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German Pages 394 [391] Year 2014
Sophia Prinz Die Praxis des Sehens
Sozialtheorie
2014-06-02 15-16-14 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03a4368132362272|(S.
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4) TIT2326.p 368132362280
Sophia Prinz (Dr. phil.) lehrt Kultursoziologie und Kulturwissenschaft an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Transkulturalität, Praxistheorie und poststrukturalistische Soziologie.
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Sophia Prinz
Die Praxis des Sehens Über das Zusammenspiel von Körpern, Artefakten und visueller Ordnung
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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der
Dieses Buch ist die gekürzte und überarbeitete Fassung der Dissertationsschrift »Visuelle Formationen. Über das Verhältnis von Dingen, Subjekten und Praktiken des Sehens«, die am 19. April 2012 an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) verteidigt wurde. Erstgutachter war Prof. Dr. Andreas Reckwitz.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Geneviève Frisson, Insadong 2011, © Roger M. Buergel Korrektorat & Satz: Stefanie Krinninger und Andreas Dröscher Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2326-0 PDF-ISBN 978-3-8394-2326-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt 1. E INLEITUNG
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1.1 Die visuelle Kultur der Moderne | 12 1.2 Zu den materiellen Bedingungen des Sehens | 20 1.3 Eine Praxeologie der visuellen Wahrnehmung | 31
2. FOUCAULTS ANALYSE VISUELLER O RDNUNGEN 2.1
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Bild-Diskurse. Eine Archäologie des Sehens | 51
2.1.1 Analyse und Repräsentation in der Klassik | 60 2.1.2 Die Geburt des modernen Blicks | 75 2.1.3 Zwischenresümee. Die visuelle Ordnung der Dinge? | 103 Sichtbare Körper. Das Subjekt im Dispositiv | 107 2.2.1 Die materiellen Dimensionen von Kultur: Körper, Raum und Artefakte | 112 2.2.2 Die Sichtbarkeit ist eine Falle | 123 2.2.3 Zwischenresümee. Der disziplinierte Blick? | 136
2.2
Visuelle Technologien des Selbst | 143 2.3.1 Die Macht als Führung der Selbstführungen | 144 2.3.2 Die Ästhetik der Existenz und das Sehen als selbsttechnologische Praxis | 150
2.3
2.4
Resümee: Auf dem Weg zu einer Geschichte des Sehens | 157
2.4.1 Neuere Forschungsansätze | 160 2.4.2 Konzeptuelle Leerstellen | 165
3. DAS S UBJEKT DER W AHRNEHMUNG. THEORETISCHE ANSCHLÜSSE | 167 3.1
Der wahrnehmende Leib. Foucault und Merleau-Pontys Leibphänomenologie | 169
3.1.1 Das Subjekt als Zur-Welt-Sein des Leibes | 171 3.1.2 Die perzeptive Syntax | 185 3.1.3 Eine Genealogie der leiblichen Wahrnehmung | 213 3.2
Visuelle Affekte. Foucault und Lacans strukturalistische Psychoanalyse | 225
3.2.1 Das Subjekt des Begehrens | 230 3.2.2 Das begehrende Sehen | 249 3.2.3 Eine Macht, die verführt | 271 3.3
Habituelle Wahrnehmungsschemata. Foucault und Bourdieus Praxeologie | 283
3.3.1 Der Habitus als Erzeugungsprinzip von Praxis | 285 3.3.2 Klassen- und feldspezifische Wahrnehmungsschemata | 299 3.3.3 Die soziale Ordnung der Sichtbarkeit | 319
4. S CHLUSSBETRACHTUNG
| 329
Danksagung | 343 Abbildungsverzeichnis | 345 Siglen- und Literaturverzeichnis | 347
1. Einleitung »Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung.« (BENJAMIN 1963: 14)
Die Sinneswahrnehmung, insbesondere das Sehen, ist eine elementare Form des Weltbezugs. Das Vermögen, zwischen einzelnen Dingen und Gestalten differenzieren, komplexe Konstellationen erfassen und ganze räumliche Situationen überblicken zu können, ist nicht nur eine der Voraussetzungen dafür, dass Wissen entstehen kann. Es bestimmt auch, wie sich das Subjekt in seiner Welt einrichtet, sprich: welches Selbstverhältnis es ausbildet, wie es sich in seiner Umgebung verortet und welche Interaktionsmöglichkeiten es für sich darin erkennt. Dabei enthält jedes Wahrnehmen immer auch ein Nicht-Wahrnehmen. Denn um überhaupt etwas – sei es ein Ding, ein Gebäudekomplex oder eine technische Apparatur – als einen in sich geschlossenen, handhabbaren Gegen-Stand identifizieren zu können, muss der Sehende1 von einer Reihe von Elementen abstrahieren. Dazu gehören einerseits bestimmte Details, die von dem Gesamteindruck des Gegenstandes oder dessen praxisrelevanten Informationen ablenken, sowie andererseits das amorphe Rauschen des umliegenden Sichtfeldes, in das das anvisierte Objekt eingebettet ist. Das Sehen ist also auf die Ordnungs- und Selektionsleistung eines »Wahrnehmungsschemas« (Bourdieu) angewiesen, das bestimmte visuelle Aspekte heraushebt und dafür andere systematisch ausblendet. Allerdings verfügt nicht jeder über dieselben »Wahrnehmungsschemata«. Wie und was ein Subjekt sieht oder gar sehen kann, hängt vielmehr einerseits von den
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Im Folgenden wird aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung nur die männliche Form verwendet. Es sind jedoch stets Subjekte jeglichen Geschlechts gemeint.
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kultur- und historischspezifischen »Wahrnehmungskompetenzen« ab, die es durch die wiederholte Auseinandersetzung mit den perzeptiven Anforderungen seiner Umwelt erworben hat, sowie andererseits von dem räumlich-dinglichen und sozialen Kontext, in dem es aktuell situiert ist. Die Skala möglicher Sichtweisen reicht dabei von einer kursorischen Orientierung in der räumlichen Situation, die fast jede Tätigkeit begleitet, über die seltene Erfahrung einer unwillkürlichen Affizierung, wie sie etwa von Erinnerungsstücken oder ästhetischen Objekten ausgelöst werden kann, bis hin zu einer gezielten Beobachtung, bei der das Tun im Wesentlichen aus dem Wahrnehmungsvollzug selbst besteht (Prinz/Reckwitz 2012). Der Sehakt ist also weder ein »neutraler«, rein optisch-physiologischer Prozess, der alle »visuelle Daten« der Umgebung ungefiltert auffängt, noch lässt er sich allein dem »aktiven« Betrachter zurechnen, der das Schauspiel der Dinge distanziert registriert, anordnet und beurteilt. Das Sehen muss vielmehr als Teil – oder in manchen Fällen auch als Kern – einer sozio-kulturellen Praxis verstanden werden, die sich im Spannungsfeld verschiedener historischer und gesellschaftlicher Faktoren herausgebildet hat. Ziel der Arbeit ist, diese verschiedenen Bedingungsfaktoren der visuellen Praxis sozialtheoretisch zu beleuchten. Eine der leitenden Annahmen dabei ist, dass die kulturellen Wahrnehmungsschemata, derer sich das Subjekt im Praxisvollzug bedient, zu einem wesentlichen Teil auf der Verinnerlichung von »visuellen Ordnungen« basieren.2 Wie die Welt dem Sehenden erscheint, ist also nicht nur eine Frage kollektiver Bedeutungsstrukturen oder intersubjektiver Lernprozesse, sondern wird ebenso von der Konstellation und Struktur ihrer formalen Gestalten – seien es Bilder, Architekturen oder gewöhnliche Gebrauchsgegenstände – bedingt. Insbesondere Letzteres, das Bedingungsverhältnis von Wahrnehmung und materieller Kultur, wurde in den Sozial- und Kulturwissenschaften – bis auf einige wenige Ausnahmen3 – sowohl in theoretischer als auch empirischer Hinsicht lange Zeit vernachlässigt. Zurückzuführen ist diese Leerstelle auf mindestens zwei folgenschwere theoriehistorische Entwicklungen: Zum einen tendierte die soziologische
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In diesem Sinne vertritt auch Jacques Rancière die These, dass das sinnliche Erleben durch die »Aufteilung des Sinnlichen«, also durch die aisthetische Anordnung der Welt geformt wird (Rancière 2006).
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Dazu gehören insbesondere die Arbeiten zur modernen Großstadterfahrung von Georg Simmel, Walter Benjamin und Siegfried Kracauer (Simmel 1992, 1995, 1998a, 2005; Benjamin 1963, 1983; Kracauer 1963, 1987), die Analysen der kindlichen Einfühlung in die Dinge von George H. Mead (Mead 1969; vgl. dazu auch Joas 1989: 143ff.) sowie Helmuth Plessners Anthropologie der Sinne (Plessner 1980; zum Forschungsprogramm der philosophischen Anthropologie siehe auch Fischer 2008). Siehe dazu auch S. 20ff.
E INLEITUNG
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Theoriebildung seit jeher zu einer anti-ästhetischen und anti-technologischen Haltung (Eßbach 2001), welche allein die im engeren Sinne »sozialen Tatbestände« – wie intersubjektive Interaktionsformen und subjektive Sinngebungsprozesse, überindividuelle Bedeutungs-, Norm- und Regelsysteme oder gesamtgesellschaftliche Strukturen und Stratifikationen – in den Blick nimmt. Die »Materialität« von Artefakten galt ihr hingegen als eine »nackte« Faktizität, die erst durch die kollektiven Sinngebungsprozesse an sozialem »Gewicht« gewinnt. Korrelativ dazu wurde die sinnliche Wahrnehmung als ein nicht regelgebundener Vorgang eingestuft, der sich diesseits oder jenseits der soziologisch relevanten Ebene sozialer Normen und Strukturen vollzieht und folglich in das Aufgabengebiet der Physiologie und Psychologie oder der philosophischen Erkenntnistheorie und Ästhetik fällt (Reckwitz 2008b, 2008c).4 Zum anderen steht das gesamte kultur- und sozialwissenschaftliche Feld seit Mitte des 20. Jahrhunderts unter dem prägenden Einfluss des »linguistic turn«, der in Europa ganz maßgeblich von strukturalistischen und poststrukturalistischen Ansätzen getragen wurde. Für diese Wende war die Annahme wesentlich, dass die sprachlichen Strukturen die sozio-kulturelle Wirklichkeit erst hervorbringen und dass dementsprechend die Ausbildung von Subjektivität und alle kulturellen Äußerungsformen und Praktiken auf sprachliche oder sprach-ähnliche Bedeutungs- und Regelsysteme zurückzuführen seien. Diese theoretische Prämisse wirkte sich auch auf den späteren »visual turn« der 1990er Jahre aus. Zwar hatte sich das neue transdisziplinäre Forschungsfeld der »Visual Culture Studies« das Ziel gesetzt, die visuelle Dimension von Kultur wieder stärker in den Fokus zu rücken, hatte aber ihre Konzeption von Visualität vornehmlich auf bildsemiotische, ikonographische und repräsentationskritische Fragen enggeführt. Das heißt, dass auch in diesem Kontext die Aspekte der sinnlichen Wahrnehmung und der Materialität von Kultur kaum eine Rolle spielten. Hier soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass die (post-)strukturalistische Reformulierung sozialtheoretischer Grundbegrifflichkeiten einen wichtigen Meilenstein in der kulturwissenschaftlichen und -soziologischen Theorieentwicklung darstellt. Im Gegenteil: Erst die Poststrukturalisten haben mit aller Konsequenz aufgezeigt, dass das (bewusste) Subjekt als ein historisch kontingentes Wesen zu verstehen ist, das von seinen jeweiligen sozio-kulturellen Daseinsbedingun-
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Andreas Reckwitz führt die grundsätzlich antiästhetische Haltung zudem auf eine gesellschaftstheoretische Prämisse der traditionellen Soziologie zurück, wonach der Prozess der Modernisierung als ein entsinnlichender Rationalisierungsprozess zu verstehen sei, in dem religiöse Rituale und Wertesysteme zunehmend durch zweckrationales Denken und Versachlichung verdrängt wurden (Reckwitz 2008b: 261f.).
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gen geformt wird. Es gilt jedoch, die Selbstverständlichkeit in Frage zu stellen, mit der viele (post-)strukturalistisch orientierte Arbeiten die Genese historischer Subjektivität nahezu ausschließlich auf einen einzigen Strukturtypus, nämlich die Zeichen-, Sprach- und Diskursordnungen, zurückführen und dabei die möglichen nicht-repräsentationalen, materiellen und visuellen Ordnungen der Welt sowie die körperlichen Erfahrungen des Subjekts aus den Augen verlieren. Allerdings deuten beispielsweise Jacques Lacans Analyse des »le regard«, Michel Foucaults Begriffe des »Dispositivs« und der »Selbsttechnologien«, Gilles Deleuzes Gefügebegriff sowie Judith Butlers Konzept der körperlichen Performativität darauf hin, dass die Poststrukturalisten selbst darum bemüht waren, die vernachlässigten Dimensionen des Raums, der Materialität, des Körpers und des Sehens wieder einzuholen. Diese Impulse aufgreifend, zielen auch die folgenden Überlegungen darauf, das (post-)strukturalistische Theorieangebot für die Analyse der »materiellen« und »nicht-repräsentationalen« Aspekte von Kultur fruchtbar zu machen. Dabei soll der Versuch gewagt werden, die poststrukturalistische Theoriefigur der »Dezentrierung«, der zufolge die Bedingungen des Denkens nicht im transzendentalen Bewusstsein, sondern in den »äußeren«, historisch wandelbaren Strukturen der Diskurse zu suchen sind, auf den Bereich der sinnlichen Wahrnehmung zu übertragen. Die konstitutiven Bedingungen der Wahrnehmung sollen mit anderen Worten nicht in den apriorischen Apperzeptionsvermögen gesucht werden, sondern in den Topologien der historisch spezifischen »visuellen Ordnung« der kulturellen Artefakte. Eine solche visualitäts- und wahrnehmungstheoretische Revision der poststrukturalistischen Subjekttheorie erfordert jedoch, den darin angelegten Körperbegriff zu überdenken. Statt den Körper lediglich als Oberfläche zu betrachten, in die sich ein diskursives oder performatives Wissen »einschreibt«, soll es hier darum gehen, auch der körperlich-sinnlichen Empfindung und der »Affektivität« Rechnung zu tragen − solchen Kategorien also, die klassischerweise dem phänomenologischen Denkuniversum angehören und daher von den (Post-)Strukturalisten wenn nicht explizit abgelehnt, so doch zumindest weitgehend umgangen wurden.5 Anknüpfungspunkte für einen solchen theoretischen »Spagat« bieten die kultursoziologischen Praxistheorien, die sowohl mit (post-)strukturalistischen als auch mit phänomenologischen Theorieelementen arbeiten. Allerdings wurde auch in diesem Kontext das Problem der interobjektiven Sinneswahrnehmung fast vollständig vernachlässigt. In den folgenden Kapiteln wird es daher darum gehen, eine praxistheoretische Heuristik zu entwickeln, die die strukturellen Bedingungen der visuel-
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Eine Ausnahme bildet sicherlich Gilles Deleuze, dessen Begriff des Affekts den neueren »affective turn« maßgeblich beeinflusst hat (Massumi 2002; Thrift 2007; Clough/Halley 2007b; Gregg/Seigworth 2010; Seyfert 2011).
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len Wahrnehmung systematisch offenlegt. Ausgangspunkt dafür bilden Michel Foucaults Überlegungen zur »historischen Sichtbarkeit«, zum heterogenen »Dispositiv« und zu den »Selbsttechnologien«, die in einem zweiten Schritt mit Maurice Merleau-Pontys leibphänomenologischen Konzept der »perzeptiven Syntax«, Jacques Lacans psychoanalytischem Konzept des »le regard« und Pierre Bourdieus praxeologischen Begriff der »Wahrnehmungsschemata« verknüpft werden. Diese Ansätze behandeln jeweils unterschiedliche Aspekte des Sehens und können daher in ihrer Kombination zu einem umfassenderen Verständnis des Zusammenhangs von materieller Kultur, Wahrnehmungsschemata und visuellen Praktiken beitragen. Bevor in die eigentliche Theoriearbeit eingestiegen wird, sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betont, dass mit der Schwerpunktlegung auf die »visuelle Ordnung der Dinge« weder bestritten werden soll, dass auch die Diskurse, Bildmedien und intersubjektiven Relationen bei der Ausbildung der Wahrnehmungsschemata eine Rolle spielen, noch behauptet, dass die anderen Sinne keine zentrale kulturelle Rolle spielen. Wie sich zeigen wird, ist es mitunter gar nicht möglich, das Sehen aus dem synästhetischen Gesamtkomplex der körperlichen Empfindungen, kulturellen Artefakte und Praktiken herauszulösen. Dass der theoretische Schwerpunkt hier dennoch auf die visuelle Dingwahrnehmung gelegt wird, hat sowohl theoriesystematische als auch gesellschaftstheoretische Gründe: So geht es zum einen darum, die »blinden Flecken« der vornehmlich (bild-)semiotisch geführten Debatte um die visuelle Kultur aufzuzeigen, um die vorzeichenhafte formale Gestalt der Artefakte sowie der sinnlich-interobjektiven Beziehungen zwischen dem Ding, das wahrgenommen wird, und dem Subjekt, das wahrnimmt, als wichtige Faktoren der visuellen Ordnung auszuweisen. Ziel ist also nicht, eine umfassende Kulturtheorie der Visualität zu entwickeln, sondern die zeitgenössischen Bildund Kulturwissenschaften um eine subjekt- und praxistheoretische Analyse der nichtrepräsentationalen Anteile (Thrift 2007b) der dinglichen und visuellen Kultur sowie der körperlich-sinnlichen Prozesse der perzeptiven Subjektivierung zu ergänzen. Die vorläufige Beschränkung auf den visuellen Sinn resultiert zudem aus den (post-)strukturalistischen Referenztheorien selbst, die hier als Ausgangspunkt gewählt werden. So gibt etwa Foucault durchaus Hinweise darauf, was unter einer »Geschichte des Sichtbaren« zu verstehen sein könnte, lässt aber keinerlei Bemerkungen über die sozio-kulturelle Praktik des Riechens, Schmeckens oder Tastens fallen − eine solche Erweiterung ist jedoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Schließlich lässt sich die Konzentration auf den visuellen Sinn auch historisch begründen, da das Sehen innerhalb der modernen Kultur gleich in mehrfacher Hinsicht eine herausragende Rolle einnimmt. So erfährt die Naturwissenschaft zu Beginn des 17. Jahrhunderts einen »okularzentrischen« Paradigmenwechsel, dem zufolge Erkenntnisse über die Welt allein auf Basis empirischer Beobachtung gewonnen werden können. Und mit den gigantischen Urbanisierungs- und Industrialisierungsschüben des 19. Jahrhunderts breitete sich allgemein, im öffentlichen wie im
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privaten Raum, eine nie da gewesene Fülle visueller Artefakte und Wahrnehmungsangebote aus: Von der elektrifizierten Straßenbeleuchtung und den Leuchtreklamen, über die Erfindung reproduktiver (Bild-)Medien bis hin zu den Displays der Museen und Warenhäuser – aus allen Richtungen wird der moderne Großstädter mit Lichtern, Bildern und Dinggestalten konfrontiert, die ihm eine bestimmte Wahrnehmungshaltung und ständige Aufmerksamkeit abverlangen. Um diese »visuelle Fülle« der modernen Bild- und Artefaktwelten soll es im Folgenden gehen.
1.1 D IE
VISUELLE
K ULTUR
DER
M ODERNE
Wie der Begriff »Aufklärung« oder englisch: »Enlightenment« schon andeutet, bricht mit der abendländischen Neuzeit eine kulturelle Epoche an, die dem Licht und dem »klaren und deutlichen« Sehen (Descartes) eine Priorität einräumt. Genealogisch lässt sich dieses neue Vertrauen in die Macht des (erkennenden) Blicks nicht auf ein einzelnes Ereignis oder Phänomen zurückverfolgen. Es handelt sich vielmehr um einen vielschichtigen, bis heute andauernden Prozess, der bereits Ende des 15. Jahrhunderts einsetzt und immer wieder neue künstlerische, wissenschaftlich-diskursive, medientechnische sowie institutionelle Innovationen und Transformationen hervorgebracht hat.6 Dabei lässt sich ein zentraler Antagonismus ausmachen, der die lange und wechselvolle Geschichte des modernen Okularzentrismus stets begleitet und geprägt hat: die Parallelentwicklung einer voranschreitenden Rationalisierung des Blicks7 auf der einen Seite und einer ästhetischen Spektakelisierung der sichtbaren Welt auf der anderen.8 Zunächst zu den »rationalen« Tendenzen der visuellen Kultur der Moderne: Einer der ersten wichtigen Schritte auf dem Weg zur umfassenden »Rationalisierung« der modernen Weltanschauung ist sicherlich die Erfindung der Zentralperspektive, wie sie von Malern, Architekten und Geometrikern des italienischen Quattro- und Cinquecento entwickelt wurde. Im Unterschied zur religiös-symbo-
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Siehe dazu insbesondere die ersten beiden Kapitel von Martin Jays Downcast Eyes (Jay 1993) sowie Lowe 1982, Levin 1993 und Jenks 1995a.
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Bereits Max Weber hatte in Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus darauf hingewiesen, dass sich die umfassende Rationalisierungstendenz in der abendländischen modernen Kultur auch in den Künsten und der Architektur abzeichnet (Weber 1988: 1ff.).
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In diesem Sinne hat auch Andreas Reckwitz aufgezeigt, dass die Entwicklung der Moderne nicht nur als ein Prozess der zunehmenden Rationalisierung verstanden werden könne, wie es die klassischen Soziologen annahmen, sondern von Beginn an auch von einer ästhetisierenden Gegentendenz getragen wurde (Reckwitz 2006b).
E INLEITUNG
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lischen Malerei des Mittelalters, deren Bedeutungsperspektive, wie der Name schon sagt, den Bildinhalten bzw. der Narration gehorcht, stellt die zentralperspektivische Bildkonstruktion dem Betrachter die gesamte Welt vor Augen: Eine Welt, die dieser aktiv ordnen, »überschauen« und prüfen kann.9 Dieser Eindruck der visuellen »Omnipotenz« resultiert erstens aus dem geometrischen Projektionsverfahren, das alle räumlichen und visuellen Phänomene der Welt auf einer zwei-dimensionalen Ebene mathematisch exakt abbildet, und zweitens aus der Fixierung des Betrachterstandpunktes. Das Auge tritt an die Stelle jenes geometrischen Punktes, von dem aus sich die »rationale« Anordnung der sichtbaren Welt erschließt. Der menschliche Blick beerbt in der Renaissancemalerei somit das allsehende Auge Gottes:10 »The visible world is arranged for the spectator as the universe was once thought to be arranged for God.« (Berger 1972: 16) Die (künstlerische) Bildproduktion ist aber nicht das einzige Medium, das eine umfassende »Ermächtigung« und »Rationalisierung« des Blicks vorantrieb. Auch die frühneuzeitliche Naturwissenschaft erfuhr eine »visuelle« Wende, die sich u.a. in der Erfindung von optischen Geräten und wissenschaftlichen Visualisierungsformen niederschlug.11 In der Forschungsliteratur wird zumeist die cartesianische Trennung von »res extensa« und »res cogitans«, also von der sichtbaren »äußeren« Welt auf der einen und der erkennenden »inneren« Vernunft auf der anderen Seite,
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Wie Michael David Kighley Baxandall herausstellt, geht es bei dem »prüfenden Blick«, der sich in der Perspektivkonstruktion der Renaissancemalerei abzeichnet, nicht allein um größenwahnsinnige Schaulust oder bloßen Ordnungswahn, vielmehr zeigt sich darin auch, dass das »überschauende« Sehen zu dieser Zeit an ökonomischer Bedeutung gewann. So war es beispielsweise für den reibungslosen Ablauf des Handels von äußerster Wichtigkeit, dass die Kaufleute die Volumina und Sackmengen mit bloßem Auge zu bestimmen wussten (Baxandall 1972).
10 Wie Erwin Panofsky dargestellt hat, handelt es sich bei der Perspektivkonstruktion aber keineswegs um eine »natürliche« oder naturgetreue Darstellung des menschlichen Blicks, da sie von der Körperlichkeit des Betrachters abstrahiert und stattdessen ein monokulares Auge voraussetzt, das sich weder bewegt noch blinzelt. Die Perspektive ist demnach eher als eine konventionalisierte »symbolische Form« zu verstehen, in der sich die spezifisch neuzeitliche Weltvorstellung ausdrückt (Panofksy 1964: 108). 11 Zu diesen neuen bahnbrechenden visuellen Instrumenten, die im Laufe der Jahrhunderte entwickelt wurden, um die Natur genauestens beobachten und abbilden zu können, gehörten etwa die kartografischen Projektionsverfahren und die naturwissenschaftlichen Tableaus, das Fernrohr und das Mikroskop sowie im 19. und 20. Jahrhundert schließlich auch die Fotografie, die Röntgenaufnahme und der Computer.
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als Gründungsmoment oder besser: Wiederentdeckung12 des wissenschaftlichen Okularzentrismus ausgewiesen (Rorty 1979: 45). Denn erst die Konzeption von Welt als einer dem Geist äußerlichen, distanzierten Sphäre lässt die Welterkenntnis zum Problem werden, das mithilfe exakter, empirischer Beobachtungsmethoden und experimenteller Verfahren gelöst werden muss.13 Aus dieser epistemologischen Prämisse heraus erklärt sich auch das bis heute noch gültige wissenschaftliche Ziel, ein »objektiv-rationales« Bildgewinnungs- und -gebungsverfahren zu entwickeln, das Phänomene der »äußeren Welt« aufzeichnen, exakt wiedergeben und analytisch auswerten kann. Mit der Erfindung der Fotografie und der Röntgenaufnahme im 19. Jahrhundert sowie der Sonografie und Computervisualisierung im 20. Jahrhundert, die die Praxis sowohl der Naturwissenschaft und Medizin als auch die der Rechtsprechung nachhaltig veränderte, konnte sich das objektivistische Bildparadigma schließlich vollends durchsetzen.14
12 Die »Nobilitierung« des Sehsinns ist bereits in der klassischen griechischen Philosophie nachzuweisen, die das Konzept der »theoria« zumeist mit visuellen Metaphern umschreibt (Jonas 1966). Wie später bei Descartes wird das Sehen aber auch schon von Platon ambivalent bewertet. Denn einerseits spricht er von der Vernunft auch als dem »Auge des Geistes«, misstraut andererseits aber der Täuschungsanfälligkeit der normalen visuellen Wahrnehmung. 13 Wie Martin Jay betont, beinhaltet Descartes’ Erkenntnistheorie jedoch zwei nahezu konträre Konzepte von »Visualität« und »Sehen«, die letztlich in zwei unterschiedlichen epistemologischen Traditionen münden (Jay 1993: 70ff.). Denn zum einen vertritt Descartes die These, dass nur die Vernunft die Ideen klar und deutlich »sehen« kann, und scheint somit der »speculative tradition of identitarian reflexivity« das Wort zu reden. Dem gegenüber stehen jedoch andererseits seine umfangreichen Bemühungen, wissenschaftlichrationale Beobachtungsverfahren und Deduktionsmethoden zu entwickeln, mit denen die »äußere« Welt empirisch durchdrungen und erkannt werden kann. Der cartesianische Rationalismus hat also sowohl die eindeutig visualitätsskeptische Haltung der (idealistischen) Philosophie und Geisteswissenschaften befördert, die sich beispielsweise auch in der Ästhetik- und Sinnenfeindlichkeit der klassischen soziologischen Theoriebildung niedergeschlagen hat, als auch die epistemologische Begründung für die empiristischpositivistische Privilegierung des distanziert-beobachtenden Blicks geliefert, die in den Naturwissenschaften bis heute noch nicht an Gültigkeit verloren hat. Zum Okularzentrismus siehe auch Kapitel 2.1.1.1. 14 Nach Loraine Daston und Peter Galison lässt sich die Vorstellung von Objektivität vom 18. bis zum 20. Jahrhundert in drei historisch aufeinanderfolgende Phasen einteilen, die sich jeweils durch eine bestimmte Methodologie des Bildes auszeichnen (Datson/Galison 2002). So entwickelte sich beispielsweise das Konzept eines nicht-intervenierenden,
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»Die universelle mimetische Sprache der Kamera erschloß eine höhere, intellektuelle Wahrheit, eine Wahrheit, die sich in der universellen, abstrakten Sprache der Mathematik ausdrücken ließ. Damit war die Fotografie mit einem galileischen Weltbild vereinbar, das die Welt als ein ›in der Sprache der Mathematik‹ geschriebenes Buch begriff.« (Sekula 2003: 287)
Neben der künstlerischen Perspektivkonstruktion und dem pikturalen Objektivismus der Wissenschaften lässt sich noch eine dritte Sphäre ausmachen, in der sich der moderne »visuelle Rationalismus« manifestiert: in der »panoptischen« Umgestaltung des modernen Stadtraums, die eine lückenlose und effiziente Überwachung, Kontrolle und Lenkung der Stadtbevölkerung gewährleisten sollte.15 Zu den entsprechenden stadtpolitischen Maßnahmen des 18. und 19. Jahrhunderts gehörten etwa die Einführung einer flächendeckenden, staatlich gesteuerten Straßenbeleuchtung, die das »Untertauchen« in dunklen Gassen verhindern und die allgemeine Moral steigern sollte (Kammerer 2008: 20); die Einrichtung einer zentral organisierten Polizei, die sowohl den öffentlichen als auch den privaten Raum überwachte; und schließlich der Abriss und Umbau ganzer Stadtteile und Straßenzüge wie bei der »Haussmannisierung« von Paris − Maßnahmen, die nicht nur die hygienischen Verhältnisse und Lebensstandards verbessern sollten, sondern gleichfalls dazu dienten, die polizeiliche Überschau- und Kontrollierbarkeit des Stadtraums zu erhöhen. In diesem Sinne bemerkte auch Benjamin, dass »der wahre Zweck der Haussmann’schen Arbeiten […] die Sicherung der Stadt gegen den Bürgerkrieg [war]« (Benjamin 1983: 57). Wie Foucault in seiner einflussreichen Abhandlung über die moderne Disziplinargesellschaft (ÜS) herausarbeitet, lässt sich die machttechnologische Rasterung des sozialen Raums zudem auf der Mikroebene der öffentlichen und privaten Institutionen beobachten: Zu Beginn der bürgerlichen Moderne nehmen die neuen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser und Fabriken die Gestalt von automatisierten »Überwachungsmaschinen« an, in denen die Gefängnisinsassen, Schüler, Ärzte und Fabrikarbeiter einem permanenten Anpassungs- und Normalisierungsdruck unterworfen werden. Diese Normalisierung macht auch vor der Praxis des Sehens nicht halt: So werden die Fabrikarbeiter darauf getrimmt, ihre visuelle Aufmerksamkeit an das Tempo des Fließbands und der Maschinen anzupassen (Marx 1968b: 541f.; Jameson 1981: 62-64),16 während die
mechanischen Objektivismus, wie er auch der Fotografie zugeschrieben wird, erst im mittleren 19. Jahrhundert (Galison 2003: 422). 15 Für eine Auseinandersetzung mit Foucaults Panoptismus- und Machtbegriff siehe auch Kapitel 2.2. 16 Wenn man sich allerdings das berühmte Gemälde Eisenwalzwerk (1872-1875) von Adolph Menzel in Erinnerung ruft, scheint die industrielle Produktion mitunter eher einer
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Angestellten in das »stählerne Gehäuse« der Büros gezwängt werden, deren farblose, modernistische Gestaltung kaum Gelegenheit für sinnliche Ablenkung bietet.17 Und selbst der bürgerliche Museumsbesucher muss lernen, dass der ästhetische Genuss von einer bestimmten Technik des Sehens abhängt.18 Die machttechnologische »Rationalisierung des Blicks« ist also keine bloße Frage der Überwachung, sondern auch eine der gezielten Kanalisierung und Beschränkung möglicher Sichtweisen und Wahrnehmungsformen des modernen Subjekts. Damit ist die Geschichte der visuellen Moderne aber erst zur Hälfte erzählt. Denn die »Rationalisierung des Blicks«, wie sie sich in den Bildkonstruktionen, wissenschaftlichen Beobachtungs- und Visualisierungstechniken sowie in der panoptischen Rasterung des Raums widerspiegelt, wurde stets auch von affektivspektakulären Gegentendenzen oder schlicht chaotischen Reizüberflutungen ergänzt und konterkariert: Angefangen bei der Überwältigungsästhetik der Kunst und Architektur der Gegenreformation, die sich mit ihrem ekstatischen Zusammenspiel von Farben und Formen, Oberflächen und Tiefen explizit gegen die protestantische Nüchternheit und das Programm der wissenschaftlichen Revolution wandte,19 über den höfischen Prunk unter Ludwig dem XIV., der seiner Legitimation durch ausladende Feste und üppige Paläste Ausdruck verschaffte, bis hin zur »schockhaften« Großstadterfahrung (Benjamin 1963: 39), die durch die wuchernden Ding- und Bildwelten, die beschleunigenden Verkehrstechnologien und elektrischen Lichtermeere ausgelöst wird. Im Folgenden soll es vor allem um Letzteres gehen, also um die sinnlichen Phänomene und Praktiken, die sich zeitgleich mit der machttechnologischen Panoptisierung des öffentlichen Raums und der Disziplinierung des modernen Subjekts herausbilden, und die gerade in den letzten Jahrzehnten des
Art dunklen und funkensprühenden »Höllenmaschine« denn einer rationalen »Überwachungsmaschine« zu ähneln. 17 Siegfried Kracauers FAZ-Kolumnen zeichnen ein eindrückliches Bild von der zunehmenden Proletarisierung der Angestelltenschicht in der Weimarer Republik (Kracauer 1930). 18 Im Anschluss an Foucaults Panoptismusthese haben die Museum Studies herausgestellt, dass auch die öffentlichen Naturkunde-, Völkerkunde- und Kunstmuseen, die während der bürgerlichen Moderne gegründet wurden, zu den modernen Disziplinarinstitutionen gezählt werden können. Erklärtes Ziel dieser Einrichtungen war nämlich, das allgemeine Bildungsniveau der nationalen Bevölkerung zu erhöhen und auch die Angehörigen der mittleren und unteren Schichten zu einem verfeinerten Geschmackssinn und kultiviertem Sozialverhalten zu erziehen (Bennett 1995: 20; Duncan 1995: 16). 19 Die französische Kunsthistorikerin Christine Buci-Glucksmann sieht in der barocken Subversion des wissenschaftlichen Rationalismus sogar einen vernunftkritischen Vorboten der ästhetischen Postmoderne (Buci-Glucksmann 1994).
