konzerngesellschaften-mit-Bussgeldbe scheiden-beendet-50944.html (letzter Abruf am 20. 07. 2018). Durch die internen Untersuchungen bei der Siemens AG wurden beispielsweise Korruptionsfälle im Geschäftsbereich Medizintechnik aufgedeckt, die der Staatsanwaltschaft nicht bekannt waren; vgl. Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 19 f. Zumindest die im Rahmen der Mitarbeiterinterviews gewonnenen Erkenntnisse sollen aber nicht an die Staatsanwaltschaft herausgegeben worden sein; vgl. Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 32. 601 Taschke, in: NZWiSt 2012, 9, ebd.; vgl. auch: Wastl, in: ZRP 2011, 57 f. 602 Vgl. nur den Bericht „Deal mit der Commerzbank“ der Süddeutschen Zeitung vom 14. Oktober 2015, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/steuer-cds-und-diefolgen-deal-mit-der-commerzbank-1.2692367 (letzter Abruf am 20. 07. 2018), und den Bericht „HSH Nordbank akzeptiert Bußgeld“ des Deutschlandfunks vom 18. August 2015, abrufbar unter: http://www.deutschlandfunk.de/beihilfe-zur-steuerhinterziehung-hsh-nordbank-akzep tiert.1818.de.html?dram:article_id=328642 (letzter Abruf am 20. 07. 2018). 600
A. Das Ermittlungsverfahren
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Das Ermittlungsverfahren wird dadurch für viele Unternehmen zum wichtigsten Verfahrensabschnitt.
II. Regelungen für das Unternehmen in Bezug auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren Trotz der Bedeutung, die das Ermittlungsverfahren einerseits im Kontext des Gesamtverfahrens und andererseits als isolierter Verfahrensabschnitt entfaltet, fehlt es in Bezug auf die Sanktionierung des Unternehmens an direkten Regelungen in § 444 StPO für das Ermittlungsverfahren. Lediglich in den Vorschriften über das Einziehungsverfahren finden sich mit § 426 StPO und § 428 StPO Normen, die explizit das vorbereitende Verfahren betreffen. Dies zeigt die dürftige Regelungslage, die das geltende Recht im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren vorsieht. Ob die Regelungen dennoch ausreichen, um der Stellung des Unternehmens als eigenständiges Sanktionssubjekt gerecht zu werden, soll im Folgenden untersucht werden. 1. Keine Beteiligung des Unternehmens Hat die Staatsanwaltschaft gegen eine natürliche Person ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und gehört der Beschuldigte dem Leitungsbereich eines Unternehmens an, wird der Staatsanwaltschaft durch Nr. 180a Abs. 1 S. 1 RiStBV die Pflicht auferlegt zu prüfen, ob die Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG gegen das Unternehmen in Betracht kommt. Die Staatsanwaltschaft wird somit in bestimmten Fällen dazu angehalten, Ermittlungen in Bezug auf das Unternehmen aufzunehmen. Trotz dieser Ermittlungspflicht ist es ihr allerdings nicht möglich, ein offizielles Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen einzuleiten, da das Gesetz diesem nur die Stellung eines Beteiligten einräumt.603 Aus § 444 Abs. 1 StPO folgt wiederum, dass es in die Zuständigkeit des Gerichts fällt, die Beteiligung des Unternehmens anzuordnen und dadurch das einheitliche Verfahren einzuleiten. Die Staatsanwaltschaft ist dementsprechend nicht befugt, das Unternehmen an dem Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter förmlich zu beteiligen. Auch das Gericht kann die Beteiligung des Unternehmens aber erst nach Erhebung der Anklage anordnen. Dies ergab sich bis zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung in 2017 aus der Anlehnung des § 444 Abs. 1 S. 1 StPO an § 431 Abs. 1 S. 1 StPO a.F., welcher auf den „Angeschuldigten“ abstellte.604 Seit der Reform sind die Regelungen des § 431 StPO a.F. nunmehr in § 424 StPO und § 438 StPO enthalten. Während § 438 StPO weiterhin von dem „Angeschuldigten“ spricht, 603
Vgl. hierzu: Kapitel 2, C. I. Vgl. die Begründung zu § 444 StPO (Nummer 11) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 82. 604
156
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
bezieht sich § 424 Abs. 1 StPO auf den „Beschuldigten“. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist damit der Beschuldigte im Sinne des § 157 StPO gemeint.605 Eine daraus folgende inhaltliche Änderung kann somit weder für das Einziehungsverfahren nach § 424 StPO noch für das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 444 StPO abgeleitet werden. Im Rahmen des vorgerichtlichen Strafverfahrens gesteht das Gesetz dem Unternehmen somit nur die Position eines Außenstehenden zu, wodurch die Formlosigkeit unterstrichen wird, die den Ermittlungen gegenüber dem Unternehmen zugrunde liegt. Wimmer leitet hingegen unter Verweis auf den Grundsatz des fairen Verfahrens („fair trial“) aus § 426 Abs. 1 StPO ab, dass das Unternehmen bereits im Ermittlungsverfahren durch eine entsprechende Verfügung der Staatsanwaltschaft beteiligt werden könne.606 Gegen diese Auslegung spricht jedoch der eindeutige Wortlaut des § 444 Abs. 1 StPO, wonach die Beteiligung des Unternehmens durch ein Gericht angeordnet wird. § 426 Abs. 1 StPO bezieht sich zudem auf die Anhörung des Unternehmens im Ermittlungsverfahren; eine Beteiligungsregelung im Sinne des § 424 Abs. 1 StPO oder § 444 Abs. 1 StPO kann dem nicht entnommen werden und entspricht auch nicht dem Willen des Gesetzgebers.607 Schließlich übersieht Wimmer, dass dem Unternehmen unabhängig von seiner Beteiligung im Ermittlungsverfahren die Rechte aus §§ 426 und 428 StPO zukommen.608 Selbst wenn hypothetisch von einer Beteiligung des Unternehmens ausgegangen werden würde, blieben die Mitwirkungsrechte des Unternehmens auf die genannten Vorschriften beschränkt, da dem Unternehmen die Befugnisse einer natürlichen Person gemäß § 427 Abs. 1 StPO erst ab der Eröffnung des Hauptverfahrens zustehen. Eine etwaige Beteiligung des Unternehmens im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ändert also nichts an seiner Rechtsstellung. Auch unter dem Gesichtspunkt des fair-trial-Grundsatzes kann Wimmer daher nicht zugestimmt werden. In der Praxis wird sich die Staatsanwaltschaft letztlich damit behelfen müssen, das Unternehmen punktuell in die Ermittlungen gegen den Unternehmensmitarbeiter einzubeziehen, indem sie die Ermittlungen an das Individualverfahren anbindet und unter dem bestehenden Aktenzeichen gegen das Unternehmen führt. In tatsächlicher Hinsicht rückt das Unternehmen folglich doch in die Stellung eines Verfahrensbeteiligten ein. Betrachtet man hingegen das selbstständige Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat, stellt sich die Frage, ob eine „Beteiligung“ des Unternehmens überhaupt möglich ist. Denn anders als in dem einheitlichen Verfahren fehlt es unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG an einem Verfahren gegenüber dem 605
Begründung zu § 424 StPO (Nummer 12) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 88. 606 Wimmer, in: NZWiSt 2017, 252, 252 f. 607 Vgl. die Begründung zu § 432 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 76 f. 608 Vgl. hierzu: Kapitel 3, A. II. 2.
A. Das Ermittlungsverfahren
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Unternehmensmitarbeiter, an dem das Unternehmen beteiligt werden könnte. Vielmehr ermittelt die Staatsanwaltschaft allein gegen das Unternehmen und auch das Gericht entscheidet ausschließlich in Bezug auf das Unternehmen. Der Schritt zu einem originär gegen das Unternehmen geführten Verfahren liegt somit näher als der Gedanke, eine Beteiligung des Unternehmens an einem subjektlosen Verfahren anzuordnen. Nichtsdestotrotz hat sich der historische Gesetzgeber unter dem Eindruck der Nebenfolgenlösung für Letzteres entschieden und über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO den Verweis auf § 424 Abs. 1 StPO zugelassen.609 Aus dieser Norm folgt, dass das Unternehmen in dem selbstständigen Verfahren ebenfalls nicht durch die Staatsanwaltschaft beteiligt werden kann, sondern eine gerichtliche Anordnung erforderlich ist. Die Geltung der Beteiligungsregelung für das selbstständige Verfahren wird von Rechtsprechung und Literatur nicht hinterfragt.610 Akzeptiert man die geltende Rechtslage, führt dies für die Staatsanwaltschaft jedoch zu dem (technischen) Problem, dass sie ihre Ermittlungen gegen einen Nicht-Beschuldigten und Nicht-Beteiligten richten muss, ohne die Anbindung an ein anhängiges Verfahren zu haben. Ein vermeintlicher Ausweg könnte darin liegen, ein Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter oder gegen Unbekannt einzuleiten und erst dann einzustellen, wenn ausreichend Beweise gegen das unbeteiligte Unternehmen zusammengetragen wurden. Mit der Einstellung wird gemäß § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 2 OWiG die Möglichkeit für ein selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen eröffnet, welches unmittelbar bei Gericht beantragt werden kann. Ein solches Vorgehen kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Ermittlungen ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr gegen den Unternehmensmitarbeiter selbst richten und es insoweit zu einer künstlichen Verfahrensverlängerung ihm gegenüber kommt, die insbesondere im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot Bedenken begegnet. Auch vor dem Hintergrund dieser praktischen Schwierigkeiten ist es daher überzeugend, auf eine Beteiligung des Unternehmens an dem ausschließlich das Unternehmen betreffenden Verfahren zu verzichten und bereits im Ermittlungsverfahren die Einleitung eines Verfahrens gegen das Unternehmen zuzulassen. 2. Dennoch: Einbeziehung des Unternehmens in das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter über die §§ 426, 428 StPO Auch wenn das Unternehmen an dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter nicht beteiligt werden kann, wird es punktuell in die Ermittlungen der 609 Siehe zu der Anwendbarkeit von § 424 Abs. 1 StPO im selbstständigen Verfahren: Kapitel 2, B. II. 3. a). 610 In Bezug auf das selbstständige Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße etwa: KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 222; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 481. Im Hinblick auf das selbstständige Einziehungsverfahren beispielsweise: OLG Karlsruhe, in: NJW 1974, 709, 711; Meyer-Goßner/Schmitt, § 440 StPO a.F., Rn. 12; KK StPO-Schmidt, § 440 StPO a.F., Rn. 10.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Staatsanwaltschaft und das gegen den Unternehmensmitarbeiter laufende Ermittlungsverfahren einbezogen. Die zentrale Vorschrift findet sich in § 426 StPO, die in Absatz 1 die Anhörung sowie in Absatz 2 die Vernehmung des Unternehmens regelt und diesem ein Mindestmaß an Mitwirkungsrechten sichern soll. Darüber hinaus kann sich das Unternehmen gemäß § 428 Abs. 1 und 3 StPO in jeder Lage des Verfahrens durch einen Rechtsanwalt verteidigen lassen, was mit der Geltung weiterer Verteidigungsrechte verbunden ist. a) Anhörung Ergeben sich im vorbereitenden Verfahren Anhaltspunkte dafür, dass jemand als Einziehungsbeteiligter in Betracht kommt, ist er zu hören, § 426 Abs. 1 S. 1 StPO. Aus Satz 2 folgt, dass dies nur gilt, wenn die Anhörung ausführbar erscheint. Gemäß § 426 Abs. 1 S. 3 StPO findet § 425 Abs. 2 StPO entsprechend Anwendung. Mit diesen drei Sätzen regelt der Gesetzgeber die Anhörung von möglichen Einziehungsbeteiligten im vorbereitenden Verfahren. Über § 444 Abs. 2 S. 2 StPO gelten die Regelungen des § 426 Abs. 1 StPO auch für das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße. Um der Verfahrenssituation des § 444 Abs. 1 StPO für das Unternehmen gerecht zu werden, bedarf es allerdings einer differenzierteren Betrachtung im Hinblick darauf, welche der einzelnen Regelungen auf das Unternehmen Anwendung finden. Keine Bedenken bestehen hinsichtlich des § 426 Abs. 1 S. 1 StPO: Auf das Unternehmen übertragen bedeutet die Vorschrift, dass die Staatsanwaltschaft das Unternehmen anhören muss, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Beteiligung des Unternehmens wegen der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG in Betracht kommt. Aus §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 S. 1 StPO folgt somit einerseits für das Unternehmen das Recht, angehört zu werden, und andererseits für die Staatsanwaltschaft die Pflicht, die Anhörung vorzunehmen, wenn entsprechende Anhaltspunkte gegeben sind. Durch Nr. 180a Abs. 1 S. 2 RiStBV wird zusätzlich hervorgehoben, dass die Anhörung des Unternehmens nicht in das Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt ist. Ein Entscheidungsspielraum kommt der Staatsanwaltschaft allerdings im Hinblick auf den Zeitpunkt der Anhörung zu, da § 426 Abs. 1 StPO keine diesbezügliche Regelung trifft.611 Die Anforderungen, unter denen das Unternehmen in Form der Anhörung in das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter einbezogen wird, sind gering. Es genügen Anhaltspunkte für eine spätere Beteiligung des Unternehmens, während etwa für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Unternehmensmit611
Bei der Frage, wann das Unternehmen anzuhören ist, kann daher beispielsweise eine mögliche Gefährdung des Ermittlungserfolges berücksichtigt werden. Das diesbezügliche Ermessen leitet sich allgemein aus der Verfahrensherrschaft der Staatsanwaltschaft ab. Eine Anknüpfung an die Regelung in § 426 Abs. 1 S. 2 StPO, wie es Wimmer vorschlägt, ist deshalb nicht erforderlich; vgl. Wimmer, in: NZWiSt 2017, 252, 253.
A. Das Ermittlungsverfahren
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arbeiter zureichende tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sein müssen.612 Die Anhörung des Unternehmens kann somit schon in einem frühen Verfahrensstadium erfolgen, was dem Unternehmen die Möglichkeit gibt, zu Beginn der Ermittlungen Stellung zu nehmen und sich im Hinblick auf das weitere Verfahren zu positionieren. Auch für die Staatsanwaltschaft kann die frühe Einbeziehung des Unternehmens in das Verfahren hilfreich sein; beispielsweise wenn das Unternehmen seine Bereitschaft signalisiert, an der Aufarbeitung des Sachverhalts mitzuwirken. Da § 426 Abs. 1 StPO für die Anhörung keine Form vorschreibt, kann das Unternehmen mündlich wie auch schriftlich, etwa durch Zusendung eines Anhörungsbogens, angehört werden. Ob auch § 426 Abs. 1 S. 2 StPO Anwendung findet, ist hingegen fraglich. Die Regelung in Satz 2 soll der Staatsanwaltschaft für Fälle, in denen wegen unbekannten Aufenthalts des Einziehungsinteressenten, wegen ungenauer Absenderangaben im Falle von Druckschriften, wegen Verschleierung durch fingierte Angaben oder durch Strohmänner oder aus sonstigen Gründen die Anhörung nur schwer ausführbar erscheint, die Pflicht zur Anhörung des möglichen Einziehungsbeteiligten erlassen.613 Diese Möglichkeit hängt eng mit der Vorschrift des § 425 Abs. 1 StPO zusammen, weshalb sich ausweislich der Gesetzesmaterialien zur alten Rechtslage die nähere Bestimmung des Begriffs „ausführbar“ aus der Gesetzesbegründung zu dieser Regelung ergibt.614 Gemäß § 425 Abs. 1 StPO kann das Gericht bei einer Einziehung nach § 74a StGB oder § 74b StGB von der Anordnung der Beteiligung absehen, wenn diese wegen einem der genannten Fälle nicht ausführbar ist. Mit der Norm wird eine Besonderheit des Einziehungsrechts berücksichtigt, wonach die Einziehung auch gegen Nicht-Beteiligte zulässig ist.615 Wenn daher aus einem der genannten Gründe der mögliche Einziehungsbeteiligte nur schwer ermittelbar ist, kann von seiner Beteiligung in dem Strafverfahren abgesehen, aber dennoch die Einziehung angeordnet werden. Aufgrund dessen wurde für das Ermittlungsverfahren eine entsprechende Regelung eingeführt, um Verzögerungen im Verfahrensablauf zu vermeiden.616 Anderenfalls müsste die Staatsanwaltschaft den schwer zu ermittelnden möglichen Einziehungsbeteiligten ausfindig machen, um ihrer Anhörungspflicht nachzukommen, obwohl die Einziehung später unabhängig davon angeordnet werden kann. Anders ist die Ausgangslage jedoch im Hinblick auf das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG. Auch wenn das Unternehmen, etwa wegen Verschleierung der Gesellschaftsstrukturen in einem undurchsichtigen 612
Vgl. § 152 Abs. 2 StPO. Begründung zu § 431 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 75. 614 Begründung zu § 432 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 76. 615 Vgl. etwa § 424 Abs. 2 StPO. 616 Vgl. die Begründung zu § 431 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 75. 613
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Firmengeflecht oder wegen sonstiger Gründe, nur schwer ermittelbar ist, muss es als Sanktionsadressat feststehen, damit eine Geldbuße mit Wirkung für es festgesetzt werden kann.617 Die Staatsanwaltschaft muss das Unternehmen daher identifizieren, um überhaupt die Grundvoraussetzung dafür zu schaffen, dass in einem späteren Strafverfahren eine Unternehmensgeldbuße festgesetzt werden kann. Die Regelung in § 426 Abs. 1 S. 2 StPO ist somit für das Verfahren nach § 444 StPO überflüssig: Kann das Unternehmen aus einem der unter Satz 2 fallenden Gründe nicht ermittelt werden oder stoßen die Ermittlungen auf zu große Schwierigkeiten, schließt dies die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße aus. Es ist daher ohne Bedeutung, ob eine Anhörung erfolgt. Wird das Unternehmen hingegen identifiziert, ist die Anhörung ausführbar und das Unternehmen muss gemäß § 426 Abs. 1 S. 1 StPO angehört werden.618 Schließlich stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit von § 426 Abs. 1 S. 3 StPO. Gemäß der Vorschrift kann unter den in § 425 Abs. 2 StPO beschriebenen Voraussetzungen von der Anhörung einer Partei, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der StPO abgesehen werden. Es genügt in diesen Fällen, den Besitzer der Sache oder den zur Verfügung über das Recht Befugten zu hören. Bei § 426 Abs. 1 S. 3 StPO handelt es sich somit ebenfalls um eine, auf das Einziehungsverfahren zugeschnittene Verfahrensnorm, die in dem Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nicht greift.619 b) Vernehmung Während in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO die Anhörung des Unternehmens geregelt ist, betrifft §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2 StPO dessen Vernehmung. § 426 Abs. 2 StPO sieht für den möglichen Einziehungsbeteiligten vor, dass dieser, soweit seine Verfahrensbeteiligung in Betracht kommt, im Falle seiner Vernehmung nach den Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten vernommen wird, wenn er erklärt, gegen die Einziehung Einwendungen vorbringen zu wollen. Voraussetzung für die Vernehmung des Unternehmens nach den Vorschriften über die Beschuldigtenvernehmung ist somit, dass das Unternehmen zumindest nicht in erster Linie den Weg der Kooperation mit den Verfolgungsbehörden wählt. Vielmehr muss es – etwa bei der Anhörung – erklären, Einwendungen gegen die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße in dem späteren Verfahren erheben zu wollen. Im Übrigen kann das Unternehmen aber nicht beeinflussen, ob es vernommen wird; die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten gelten für das Unternehmen 617
Rn. 5.
Vgl. LR StPO-Gössel, § 444 StPO a.F., Rn. 18; KK StPO-Schmidt, § 444 StPO a.F.,
618 Auch nach Ansicht von Gössel hat die Einschränkung des § 426 Abs. 1 S. 2 StPO praktisch kaum Bedeutung; vgl. LR StPO-Gössel, § 444 StPO a.F., Rn. 25c. Meyer-Goßner geht davon aus, dass der Fall der Nichtausführbarkeit praktisch ausscheide; vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, § 444 StPO a.F., Rn. 3. 619 So auch: LR StPO-Gössel, § 444 StPO a.F., Rn. 25c.
A. Das Ermittlungsverfahren
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nur „im Falle seiner Vernehmung“620 entsprechend. Anders als in Bezug auf die Anhörung kommt dem Unternehmen somit kein Recht zu, vernommen zu werden, und der Staatsanwaltschaft keine Pflicht, die Vernehmung durchzuführen. Dass diese Regelung über § 444 Abs. 2 S. 2 StPO für das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG gilt, war schon zu der Zeit der Nebenfolgenlösung Kritik ausgesetzt und wird auch heute noch zu Recht abgelehnt.621 Der fehlende Anspruch auf eine Vernehmung mag zwar im Hinblick auf den möglichen Einziehungsbeteiligten begründbar sein, wenn seine vermögensrechtlichen Interessen mit prozessökonomischen Erwägungen abgewogen werden.622 Das Unternehmen ist aber Adressat einer Sanktion und daher in einer ähnlichen Situation wie ein Beschuldigter. Darüber hinaus setzt § 30 OWiG unter anderem das Vorliegen einer Anknüpfungstat voraus. Es kann daher sogar zur Beschleunigung des Verfahrens beitragen, wenn das Unternehmen im Rahmen der Vernehmung Angaben zu der Anknüpfungstat macht oder diesbezügliche Beweisanträge stellt.623 Die Staatsanwaltschaft sollte daher verpflichtet werden, das Unternehmen, ebenso wie einen Beschuldigten, vor Abschluss der Ermittlungen vernehmen zu müssen. Nichtsdestotrotz hat der Gesetzgeber bei Änderung des Einziehungsrechts in 2017 an dem uneingeschränkten Verweis des § 444 Abs. 2 S. 2 StPO auf § 426 Abs. 2 StPO festgehalten. Nach wie vor ist die Staatsanwaltschaft daher lediglich verpflichtet, das Unternehmen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter anzuhören, wenn Anhaltspunkte für eine spätere Beteiligung des Unternehmens wegen Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG in Betracht kommen. Sofern das Unternehmen allerdings gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2 StPO vernommen wird, gelten die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten insoweit entsprechend, als die Verfahrensbeteiligung des Unternehmens in Betracht kommt. Die spätere Verfahrensbeteiligung des Unternehmens erstreckt sich auf alle Tatsachen in Bezug auf die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG und erfasst damit auch die Frage nach der Anknüpfungstat des Unternehmensmitarbeiters. In diesem Bereich sind die Vorschriften über die Beschuldigtenvernehmung folglich entsprechend anwendbar, was die Regelungen in § 163a StPO mit den dort genannten Weiterverweisungen erfasst. Dies gibt dem Unternehmen insbesondere die Möglichkeit, gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2, 163a Abs. 2 StPO Beweisanträge zu stellen. 620
Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber den Halbsatz „falls er vernommen wird“ in § 432 Abs. 2 StPO a.F. ersetzt. Dass damit auch eine inhaltliche Änderung verbunden sein soll, kann den Gesetzesmaterialien nicht entnommen werden. 621 So etwa von: KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 197; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 144; bezogen auf die Rechtslage vor 1986: Müller, Stellung der juristischen Person, S. 102 f. 622 Vgl. Müller, Stellung der juristischen Person, S. 102. 623 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 102; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 197.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Ob dem Unternehmen aber über §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2, 163a Abs. 3 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO ebenso das Recht zukommt, nicht zu der Sache aussagen zu müssen, ist umstritten. Zur Beantwortung der Frage, ob sich Unternehmen auf ein Schweigerecht berufen können, kommt es primär auf die normative Verankerung dieses Rechts an.624 Das BVerfG lehnte in einer Entscheidung aus dem Jahr 1997625 ein Schweigerecht des Unternehmens ab: Ein solches Recht sei Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ableite. Da der Zwang zur Selbstbezichtigung vor allem aus Gründen der Menschenwürde vermieden werden müsse, sei es nach dem Wesensvorbehalt des Art. 19 Abs. 3 GG ausgeschlossen, Unternehmen den Schutz des Schweigerechts zukommen zu lassen.626 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verortet das Recht zu Schweigen hingegen in Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention,627 welcher das Recht auf ein faires Verfahren garantiert und auf Unternehmen Anwendung findet.628 Dies ist auch auf nationaler Ebene von Bedeutung, da Inhalt und Entwicklungsstand der Europäischen Menschenrechtskonvention bei der Auslegung des Grundgesetzes zu beachten sind. Die Rechtsprechung des EGMR dient wiederum als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes.629 Auch der Europäische Gerichtshof urteilte, dass ein Unternehmen nicht verpflichtet sei, Antworten zu erteilen, durch die es das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müsse. Dies beeinträchtige die Verteidigungsrechte des Unternehmens, deren Wahrung als fundamentaler Grundsatz der Gemeinschaftsrechtsordnung gelte.630 In der Literatur wird die Anwendung des Schweigerechts auf Unternehmen bejaht, sofern es als prozessuales Grundrecht verstanden und damit auch aus dem 624 Eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ansätzen zur Herleitung des nemo-tenetur-Grundsatzes und seiner jeweiligen Geltung zugunsten von Unternehmen erfolgt bei Queck (Queck, Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 105 – 232). 625 In einer früheren Entscheidung (abgedruckt in: BB 1975, 1315) hat das BVerfG die Frage nach einem Schweigerecht des Unternehmens für das Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit nur vordergründig beantwortet; vgl. Minoggio, in: wistra 2003, 121, 125. 626 BVerfGE 95, 220, 242; kritisch hierzu: Minoggio, in: wistra 2003, 121, 127 f.; Weiß, in: JZ 1998, 289 – 297. 627 EGMR, Urteil vom 25. 02. 1993, Funke/Frankreich, Nr. 10828/84, Rn. 44; EGMR (Zweite Sektion), Urteil vom 03. 05. 2001, J.B./Schweiz, Nr. 31827/96, Rn. 71. 628 EGMR, Urteil vom 27. 10. 1993, Dombo Beheer B.V./Niederlande, Nr. 14448/88, Rn. 35; vgl. auch zum Schutz des Schweigerechts durch die EMRK: Weiß, in: NJW 1999, 2236 – 2237. 629 BVerfGE 74, 358, 370; vgl. auch: Haeusermann, Verband, S. 202 ff. 630 EuGH, Urteil vom 18. 10. 1989, C-374/87 (Orkem SA/Kommission), ECLI:EU:C:1989:387, Rn. 32 ff.
A. Das Ermittlungsverfahren
163
Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitet wird.631 Für diesen Ansatz spricht, dass er in Einklang mit der Herleitung des Schweigerechts aus dem fair-trialGrundsatz steht, welcher auf der Ebene des Verfassungsrechts wiederum im Rechtsstaatsprinzip Ausdruck findet.632 Zudem ist zu beachten, dass der Gesetzgeber für den möglichen Einziehungsbeteiligten – bei dem es sich um eine natürliche Person wie auch um ein Unternehmen handeln kann – den Verweis auf § 136 Abs. 1 S. 2 StPO zugelassen hat.633 In § 59 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 1, 2 GWB findet sich ebenfalls eine Regelung, die es Unternehmen gestattet, im Falle der Gefahr einer Selbstbezichtigung die Auskunft zu verweigern. Diese gesetzlichen Vorschriften zeigen, dass dem Gesetzgeber der Gedanke eines Schweigerechts für Unternehmen nicht fremd ist. Dafür spricht ferner die Änderung des Einziehungsrechts in 2017: Obwohl die Diskussion über ein Schweigerecht von Unternehmen schon seit Jahrzehnten geführt wird, übernahm der Gesetzgeber in § 426 StPO die Inhalte der früheren Fassung nahezu unverändert. Es bleibt daher auch für das Unternehmen bei dem uneingeschränkten Verweis auf die Vorschriften über die Beschuldigtenvernehmung. Dass der Gesetzgeber an dieser Stelle keine Einschränkung vorgenommen hat, ist insbesondere in Bezug auf das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße gerechtfertigt. Denn es stellt einen Wertungswiderspruch dar, wenn das Unternehmen einerseits vernommen und mit einer Sanktion belegt werden kann, ihm andererseits aber Verteidigungsrechte, wie das Schweigerecht, nicht gewährt werden.634 Gestützt auf das Rechtsstaatsprinzip ist daher davon auszugehen, dass dem Unternehmen in den Fällen der Vernehmung nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2, 163a Abs. 3 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO ein Schweigerecht zukommt. c) Verteidigung Mit dem Recht auf Anhörung und – im Falle der Vernehmung – dem Beweisantragsrecht erschöpfen sich die Mitwirkungsrechte des Unternehmens im Rahmen des gegen den Unternehmensmitarbeiter gerichteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. § 428 StPO stellt zwar ebenfalls eine Vorschrift dar, die in dem vorbereitenden Verfahren Anwendung findet, doch enthält sie für das Unternehmen keine weitere Möglichkeit, die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörde aktiv zu Gunsten des Unternehmens zu beeinflussen. So sehen §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 631
Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 475; Haeusermann, Verband, S. 348 f.; Queck, Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes, S. 231 f.; Minoggio, in: wistra 2003, 121, 128; vgl. auch: Dannecker, in: ZStW 127 (2015), 370, 389 ff. 632 Vgl. nur: BVerfGE 57, 250, 274; BVerfGE 63, 380, 390; BVerfGE 64, 135, 145; BVerfGE 65, 171, 174. 633 Diese einfach-gesetzliche Ausprägung des Schweigerechts sehen auch: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 475; Queck, Geltung des nemo-teneturGrundsatzes, S. 237 f. 634 So auch: LR StPO-Gössel, § 444 StPO a.F., Rn. 25a.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
S. 1, Abs. 3 StPO vor, dass sich das Unternehmen in dem vorbereitenden Verfahren durch einen Rechtsanwalt mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten lassen kann.635 Gemäß Satz 2 finden die für die Verteidigung geltenden Vorschriften der §§ 137 bis 139, 145a bis 149 und 218 StPO entsprechend Anwendung. Das Unternehmen kann sich dadurch angemessen auf die Anhörung und, falls es vernommen wird, auf die Vernehmung vorbereiten. Auch wenn § 428 Abs. 1 und 3 StPO somit keine konkrete Mitwirkungsmöglichkeit für das Unternehmen normiert, schafft die Vorschrift letztlich die Voraussetzungen dafür, dass das Unternehmen die über §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 StPO vorgesehenen Mitwirkungsrechte in seinem Sinne wahrnehmen kann. Dass § 428 Abs. 1 StPO bereits im Ermittlungsverfahren Anwendung findet, ergibt sich aus Absatz 3, der erst 2017 durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung in die Vorschrift aufgenommen worden ist. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass das Unternehmen schon im Ermittlungsverfahren einen Rechtsbeistand wählen kann.636 Zuvor hatte die Vorschrift zu Unklarheiten geführt,637 da sie einerseits die Verteidigung „in jeder Lage des Verfahrens“ zuließ, andererseits aber auf den „Einziehungsbeteiligten“ und damit auf die formale Stellung als Beteiligter abstellte, deren Anordnung erst ab dem gerichtlichen Verfahren möglich ist.638 Warum gemäß § 428 Abs. 3 StPO allerdings nur Absatz 1 für das vorbereitende Verfahren entsprechend gilt und nicht auch Absatz 2, ist nicht nachvollziehbar. Schon im Ermittlungsverfahren kann die Bei-
635 Sofern in § 428 StPO auf die „Vertretung“ abgestellt wird, handelt es sich um eine auf den Einziehungsbeteiligten zugeschnittene Formulierung. Da sich dieser nur in wenigen Fällen gegen einen Schuldvorwurf „verteidigen“ muss, sah der Gesetzgeber eine größere Nähe zu der Stellung des Hauptintervenienten im Zivilprozess gegeben als zu der prozessualen Lage eines Angeklagten; vgl. die Begründung zu § 434 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 77. Er lehnte die Begrifflichkeiten in § 428 Abs. 1 S. 1 StPO daher an diejenigen für den Prozessbevollmächtigten im Zivilprozess an. In Bezug auf § 30 OWiG trifft das Unternehmen jedoch einen eigenständigen Schuldvorwurf in Form der besonderen Unternehmensverantwortlichkeit, weshalb die Verwendung des Terminus „Verteidigung“ zutreffend ist. Da § 444 Abs. 2 S. 2 StPO eine sinngemäße Anwendung des § 428 StPO vorsieht, ist eine entsprechende Umformulierung für das Verfahren nach § 444 StPO möglich. 636 Vgl. die Begründung zu § 428 StPO (Nummer 12) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 89 f. 637 § 434 Abs. 1 StPO a.F. lautete: „(1) 1Der Einziehungsbeteiligte kann sich in jeder Lage des Verfahrens aufgrund einer schriftlichen Vollmacht durch einen Rechtsanwalt oder eine andere Person, die als Verteidiger gewählt werden kann, vertreten lassen. 2Die für die Verteidigung geltenden Vorschriften der §§ 137 bis 139, 145a bis 149 und 218 sind entsprechend anzuwenden.“. 638 Gleichwohl ging die überwiegende Literaturmeinung von einer Anwendbarkeit des § 434 Abs. 1 StPO a.F. im Ermittlungsverfahren aus; so etwa: LR StPO-Gössel, § 434 StPO a.F., Rn. 2; KK StPO-Schmidt, § 434 StPO a.F., Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, § 434 StPO a.F., Rn. 1; Wessing, in: ZWH 2012, 6, 9 f.; Jahn, in: ZWH 2013, 1, 3.
A. Das Ermittlungsverfahren
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ordnung eines Rechtsanwalts nach § 428 Abs. 2 StPO geboten sein.639 Dies gilt insbesondere für den Fall, dass unter dem Gesichtspunkt der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG gegen den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen ermittelt wird. Das Unternehmen sieht sich durch die komplexen Verweisungen auf die Vorschriften über das Einziehungsverfahren sowie die undurchsichtige Verfahrensstellung während der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen regelmäßig mit einer komplizierten Rechtslage konfrontiert, so dass bereits unter diesem Aspekt die Beiordnung eines Verteidigers auf Antrag gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 2 S. 1 StPO in Betracht kommt. Durch den eindeutigen Wortlaut des § 428 Abs. 3 StPO muss nunmehr aber davon ausgegangen werden, dass ausschließlich § 428 Abs. 1 StPO über § 444 Abs. 2 S. 2 StPO für das Unternehmen in dem Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter Anwendung findet.640 Lässt sich das Unternehmen nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 StPO durch einen Rechtsanwalt verteidigen, hat dieser das Recht, im Falle der Vernehmung des Unternehmens bei der Befragung durch die Staatsanwaltschaft anwesend zu sein, §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2, 163a Abs. 3 S. 2, 168c Abs. 1 StPO. Ihm ist es dadurch möglich, auf die Vernehmung und Beweisfindung durch die Ermittlungsbehörden unmittelbar Einfluss zu nehmen. Zur entsprechenden Vorbereitung der Vernehmung, beziehungsweise bereits der Anhörung, kann der Verteidiger gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 147 Abs. 1 StPO die Ermittlungsakte einsehen.641 Da die Anhörung des Unternehmens gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO erfolgt, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dessen Beteiligung wegen der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG in Betracht kommt, muss dem Verteidiger ab dem Vorliegen solcher Anhaltspunkte Einsicht in die Ermittlungsakte gewährt werden. Dies gilt gemäß § 147 Abs. 2 StPO jedoch nur, soweit nicht eine Gefährdung des Un639 Vor Änderung der Rechtslage in 2017 wurde in der Literatur daher teilweise auch in Bezug auf Absatz 2 angenommen, dass die Regelung bereits für das Ermittlungsverfahren gilt; so etwa von: LR StPO-Gössel, § 434 StPO a.F., Rn. 6; KK StPO-Schmidt, § 434 StPO a.F., Rn. 6. 640 Zwar wird in der Gesetzesbegründung zu § 428 Abs. 3 StPO auf die Ausführungen von Schmidt im Karlsruher Kommentar (7. Auflage 2013) unter § 434 StPO, Rn. 6 verwiesen, wo die Beiordnung des Vertreters nach Absatz 2 und die Geltung dieses Absatzes im Vorverfahren behandelt wird; vgl. die Begründung zu § 428 StPO (Nummer 12) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 89 f. Doch legt der Wortlaut des neu eingefügten § 428 Abs. 3 StPO, der ausdrücklich nur Absatz 1 für entsprechend anwendbar erklärt, nahe, dass es sich bei dem Verweis um ein Schreibversehen handelt und Rn. 2 gemeint war. 641 Das nicht verteidigte Unternehmen kann hingegen gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 StPO unter den Voraussetzungen des § 147 Abs. 7 StPO Akteneinsicht beantragen. Der Verweis des § 428 Abs. 1 S. 2 StPO auf § 147 StPO muss als vollumfänglich verstanden werden, da anderenfalls eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 und 3 EMRK droht; vgl. EGMR, Urteil vom 18. 03. 1997, Foucher/Frankreich, Nr. 22209/93, Rn. 26, 38. Die in Art. 6 EMRK garantierten Rechte finden auch auf Unternehmen Anwendung; vgl. Fn. 628.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
tersuchungszwecks zu befürchten ist. Neben diesem gesetzlich vorgesehenen Versagungsgrund ergibt sich eine weitere Einschränkung des Akteneinsichtsrechts aus den Grenzen der Verfahrensbeteiligung selbst. So bezieht sich die Akteneinsicht nur auf die Aktenteile, die für die Verfahrensbeteiligung von Bedeutung sein können.642 Gemäß § 444 Abs. 1 S. 1 StPO wird das Unternehmen an dem Gerichtsverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter beteiligt, soweit es die Tat betrifft. Gemeint ist damit die, von dem Unternehmensmitarbeiter begangene Tat, deretwegen über die Festsetzung einer Geldbuße gegen das Unternehmen zu entscheiden ist.643 Hat der Unternehmensmitarbeiter folglich mehrere Straftaten begangen, wird das Unternehmen nur hinsichtlich der Taten beteiligt, die als Anknüpfungstaten für die Unternehmensgeldbuße in Betracht kommen.644 Übertragen auf das Ermittlungsverfahren bedeutet dies, dass nur die Ermittlungen im Hinblick auf die potentiellen Anknüpfungstaten für die spätere Verfahrensbeteiligung von Bedeutung sind. Die Akteneinsicht kann daher grundsätzlich auf die Aktenteile beschränkt werden, die sich auf die entsprechenden Taten beziehen. Sollten die Ermittlungen zu den einzelnen Taten des Unternehmensmitarbeiters allerdings untrennbar miteinander verbunden sein, ist dem Verteidiger des Unternehmens – in den Grenzen des § 147 Abs. 2 StPO – Einsicht in die gesamte Ermittlungsakte zu gewähren.645 Dies gebietet der im Rechtsstaatsprinzip verankerte Grundsatz des fairen Verfahrens.646 Nur so erhält die Verteidigung in Bezug auf die Anknüpfungstaten das gleiche Maß an Kenntnis wie die übrigen Verfahrensakteure und kann die Strategie für das weitere Verfahren, wie etwa die Anhörung des Unternehmens, vorbereiten. Gerade durch das Akteneinsichtsrecht wird somit gewährleistet, dass das Unternehmen die über §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 StPO vorgesehenen Mitwirkungsrechte zu seinen Gunsten im Sinne einer ordnungsgemäßen Verteidigung ausüben kann.
642 Begründung zu § 434 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 78; LR StPO-Gössel, § 434 StPO a.F., Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, § 434 StPO a.F., Rn. 6. Zwar beziehen sich die Gesetzesbegründung und die Literatur auf das Akteneinsichtsrecht des Einziehungsbeteiligten, doch gilt die Einschränkung für das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße aufgrund der Beteiligungsbegrenzung durch den letzten Halbsatz des § 444 Abs. 1 S. 1 StPO entsprechend. 643 Begründung zu § 444 StPO (Nummer 11) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 82. 644 KK StPO-Schmidt, § 444 StPO a.F., Rn. 3; LR StPO-Gössel, § 444 StPO a.F., Rn. 13. 645 Meyer-Goßner nimmt an, dass die Vorgänge regelmäßig nicht trennbar seien, weshalb die Einschränkung des Akteneinsichtsrechts praktisch kaum eine Rolle spiele; vgl. MeyerGoßner/Schmitt, § 434 StPO a.F., Rn. 6. 646 Vgl. zu einer denkbaren Verletzung des fair-trial-Grundsatzes bei einer Verkürzung des in § 147 StPO gewährten Rechts auf Akteneinsicht: BVerfGE 63, 45, 61; LR StPO-Lüderssen/ Jahn, § 147 StPO, Rn. 4.
A. Das Ermittlungsverfahren
167
3. Geltung der Mitwirkungsrechte im selbstständigen Verfahren In dem Verfahren zur selbstständigen Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße gelten über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO ebenfalls die Regelungen in §§ 426 und 428 StPO. Darüber hinausgehende Mitwirkungsrechte, auf die sich das Unternehmen in der Ermittlungsphase des Verfahrens berufen kann, finden sich in den weiteren Vorschriften der §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435, 436 Abs. 1 und 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 oder 3 StPO allerdings nicht. Die Mitwirkung des Unternehmens ist folglich auf die zwingend vorzunehmende Anhörung beschränkt, deren Vorbereitung durch die Verteidigungsrechte in § 428 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 StPO ermöglicht wird. Die Durchführung der Vernehmung steht dagegen in dem Ermessen der Staatsanwaltschaft. Die Besonderheit bei der Wahrnehmung dieser Rechte wie auch bei den durch die Staatsanwaltschaft vorzunehmenden Ermittlungen liegt darin, dass es unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG an einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter fehlt, an das die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen das Unternehmen anbinden kann. Denn entweder hat sie das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter nicht eingeleitet oder schon eingestellt oder es wurde bereits gerichtlich über die Straftat des Unternehmensmitarbeiters geurteilt und von einer Strafe abgesehen.647 Bei der entsprechenden Anwendung der §§ 426 und 428 StPO über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO muss dies berücksichtigt werden, weshalb im Folgenden die sich für das Unternehmen ergebenden Abweichungen zu der Verfahrenssituation des einheitlichen Verfahrens dargestellt werden.648 Für die Anhörung des Unternehmens müssen sich gemäß § 426 Abs. 1 S. 1 StPO im vorbereitenden Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass es als Beteiligter des späteren Verfahrens in Betracht kommt. Wird die Vorschrift im Rahmen des selbstständigen Verfahrens angewandt, muss beachtet werden, dass es an einem Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter fehlen oder das Verfahren schon bei Gericht anhängig sein kann. Die Anhaltspunkte für die spätere Beteiligung des Unternehmens ergeben sich folglich nicht zwingend in dem Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter. Die Regelung in § 426 Abs. 1 S. 1 StPO muss in Bezug auf das selbstständige Verfahren daher in der Form erweitert werden, dass eine Anhörungspflicht auch dann ausgelöst wird, wenn die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer 647
Sofern sich die Staatsanwaltschaft in dieser Situation damit behilft, ein Verfahren gegen Unbekannt einzuleiten oder ein eingeleitetes Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter trotz einer Einstellungsmöglichkeit aufrecht zu erhalten, ist die Konstellation des einheitlichen Verfahrens gegeben. Die Mitwirkungsrechte des Unternehmens würden sich folglich nach den §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 und 428 StPO richten. Siehe zur Kritik an dieser Lösung: Kapitel 3, A. II. 1. 648 Da sich im Übrigen keine Änderungen zu den Mitwirkungsrechten des Unternehmens in dem einheitlichen Verfahren ergeben, kann auf die dortige Beschreibung der Rechte verwiesen werden; siehe: Kapitel 3, A. II. 2.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Vorermittlungen gegen den Unternehmensmitarbeiter auf entsprechende Anhaltspunkte stößt oder solche im Laufe des gerichtlichen Verfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter festgestellt werden. Über die Anhörung hinaus kann die Staatsanwaltschaft das Unternehmen nach §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 426 Abs. 2 StPO vernehmen. Im Falle der Vernehmung gelten die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten für alle Tatsachen, die die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG betreffen. Dies schließt die Anknüpfungstat des Unternehmensmitarbeiters ein, auch wenn die Staatsanwaltschaft diesbezüglich von einer Verfolgung abgesehen hat. Dem Unternehmen steht es dabei frei, die Ermittlungen durch eine Aussage oder das Stellen von Beweisanträgen zu seinen Gunsten zu beeinflussen oder aber die Aussage zu verweigern. Das Unternehmen kann sich gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 428 Abs. 1 und 3 StPO zur Unterstützung und Vorbereitung des Verfahrens durch einen Rechtsanwalt verteidigen lassen. Wie auch bei § 426 StPO handelt es sich bei § 428 StPO um eine auf das einheitliche Einziehungsverfahren zugeschnittene Vorschrift. Wenn § 428 Abs. 3 StPO daher erklärt, dass Absatz 1 für „das vorbereitende Verfahren“ entsprechend gilt, ist damit das gegen den Unternehmensmitarbeiter geführte Ermittlungsverfahren gemeint. Für das selbstständige Verfahren muss diese Regelung aufgrund des Fehlens eines Ermittlungsverfahrens erweitert werden. Denn der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet es, dem Unternehmen die Möglichkeit zur Verteidigung durch einen Rechtsanwalt nach § 428 Abs. 1 S. 1 StPO und die damit verbundenen Verteidigungsrechte nach § 428 Abs. 1 S. 2 StPO dann zukommen zu lassen, wenn die Staatsanwaltschaft in Bezug auf das Unternehmen ermittelt.649 Auch wenn daher das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter nicht eingeleitet, eingestellt oder durch das Absehen von einer Strafe beendet wurde, gelten für das Unternehmen die Verteidigungsrechte gemäß § 428 Abs. 1 StPO. Der Unternehmensverteidiger ist somit unter anderem zur Einsicht in die Ermittlungsakte berechtigt,650 sofern dem kein Versagungsgrund entgegensteht.
649 Vgl. zu der Herleitung des Rechts auf Verteidigung aus dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des fairen Verfahrens und seiner Geltung für Unternehmen: Haeusermann, Verband, S. 362 ff. Das Recht auf Verteidigung ist ebenfalls in Art. 6 Abs. 1, 3 lit. c) EMRK verbürgt. 650 Unabhängig von der Frage, wie die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen das Unternehmen als Nicht-Beschuldigten und Nicht-Beteiligten ohne Anbindung an ein Individualverfahren technisch dokumentiert, wird sie zu Beweiszwecken eine entsprechende Akte (möglicherweise gegen das Unternehmen als „potentiellen Beteiligten eines selbstständigen Verfahrens“) angelegt haben, in welche dem Verteidiger beziehungsweise dem nicht verteidigten Unternehmen dann Einsicht gewährt werden muss.
A. Das Ermittlungsverfahren
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4. Zusammenfassung Die Regelungen, die für das Unternehmen in und über § 444 StPO normiert sind, haben gezeigt, dass das Unternehmen weder an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Ermittlungsverfahren noch im Falle selbstständiger Ermittlungen beteiligt wird. Es wird folglich kein offizielles Verfahren in Bezug auf das Unternehmen geführt, was der Staatsanwaltschaft und dem Unternehmen ausreichend Möglichkeit gibt, die oben beschriebene, intransparente Verständigungspraxis zu pflegen.651 Um der Gefahr vorzubeugen, dass es in diesem Zusammenhang zu rechtsstaatswidrigen Absprachen kommt, ist eine stärkere Formalisierung des Ermittlungsverfahrens im Hinblick auf das Unternehmen erforderlich. Gelingt es dem Unternehmen nicht, sich in dieser ersten Phase des Verfahrens mit der Staatsanwaltschaft zu verständigen, sind seine weiteren Einflussmöglichkeiten auf die Ermittlungen begrenzt. Die Rechtsposition des Unternehmens ist für das vorbereitende Verfahren nur schwach ausgestaltet, was insbesondere mit Blick auf die prägende Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für das Gesamtverfahren bedenklich ist. Im ungünstigsten Fall beschränkt sich die Mitwirkung des Unternehmens auf die Anhörung nach § 426 Abs. 1 StPO, die sowohl im einheitlichen wie auch im selbstständigen Verfahren vorzunehmen ist. Eine Änderung der Rechtslage ist daher dergestalt geboten, dass die Durchführung der Vernehmung vor Abschluss der Ermittlungen – vergleichbar mit der für den Beschuldigten geltenden Regelung in § 163a Abs. 1 S. 1 StPO – gesetzlich vorgeschrieben wird. Sie in das Ermessen der Staatsanwaltschaft zu stellen, so wie es de lege lata in § 426 Abs. 2 StPO geregelt ist, wird der Bedeutung der Unternehmensgeldbuße als eigenständiger Sanktion und dem in ihr enthaltenen Vorwurf gegenüber dem Unternehmen nicht gerecht. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass bereits nach dem geltenden Recht an einigen Stellen des Ermittlungsverfahrens eine prozessuale Gleichbehandlung von Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter erfolgt. Dem Unternehmen kommen etwa über §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 StPO beziehungsweise §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 StPO wesentliche Verteidigungsrechte zu, die auch für den Beschuldigten beziehungsweise dessen Verteidiger in einem Ermittlungsverfahren gelten. Zudem hat der Gesetzgeber in Bezug auf das Schweigerecht gezeigt, dass er dem Unternehmen punktuell Rechte zugesteht, die vermeintlich nur durch natürliche Personen wahrgenommen werden können. Für die Zukunft gilt es daher, diese bereits angelegten Rechte auszuweiten und das Unternehmen vollumfassend in eine, der Beschuldigtenstellung vergleichbare Verfahrensposition einzurücken.
651
Siehe: Kapitel 3, A. I.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
III. Regelungen für das Unternehmen in Bezug auf das Ermittlungsverfahren nach dem OWiG Im Hinblick auf die Ermittlungen, die nach den Vorschriften des OWiG durch die zuständige Verwaltungsbehörde geführt werden, scheint die gesetzliche Regelungslage für das Unternehmen auf den ersten Blick günstiger als in dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu sein. So regelt § 88 Abs. 1 und 2 OWiG gerade das Verfahren vor Erlass eines Bußgeldbescheides und bezieht sich folglich – anders als § 444 StPO – auf die Ermittlungsphase des Verfahrens. Gleichwohl beschränken sich die Absätze auf eine Benennung der Aufgaben und Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde und adressieren das Unternehmen nicht direkt. Anders als bei dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren hilft der Verweis auf das Einziehungsrecht ebenfalls nicht weiter, da die über § 88 Abs. 3 OWiG entsprechend anwendbaren Regelungen in § 87 OWiG erst ab dem Erlass des Bußgeldbescheides gelten. Für das Unternehmen ergibt sich somit auch nach dem OWiG nur eine sehr schwache Ausgestaltung der Vorschriften für das Ermittlungsverfahren. Welche Regelungen letztlich Anwendung finden und ob diese angesichts des Sanktionscharakters der Unternehmensgeldbuße ausreichend sind, wird daher im Folgenden untersucht werden.652 1. Anordnung der Beteiligung durch die Verwaltungsbehörde a) Beteiligung an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Ermittlungsverfahren § 88 Abs. 1 OWiG weist die Besonderheit auf, dass er – anders als § 444 Abs. 1 StPO – nicht dem Gericht, sondern der Verwaltungsbehörde die Befugnis überträgt, die Beteiligung des Unternehmens an dem Verfahren gegen die natürliche Person anzuordnen. In dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit ist folglich bereits vor Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens und damit zu einem früheren Zeitpunkt als in dem strafrechtlichen Verfahren die Beteiligung des Unternehmens vorgesehen. Obwohl § 88 Abs. 1 OWiG somit eine Regelung für die Beteiligung des Unternehmens enthält, bleiben verschiedene Fragen offen. So geht aus § 88 Abs. 1 OWiG nicht eindeutig hervor, unter welchen Voraussetzungen die Anordnung der Beteiligung des Unternehmens in Betracht kommt. Offen bleibt auch, ob die Anordnung 652
Sofern nachstehend auf das selbstständige Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße eingegangen wird, beziehen sich die Ausführungen allgemein auf das Verfahren, welches nach den Vorschriften des OWiG durch eine Verwaltungsbehörde geführt wird. Erfasst sind somit nicht nur die entsprechenden Fälle des selbstständigen Verfahrens nach § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG, sondern auch die Fälle, bei denen gemäß § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG in Verbindung mit § 82 GWB oder § 96 EnWG getrennt gegen das Unternehmen und den Unternehmensmitarbeiter vorgegangen wird. Sollten sich für das getrennte Verfahren Abweichungen ergeben, wird dies kenntlich gemacht.