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20. Jahrhunderts noch an Bedeutung gewonnen haben. Dass diese Sinnlichkeitsüberschüsse keinesfalls zufällig entstehen, sondern als »Kompensation« ganz direkt auf den entsinnlichenden visuellen Rationalismus der modernen Arbeitsteilung, Bürokratie und politischen Kultur reagieren, hat bereits Simmel bemerkt, der in einem Essay über die Besucher der modernen Gewerbe- und Kunstausstellungen im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts schreibt: »Es scheint, als ob der moderne Mensch für die Einseitigkeit und Einförmigkeit seiner arbeitsteiligen Leistung sich nach der Seite des Aufnehmens und Genießens hin durch die wachsende Zusammendrängung heterogener Eindrücke, durch immer rascheren und bunteren Wechsel der Erregungen entschädigen wolle.« (Simmel 2005: 34)
Zu diesen »heterogenen Eindrücken« gehören natürlich die diversen audio-visuellen Massenmedien und optischen Geräte, die zunächst als wissenschaftliche Instrumente erfunden worden waren, bevor sie dann auch die alltäglichen Bild- und Wahrnehmungspraktiken des modernen Menschen umkrempelten: Eine der wichtigsten dieser medientechnologischen Innovationen war mit Sicherheit die Fotografie, die aufgrund ihrer »Objektivität« nicht nur die anthropologische Forschung und polizeiliche Arbeit revolutionierte,20 sondern früh auch in der bürgerlichen Selbstrepräsentation, im Journalismus, in der Sozialdokumentation21 und der Werbegrafik Einzug hielt.22 Neben den »statischen« fotografischen Abbildungen boten zudem das Kaiserpanorama, das vor allem exotische Landschaften und »fremde Kulturen« zeigte, sowie seit Ende des 19. Jahrhunderts insbesondere der Kinofilm genügend Projektionsfläche, um den im Arbeitsalltag unterdrückten Sehnsüchten, libidinösen Energien und voyeuristischen Gelüsten des modernen Menschen freien Lauf zu las-
20 Siehe dazu auch Kapitel 2.1.2.1. 21 Die dokumentarische Fotografie blühte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf, einer Zeit, in der sich die gesellschaftliche Spannung zwischen dem zunehmend verelenden industriellen Proletariat und dem Bürgertum verschärfte, welches die Fotografie dazu nutzte, sich ein Bild von der sozialen Situation der Arbeiter zu verschaffen und geeignete kompensatorische Maßnahmen zu entwickeln. Siehe dazu auch Solomon-Godeau 2003. 22 Nach Crary war allerdings die Erfindung des – heute nicht mehr gebräuchlichen – Stereoskops für die Entwicklung der modernen visuellen Kultur wesentlich entscheidender (Crary 1996, 2002a). Im Unterschied zur »monokularen« Fotografie konnte das Stereoskop das »binokulare«, dreidimensionale Sehen des leiblichen Auges imitieren − was wohl zu seiner Eignung als Medium erotischer und pornografischer Darstellungen beitrug, es allerdings auch die Seriosität kostete (Crary 1996: 131).
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sen.23 Diese kollektiven – und, will man Benjamin Glauben schenken, zudem auch kollektivierenden (Benjamin 1963) – Formen der Medienrezeption wurden jedoch im Laufe der Postmoderne durch individualisierende Medienpraktiken – wie dem Fernsehen und dem Internetsurfen – abgelöst. Der bekannten Simulakren-These Jean Baudrillards (1982) zufolge, haben diese Praktiken die Schraube der medialen »Simulation« noch ein Stück weitergedreht, da sie die »realen« sozialen Bedingungen nun vollkommen zu überdecken, wenn nicht gar zu ersetzen drohen. Für Baudrillard ist diese (spät-)moderne Bilderflut mit einer zweiten Form der »Spektakelisierung« verbunden (Debord 1996): der fortschreitenden »Fetischisierung« (Marx) und Eigendynamik der industriell hergestellten Waren. »Das Spektakel ist der Moment, worin die Ware zur völligen Besetzung des gesellschaftlichen Lebens gelangt ist. Das Verhältnis zur Ware ist nicht nur sichtbar geworden, man sieht sogar nichts anderes mehr: Die Welt, die man sieht, ist seine Welt.« (Debord 1996: 35)
Diese Entwicklung nimmt mit der bürgerlich-kapitalistischen Ökonomie ihren Anfang: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts säumen bunte Werbeplakate, Schaufensterdisplays und Leuchtreklamen – quasi als Pendent zur »polizeilichen« Straßenbeleuchtung – die Straßen, Plätze und öffentlichen Räume.24 Etwa zur gleichen Zeit entstehen in den Innenstädten der Metropolen neuartige, künstliche Räume des Amüsements, der industriellen Leistungsschau und des Konsumierens:25 Große Vergnügungsparks, die im Unterschied zu traditionellen Volksfesten mit mechanischen Fahrbetrieben und elektrifizierten Lampen aufwarten konnten, die internationalen Weltausstellungen, auf denen sich die verschiedenen Nationen mit ihren neuesten Industrieprodukten präsentierten, und schließlich die Passagen, deren üppiges Angebot von luxuriösen und exotischen Waren die Neugier der umherschweifenden Flaneure anzog.26 Diese Tendenz zur durch und durch kommerzialisierten Erlebnis-
23 Dass gerade die filmische Repräsentation zu einer libidinösen Besetzung einlädt, haben vor allem die feministischen Filmwissenschaftler seit den 1970er Jahren herausgestellt. 24 Eine schöne Darstellung der neuen urbanen Displays und kommerziellen Oberflächen liefern Janet Ward in Weimar Surfaces (Ward 2001) sowie Nye 2004 und Henkin 2004. Zur Dingkultur im 19. Jahrhundert und den damit korrespondierenden Wahrnehmungsweisen siehe Asendorf 1984. 25 Für einen Überblick über die Kulturgeschichte der Konsumbauten in Deutschland siehe auch Delitz 2005. 26 Walter Benjamin stuft das Flanieren als eine künstlerisch-kritische Praxis ein, die noch nicht so sehr auf Konsumieren, denn auf die quasi-soziologische Beobachtung der Masse und auf die ästhetische Erkundung der »Modernität« ausgelegt ist. Laut Benjamin wird
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gesellschaft wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch gesteigert: An die Stelle der Passagen traten die großen tayloristisch organisierten Warentempel, die seriell produzierte Waren anboten und somit als eigentlicher Geburtsort des modernen Massenkonsums gelten können.27 Und in den 1960er Jahren etablierte sich in den US-amerikanischen Vorstädten schließlich ein architektonisches Modell, das bis heute die Konsumlandschaft auf der ganzen Welt prägt: die disneyfizierten28 Shoppingmalls, die mit ihren verschiedenen Indoor-Shops, Cafés und Freizeitangeboten nicht nur die Konsum- und Unterhaltungsbedürfnisse unterschiedlicher Käufermilieus befriedigen können, sondern darüber hinaus dem Konsumenten das Gefühl vermitteln, am öffentlichen Leben teilzunehmen.29 Die Ausweitung der Bildmedien und kommerziellen Ausstellungsformate, der rasche Wechsel von Sinneseindrücken auf dem Boulevard und schließlich die alltägliche Konfrontation mit den vielen anonymen Gesichtern haben schließlich Simmel zufolge noch zwei weitere »irrationale« Folgen für den modernen Großstadtmenschen: Einerseits – wie bereits erwähnt – die nervlich-perzeptive Überreizung, die das Individuum zwingt, sich von seiner sozialen und objektiven Umgebung innerlich zu distanzieren, und andererseits das wachsende psychische Bedürfnis, sich durch Formen der ästhetischen Selbststilisierung – zu denen etwa die Wahl von Mode, Schmuck oder Wohninterieurs30 gehörten – von der Masse abzuheben
diese Praxis jedoch durch die tayloristische Logik der neuen Warenhäuser zerstört (Benjamin 1978). Zur Figur des Flaneurs siehe auch die Beiträge in Tester 1994. 27 Im Unterschied zu den Passagen, die vor allem dem männlicher Publikum vorbehalten waren, bietet das Warenhaus nun auch den Damen die Möglichkeit, am öffentlichen Leben teilzunehmen (Leach 1984). 28 Unter »Disneyfizierung« wird die themenparkartige Inszenierung von öffentlichem oder halböffentlichem Raum verstanden. Siehe dazu auch Legnaro 2000 und Bryman 2004. 29 In den europäischen Städten nahm dieses ausdifferenzierte Konsummodell die Form der »Fußgängerzonen« an, die zwar einen authentisch »gewachsenen« Eindruck machen sollen, aber stets dieselben Geschäfts- und Restaurantketten beherbergen. 30 Mit der strikten Separierung von »öffentlich« und »privat« in der bürgerlichen Moderne beginnt auch die Frage der Einrichtung und Innendekoration eine größere Rolle zu spielen (Rice 2007). Der Markt für Einrichtungsratgeber und illustrierte Zeitschriften, die Entwürfe und Richtlinien für das »ideale Heim« anbieten, boomt Ende des 19. Jahrhunderts. Dieses zeichnet sich durch eine funktionale und geschlechtsspezifische Differenzierung der Räume sowie eine symbolische Besetzung der verwendeten Materialien aus: Während das »Herrenzimmer« Konzentration und Strenge ausstrahlen sollte, war das Damenzimmer und der Salon mit reichlich Stoff und Dekoration ausgestattet. Zur geschlechtsspezifischen Codierung des Interieurs siehe auch Nierhaus 1999, Rossberg 1999 und Keim 2012.
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(Simmel 1995, 1998b). Das Überborden der »objektiven Kultur« und die Steigerung der »Schaufensterqualität der Dinge« befördern beim Subjekt also eine ähnliche Haltung: Auch dem Menschen geht es darum, seine sichtbare »Oberfläche« auszustellen, um die Blicke der Anderen anzulocken. Insgesamt lässt sich die visuelle Kultur der Moderne also keinesfalls als ein homogener Prozesses beschreiben: Gewiss ist, dass sich die Bild- und Objektwelten im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts immer weiter ausdehnen, dass immer mehr Waren zugänglich werden und sich die sinnlichen Eindrücke verdichten. Ebenso trifft zu, dass Räume, Dinge und Bilder einer »disziplinären« Standardisierung und Rationalisierung unterworfen werden und im Gegenzug das Subjekt nötigen, sich körperlich, perzeptiv und seelisch zu »normalisieren«. Der moderne Mensch lebt in einem Spannungsfeld zwischen sinnlich-affektiver Überladung und rationaldisziplinarischer Einengung, deren Mischungsverhältnis je nach sozio-kulturellem Dispositiv variieren kann. Hier soll es jedoch nicht darum gehen, diese Bild-, Ding- und Praxiswelten im Einzelnen näher zu bestimmen. Der Schwerpunkt der folgenden Überlegungen liegt vielmehr auf einem theoretisch-analytischen Problem, genauer: der Frage, wie sich die modernen Aspekte der sinnlichen Wahrnehmung, der interobjektiven Beziehung und der sichtbaren Dingkonstellationen in die poststrukturalistische Subjekt- und Sozialtheorie integrieren lassen. Mit dem Bemühen, die praxis- und wahrnehmungskonstitutive Wirksamkeit der Ding- und Gegenstandswelt theoretisch zu fassen, schließt der hier vorgestellte Ansatz an einige aktuelle Diskussionen aus dem Umfeld der Raum- und Körpersoziologie, der Sense Studies und der Artefakttheorien an, die im Folgenden näher dargestellt werden sollen.
1.2 Z U DEN MATERIELLEN B EDINGUNGEN DES S EHENS . E IN KURZER F ORSCHUNGSÜBERBLICK Die Frage der Sinneswahrnehmung gehört seit jeher zu den klassischen Gegenstandsbereichen der philosophischen Erkenntnistheorie und Ästhetik31, der Psychologie und Physiologie sowie der Kunst- und Medienwissenschaft, wurde aber von der Soziologie lange nicht diskutiert. Wie bereits angedeutet, mögen die Gründe für diese Zurückhaltung vor allem darin liegen, dass die traditionelle Soziologie stets darauf bedacht war, ihren spezifischen Forschungsgegenstand gegenüber den anderen Disziplinen klar abzugrenzen, und somit dazu tendierte, die Sinnlichkeit als ein
31 Für eine kurze »Problemgeschichte des Sehens« in der Philosophie siehe etwa Schürmann 2008: 29ff.
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vor- oder außersoziales Phänomen einzustufen. Dennoch lassen sich schon bei den soziologischen Klassikern – und sei es auch nur am Rande – immer wieder Verweise auf das Bedingungsverhältnis zwischen sinnlicher Wahrnehmung und materieller Kultur finden. So schrieb etwa der junge Karl Marx in seinen Thesen über Feuerbach (1845), dass es sowohl dem Idealismus als auch dem Materialismus an einer genügenden Berücksichtigung der »menschliche[n] sinnliche[n] Thätigkeit« fehle (Marx 1968a), und betonte in etwa zeitgleich erschienenen Schriften, dass die moderne Industriearbeit mit einer Verarmung der Sinnesempfindung einhergehe (Marx 1968b). Ebenso stellte Emile Durkheim in Die elementaren Formen des religiösen Lebens mit dem Begriff der »kollektiven Efferveszenz« die sinnlich-ekstatische Dimension von Gemeinschaftsbildung heraus und hob zudem hervor, dass sich die sozialen Kräfte nur bündeln können, wenn sie sich an ein konkret wahrnehmbares, affektiv hoch aufgeladenes Symbol – ein Totem – heften (Durkheim 1981: 283ff.). Der Pragmatist George Herbert Mead hatte wiederum die These vertreten, dass erstens jede (soziale) Handlung und Interaktion einen Wahrnehmungsvollzug impliziert und dass zweitens die Dinge als solche in diesen funktionalen Wahrnehmungsakten erst konstituiert werden. Dabei unterstellt der Wahrnehmende – so Meads weitere Annahme – dem Gegenstand ein substantielles »Inneres«, in das er sich mithilfe der Technik der Rollenübernahme, die er im sozialen Umgang gelernt hat, einfühlen muss (Mead 1969).32 Schließlich gehören auch Georg Simmel und Walter Benjamin, die aus der »ästhetischen Organisation« der Großstadt die perzeptive und sozio-kulturelle Ordnung der modernen Gesellschaft abzulesen suchten,33 zu den wenigen klassischen Soziologen, die sich explizit mit
32 Für diesen Zusammenhang siehe insbesondere Joas 1989: 143ff. 33 Georg Simmel bezeichnete seine analytische Vorgehensweise, die einzelne Artefakte oder flüchtige oberflächliche Erscheinungen – wie den Schmuck, die Mode oder den Bilderrahmen – herausgreift, um daran das Gesetz und das Wesen des modernen Lebens aufzudecken, auch als »soziologische Ästhetik« (Simmel 1998a: 78). In diesem Sinne stellte er beispielsweise die These auf, dass ein »autokratischer« sozialistischer Staat, der einer rationalen Anordnung gehorcht, in seiner ästhetischen Erscheinung mehr zur kognitiv weniger anstrengenden Symmetrie neigt als eine liberale Gesellschaftsform, die eher ein unruhiges und unebenes Bild zeigt (ebd.: 83ff.). Auch Walter Benjamin interessierte sich dafür, wie der kulturelle und soziale »Geist« in den Artefakten, Waren und Architekturen einer Zeit offen zu Tage tritt. Während aber Simmel für die Analyse der »ästhetischen Phänomene« der modernen Welt die Form des kurzen Essays bevorzugte und sogar abstritt, dass eine »allgemeine Theorie« über die komplexe moderne Welt möglich sei, hatte sich Walter Benjamin mit seinem unvollendet gebliebenen »Passagen-Werk« ein ehrgeizigeres Ziel gesetzt, nämlich »die Gegenstände des 19. Jahrhunderts […] als Ursa-
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der sozialen Rolle der Sinneswahrnehmung beschäftigt haben. Simmel war etwa der Meinung, dass die sinnlichen Reize, mit denen der moderne Großstädter tagtäglich konfrontiert wird, seine visuelle Auffassungsgabe und kognitiven Kapazitäten bei Weitem übersteigen und ihn somit zu einer »blasierten«, d.h. abgestumpften Haltung gegenüber der Welt und den Anderen nötigen (Simmel 1992, 1995, 1998a, 2005). Und Benjamin vertrat in seinem einflussreichen Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Benjamin 1963) die durchaus gewagte These, dass die perzeptiven Anforderungen des neuen Mediums »Film« zu einer ganz andersartigen, genuin anti-bürgerlichen Form der Weltwahrnehmung führen würden. Diese verschiedenen soziologischen Ansätze, die materielle Bedingtheit von Wahrnehmung zu beleuchten, wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch nicht aufgegriffen oder weiterverfolgt. Erst im Zuge der spätkapitalistischen Wucherung der Bild- und Warenwelten34 wurde die soziale Relevanz der dinglichen und visuellen Kultur wieder verstärkt diskutiert. Im Unterschied zu den früheren Ansätzen interessierten sich diese neueren kulturwissenschaftlichen und -soziologischen Ding- und Visualitätstheorien jedoch kaum für die sinnlichen Wahrnehmungsformen und -praktiken, die den Warenkonsum oder die Medienrezeption begleiten. Durch den interdisziplinären »linguistic turn« beeinflusst, galt ihr Hauptinteresse vielmehr einerseits den kulturellen Bedeutungen, die den Dingen und Bildern zugeschrieben werden, sowie andererseits den jeweiligen Lebensstilen und Konsumpraktiken, die diese Codes reproduzieren und weitertragen. So legen etwa die Konsumsoziologie sowie die Cultural Studies ihren analytischen
chen der Gegenwart erkennbar [zu machen]« (Buck-Morss 1993: 265). So besagt eine der zentralen Thesen des Passagen-Werks, dass die uneingelösten sozialutopischen Versprechen der industriellen Moderne immer noch in den veralteten Gegenständen und Architekturen des 19. Jahrhunderts gegenwärtig sind und durch die erinnernde Aktualisierung, die blitzartige Erkenntnisform des »dialektischen Bildes«, eine neue emanzipatorische Schlagkraft gewinnen können (Benjamin 1983). Neben Simmel und Benjamin kann schließlich auch Siegfried Kracauer, der einige Vorlesungen von Simmel besucht hatte und mit Benjamin in intellektuellem Austausch stand, zu den frühen Metropolenforschen gezählt werden, die in den ästhetischen »Hieroglyphen« der modernen Großstadt (Kracauer 1987) die »Essenz« der Moderne bzw. des Lebens in der Weimarer Republik zu entziffern suchten und ein »Denken durch die Dinge, anstatt über ihnen« forcierten (Kracauer 1971: 180; vgl. auch Grunert/Kimmich 2009). 34 Zur »postmodernen Ästhetisierung« und »Kulturalisierung« der Ökonomie und Konsumkultur siehe Debord 1996, Baudrillard 1982, Featherstone 1991, Lash/Urry 1994, Gottdiener 1995 und Hall 1997c.
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Schwerpunkt auf die »signifying practices«, durch die alltägliche Gebrauchsgegenstände – wie Möbel, Kleidung oder Nahrungsmittel – in Kennzeichen einer klassen- und geschlechtsspezifischen Identität oder subkulturellen Mitgliedschaft transformiert werden.35 Auch die Visual bzw. Media Culture Studies36, die sich ge-
35 Die Kultursemiotiker Roland Barthes und Jean Baudrillard untersuchten beispielsweise, welche kulturellen »Mythen« und Konnotationen sich in dem »System der (Alltags-)Dinge« abzeichnen (Barthes 1964, 1988; Baudrillard 1985, 1991). In eine ähnliche Richtung weisen auch die geschmacks- und lebensstilanalytischen Studien von Pierre Bourdieu, der in Die Feinen Unterschiede der Frage nachging, wie sich die soziale Herkunft des Akteurs in seinen ästhetischen Präferenzen – d.h. der Wohnungseinrichtung, Kleiderwahl und den Essensvorlieben – niederschlägt (Bourdieu: FU). Beide Ansätze wurden von den Cultural Studies und den anthropologisch orientierten Material Culture Studies aufgegriffen und ausgebaut. Anders als die klassischen Kultursemiotiker und Pierre Bourdieu schreiben die Vertreter der Cultural Studies dem einzelnen sozialen Akteur jedoch mehr Gestaltungsspielraum zu. So haben beispielsweise Dick Hebdige und Paul Willis untersucht, wie Jugendliche aus der englischen »working class« Versatzstücke der bürgerlichen (Hoch-)Kultur aufgreifen und in neue subkulturelle Codes überführen (Willis 1990; Hebdige 1979). Parallel zu diesen soziologischen Analysen begannen auch die sozialanthropologischen Material Culture Studies, sich mit den Bedeutungsschichten der Dingkultur zu beschäftigen. Dabei ging es u.a. darum, im Anschluss an Durkheim die identitätsstiftende Funktion von alltäglichen Gebrauchsgegenständen und Konsumgütern aufzuzeigen (Douglas/ Isherwood 1979; Miller 1987), die soziale Biographie der Dinge nachzuzeichnen (Kopytoff 1986) oder die komplexen symbolischen Ordnungen ganzer Haushalte zu erforschen (Miller 2008). Für einen detaillierteren Überblick über die Rolle des (Konsum-)Objekts in den Sozialwissenschaften und den Material Culture Studies siehe auch Hahn 2005, Hicks 2010 und Bosch 2010. 36 Angestoßen von den Arbeiten von Michael Baxandall und Svetlana Alpers, die den Begriff »Visual Culture« erstmalig lancierten resp. systematisch ausbauten (Baxandall 1972; Alpers 1983), begann sich das interdisziplinäre Forschungsfeld der Visual Studies bzw. Visual Culture Studies in den späten 1970er Jahren im anglo-amerikanischen Raum herauszubilden. Analytisch konzentriert sich ein Großteil der Visual Studies auf die Frage, wie in und durch bildliche Repräsentationen ein bestimmtes Wissen – wie beispielsweise die Vorstellung von einem »normalen« Körper – konstruiert, naturalisiert und bewertet wird. Die wichtigsten Texte dieser neuen Strömung versammeln Mirzoeff 1998, Evans/ Hall 1999 sowie Morra/Smith 2006. Für einen Überblick siehe auch den »bibliographischen Essay« von Margaret Dikovitskaya (Dikovitskaya 2006: 6-46) sowie Prinz/Reckwitz 2012. Etwas später etablierte sich auch im deutschsprachigen Raum ein in erster Linie kunst- und kulturwissenschaftlich ausgerichteter Diskurs rund um das Thema der
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wissermaßen als »Ableger« aus den Cultural Studies entwickelt haben, verstehen die (medialen) Bilder vornehmlich als »Zeichenträger« oder »Repräsentation«, die ein kulturell spezifisches Wissen (re-)produzieren. Dabei lassen sich drei verschiedene bildanalytische Zugänge unterscheiden: Erstens gibt es einige wenige produktionsorientierte Ansätze, die sich mit den institutionellen, technologischen und sozialen Bedingungen der Herstellung, Präsentation und Verbreitung von Bildmedien beschäftigen.37 Einen zweiten, ungleich größeren Zweig der Visual Culture Studies bilden die produktorientierten Zugänge, die die verschiedenen Bedeutungsebenen der bildlichen Repräsentationen freilegen. Für diese Analyseperspektive war insbesondere Roland Barthes’ Bildsemiotik prägend, die im Rekurs auf den Saussure’schen Zeichenbegriff die Konnotationen und Denotationen von pikturalen Signifikanten – seien es Pressefotos, Werbebilder oder andere Formen der visuellen Darstellung (Barthes 1964: 95ff., 1990a/b) – zu rekonstruieren sucht.38 Im Anschluss daran hat sich schließlich noch eine dritte rezeptionsanalytische Richtung etabliert, die nicht ausschließlich bildimmanent argumentiert, sondern die unterschiedlichen Rezeptions- und Dekodierungsweisen verschiedener sozialer Akteure und Gruppen offenlegt.39
»Bildlichkeit«. Einige Vertreter der deutschen Bildwissenschaft greifen – ebenso wie die anglo-amerikanische Diskussion – vor allem auf den semiotischen Bildbegriff zurück (Sachs-Hombach 2005). Darüber hinaus gibt es aber auch solche Theoretiker, die sich mit den eher grundsätzlichen philosophischen Fragen wie der »ikonischen Differenz« beschäftigen (Boehm 1994b). Diese Parallelentwicklung von den deutschen kunsttheoretischen Bildwissenschaften und den anglo-amerikanischen stärker sozialwissenschaftlich ausgerichteten Visual Culture Studies lässt sich beispielsweise auch daran ablesen, dass der amerikanische Literaturwissenschaftler W.J.T. Mitchell und der deutsche Philosoph Gottfried Boehm etwa zeitgleich den »pictorial turn« (Mitchell [1992] 1997) und den »iconic turn« (Boehm 1994b) ausgerufen haben. 37 Zu dieser Analyserichtung gehört beispielsweise die Mediendispositivforschung von Jean-Louis Baudry, der zufolge die ideologischen Effekte des »zentralperspektivisch« organisierten Films von der Art und Weise seiner technischen Herstellung, nämlich der Montage und der Kameraführung, vorgezeichnet werden (Baudry 1986, 2003). 38 Die Semiotik wurde zudem auf andere Medien (Metz 1972, 1973; Stam u.a. 1992; Bignell 1997) sowie die Bildende Kunst übertragen (Marin 1972; Thürlemann 1990; Bal/ Bryson 1991). Daneben sind in den Visual Culture Studies aber auch psychoanalytische und diskurstheoretische Analysemodelle verbreitet. Siehe dazu etwa Rose 2001. 39 So hat etwa Stuart Hall in seinem für die (Visual) Culture Studies grundlegenden Text Encoding/Decoding hervorgehoben, dass es sowohl dominante, ausgehandelte als auch oppositionelle Lesarten geben kann, die den Medientext jeweils in einem ganz anderen
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Ähnlich wie die Visual Culture Studies befasst sich auch die visuelle Wissenssoziologie mit den Wissenseffekten von Bildern,40 bedient sich dabei jedoch eines ganz anderen theoretischen Rahmens. Ausgangspunkt bilden hier einerseits die klassischen wissenssoziologischen Ansätze von Karl Mannheim, Peter Berger und Thomas Luckmann oder Pierre Bourdieu sowie andererseits die kunsthistorischen Methoden von Erwin Panofsky und Max Imdahl.41 Diese analytische Perspektive hat gegenüber der Bildsemiotik den Vorteil, dass sie ganz explizit die »ikonische Differenz« des Bildlichen hervorhebt; allerdings konzentriert auch sie sich allein auf das kognitive »Sinnverstehen« von Bildern, ohne dabei die anderen Artefakte, körperlichen Praktiken und nicht-hermeneutischen Wahrnehmungsformen zu berücksichtigen. In der Konsum- und Lebensstilforschung, den Visual Culture Studies und der visuellen Wissenssoziologie beschränkt sich die soziale Relevanz der Artefakte also vornehmlich auf ihren semiotischen oder sinnbildenden Charakter42: Während die
Licht erscheinen lassen (Hall 1999). Dieser Text gab Anlass für viele ethnographisch ausgerichtete Arbeiten, die die divergierenden Rezeptionsmilieus empirisch erforschten (Morley 1980, 1986). In der sogenannten »Revisionismus-Debatte« wurde jedoch vielfach kritisiert, dass die ethnographischen Rezeptionsstudien den Subjektivismus und Voluntarismus zu sehr betonen und damit die ursprünglich ideologiekritischen Impulse der Cultural Studies aufs Spiel setzen. Vor allem John Fiske wurde vorgeworfen, die strukturierende Wirkung hegemonialer Diskurse zu banalisieren, da er mit seinem Konzept des »active audience« dem TV-Zuschauer sowie dem Konsumenten von Popkultur eine grundsätzlich widerständige semiotische Macht zusprach (Fiske 1987, 1989). 40 Ralf Bohnsack, Bernt Schnettler und Jürgen Raab orientieren sich vor allem an Mannheim und Berger/Luckmann (Bohnsack 2001; Schnettler 2007; Raab 2008), während Burkard Michel seine Analyse von visuellen Sinnbildungsprozessen ausgehend von Bourdieus Habitustheorie entwickelt (Michel 2003). 41 Erwin Panofsky hat sein dreistufiges Verfahren der Ikonologie in direktem Rekurs auf Mannheims dokumentarische Methode der Interpretation entwickelt (Panofsky 1975), während Max Imdahl seine Ikonik als kritische Weiterentwicklung von Panofskys Ikonologie entworfen hat (Imdahl 1979, 1994). Denn anders als Panofsky, der das Bildverstehen auf ein »Wiedererkennen« von bereits bekannten Gegenständen und Geschichten reduziert, betont Imdahl, dass auch die formal-ästhetische Kompositionen des Gemäldes und das konkret-anschauliche Sehen zum Bildverstehen beiträgt (Bohnsack 2001; Schnettler 2007: 199ff.; Raab 2008: 54ff.). 42 Ausnahmen bilden erstens die medientechniktheoretischen Studien, die den Wandel der visuellen Wahrnehmung an die historische Entwicklung der (technischen) Medien zurückbinden (McLuhan 1964; Crary 1996; Kittler 1986, 2002), zweitens solche Studien, die Mi-
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alltäglichen Gebrauchsgegenstände als passive Objekte eingestuft werden, die erst durch die Zuschreibungen der Konsumenten an kultureller Signifikanz gewinnen, erscheinen die Bilder entweder als quasi-diskursive Repräsentation, die sich wie ein Text »lesen« lässt, oder als sinnstiftende Artefakte, die ein bestimmtes visuelles Wissen produzieren. Mit dieser zeichentheoretischen bzw. »mentalistischen« Verengung der analytischen Perspektive gerät jedoch schnell aus dem Blick, dass die Dinge und Bilder nicht nur Bedeutungsträger sind, sondern allein schon aufgrund ihrer materiellen Qualität bestimmte körperliche Praktiken, Wahrnehmungsweisen und Verhaltensmuster mit hervorbringen.43 Die Interaktion zwischen dem visuellen Artefakt und dem Subjekt lässt sich mit anderen Worten weder mit dem semiotischen Konzept der Kodierung und Dekodierung noch mit dem wissenssoziologischen Begriff des »Bildverstehens« vollständig erfassen, sondern bedarf eines theoretischen Modells, das darüber hinaus die konkrete, interobjektive Beziehung zwischen sinnlich-materieller Gestalt und wahrnehmendem Körper systematisch zu berücksichtigen erlaubt. Dieses Problem der mangelnden theoretischen Berücksichtigung der »Materialität« von Kultur wird seit einiger Zeit in den Sozial- und Kulturwissenschaften vermehrt diskutiert. Dabei haben sich eine Reihe interessanter Analyseansätze herausgebildet, die den linguistisch-semiotischen »Textualismus« und »Mentalismus« zu überwinden trachten, um darüber hinaus auch den nicht-repräsentationalen, materiellen Dimensionen von Kultur Rechnung tragen zu können. Zu diesen neueren Analysemodellen gehört erstens die Körpersoziologie44, die den sozialen Akteur nicht nur
chel Foucaults berühmte Panoptismusthese auf andere Kontexte oder zeitgenössische Dispositive – wie das Museum, das Einkaufszentrum oder die Videoüberwachung des öffentlichen Raums – übertragen (Levin u.a. 2002; Krasmann 2005; Zurawski 2006; Lyon 2006, 2007; Kammerer 2008; Hooper-Greenhill 1992; Bennett 1995), sowie drittens das vergleichsweise kleine Feld der historischen »Urban Visual Studies«, die sich vornehmlich mit den Transformationen der modernen visuellen Kultur im 19. Jahrhundert beschäftigen und sich dabei relativ dicht an den analytischen Ergebnissen und Vorgehensweisen von Simmel, Benjamin und Kracauer orientieren (Ward 2001; MacPhee 2002; Schwartz/ Przyblyski 2004). 43 Eine ähnliche Kritik an der Materialitäts- und Praxisvergessenheit der bildsemiotischen und -hermeneutischen Ansätze teilen auch Regula Burri sowie neuerdings Gilian Rose und Divya Praful Tolia-Kelly (Burri 2008a/b; Rose/Tolia-Kelly 2012). 44 Zu den wichtigsten Vorreitern der anglo-amerikanischen Körpersoziologie gehören O’Neill, Shilling und Crossley (O’Neill 1990; Shilling 1993; Crossley 1994). Eine sehr gute Darstellung des gesamten (deutschsprachigen) Diskussionszusammenhangs liefert Robert Gugutzer (Gugutzer 2004, 2006b). Zu den wichtigsten deutschsprachigen Sammel-
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als ein denkendes oder sinnverstehendes Subjekt betrachtet, sondern als ein körperliches oder verkörpertes Wesen, das sowohl in seiner äußeren Erscheinung und seinem Verhalten als auch in seinen leiblichen Erfahrungen von den vorherrschenden sozio-kulturellen Daseinsbedingungen geprägt wird;45 ein zweites Analysefeld, das sich explizit mit der materiellen Bedingtheit von Gesellschaft auseinandersetzt, ist die Raumsoziologie.46 So liegt ein Schwerpunkt dieser Forschungsrichtung auf der Frage, wie der soziale Raum durch die relationale An- und Umordnung von Körpern und Dingen aufgespannt, eingeteilt und besetzt wird (Löw 2001: 131), und wie sich das einzelne Subjekt in dieser dynamischen Raumordnung verortet. Drittens wurde der »material turn« ganz entscheidend von den Science and Technology Studies (STS), insbesondere der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT)47 vorangetrieben, die in ihren ethnographischen Analysen nachgewiesen haben, dass die Artefakte nicht nur Instrumente sind, die sich beliebig manipulieren lassen, sondern selbst an der Hervorbringung von Wissen und Praktiken aktiv beteiligt sind. In diesem Sinne spricht
bänden, die sich mit körpersoziologischen Fragen beschäftigen, zählen u.a. Alkemeyer u.a. 2003, Schroer 2005, Gugutzer 2006a, Keller/Meuser 2011. Für eine gendertheoretische bzw. praxistheoretische Körpersoziologie siehe zudem Grosz 1991, Lindemann 1992, 1993, Villa 2000 bzw. Alkemeyer/Schmidt 2003, Hirschauer 2004 und Meuser 2006. 45 Zumeist konzentrieren sich die körpersoziologischen Ansätze entweder auf die Konditionierung der nach außen hin sichtbaren Verhaltensformen des Körpers oder auf die »Innenperspektive« der leiblichen Erfahrung. Wie Bryan S. Turner gezeigt hat, lassen sich diese beiden Perspektiven aber problemlos miteinander verbinden (Turner 1984: 29). So ist beispielsweise das Sehen nicht nur eine leibliche Empfindung, sondern auch eine kulturelle und soziale Praxis, die sich an die Gepflogenheiten des Diskurses und der kulturellen Dispositive anpassen muss. 46 Siehe dazu etwa die Einführungsbände von Martina Löw sowie Markus Schroer (Löw 2001; Schroer 2006). 47 Die ANT versteht sich ganz explizit als eine ethnographische Alternative zur textualistischen und soziologistischen Tradition der (post-)strukturalistischen Sozial- und Kulturwissenschaften. Denn im Unterschied zur klassischen »Soziologie des Sozialen«, wie sie Latour zufolge beispielsweise Pierre Bourdieu vertritt, glaubt die ANT nicht, dass es einen gesonderten, übergeordneten Bereich der gesellschaftlichen oder sozialen Struktur gebe. Vielmehr nimmt sie an, dass sich die sozialen Zusammenhänge aus beobachtbaren, »mikrophysikalischen« Assoziationen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Mittlern ergäben, die sich zu einem großen Netzwerk zusammensetzen: »Ich kann nun das Ziel dieser Soziologie der Assoziationen genauer formulieren: Es gibt keine Gesellschaft, keinen sozialen Bereich und keine sozialen Bindungen, sondern es existieren Übersetzungen zwischen Mittlern, die aufzeichenbare Assoziationen generieren können.« (Latour 2007: 188)
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etwa Bruno Latour ganz alltäglichen Dingen – wie dem Berliner Schlüssel, dem Postschalter oder dem »gendarme couché« (Latour 1996, 2001, 2002: 31) – eine eigene »Handlungsträgerschaft« zu, die sich mit den (interobjektiven) Tätigkeiten der menschlichen Aktanten verknüpfen.48 Wie im folgenden Kapitel noch näher darzustellen sein wird, kann schließlich viertens auch die soziologische Praxistheorie, die Elemente aus der Körpersoziologie, der Raumsoziologie und der Artefakttheorie aufgreift und diese mithilfe des Konzepts der »Praxis« miteinander verknüpft, zu den »neo-materialistischen« Ansätzen gezählt werden. All diese Forschungsperspektiven haben entscheidend dazu beigetragen, dass sich die kultursoziologische und -wissenschaftliche Forschung wieder stärker solchen Aspekten von Kultur zuwendet, die sich nicht auf Prozesse der Dekodierung oder des Sinnverstehens reduzieren lassen. Allerdings hat die Frage der Sinneswahrnehmung, also des konkreten sinnlichen Kontakts von wahrnehmendem Subjekt und wahrnehmbarer Umwelt in diesem Kontext bisher kaum eine Rolle gespielt. Erst in jüngster Zeit werden die genannten Ansätze im Rekurs auf (postbzw. neo-)phänomenologische Wahrnehmungs- und Affekttheorien49 in Richtung einer »Soziologie der Sinne« erweitert, wobei sich mindestens vier aktuelle Diskussionsstränge ausmachen lassen: Erstens sind im Umfeld der STS und ANT wissenschaftssoziologische Ansätze entstanden, die anders als die bildsemiotischen und -hermeneutischen Analysen die (wissenschaftlichen) Bilder und medialen Visualisierungen nicht als sprachähnliche Bildtexte oder als Repräsentationen eines präexistenten Wissens verstehen, sondern als materielle »Aktanten«, die in einem größeren ArtefaktPraxis-Netzwerk eingebettet sind und erst darin ihre eigentliche Bedeutung entfalten (Lynch/Woolgar 1990; Latour 1990; Knorr 2001a; Burri 2008a, 2008b; Wansleben 2013: 72ff.).50 In dieser Perspektive lässt sich folglich die wissensge-
48 Latour bezeichnet seinen Ansatz daher auch als »symmetrische Anthropologie« (Latour 1995). 49 Zu den theoretischen Positionen, auf die in unterschiedlichen Kontexten Bezug genommen wird, gehören u.a. Merleau-Pontys leibphänomenologische Wahrnehmungstheorie und späte postphänomenologische Ontologie (Merleau-Ponty: PdW, SU), James J. Gibsons anti-behavioristische und anti-kognitivistische Wahrnehmungspsychologie, insbesondere sein Begriff der Affordanz (Gibson 1950, 1977, 1979), Don Ihdes postphänomenologische Technikphilosophie (Ihde 1990, 1995) sowie die neophänomenologischen Studien zum Begriff der Atmosphäre (Böhme 1995, 2006) und die affekttheoretischen Ansätze, die im Anschluss an Gilles Deleuzes Arbeiten entstanden sind (Massumi 2002; Clough u.a. 2007; Thrift 2007b; Gregg/Seigworth 2010). 50 Für einen Überblick siehe auch Burri/Dumit 2008.