A. Das Ermittlungsverfahren
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selbst beziehungsweise der Anordnungszeitpunkt im Ermessen der Verwaltungsbehörde liegen oder ob sie verpflichtet ist, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Beteiligung des Unternehmens anzuordnen. Im Hinblick auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Beteiligungsanordnung durch die Verwaltungsbehörde in Betracht kommt, werden in der Rechtsprechung und Literatur verschiedene Ansätze vertreten. Die überwiegende Ansicht geht davon aus, dass die Beteiligung des Unternehmens stets anzuordnen ist, wenn über die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße zu entscheiden ist, also nach den getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen des § 30 OWiG wahrscheinlich vorliegen und die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße in Betracht kommt.653 Vereinzelt wird dies strenger gesehen und gefordert, dass die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße hinreichend wahrscheinlich erscheint.654 Ein anderer Ansatz nimmt hingegen an, dass die Beteiligung schon dann anzuordnen ist, wenn nach den getroffenen Feststellungen zureichende Anhaltspunkte für die Voraussetzungen des § 30 OWiG vorliegen, so dass die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße daher aller Wahrscheinlichkeit nach in Betracht kommt.655 Die dargestellten Auffassungen haben gemein, dass sie an die getroffenen Feststellungen anknüpfen und damit auf einen Zeitpunkt abstellen, zu dem die Verwaltungsbehörde ihre Ermittlungen in Bezug auf das Unternehmen schon durchgeführt hat. Ausweislich der Gesetzesmaterialien ging auch der Gesetzgeber bei der Einführung der Vorschrift davon aus, dass die Verfahrensbeteiligung erst nach Durchführung der Ermittlungen angeordnet wird.656 Nicht ersichtlich ist aber, warum die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansichten auf die Wahrscheinlichkeit der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße beziehungsweise auf die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der Voraussetzungen des § 30 OWiG abstellen. Denn anders als im Strafverfahren erhebt die Verwaltungsbehörde keine Anklage bei Gericht, für welche eine hinreichende Verurteilungswahrscheinlichkeit bejaht werden muss.657 Vielmehr ist es gerade die Verwaltungsbehörde selbst, die durch den Bußgeldbescheid eine Sanktion festsetzt. Sie muss daher die Ordnungswidrigkeit beziehungsweise deren Voraussetzungen für erwiesen, Verfolgungshindernisse für 653 Göhler, § 88 OWiG, Rn. 2; R/R/H-Hannich, § 88 OWiG, Rn. 5; KK OWiG-Mitsch, § 88 OWiG, Rn. 4; bezogen auf die Rechtslage vor 1986: OLG Karlsruhe, in: NStZ 1987, 79, ebd.; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 116. 654 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 482. Auch MeyerGoßner geht von strengeren Voraussetzungen aus; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 444 StPO a.F., Rn. 7 („die Festsetzung einer Geldbuße zu erwarten ist“). Allerdings bezieht er sich auf das Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat und daher auf die Anordnungsbeteiligung durch das Gericht. 655 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 229. 656 Begründung zu § 76 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 112. 657 Vgl. zum Prüfungsumfang der Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung: Meyer-Goßner/Schmitt, § 170 StPO, Rn. 1.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
nicht gegeben und die Ahndung mit einer Geldbuße nach pflichtgemäßem Ermessen für geboten halten.658 Wenn sie unter diesen Voraussetzungen den „Erlass eines Bußgeldbescheides erwägt“659 und folglich über die Festsetzung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen zu entscheiden hat, ist sie gemäß § 88 Abs. 1 OWiG für die Anordnung der Beteiligung zuständig. In Anlehnung an den Wortlaut von Absatz 1 ist somit erst zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit für eine Beteiligungsanordnung durch die Verwaltungsbehörde anzunehmen. Weiter stellt sich die Frage, ob die Verwaltungsbehörde verpflichtet ist, die Beteiligung des Unternehmens anzuordnen, wenn sie unter den genannten Voraussetzungen den Erlass eines Bußgeldbescheides erwägt. Dem Wortlaut von § 88 Abs. 1 OWiG kann eine solche Pflicht nicht entnommen werden. Da sich die Geldbuße aber gegen das Unternehmen richtet, kann die Entscheidung der Verwaltungsbehörde gegenüber dem Unternehmen nur dann Wirkung entfalten, wenn dieses vorher an dem Verfahren beteiligt war.660 Gerade aus diesem Grund regelt § 88 Abs. 1 OWiG für das Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit die Beteiligung des Unternehmens, während es bei dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren an einer entsprechenden Regelung fehlt. Denn die Staatsanwaltschaft besitzt keine Ahndungsbefugnis gegenüber dem Unternehmen, so dass dessen Beteiligung an dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die natürliche Person nicht zwingend erforderlich ist. Außerdem erklärt sich vor diesem Hintergrund, warum in § 88 Abs. 3 OWiG von einem Verweis auf § 87 Abs. 4 OWiG abgesehen wurde. Die Vorschrift gibt dem potentiellen Einziehungsbeteiligten die Möglichkeit, seine Interessen in einem Nachverfahren zu wahren, wenn ein Einziehungsbescheid ohne vorherige Beteiligungsanordnung ergangen ist.661 Da ein entsprechender Bußgeldbescheid gegenüber dem Unternehmen jedoch wirkungslos bliebe, bedarf es keines Nachverfahrens. Die Verwaltungsbehörde muss somit die Beteiligung des Unternehmens an dem ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter anordnen, damit sie mit Wirkung für das Unternehmen eine Geldbuße gegen dieses nach § 30 OWiG festsetzen kann. Zu welchem Zeitpunkt die Anordnung erfolgt, liegt allerdings im Ermessen der Behörde. Rechtsprechung und Literatur gehen davon aus, dass der spätmöglichste Zeitpunkt für die Beteiligungsanordnung der Erlass des Bußgeldbescheides sei.662 658
Göhler, Vor § 65 OWiG, Rn. 1. Begründung zu § 76 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 112. 660 Vgl. die Begründung zu § 444 StPO (Nummer 11) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 83. 661 Begründung zu § 76 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 113. 662 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 230; Göhler, § 88 OWiG, Rn. 2a; KK OWiGMitsch, § 88 OWiG, Rn. 7; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 483; bezogen auf die Rechtslage vor 1986: Müller, Stellung der juristischen Person, S. 116; vgl. auch: OLG Karlsruhe, in: NStZ 1987, 79, ebd.; OLG Düsseldorf, in: NStZ 1984, 366, 367. 659
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Diese Auffassung wird zwar von den Gesetzesmaterialien gestützt;663 sie degradiert die Anordnung der Unternehmensbeteiligung jedoch endgültig zu einer bloßen pro forma-Maßnahme und ist daher kritisch zu sehen. Auf der anderen Seite sind an die Beteiligung des Unternehmens keine Rechte oder Befugnisse geknüpft, die dem Unternehmen nicht ohnehin zukommen. Auf Seiten der Verwaltungsbehörde wird, da sie die Ermittlungen gegen das Unternehmen schon abgeschlossen hat, ebenfalls kein gesteigertes Interesse daran bestehen, das Unternehmen unmittelbar im Anschluss an die Ermittlungen zu beteiligen. Der Annahme, die Beteiligung des Unternehmens könne auch noch bei Erlass des Bußgeldbescheides angeordnet werden, stehen somit letztlich keine zwingenden Gründe entgegen. Abzulehnen ist allerdings die Auffassung, die in dem Bußgeldbescheid generell eine konkludente Beteiligungsanordnung sehen will, wenn die Beteiligung des Unternehmens zuvor nicht ausdrücklich angeordnet wurde.664 Mit dem Erlass des Bußgeldbescheides kommt zwar der Wille der Verwaltungsbehörde zum Ausdruck, das Unternehmen sanktionieren zu wollen, doch lässt dies nicht ohne Weiteres den Schluss darauf zu, dass sie das Unternehmen als ein mit Rechten und Pflichten ausgestattetes Verfahrenssubjekt an dem weiteren Verfahren beteiligen will. Da der Bußgeldbescheid im Falle einer unterlassenen Beteiligungsanordnung des Unternehmens gegenüber diesem keine Wirksamkeit entfaltet, erschließt sich nicht, warum zu Lasten des Unternehmens die konkludente Anordnung ohne nähere Begründung für zulässig erachtet werden sollte. Im Hinblick auf die zuvor aufgeworfenen Fragen ist im Ergebnis festzuhalten, dass die Verwaltungsbehörde zur wirksamen Sanktionierung des Unternehmens dessen Beteiligung an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Ermittlungsverfahren anordnen muss, wenn sie die Voraussetzungen des § 30 OWiG für erwiesen und Verfolgungshindernisse für nicht gegeben hält und erwägt, auch unter dem Gesichtspunkt von § 47 Abs. 1 S. 1 OWiG nicht von einer Verfolgung abzusehen. Ob die Beteiligungsanordnung dann jedoch unmittelbar oder erst zu einem späteren Zeitpunkt, etwa bei Erlass des Bußgeldbescheides, zu erfolgen hat, liegt im Ermessen der Verwaltungsbehörde. Der Nachteil der beschriebenen Beteiligungskonstruktion liegt darin, dass die Verwaltungsbehörde zu dem Zeitpunkt, zu dem erstmals eine Beteiligung des Unternehmens in Betracht kommt, ihre Ermittlungen bereits durchgeführt hat. Sie kann die Möglichkeit, das Unternehmen an dem Verfahren zu beteiligen, daher nicht nutzen, um ihre Ermittlungen gegen das Unternehmen an die Ermittlungen gegen den Unternehmensmitarbeiter offiziell anzubinden. Vielmehr muss sie sich, wie auch die 663 Begründung zu § 76 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 112. 664 So etwa: KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 230; Göhler, § 88 OWiG, Rn. 2a; R/R/HHannich, § 88 OWiG, Rn. 5; KK OWiG-Mitsch, § 88 OWiG, Rn. 7; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 483; bezogen auf die Rechtslage vor 1986: OLG Karlsruhe, in: NStZ 1987, 79, ebd.; OLG Düsseldorf, in: NStZ 1984, 366, 367; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 117.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Staatsanwaltschaft, damit behelfen, das Unternehmen punktuell in das gegen den Unternehmensmitarbeiter laufende Verfahren einzubeziehen. Da es dadurch faktisch in die Stellung eines Verfahrensbeteiligten einrückt, wäre es konsequent, den Anordnungszeitpunkt für die Beteiligung des Unternehmens nach vorne zu verlagern. b) Beteiligung im selbstständigen Ermittlungsverfahren Das selbstständige Verfahren wird im Kern in § 88 Abs. 2 OWiG in zwei Sätzen geregelt: Gemäß Satz 1 setzt die Verwaltungsbehörde die Geldbuße gegen das Unternehmen in einem selbstständigen Bußgeldbescheid fest. Durch diese Regelung soll deutlich werden, dass der selbstständige Bescheid gegenüber dem Unternehmen einem Bußgeldbescheid gleichsteht.665 Satz 2 normiert hingegen die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Behörde. In den Vorschriften zur selbstständigen Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße fehlt es folglich an einer, mit § 88 Abs. 1 OWiG vergleichbaren Regelung, die der Verwaltungsbehörde die Befugnis überträgt, die Beteiligung des Unternehmens an dem Verfahren anzuordnen. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung erscheint im ersten Moment nachvollziehbar, da sich – wie auch bei dem selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat – die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Beteiligung des Unternehmens an einem Verfahren stellt, welches ausschließlich gegen das Unternehmen selbst geführt wird. Der Gesetzgeber entschied sich aufgrund der Nebenfolgenlösung allerdings gegen eine Betroffenenstellung des Unternehmens und lehnte die Ausgestaltung der prozessualen Vorschriften an das Einziehungsrecht an.666 Auch für das selbstständige Verfahren ist daher die Beteiligung des Unternehmens erforderlich,667 wenngleich es an einer ausdrücklichen Regelung fehlt. Dies zeigt erneut, wie bruchstückhaft das Verfahren in Bezug auf das Unternehmen nach den Vorschriften des Ordnungswidrigkeitenrechts geregelt ist. Geht man von der notwendigen Beteiligung des Unternehmens im Rahmen des selbstständigen Verfahrens aus, ist zu überlegen, wer für die Beteiligungsanordnung zuständig ist und – damit einhergehend – wann diese zu erfolgen hat. Aus § 88 Abs. 2 S. 1 OWiG ergibt sich, dass der Verwaltungsbehörde die Festsetzung der Geldbuße und mithin die Sanktionierung des Unternehmens obliegt. Wie bereits dargestellt, kann eine Sanktion jedoch keine Wirkung gegenüber einem Nicht-Verfahrensbeteiligten entfalten.668 Um der Ahndungsbefugnis der Verwaltungsbehörde daher gerecht zu werden, ist es zwingend notwendig, ihr die Zustän665 Begründung zu § 77 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 113. 666 So verweist § 88 Abs. 3 OWiG auch für das selbstständige Verfahren auf bestimmte Einziehungsvorschriften, die für den Einziehungsbeteiligten gelten. 667 So auch: Göhler, § 88 OWiG, Rn. 20; R/R/H-Hannich, § 88 OWiG, Rn. 35; KK OWiGMitsch, § 88 OWiG, Rn. 22. 668 Siehe: Kapitel 3, A. III. 1. a).
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digkeit für die Beteiligungsanordnung in Bezug auf das Unternehmen zu übertragen. Der Ausgangspunkt im Hinblick auf das selbstständige Verfahren ist somit der gleiche wie in den Fällen, in denen ein Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter anhängig ist. Es erscheint daher naheliegend, die Anordnung der Beteiligung unter den gleichen Voraussetzungen wie bei § 88 Abs. 1 OWiG zuzulassen und als spätmöglichsten Zeitpunkt für die Anordnung den Erlass des Bußgeldbescheides anzuerkennen. Auch hier muss die Anordnung im Grundsatz ausdrücklich erfolgen: Nur wenn aus dem Bußgeldbescheid eindeutig der Wille der Verwaltungsbehörde erkennbar ist, das Unternehmen in das weitere Verfahren als Beteiligter einzubeziehen, kann eine konkludente Beteiligungsanordnung ausnahmsweise angenommen werden. Aufgrund der Anlehnung an die Regelung des § 88 Abs. 1 OWiG ergibt sich für die Verwaltungsbehörde auch in den Fällen des selbstständigen Vorgehens gegen das Unternehmen nur ein enges Zeitfenster, um die Beteiligung des Unternehmens anzuordnen: Da sie nach Durchführung der Ermittlungen über die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße entscheidet, kommt erst zu diesem Zeitpunkt die Beteiligung des Unternehmens in Betracht. Die Verwaltungsbehörde hat ihre Ermittlungen daher gegen einen Nicht-Betroffenen und Nicht-Beteiligten zu richten und steht, wie die Staatsanwaltschaft in dem selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat, vor dem Problem, dass ihr ein anhängiges Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter fehlt, an das sie die Ermittlungen gegen das Unternehmen anbinden könnte. Die Behörden scheinen sich daher mit der oben dargestellten, vermeintlichen Lösung zu behelfen, die vorsieht, dass ein Ermittlungsverfahren gegen die natürliche Person eingeleitet, unter diesem Aktenzeichen gegen das Unternehmen ermittelt und das Verfahren erst dann gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter eingestellt wird.669 Dies legt zumindest ein Beschluss des OLG Düsseldorf nahe.670 In dem zu entscheidenden Fall ging aus der Akte hervor, dass die Behörde zu keinem Zeitpunkt Anstalten getroffen hatte, gegen den alleinigen Geschäftsführer des Unternehmens bußgeldrechtlich vorzugehen, obwohl dessen Person bekannt war und andere tatsächliche Gründe für die Nichtverfolgung nicht erkennbar waren. Vielmehr waren die Ermittlungen von vorneherein auf das Unternehmen ausgerichtet, gegen das schließlich ein selbstständiger Bußgeldbescheid erging. Das OLG bestätigte in diesem Zusammenhang das Vorgehen gegenüber dem betroffenen Geschäftsführer, indem es die Annahme für berechtigt hielt, dass die Verwaltungsbehörde, wenn sie einen Bußgeldbescheid nur gegen ein Unternehmen erlasse, das Verfahren auf dieses beschränken und im Übrigen stillschweigend nach § 47 OWiG verfahren wolle.671
669
Vgl. zu den Bedenken im Hinblick auf diese Lösung: Kapitel 3, A. II. 1. Die Lösung greift im Übrigen nur, wenn die Verwaltungsbehörde auch für die Sanktionierung des Unternehmensmitarbeiters zuständig ist und folglich nicht im Falle eines getrennten Verfahrens. 670 OLG Düsseldorf, in: NStZ 1984, 366. 671 OLG Düsseldorf, in: NStZ 1984, 366, 367.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
2. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter Neben der Regelung in § 88 Abs. 1 OWiG enthalten die §§ 88, 87 Abs. 2 S. 1 und 2, Abs. 5 OWiG keine weiteren Vorschriften, die eine Einbeziehung des Unternehmens in das gegen den Unternehmensmitarbeiter geführte Ermittlungsverfahren vorsehen. Es fehlt somit an Normen, die dem Unternehmen bestimmte Mitwirkungsrechte bei den Ermittlungen der Verwaltungsbehörde zugestehen. Über § 46 Abs. 1 OWiG muss daher auf die Regelungen in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 und 428 StPO zurückgegriffen werden. Dadurch erhält das Unternehmen zumindest in gewissem Umfang die Möglichkeit, auf die Ermittlungen der Verwaltungsbehörde Einfluss zu nehmen und sich gegen die erhobenen Vorwürfe zu verteidigen. Dies ist gerade auch in Bezug auf das Ermittlungsverfahren nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht geboten, da bereits im Anschluss an die Ermittlungen ein Bußgeldbescheid gegenüber dem Unternehmen erlassen wird. a) Anhörung In der Literatur wird es vereinzelt abgelehnt, das Anhörungsrecht des Unternehmens aus § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO abzuleiten. Stattdessen wird vertreten, dass sich ein solches Recht unmittelbar aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG ergebe.672 Begründet wird diese Ansicht mit einem Vergleich zwischen § 426 StPO und der für den Unternehmensmitarbeiter geltenden Anhörungsvorschrift des § 55 OWiG: Da § 426 Abs. 2 StPO die Vernehmung des Unternehmens im Sinne einer förmlichen Anhörung mit Belehrung über die Verteidigerkonsultation vorsehe, während es gemäß § 55 OWiG in Bezug auf den Unternehmensmitarbeiter genüge, ihm Gelegenheit zur schriftlichen Äußerung zu geben, sei es sachlich nicht gerechtfertigt, § 426 StPO anzuwenden. Denn sonst müsste die Ermittlungsbehörde gegenüber dem Unternehmen eine höhere Sorgfalt walten lassen als gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter.673 Dieser Auffassung werden drei Argumente entgegen gesetzt: Erstens werde verkannt, dass auch § 426 StPO keine bestimmte Form für die Gewährung des rechtlichen Gehörs vorschreibe.674 Zweitens habe das Unternehmen 672 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 236; ähnlich auch: KK OWiG-Mitsch, § 88 OWiG, Rn. 6. Mitsch übersieht dabei, dass Art. 103 Abs. 1 GG das rechtliche Gehör vor Gericht schützt. Für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde muss das Anhörungsrecht daher aus anderen verfassungsrechtlichen Grundsätzen abgeleitet werden (vgl. hierzu insgesamt: Maunz/Dürig-Remmert, Art. 103 Abs. 1 GG, Rn. 52 ff.). Auch Pohl-Sichtermann beschäftigt sich mit der Anwendbarkeit von Art. 103 Abs. 1 GG in dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde nur in Form einer kurzen Feststellung; vgl. Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 236. 673 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 236 f. 674 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 115 f.; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 148.
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gemäß § 426 Abs. 2 StPO gerade keinen Anspruch darauf, im Sinne des § 163a StPO vernommen zu werden.675 Und drittens könne dem Rechtsgedanken des § 55 OWiG entnommen werden, dass eine Anhörung im Bußgeldverfahren ausreiche. Es sei daher keine Situation denkbar, die eine Vernehmung des Unternehmens nach § 426 Abs. 2 StPO erforderlich machen könnte.676 Die überwiegende Ansicht in der Literatur geht daher davon aus, dass sich für das Unternehmen ein Anhörungsrecht aus § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO ergibt.677 Im Hinblick auf die von beiden Seiten vorgebrachten Argumente fällt auf, dass nicht ausreichend zwischen der Anhörung und der Vernehmung differenziert wird. So wird die Geltung von Art. 103 GG mit einer Gegenüberstellung von § 55 OWiG, der die Anhörung des Unternehmensmitarbeiters regelt, und § 426 Abs. 2 StPO, der die Vernehmung des Unternehmens betrifft, begründet. Die Normen beziehen sich jedoch auf unterschiedliche Mitwirkungsmöglichkeiten, deren Vergleich sich in der vorliegenden Konstellation nicht anbietet. Auch die Gegenauffassung bleibt zumindest in Bezug auf ihr zweites und drittes Argument an dem Vergleich haften, ohne dessen grundsätzliche Tauglichkeit in Frage zu stellen. Sofern aber die Geltung von §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 StPO über § 46 Abs. 1 OWiG mit einem Vergleich zu § 55 OWiG begründet oder abgelehnt wird, ist es allein sachgemäß, das Anhörungsrecht des Unternehmensmitarbeiters nach § 55 OWiG mit dem Anhörungsrecht des Unternehmens nach § 426 Abs. 1 StPO zu vergleichen und der möglichen Vernehmung des Unternehmensmitarbeiters nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 163a StPO die mögliche Vernehmung des Unternehmens nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2 StPO gegenüberzustellen. Im Folgenden soll daher – zunächst in Bezug auf das Anhörungsrecht von Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter – eine entsprechende Gegenüberstellung erfolgen. Die Regelung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO gebietet es, das Unternehmen anzuhören, wenn im vorbereitenden Verfahren Anhaltspunkte auf eine Beteiligung des Unternehmens an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Verfahren hindeuten. Ergeben sich somit Anhaltspunkte dafür, dass in dem weiteren Verfahren auch über den Erlass eines Bußgeldbescheides gegenüber dem Unternehmen zu entscheiden sein wird, kommt die Beteiligung des Unternehmens in Betracht und es ist gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO anzuhören.678 Da § 426 Abs. 1 StPO keine weiteren Vorgaben
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Müller, Stellung der juristischen Person, S. 116; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 148. 676 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 116. 677 So etwa: KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 227; Göhler, § 88 OWiG, Rn. 4; R/R/HHannich, § 88 OWiG, Rn. 12; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 482; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 115; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 148. 678 Darüber hinaus ergeben sich keine Besonderheiten zu der Anhörung, die gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unter-
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
enthält, kann die Anhörung sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen.679 Insbesondere fehlt es in § 426 Abs. 1 StPO – anders als in Absatz 2 – an einem Verweis auf die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten, weshalb das Unternehmen im Rahmen der Anhörung weder belehrt wird noch ihm ein Beweisantragsrecht im Sinne des § 163a Abs. 2 StPO zusteht. Für den Unternehmensmitarbeiter gilt hingegen § 55 OWiG. Nach dessen Absatz 1 findet § 163a Abs. 1 StPO mit der Einschränkung Anwendung, dass es genügt, wenn dem Unternehmensmitarbeiter Gelegenheit gegeben wird, sich zu der Beschuldigung zu äußern. Die Anhörung muss dabei vor Abschluss der Ermittlungen erfolgen. Eine Belehrung des Unternehmensmitarbeiters über sein Recht zur Bestellung und Befragung eines Verteidigers sowie zur Stellung von Beweisanträgen ist gemäß § 55 Abs. 2 OWiG nicht erforderlich. § 55 OWiG modifiziert die strafprozessualen Vorschriften über die Vernehmung somit dahingehend, dass bei Ermittlungen nach dem OWiG die schriftliche Äußerung des Unternehmensmitarbeiters ausreichend ist und eine Belehrung durch die Verfolgungsbehörde in Bezug auf bestimmte Rechte unterbleiben kann. Im Übrigen gelten allerdings über § 46 Abs. 1 OWiG die Vernehmungsvorschriften der §§ 163a, 136 StPO, was unter anderem zur Folge hat, dass der Unternehmensmitarbeiter über seine Aussagefreiheit nach §§ 163a Abs. 3 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO belehrt wird und seinen Beweisanträgen gemäß § 163a Abs. 2 StPO nachgegangen werden muss.680 Vergleicht man daher das Anhörungsrecht des Unternehmensmitarbeiters nach § 55 OWiG mit dem des Unternehmens nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO, zeigt sich, dass die Verwaltungsbehörde bei der Anhörung des Unternehmensmitarbeiters eine größere Sorgfalt als bei der Anhörung des Unternehmens walten lassen muss. Denn trotz der Einschränkungen in § 55 OWiG hat sie bestimmte Aufklärungs- und Belehrungspflichten gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter, während bei einer Anhörung des Unternehmens entsprechende Pflichten nicht vorgesehen sind. Zudem müssen die von dem Unternehmen gestellten Beweisanträge nicht berücksichtigt werden, da es an einem Verweis in § 426 Abs. 1 StPO auf § 163a Abs. 2 StPO fehlt.681 Das Argument, die nehmensmitarbeiters durchgeführt wird. Es kann daher auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden; siehe: Kapitel 3, A. II. 2. a). 679 Die Vertreter der Auffassung, welche von einer Geltung der §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO über § 46 Abs. 1 OWiG ausgehen, weisen daher zu Recht auf die Formlosigkeit der Anhörung hin; vgl. nur: Müller, Stellung der juristischen Person, S. 115 f. 680 Vgl. KK OWiG-Lutz, § 55 OWiG, Rn. 15 und 22. 681 Diese Ungleichbehandlung wird von Müller und Brender berechtigterweise kritisiert; vgl. Müller, Stellung der juristischen Person, S. 116; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 148. Sofern allerdings mit Verweis auf Müller behauptet wird, dem Unternehmen stehe bei der Anhörung das Beweisantragsrecht nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 163a Abs. 2 StPO zu (vgl. Göhler, § 88 OWiG, Rn. 4; missverständlich auch: KK OWiGRogall, § 30 OWiG, Rn. 228), ist diese Aussage nicht richtig. Müller empfiehlt den Verwaltungsbehörden lediglich, die von dem Unternehmen beantragten Beweiserhebungen vorzunehmen („Die Verwaltungsbehörden sollten […]“); vgl. Müller, Stellung der juristischen
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Anwendung des § 426 StPO sei wegen des höheren Sorgfaltsmaßstabs gegenüber dem Unternehmen sachlich nicht gerechtfertigt, trifft somit zumindest in Bezug auf das Anhörungsrecht nicht zu. Ein anderes Ergebnis ist möglich, wenn im Folgenden die für die Vernehmung von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen geltenden Vorschriften miteinander verglichen werden. b) Vernehmung Gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2 StPO gelten im Falle der Vernehmung des Unternehmens die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten insoweit entsprechend, als die Verfahrensbeteiligung des Unternehmens in Betracht kommt. Wird das Unternehmen folglich zu Tatsachen vernommen, die die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG betreffen, müssen die in und über § 163a StPO normierten Vorgaben eingehalten werden. Daraus ergibt sich, dass eine Belehrung des Unternehmens gemäß §§ 163a Abs. 3 S. 2, 136 Abs. 1 StPO zu erfolgen hat und die von dem Unternehmen beantragten Beweise gemäß § 163a Abs. 2 StPO zu erheben sind, wenn sie von Bedeutung sind. Dem Unternehmen kommt im Rahmen der Vernehmung somit eine deutlich verbesserte Verfahrensposition als bei seiner Anhörung zu.682 Von den Vertretern der Ansicht, die sich für eine Geltung des § 426 StPO in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit aussprechen, wird allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass das Unternehmen keinen Anspruch auf seine Vernehmung hat.683 Vielmehr steht die Entscheidung über deren Durchführung im Ermessen der Verwaltungsbehörde. Das Unternehmen kann lediglich gemäß § 426 Abs. 2 StPO die für seine Vernehmung notwendige Erklärung abgeben, Einwendungen gegen die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße vorbringen zu wollen. Ebenso wie das Unternehmen kann auch der Unternehmensmitarbeiter durch die Verwaltungsbehörde vernommen werden. § 55 OWiG schließt seine förmliche Vernehmung nicht aus, sondern überlässt der Verwaltungsbehörde die Entscheidung,
Person, S. 116. Zudem finden über § 46 Abs. 1 OWiG zunächst die speziellen Vorschriften für das Unternehmen in und über § 444 StPO Anwendung. Nur wenn diese keine Regelung enthalten, ist ein Rückgriff auf die allgemeinen, für den Beschuldigten geltenden Vorschriften der StPO denkbar, namentlich § 163a Abs. 2 StPO. Hier greift jedoch § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO. Und schließlich würde die Geltung von § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 163a Abs. 2 StPO zu einer Schlechterstellung des Unternehmens im Vergleich zu dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiter führen: Denn dort steht dem Unternehmen im Rahmen der Anhörung kein Beweisantragsrecht im Sinne des § 163a Abs. 2 StPO zu. 682 Da sich für die Vernehmung des Unternehmens nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2 StPO keine Besonderheiten zu der Vernehmung im Rahmen des strafrechtlichen Verfahrens ergeben, gilt das oben Gesagte entsprechend; siehe: Kapitel 3, A. II. 2. b). 683 Vgl. Fn. 675.
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ob eine Anhörung genügt.684 Eine solche kann insbesondere dann nicht ausreichend sein, wenn die Verhängung einer hohen Geldbuße möglich ist, die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit einen erheblichen Unrechtsgehalt aufweist oder der Sachverhalt rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten aufwirft.685 Entschließt sich die Verwaltungsbehörde zur Vernehmung des Unternehmensmitarbeiters, finden über § 46 Abs. 1 OWiG die Vernehmungsvorschriften der §§ 163a, 136 StPO Anwendung. Dies verpflichtet die Verwaltungsbehörde nicht nur zur Erhebung der beantragten Beweise nach § 163a Abs. 2 StPO, sondern auch zur uneingeschränkten Belehrung des Unternehmensmitarbeiters nach §§ 163a Abs. 3 S. 2, 136 Abs. 1 StPO.686 Die Vernehmung des Unternehmensmitarbeiters erfolgt somit nach denselben Vorschriften wie die Vernehmung des Unternehmens. Für das Unternehmen ergibt sich lediglich die Besonderheit, dass es zunächst eine Erklärung nach § 426 Abs. 2 StPO abgeben muss. Im Übrigen kommt es aber zu einer vergleichbaren Verfahrensstellung von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen, so dass die Einwände, die für eine Geltung des Art. 103 GG aufgeführt werden, auch im Hinblick auf die Vernehmung von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen nicht durchgreifen.
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Vgl. die Begründung zu § 43 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 83. 685 KK OWiG-Lutz, § 55 OWiG, Rn. 9; BeckOK OWiG-Straßer, § 55 OWiG, Rn. 29. Um eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen, muss die Verwaltungsbehörde die genannten Gründe auch bei der Frage nach einer Vernehmung des Unternehmens gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2 StPO berücksichtigen. Da der in Zusammenhang mit § 30 OWiG zu ermittelnde Sachverhalt regelmäßig komplex ausgestaltet ist, kann die Vernehmung des Unternehmens bereits unter diesem Gesichtspunkt – sowohl für das Unternehmen wie auch für die Verwaltungsbehörde – sinnvoll sein. Das von Müller angeführte Argument, es sei keine Situation denkbar, die eine Vernehmung des Unternehmens nach § 426 Abs. 2 StPO erforderlich machen könnte, ist daher abzulehnen; vgl. Fn. 676. 686 Sofern Lutz davon ausgeht, dass auch im Falle der Vernehmung des Unternehmensmitarbeiters die Einschränkungen des § 55 Abs. 2 OWiG Anwendung finden, ist dies abzulehnen; vgl. KK OWiG-Lutz, § 55 OWiG, Rn. 23. Die Regelungen in § 55 Abs. 2 OWiG sollen im Bereich der geringfügigen, massenhaft vorkommenden Ordnungswidrigkeiten zu einer Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens beitragen. Eine Belehrung ist in diesen Fällen auch zum Schutze des Betroffenen nicht erforderlich, da ihm keine bedeutsame Unrechtsfolge droht; vgl. die Begründung zu § 43 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 83 und auch die Begründung zu § 55 OWiG des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts, BT-Drs. 7/551, S. 105. Hat sich die Verwaltungsbehörde aber wegen des Unwertgehalts der Ordnungswidrigkeit, der Höhe der drohenden Geldbuße oder der Schwierigkeit des Sachverhalts im Rahmen ihres Ermessens zu einer Vernehmung des Unternehmensmitarbeiters entschlossen, sind die Einschränkungen des § 55 Abs. 2 OWiG nach ihrem Sinn und Zweck nicht mehr gerechtfertigt. Die Verwaltungsbehörde selbst verzichtet auf die Erleichterungen des § 55 Abs. 1 OWiG und schränkt damit auch ihr Ermessen im Hinblick auf § 55 Abs. 2 OWiG ein. Da sie dem Unternehmensmitarbeiter durch die förmliche Vernehmung eine Stellung zugesteht, die der eines Beschuldigten im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren entspricht, ist es auch geboten, ihn wie einen Beschuldigten zu belehren.
A. Das Ermittlungsverfahren
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Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich die Mitwirkungsrechte des Unternehmens im Rahmen des gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Verfahrens nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 StPO richten. c) Verteidigung In Bezug auf das Recht auf Verteidigung in dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Ermittlungsverfahren ist in § 88 Abs. 1 OWiG selbst eine Regelung normiert. Danach ist die Verwaltungsbehörde für die Beiordnung eines Rechtsanwalts oder einer anderen Person, die als Verteidiger bestellt werden darf, zuständig. Zudem gilt § 60 S. 2 OWiG entsprechend, der bestimmt, dass die Verwaltungsbehörde auch über die Zulassung anderer Personen als Verteidiger und die Zurückweisung eines Verteidigers im Sinne der § 138 Abs. 2 StPO und § 146a Abs. 1 S. 1, 2 StPO entscheidet. Mit diesen Vorschriften erschöpfen sich die Regelungen im OWiG, die sich auf die Verteidigung des Unternehmens beziehen. Insbesondere die für den Unternehmensmitarbeiter geltenden Normen zur Akteneinsicht und Verteidigung in den § 49 OWiG und § 60 OWiG finden – mit Ausnahme von § 60 S. 2 OWiG – auf das Unternehmen keine Anwendung, da § 88 OWiG nicht weiter auf die Vorschriften verweist und sich das Unternehmen gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG erst in einem späteren Verfahrensstadium auf die Befugnisse eines Betroffenen berufen kann. Es gelten daher über § 46 Abs. 1 OWiG die Regelungen in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 und 3 StPO. Folglich kann sich das Unternehmen in dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde durch einen Rechtsanwalt mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht verteidigen lassen und gewisse Verteidigungsrechte geltend machen. Die einzige Abweichung zu dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters besteht somit in der Zuständigkeitsregelung des § 88 Abs. 1 OWiG.687 Der über § 444 Abs. 2 S. 2 StPO geltende § 428 StPO enthält in Absatz 2 zwar ebenfalls eine Regelung zur Beiordnung eines Rechtsanwalts, doch greift diese erst ab Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens. Die späte Wirkung dieser Vorschrift ist kritisch zu sehen, da es auch im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter geboten sein kann, dem Unternehmen etwa aufgrund der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage einen Verteidiger zu bestellen.688 Gleiches gilt für das ordnungswidrigkeitenrechtliche Ermittlungsverfahren, weshalb es positiv ist, dass § 88 Abs. 1 OWiG die Zuständigkeit für die Beiordnung von dem Vorsitzenden auf die Verwaltungsbehörde verlagert. Darüber hinaus ist die Geltung der Beiordnungsregelung in dem Verfahren vor der 687 Im Übrigen kann daher auf die Aussagen zu den Verteidigungsrechten nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 und 3 StPO im Rahmen des gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens verwiesen werden; vgl. Kapitel 3, A. II. 2. c). 688 Vgl. zur Kritik an dieser Regelung: Kapitel 3, A. II. 2. c).
182
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Verwaltungsbehörde umso mehr geboten, weil – anders als im Strafverfahren – bereits mit dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens die Unternehmensgeldbuße festgesetzt wird. § 88 Abs. 1 OWiG bezieht sich ausdrücklich auf § 428 Abs. 2 StPO, indem es die Norm in Klammern aufführt.689 Im Sinne des § 428 Abs. 2 StPO kommt die Beiordnung eines Rechtsanwalts daher in Betracht, wenn die Sach- oder Rechtslage schwierig ist oder ersichtlich ist, dass das Unternehmen seine Rechte nicht selbst wahrnehmen kann. Die Zuständigkeit für die Bestellung eines Verteidigers fällt der Verwaltungsbehörde gemäß § 88 Abs. 1 OWiG dann zu, wenn sie über die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße zu entscheiden hat.690 Im Falle eines nicht verteidigten Unternehmens wird die Behörde folglich in Zusammenhang mit der Anordnung der Beteiligung darüber entscheiden, ob sie dem Unternehmen einen Rechtsanwalt als Verteidiger beiordnen soll. Die Entscheidung erfolgt somit regelmäßig zu einem Zeitpunkt, zu dem die Ermittlungen gegen das Unternehmen bereits abgeschlossen sind. Da das Unternehmen unter den Voraussetzungen der §§ 88 Abs. 1 OWiG, 428 Abs. 2 StPO jedoch gerade während der Ermittlungsmaßnahmen der Verwaltungsbehörde den Beistand durch einen Verteidiger benötigt, greift die Zuständigkeitsregelung in § 88 Abs. 1 OWiG zu spät. Vielmehr sollte die Verwaltungsbehörde bereits dann, wenn Anhaltspunkte auf eine Beteiligung des Unternehmens an dem Verfahren hindeuten und das Unternehmen deshalb anzuhören ist, die Frage entscheiden, ob sie für ein bis zu diesem Zeitpunkt nicht verteidigtes Unternehmen einen Verteidiger bestellt. 3. Geltung der Mitwirkungsrechte im selbstständigen Verfahren Geht die Verwaltungsbehörde unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG oder § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG gegen das Unternehmen vor, finden die § 88 Abs. 2 OWiG und §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 und 2, Abs. 5 OWiG Anwendung. Obwohl sich § 88 Abs. 2 OWiG auf das Verfahren vor Erlass des Bußgeldbescheides bezieht, sieht er keine Regelungen für die Mitwirkungsrechte des Unternehmens vor. Über § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO gelten deshalb die Vorschriften der §§ 426 und 428 StPO, die auch im Falle eines anhängigen Ermittlungsverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter die Rechte des Unternehmens im Rahmen der Ermittlungen regeln. Im Vergleich zu den dies-
689 Vor der Reform des Rechts der Vermögensabschöpfung zeigte sich die Anlehnung an die Regelung in § 428 Abs. 2 StPO auch an dem vergleichbaren Wortlaut der Vorschriften. Im Zuge der Reform hat der Gesetzgeber allerdings die Formulierung in § 434 Abs. 2 StPO a.F. („einen Rechtsanwalt oder eine andere Person, die als Verteidiger bestellt werden darf, beiordnen“) angepasst, während bei § 88 Abs. 1 OWiG eine Änderung des Wortlauts nicht erfolgt ist. 690 Vgl. zur näheren Bestimmung des Zeitpunkts: Kapitel 3, A. III. 1. a).
A. Das Ermittlungsverfahren
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bezüglichen Ausführungen ergeben sich daher nur wenige Abweichungen, die im Folgenden dargestellt werden.691 Grundsätzlich wäre es denkbar, auch für das selbstständige Verfahren die Geltung der § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 426 StPO abzulehnen und stattdessen unmittelbar aus der Verfassung ein Anhörungsrecht für das Unternehmen abzuleiten.692 Es sind allerdings nur wenige Fälle denkbar, in denen es zu einer Anhörung des Unternehmensmitarbeiters nach § 55 OWiG kommt und das von Pohl-Sichtermann angeführte Argument der geringeren Sorgfalt gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter daher nicht lediglich in hypothetischen Konstellationen greift.693 Darüber hinaus haben schon die oben dargestellten Vergleiche der Anhörungsrechte und der für die Vernehmung von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen geltenden Vorschriften gezeigt, dass das Argument nicht haltbar ist.694 Es bleibt somit auch im Falle selbstständiger Ermittlungen gegen das Unternehmen bei einer Einbeziehung des Unternehmens über § 426 StPO. Das Unternehmen muss folglich gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 426 Abs. 1 StPO angehört werden. Dabei ist die Formulierung „im vorbereitenden Verfahren“ in § 426 Abs. 1 StPO weit auszulegen, so dass die Anhörung des Unternehmens auch dann zu erfolgen hat, wenn sich Anhaltspunkte im Sinne des § 426 Abs. 1 StPO im Rahmen der Vorermittlungen der 691 Im Übrigen kann auf die Beschreibung der Mitwirkungsrechte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter verwiesen werden; siehe: Kapitel 3, A. III. 2. 692 Pohl-Sichtermann bezieht sich allerdings nur auf die Vorschriften der §§ 444 Abs. 2, 432 StPO a.F. und damit auf das einheitliche Verfahren. Ob sie ihre Auffassung auch in Bezug auf die selbstständigen Ermittlungen gegen das Unternehmen vertritt, wird nicht deutlich; vgl. Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 236. Die übrige Literatur äußert sich in Zusammenhang mit dem selbstständigen Verfahren ebenfalls nicht zu dem Streitstand. Müller und Rogall weisen lediglich darauf hin, dass sich für die Anhörung und Beteiligung des Unternehmens keine Besonderheiten zum einheitlichen Verfahren ergäben; vgl. Müller, Stellung der juristischen Person, S. 125 und KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 246. Andere Autoren schreiben, dass sich die Verfahrensbeteiligung des Unternehmens nach den §§ 444 Abs. 3 S. 1, 440 Abs. 3 StPO a.F. richte; vgl. etwa: R/R/H-Hannich, § 88 OWiG, Rn. 35 und Göhler, § 88 OWiG, Rn. 20. Es bleibt zu vermuten, dass mit „Verfahrensbeteiligung“ allgemein die Position des Unternehmens und seine Rechte im selbstständigen Verfahren gemeint sind. 693 So erfolgt eine Anhörung des Unternehmensmitarbeiters nach § 55 OWiG regelmäßig nur in den Fällen des § 30 Abs. 4 S. 1 Var. 3 OWiG, wenn das Verfahren bis zur Verkündung der gerichtlichen Entscheidung fortgeführt wird. Wird das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter hingegen nicht eingeleitet oder eingestellt, unterbleibt die Anhörung beziehungsweise muss gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 163a Abs. 1 S. 1 Hs. 2 StPO nicht vorgenommen werden. Ist für das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter schließlich die Staatsanwaltschaft zuständig, während die Verfolgung des Unternehmens weiterhin der Verwaltungsbehörde gemäß § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG in Verbindung mit § 82 GWB oder § 96 EnWG obliegt, gilt nur dann § 55 OWiG, wenn die Staatsanwaltschaft gegen den Unternehmensmitarbeiter – nach Übernahme des Verfahrens gemäß § 42 OWiG – wegen einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG ermittelt; vgl. KK OWiG-Lutz, § 55 OWiG, Rn. 2. 694 Siehe: Kapitel 3, A. III. 2. a) und b).
184
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Verwaltungsbehörde oder im Laufe des gerichtlichen Verfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter ergeben haben.695 Liegt die Konstellation des getrennten Verfahrens vor, können entsprechende Anhaltspunkte auch im Zuge der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen den Unternehmensmitarbeiter ausgemacht werden. Die Staatsanwaltschaft wird dann insbesondere durch Nr. 242 Abs. 1 und 2 RiStBV dazu angehalten, die nach § 82 GWB beziehungsweise § 96 EnWG zuständige Behörde zu informieren, so dass diese die Anhörung vornehmen kann. Neben die Anhörung oder an deren Stelle kann die Vernehmung des Unternehmens nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 426 Abs. 2 StPO treten. Das Unternehmen hat keinen Anspruch darauf, vernommen zu werden. Erklärt es aber, gegen die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße Einwendungen vorbringen zu wollen und entschließt sich die Verwaltungsbehörde zur Vernehmung, gelten bezüglich aller Tatsachen, die die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG betreffen, die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten entsprechend. Dies umfasst auch die Frage nach der Anknüpfungstat des Unternehmensmitarbeiters, selbst wenn die Tat durch die Verwaltungsbehörde nicht weiter verfolgt wird. Ermittelt die Staatsanwaltschaft in Fällen des getrennten Verfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter und ergeben sich durch die Vernehmung des Unternehmens neue Erkenntnisse in Bezug auf die Anknüpfungstat, ist nach Nr. 242 Abs. 1 RiStBV eine Abstimmung der Behörden erforderlich, um unnötige Doppelarbeiten zu vermeiden und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zu vermindern. Schließlich kann sich das Unternehmen gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 428 Abs. 1 und 3 StPO von einem Rechtsanwalt mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht verteidigen lassen. Die Bezugnahme auf das vorbereitende Verfahren in § 428 Abs. 3 StPO darf dabei nicht zu eng ausgelegt werden: Das Unternehmen kann sich unabhängig von dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter durch einen Rechtsanwalt verteidigen lassen, wenn sich die Ermittlungen der Verwaltungsbehörde gegen das Unternehmen richten.696 Sofern das Unternehmen keinen Verteidiger wählt, stellt sich die Frage, ob die Beiordnung eines Rechtsanwalts oder einer anderen Person, die als Verteidiger bestellt werden darf, durch die Verwaltungsbehörde möglich ist. Eine entsprechende Zuständigkeitsvorschrift ist in § 88 Abs. 1 OWiG für das einheitliche Verfahren vorgesehen, während es in § 88 Abs. 2 OWiG für den Fall der selbstständigen Ermittlungen gegen das Unternehmen an einer Regelung fehlt. Ein Rückgriff auf § 428 Abs. 2 StPO über § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO hilft ebenfalls nicht weiter, da die Vorschrift erst ab Beginn des gerichtlichen Verfahrens Anwendung finden kann.697 Die Beiordnung eines Vertei695 696 697
Vgl. hierzu: Kapitel 3, A. II. 3. Vgl. hierzu: Kapitel 3, A. II. 3. Vgl. hierzu: Kapitel 3, A. II. 2. c).
A. Das Ermittlungsverfahren
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digers zu Gunsten des Unternehmens ist somit im Rahmen des selbstständigen Ermittlungsverfahrens gesetzlich nicht vorgesehen. Gleichwohl kann das Ermittlungsverfahren mit der Festsetzung einer Sanktion gegenüber dem Unternehmen enden, weshalb es der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet, dem nicht verteidigten Unternehmen in bestimmten Situationen einen Verteidiger an die Seite zu stellen.698 In entsprechender Anwendung des § 88 Abs. 1 OWiG ist der Verwaltungsbehörde daher auch im Falle selbstständiger Ermittlungen gegen das Unternehmen die Zuständigkeit für die Beiordnung eines Rechtsanwalts zu übertragen. Die Anlehnung an die Regelung für das einheitliche Verfahren bietet sich an, weil die Ausgangslage für das Unternehmen in beiden Fällen die gleiche ist: Im Hinblick auf die drohende Sanktion ist die Notwendigkeit der Verteidigung unabhängig davon gegeben, ob nur gegen das Unternehmen oder auch gegen den Unternehmensmitarbeiter ermittelt wird. Die Geltung von § 88 Abs. 1 OWiG führt allerdings dazu, dass die Beiordnung regelmäßig erst zu einem sehr späten Zeitpunkt angeordnet wird, nämlich wenn die Verwaltungsbehörde ihre Ermittlungen gegen das Unternehmen abgeschlossen hat.699 4. Zusammenfassung Die Regelungen für das Unternehmen in Bezug auf das Ermittlungsverfahren nach dem OWiG ergeben sich in erster Linie aus § 88 Abs. 1 OWiG und § 88 Abs. 2 OWiG. Die Absätze sind jedoch nur lückenhaft ausgestaltet und beziehen sich vorrangig auf die Zuständigkeit und die Aufgaben der Verwaltungsbehörde. Gleichwohl kann § 88 Abs. 1 OWiG entnommen werden, dass das Unternehmen an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Ermittlungsverfahren zu beteiligen ist. Entsprechendes gilt für die Fälle des § 30 Abs. 4 OWiG, da die in dem Bußgeldbescheid festgesetzte Sanktion nur dann gegenüber dem Unternehmen Wirkung entfaltet, wenn dieses zuvor an dem Verfahren beteiligt war.700 Die Beteiligung wird jedoch regelmäßig erst nach Abschluss der Ermittlungen gegen das Unternehmen oder noch später, mit dem Erlass des Bußgeldbescheides, angeordnet. Die Vorteile, die eine frühe Verfahrensbeteiligung des Unternehmens etwa im Hinblick auf die Transparenz der Ermittlungen mit sich brächte, kommen somit nicht zur Geltung. Dies steigert die Gefahr undurchsichtiger Verfahrensabsprachen zwischen Verfolgungsbehörde und Unternehmen, was insbesondere in Bezug auf das ordnungswidrigkeitenrechtliche Ermittlungsverfahren bedenklich ist, da dort der letztendlich erlassene Bußgeldbescheid nicht zwangsläufig der Kontrolle durch ein Gericht unterliegt.701 698
Vgl. Fn. 649. Vgl. zur Kritik an dieser Regelung: Kapitel 3, A. III. 2. c). 700 Siehe: Kapitel 3, A. III. 1. b). 701 So kann das Unternehmen die gerichtliche Überprüfung des Bußgeldbescheides, durch den die Unternehmensgeldbuße in der abgesprochenen Höhe festgesetzt wird, verhindern, indem es keinen Einspruch gegen den Bescheid einlegt. In dem Verfahren bei Anknüpfung an 699
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Die Möglichkeiten des Unternehmens, auf die Ermittlungen der Verwaltungsbehörde Einfluss zu nehmen, sind auf die Mitwirkungsrechte der StPO begrenzt. Das Unternehmen muss daher im Sinne des § 426 Abs. 1 StPO angehört werden; ein Anspruch auf Vernehmung nach §§ 426 Abs. 2, 163a StPO besteht hingegen nicht. Angesichts der Bedeutung des Ermittlungsverfahrens kommt dem Unternehmen mit dem Anhörungsrecht nur eine sehr schwache Verfahrensposition zu, die – ebenso wie im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren – hinter der des Unternehmensmitarbeiters zurück bleibt. Zwar sind auch die Rechte des Unternehmensmitarbeiters in dem Verfahren nach dem OWiG in der Form eingeschränkt, dass eine Anhörung ausreicht, die Belehrung in Bezug auf bestimmte Rechte unterbleiben kann und ein Anspruch auf eine Vernehmung nicht besteht. Doch finden bei der Anhörung des Unternehmensmitarbeiters zumindest die § 163a Abs. 2 StPO und §§ 163a Abs. 3 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO über § 46 Abs. 1 OWiG Anwendung. Dem Unternehmen muss daher vor dem Hintergrund, dass es am Ende des Ermittlungsverfahrens mit einer Sanktion belegt werden kann, in Zukunft eine stärkere Stellung bei den Ermittlungen eingeräumt werden. Einen ersten Ansatz bieten dafür die Regelungen in § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 428 Abs. 1 und 3 StPO, die dem Unternehmen bereits de lege lata bestimmte, für den Beschuldigten geltende Verteidigungsrechte einräumen. Auch die Möglichkeit der Verwaltungsbehörde, dem Unternehmen in dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter oder in dem selbstständigen Verfahren einen Verteidiger beizuordnen, ist zu begrüßen, wenngleich die Regelung aufgrund der späten Zuständigkeit der Behörde dem Unternehmen im Hinblick auf die Ermittlungen wenig hilft.
B. Das Zwischenverfahren I. Sinn und Zweck des Zwischenverfahrens Das in den §§ 199 ff. StPO geregelte Zwischenverfahren umfasst den Zeitraum zwischen der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft und der Eröffnung des Hauptverfahrens durch das zuständige Gericht.702 In diesem Verfahrensstadium prüft das Gericht, ob der Angeschuldigte nach den Ergebnissen des von der Staatsanwaltschaft zusammengetragenen Aktenmaterials einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Ist das der Fall, eröffnet das Gericht gemäß §§ 203, 207 StPO das Hauptverfahren. Das Zwischenverfahren gibt damit die Möglichkeit, ungerechtfertigte oder überschießende Anklagen der Staatsanwaltschaft nicht zu der Hauptverhandlung zuzulassen und dient so dem Schutz des Angeschuldigten vor den Beeine Straftat erfolgt hingegen in jedem Fall eine Kontrolle durch ein Gericht, da nur dieses die Geldbuße gegenüber dem Unternehmen festsetzen kann. 702 Vgl. zur Einordnung des Begriffs „Zwischenverfahren“ in den Gesetzeskontext: MAH Strafverteidigung-Wehnert, § 5, Rn. 1 ff.