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nerierende Funktion von szientifischen Visualisierungen nicht unabhängig von der situativ vollzogenen »Bildpraxis« – d.h. den wissenschaftlichen Diskursen, der technischen Infrastruktur und den bildproduzierenden Medien sowie den jeweils geltenden professionellen Wahrnehmungs-, Handlungs- und Interpretationsroutinen – verstehen.51 Eine zweite sozialwissenschaftliche Debatte kreist um die Frage, wie die leiblichen Wahrnehmungskompetenzen der Subjekte von ihren historischen und soziokulturellen Daseinsbedingungen geformt werden. Zu dieser Forschungsrichtung zählen zum einen solche körpersoziologischen Ansätze, die im Anschluss an Hermann Schmitz’ neophänomenologischer Analyse alltäglicher Lebenserfahrungen und Helmuth Plessners philosophischer Anthropologie von einer Verschränktheit von Leibsein und Körperhaben ausgehen und auf dieser Basis sowohl die Prozesse des intersubjektiven und interobjektiven Leibhandelns und -verstehens in den Blick nehmen als auch das Atmosphärische und die Gefühlsgeladenheit sozialer Situationen betonen (Gugutzer 2012: 81ff.).52 Neben diesen Ansätzen, das Leibspüren systematisch in die soziologische Betrachtung zu integrieren, hat sich in den letzten Dekaden zum anderen das vornehmlich empirisch ausgerichtete Forschungsfeld der »Anthropology of the Senses« herausgebildet.53 Ziel dieser Studien ist, jenseits der textualistischen Auffassung von Kultur und der Writing-Culture-Debatte die »sensory profiles« (Howes/Classen 1991) verschiedener Kulturen zu bestimmen und miteinander zu vergleichen. Dabei geht es u.a. darum, den Okularzentrismus des westlichen Denkens zu hinterfragen und demgegenüber aufzuzeigen, dass sich soziale Ordnungen und Bedeutungsstrukturen auch aus anderen Formen der sinnlichen Organisation speisen. Drittens sind im Zuge des interdisziplinären »spatial turns« eine Reihe von kultursoziologischen, -anthropologischen und -geographischen Studien entstanden, die sich mit den Rückkopplungen zwischen (sozialen, physischen und diskursiven) Raumordnungen und den jeweils gültigen kulturellen Wahrnehmungsformen ausei-
51 In eine ähnliche Richtung zielen auch Charles Goodwins ethnomethodologische Analysen professioneller Formen des Sehens (Goodwin 1994, 2001), die anthropologischen Arbeiten zur Photographie als Teil der materiellen Kultur (Edwards/Hart 2004) sowie die neueren Ansätze einer Akteur-Medien-Theorie (Thielmann u.a. 2013). 52 Siehe dazu etwa die Arbeiten von Gesa Lindemann (1992, 1993) und Robert Gugutzer (2002, 2004, 2006b, 2012). 53 Zu den wichtigsten Publikationen aus diesem Kontext zählen Stoller 1989, 1997; Howes 1991, 2003, 2005; Classen 1993, 2005; Pink 2009. Im deutschsprachigen Raum war die Rezeption der anthropologischen »Sense Studies« zunächst zögerlich, beginnt sich aber in jüngster Zeit durchzusetzen; siehe etwa Schmitt 2012.
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nandersetzen (Rodaway 1994; Ingold 2000; Thrift 2006, 2007b; Frers 2007). Neben Referenzen zur ANT und zur Phänomenologie gehören zu den wichtigsten theoretischen Bezugsrahmen dieses Diskussionszusammenhangs Kevin Lynchs Wahrnehmungsgeographie, die sich mit der Erforschung der inneren (Stadt-)Landschaften, den sogenannten »mental maps« auseinandersetzt (Lynch 1960), James J. Gibsons ökologische Wahrnehmungspsychologie, der zufolge die Umwelt stets bestimmte »Affordanzen«, d.h. Handlungsaufforderungen an den Wahrnehmenden heranträgt (Gibson 1950, 1977, 1979), sowie Gilles Deleuzes weit gefasster Gefüge- und Affektbegriff, wonach alle Formen von Bewegung und Relationalität letztlich auf interkorporale affektive Impulse zurückzuführen seien (Deleuze/Guattari 1996: 191ff.).54 Der Raum wird hier also nicht als ein euklidischer »Container« verstanden, der sich mithilfe geometrischer Formeln beschreiben lässt, sondern als ein Gespinst verschiedener affektiver Angebote, sinnlicher Anforderungen und Praxismöglichkeiten, die je nach subjektiver Perspektive und Position anders wahrgenommen und bewertet werden.55 Auch die jüngere Architektursoziologie interessiert sich für die räumlichen Bedingungen von sinnlichen Erfahrungen, setzt jedoch nicht bei dem Raum im Allgemeinen, sondern bei der gebauten Umwelt an, um sowohl auf die gesellschaftliche Ordnung hinzuweisen, die den architektonischen Gestalten inhärent ist, als auch das soziale »Gewicht« der gestalterisch erzeugten Atmosphären und Affektstrukturen offenzulegen (Yaneva 2009a; Cache u.a. 2010; Delitz 2010; Göbel 2014).56 Eine vierte sozialwissenschaftliche Forschungsrichtung widmet sich schließlich der Frage, wie konkrete Artefakte – seien es Ausstellungsexponate, Designobjekte oder Alltagsgegenstände – auf das Wahrnehmungsverhalten der Individuen, die mit ihnen hantieren, einwirken. Dabei geht es entweder um die empirische Analyse von kommunikativen Situationen, in denen ein Artefakt im Fokus eines gemeinsamen
54 Insbesondere Paul Rodaway und Tim Ingold beziehen sich auf Gibson, während Nigel Thrift bei Latour und Deleuze ansetzt. 55 Dabei ist entscheidend, dass ein Raum – wie etwa der Stadtraum – nicht nur visuell, d.h. im klassisch romantischen Sinne als »Landschaft« erfahren wird (Groth 1997; Wilson 2003; Franzen/Krebs 2005), sondern auch als »smellscape« oder »soundscape« (Porteous 1990; Bull 2000; Bull/Back 2003). 56 In ihrem einführenden Buch zur Architektursoziologie hat Heike Delitz die Architektur als ein »Medium des Sozialen« definiert, das »Körperhaltungen und Wahrnehmungen auf Dauer stellt« und »Affekte [institutionalisiert]« (Delitz 2009: 79).
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Sehaktes steht (Heath/vom Lehn 2004, 2008; Röhl 2013),57 um die Kanalisierung von intersubjektiven Wahrnehmungsbeziehungen durch (technische) Artefaktkonstellationen (Hirschauer 2004), um die perzeptiven Techniken, die spezifische interobjektive Praktiken begleiten (Dant 2004, 2010; Sheller 2004), oder um die praxis- und wahrnehmungskonstitutiven Effekte von Gebrauchsdesign (Verbeek 2005; Dant 2005, 2012; Shove u.a. 2007; Yaneva 2009b; Highmore 2010; Prinz 2013). Insbesondere an letztere Studien, die sich mit der Ästhetik alltäglicher Dingwelten beschäftigen, schließen folgende Überlegungen an. Dabei wird es jedoch weder um eine empirische Analyse von Fallbeispielen noch um die Begründung einer Designsoziologie58 gehen. Ziel ist vielmehr, eine praxistheoretische Heuristik zu entwickeln, die erlaubt, das Verhältnis zwischen der kulturspezifischen formalen Ordnung der Dinge und den kollektiv geteilten Wahrnehmungsschemata systematisch zu durchdringen.
1.3 E INE P RAXEOLOGIE
DER VISUELLEN
W AHRNEHMUNG
Zu den wichtigsten sozialtheoretischen Richtungen, die in den letzten Jahren die »zeichentheoretisch-idealistische« Zuspitzung des »linguistic turn« infrage gestellt haben, gehört zweifelsohne die Praxistheorie.59 Unter diesem Begriff werden eine Reihe von Sozialtheorien zusammengefasst, die die klassische ObjektivismusSubjektivismus-Alternative hinter sich lassen und stattdessen auf die Mesoebene der sozialen und kulturellen Praxis zielen. Das bedeutet, dass sie weder an der überindividuellen »sozialen Struktur« – sei diese nun diskursiv, normativ oder materiell organisiert – noch am »individuellen Sinnverstehen« und den Handlungsintentionen des Subjekts ansetzen, sondern die kontinuierliche (Wieder-)Aufführung von kol-
57 Christian Heath und Dirk vom Lehn untersuchen etwa, wie sich die Besucher einer Ausstellung gegenseitig auf Details bei einem Exponat aufmerksam machen, während Tobias Röhl die Rolle von Arbeitsmaterialen im Schulunterricht aufzeigt. 58 Die Designsoziologie ist eine relativ junge Forschungsrichtung, die in den angloamerikanischen Kultur- und Sozialwissenschaften seit einiger Zeit vermehrt diskutiert wird und sich seit Kurzem auch im deutschsprachigen Raum zu etablieren beginnt (vgl. Moebius/Prinz 2012). 59 Für einen Überblick über die wichtigsten Vertreter und Tendenzen der Praxistheorie siehe Schatzki 2001; Reckwitz 2003, 2006a; Hörning/Reuter 2004; Moebius 2008; Hillebrandt 2009a, 2009b, 2014; Schäfer 2013, 2014 und Schmidt 2015. Für die Methode der »Praxeographie« siehe insbesondere Schmidt 2012. Die folgenden Ausführungen stützen sich vor allem auf die Arbeiten von Andreas Reckwitz.
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lektiv geteilten Praktiken als eigentlichen Ort der Herausbildung von sozialer Ordnung betrachten. Zu den wichtigsten (sozial-)philosophischen Vorläufern dieses »practice turn« (Schatzki 2001) zählen unter anderem der frühe Karl Marx, der in Abgrenzung vom deutschen Idealismus das menschlich-sinnliche Tun als eigentliche Brutstätte der Erkenntnis und Motor der historischen Entwicklung bestimmte (Marx 1968a [1845]),60 Ludwig Wittgenstein, der mit der Theorie der Sprachspiele die Tätigkeitsgebundenheit und die implizite Regelhaftigkeit von Sprache betonte (Wittgenstein 1984 [1953]) und Martin Heidegger, der in seiner Fundamentalontologie das praktisch-tätige »In-der-Welt-Sein« des Menschen auf dessen konkrete Daseinsbedingungen, die Existenzialien rückkoppelte (Heidegger 1927). Wie an späterer Stelle noch ausführlicher gezeigt werden soll,61 hat zudem Maurice Merleau-Pontys Leibphänomenologie einige der praxistheoretischen Grundannahmen vorweggenommen.62 Diese philosophischen Debatten wurden – mit einiger Verzögerung – in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von sozialtheoretischer Seite aufgegriffen und für die Analyse von Gesellschaft fruchtbar gemacht. Eine besonders schlüssige Adaption liefert Pierre Bourdieus soziologische »Praxeologie« und Habitustheorie (Bourdieu: SoSi, M), die strukturalistische Denkfiguren mit (leib-)phänomenologischen Theoriefragmenten kurzschließt.63 Daneben können unter anderem aber auch Michel Foucaults Machtanalyse und sein »subjekttheoretisches« Spätwerk (Foucault: ÜS, SuS, GL), Bruno Latours Ethnographie menschlich-dinglicher Hybride und heterogener Aktanten-Netzwerke (Latour 2007), Judith Butlers performanztheoretische Analyse des »Doing Gender« (Butler 1990)64 sowie die materia-
60 Auf Marx’ Praxisbegriff rekurriert u.a. auch Maurice Merleau-Ponty, um die Möglichkeiten von menschlicher Freiheit zu bestimmen (siehe Kapitel 3.1.1.2). In der soziologischen Diskussion hat insbesondere Frank Hillebrandt auf das marxistische Erbe der Praxistheorien verwiesen (Hillebrandt 2009a, 2009b). 61 Siehe Kapitel 3.1. 62 Mitunter wird auch die Nähe zwischen dem US-amerikanischen Pragmatismus und der Praxistheorie hervorgehoben (siehe etwa Bogusz 2009; Schäfer 2012; Schmidt 2012). Zu den zeitgenössischen philosophischen Autoren, die im Anschluss an die genannten Ansätze ebenfalls mit dem Begriff der Praxis arbeiten, gehören zudem Theodore Schatzki und Charles Taylor (Schatzki 1996; Taylor 1989). 63 Siehe dazu Kapitel 3.3. 64 Wie Reckwitz betont, schwankt Butler jedoch zwischen einer praxeologischen Performanztheorie und einer Foucault’schen Diskursanalyse (Reckwitz 2005: 285).
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len Arbeiten der empirisch ausgerichteten Ethnomethodologie (Garfinkel 1967) als Praxistheorien gelten.65 Auch wenn diese verschiedenen praxistheoretischen Modelle in ihrer theoretischen, thematischen und methodologischen Schwerpunktsetzung mitunter stark differieren, stimmen sie nach Reckwitz (2003: 298) jedoch in drei zentralen Grundmotiven überein: Erstens grenzen sich die genannten Arbeiten gegen den »Mentalismus« und »Textualismus« der sprachanalytischen Kulturtheorien ab, um demgegenüber die genuine Materialität von Kultur hervorzuheben – und das gleich in zweifacher Hinsicht. Zum einen betonen sie, dass das Subjekt nicht ein rein kognitives Wesen ist, das die übergeordneten »immateriellen« Bedeutungsstrukturen oder quasi-materiellen diskursiven Ordnungen »einfaltet«. Es ist vielmehr als ein Akteur aus »Fleisch und Blut« zu verstehen, der durch seine konkreten Erfahrungen mit und in der äußeren Welt seine sozio-kulturellen Daseinsbedingungen »inkorporiert« und die so verinnerlichten sozialen Regelsysteme wiederum in seinen eigenen körperlichen Praktiken und Verhaltensweisen zur Aufführung bringt und reproduziert. In Verbindung mit dieser anti-mentalistischen Subjektkonzeption gehen die Praxistheorien zum anderen davon aus, dass die sozio-kulturelle Ordnung auch von den kulturellen Artefakten getragen, kanalisiert und vermittelt wird, mit denen sich ein Subjekt bzw. eine Gesellschaft umgibt. Die körperlichen Praktiken sind mit anderen Worten stets in ein situationsspezifisches Netzwerk von andern Praktiken, Dingen, Techniken und räumlich-architektonischen Strukturen eingebettet, die bestimmte Tätigkeiten ermöglichen und andere unterbinden.66 Die Dinge bilden so Knotenpunkte oder Stabilisatoren für bestimmte Praxis- und Interaktionsmuster, können diese aber ebensogut unterlaufen – z.B. wenn sie nicht mehr funktionieren, durcheinander geraten oder durch »neue« oder »fremde« Artefakte ergänzt werden. Dass sich die Praxistheorie gegen eine strukturalistische und diskurstheoretische Begründungsfigur ausspricht und demgegenüber die praktische Aktivität und körperliche Performanz des Individuums betont, bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie einem methodologischen Individualismus das Wort reden würde, wie es die klassi-
65 Nach Reckwitz (2003: 283) gehören zu den wichtigen Stichwortgebern des sozial- und kulturtheoretischen »practice turn« zudem Anthony Giddens’ »theory of structuration« (Giddens 1979), Gilles Deleuzes und Félix Guattaris Gefüge-Konzept (Deleuze/Guattaris 1992) sowie die alltagssoziologischen Artefakt- und Medienanalysen der Cultural Studies, die sich an der Kunst des Handelns von Michel de Certeau orientieren (de Certeau 1988). 66 Diesen Aspekt haben vor allem die Science and Technology Studies, allen voran die Akteur-Network-Theorie herausgearbeitet; siehe dazu etwa Latour 2007. Interessant ist auch die Übertragung auf Design von Elizabeth Shove (Shove u.a. 2007).
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schen soziologischen und ökonomischen Handlungstheorien sowie die bewusstseinsphilosophischen und phänomenologischen Subjekttheorien vorschlagen. Im Gegenteil, wie Reckwitz hervorhebt (2003: 298), zeichnen sich die Praxistheorien zweitens gerade dadurch aus, dass sie die beobachtbaren Regelmäßigkeiten der individuellen Praktiken auf eine unbewusste, implizite oder informelle Logik zurückführen, die ganz entscheidend von der kulturellen und sozialen Umgebung des Subjekts geprägt wird. Die praxistheoretische Perspektive konzipiert das (soziale) Handeln also nicht als intentionale Akte, die ein bewusstes Sinnverstehen voraussetzen. Soziales Handeln gilt ihr vielmehr als eine weitgehend unbewusst vollzogene Tätigkeit, die automatisch auf das körperlich verankerte »Know-how« oder »Praxiswissen« zurückgreift, welches das Individuum durch sein konkretes Involviertsein mit der dinglich-materiellen und sozialen Umwelt ausgebildet hat. So muss ein geübter Pianist nicht immer wieder erneut darüber nachdenken, mit welchen Fingern er welche Tasten bedienen muss, um einen bestimmen Klang zu erzeugen, und auch der Autofahrer weiß intuitiv, wann er welchen Gang einlegen oder das Lenkrad bewegen muss, um nicht von der Straße abzukommen. Aber nicht nur diese recht komplexen, offensichtlich erlernten Tätigkeiten verlangen dem Subjekt ein kulturelles Praxiswissen ab. Auch all die unscheinbaren Routinen, angefangen bei der morgendlichen Körperpflege und den Frühstücksgewohnheiten, der Teamsitzung und der täglichen E-Mail-Korrespondenz, bis hin zum familiären Sonntagsspaziergang oder gemütlichem Fernsehabend, beruhen auf kulturell und historisch spezifischen impliziten Praxiscodes, die vorschreiben wie »man« etwas zu tun oder zu verstehen hat. Der soziale Akteur greift also in jeder Situation – und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen intersubjektiven, interobjektiven oder rein selbsttechnologischen Kontext handelt – auf ein ganzes Arsenal eingeübter, kollektiv geteilter Praxismuster zurück, die ihm dabei helfen, die Körperbewegungen und Praktiken des Gegenüber intuitiv zu erfassen, sich in einer bisher nicht bekannten Umgebung zurechtzufinden, ein technisches Artefakt zu gebrauchen, sich selbst für die Anderen verstehbar zu verhalten, oder aber eine kulturell akzeptierte Form des praktischmentalen Selbstbezugs zu etablieren. Und eben dadurch, dass er dieses implizite Praxiswissen immer wieder anwendet und in seinen Handlungen veräußert, trägt er seinen Teil dazu bei, dass es sich verstetigt, weiter getragen und von anderen übernommen wird. »Aus Sicht der Praxistheorie besteht das Soziale einer Praktik […] in der – durch ein kollektiv inkorporiertes praktisches Wissen ermöglichten – Repetitivität gleichartiger Aktivitäten über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg.« (Reckwitz 2003: 292)
Die Praxistheorie geht dabei aber keinesfalls davon aus, dass die Individuen einer Gesellschaft ihre Routinepraktiken stets vollkommen gleichförmig ausüben oder mit ihrer Intuition immer richtig liegen. Durch die Rückkoppelung der
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(Re-)Produktion der sozialen Ordnung an die individuellen Akte und das situative Verstehen der Akteure, kalkuliert sie vielmehr drittens damit, dass solche Praktiken auch scheitern oder sich verschieben können – z.B. wenn das Subjekt in einen ungewohnten sozialen Kontext gerät, mit neuen Geräten oder »epistemic objects« hantiert (Knorr Cetina 2001b) oder aber verschiedene inkompatible Wissensformen miteinander kombiniert (Reckwitz 2003: 294f.). Das kollektiv geteilte Praxiswissen ist demnach kein ein für alle Mal fixiertes generatives Programm, an das sich alle Subjekte sklavisch halten, sondern bleibt einem kontinuierlichen Wandlungsprozess unterworfen, der sich aus den Neuerungen und Unberechenbarkeiten der situativen Aufführungsweisen des Einzelnen ergibt.67 So verstanden sind die kulturellen Praktiken körperlich verankerte Verhaltensroutinen, die weder von einer übergeordneten sozialen Struktur vollständig determiniert noch vom individuellen Akteur intentional gesteuert werden können. Stattdessen greifen sie auf einen grundsätzlich wandelbaren und störanfälligen Kanon kulturell etablierter Handlungs- und Körperschemata zurück, wie sie sich im Zuge kollektiver Aushandlungsprozesse, aber auch aufgrund der praxiskonstitutiven Zwänge der vorherrschenden »materiellen Kultur« herausgebildet haben. Trotz dieser Betonung der subjektiven »Inkorporierung« von kulturellen Wissensmustern, der körperlichen Performativität von Praxis und der unhintergehbaren »Materialität« der Kultur hat sich die praxeologische Theoriebildung bisher aber kaum mit der Frage beschäftigt, wie die sinnliche Wahrnehmung kulturell überformt wird.68 Zwar spricht Bourdieu immer wieder von klassenspezifischen habituellen »Wahrnehmungsschemata« – ein Terminus, den er wahrscheinlich von seinem phänomenologischen Lehrer Maurice Merleau-Ponty übernommen hat –, erläutert aber nicht genauer, was er darunter versteht, geschweige denn, wie sich die Wahrnehmungskompetenz im praktischen Umgang mit Artefakten herausbildet. In seinen frühen kunstsoziologischen Arbeiten vertritt er vielmehr die Annahme, dass das Vermögen, ein Kunstwerk unter rein ästhetisch-formalen Gesichtspunkten zu betrachten, in erster Linie dem inkorporierten kunsthistorischen Wissen des Akteurs geschuldet ist. Oder verkürzt gesagt: Für Bourdieu macht es im Prinzip keinen Unterschied, ob der Ausstellungsbesucher ein impressionistisches Bild im Goldrah-
67 Zur »Instabilität der Praktiken« siehe etwa Reckwitz 2004, Shove u.a. 2012 und insbesondere Schäfer 2013. 68 Eine wichtige Ausnahme bildet Eva Schürmanns philosophische Abhandlung Sehen als Praxis. Ihr Schwerpunkt liegt jedoch weniger auf dem konstitutiven Wechselverhältnis zwischen den kulturellen Wahrnehmungsschemata und der sinnlichen Ordnung der (Alltags-) Dinge als auf den epistemologischen, ethischen und ästhetischen Dimensionen von individuellen »Sehstilen« und intersubjektiven Wahrnehmungsprozessen (Schürmann 2008).
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men, eine künstlerische Performance oder eine Videoinstallation zu Gesicht bekommt, da es in allen Fällen lediglich darauf ankommt, ob er die feldspezifischen Wissenscodes, die er durch seine Primär- und Sekundärsozialisation gewonnen hat, zur Anwendung bringen kann. Zwar ist kaum von der Hand zu weisen, dass das Sehen maßgeblich vom inkorporierten Fachwissen und vom Ziel des Erkenntnisinteresses beeinflusst wird. Aus visualitätstheoretischer Perspektive ist dieser latente »Soziologismus« jedoch insofern etwas unbefriedigend, als damit allein die projektive Leistung des sozialen Akteurs herausgestellt wird, während die wahrnehmungs- sowie praxiskonstitutive Wirkmacht der Artefakte nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ein Bourdieu’scher Ansatz konzentriert sich, mit anderen Worten, zumeist auf jenes implizite »Interpretationswissen«, welches die Akteure durch textuell-kognitives oder intersubjektives Lernen erworben haben, aber gibt keine genauere Vorstellung davon, wie sich die Wahrnehmungsroutinen durch den konkreten sinnlichen Kontakt mit den visuellen und materiellen Formationen der Umgebung ausbilden.69 Um die »interobjektive« Sozialisation des Sehens genauer beschreiben zu können, muss daher ein Zugang gewählt werden, der sich, anders als Bourdieus Praxistheorie, nicht nur auf die schulischen und intersubjektiven (Aus-)Bildungsprozesse des Subjekts konzentriert, sondern bei der sozialen Formung ansetzt, die von der »objektiven Kultur« auf das Subjekt übergreift. Wie in den folgenden Kapiteln im Einzelnen ausgeführt wird, soll hier ein solcher Ansatz ausgehend von Michel Foucaults Subjekt-, Wissens- und Geschichtsbegriff entwickelt werden. Das mag zunächst verwundern, schließlich gilt gerade Foucaults archäologische Diskurstheorie als ein »textualistisches« Theorieprogramm par excellence, das eben nicht – wie die Praxistheorie fordert – die Materialität von Kultur und das körperliche Invol-
69 In dem späten Buch Die Regeln der Kunst (RdK) distanziert er sich allerdings von dieser »intellektualistischen« Konzeption der Kunstwahrnehmung und räumt nun ein, dass der anhaltende Umgang mit der Kunst den ästhetischen Sinn befördere (RdK: 455); siehe dazu auch Zahner 2011 sowie Kapitel 3.3.2. Während diese rezeptions- und kunstsoziologischen Überlegungen innerhalb der klassischen Bourdieu-Rezeption lange Zeit nur am Rande diskutiert wurden (Kastner 2009), haben sich im Zuge des »visual turn« in den Sozial- und Kulturwissenschaften Ansätze herausgebildet, die explizit an Bourdieus praxeologische Definition des »ästhetischen Sinns« anschließen und diesen auf nicht-künstlerische Bildmedien übertragen: So hat etwa Burkard Michel untersucht, wie die habituellen Dispositionen des Bildbetrachters das »Was« und »Wie« seiner Rezeption beeinflussen (Michel 2003), und Regula Valérie Burri analysiert, wie in einem professionellen Feld – der Medizin – ein bestimmtes zweckorientiertes Visualisieren und Dekodieren von bildlichen Repräsentationen praktiziert wird (Burri 2008a).