B. Das Zwischenverfahren
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lastungen, die mit einer Hauptverhandlung verbunden sind.703 Zugleich kann durch die Vorsondierung und eventuelle Begrenzung des Verfahrensstoffes auf eine zügigere Durchführung der Hauptverhandlung hingewirkt werden.704 Bedeutung erlangt das Zwischenverfahren schließlich dadurch, dass sich der Angeschuldigte erstmals in Kenntnis aller Ermittlungsergebnisse sowie der Einschätzung der Sachund Rechtslage durch die Staatsanwaltschaft zu den Vorwürfen äußern kann. Das Zwischenverfahren trägt somit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs Rechnung und ermöglicht es dem Angeschuldigten, aktiv auf die Ablehnung eines hinreichenden Tatverdachts hinzuwirken und – sofern dies nicht (vollumfänglich) gelingt – zumindest günstigere Weichen für das spätere Hauptverfahren zu stellen.705 Damit „der hohe Stellenwert des Gebots rechtlichen Gehörs hinreichend Berücksichtigung“706 findet, hat der Gesetzgeber in 2017 auch in Bezug auf das selbstständige Unternehmensbußgeldverfahren über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO ein Zwischenverfahren eingeführt. Zuvor war durch den Antrag der Staatsanwaltschaft auf selbstständige Festsetzung der Unternehmensgeldbuße unmittelbar das gerichtliche Hauptverfahren eingeleitet worden. Seit der Gesetzesänderung wird dem Unternehmen nunmehr in Form des § 201 Abs. 1 S. 1 StPO die Möglichkeit gegeben, vor einer Eröffnung des Hauptverfahrens Einwände bei Gericht vorzubringen und Beweiserhebungen zu beantragen. Ihm kommt dadurch auch der mit dem Zwischenverfahren verbundene Schutz vor ungerechtfertigten Anträgen zugute, wenngleich die (mediale) Belastung des Hauptverfahrens ohnehin dadurch abgemildert sein kann, dass das Hauptverfahren schriftlich geführt wird. Anders stellt sich hingegen die Situation für das Unternehmen im Rahmen des einheitlich geführten Verfahrens dar: Es kann zwar an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Zwischenverfahren beteiligt werden, doch bleibt der Bezugspunkt für das Zwischenverfahren die Anklage gegen den Unternehmensmitarbeiter und die Frage, ob diesem gegenüber ein hinreichender Tatverdacht besteht. Die mit dem Zwischenverfahren verbundenen Zwecke entfalten sich somit nur im Hinblick auf den Unternehmensmitarbeiter, während das Unternehmen lediglich durch die gerichtliche Entscheidung über seine Beteiligung einen gewissen, geringfügigen Schutz erfährt.707 Mit dem strafprozessualen Zwischenverfahren nicht zu vergleichen ist das in § 69 OWiG geregelte Zwischenverfahren nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht, welches nach Einspruchseinlegung durch den Unternehmensmitarbeiter und/oder das Unternehmen durchgeführt wird. Hier prüft zunächst die Verwaltungsbehörde, die den 703 BGHSt 29, 224, 229; LR StPO-Stuckenberg, Vor § 198 StPO, Rn. 12; MüKo StPOWenske, § 199 StPO, Rn. 4. 704 LR StPO-Stuckenberg, Vor § 198 StPO, Rn. 12; SK StPO-Paeffgen, Vorbemerkungen vor §§ 198 ff. StPO, Rn. 7a. 705 MüKo StPO-Wenske, § 199 StPO, Rn. 4; LR StPO-Stuckenberg, Vor § 198 StPO, Rn. 12. 706 Begründung zu § 435 StPO (Nummer 12) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 92. 707 Vgl. hierzu: Kapitel 3, B. II. 2.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Bußgeldbescheid selbst erlassen hat, die Zulässigkeit des Einspruchs und bewertet die im Bußgeldbescheid dargelegten Vorwürfe gegebenenfalls erneut, § 69 Abs. 2 S. 1 OWiG. Das Zwischenverfahren dient damit in erster Linie der Selbstkontrolle der Verwaltung, die beurteilen muss, ob ihre bisherigen Ermittlungen und aufgefundenen Beweise ausreichen, um das in dem Bußgeldbescheid zum Ausdruck gebrachte Ermittlungsergebnis in dem weiteren Verfahren zu stützen.708 Zudem soll etwa durch die Prüfung der Zulässigkeit des Einspruchs, die im Übrigen auch noch von der Staatsanwaltschaft und dem Amtsgericht vorgenommen wird, eine Entlastung des Hauptverfahrens erreicht werden.709 Ziel des dreistufigen, komplexen Zwischenverfahrens ist es somit, unnötige oder aussichtslose Gerichtsverfahren zu verhindern.710 Ferner kann dem Betroffenen, der nunmehr durch den Bußgeldbescheid die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde kennt, nach § 69 Abs. 2 S. 3 OWiG rechtliches Gehör gewährt werden. Auch seine Stellungnahme kann zu einer Entlastung der Gerichte beitragen, wenn sie die Bewertung der Verwaltungsbehörde oder der Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten abzuändern vermag. Da § 69 OWiG sowohl in dem einheitlichen als auch in dem selbstständigen Verfahren nach einem Einspruch des Unternehmens Anwendung findet, greifen die mit dem Zwischenverfahren verfolgten Zwecke ebenfalls in den Fällen des Unternehmensbußgeldverfahrens: Da sich Verwaltungsbehörde, Staatsanwaltschaft und Amtsgericht mit der Zulässigkeit des Einspruchs beschäftigen, wird sichergestellt, dass eine Sachentscheidung im Rahmen des Hauptverfahrens nicht bereits aufgrund dessen Unzulässigkeit ausscheidet. Darüber hinaus führt die Überprüfung des Einspruchs zu einer Selbstkontrolle der Verwaltung im Hinblick auf ihre bisherigen Ermittlungen. Weiter steht es dem Unternehmen gemäß § 69 Abs. 2 S. 3 OWiG frei, sich zu äußern, und so die Einstellung des Verfahrens oder Änderung beziehungsweise Rücknahme des Bußgeldbescheides zu erreichen.711
II. Rechtslage bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters Während die Regelungen für das Unternehmen in Bezug auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren weitestgehend vergleichbar sind, zeigen sich für das Zwischenverfahren bereits im Hinblick auf die Vorschriftendichte erste Unterschiede zwischen dem einheitlichen und dem selbstständigen Verfahren. So finden sich in 708 Göhler, § 69 OWiG, Rn. 1; vgl. auch: Begründung zu § 69 OWiG (Nummer 8) des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze, BT-Drs. 10/2652, S. 16 f. 709 Vgl. Göhler, § 69 OWiG, Rn. 1. 710 BeckOK OWiG-Gertler, § 69 OWiG, Rn. 2; vgl. auch: KK OWiG-Ellbogen, § 69 OWiG, Rn. 14. 711 Siehe: Kapitel 3, B. III. 2.
B. Das Zwischenverfahren
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§ 444 Abs. 1 und 2 StPO und den Vorschriften über das Einziehungsverfahren kaum Regelungen, die für das Unternehmen im Rahmen des gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Zwischenverfahrens gelten. Das selbstständige Verfahren richtet sich hingegen an dem Einziehungsrecht sowie über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO an den §§ 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO aus und sieht damit eine enge Anlehnung an das Verfahren nach Anklageerhebung gegenüber dem Angeschuldigten vor. Wie sich diese unterschiedlichen Verfahrensausgestaltungen auf die Beteiligung und die Mitwirkungsrechte des Unternehmens auswirken, ist Gegenstand der folgenden Untersuchung. 1. Anordnung der Beteiligung durch das Gericht a) Beteiligung an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Zwischenverfahren § 444 Abs. 1 S. 1 StPO bestimmt, dass das Gericht die Beteiligung des Unternehmens an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Strafverfahren anordnet, wenn in dem Verfahren über die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG zu entscheiden ist.712 Neben § 444 Abs. 1 S. 1 StPO gelten über § 444 Abs. 1 S. 2 StPO die Regelungen in § 424 Abs. 3 und 4 StPO zu der Beteiligung des Unternehmens. Während § 424 Abs. 3 StPO den Zeitpunkt der Anordnung der Verfahrensbeteiligung betrifft, regelt Absatz 4 die Rechtsmittelmöglichkeiten für den Fall der Anordnung oder Ablehnung der Beteiligung. Neben diesen gesetzlichen Vorschriften enthalten die Nr. 180a RiStBV und Nr. 110 RiStBV weitere Vorgaben, die allerdings die Staatsanwaltschaft und nicht das Gericht adressieren. Gemäß Nr. 180a Abs. 2 RiStBV beantragt die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift die Beteiligung des Unternehmens und kündigt die Beantragung der Festsetzung einer Geldbuße an. Dabei hat es das Unternehmen als Beteiligten anzuführen und die tatsächliche und rechtliche Grundlage für die begehrte Maßnahme anzugeben, Nr. 110 Abs. 5 RiStBV. Das Gericht kann die Beteiligung des Unternehmens folglich nach einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift oder, da der Antrag nicht zwingende Voraussetzung für die Beteiligungsanordnung nach § 444 Abs. 1 StPO ist, von Amts wegen anordnen. In Bezug auf die Beteiligung des Unternehmens an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten, gerichtlichen Strafverfahren besteht somit eine größere Regelungsdichte als etwa für die Beteiligung im einheitlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren.713 Gleichwohl sind auch in Zusammenhang mit der Beteiligungsanordnung nach § 444 Abs. 1 StPO verschiedene Fragen umstritten, wie etwa die Voraussetzungen für die Anordnung der Beteiligung oder der genaue Anordnungszeitpunkt. 712 Vgl. zu einer möglichen Einschränkung der Verfahrensbeteiligung gemäß § 444 Abs. 1 S. 1 StPO („soweit es die Tat betrifft“): Kapitel 3, A. II. 2. c). 713 Vgl. zu § 88 Abs. 1 OWiG: Kapitel 3, A. III. 1. a).
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
aa) Voraussetzungen der Beteiligungsanordnung Ein Teil der Literatur geht davon aus, dass die Beteiligung des Unternehmens an dem Strafverfahren anzuordnen sei, wenn zum einen die Voraussetzungen des § 30 OWiG wahrscheinlich vorlägen und zum anderen ein bestimmter Wahrscheinlichkeitsgrad im Hinblick auf die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße gegeben sei.714 Einen anderen Ansatz gibt das OLG Celle vor, wonach es regelmäßig ausreiche, wenn die Staatsanwaltschaft etwa im Rahmen der Antragsschrift zu erkennen gäbe, dass sie die Anordnung der Unternehmensgeldbuße im Strafverfahren anstrebe. Denn in einem solchen Fall müsse sich das Gericht mit einer späteren Entscheidung über einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Festsetzen einer Unternehmensgeldbuße in dem Verfahren von vorneherein ernsthaft konfrontiert sehen. Allein dies führe dazu, dass im Sinne von § 444 Abs. 1 StPO über die Festsetzung einer Geldbuße gegen das Unternehmen hinreichend wahrscheinlich zu entscheiden sein werde.715 Eine letzte Ansicht verweist schließlich auf §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO und bejaht die Anordnung der Beteiligung, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße bestehen.716 Dabei wird aber übersehen, dass § 426 Abs. 1 StPO gerade keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte verlangt.717 Warum in dem fortgeschrittenen Verfahrensstadium des Zwischenverfahrens in Bezug auf Unternehmen der gleiche Verdachtsgrad wie für den Unternehmensmitarbeiter im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gelten soll, erschließt sich außerdem nicht und wird auch nicht begründet. Die letztgenannte Ansicht ist daher zu undifferenziert und folglich abzulehnen. Gegen die Ansicht des OLG Celle lässt sich einwenden, dass sie das Gericht des Zwischenverfahrens zu vorschnell von der Prüfung entbindet, ob die Beteiligung des Unternehmens an dem Strafverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter angeordnet werden soll. Zwar mag die Ankündigung der Staatsanwaltschaft, die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße zu beantragen, darauf hindeuten, dass das Gericht über die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße zu entscheiden haben wird. Doch wäre dies allein für die Beteiligungsanordnung ausreichend, obläge die Entscheidung über die Beteiligung des Unternehmens letztlich der Staatsanwaltschaft. Es muss somit unabhängig von der Ankündigung der Staatsanwaltschaft bei einer eigenständigen ge714 Im Einzelnen ist streitig, welcher Wahrscheinlichkeitsgrad erforderlich ist: Teilweise wird vorausgesetzt, dass die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße nicht unwahrscheinlich sei; vgl. LR StPO-Gössel, § 444 StPO a.F., Rn. 12; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 105. Eine andere Auffassung verlangt, dass die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße zu erwarten sein müsse (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 444 StPO a.F., Rn. 7), während es nach einer weiteren Auffassung genügt, wenn die Festsetzung in Betracht komme (KK StPOSchmidt, § 444 StPO a.F., Rn. 2). Schließlich wird angenommen, dass für die Anordnung der Beteiligung hinreichender Tatverdacht gegeben sein müsse; vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 470 f. 715 OLG Celle, in: wistra 2005, 160, ebd. 716 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 205. 717 Vgl. auch: Kapitel 3, A. II. 2. a).
B. Das Zwischenverfahren
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richtlichen Prüfung der Beteiligungsvoraussetzungen bleiben. Diese kann zudem zu einer Ablehnung des Antrags auf Beteiligung führen, so dass in dem Strafverfahren auch nicht mehr über die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße zu entscheiden ist.718 Hinsichtlich der Auffassungen in der Literatur, die zusätzlich zu dem wahrscheinlichen Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 OWiG einen bestimmten Wahrscheinlichkeitsgrad für die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße fordern, ist schließlich zu berücksichtigen, dass sich das Gericht im Rahmen des Zwischenverfahrens nur in Bezug auf die Beteiligungsanordnung mit dem Unternehmen beschäftigt. Seine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens basiert hingegen auf den gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter erhobenen Vorwürfen und der Frage, ob diesem gegenüber ein hinreichender Tatverdacht besteht.719 Um dem Unternehmen somit ebenfalls einen gewissen Schutz vor einer (voreiligen) Einbeziehung in das Verfahren und – im Falle der Eröffnung des Hauptverfahrens – der öffentlichen Hauptverhandlung zu geben, ist es notwendig, auch im Hinblick auf das Unternehmen das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts zu fordern. Da dem Unternehmen ebenso wie dem Unternehmensmitarbeiter die Verhängung einer Sanktion droht, ist die Annäherung der Verfahrensposition des Unternehmens an die des Unternehmensmitarbeiters gerechtfertigt.720 Besteht folglich in Bezug auf das Unternehmen hinreichender Tatverdacht, ist in dem Strafverfahren über die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße zu entscheiden. § 444 Abs. 1 S. 1 StPO verpflichtet das Gericht in diesem Fall, die Beteiligung des Unternehmens an dem Verfahren anzuordnen. bb) Zeitpunkt der Beteiligungsanordnung Zu welchem Zeitpunkt die Beteiligung anzuordnen ist, lässt § 444 Abs. 1 S. 1 StPO offen. Satz 2 des § 444 Abs. 1 StPO verweist auf § 424 Abs. 3 StPO, der für das Einziehungsverfahren den Beteiligungszeitpunkt regelt. Danach kann die Verfahrensbeteiligung bis zum Ausspruch der Einziehung, und, wenn eine zulässige Berufung eingelegt ist, bis zur Beendigung der Schlussvorträge im Berufungsverfahren angeordnet werden. Mit dieser Regelung werden drei Konstellationen erfasst: § 424 Abs. 3 Hs. 1 StPO regelt den Fall, dass die Beteiligung des Einziehungsinteressenten im Laufe des Zwischen- oder Hauptverfahrens angeordnet wird und spätestens bei dem Ausspruch der Einziehung gegeben ist. Die Einziehung wird in dieser ersten Konstellation folglich immer in Bezug auf einen Einziehungsbeteiligten festgesetzt. Die anderen beiden Konstellationen betreffen hingegen die Fälle, in denen die Beteiligung nicht während des Zwischen- oder Hauptverfahrens angeordnet wurde und die Einziehung somit bezüglich eines unbeteiligten Einziehungsinteressenten aus718 Die Staatsanwaltschaft kann gegen den ablehnenden Beschluss allerdings sofortige Beschwerde nach §§ 444 Abs. 1 S. 2, 424 Abs. 4 S. 2 StPO einlegen. 719 Siehe: Kapitel 3, B. I. 720 So auch: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 470 f.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
gesprochen wird. Sofern der Täter gegen das Urteil Berufung einlegt, besteht gemäß § 424 Abs. 3 Hs. 2 StPO die Möglichkeit, die Beteiligung des Einziehungsinteressenten noch bis zur Beendigung der Schlussvorträge im Berufungsverfahren anzuordnen. Legt der Täter hingegen keine Berufung ein, kann der Einziehungsinteressent nur im Nachverfahren seine Rechte geltend machen, da er mangels Beteiligung nicht berechtigt ist, den Ausspruch der Einziehung mit Rechtsmitteln anzugreifen.721 Sofern § 424 Abs. 3 StPO nunmehr über § 444 Abs. 1 S. 2 StPO für das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße entsprechend gilt, muss im Einzelnen betrachtet werden, ob und, wenn ja, wie die drei Konstellationen auf das Verfahren nach § 444 Abs. 1 StPO übertragen werden können. Die Anwendung des § 424 Abs. 3 Hs. 1 StPO ist generell möglich und führt dazu, dass das Gericht die Verfahrensbeteiligung des Unternehmens bis zu der Festsetzung der Unternehmensgeldbuße in dem Strafurteil gegen den Unternehmensmitarbeiter anordnen kann. Die Anordnung ist also auch noch während des Hauptverfahrens denkbar. Es muss allerdings beachtet werden, dass die Rechte, die dem Unternehmen im Rahmen des Hauptverfahrens zukommen, über §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1 StPO an die Beteiligung des Unternehmens geknüpft sind. Würde die Beteiligung daher gemäß §§ 444 Abs. 1 S. 2, 424 Abs. 3 Hs. 1 StPO erst unmittelbar vor oder mit der Festsetzung der Unternehmensgeldbuße angeordnet werden, hätte das Unternehmen keine Möglichkeit, zuvor aktiv an dem Verfahren mitzuwirken und sich gegen die erhobenen Vorwürfe zu verteidigen. Die dann verhängte Sanktion würde gegen das Recht auf Äußerung verstoßen, das sich neben dem Recht auf Information und dem Recht auf Berücksichtigung aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG ergibt.722 Es handelt sich dabei um ein justizielles Grundrecht, das unabhängig von Art. 19 Abs. 3 GG für Unternehmen gilt.723 Um eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG zu vermeiden, muss das Verfahren daher unterbrochen und die Hauptverhandlung wiederholt werden, wenn die Verfahrensbeteiligung nach der Durchführung der Hauptverhandlung angeordnet wird.724 Das Gericht sollte folglich davon absehen, die Beteiligung des Unternehmens erst während des Hauptverfahrens anzuordnen. Vielmehr ist es geboten, das Unternehmen spätestens mit der Eröffnung des Hauptverfahrens an dem Strafverfahren zu beteiligen.725 721
Vgl. die Begründung zu § 431 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 76; siehe auch: MeyerGoßner/Schmitt, § 431 StPO a.F., Rn. 21, 23. 722 Maunz/Dürig-Remmert, Art. 103 Abs. 1 GG, Rn. 62; v. Mangoldt/Klein/Starck-Nolte/ Aust, Art. 103 Abs. 1 GG, Rn. 28; Sachs-Degenhart, Art. 103 GG, Rn. 11. 723 Vgl. nur: BVerfGE 12, 6, 8; v. Mangoldt/Klein/Starck-Nolte/Aust, Art. 103 Abs. 1 GG, Rn. 23; Maunz/Dürig-Remmert, Art. 103 Abs. 1 GG, Rn. 42. 724 Vgl. auch die Begründung zu § 444 StPO (Nummer 11) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 83; ebenso: BeckOK StPO-Inhofer, § 444 StPO, Rn. 7. 725 Im Zwischenverfahren fehlt es an einer entsprechenden Verknüpfung von Beteiligung und Mitwirkungsrechten. Zwar setzt §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 StPO mit der Bezugnahme auf den
B. Das Zwischenverfahren
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Die Regelung in §§ 444 Abs. 1 S. 2, 424 Abs. 3 Hs. 1 StPO findet somit nur ausnahmsweise Anwendung; etwa, wenn die Beteiligungsanordnung im Zwischenverfahren vergessen wurde oder erst im Laufe des Hauptverfahrens ein hinreichender Tatverdacht gegen das Unternehmen entsteht. Im Gegensatz zu § 424 Abs. 3 Hs. 1 StPO kommt die Geltung der beiden anderen, von § 424 Abs. 3 StPO erfassten Konstellationen nicht in Betracht. Der Gesetzgeber hat schon zu der Zeit der Nebenfolgenlösung deutlich gemacht, dass die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße die vorherige Beteiligung des Unternehmens voraussetzt, da sie – anders als die Einziehung – gerade gegen das Unternehmen selbst verhangen wird.726 Dies gilt erst Recht, seit § 30 OWiG als eigenständige Sanktion anerkannt ist. Aus diesem Grund fehlt es in § 444 StPO auch an einem Verweis auf § 433 StPO, der das Nachverfahren regelt.727 Denn wenn die Unternehmensgeldbuße nur gegen das beteiligte Unternehmen festgesetzt werden kann, stehen ihm gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1 StPO ab dem Zeitpunkt seiner Beteiligung die Befugnisse eines Angeklagten zu und es kann sich gegen die Sanktionierung verteidigen. Die Durchführung eines Nachverfahrens ist damit nicht mehr erforderlich. Soweit in der Literatur daher vertreten wird, dass im Falle einer unterbliebenen Beteiligungsanordnung diese stillschweigend durch das Urteil angeordnet werde,728 ist dies abzulehnen. Begründet wird die Auffassung mit dem Argument, dass dem Unternehmen so die Möglichkeit gegeben werde, das Urteil als Verfahrensbeteiligter anzufechten.729 Dabei wird aber übersehen, dass die festgesetzte Unternehmensgeldbuße gegenüber dem unbeteiligten Unternehmen keine Wirkung entfaltet und es somit nicht erforderlich ist, das Urteil anzufechten. Darüber hinaus wird die Ansicht auf Rechtsprechung730 und Kommentierungen731 gestützt, die sich auf die Festset„Einziehungsbeteiligten“ eine Beteiligung des Unternehmens an dem Verfahren voraus. Doch ist der Wortlaut des § 428 StPO an dieser Stelle zu eng. Vielmehr findet die Vorschrift unabhängig von der Beteiligung des Unternehmens an dem Zwischenverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter Anwendung; vgl. hierzu: Kapitel 3, B. II. 2. Es ist daher nicht zwingend notwendig, die Beteiligung des Unternehmens schon im Laufe des Zwischenverfahrens anzuordnen. 726 Begründung zu § 444 StPO (Nummer 11) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 83. 727 Begründung zu § 444 StPO (Nummer 11) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 83. 728 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 105; LR StPO-Gössel, § 444 StPO a.F., Rn. 15; KK StPO-Schmidt, § 444 StPO a.F., Rn. 12; vgl. auch: KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 204. 729 LR StPO-Gössel, § 444 StPO a.F., Rn. 15. 730 Gössel verweist beispielsweise auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf, in: NStZ 1984, 366, 367 und die Entscheidung des OLG Hamm, in: NJW 1973, 1851, 1853; vgl. LR StPO-Gössel, § 444 StPO a.F., Fn. 18 und Fn. 19 in Rn. 15. Rogall zieht zusätzlich eine Entscheidung des OLG Karlsruhe, in: NStZ 1987, 79, ebd. heran; vgl. KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 204. 731 Müller nimmt unter anderem Bezug auf Göhler, § 88 OWiG, Rn. 2a; vgl. Müller, Stellung der juristischen Person, Fn. 23 auf S. 105. Auch Rogall nennt die Kommentierung von
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
zung der Unternehmensgeldbuße in einem Bußgeldbescheid nach § 88 Abs. 1 OWiG beziehen und mithin auf eine vollkommen andere Verfahrenssituation.732 Die beiden Konstellationen des § 424 Abs. 3 StPO, die im Falle fehlender Beteiligung bei Ausspruch der Einziehung greifen, können für das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße folglich nicht entsprechend gelten. Insbesondere die Möglichkeit des § 424 Abs. 3 Hs. 2 StPO, die Verfahrensbeteiligung bis zur Beendigung der Schlussvorträge im Berufungsverfahren anordnen zu können, ist in Bezug auf das Verfahren nach § 444 Abs. 1 StPO ausgeschlossen.733 Im Ergebnis ist der Verweis des § 444 Abs. 1 S. 2 StPO auf § 424 Abs. 3 StPO somit nicht geglückt; eine eigene Regelung für den Beteiligungszeitpunkt in dem Verfahren nach § 444 StPO wäre sinnvoller gewesen. Stattdessen werden an dieser Stelle einmal mehr die Unzulänglichkeiten sichtbar, welche die Anbindung des Verfahrensrechts zur Festsetzung der Unternehmensgeldbuße an das Verfahrensrecht für die Einziehung mit sich bringt. b) Beteiligung im selbstständigen Zwischenverfahren Das selbstständige Zwischenverfahren wird gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 1 S. 1 StPO durch den Antrag der Staatsanwaltschaft, die Unternehmensgeldbuße selbstständig festzusetzen, eingeleitet. Hierdurch wird das Gericht zu der Prüfung veranlasst, ob hinreichender Tatverdacht in Bezug auf das Unternehmen gegeben und folglich das Hauptverfahren gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1, 203, 207 StPO zu eröffnen ist. Ferner folgt aus Nr. 180a Abs. 2, 3 RiStBV, dass die Staatsanwaltschaft zusammen mit dem Antrag auf selbstständige Festsetzung der Unternehmensgeldbuße die Anordnung der Beteiligung des Unternehmens beantragt.734 Göhler sowie die von Bohnert, § 88 OWiG, Rn. 6 und KK OWiG-Mitsch, § 88 OWiG, Rn. 7; vgl. KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 204. 732 So würde die konkludente Beteiligung des Unternehmens durch das Urteil in dem Strafverfahren dazu führen, dass dem Unternehmen für die Überprüfung der festgesetzten Unternehmensgeldbuße nur die Rechtsmittelinstanz zur Verfügung steht. Bei einer (stillschweigenden) Beteiligung durch den Bußgeldbescheid in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters kann das Unternehmen hingegen noch eine erstinstanzliche Überprüfung des Bescheides herbeiführen. Abgesehen davon ist auch die stillschweigende Beteiligungsanordnung im Bußgeldbescheid abzulehnen; vgl. hierzu: Kapitel 3, A. III. 1. a). 733 Der Gesetzgeber hat daher zu unbedacht die Formulierung „bis zum Ausspruch der Einziehung“ durch „bis zur Festsetzung der Geldbuße“ ersetzt und in seiner Begründung geschrieben: „Danach kann die Verfahrensbeteiligung bis zur Festsetzung der Geldbuße und im Berufungsverfahren bis zur Beendigung der Schlußvorträge angeordnet werden.“; vgl. die Begründung zu § 444 StPO (Nummer 11) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 82. Ebenso widersprüchlich setzt etwa Rogall einerseits die Beteiligung des Unternehmens vor Verhängung einer Unternehmensgeldbuße voraus, und wendet andererseits § 424 Abs. 3 StPO ohne Einschränkungen auf das Verfahren nach § 444 Abs. 1 StPO an; vgl. KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 204. 734 Vgl. zu der Notwendigkeit der Beteiligung des Unternehmens: Kapitel 3, A. II. 1.
B. Das Zwischenverfahren
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Die Zuständigkeit des Gerichts für die Entscheidung über die Beteiligungsanordnung ergibt sich aus §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 424 Abs. 1 StPO.735 Darüber hinaus fehlt es aber an einer Regelung, die den Prüfungsumfang des Gerichts im Hinblick auf die Voraussetzungen für die Beteiligung des Unternehmens konkretisiert. Bei den diesbezüglichen Überlegungen darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass im Rahmen des selbstständigen Verfahrens in Bezug auf das Unternehmen über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden wird. Diese Entscheidung korreliert mit der Frage nach der Beteiligung des Unternehmens: Lehnt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts ab, erübrigt sich die Beteiligung des Unternehmens. Bejaht das Gericht hingegen das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts in Bezug auf das Unternehmen und eröffnet infolgedessen das Hauptverfahren, muss die Beteiligung angeordnet werden, damit die wirksame Festsetzung einer Geldbuße gegen das Unternehmen in dem Hauptverfahren überhaupt möglich ist. Diese wechselseitige Beziehung legt es nahe, für die Entscheidung über die Anordnung der Beteiligung den gleichen Verdachtsgrad wie für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu fordern. Mithin ist Voraussetzung für die Beteiligung des Unternehmens, dass nach der Überzeugung des Gerichts die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße in einem Hauptverfahren wahrscheinlicher ist als deren Ablehnung. Für den Beteiligungszeitpunkt gilt über den Verweis in §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO grundsätzlich die Regelung in § 424 Abs. 3 StPO. Wie auch bei der Beteiligung des Unternehmens an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Strafverfahren dehnt die Norm den Zeitraum für die Beteiligung allerdings nur bis zu der Festsetzung der Unternehmensgeldbuße in dem Hauptverfahren aus. Sollte die Beteiligung daher bei Beginn des Hauptverfahrens noch nicht angeordnet worden sein, ermöglichen es §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 424 Abs. 3 S. 1 StPO, das Unternehmen noch im Laufe des Hauptverfahrens zu beteiligen. Die verspätete Beteiligung des Unternehmens kann aber eine Wiederholung des Hauptverfahrens erfordern, wenn der Grundsatz des rechtlichen Gehörs anderenfalls nicht gewahrt bleibt.736 Zudem setzen sich bei einer fehlenden Beteiligung des Unternehmens die bereits im Ermittlungsverfahren aufgetretenen praktischen Probleme fort, die mit der Durchführung eines Verfahrens gegen einen Nicht-Beschuldigten und Nicht-Beteiligten einhergehen.737 Das Gericht sollte die Beteiligung des Unternehmens deshalb anordnen, wenn es die Eröffnung des Hauptverfahrens beschließt. Zu diesem Zeitpunkt ist ein hinreichender Tatverdacht gegeben, so dass neben der Frage über die Eröffnung des Hauptverfahrens auch die Frage zu der Beteiligung des Unternehmens entscheidungsreif ist.
735 Siehe zu der Anwendbarkeit von § 424 Abs. 1 StPO im selbstständigen Verfahren: Kapitel 2, B. II. 3. a). 736 Vgl. hierzu: Kapitel 3, B. II. 1. a) bb). 737 Siehe: Kapitel 3, A. II. 1.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Der Eröffnungsbeschluss markiert damit einerseits den spätesten Soll-Zeitpunkt für die Beteiligungsanordnung, andererseits aber auch den frühesten Zeitpunkt: Da die Voraussetzung für die Beteiligung ein hinreichender Tatverdacht in Bezug auf das Unternehmen ist und mit dessen Vorliegen die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen wird, kommt eine frühere Beteiligung im Rahmen des Zwischenverfahrens nicht in Betracht. Eine Beteiligung ab Beginn des Zwischenverfahrens wäre nur möglich, wenn die Voraussetzungen für die Beteiligungsanordnung gesenkt würden, mithin der Verdachtsgrad in Bezug auf die Beteiligungsanordnung abgeschwächt würde. Anders als im Hauptverfahren sind die dem Unternehmen im Zwischenverfahren zukommenden Rechte nach §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1, 201 StPO allerdings nicht an die Beteiligung des Unternehmens gekoppelt, weshalb ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG mangels Beteiligung nicht zu befürchten ist.738 Es bestehen daher keine zwingenden Gründe dafür, die wechselseitige Beziehung zwischen der Entscheidung über die Beteiligung des Unternehmens und der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu durchbrechen. Das Gericht ordnet die Beteiligung des Unternehmens an dem selbstständigen Verfahren folglich mit Abschluss des Zwischenverfahrens gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 424 Abs. 1 StPO an. 2. Schwache Mitwirkungsrechte des Unternehmens im Rahmen des Zwischenverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter Für die Mitwirkungsrechte des Unternehmens in dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Zwischenverfahren enthält § 444 Abs. 1 und 2 StPO keine direkte Regelung. Über § 444 Abs. 2 S. 2 StPO müssen daher die Vorschriften über das Einziehungsverfahren im Hinblick darauf untersucht werden, ob sie dem Unternehmen die aktive Mitwirkung an dem Zwischenverfahren ermöglichen. § 426 Abs. 1 S. 1 StPO, der dem Unternehmen bereits für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ein Anhörungsrecht einräumt, bezieht sich ausweislich seines Wortlauts nur auf das vorbereitende Verfahren.739 Auch die Regelung in § 426 Abs. 2 StPO nimmt durch den Verweis auf die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten auf die Stellung des Unternehmensmitarbeiters als Beschuldigten des Ermittlungsverfahrens Bezug. Dies sowie die systematische Stellung der Regelung in Absatz 2 des § 426 StPO sprechen dafür, dass § 426 Abs. 2 StPO ebenfalls nur in dem vorbereitenden Verfahren Anwendung findet. § 427 StPO regelt hingegen die 738 Etwas anderes wäre nur aufgrund der Anknüpfung des §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 428 StPO an den „Einziehungsbeteiligten“ denkbar. Die Vorschrift muss allerdings über ihren engen Wortlaut hinaus ausgedehnt werden und gilt daher unabhängig von der Beteiligung des Unternehmens im selbstständigen Zwischenverfahren; vgl. hierzu: Kapitel 3, B. II. 3. 739 Eindeutig ist an dieser Stelle auch die Gesetzesbegründung zu dem neu formulierten § 426 StPO, in der es heißt: „Die Vorschrift regelt die Anhörung im Ermittlungsverfahren.“; vgl. die Begründung zu § 426 StPO (Nummer 12) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 89.
B. Das Zwischenverfahren
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Befugnisse des Einziehungsbeteiligten in dem Hauptverfahren und gewährt dem Unternehmen über § 444 Abs. 2 S. 2 StPO folglich erst „von der Eröffnung des Hauptverfahrens an“ die Befugnisse, die einem Angeklagten zustehen. Aus §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 und 427 StPO ergeben sich somit keine Mitwirkungsrechte für das Unternehmen im Rahmen des gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Zwischenverfahrens. Schwieriger ist die Vorschrift des § 428 StPO zu beurteilen: Einerseits ist gemäß § 428 Abs. 1 StPO die Verteidigung durch einen Rechtsanwalt mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht in jeder Lage des Verfahrens zulässig, womit auch das Zwischenverfahren erfasst wäre. Andererseits beziehen sich Absatz 1 und Absatz 2 auf den Einziehungsbeteiligten und setzen damit die Beteiligung an dem Verfahren voraus. Da es genügt, wenn die Beteiligung des Unternehmens im Laufe des Zwischenverfahrens oder mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses angeordnet wird, kämen dem Unternehmen folglich erst zu diesem Zeitpunkt die Verteidigungsrechte des §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 StPO zu. Das aus dem fair-trial-Grundsatz abzuleitende Recht auf Verteidigung gebietet es jedoch, dem Unternehmen angesichts der drohenden Sanktion uneingeschränkt die Möglichkeit zu geben, sich durch einen Rechtsanwalt verteidigen zu lassen und über §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2 StPO Verteidigungsrechte in Anspruch zu nehmen.740 Ein möglicher Lösungsansatz wäre daher, den Beteiligungszeitpunkt auf den Beginn des Zwischenverfahrens zu verschieben. Das zuständige Gericht des Zwischenverfahrens müsste dann unmittelbar nach Eingang der Anklageschrift den hinreichenden Tatverdacht bezüglich des Unternehmens prüfen und über dessen Beteiligung entscheiden. Ein anderer Ansatz bestünde hingegen darin, § 428 StPO im Sinne des fair-trial-Grundsatzes auszulegen und unabhängig von der formalen Beteiligung des Unternehmens die Geltung der Rechte aus §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 StPO zu bejahen.741 Bei der Abwägung zwischen diesen beiden Ansätzen ist zu berücksichtigen, dass die Vorschriften für das Einziehungsverfahren keine weiteren Regelungen enthalten, die die Stellung des Unternehmens im Rahmen des Zwischenverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter betreffen. Insbesondere fehlt es an einem direkten Verweis auf die §§ 201 ff. StPO, wie es etwa für das selbstständige Verfahren über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO vorgesehen ist. Das Unternehmen hat somit keine Möglichkeit, aktiv auf das Zwischenverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter zu seinen Gunsten einzuwirken. Seine Einbeziehung in das Verfahren erfolgt lediglich durch die Beteiligungsanordnung. Da die Anordnung das bis dahin noch unbeteiligte Unternehmen an das Zwischenverfahren bindet und es – im Falle der Eröffnung des Hauptverfahrens – den Belastungen einer öffentlichen Hauptverhandlung aussetzt, muss das Unternehmen vor dem gericht-
740 741
Vgl. Fn. 649. Vgl. zu einem entsprechend weiten Normverständnis auch: Jahn, in: ZWH 2013, 1, 5 f.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
lichen Beschluss gemäß § 33 Abs. 2 und 3 StPO angehört werden.742 Um sich auf die Anhörung angemessen vorbereiten zu können, ist es wiederum notwendig, dass die Verteidigungsrechte des § 428 StPO gelten. Denn nur über §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, 147 StPO hat der Verteidiger des Unternehmens beispielsweise die Möglichkeit, durch Akteneinsicht von den Anklagevorwürfen und den Gründen, auf welche die Staatsanwaltschaft ihren Antrag auf Beteiligung stützt, zu erfahren. Auch wenn die Beteiligung des Unternehmens daher bereits zu Beginn des Zwischenverfahrens angeordnet werden würde und dem Unternehmen ab diesem Zeitpunkt die Rechte aus §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 StPO zukämen, wäre dies bereits zu spät, um sich noch auf die Anhörung vorzubereiten. Die Geltung des § 428 StPO an die Beteiligung zu knüpfen, ist somit keine Lösung. Denn das Unternehmen muss sich bereits vor der Beteiligung auf §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 StPO berufen können. Über den zu engen Wortlaut des § 428 StPO hinaus kann das Unternehmen daher – unabhängig von seiner Beteiligung – während des Zwischenverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter einen Rechtsbeistand wählen und die Verteidigungsrechte in § 428 Abs. 1 S. 2 StPO ausüben. Dementsprechend ist auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 2 StPO uneingeschränkt möglich. Im Ergebnis hat das Unternehmen im Rahmen des Zwischenverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter kaum Möglichkeiten, aktiv an dem Verfahren mitzuwirken. Lediglich die Beteiligungsanordnung, die einen hinreichenden Tatverdacht gegenüber dem Unternehmen voraussetzt und dessen vorherige Anhörung nach § 33 Abs. 2 und 3 StPO erfordert, schützt das Unternehmen vor einer (voreiligen) Einbeziehung in das Verfahren. Durch die Anhörung hat es die Möglichkeit, bei dem zuständigen Gericht Stellung zu nehmen und die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts zu erschüttern. Dem Unternehmen steht es dabei frei, die Rechte aus §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 StPO in Anspruch zu nehmen. 3. Umfassende Mitwirkungsrechte im selbstständigen Verfahren Anders als in dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Zwischenverfahren stellt sich die Situation für das Unternehmen im selbstständigen Verfahren dar: Seit der Reform des Rechts der Vermögensabschöpfung finden die §§ 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO unabhängig von der Beteiligung des Unternehmens Anwendung. Der Gesetzgeber hat damit nicht nur einen neuen Verfahrensabschnitt geschaffen, sondern diesen auch eng an das Verfahren im Falle der Anklageerhebung angelehnt.743 Während das 742 Denn § 33 StPO umfasst mit dem Begriff der „Beteiligten“ nicht nur die Verfahrensbeteiligten, sondern auch Dritte, in deren Rechte durch die Entscheidung des Gerichts eingegriffen wird; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 33 StPO, Rn. 4. 743 Begründung zu § 435 StPO (Nummer 12) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 91.
B. Das Zwischenverfahren
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Unternehmen im Rahmen des Zwischenverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter somit nur in Bezug auf die Beteiligungsanordnung angehört wird, erhält es im selbstständigen Verfahren eine Verfahrensposition, die der eines Angeschuldigten entspricht.744 So fordert das Gericht das Unternehmen gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1, 201 Abs. 1 S. 1 StPO zu der Erklärung auf, ob es die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung vorbringen will. Dem Unternehmen wird dadurch rechtliches Gehör gewährt und die Möglichkeit gegeben, sich aktiv in das Verfahren einzubringen und auf einen günstigen Verfahrensausgang hinzuwirken. Die vorgebrachten Einwendungen können etwa darauf abzielen, die tatsächlichen oder rechtlichen Grundlagen des staatsanwaltschaftlichen Antrags zu entkräften, um das Gericht zu einer Entscheidung nach § 204 StPO zu bewegen. Denkbar wäre aber auch, die Einwendungen auf den Ablauf des etwaigen, späteren Hauptverfahrens zu beziehen und beispielsweise auf die Durchführung eines schriftlichen Beschlussverfahrens zu drängen. Durch einen Antrag auf Beweiserhebung kann das Unternehmen ebenfalls versuchen, die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts zu erschüttern. In der Literatur ist anerkannt, dass das Gericht bei seiner Entscheidung über den Beweisantrag nach § 201 Abs. 2 StPO nicht an die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3, 4 StPO gebunden ist.745 Da §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO die Vorschrift für entsprechend anwendbar erklären, gilt dies ebenfalls in dem Verfahren gegen das Unternehmen. Dessen Beweisanträge werden in dem Zwischenverfahren somit wie die eines Angeschuldigten behandelt, während es im Hauptverfahren nur für das Unternehmen zu der Einschränkung kommt, dass § 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 bis 6 StPO teilweise nicht gelten.746 Über die Mitwirkungsrechte des § 201 StPO hinaus hat das Unternehmen die Möglichkeit, mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft gemäß § 202a StPO den Verfahrensstand zu erörtern. Zur Vorbereitung etwaiger Beweisanträge und Einwendungen nach § 201 StPO beziehungsweise der Erörterung nach § 202a StPO erhält das Unternehmen die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft von Amts wegen zugesandt, §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1, 201 Abs. 1 S. 1 StPO. Fraglich ist, ob darüber hinaus ein Verteidiger des Unternehmens gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, 147 StPO Akteneinsicht nehmen kann. Wie schon im einheitlichen Verfahren stellt sich dabei das Problem, dass § 428 Abs. 1 und 2 StPO an den „Einziehungsbeteiligten“ und mithin an die formale Stellung des Unternehmens als Beteiligter des 744 Zu weit geht allerdings Rogall, wenn er hieraus folgert, dass das Unternehmen im selbstständigen Verfahren als Beschuldigter anzusehen sei; vgl. KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 219. Die §§ 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO finden in dem Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nur über das Einziehungsrecht Anwendung. Die Stellung des Unternehmens als Beteiligter des Verfahrens hat sich also nicht geändert. 745 So etwa: MüKo StPO-Wenske, § 201 StPO, Rn. 25; KK StPO-Schneider, § 201 StPO, Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, § 201 StPO, Rn. 8. 746 Vgl. zu der Regelung in § 430 Abs. 2 StPO: Kapitel 3, C. I. 2. b) aa).
200
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Verfahrens anknüpfen. Das Unternehmen wird an dem selbstständigen Zwischenverfahren jedoch erst bei Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts beteiligt, welcher zugleich zu der Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 203 StPO führt. Die Beteiligung erfolgt somit erst mit dem Abschluss des Zwischenverfahrens.747 Es wäre daher denkbar, den Verdachtsgrad für die Beteiligungsanordnung abzusenken, um eine frühere Beteiligung des Unternehmens während des Zwischenverfahrens zu ermöglichen. Für das selbstständige Verfahren greift jedoch derselbe Gedankengang wie in dem Verfahren nach § 444 Abs. 1 und 2 StPO: Auch die frühere Beteiligung des Unternehmens hätte zur Folge, dass dem Unternehmen vor seiner Beteiligung rechtliches Gehör gewährt werden würde, was wiederum eine entsprechende Vorbereitung mit anwaltlicher Unterstützung voraussetzt.748 Die Rechte aus § 428 Abs. 1 StPO müssen daher auch im selbstständigen Verfahren bereits vor der Beteiligungsanordnung dem noch unbeteiligten Unternehmen zur Verfügung stehen. § 428 StPO findet folglich über seinen zu engen Wortlaut hinaus gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO während des Zwischenverfahrens Anwendung. Gemäß § 435 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO sollen die §§ 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO nur gelten, „soweit dies ausführbar ist“. Ebenso wie bei der Vorschrift zur Anhörung im vorbereitenden Verfahren nach § 426 Abs. 1 StPO wird mit dieser Einschränkung die Besonderheit des Einziehungsrechts aufgegriffen, dass die Einziehung auch im Hinblick auf Nicht-Beteiligte angeordnet werden kann.749 Die Durchführung eines Zwischenverfahrens soll etwa entbehrlich sein, wenn der mögliche Einziehungsbeteiligte flüchtig ist oder sein Aufenthaltsort unbekannt ist.750 In diesen Fällen kann das Verfahren nach der Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft direkt in das Hauptverfahren übergehen. Da eine Geldbuße gemäß § 30 OWiG jedoch nicht ohne vorherige Beteiligung des Unternehmens gegen dieses festgesetzt werden kann, entfaltet die Einschränkung in § 435 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO in dem Verfahren nach § 444 StPO keine Wirkung. Die Durchführung eines Zwischenverfahrens ist somit stets erforderlich. 4. Zusammenfassung Die Beteiligung des Unternehmens ist sowohl im Rahmen des gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Verfahrens als auch in dem selbstständigen Verfahren grundsätzlich ab dem Beginn des Zwischenverfahrens möglich.751 In beiden Fällen muss aber ein hinreichender Tatverdacht in Bezug auf das Unternehmen 747
Siehe: Kapitel 3, B. II. 1. b). Siehe zu der Behandlung des Problems im Rahmen des gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Zwischenverfahrens: Kapitel 3, B. II. 2. 749 Siehe: Kapitel 3, A. II. 2. a). 750 Begründung zu § 435 StPO (Nummer 12) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 92. 751 Dies folgt aus der gerichtlichen Zuständigkeit nach § 444 Abs. 1 StPO beziehungsweise §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 424 Abs. 1 StPO. 748
B. Das Zwischenverfahren
201
gegeben sein, damit das zuständige Gericht die Beteiligung anordnen kann. Dies führt in dem selbstständigen Verfahren zu einem zeitlichen Zusammenfallen der Anordnungsbeteiligung und des Eröffnungsbeschlusses nach § 203 StPO, da sich beide Beschlüsse auf den hinreichenden Tatverdacht gegenüber dem Unternehmen beziehen. In dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Verfahren beurteilt das Gericht bei seiner Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens hingegen nur den Tatverdacht gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter, so dass die Beteiligung des Unternehmens unabhängig von dieser Entscheidung angeordnet werden kann. Die unterschiedliche Ausrichtung der beiden Verfahrensarten zeigt sich nicht nur im Hinblick auf den Beteiligungszeitpunkt, sondern auch bei den Mitwirkungsrechten. In dem einheitlichen Zwischenverfahren konzentriert sich der Strafprozess auf den Unternehmensmitarbeiter, wohingegen das Unternehmen nur über die Beteiligungsanordnung in das Verfahren einbezogen wird. Während dem Unternehmensmitarbeiter daher die Rechte aus § 201 Abs. 1 StPO zukommen, wird das Unternehmen lediglich vor der Anordnung seiner Beteiligung gemäß § 33 Abs. 2 und 3 StPO angehört. Darüber hinaus enthalten § 444 Abs. 1 und 2 StPO und die Vorschriften über das Einziehungsverfahren – mit Ausnahme von § 428 StPO – keine weiteren Regelungen für das Zwischenverfahren. Anders ist dies in dem selbstständigen Verfahren: Durch die Geltung der §§ 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO wird ein Zwischenverfahren durchgeführt, das sich eng an das Verfahren nach Anklageerhebung anlehnt. Das Unternehmen erhält so eine Verfahrensposition, die der eines Angeschuldigten entspricht und die dazu führt, dass es insbesondere über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1, 201 Abs. 1 StPO aktiv auf das Verfahren Einfluss nehmen kann. Diese Ausgestaltung des selbstständigen Verfahrens, die erst 2017 durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung eingeführt wurde, ist zu begrüßen, da sie dem Unternehmen eine Stellung einräumt, die der Bedeutung der drohenden Sanktion nach § 30 OWiG Rechnung trägt. Gleichwohl bleibt zu kritisieren, dass sich die Verbesserung allein auf das selbstständige Verfahren bezieht. In dem Zwischenverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter hat das Unternehmen weiterhin nur schwache Mitwirkungsrechte, obwohl es außerhalb seiner Einflusssphäre liegt, ob das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter geführt wird oder eine Verfolgung gemäß § 30 Abs. 4 OWiG unterbleibt.
III. Rechtslage bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters Setzt die Verwaltungsbehörde in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße nach § 30 OWiG gegen das Unternehmen in einem Bußgeldbescheid fest, gelten ab diesem Zeitpunkt im einheitlichen wie auch im selbstständigen Verfahren gemäß § 88 Abs. 3 OWiG die Vorschriften über das
202
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Einziehungsverfahren in § 87 Abs. 2 S. 1 und 2 sowie Abs. 5 OWiG. Das Unternehmen hat daher gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 67 Abs. 1 S. 1 OWiG die Möglichkeit, gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einzulegen und so eine Fortsetzung des Verfahrens zu erreichen. Der Beginn des Zwischenverfahrens hängt mithin von der Initiative des Unternehmens ab. Der weitere Verfahrensablauf wird durch die Regelungen in § 69 OWiG bestimmt, die im Falle eines einheitlichen Bußgeldbescheides unabhängig davon gelten, ob sowohl das Unternehmen als auch der Unternehmensmitarbeiter Einspruch einlegen oder ob nur das Unternehmen den Bußgeldbescheid angreift.752 Auch im selbstständigen Verfahren ist es für die Geltung von § 69 OWiG unerheblich, ob das Verfahren nach § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG oder § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG geführt wird.753 Die unterschiedlichen Verfahrenskonstellationen richten sich somit an den gleichen Normen aus. Dies führt dazu, dass die Rechtslage für das Unternehmen im Zwischenverfahren nach dem OWiG wesentlich übersichtlicher ist als in anderen Verfahrensabschnitten. 1. Verbesserte Ausgangslage: Beteiligung und „Befugnisse, die einem Betroffenen zustehen“ Im Vergleich zu dem Ermittlungsverfahren gewinnt die Verfahrensposition des Unternehmens ab dem Erlass des Bußgeldbescheides erheblich an Kontur. Dies liegt zum einen an der Beteiligung, die von der Verwaltungsbehörde spätestens mit der Festsetzung der Unternehmensgeldbuße in dem Bußgeldbescheid angeordnet werden muss.754 Das Unternehmen erhält dadurch eine formale, und mithin eindeutigere, Stellung in dem einheitlichen beziehungsweise selbstständigen Verfahren. Zudem kann es sich ab diesem Zeitpunkt über § 88 Abs. 3 OWiG und § 46 Abs. 1 OWiG auf die Vorschriften des Einziehungsrechts berufen, die für den Einziehungsbeteiligten in dem jeweiligen Verfahrensabschnitt gelten. Auch in dieser Hinsicht verbessert sich also die Stellung des Unternehmens. Zum anderen hat das beteiligte Unternehmen sowohl in dem einheitlichen als auch in dem selbstständigen Verfahren gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG von dem Erlass des Bußgeldbescheides an die Befugnisse, die einem Betroffenen zustehen. Während daher im Ermittlungsverfahren mit Blick auf die Rechte des Unternehmensmitarbeiters die Rechtsgrundlage für die Mitwirkungsrechte des Unternehmens diskutiert wird,755 stellt die gesetzliche Regelung in §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG ausdrücklich klar, dass sich das Unternehmen in dem weiteren Verfahren auf die gleichen Rechte wie der Betroffene berufen kann. Dem Unternehmen kommt damit eine Verfahrensstellung zu, die mit der eines Betroffenen vergleichbar ist.
752 753 754 755
Vgl. hierzu: Kapitel 2, B. III. 2. Vgl. hierzu: Kapitel 2, B. IV. 2. und V. Vgl. zum Zeitpunkt der Beteiligungsanordnung: Kapitel 3, A. III. 1. a) und b). Siehe: Kapitel 3, A. III. 2. a) und b) sowie 3.
B. Das Zwischenverfahren
203
2. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im einheitlichen Verfahren Da die Regelung in § 88 Abs. 1 OWiG lediglich die Aufgaben der Verwaltungsbehörde betrifft, muss der Verweis in § 88 Abs. 3 OWiG auf § 87 Abs. 2 S. 1 OWiG herangezogen werden, um etwaige Mitwirkungsrechte des Unternehmens im Rahmen des Zwischenverfahrens zu bestimmen. Über diese Normkette gilt zum einen § 69 Abs. 2 S. 3 OWiG, der die erneute Anhörung des Unternehmens durch die Verwaltungsbehörde nach Erlass des Bußgeldbescheides ermöglicht.756 Zum anderen kann sich das Unternehmen auf das Akteneinsichtsrecht nach § 49 Abs. 1 OWiG berufen. Daneben steht es ihm frei, sich einen Rechtsbeistand gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 S. 1 StPO zu wählen und durch diesen die Verteidigungsrechte in § 428 Abs. 1 S. 2 StPO auszuüben. Gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 69 Abs. 2 S. 3 OWiG kann die Verwaltungsbehörde dem Unternehmen Gelegenheit geben, sich innerhalb einer zu bestimmenden Frist dazu zu äußern, ob und welche Tatsachen und Beweismittel es in dem weiteren Verfahren zu seiner Entlastung vorbringen will. Es handelt sich dabei um eine Regelung, welche die nochmalige Anhörung des Unternehmens grundsätzlich in das Ermessen der Verwaltungsbehörde stellt. Nach dem Willen des Gesetzgebers verpflichtet die Kannvorschrift des § 69 Abs. 2 S. 3 OWiG die Verwaltungsbehörde allerdings zu der Anhörung, wenn dies für die Entscheidung nach § 69 Abs. 2 S. 1 OWiG erforderlich ist.757 So kann die Einlassung des Unternehmens für die Frage, ob die Verwaltungsbehörde den Bußgeldbescheid aufrechterhält oder zurücknimmt, mitbestimmend sein. Hat das Unternehmen daher beispielsweise den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nicht näher begründet, gebietet es nach Ansicht des Gesetzgebers die Prüfungspflicht des Satzes 1, dem Unternehmen Gelegenheit zur Äußerung zu geben.758 Für das Unternehmen kann sich somit – trotz des missverständlichen Wortlauts von § 69 Abs. 2 S. 3 OWiG – ein Recht ergeben, nach Erlass des Bußgeldbescheides angehört zu werden. Die Anhörung gibt dem Unternehmen die Möglichkeit, in Kenntnis des Bußgeldbescheides Stellung zu nehmen und dadurch die Entscheidung der Verwaltungsbehörde im Zwischenverfahren zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Dies dient auch dem Sinn und Zweck des Zwischenverfahrens, die Verwaltungsbehörde zu einer Selbstkontrolle anzuhalten und aussichtslose Gerichtsverfahren zu vermeiden.759 Da die Aufgaben der Verwaltungsbehörde mit dem Eingang der Akten bei der 756
Zuvor hat die Verwaltungsbehörde das Unternehmen bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen den Unternehmensmitarbeiter gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 1 StPO angehört. 757 Begründung zu § 69 OWiG (Nummer 8) des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze, BT-Drs. 10/2652, S. 17. 758 Vgl. die Begründung zu § 69 OWiG (Nummer 8) des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze, BT-Drs. 10/2652, S. 17. 759 Vgl. hierzu: Kapitel 3, B. I.
204
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Staatsanwaltschaft gemäß § 69 Abs. 4 OWiG auf diese übergehen, ist auch noch auf der zweiten Stufe des Zwischenverfahrens eine Anhörung des Unternehmens nach §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 69 Abs. 2 S. 3 OWiG möglich. Wie schon im Rahmen des gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Ermittlungsverfahrens ist das Unternehmen aber nicht verpflichtet, sich zu äußern. Dies verdeutlicht auch die Regelung in § 69 Abs. 2 S. 3 Hs. 2 OWiG, wonach im Falle der Anhörung ein entsprechender Hinweis auf das Schweigerecht zu erfolgen hat. Gleichwohl sollte das Unternehmen mit Blick auf ein mögliches Hauptverfahren und die Ablehnung von Beweisanträgen nach § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG sorgfältig prüfen, inwieweit es bereits im Zwischenverfahren Beweisanträge oder Einwendungen vorbringt.760 § 69 Abs. 3 S. 2 OWiG verpflichtet die Verwaltungsbehörde, bei Vorliegen eines Antrags auf Akteneinsicht vor Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft über die Gewährung der Akteneinsicht zu entscheiden. Die Norm bezieht sich an dieser Stelle ausdrücklich auf § 49 Abs. 1 OWiG und § 147 StPO. In § 49 Abs. 1 OWiG ist das Akteneinsichtsrecht des Betroffenen für das Verfahren der Verwaltungsbehörde geregelt. Dieses umfasst nicht nur die erste Stufe des Zwischenverfahrens nach Erlass des Bußgeldbescheides, sondern bereits das Ermittlungsverfahren.761 Das Unternehmen kann hingegen erst ab dem Erlass des Bußgeldbescheides gemäß § 49 Abs. 1 OWiG Einsicht in die Akten beantragen, da ihm erst zu diesem Zeitpunkt gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG die Befugnisse eines Betroffenen zukommen.762 Die Akteneinsicht ermöglicht es dem Unternehmen dann, die weitere Verteidigungsstrategie auszuarbeiten und einen möglichen Einspruch oder die Anhörung im Zwischenverfahren vorzubereiten. Auch wenn das Akteneinsichtsrecht dem Unternehmen folglich keine unmittelbare Einflussmöglichkeit auf das Verfahren gibt, ermöglicht es die Ausübung anderer Mitwirkungsrechte. Die Akteneinsicht über § 49 Abs. 1 OWiG wird von dem Unternehmen beziehungsweise dem Betroffenen selbst wahrgenommen und daher regelmäßig dann beantragt, wenn ein Verteidiger (noch) nicht beauftragt wurde.763 Dem Unternehmen steht es gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 StPO frei, einen Verteidiger zu wählen. Da die Beteiligung des Unternehmens spätestens mit dem Erlass des Bußgeldbescheides erfolgt, stellt sich 760 Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte durch die Regelung in § 69 Abs. 2 S. 3 OWiG gerade eine klare Grundlage für die Ablehnung von Beweisanträgen nach § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG geschaffen werden; vgl. die Begründung zu § 69 OWiG (Nummer 8) des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze, BT-Drs. 10/2652, S. 17. 761 BeckOK OWiG-Bücherl, § 49 OWiG, Rn. 2. 762 Da in dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Ermittlungsverfahren § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 und 3 StPO gelten (siehe: Kapitel 3, A. III. 2. c)), steht dem Unternehmen dort ein Akteneinsichtsrecht aus § 147 Abs. 7 StPO zu; vgl. hierzu auch: Fn. 641. 763 Vgl. KK OWiG-Lampe, § 49 OWiG, Rn. 1; BeckOK OWiG-Bücherl, § 49 OWiG, Rn. 2 f.
B. Das Zwischenverfahren
205
hier – anders als in dem Zwischenverfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters – nicht das Problem, dass § 428 StPO vom seinem Wortlaut her nur auf den Beteiligten Anwendung findet.764 Beauftragt das Unternehmen somit gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 StPO einen Verteidiger oder wird ihm ein solcher durch die Verwaltungsbehörde nach § 88 Abs. 1 OWiG beigeordnet, kann dieser über § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, 147 Abs. 1 StPO Akteneinsicht beantragen. Auch über diesen Antrag muss die Verwaltungsbehörde spätestens vor Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft entscheiden, § 69 Abs. 3 S. 2 OWiG. 3. Geltung der Mitwirkungsrechte im selbstständigen Verfahren Im selbstständigen Verfahren wird die Geldbuße gegenüber dem Unternehmen gemäß § 88 Abs. 2 S. 1 OWiG in einem selbstständigen Bußgeldbescheid festgesetzt. Das Unternehmen kann gegen diesen bei der Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat, Einspruch einlegen, §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 67 Abs. 1 S. 1 OWiG. Dies ist im Falle eines Verfahrens gemäß § 30 Abs. 4 S. 1 OWiG die nach § 88 Abs. 2 S. 2 OWiG zuständige Behörde, während in einem getrennt geführten Verfahren die Kartellbehörde gemäß § 82 S. 1 GWB beziehungsweise die Regulierungsbehörde gemäß § 96 S. 1 EnWG zuständig ist. Abgesehen von den vorstehenden Regelungen zur Zuständigkeit richten sich das selbstständige und das einheitliche Zwischenverfahren nach den gleichen Vorschriften.765 Neben dem Einspruchsrecht kommt dem Unternehmen folglich über §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG die Regelung zur Anhörung in § 69 Abs. 2 S. 3 OWiG zugute, wonach die Verwaltungsbehörde dem Unternehmen Gelegenheit geben kann, sich dazu zu äußern, ob und welche Tatsachen und Beweismittel es im weiteren Verfahren zu seiner Entlastung vorbringen will. In bestimmten Fällen reduziert sich das Ermessen der Verwaltungsbehörde dergestalt, dass sie verpflichtet ist, eine entsprechende Anhörung des Unternehmens vorzunehmen. Darüber hinaus bestehen in dem Zwischenverfahren nach dem OWiG keine weiteren Mitwirkungsrechte. Das Unternehmen kann allerdings ab dem Erlass des Bußgeldbescheides Akteneinsicht gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 49 Abs. 1 OWiG beantragen. Sofern ein Rechtsanwalt mit der Verteidigung des Unternehmens beauftragt wird, hat dieser über § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, 147 Abs. 1 StPO ebenfalls das Recht, Einsicht in die Verfahrensakten zu nehmen. Über den Akteneinsichtsantrag des Unternehmens beziehungsweise des Verteidigers muss die Verwaltungsbehörde gemäß § 69 Abs. 3 S. 2 OWiG spätestens vor Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft ent764
Vgl. zu der Lösung im strafrechtlichen Zwischenverfahren: Kapitel 3, B. II. 2. Für die folgenden Ausführungen gilt daher das zum einheitlichen Zwischenverfahren Gesagte entsprechend; siehe: Kapitel 3, B. III. 2. 765
206
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
scheiden. Für das Unternehmen gelten im Ergebnis also dieselben Verfahrensbestimmungen, die in dem Zwischenverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter Anwendung finden.
C. Das Hauptverfahren I. Regelungen für das Unternehmen bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters Die Regelungen, die für die Mitwirkung des Unternehmens in dem einheitlichen Verfahren entscheidend sind, ergeben sich aus § 444 Abs. 2 StPO. So betrifft § 444 Abs. 2 S. 1 StPO die Ladung und Anwesenheit des Unternehmens in der Hauptverhandlung, während gemäß § 444 Abs. 2 S. 2 StPO verschiedene Vorschriften des Einziehungsverfahrens, insbesondere die zentrale Norm des § 427 Abs. 1 StPO, gelten. In Bezug auf das selbstständige Verfahren muss hingegen differenziert werden, ob das Verfahren als schriftliches oder mündliches Verfahren geführt wird. Die Verfahrensausrichtung bestimmt sich dabei nach §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO beziehungsweise § 434 Abs. 3 StPO; ergänzt werden die Normen wiederum über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO durch bestimmte Vorschriften des Einziehungsverfahrens.766 Die Mitwirkungsrechte, die dem Unternehmen in den Verfahren zukommen, entsprechen an vielen Stellen den Befugnissen eines Angeklagten. Die folgende Darstellung konzentriert sich daher auf ausgewählte Mitwirkungsrechte, bei denen sich Besonderheiten für das Unternehmen ergeben. 1. Verbesserte Ausgangslage: Beteiligung und „Befugnisse, die einem Angeklagten zustehen“ Während die Stellung des Unternehmens in dem Verfahren nach § 88 OWiG bereits zu Beginn des Zwischenverfahrens aufgewertet wird, kommt es in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters regelmäßig erst mit der Eröffnung des Hauptverfahrens zu einer vergleichbaren Verbesserung. Das Unternehmen sollte mit dem Beginn des Hauptverfahrens förmlich in das Verfahren einbezogen werden.767 Ebenso wie die Staatsanwaltschaft ist das Unternehmen dann ein Beteiligter des Verfahrens.768 Anknüpfend an die Beteiligung gelten für das Unternehmen in dem weiteren Verfahren die Vorschriften für den 766
Siehe: Kapitel 2, B. II. 3. a). Siehe: Kapitel 3, B. II. 1. a) und b). 768 Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass das Gericht die Beteiligung des Unternehmens mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses angeordnet hat. 767
C. Das Hauptverfahren
207
Einziehungsbeteiligten in §§ 427 ff. StPO, sofern § 444 Abs. 1 und 2 StPO und § 444 Abs. 3 StPO auf die Normen verweisen. Maßgeblich ist dabei die Regelung in § 427 Abs. 1 S. 1 StPO, die dem Unternehmen die Befugnisse eines Angeklagten zugesteht.769 Die Vorschrift greift ab der Eröffnung des Hauptverfahrens und stärkt somit die Verfahrensposition des Unternehmens für das kommende Hauptverfahren und ein etwaiges Rechtsmittelverfahren erheblich.770 Die Stellung des Unternehmens ist im Hinblick auf die Befugnisse nunmehr mit der eines Angeklagten vergleichbar, so dass das Unternehmen in entsprechender Weise aktiv an dem Verfahren mitwirken kann. Vergleicht man dies mit den Rechten des Unternehmens im einheitlichen und selbstständigen Ermittlungsverfahren oder in dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Zwischenverfahren, ergibt sich für das weitere Verfahren eine günstigere Ausgangslage für das Unternehmen. Gleichwohl wird die starke Verfahrensposition, die dem Unternehmen in beiden Verfahrensarten über § 427 Abs. 1 StPO zukommt, durch die weiteren Einziehungsvorschriften teilweise wieder abgeschwächt. 2. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im einheitlichen Verfahren Die Regelung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1 StPO führt dazu, dass sich das Unternehmen in dem einheitlichen Verfahren in weitem Umfang auf die Mitwirkungsrechte eines Angeklagten berufen kann. So hat das Unternehmen insbesondere die Möglichkeit, das Frage- und Konfrontationsrecht des § 240 Abs. 2 StPO zu nutzen, Erklärungen nach § 257 Abs. 1 StPO zu einzelnen Beweiserhebungen abzugeben,771 gemäß § 258 StPO in einem Schlussvortrag Stellung zu nehmen und das letzte Wort zu sprechen.772 Dabei folgt aus dem Grundsatz der Mündlichkeit für das Unternehmen die Notwendigkeit, die ihm zukommenden Rechte in verbaler Form im Rahmen der Hauptverhandlung auszuüben.773 Dies setzt die Anwesenheit des Unternehmens in der Hauptverhandlung voraus, weshalb im Folgenden die in dem einheitlichen Verfahren geltenden Anwesenheitsregelungen skizziert werden. Der 769
In dem einheitlichen Verfahren gilt die Vorschrift gemäß § 444 Abs. 2 S. 2 StPO; im selbstständigen Verfahren findet sie über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO Anwendung. 770 Diese Wirkung des § 427 Abs. 1 S. 1 StPO entfällt allerdings für das selbstständige Hauptverfahren, wenn es gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO als schriftliches Verfahren geführt wird; siehe: Kapitel 3, C. I. 3. a). 771 Vgl. zu der Anwendung des § 257 Abs. 1 StPO im Hauptverfahren trotz der Ausgestaltung als Sollvorschrift: MüKo StPO-Cierniak/Niehaus, § 257 StPO, Rn. 6. 772 Der BGH entschied bereits 1961, dass im Strafverfahren auch dem Einziehungsbeteiligten das letzte Wort gebührt; vgl. BGHSt 17, 28, 33. Die Entscheidung bezog sich zwar zum einen auf das selbstständige Einziehungsverfahren und betraf zum anderen die Rechtslage vor der Neuregelung des prozessualen Einziehungsrechts in 1968. Doch stützte der BGH sein Urteil auf die Vorschrift des § 431 Abs. 3 StPO 1950 (BGBl. I S. 455, 672), die mit der heutigen Regelung in § 427 Abs. 1 S. 1 StPO vergleichbar ist. 773 Etwas anderes kann sich aus der Vorgabe des Gerichts nach § 257a StPO ergeben, Anträge und Anregungen zu Verfahrensfragen schriftlich zu stellen.
208
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Schwerpunkt der weiteren Untersuchung liegt dann auf dem Beweisantragsrecht des Unternehmens. Da dieses Recht im Gegensatz zu den anderen Mitwirkungsrechten durch die Regelung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO eingeschränkt wird, werden die Hintergründe der Einschränkung untersucht und mögliche Lösungswege beleuchtet. a) Anwesenheit in der Hauptverhandlung als Voraussetzung für die Ausübung der Mitwirkungsrechte Bedingt durch den Grundsatz der Mündlichkeit erfordert die Mitwirkung im Rahmen der Hauptverhandlung die sprachliche Äußerung durch die Beteiligten.774 Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen müssen folglich während der Hauptverhandlung anwesend sein, um die ihnen zustehenden Rechte ausüben zu können. Für den angeklagten Unternehmensmitarbeiter ergibt sich eine Anwesenheitspflicht aus § 230 Abs. 1 StPO, während die diesbezüglichen Ausnahmen in den § 231 Abs. 2 StPO und §§ 231a ff. StPO normiert sind. Für das Unternehmen beschränken sich die Vorschriften zur Anwesenheit hingegen auf die Regelung in § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 StPO. Danach kann ohne das Unternehmen verhandelt werden, wenn der Unternehmensvertreter ohne genügende Entschuldigung ausbleibt.775 Ob in einem solchen Fall die Hauptverhandlung durchgeführt wird, entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen.776 Da das Unternehmen gemäß Art. 103 Abs. 1 GG einen Anspruch auf rechtliches Gehör hat,777 muss das Gericht dabei berücksichtigen, ob dieses dem Unternehmen bereits gewährt wurde oder noch gewährt werden kann. Ist eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nur durch eine Neuterminierung zu verhindern, reduziert sich das gerichtliche Ermessen auf diese Möglichkeit. Das Gericht kann dann allerdings gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 2 S. 1 StPO das persönliche Erscheinen des Unternehmensvertreters anordnen und ihn mit einem Hinweis nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 2 S. 2 StPO zu dem neuen Termin laden.778 Dies ermöglicht die Vorführung des Unternehmensvertreters im Falle des erneuten Ausbleibens ohne genügende Entschuldigung. Kann das Unternehmen seine Abwesenheit aber gemäß § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 StPO genügend entschuldigen, findet eine Hauptverhandlung nicht statt. Wird sie dennoch durchgeführt, hat das Unternehmen das Recht, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 235 StPO zu beantragen. 774
Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 261 StPO, Rn. 7. Das Unternehmen muss gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 429 Abs. 3 Nr. 1 StPO darauf hingewiesen werden, dass auch ohne es verhandelt werden kann. Der Hinweis hat in der nach § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 StPO erforderlichen Ladung zu erfolgen. 776 Siehe den Wortlaut von § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 StPO: „bleibt ihr Vertreter ohne genügende Entschuldigung aus, so kann ohne sie verhandelt werden“. 777 Vgl. Fn. 723. 778 Diese Möglichkeit besteht gleichwohl auch schon für den früheren, aufgrund der Abwesenheit des Unternehmens nicht durchgeführten Hauptverhandlungstermin. 775
C. Das Hauptverfahren
209
Die Konstellation des § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 StPO betrifft das Ausbleiben des Unternehmens vor dem Beginn der Hauptverhandlung. Nicht geregelt sind damit die Fälle, in denen sich der Unternehmensvertreter aus der Hauptverhandlung entfernt oder bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ausbleibt. Für das Einziehungsverfahren hat der Gesetzgeber im Jahr 2017 eine entsprechende Klarstellung in § 430 Abs. 1 S. 2 StPO aufgenommen. Danach gilt für diese beiden Konstellationen das Gleiche wie in dem Fall des Ausbleibens vor dem Beginn der Hauptverhandlung, der in § 430 Abs. 1 S. 1 StPO geregelt ist. Fraglich ist, ob die Regelung des § 430 Abs. 1 S. 2 StPO nunmehr auch in dem einheitlichen Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße sinngemäß Anwendung findet. Da § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 StPO als speziellere Vorschrift nur der Regelung in § 430 Abs. 1 S. 1 StPO vorgeht, wäre die Geltung von § 430 Abs. 1 S. 2 StPO grundsätzlich denkbar. Gegen diese Annahme sprechen jedoch zwei Einwände: Zum einen hat der Gesetzgeber den Verweis in § 444 Abs. 2 S. 2 StPO nicht auf die Vorschrift in § 430 Abs. 1 S. 2 StPO ausgedehnt.779 Zum anderen würde die Anwendung von § 430 Abs. 1 S. 2 StPO in dem Verfahren nach § 444 Abs. 1 und 2 StPO bedeuten, dass in den Fällen, in denen sich der Unternehmensvertreter aus der Hauptverhandlung entfernt oder bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ausbleibt, das Gleiche gelten soll wie bei dem in § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 StPO geregelten Fall des Ausbleibens vor dem Beginn der Hauptverhandlung. Es könnte demnach ohne das Unternehmen verhandelt werden, wenn der Unternehmensvertreter ohne genügende Entschuldigung abwesend ist. Gerade bei einer bereits begonnenen Hauptverhandlung sind allerdings kaum Fälle denkbar, in denen eine genügende Entschuldigung gegeben sein kann.780 Das Kriterium der „genügenden Entschuldigung“ würde daher faktisch dazu führen, dass die Hauptverhandlung stets ohne das Unternehmen durchgeführt werden kann, wenn sich der Unternehmensvertreter nach dem Beginn entfernt. Dies entspricht letztlich dem Regelungsgehalt, den § 430 Abs. 1 S. 2 StPO in Verbindung mit § 430 Abs. 1 S. 1 StPO für das Einziehungsverfahren vorgeben. Der Gesetzgeber hat durch die vorrangige Regelung in § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 StPO aber gezeigt, dass er in dem einheitlichen Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße strengere Anforderungen an die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Unternehmens stellt als in dem Einziehungsverfahren. Ein Rückgriff auf den neu eingefügten § 430 Abs. 1 S. 2 StPO ist daher abzulehnen. 779
Dies könnte allerdings ein Versehen des Gesetzgebers sein und spricht noch nicht zwingend dafür, die Geltung des § 430 Abs. 1 S. 2 StPO in dem einheitlichen Unternehmensbußgeldverfahren abzulehnen. Die Gesetzesbegründung legt zumindest nahe, dass bei der Reform des Rechts der Vermögensabschöpfung Überlegungen zu den Auswirkungen der neuen Regelungen auf das Verfahren nach § 444 StPO ausgeklammert wurden; vgl. die Begründung zu § 444 StPO (Nummer 14) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 93. 780 Vgl. zu den Fällen einer genügenden Entschuldigung: BeckOK StPO-Gorf, § 230 StPO, Rn. 12.1.
210
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Für die Fälle des Sich-Entfernens aus der Hauptverhandlung beziehungsweise des Ausbleibens im Rahmen einer fortgesetzten Hauptverhandlung fehlt es somit weiterhin an einer Regelung. Aufgrund der unklaren Gesetzeslage sollte das Gericht daher, wenn einer der genannten Fälle im Rahmen des einheitlichen Verfahrens eintritt, einen neuen Hauptverhandlungstermin ansetzen und über §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 2 StPO das persönliche Erscheinen des Unternehmensvertreters – notfalls durch Vorführung – sicherstellen. Dem verteidigten Unternehmen steht es im Übrigen gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 234 StPO frei, sich durch einen nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 StPO beauftragten Rechtsanwalt verteidigen zu lassen. Im Falle der Abwesenheit des Unternehmensvertreters in der Hauptverhandlung kann dieser dann bestimmte Mitwirkungsrechte für das Unternehmen ausüben. b) Beweisantragsrecht Der Beweisantrag ist für die Verfahrensbeteiligten das wichtigste Instrument, um auf die gerichtliche Beweisaufnahme Einfluss zu nehmen.781 Schon im vorbereitenden Stadium des Hauptverfahrens besteht gemäß § 219 StPO die Möglichkeit, bei dem Vorsitzenden des Gerichts die Ladung von Zeugen oder Sachverständigen oder die Herbeischaffung anderer Beweismittel zur Hauptverhandlung zu beantragen. Auch dem Unternehmen steht es gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 219 StPO frei, entsprechende Beweisanträge zu stellen und dadurch aktiv an der Vorbereitung der Hauptverhandlung mitzuwirken. Für die anschließende Hauptverhandlung ist das Beweisantragsrecht nicht ausdrücklich normiert, sondern wird als ein durch Art. 103 Abs. 1 GG garantiertes Recht in den §§ 244 ff. StPO vorausgesetzt.782 Aus den strafprozessualen Vorschriften folgt, dass das Gericht die Beweisanträge im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO zu beachten hat und sie nur dann ablehnen kann, wenn einer der abschließend geregelten Ablehnungsgründe in § 244 Abs. 3 bis 5 StPO oder § 245 Abs. 2 S. 2, 3 StPO eingreift. Da sich die Durchführung der Hauptverhandlung in dem einheitlichen Verfahren nach den §§ 226 ff. StPO richtet, gelten grundsätzlich auch für das Unternehmen die Vorschriften zur Beweisaufnahme in den §§ 244 ff. StPO.783
781
Vgl. MüKo StPO-Trüg/Habetha, § 244 StPO, Rn. 9. Vgl. zu der Herleitung des Beweisantragsrechts aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG: Jahn, in: Festschrift für Winfried Hassemer, S. 1033 ff. 783 Siehe: Kapitel 2, B. I. 3. 782
C. Das Hauptverfahren
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aa) Einschränkung durch §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO Eine Einschränkung findet sich für das Unternehmen allerdings über § 444 Abs. 2 S. 2 StPO in § 430 Abs. 2 StPO, der bestimmt, dass § 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 bis 6 StPO auf Beweisanträge des Unternehmens zur Frage der Schuld des angeklagten Unternehmensmitarbeiters nicht anzuwenden ist.784 Über solche Beweisanträge kann das Gericht folglich unabhängig von den Ablehnungsgründen in § 244 Abs. 3 S. 2 bis Abs. 5 StPO nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, womit eine erhebliche Beschneidung des Beweisantragsrechts zu Lasten des Unternehmens einhergeht.785 § 244 Abs. 6 S. 1 StPO, der für die Ablehnung eines Beweisantrages einen Gerichtsbeschluss erfordert, findet bei den Beweisanträgen des Unternehmens zur Schuldfrage ebenfalls keine Anwendung. Die entsprechenden Beweisanträge werden letztlich als Beweisanregungen behandelt,786 über deren Ablehnung der Vorsitzende gemäß § 238 Abs. 1 StPO entscheidet.787 Schließlich sind auch § 244 Abs. 6 S. 2 bis 4 StPO von dem Ausschluss in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO erfasst. Die Sätze wurden erst 2017 durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens788 in § 244 Abs. 6 StPO aufgenommen und normieren eine Fristenlösung für die Stellung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung. Durch die Regelungen sollen Verfahrensverzögerungen vermieden werden, „die dadurch entstehen, dass der Angeklagte oder der Verteidiger erst nach Abschluss des gerichtlichen Beweisprogramms oder auch noch nach Schluss der Beweisaufnahme wiederholt neue Beweisanträge stellen, und diese dann im Laufe der Hauptverhandlung durch begründeten Beschluss beschieden werden müssen“789. Der für das Unternehmen auf den ersten Blick günstige Ausschluss von § 244 Abs. 6 S. 2 bis 4 StPO wird in seiner Wirkung dadurch relativiert, dass für die entsprechenden Beweisanträge die Regelungen in § 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 bis 5 und Abs. 6 S. 1 StPO ohnehin nicht gelten. Unabhängig von einem etwaigen Fristablauf kann das Gericht die Beweisanträge des Unternehmens zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters stets ohne Gerichtsbeschluss nach pflichtgemäßem Ermessen ablehnen.
784 Für die Beweisanträge des Unternehmens nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 219 StPO ist die Regelung des § 430 Abs. 2 StPO hingegen unbeachtlich, da der Vorsitzende des Gerichts bei seiner Entscheidung über die Beweisanträge nicht an die Ablehnungsgründe in § 244 Abs. 3 bis 5 StPO gebunden ist und die formlose Bekanntgabe der Entscheidung genügt; vgl. MüKo StPO-Arnoldi, § 219 StPO, Rn. 8 ff. 785 Kritisch hierzu auch: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 472; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 213. 786 LR StPO-Gössel, § 436 StPO a.F., Rn. 8; KK StPO-Schmidt, § 436 StPO a.F., Rn. 4. 787 Vgl. BGH, in: NStZ 2008, 109, 110. 788 Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202). 789 Begründung zu § 244 StPO (Nummer 15) des Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, BT-Drs. 18/11277, S. 34.
212
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Vereinzelt wird der gesetzgeberische Gedanke hinter der Regelung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO darin gesehen, dass für das einheitliche Strafverfahren im Hinblick auf den Umfang der Beweisaufnahme eine Regelung geschaffen werden sollte, wie sie mit § 77 OWiG in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit besteht: Das Gericht soll in beiden Fällen gleichermaßen nach pflichtgemäßem Ermessen und ohne Bindung an § 244 Abs. 3 bis 6 StPO über die Beweisanträge des Unternehmens befinden können.790 Bei diesem Ansatz wird allerdings übersehen, dass die Ablehnung eines Beweisantrages im Bußgeldverfahren eines Gerichtsbeschlusses bedarf.791 § 77 Abs. 3 OWiG entbindet das Gericht nicht von dieser Pflicht, sondern senkt lediglich die Anforderungen an die Begründung der Ablehnung. Durch die Regelung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO entfällt in Bezug auf das Unternehmen nunmehr erst das Erfordernis eines Gerichtsbeschlusses.792 Zudem vermag die Begründung nicht zu erklären, warum sich die Einschränkung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO nur auf die Beweisanträge zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters bezieht, während in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit alle Beweisanträge des Unternehmens den weiten Ablehnungsgründen in § 77 Abs. 2 OWiG unterliegen. Es darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Ablehnungsmöglichkeiten des § 77 Abs. 2 OWiG sowohl für die Beweisanträge des Unternehmens als auch für die des Unternehmensmitarbeiters gelten.793 In dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat trifft die Regelung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO hingegen nur das Unternehmen und verschlechtert seine Verfahrensstellung im Vergleich zu der des Unternehmensmitarbeiters. Schließlich lässt auch die Gesetzesbegründung nicht erkennen, dass es dem Gesetzgeber auf eine Angleichung der Vorschriften zur Beweisaufnahme in den beiden Verfahren angekommen wäre. Vielmehr begründet er die Einschränkung des § 430 Abs. 2 StPO mit den vermögensrechtlichen Interessen, um die es für den Einziehungsbeteiligten nur gehe.794 Da sich das Unternehmen jedoch durch die drohende Sanktion des § 30 OWiG mit einem eigenständigen Vorwurf konfrontiert sieht, ist die auf den Einziehungsbeteiligten zugeschnittene Begründung in Bezug auf das Unternehmen nicht mehr haltbar. Für die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße ist es entscheidend, ob der Unternehmensmitarbeiter die Straftat begangen hat und folglich sein Handeln und Verschulden dem Unternehmen zugerechnet werden können.795 Dem Unternehmen muss es daher möglich sein, unter den gleichen Voraussetzungen 790
LR StPO-Gössel, § 444 StPO a.F., Rn. 30; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 213. Göhler, § 77 OWiG, Rn. 23; KK OWiG-Senge, § 77 OWiG, Rn. 40 und 45; BeckOK OWiG-Hettenbach, § 77 OWiG, Rn. 31 f. 792 Vgl. zu der Geltung von §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO im Bußgeldverfahren: Kapitel 3, C. II. 1. a) aa) (2). 793 Vgl. Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 146. 794 Begründung zu § 436 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 78. 795 Siehe: Kapitel 1, C. III. 3. b). 791
C. Das Hauptverfahren
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wie der Unternehmensmitarbeiter Beweisanträge zu der Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters zu stellen. bb) Umgang mit der Einschränkung Obwohl schon lange eine Reform des Beweisantragsrechts für das einheitliche Verfahren gefordert wird,796 hat es der Gesetzgeber bislang versäumt, den Verweis in § 444 Abs. 2 S. 2 StPO auf § 430 StPO zu Gunsten des Unternehmens anzupassen. Die Literatur sieht daher die einzig verbleibende Lösung darin, die Einschränkung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO „durch sehr gewissenhafte Anwendung des § 244 Abs. 2 [StPO]“797 abzumildern.798 Dieser Ansatz ist angesichts der derzeitigen Verfahrensausgestaltung überzeugend. Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Blick für mögliche Lösungen vorschnell auf die Regelungen zur Beweisaufnahme in § 244 StPO beschränkt wurde. So könnte auch die Vorschrift des § 245 Abs. 2 StPO dem Unternehmen einen Weg eröffnen, um der Beschneidung des Beweisantragsrechts zu begegnen. Danach hätte das Gericht die Beweisaufnahme auf die von dem Unternehmen nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1, 220 StPO geladenen und erschienenen Zeugen und Sachverständigen sowie auf die sonstigen herbeigeschafften Beweismittel zu erstrecken, wenn das Unternehmen dies beantragen würde. Die Beweisanträge dürften nur aus den in § 245 Abs. 2 S. 2, 3 StPO genannten Gründen abgelehnt werden. Die Kommentarliteratur zu § 430 Abs. 2 StPO lehnt die Geltung des § 245 StPO jedoch teilweise ab.799 Ohne nähere Begründung wird festgehalten, dass das Gericht von der Verpflichtung nach § 245 StPO befreit sei, die Beweisaufnahme zur Schuld des Angeklagten auf präsente Beweismittel zu erstrecken.800 Für diese Ansicht streitet, dass es dem Einziehungsbeteiligten nach § 427 Abs. 1 StPO beziehungsweise dem Unternehmen nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 StPO anderenfalls möglich ist, die Einschränkung des § 430 Abs. 2 StPO durch das Beibringen präsenter Beweismittel zu umgehen. Denn selbst wenn gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO über die Beweisanträge des Unternehmens in Bezug auf nicht präsente Beweismittel lediglich im Rahmen des § 244 Abs. 2 StPO entschieden wird, könnte das Unternehmen die abgelehnten Anträge nach § 245 Abs. 2 StPO in Ver796 So etwa von: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 472; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 146; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 213. 797 Schmidt, Lehrkommentar Nachtragsband, § 444 StPO, Rn. 16. 798 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 213; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 472; vgl. auch: Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 223. 799 So etwa: LR StPO-Gössel, § 436 StPO a.F., Rn. 8; KK StPO-Schmidt, § 436 StPO a.F., Rn. 4; anders: BeckOK StPO-Temming, § 430 StPO, Rn. 2. Im Hinblick auf das Verfahren nach § 444 Abs. 1 und 2 StPO wird die Geltung des § 245 StPO in der Literatur hingegen nicht diskutiert. 800 LR StPO-Gössel, § 436 StPO a.F., Rn. 8; KK StPO-Schmidt, § 436 StPO a.F., Rn. 4.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
bindung mit der Präsentation der Beweismittel erneut stellen. Das Gericht wäre bei seiner Entscheidung über die Beweisanträge zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters dann an einen abschließenden Katalog von Ablehnungsgründen gebunden, während dies für die Beweisaufnahme nach § 244 StPO durch §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO gerade ausgeschlossen wird. Zu Gunsten der Anwendung von § 245 Abs. 2 StPO auf die Beweisanträge des Unternehmens zur Schuld des Unternehmensmitarbeiters ist allerdings anzuführen, dass sich der Wortlaut des §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO ausdrücklich nur auf die Regelungen in § 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 bis 6 StPO bezieht.801 Darüber hinaus wird die Einschränkung in § 430 Abs. 2 StPO mit den vermögensrechtlichen Interessen begründet, auf die es dem Einziehungsbeteiligten lediglich ankomme.802 Bereits in Bezug auf das Einziehungsverfahren wird argumentiert, dass dieser Zweck nicht zwingend für einen Ausschluss des § 245 Abs. 2 StPO spreche.803 Erst Recht gilt dies aber in dem Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße: Hier vermag das Abstellen auf die Interessenslage schon nicht den Ausschluss von § 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 bis 6 StPO zu erklären und bietet daher keine Grundlage für eine weitere Einschränkung des Beweisantragsrechts. Vielmehr gibt gerade der gegenüber dem Unternehmen erhobene Vorwurf Anlass dafür, in Einklang mit dem Wortlaut von §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO die Geltung von § 245 Abs. 2 StPO für Beweisanträge des Unternehmens zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters zuzulassen. So erhält das Unternehmen zumindest die Möglichkeit, mit eigenem Aufwand die auf die Schuld des Unternehmensmitarbeiters bezogenen Beweismittel herbeizuschaffen und durch das Stellen eines Beweisantrages die Beweisaufnahme auf diese – in den Grenzen des § 245 Abs. 2 S. 2 und 3 StPO – auszudehnen. 3. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im selbstständigen Verfahren Welche Mitwirkungsrechte dem Unternehmen im Rahmen des selbstständigen Hauptverfahrens zukommen, ist davon abhängig, ob das Verfahren als schriftliches oder mündliches Verfahren geführt wird. Bei dem schriftlichen Verfahren gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO handelt es sich um ein Hauptverfahren eigener Art, das mit den übrigen Verfahrensarten der StPO nicht zu vergleichen ist. Der Verweis in § 427 Abs. 1 StPO hilft im Falle des schriftlichen Verfahrens daher nicht weiter, während sich die Mitwirkungsrechte des Unternehmens in dem mündlich geführten Verfahren an dieser Vorschrift ausrichten. Die folgende Darstellung differenziert daher zwischen den beiden Verfahrensarten
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So auch: BeckOK StPO-Temming, § 430 StPO, Rn. 2. Begründung zu § 436 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 78. 803 BeckOK StPO-Temming, § 430 StPO, Rn. 2. 802
C. Das Hauptverfahren
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und greift die jeweiligen Besonderheiten der Verfahren im Hinblick auf die Mitwirkungsrechte auf. a) Schriftliches Verfahren Für das schriftliche Verfahren kann den §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO lediglich die Entscheidungsform des Gerichts und das zulässige Rechtsmittel entnommen werden. An weiteren Angaben zum Verfahrensablauf oder an Verweisen, wie etwa auf die Vorschriften des Individualverfahrens, fehlt es. Das Gericht verfährt daher nach den Grundsätzen des Freibeweises und ermittelt den Sachverhalt formlos nach pflichtgemäßem Ermessen.804 Über Beweisanträge der Verfahrensbeteiligten entscheidet es also unabhängig von den Ablehnungsgründen in § 244 Abs. 3 bis 5 StPO und dem Beschlusserfordernis nach § 244 Abs. 6 StPO.805 Die Einschränkung in §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 430 Abs. 2 StPO, die eine Geltung des § 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 bis 6 StPO für Beweisanträge des Unternehmens zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters ausschließt, erübrigt sich damit für das Unternehmen. Sofern das Gericht in seiner Entscheidung neue Tatsachen oder Beweisergebnisse zum Nachteil des Unternehmens verwerten will, zu denen das Unternehmen noch nicht gehört wurde, muss es dem Unternehmen gemäß § 33 Abs. 2 und 3 StPO Gelegenheit zur Äußerung geben.806 Durch die Zusendung der Antragsschrift zu Beginn des Zwischenverfahrens, der Mitteilung des Eröffnungsbeschlusses nach §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 429 Abs. 2 StPO sowie dem Recht zur Akteneinsicht gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, 147 StPO kann sich das Unternehmen angemessen auf seine Anhörung vorbereiten. Gleichwohl erschöpfen sich damit die Möglichkeiten für das Unternehmen, an dem schriftlichen Verfahren mitzuwirken und die Entscheidung des Gerichts zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO gilt zwar § 427 Abs. 1 StPO, doch findet ein vergleichbares Verfahren gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter nicht statt, so dass ein Rückgriff auf dessen Befugnisse scheitert. Im Gegensatz zu der starken Stellung im Zwischenverfahren kommt dem Unternehmen in dem schriftlichen Hauptverfahren somit nur eine schwache Verfahrensposition zu, die der drohenden Sanktion nach § 30 OWiG nicht gerecht wird.807 Das Unternehmen kann allerdings eigenständig eine Verbesserung herbeiführen, indem es die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 3 S. 1 StPO beantragt. Da in diesem Fall die Vor804 So in Bezug auf das selbstständige Einziehungsverfahren: LR StPO-Gössel, § 441 StPO a.F., Rn. 7 und § 440 StPO a.F., Rn. 46; BeckOK StPO-Temming, § 436 StPO, Rn. 3. 805 KK StPO-Krehl, § 244 StPO, Rn. 17; Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 StPO, Rn. 9. 806 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 222; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 481; LR StPO-Gössel, § 441 StPO a.F., Rn. 6. 807 Kritisch hierzu auch: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 481.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
schriften über die Hauptverhandlung gelten, stehen ihm über § 427 Abs. 1 StPO die Befugnisse eines Angeklagten zu. b) Mündliches Verfahren Das mündlich geführte Hauptverfahren richtet sich gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 3 S. 1 StPO nach den Vorschriften über die Hauptverhandlung und unterliegt somit den Grundsätzen der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit. Die Anwesenheit des Unternehmens in der Hauptverhandlung ist folglich entscheidend dafür, dass es seine Mitwirkungsrechte in vollem Umfang ausüben kann. Für das selbstständige Verfahren fehlt es an einer Regelung zur Anwesenheit, wie sie in § 444 Abs. 2 S. 1 StPO für das einheitliche Verfahren gegeben ist. Gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO gelten daher § 429 Abs. 1 StPO sowie § 430 Abs. 1 StPO. Danach erhält das Unternehmen durch eine Terminsnachricht Kenntnis von dem angesetzten Hauptverhandlungstermin. Sofern der Unternehmensvertreter trotz ordnungsgemäßer Terminsnachricht zu diesem Termin nicht erscheint, sich aus der Hauptverhandlung entfernt oder bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ausbleibt, kann diese ohne das Unternehmen stattfinden. Die Anforderungen an die Verhandlung in Abwesenheit des Unternehmens sind somit gering: Anders als etwa im einheitlichen Verfahren kommt es auf eine genügende Entschuldigung nicht an. Vielmehr kann ohne das Unternehmen verhandelt werden, wenn die Terminsnachricht ordnungsgemäß erfolgt ist und das Unternehmen bei der Hauptverhandlung unverschuldet nicht anwesend ist. Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 235 StPO ist dann gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 430 Abs. 1 S. 1 StPO ausgeschlossen. Einen gewissen Schutz erfährt das Unternehmen lediglich durch das in § 430 Abs. 1 StPO vorgesehene Ermessen: Das Gericht kann in Abwesenheit des Unternehmens verhandeln; es muss die Hauptverhandlung aber nicht durchführen.808 Bei der diesbezüglichen Abwägung sollte im Falle eines Ausbleibens nach § 430 Abs. 1 S. 1 StPO – in Anlehnung an das einheitliche Verfahren – beachtet werden, ob die Abwesenheit des Unternehmens genügend entschuldigt ist. In den Fällen des § 430 Abs. 1 S. 1 und 2 StPO ist außerdem Art. 103 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, welcher die Gewährung rechtlichen Gehörs erfordert. Sofern dieses nur durch einen neuen Hauptverhandlungstermin sichergestellt werden kann, reduziert sich das gerichtliche Ermessen dahingehend. Dem Gericht steht es aber frei, unter den Voraussetzungen des §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 427 Abs. 2 StPO das persönliche Erscheinen des Unternehmensvertreters sicherzustellen. Obwohl somit verschiedene Kriterien für die Ermessensentscheidung gegeben sind, sollte die Geltung des § 430 Abs. 1 StPO über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO zugunsten einer restriktiveren Regelung aufge808 Darüber hinaus hat das Unternehmen die Möglichkeit, sich durch einen nach §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 428 Abs. 1 StPO beauftragten Rechtsanwalt gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 234 StPO in der Hauptverhandlung verteidigen zu lassen.
C. Das Hauptverfahren
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hoben werden. Eine erste Verbesserung könnte dadurch erreicht werden, dass dem Unternehmen in dem selbstständigen Verfahren das gleiche Schutzniveau wie in dem einheitlichen Verfahren nach § 444 Abs. 2 S. 1 StPO gewährt wird.809 Ist das Unternehmen in der Hauptverhandlung anwesend, kann es gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1 StPO die Befugnisse ausüben, die einem Angeklagten zustehen. Dies umfasst – neben den Rechten aus § 240 Abs. 2 StPO, § 257 Abs. 1 StPO und § 258 StPO – unter anderem das Recht, Beweisanträge in der Hauptverhandlung zu stellen. Auch wenn sich das selbstständige Verfahren allein gegen das Unternehmen richtet, ist die durch den Unternehmensmitarbeiter begangene Anknüpfungstat als Voraussetzung von § 30 OWiG Gegenstand des Verfahrens. Mithin werden Feststellungen zur Schuld des Unternehmensmitarbeiters getroffen, obwohl es an einem Angeklagten fehlt. In dem selbstständigen Verfahren greift daher ebenfalls über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO die Einschränkung des § 430 Abs. 2 StPO, wonach § 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 bis 6 StPO auf die Beweisanträge des Unternehmens zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters keine Anwendung findet.810 Das Unternehmen hat allerdings die Möglichkeit, die entsprechenden Beweismittel über § 245 Abs. 2 StPO in das Verfahren einzubringen.811
4. Zusammenfassung Das einheitliche Hauptverfahren und das selbstständige Hauptverfahren sind, sofern das selbstständige Verfahren gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 3 StPO als mündliches Verfahren geführt wird, in ihrem Aufbau, etwaigen Mitwirkungsrechten des Unternehmens und diesbezüglichen Einschränkungen vergleichbar.812 Die Ähnlichkeit ist darauf zurückzuführen, dass sich beide Verfahren an den strafprozessualen Vorschriften des Individualverfahrens ausrichten und mit § 427 Abs. 1 StPO jeweils eine Regelung gilt, die dem beteiligten Unternehmen ab der Eröffnung des Hauptverfahrens die Befugnisse eines Ange809
Siehe: Kapitel 3, C. I. 2. a). Vgl. zur Geltung von § 430 Abs. 2 StPO im selbstständigen Einziehungsverfahren: LR StPO-Gössel, § 440 StPO a.F., Rn. 46; BeckOK StPO-Temming, § 436 StPO, Rn. 4. 811 Da sich keine Abweichungen zu dem Beweisantragsrecht des Unternehmens in dem einheitlichen Verfahren ergeben, kann auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden; siehe: Kapitel 3, C. I. 2. b). 812 Unterschiede bestehen im Hinblick auf die Vorschriften zur Anwesenheit des Unternehmens in der Hauptverhandlung: Während im einheitlichen Verfahren im Falle einer genügenden Entschuldigung nicht ohne das Unternehmen verhandelt werden kann, ist im selbstständigen Verfahren die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Unternehmens grundsätzlich auch bei unverschuldetem Ausbleiben möglich. In dem einheitlichen Verfahren fehlt es wiederum an einer Regelung für die Fälle, in denen sich der Unternehmensvertreter aus der Hauptverhandlung entfernt oder bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ausbleibt. Die Anwesenheitsvorschriften für das Unternehmen sollten daher neu geregelt werden. Vgl. hierzu insgesamt: Kapitel 3, C. I. 2. a) und Kapitel 3, C. I. 3. b). 810
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
klagten zugesteht. Das Unternehmen kann daher beispielsweise über §§ 240 Abs. 2, 257 Abs. 1 und 258 StPO aktiv an dem Hauptverfahren teilnehmen, wodurch ihm eine mit einem Angeklagten vergleichbare Verfahrensstellung zukommt. Ein wichtiges Mitwirkungsrecht stellt auch das Beweisantragsrecht dar, welches allerdings gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO im einheitlichen Verfahren beziehungsweise gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 430 Abs. 2 StPO im selbstständigen Verfahren zu Lasten des Unternehmens dergestalt eingeschränkt wird, dass das Gericht über die Beweisanträge zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters nach pflichtgemäßem Ermessen und ohne Gerichtsbeschluss entscheidet. Die Folgen dieser Regelung können nach geltendem Recht durch hohe Anforderungen an die gerichtliche Amtsaufklärungspflicht sowie § 245 Abs. 2 StPO abgemildert werden.813 Für die Einschränkung besteht jedoch kein sachlicher Grund, da die Schuld des Angeklagten Voraussetzung der Anknüpfungstat ist und somit entscheidend für die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße. De lege ferenda ist folglich eine Abkehr von § 430 Abs. 2 StPO erforderlich. Von den dargestellten Verfahrensarten abzugrenzen ist das selbstständige Verfahren, wenn es gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO schriftlich geführt wird. Das Verfahren ist eine Besonderheit in der StPO, weshalb es an Regelungen zu Mitwirkungsrechten fehlt, auf die sich das Unternehmen über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 427 Abs. 1 StPO berufen könnte. Die Einbeziehung des Unternehmens in das Verfahren beschränkt sich dementsprechend auf die Anhörung nach § 33 Abs. 2 und 3 StPO und das Recht, Beweisanträge zu stellen. Da die Beweisaufnahme jedoch nach den Grundsätzen des Freibeweisverfahrens erfolgt, entscheidet das Gericht über die Beweisanträge generell nach seinem pflichtgemäßen Ermessen.814 Das Verfahren weist damit zum einen schwache Mitwirkungsmöglichkeiten für das Unternehmen auf und ist zum anderen der Öffentlichkeit weitestgehend entzogen. An die Stelle des Beschlussverfahrens nach §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO sollte deshalb ein transparenteres Verfahren treten, das den rechtsstaatlichen Anforderungen an ein Sanktionsverfahren Rechnung trägt und dem Unternehmen umfassende Mitwirkungsrechte einräumt.
II. Regelungen für das Unternehmen bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters Knüpft das Verfahren gegen das Unternehmen an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters an, kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht, nach denen das Hauptverfahren durchgeführt werden kann. Je nach Verfahrenskonstellation finden unterschiedliche Vorschriften Anwendung. Die folgende Darstellung 813 814
Siehe insgesamt: Kapitel 3, C. I. 2. b). Siehe: Kapitel 3, C. I. 3. a).
C. Das Hauptverfahren
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unterscheidet zwischen den verschiedenen Verfahrenskonstellationen und gibt einen Überblick über die jeweiligen Mitwirkungsrechte des Unternehmens. Sofern sich im Hinblick auf einzelne Mitwirkungsrechte Besonderheiten, etwa durch die Bestimmungen des OWiG, ergeben, wird dies ausführlicher behandelt. 1. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im einheitlichen Verfahren Bei dem einheitlichen Hauptverfahren sind vier Verfahrenskonstellationen möglich, deren Anwendung von dem Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten abhängig ist. Entscheidend ist zunächst, wer gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegt. Gehen sowohl das Unternehmen als auch der Unternehmensmitarbeiter gegen den Bußgeldbescheid vor, richten sich die Regelungen für das Unternehmen weiterhin nach dem für den Unternehmensmitarbeiter geltenden Verfahrensrecht. Legt hingegen nur das Unternehmen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein, verliert das Verfahren seinen einheitlichen Charakter, da in dem anschließenden Hauptverfahren ausschließlich über die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße entschieden wird. Ferner kommt es darauf an, ob sich die Verfahrensbeteiligten für ein schriftlich oder mündlich geführtes Verfahren entscheiden. Es muss daher jeweils zwischen dem mündlichen und dem schriftlichen Verfahren nach einem zulässigen Einspruch von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen und zwischen dem schriftlichen und mündlichen Verfahren nach einem alleinigen Einspruch des Unternehmens differenziert werden.815 a) Verfahren nach zulässigem Einspruch von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen Legen der Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein, wird in der Regel ein mündliches Hauptverfahren geführt, das sich nach den §§ 71, 73 bis 78 OWiG richtet. Ergänzend gelten gemäß § 71 Abs. 1 OWiG und § 46 Abs. 1 OWiG die strafprozessualen Vorschriften der § 411 Abs. 1, 3 und 4 StPO, §§ 212 ff. StPO und §§ 226 ff. StPO, über die dem Unternehmensmitarbeiter wie auch dem Unternehmen weitreichende Mitwirkungsrechte zukommen. Bei einem Rückgriff auf die Vorschriften der StPO ergeben sich für das Unternehmen allerdings vorrangige Regelungen aus § 444 Abs. 1 und 2 StPO. Im Falle eines schriftlichen Verfahrens ist der Ablauf des Verfahrens hingegen in § 72 OWiG geregelt und wird nur durch wenige Vorschriften der StPO ergänzt. Für das Unternehmen bestehen im Rahmen des Beschlussverfahrens daher nur geringe Möglichkeiten, sich in das Verfahren einzubringen.