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viertsein des Subjekts berücksichtigt. Doch wird bei näherem Hinsehen schnell deutlich, dass Foucault neben seiner Analyse des »Sagbaren« immer wieder Versuche unternommen hat, die historische Schicht des »Sichtbaren« freizulegen – eine Schicht, der er stets eine Eigenlogik gegenüber dem Diskus einräumte.70 Auch wenn ihm das nicht in aller Konsequenz gelingt und er sich streckenweise kaum mit der Frage der Visualität beschäftigt, sind diese verstreuten Ansätze, das historisch »Sichtbare« zu definieren, für die hier verfolgte Fragestellung äußerst fruchtbar. Sie offenbaren nämlich, dass Foucault hinsichtlich der historischen Analyse des Sichtbaren eine ähnliche analytische Strategie verfolgt wie hinsichtlich des Denk- und Sagbaren: Anstatt von dem apriorischen »Erkenntnis- und Wahrnehmungsapparat« des Individuums auszugehen, wie es die klassischen Subjekttheorien nahelegen, versucht er, das Sehen genauso wie das Denken aus den Ordnungen der äußeren Welt abzuleiten. Im Unterschied zu Bourdieu bietet das Foucault’sche Theorie- und Analysegebäude also ein Fundament, das potentiell die wahrnehmungs- und praxiskonstitutive Wirksamkeit der »materiellen Kultur« zu berücksichtigen vermag. Abgesehen von einigen wenigen unvollständigen Überblicksarbeiten (Jay 1991; Rajchman 2000; Rose 2001: 135-186, Shapiro 2003) wurde bislang jedoch noch kein systematischer Versuch unternommen, diese impliziten Ansätze einer Theorie historischer Sichtbarkeiten aus Foucaults heterogenem Schriftenkorpus herauszudestillieren, so dass zunächst exegetische und theoretische Grundlagenarbeit zu leisten ist. In diesem Sinne versteht sich die vorliegende Arbeit nicht nur als ein Beitrag zur aktuellen kulturwissenschaftlichen Diskussion über das »Nicht-Repräsentationale«, sondern auch als eine überfällige Werkanalyse, die eine Lücke in der umfangreichen Foucault-Forschung schließt. Bis dahin ist aber noch ein weiter Weg zurückzulegen: Denn wie in Bezug auf eigentlich alle seine Themen, Leitfiguren und Begriffe neigt Foucault dazu, auch seine Konzeption von Visualität immer wieder neu zu justieren. So führt er in seiner archäologischen Frühphase alle Praktiken und kulturellen Formen auf die strukturierende Gewalt des Diskurses zurück (Foucault: AW), und lässt nur vereinzelt durchblicken, dass auch die historisch spezifische kompositorische Struktur von Gemälden die Wahrnehmung des Subjekts anleitet. Doch spätestens mit der Entdeckung der »Macht« und des multidimensionalen »Dispositivs« in seiner mittleren Theoriephase (Foucault: ÜS), und stärker noch mit den »Selbsttechnologien« in der dritten und letzten Schaffensperiode, gibt Foucault das Diktum des »autonomen
70 In diesem Sinne bezeichnet etwa Gary Shapiro Foucault auch als »archaeologist of the visual who is alert to the differential character of various visual regimes and to the disparate and possibly conflicting visual practices of a single era« (Shapiro 2003: 9).
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Diskurses« auf. Nun widmet er sich auch der subjektivierenden Funktion, die in der Ordnung der modernen panoptischen Architektur eingelassen ist, und unterstreicht das Moment der aktiven, körperlich-mentalen Einübung spezifischer Selbstverhältnisse und Erfahrungsformen. Im Laufe seines theoretischen Schaffens öffnet Foucault sein analytisches Instrumentarium also zunehmend für (existential-)phänomenologische Theoriefiguren wie die der Materialität der dinglichen Kultur oder der Körperlichkeit des Subjekts und entwickelt schließlich eine komplexe praxeologische Perspektive, die das Spannungsverhältnis zwischen machttechnologischen, materiellen und diskursiven »Fremdführungen« auf der einen und den »relativ freien« Selbstführungen auf der anderen Seite auslotet. Auch wenn Foucault ausgerechnet in dieser späten »praxeologischen« Phase das Interesse an der Visualität verloren zu haben scheint, schließt das keinesfalls aus, dass sich sein Denkgebäude als theoretische Grundlage für eine allgemeine Praxeologie des Wahrnehmens eignet. Im Gegenteil gilt es hier den Nachweis zu erbringen, dass sich seine frühen visualitätstheoretischen Überlegungen, in denen bereits eine »Geschichte der Wahrnehmung« angelegt ist, mit seiner späteren Perspektive zu einer allgemeinen praxeologischen Heuristik verbinden lassen, welche die historische und kulturelle Bedingtheit der visuellen Wahrnehmung zu erfassen vermag. Um diese Argumentation entwickeln zu können, muss jedoch zunächst ausführlich rekapituliert werden, wie Foucault selbst mit der Frage des Sehens bzw. der Historizität der visuellen Kultur in den verschiedenen Phasen seines Schaffens umgeht. Daran anschließend wird zusammenfassend diskutiert, welche Aspekte der »visuellen Ordnung« und der »visuellen Praktiken« von Foucaults eigenen Überlegungen schon abgedeckt werden und an welcher Stelle seine Ausführungen noch ergänzungsbedürftig erscheinen. Da sich Foucault in seiner Karriere fast ausschließlich entweder mit den Formen wissenschaftlicher Beobachtung und der formalen Bildordnung von Gemälden oder aber mit den subjektivierenden Effekten des Angeblicktwerdens auseinandergesetzt hat, weisen seine Analysen des Sichtbaren vor allem Defizite hinsichtlich der Frage der alltäglichen Dingwelten, ihrer konstitutiven Wirkung auf die Praktiken und Wahrnehmungsweisen des Subjekts sowie des impliziten »visuellen« Praxiswissens auf. So geht er weder darauf ein, wie das Subjekt die ihm äußeren dinglichen und visuellen Ordnungen inkorporiert und in sein eigenes »Wahrnehmungsschema« integriert, noch interessiert er sich dafür, warum das Subjekt einzelne Dinge oder Bilder affektiv besetzt. Und schließlich entgeht ihm, dass die Praktiken und Wahrnehmungsweisen sich nicht in allen gesellschaftlichen Bereichen gleichermaßen ausbilden, sondern von klassen-, geschlechts- und feldspezifischen Daseinsbedingungen geprägt werden. Um das Foucault’sche Analyseprogramm um diese fehlenden Aspekte ergänzen zu können, d.h. auch die alltäglichen Dingwelten, sinnlich-affektiven Erfahrungsformen sowie die sozial differenzierten Wahrnehmungsschemata als Elemente spezifischer Dispositive verstehen zu können, wird der Foucault’sche Ansatz in der
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zweiten Hälfte der Arbeit mit drei weiteren Theorierichtungen verknüpft: der Leibphänomenologie von Maurice Merleau-Ponty, der strukturalen Psychoanalyse von Jacques Lacan, sowie der praxeologischen Habitustheorie von Pierre Bourdieu. Diese drei Perspektiven eignen sich deshalb besonders gut, Foucaults Ansatz zu ergänzen, weil sie einerseits demselben Theorieumfeld entstammen und damit einige Grundannahmen mit der archäologisch-genealogischen Subjekttheorie teilen. Dazu gehört etwa die strukturalistische bzw. existentialphänomenologische Dezentrierung des Subjekts, der differentielle Wissensbegriff, die Berücksichtigung (körperlicher) Praxis oder aber die historisierende Perspektive. Andererseits setzen diese Ansätze jedoch in Bezug auf die visuelle Ordnung, die Internalisierung des Gesehenen und die Wahrnehmungspraktiken des Subjekts jeweils andere Schwerpunkte als Foucaults Analyse, so dass sie dazu beitragen können, diese gewinnbringend zu erweitern. So arbeitet Maurice Merleau-Ponty heraus, dass die »perzeptive Syntax«, die dem erkennenden »Gestaltsehen« zugrunde liegt, nicht auf ein apriorisches Apperzeptionsvermögen zurückzuführen ist, sondern aus der vorprädikativen, leiblichen Interaktion des Subjekts mit seiner dinglich-materiellen Umwelt resultiert. Diese zirkuläre Argumentationsfigur, die in den Regelmäßigkeiten der sichtbaren Welt die Bedingungen ihrer Wahrnehmbarkeit verortet, bietet die Möglichkeit, Foucaults diskurstheoretische Figur der »Externalisierung« des Apriori auch auf die »visuellen Formationen« und das Sehen zu übertragen und Foucaults historischgenealogisches Körperkonzept um den Aspekt der Wahrnehmungserfahrung zu ergänzen. Die strukturalistische Psychoanalyse von Jacques Lacan, der ähnlich wie der »archäologische« Foucault das Subjekt als ein sprachlich strukturiertes Wesen versteht, zeigt demgegenüber auf, dass die kulturelle Strukturierung der sichtbaren Welt – oder wie es Lacan nennt: »le regard« – stets mit affektiven Besetzungen, Begehrensmustern und unbewussten Erinnerungen einhergeht. Eine um die psychoanalytische Kategorie des »visuellen Unbewussten« erweiterte archäologischgenealogische Theorie der historischen Ordnung der Sichtbarkeit würde demnach erklären können, warum bestimmte Dinge oder Bilder für das Subjekt eine besondere psychische Signifikanz besitzen, während andere Gestalten relativ affektneutral aufgenommen werden. Eine dritte Ergänzung bietet schließlich Bourdieus praxeologische Habitusanalyse, die Foucaults spätem Macht- und Subjektbegriff ähnelt, aber im Unterschied zu diesem die »symbolische Macht« der Alltagskultur betont und herausstellt, dass die inkorporierten Wahrnehmungsschemata je nach Klassenund Feldzugehörigkeit differieren können. In Rekurs auf diese Perspektive ließe sich somit herausarbeiten, dass sowohl die »visuellen Formationen« als auch die damit einhergehenden Praktiken, Subjektivierungen und »Sichtweisen« je nach sozialem Kontext variieren. Im Schlusskapitel werden schließlich alle Ergebnisse noch einmal aufgenommen und zu einer allgemeinen praxeologischen Heuristik zusammengefasst. Diese
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hat einen dreifachen Anspruch: Erstens zielt sie darauf, die Formationen einer historisch und kulturell spezifischen »visuellen Ordnung« nachzuzeichnen; zweitens gilt es, dem »impliziten visuellen Wissen« des körperlichen Subjekts Rechnung zu tragen; und drittens geht es um die Erfassung der aktuellen Wahrnehmungserfahrungen und Sehpraktiken, die in der Wechselbeziehung zwischen dem Subjekt einerseits und dem Dispositiv andererseits unablässig hervorgebracht werden.
2. Foucaults Analyse visueller Ordnungen
Trotz der kaum zu überblickenden Heterogenität und Komplexität seiner historischen Gegenstände, empirischen Methoden und philosophischen Reflexionen lässt sich rückblickend in Foucaults gesamten Arbeiten ein durchgehendes Thema ausmachen: das Bestreben, eine »historische Ontologie unserer selbst« zu schreiben (DE4/326: 474f., DE4/339: 702, 705f.). Foucault ging es stets darum, die notwendige Begrenztheit von Subjektivität und Wissen im Allgemeinen und des modernen Subjektentwurfs und anthropozentrischen Denkens im Besonderen aufzuzeigen. Wie er selbst mehrmals betont hat, orientiert sich dieses theoretische und analytische Programm in erster Linie an Immanuel Kants Kritizismus1, bedient sich aber auch ganz deutlich bei Hegel2, Hei-
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Am Anfang von Foucaults Karriere steht eine Abhandlung über Kants Anthropologie (KA), die schon die grundlegenden Gedanken enthält, die später in seine Kritik der postkritischen Anthropologie in Die Ordnung der Dinge (OD) münden. Vgl. dazu auch Hemminger 2004. Gut zwanzig Jahre später, in einem Beitrag zu dem 1984 von Denis Huismann herausgegebenen Dictonnaire des philosophes schreibt er unter dem recht durchsichtigen Pseudonym »M(aurice) F(lorence)«, dass seine »Kritische Geschichte des Denkens«, wenn einer philosophischen Schule, so der kritischen Tradition Kants verpflichtet sei. Allerdings ist nicht ganz deutlich, ob diese eindeutige Bezugnahme wirklich von ihm selbst stammt, oder von François Ewald, der die entsprechende Passage ergänzt hat (DE4/345: 776). Dass diese (Selbst-)Einordnung in die Tradition Kants durchaus seine Berechtigung hat, zeigt nicht nur der herausragende Stellenwert, den Foucault Kants kritischem Projekt in Die Ordnung der Dinge einräumt, sondern auch seine positiven Bezugnahmen in Was ist Kritik? (WK) und Was ist Aufklärung? (DE4/339).
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Indem Foucault seine »Geschichte der Systeme des Denkens« als Versuch markiert, Hegel zu entrinnen (ODis: 45f.), hat er gleichzeitig auch seine – wenn auch negative – Bezugnahme auf die Phänomenologie des Geistes herausgestellt, die vermittelt durch die umstrittene Lesart von Alexandre Kojève in der französischen Philosophie der ersten
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degger3 und vor allem Nietzsche4. Denn anders als Kant, der die allgemein gültige apriorische Bedingtheit jeder möglichen menschlichen Erkenntnis zu bestimmen suchte, interessiert sich Foucault für die Frage, wie sich die menschlichen Erkenntnisgrenzen je nach historischem und kulturellem Kontext verschieben.5 Dabei dreht er Kants Subjekt- und Erkenntniskonzept in gewisser Weise um. Statt von dem transzendentalen Subjekt und seinen Erkenntniskräften auszugehen, verortet er die Bedingungen des Wissens auf der anderen Seite des Denkens, nämlich in den historisch wandelbaren (An-)Ordnungen der empirischen Welt (Deleuze 1987: 86), die
Hälfte des 20. Jahrhunderts einen zentralen Referenzpunkt darstellte (Kojève 1975). Nach Pillen lässt sich Foucaults Geschichte des Wahnsinns als eine »Gegenschrift« zu Hegels Fortschrittsgeschichte zum Werden der Vernunft lesen (Pillen 2008: 170). 3
So beruft sich Foucault am Ende seines Schaffens nicht nur auf Kant, sondern stellt in seinem letzten Interview Heidegger als denjenigen Philosophen heraus, der sein eigenes philosophisches Werden am meisten bestimmt hätte. Allerdings erst in Kombination mit Nietzsche hätte die Heidegger-Lektüre in den 1950er Jahren zu dem »philosophischen Schock« geführt, der ihn nachhaltig beeinflusst habe (DE4/354: 868). Wie viel Gültigkeit man dieser Selbstdarstellung als Heideggerianer beimessen kann, ist jedoch umstritten (Saar 2003). Zu Foucaults Heidegger-Bezug siehe auch Elden 2001, Milchman/Rosenberg 2003 und Schmid 2000: 200-222.
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Im Unterschied zu den meisten philosophischen Bezugnahmen, die Foucault in alter philosophischer Manier zumeist gar nicht kenntlich macht, hat er Nietzsche und dessen genealogischem Ansatz einen eigenständigen Text gewidmet (DE2/84), der ihm für die Entwicklung seiner machtanalytischen Perspektive in Überwachen und Strafen (ÜS) gedient haben dürfte. So gibt Foucault in einem Interview zu: »Wenn ich unbescheiden wäre, würde ich dem, was ich tue, den allgemeinen Titel geben: Genealogie der Moral.« (DE2/156: 913) Zu einem Vergleich von Nietzsche und Foucault siehe auch Gutman 1999 sowie vor allem Saar 2007.
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Dass eine solche theoretische Perspektive ebenfalls eine Dynamisierung und Unabgeschlossenheit auf Seiten der Theoriebildung und Analyse impliziert, reflektiert Foucault in Was ist Aufklärung? (DE4/339): »Es stimmt, dass man auf die Hoffnung verzichten muss, jemals einen Standpunkt zu erreichen, der uns den Zugang zur vollständigen und endgültigen Erkenntnis dessen geben könnte, was unsere historischen Grenzen auszumachen vermag. Und von diesem Standpunkt aus ist die theoretische und praktische Erfahrung, die wir von unseren Grenzen und ihrer möglichen Überschreitung erhalten, selbst stets begrenzt, festgelegt und muss folglich neu gestartet werden.« (DE4/339: 704)
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er auch – im Rekurs auf einen Husserl’schen Begriff6 – als das »historische Apriori« des Denk- und Sagbaren bezeichnete (AW: 185ff.).7 In seinen frühen vehement anti-phänomenologischen Schriften Die Ordnung der Dinge (OD) und Archäologie des Wissens (AW) führt Foucault dieses »historische Apriori« des Denkens auf das quasi-materielle Gewebe der real existierenden Aussageformationen zurück, die er als »Diskurse« bezeichnet. Auch wenn er von vornherein ausdrücklich betont, dass die diskursiven Praktiken nicht ohne ihre verschiedenen Relationen zu den nicht-diskursiven Ordnungen verstanden werden können, räumt er ihnen – spätestens seit der Archäologie des Wissens – hinsichtlich ihrer kulturellen Fundierungsleistung eine Autonomie und Priorität ein. Man könnte also sagen, dass die konkreten historischen Diskurse in Foucaults kritischem Projekt die theoriesystematische Stelle einnehmen, die in der kantischen Subjektphilosophie von den zeitlos gültigen Verstandesbegriffen besetzt wird. Wie Dreyfus und Rabinow aufgezeigt haben, weist eine solche Analysestrategie gewisse Ähnlichkeiten zu Heideggers Existentialphänomenologie und MerleauPontys Leibphänomenologie auf, die ebenfalls auf die konkreten empirischen Seinsbedingungen von Aussagen abheben (Dreyfus/Rabinow 1987: 119).8 Der diskursanalytische Ansatz unterscheidet sich jedoch insofern grundlegend von den phänomenologischen Ansätzen, als er das Sprechen nicht auf die alltäglichen »Hintergrundpraktiken« zurückführt, sondern umgekehrt den »seriösen« Diskurs oder
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Husserl verwendet den Begriff in Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie (Husserl 1976: 140ff., 380). Neben Foucault greift ihn auch Maurice Merleau-Ponty in Phänomenologie der Wahrnehmung auf (PdW: 113).
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Im Unterschied zu Hegels Fortschrittsgeschichte der Vernunft glaubt Foucault jedoch nicht, dass sich die Erkenntnis linear weiterentwickelt, sondern geht im Rekurs auf die Epistemologie von Georges Canguilhem und Gaston Bachelard vielmehr von der genuinen Kontingenz und Diskontinuität des Denkens aus (AW: 11ff.). Zu Foucaults Verhältnis zur französischen Epistemologie siehe beispielsweise auch Diaz-Bohne 2007 sowie Davidson 2003 und Schneider 2003. Foucault selbst hat über seinen Bachelard-Bezug gesagt: »Ich war kein direkter Schüler Bachelards, doch ich habe seine Bücher gelesen; in seinen Überlegungen zur Diskontinuität in der Geschichte der Wissenschaften und in dem Gedanken, dass die Vernunft, indem sie die Gegenstände ihrer Analyse selbst konstituiert, an sich selbst arbeitet, gibt es eine ganze Reihe von Elementen, von denen ich profitieren konnte und die ich aufgenommen habe.« (DE4/281: 70)
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Allerdings ordnet Foucault in seiner Abrechnung mit der Anthropologisierung der Philosophie und der Wissenschaften in Die Ordnung der Dinge Heidegger in die Riege der nach-kantischen Philosophen ein, die in den »anthropologischen Schlummer« verfallen seien (Dreyfus/Rabinow 1987: 62ff.; Saar 2003: 436).
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das »es spricht« (Deleuze 1987: 79) selbst als diejenige »existentiale« Praktik betrachtet, die den Erfahrungs- und Praxisraum der Subjekte einrichtet.9 Diese Nähe zur Existentialphänomenologie intensiviert sich noch, als Foucault Mitte der 1970er Jahre erkennen muss, dass das Diktum des »autonomen Diskurses« nicht haltbar ist. Unter dem Einfluss einer intensiven Nietzsche-Lektüre entwickelt er nun eine genealogische Perspektive, die nicht mehr bei den diskursiven Praktiken ansetzt, sondern danach fragt, wie die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse auf die »Entstehung der Diskurse« einwirken (ODis: 41). Neben dem Diskurs treten nun also auch die Materialitäten des Raums und der Architektur, des Körpers und der Machttechnologien als historische Bedingungen der Subjektivität und des Wissens auf den Plan.10 In seinem Spätwerk erweitert er diese »materialistischere« Perspektive schließlich noch um den Aspekt der »Selbsttechnologien« (DE4/363), mit denen die Subjekte sowohl körperlich als auch mental auf sich selbst einwirken können (GL: 12f.). Trotz dieser vielfältigen Öffnungen hat Foucault nie eine der Archäologie vergleichbare Heuristik für das Nicht-Diskursive ausgearbeitet. Viele seiner Konzepte, Gegenstände und Begriffe – wie etwa das Dispositiv, der Raum oder der Körper – bedürfen daher erst noch einer theoretischen Konkretisierung, um sie für eine kultursoziologische Analyse fruchtbar zu machen. Zu diesen nicht-diskursiven Materialitäten und Praktiken, mit denen sich Foucault zwar beschäftigt, die er aber nie theoretisch ausgearbeitet hat, gehören auch die visuelle Ordnung einer Kultur sowie die damit verbundenen historisch und kulturell spezifischen Sichtbarkeiten und visuellen Praktiken.11 So kommt es nicht von ungefähr, dass Gilles Deleuze seinen
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So zieht auch Manfred Frank Parallelen zwischen der Heidegger’schen Lichtung des Seins und der Ordnung des Diskurses und schreibt: »Das Bewußtseinsmodell von Heidegger ähnelt dem des Neostrukturalismus in einem entscheidenden Punkt: Beide nehmen an, daß das Bewußtsein keinen vorgängigen Zugang zu sich selbst hat, sondern daß es, was es mit ihm selbst jeweils auf sich hat, aus der ›Ordnung der Dinge‹ dem, was Heidegger seine Welt nennt – lernt.« (Frank 1984: 131)
10 Allerdings haben einige Interpreten darauf hingewiesen, dass Foucaults Machtbegriff in Überwachen und Strafen trotz der Betonung der historischen Analytik ontologische Züge aufweise (Saar 2003: 438). 11 In Analogie zur diskursanalytischen Bestimmung des »Sagbaren« können unter kulturellen »Sichtbarkeiten« all diejenigen visuellen Aspekte und Phänomene verstanden werden, die aufgrund einer historisch und kulturell spezifischen Ordnung in Erscheinung treten und somit als visuell intelligibel gelten können. Demgegenüber meint der Begriff der »visuellen Praktiken« die konkreten körperlich verankerten Weisen des Sehens, die auf diese kulturell bedingten visuellen Schemata zurückgreifen, um die Dinge auf spezifische Weise in den Blick zu nehmen.
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Freund Foucault als einen großen »Sehende[n]« bezeichnete (Deleuze 1987: 73) und Michel de Certeau Foucaults »optische[n] Stil« als dessen Markenzeichen hervorhob (de Certeau 2006: 111). Am bekanntesten ist wohl Foucaults zentrale Diagnose aus Überwachen und Strafen (ÜS), wonach die moderne Disziplinargesellschaft von der visuellen Machttechnologie des Panoptismus beherrscht werde. Aber auch seine früheren streng diskurstheoretischen Arbeiten zeugen von seinem Interesse an dem Visuellen. So hatte sich Foucault in Die Ordnung der Dinge keineswegs auf die Analyse von Aussageformationen beschränkt, sondern setzte sich zudem mit der Korrespondenz von diskursiven Wissensordnungen, wissenschaftlichen Beobachtungstechniken und bildlichen Repräsentationsformen auseinander. Ähnliches gilt auch für die vorangegangenen Bücher. So bezieht sich Foucault etwa in Wahnsinn und Gesellschaft (WuG) auf Hieronymus Boschs Das Narrenschiff (um 1500), um das Auseinanderfallen von Bild und Wort in der Klassik zu belegen (WuG: 36), und in seiner Studie Die Geburt der Klinik (GK) rekonstruiert er, wie sich in der modernen Medizin die ärztliche Untersuchungspraxis wandelt. Darüber hinaus geht aus zahlreichen längeren und kürzere Texten, Interviews und Vorlesungsskripten hervor, dass er sich stets sowohl mit der spezifischen Eigenlogik des Bildlichen als auch mit der subversiven Kraft des Ästhetischen beschäftigt hat. In seinem ersten veröffentlichten Text – der Einleitung zu Ludwig Binswangers existentialphänomenologischpsychoanalytischer Schrift Traum und Existenz (1954) – kritisiert er etwa Freud dafür, dass dieser das Träumen mit dem Sprechen gleichsetze (D1/1: 114) und schreibt der bildhaften Imaginationen des Traums eine ursprünglich-existentielle Erfahrung von »Freiheit« zu (DE1/1: 140).12 In dieselbe Richtung weist auch seine frühe Begeisterung für die transgressive Ästhetik13 der (prä-)surrealistischen Litera-
12 In demselben Text visiert er zudem die Möglichkeit einer »Anthropologie der Kunst« (DE1/1: 157) bzw. der »Imagination« (DE1/1: 174) an. Auch wenn er kurz darauf den existentialphänomenologischen Theorierahmen abstreifen wird, behält er in seinen darauffolgenden Arbeiten den Glauben an das subversive Potential des Träumerischen und Ästhetischen bei. In Wahnsinn und Gesellschaft schreibt er etwa der Malerei sowie der modernen avantgardistischen Literatur das Vermögen zu, der tragischen Erfahrung des Wahnsinns, die aus der diskursiven Sprachregelung der Neuzeit weitgehend verbannt worden sei, wieder ein Gesicht geben zu können (WuG: 36ff.). 13 In seinen frühen Betrachtungen künstlerischer und literarischer Werke tendiert Foucault insgesamt zu der nietzscheanischen These, dass die Kunst (sowohl die bildende Kunst als auch die Literatur) die vorherrschenden Macht-Wissen-Komplexe zu transzendieren vermöge. Siehe dazu Schröder-Augustin 2001. Dieser Glaube an die Macht der ästhetischen Überschreitung steht jedoch der späteren Annahme aus Archäologie des Wissens entge-
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tur eines Georges Bataille (DE1/13) oder Raymond Roussel (DE1/10).14 In den Jahren darauf folgen zudem Überlegungen zum Verhältnis von »Wort und Bild« (zentral sein Essay über Magritte [DE1/53] sowie seine Interpretation von Panofskys Ikonologie [DE1/51]), zur Objekthaftigkeit der modernen Malerei (MM) und kleinere Essays über zeitgenössische Künstler und Ausstellungen (DE2/118, DE2/135, DE2/150, DE3/203, DE4/307). Allein in seinem Spätwerk, das sich den mentalen und körperlichen Selbsttechnologien sowie der Ästhetik der Existenz widmet, scheint er das Interesse an der Frage des Visuellen verloren zu haben. Aber auch in diesem Kontext setzt er sich vereinzelt mit perzeptiven Selbsttechnologien auseinander. In der Zusammenschau dieser verstreuten Beiträge zum Problem der visuellen Ordnung lassen sich mindestens vier »Leitthemen« ausmachen, die Foucault auf die eine oder andere Weise immer wieder diskutiert: Dazu gehören vor allem die Verhältnisbestimmung von sprachlicher und bildlicher Repräsentation, die historische Grenzziehung zwischen dem kulturell Sichtbaren und dem Unsichtbaren, der physische Körper als Träger und Objekt eines historischen Blickregimes sowie die ästhetischen Praktiken als Formen der Entgrenzung bestehender Ordnungen. Dass diese Topoi an einige Fragestellungen aus Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung (PdW) und Das Sichtbare und das Unsichtbare (SU) erinnern, kommt nicht von ungefähr. Wie Eribon anmerkt, hatte Foucault Ende der 1940er Jahre keine Vorlesung von Merleau-Ponty versäumt (Eribon 1993: 62). Aber im Unterschied zu seinem Lehrer ging es ihm niemals darum, den Vorgang der leiblichen Wahrnehmung als solchen zu bestimmen oder eine neue »Ontologie des Sehens« zu begründen (Jay 1991: 136). Denn ebenso wie Foucault in der Diskursanalyse die Bedingungen der Möglichkeit von Wissen nicht mehr im erkenntnisfähigen Bewusstsein, sondern in der äußeren Materialität der Diskurse sucht, führt er die Konstitution der Sichtbarkeit und der visuellen Praktiken nicht ursächlich auf die sinnkonstituierenden Wahrnehmungsakte des Subjekts zurück.15 Er
gen, dass der Diskurs als »historisches Apriori« alles Denken und Sprechen – und somit auch zwangsläufig die Literatur – bedingt. 14 So interpretiert er etwa Roussels besessenen Detailreichtum als eine vom Wahnsinn getriebene Auflösung visueller Intelligibilität, die jegliche kulturellen Wahrnehmungsfilter und visuelle Bedeutungszuschreibungen ignoriere: »Aber dieser unerschöpfliche Reichtum des Sichtbaren hat die (korrelative und konträre) Eigenschaft, sich entlang einer sich nie vollendenden Linie zu verlieren; was vollkommen sichtbar ist, wird nie ganz gesehen, es bietet stets etwas Anderes, das noch betrachtet zu werden erheischt; man kommt nie zum Ende.« (RR: 129) 15 Deleuze umschreibt diesen anti-subjekttheoretischen Gestus folgendermaßen: »Die Bedingung, auf die sich die Sichtbarkeit beruft, ist nicht die Sichtweise eines Subjekts: das
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scheint vielmehr davon auszugehen, dass das Sehen und die Wahrnehmbarkeit genauso wie die Modi der Sag- und Denkbarkeit von den Dynamiken historischer Praktiken, Diskurse und Materialitäten bedingt werden.16 »Eine Art des Sagens und eine Weise des Sehens, Diskursivitäten und Evidenzen: jede Schicht [des Wissens, S.P.] besteht aus einer Kombination beider, und von einer Schicht zur anderen findet eine Variation der beiden und ihrer Verbindung statt. Was Foucault von der Geschichte erwartet, ist diese Bestimmung des Sichtbaren und des Sagbaren in jeder Epoche, die die Verhaltensweisen und die Mentalitäten, die Ideen überschreitet, da sie sie ermöglicht.« (Deleuze 1987: 71)
Da Foucault seine Überlegungen zur historischen Ordnung des Visuellen – wie so viele seiner Konzepte – nicht systematisch ausgearbeitet hat,17 bleibt jedoch die Frage ungeklärt, ob und inwiefern die archäologische Umkehrbewegung, die nicht bei den Erkenntniskräften des Subjekts, sondern bei den quasi-materiellen Aussageformationen als »apriorische« Bedingungen des Denkens ansetzt, auch auf die visuelle Ordnung übertragbar ist. Also ob und inwiefern in den Formation der visuellmateriellen Welt – d.h. in der Anordnung der dinglichen, architektonischen und bildlichen Formen sowie der Materialität des sehenden Körpers – die Grundlage sowohl der »historischen Anschauungsformen« als auch das »historisch spezifische Vermögen zur Apperzeption« gefunden werden kann, die dem Subjekt allererst »den Blick für unsere Welt einsetz[en]« (Frank 1984: 121). In den Sozial- und Kulturwissenschaften gab es seit dem »pictorial turn« (Mitchell 1997) immer wieder Bemühungen, aus den Foucault’schen Arbeiten eine entsprechende Heuristik zur Analyse visueller Kulturen abzuleiten. In den Sozial- und Kulturwissenschaften bilden sich beispielsweise in jüngerer Zeit erste Entwürfe ei-
sehende Subjekt ist seinerseits eine Stelle innerhalb der Sichtbarkeit, eine abgeleitete Funktion der Sichtbarkeit.« (Deleuze 1987: 82) 16 In diesem Sinne glaubt auch John Rajchman, dass Foucaults historische Konzeption des Visuellen auf dem Gedanken beruht, dass es »möglicherweise keine solche Sache [gebe], keine solche ›Essenz‹ wie das Visuelle, nichts, das durch eine ›Phänomenologie der Wahrnehmung‹ oder eine ›Theorie des Blicks‹ beschrieben werden könnte […]. Vielmehr präsentiert uns die Geschichte viele verschiedene singuläre Arten visueller Intelligibilität, Weisen des Sehens und Sichtbarmachens, deren Einheit weder in der Natur des Auges, sei sie empirisch oder transzendental, noch in einer ›imaginären Ordnung‹ zu finden ist.« (Rajchman 2000: 56) 17 Wie Deleuze vermutet, hängt Foucaults Scheu, sich mit der Frage der Sichtbarkeit systematisch auseinanderzusetzen, in erster Linie mit seinem starkem Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der Phänomenologie zusammen (Deleuze 1987: 72).