815 Eine Herleitung der anwendbaren Vorschriften sowie eine Darstellung des jeweiligen Verfahrensablaufs erfolgt in Kapitel 2; siehe: Kapitel 2, B. III. 3.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
aa) Mündliches Verfahren In dem mündlich geführten Hauptverfahren ergeben sich die Vorschriften für die Ladung und Anwesenheit des Unternehmens aus § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 444 Abs. 2 S. 1 StPO und §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 2 und 429 Abs. 3 Nr. 1 StPO.816 Das Unternehmen hat viele Möglichkeiten, an dem anschließenden Verfahren mitzuwirken. Dies ist darauf zurückzuführen, dass ihm gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG die Befugnisse eines Betroffenen zukommen und der Betroffene sich wiederum gemäß § 46 Abs. 1 OWiG auf die strafprozessualen Mitwirkungsrechte eines Angeklagten berufen kann. Dem Unternehmen steht es demnach beispielsweise frei, Fragen an die Zeugen und Sachverständigen nach § 240 Abs. 2 StPO zu stellen oder sich nach der Worterteilung gemäß § 258 StPO zu äußern.817 Die für das Unternehmen wesentlichen Regelungen sind somit in der StPO normiert. Doch auch das OWiG enthält einige Vorschriften, die für die Mitwirkung des Unternehmens von Bedeutung sind. Hierzu zählt die Anhörung des Unternehmens gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 71 Abs. 2 S. 2 OWiG sowie § 77 OWiG, der die Ablehnung von Beweisanträgen des Unternehmens betrifft. Beide Regelungen werden daher im Folgenden näher untersucht. (1) Anhörung Gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 71 Abs. 2 S. 2 OWiG kann das Gericht dem Unternehmen Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern, ob und welche Tatsachen und Beweismittel es in dem weiteren Verfahren zu seiner Entlastung vorbringen will. Die Vorschrift entspricht der Regelung in § 69 Abs. 2 S. 3 Hs. 1 OWiG, die der Verwaltungsbehörde die Möglichkeit gibt, das Unternehmen im Zwischenverfahren anzuhören. Beide Normen sehen ein Ermessen im Hinblick auf die Anhörung des Unternehmens vor, doch reduziert sich dieses im Zwischenverfahren auf eine Pflicht zur Anhörung, wenn eine solche für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde nach § 69 Abs. 2 S. 1 OWiG erforderlich ist.818 Im Falle des § 71 Abs. 2 S. 2 OWiG kommt eine entsprechende Ermessenseinschränkung hingegen nicht in Betracht. Zwar gebietet der Grundsatz rechtlichen Gehörs die Anhörung des Unternehmens vor der Festsetzung der Unternehmensgeldbuße durch das Gericht. Doch ergeht die gerichtliche Entscheidung erst nach der Hauptverhandlung, so dass das Unternehmen noch in deren Verlauf Gelegenheit zur Äußerung hat. Auch bei Vorliegen neuer Erkenntnisse nach § 71 Abs. 2 S. 1 OWiG muss eine Anhörung des Unternehmens
816 Siehe zur Anwendbarkeit der Vorschriften: Kapitel 2, B. III. 3. a) bb) (1). Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Regelung des § 444 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 StPO zur Anwesenheit des Unternehmens erfolgt hingegen in Kapitel 3; vgl. Kapitel 3, C. I. 2. a). 817 Vgl. zu den strafprozessualen Vorschriften über die Hauptverhandlung, die in dem Verfahren nach dem OWiG nicht sinngemäß anzuwenden sind: KK OWiG-Lampe, § 46 OWiG, Rn. 55. 818 Siehe: Kapitel 3, B. III. 2.
C. Das Hauptverfahren
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somit nicht unmittelbar erfolgen.819 Gleichwohl bietet sich eine Anhörung in diesem Fall ebenso an, wie etwa bei einer fehlenden Einspruchsbegründung.820 Entscheidet sich das Gericht dafür, dem Unternehmen zur Vorbereitung der Hauptverhandlung die Möglichkeit zur Äußerung nach §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 71 Abs. 2 S. 2 OWiG einzuräumen, muss es das Unternehmen gemäß § 71 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 OWiG in Verbindung mit § 69 Abs. 2 S. 3 Hs. 2 OWiG darauf hinweisen, dass es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu äußern oder nicht zu der Sache auszusagen. Bei der diesbezüglichen Entscheidung sollte das Unternehmen auch die Vorschrift in § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG zur Ablehnung von Beweisanträgen berücksichtigen.821 (2) Beweisantragsrecht Dem Unternehmen kommt – wie dem Unternehmensmitarbeiter – das Recht zu, in der Hauptverhandlung Beweisanträge zu stellen. Inwieweit das Gericht die Beweisanträge in die Beweisaufnahme einzubeziehen und im Falle einer Ablehnung zu bescheiden hat, ist in § 77 Abs. 2 und 3 OWiG geregelt. Die beiden Absätze sowie § 77 Abs. 1 OWiG, der den Grundsatz der Amtsaufklärung für das Bußgeldverfahren statuiert, gelten als allgemeine Verfahrensregelungen für den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen gleichermaßen.822 § 77 Abs. 2 OWiG nennt für die Ablehnung von Beweisanträgen zwei Gründe: Gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann das Gericht einen Beweisantrag ablehnen, wenn der Sachverhalt nach seiner Überzeugung aufgrund dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme geklärt und die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht mehr erforderlich ist. Eine Ablehnung ist gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG auch dann möglich, wenn der Beweisantrag ohne verständigen Grund so spät gestellt wird, dass die Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen würde. Darüber hinaus gelten ergänzend die Ablehnungsgründe der StPO,823 wobei für das Unternehmen über § 46 Abs. 1 OWiG vorrangig auf die Vorschriften in § 444 Abs. 1 und 2 StPO zurückgegriffen werden muss. Demnach findet gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO auf die Beweisanträge des Unternehmens zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters § 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 und 5 StPO keine Anwendung. Die übrigen Beweisanträge 819
Für das Gericht folgt aus dem Grundsatz rechtlichen Gehörs allerdings die Pflicht, den Verfahrensbeteiligten die nach § 71 Abs. 2 S. 1 OWiG gewonnenen Erkenntnisse mitzuteilen; vgl. KK OWiG-Senge, § 71 OWiG, Rn. 33. 820 BeckOK OWiG-Hettenbach, § 71 OWiG, Rn. 36. 821 Vgl. die Begründung zu § 71 OWiG (Nummer 10) des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze, BT-Drs. 10/2652, S. 19. 822 Siehe: Kapitel 2, B. III. 3. a) bb) (1). 823 Im Einzelnen findet § 244 Abs. 3, 4 S. 1 und Abs. 5 S. 1 StPO Anwendung; vgl. BeckOK OWiG-Hettenbach, § 77 OWiG, Rn. 13; KK OWiG-Senge, § 77 OWiG, Rn. 25.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
können hingegen, ebenso wie bei dem Unternehmensmitarbeiter, nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 244 Abs. 3, 4 S. 1 und Abs. 5 S. 1 StPO abgelehnt werden. Im Bußgeldverfahren unterliegt das Unternehmen folglich ebenfalls der einschränkenden Regelung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO. Im Rahmen des Strafverfahrens kann die Wirkung der Vorschrift abgemildert werden, indem das Unternehmen die Beweismittel zur Schuld des Unternehmensmitarbeiters gemäß § 245 Abs. 2 StPO in die Hauptverhandlung einführt.824 Für das Verfahren nach dem OWiG greift diese Lösung indes nicht, da das Gericht auch im Hinblick auf präsente Beweismittel gemäß § 77 Abs. 1 OWiG den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt.825 Für das Bußgeldverfahren muss allerdings berücksichtigt werden, dass mit § 77 Abs. 2 OWiG eine Vorschrift gegeben ist, die dem Gericht in weitem Umfang die Ablehnung gestellter Beweisanträge ermöglicht. Den in § 244 StPO genannten Ablehnungsgründen kommt daher nur eine geringe Bedeutung zu.826 Die praktischen Auswirkungen, die sich aus der fehlenden Geltung des § 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 und 5 StPO für das Unternehmen ergeben, halten sich somit in Grenzen.827 Anders ist dies im Hinblick auf § 244 Abs. 6 StPO, der gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO bei Beweisanträgen des Unternehmens zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters ebenfalls keine Anwendung findet.828 Der Ausschluss der Vorschrift hat zur Folge, dass die Ablehnung eines entsprechenden Beweisantrages keines Gerichtsbeschlusses bedarf. In der Literatur wird im Hinblick auf die Regelung des § 77 Abs. 3 OWiG allerdings teilweise vertreten, dass § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO in Bezug auf die Vorschrift des § 244 Abs. 6 S. 1 StPO nicht gelten.829 Gegen diese Ansicht spricht jedoch die dem OWiG zugrunde liegende 824 Vgl. zu der Geltung der §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO im einheitlichen Strafverfahren, der diesbezüglichen Kritik und möglichen Lösungen: Kapitel 3, C. I. 2. b). 825 OLG Hamm, Beschluss vom 10. 09. 1992 – 3 Ss OWi 853/92, Juris, Rn. 8; ebenso: Göhler, § 77 OWiG, Rn. 27; KK OWiG-Senge, § 77 OWiG, Rn. 12; Bohnert, § 77 OWiG, Rn. 7. 826 BeckOK OWiG-Hettenbach, § 77 OWiG, Rn. 13; KK OWiG-Senge, § 77 OWiG, Rn. 13. 827 So auch die überwiegende Ansicht in der Literatur, die der Einschränkung des § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO im Hinblick auf die Ablehnung von Beweisanträgen keine beziehungsweise kaum praktische Bedeutung zuspricht; vgl. Göhler, § 88 OWiG, Rn. 10 in Verbindung mit § 87 OWiG, Rn. 28; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 240; KK OWiG-Mitsch, § 88 OWiG, Rn. 14 in Verbindung mit § 87 OWiG, Rn. 55. 828 So auch: NK OWiG-Schulz, § 87 OWiG, Rn. 16; KK OWiG-Mitsch, § 88 OWiG, Rn. 14 in Verbindung mit § 87 OWiG, Rn. 55. 829 KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 240; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 485. Gürtler erkennt hingegen an, dass die §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO Anwendung finden und § 244 Abs. 6 StPO ausschließen. Er ignoriert den Verweis jedoch, da nach seiner Auffassung nicht einzusehen ist, „warum bei der Festsetzung einer Geldbuße gegen eine [juristische Person oder Personenvereinigung] für das Beweisrecht geringere An-
C. Das Hauptverfahren
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Systematik: § 77 Abs. 3 OWiG sieht vor, dass im Falle der Ablehnung eines Beweisantrages nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG in dem Gerichtsbeschluss eine verkürzte Ablehnungsbegründung erfolgen kann. Sie enthält damit kein generelles Beschlusserfordernis für den Fall der Ablehnung eines Beweisantrages, sondern stellt lediglich für die Ablehnung nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG geringere Anforderungen an die Begründung des Beschlusses. Auch sonst fehlt es im OWiG an einer Regelung, die das Gericht verpflichtet, Beweisanträge durch einen Gerichtsbeschluss abzulehnen. Über § 46 Abs. 1 OWiG muss deshalb auf § 244 Abs. 6 S. 1 StPO zurückgegriffen werden.830 Erst aus dieser Vorschrift folgt die grundsätzliche Pflicht, die Ablehnung eines Beweisantrages durch einen Gerichtsbeschluss zu bescheiden.831 Für das Unternehmen führt der Rückgriff auf die Vorschriften der StPO wiederum vorrangig zu den Regelungen in § 444 Abs. 1 und 2 StPO, mit der Folge, dass die Ablehnung von Beweisanträgen zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO keines Gerichtsbeschlusses bedarf. Mangels eines Beschlusses kann in diesen Fällen die modifizierende Regelung des § 77 Abs. 3 OWiG ebenfalls nicht greifen. Bei Beweisanträgen, die sich nicht auf die Schuld des Unternehmensmitarbeiters beziehen, ist hingegen gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 244 Abs. 6 S. 1 StPO ein Gerichtsbeschluss erforderlich, dessen Begründung nur in den Fällen einer Ablehnung nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG im Sinne des § 77 Abs. 3 OWiG beschränkt werden kann. Entsprechendes sollte de lege ferenda auch für die Beweisanträge des Unternehmens zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters gelten, damit das Unternehmen und der Unternehmensmitarbeiter im Hinblick auf das Beweisantragsrecht den gleichen Anforderungen unterliegen. bb) Schriftliches Verfahren Das schriftliche Verfahren findet gemäß § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG statt, wenn das Gericht eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält und der Unternehmensmitarbeiter, das Unternehmen und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen. Zur Klärung der Frage, ob die Durchführung der Hauptverhandlung erforderlich ist, kann das Gericht auf die Regelungen in § 71 Abs. 2 OWiG zuforderungen gelten sollten als bei der Festsetzung einer sonstigen Geldbuße“; vgl. Göhler, § 88 OWiG, Rn. 10. 830 Die Rechtsprechung ging schon vor der Einführung von § 77 Abs. 2 und 3 OWiG von der Geltung des § 244 Abs. 6 StPO (teilweise in Verbindung mit § 71 OWiG) im Bußgeldverfahren aus; vgl. nur: BayObLG, in: NStZ 1986, 467, ebd.; BayObLG, Beschluss vom 06. 02. 1970 – 2a Ws (B) 116/69, Juris, Rn. 2 f. Nach dem Willen des Gesetzgebers änderte die neue Regelung in § 77 Abs. 3 OWiG hieran nichts; vgl. die Begründung zu § 77 OWiG (Nummer 13) des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze, BT-Drs. 10/2652, S. 23. 831 Anders ist die Systematik bei § 77 Abs. 2 OWiG. Die Vorschrift normiert zwei eigenständige Ablehnungsgründe, die vorrangig vor den in der StPO genannten Ablehnungsgründen sind. § 244 StPO ergänzt in diesem Fall nur die Regelung im OWiG.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
rückgreifen.832 Neben der Anordnung weiterer Beweiserhebungen und der Einholung behördlicher Erklärungen steht es ihm danach frei, dem Unternehmen Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Bereits vor dem Beginn des Beschlussverfahrens ist somit eine Anhörung des Unternehmens möglich. § 71 Abs. 2 S. 2 OWiG begründet allerdings kein Recht, angehört zu werden; vielmehr reicht es aus, wenn dem Unternehmen im Laufe des Hauptverfahrens rechtliches Gehör gewährt wird.833 Entscheidet sich das Gericht für die Durchführung des schriftlichen Verfahrens, muss es das Unternehmen, den Unternehmensmitarbeiter und die Staatsanwaltschaft gemäß § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG auf die Möglichkeit des schriftlichen Verfahrens und des Widerspruchs hinweisen und ihnen Gelegenheit geben, sich innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Hinweises zu äußern. Ob sich das Äußerungsrecht nach § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG nur auf die Geltendmachung des Widerspruchs bezieht oder auch ein Anhörungsrecht im Sinne des § 33 Abs. 2 und 3 StPO beinhaltet, wird in der Literatur nicht einheitlich beantwortet.834 Bei Einführung der Fristenregelung in § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG hat der Gesetzgeber allerdings zu erkennen gegeben, dass sich die Äußerungsmöglichkeit nach seiner Auffassung nur auf den Widerspruch gegen das schriftliche Verfahren bezieht.835 Die Pflicht zur Anhörung des Unternehmens ergibt sich folglich aus § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 33 Abs. 2 und 3 StPO. Das Unternehmen ist dementsprechend zu hören, wenn das Gericht in seinem Beschluss Tatsachen oder Beweisergebnisse zum Nachteil des Unternehmens verwerten will, zu denen dieses noch nicht gehört wurde. Hat sich das Unternehmen also bereits vor der Verwaltungsbehörde oder der Staatsanwaltschaft geäußert oder wurde es gemäß § 71 Abs. 2 S. 2 StPO vor dem Beginn des schriftlichen Verfahrens angehört, ist die erneute Anhörung nicht erforderlich, sofern sich keine neuen Tatsachen oder Beweisergebnisse ergeben haben. Liegen solche allerdings vor, muss die Anhörung wiederholt werden. Dies gilt auch dann, wenn das Gericht im Laufe des schriftlichen Verfahrens weitere Beweise erhebt und seine Entscheidung auf diese stützen will. In diesem Fall gebietet es der Grundsatz des fairen Verfahrens, das Unternehmen erneut auf das Widerspruchsrecht hinzuweisen und ihm im Sinne des § 72 Abs. 1 S. 2 StPO eine Frist von zwei Wochen einzuräumen.836 Ferner muss die Anhörung nach § 46 832
Vgl. KK OWiG-Senge, § 72 OWiG, Rn. 5. Vgl. hierzu: Kapitel 3, C. II. 1. a) aa) (1). 834 Von einer Beschränkung des § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG auf die Möglichkeit des Widerspruchs gehen Seitz und Bauer aus; vgl. Göhler, § 72 OWiG, Rn. 47. Senge nimmt hingegen an, dass § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG das gemäß § 33 Abs. 2 und 3 StPO zu gewährende rechtliche Gehör sichert; vgl. KK OWiG-Senge, § 72 OWiG, Rn. 54; ebenso: BeckOK OWiG-Hettenbach, § 72 OWiG, Rn. 14. 835 Vgl. die Begründung zu § 72 OWiG (Nummer 11) des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze, BT-Drs. 10/2652, S. 19 f. 836 Göhler, § 72 OWiG, Rn. 26; Bohnert, § 72 OWiG, Rn. 32; KK OWiG-Senge, § 72 OWiG, Rn. 43; BeckOK OWiG-Hettenbach, § 72 OWiG, Rn. 2, 9 und 32. Vgl. zu der erneuten Hinweispflicht auch: BayObLG, in: VRS 61 (1981), 220, 222; OLG Köln, in: VRS 57 (1979), 437, ebd.; OLG Celle, in: VRS 52 (1976), 136, 137. 833
C. Das Hauptverfahren
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Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 33 Abs. 2 und 3 StPO nochmals durchgeführt werden.837 In dem schriftlich geführten Beschlussverfahren nach § 72 OWiG beschränken sich die Mitwirkungsrechte des Unternehmens folglich auf das Recht, unter den Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 33 StPO angehört zu werden. Zwar hat das Unternehmen die Möglichkeit, das Gericht durch Beweisanträge zu der Erhebung bestimmter Beweise zu veranlassen. Doch wird die Beweisaufnahme nach den Grundsätzen des Freibeweises durchgeführt,838 so dass das Gericht unabhängig von den Ablehnungsgründen des OWiG und der StPO entscheidet.839 Die Beweisanträge des Unternehmens werden folglich nur nach § 77 Abs. 1 OWiG im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht berücksichtigt.840 Das Unternehmen muss daher gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 72 Abs. 1 OWiG Widerspruch gegen das schriftliche Verfahren einlegen, wenn es eine stärkere Einbeziehung in das Verfahren will. Unabhängig von dem Widerspruchsrecht wird ein Beschlussverfahren allerdings ohnehin nur selten in Betracht kommen, da die gegen Unternehmen geführten Verfahren wegen ihrer Komplexität regelmäßig eine Hauptverhandlung erfordern.841 b) Verfahren nach alleinigem Einspruch durch das Unternehmen Bei einem alleinigen Einspruch des Unternehmens gegen den Bußgeldbescheid richtet sich das Hauptverfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO. Es wird daher im Grundsatz ein schriftliches Verfahren nach § 434 Abs. 2 StPO geführt und nur ausnahmsweise gemäß § 434 Abs. 3 S. 1 StPO aufgrund einer mündlichen Verhandlung durch Urteil entschieden. Die Besonderheit der Verfahren liegt darin, dass neben § 434 Abs. 2 und 3 StPO keine weiteren Vorschriften des Einziehungsverfahrens über § 444 Abs. 2 StPO Anwendung finden.842
837 Göhler, § 72 OWiG, Rn. 47a; Bohnert, § 72 OWiG, Rn. 3; OLG Köln, in: VRS 57 (1979), 437, ebd.; OLG Celle, in: VRS 52 (1976), 136, 137; vgl. auch: KK OWiG-Senge, § 72 OWiG, Rn. 5, der nunmehr auf die „sich aus § 33 Abs. 3 StPO ergebende Verpflichtung“ abstellt. 838 Bohnert, § 72 OWiG, Rn. 29. 839 Vgl. KK OWiG-Senge, § 77 OWiG, Rn. 2. 840 Die sich aus § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO ergebende Einschränkung für die Beweisanträge des Unternehmens zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters ist in dem Beschlussverfahren nach § 72 OWiG somit gegenstandslos. 841 So sollen durch das schriftliche Verfahren Fälle entschieden werden, in denen der Sachverhalt einfach gelagert ist und die gerichtliche Entscheidung daher ohne umfangreiche Beweisaufnahme ergehen kann; vgl. KK OWiG-Senge, § 72 OWiG, Rn. 4. 842 Siehe: Kapitel 2, B. III. 3. b) aa).
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
aa) Schriftliches Verfahren Im Hinblick auf das schriftliche Verfahren wirkt sich die fehlende Geltung der übrigen, in § 444 Abs. 2 S. 2 StPO genannten Normen kaum aus. So wird das Verfahren als Freibeweisverfahren geführt, weshalb die Einschränkung in § 430 Abs. 2 StPO für die Beweisanträge des Unternehmens zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters ohnehin nicht gelten würde. Auch die Regelung in § 427 Abs. 1 StPO würde nicht greifen, da es in der StPO an einem vergleichbaren Hauptverfahren gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter fehlt und mithin an übertragbaren Befugnissen.843 Lediglich der Wegfall von § 428 StPO, auf den sich das Unternehmen gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 444 Abs. 2 S. 2 StPO sowohl im Ermittlungs- als auch im Zwischenverfahren nach dem OWiG berufen kann, ruft auf den ersten Blick Bedenken hervor. Es muss aber berücksichtigt werden, dass das Recht auf Verteidigung durch den fair-trial-Grundsatz garantiert wird und dem Unternehmen daher unabhängig von einfachgesetzlichen Ausprägungen zusteht.844 Das Unternehmen kann sich daher auch im schriftlich geführten Hauptverfahren uneingeschränkt durch einen Rechtsanwalt verteidigen lassen und die damit verbundenen Rechte in Anspruch nehmen. Im Übrigen beschränkt sich seine Einbeziehung in das Verfahren auf die Anhörung nach § 33 Abs. 2 und 3 StPO, die durchzuführen ist, wenn das Gericht in seiner Entscheidung Tatsachen oder Beweisergebnisse verwerten will, zu denen das Unternehmen noch nicht gehört wurde. Dem Unternehmen kommen in dem schriftlichen Hauptverfahren somit nur wenige Mitwirkungsrechte zu. Um eine stärkere Verfahrensposition zu erreichen, bleibt ihm lediglich der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StPO. bb) Mündliches Verfahren Wird über die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 3 S. 1 StPO aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil entschieden, gelten gemäß § 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO die Vorschriften über die Hauptverhandlung entsprechend. Hier wirkt sich nun aus, dass sich das Hauptverfahren ausschließlich nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 und 3 StPO richtet. Da die Vorschrift des § 427 Abs. 1 StPO, über die sich das Unternehmen auf die Befugnisse eines Angeklagten berufen kann, keine Anwendung findet, leiten sich die Mitwirkungsrechte des Unternehmens unmittelbar aus den entsprechend geltenden Vorschriften des Individualverfahrens ab. So kann das Unternehmen gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 843
Siehe in Bezug auf § 427 Abs. 1 StPO und § 430 Abs. 2 StPO auch die Ausführungen zum selbstständigen Hauptverfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters: Kapitel 3, C. I. 3. a). 844 Vgl. Fn. 649.
C. Das Hauptverfahren
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Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 2, 219 StPO die Ladung von Zeugen oder Sachverständigen oder die Herbeischaffung anderer Beweismittel zur Hauptverhandlung beantragen und dadurch Einfluss auf die im Rahmen der Hauptverhandlung durchzuführende Beweisaufnahme nehmen. Ferner steht es ihm beispielsweise frei, sich gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 2, 243 Abs. 5 StPO vor dem Beginn der Beweisaufnahme zu äußern, das Fragerecht des § 240 Abs. 2 StPO auszuüben oder gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 2, 258 Abs. 2 StPO das letzte Wort in der Hauptverhandlung zu sprechen. Auch die Beweisanträge des Unternehmens zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters haben eine größere Bedeutung, da die Einschränkung des § 430 Abs. 2 StPO nicht gilt und die Beweisanträge daher nur aus den in § 244 Abs. 3 bis 5 StPO genannten Gründen durch einen Gerichtsbeschluss gemäß § 244 Abs. 6 StPO abgelehnt werden können. Dem Unternehmen kommen in dem mündlich geführten Hauptverfahren somit umfassende Mitwirkungsrechte zu, die es allein oder mit Hilfe seines Verteidigers wahrnehmen kann.845 2. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im selbstständigen Verfahren Wird das Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters als selbstständiges Verfahren gegen das Unternehmen geführt, gelten für das Hauptverfahren gemäß § 46 Abs. 1 OWiG die Vorschriften in §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 und 3 StPO. Wie auch bei dem einheitlichen Bußgeldverfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens beschränkt sich der Verweis auf die genannten Vorschriften; die weiteren Regelungen zum Einziehungsverfahren finden damit keine Anwendung.846 Es wird folglich ein schriftliches Verfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO geführt, bei dem sich das Unternehmen maßgeblich durch seine Anhörung nach § 33 Abs. 2 und 3 StPO in das Verfahren einbringen kann. Auf Antrag des Unternehmens oder der Staatsanwaltschaft beziehungsweise nach einer Anordnung durch das Gericht ist auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung möglich. In diesem Fall gelten gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO die Vorschriften über die Hauptverhandlung entsprechend, wodurch sich das Unternehmen uneingeschränkt auf die Rechte berufen kann, die einem Angeklagten in der Hauptverhandlung zukommen.847 845 Wie auch in dem schriftlichen Verfahren gebietet es das Recht auf Verteidigung als Ausfluss des fair-trial-Grundsatzes, dem Unternehmen in dem mündlichen Verfahren die Verteidigung durch einen Rechtsanwalt zu gestatten; siehe hierzu: Kapitel 3, C. II. 1. b) aa). 846 Siehe: Kapitel 2, B. IV. 3. 847 Da das selbstständige Hauptverfahren dem Hauptverfahren entspricht, welches nach der Festsetzung einer Geldbuße gegen den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen infolge
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
3. Zusammenfassung Dem Unternehmen kommen in den mündlich geführten Hauptverfahren umfangreichere Mitwirkungsrechte zu als in den schriftlichen Beschlussverfahren. So kann sich das Unternehmen in dem einheitlichen Hauptverfahren nach einem Einspruch von Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG auf die Befugnisse eines Betroffenen berufen, für den wiederum über § 46 Abs. 1 OWiG die strafprozessualen Mitwirkungsrechte eines Angeklagten gelten. Besondere Regelungen ergeben sich lediglich aus den §§ 77 ff. OWiG, die Vereinfachungen für die Beweisaufnahme vorsehen. Aus den Vorschriften folgt unter anderem, dass die Beweisanträge des Unternehmens den weiten Ablehnungsgründen in § 77 Abs. 2 OWiG unterliegen und im Falle einer Ablehnung nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG nur einer verkürzten Ablehnungsbegründung gemäß § 77 Abs. 3 OWiG bedürfen. Durch die Regelung des § 77 Abs. 2 OWiG verlieren allerdings die Ablehnungsgründe in § 244 Abs. 3 bis 5 StPO an Bedeutung, wodurch die Einschränkung des § 430 Abs. 2 StPO, die auch im Bußgeldverfahren gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2 StPO für die Beweisanträge des Unternehmens zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters gilt, entschärft wird.848 Das einheitliche Hauptverfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens sowie das selbstständige Hauptverfahren richten sich hingegen ausschließlich nach § 434 Abs. 3 S. 1 StPO und infolgedessen nach den strafprozessualen Vorschriften über die Hauptverhandlung.849 Das Unternehmen kann sich in diesen Fällen unmittelbar auf die Mitwirkungsrechte eines Angeklagten berufen und hat damit eine noch stärkere Verfahrensposition inne als in dem einheitlichen Verfahren nach einem Einspruch von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen. In dem Beschlussverfahren nach § 72 OWiG beschränken sich die Mitwirkungsrechte des Unternehmens hingegen auf das Beweisantragsrecht und das Recht, unter den Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 33 Abs. 2 und 3 StPO angehört zu werden.850 Die Beweisanträge werden von dem Gericht jedoch nur im des alleinigen Einspruchs des Unternehmens geführt wird, kann auf das diesbezüglich zum schriftlichen und mündlichen Verfahren Gesagte verwiesen werden; siehe: Kapitel 3, C. II. 1. b) aa) und bb). Abweichungen ergeben sich auch nicht im Falle eines getrennt geführten Verfahrens. 848 Im Hinblick auf das Beschlusserfordernis nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 244 Abs. 6 StPO bleibt es aber dabei, dass das Unternehmen durch die Geltung von § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO im Vergleich zu dem Unternehmensmitarbeiter schlechter gestellt wird. 849 Das einheitliche Hauptverfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens wird gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 3 S. 1 StPO geführt, während im selbstständigen Hauptverfahren § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 3 S. 1 StPO gelten. 850 Eine weitere Möglichkeit zur Äußerung besteht vor Beginn des schriftlichen Verfahrens gemäß § 71 Abs. 2 S. 2 OWiG, doch ist das Gericht nicht verpflichtet, eine Anhörung vorzunehmen. Dies gilt auch für das mündlich geführte Verfahren nach dem Einspruch von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen; siehe: Kapitel 3, C. II. 1. a) aa) (1) und bb).
D. Das Rechtsmittelverfahren
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Rahmen des Amtsaufklärungsgrundsatzes berücksichtigt.851 Gleiches gilt im Falle des schriftlichen Hauptverfahrens gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 StPO nach alleinigem Einspruch des Unternehmens gegen den Bußgeldbescheid und im selbstständigen Hauptverfahren, das sich grundsätzlich ebenfalls gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO nach § 434 Abs. 2 StPO richtet. Das Unternehmen kann seine Verfahrensposition allerdings verbessern, indem es der Durchführung eines schriftlichen Verfahrens gemäß § 72 Abs. 1 OWiG widerspricht beziehungsweise die Entscheidung durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung gemäß § 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StPO beantragt. Gleichwohl sollte angesichts der Sanktionswirkung des § 30 OWiG de lege ferenda grundsätzlich auf die Durchführung eines schriftlichen Verfahrens verzichtet werden.
D. Das Rechtsmittelverfahren I. Rechtslage bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters Das Unternehmen kann das im einheitlichen Verfahren ergangene Urteil mit der Berufung und der Revision anfechten. Das anschließende Rechtsmittelverfahren richtet sich unabhängig davon, ob das Unternehmen und der Unternehmensmitarbeiter gegen das Urteil vorgehen oder ob nur das Unternehmen Rechtsmittel eingelegt hat, nach den jeweiligen individualstrafrechtlichen Vorschriften zum Berufungs- beziehungsweise Revisionsverfahren. Für das Unternehmen finden darüber hinaus bestimmte Regelungen und Verweise des § 444 Abs. 2 StPO Anwendung, was insbesondere die auf das Rechtsmittelverfahren zugeschnittene Vorschrift des §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 bis 3 StPO umfasst.852 Auch im selbstständigen Verfahren stehen dem Unternehmen die Rechtsmittel der Berufung und Revision zur Verfügung, sofern die erstinstanzliche Entscheidung durch Urteil ergangen ist. Hat das Gericht hingegen durch Beschluss entschieden, ist die sofortige Beschwerde gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO statthaft. Die Verfahren richten sich nach den jeweiligen individualstrafrechtlichen Regelungen in §§ 311, 304 ff. StPO, §§ 312 ff. StPO sowie §§ 333 ff. StPO und werden über §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO durch verschiedene Normen des Einziehungsverfahrens ergänzt.853 1. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im einheitlichen Verfahren Die Mitwirkungsrechte des Unternehmens hängen davon ab, ob es mit dem Rechtsmittel der Berufung oder der Revision gegen das Urteil vorgeht. Da es sich bei 851 852 853
Siehe: Kapitel 3, C. II. 1. a) bb). Siehe: Kapitel 2, B. I. 4. a) und b). Siehe: Kapitel 2, B. II. 4.
230
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
der Berufung um eine zweite Tatsacheninstanz handelt, in der eine neue Hauptverhandlung durchgeführt wird, kommen dem Unternehmen im Berufungsverfahren umfangreichere Möglichkeiten zur Mitwirkung zu als im Revisionsverfahren, das lediglich auf eine Überprüfung des Urteils im Hinblick auf Rechtsverletzungen ausgerichtet ist. In beiden Verfahren gilt allerdings die unternehmensspezifische Vorschrift zum Rechtsmittelverfahren in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 StPO. Diese schränkt den gerichtlichen Prüfungsumfang zum Nachteil des Unternehmens ein und verkürzt damit dessen Mitwirkungsrechte auf den verbleibenden Prüfungsumfang. Die folgende Darstellung konzentriert sich daher insbesondere auf die Regelungen des §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 bis 3 StPO und deren Auswirkungen auf das Verfahren. a) Berufung Legt das Unternehmen gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung ein, ergeben sich die Mitwirkungsrechte des Unternehmens zum einen unmittelbar aus den Vorschriften zum Berufungsverfahren. So wird es vor dem Beginn der Beweisaufnahme gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 324 Abs. 2 StPO vernommen. Nach dem Schluss der Beweisaufnahme erfolgt gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 326 StPO eine Anhörung des Unternehmens zu seinen Ausführungen und Anträgen, bevor ihm schließlich das letzte Wort gewährt wird. Zum anderen wird das Unternehmen über die Vorschriften zur Vorbereitung und Durchführung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung in das Verfahren einbezogen, die gemäß §§ 323 Abs. 1, 332 StPO im Berufungsverfahren Anwendung finden. Das Unternehmen hat daher unter anderem die Möglichkeit, durch das Stellen von Beweisanträgen gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 323 Abs. 1 S. 1 StPO in Verbindung mit § 219 Abs. 1 StPO an der Vorbereitung der Hauptverhandlung mitzuwirken oder sich im Wege des Fragerechts nach §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 332 StPO in Verbindung mit § 240 Abs. 2 StPO in das Berufungsverfahren einzubringen. Auch nach dem Beginn der Hauptverhandlung kann das Unternehmen Beweisanträge stellen, deren Behandlung sich gemäß § 332 StPO nach §§ 244 ff. StPO richtet. Durch den Rückgriff auf die Vorschriften der erstinstanzlichen Hauptverhandlung gelten für das Unternehmen allerdings die unternehmensspezifischen Regelungen zur Hauptverhandlung in § 444 Abs. 1 und 2 StPO. Für die Beweisanträge des Unternehmen bedeutet dies, dass die Einschränkung des §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO greift. Auch im Berufungsverfahren entscheidet das Gericht über die Beweisanträge zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters somit ohne Anwendung von § 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 bis 6 StPO nach pflichtgemäßem Ermessen und nicht durch Gerichtsbeschluss.854 Die aufgeführten Rechte gelten unabhängig davon, ob das Unternehmen und ein anderer Verfahrensbeteiligter Berufung gegen das Urteil einlegen oder ob nur das Unternehmen das Urteil mit der Berufung angreift. In dem letztgenannten Fall findet 854 Vgl. zu den Auswirkungen von §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO im einheitlichen Strafverfahren: Kapitel 3, C. I. 2. b) aa).
D. Das Rechtsmittelverfahren
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aber die Regelung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 StPO Anwendung, die den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts im Hinblick auf den Schuldspruch des angefochtenen Urteils einschränkt.855 Dieser wird nur dann Prüfungsgegenstand, wenn das Unternehmen insoweit Einwendungen vorbringt und im vorausgegangenen Verfahren ohne sein Verschulden zum Schuldspruch nicht gehört worden ist. Eine unverschuldete Nichtanhörung soll etwa gegeben sein, wenn das Unternehmen die Terminsnachricht nach § 429 Abs. 1 StPO nicht rechtzeitig erhalten hat oder aus sonstigen Gründen schuldlos an dem Termin nicht teilnehmen konnte.856 Die Fälle zeigen, dass es sich bei § 431 Abs. 1 StPO um eine Einschränkung handelt, die auf das Einziehungsverfahren zugeschnitten ist. Für das einheitliche Unternehmensbußgeldverfahren regelt nämlich § 444 Abs. 2 S. 1 StPO die Anwesenheit des Unternehmens und ist damit vorrangig vor den Einziehungsvorschriften in §§ 429 Abs. 1, 430 Abs. 1 StPO. Die Norm sieht vor, dass im Falle der unverschuldeten Abwesenheit des Unternehmens die Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden darf.857 Angesichts der genannten Beispiele für eine unverschuldete Nichtanhörung sind damit kaum Fälle denkbar, in denen die Einwendungen des Unternehmens Berücksichtigung finden könnten. Dem Unternehmen steht daher faktisch nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung.858 Sollte das Unternehmen mit seinen Einwendungen allerdings Erfolg haben, sieht §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 2 StPO eine weitere Einschränkung dergestalt vor, dass das Gericht seiner Prüfung die erstinstanzlich zur Schuld getroffenen Feststellungen zugrunde legt. Dies gilt nur dann nicht, soweit das Vorbringen des Unternehmens eine erneute Prüfung erfordert. Die Einwendungen des Unternehmens müssen also auch in dieser Hinsicht ausreichen, damit es zu einer Wiederholung der gesamten Beweisaufnahme zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters kommt. Sofern das geschieht, gilt für die Beweisanträge des Unternehmens jedoch wiederum §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO. Durch die Regelung in § 431 Abs. 1 StPO soll verhindert werden, dass das Gericht wegen rein vermögensrechtlicher Interessen des Einziehungsbeteiligten zu einer weiteren Nachprüfung des Schuldspruchs gezwungen wird, als sie auf die Einwendungen der unmittelbar Beteiligten vorgenommen werden müsste.859 Im Hinblick auf das Unternehmen geht es allerdings um die Verteidigung gegen die festgesetzte Unternehmensgeldbuße und den mit der Sanktion verbundenen Vorwurf. Für diesen ist die Anknüpfungstat des Unternehmensmitarbeiters entscheidend, 855
Ist hingegen zugleich auf das Rechtsmittel eines anderen Beteiligten über den Schuldspruch zu entscheiden, gilt § 431 Abs. 1 StPO gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 2 StPO ausnahmsweise nicht. 856 KK StPO-Schmidt, § 437 StPO a.F., Rn. 3; BeckOK StPO-Temming, § 431 StPO, Rn. 3; LR StPO-Gössel, § 437 StPO a.F., Rn. 5. 857 Siehe: Kapitel 3, C. I. 2. a). 858 Kritisch hierzu: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 480; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 214. 859 Begründung zu Nummer 9 des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 73.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
weshalb das Unternehmen den Schuldspruch uneingeschränkt anfechten können muss. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass § 431 Abs. 1 StPO gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 2 StPO keine Anwendung findet, wenn neben dem Unternehmen noch die Staatsanwaltschaft oder der Unternehmensmitarbeiter Berufung einlegen und daher über den Schuldspruch zu entscheiden ist.860 Ob der gerichtliche Prüfungsumfang im Berufungsverfahren also zum Nachteil des Unternehmens eingeschränkt wird, hängt von dem Prozessverhalten der anderen Verfahrensbeteiligten ab und kann von dem Unternehmen nicht beeinflusst werden. Auch dies spricht dafür, die nicht sachgerechte Einschränkung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 StPO aufzugeben. b) Revision Geht das Unternehmen gegen das Urteil in Revision, muss es eine Erklärung zu der Reichweite der Urteilsanfechtung abgeben und seine entsprechenden Revisionsanträge begründen, §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 344 StPO. Das Unternehmen gibt damit den Umfang der revisionsgerichtlichen Prüfung im Sinne des § 352 Abs. 1 StPO vor, wenngleich im Revisionsverfahren die einschränkende Regelung in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 StPO ebenfalls gilt. Unabhängig von den gestellten Revisionsanträgen erstreckt sich die gerichtliche Prüfung folglich nur dann auf den Schuldspruch des angefochtenen Urteils, wenn das Unternehmen insoweit Einwendungen vorbringt und im vorausgegangenen Verfahren ohne sein Verschulden zum Schuldspruch nicht gehört worden ist.861 Die Einwände des Unternehmens müssen dabei gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 3 StPO innerhalb der Begründungsfrist für die Revisionsanträge vorgebracht werden. Da es für das Revisionsverfahren an einer mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 2 StPO vergleichbaren Ausnahme fehlt, findet die Einschränkung nicht nur im Falle der alleinigen Revision des Unternehmens Anwendung, sondern auch dann, wenn neben dem Unternehmen noch ein anderer Verfahrensbeteiligter Revision einlegt. Dafür kommt allerdings § 431 Abs. 1 S. 2 StPO keine eigenständige Bedeutung zu, denn das Revisionsgericht ist stets an die Feststellungen der vorigen Instanz gebunden. Durch die Revisionsbegründung hat das Unternehmen das Recht, sich umfassend zu den vermeintlichen Rechtsverletzungen zu äußern. Zudem wird es gemäß §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 351 Abs. 2 StPO mit seinen Ausführungen und Anträgen in der Hauptverhandlung gehört und ihm gebührt das letzte Wort. Da die Beweisaufnahme nicht wiederholt wird, besteht allerdings keine Möglichkeit, durch das Stellen von Beweisanträgen auf die gerichtliche Entscheidungsfindung Einfluss zu 860
Da in diesen Fällen durch die anderen Verfahrensbeteiligten neue Tatsachen und Beweismittel zum Schuldspruch vorgebracht werden könnten, soll das Unternehmen ausweislich der Gesetzesbegründung die Möglichkeit erhalten, hierzu Stellung zu nehmen; vgl. die Begründung zu § 437 StPO (Nummer 9) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 80. 861 Vgl. hierzu: Kapitel 3, D. I. 1. a).
D. Das Rechtsmittelverfahren
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nehmen. Lediglich im Bereich der Verfahrensrüge kann das Gericht Beweis erheben; doch erfolgt die Erhebung im Wege des Freibeweisverfahrens und damit unabhängig von Beweisanträgen der Verfahrensbeteiligten.862 Im Ergebnis stehen dem Unternehmen im Revisionsverfahren daher die gleichen Mitwirkungsrechte zu wie dem Unternehmensmitarbeiter. Nur im Hinblick auf den gerichtlichen Prüfungsumfang greift die unternehmensspezifische Vorschrift in §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 StPO und führt zu einer Schlechterstellung des Unternehmens. 2. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im selbstständigen Verfahren Legt das Unternehmen oder die Staatsanwaltschaft in dem selbstständigen Verfahren gegen den Beschluss des erstinstanzlichen Gerichts sofortige Beschwerde ein, kann sich das Unternehmen gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1 StPO auf die Mitwirkungsrechte berufen, die dem Unternehmensmitarbeiter in dem Beschwerdeverfahren zukämen. Diese beschränken sich in der Regel auf eine Anhörung, welche in verschiedenen Verfahrenssituationen möglich ist. So darf das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung gemäß § 308 Abs. 1 S. 1 StPO nicht zum Nachteil des Gegners des Beschwerdeführers ändern, ohne dass diesem die Beschwerde zur Gegenerklärung mitgeteilt worden ist. Hat das Unternehmen also Beschwerde eingelegt, erübrigt sich die Anhörung nach § 308 Abs. 1 S. 1 StPO im Hinblick auf das Unternehmen; vielmehr ist die Staatsanwaltschaft zu hören. Hat diese den Beschluss hingegen mit der Beschwerde angefochten, muss dem Unternehmen unter den Voraussetzungen des § 308 Abs. 1 S. 1 StPO gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1 StPO Gelegenheit zu einer Gegenerklärung gegeben werden. Darüber hinaus ist die Anhörung des Beschwerdegegners geboten, wenn das Gericht im Zuge der Ermittlungen nach § 308 Abs. 2 StPO neue Erkenntnisse gewonnen hat und diese zum Nachteil des Beschwerdegegners verwerten will.863 Die Ermittlungen gemäß § 308 Abs. 2 StPO nimmt das Beschwerdegericht im Wege des Freibeweises von Amts wegen vor, wenn sie für die Entscheidung in der Sache notwendig sind.864 Sofern das Unternehmen daher bei der Begründung der Beschwerde oder in der Gegenerklärung die Erhebung von Beweisen beantragt hat, ist das Gericht an die Anträge nicht gebunden. Schließlich ist noch die Anhörung des Beschwerdeführers zu den Ergebnissen der Ermittlungen sowie dem Vorbringen des Gegners in der Gegenerklärung erforderlich, wenn das Gericht der Beschwerde nicht
862 BeckOK StPO-Wiedner, § 337 StPO, Rn. 48 und 57; KK StPO-Gericke, § 352 StPO, Rn. 13. 863 Ob die Anhörungspflicht dabei aus Art. 103 Abs. 1 GG selbst folgt (so etwa: KK StPOZabeck, § 308 StPO, Rn. 7) oder sich aus der Umsetzung des Grundsatzes rechtlichen Gehörs in § 33 StPO ergibt (so etwa: BeckOK StPO-Cirener, § 308 StPO, Rn. 11), kann letztlich dahinstehen. Beide Vorschriften verpflichten das Gericht in dem genannten Fall zu der Anhörung des Beschwerdegegners. 864 KK StPO-Zabeck, § 308 StPO, Rn. 17; MüKo StPO-Neuheuser, § 308 StPO, Rn. 10.
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Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
oder nicht vollumfänglich stattgeben will.865 Insgesamt gelten für das Unternehmen somit zwar dieselben Mitwirkungsrechte, die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens bei einer natürlichen Person Anwendung fänden. Doch bietet das Beschwerdeverfahren allgemein nur wenige Möglichkeiten, sich aktiv in das Verfahren einzubringen. Anders ist dies hingegen, wenn die Entscheidung in der ersten Instanz durch Urteil ergangen ist und das Unternehmen sich entschließt, Berufung einzulegen. In diesem Fall kommen ihm gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1 StPO die Rechte aus § 324 Abs. 2 StPO und § 326 StPO zu. Im Übrigen kann es sich über §§ 323 Abs. 1, 332 StPO auf die weitreichenden Mitwirkungsrechte berufen, die einem Angeklagten vor und in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zustehen. Eine Einschränkung ergibt sich allerdings im Hinblick auf die Beweisanträge zur Schuld des Unternehmensmitarbeiters, die gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 430 Abs. 2 StPO zu behandeln sind. Zudem gilt § 323 Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 429 Abs. 1 StPO, weshalb das Unternehmen – anders als im einheitlichen Berufungsverfahren – zu dem Hauptverhandlungstermin nicht geladen wird, sondern lediglich eine Terminsnachricht erhält.866 Im Revisionsverfahren stellt dagegen wiederum die Anhörung nach §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 427 Abs. 1 S. 1, 351 Abs. 2 StPO das zentrale Mitwirkungsrecht dar. Zudem kann das Unternehmen seine Auffassung in der Revisionsbegründung gemäß § 344 StPO ausführlich darlegen.867 Im Unterschied zu dem einheitlichen Verfahren ergeben sich für das Rechtsmittelverfahren bei selbstständiger Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße keine Einschränkungen aus § 431 StPO. Da es nur in dem einheitlichen Verfahren zu einem Schuldspruch gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter kommt und § 431 StPO auf die Frage nach dessen Überprüfung in einem Rechtsmittelverfahren zugeschnitten ist, wurde § 431 StPO für das selbstständige Verfahren nicht für entsprechend anwendbar erklärt. Dies führt dazu, dass sich der Prüfungsumfang in der Rechtsmittelinstanz des selbstständigen Verfahrens – unabhängig davon, mit welchem Rechtsmittel gegen die Entscheidung vorgegangen wird – auch auf die Anknüpfungstat des Unternehmensmitarbeiters erstreckt. Die Möglichkeit zur uneingeschränkten Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils oder Beschlusses ist ange865 Auch in diesem Zusammenhang ist die Herleitung der Anhörungspflicht umstritten; vgl. für eine Geltung von Art. 103 Abs. 1 GG: KK StPO-Zabeck, § 308 StPO, Rn. 8; beziehungsweise § 33 StPO: BeckOK StPO-Cirener, § 308 StPO, Rn. 6 und 11; MüKo StPO-Neuheuser, § 308 StPO, Rn. 6. 866 Abgesehen von § 429 Abs. 1 StPO und § 431 StPO richtet sich das selbstständige Berufungsverfahren somit nach den gleichen Vorschriften wie das einheitliche Berufungsverfahren. Es kann daher auf die dortige Beschreibung der Mitwirkungsrechte verwiesen werden; siehe: Kapitel 3, D. I. 1. a). 867 Da sich mit Ausnahme von § 431 StPO keine Änderungen zu den Mitwirkungsrechten des Unternehmens in dem einheitlichen Revisionsverfahren ergeben, gelten die diesbezüglichen Ausführungen entsprechend; siehe: Kapitel 3, D. I. 1. b).
D. Das Rechtsmittelverfahren
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messen,868 doch erhält das Unternehmen dadurch im selbstständigen Rechtsmittelverfahren eine wesentlich stärkere Verfahrensstellung als im einheitlichen Verfahren, ohne dass es auf die Verfahrensart Einfluss nehmen könnte.869
II. Rechtslage bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters Das Rechtsmittelverfahren weist – wie auch das Hauptverfahren – die Besonderheit auf, dass ihm unterschiedliche Verfahrenskonstellationen zugrunde liegen können. Im Unterschied zum Hauptverfahren richten sich die verschiedenen Verfahrenskonstellationen allerdings nach den gleichen Vorschriften, da stets die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 ff. OWiG das zulässige Rechtsmittel ist.870 Im Hinblick auf die Mitwirkungsrechte des Unternehmens kommt es daher nur zu geringfügigen Unterschieden zwischen den einzelnen Fällen. Etwas anderes gilt allerdings in Bezug auf die Vorschrift zum Rechtsmittelverfahren in § 431 StPO, die über § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 444 StPO nur in bestimmten Verfahrenskonstellationen Anwendung findet. 1. Mitwirkungsrechte des Unternehmens im einheitlichen Verfahren Im Rahmen des einheitlichen Verfahrens ist danach zu unterscheiden, ob sowohl das Unternehmen als auch der Unternehmensmitarbeiter gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegen oder ob nur das Unternehmen die festgesetzte Geldbuße angreift. In dem Fall des beiderseitigen Einspruchs ergeben sich für das Rechtsmittelverfahren die weiteren Möglichkeiten, dass entweder das Unternehmen und der Unternehmensmitarbeiter gegen die erstinstanzliche Entscheidung vorgehen oder lediglich das Unternehmen das Rechtsmittelverfahren anstrebt. a) Verfahren nach zulässigem Einspruch von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen Bei dem Rechtsbeschwerdeverfahren nach den §§ 79 bis 80a OWiG muss zwischen dem schriftlich und dem mündlich geführten Verfahren differenziert werden. Gemäß § 79 Abs. 5 S. 1 OWiG entscheidet das Beschwerdegericht grundsätzlich durch Beschluss. Nur wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil richtet, kann ebenfalls aufgrund einer Hauptverhandlung durch Urteil entschieden werden, § 79 868
Vgl. zur Kritik an der Geltung des § 431 StPO im einheitlichen Unternehmensbußgeldverfahren: Kapitel 3, D. I. 1. a). 869 Kritisch hierzu auch: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 481. 870 Siehe: Kapitel 2, B. III. 4. a) und b) sowie Kapitel 2, B. IV. 4.
236
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
Abs. 5 S. 2 OWiG. In beiden Verfahren gelten ergänzend zu den Regelungen in §§ 79 ff. OWiG die strafprozessualen Revisionsvorschriften sowie die allgemeinen Verfahrensvorschriften der StPO. Für die Mitwirkung an dem Verfahren sind die entsprechenden Verweise des § 79 Abs. 3 OWiG und § 46 Abs. 1 OWiG entscheidend: Da die Vorschriften des OWiG keine diesbezüglichen Befugnisse enthalten, ergeben sich die Mitwirkungsrechte für den Unternehmensmitarbeiter wie auch für das Unternehmen aus den Vorschriften der StPO. Dies gilt unabhängig davon, ob beide gegen die erstinstanzliche Entscheidung mit der Rechtsbeschwerde vorgehen oder nur das Unternehmen Rechtsbeschwerde einlegt. aa) Schriftliches Verfahren Das Unternehmen kann sich auch im Rechtsbeschwerdeverfahren gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG auf die Befugnisse eines Betroffenen berufen. Wird das Rechtsbeschwerdeverfahren allerdings gemäß § 79 Abs. 5 S. 1 OWiG durch Beschluss entschieden, bestehen nur wenige Möglichkeiten, sich in das Verfahren einzubringen. Dem Unternehmen steht es dabei frei, sich gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 StPO durch einen Rechtsanwalt verteidigen zu lassen. Sofern das Unternehmen Rechtsbeschwerde einlegt, muss es gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 344 StPO eine Erklärung abgeben, inwieweit es das Urteil anficht und dessen Aufhebung beantragt. Da die Anträge zu begründen sind, kann das Unternehmen bereits zu Beginn des Verfahrens seine Rechtsauffassung ausführlich darlegen. Eine weitere Einbeziehung in das Verfahren erfolgt jedoch nur dann, wenn das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet und sie aufgrund eines Antrags der Staatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss verwerfen will. In diesem Fall muss dem Unternehmen gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 349 Abs. 3 S. 2 StPO Gelegenheit zu einer schriftlichen Gegenäußerung gegeben werden. Im Übrigen hat das Unternehmen das Recht, Beweisanträge zu stellen.871 Erhebt hingegen die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde und begründet diese gemäß § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 344 StPO, wird das Unternehmen lediglich gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 33 Abs. 2 und 3 StPO angehört, wenn das Beschwerdegericht Tatsachen oder Beweisergebnisse zum Nachteil des Unternehmens verwerten will, zu denen dieses noch nicht gehört wurde. Die Anhörung folgt dabei der Ausrichtung des Rechtsbeschwerdeverfahrens, welches auf eine reine
871 Im Rechtsbeschwerdeverfahren hilft dies allerdings nur bedingt weiter, da das Gericht die geltend gemachten Rechtsverletzungen nach den Grundsätzen des Freibeweises von Amts wegen prüft. Die Beweisaufnahme ist zudem auf den Bereich der Verfahrensrüge begrenzt; vgl. hierzu: KK OWiG-Hadamitzky, § 79 OWiG, Rn. 108.
D. Das Rechtsmittelverfahren
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Überprüfung der ergangenen Entscheidung im Hinblick auf Rechtsverletzungen zugeschnitten ist, und betrifft somit nur Rechtsfragen.872 bb) Mündliches Verfahren Ergeht die Entscheidung des Beschwerdegerichts aufgrund einer Hauptverhandlung durch Urteil, sind für den Verfahrensablauf § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit §§ 350, 351 StPO maßgeblich. Aus § 350 Abs. 1 S. 1 StPO folgt, dass das Unternehmen zu dem Hauptverhandlungstermin nicht geladen wird. Es genügt vielmehr die Mitteilung über Ort und Zeit der Verhandlung. Ferner steht es dem Unternehmen gemäß § 350 Abs. 2 StPO frei, zu dem Termin zu erscheinen oder sich durch einen nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 StPO beauftragten Rechtsanwalt verteidigen zu lassen. Ist das Unternehmen in der Hauptverhandlung anwesend, wird es gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 351 Abs. 2 S. 1 StPO gehört. Das Anhörungsrecht des § 351 Abs. 2 S. 1 StPO kommt dem Unternehmen wie auch dem Unternehmensmitarbeiter und der Staatsanwaltschaft zu und gilt damit unabhängig davon, wer Rechtsbeschwerde eingelegt hat. Dem Unternehmen gebührt aber gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 351 Abs. 2 S. 2 StPO das letzte Wort. Im Übrigen ist auch im mündlichen Verfahren die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 344 StPO zu begründen. Für das Unternehmen als Beschwerdeführer bedeutet dies, dass es – anders als im schriftlichen Verfahren – nicht nur in der Beschwerdebegründung Stellung nimmt, sondern darüber hinaus noch in der mündlichen Hauptverhandlung seinen Standpunkt darlegen kann. Im Rahmen des Beschlussverfahrens ist hingegen nur in den Fällen des § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 349 Abs. 2 StPO eine Anhörung des Unternehmens denkbar. Über die Regelung des § 351 Abs. 2 StPO hinaus hat das Unternehmen allerdings, ebenso wie der Unternehmensmitarbeiter, keine weiteren Möglichkeiten, sich in die Hauptverhandlung einzubringen.873 cc) Einschränkung des Prüfungsumfangs durch § 431 StPO Sofern in dem Bußgeldverfahren nach dem OWiG auf die Vorschriften der StPO zurückgegriffen wird, finden für das Unternehmen die speziellen Vorschriften zum Unternehmensbußgeldverfahren in § 444 StPO Anwendung, die wiederum auf bestimmte Einziehungsvorschriften verweisen. Im Hinblick auf das Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 79 OWiG bedeutet das einen Rückgriff über § 79 Abs. 3 OWiG 872
Vgl. KK OWiG-Hadamitzky, § 79 OWiG, Rn. 150; sowie zu dem Charakter der Rechtsbeschwerde: KK OWiG-Hadamitzky, Vorbemerkungen zu den §§ 79 ff. OWiG, Rn. 5 f. 873 Eine Ausnahme bildet zwar das Recht, Beweisanträge zu stellen. Da jedoch nur im Bereich der Verfahrensrüge eine Beweisaufnahme erfolgen kann, für die wiederum das Freibeweisverfahren gilt, kommt dem Beweisantragsrecht im Rahmen des Rechtsbeschwerdeverfahrens kein großes Gewicht zu; vgl. Fn. 871.
238
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
auf die Rechtsmittelvorschrift des §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 StPO. Legen sowohl das Unternehmen als auch der Unternehmensmitarbeiter gegen das Urteil oder den Beschluss Rechtsbeschwerde ein, gelten folglich die Regelungen zur Revision in § 431 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StPO.874 Gleiches gilt grundsätzlich für den Fall, dass das Gericht eine Geldbuße gegenüber dem Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter festsetzt, aber nur das Unternehmen gegen die Entscheidung vorgeht. In der Literatur ist allerdings strittig, ob bei einer alleinigen Rechtsmitteleinlegung durch das Unternehmen von einer sinngemäßen Anwendung der §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 StPO abgesehen werden soll.875 Zugunsten eines solchen Verzichts wird argumentiert, dass die Frage der Verantwortlichkeit des Unternehmensmitarbeiters auch bei einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Anknüpfungstat materielle Grundlage für die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße sei, weshalb die Beschränkung in § 431 StPO als nicht sachgerecht angesehen werden könne.876 Zudem sei nicht begründbar, warum § 431 StPO in der vorliegenden Konstellation Anwendung fände, nicht aber in den Fällen, in denen die Geldbuße gegenüber dem Unternehmen in einem selbstständigen Bußgeldbescheid festgesetzt und von dem Unternehmen nach Abschluss des Hauptverfahrens angegriffen werde.877 Bei diesem letzten Argument wird übersehen, dass § 431 StPO einzig die Frage der Überprüfung des Schuldspruchs betrifft. Da es im Falle der selbstständigen Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 Abs. 4 OWiG nicht zu einem Schuldspruch gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter kommt, in der vorliegenden Konstellation hingegen schon, ist es begründet, § 431 StPO lediglich im Rahmen des einheitlichen Verfahrens anzuwenden. Ob die Einschränkung durch § 431 StPO für das einheitliche Verfahren aber auch sachgerecht ist, kann zu Recht bezweifelt werden. Das Argument, dass die Anknüpfungstat materielle Voraussetzung für die Unternehmenssanktion ist und daher auch der Überprüfung im Rechtsmittelverfahren nach entsprechendem Vorbringen des Unternehmens zugänglich sein muss, ist überzeugend und gilt nicht nur in Bezug auf das Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit, sondern auch bei Anknüpfung an eine Straftat. Verzichtet man allerdings für das Verfahren nach alleiniger Rechtsmitteleinlegung durch das Unternehmen auf die sinngemäße Anwendung der §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StPO, dürfte § 431 StPO auch dann nicht gelten, wenn sowohl der Unternehmensmitarbeiter als auch das Unternehmen Rechtsmittel einlegen. Anderen874 Da sich im Hinblick auf § 431 StPO keine Besonderheiten gegenüber dem einheitlichen Revisionsverfahren ergeben, das im Falle der Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters durchgeführt wird, gelten die diesbezüglichen Ausführungen auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren; siehe: Kapitel 3, D. I. 1. b). 875 Bejahend: Müller, Stellung der juristischen Person, S. 125; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 244; Göhler, § 88 OWiG, Rn. 13. Ablehnend: R/R/H-Hannich, § 88 OWiG, Rn. 26. 876 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 125; Göhler, § 88 OWiG, Rn. 13; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 244. 877 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 125; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 244.
D. Das Rechtsmittelverfahren
239
falls wäre das Unternehmen in dem Rechtsmittelverfahren nach beiderseitiger Anfechtung der gerichtlichen Entscheidung allein aufgrund des Entschlusses des Unternehmensmitarbeiters, Rechtsmittel einzulegen, schlechter gestellt. Darüber hinaus gilt § 431 StPO ebenfalls, wenn das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen aufgrund einer Straftat des Unternehmensmitarbeiters geführt wird. Der Verzicht auf die Anwendung der Norm in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit würde zu einer unterschiedlichen Handhabe im Vergleich zu dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat führen,878 was sachlich nicht gerechtfertigt ist. Im Ergebnis muss es daher bei der de lege lata vorgesehenen Geltung der §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 StPO über § 79 Abs. 3 OWiG bleiben. b) Verfahren nach alleinigem Einspruch durch das Unternehmen Wird das Verfahren nach einem alleinigen Einspruch des Unternehmens geführt, finden im Rechtsmittelverfahren ebenfalls die §§ 79 ff. OWiG Anwendung. Im Hinblick auf die Mitwirkungsrechte des Unternehmens ergeben sich daher keine Abweichungen im Vergleich zu dem Verfahren nach zulässigem Einspruch von Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter: Das Unternehmen kann sich gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 OWiG sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Verfahren uneingeschränkt auf die Befugnisse berufen, die einem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren zustehen.879 Es stellt sich allerdings die Frage, ob §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 Abs. 1 S. 1 StPO den Prüfungsumfang für das Rechtsbeschwerdegericht begrenzt, wenn nur das Unternehmen gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hat. Grundsätzlich findet die Regelung über § 79 Abs. 3 OWiG auch in dieser Verfahrenskonstellation Anwendung. Es muss aber berücksichtigt werden, dass sich § 431 StPO auf die Überprüfung des Schuldspruchs bezieht, welcher in dem vorangegangenen Verfahren durch Urteil ergangen ist. Da der Unternehmensmitarbeiter in der vorliegenden Konstellation jedoch nicht gegen den Bußgeldbescheid vorgegangen ist, fehlt es an einem, ihn betreffenden gerichtlichen Schuldspruch, so dass die §§ 444 Abs. 2 S. 2, 431 StPO hier keinen Anknüpfungspunkt haben. Das Unternehmen kann die getroffenen Feststellungen zu der Mitarbeitertat daher im Rechtsmittelverfahren ohne die Einschränkungen des § 431 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StPO überprüfen lassen.
878
So auch schon Engelhart, der aus diesem Grund eine Regelung durch den Gesetzgeber fordert; vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 486. 879 Die Ausführungen zum schriftlichen und mündlichen Rechtsbeschwerdeverfahren nach beiderseitigem Einspruch gelten deshalb entsprechend; siehe: Kapitel 3, D. II. 1. a) aa) und bb).
240
Kap. 3: Beteiligung und Mitwirkungsrechte des Unternehmens
2. Geltung der Mitwirkungsrechte im selbstständigen Verfahren Legt das Unternehmen im Rahmen des selbstständigen Verfahrens gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 79 OWiG Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des Gerichts ein, gelten dieselben Mitwirkungsrechte wie im einheitlichen Verfahren. So hat das Unternehmen im Falle eines schriftlichen Verfahrens nach § 79 Abs. 5 S. 1 OWiG insbesondere durch die Abgabe einer Erklärung im Sinne des § 344 StPO die Möglichkeit, seine Ansichten darzulegen und zu begründen. Wird das Rechtsbeschwerdeverfahren hingegen nach § 79 Abs. 5 S. 2 OWiG mündlich geführt, tritt zu § 344 StPO das Anhörungsrecht des Unternehmens nach §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1, 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 351 Abs. 2 S. 1 StPO hinzu.880 Das Unternehmen kann sich dabei gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 428 Abs. 1 StPO durch einen Rechtsanwalt verteidigen lassen. § 431 StPO findet im selbstständigen Verfahren schließlich keine Anwendung: Da die Vorschrift die Überprüfung des gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter ergangenen Schuldspruchs im Rechtsmittelverfahren regelt, an dem es im selbstständigen Verfahren fehlt, kann § 431 StPO inhaltlich nicht greifen. Dementsprechend fehlt es in § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO auch an einem Verweis auf die Norm.
E. Fazit Die Mitwirkungsrechte des Unternehmens sind insbesondere im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nur schwach ausgestaltet. So hat das Unternehmen sowohl in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat als auch bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit lediglich über § 426 Abs. 1 StPO einen Anspruch auf Anhörung. Erst im Zwischenverfahren bessert sich die Verfahrenssituation: Infolge der zwingenden Beteiligung am Ende des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ermittlungsverfahrens kann sich das Unternehmen gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG auf die Befugnisse berufen, die einem Betroffenen zustehen. Auch im selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat gelten gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO bestimmte Individualvorschriften entsprechend. Lediglich im einheitlichen Strafverfahren beschränkt sich die Mitwirkung auf die Anhörung des Unternehmens vor der Anordnung seiner Beteiligung. Das Unternehmen kann sich aber in jedem Verfahrensstadium durch einen Rechtsanwalt verteidigen lassen. 880
Eine ausführlichere Darstellung der Mitwirkungsrechte erfolgt bei der Beschreibung des einheitlichen Verfahrens; vgl. daher: Kapitel 3, D. II. 1. a) aa) und bb). Da sich das getrennte Verfahren nach den gleichen Vorschriften wie das selbstständige Verfahren richtet, gilt der Verweis auch für das getrennte Verfahren. Abweichungen bestehen lediglich im Hinblick auf die gerichtliche Zuständigkeit; siehe: Kapitel 2, B. V.
E. Fazit
241
Mit dem Beginn des Hauptverfahrens kommen dem Unternehmen in dem Verfahren nach der StPO über § 427 Abs. 1 S. 1 StPO ebenfalls die Befugnisse einer natürlichen Person zu, sofern seine Beteiligung zuvor angeordnet wurde. Dies gibt dem Unternehmen zumindest im Rahmen des mündlich geführten Hauptverfahrens stärkere Mitwirkungsrechte. Differenzierter müssen hingegen die Mitwirkungsmöglichkeiten in dem Hauptverfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit betrachtet werden: In dem einheitlichen Verfahren nach beiderseitigem Einspruch werden die Rechte des Unternehmens in Bezug auf das Strengbeweisverfahren durch § 430 Abs. 2 StPO – ebenso wie in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat – eingeschränkt. Im Übrigen gleichen die Mitwirkungsrechte des Unternehmens denen des Unternehmensmitarbeiters. In dem einheitlichen Verfahren nach alleinigem Einspruch und im selbstständigen Verfahren stehen dem Unternehmen hingegen nur schwache Mitwirkungsrechte im schriftlichen Verfahren zu, während in dem mündlichen Verfahren die Individualvorschriften über die Hauptverhandlung unmittelbar Anwendung finden. Im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens gelten für das Unternehmen wiederum über § 427 Abs. 1 S. 1 StPO beziehungsweise §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG die Rechte, auf die sich eine natürliche Person berufen kann. § 431 StPO schränkt den Prüfungsumfang für das Rechtsmittelgericht allerdings in bestimmten Fällen ein. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich kein einheitliches Bild hinsichtlich der Mitwirkungsrechte des Unternehmens zeichnen lässt. Tendenziell werden die Rechte des Unternehmens vom Ermittlungsverfahren bis hin zum Rechtsmittelverfahren stärker. Doch auch davon gibt es je nach Verfahrenskonstellation und Prozessverhalten Ausnahmen. Letztlich kommen dem Unternehmen in bestimmten Verfahrensabschnitten bereits uneingeschränkt die Rechte zu, die für eine natürliche Person gelten. An anderen Stellen des Verfahrens bleiben die Mitwirkungsrechte hingegen deutlich hinter den Möglichkeiten zurück, die einer natürlichen Person in einer vergleichbaren Situation zur Verfügung stehen.
Kapitel 4
Prozessuale Ausgestaltung de lege ferenda Die in den beiden vorherigen Kapiteln vorgenommene Bestandsaufnahme hat sowohl Schwächen des geltenden Verfahrensrechts aufgezeigt als auch Stärken ausgemacht. Diese sollen nun zusammengefasst werden, um darauf aufbauend die prozessuale Ausgestaltung de lege ferenda in den Blick zu nehmen. Um Reformvorschläge für das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße unterbreiten zu können, sind zunächst grundlegende Fragen in Bezug auf die Neuausrichtung des Verfahrens zu klären. Im Anschluss ist es dann möglich, Vorschläge für eine Reform zu nennen und die Änderungen zu skizzieren, die für das Unternehmen mit bestimmten Vorschlägen verbunden sind.
A. Die Schwächen und Stärken des geltenden Verfahrensrechts im Überblick I. Schwächen des Verfahrensrechts Ein erster Nachteil der derzeitigen Verfahrensausgestaltung ist darin zu sehen, dass sich das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße an den Vorschriften über das Verfahren bei Einziehungen ausrichtet. Dieses für ein Nebenfolgenkonstrukt gedachte Verfahrensrecht wird dem heutigen Verständnis der Unternehmensgeldbuße als eigenständiger Sanktion, mit der ein Vorwurf gegenüber dem Unternehmen erhoben wird, nicht mehr gerecht. Das Unternehmen erhält in dem Verfahren nur die Stellung eines Beteiligten und wird in seinen Rechten durch die auf den Einziehungsbeteiligten zugeschnittenen Vorschriften eingeschränkt, die etwa in § 426 Abs. 2 StPO, § 430 Abs. 2 StPO oder § 431 StPO enthalten sind. Darüber hinaus sind die Regelungen zur Anordnung der Beteiligung in § 444 StPO und § 88 OWiG nicht eindeutig und greifen zu spät.881 Dies führt unter anderem im Hinblick auf die Mitwirkungsrechte zu Schwierigkeiten, wenn diese an die Beteiligung des Unternehmens geknüpft sind.882 Auch sonst sind die Befugnisse des Unternehmens 881
Siehe: Kapitel 3, A. III. 1. und Kapitel 3, B. II. 1. So kann die Beteiligung des Unternehmens an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Strafverfahren noch während des Hauptverfahrens angeordnet werden. Dies stellt allerdings die Geltung von §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 StPO im Zwischenverfahren und §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 1 StPO im Hauptverfahren in Frage, da beide Vorschriften auf den 882
A. Schwächen und Stärken des geltenden Verfahrensrechts
243
durch die Anbindung an das Einziehungsverfahren teilweise sehr schwach ausgeprägt. So wird das Unternehmen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nur durch § 426 StPO, gegebenenfalls in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG, in das Verfahren einbezogen. Ferner gilt etwa die Vorschrift des § 427 Abs. 1 StPO erst ab der Eröffnung des Hauptverfahrens, wodurch sich für das Unternehmen im einheitlichen Zwischenverfahren bei Anknüpfung an eine Straftat nur wenige Möglichkeiten zur Mitwirkung ergeben. Ein weiteres Beispiel findet sich mit der Regelung in § 434 Abs. 2 StPO, die ein schriftliches Verfahren vorsieht, ohne Vorgaben für das Verfahren oder die Rechte des Unternehmens zu enthalten. Da sich sowohl das selbstständige Hauptverfahren bei Anknüpfung an eine Straftat als auch das Hauptverfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit, das nach alleinigem Einspruch des Unternehmens gegen den Bußgeldbescheid oder selbstständig geführt wird, nach § 434 Abs. 2 StPO richten, wird das Unternehmen in diesen Fällen lediglich unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 und 3 StPO angehört. Eine weitere Einschränkung ergibt sich durch die Anknüpfung des Verfahrensrechts an die von dem Unternehmensmitarbeiter begangene Tat. Die Verfahren nach der StPO und dem OWiG unterscheiden sich grundlegend, was sich etwa in der jeweiligen Ausrichtung des Ermittlungs- und Zwischenverfahrens zeigt.883 De lege lata wirkt sich dies auf die Mitwirkungsrechte des Unternehmens im Ermittlungsverfahren allerdings nicht aus.884 Auch im ordnungswidrigkeitenrechtlichen Zwischenverfahren kommt dem Unternehmen lediglich eine geringfügig schwächere Stellung zu, wenn die Befugnisse mit denen im selbstständigen Zwischenverfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters verglichen werden.885 Durch § 77 OWiG ergeben sich allerdings nur für das Hauptverfahren nach dem OWiG Einschränkungen im Hinblick auf das Beweisantragsrecht; weiter werden durch die Regelungen in §§ 77a, 78 OWiG die Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit relativiert. Kritisch wird auch die generelle Zuständigkeit des Amtsgerichts gemäß § 68 Abs. 1 OWiG in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit gesehen,886 während in dem Verfahren nach der StPO reEinziehungsbeteiligten Anwendung finden. Daneben rufen die Beteiligungsregeln bereits im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens Probleme hervor, wenn die Ermittlungsbehörden mangels einer Beteiligung des Unternehmens gezwungen sind, ihre Ermittlungen gegen einen Außenstehenden zu richten. 883 So sind die beiden Verfahrensabschnitte in der StPO und dem OWiG auf eine andere Interaktion mit dem Unternehmen ausgelegt und verfolgen dementsprechend verschiedene Zwecke; vgl. Kapitel 3, B. I. 884 Die Einbeziehung des Unternehmens in das Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat erfolgt nämlich über §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 StPO beziehungsweise §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 426 StPO, die gemäß § 46 Abs. 1 OWiG auch in dem Ermittlungsverfahren nach dem OWiG Anwendung finden. 885 Vgl. zur Ausgestaltung des § 69 Abs. 2 S. 3 OWiG als Kann-Vorschrift: Kapitel 3, B. III. 2. 886 So etwa von: Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, S. 276; Heuking/von Coelln, in: BB 2014, 3016, 3021; Engelhart, in: NZWiSt 2015, 201, 209.
244
Kap. 4: Prozessuale Ausgestaltung de lege ferenda
gelmäßig die spezialisierten Wirtschaftsstrafkammern der Landgerichte für die Unternehmensgeldbuße zuständig sind.887 Aus der Einteilung in ein einheitliches und ein selbstständiges Verfahren folgt eine weitere Schwachstelle des Verfahrens. So führen die beiden Verfahrensarten nicht nur zu einem unterschiedlichen Verfahrensaufbau, sondern ebenfalls zu einem abweichenden Ablauf des Verfahrens innerhalb einer Verfahrensordnung.888 Zudem kommen dem Unternehmen im einheitlichen und selbstständigen Verfahren teilweise andere Mitwirkungsrechte zu. Beispielhaft können hier die umfassenden Mitwirkungsrechte des Unternehmens im selbstständigen Zwischenverfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters genannt werden, die sich durch den Verweis des §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO auf § 201 StPO für das Unternehmen ergeben. Im Vergleich dazu erhält das Unternehmen im Rahmen des einheitlichen Zwischenverfahrens lediglich vor der Anordnung seiner Beteiligung gemäß § 33 Abs. 2 und 3 StPO die Gelegenheit zur Äußerung.889 Die Unterschiede sind insbesondere deshalb bedenklich, weil sie sich einerseits unmittelbar auf das Unternehmen auswirken, dieses die Verfahrensart aber andererseits nicht beeinflussen kann. Ein letzter Nachteil der derzeitigen Verfahrensausgestaltung zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße findet sich schließlich in § 30 OWiG selbst. Zunächst ist es bereits ungewöhnlich, dass in einer Sanktionsnorm Vorgaben zum Verfahren getroffen werden, wie es mit § 30 Abs. 4 OWiG und § 30 Abs. 6 OWiG der Fall ist. Daneben sind die in § 30 Abs. 4 OWiG enthaltenen Regelungen zum selbstständigen Verfahren kompliziert ausgestaltet und führen infolgedessen zu Unklarheiten bei einzelnen Anwendungsfragen. Auch das Verhältnis von einheitlichem, selbstständigem und getrenntem Verfahren erschließt sich angesichts der Regelungsstruktur nicht auf den ersten Blick.890
II. Stärken des Verfahrensrechts Neben der genannten Kritik überzeugt an der gegenwärtigen Verfahrensausgestaltung hingegen die grundsätzliche Ausrichtung des Verfahrens an den Vorschriften über das Individualverfahren. Nicht nur im einheitlichen Verfahren geben diese den Rahmen für das Verfahren gegenüber dem Unternehmen vor, sondern auch im selbstständigen Verfahren wird – mangels anderweitiger Regelungen – oftmals auf 887
Siehe: Kapitel 2, B. I. 2. und Kapitel 2, B. II. 3. b). Siehe: Kapitel 2, C. III. 889 Auch im Falle des einheitlichen Hauptverfahrens nach § 71 OWiG und des selbstständigen mündlichen Hauptverfahrens bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters weichen die Mitwirkungsrechte im einheitlichen und selbstständigen Verfahren voneinander ab; vgl. insgesamt die Ausführungen zu den entsprechenden Verfahrensabschnitten in Kapitel 3. 890 Vgl. zu § 30 Abs. 4 OWiG: Kapitel 2, A. II. 1. und 2. 888
A. Schwächen und Stärken des geltenden Verfahrensrechts
245
die Individualvorschriften zurückgegriffen.891 Daneben enthalten die Einziehungsvorschriften zahlreiche direkte Verweise auf die für den Unternehmensmitarbeiter geltenden Bestimmungen. So gelten im Falle der Vernehmung des Unternehmens nach § 426 Abs. 2 StPO, gegebenenfalls in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG, die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten entsprechend. Auch § 87 Abs. 2 S. 1 OWiG und § 427 Abs. 1 S. 1 StPO enthalten einen allgemeinen Verweis auf die Befugnisse, die einem Betroffenen beziehungsweise Angeklagten zustehen, wohingegen § 428 Abs. 1 S. 2 StPO und § 435 Abs. 3 S. 1 StPO bestimmte Vorschriften für anwendbar erklären. § 434 Abs. 3 S. 1 StPO verweist schließlich ebenfalls allgemein auf die Vorschriften über die Hauptverhandlung. Die Individualvorschriften finden somit zwar immer über das Einziehungsrecht Anwendung, doch zeigt dies, dass die Ausrichtung des Unternehmensbußgeldverfahrens an den Individualvorschriften möglich ist. Durch die Verweise wird dem Unternehmen im Hinblick auf seine Mitwirkungsrechte zudem teilweise eine Stellung eingeräumt, die der einer natürlichen Person entspricht. Besonders deutlich zeigt sich dies in dem selbstständigen Zwischenverfahren bei Anknüpfung an eine Straftat, wo sich das Unternehmen gemäß § 435 Abs. 3 S. 1 StPO auf § 201 StPO berufen kann und damit die Mitwirkungsrechte erhält, die dem Unternehmensmitarbeiter in der entsprechenden Verfahrenssituation zustünden.892 Auch in dem mündlich geführten Verfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens gegen den Bußgeldbescheid sowie in dem selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters kommen dem Unternehmen über § 434 Abs. 3 S. 1 StPO uneingeschränkt die umfassenden Befugnisse einer natürlichen Person zu.893 Die in § 87 Abs. 2 S. 1 OWiG und § 427 Abs. 1 S. 1 StPO enthaltenen Regelungen tragen ebenfalls zu einer günstigeren Ausgangslage für das Unternehmen bei: Durch § 427 Abs. 1 S. 1 StPO stehen dem Unternehmen im einheitlichen und selbstständigen Urteilsverfahren wie auch im Rechtsmittelverfahren weitreichende Mitwirkungsrechte zu, wenngleich diese durch die Vorschriften über das Einziehungsverfahren zum Teil eingeschränkt werden. Letzteres gilt auch im Verfahren nach dem OWiG, doch kann das Unternehmen dort bereits ab der Einleitung des Zwischenverfahrens fast durchgängig die Rechte eines Betroffenen geltend machen. Trotz den mit der Anbindung an das Einziehungsverfahren einhergehenden Einschränkungen hat das Unternehmen daher durch § 87 Abs. 2 S. 1 OWiG und § 427 Abs. 1 S. 1 StPO in vielen Verfahrensabschnitten eine Stellung, die mit der einer natürlichen Person zumindest vergleichbar ist.
891 Beispielsweise wird das selbstständige Zwischenverfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit nach den allgemeinen Verfahrensbestimmungen des OWiG geführt, die das Einspruchsverfahren für natürliche Personen regeln. Auch im Rechtsmittelverfahren erfolgt ein Rückgriff auf die Vorschriften über das Rechtsbeschwerdeverfahren in §§ 79 ff. OWiG. 892 Siehe: Kapitel 3, B. II. 3. 893 Siehe: Kapitel 3, C. II. 1. b) bb) und Kapitel 3, C. II. 2.
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Kap. 4: Prozessuale Ausgestaltung de lege ferenda
B. Grundsätzliche Überlegungen zu einer Neuausrichtung des Verfahrens Bevor Vorschläge für eine Reform des Verfahrensrechts formuliert werden können, müssen zunächst einige grundsätzliche Fragen zu dem künftigen Verfahrensrecht geklärt werden. Diese beziehen sich zum einen auf die Unterteilung in ein einheitliches und ein selbstständiges Verfahren und zum anderen auf die Ausrichtung des Verfahrens an der von dem Unternehmensmitarbeiter begangenen Anknüpfungstat. Zudem ist die Frage zu klären, ob es bei der Anbindung an die Vorschriften über das Einziehungsverfahren und mithin bei der prozessualen Stellung des Unternehmens als Beteiligter des Verfahrens bleiben soll.
I. Stellenwert des getrennten Verfahrens Eine erste Grundüberlegung betrifft die Frage, welchen Stellenwert das getrennte Verfahren in Zukunft einnehmen soll. Bislang handelt es sich bei der Möglichkeit, getrennt gegen das Unternehmen und den Unternehmensmitarbeiter vorzugehen, um eine Ausnahmekonstellation, die über die Regelung zum selbstständigen Verfahren in § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG auf die Fälle der § 82 GWB und § 96 EnWG beschränkt ist.894 Verschiedene Argumente sprechen allerdings dafür, das getrennte Verfahren als Regelfall zu etablieren. Zunächst hat der Gesetzgeber durch die Einführung des § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG in Kombination mit den Zuständigkeitsregelungen im GWB und EnWG bereits gezeigt, dass der Durchführung eines getrennten Verfahrens weder rechtliche noch prozessökonomische Gründe zwingend entgegenstehen. Auch in anderen Verfahren ist ein getrenntes Vorgehen gegenüber mehreren Personen möglich; zuletzt wurde 2017 durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung ein abgetrenntes Verfahren für die Entscheidung über die Einziehung nach den §§ 73 bis 73c StGB eingefügt. Ein solches Verfahren kommt somit in Betracht, wenn die Einziehung gemäß § 73b StGB bei einem anderen, der nicht Täter oder Teilnehmer ist, angeordnet werden soll. § 423 Abs. 1 StPO schränkt die Entscheidung im abgetrennten Verfahren allerdings dahingehend ein, dass sie erst nach der Rechtskraft des Urteils in der Hauptsache ergehen kann und dass das Gericht an die Entscheidung der Hauptsache gebunden ist. Für das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße scheidet eine entsprechende Regelung hingegen aus, da sie dem eigenständigen Sanktionscharakter des § 30 OWiG nicht gerecht wird. Dies ruft zwar die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen im Hinblick auf das Unternehmen und den Unternehmensmitarbeiter hervor.895 Doch besteht dieses Problem zum 894
Siehe: Kapitel 2, A. II. 2. b). Dieser Einwand wird auch in Bezug auf das getrennte Verfahren nach § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG erhoben; vgl. hierzu: Kapitel 2, A. II. 1. b). 895
B. Grundsätzliche Überlegungen zu einer Neuausrichtung des Verfahrens
247
Beispiel auch, wenn gegen mehrere Täter in getrennten Verfahren vorgegangen wird.896 Ebenso kann es nach dem derzeit geltenden Verfahrensrecht infolge unterschiedlichen Prozessverhaltens von Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter zu sich widersprechenden Entscheidungen kommen. Denkbar ist dies etwa in dem einheitlichen Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit, wenn das Unternehmen und der Unternehmensmitarbeiter unterschiedlich auf den Bußgeldbescheid reagieren und nur einer von beiden Einspruch einlegt. Bereits auf der Grundlage der Nebenfolgenlösung entschied der BGH in diesem Zusammenhang, dass die verfahrensrechtliche Situation ähnlich wie bei der Durchführung getrennter Verfahren gegen Mittäter sei und eine unterschiedliche Beurteilung des Sachverhalts in Folge der persönlichen Wirkung der Rechtskraft hingenommen werden müsse.897 Durch die Einführung des getrennten Verfahrens würde außerdem die komplizierte Regelung zum selbstständigen Verfahren in § 30 Abs. 4 OWiG hinfällig werden, da das Verfahren gegen das Unternehmen stets unabhängig von einer Verfolgung des Unternehmensmitarbeiters durchgeführt werden könnte. Mangels Einteilung in ein einheitliches und ein selbstständiges Verfahren entfielen auch die mit den beiden Verfahrensarten verbundenen Schwächen, die sich derzeit in einem teilweise anderen Verfahrensaufbau und -ablauf sowie in unterschiedlich stark ausgeprägten Mitwirkungsrechten zeigen.898 Dies ist insbesondere deshalb zu befürworten, weil die Verfahrensart von der Verfolgungspraxis der Staatsanwaltschaft beziehungsweise Verwaltungsbehörde gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter abhängt und es für das Unternehmen daher Zufall ist, ob das Verfahren einheitlich oder selbstständig geführt wird. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass für die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße neben der Anknüpfungstat weitere Voraussetzungen vorliegen müssen. Eine umfangreiche Beweisaufnahme in Bezug auf § 30 OWiG kann also das Verfahren gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter verzögern.899 Auch dieser Aspekt spricht für die Durchführung eines getrennten Verfahrens. In einem künftigen Verfahrensrecht sollte dem getrennten Verfahren daher ein stärkeres Gewicht zugestanden werden, indem es unter Aufgabe des einheitlichen und selbstständigen Verfahrens als grundsätzlich durchzuführendes Verfahren vorgesehen wird.900 Eine Verbindung der Verfahren sollte aber möglich sein, wenn dies aus prozessökonomischen Gründen angezeigt ist.901 896
Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 62; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 134. 897 BGH, in: wistra 1991, 30, 31; ebenso: KG Berlin, in: NJW-RR 1987, 637, 638. 898 Siehe: Kapitel 4, A. I. 899 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 445; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 60; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 134. 900 So auch: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 703 f.; PohlSichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 61 f. Pohl-Sichtermann spricht sich allerdings für ein verbundenes Verfahren als Regelfall aus, das aus Gründen der Zweckmäßigkeit ausnahmsweise auch getrennt werden könnte. Brender plädiert hingegen für die Aufgabe des einheitlichen Verfahrens bei gleichzeitiger Beibehaltung der Regelungen zum selbstständigen Verfahren in § 30 Abs. 4 OWiG; vgl. Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 133 ff.
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Kap. 4: Prozessuale Ausgestaltung de lege ferenda
II. Verankerung der Regelungen in unterschiedlichen Verfahrensordnungen Sofern neue Regelungen für ein Verfahren gegen das Unternehmen eingeführt werden, stellt sich die Frage, ob diese in die StPO und/oder das OWiG aufzunehmen sind. Die bisherige Verankerung des Verfahrensrechts in beiden Verfahrensordnungen hängt mit der Anbindung des Verfahrens an der von dem Unternehmensmitarbeiter begangenen Anknüpfungstat zusammen, was wiederum auf die ursprüngliche Konstruktion der Unternehmensgeldbuße als Nebenfolge einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters zurückzuführen ist.902 Für das Unternehmen führt die Verfahrensausrichtung dazu, dass im Falle einer Straftat des Unternehmensmitarbeiters ein grundlegend anderes Verfahren geführt wird, als wenn die Unternehmensgeldbuße an eine Ordnungswidrigkeit anknüpft. Um dem nunmehr eigenständigen Sanktionscharakter der Unternehmensgeldbuße gerecht zu werden, wäre es zunächst denkbar, die Verfahrensbestimmungen entsprechend der Regelung in § 30 OWiG im Ordnungswidrigkeitenrecht anzusiedeln. Da im Falle der Einführung eines getrennten Verfahrens zudem die Einheitlichkeit der Verfahren entfiele, stünde diese einem Wegfall strafprozessualer Vorschriften für das Unternehmen nicht entgegen. Das Verfahren gegen das Unternehmen würde sich also auch dann nach den Vorschriften des OWiG richten, wenn die Anknüpfungstat eine Straftat darstellt und gegen den Unternehmensmitarbeiter ein Strafprozess geführt wird. Dadurch blieben zwar die mit dem Verfahren nach dem OWiG verbundenen Vereinfachungen, wie sie etwa für die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung durch die §§ 77 ff. OWiG gegeben sind, bestehen, doch wäre zumindest stets ein gleicher Verfahrensaufbau und -ablauf gegeben. Den Überlegungen, das Verfahren gegen das Unternehmen allein im OWiG zu regeln, ist allerdings entgegen zu halten, dass § 30 OWiG in seiner aktuellen Ausgestaltung eben nicht nur an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters anknüpft, sondern auch eine Straftat als eine zulässige Anknüpfungstat normiert. Die Verantwortlichkeit des Unternehmens beruht daher entweder auf der Zurechnung einer vorwerfbaren Handlung des Unternehmensmitarbeiters oder auf der Zurechnung einer schuldhaften Handlung des Unternehmensmitarbeiters. Hinzu tritt ein eigenständiger Vorwurf gegenüber dem Unternehmen, doch kommt dem Zurechnungsansatz ein stärkeres Gewicht zu.903 Bei der so konstruierten „Vorwerfbarkeit“ gegenüber dem Unternehmen handelt es sich nicht um Vorwerfbarkeit im Sinne des § 1 OWiG.904 Vielmehr beruht die Unternehmensgeldbuße auf einem abweichenden Verständnis von dem Begriff der Vorwerfbarkeit, bei dem sich die Zurechnung 901
So auch: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 703 f. Siehe: Kapitel 2, A. I. und III. 903 Eine ausführliche Darstellung dieses, von Engelhart entwickelten Kombinationsmodells erfolgt in Kapitel 1; siehe: Kapitel 1, C. III. 3. b) bb). 904 Siehe: Kapitel 1, C. III. 3. b) cc). 902
B. Grundsätzliche Überlegungen zu einer Neuausrichtung des Verfahrens
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fremder Schuld als eigene Schuld dergestalt auswirkt, dass im Falle der Anknüpfung an eine Straftat das mit der Tat verbundene, stärkere Unrecht auf die Verantwortlichkeit des Unternehmens durchschlägt.905 Da die StPO dem höheren Unwert einer Straftat Rechnung trägt, während das Verfahrensrecht des OWiG den geringeren sozialethischen Tadel in Form einer Abschwächung verschiedener prozessualer Grundsätze berücksichtigt, ist es folglich auch im Hinblick auf das Unternehmen gerechtfertigt, im Falle einer Straftat auf die StPO zurückzugreifen. Daneben sprechen prozessökonomische Gründe für eine Verankerung des Verfahrensrechts in beiden Verfahrensordnungen. Denn soll de lege ferenda die Verbindung der getrennten Verfahren zugelassen werden, ist dies bei der Anknüpfung des § 30 OWiG an die Straftat des Unternehmensmitarbeiters nur möglich, wenn auch in der StPO Vorschriften für ein Verfahren gegen das Unternehmen vorhanden sind. Anderenfalls träte – unabhängig davon, ob das Verfahren gegen das Unternehmen der Staatsanwaltschaft beziehungsweise dem Strafgericht übertragen wird oder ob das Strafverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter an das Verfahren gegen das Unternehmen angebunden wird – stets das Problem auf, dass die dann zuständige Stelle an zwei Verfahrensordnungen gebunden wäre, was praktisch nicht umsetzbar ist. Wäre hingegen auch in der StPO das Verfahren gegen das Unternehmen geregelt, könnte das Verfahren im Falle der Verbindung an die für den Unternehmensmitarbeiter zuständige Stelle abgegeben werden. Gleichwohl ist eine Verbindung der Verfahren in einem künftigen Verfahrensrecht nicht zwingend notwendig und das Argument daher nicht ausschlaggebend. Vielmehr spricht das dogmatische Konzept des § 30 OWiG entscheidend dafür, es zunächst bei einer Verankerung des Verfahrensrechts in den beiden Verfahrensordnungen zu belassen. Der Gesetzgeber ist allerdings dazu aufgerufen, die Anknüpfung der Unternehmensgeldbuße an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters zu streichen und entweder das Verfahren nur nach dem OWiG zu regeln oder eine im Bereich des Strafrechts angesiedelte Sanktion für den Fall der Anknüpfung an eine Straftat einzuführen.906
905
Im Hinblick auf die Sanktionshöhe wirkt sich der unterschiedliche Unrechtsgehalt allerdings nicht aus. Ursprünglich sollte der Regelung in § 30 Abs. 2 OWiG zwar der Grundsatz entnommen werden können, dass „sich die Höhe der Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung an der Bewertung der von dem Organ begangenen Tat zu orientieren hat“; vgl. die Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 62. Auch bei Anpassungen der Sanktionshöhe stellte der Gesetzgeber klar, dass die Fälle, in denen eine Straftat begangen worden sei, schwerer wögen; vgl. etwa die Begründung zu § 30 OWiG des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 42. Doch kann die bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit verhängte Unternehmensgeldbuße mittlerweile gemäß § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG (beispielsweise in Verbindung mit § 172 Abs. 2 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz) weitaus höher ausfallen als bei Anknüpfung an eine Straftat. 906 Vgl. allerdings zu den Gefahren, die mit der Einführung einer Unternehmensstrafe einhergehen: Kapitel 1, B. III.
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Kap. 4: Prozessuale Ausgestaltung de lege ferenda
III. Prozessuale Stellung des Unternehmens Schließlich ist zu überlegen, welche Stellung das Unternehmen nach dem künftigen Verfahrensrecht einnehmen soll. Einerseits könnte es bei der derzeitigen Verfahrensausgestaltung bleiben, über die das Unternehmen die Stellung eines Einziehungsbeteiligten erhält. Andererseits ist aber auch eine Loslösung von den Vorschriften über das Einziehungsverfahren denkbar, mit der Folge, dass etwa die Individualvorschriften der StPO und des OWiG unmittelbar für entsprechend anwendbar erklärt werden.
1. Beibehaltung der Stellung eines Einziehungsbeteiligten? Für die Beibehaltung der prozessualen Stellung des Unternehmens als Beteiligter des Verfahrens sprechen die Schwierigkeiten, die mit der Einführung eines eigenständigen Verfahrensrechts für das Unternehmen einhergehen. Eine einfachere Möglichkeit bestünde darin, an die bestehenden Regelungen anzuknüpfen und dem Unternehmen durch punktuelle Anpassung des § 444 StPO beziehungsweise des § 88 OWiG eine günstigere Verfahrensstellung einzuräumen. Die Anbindung an das Einziehungsverfahren bliebe folglich bestehen. Für diese Ansicht spricht sich Brender aus. Er empfiehlt, das Unternehmen bereits während der Ermittlungen förmlich an dem Verfahren zu beteiligen und der Staatsanwaltschaft das Recht zur Anordnung der Beteiligung des Unternehmens zu übertragen.907 Dieser Vorschlag greift allerdings zu kurz: Die Regelung in § 88 Abs. 1 OWiG zeigt, dass es nicht genügt, den Behörden das Recht zur Anordnung der Beteiligung des Unternehmens zu übertragen. Vielmehr müsste auch der Zeitpunkt der Beteiligung geregelt werden.908 Nur im Falle einer frühzeitigen Beteiligung des Unternehmens an dem Straf- beziehungsweise Ordnungswidrigkeitenverfahren träte eine Verbesserung in der Form ein, dass die Transparenz des Verfahrens gestärkt würde und den Verfolgungsbehörden die Ermittlungen in Bezug auf das Unternehmen erleichtert würden.909 Ein zweiter Vorschlag knüpft an die bestehenden Regelungen in § 427 Abs. 1 StPO und § 87 Abs. 2 S. 1 OWiG an: Die Vorschriften seien in Bezug auf das Unternehmen dergestalt zu modifizieren, dass es bereits mit der Beteiligung an dem Verfahren die Befugnisse eines Betroffenen beziehungsweise Beschuldigten erhielte.910 Dies würde die Rechtsstellung des Unternehmens in der Tat verbessern. Denn der Vorschlag berücksichtigt richtigerweise, dass die bloße 907 Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 145. Wimmer geht hingegen davon aus, dass bereits de lege lata das Unternehmen durch eine entsprechende Verfügung förmlich an dem Ermittlungsverfahren zu beteiligen ist; vgl. Wimmer, in: NZWiSt 2017, 252, 253. Siehe zu der Kritik an dieser Auffassung: Kapitel 3, A. II. 1. 908 Siehe: Kapitel 3, A. III. 1. 909 Vgl. zu den auftretenden Schwierigkeiten im Falle einer fehlenden Beteiligung des Unternehmens im Ermittlungsverfahren: Kapitel 3, A. II. 1. 910 Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 145 und 148.
B. Grundsätzliche Überlegungen zu einer Neuausrichtung des Verfahrens
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Beteiligung des Unternehmens im Ermittlungsverfahren noch nicht zu stärker ausgeprägten Mitwirkungsrechten des Unternehmens führt, da dem Unternehmen die entsprechenden Befugnisse erst ab der Eröffnung des Hauptverfahrens beziehungsweise vom Erlass des Bußgeldbescheides an zukommen.911 Schließlich wird vorgeschlagen, die Verweise in § 444 StPO auf die einschränkenden Bestimmungen des Einziehungsverfahrens, die unter anderem über § 46 Abs. 1 OWiG in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters ebenfalls gelten, zu streichen.912 Die Umsetzung dieser Vorschläge würde für das Unternehmen zu einer deutlich günstigeren Rechtsstellung führen. Es ist allerdings kritisch zu sehen, dass einerseits an der Stellung eines Einziehungsbeteiligten für das Unternehmen festgehalten werden würde, andererseits aber die Vorschriften des Einziehungsverfahrens, mit Ausnahme der Regelungen zur Beteiligung des Unternehmens, weitgehend wegfielen. Das Unternehmen wäre schon in der Ermittlungsphase des Verfahrens zu beteiligen und könnte sich ab diesem Zeitpunkt uneingeschränkt auf die Befugnisse berufen, die dem Unternehmensmitarbeiter in der entsprechenden Verfahrenssituation zukämen. Faktisch hätte damit eine Angleichung an die Verfahrensstellung einer natürlichen Person stattgefunden; nur noch formal wäre die Stellung des Unternehmens entsprechend der eines Einziehungsbeteiligten. Angesichts der umfassenden Verfahrensänderungen wäre es daher konsequenter, sich vollkommen von den Einziehungsvorschriften zu lösen. Zudem bliebe man weiterhin einem Verfahrensrecht verhaftet, dessen Ursprünge in der Nebenfolgenkonstruktion des § 30 OWiG liegen und das den eigenständigen Sanktionscharakter der Unternehmensgeldbuße nicht berücksichtigt.913 Da das Unternehmen aber Adressat einer Sanktion ist und sich gegen einen damit erhobenen Vorwurf zu verteidigen hat, ist es nicht mehr angemessen, es nur als Beteiligten des Verfahrens zu sehen. Für ein künftiges Verfahrensrecht ist die Beibehaltung der Stellung eines Einziehungsbeteiligten daher abzulehnen. 2. Oder: Berücksichtigung des eigenständigen Sanktionscharakters von § 30 OWiG Bei der Ausgestaltung des Verfahrensrechts gilt es also, den eigenständigen Sanktionscharakter der Unternehmensgeldbuße zu berücksichtigen. Da gegenüber 911 Dies übersieht Wimmer, wenn sie im „Lichte eines fairen Verfahrens“ die Pflicht zur Beteiligung des Unternehmens im Ermittlungsverfahren konstruiert; vgl. Wimmer, in: NZWiSt 2017, 252, 252 f. 912 Dies würde etwa den Verweis auf § 430 Abs. 2 StPO erfassen, der die Ablehnung von Beweisanträgen des Unternehmens zur Frage der Schuld des Unternehmensmitarbeiters erleichtert, oder den Verweis auf § 431 StPO, der den gerichtlichen Prüfungsumfang im Rechtsmittelverfahren zum Nachteil des Unternehmens einschränkt; vgl. Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 146 f. und 149. 913 Siehe: Kapitel 2, C. I.
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Kap. 4: Prozessuale Ausgestaltung de lege ferenda
dem Unternehmen durch § 30 OWiG ein eigenständiger Vorwurf erhoben wird, entspricht seine Stellung derjenigen einer beschuldigten natürlichen Person. Es ist daher gerechtfertigt, dem Unternehmen auch prozessual die Rechte und Pflichten einer natürlichen Person zukommen zu lassen und das Verfahren an den Individualvorschriften der StPO und des OWiG auszurichten.914 Für ein solches Verfahren spricht außerdem, dass die Einschränkungen des Einziehungsverfahrens, wie sie etwa in § 430 Abs. 2 StPO oder § 431 StPO normiert sind, von sich aus entfielen. Weiter gäbe die erforderliche Neustrukturierung des Verfahrens die Möglichkeit, die unübersichtlichen Verweisungsketten zu verkürzen. Auch die Frage nach einer frühzeitigen Beteiligung des Unternehmens im Rahmen der Ermittlungen würde sich dann nicht mehr stellen, da das Verfahren gegen das Unternehmen eingeleitet werden könnte und eine Regelung zur Anordnung der Beteiligung sich somit erübrigte. Mit der Anbindung des Verfahrens zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße an die Individualvorschriften der StPO und des OWiG wird ein Ansatz aufgegriffen, der bereits de lege lata zu erkennen ist, wenn dem Unternehmen über verschiedene Einziehungsvorschriften die Mitwirkungsrechte einer natürlichen Person übertragen werden.915 Dies wird zu Gunsten des Unternehmens ausgedehnt, indem es unabhängig von den Vorschriften über das Einziehungsverfahren zu einer umfassenden Gleichstellung von Unternehmen und natürlicher Person kommt. Dabei ist aber zu beachten, dass das Unternehmen weder zum „Beschuldigten“916 noch zum „Betroffenen“ des Verfahrens wird. Denn in Bezug auf das Unternehmen ist weder Schuld im strafrechtlichen Sinne noch Vorwerfbarkeit im Sinne des § 1 OWiG gegeben, weshalb es auch nicht Beschuldigter im Sinne der StPO oder Betroffener im Sinne des OWiG sein kann. Vielmehr rückt das Unternehmen in eine „Verfahrensstellung sui generis“ ein, die der Stellung eines Beschuldigten beziehungsweise Betroffenen weitgehend entspricht.917
914
So auch: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 703. Neben § 427 Abs. 1 StPO und § 87 Abs. 2 OWiG ist hier insbesondere § 435 Abs. 3 S. 1 StPO zu nennen. 916 Der Begriff des „Beschuldigten“ ist hier und im Folgenden im Sinne des § 157 StPO zu verstehen. 917 Es muss daher sprachlich genau differenziert werden; eine Bezeichnung des Unternehmens als „Beschuldigter“ oder „Betroffener“ ist zu vermeiden. Diese Differenzierung wird in der Rechtsprechung schon jetzt nicht immer beachtet, obwohl dem Unternehmen in § 444 StPO und § 88 OWiG ausdrücklich nur die Stellung eines Einziehungsbeteiligten zugestanden wird. Beispielhaft können die Entscheidungen des OLG Braunschweig vom 14. 05. 2014 (Ss OWi 148/11, Juris), des OLG Hamm vom 28. 06. 2000 (2 Ss OWi 604/1999, Juris) und des AG Tübingen vom 19. 08. 2011 (11 OWi 19 Js 6029/11, Juris) genannt werden, in denen das Unternehmen als „Betroffener“ bezeichnet wird. 915
C. Vorschläge für eine Reform des Verfahrensrechts
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C. Vorschläge für eine Reform des Verfahrensrechts Entsprechend den vorstehenden Überlegungen zu einer Neuausrichtung des Verfahrens können die Reformvorschläge letztlich auf zwei wesentliche Änderungen beschränkt werden: Erstens ist im Hinblick auf das Unternehmen und den Unternehmensmitarbeiter grundsätzlich ein getrenntes Verfahren vorzusehen. Infolge der Trennung der Verfahren muss dann die gerichtliche Zuständigkeit für die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße neu bestimmt werden. Zweitens ist das Verfahrensrecht von den Einziehungsvorschriften zu lösen und vollständig an den Normen auszurichten, die das Verfahren gegenüber der natürlichen Person regeln. Da die Unternehmensgeldbuße nicht nur an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters anknüpft, sondern auch im Falle einer Straftat festgesetzt werden kann, sollen dabei weiterhin sowohl die Verfahrensvorschriften des OWiG als auch die der StPO Anwendung finden.