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ner Bild-Diskurs-Analyse heraus, die sowohl untersucht, wie Wissen in und durch Visualisierungen erzeugt wird, als auch der Frage nachgeht, welche Individuen und Sachverhalte von den Repräsentationskonventionen systematisch erzeugt oder ausgeschlossen werden (Rose 2001: 135-163; Maasen u.a. 2006; Miggelbring/Schlottmann 2009). Allerdings sind diese vereinzelten bild-diskurs-analytischen Ansätze noch weit von einer theoretischen und methodologischen Durcharbeitung entfernt – so herrscht beispielsweise keine Einigkeit darüber, welcher theoretischer Stellenwert dem Bild zugeschrieben werden soll: Während einige Positionen die bildlichen Repräsentationen als quasi-diskursive wissensvermittelnde und -(re)produzierende Instanzen verstehen, wird auf der anderen Seite betont, dass dem Bildlichen ein Eigensinn innewohnt, der einer ganz anderen Analysestrategie bedarf als das Sagbare. Letzteres erscheint nicht nur vor dem Hintergrund der Debatten um die »ikonische Differenz« (Boehm 1994b) plausibler, sondern auch, weil Foucault selbst die spezifische Seinsweise des Visuellen stets betont hat (OD: 38, DE1/51: 796). Wie bereits im vorangegangenen Kapitel in Bezug auf die Bildwissenschaften und Visual Culture Studies allgemein festgestellt wurde, ist aber abgesehen davon überhaupt fraglich, ob das Problem der visuellen Ordnungen und Praktiken über die Auseinandersetzung mit dem Bildhaften erschöpfend geklärt werden kann. Denn wenn es tatsächlich so etwas wie ein »positives [kulturelles] Unbewusstes des Sehens« (Rajchmann 2000: 42) gibt, scheint es wenig einleuchtend, dieses allein aus den bildlichen Darstellungsformen abzuleiten. Eine solche Engführung würde diejenigen materialen und räumlichen Formationen des Sichtbaren vernachlässigen, die jenseits der quasi-diskursiven visuellen Repräsentationsweisen auf die Praktiken und Subjektivierungsweisen der Individuen einwirken, und käme damit Foucaults anfänglicher Fokussierung auf das Diskursive als die ausschließliche Wirklichkeitsbedingung des Denk- und Sagbaren gleich. Unter diese nicht-repräsentationalen räumlich-materialen Bedingungen der visuellen Wahrnehmung fallen alle visuellen Artefakte, die nicht in erster Linie als Medien der Wissensaneignung entziffert, sondern von den Subjekten synästhetisch-körperlich wahrgenommen und in das implizite, praktische Know-how-Wissen (Polanyi 1985) integriert werden. Dazu gehören Architekturen, Inneneinrichtungen, technisch-mediale Gebrauchsgegenstände sowie Landschaften und urbane Topologien. Einen ersten Ansatzpunkt für eine solche Perspektivverschiebung, die neben dem Bild-Diskurs auch die Körperlichkeit bzw. Materialität von visuellen Praktiken und nicht-repräsentationalen Formationen in den Blick nimmt, lässt sich in Überwachen und Strafen finden. Hier vertritt Foucault die berühmte These, dass das moderne Subjekt nicht nur von den Diskursen und Repräsentationen, sondern auch von der architektonischen Choreographie der Körper und den panoptischen Blickverhältnissen geformt wird. Der hier anvisierte Ansatz zielt allerdings in dreifacher Weise über die Panoptismus-These hinaus. Erstens wird hier abweichend von Foucaults Diagnose nicht
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vorausgesetzt, dass sich die nicht-diskursive Materialität der visuellen Kultur der Moderne auf die Frage des Panoptismus beschränken lässt, sondern dass die Moderne verschiedene visuelle Ordnungen umfasst, die sich je nach aktuellem dispositivem Kontext unterscheiden.18 In der Moderne haben sich neben der Überwachung auch noch unzählige andere, teilweise konfligierende Blickverhältnisse herausgebildet – wie etwa die ästhetische Kontemplation im Museum oder in der Landschaft, die wissenschaftliche Beobachtung im Labor, die zerstreute Wahrnehmung im Kinosaal oder der »blasierte« Blick in den modernen Großstädten. Zweitens soll hier berücksichtigt werden, dass sich Wahrnehmungsräume stets aus heterogenen Elementen zusammensetzen: So umfasst nahezu jedes Dispositiv sowohl (bild-)diskursive Elemente (wie beispielsweise Bilder und Grafiken an der Wand oder aber auch Werbeaufdrucke auf Verpackungen), visuelle Medien und Technologien (Fernseher, PC), sichtbare Körper (sowohl des sehenden Subjekts als auch des gesehenen intersubjektiven Gegenüber) sowie schließlich die dinglichmateriellen und räumlichen Strukturen, die alle implizit mit wahrgenommen werden. Der theoretische Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt dabei auf Letzterem, d.h. der interobjektiven Praxis zwischen wahrnehmendem Subjekt und den Artefaktdisplays, da dieser Aspekt sowohl in den Visual Culture Studies als auch in der Soziologie im Allgemeinen bisher kaum beleuchtet worden ist. Im Unterschied zu der Analyse in Überwachen und Strafen steht auch drittens nicht allein die Frage im Vordergrund, welche determinierenden Wissens- und Machteffekte der Bilddiskurs und der auf das Subjekt gerichtete Blick hat. Vielmehr soll hier herausgearbeitet werden, wie sich umgekehrt das »relativ freie« Subjekt selbst sehend zu seiner äußeren Welt in Beziehung setzt, wie es das Gesehene inkorporiert, und wie es schließlich das Sehen in seine anderen körperlichsinnlichen Praktiken und Wissensstrukturen einbettet. Es geht im Folgenden also darum, ausgehend von Foucaults eigenen Ansätzen den Zusammenhang zwischen visuellen Praktiken, Sichtbarkeitsverhältnissen, bildlichen Repräsentationen und Materialitäten zu verallgemeinern und theoretisch auszuformulieren. Das Ziel dabei ist, die jeweiligen historischen, kulturellen und kontextuellen Bedingungen und Prozesse bestimmen zu können, die darüber entscheiden, was gesehen wird und was nicht, mit welchen (diskursiven und nicht-
18 So hat etwa Tony Bennett (1995: 63ff.) herausgestellt, dass die Ausstellung bzw. das Museum nicht allein über panoptische Sichtbarkeitsordnungen funktioniert, sondern ebenso ein Element des Spektakels (Debord 1996) in sich birgt. Und auch Gary Shapiro geht in seiner Abhandlung über Foucaults »Archäologie des Sehens« davon aus, dass neben dem Panoptismus noch andere visuelle Modi existieren: »However even in the modern world, vision has other modes, some of which constitute forms of resistance of panopticism.« (Shapiro 2003: 9)
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diskursiven) Praktiken die visuelle Wahrnehmung verbunden ist und welche Positionen die Subjekte im Feld des Sichtbaren einnehmen. Um eine solche allgemeine Perspektive zu entwickeln, wird zunächst ausführlich rekapituliert, in welchen theoretischen und empirischen Zusammenhängen sich Foucault mit der Frage des Sehens, der visuellen Repräsentationen und der räumlich-materiellen Anordnung von Sichtbarkeit beschäftigt hat und in welchem Verhältnis diese theoretischen Versatzstücke zu seinem archäologisch-genealogischen Projekt stehen. Ausgehend von dieser dichten Foucault-Lektüre wird in einer kurzen Zwischenbilanz zusammenfassend dargestellt, welche Aspekte des »kulturellen Unbewussten des Sehens« Foucault selbst bereits abdeckt und an welcher Stelle sein Ansatz ergänzungsbedürftig erscheint. Wie sich zeigen wird, ist eine der zentralen Leerstellen der Foucault’schen Perspektive einerseits die Frage der Inkorporierung der äußeren visuellen Ordnung sowie andererseits die daraus resultierenden körperlich verankerten Wahrnehmungsschemata, die die Praktiken des Sehens anleiten. Um diese Aspekte theoretisch greifbar zu machen, wird im anschließenden Kapitel Foucaults archäologisch-genealogische Subjektanalyse mit phänomenologischen, psychoanalytischen und praxistheoretischen Positionen verknüpft.
2.1 Bild-Diskurse Eine Archäologie des Sehens
»Es hat keinen Sinn, wenn man behauptete, nur der Diskurs existiere.« (DE2/139: 783)
Selbst in seiner diskurstheoretischen Hochphase hatte Foucault nie bestritten, dass es auch so etwas wie nicht-diskursive Praktiken geben müsse, die nicht auf die diskursiven Aussageformationen zu reduzieren seien. Allerdings wird in der Archäologie des Wissens – wie seine Leser immer wieder kritisch angemerkt haben – die konkrete Seinsweise, die Wirksamkeit und die Ordnung dieser »Hintergrundpraktiken« sowie ihr Verhältnis zum Diskurs nicht ausreichend geklärt (Dreyfus/Rabinow 1987: 101-104; Waldenfels 1991: 291-294; Bogdal 2006). Aber auch in den späteren Arbeiten, in denen sich Foucault bereits von einer reinen Diskursanalyse verabschiedet hatte und stattdessen die Heterogenität und Vielschichtigkeit der dispositiven Ordnungsstrukturen betonte, konnte er das Verhältnis von Diskurs und Nicht-Diskurs nicht befriedigend bestimmen und hat mitunter diese Unterscheidung sogar als irrelevant abgetan (DE3/206: 396). Für die systematische Bestimmung der visuellen Formationen und der Praktiken des Sehens ist es jedoch durchaus sinnvoll, noch einmal grob nachzuzeichnen, wie und an welcher Stelle Foucault das »NichtDiskursive« jeweils ins Spiel bringt und zum Diskurs ins Verhältnis setzt. Da Foucault in seinen ersten umfangreicheren historischen Studien Wahnsinn und Gesellschaft und Die Geburt der Klinik die diskursanalytische Methode noch nicht entwickelt hat,1 konzentriert sich die folgende Darstellung auf die im engeren
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In diesen beiden Arbeiten zeichnet Foucault die historischen Verschiebungen in der abendländischen Konzeption des Wahnsinns und der Krankheit nach. Dabei analysiert er nicht nur die epistemologischen Umstrukturierungen, die sich im Feld des psychologischpsychiatrischen Wissens ergeben haben, sondern verknüpft diese – wie später auch in
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Sinne »archäologischen« Studien und programmatischen Texte, die Mitte der 1960er Jahre entstanden sind. Darin setzt er nicht mehr bei der Gemengelage verschiedener sozialer und wissenschaftlicher Praktiken an, sondern interessiert sich vornehmlich für die historisch wandelnden »seriösen«, also epistemologisch relevanten Diskurse.2 Die leitende These ist dabei, dass weder die »unmittelbare Fülle« (AW: 72) der beobachtbaren Dinge noch das denkende Subjekt am Ursprung allen Wissens stehen, sondern dass die diskontinuierliche Abfolge von historisch kontingenten Aussageformationen sowohl die jeweiligen Wissensgegenstände erst konstituieren als auch die Subjekte produzieren, die dieses Wissen anwenden (AW: 74, 138f.).3
Überwachen und Strafen – mit einer Analyse der konkreten sozialen Praktiken und räumlichen Ordnungen, wie beispielsweise der Internierung in Asylen und psychiatrischen Kliniken sowie der Anordnung der Kranken im Raum. Neben der mangelnden methodologischen Stringenz hat er in dieser Zeit auch die Historizität des Subjekts noch nicht konsequent durchdacht. So geht er in Wahnsinn und Gesellschaft von der Annahme aus, dass es eine ursprüngliche »existentiale« Erfahrung des Wahnsinns gibt (AW: 29), die jedoch durch die epistemologischen und institutionellen Abgrenzungsstrategien seit der Neuzeit von der Vernunft verdrängt wird (WuG: 7, 11) und lediglich in der Literatur ab und an »aufzublitzen« vermag (WuG: 536) – ein Gedanke, der Züge der nietzscheanischen Kritik der modernen Vernunft trägt (Saar 2007: 166, 169; Geisenhanslüke 2008a: 20). Entgegen dieser Vorstellung eines »wilden« ursprünglichen »Gemurmels« (WuG: 11f.) tendiert Foucault in seinen späteren Arbeiten zu der konstruktivistischen Ansicht, dass es jenseits des Diskurses keine Subjektivität und Wahrheit geben kann. Aber auch in Die Ordnung des Diskurses – also nach der Explikation seines diskurstheoretischen Vokabulars – vertritt er die verwandte These, dass der moderne Diskurs sich gegen die Gewalt und die Unordnung des wuchernden und rauschenden Diskurses abzusichern sucht (ODis: 33). Allerdings fasst Foucault dieses »Andere« des seriösen Diskurses nicht mehr als eine eigenständige Entität auf, die als Nicht-Gedachtes oder Nicht-Gesagtes hinter den Diskursen existiere (ODis: 34). 2
Die Verschiebung seiner Perspektive beschreibt Foucault folgendermaßen: »Wir haben es daher mit zwei senkrecht aufeinanderstehenden Beschreibungsachsen zu tun; die eine Achse bilden die mehreren Diskursen gemeinsamen Modelle, die andere die Beziehungen zwischen dem diskursiven und dem nichtdiskursiven Bereich. In Les Mots e les Choses habe ich mich auf der horizontalen Achse bewegt, in Histoire de la folie und Naissance de la clinique auf der vertikalen.« (DE1/48: 757)
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Das bedeutet jedoch nicht, dass es die »materielle Welt« jenseits des Diskurses nicht gäbe, sondern meint, dass die diskursive Erkenntnis »den zu erkennenden Dingen nur Gewalt antun [kann]; sie kann sie nicht wahrnehmen, akzeptieren, sich mit ihnen oder sie mit sich identifizieren« (DE2/139: 679).
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Mit dieser Perspektive grenzt er sich einerseits gegen die klassische Ideengeschichte ab, die von der progressiven Entfaltung des menschlichen Geistes ausgeht und diese auf die Leistung einzelner herausragender Persönlichkeiten zurückführt, sowie andererseits gegen die hermeneutische Tradition und den Strukturalismus, die hinter den manifesten Äußerungen einer Kultur eine ursprünglichere Bedeutung oder das generative Prinzip einer quasi-metaphysischen Struktur vermuten.4 Denn im Unterschied zu diesen »Tiefenbohrungen« versteht sich Foucault als ein »glücklicher Positivist« (AW: 182), der die »Aussagen« nicht als zeichenhafte »Dokumente« interpretiert, die auf einen dahinterliegenden Sinn verweisen, sondern als intransparente, quasi-materielle »Monumente« (AW: 198), die allein in ihrer Topologie zu kartographieren sind. Er versucht mit anderen Worten, aus den kontingenten empirischen Regelmäßigkeiten der Aussageformationen das »historische Apriori« (AW: 184) des Denkens einer Zeit abzulesen.5 Unter epochalen Diskursordnungen bzw. einem historischen »Epistem« (OD: 25)6 versteht er somit weniger einen universalen Metadiskurs als vielmehr ein transdiskursives Muster innerhalb des »kulturellen Archivs«
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So schreibt er in Die Ordnung der Dinge: »Ich versuche, den wissenschaftlichen Diskurs nicht vom Standpunkt der sprechenden Individuen aus zu erforschen, noch vom Standpunkt formaler Strukturen aus, sondern vom Standpunkt der Regeln, die nur durch die Existenz solchen Diskurses ins Spiel kommen.« (OD: 15) Ebenso ist die Geschichte »nicht die ihrer wachsenden Perfektion, sondern eher die der Bedingungen […], durch die sie [die Erkenntnisse, S.P.] möglich werden« (OD: 25).
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Indem er in den historisch beobachtbaren »Regelmäßigkeiten« der »parole« selbst die Erzeugungsregeln für die Aussagen sieht (Reckwitz 2006a: 272), wird hier allerdings das Bedingende mit dem Bedingten vermischt, so dass das Erzeugungsprinzip von Diskursen im Vagen bleibt (Waldenfels 1991: 288). In diesem Sinne werfen auch Dreyfus/Rabinow der Foucault’schen Diskursanalyse vor, dass sie ebenso wie die von Foucault in Die Ordnung der Dinge kritisierte Existentialphänomenologie ein »Diskurs gemischter Natur« sei (Dreyfus/Rabinow 1987: 119).
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Der Begriff der Episteme bezieht sich auf das spezifische Verhältnis von Diskurs und Wissenschaftlichkeit, d.h. auf die diskursive Praktik, die den Wissenschaften zugrunde liegt: »Die Episteme ist keine Form von Erkenntnis und kein Typ von Rationalität, die, in dem sie die verschiedensten Wissenschaften durchdringt, die souveräne Einheit eines Subjekts, eines Geistes oder eines Zeitalters manifestierte; es ist die Gesamtheit der Beziehungen, die man in einer gegebenen Zeit innerhalb der Wissenschaften entdecken kann, wenn man sie auf der Ebene der diskursiven Regelmäßigkeiten analysiert.« (AW: 273) Neben den Epistemen sind aber noch andere Diskursordnungen denkbar, die nicht unmittelbar zum Feld der Wissenschaften gehören.
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(AW: 187),7 das sich in der »Interpositivität« (AW: 228) der verschiedenen Aussageformationen abzeichnet. Da diese topologischen Anordnungen (im Gegensatz zur »Bedeutung«) zwar an der Oberfläche der Diskurse haften und somit »unverborgen« sind, aber in der Alltagswahrnehmung dennoch nicht als die das Denken bedingende Instanz wahrgenommen werden (AW: 158), spricht Foucault mitunter auch von einem »positive[n] Unbewusste[n] des Wissens« (OD: 11). Wie Sarasin (2005: 113) kritisch anmerkt, wäre es aber verfehlt zu glauben, dass sich Foucault mit diesem Ansatz auf eine Analyse von autonomen Diskursen zurückzieht.8 Die historischen Analysen und theoretischen Bemerkungen zeigen vielmehr, dass es ihm stets um das Verhältnis zwischen »seriösem« Diskurs auf der einen und den nicht-diskursiven Praktiken und Institutionen auf der anderen Seite gegangen ist (AW: 68, 231).9 In diesem Sinne unterscheidet Foucault in der Archäologie des Wissens drei Formen von Beziehungen (AW: 69)10: primäre (»wirkliche«, d.h. beispielsweise intersubjektive und institutionelle Beziehungen), sekundäre (»reflexive«, die hier als die Anwendung des Diskurses interpretiert werden) sowie tertiäre (»diskursive«, d.h. die Aussageformationen), wobei letzteren aber insofern das Primat zukommt, als sie die anderen Beziehungen strukturieren.11
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Als kulturelles Archiv bezeichnet Foucault »all die in einer Kultur gesagten Dinge, die aufbewahrt, als wertvoll erachtet, wiederverwendet, wiederholt und verändert worden sind. Kurz diese ganze sprachliche Masse, welche die Menschen hervorgebracht und in ihre Techniken und Institutionen gesteckt haben und die mit ihrem Dasein wie auch ihrer Geschichte verwoben ist.« (DE1/68: 1000)
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Dies lässt sich als eine Kritik an der Interpretation von Dreyfus/Rabinow (1987: 110) verstehen. Aber auch Andreas Reckwitz stuft Foucault als einen Vertreter des Textualismus ein (Reckwitz 2003: 289). Allerdings hat Foucault selbst die textualistische Methode der Dekonstruktion kritisiert (DE2/102).
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So merkt Foucault an: »[…] eine Beschreibung dieser autonomen Schicht der Diskurse lohnt sich nur, wenn man sie in ein Verhältnis zu anderen Schichten, Praktiken, Institutionen, sozialen und politischen Beziehungen setzten kann. Dieses Verhältnis hat mich immer sehr interessiert.« (DE1/48: 756)
10 Siehe dazu auch Diaz-Bohne 1999. 11 Eine ähnliche Unterscheidung trifft Foucault in Die Ordnung der Dinge – allerdings verortet er hier die Ordnung des Diskurses weniger nachvollziehbar zwischen den fundamentalen Wahrnehmungs- und Handlungscodes einer Kultur, die ihre Praktiken beherrschen, auf der einen und den philosophischen Reflexionen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die nach einer allgemeinen Ordnung suchen, auf der anderen Seite (OD: 22f.).
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»Wenn man von einem Formationssystem spricht, denkt man nicht nur an das Nebeneinanderstellen, die Koexistenz oder die Interaktion von heterogenen Elementen (Institutionen, Techniken, gesellschaftlichen Gruppen, perzeptiven Organisationen, Beziehungen zwischen verschiedenen Diskursen), sondern an die Herstellung einer Beziehung zwischen ihnen durch eine diskursive Praxis.« (AW: 106)
Der Diskurs ist also nicht einfach nur eine textuelle Struktur, die neben den anderen Entitäten existiert, sondern ist als eine Praxis zu verstehen, die das gesamte Dasein organisiert, und als ein »implizites Wissen« (DE1/34: 645), welches das Subjekt erst in die Lage versetzt, die Welt als sinnvoll angeordnete wahrzunehmen und mit ihr (und anderen Subjekten) symbolisch zu interagieren (Frank 1984: 122).12 In der archäologischen Phase geht Foucault diesem fundamentalen Bedingungsverhältnis von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken auch hinsichtlich der visuellen Ordnung von Kultur und den historisch spezifischen Formen des Sehens nach – und das auf zwei Ebenen: den wissenschaftlichen Wahrnehmungsräumen und den Ordnungen des Bildlichen. So beschäftigt er sich in seinen verschiedenen historischen Studien immer wieder mit den diskursiv vorgezeichneten wissenschaftlichen Beobachtungsformen, welche die empirischen Phänomene räumlich und klassifikatorisch anordnen – sei es die psychiatrische Beobachtung der Wahnsinnigen (WuG), der anatomische Blick auf den Körper in der Klinik (GK) oder aber die visuelle Klassifikation von Pflanzen in der klassischen Naturgeschichte (OD). Denn wie bereits der französische Titel von Die Ordnung der Dinge – Les Mots et les Choses – zum Ausdruck bringt, interessiert sich Foucault nicht nur für das »Sagbare«, sondern auch für die Verbindung, die die diskursive Praxis zwischen den Wörtern (der Ebene der Sagbarkeit) und den Dingen (der Ebene der Sichtbarkeit bzw. in diesem Fall der sichtbaren Materialität) herstellt (Frietsch 2008: 44)13 – also wie sich ein wissenschaftli-
12 Da die Sprache, diese grundlegende Ordnungsfunktion übernimmt, ist es Foucault zufolge einem Aphasiker auch nicht möglich, verschiedene Dinge zu klassifizieren und anzuordnen (OD: 20). 13 Folglich charakterisiert Michel de Certeau die Archäologie als eine neue Form der Kritik, die »die nach und nach gebildeten Verknüpfungen von Wörtern und Dingen auflösen und isolieren [soll], um so zu den ›Strukturen‹ zu gelangen, die zu verschiedenen Zeiten die Wahrnehmungsräume abgrenzen, und somit auch die verborgenen (doch bestimmenden) Kombinationen von Sprechen und Sehen, Sprache und Wirklichkeit, die den Denkprozessen und Praktiken zugrunde liegen« (de Certeau 2006: 123). In diesem Sinne beschreibt auch Deleuze die von Foucault untersuchten historischen Schichten als »[…] sedimentäre Überlagerungen, gebildet aus Dingen und Wörtern, aus Sehen und Sprechen, Sichtbarem und Sagbarem, Zonen der Sichtbarkeit und Feldern der Lesbarkeit, Inhalten und Ausdrü-
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ches Sprechen über die Dinge mit einer bestimmten Betrachtungsweise und optischen Instrumenten ausrüstet. In diesem Sinne interpretiert Foucault beispielsweise die moderne anatomische Pathologie »als eine epistemologische Reorganisation der Krankheit, in der die Grenzen zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren neu gezogen werden« (GK: 206).14 Allerdings hält er auch die modernen wissenschaftlichen Beobachtungstechniken nicht für »authentischer« oder »wahrer« als die vergangenen visuellen Praktiken, da das, »was […] tatsächlich ›gesehen‹ wird, […] nicht etwa eine vorgegebene objektive Wirklichkeit [ist], die sich dem unschuldigen Auge erschließt, sondern ein ebenso sprachlich wie visuell konstruiertes epistemisches Feld, das der Wahrheit nicht näher kommt als jenes, das es ersetzt.« (Jay 1991: 140)
Die (Un-)Sichtbarkeit von Gegenständen und systematischen Zusammenhängen – so könnte man Foucaults archäologische These zusammenfassen – ist also stets von den Wahrnehmungsräumen, -praktiken und -positionen abhängig, die von dem vorherrschenden Diskurs vorgezeichnet werden.15 Ein solcher Ansatz, der implizit bestreitet, dass sich auf der Ebene der nichtdiskursiven Anordnungen und Praktiken selbstständige Formationen herausbilden, stößt jedoch schnell an seine Grenzen. So hält es Foucault zwar für möglich, die »diskursive Praxis der Malerei« aus den bestehenden Technikhandbüchern und Unterrichtsverfahren abzuleiten, aber gesteht gleichzeitig ein, dass sie »fast in der Gebärde des Malers«, also in dem nicht-diskursiv vermittelbaren körperlichen Knowhow angelegt ist (AW: 276).
cken« (Deleuze 1987: 69). In Fortführung des Foucault’schen Gedankens geht Deleuze dabei davon aus, dass die Verbindung von Sagbarkeit und Sichtbarkeit, welche im kantischen Schematismus durch die Einbildungskraft gewährleistet wird, als ein Ergebnis der relationalen Operationen der Macht zu verstehen sei (Deleuze 1987: 97f.). 14 Während Foucault in Die Geburt der Klinik noch davon spricht, dass in der modernen pathologischen Anatomie »das Auge in jenes Halbdunkel lockt, wo der Blick keine Worte mehr hat« (GK: 183), und damit implizit voraussetzt, dass visuelle Praktiken dem Diskurs vorgängig sein können (Sarasin 2006: 50), subsumiert er in der Archäologie des Wissens auch den wissenschaftlichen Blick – wie alle anderen nicht-diskursiven Praktiken – unter die epistemologische Ordnungsfunktion des Diskurses (AW: 79f.). 15 Dieser These aus Archäologie des Wissens folgend, geht auch Deleuze in seiner Interpretation davon aus, dass innerhalb der heterogenen Verbindung zwischen den per se disjunktiven Dimensionen des Sichtbaren und des Sagbaren (Deleuze 1987: 92) der Aussage der Primat zukommt: »nur die Aussagen sind bestimmend und machen sichtbar, obgleich sie etwas anderes sichtbar machen als das, was sie sagen.« (Ebd.: 96)
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Ähnlich ambivalent ist er hinsichtlich der visuellen Ordnung von Gemälden. So vertritt er in den wenigen Texten der 1960er Jahre, die kunsthistorischen Fragen oder Bildbeschreibungen gewidmet sind,16 die dem diskursanalytischen Modell widersprechende These, dass das Bild eine visuelle Eigenlogik besitzt, die sich weder in Sprache überführen lässt noch von dieser beherrscht wird. Im Kontext seiner ausführlichen Betrachtung von Diego Velázquez’ Las Meninas (1656) in Die Ordnung der Dinge schreibt er etwa: »Aber die Beziehung der Sprache zur Malerei ist eine unendliche Beziehung: das heißt nicht, daß das Wort unvollkommen ist und angesichts des Sichtbaren sich in einem Defizit befindet, das es vergeblich auszuwetzen versuchte. Sprache und Malerei verhalten sich zueinander irreduzibel: vergeblich spricht man das aus, was man sieht: das, was man sieht, liegt nie in dem, was man sagt; und vergeblich zeigt man durch Bilder, Metaphern, Vergleiche das, was man zu sagen im Begriff ist.« (OD: 38)
In dieselbe Richtung weist auch sein kurzer Essay über Erwin Panofsky, der den bezeichnenden Titel Die Worte und die Bilder trägt (DE1/51). Darin schreibt Foucault dem Kunsthistoriker das Verdienst zu, das von ihm selbst nur zwei Jahre später in der Archäologie des Wissens so vehement verteidigte »Privileg des Diskurses« aufgehoben zu haben, um das komplexe wechselseitige Verhältnis zwischen diskursiven Strukturen einerseits und den bildlichen Darstellungsweisen andererseits in den Blick zu nehmen. In diesem Sinne sei der Diskurs »also nicht die gemeinsame Interpretationsgrundlage aller Erscheinungen einer Kultur. Eine Form erscheinen zu lassen ist keine indirekte (subtilere oder auch naivere) Art, etwas zu sagen. Nicht alles, was die Menschen tun, ist letztlich ein entschlüsselbares Rauschen. Diskurs und Figur haben jeweils ihre eigene Seinsweise; aber sie unterhalten komplexe, verschachtelte Beziehungen. Ihr wechselseitiges Funktionieren gilt es zu beschreiben.« (DE1/51: 796)
Wie Gary Shapiro (2003: 209) jedoch kritisch anmerkt, kann Panofskys Ikonologie keineswegs als eine Methode eingestuft werden, die sich radikal vom Diskurs lossagt. Indem sie die Bildauslegung mit einer historischen Rekonstruktion des gesellschaftlichen, philosophischen und religiösen Kontexts untermauert, hat die Ikono-
16 Neben seinen Bildbeschreibungen in Wahnsinn und Gesellschaft, Geburt der Klinik und Die Ordnung der Dinge erscheinen in den 1960er und Anfang der 1970er Jahren einige Analysen verschiedener malerischer Darstellungsstrategien (u.a. über Klee und Magritte [DE1/39, DE1/53]) sowie eine Abhandlung über Panofskys Methode der Ikonologie (DE1/51). Zudem hält Foucault an verschiedenen Orten Vorträge über Manet (MM), die es jedoch nie zu einer von ihm autorisierten Veröffentlichung geschafft haben.