I. Einführung des getrennten Verfahrens als Regelfall Der erste Vorschlag für eine Reform des Verfahrensrechts bezieht sich auf die Einführung des getrennten Verfahrens als Regelfall. Dadurch wird es außerdem notwendig, die Zuständigkeiten für das Verfahren gegen das Unternehmen zu regeln. 1. Trennung und Verbindung der Verfahren Das Verfahren gegen das Unternehmen sollte in Zukunft grundsätzlich unabhängig von dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter durchgeführt werden. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass im Hinblick auf das Unternehmen über einen eigenständigen, in § 30 OWiG enthaltenen Vorwurf verhandelt wird. Es kommt also – ebenso wie bei Mittätern – nicht darauf an, ob gegen den Unternehmensmitarbeiter ein Verfahren eingeleitet wird, die Ermittlungen eingestellt werden, oder seine Verurteilung im Falle eines Hauptverfahrens erfolgt.918 Dementsprechend erübrigen sich die Vorschriften zum selbstständigen Verfahren in § 30 Abs. 4 S. 1 und 2 OWiG. In diesem Zuge sollten auch die weiteren Verfahrensregelungen in § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG und § 30 Abs. 6 OWiG gestrichen und systematisch bei den anderen Bestimmungen für das Verfahren gegen das Unternehmen verortet werden, soweit dies erforderlich ist.919 918
Kommt es etwa zu einem Freispruch des Unternehmensmitarbeiters, weil ihm die Tat nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, und sind zugleich die Voraussetzungen für die Festsetzung einer anonymen Unternehmensgeldbuße gegeben, kann das Verfahren gegen das Unternehmen angestrebt werden. 919 Eine Regelung wird wohl nur im Hinblick auf die Verjährung und den Vermögensarrest erforderlich sein.
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Kap. 4: Prozessuale Ausgestaltung de lege ferenda
Sofern das getrennte Verfahren als grundsätzlich durchzuführendes Verfahren etabliert wird, sollte eine Möglichkeit zur Verbindung der Verfahren vorgesehen werden, falls dies, etwa aus prozessökonomischen Gründen, erforderlich erscheint. Es ist also eine Regelung aufzunehmen, die bestimmt, dass die Verfahren gegen das Unternehmen und den Unternehmensmitarbeiter bei dem zuständigen Gericht verbunden anhängig gemacht werden können beziehungsweise auch noch nach der Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen oder auf Antrag der Staatsanwaltschaft, des Unternehmens oder des Unternehmensmitarbeiters verbunden werden können. Eine Vorlage für die entsprechenden Vorschriften geben die Regelungen in §§ 2 ff. StPO zur Verbindung und Trennung zusammengehörender Sachen.920 Der Begriff des Zusammenhanges ist in Bezug auf die vorliegende Verfahrenssituation dabei dergestalt zu definieren, dass ein solcher auch zwischen der Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG und der Straftat beziehungsweise Ordnungswidrigkeit, deren Begehung der Unternehmensmitarbeiter beschuldigt wird und an die § 30 OWiG anknüpft, vorhanden ist.921 2. Folgen für die Zuständigkeiten De lege lata ist für die Entscheidung über die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße die Verwaltungsbehörde beziehungsweise das Gericht zuständig, die/das über die Tat des Unternehmensmitarbeiters entscheidet oder im Falle der Verfolgung des Unternehmensmitarbeiters zuständig wäre.922 Da die Unternehmensgeldbuße jedoch nicht mehr nur eine Nebenfolge der Tat des Unternehmensmitarbeiters ist, sondern über einen eigenständigen Vorwurf verhandelt wird, ist es geboten, die Zuständigkeit von Behörden und Gerichten möglichst unabhängig von der Anknüpfungstat zu bestimmen.
920 Nach der Auffassung von Engelhart sollen hingegen in dem Verfahren gegen das Unternehmen die §§ 2 ff. StPO, gegebenenfalls in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG, direkt gelten; vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 704. Gerade im Hinblick auf den Begriff des Zusammenhanges ist aber eine auf das Verfahren gegen das Unternehmen und den Unternehmensmitarbeiter abgestimmte Regelung erforderlich. Auch die gerichtliche Zuständigkeit kann abweichend geregelt werden (vgl. hierzu: Kapitel 4, C. I. 2.), weshalb spezielle Vorschriften zur Verbindung und Trennung der Verfahren aufzunehmen sind. 921 Ein Beispiel für eine Regelung zum Begriff des Zusammenhanges findet sich in § 15 Abs. 2 VerbStrG-E (Fn. 5), die allerdings – entsprechend der Einführung eines Unternehmensstrafrechts – auf die „Verbandsstraftat“ abstellt. Dasselbe gilt für § 12 Abs. 3 Kölner Entwurf (Fn. 6), wenngleich dort der neutralere Begriff „Verbandsverfehlung“ verwendet wird. 922 Für die Verfahren nach § 444 Abs. 1 StPO und § 88 Abs. 1 OWiG ergibt sich die, von der Anknüpfungstat abhängige Zuständigkeit aus der Einheitlichkeit des Verfahrens. Für die Fälle des selbstständigen Verfahrens ist sie dagegen ausdrücklich in §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 1 S. 1 StPO und § 88 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 OWiG normiert. Lediglich im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit enthalten § 444 Abs. 3 S. 2 StPO und § 88 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 OWiG unternehmensspezifische Vorgaben.
C. Vorschläge für eine Reform des Verfahrensrechts
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a) Sachliche Zuständigkeit Im Hinblick auf die sachliche Zuständigkeit der Gerichte sollte eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern der Landgerichte nach § 74c GVG begründet werden.923 Auch in den Fällen, in denen das Verfahren gegen das Unternehmen mit dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter verbunden wird, sollte die sachliche Zuständigkeit den Wirtschaftsstrafkammern übertragen werden.924 Im Vergleich zu dem geltenden Recht ergeben sich dadurch vor allem für das Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit Änderungen, da dort bislang gemäß § 68 Abs. 1 OWiG das Amtsgericht für die Entscheidung über die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße zuständig ist. Richtet sich das Rechtsmittelverfahren zudem weiterhin nach den §§ 79 ff. OWiG, wäre im Rechtsbeschwerdeverfahren regelmäßig der BGH zuständig. Die speziellen Regelungen im GWB und EnWG zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße durch die Kartellbehörde beziehungsweise die Regulierungsbehörde sind hingegen beizubehalten, da so die Fachkompetenz der Behörden und Gerichte weiter genutzt werden kann. Es bleibt folglich bei der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts gemäß § 83 GWB und § 98 EnWG, während im Rechtsbeschwerdeverfahren der BGH gemäß § 84 GWB und § 99 EnWG zuständig ist.925 Im Falle einer Straftat des Unternehmensmitarbeiters ist schon jetzt eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern gegeben, wenn die Anknüpfungstat aufgrund des wirtschaftsdeliktischen Bezugs unter den Katalog des § 74c Abs. 1 GVG fällt. Die Einführung einer generellen Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern hat für das Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters allerdings zur Folge, dass das Rechtsmittel der Berufung entfällt. Das Unternehmen kann die Entscheidung des Landgerichts bei entsprechender Anwendung der Vorschriften der StPO und des GVG also nur mit der Revision angreifen, welche in der Regel beim BGH zu erheben sein wird. Für die Bündelung der regelmäßig komplexen Verfahren gegen Unternehmen bei den Wirtschaftsstrafkammern spricht, dass diese bereits über besondere Kenntnisse vom Wirtschaftsleben verfügen und den Sachverhalt wirtschaftlich verständiger erfassen können. Zudem führt die Konzentration der Verfahren bei den speziellen
923 Ebenso: Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann, in: NZWiSt 2014, 201, 202; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 709; ders., in: NZWiSt 2015, 201, 209. Vgl. auch: Jahn, in: Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 84. 924 Im Übrigen bleibt es für den Unternehmensmitarbeiter bei den Zuständigkeitsregelungen des GVG. 925 Gibt die Kartellbehörde beziehungsweise die Regulierungsbehörde das Verfahren gemäß § 82 S. 2 GWB oder § 96 S. 2 EnWG an die zuständige Staatsanwaltschaft ab, ist nach der neuen Zuständigkeitsregelung wiederum die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts für die Entscheidung über die Unternehmensgeldbuße zuständig.
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Kap. 4: Prozessuale Ausgestaltung de lege ferenda
Kammern zu vertieften Kenntnissen in Bezug auf § 30 OWiG und ermöglicht das Entstehen einer Fachinstanz.926 b) Örtliche Zuständigkeit Die örtliche Zuständigkeit ist im Falle der Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters dem Gericht zu übertragen, in dessen Bezirk das Unternehmen seinen Sitz oder eine Zweigniederlassung hat. Die Regelung entspricht damit § 444 Abs. 3 S. 2 StPO, der einen entsprechenden Gerichtsstand für das selbstständige Verfahren normiert. Darüber hinaus sollte es bei einer Anbindung an das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter dergestalt bleiben, dass das Verfahren gegen das Unternehmen ebenfalls bei dem für die Verfolgung des Unternehmensmitarbeiters örtlich zuständigen Gericht geführt werden kann.927 Auch wenn dies der Eigenständigkeit des Verfahrens nicht vollkommen gerecht wird, ist es dadurch möglich, im Falle der Verbindung der Verfahren den vorrangigen Gerichtsstand bei dem Gericht zu bestimmen, welches für den Unternehmensmitarbeiter zuständig ist.928 Im Falle der Anknüpfung des Verfahrens an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters ist hingegen die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde zu regeln, da sich der Gerichtsstand gemäß § 68 Abs. 1 OWiG nach dem Sitz der Verwaltungsbehörde richtet.929 Dabei ist eine Vorschrift aufzunehmen, die der derzeitigen Regelung in § 88 Abs. 2 S. 2 OWiG entspricht. Nach dieser ist die Verwaltungsbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk das Unternehmen seinen Sitz oder eine Zweigniederlassung hat, oder die für die Verfolgung des Unternehmensmitarbeiters zuständig ist. Durch die Übernahme der Regelung in das künftige Verfahrensrecht wird eine Parallele zu der neuen Zuständigkeitsregelung in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat geschaffen. Eine Ergänzung ist allerdings dahingehend erforderlich, dass in dem Fall der Verfahrensverbindung die für die Verfolgung des Unternehmensmitarbeiters zuständige Verwaltungsbehörde die Ermittlungen leitet.
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Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 709. Entsprechendes gilt gemäß § 143 GVG für die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft in dem Verfahren gegen das Unternehmen. 928 Anderenfalls könnte der Gerichtsstand für den Unternehmensmitarbeiter an jedem Ort liegen, an dem das Unternehmen über eine Zweigniederlassung verfügt. Dies wurde von Fischer und Hoven in Bezug auf die Regelung in § 15 Abs. 1 VerbStrG-E (Fn. 5) zu Recht als „wenig sinnvoll“ bezeichnet; vgl. Fischer/Hoven, in: ZIS 2015, 32, 34. 929 § 68 Abs. 1 OWiG ist somit nur im Hinblick auf die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts durch eine speziellere Regelung für das Verfahren gegen das Unternehmen zu ersetzen. 927
C. Vorschläge für eine Reform des Verfahrensrechts
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II. Ausrichtung des Verfahrens an den Individualvorschriften der StPO Wird das Verfahren gegen das Unternehmen infolge einer Straftat des Unternehmensmitarbeiters geführt, sind de lege ferenda die Vorschriften anzuwenden, die das Strafverfahren gegenüber einer natürlichen Person regeln. Entscheidend sind dabei die Fragen, wie der Verweis auf die Individualvorschriften der StPO ausgestaltet wird und welche unternehmensspezifischen Vorschriften aufzunehmen sind. 1. Pauschaler Verweis auf die Regelungen für natürliche Personen Für das zukünftige Verfahren gegen das Unternehmen sollte ein pauschaler Verweis auf die Individualvorschriften eingeführt werden. Durch diesen wird der Ablauf des Verfahrens gegen das Unternehmen bestimmt und die Mitwirkungsrechte vorgegeben. Das Unternehmen kann sich dann in jeder Lage des Verfahrens auf die Befugnisse berufen, die einer natürlichen Person in der entsprechenden Verfahrenssituation zustünden. Ein erster Ansatz für einen solchen Verweis findet sich derzeit in §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 3 S. 1 StPO, über den die Vorschriften über die Hauptverhandlung entsprechend gelten. Statt den Verweis auf bestimmte Verfahrensabschnitte zu beschränken, sollten die Vorschriften für das Strafverfahren aber allgemein für sinngemäß anwendbar erklärt werden. Eine Einschränkung ist dann nur für solche Normen aufzunehmen, die ihrer Natur nach ausschließlich in Bezug auf natürliche Personen greifen können.930 Neben dem pauschalen Verweis sind weitere Vorschriften einzuführen, die spezielle Regelungen für das Unternehmen treffen und den allgemeinen Bestimmungen der StPO vorgehen. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, die nach der StPO und dem OWiG geführten Verfahren in Teilen einander anzugleichen und Schwierigkeiten, die sich durch die Anwendung der Individualvorschriften ergeben könnten, zu lösen.931 Die Kombination aus pauschalem Verweis und unternehmensspezifischen Vorschriften ist der Alternative überlegen, für das Verfahren gegen das Unternehmen eigene Vorschriften zu finden und diese lediglich durch bestimmte Individualvorschriften der StPO zu ergänzen. Vorbild einer solchen Regelung wäre § 428 StPO, der die Verteidigung betrifft und nur §§ 137 bis 139, 145a bis 149 und 218 StPO für entsprechend anwendbar erklärt. Auch §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO verweist beispielsweise nur auf einzelne Vorschriften des Zwischenverfahrens. Eine genauere Betrachtung der genannten Normen zeigt aber, dass diese Verweisungstechnik nicht unproblematisch ist. So ist umstritten, inwiefern der Verweis des § 428 Abs. 1 S. 2 StPO auf § 146 StPO die gemeinschaftliche Verteidigung von Unter-
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StPO. 931
Hierzu zählen beispielsweise die Vorschriften zur Untersuchungshaft in den §§ 112 ff. Vgl. hierzu: Kapitel 4, C. II. 2.
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nehmen und beschuldigtem Unternehmensmitarbeiter ausschließt.932 Bei §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO bleibt hingegen uneinsichtig, warum § 199 StPO keine Anwendung finden soll.933 Darüber hinaus müssten für jeden Normabschnitt der StPO entsprechende Vorschriften für das Unternehmen gefunden werden, was zu einem umfangreichen Regelwerk im Hinblick auf das Verfahren gegen das Unternehmen führen würde. Das Ziel, dem Unternehmen eine mit einem Beschuldigten vergleichbare Verfahrensstellung einzuräumen, lässt sich folglich einfacher verwirklichen, wenn allgemein auf die Bestimmungen für ein Strafverfahren gegen natürliche Personen verwiesen wird. Im Ergebnis bleibt es daher dabei, dass ein pauschaler Verweis auf die Individualvorschriften der StPO vorzugswürdig ist. Lediglich ausgewählte Aspekte des Verfahrens sind dann durch spezielle Normen zu regeln. 2. Spezielle Vorschriften für das Unternehmen Insbesondere im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bieten sich spezielle Vorschriften für das Verfahren gegen das Unternehmen an. Daneben ist zu prüfen, ob es, wie derzeit in § 444 Abs. 2 S. 1 StPO vorgesehen, einer vorrangigen Regelung für die Ladung und Anwesenheit des Unternehmens in der Hauptverhandlung bedarf. Schließlich ist infolge des Wegfalls von § 428 StPO auch im Hinblick auf die Vorschriften zur Verteidigung eine unternehmensspezifische Regelung erforderlich. a) Einleitung und Abschluss des Ermittlungsverfahrens Es sollte eine spezielle Vorschrift aufgenommen werden, nach der die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen das Unternehmen im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegt. Der pauschale Verweis auf die Individualvorschriften der StPO hätte anderenfalls zur Folge, dass sich die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen das Unternehmen nach § 152 Abs. 2 StPO richten würde. Die Staatsanwaltschaft wäre demnach zum Einschreiten verpflichtet, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Sanktionierung des Unternehmens gemäß § 30 OWiG in Betracht kommt. Der Anwendung des Legalitätsprinzips steht allerdings entgegen, dass die Unternehmenssanktion im Ordnungswidrigkeitenrecht normiert 932
Die herrschende Meinung erachtet eine gemeinschaftliche Verteidigung für zulässig; vgl. BVerfGE 45, 272, 288; KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 201; NK OWiG-SchmittLeonardy, § 30 OWiG, Rn. 52; KK StPO-Schmidt, § 444 StPO a.F., Rn. 8; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 444 StPO a.F., Rn. 12; KK OWiG-Mitsch, § 88 OWiG, Rn. 15; Bohnert, § 88 OWiG, Rn. 9; R/R/H-Hannich, § 88 OWiG, Rn. 27; NK OWiG-Schulz, § 88 OWiG, Rn. 5; anders: Göhler, § 88 OWiG, Rn. 14; Haeusermann, Verband, S. 371 ff.; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 468. Die gemeinschaftliche Vertretung von Einziehungsbeteiligtem und Beschuldigtem soll hingegen verboten sein; vgl. nur: OLG Düsseldorf, in: NStZ 1988, 289, 290; Meyer-Goßner/Schmitt, § 434 StPO a.F., Rn. 5; KK OWiG-Mitsch, § 87 OWiG, Rn. 67. 933 Siehe: Kapitel 2, B. II. 2.
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ist und bereits durch den Wortlaut des § 30 OWiG die Geltung des Opportunitätsprinzips zum Ausdruck kommt.934 Auch nach dem derzeitigen Recht wird es daher gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 1 S. 1 StPO der Staatsanwaltschaft überlassen, ob sie die selbstständige Festsetzung der Unternehmensgeldbuße bei Gericht beantragt.935 Zudem wäre in dem Verfahren gegen das Unternehmen, das im Falle des Vorliegens einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat nach dem OWiG geführt wird, § 47 Abs. 1 OWiG einschlägig, der die Verfolgung des Unternehmens in das pflichtgemäße Ermessen der Verwaltungsbehörde stellt. Um für die Verfolgungspraxis – trotz unterschiedlicher Verfahrensordnungen – die gleichen Grundvoraussetzungen zu gewährleisten, muss folglich eine Ermessensvorschrift für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens implementiert werden. Eine entsprechende Regelung ist auch für den Abschluss des Ermittlungsverfahrens aufzunehmen, da die Staatsanwaltschaft sonst bei Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 1 StPO zur Erhebung der öffentlichen Klage verpflichtet wäre. In dem Zusammenhang ist zu überlegen, ob der Staatsanwaltschaft die Erhebung einer Strafklage gegen das Unternehmen gestattet werden soll. Hiergegen spricht, dass es sich bei der Sanktion nach § 30 OWiG gerade nicht um eine Strafe, sondern um eine Geldbuße handelt, die durch einen Bußgeldbescheid geahndet wird. Dies sollte in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters berücksichtigt werden, weshalb eine spezielle Regelung für die Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens aufzunehmen ist. Als Vorlage könnten §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 1 und 2 StPO dienen. Danach kann die Staatsanwaltschaft bei Gericht einen Antrag auf Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße stellen, der den Vorgaben des § 200 StPO genügen muss. Voraussetzung sollte dabei, wie in dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter, sein, dass ein hinreichender Verdacht für die Festsetzung der Unternehmensgeldbuße gegeben ist. b) Durchführung der Ermittlungen gegen das Unternehmen Auch im Hinblick auf die Ermittlungen gegen das Unternehmen hilft der pauschale Verweis auf die Vorschriften der StPO zum Teil nicht weiter. Dies gilt beispielsweise in Bezug auf die Telekommunikationsüberwachung bei einem Unternehmen. Da die Unternehmenssanktion nach § 30 OWiG nicht zu dem Deliktskatalog des § 100a Abs. 2 StPO zählt, wäre die Überwachung der gesamten Telekommunikationsanlage des Unternehmens nicht zulässig. Die Ermittlungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft sind daher durch eine spezifische Vorschrift für das Verfahren gegen das Unternehmen zu konkretisieren. In der Literatur wird in Zu934
§ 30 OWiG lautet: „[…] so kann gegen [die juristische Person oder die Personenvereinigung] eine Geldbuße festgesetzt werden.“. 935 Die Vorschrift betrifft zwar nicht die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, doch zeigt sie, dass die Entscheidung über die Verfolgung des Unternehmens im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegt: Sie kann einen entsprechenden Antrag bei Gericht stellen, muss dies aber nicht tun.
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sammenhang mit der Diskussion zur Einführung eines Unternehmensstrafrechts und folglich eines Unternehmensstrafverfahrens empfohlen, unmittelbar gegen das Unternehmen gerichtete Maßnahmen zuzulassen, wenn die Straftat des Unternehmensmitarbeiters unter den Deliktskatalog der jeweiligen Maßnahme fällt.936 Eine solche Regelung ist auf das hier vorgeschlagene Verfahrensrecht übertragbar, da nach der dogmatischen Struktur des § 30 OWiG die Schwere der von dem Unternehmensmitarbeiter begangenen Straftat auf den gegenüber dem Unternehmen erhobenen Vorwurf durchschlägt. Dies hätte außerdem zur Folge, dass Beweise, die in dem Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter durch eine nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässigen Maßnahme aufgefunden werden, gemäß § 161 Abs. 2 S. 1 StPO oder § 477 Abs. 2 S. 2 StPO in das Verfahren gegen das Unternehmen eingebracht werden könnten. Die Regelung ist auch der Alternative vorzuziehen, die eine Verwertbarkeitsregelung zum Nachteil des Unternehmens für den Fall vorsieht, dass in dem gegen den Unternehmensmitarbeiter gerichteten Verfahren Daten durch eine nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässigen Maßnahme sichergestellt werden und die Maßnahme zur Aufklärung der Anknüpfungstat angeordnet wurde oder hätte angeordnet werden dürfen.937 Hiergegen wird zu Recht eingewandt, dass sich die Regelung nur auf den Unternehmensmitarbeiter konzentriert und außer Acht lässt, dass infolge des getrennten Verfahrens nunmehr eigenständige Ermittlungen gegen das Unternehmen ermöglicht werden müssen.938 Weiterer Regelungen zur Durchführung der Ermittlungen gegen das Unternehmen bedarf es im Übrigen nicht. Insbesondere im Hinblick auf Durchsuchungsmaßnahmen ist eine spezielle Vorschrift nicht erforderlich, da durch die neue Verfahrensausrichtung deutlich wird, dass die Stellung des Unternehmens im Verfahren der eines Beschuldigten entspricht. Durchsuchungen beim Unternehmen können somit ohne Weiteres nach § 102 StPO angeordnet werden.939 Im Übrigen wird die Staatsanwaltschaft durch den Verweis auf § 163a Abs. 1 S. 1 StPO verpflichtet, das Unternehmen spätestens vor dem Abschluss der Ermittlungen 936 Fischer/Hoven, in: ZIS 2015, 32, 33; Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann, in: NZWiSt 2014, 201, 203. 937 Eine entsprechende Verwertbarkeitsregelung ist in § 13 Abs. 3 S. 1 VerbStrG-E (Fn. 5) enthalten. 938 Vgl. Fischer/Hoven, in: ZIS 2015, 32, 33. Zwar bezieht sich die Kritik auf das Konzept des VerbStrG-E. Doch ist sie auf das hier entwickelte Verfahrensrecht anwendbar, da dieses ebenfalls ein eigenständiges Verfahren gegen das Unternehmen vorsieht. 939 Sofern schon nach dem geltenden Recht Durchsuchungen gegen das Unternehmen auf § 102 StPO gestützt werden, ist dies unter Berücksichtigung des eigenständigen Sanktionscharakters von § 30 OWiG zwar nachvollziehbar; vgl. etwa: BGH, in: NZKart 2014, 236, 237. Es wird aber außer Acht gelassen, dass das Verfahrensrecht diesem Verständnis von der Unternehmenssanktion keine Rechnung trägt, sondern für das Unternehmen noch an der Stellung eines Beteiligten festhält. Damit ist insbesondere im Ermittlungsverfahren eine sehr schwache Verfahrensposition verbunden, denn das Unternehmen wird – zu diesem Zeitpunkt noch als Außenstehender – nur über § 426 StPO in das Verfahren einbezogen. Für die Ermittlungsbefugnisse der Behörden ist diese Ausrichtung des Verfahrens ebenfalls entscheidend, weshalb Durchsuchungen bei dem Unternehmen nur nach § 103 StPO zulässig sind.
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zu vernehmen. Dem Unternehmen kommt wiederum durch den pauschalen Verweis auf die Vorschriften über die Vernehmung das Recht zu, gemäß § 163a Abs. 2 StPO Beweisanträge zu stellen und gemäß §§ 163a Abs. 3 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO nicht zur Sache auszusagen. Das Unternehmen hat also, wie auch nach dem geltenden Recht, ein Schweigerecht, welches durch das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK abgesichert wird.940 Dessen ungeachtet wird zum Teil bezweifelt, ob sich ein Unternehmen auf ein Schweigerecht berufen kann.941 Eine ausdrückliche Regelung für das zukünftige Verfahren gegen das Unternehmen mag daher sinnvoll sein, die dem Unternehmen die Freiheit einräumt, sich zu dem Vorwurf zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. In diesem Zusammenhang könnte zugleich klargestellt werden, dass nur die zur Vertretung des Unternehmens Berechtigten das Schweigerecht für das Unternehmen ausüben können.942 c) Ladung und Anwesenheit in der Hauptverhandlung Fraglich ist, ob auch für die Ladung und Anwesenheit des Unternehmens in der Hauptverhandlung spezielle Vorschriften aufgenommen werden sollten. Derzeit finden sich die entsprechenden Regelungen für das einheitliche Verfahren in § 444 Abs. 2 S. 1 StPO. Darüber hinaus regelt §§ 444 Abs. 2 S. 2, 427 Abs. 2 StPO das persönliche Erscheinen und §§ 444 Abs. 2 S. 2, 429 Abs. 3 Nr. 1 StPO die gerichtliche Hinweispflicht. Im selbstständigen Verfahren gelten an Stelle von § 444 Abs. 2 S. 1 StPO hingegen §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 429 Abs. 1 und 430 Abs. 1 StPO, die nur geringe Anforderungen an die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Unternehmens stellen. Im Rahmen der Neuregelung des Verfahrens könnten diese Vorschriften nun einander angeglichen und in einer einzigen Regelung zusammengefasst werden. Ziel des hier vorgeschlagenen Verfahrensrechts ist es allerdings, dem Unternehmen die gleichen prozessualen Rechte und Pflichten wie einer natürlichen Person zukommen zu lassen. Es ist daher insbesondere im Hinblick auf die Anwesenheit des Unternehmens nicht notwendig, von den §§ 230 ff. StPO abweichende Vorschriften zu normieren.943 Auch für das Unternehmen beziehungsweise die zur Vertretung des Unternehmens Berechtigten besteht daher de lege ferenda über den Verweis auf die Individualvorschriften der StPO die grundsätzliche Pflicht zur ununterbrochenen Anwesenheit in der Hauptverhandlung. Für die Ladung des Unternehmens gilt § 216 StPO entsprechend. 940
Vgl. hierzu: Kapitel 3, A. II. 2. b). So etwa von: Vogel, in: StV 2012, 427, 429; Frister/Brinkmann, in: Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 110. Vgl. auch: Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 357 ff. 942 Eine Änderung gegenüber dem geltenden Recht wäre damit nicht verbunden. Auch de lege lata obliegt die Ausübung des Schweigerechts für das Unternehmen den Vertretungsberechtigten; vgl. nur: KK OWiG-Rogall, § 30 OWiG, Rn. 209; KK StPO-Schmidt, § 444 StPO a.F., Rn. 7; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 476; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 107. 943 Vgl. auch: Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 196 ff. 941
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d) Verteidigung des Unternehmens Schließlich ist aber im Hinblick auf § 146 StPO eine spezielle Vorschrift für das Verfahren gegen das Unternehmen einzuführen, die eine gemeinschaftliche Verteidigung von Unternehmen und beschuldigtem Unternehmensmitarbeiter untersagt.944 Zum einen handelt es sich bei dem Unternehmen und dem Beschuldigten um zwei verschiedene Rechtssubjekte, denen jeweils eine eigene Verfahrensstellung in dem Verfahren nach der StPO zukommt. Die Situation ist damit ähnlich zu dem in § 146 S. 1 StPO geregelten Fall, der sich auf die gleichzeitige Verteidigung von mehreren derselben Tat Beschuldigten bezieht. Im Hinblick auf das Unternehmen und den Unternehmensmitarbeiter geht es zwar nicht um dieselbe Tat, doch knüpft die Unternehmensgeldbuße an die von dem Unternehmensmitarbeiter begangene Straftat an. Zum anderen kann es auch bei der gemeinschaftlichen Verteidigung von Unternehmen und beschuldigtem Unternehmensmitarbeiter zu Interessenskollisionen kommen, vor denen § 146 StPO gerade schützen will. Denkbar ist etwa, dass das Unternehmen zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung umfassend mit den Verfolgungsbehörden kooperieren will, während der Beschuldigte den Weg der Konfliktverteidigung anstrebt.945 Eine eindeutige Regelung ist an dieser Stelle angebracht, um die bereits de lege lata geführte Diskussion zu der Frage, ob eine Mehrfachverteidigung von Unternehmen und beschuldigtem Unternehmensmitarbeiter zulässig ist, abschließend zu klären.946 Abgesehen von § 146 StPO ergeben sich durch den pauschalen Verweis auf die Vorschriften zur Verteidigung keine weiteren Schwierigkeiten. Im Vergleich zur geltenden Rechtslage kommen lediglich die Vorschriften zur notwendigen Verteidigung neu hinzu: Bislang konnte nur über § 428 Abs. 2 StPO ein Verteidiger für das Unternehmen bestellt werden, wenn dies wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten erschien oder ersichtlich war, dass das Unternehmen seine Rechte nicht selbst wahrnehmen kann. Da das Verfahren gegen das Unternehmen de lege ferenda aber vor dem Landgericht stattfinden soll, gilt nun § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO, der die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich macht. Spezielle Regelungen für das Unternehmen sind in diesem Zusammenhang nicht notwendig. 3. Änderungen für das Unternehmen im Vergleich zum geltenden Recht Mit der Ausrichtung des Verfahrens an den Individualvorschriften der StPO ist für das Unternehmen eine grundlegende Veränderung dergestalt verbunden, dass sich das Verfahren nun nicht mehr an den Einziehungsvorschriften anlehnt. Es wurde aber schon aufgezeigt, dass auch im geltenden Recht teilweise die Bestimmungen, die das 944
Vgl. auch: Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 708. Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann, in: NZWiSt 2014, 201, 208. Weitere Beispiele für mögliche Interessenskollisionen finden sich bei: Fischer/Hoven, in: ZIS 2015, 32, 34. 946 Vgl. zum Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur die Nachweise in Fn. 932. 945
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Strafverfahren gegenüber natürlichen Personen regeln, über das Einziehungsrecht auf das Unternehmen Anwendung finden.947 Im Folgenden soll daher untersucht werden, an welchen Stellen sich Änderungen im Vergleich zum geltenden Recht ergeben und wie sich diese auf den Ablauf des Verfahrens und die Mitwirkungsrechte des Unternehmens auswirken. a) Das gegen das Unternehmen gerichtete Ermittlungsverfahren Die umfassendsten Änderungen sind für das Unternehmen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens vorhanden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass dem Unternehmen nach dem geltenden Recht nur eine sehr schwache Stellung in der Ermittlungsphase zukommt: Es wird weder im einheitlichen noch im selbstständigen Ermittlungsverfahren beteiligt und seine Einbeziehung in das Verfahren erfolgt im ungünstigsten Fall nur durch die Anhörung nach § 426 Abs. 1 StPO.948 Infolge der Neuausrichtung des Verfahrens entfallen diese Regelungen nun vollständig. De lege ferenda kann ein Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen eingeleitet werden, wodurch es von Beginn an eine mit einem Beschuldigten vergleichbare Verfahrensposition erhält. Dies muss nicht nur im Rahmen einzelner Ermittlungsmaßnahmen, wie etwa Durchsuchungen, beachtet werden, sondern führt auch zu der Verpflichtung, das Unternehmen vor dem Abschluss der Ermittlungen nach den Vorschriften über die Vernehmung eines Beschuldigten zu vernehmen. Das Unternehmen kann sich dabei, wie bislang, auf ein Schweigerecht berufen. Ferner stehen ihm weiterhin die Verteidigungsrechte der §§ 137 ff. StPO zur Verfügung. Nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für die Staatsanwaltschaft führt das neue Verfahren aber zu Verbesserungen. Diese kann in Zukunft direkt gegen das Unternehmen ermitteln und hat folglich nicht mehr das (technische) Problem, ihre Ermittlungen in Bezug auf einen Außenstehenden durchführen zu müssen. b) Fortführung des Ansatzes in § 435 Abs. 3 S. 1 StPO Weniger umfangreich als im Ermittlungsverfahren sind die Änderungen, die sich durch das neue Verfahrensrecht für das Zwischenverfahren ergeben. Da der Gesetzgeber in 2017 die Vorschrift des § 435 Abs. 3 S. 1 StPO neu aufgenommen hat, nach der die §§ 201 bis 204, 207, 210 und 211 StPO Anwendung finden, wird bereits de lege lata ein dem Zwischenverfahren nach Anklageerhebung entsprechendes Verfahren durchgeführt.949 So beurteilt das Gericht bei seiner Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens den Tatverdacht gegenüber dem Unternehmen, welches sich in dem Verfahren – unabhängig von seiner Beteiligung – auf die Rechte 947
A. II. 948
Vgl. nur die Zusammenfassung der Stärken des geltenden Verfahrensrechts in Kapitel 4,
Siehe insgesamt: Kapitel 3, A. II. Vgl. die Begründung zu § 435 StPO (Nummer 12) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 92. 949
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aus § 201 Abs. 1 StPO berufen kann. § 435 Abs. 3 S. 1 StPO greift allerdings nur im selbstständigen Verfahren, während im einheitlichen Zwischenverfahren die Anklage gegen den Unternehmensmitarbeiter Gegenstand des Verfahrens ist. Eine Prüfung in Bezug auf das Unternehmen erfolgt nur hinsichtlich der Anordnung seiner Beteiligung.950 Wird das hier vorgeschlagene Verfahrensrecht eingeführt, kommt es also in erster Linie im Vergleich zum einheitlichen Zwischenverfahren zu Änderungen. Im Übrigen wird aber der gesetzgeberische Ansatz in § 435 Abs. 3 S. 1 StPO fortgeführt und das Zwischenverfahren uneingeschränkt an den Individualvorschriften der §§ 199 ff. StPO ausgerichtet. Das zukünftige Zwischenverfahren entfernt sich im Hinblick auf den Ablauf und die Mitwirkungsrechte des Unternehmens daher nur in Teilen von dem geltenden Verfahrensrecht. c) Entscheidung aufgrund einer Hauptverhandlung durch Urteil Für das Hauptverfahren hat die Ausrichtung des Verfahrens an den Individualvorschriften der StPO zur Folge, dass über die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße stets aufgrund einer Hauptverhandlung durch Urteil entschieden wird. Im Unterschied zum aktuellen Verfahrensrecht entfällt also die Möglichkeit, ein schriftliches Verfahren durchzuführen. Dies ist unter zwei Gesichtspunkten zu befürworten: Zum einen sind die Mitwirkungsrechte des Unternehmens in dem schriftlichen Verfahren nach §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO nur schwach ausgeprägt und zum anderen ist das Verfahren der Öffentlichkeit entzogen.951 Da in Bezug auf das Unternehmen allerdings über einen eigenständigen Vorwurf verhandelt wird, ist es angemessen, wenn das Verfahren in Zukunft, wie auch bei einem Angeklagten, den Grundsätzen der Öffentlichkeit, Unmittelbarkeit und Mündlichkeit unterworfen ist. Dies führt zu einer höheren Verfahrenstransparenz und kann gerade auch bei komplexen Sachverhalten mit einem wirtschaftsrechtlichen Bezug zur Aufarbeitung des Verfahrensstoffes sinnvoll sein. Sofern dem Unternehmen durch die Öffentlichkeit des Verfahrens Nachteile drohen, gewährt die Regelung in § 172 GVG hinreichenden Schutz.952 Im Übrigen ergeben sich für das Unternehmen keine größeren Abweichungen zu der geltenden Rechtslage. Es wird – wie im Zwischenverfahren – ein bestehender Ansatz vertieft, da sich derzeit sowohl das einheitliche Verfahren als auch das selbstständige mündliche Verfahren an den Individualvorschriften der StPO ausrichten.953 An den letztlich anzuwendenden Vorschriften ändert sich durch das neue 950
Vgl. insgesamt zum Zwischenverfahren: Kapitel 3, B. II. Siehe in Bezug auf die Mitwirkungsrechte des Unternehmens: Kapitel 3, C. I. 3. a). 952 So ermöglicht § 172 Nr. 2 GVG den (teilweisen) Ausschluss der Öffentlichkeit, wenn ein wichtiges Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis zur Sprache kommt. 953 Für das Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter und das Unternehmen ergibt sich dies aus der Einheitlichkeit des Verfahrens, während für das selbstständige Verfahren ein entsprechender Verweis in § 434 Abs. 3 S. 1 StPO vorgesehen ist. Das Unternehmen kann sich in beiden Verfahren über § 427 Abs. 1 S. 1 StPO auf die Befugnisse eines Angeklagten berufen. 951
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Verfahrensrecht somit nichts. Es werden lediglich die Unterschiede zwischen dem einheitlichen und selbstständigen Verfahren durch einheitliche Regelungen ersetzt und die aus § 430 Abs. 2 StPO folgenden Einschränkungen für das Beweisantragsrecht des Unternehmens aufgegeben. d) Revision als zulässiges Rechtsmittel gegen das Urteil Im Hinblick auf das Rechtsmittelverfahren kommt es schließlich wieder zu umfassenderen Änderungen gegenüber dem geltenden Recht. Da die Unternehmensgeldbuße nur durch Urteil festgesetzt werden kann, entfällt für das Unternehmen die Möglichkeit, die Entscheidung mit der sofortigen Beschwerde anzugreifen.954 Auch das Rechtsmittel der Berufung ist nicht mehr zulässig, da die erstinstanzliche Zuständigkeit dem Landgericht übertragen wird.955 Statthaftes Rechtsmittel ist somit ausschließlich die Revision. Dies führt zu einer Angleichung der Verfahren, die an eine Straftat beziehungsweise an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters anknüpfen: Während in dem Verfahren nach der StPO die Revision gegen das Urteil zulässig ist, finden in dem Verfahren bei Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit die Vorschriften über die Rechtsbeschwerde in den §§ 79 ff. OWiG Anwendung, welche auf die strafprozessualen Revisionsvorschriften verweisen. Für das zukünftige Revisionsverfahren ergibt sich mit dem Wegfall des § 431 StPO nur eine einzige Änderung gegenüber dem geltenden Recht. Unabhängig davon, ob gegen den Unternehmensmitarbeiter ein Urteil ergangen ist, bestimmt sich der gerichtliche Prüfungsumfang nach § 352 StPO. Auch ansonsten richten sich der Verfahrensablauf und die Mitwirkungsrechte des Unternehmens nach den §§ 333 ff. StPO.
III. Ausrichtung des Verfahrens an den Individualvorschriften des OWiG Knüpft das Verfahren gegen das Unternehmen an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters an, richtet sich das Verfahren zukünftig an den Individualvorschriften des OWiG aus. Wie auch in dem Verfahren bei Vorliegen einer Straftat des Unternehmensmitarbeiters stellt sich dabei die Frage, in welcher Form auf die Individualvorschriften verwiesen werden soll und ob es spezieller Regelungen für das Unternehmen bedarf. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt 954 De lege lata ordnen §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO an, dass die sofortige Beschwerde das zulässige Rechtsmittel gegen den gerichtlichen Beschluss ist. 955 Gemäß § 312 StPO ist die Berufung nur gegen Urteile des Strafrichters und des Schöffengerichts zulässig.
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werden, dass die Vorschriften der StPO, etwa über § 46 Abs. 1 OWiG, in dem Bußgeldverfahren sinngemäß gelten und somit ebenfalls in dem Verfahren gegen das Unternehmen Anwendung finden werden. 1. Pauschaler Verweis auf die Regelungen für natürliche Personen Der Verweis auf die Individualvorschriften des OWiG sollte in der Form ausgestaltet werden, dass pauschal auf die Bestimmungen für das Bußgeldverfahren gegen eine natürliche Person verwiesen und das Verfahren gegen das Unternehmen ansonsten nur durch einzelne Vorschriften speziell geregelt wird. Hierfür spricht, dass auch für das Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters ein pauschaler Verweis gewählt wurde.956 Ein entsprechender Aufbau in dem Verfahren bei Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit fördert daher die Übersichtlichkeit der Verfahren. Zwar steht dieser Verweisungsart die Alternative gegenüber, für das Verfahren gegen das Unternehmen eigene Vorschriften zu normieren, die lediglich auf bestimmte Regelungen des Bußgeldverfahrens verweisen. Doch lässt sich gegen diesen Vorschlag einwenden, dass dann für die meisten Abschnitte des OWiG und, wegen der Verweise auf die StPO, gegebenenfalls auch für bestimmte strafprozessuale Abschnitte neue Regelungen für das Unternehmen gefunden werden müssten. Ein allgemeiner Verweis auf die ihrer Natur nach anwendbaren Individualvorschriften des OWiG ist folglich besser umsetzbar. Aus diesem ergeben sich dann die Bestimmungen für den Ablauf des Verfahrens und die Mitwirkungsrechte des Unternehmens. Unklarheiten im Hinblick auf die Anwendung einzelner Individualvorschriften können dabei vermieden werden, indem für das Unternehmen spezielle Vorschriften eingeführt werden. Im Hinblick auf die anwendbaren Verfahrensregelungen hat die entsprechende Ausgestaltung des Verfahrens zur Folge, dass für das Unternehmen über den Verweis die Bestimmungen für das Bußgeldverfahren gegen eine natürliche Person Anwendung finden, sofern es keine spezielle Regelung für das Unternehmen gibt. Der pauschale Verweis umfasst beispielsweise die Vorschriften über das Hauptverfahren in den §§ 71 ff. OWiG oder die Regelungen zur Rechtsbeschwerde in den §§ 79 ff. OWiG. Folglich gelten auch die Verweisungsnormen, wie § 46 Abs. 1 OWiG oder § 79 Abs. 3 OWiG, entsprechend. Werden über diese die strafprozessualen Vorschriften für das Bußgeldverfahren herangezogen, erfolgt für das Unternehmen in erster Linie ein Rückgriff auf die unternehmensspezifischen Vorschriften in der StPO. Nur wenn es dort an einer Regelung fehlt, finden die allgemeinen Bestimmungen der StPO für das Verfahren gegen das Unternehmen Anwendung. In Bezug auf die unternehmensspezifischen Vorschriften, die in das OWiG aufzunehmen sind, ist es daher sinnvoll, sich an den in der StPO normierten unternehmensspezifischen Vorschriften zu orientieren und diese gegebenenfalls auch im OWiG einzuführen. Im
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Siehe: Kapitel 4, C. II. 1.
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Falle eines Rückgriffs auf die StPO würden dann direkt die Individualvorschriften gelten; dies erleichtert die Rechtsanwendung. 2. Spezielle Vorschriften für das Unternehmen Bei der Prüfung, welche speziellen Vorschriften für das Verfahren gegen das Unternehmen zu implementieren sind, geben – gemäß den vorstehenden Überlegungen – die in die StPO aufgenommenen unternehmensspezifischen Vorschriften erste Anhaltspunkte.957 In Bezug auf die speziellen Vorschriften zu der Einleitung und dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens, welche die Geltung des Opportunitätsprinzips vorsehen, bedarf es keiner entsprechenden Regelung für das Verfahren gegen das Unternehmen bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters. Vielmehr gilt über den pauschalen Verweis auf die Individualvorschriften § 47 Abs. 1 OWiG, der die Verfolgung des Unternehmens in das pflichtgemäße Ermessen der Verfolgungsbehörden stellt. Auch im Hinblick auf die Durchführung der Ermittlungen gegen das Unternehmen ist eine spezielle Vorschrift für das Bußgeldverfahren nicht notwendig: Entschließt sich die Verwaltungsbehörde dazu, gegen das Unternehmen zu ermitteln, kann sie gemäß § 46 Abs. 2 OWiG auf dieselben Ermittlungsmaßnahmen wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten zurückgreifen. Sofern Maßnahmen, wie etwa die Überwachung der Telekommunikation, allerdings nur bei Vorliegen einer bestimmten Straftat zulässig sind, kann die Verwaltungsbehörde diese im Hinblick auf § 30 OWiG nicht durchführen. Auch gegenüber dem Unternehmensmitarbeiter wäre eine solche Maßnahme im Bußgeldverfahren ausgeschlossen, da die Verwaltungsbehörde in Bezug auf eine Ordnungswidrigkeit ermittelt. Für das Verfahren gegen das Unternehmen erübrigt sich damit eine spezielle Regelung wie in der StPO, nach der eine entsprechende Maßnahme gegen das Unternehmen gerichtet werden kann, wenn die Anknüpfungstat unter den Deliktskatalog der jeweiligen Maßnahme fällt. Hat die Verwaltungsbehörde ihre Ermittlungen schließlich abgeschlossen und sich für eine Sanktionierung des Unternehmens entschieden, setzt sie die Unternehmensgeldbuße de lege ferenda gemäß § 65 OWiG in einem Bußgeldbescheid fest. Durch die entsprechende Anwendung der Norm über den pauschalen Verweis ist eine Klarstellung, wie sie derzeit in § 88 Abs. 2 S. 1 OWiG für das selbstständige Verfahren geregelt ist, nicht mehr erforderlich. Bislang besteht damit noch keine Notwendigkeit, eine unternehmensspezifische Vorschrift für das Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit aufzunehmen. Etwas anderes könnte sich aber im Hinblick auf das Schweigerecht ergeben, dessen Geltung für das Unternehmen in dem Verfahren bei Vorliegen einer Straftat des Unternehmensmitarbeiters ausdrücklich klargestellt wird. Durch den pauschalen Verweis auf die Individualvorschriften des OWiG gilt in dem Ermittlungsverfahren 957
Vgl. zu den einzelnen Regelungen: Kapitel 4, C. II. 2.
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gegen das Unternehmen § 55 OWiG, der § 163a Abs. 1 StPO und § 136 Abs. 1 StPO für das Bußgeldverfahren modifiziert. Im Übrigen finden aber über § 46 Abs. 1 OWiG die strafprozessualen Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten Anwendung, weshalb es dem Unternehmen gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 163a Abs. 3 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO freisteht, nicht zur Sache auszusagen. Da an dieser Stelle somit ein Rückgriff auf die Vorschriften der StPO erfolgt, würde für das Unternehmen die spezielle Regelung in der StPO zum Schweigerecht vorrangig greifen. Um hier eine einfachere Systematik zu schaffen, ist auch für das Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit eine unternehmensspezifische Vorschrift zur Geltung des Schweigerechts einzuführen. Gleiches gilt für das Verbot der Mehrfachverteidigung, das im Bußgeldverfahren gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 146 StPO zu beachten ist. Für das Unternehmen käme stattdessen die spezielle Regelung in der StPO zur Anwendung, die eine gemeinschaftliche Verteidigung von Unternehmen und beschuldigtem Unternehmensmitarbeiter ausschließt. Auch hier ist daher eine vorrangige Regelung für das Unternehmen im OWiG aufzunehmen.958 Darüber hinaus ergeben sich aber weder aus den derzeit geltenden Regelungen in § 88 OWiG noch aus den zukünftig anzuwendenden Individualvorschriften des OWiG weitere Bestimmungen, die für das Verfahren gegen das Unternehmen speziell normiert werden müssten. Insbesondere im Hinblick auf die Anwesenheit des Unternehmens im Verfahren sind vorrangige Regelungen nicht erforderlich. Vielmehr gelten §§ 73, 74 OWiG, wodurch das Unternehmen die gleichen Rechte und Pflichten wie eine natürliche Person erhält. Im Gegensatz zu dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters sind für das Verfahren nach dem OWiG somit nur zwei spezielle Vorschriften für das Unternehmen einzuführen.
3. Änderungen für das Unternehmen im Vergleich zum geltenden Recht Wie auch in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters soll im Folgenden ein Überblick über die Änderungen gegeben werden, die mit der Neuausrichtung des Verfahrens an den Individualvorschriften des OWiG verbunden sind. Dabei wird sich zeigen, dass sich Abweichungen gegenüber dem geltenden Recht insbesondere im Ermittlungsverfahren und im Hauptverfahren bemerkbar machen. Für das Zwischenverfahren ergeben sich in Bezug auf den Ablauf und die Mitwirkungsrechte des Unternehmens hingegen keine Änderungen, da das Zwischenverfahren bereits de lege lata nach den §§ 67 ff. OWiG geführt wird und sich das Unternehmen gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG in diesem Verfahrensabschnitt ohne Einschränkungen auf die Befugnisse eines Betroffenen 958 Im Übrigen ist im Hinblick auf die Vorschriften zur Verteidigung nur zu beachten, dass in dem Verfahren gegen das Unternehmen § 60 OWiG Anwendung findet. Es kann daher durch die Verwaltungsbehörde ein Pflichtverteidiger für das Unternehmen bestellt werden.
C. Vorschläge für eine Reform des Verfahrensrechts
269
berufen kann.959 Lediglich die erstinstanzliche Zuständigkeit ändert sich in Zukunft, wenn diese von dem Amtsgericht auf das Landgericht übertragen wird. a) Das gegen das Unternehmen gerichtete Ermittlungsverfahren Der Verwaltungsbehörde steht es nach dem neuen Verfahrensrecht frei, ein Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen einzuleiten. Anders als bislang stellen sich die Fragen in Zusammenhang mit der Beteiligung des Unternehmens an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Verfahren beziehungsweise im selbstständigen Verfahren dann nicht mehr. Dies ist von Vorteil, weil die Beteiligung des Unternehmens in der Regel erst nach dem Abschluss der Ermittlungen und damit zu einem zu späten Zeitpunkt angeordnet wird, was zu einer hohen Intransparenz des Verfahrens und zu praktischen Problemen bei der Verfolgung des Unternehmens führt.960 Beide Verfahrensnachteile entfallen, wenn nunmehr ein formales Verfahren gegen das Unternehmen eingeleitet wird. Das Unternehmen erhält dadurch eine mit einer natürlichen Person vergleichbare Verfahrensposition und kann sich auf die entsprechenden Rechte berufen. So tritt an die Stelle der Anhörung nach § 426 Abs. 1 StPO die Anhörung des Unternehmens nach § 55 OWiG und § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 163a, 136 StPO. Die Stellung des Unternehmens verbessert sich damit im Vergleich zum geltenden Recht, da nun die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten Anwendung finden, soweit sie nicht durch § 55 OWiG modifiziert werden.961 Das Unternehmen hat dabei die Möglichkeit, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen, wenngleich ein entsprechender Hinweis durch die Verwaltungsbehörde gemäß § 55 Abs. 2 S. 1 OWiG nicht erfolgt. Ein mit der Neuausrichtung des Verfahrens verbundener Nachteil ist allerdings, dass dem Unternehmen nicht mehr dieselben Rechte wie in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters zukommen. Während in beiden Verfahren bislang § 426 StPO gilt, wird das Unternehmen in dem zukünftigen Verfahren bei Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit nur noch in der durch § 55 OWiG abgeschwächten Form vernommen. Bei Vorliegen einer Straftat finden die §§ 163a, 136 StPO für das Unternehmen hingegen uneingeschränkt Anwendung. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass dem Unternehmen bei Anknüpfung an eine Straftat ein stärkerer Schuldvorwurf zugerechnet wird, weshalb die höheren Anforderungen an die Vernehmung des Unternehmens in diesen Fällen angebracht sind.962
959
Siehe insgesamt: Kapitel 3, B. III. Vgl. hierzu: Kapitel 3, A. III. 1. a) und b). 961 De lege lata steht die Entscheidung über die Durchführung der Vernehmung gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2 StPO beziehungsweise §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 426 Abs. 2 StPO im Ermessen der Verwaltungsbehörde. 962 Vgl. zu den Gründen für die Verankerung des neuen Verfahrensrechts in beiden Verfahrensordnungen: Kapitel 4, B. II. 960
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Kap. 4: Prozessuale Ausgestaltung de lege ferenda
b) Wegfall der verschiedenen Verfahrenskonstellationen im Hauptverfahren Bisher hängt der Ablauf des Hauptverfahrens entscheidend davon ab, ob das Verfahren infolge des Einspruchs von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen oder infolge des alleinigen Einspruchs des Unternehmens geführt wird. Während im Falle eines einheitlichen Vorgehens von Unternehmensmitarbeiter und Unternehmen für das Hauptverfahren die §§ 71 ff. OWiG gelten, richtet sich das Verfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens nach der StPO und damit nach einer anderen Verfahrensordnung, obwohl das Unternehmen keinen Einfluss auf das Prozessverhalten des Unternehmensmitarbeiters hat.963 Durch die Neuausrichtung des Verfahrens entfallen diese verschiedenen Verfahrenskonstellationen nun, da das Verfahren gegen das Unternehmen infolge des pauschalen Verweises auf die Individualvorschriften des OWiG stets gemäß den §§ 71 ff. OWiG geführt wird. Es kommt also nicht mehr darauf an, ob der Unternehmensmitarbeiter ebenfalls Einspruch eingelegt hat. Die Anwendung der §§ 71 ff. OWiG hat zur Folge, dass das zukünftige Hauptverfahren in weiten Teilen dem bestehenden einheitlichen Verfahren entspricht. Neu sind nur die Regelungen zur Anwesenheit des Unternehmens in der Hauptverhandlung, die sich fortan aus §§ 73, 74 OWiG ergeben. Ansonsten bleibt es bei den Verfahrenserleichterungen, welche die §§ 77 ff. OWiG für die Durchführung der Beweisaufnahme und das folgende Verfahren vorsehen. Im Hinblick auf die Beweisanträge des Unternehmens gelten somit auch in Zukunft die weiten Ablehnungsgründe in § 77 Abs. 2 Nr. 1 und 2 OWiG, wenngleich die einschränkende Regelung in § 430 Abs. 2 StPO entfällt. Im Übrigen kann sich das Unternehmen, wie eine natürliche Person, über § 46 Abs. 1 OWiG auf die strafprozessualen Mitwirkungsrechte eines Angeklagten berufen. Eine Anhörung des Unternehmens zur Vorbereitung der Hauptverhandlung ist gemäß § 71 Abs. 2 S. 2 OWiG ebenfalls möglich. Durch die Geltung von § 72 OWiG kann allerdings – anders als in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters – ein schriftliches Verfahren durchgeführt werden, wenn das Gericht eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält. Eine solche ist insbesondere in einfach gelagerten Fällen, die keine umfangreiche Beweisaufnahme benötigen, entbehrlich.964 Für das Verfahren gegen das Unternehmen mag ein schriftliches Verfahren angesichts des oftmals komplexen Sachverhalts daher in der Regel nicht in Betracht kommen. Sollte das Gericht gleichwohl durch Beschluss entscheiden wollen, steht dem Unternehmen ein Widerspruchsrecht zu, wodurch es dem schriftlichen Ver-
963
Da es für die Verfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens an einem Verweis auf die Individualvorschriften des OWiG fehlt, finden die §§ 71 ff. OWiG mangels Einheitlichkeit des Verfahrens keine Anwendung. Es muss daher über § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 444 StPO auf die Regelungen in § 434 Abs. 2 und 3 StPO zurückgegriffen werden; siehe: Kapitel 2, B. III. 3. b) und Kapitel 2, B. IV. 3. 964 KK OWiG-Senge, § 72 OWiG, Rn. 4; BeckOK OWiG-Hettenbach, § 72 OWiG, Rn. 1.
D. Fazit
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fahren und der damit verbundenen schwachen Ausgestaltung seiner Mitwirkungsrechte entgegentreten kann.965 c) Rechtsbeschwerde als zulässiges Rechtsmittel Für das Rechtsmittelverfahren kommt es im Vergleich zum geltenden Recht nur zu wenigen Änderungen. Wie bislang kann das Unternehmen mit dem Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil oder den Beschluss des Gerichts vorgehen. Im Hinblick auf den Ablauf und die Mitwirkungsrechte des Unternehmens besteht die einzige Änderung somit darin, dass die Einschränkung des Prüfungsumfangs nach § 431 StPO nicht mehr greift. Da die §§ 79 ff. OWiG zudem durch den pauschalen Verweis auf die Individualvorschriften des OWiG immer in dem Verfahren gegen das Unternehmen gelten, entfallen die derzeit bestehenden Unsicherheiten, die in Bezug auf das anzuwendende Verfahrensrecht gegeben sind.966 Wie auch in dem Hauptverfahren ist das Prozessverhalten der Beteiligten für das Verfahren gegen das Unternehmen nicht mehr relevant. Eine Abweichung zum geltenden Recht ergibt sich lediglich noch im Hinblick auf die gerichtliche Zuständigkeit. So ist derzeit das Oberlandesgericht gemäß § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 121 Abs. 1 Nr. 1a GVG aufgrund der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts zur Entscheidung im Rechtsmittelverfahren berufen. Da die Zuständigkeit in der ersten Instanz de lege ferenda aber bei einem Landgericht liegt, wird das Rechtsbeschwerdeverfahren gemäß § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit §§ 135 Abs. 1, 121 Abs. 1 Nr. 1c GVG in der Regel beim BGH zu eröffnen sein.
D. Fazit Betrachtet man die derzeit geltenden Vorschriften, die das Verfahren gegenüber dem Unternehmen regeln, zeigt sich, dass das Verfahrensrecht an vielen Stellen hinter dem zurückbleibt, was angesichts des Sanktionscharakters von § 30 OWiG zu erwarten ist. Gleichwohl sind Ansätze vorhanden, die dem Unternehmen – über den Umweg des Einziehungsrechts – eine Stellung einräumen, die mit der einer natürlichen Person vergleichbar ist. De lege ferenda gilt es, an diesen Punkten anzusetzen und das Unternehmen einer natürlichen Person weitgehend gleichzustellen. Es wird deshalb vorgeschlagen, die Aufteilung in ein einheitliches und ein selbstständiges Verfahren aufzugeben und das getrennte Verfahren als Regelfall einzuführen. Damit 965 Vgl. zu den Mitwirkungsrechten des Unternehmens im schriftlichen Verfahren nach § 72 OWiG: Kapitel 3, C. II. 1. a) bb). 966 So ist zum Beispiel für das einheitliche Verfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens umstritten, ob die Vorschriften über die Rechtsbeschwerde in den §§ 79 ff. OWiG Anwendung finden; vgl. hierzu: Kapitel 2, B. III. 4. b).
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Kap. 4: Prozessuale Ausgestaltung de lege ferenda
entfallen zum einen die Unterschiede, die für das Unternehmen durch die beiden Verfahrensarten innerhalb einer Verfahrensordnung entstehen, und zum anderen kann losgelöst von einem etwaigen Verfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter gegen das Unternehmen vorgegangen werden. Der zweite Reformvorschlag bezieht sich auf die gerichtliche Zuständigkeit in der ersten Instanz, die fortan den Wirtschaftsstrafkammern der Landgerichte übertragen werden soll. Die Verfahren wegen einer Sanktion nach § 30 OWiG werden folglich bei fachlich spezialisierten Kammern gebündelt, die über besondere wirtschaftliche Kenntnisse verfügen. Drittens wird die Loslösung von den Vorschriften über das Einziehungsverfahren und die Ausrichtung des Verfahrens an den Individualvorschriften der StPO und des OWiG vorgeschlagen. Dabei wird empfohlen, über einen pauschalen Verweis auf die Bestimmungen für das Straf- und Bußgeldverfahren gegen die natürliche Person zu verweisen und nur einzelne Aspekte des Verfahrens durch unternehmensspezifische Vorschriften zu regeln. Die neue Verfahrensausrichtung hat zur Folge, dass die unklaren Regelungen zur Beteiligung des Unternehmens sowie die mit dem Einziehungsverfahren verbundenen Einschränkungen, wie sie etwa in § 430 Abs. 2 StPO oder § 431 StPO normiert sind, entfallen. Zudem kann ein Verfahren gegen das Unternehmen eingeleitet werden, da es künftig wie ein Beschuldigter beziehungsweise Betroffener zu behandeln ist. Insbesondere für das Ermittlungsverfahren kommt es dadurch zu umfassenden Änderungen im Vergleich zum geltenden Verfahrensrecht, da in Bezug auf das Unternehmen bislang kaum Regelungen für diesen Verfahrensabschnitt bestehen. Im Übrigen verweisen aber auch die Einziehungsvorschriften an vielen Stellen auf die Individualvorschriften der StPO und des OWiG, so dass sich für den Ablauf des Verfahrens und die Mitwirkungsrechte des Unternehmens trotz der grundlegenden Umstrukturierung des Verfahrensrechts durch die Reformvorschläge teilweise nur geringe Abweichungen gegenüber dem geltenden Recht ergeben.
Kapitel 5
Resümee Der Gesetzgeber wollte die Frage nach einer Sanktionierung von Unternehmen nach jahrzehntelanger Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts „einer einheitlichen und abschließenden Lösung“967 zuführen, indem er im Jahre 1968 die Unternehmensgeldbuße im OWiG verankerte. Da zu diesem Zeitpunkt ein qualitativer Unterschied zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten angenommen wurde, war es möglich, in Bezug auf Unternehmen die Festsetzung einer Geldbuße zuzulassen.968 Eine Bestrafung des Unternehmens schied hingegen aufgrund des auf natürliche Personen zugeschnittenen Schuldbegriffs des Strafrechts aus – ein Argument, das auch heute noch zu den gewichtigsten Gründen gegen die Einführung eines Unternehmensstrafrechts zählt. So gibt es zwar verschiedene Versuche, Schuldfähigkeit von Unternehmen, ebenso wie Handlungsfähigkeit, zu konstruieren. Doch sind alle Ansätze mit Modifikationen beziehungsweise Neubewertungen des individualstrafrechtlichen Handlungs- und Schuldbegriffs verbunden.969 Die Vorwerfbarkeit im Sinne des § 1 OWiG wurde jedoch in der Fehlerhaftigkeit des auf Verwaltungsungehorsam ausgerichteten Willens gesehen, welcher auch dem durch seine Organe repräsentierten Unternehmen zugerechnet werden konnte.970 Ob damit eine Haftung des Unternehmens für eine fremde Tat etabliert werden sollte, ließ der Gesetzeber allerdings offen.971 Um „etwaige dogmatische Bedenken“972 zu beseitigen, behalf er sich vielmehr mit einer Nebenfolgenkonstruktion, nach der die Unternehmensgeldbuße lediglich als Nebenfolge der Straftat oder Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters anzusehen war. Die für das Unternehmen in dieser Form geschaffene Rechtslage war entscheidend für die Ausgestaltung der prozessualen Bestimmungen in § 30 Abs. 4 OWiG, § 444 StPO und § 88 OWiG, die ebenfalls 1968 eingeführt wurden. Wegen der engen Verbindung 967
Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 57. 968 Vgl. die Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 58 f. 969 Vgl. zu den genannten Ansätzen ebenso wie zu den weiteren Modellen, die sich von individualstrafrechtlicher Handlung und Schuld lösen wollen: Kapitel 1, B. II. 1. b) und 2. c). 970 Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 52; ders., in: Wirtschaftsstrafgesetz, S. 32 f. 971 Vgl. zu der Begründung des Gesetzgebers und den Auslegungen in der Literatur: Kapitel 1, C. III. 1. b). 972 Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 59.
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Kap. 5: Resümee
zwischen der Anknüpfungstat und der Unternehmensgeldbuße als deren Nebenfolge normierte der Gesetzgeber das einheitliche Verfahren als grundsätzlich durchzuführendes Verfahren, während die selbstständige Festsetzung der Unternehmensgeldbuße nur in Ausnahmefällen zulässig war.973 Um die Einheitlichkeit des Verfahrens je nach Anknüpfungstat sicherzustellen, wurden die Verfahrensbestimmungen für das Unternehmen sowohl in die StPO als auch das OWiG aufgenommen.974 Die Regelfall- und Ausnahmekonstellation des einheitlichen und selbstständigen Verfahrens wurde schließlich mit der Einführung des § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG aufgebrochen. Es blieb allerdings bei der grundlegenden Ausrichtung des Verfahrens in Form der beiden Verfahrensarten, während das getrennte Verfahren, welches über § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG ermöglicht wird, nur ausnahmsweise zur Anwendung kommt.975 Eine weitere Auswirkung der Nebenfolgenkonstruktion war die Anbindung des Verfahrensrechts an die Vorschriften über das Einziehungsverfahren. Für den Gesetzgeber war die Unternehmensgeldbuße als Nebenfolge der Straftat oder Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters mit der Einziehung als Rechtsfolge einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit vergleichbar, so dass er das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße eng an das Verfahren bei der Einziehung gegenüber einem tatunbeteiligten Dritten anlehnte.976 Die prozessuale Stellung des Unternehmens entsprach damit der eines Einziehungsbeteiligten. An dieser Verfahrensausgestaltung hat sich bis heute nichts geändert.977 Die Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße erfolgt noch immer nach Verfahrensvorschriften, deren Grundlagen sich in der Konzeption des § 30 OWiG als Nebenfolge einer Tat des Unternehmensmitarbeiters finden. Die entsprechende Einordnung des § 30 OWiG ist allerdings längst überholt; auch der Gesetzgeber hat anerkannt, dass es sich bei der Unternehmensgeldbuße um eine eigenständige Sanktion handelt, mit der ein Vorwurf gegenüber dem Unternehmen erhoben wird.978 Dieser Vorwurf kann nicht mehr, wie noch 1968, in einem fehlerhaften Willen gesehen werden. Denn in 973 Vgl. die Begründung zu § 19 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 62. 974 Vgl. die Begründung zu § 77 OWiG des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1269, S. 113 sowie die Begründung zu § 444 StPO (Nummer 11) des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drs. 5/1319, S. 82. 975 Vgl. insgesamt zu der Untersuchung, in welchem Verhältnis die Verfahrensarten zueinander stehen: Kapitel 2, A. II. 2. 976 Vgl. hierzu: Kapitel 2, C. I. 977 Die Änderungen in § 444 StPO und § 88 OWiG im Jahre 2017 waren lediglich redaktioneller Natur; vgl. die Begründung zu § 444 StPO (Nummer 14) und § 88 OWiG (Nummer 8) des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BTDrs. 18/9525, S. 93 und 106. Im Übrigen wurden die Vorschriften seit ihrer Einführung im Jahre 1968 nur einmal angepasst, als 1986 die Worte „als Nebenfolge der Tat“ gestrichen wurden; siehe zu den Änderungen bezüglich § 444 StPO und § 88 OWiG: Artikel 2 Nr. 7 und Artikel 8 Nr. 1b) 2. WiKG. 978 Vgl. hierzu: Kapitel 1, C. II.
Kap. 5: Resümee
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Bezug auf das Ordnungswidrigkeitenrecht herrscht nunmehr die Auffassung vor, dass auch die Vorwerfbarkeit nach § 1 OWiG ein sozialethisches Unwerturteil enthalte.979 Im Hinblick auf die Unternehmensgeldbuße zwingt dies zu einer abweichenden Definition von Vorwerfbarkeit – ebenso, wie im Falle eines Unternehmensstrafrechts die Schuld unternehmensspezifisch konstruiert werden müsste. Die „Vorwerfbarkeit“ gegenüber dem Unternehmen ist daher in einer Kombination aus Zurechnung von Handeln und Verschulden des Unternehmensmitarbeiters als eigenes Handeln und Verschulden und aus einem eigenständigen Vorwurf im Sinne einer besonderen Unternehmensverantwortlichkeit zu sehen.980 Welche Folgen das „alte“ Verfahrensrecht für das Unternehmen hat, wurde im Rahmen der Bestandsaufnahme zum geltenden Verfahrensrecht untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass sich die verschiedenen Verfahrenskonstellationen in ihrem Aufbau und Ablauf weitgehend voneinander unterscheiden und jeweils isoliert betrachtet werden muss, welche Vorschriften Anwendung finden. Am einfachsten ist noch der Verlauf des einheitlichen Verfahrens bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters nachzuvollziehen, da hier die für den Unternehmensmitarbeiter geltenden Verfahrensbestimmungen den Rahmen für das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße vorgeben. Die Einbeziehung des Unternehmens in das Verfahren erfolgt über die Regelungen in § 444 Abs. 1 und 2 StPO. Erst im Rechtsmittelverfahren stellt sich die Frage, nach welchen Vorschriften das Verfahren geführt wird, wenn nur das Unternehmen die gerichtliche Entscheidung angreift und folglich die Einheitlichkeit des Verfahrens entfällt. Da sich weder in § 444 StPO noch in den Einziehungsvorschriften, auf die § 444 Abs. 2 StPO verweist, Vorgaben für den Ablauf des Rechtsmittelverfahrens finden, bleibt an dieser Stelle nur ein Rückgriff auf die Individualvorschriften der StPO.981 Das selbstständige Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat ist hingegen in § 444 Abs. 3 StPO und §§ 435, 436 Abs. 1 und 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 oder 3 StPO geregelt. Für das Zwischenverfahren ist der Verweis in § 435 Abs. 3 S. 1 StPO maßgeblich. Sofern in § 435 Abs. 3 S. 2 StPO für das Hauptverfahren allerdings auf §§ 424 bis 430 StPO und § 433 StPO verwiesen wird, ist dies zu unbestimmt und die Vorschriften finden nur eingeschränkt Anwendung.982 Im Übrigen weist das selbstständige Verfahren die Besonderheit auf, dass es gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 StPO auch als schriftliches Verfahren geführt werden kann. Für das Rechtsmittelverfahren gelten ebenfalls die Bestimmungen in §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 und 3 979
Vgl. hierzu: Kapitel 1, C. III. 2. Vgl. hierzu sowie zu den anderen Ansätzen, die eine Verantwortlichkeit des Unternehmens zu begründen versuchen: Kapitel 1, C. III. 3. 981 Vgl. insgesamt zu der Verfahrenskonstellation des einheitlichen Verfahrens bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters: Kapitel 2, B. I. 982 So gelten für das schriftliche Hauptverfahren die §§ 424 Abs. 1, 3 und 4, 427 Abs. 1, 428 und 429 Abs. 2 StPO und für das mündlich geführte Hauptverfahren die §§ 424 Abs. 1, 3 und 4, 427, 428, 429 Abs. 1, 2 und 3 Nr. 1 und 430 Abs. 1, 2 und 4 StPO entsprechend. 980
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Kap. 5: Resümee
StPO und, da es dort an näheren Regelungen zum Verfahrensablauf fehlt, die entsprechenden Rechtsmittelvorschriften des Individualverfahrens.983 Eine komplexere Verfahrensstruktur liegt dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters zugrunde. Bereits der grundsätzliche Verfahrensaufbau unterscheidet sich von dem Verfahren nach der StPO, denn hier erlässt die Verwaltungsbehörde einen Bußgeldbescheid, mit dem sie die Geldbuße nach § 30 OWiG gegenüber dem Unternehmen festsetzt. Befugnisse und Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde ergeben sich dabei aus § 88 Abs. 1 und 2 OWiG. Für das einheitliche Verfahren kommt es im weiteren Verlauf darauf an, ob nur das Unternehmen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einlegt oder ob auch der Unternehmensmitarbeiter gegen seinen Teil des Bescheides vorgeht. Für das Zwischenverfahren und das Rechtsmittelverfahren gelten allerdings in beiden Fällen die §§ 67 ff. OWiG beziehungsweise die §§ 79 ff. OWiG, auch wenn dies in der Literatur teilweise anders gesehen wird.984 Im Hauptverfahren muss jedoch zwischen den beiden Möglichkeiten differenziert werden, da sich das Verfahren nach beiderseitigem Einspruch nach §§ 71 ff. OWiG und im Falle des alleinigen Einspruchs des Unternehmens nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 2 S. 2, 434 Abs. 2 oder 3 StPO richtet.985 Für das selbstständige Verfahren, und dementsprechend für das getrennte Verfahren, gelten grundsätzlich dieselben Verfahrensbestimmungen wie in dem einheitlichen Verfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens gegen den Bußgeldbescheid. Im Hauptverfahren finden § 434 Abs. 2 oder 3 StPO aber über § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 444 Abs. 3 S. 1, 436 Abs. 2 StPO Anwendung.986 Gerade in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters können folglich über die Bezugnahme auf die StPO komplexe Verweisungsketten entstehen, welche die Anwendung des Verfahrensrechts erschweren. Die Aufarbeitung des Verfahrensablaufs hat die Möglichkeit eröffnet, die Mitwirkungsrechte des Unternehmens in den einzelnen Verfahrensabschnitten zu betrachten. In diesem Zusammenhang wurde aufgezeigt, dass mit der bis heute beibehaltenen Ausrichtung des Verfahrensrechts Einschränkungen für das Unternehmen verbunden sind. Wird zunächst das Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters in den Blick genommen, zeigen sich diese insbesondere im Ermittlungsverfahren. Die Anbindung des Verfahrensrechts an die Vorschriften über das Einziehungsverfahren führt zu der Notwendigkeit einer Beteiligung des Unternehmens an dem Verfahren, welche gemäß § 444 Abs. 1 StPO 983 Vgl. insgesamt zu der Verfahrenskonstellation des selbstständigen Verfahrens bei Anknüpfung an eine Straftat des Unternehmensmitarbeiters: Kapitel 2, B. II. 984 Vgl. hierzu: Kapitel 2, B. III. 2. und 4. b). 985 Vgl. insgesamt zu der Verfahrenskonstellation des einheitlichen Verfahrens bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters: Kapitel 2, B. III. 986 Vgl. insgesamt zu der Verfahrenskonstellation des selbstständigen Verfahrens bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters sowie des getrennten Verfahrens: Kapitel 2, B. IV. und V.
Kap. 5: Resümee
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beziehungsweise gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2, 424 Abs. 1 StPO erst im gerichtlichen Verfahren angeordnet werden kann. Die Staatsanwaltschaft kann daher weder das Unternehmen an dem gegen den Unternehmensmitarbeiter geführten Ermittlungsverfahren beteiligen noch ein eigenes Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen einleiten. Vor allem im selbstständigen Verfahren stößt die Staatsanwaltschaft dadurch an praktische Grenzen und wird gezwungen sein, ein Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmensmitarbeiter aufrecht zu erhalten, um die Ermittlungen gegen das Unternehmen an das Verfahren anbinden zu können.987 Das Unternehmen wird in das Verfahren wiederum über seine Anhörung gemäß § 426 Abs. 1 StPO einbezogen. Da die Vernehmung nach § 426 Abs. 2 StPO im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegt, ist die Rechtsposition des Unternehmens in diesem ersten Verfahrensabschnitt insgesamt nur schwach ausgestaltet.988 Eine bessere Ausgangslage ergibt sich für das Unternehmen erst im selbstständigen Zwischenverfahren, da es sich dort gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1 StPO – unabhängig von einer etwaigen Beteiligungsanordnung – auf einzelne Vorschriften für das Zwischenverfahren gegen einen Angeschuldigten berufen kann.989 Unsicherheiten bestehen aber im einheitlichen wie auch im selbstständigen Zwischenverfahren im Hinblick auf die Voraussetzungen und den Zeitpunkt für die Beteiligungsanordnung.990 Diese sind in der Form zu lösen, dass in beiden Fällen ein hinreichender Tatverdacht für die Beteiligungsanordnung gegeben sein muss und sie spätestens mit der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgen sollte.991 Da es im Übrigen an Regelungen für das Zwischenverfahren fehlt, beschränkt sich die Mitwirkung des Unternehmens im einheitlichen Zwischenverfahren auf seine Anhörung nach § 33 Abs. 2 und 3 StPO bezüglich der anzuordnenden Beteiligung.992 Wird diese mit der Eröffnung des Hauptverfahrens angeordnet, verbessert sich die Verfahrensposition des Unternehmens deutlich, denn es kann sich dann gemäß § 427 Abs. 1 StPO auf die Befugnisse eines Angeklagten berufen.993 Wird das selbstständige Hauptverfahren allerdings als schriftliches Verfahren geführt, bleibt es bei einer schwachen Einbeziehung des Unternehmens in das Verfahren. Zudem ergeben sich für das Unternehmen im Haupt- und Rechtsmittelverfahren Einschränkungen aus den Einziehungsvorschriften in § 430 Abs. 2 StPO und § 431 Abs. 1 bis 3 StPO, die im einheitlichen Verfahren gemäß § 444 Abs. 2 StPO und im selbstständigen 987 988
und 3.
Vgl. hierzu: Kapitel 3, A. II. 1. Vgl. zu der Einbeziehung des Unternehmens in die Ermittlungen: Kapitel 3, A. II. 2.
989 Dies umfasst insbesondere die Möglichkeit zur Mitwirkung an dem Verfahren gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 1, 201 Abs. 1 S. 1 StPO; vgl. hierzu: Kapitel 3, B. II. 3. 990 Vgl. hierzu insgesamt: Kapitel 3, B. II. 1. 991 Im selbstständigen Zwischenverfahren wird Letzteres regelmäßig der Fall sein, da die Eröffnung des Hauptverfahrens einen hinreichenden Tatverdacht gegenüber dem Unternehmen voraussetzt. 992 Vgl. hierzu: Kapitel 3, B. II. 2. 993 Vgl. hierzu: Kapitel 3, C. I. 1.
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Kap. 5: Resümee
Verfahren gemäß §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO entsprechend Anwendung finden.994 In dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters kommt es hingegen früher als in dem Verfahren bei Vorliegen einer Straftat zu einer besseren Ausgangslage für das Unternehmen.995 Zum einen obliegt hier der Verwaltungsbehörde die Anordnung der Beteiligung des Unternehmens, und zum anderen muss die Beteiligung vor Erlass des Bußgeldbescheides angeordnet werden. Ab dem Erlass des Bußgeldbescheides, und somit bereits im Zwischenverfahren, kann sich das beteiligte Unternehmen dann gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG auf die Mitwirkungsrechte eines Betroffenen berufen.996 Die Regelungen zur Beteiligung sind für das einheitliche Verfahren in § 88 Abs. 1 OWiG allerdings nur lückenhaft ausgestaltet und fehlen im Hinblick auf das selbstständige Verfahren ganz. Den wenigen Vorgaben ist zu entnehmen, dass die Verwaltungsbehörde die Beteiligung des Unternehmens erst anordnet, wenn sie den Erlass eines Bußgeldbescheides erwägt. Die in Bezug auf das Unternehmen geführten Ermittlungen sind dann regelmäßig schon abgeschlossen, so dass die Behörde vor den gleichen Ermittlungsproblemen wie die Staatsanwaltschaft steht.997 Das Unternehmen ist gleichwohl über § 46 Abs. 1 OWiG im Rahmen des § 426 StPO in die Ermittlungen einzubeziehen.998 Schwieriger gestaltet sich auch die Rechtsposition des Unternehmens im Hauptverfahren, die je nach dem Prozessverhalten der anderen Verfahrensbeteiligten stärker oder schwächer ausgeprägt ist. In dem einheitlichen Verfahren nach zulässigem Einspruch von Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter stehen dem Unternehmen weitgehend dieselben Mitwirkungsrechte wie dem Unternehmensmitarbeiter zu.999 Im Falle eines alleinigen Einspruchs des Unternehmens gegen den Bußgeldbescheid gelten hingegen, ebenso wie im selbstständigen Verfahren, § 434 Abs. 2 und 3 StPO, wodurch das Unternehmen im schriftlichen Verfahren einerseits nur ein Anhörungs- und Beweisantragsrecht und im mündlich geführten Verfahren andererseits die uneingeschränkten Befugnisse eines Angeklagten hat.1000 Für das Rechtsmittelverfahren kommt es schließlich zu Einschränkungen durch § 431 StPO, der in dem einheitlichen Verfahren nach beiderseitigem Einspruch von Unternehmen und Unternehmensmitarbeiter unabhängig 994
Vgl. insgesamt zum einheitlichen und selbstständigen Haupt- und Rechtsmittelverfahren: Kapitel 3, C. I. 2. und 3. sowie Kapitel 3, D. I. 995 Vgl. hierzu: Kapitel 3, B. III. 1. 996 Im Zwischenverfahren kommt es auch nicht zu Einschränkungen durch die Vorschriften über das Einziehungsverfahren; vgl. hierzu: Kapitel 3, B. III. 2. und 3. 997 Vgl. hierzu insgesamt: Kapitel 3, A. III. 1. 998 Vgl. zu der Einbeziehung des Unternehmens in die Ermittlungen: Kapitel 3, A. III. 2. und 3. 999 Eine Ausnahme ergibt sich nur für das mündlich geführte Hauptverfahren, in welchem §§ 444 Abs. 2 S. 2, 430 Abs. 2 StPO über § 46 Abs. 1 OWiG gelten; vgl. hierzu: Kapitel 3, C. II. 1. a) aa) (2). 1000 Vgl. hierzu insgesamt: Kapitel 3, C. II. 1. b) und Kapitel 3, C. II. 2.
Kap. 5: Resümee
279
davon greift, ob beide oder nur das Unternehmen gegen die gerichtliche Entscheidung Rechtsmittel einlegen.1001 Als Ergebnis dieser Betrachtung bleibt festzuhalten, dass das Verfahrensrecht nicht ausreicht, um dem Unternehmen eine angemessene Verteidigung gegen die drohende Geldbuße nach § 30 OWiG zu ermöglichen. De lege ferenda sind daher Verfahrensvorschriften einzuführen, die dem eigenständigen Sanktionscharakter der Unternehmensgeldbuße und der Verantwortlichkeit des Unternehmens gerecht werden. In diesem Sinne wird zum einen vorgeschlagen, das getrennte Verfahren als grundsätzlich durchzuführendes Verfahren zu etablieren.1002 Das Verfahren zur Festsetzung der Unternehmensgeldbuße könnte dann unabhängig von einer Verfolgung des Unternehmensmitarbeiters durchgeführt werden. Zum anderen ist die Gleichstellung des Unternehmens mit einem Einziehungsbeteiligten nicht mehr gerechtfertigt. Die Interessenslage des Unternehmens entspricht vielmehr der einer natürlichen Person, die sich mit einem Vorwurf konfrontiert sieht und sich gegen eine Sanktion zu verteidigen hat. Dem Unternehmen muss deshalb in Zukunft eine Verfahrensstellung eingeräumt werden, die der Stellung einer natürlichen Person weitgehend entspricht. Für die Umsetzung wird ein pauschaler Verweis auf die Vorschriften des Individualverfahrens empfohlen, der durch unternehmensspezifische Vorschriften zu ergänzen ist.1003 Da die Verantwortlichkeit des Unternehmens durch die Zurechnung der schuldhaften beziehungsweise vorwerfbaren Handlung des Unternehmensmitarbeiters mitbegründet wird, trifft das Unternehmen – je nach Anknüpfungstat – ein stärkerer oder schwächerer Vorwurf. Die Verfahrensbestimmungen für das Unternehmen sind daher sowohl in der StPO, die dem stärkeren Unwert einer Straftat Rechnung trägt, als auch dem OWiG aufzunehmen.1004 Mit den dargestellten Reformvorschlägen ist eine dringend notwendige Neuausrichtung des Verfahrens verbunden. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber nunmehr aktiv wird und dem Unternehmen ein Verfahrensrecht an die Hand gibt, welches der Unternehmenssanktion des § 30 OWiG gerecht wird.
1001
Vgl. hierzu: Kapitel 3, D. II. 1. a) cc). Vgl. hierzu sowie zu den damit zusammenhängenden Regelungen: Kapitel 4, C. I. 1003 Vgl. hierzu und zu den Regelungen, die speziell für das Unternehmen aufzunehmen sind: Kapitel 4, C. II. 1. und 2. sowie Kapitel 4, C. III. 1. und 2. Da auch im geltenden Verfahrensrecht an vielen Stellen durch die Einziehungsvorschriften auf die Individualvorschriften verwiesen wird, ergeben sich für einzelne Verfahrensabschnitte nur geringfügige Änderungen im Hinblick auf den Ablauf des Verfahrens und die Mitwirkungsrechte des Unternehmens; vgl. hierzu: Kapitel 4, C. II. 3. sowie Kapitel 4, C. III. 3. 1004 Vgl. hierzu: Kapitel 4, B. II. 1002
Kapitel 6
Zusammenfassung der wichtigsten Thesen 1.
Bei der Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG handelt es sich um eine eigenständige Sanktion. Die ursprünglich gewählte Konstruktion der Unternehmensgeldbuße als Nebenfolge der Straftat oder Ordnungswidrigkeit des Unternehmensmitarbeiters wurde 1986 aufgegeben.
2.
Der mit § 30 OWiG gegenüber dem Unternehmen erhobene Vorwurf muss abweichend von der in § 1 OWiG vorgesehenen Vorwerfbarkeit definiert werden. Er begründet sich zum einen durch die Zurechnung des Handelns und Verschuldens des Unternehmensmitarbeiters als eigenes Handeln und Verschulden des Unternehmens und zum anderen durch eine besondere Unternehmensverantwortlichkeit, die aus den eingrenzenden Elementen des § 30 OWiG folgt.
3.
Ein Unternehmensstrafrecht existiert in Deutschland nicht. Seine Einführung ist zwar verfassungsrechtlich möglich, kriminalpolitisch aber nicht überzeugend.
4.
Das Verfahrensrecht zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße, normiert in § 30 Abs. 4 OWiG, § 444 StPO und § 88 OWiG, weist drei Besonderheiten auf: Das Verfahren unterteilt sich in die Verfahrenskategorien des einheitlichen, selbstständigen und getrennten Verfahrens. Die anzuwendende Verfahrensordnung hängt von der Anknüpfungstat des Unternehmensmitarbeiters ab. Das Verfahren richtet sich an den Vorschriften über das Einziehungsverfahren aus.
5.
Dem einheitlichen und selbstständigen Verfahren kommt der gleiche Stellenwert zu. Das getrennte Verfahren wird hingegen nur ausnahmsweise in den bislang geregelten Fällen der § 82 GWB und § 96 EnWG durchgeführt.
6.
Abgesehen von der Verfahrenskategorie des getrennten Verfahrens sind die genannten Verfahrensmerkmale auf die ursprüngliche Nebenfolgenkonstruktion des § 30 OWiG zurückzuführen.
7.
Für das einheitliche Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat geben die für den Unternehmensmitarbeiter geltenden Vorschriften der StPO den Rahmen für das Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße vor. Spezifische Regelungen für das Unternehmen folgen aus § 444 Abs. 1 und 2 StPO.
8.
Das selbstständige Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat wird gemäß § 444 Abs. 3 StPO und §§ 435, 436 Abs. 1 und 2 StPO in Verbindung mit § 434 Abs. 2 oder 3 StPO geführt. Der Verweis in §§ 444 Abs. 3 S. 1, 435 Abs. 3 S. 2 StPO auf
Kap. 6: Zusammenfassung der wichtigsten Thesen
281
§§ 424 bis 430 StPO und § 433 StPO ist dergestalt auszulegen, dass in dem schriftlichen Hauptverfahren die §§ 424 Abs. 1, 3 und 4, 427 Abs. 1, 428 und 429 Abs. 2 StPO und in dem mündlich geführten Hauptverfahren die §§ 424 Abs. 1, 3 und 4, 427, 428, 429 Abs. 1, 2 und 3 Nr. 1 und 430 Abs. 1, 2 und 4 StPO entsprechend Anwendung finden. 9.
Der Ablauf des einheitlichen Verfahrens bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit ergibt sich grundsätzlich aus den für den Unternehmensmitarbeiter geltenden Normen des OWiG, wenn sowohl das Unternehmen als auch der Unternehmensmitarbeiter einen zulässigen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einlegen. Regelungen für das Unternehmen finden sich zudem in § 88 Abs. 1 und 3 OWiG und – im Falle eines Rückgriffs auf die Vorschriften der StPO – in § 444 Abs. 1 und 2 StPO.
10. Legt nur das Unternehmen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein, gelten entgegen der allgemeinen Auffassung im Zwischenverfahren die §§ 67 ff. OWiG und im Rechtsmittelverfahren die §§ 79 ff. OWiG. Das Hauptverfahren richtet sich hingegen über § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 444 Abs. 2 S. 2 StPO ausschließlich nach § 434 Abs. 2 und 3 StPO. 11. In dem selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit greifen die unternehmensspezifischen Regelungen in § 88 Abs. 2 und 3 OWiG. Im Übrigen wird das selbstständige Verfahren nach denselben Verfahrensbestimmungen wie das einheitliche Verfahren nach alleinigem Einspruch des Unternehmens geführt. 12. Für die Fälle des getrennten Verfahrens nach § 30 Abs. 4 S. 2 OWiG in Verbindung mit § 82 GWB oder § 96 EnWG hat der Gesetzgeber bewusst die Anbindung des Verfahrens an das Ordnungswidrigkeitenrecht gewählt. Für den grundsätzlichen Verfahrensablauf ergeben sich damit keine Abweichungen gegenüber dem selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit. 13. Die Mitwirkungsrechte des Unternehmens variieren in den einzelnen Verfahrensstadien stark. Je nach Verfahrenskonstellation und Prozessverhalten kommen dem Unternehmen teils sehr schwache und teils umfassende Mitwirkungsrechte zu. 14. Das Unternehmen kann sich in jeder Lage des Verfahrens durch einen Rechtsanwalt verteidigen lassen und die damit verbundenen Verteidigungsrechte in Anspruch nehmen. Dies wird unabhängig von der einfachgesetzlichen Regelung in § 428 StPO durch das Recht auf ein faires Verfahren garantiert. 15. In dem einheitlichen und selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat ist die Beteiligung des Unternehmens erst ab dem gerichtlichen Verfahren möglich. Die Beteiligungsanordnung setzt einen hinreichenden Tatverdacht gegenüber dem Unternehmen voraus und sollte spätestens mit der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgen.
282
Kap. 6: Zusammenfassung der wichtigsten Thesen
16. In dem einheitlichen und selbstständigen Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit ist die Verwaltungsbehörde verpflichtet, die Beteiligung des Unternehmens an dem Verfahren anzuordnen, wenn sie den Erlass eines Bußgeldbescheides erwägt. Zeitlich muss die Beteiligungsanordnung spätestens mit dem Bußgeldbescheid ergehen. 17. Sowohl in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat als auch in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit führt die späte Beteiligung des Unternehmens für die Verfolgungsbehörde zu praktischen Schwierigkeiten hinsichtlich der in Bezug auf das Unternehmen durchzuführenden Ermittlungen. 18. In allen Verfahrenskonstellationen kommt dem Unternehmen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens über § 426 Abs. 1 StPO ein Recht auf Anhörung zu. Die Vernehmung nach § 426 Abs. 2 StPO steht im Ermessen der Verfolgungsbehörde. Das Unternehmen kann sich auf das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Schweigerecht berufen. 19. Stärkere Mitwirkungsrechte erhält das Unternehmen in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit ab dem Erlass des Bußgeldbescheides gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG und in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat ab der Eröffnung des Hauptverfahrens über § 427 Abs. 1 StPO. In den Fällen der schriftlich geführten Verfahren verbleibt es aber bei eher schwachen Mitwirkungsrechten. 20. Einschränkungen ergeben sich für die Verfahren teilweise aus § 430 Abs. 2 StPO und § 431 Abs. 1 bis 3 StPO. § 431 StPO findet in dem einheitlichen Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit unabhängig davon Anwendung, ob nach beiderseitigem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nur das Unternehmen oder auch der Unternehmensmitarbeiter Rechtsbeschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung einlegen. 21. Die Regelung zu den Beweisanträgen in § 430 Abs. 2 StPO kann in dem Verfahren bei Anknüpfung an eine Straftat durch § 245 Abs. 2 StPO abgemildert werden. In dem einheitlichen Verfahren bei Anknüpfung an eine Ordnungswidrigkeit erlangt die Einschränkung des § 430 Abs. 2 StPO in erster Linie im Hinblick auf den Wegfall des Beschlusserfordernisses nach § 244 Abs. 6 S. 1 StPO Bedeutung. 22. Für das Unternehmen entstehen durch die fortdauernde Geltung des an dem Nebenfolgenkonstrukt ausgerichteten Verfahrensrechts Nachteile, da es nur die prozessuale Stellung eines Beteiligten inne hat, die Mitwirkungsrechte teilweise sehr schwach ausgestaltet sind, der Verfahrensaufbau und -ablauf je nach Verfahrenskonstellation unterschiedlich ist und lange Verweisungsketten die Rechtsanwendung erschweren. 23. Die mit einem Einziehungsbeteiligten vergleichbare Stellung im Verfahren wird der Interessenslage des Unternehmens nicht gerecht. Während der Einzie-
Kap. 6: Zusammenfassung der wichtigsten Thesen
283
hungsbeteiligte nur in seinen vermögensrechtlichen Interessen berührt wird, hat sich das Unternehmen gegen den mit der Sanktion des § 30 OWiG erhobenen Vorwurf zu verteidigen. 24. Eine Verbesserung des Verfahrens kann de lege ferenda durch die Trennung der Verfahren gegen das Unternehmen und den Unternehmensmitarbeiter sowie die Anpassung der Verfahrensstellung des Unternehmens an die einer natürlichen Person erreicht werden. 25. Die Verankerung des Verfahrensrechts sowohl in der StPO als auch dem OWiG muss aufgrund des dogmatischen Konzepts der Unternehmensgeldbuße beibehalten werden. 26. Eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern der Landgerichte für das Unternehmensbußgeldverfahren ist sinnvoll. 27. Für die Neuausrichtung des Verfahrens bietet sich ein pauschaler Verweis auf die Individualvorschriften an, der durch bestimmte unternehmensspezifische Vorschriften zu ergänzen ist. Zu diesen zählen insbesondere eine Regelung bezüglich der Geltung des Opportunitätsprinzips in dem Verfahren nach der StPO sowie ein Verbot der gemeinschaftlichen Verteidigung von Unternehmen und beschuldigtem Unternehmensmitarbeiter. 28. Durch die Umsetzung der Vorschläge kommt es im Hinblick auf den Ablauf des Verfahrens und die Mitwirkungsrechte des Unternehmens teilweise nur zu geringen Abweichungen gegenüber dem geltenden Verfahrensrecht. Umfassende Änderungen ergeben sich vor allem für das Ermittlungsverfahren.
Anhang: Änderungen durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 im Hinblick auf das Einziehungsverfahren Fassung vor dem 01. Juli 2017
Fassung ab dem 01. Juli 2017
§ 431 StPO Anordnung der Einziehungsbeteiligung ! § 431 Abs. 4 und 5 StPO
§ 424 StPO Einziehungsbeteiligte am Strafverfahren ! § 424 Abs. 3 und 4 StPO § 438 StPO Nebenbetroffene am Strafverfahren
§ 432 StPO Anhörung von möglichen Einziehungsbeteiligten im vorbereitenden Verfahren
§ 426 StPO Anhörung von möglichen Einziehungsbeteiligten im vorbereitenden Verfahren
§ 433 StPO Stellung des Einziehungsbeteiligten im Hauptverfahren
§ 427 StPO Befugnisse des Einziehungsbeteiligten im Hauptverfahren
§ 434 StPO Vertretung des Einziehungsbeteiligten
§ 428 StPO Vertretung des Einziehungsbeteiligten
§ 435 StPO Terminsnachricht an Einziehungsbeteiligte
§ 429 StPO Terminsnachricht an den Einziehungsbeteiligten
§ 436 StPO Hauptverhandlung
§ 430 StPO Stellung in der Hauptverhandlung
§ 437 StPO Rechtsmittelverfahren
§ 431 StPO Rechtsmittelverfahren
§ 438 StPO Einziehung durch Strafbefehl
§ 432 StPO Einziehung durch Strafbefehl
§ 439 StPO Nachverfahren
§ 433 StPO Nachverfahren
§ 440 StPO Selbstständiges Einziehungsverfahren
§ 435 StPO Selbstständiges Einziehungsverfahren
§ 441 StPO Verfahren bei nachträglicher und selbstständiger Einziehung
§ 434 StPO Entscheidung im Nachverfahren § 436 StPO Entscheidung im selbstständigen Einziehungsverfahren
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Stichwortverzeichnis Abwesenheit – allgemein 83, 94 f. – Hauptverhandlung 128 f., 134, 208 ff., 216, 231, 261 Ahndungsbefugnis 172, 174 Akteneinsicht 150, 166, 181, 198 ff., 203 ff., 215 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 162 Anfangsverdacht 82 ff., 121 Anklage 105, 107, 111, 139 f., 150, 155, 171, 186 f., 189, 197 f., 201, 263 f. Annex 56, 78, 97 Antragsschrift 112 ff., 118 f., 139, 190, 199, 215 Anwesenheit, Hauptverhandlung 108 f., 128 f., 133, 206 ff., 216, 220, 231, 258, 261, 268, 270 Aufsichtspflichtverletzung 142 Belehrung 176, 178 ff., 186 Beurteilungsspielraum 82, 104 Beweisanregung 211 Beweisantrag 18, 107, 114, 119, 161, 163, 168, 178, 199, 204, 208, 210 ff., 215, 217 f., 220 ff., 225 ff., 230 ff., 236, 243, 261, 265, 270, 278, 282 Beweisergebnis 118, 130, 133, 215, 224, 226, 236 Beweiserhebung 28, 113, 187, 199, 207, 221, 224 Beweisnot 28 f. Charakter – allgemein 44, 56, 98, 101, 131, 219 – Einziehung 73 – Sanktionscharakter 170, 246, 248, 251 f., 271, 279 Doppelbestrafung 44, 49 Durchsuchung 260, 263
Ermessen 76, 78, 84, 86, 110, 121, 158, 167, 169, 171 ff., 179, 203, 205, 208, 211 f., 215 f., 218, 220, 230, 258 f., 267, 277, 282 Eröffnungsbeschluss 107, 117 ff., 126, 150, 196 f., 201, 215 Fair-trial-Grundsatz 156, 162 f., 166, 168, 185, 197, 224, 226, 281 Fragerecht 227, 230 Frankfurter Thesen 16, 48 Freibeweisverfahren 118, 215, 218, 225 f., 233 Fristenlösung 211 Gefährdungshaftung Gerichtsstand 256
67
Hinweispflicht 107 f., 112, 114, 119, 129 f., 133, 204, 208, 221, 224, 261 Identifikationsgedanke 33 f., 39 f. Interessenskollision 262 Interessenslage 145, 147, 151, 214, 279, 282 Juristische Person, Deliktsfähigkeit
21
Kartellbehörde 53, 90 ff., 142 ff., 205, 255 Kognitionspflicht 91 f. Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes 16, 102 Kombinationsmodell 39, 68 ff., 95, 275 Konfrontationsrecht 207 Kooperation 93, 154, 160, 262 Ladung 106 f., 119, 128 f., 150, 206, 210, 220, 227, 258, 261 Legalitätsprinzip 82, 258 Lehre vom Verbandsdelikt 21
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Stichwortverzeichnis
Maßregel 36 f., 56, 73 Mehrfachverteidigung 262, 268 Menschenwürde 35, 45, 162 Mittäterschaft 32, 59 f., 247, 253 Mittelbare Täterschaft 32 Mündlichkeitsgrundsatz 207 f., 216, 243, 264 Nachverfahren 116, 172, 192 f. Nebenfolgenkonstruktion 49 f., 63, 68, 79, 81, 151, 242, 251, 273 f., 280, 282 Nebenfolgenlösung 49 ff., 57 ff., 66, 79, 81, 98, 146, 157, 161, 174, 193, 247 Nemo-tenetur-Grundsatz siehe Schweigerecht Normadressat siehe Sanktionsadressat Öffentlichkeitsgrundsatz 216, 264 Opportunitätseinstellung 84 ff., 104 Opportunitätsprinzip 83 f., 259, 267, 283 Ordnungswidrigkeitentatbestand 25, 54 f., 59 f. Organisationsherrschaft 35 Organisationsmangel 33, 39 f. Organisationsverschulden 39 f., 69 ff. Organisierte Unverantwortlichkeit 28 f. Pflichtenadressatenschaft 33, 39 Präventivmaßnahme 47, 57 Prüfungsumfang 108 ff., 134 f., 195, 230 ff., 237 ff., 241, 265, 271 Qualitative Theorie 61 f., 64 f., 72, 273 Qualitativ-quantitative Theorie 65 f. Quantitative Theorie 64 f., 68, 71 Rechtliches Gehör 112, 120, 122, 176, 187 f., 192, 195, 199 f., 208, 216, 220, 224 Rechtsfolge 32, 56, 59, 91 f., 97 f., 144 f., 274 Rechtsgüternotstand 36, 67 Rechtskraft 100, 123, 246 f. Rechtsschutzgarantie 140 Rechtsstaatsprinzip 35, 163, 166, 261, 282 Regulierungsbehörde 93, 143 f., 205, 255
Sanktionsadressat 43 f., 57, 59, 63, 68, 146, 160 Schlussvortrag 191 ff., 207 Schuldbegriff 36, 38, 40, 45, 49, 71 f., 273 Schuldprinzip 36 f., 45 f. Schuldspruch 109 f., 142, 231 f., 234, 238 ff. Schweigerecht 162 f., 169, 204, 261, 263, 267 f., 282 Selbstkontrolle 188, 203 Sicherungsgeld 57 Stoffsammlungsverfahren 153 Strengbeweisverfahren 241 Tatverdacht, hinreichender 86, 105 f., 187, 191, 193 ff., 197 f., 199 ff., 259, 263, 277, 281 Telekommunikationsüberwachung 259 Terminsladung siehe Ladung Terminsnachricht 106 f., 118 f., 121, 151, 216, 231, 234 Theorie der realen Verbandstäterschaft 33, 40 Übertretungen 22 ff., 50 Umkehrschluss 97, 101 Unmittelbarkeitsgrundsatz 216, 243, 264 Unternehmensgeldbuße – anonyme 85 f. – eigenständige Sanktionsnorm 54, 58 ff., 79, 81, 98 f., 102, 146 f. Unwerturteil 28, 61, 65 f., 275 Verbandsattitüde 29, 40 Verbrechen 22, 24 Verfolgungshindernis 83, 88, 94 ff., 138, 171, 173 Verfolgungspraxis 151, 247, 259 Vergehen 22, 24 Verjährung 94, 96 Verwaltungsungehorsam 61, 63, 273 Verwaltungsverfahren 149 Verweisungstechnik 115, 147, 257 Vorermittlungen 82, 104, 111, 168, 183 Vorführung 107 f., 119, 129, 208, 210 Vorwerfbarkeit 35, 52, 60 ff., 65 ff., 71 f., 248, 252, 273, 275, 280
Stichwortverzeichnis Wahrheitsfindung 153 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 119, 208, 216 Wirtschaftsstrafkammer 106, 118, 244, 255, 272, 283
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Zurechnungsmodell 32, 34, 38 f., 68 f. Zustellung 118 f., 129 f., 134, 139, 224 Zweigniederlassung 118, 256