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logie vielmehr die Kunstwissenschaft selbst zu einer textbasierten Disziplin gemacht. Foucaults Einschätzung von Panofsky ist somit weniger als eine zutreffende Charakterisierung der ikonologischen Methode, die eher der strukturalistischen Bildsemiotik nahesteht (Rose 2001: 47), denn als Hinweis auf seinen eigenen »archäologischen« Umgang mit bildlichen Darstellungen zu verstehen. So analysiert Foucault beispielsweise Las Meninas nicht als eine Repräsentation, deren historische und kulturelle Bedeutungen ikonologisch zu entschlüsseln wäre, sondern wie einen Diskurs – d.h. als quasi-materielles »Monument« (AW: 198), das hinsichtlich seiner »positiven« formalen Eigenschaften, sprich: der Bildaufteilung, der Lichtverhältnisse und Blickachsen, zu untersuchen ist. Hinter diesem bildanalytischen »Oberflächenblick« scheint die Annahme zu stehen, dass sich in der Anordnung der bildlichen Elemente (und nicht in dem, was sie darstellen,) eine der diskursiven Aussageformation vergleichbare, kulturell-spezifische visuelle Formation offenbart, die allein durch ihre empirische Regelmäßigkeit bedingt, welche Repräsentationsformen und Bildkompositionen überhaupt möglich sind.17 In diesem Sinne ließe sich Foucaults Bestimmung der Produktivität des Diskurses auch auf die konstitutive Funktion der pikturalen Formationen ummünzen: Bilder können demnach als wissens- und blickkonstitutive Praktiken verstanden werden, die systematisch die Gegenstände, Formen oder Sichtbarkeiten bilden, die sie repräsentieren (AW: 74). Das heißt, dass das Dargestellte erst durch diejenigen Repräsentationspraktiken visuell intelligibel wird, die es zur Darstellung bringen. Einer weiteren These aus Die Worte und die Bilder zufolge verbindet sich diese den Aussageformationen homologe Bildordnung mit dem Diskurs zu einem kulturellen »Feston des Sichtbaren und des Sagbaren« (DE1/51: 795), welches jedoch nicht als eine in sich kohärente Einheit zu verstehen ist. Die bildlichen und die sprachlichen Repräsentationsformen stellen vielmehr zwei unterschiedliche, gegeneinander versetzte Register dar, deren Verhältnis historisch und kulturell variabel ist.18 In seinem Essay über Magritte wagt Foucault sogar die Vermutung, dass selbst
17 Ebenso glaubt auch Joseph J. Tanke, dass Foucault eine Archäologie der Malerei anvisiert, die sich nicht auf die diskursiven oder gesellschaftlichen Hintergründe beruft, um die Bilder zu interpretieren, sondern einzig von den formalen Strukturen selbst ausgeht: »archaeology treats painting as a practice or as a practical knowledge that has its own rules, sequences, and transformations. It attempts to show how the distribution of painting’s formal elements occurs with a describable regularity in a given period. That is, it recounts how color, space, depth, lighting, distance, and volume appear as a result of certain rules of information.« (Tanke 2009: 61) 18 So hatte Foucault in Die Ordnung der Dinge zwar die Homologie zwischen der malerischen Repräsentationsweise in Las Meninas und den diskursiven Strukturen des klassischen Zeitalters herausgestellt, aber in seine kontrastierende Gegenüberstellung von Se-
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die Unterscheidung zwischen »Zeigen und Benennen« oder »Anschauen und Lesen«, die er noch in Worte und Bilder und in Die Ordnung der Dinge als eine grundlegende Differenz markierte, als ein lediglich historischer Gegensatz zu werten sei, der nur in »unserer alphabetischen Zivilisation« auftrete (DE1/53: 816).19 Dieses eindeutige Zugeständnis an die Eigenlogik des Bildlichen führt Foucault jedoch in der Folgezeit nicht weiter aus. Bezeichnenderweise beschäftigt er sich in der Archäologie des Wissens – dem Buch, in dem er den Diskurs als das alles organisierende Prinzip herausarbeiten will – gar nicht mehr mit den möglichen Methoden und theoretischen Voraussetzungen einer der Diskursanalyse verwandten Bildanalyse sondern versucht stattdessen, das Primat des Diskurses auch für die visuelle Wahrnehmung geltend zu machen (AW: 276f.). Im Folgenden gilt es, diese von Foucault zumindest angedachte »Archäologie der Sichtbarkeit« – sprich: die Analyse der epistemologischen Anordnung der beobachtbaren Dinge und der damit korrespondierenden Formen der visuellen Repräsentation – für die beiden »Episteme« zu rekonstruieren, die von Foucault in unterschiedlichen Kontexten immer wieder zentral diskutiert wurden: die französische »Klassik« und die Moderne.20 Da Foucault dieser Frage selbst nicht systematisch nachgegangen ist, werden die entsprechenden Passagen aus seinen verschiedenen Büchern, Aufsätzen und Vorträgen nach Maßgabe der Chronologie und Interpretationslinien aus Die Ordnung der Dinge zusammengetragen und diskutiert. Dabei zeigt sich, dass Foucault die verschiedenen visuellen Kulturen keineswegs als ho-
bastian Brants literarischer (1494) und Hieronymus Boschs malerischer (um 1500) Vision des Narrenschiffs in Wahnsinn und Gesellschaft auch gezeigt, dass sich das Sichtbare und das Sagbare voneinander entfernen können (WuG: 36). 19 Nach Foucault zeigen Magrittes »aufgelöste Kalligramme« zudem, dass die sprachlichen und bildlichen Zeichen weder als adäquate Repräsentationen der Dinge noch als zwei voneinander getrennte Ebenen verstanden werden können, sondern als materielle Formen, die in einem unendlichen Spiel der Analogien aufeinander Bezug nehmen und somit nichts anderes als sich selbst zur Darstellung bringen (DE1/53: 814). »Damit ist die Ähnlichkeit auf sich selbst verwiesen – sie ist aus sich selbst herausgetreten und hat sich auf sich selbst zurückgezogen. Sie ist nicht mehr der Zeigefinger, der die Fläche der Leinwand senkrecht durchstößt, um auf etwas anderes zu zeigen. Sie beginnt ein Spiel aus Analogien, die sich innerhalb der Bildebene bewegen, vermehren, ausbreiten und aufeinander antworten, ohne jemals etwas zu behaupten oder darzustellen.« (DE1/53: 828) Zu Foucaults Analyse von Magritte siehe auch Lüdeking 1996 und Prange 2001. 20 Ein Kapitel aus Die Ordnung der Dinge ist zudem der Renaissance gewidmet. Da dieses aber vornehmlich als Kontrastfolie für die darauffolgende Beschreibung der Klassik dient und die Renaissance auch in den anderen Schriften Foucaults keine zentrale Rolle spielt, wird dieses Denksystem hier nicht gesondert diskutiert.
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mogene historische Blöcke ansieht, sondern parallel existierende, dispositivspezifische Visualitätsformationen identifiziert, die sich ergänzen, aber auch widersprechen können. 2.1.1 Analyse und Repräsentation in der Klassik In Die Ordnung der Dinge beginnt Foucault seine systematische Archäologie der europäischen Denksysteme mit der Analyse der Renaissance, die er auch als das Epistem der »Ähnlichkeit« bezeichnet.21 Demzufolge sei das Denken der Renaissance von der Annahme getragen, dass alle materiellen und immateriellen Elemente der Welt, d.h. Dinge, Tiere, Bilder, Schrift und Menschen – durch das göttliche Band der »similitudo« miteinander verbunden sind.22 Da dieses Verweisungssys-
21 Einige Renaissancespezialisten haben jedoch angemerkt, dass Foucault einerseits zu dünnes und zu heterogenes Quellenmaterial heranzieht, da er sich lediglich – soweit angegeben – auf die Schriften einiger weniger Autoren bezieht, nämlich Schriften von Pierre Grégoire, Giambattista della Porta, Ulisse Aldrovandi, Tommaso Campanella, Paracelsus, Oswald Crollius, Andrea Cesalpino, Girolamo Cardano, Conrad Gesner, Blaise de Vigenère, Pierre Belon, Claude Duret, François La Croix du Maine, Francis Bacon und Michel Montaigne. Zum anderen sei seine These, dass die Ähnlichkeit die bestimmende Erkenntnisform der Renaissance gewesen sei, nur bedingt zu halten, da sie zwar die Denkweise des Neuplatonismus, des Lullismus und der Kabbalisten treffend charakterisiere, aber für die parallel dazu existierende und mindestens ebenso einflussreiche geistige Strömung der aristotelischen Scholastik nicht zutreffend sei (Otto 1992: 30; MacLean 1998; Suárez Müller 2004: 376). Zudem macht Suárez Müller darauf aufmerksam (ebd.: 372), dass Foucault in Die Wahrheit und die juristischen Formen nicht die similitudo, sondern die »enquête« (Untersuchung) als die führende epistemischen Kategorie der Renaissance einführe (DE2/139: 726). 22 Diese grundlegenden Ähnlichkeitsbeziehungen können verschiedene, ineinander verschachtelte Formen annehmen, von denen Foucault die seiner Meinung nach wichtigsten vorstellt: die convenientia (wörtlich: Übereinstimmung/Einklang), die aemulatio (wörtlich: Nacheiferung), die Analogie und schließlich die Doppelfigur von Sympathie und Antipathie. Die convenientia verweist auf eine Anpassung von zwei Elementen, die sich aus ihrer direkten räumlichen Nachbarschaft ergibt: So wirken etwa Seele und Körper wechselseitig aufeinander ein und die Pflanzen und die Tiere eines Ortes passen sich einander an (OD: 47). Durch dieses Prinzip, das »das Ähnliche in Nachbarschaft rückt und die nahe beieinanderliegenden Dinge assimiliert« (OD: 48), wird die gesamte materielle Welt in sich selbst aber auch mit Gott verkettet, dessen Wille somit »bis in die verschlafensten Ecken« drängt (ebd.). Die zweite Figur der Ähnlichkeit, die aemulatio, speist sich demgegenüber nicht aus der unmittelbaren räumlichen Nähe, sondern ist eine spiegelhaf-
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tem aber nicht mit bloßem Auge erkennbar ist, gehört es zu den zentralen Aufgaben des Wissenschaftlers, die von »Gott auf der Oberfläche der Erde gesetzt[en]« (OD: 64) Zeichen zu entziffern, um die innere Verbundenheit der Dinge nachzuzeichnen.23 Diese magisch-religiöse Hermeneutik der Ähnlichkeiten wird Foucault zufolge zu Beginn des 17. Jahrhunderts von einem ganz neuen Denksystem abgelöst – der Episteme der Klassik.24 Diese unterscheidet sich gegenüber dem Denken der Renaissance erstens sowohl in ihrem grundlegend anderen Verständnis der Bezeichnung und der Zeichengenese als auch in ihrem wissenschaftlichen Zugriff auf die empirische Welt. Denn im Unterschied zum Zeichenbegriff des 16. Jahrhunderts, dem zufolge alle verschiedenartigen Zeichenformen der Welt – sprachliche, dingli-
te, also sichtbare, Entsprechung, die quer durch den Raum zwei ganz entfernte, einander gegenüberstehende Dinge miteinander verbindet. Nach dieser Logik spiegelt sich etwa der Himmel im Gesicht des Menschen wider, da das Licht der Sonne und des Mondes in der begrenzten Helligkeit der menschlichen Augen verdoppelt wird (OD: 49). In der dritten Form der Ähnlichkeit, der Analogie, überlagern sich insofern die Mechanismen von aemulatio und convenientia, als auch sie einerseits wie die aemulatio zwei entfernte Elemente miteinander in Verbindung bringt und andererseits wie die convenientia diese einander anpasst. Die Beziehung stellt sich dabei nicht über die Verwandtschaft der äußeren Gestalt der Dinge her, sondern über die »subtilere« Homologie ihres Aufbaus und ihrer Proportionen (OD: 51). So steht etwa der Körperbau des Menschen mit dem eines Tieres in einem analogischen Verhältnis, während die Pflanze wiederum genauso wie ein Tier einen Kopf besitzt, den sie jedoch »nach unten richtet«, und ihren »Mund (oder die Wurzeln) in die Erde eingegraben hat« (ebd.). Schließlich interpretiert Foucault die vierte Form der Ähnlichkeit, die Sympathie und Antipathie, als diejenige Kraft, welche die Bewegung unter den Dingen, d.h. ihre Annäherung oder Assimilation (Sympathie) auf der einen und ihre Abstoßung (Antipathie) auf der anderen Seite verursacht. So ist es den Gesetzen der Sympathie geschuldet, dass sich die Sonnenblume nach der Sonne dreht und die Wurzeln ins Wasser treiben (OD: 53), während der Scheidung von heiß-trockenem Feuer und kalt-nassem Wasser die Antipathie zugrunde liegt. 23 Nach Otto räumt das Denksystem der Renaissance demnach somit einer spezifischen visuellen Praktik eine ganz entscheidende Rolle im Prozess der erkennenden »Welterfassung« ein: der »figurierenden Imagination«, die den Ähnlichkeiten der Welt nachspürt (Otto 1992: 55). 24 Nach Gehring deckt sich der französische Begriff der »Klassik« mit der deutschen ideengeschichtlichen Epochenbezeichnung des »Rationalismus« (Gehring 2004: 74, Anm. 1). Um das »klassische Denken« zu charakterisieren, bezieht sich Foucault vornehmlich auf die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie von Descartes und die cartesianische Logik von Port Royal.
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che oder bildliche – gleichermaßen als gottgegebene Signaturen zu verstehen sind, interpretiert das Denken der Klassik die Zeichen als »künstliche«, also menschengemachte Formen, die sich auf einer anderen logischen Ebene als die Erscheinungen der Welt befinden. Der Ort der Zeichengenese wird somit in das Innere des Erkenntnisprozesses verlagert, welcher erstens die Vorstellungsbilder umfasst, d.h. die mentalen Repräsentationen der wahrgenommenen Dinge, zweitens die synthetischen Erkenntnisprozesse, durch die eine mentale Repräsentation als Zeichen für ein anderes Vorstellungsbild einsteht (OD: 92f.),25 und drittens – und das ist für Foucault von besonderer Bedeutung – die Bilder oder die Wörter, die die mentalen Akte der Repräsentation im Sicht- und Lesbaren reduplizieren.26 Wie Foucault betont, zeichnet sich diese neue logische Ebene der mentalen und sprachlichen Repräsentationen durch ein strikt binäres Repräsentationsmodell aus: Das heißt, dass die klassische Diskursordnung den Vorgang der Bezeichnung nicht mehr auf eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen den Dingen zurückführt, sondern als einen vollkommen willkürlichen Prozess einstuft, in dem die mentalen Repräsentationen und Wörter nicht kausal mit dem Bezeichneten verknüpft sind (OD: 92, 98). Auch wenn mit dieser neuen diskursiven Ordnung ein eindeutiger Schnitt zwischen menschlicher Erkenntnis (»res cogitans«) auf der einen und den zu erkennenden Objekten (»res extensa«) auf der anderen Seite vollzogen wird, bedeutet das zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht, dass die grundsätzliche Abbildbarkeit von Welt an sich in Frage gestellt würde. Dem klassischen Denken liegt vielmehr der metaphysische Glaube zugrunde, dass die Gültigkeit der mentalen Repräsentation durch eine göttliche Instanz sichergestellt wird. Die klassische Zeichentheorie geht also davon aus, dass sich die Dinge der Welt in den mentalen Vorstellungsbildern und synthetischen Denkprozessen trotz Arbitrarität vollständig und richtig abbilden, und dass umgekehrt die mentalen Akte ohne »Reibungsverluste« oder zusätzliche Bedeu-
25 »Die Beziehung des Bezeichnenden zum Bezeichneten stellt sich jetzt in einen Raum, in dem keine vermittelnde Gestalt ihr Zusammentreffen mehr sichert: sie ist im Inneren der Erkenntnis die zwischen der Vorstellung (idée) einer Sache und der Vorstellung einer anderen hergestellte Verbindung.« (OD: 98) Wie Foucault anmerkt, ist dabei im Zeichen selbst (im ersten Vorstellungsbild) die Repräsentationsfunktion repräsentiert (OD: 98f.). 26 Die Sprache ist somit als eine Repräsentation dritter Ordnung zu verstehen: Sie repräsentiert einen vorgängigen mentalen Repräsentationsprozess, durch den ein Vorstellungsbild, das selbst als Abbild oder Repräsentation des wahrgenommenen Dings gelten kann, mit einem anderen Vorstellungsbild bzw. einer anderen Idee in einen semiotischen Verweisungszusammenhang gebracht wird.
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tungsdimensionen in Schrift- oder Bildzeichen transformiert werden können.27 Der Signifikant löst sich vollständig in dem Signifikat auf (Frank 1984: 167).28 Sofern aber eine lückenlose Repräsentierbarkeit der Ordnung der Welt in den VernunftUrteilen und der Vernunft-Urteile in den Formen der Sprache (und des Bildes) vorausgesetzt wird, kann sich – und das ist das zentrale Argument von Die Ordnung der Dinge – das Problem des Subjekts bzw. der subjektiven Bedeutungsgebung noch gar nicht stellen (OD: 100f.).29 Erst wenn die Transparenz der Repräsentation und somit die Erkennbarkeit von Welt nicht mehr gewährleistet ist, kann so etwas wie das denkende und erkennende Subjekt als eine zentrale epistemologische Figur an Gestalt gewinnen.30 »Es gibt keinen den Zeichen äußerlichen oder vorausgehenden Sinn, keine implizite Präsenz eines vorher existierenden Diskurses, den man wiederherstellen müßte, um die autochthone Bedeutung der Dinge an den Tag zu bringen. Aber es gibt ebensowenig einen konstituierenden Akt der Bedeutung oder der Genese innerhalb des Bewußtseins. Zwischen dem Zeichen und seinem Inhalt gibt es kein vermittelndes Element, keine Undurchsichtigkeit.« (OD: 101)
Foucault zufolge geht dieses erkenntnistheoretische Modell der vollkommen transparenten Repräsentation mit einer veränderten Wissenschaftsauffassung einher. Denn während das vor-»klassische« Ähnlichkeitswissen von dem Gedanken getragen war, dass sich der göttliche Bauplan der Welt quasi von selbst mitteilt, liegt dem »klassischen« Denken die gegenteilige Annahme zugrunde, dass die Geordnetheit der Natur allein durch die Anstrengungen der mentalen und sprachlichen
27 »In seiner Perfektion ist das Zeichensystem jene einfache, absolut transparente Sprache, die fähig ist, das Elementare zu bezeichnen. Es ist auch jene Gesamtheit von Operationen, die alle möglichen Verbindungen definiert.« (OD: 96) 28 So beschreibt Frank das Paradigma der repräsentationalen Transparenz: »Das klassische Repräsentationsmodell nimmt an, die Synthesen, durch die das Sprechen die Wörter verschiedener Klassen zu Sätzen vereinigt, seien sprachliche Repräsentationen der vorausgehenden Synthesen, durch die der Geist die Wortbilder von elementaren Impressionen oder von Gedanken mit Prädikaten zu Urteilen verknüpft.« (Frank 1984: 156) 29 Anstatt der Störfaktor zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem oder die transzendentale Quelle bzw. Subjekt der Bezeichnung zu sein, erscheint der Mensch im klassischen Denken also eher als ein privilegierter Ort der Natur, in dem allein sich der zeichengestützte Erkenntnisprozess entfalten kann (Dreyfus/Rabinow 1987: 45). 30 Wie noch näher darzustellen sein wird, interpretiert er daher Kants transzendentalphilosophische »Kritik der Vernunft«, welche erstmals die empirische Erkenntnisfähigkeit des Menschen als notwendig begrenzt einstuft, als den entscheidenden diskursiven Einschnitt, der das moderne anthropologische Denken ermöglichen wird.
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Repräsentationen zu Tage treten kann. Diese neue wissenschaftliche Auffassung zeigt sich idealtypisch in René Descartes’ (1596-1650) Idee einer mathematisch fundierten Einheitswissenschaft, der »mathesis universalis«,31 wonach die Welt erst dann ihr wahres Sein enthüllt, wenn die Dinge in mess- und quantifizierbare »einfache Naturen« – wie beispielsweise Ausdehnung, Figur und Bewegung (OD: 85) – zerlegt und gemäß ihrer Identität und Differenz sowie ihrer (aufsteigenden) Komplexitätsgerade und historischen Genesen in eine kontinuierliche taxonomische Ordnung gebracht werden (OD: 86).32 Den sprachlichen (und bildlichen) Zeichen kommt dabei die zentrale Aufgabe zu, mithilfe einer analogen klassifikatorischen Nomenklatur die kleinsten analytischen Einheiten zu identifizieren, alle denkbaren Kombinationen dieser Elemente zu benennen und schließlich die Unterschiede und Identitäten zwischen den so klassifizierten Dingen abzubilden. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess ist also immer an die Konstruktion einer korrespondierenden Ordnung der Wörter gekoppelt, welche die analytisch durchdrungene Welt vollständig und richtig zu repräsentieren vermag (OD: 375). Die zentrale Darstellungstechnik der klassischen Diskursordnung ist dabei nicht der diachron-lineare Text, sondern das mit einem Blick erfassbare »Tableau«,33 in dem jede noch so kleine Dingrepräsentation ihren eindeutigen und unverwechselbaren Platz findet und damit gleichzeitig zu den anderen Dingrepräsentationen verortet wird. Ein perfektes Tableau repräsentiert mit anderen Worten die Dinge so, dass zugleich auch ihre ontologische Ordnung offenbart wird (OD: 258).34
31 Descartes’ Grundannahmen die wissenschaftliche Erkenntnis betreffend lassen sich in den Regulae ad directionem ingenii finden. Hier schreibt er in der zwölften Regel, dass alle Gegebenheiten auf hinreichend einfache Begriffe zurückzuführen seien, zwischen denen ein Zusammenhang nach Grund und Folge herzustellen ist (Röd 1995: 124). 32 Entgegen der gängigen Lesart interpretiert Foucault also das klassische Wissenschaftsparadigma nicht als den Versuch einer universalen Mathematisierung, sondern als ein Denken, das sich an der allgemeineren Größe des Maßes und der Ordnung orientiert (Lebrun 1991: 17). 33 Es ist für Foucault somit auch kein Zufall, dass die Logik von Port Royal nicht anhand der Schrift, sondern am Beispiel der Landkarte die Funktion und Aufgabe der sprachlichen Zeichen erklärt (OD: 99). 34 Petra Gehring fasst die Bedeutung des Tableaus treffend zusammen: »Denn genau darin, im Gebot der anschaulich-systematischen Übereinstimmung liegt (abstrakt gesprochen) das Prinzip der Repräsentation: Die Sachen und die Worte, die Phänomene und ihre Namen oder noch besser: die Ordnung der Phänomene und das Tafelbild der zugehörigen Begriffe bilden zwei gleichermaßen wirkliche Entsprechungsebenen.« (Gehring 2004: 48)
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»In diesem Wissen handelt es sich darum, alles, was uns unsere [mentale, S.P.] Repräsentation anbieten kann, mit einem Zeichen zu belegen: Wahrnehmungen, Gedanken, Wünsche; diese Zeichen müssen als Merkmale gelten, das heißt, die Gesamtheit der Repräsentation in unterschiedenen, in untereinander durch bestimmbare Züge getrennte Zonen gliedern. […] Auf diese Weise kann das Tableau der Identitäten und der Unterschiede gezeichnet werden.« (OD: 109)
Wie sich dieses analytische Programm der mathematisch gestützten »Taxinomia Universalis« (OD: 113) in den unterschiedlichen Wissensgebieten des 17. und 18. Jahrhunderts jeweils durchgesetzt hat, arbeitet Foucault in Die Ordnung der Dinge anhand dreier verschiedener Diskurse – der Naturgeschichte, der Allgemeinen Grammatik (von Port Royal, 1662) und der Analyse der Reichtümer – heraus, setzt sich aber nur im Zusammenhang mit ersterem mit den »klassischen« Formen visueller Wissensgenerierung auseinander. Aus diesem Grund wird hier zudem seine Analyse des medizinischen Wahrnehmungscodes der Klassik aus Die Geburt der Klinik herangezogen. 2.1.1.1 Der analytische Blick In den empirischen Wissenschaften der »Klassik« erhält die »evidente [besser: klare, S.P.] und deutliche […] Wahrnehmung« (OD: 89) eine zentrale Bedeutung.35 An die Stelle des imaginativen »Sehens der Ähnlichkeiten« tritt nun der kühle und sezierende Blick des naturwissenschaftlichen »Analytikers«, der die Erscheinungen der Welt zerteilt, miteinander vergleicht und benennt. Die cartesianische Wissenschaftstheorie des 17. und 18. Jahrhunderts kann somit als eine wichtige Wegmarke der langen okularzentristischen Tradition des abendländischen Denkens angesehen werden,36 die die (Natur-)Wissenschaften bis heute nachhaltig prägt (Jay 1991: 139f.).37
35 So schreibt Descartes in seinen Meditationes de prima philosophia, V 14: »Es ist nämlich […] meine Natur, glauben zu müssen, etwas sei wahr, solange ich es ganz klar und deutlich (clare et distincte) wahrnehme/einsehe (percipio).« (Descartes 1968: 124f.) 36 Ausgangspunkt der okularzentristischen Tradition ist die klassische griechische Philosophie. So heißt im Griechischen »oida« nicht nur »ich habe gesehen«, sondern auch »ich weiß«. 37 Dass der cartesianische Glaube an die souveräne Macht des empirischen Blicks zu Beginn des klassischen Zeitalters immer mehr an Bedeutung gewann, lässt sich unter anderem auch daran ablesen, dass einige für die naturwissenschaftliche Beobachtungstätigkeit bahnbrechende Technologien – wie beispielsweise das Mikroskop oder das Fernrohr – zu Beginn des 17. Jahrhunderts erfunden wurden.
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Die Charakteristika dieses neuen naturwissenschaftlichen Diskurses, der erstmals in der Geschichte »einen Blick auf die Dinge selbst« richtete (OD: 172), lässt sich Foucault zufolge idealtypisch an der klassischen Naturgeschichte ablesen. So sahen die Botaniker Joseph Pitton de Tournefort (1656-1708), Carl von Linné (1707-1778) und Georges Louis Marie Leclerc, Comte de Buffon (1707-1788) ihre wissenschaftliche Hauptaufgabe nicht mehr in der hermeneutischen Interpretation der natürlichen Gestalten, sondern vielmehr in der erschöpfenden taxonomischen Klassifizierung aller morphologischen Eigenschaften der Pflanzenwelt.38 Wie Foucault mehrfach betont, ist aber ihr bescheiden klingender Anspruch, das Sichtbare lediglich benennen zu wollen, keineswegs voraussetzungslos. Vielmehr impliziert die diskursive Hinwendung zu der sichtbaren Gestalt der Pflanzen die Einrichtung eines ganz »neue[n] Gesichtsfelds« (OD: 173). Zu dieser »fundamentalen Gliederung des Sichtbaren« (OD: 176) gehört erstens die Umstrukturierung des visuellen Raums: Die Gewächse werden aus ihrer natürlichen Umgebung gerissen und in künstlich angelegte, klar strukturierte Räume – die Herbarien, die Naturalienkabinette und die botanischen Gärten – verpflanzt (OD: 172). Die zweite Maßnahme betrifft die Eingrenzung des Feldes der Erfahrung: Nach der botanischen Methode von Linné muss die wissenschaftliche Beobachtung unter Ausschluss aller anderen Sinne – des Hörens, des Sprechens, des Geschmacks und des Geruchs – sowie unter Absehung der Farben vollzogen werden. Der botanische Blick soll also nicht einfach alles Sichtbare erfassen, sondern sich auf diejenigen morphologischen Aspekte konzentrieren, die auf das Wesen der Pflanze schließen lassen.39 Im Sinne der cartesianischen »mathesis universalis« sind das vor allem messbar-quantitative Eigenschaften: die Form der Elemente, die Quantität dieser Elemente, ihre räumliche Anordnung sowie die relative Größe eines jeden (OD: 175). Schließlich besagt eine dritte Beobachtungsbedingung, dass sich der »klassische« Botaniker allein von der äußerlich sichtbaren Gestalt der zu untersuchenden Pflanze leiten lässt und niemals
38 Nach Suárez Müller stellt Foucault die Geschichte der Biologie bzw. der Naturgeschichte insofern recht einseitig oder gar falsch dar, als er sich einzig auf die rationalistischessentialistische Naturgeschichte konzentriert und dabei parallel existierende, diametral entgegengesetzte Diskurse – wie beispielsweise den nominalistischen Empirismus oder den Vitalismus – entweder vernachlässigt oder sogar – wie im Fall von Ray, Buffon und Diderot – unter den rationalistisch-taxonomischen Ansatz, der vor allem von Linné vertreten wurde, subsumiert (Suárez Müller 2004: 571ff.). 39 Im Unterschied zu der empiristischen Beschreibungsweise, welche das gesamte Spektrum des empirisch Gegebenen abzudecken sucht, sind also die empirischen Analysen der rationalistischen Botaniker von vornherein an einem künstlichen Klassifikationssystem orientiert, das vor jeder Beobachtung die Einordnung der Dinge festlegt (Suárez Müller 2004: 573).
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zu den unter der Außenhülle verborgenen Mechanismen des Organismus vordringt (OD: 180). »Beobachten heißt also, sich damit zu bescheiden zu sehen; systematisch wenig Dinge zu sehen […]. Die durch die Augen gewonnenen Repräsentationen werden, wenn sie selbst entfaltet, von allen Ähnlichkeiten befreit und sogar von ihren Farben gereinigt sind, schließlich der Naturgeschichte das geben, was ihren eigentlichen Gegenstand bildet: das genau, was sie in jene wohlgeformte Sprache übergehen läßt, die sie bauen will.« (OD: 175)
Erst in einem zweiten Schritt werden die so gewonnenen Beobachtungen in eine künstliche »Sekundärsprache« (OD: 181), eine Nomenklatur transkribiert,40 die dazu in der Lage sein muss, die visuellen Evidenzen der Pflanzen, d.h. ihre unterschiedlichen sichtbaren »Variablen« und ihre jeweiligen Wertigkeiten vollständig und exakt zu repräsentieren und in einem Tableau so anzuordnen, dass ihre reale Taxonomie zu Tage tritt.41 Eine ähnliche analytische Vorgehensweise lässt sich auch für den »ärztlichen Blick« der Klassik nachweisen, den Foucault bereits in Die Geburt der Klinik charakterisiert hatte. Denn ebenso wie die Naturgeschichte ist das medizinische Denken im 18. Jahrhundert von der »Regel der Klassifikation« beherrscht (GK: 20), welche die Krankheiten nach Gattungen, Arten und Familien aufteilt und in einem großen nosologischen Tableau anordnet. In dieser »Medizin der Arten«, die sich dezidiert an dem »botanischen Modell« von Linné orientiert (GK: 24), werden die verschiedenen Krankheiten nicht – wie später in der modernen Medizin – als (meist) körperlich verankerte individuelle Gesundheitsstörungen betrachtet, sondern vielmehr als klar voneinander abgrenzbare nosologische Entitäten, deren Wesenheit und taxonomische Einordnung unabhängig von ihren je individuellen Ausprägungen und ihrer körperlichen Lokalisation mithilfe eines analytischen Blicks und des nosologischen Klassifikationsrasters erfasst und klar benannt werden müssen (GK: 27f.). Die zentrale Aufgabe des Arztes lag im 18. Jahrhundert also darin, auf der Grundlage der Deutung der sichtbaren Symptome und der analytischen Durchdringung ihrer Kombinationen zu
40 So erlaubt Carl von Linnés binominale Nomenklatur, die bis heute in der Botanik und Zoologie gebräuchlich ist, die verschiedenen Pflanzen sowie ihr Verwandtschaftssystem exakt zu benennen, indem sie jede Pflanze mit einer eindeutigen und unverwechselbaren Doppelbezeichnung belegt, die sich aus dem übergeordneten Gattungsnamen und dem untergeordneten Namen der Art zusammensetzt. 41 Im Unterschied zu den Nominalisten ging Linné davon aus, dass die Pflanzen mithilfe seiner rationalistisch-analytischen Methode in ihrer göttlichen, ontologischen Wesenheit erfasst und repräsentiert werden können (Suárez Müller 2004: 573f.).
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einer eindeutigen Benennung der Krankheit zu kommen.42 Diese Beobachtungstechnik bedarf genauso wie der botanische Blick gewisser räumlicher sowie diskursiver Vorkehrungen. So verabschiedete sich die »Medizin der Arten« erstens von dem Modell der vorklassischen »Spitäler«, in denen Kranke, »Irre« und Landstreicher zusammengepfercht wurden,43 und verfolgte stattdessen die klar strukturierte Raumpolitik der Klinik, die – analog zu den botanischen Herbarien – der nosologischen Aufteilung der Krankheiten entsprach (GK: 58). Neben dieser räumlichen Strukturierung der »sichtbaren Dinge« wurde zweitens das medizinische Betätigungsfeld systematisch eingegrenzt, um die Macht des Blicks uneingeschränkt walten lassen zu können. So wahrte der Arzt im 18. Jahrhundert – ebenso wie der Botaniker gegenüber seinen Pflanzen – einen gewissen Abstand zu seinem »Objekt«, dem kranken Körper, den er allein auf die äußerlich sichtbaren Symptome hin untersuchte. Die Ordnung der Krankheit erscheint im Denken der Klassik also noch als ein »Projektionsraum ohne Tiefe« (GK: 22), während die pathologische Anatomie des 19. Jahrhunderts in die unsichtbare Dunkelheit des Körpers vordringen wird.44
42 Im Unterschied zu seinen Ausführungen zum botanischen Diskurs in Die Ordnung der Dinge beschreibt Foucault den medizinischen Diskurs der »Klassik« aber nicht als eine forschende Haltung, welche durch visuelle Analyse neue Klassifikationen zu erstellen sucht, sondern als ein bloßes Anwendungsfeld, in dem das bereits existierende nosologische Tableau auf die sichtbaren Symptome projiziert und somit immer nur reproduziert wird (GK: 75f.). 43 Davon abweichend lässt Foucault in Wahnsinn und Gesellschaft das Zeitalter der »Klassik« gerade mit der Einrichtung des Hospital General (1656) beginnen, in dem Bettler, Kranke und Kriminelle zusammen interniert werden (WuG: 68). 44 Zwar gab es auch schon in der »Klassik« Anatomen wie etwa Giovanni Battista Morgagni (1682-1771), der ein Werk mit dem vielversprechenden Titel Über Sitz und Ursachen der Krankheiten inwiefern sie durch Anatomie erforscht werden (1761) verfasst, aber für diese steht die systematische Krankheitslehre im Vordergrund, in die die organischen Läsionen »eingeordnet« werden. Erst mit der »Wiederentdeckung« der Arbeiten von Morgagni durch den Anatomen und Physiologen Marie François Xavier Bichat (1771-1802) wurde eine moderne Anatomie begründet, die den Körper mit seinen Organen und Geweben als ein relationales Ganzes betrachtet und untersucht, wie sich die Krankheit in den verschiedenen Körperregionen manifestiert (GK: 137ff.). Auch wenn sich die moderne Medizin von den klassischen nosologischen Untersuchungstechniken, die sich allein auf die visuelle Erfassung der äußeren Symptome verlassen, seit langem distanziert hat, lassen sich doch in der alltäglichen medizinischen Praxis noch Überreste dieser Beobachtungsform wiedererkennen. So spielt auch heute noch die medizinische Kunst der »Prima-Vista-Diagnostik«, d.h. die diagnostische Ein-
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Zusammenfassend lassen sich die wissenschaftlichen Wahrnehmungsformen der Klassik somit als eine Praxis charakterisieren, die von dem »Mythos des reinen Blicks, der reine Sprache ist« (GK: 128) getragen wird. Damit ist gemeint, dass die empirische Beobachtung vollends darauf vertraut, dass sich in den quantifizierbaren visuellen Eigenschaften der Dinge ihre gesamte Wesenheit offenbart und dass die Zeichen, die zur Notation der taxonomischen Ordnung verwendet werden, diese Wesenheit wiederum vollständig zu repräsentieren vermögen. 2.1.1.2 Die Repräsentation der Repräsentation Um die Bildordnung des Zeitalters der Repräsentation zu studieren, nimmt sich Foucault ein Bild vor, das zu den meist diskutierten Gemälden der Kunstgeschichte gehört: Las Meninas (Die Hoffräulein), 1656 gemalt vom spanischen Hofmaler Diego Velázquez (1599-1660) (siehe Abbildung 1). Foucault verfolgt jedoch nicht den Anspruch einer kunsthistorisch präzisen Analyse, das Bild scheint ihm vielmehr als Inspirationsquelle für seine eigene archäologische Methode gedient zu haben.45 Dieser systematische »Sonderstatus« von Las Meninas lässt sich bereits an dem Ort der Bildbeschreibung ablesen: Anstatt sie in das Klassik-Kapitel einzuordnen, stellt er sie seinem Buch als emblematischen Auftakt voran – und das vermutlich aus zwei Gründen: Zum einen bezeichnet Foucault Las Meninas als die idealtypische »Repräsentation der klassischen Repräsentation« (OD: 45) und interpretiert es damit als eine Art »Metabild« (Mitchell 2008: 201ff.), das ähnlich wie seine eigene Diskursanalyse die Parameter der klassischen Denk- und Bildordnung freilegt. Zum anderen vermeint Foucault in der kompositorischen Struktur des Gemäldes einen Beleg für seine zentrale historische These zu entdecken, wonach die klassische »Ordnung des Lichts« (Deleuze 1987: 82) eine Denk- und Wahrnehmungsfigur notwendigerweise ausklammert, die in der Moderne eine zentrale Rolle einnehmen wird: das menschliche Subjekt als sinnstiftender Produzent und Rezipient der Repräsentation.
schätzung der unmittelbar sichtbaren Körperhaltungen und Bewegungsmuster durch den »klinischen Blick« in der medizinischen Untersuchungspraxis eine wichtige Rolle. 45 Seine Interpretation gerät damit recht einseitig und wird dem vielschichtigen Gemälde auf weite Strecken nicht wirklich gerecht: Denn abgesehen davon, dass dem Bild eher ein kunsthistorischer Sonderstatus zukommt und keineswegs als »typisch« für das 17. Jahrhundert gelten kann, hat Foucault beispielsweise auch die malerische Qualität des Bildes und die Farbgebung weitgehend außer Acht gelassen.
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Abbildung 1: Diego Velázquez: Las Meninas (La Familia de Felipe IV) (1656)
Der archäologischen Methode gemäß beginnt Foucault seine Bildanalyse nicht mit einer historischen und inhaltlichen Rekonstruktion des Dargestellten, sondern setzt bei der immanenten Strukturierung des Sichtbaren an46: Er identifiziert zunächst die Elemente des Bildes und ihre Funktionen, die dargestellten Lichtquellen, die komplexen Blickachsen zwischen den abgebildeten Personen und dem Bildbetrachter,
46 Somit weicht Foucaults archäologische Bildanalyse in einem entscheidenden Punkt von Panofskys ikonologischer Methode ab, die auch den historischen Hintergrund rekonstruiert.
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den kompositorischen Aufbau sowie die spezifischen Unsichtbarkeiten.47 Dabei stellt er fest, dass in Las Meninas alle vier Ebenen des Repräsentationsprozesses analytisch voneinander getrennt dargestellt werden (Dreyfus/Rabinow 1987: 49): zunächst an zentraler Stelle der Maler, der seinen prüfenden Blick in das Außen des Bildraumes, in die »gegenüberliegende Leere« richtet (OD: 32), daneben die verschiedenen Repräsentationen oder Tableaus – wie das große, den Blicken des Betrachters entzogene Bild, an dem er gerade arbeitet und die übrigen Gemälde an den Wänden –, dann das repräsentierte Modell selbst (Philipp IV., König von Spanien und seine Gemahlin, Königin Maria Anna), das sich diesseits der Leinwand befindet und allein im Spiegelbild an der Rückseite des Raums aufblitzt, und schließlich der Betrachter des Tableaus, der als dunkle Figur an der hinteren Türschwelle steht. In diesem Repräsentationsviereck erscheint der Maler – genauso wie der Botaniker oder der Arzt – als der Träger eines okularzentristischen »souveränen Blicks« (OD: 33), der im Verlaufe der visuellen Analyse seinen Gegenstand, das Modell, in eine (bildliche) Repräsentation überführt.48 Neben diesen inhaltlichen Aspekten könnte zudem auch die räumlich-geometrische Komposition von Las Meninas als Ausdruck der klassischen visuellen Ordnung verstanden werden. Denn erstens ist die Komposition des Gemälde streng geometrisch aufgebaut und folgt somit dem formalen Prinzip der mathesis;49 zweitens entspricht es insofern der Darstellungs-
47 Nach Shapiro lässt sich Foucaults Analyse von Las Meninas als ein archäologisches Gegenstück zu Merleau-Pontys Analyse von Cézanne lesen (Shapiro 2003: 228ff.). Denn anders als Merlau-Ponty glaubt Foucault nicht daran, dass ein Maler das noch ungeordnete »wilde« oder »rohe Sein« hinter den bereits etablierten Denk-und Wahrnehmungsschemata aufdecken kann. Ihn interessiert vielmehr, inwiefern auch die Künstler einer Zeit in den historischen Sag- und Sichtbarkeitssystemen einer Zeit gefangen sind und diese in ihren Gemälden ganz automatisch reproduzieren. Zu Merleau-Pontys Cézanne-Lektüre siehe auch Kapitel 3.1.2.3. 48 In der Kunstgeschichte wurde daher das Bild auch oftmals als eine frühe Reminiszenz an das autonome Schöpfer-Ego interpretiert (Tolnay 1949; Asemissen 1981). Dafür spricht auch, dass die Bilder, die sich an der Rückwand des Raumes befinden – nämlich Pallas und Arachne, kopiert nach Rubens, sowie Apollo und Marsyas, kopiert nach Jordaens – den Sieg der göttlichen Kunst über das menschliche Kunsthandwerk darstellen (Tolnay 1949: 36). Für einen Überblick über die Deutungsgeschichte siehe auch Harlizius-Klück 1995: 21ff. 49 Foucault stellt zwei geometrische Konstruktionsschemata des Bildes heraus: Zum einen ein Andreaskreuz, in dessen Mittelpunkt der Blick der Infantin steht, und zum anderen eine schalenförmige Linie, die die verschiedenen Personen zwischen der linken und der rechten Bildhälfte miteinander verbindet (OD: 41f.). Demgegenüber vernachlässigt er aber die perspektivische Konstruktion vollkommen. Harlizius-Klück hat zudem noch einige andere geometrische Figuren in dem Bild aufgedeckt, wobei sie vor allem eine logarithmische
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konvention der Taxonomie, als das räumliche Arrangement der anwesenden Personen die Ordnung des königlichen Hofes wiedergibt;50 und drittens entspricht die formale Bildanordnung dem Diktum der totalen repräsentationalen Transparenz. Letzteres wird durch die schnecken- oder kreisförmige Bewegung versinnbildlicht, die vom Blick des Malers ausgeht, über die Rückseite der Leinwand führt, an den ausgestellten Bildern und dem Spiegel entlang verläuft, in dem hellen Fenster auf der rechten Seite mündet und schließlich durch das durchs Fenster einfallende Licht wieder auf den Maler zurückgeht (OD: 40, 44). Der Vorgang der Repräsentation wird somit als ein in sich geschlossener, vollkommener Prozess dargestellt, in dem der Akt des Malens mit dem Licht der Welt in Verbindung steht. Das Licht, das letztlich den Kreis der Repräsentation schließt und damit die Bedingung schafft, die »jede Repräsentation sichtbar werden läßt« (OD: 34), kann somit in Analogie zu dem Diskurs als das eigentliche »Licht der Aufklärung« interpretiert werden (Frank 1984: 161; Dreyfus/Rabinow 1987: 47), das die visuelle Ordnung der »Klassik« als einen vollkommen geordneten und in sich transparenten Wahrnehmungsund Repräsentationsraum konstituiert. Was Foucault an Las Meninas interessiert, ist aber nicht allein, dass es die »Positivität« der Repräsentationsordnung abbildet, sondern darüber hinaus auf ihren historisch spezifischen »blinden Fleck« verweist: das subjektive Bewusstsein als die bedingende Instanz des Erkenntnisprozesses. Diese »Subjektlosigkeit« des »klassischen« Wahrnehmungs- und Denkraums spiegelt sich Foucault zufolge in Las Meninas gleich in mehrfacher Hinsicht wider: So kann erstens der Betrachter, der genau an der Stelle des Modells steht, die Vorderseite der großen Leinwand und somit das Porträt, das der Maler von »ihm« als Menschen zeichnet, nicht einsehen. Sein Status als sehendes und betrachtetes Wesen bleibt ihm demnach gänzlich verborgen.
Spirale von größer werdenden Rechtecken hervorhebt, die von dem Spiegelbild ausgehend das ganze Bild organisieren. Eine solche sogenannte »Fibonacci Folge« lässt sich auch in vielen Naturerscheinungen entdecken, so dass sich auch an diesem Punkt eine Überschneidung mit dem botanischen Diskurs ergibt (Harlizius-Klück 1995: 100ff.). 50 Letzterer Gesichtspunkt wurde von Harlizius-Klück ergänzt, die mit ihrer Analyse nachweist, dass durch den mathematischen Aufbau des Bildes sowohl die Ordnung als auch die dynastische Kontinuität des Hofes reproduziert wird. So scheint der Spiegel, in dem das Königspaar zu erkennen ist, die Rolle des Ahnenporträts zu übernehmen und wird durch eine logarithmische Spirale mit der Infantin verbunden (Harlizius-Klück 1995: 74). Zudem weist sie nach, dass die räumliche Anordnung der verschiedenen abgebildeten Personen (vom Königspaar bis hin zu den Narren) nach Maßgabe der strengen spanischen Hofordnung erfolgte (ebd.: 87ff.).
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»Das hohe, eintönige Rechteck, das […] die Rückseite des abgebildeten Gemäldes bildet, stellt in der Art einer Oberfläche die in die Tiefe gehende Unsichtbarkeit dessen dar, was der Künstler betrachtet: jenen Raum, in dem wir uns befinden und der wir sind.« (OD: 32)
Eine zweite Unsichtbarkeit betrifft die Tätigkeit der Repräsentation: Der Maler wird nicht bei der schöpferischen Erzeugung des Tableaus dargestellt, sondern in einem Augenblick des kontemplativen Innehaltens. Sobald er wieder einen Schritt vorgeht, um an seiner Leinwand zu arbeiten, wird er selbst aus dem Feld des Sichtbaren verschwinden (OD: 31f.). Über Foucaults eigene Interpretation hinausgehend könnte man also sagen, dass in dem großen taxonomischen Tableau, in dem jede Dingrepräsentation einen festen taxonomischen Platz einnimmt, weder die produktive Handlung als solche, die durch ihren Eingriff die Position der Dinge u.U. verschiebt, noch die erkenntnisgenerierende (Denk-)Tätigkeit des Subjekts, die aller Repräsentation zugrunde liegt, darstellbar ist. »The apparently all-seeing eye of classical painting, the one that seems to look out on the world as through a window, is revealed as necessarily unable to reflect on itself.« (Shapiro 2003: 201) Drittens wiederholt und bündelt sich in Las Meninas die genuine Nichtrepräsentierbarkeit des Selbst, der Wahrnehmungs- und Bewusstseinsakte sowie der aktiven (Repräsentations-)Tätigkeit in der räumlichen Überlagerung von drei strukturellen Abwesenheiten: der Abwesenheit des ersten Malers (Velázquez), der die Mechanismen des Repräsentationsraums repräsentiert, der Abwesenheit des Königspaars, das dem repräsentierten Maler als Modell dient, sowie der Abwesenheit des aktuellen Betrachters, der die Repräsentation der Repräsentation rezipiert. Diese verschiedenen nicht darstellbaren Subjektpositionen überschneiden sich Foucault zufolge in einer gemeinsamen »essentiellen Leere« (OD: 45), nämlich dem »völlig unzugänglichen Punkt« außerhalb des Bildraums (OD: 42), in dem alle Blickachsen der dargestellten Personen konvergieren.51 Mit Foucault könnte man also vermuten, dass die »Abwesenheit des Königs« in Las Meninas (OD: 45) metaphorisch auf die genuine Abwesenheit des Souveräns »Mensch« verweist, der in dem »klassischen« Diskurs- und Wissensraum zwar als der Begründer der Repräsentation fungiert, aufgrund des Diktums der vollständigen Transparenz der Denkprozesse aber noch nicht in seiner transzendental-empirischen Doppelstruktur, d.h. als Subjekt und Objekt von Erkenntnis, zum Vorschein kommt.52 Allein der Spiegel und die offene Tür
51 Foucaults Interpretation wurde jedoch mehrfach entgegengehalten, dass sich die perspektivischen Linien nicht in diesem einen Punkt schneiden (Shapiro 2003: 227). 52 Im Unterschied dazu hebt Svetlana Alpers heraus, dass in Las Meninas die Reziprozität zwischen abwesendem Betrachter und sichtbarer Welt nicht durch eine generelle »Abwesenheit des bewussten Subjekts« bedingt ist, »sondern dadurch, daß Velázquez bestrebt ist, zwei einander widerstreitende Darstellungsweisen zu verknüpfen, die zwei verschie-
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an der rückwärtigen Wand, die »die ganze repräsentierte Dicke« durchbrechen (OD: 42), verweisen darauf, dass diese strukturelle Abwesenheit des Subjekts eine rein historische ist. So gibt das Spiegelbild, das nichts aus der repräsentierten Szene auffängt und auch von keinem der Anwesenden bemerkt wird, die Umrisse des Modell stehenden Herrscherpaars zu erkennen.53 Da das Spiegelbild aber nur unvollständig das abbildet, was es eigentlich sollte – nämlich neben dem Herrscherpaar auch den aktuellen Betrachter und Velázquez – wird es der Logik der vollkommenen Repräsentation nur bedingt gerecht und bleibt deshalb in dem gesamten Gemälde »die zerbrechlichste Form« (OD: 43).54 Dass die Widerspiegelung des Herrscherpaars also gewissermaßen »außerhalb des Bildes« (ebd.), d.h. jenseits der kulturellen Sichtbarkeit der »Klassik« steht, zeigt sich auch daran, dass es eine »helle Tiefe« besitzt (OD: 35), die nicht von dem aus dem seitlichen Fenster einfallenden »Licht der Aufklärung« stammt. In Korrespondenz zu dieser differenten Spiegelhelligkeit erscheint auch die Türöffnung, die hinter dem Raum der Repräsentation den Blick auf eine »in sich tobende« »gelbe Helle« freigibt, als ein Art »Durchbruch« hin zu einer ganz anderen Lichtordnung. Vor diesem anderen Licht zeichnet sich eine dunkle, nicht klar erkennbare Figur ab, die wie ein »Emissär jenes verborgenen und evidenten Raums« an der Türschwelle steht (OD: 39) und unbemerkt die Szene aus der Distanz betrachtet. Der Spiegel und die Tür lassen sich somit als »Vorboten« jener neuen Lichtordnung der Moderne interpretieren, die das menschliche Subjekt als sehendes (der Betrachter an der Türschwelle) und gesehenes (das Königspaar) ins Zentrum rücken wird.55
dene Beziehungen zwischen dem Betrachter und der malerischen Darstellung der Welt konstituieren« (Alpers 1992: 132). Während die erste, italienische Darstellungsweise von der Aktivität des Künstlers ausgeht, der die Welt mithilfe der Linearperspektive rekonstruiert, liegt der zweiten, niederländischen Konvention ein »camera obscura«-Modell zugrunde, demzufolge sich das Bild der Welt selbst auf einer Fläche niederschlägt. 53 Abweichend von dieser Lesart wurde das Spiegelbild aber auch als eine Reflexion der für den Betrachter unsichtbaren Vorderseite der Leinwand gedeutet (Stoichita 1986). 54 Nach Harlizius-Klück lassen sich zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen der Funktion des Spiegels in Velásquez’ Las Meninas und Jan van Eycks Hochzeit des Arnolfini ausmachen, das sich zur Zeit der Entstehung des Gemäldes in der Sammlung des spanischen Königs befand (Harlizius-Klück 1995: 76). 55 In seinem unveröffentlichten Seminar XIII geht Lacan ausführlich auf Foucaults Interpretation von Las Meninas ein. Er widerspricht ihm jedoch insofern, als er nicht glaubt, dass es sich dabei um eine Repräsentation der klassischen Logik der vollständigen Repräsentierbarkeit handelt. Stattdessen interpretiert er das Bild als eine malerische Repräsentation der genuinen Nicht-Sichtbarkeit und Nicht-Repräsentierbarkeit, die durch die symbolische Spaltung des sehenden Subjekts entsteht, sowie der Funktion des Bildes als »Vor-
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2.1.2 Die Geburt des modernen Blicks Zu Beginn der Moderne – also am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert – wird der zentrale »Platz des Königs« (OD: 372), welcher in dem Denksystem der »Klassik« eine strukturelle Leerstelle markierte, von einer neuen epistemologischen Gestalt »aus Fleisch« besetzt (OD: 377): dem Menschen, der nun zum Maß aller Dinge gemacht wird. Nach Foucault ist diese »königliche« Position jedoch insofern ambivalent, als der Mensch in der modernen Episteme nicht nur als ein souveräner Begründer der Erkenntnis in Erscheinung tritt, der alle Fäden des Wissens und der Repräsentation in der Hand hält, sondern zugleich selbst zu einem nicht einsehbaren empirischen Ding wird, das auf seine genuine Endlichkeit und heteronome Bedingtheit hin befragt werden muss. Der moderne Mensch findet sich demnach in der paradoxen Situation wieder, zugleich Subjekt und Objekt seiner eigenen Erkenntnis, »unterworfener Souverän« und »betrachteter Betrachter« zu sein (OD: 377). Dieses neue »historische Apriori« des Menschen (OD: 413) führt Foucault darauf zurück, dass Ende des 18. Jahrhunderts die metaphysische Begründung des Denkens und die repräsentationalistische Einheitswissenschaft der »mathesis universalis« an Boden verlieren.56 Denn solange das Denken und die Sprache als transparente Medien verstanden wurden, durch die sich das Sein der Dinge ohne Verzerrungen abbilden lässt, stellte das subjektive Bewusstsein kein erkenntnistheoretisches Problem dar – im Gegenteil: Im »klassischen« Denken war es gerade die analytische Vernunft, die aufgrund ihrer göttlichen Bestimmung die eigentliche Ordnung der Dinge einsichtig machen konnte.57 Demgegenüber treten zu Beginn der Moderne zwei neue, miteinander verschränkte Problemfelder zu Tage, die Foucault zufolge letztlich den anthropologischen Diskurs begründen werden (OD: 300ff.): die wissenschaftliche Frage nach der unergründlichen »Tiefe« der empirischen
stellungsrepräsentanz« (Freud) oder »Objekt klein a«, das diesem Nichtrepräsentierbaren eine imaginäre Gestalt verleiht (Lacan 1966). 56 »Ende des 18. Jahrhunderts verlor der Diskurs die ordnungsstiftende Rolle, die er im klassischen Wissen gespielt hatte. Es bestand keine Transparenz mehr zwischen der Ordnung der Dinge und der Ordnung ihrer möglichen Repräsentationen; die Dinge zogen sich gleichsam auf ihre eigene Dichte und das Erfordernis zurück, sie von außen zu repräsentieren […]. Angesichts dieser Tatsache, in der Lücke, die der Diskurs hinterlassen hatte, konstituierte sich der Mensch […].« (DE1/34: 648f.) 57 Allerdings haben einige Foucault-Interpreten darauf hingewiesen, dass sich die Subjektphilosophie bereits in dem klassischen Zeitalter ankündigt, so dass Foucaults These eines epistemologischen Bruchs zwischen »Klassik« und Moderne etwas überspitzt erscheint (Frank 1984: 179f.; Schneider 2004: 75).
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Dinge auf der einen und die transzendentalphilosophische »Analyse der Endlichkeit« des menschlichen Bewusstseins auf der anderen Seite. So lässt sich in allen von Foucault analysierten Wissensgebieten – der Naturgeschichte, der Analyse der Reichtümer und der Grammatik – eine neue epistemologische Haltung beobachten, die nach den Funktionen (OD: 270), Organisationsstrukturen und genetischen Kräften fragt, die unter der sichtbaren Oberfläche der Dinge liegen. Die zu analysierenden Entitäten werden also nicht mehr als klar lesbare Gestalten angesehen, sondern als rätselhaften Erscheinungen, deren wahres Sein in den undurchsichtigen Tiefen »ihrer geheimen Aderung (nervures)« (OD: 295) verborgen liegt und somit dem Sehen, Denken und Sprechen nicht unmittelbar zugänglich ist.58 »So erfindet die europäische Kultur die Tiefe, in der nicht mehr von Identitäten, unterscheidenden Merkmalen, zusammenhängenden Tafeln mit all ihren Wegen und möglichen Bahnen, sondern von großen verborgenen Kräften, die von ihrem ursprünglichen und unzugänglichen Kern her entwickelt sind, und vom Ursprung, von der Kausalität und der Geschichte die Rede sein wird.« (OD: 308)
In diesem Sinne wandelt sich die klassische Naturgeschichte zu einer Biologie, die in den Körpern nach der ungreifbaren Kraft des Lebens59 und den Funktionsweisen des Organismus sucht. Und ebenso transformiert sich die »klassische« »Analyse der Reichtümer« in eine Ökonomie, in der die wirtschaftlichen Prozesse auf die Bedürfnisse der Menschen sowie ihre Arbeitskraft und -zeit rückgebunden werden. Schließlich – und das ist für Foucault die zentrale Veränderung, die den Glauben an den »absoluten Diskurs« der »Klassik« endgültig zum Einsturz bringt – löst sich die Sprachanalyse aus ihrer Umklammerung mit der philosophischen Erkenntnistheorie und wird zur empirischen Wissenschaft der Philologie. Im Kreuzpunkt dieser wissenschaftlichen Verschiebungen – so Foucaults These – kündigt sich bereits die humanwissenschaftliche Perspektive an, die den erkennenden Menschen als ein lebendes, arbeitendes und sprechendes Wesen untersuchen wird (OD: 377). Neben der Entdeckung der Tiefe in den empirischen Wissenschaften kann Foucault zufolge auch der subjekt- und bewusstseinsphilosophische Diskurs des
58 Foucault zufolge befördert dieses »Denken der Tiefe« das Entstehen sowohl der »Metaphysiken des Objekts«, d.h. beispielsweise der Lebensphilosophie, als auch des Positivismus, der »sich allein die Beobachtung genau dessen zur Aufgabe macht, was einer positiven Erkenntnis gegeben wird« (OD: 302). 59 Der Vitalismus ist für Foucault lediglich eine Form, in der sich diese fundamentale archäologische Verschiebung zu einer biologische Neubewertung des Lebens äußert (OD: 287).
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späten 18. Jahrhunderts als ein zentraler Entstehungsherd des modernen Anthropozentrismus gelten. Als wichtigsten Protagonisten dieser neuen Denkströmung identifiziert er Immanuel Kant, der mit seiner »kopernikanischen Wende« dem klassischen Repräsentationsdenken eine endgültige Absage erteilte.60 Denn im Unterschied zu Descartes nimmt Kant keineswegs an, dass sich die mentalen Repräsentationen mit der empirischen Welt decken. Er geht vielmehr davon aus, dass das, was tatsächlich wahrgenommen, vorgestellt und gedacht wird, von der aktiven Syntheseleistung der »transzendentalen Erkenntniskräfte« abhängt.61 Das konkrete »Ding an sich«, welches das klassische Denken noch umstandslos zu erkennen glaubte, ist somit niemals unmittelbar einsichtig. Es erreicht das subjektive Bewusstsein allein in Gestalt des Dings »für uns«, d.h. als Erscheinung, die vermittels der apriorischen Anschauungsformen Raum und Zeit und der Verstandesbegriffe (Kategorien) konstituiert wird.62 Das archäologisch Gemeinsame dieser beiden Ansätze – der modernen Wissenschaften auf der einen und der kantischen Transzendentalphilosophie auf der anderen Seite – liegt für Foucault darin, dass sie aus je unterschiedlicher Perspektive die Korrespondenz von menschlicher Repräsentation und empirischer Dingwelt in Frage stellen und stattdessen eine genuine Nicht-Erkennbarkeit zur Grundlage aller möglichen Erkenntnis erheben (Hemminger 2004: 93). So gehen die empirischen Wissenschaften davon aus, dass es auf Seiten der Dinge eine Art »objektive Transzendentalie« (OD: 302) gibt – wie etwa das Leben, die Arbeit und die Sprache –, die sich empirisch nicht erfassen lässt,63 während Kant umgekehrt bei dem »transzendentalen Ich« ansetzt, dessen endliches oder begrenztes Bewusstsein nicht dazu in der Lage ist, zu den »Dinge an sich« vorzudringen. Sowohl in den empirischen Wissenschaften als auch in der Transzendentalphilosophie wird also eine fundamentale Trennung zwischen Erkenntnissubjekt und -objekt vollzogen – sei es auf-
60 Foucault hatte seine grundlegenden Überlegungen zu Kant und dem modernen Anthropozentrismus bereits in seiner Thèse complémentaire über Kants Anthropologie (KA) entwickelt. 61 Im Unterschied zu der »analytischen Vernunft« des klassischen Denkens, das zwischen Synthesis und Analyse nicht unterscheidet, kann also die Moderne auch als ein Zeitalter der »synthetischen Vernunft« verstanden werden (Frank 1984: 172). 62 Dass trotz dieser Einschränkung objektiv gültige Erkenntnisse a posteriori möglich sind, beruht letztlich auf dem transzendentalphilosophischen Grundsatz, dass »die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt […] zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung [sind]« (Kant: KrV, B: 197). 63 Die objektiven Transzendentalien betreffen im Unterschied zu Kants transzendentalem Feld das Gebiet der Wahrheiten a posteriori.
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grund der objektiven Transzendentalien der Dinge oder der transzendentalen Bedingungen des menschlichen Erkenntnisvermögens. Foucaults zentrale archäologische These besagt nun, dass diese doppelte Einsicht in die Beschränktheit der empirischen Erkenntnis letztlich den Anthropologismus in der postkantischen Philosophie befördert habe. Dieser zeichne sich durch drei zentrale Aporien aus: die Empirisierung des Transzendentalen (1), die Spannung zwischen Gedachtem und Ungedachtem (2) sowie die Suche nach den historischen Ursprüngen des Seins (3). Zu (1): Die Empirisierung des Transzendentalen: In der Foucault’schen Lesart gehört zu den wichtigsten Merkmalen des anthropologischen Diskurses, dass er Kants kritische Bestimmung der wahren Erkenntnis der Natur auf die wahre Erkenntnis der menschlichen Natur umzubiegen versucht und somit beide an sich unvereinbaren Positionen miteinander kombiniert. Die anthropologische Perspektive zielt mit anderen Worten darauf ab, die transzendentalen Bedingungen der Erkenntnis, die Kant noch rein apriorisch ableitete, empirisch zu konkretisieren und somit das erkennende Subjekt selbst zu einer objektiven Transzendentalie zu machen (Quadflieg 2006: 111). Aber gerade diese Vermischung von Transzendentalem und Empirischem lastet Foucault dem anthropologischen Denken negativ an. Denn eine solche »Empirisierung« der Bewusstseinsphilosophie ignoriert Kants kritizistische Grundannahme, der zufolge das »transzendentale Ich« niemals als ein empirisch erfahrbares »ich bin« verstanden werden kann,64 und verstrickt sich somit zwangsläufig in einen unauflöslichen Zirkelschluss, wonach die Erkenntnis der empirischen Erfahrungs- und Erkenntnisbedingungen ihrerseits von der empirisch bedingten Erfahrung des Subjekts abhängt. In dem modernen anthropologischen Diskurs erscheint der Mensch somit als eine »empirisch-transzendentale Dublette« (OD: 384), die einerseits von den empirischen Wesenheiten – wie dem Leben, der Arbeit und der Sprache – begrenzt und bedingt wird, andererseits aber ihre genuine Fähigkeit, zu erkennen und allgemeingültige Urteile zu fällen, aus eben jener empirischen »Endlichkeit« schöpft.65
64 Vgl. Kant: KrV, B: 277: »Folglich ist die Vorstellung: ich bin, die das Bewußtsein ausdrückt, welches alles Denken begleiten kann, das, was unmittelbar die Existenz eines Subjekts in sich schließt, aber noch keine Erkenntnis desselben, mithin auch nicht empirische, d.i. Erfahrung«. 65 Ein empirisch-transzendentaler Ansatz zeigt sich in so unterschiedlichen Ansätzen wie dem Comte’schen Positivismus, der die Erkenntnis auf die anatomisch-physiologischen Bedingungen des Körpers zurückführt und dem eschatologischen Modell von Marx, der das menschliche Bewusstsein als ein von gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen bedingtes und damit entwicklungsfähiges versteht (OD: 385ff.). Aber auch die phänomenologische »Analyse des Erlebten«, die sich als dritter Weg zwischen positivis-
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»Für das moderne Denken begründet die Positivität des Lebens, der Produktion und der Arbeit (die ihre Existenz, ihre Historizität und ihre eigenen Gesetze haben) als ihre negative Korrelation den begrenzten Charakter der Erkenntnis. Und umgekehrt begründen die Grenzen der Erkenntnis positiv die Möglichkeit zu wissen, wenn auch in einer stets begrenzten Erfahrung, was das Leben, die Arbeit und die Sprache sind.« (OD: 382)
Zu (2): Das Gedachte und das Ungedachte: Diese Empirisierung des Transzendentalen impliziert zudem, dass das menschliche Bewusstsein stets als Effekt eines zu explizierenden Ungedachten verstanden wird. Denn wenn das Bewusstsein des Menschen von den nicht-erkennbaren objektiven Transzendentalien – der Sprache, des Begehrens oder des Lebens – ursächlich bedingt wird, kann es nie mit sich selbst identisch werden. Um das wahre Sein des Menschen erkennen zu können, bedarf es daher der paradoxen Bemühung, dieses nichtgedachte »Andere« zu explizieren und so in ein bewusstes »Gleiches« zu überführen.66 »Das ganze moderne Denken ist von dem Gesetz durchdrungen, das Ungedachte zu denken, in der Form des Für sich die Inhalte des An sich zu reflektieren, den Menschen aus der Entfremdung zu befreien, indem man ihn mit seinem eigenen Wesen versöhnt, den Horizont zu erklären, der den Erfahrungen ihren Hintergrund der unmittelbaren und entwaffnenden Evidenz gibt, den Schleier des Unbewußten zu lüften, sich in seinem Schweigen zu absorbieren oder das Ohr auf sein unbegrenztes Gemurmel zu richten.« (OD: 394)
Foucault zufolge sind jedoch alle diese Ansätze, das Andere in ein Gleiches zu überführen – sei es der Marxismus, die Husserl’sche Phänomenologie oder die Freud’sche Psychoanalyse – insofern zum Scheitern verurteilt, als sie die Grenzen
tischer Reduktion und eschatologischer Verheißung anbietet, zählt Foucault zu den »Diskurs[en] gemischter Natur« (OD: 388), da sie sich in ihrer Bestimmung des Subjekts an eine »doppeldeutige« Schicht wendet, die weder rein empirisch noch rein bewusstseinsmäßig ist, und somit in einer unendlichen Oszillation hängenbleibt (OD: 405). 66 Dreyfus/Rabinow erläutern diesen Zusammenhang wie folgt: »Sein Gebrauch einer Sprache, die er nicht beherrscht, sein Bewohnen eines lebendigen Organismus, den sein Denken nicht gänzlich durchdringt, und die Begehren, die er nicht zu kontrollieren vermag, sollen zur Grundlage seiner Fähigkeit, zu denken und zu handeln werden. Ist der Mensch sich selbst gegenüber intelligibel, so muß dieses Ungedachte letztlich dem Denken zugänglich und vom Handeln beherrschbar sein; sofern jedoch dieses Ungedachte in seiner Dunkelheit gerade die Möglichkeitsbedingung des Denkens und Handelns ist, kann es nie völlig in das Cogito eingehen.« (Dreyfus/Rabinow 1987: 59)
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zwischen Gedachtem und Nicht-Gedachtem nur verschieben, aber nicht auflösen können.67 Zu (3): Die Suche nach den historischen Ursprüngen des Seins: Foucault identifiziert schließlich einen dritten unlösbaren Problemkomplex des modernen Denkens: die Frage nach dem historischen Ursprung des menschlichen Seins. Diese Frage stellt sich dem anthropologischen Denken insofern, als der Mensch in dieser Perspektive stets als ein in die Welt »geworfenes« (Heidegger) Wesen verstanden wird – also als ein Wesen, dessen Existenz oder »Dasein« von innerweltlichen Bedingungen geformt wird, die ihm zeitlich notwendigerweise vorausgehen. Aus anthropologischer Sicht findet das Denken somit stets vor dem »Hintergrund eines bereits Begonnenen« (OD: 398) statt und kann daher seinen eigenen ontologischen Anfang nicht erfassen.68 »Das Ursprüngliche im Menschen [ist] das, was von Anfang an ihn nach etwas anderem gliedert als ihm selbst. Er ist das, was in seiner Erfahrung Inhalte und Formen einführt, die älter sind und die er nicht beherrscht.« (OD: 399) Foucault zeichnet zwei Richtungen nach, in denen sich diese philosophische Denkfigur des Historischen im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts weiterentwickelt hat: Entweder wurde der Mensch als ein von den »fremden« Historizitäten der Dinge beherrschtes heimatloses »Wesen ohne [eigenen] Ursprung« angesehen (OD: 400)69 oder aber – und dem komplementär entgegengesetzt – als diejenige privilegierte Instanz verstanden, die die Zeit der Dinge rekonstruieren und vermittels dieser Selbstaneignung die zukünftige Wiederkehr des Ursprungs bewirken kann (OD: 400f.). Diese drei Aporien – die Empirisierung des Transzendentalen, die Spannung zwischen Gedachtem und Ungedachtem sowie die Suche nach dem historischen Ursprung des Seins – kennzeichnen aber nicht nur die postkantische Philosophie. Sie wurden darüber hinaus auch von den modernen Humanwissenschaften – d.h.
67 Über Foucault hinausgehend expliziert Dirk Quadflieg dieses Doppel des Gedachten/ Ungedachten am Beispiel von Hegels Phänomenologie des Geistes (Quadflieg 2006: 79ff.). 68 Dreyfus/Rabinow zufolge bezieht sich Foucault hier auf Heidegger, der u.a. in Vom Wesen der Wahrheit (1943) nach einem ursprünglichen Denken sucht, das das Sein nicht vom Seienden her denkt, wie es die Philosophie seit Permenides tut (Dreyfus/Rabinow 1987: 62ff.). Allerdings muss sich Heidegger eingestehen, dass ein solches Denken für uns deshalb nicht zugänglich ist, weil unsere Sprache stets in der Sprache dieser »ontotheologischen« Philosophie verhaftet bleibt. 69 So ist Quadflieg zufolge beispielsweise in Freuds und Heideggers Denken das Motiv einer fundamentalen Heimatlosigkeit des Menschen angelegt (Quadflieg 2006: 94, Anm. 122).
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der Psychologie, der Soziologie sowie der Kultur- und Ideengeschichte70 – aufgegriffen und in ihr eigenes analytisches Programm integriert. Die zentrale und zugleich »gefährliche« (OD: 417) Bedeutung jener Wissenschaften liegt Foucault zufolge darin, dass sie die philosophische »Empirisierung« des Transzendentalen im Bereich der empirischen Wissenschaften wiederholen, aber dabei das »fundierende ›Sein des Menschen‹, das in der philosophischen Reflexion zum Problem wird, unbefragt als ›objektive Synthese‹ voraussetzen« müssen und somit zum »Vollstrecker eines erkenntnistheoretischen Trugschlusses« werden (Quadflieg 2006: 114, 115).71 Das heißt, dass sich die Humanwissenschaften im Unterschied zur Philosophie nicht mit der grundlegenden und letztlich unlösbaren Frage auseinandersetzten, wie und in welchem Ausmaß das menschliche Denk- und Erkenntnisvermögen von empirischen Determinanten bedingt ist, sondern schlichtweg davon ausgehen, dass sich das »Sein des Menschen« aus den empirischen Feldern des Lebens, der Arbeit und der Sprache ableiten lässt. Nach Foucault »verdoppeln« also die Humanwissenschaften die empirischen Diskurse der Biologie, der Ökonomie und der Philologie, aber biegen diese insofern auf die philosophische Analytik der Endlichkeit zurück (OD: 424), als sie stets nach dem menschlichen Sinnverstehen fragen (OD: 433): Wie bildet der lebendige, arbeitende und sprechende Mensch ein (zu weiten Teilen unbewusstes) Wissen über sein (gesellschaftliches und historisches) Dasein aus und wie lässt sich dieses Wissen beschreiben (OD: 425)? So fragt erstens die Psychologie in Verdoppelung der Biologie, wie der Mensch aufgrund seiner physiologischen und psychischen Funktionen auf bestimmte externe (physiologische, soziale und kulturelle) Stimuli reagiert, zweitens untersucht die Soziologie in Verdoppelung der Ökonomie, wie das arbeitende, produzierende und konsumierende Individuum seine eigenen Interessen verfolgt, dabei aber von einem gesellschaftlichen Normsystem reguliert wird, und drittens untersucht die Analyse der Literaturen und Mythen in Verdoppelung der Philologie die Bedeutungen der verschiedenen Äußerungen des menschlichen Verhaltens und welche Systematik ihnen zugrunde liegt (OD: 428). Die Humanwissenschaften untersuchen mit anderen Worten, wie die verschiedenen objektiven Transzendentalien (das Leben, die Arbeit, die Sprache) von dem Menschen erfahren werden (als Funktionen, Interessenkonflikt, als Bedeutung) und – analog zur philosophischen Analyse des Ungedachten – welche empirisch zu analysierenden überindividuellen, d.h. nicht erfahrbaren Mechanismen (die Norm, die
70 In Die Geburt der Klinik interpretiert er allerdings die moderne Medizin als die erste Wissenschaft, die das »Sein des Menschen« zum Gegenstand der empirischen Erkenntnis macht (GK: 208f.). 71 Da die Humanwissenschaften also ihre eigene wissenschaftliche Grundlage – den Menschen – nicht ausreichend objektivieren können, spricht ihnen Foucault jegliche Wissenschaftlichkeit ab (OD: 439).
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Regel, das System) diesem Verstehen zugrunde liegen (OD: 435). Dabei ist die Suche nach diesem nichtgedachten Untergrund der positiven Erscheinungen auch in den Humanwissenschaften mit einer grundlegenden historischen Perspektive verknüpft (OD: 439), die aber anders als die moderne Philosophie nicht nach den absoluten Ursprüngen des Seins sucht, sondern sowohl die geistig-intellektuelle Entwicklung des Menschen als auch die historischen Veränderungen den äußeren Entitäten nachzeichnet, die diese Entwicklung bedingen.72 Im Unterschied zu seiner relativ ausführlichen Darstellung der modernen Biologie, Ökonomie und Philologie, denen er jeweils ein eigenes Unterkapitel widmet, analysiert Foucault in Die Ordnung der Dinge die humanwissenschaftlichen Theorien und empirischen Methoden nicht eingehender, so dass seine historisch-archäologische Charakterisierungen und Thesen an dieser Stelle recht abstrakt und spekulativ erscheinen. Dafür lassen sich aber sowohl in seinen früheren Schriften Wahnsinn und Gesellschaft und Die Geburt der Klinik als auch in seinen Abhandlungen und Vorlesungen der 1970er Jahre einige detailliertere Betrachtungen zum humanwissenschaftlichen Wissen finden. Allerdings konzentriert er sich darin fast ausschließlich auf die frühe »Sozialmedizin« und das psychiatrische Wissen und lässt dabei die anderen humanwissenschaftlichen Disziplinen – wie etwa die Soziologie, die Ethnologie oder die Ideengeschichte – weitgehend außer Acht.73 Dieses Interesse für den medizinischen Zweig der Humanwissenschaften steht mit der machttheoretischen Wende seines analytischen Programms im Zusammenhang. Anstatt das moderne Denken allein auf seine epistemologischen Ordnungen hin zu untersuchen, geht es ihm nun darum, die (humanwissenschaftliche) Wissenspro-
72 Nach Foucault bringt gerade die Historisierung des Menschen die Humanwissenschaften ins Wanken, da sie auch die universale Gültigkeit ihrer eigenen (selbst historisch bedingten) Methoden, Theorien und Ergebnisse und damit die Denkfigur des Menschen als universales Objekt des Wissens untergräbt (OD: 444): »Die positive Erkenntnis des Menschen wird durch die historische Positivität des Subjekts, das erkennt, begrenzt, so daß der Augenblick der Endlichkeit in dem Spiel einer Relativität aufgelöst wird, der zu entgehen nicht möglich ist und die selbst als ein Absolutes gilt.« (OD: 446) 73 Wie Nikolas Rose betont, hat die moderne Sozialmedizin, die Anfang des 19. Jahrhunderts umfassende Vorsorgeprogramme und Hygienestandards einführte, um die Gesundheit der nationalen Bevölkerung zu steigern, den Grundstein des soziologischen Wissens gelegt: »And, from both grand enquiries into the health of populations and less flamboyant local and municipal collections of information on cases, diagnoses, addresses and districts, a ›medicological‹ space of society, of its health and sickness, of the relations of these of housing, to moral habits, to types of labour and the like. Thus it is medicine as much as philosophy which will provide the foundation of the ›positivist‹ sociology and social statistics of the nineteenth century.« (Rose 1994: 56)
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duktion und insbesondere die umfassende »Medizinierung« und »Biologisierung« des sozialen Lebens als Technologien der modernen Biomacht zu entlarven.74 Im Unterschied zu dieser klaren Kritik an dem medizinisch-psychiatrischen Macht-Wissens-Komplex hatte Foucault die Humanwissenschaften in Die Ordnung der Dinge aber noch nicht durchweg negativ bewertet. Vielmehr vermeint er in ihren innerdiskursiven Verschiebungen eine gewisse Auflösungstendenz zu entdecken, die schließlich den Menschen als eine in sich geschlossene positive Einheit in Frage stellen wird. So stellt er fest, dass sich der humanwissenschaftliche Diskurs im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts von der Medizin als Leitdiskurs verabschiedet und sich statt dessen zunächst stärker am ökonomischen Paradigma (Marx) und schließlich am philologischen Modell orientiert, welches sich stärker für die überindividuellen Regeln und Strukturen der Existenz als für den Wesenskern des Menschen interessiert. In diesem Sinne schließt Foucault seine Archäologie der modernen Episteme mit einem Ausblick auf drei post-anthropologische »Gegenwissenschaften« – der strukturalen Psychoanalyse,75 der Ethnologie und der Linguistik –, die insofern das moderne Denken aus seinem »anthropologischen Schlaf« zu erwecken versprechen (OD: 411), als sie von einer positiven Bestimmung des Menschen als einem sinnverstehenden Wesen absehen und stattdessen ihre Analyse auf jene ungedachten (historischen) Mechanismen verlagern, die sein Dasein und sein Selbstverständnis von außen strukturieren: dem Unbewussten, dem kulturellen Regelsystem und der Sprachstruktur.
74 Bereits in Die Geburt der Klinik hatte Foucault darauf hingewiesen, dass die Medizin im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts zu einem zentralen Zweig der öffentlichen Fürsorge wird, deren oberstes Ziel die »Gesundheit der Bevölkerung« darstellt (GK: 54). Und ebenso geht er in seinen späteren machtanalytischen Arbeiten der Frage nach, wie die psychologische Diskursivierung »normaler« Sexualität bzw. sexueller Perversion mit der Disziplinierung des Subjekts und der biopolitischen Regulierung der Bevölkerung zusammenhängt (WW), wie der kriminologisch-juristische Diskurs mithilfe der medizinischen Kategorie des »Anormalen« die Identifizierung und Ausgrenzung von »gefährlichen« bzw. »degenerierten« Individuen legitimiert (AN, VG) oder wie mithilfe medizinisch-physiologischer Zurichtungsprozeduren das Subjekt für den kapitalistischen Produktionsapparat nutzbar gemacht werden kann (ÜS). Von feministischer Seite wurde kritisch angemerkt, dass Foucault die geschlechtliche Definition des Menschen in den Humanwissenschaften vernachlässigt (Honnegger 1991). 75 Allerdings relativiert Foucault u.a. in Der Wille zum Wissen das Potential der Psychoanalyse, die humanwissenschaftliche Konstruktion des Menschen zu unterlaufen, und zählt nun die psychoanalytische Methode des »Geständniszwangs« zu den zentralen biopolitischen Machttechnologien.
84 | DIE P RAXIS DES S EHENS »Sie [die Psychoanalyse und die Ethnologie, S.P.] können nicht nur auf den Begriff des Menschen verzichten, sondern sie können ihn nicht einmal durchdringen, denn sie wenden sich stets an das, was seine äußeren Grenzen bildet. Man kann von beiden sagen […], daß sie den Menschen auflösen.« (OD: 453)
Vor dem Hintergrund dieser archäologischen Herleitung eines post-anthropologischen Denkens, das die Diskursfigur des Menschen wie »ein Gesicht im Sand« fortspült (OD: 462), lässt sich auch Foucaults eigener Ansatz besser einordnen: Denn da die Diskursanalyse explizit darauf abzielt, das »positive Unbewusste« (OD: 11) oder das »historische Apriori« einer Zeit aus ihren diskursiven Ordnungen abzuleiten, kann sie ebenfalls als der Versuch einer solchen »Gegenwissenschaft« verstanden werden, die anstelle des »Seins des Menschen« das historische »Sein der Sprache« als die zentrale historische Bedingung des Denkens (wieder-)einsetzt76 und damit Kants kritisches Projekt77 in veränderter Ausrichtung wieder aufnimmt. 2.1.2.1 Undurchsichtigkeiten und Tiefen Mit der anthropozentrischen Diskursordnung der Moderne, die sich mit den undurchsichtigen »Tiefen« der Erkenntnisgegenstände auf der einen und der Endlichkeit des erkennenden Subjekts auf der anderen Seite konfrontiert sieht, verschieben sich auch die epistemologische Konzeption von visueller Evidenz sowie die damit verbundenen Praktiken wissenschaftlicher Beobachtung. So wird die Welt nunmehr als eine genuin intransparente Realität angesehen, die sich der vollständigen mentalen sowie sprachlichen und bildlichen Repräsentation entzieht und somit auch nicht mehr über die Analyse ihrer visuellen Oberflächen entziffert werden kann. Zudem
76 Für Foucault kann der Mensch als epistemologische Figur nur dann entstehen, wenn die Sprache nicht mehr als das zentrale Medium der Bedeutungsgenese und Repräsentation fungiert. So ist der Mensch erst zu dem Zeitpunkt als Erkenntnisobjekt aufgetreten, als der »klassische« Glaube an einen »absoluten Diskurs« und die totale Repräsentierbarkeit der Welt schwindet. Foucaults eigener nach-moderner Diskursbegriff kann somit als eine Art Wiederbelebung eines »absoluten Diskurses« verstanden werden, die sich allerdings von der Idee der Transparenz verabschiedet hat und stattdessen die vollständige Opazität des Diskurses betont, welche erst die grundlegenden Parameter stiftet, durch die die Welt als solche gesehen wird. »Der Mensch war eine Gestalt zwischen zwei Seinsweisen der Sprache gewesen.« (OD: 461) 77 Demgegenüber wurde allerdings von Dreyfus/Rabinow kritisch eingewandt, dass auch die Archäologie Züge des von Foucault kritisierten »Diskurses gemischter Natur« aufweist, da sie ebenfalls in der Regelmäßigkeit einer empirischen Ordnung (den Aussageformationen) die fundamentale Bedingung der Möglichkeit des Denkens und Wissens sucht (Dreyfus/Rabinow 1987: 119).
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tritt ein neues Erkenntnisobjekt auf den Plan, das ganz neue Formen der Beobachtung bedarf: der Mensch als »transzendental-empirische Dublette«. Foucault selbst hat die modernen Techniken der visuellen Wissensproduktion allerdings nur für den naturwissenschaftlichen (OD) und medizinischen Diskurs (GK) charakterisiert und die visuelle Ordnung des humanwissenschaftlichen Wissens – trotz dessen zentraler Bedeutung für die moderne Episteme – fast vollkommen außer Acht gelassen.78 Im Folgenden werden daher Foucaults eigene Ausführungen zum biologischen und medizinischen Blick um eine kurze Rekapitulation der humanwissenschaftlichen Beobachtungs- und Visualisierungstechniken ergänzt. Foucaults archäologischer Erzählung zufolge verabschiedet sich die Biologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts vollends von dem Anspruch, die taxonomische Ordnung aller natürlichen Wesen – d.h. belebter sowie unbelebter – in einem einzigen kontinuierlichen Tableau abzubilden (OD: 328), und führt eine strikte Trennung zwischen der anorganischen Materie auf der einen und den organischen Lebewesen auf der anderen Seite ein.79 Foucault führt diese endgültige diskursive Wende hin zur »epistemologischen« Figur des Lebens (und des Todes) auf die Arbeit von Georges Cuvier (1796-1832)80 zurück, der die Methode der vergleichenden Anatomie in die Biologie einführte, um die funktionalen Ähnlichkeiten der lebenden Organismen herauszuarbeiten. Cuviers zentrale These besagt, dass sich die Lebewesen trotz unterschiedlicher Gestalten in dem Aufbau und der strukturellen Beziehung ihrer Organe grundsätzlich entsprechen können. Im Gegensatz zur klassischen Na-
78 Allein in Der Wille zum Wissen verweist er kurz auf die »Beobachtungstechniken« in der Salpetrière Charcots (WW: 72). Darüber hinaus mag zwar auch die panoptische Gefängnisarchitektur im weitesten Sinne zu den humanwissenschaftlichen Beobachtungstechniken zählen; da es hier aber nicht in erster Linie darum geht, ein Wissen zu generieren, sondern die Subjekte zu disziplinieren, soll der Panoptismus an dieser Stelle noch nicht diskutiert werden. 79 Diesem Schritt ist eine »erste Phase« der Biologie vorangegangen, die Foucault mit den Arbeiten von Antoine Laurent de Jussieu (1748-1836), Félix Vicq d’Azyr (1748-1794) und Jean-Baptiste de Lamarck (1744-1829) in Verbindung bringt. Diese frühe Biologie stellt das Prinzip der Klassifikation noch nicht grundsätzlich in Frage (OD: 279), aber sucht das zu bestimmende »wesentliche Merkmal« der Pflanzen und Tiere sowie die klassifikatorischen Kriterien von Identität und Differenz nunmehr in der Organisation und hierarchischen Gliederung der zentralen Lebensfunktionen, die in der dreidimensionalen »Tiefe des Körpers« liegen (OD: 282) und daher den Blicken entzogen sind. 80 Allerdings kritisiert Müller an dieser Darstellung, dass gerade Cuvier zu dem »Programm einer realistisch begründeten Taxonomie« zurückkehrt und somit gar nicht als ein Gewährsmann für den Bruch mit der klassischen Diskursordnung angesehen werden kann (Suárez Müller 2004: 585).
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turgeschichte, die die Taxonomie der Lebewesen allein aus ihren äußeren Analogien ableitete, interpretiert Cuvier die visuelle Erscheinung der Pflanzen und Tiere lediglich als ein sekundäres Strukturmerkmal, das dem fundamentaleren Charakteristikum der organischen Funktion nachgeordnet ist. »Je mehr man ausgedehnte Gruppen erreichen will, desto mehr muß man sich in das Dunkle des Organismus, hin zum wenig Sichtbaren, in jene Dimensionen, die dem Wahrgenommenen entgeht, hineingraben. Je mehr man die Individualität einkreisen will, desto mehr muß man an die Oberfläche zurückgehen und in ihrer Sichtbarkeit die vom Licht berührten Formen aufleuchten lassen; denn die Multiplizität wird gesehen und die Einheit ist verborgen.« (OD: 327)
Eine ähnliche »epistemologische Reorganisation« (GK: 206) der Sichtbarkeiten erfährt auch der medizinische Diskurs, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts genauso wie die moderne Biologie von der Klassifikation der Arten Abstand nimmt, um hinter den Körperoberflächen zu den Tiefen des Lebens, dem Geheimnis des Todes und der Funktion der körperlichen Organismen vorzudringen. Diese diskursive Hinwendung zu der unsichtbaren »Tiefendimension« des menschlichen Körpers assoziiert Foucault insbesondere mit der pathologischen Anatomie von Xavier Bichat (1771-1802), die sich erstmals dem menschlichen Körper als einem räumlich organisierten, lebenden Organismus zuwendet (GK: 137ff.). In einer solchermaßen »verräumlichten« Perspektive erscheint die Krankheit nicht mehr länger als eine in sich geschlossene Entität, sondern als eine aktive unbarmherzige Kraft, die sich durch die gesamten Organe und Gewebeschichten hindurchfrisst (GK: 143ff.), ohne zwangsläufig nach außen hin sichtbare Spuren zu hinterlassen. Die Symptome verlieren mit anderen Worten ihre »Transparenz« und werden nunmehr als ungenaue Hinweise auf eine dahinter liegende unsichtbare Wahrheit des kranken Körpers interpretiert (GK: 172f.), die weiterer diagnostischen Praktiken – wie beispielsweise dem Abtasten oder dem Abhören – bedarf. Wie Foucault nachdrücklich betont, ist damit aber keinesfalls einer Infragestellung des Okularzentrismus verbunden. Ganz im Gegenteil: Die neuen auditiven und taktilen Untersuchungsmethoden sind vielmehr als vorläufige Stellvertreter jenes endgültigen anatomischen Blicks zu verstehen, der erst nach dem Eintreten des Todes die volle Wahrheit mit dem Skalpell herauspräparieren kann:81 »In der Nacht des Lebens werden die Dinge nur abgetas-
81 Zur sekundären Rolle der Stethoskops in der klinischen Erkenntnis schreibt Jens Lachmund: »Pathologische Anatomie bedeutet zuallererst die epistemische Privilegierung des Sehsinns in der Konstruktion der Krankheit. Die Regeln der Untersuchung zwischen dem Wahren und dem Falschen knüpfen sich vollkommen an das durch die technischmanipulative Beherrschung der Leiche erzeugte sichtbare Phänomen. […] Paradoxer-
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tet und belauscht, damit sie verraten, was sie in der weißen Helligkeit des Todes sein werden« (GK: 178). Der moderne anatomische Blick kann also die »Souveränität des Sichtbaren« insofern »umso gebieterischer« für sich einfordern, als er sich »mit der Macht des Todes verbündet« hat (GK: 180). Neben der epistemologischen Reorganisation der biologischen und medizinischen Beobachtungstechniken fand auch in dem neuen humanwissenschaftlichen Diskurs eine breite Auseinandersetzung mit dem Visuellen statt, die hier exemplarisch anhand zweier Themenkomplexe vorgestellt werden soll: der visuellen Typologisierung des »Anderen« in dem kriminologisch-psychiatrischen Diskurs (1) und der physiologischen Untersuchung des menschlichen Wahrnehmungsapparats (2). Zu (1): Die Typologisierung des »Anderen«: In seinen Vorlesungen Die Anormalen und In Verteidigung der Gesellschaft weist Foucault die psychiatrische Kriminologie als einen der wichtigsten diskursiven Ankerpunkte der modernen Biomacht aus. Dies führt er darauf zurück, dass sich das psychiatrisch-kriminologische Wissen nicht aus der allgemeinen Medizin, sondern aus dem sozialmedizinischen HygieneDiskurs entwickelte (AN: 155), dessen Aufgabe es war, die gesundheitlichen Gefahren und Ansteckungswahrscheinlichkeiten innerhalb der Bevölkerung durch rigide Kontrollapparate einzudämmen.82 Zu diesen Gefahren wurde auch die psychische Störung gezählt, die die Kriminologie nicht als eine zu heilende Erkrankung ansah, sondern als eine angeborene Degeneration, der eine Tendenz zur Perversion und Kriminalität innewohnt.83 Mit der kriminologisch-psychiatrischen Figur des anormalen »gefährlichen Menschen« wurde so eine ganze Reihe von körperlichen Merkmalen und alltäglichen Verhaltensweisen unter Verdacht gestellt, denen bis dato weder in der Medizin noch in der Rechtsprechung Beachtung geschenkt worden war
weise ist es jedoch gerade diese Privilegierung des Sichtbaren, die dazu führt, dass dem Gehör in der Diagnose eine ganz neue Bedeutung beigemessen wird: Das pathologischanatomische Sehen findet seine Grenzen, wo es um die Diagnose am Kranken geht. Eine sichere ›Diagnose‹ ist immer nur bei der Autopsie möglich, also nach dem Tode.« (Lachmund 1996: 63) 82 Sarasin liefert eine umfängliche und detaillierte genealogische Analyse zur öffentlichen Hygiene als herrschaftstechnologischem Instrument (Sarasin 2001). 83 In der Kriminologie weitete sich die Psychiatrisierung des Verbrechers im Laufe des 19. Jahrhunderts aus: Während zu Beginn des Jahrhunderts nur die »interesselosen« oder »monströsen« Verbrechen auf psychische Störungen oder eine allgemeine Degeneriertheit zurückgeführt wurden, wurden später auch weniger auffällige kriminelle Verhaltensweisen als Ausdruck einer allgemeinen triebgesteuerten »Anormalität« identifiziert (DE3/220: 574).
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(AN: 309).84 Um diese geringfügigen Abweichungen möglichst schnell, genau und effizient identifizieren zu können, wurden spezifische Beobachtungs- und Messtechniken entwickelt, die sich an der statistischen Biometrie85 und insbesondere der Physiognomik und Phrenologie orientierten.86 »Die Bedeutung liegt darin, dass man diesen Unglücklichen [den Verbrecher, S.P.] […] auf die Maße seines Schädels und den Knochenbau seines Gesichts hin zu untersuchen begann, dass man seine Anatomie nach möglichen Zeichen der Degeneration musterte, ihn zum Sprechen brachte und nach seinen Gedanken, Gefühlen und Urteilen befragte.« (WW: 45)
84 »Um sich als Macht und Wissenschaft der öffentlichen Hygiene und der sozialen Fürsorge zu rechtfertigen, muss die mit Geisteskrankheiten befasste Medizin zeigen, dass sie in der Lage ist, Gefahren selbst dort wahrzunehmen, wo sie noch kein anderer sehen kann.« (AN: 159) 85 Die von Adolphe Quételet (1796-1894) entwickelte biometrische Theorie des Durchschnittsmenschen basierte auf einer empirisch-quantitativen Erhebung der unterschiedlichen Körpergrößen innerhalb einer homogenen Bevölkerungsgruppe. Dabei machte er die Entdeckung, dass sich der Grenzwert des Häufigkeitsvielecks, das sich aus den unterschiedlich gestreuten Daten ergab, in die glockenförmige Kurve der Gauß’schen Binominalverteilung einschreiben ließ (Canguilhem 1974: 102ff.). 86 Die Physiognomik wurde Ende des 18. Jahrhunderts von dem Theologen Johann Caspar Lavater (1741-1801) entwickelt, der in den Gesichts- und Körperform des Menschen seine Charaktereigenschaften zu erkennen glaubte. Siehe dazu auch Campe/Schneider 1996, Schmölders 1996 sowie Mraz/Schögl 1999. Bereits Lavaters Zeitgenosse Georg Friedrich Lichtenberg kritisiere jedoch die mangelnde Wissenschaftlichkeit der physiognomischen Lehre: »Wenn die Physiognomik das wird, was Lavater von ihr erwartet, so wird man die Kinder aufhängen, ehe sie die Taten getan haben, die den Galgen verdienen.« (Lichtenberg 1924: 267) Anfang des 19. Jahrhunderts weitete der Hirnphysiologe Franz Joseph Gall (1758-1828) die Physiognomik zu einer allgemeinen Schädellehre, der Phrenologie aus, der zufolge die Form des Schädels Rückschlüsse auf die geistigen und moralischen Kapazitäten des Menschen zulasse. In der Kriminalanthropologie wurde die physiognomischen und phrenologischen Lehren insbesondere von dem Arzt Cesare Lombroso aufgegriffen, der bestimmte körperliche Missbildungen oder spezielle Schädel- und Ohrformen als »objektive« Anzeichen einer an sich unsichtbaren, angeborenen »Anormalität« und kriminellen Neigung interpretierte. Vgl. dazu Becker 2002, sowie Gould 1988: 131ff. Aber es gab auch Gegenentwürfe zu diesem biodeterministischen Modell. So führte etwa Gabriel Tarde (1843-1904) die Ausbildung sogenannter »Verbrecherphysiognomien« nicht auf die angeborene Degeneriertheit des Individuums, sondern auf dessen Umweltund Milieubedingungen zurück.
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Um dieser physiognomischen Typologisierung des »gefährlichen Menschen« oder »geborenen Verbrechers« ein gewisses Maß an wissenschaftlicher Objektivität zu verleihen, griff die Kriminologie – wie die meisten humanwissenschaftlichen Diskurse dieser Zeit – auf die neu erfundene Technik der Fotografie zurück.87 Diese versprach einerseits, eine objektive Abbildung der Natur zu gewährleisten (und somit das klassische Diktum einer »transparenten Repräsentation« wiederzubeleben),88 und konnte andererseits selbst als ein visuelles Erkenntnisinstrument eingesetzt werden, das bestimmte empirische Fakten ans Licht bringt, die mit dem bloßen Auge nicht erkennbar – also in gewissem Sinne unsichtbar – waren.89 In dem kriminologisch-juristischen Diskurs des 19. Jahrhunderts wurde die Fotografie also nicht nur als kriminalistisches Instrument verwendet, um die Identifikation einzelner Personen zu erleichtern,90 sondern darüber hinaus mit dem wissenschaftlichen
87 So verwendete beispielsweise auch der französische Psychiater Charcot die Fotografie, um ein umfassendes Bildarchiv seiner Patientinnen, die »Iconographie photographique de la Salpêtrière« anzulegen (Didi-Huberman 1997). Ebenso bekannt sind die fotografisch gestützten anatomisch-physiologischen Bewegungsstudien von Eadweard Muybridge und Étienne-Jules Marey sowie Guillaume Benjamin Duchennes physiologische Untersuchungen des mimischen Ausdrucksverhaltens. Zudem wurde die Fotografie auch in der Ethnologie eingesetzt. Vgl. dazu Edwards 2003. 88 Der Einsatz der Fotografie als »automatisches Aufzeichnungsverfahren« entsprach dem modernen methodologischen Ideal eines nicht-intervenierenden, mechanischen Objektivismus (Datson/Galison 2002). So bezeichnete William Henry Fox Talbot die Fotografie als The Pencil of Nature (1844), also als eine direkte Selbstmitteilung der Natur. Diese Auffassung wurde aber selbst schon zu seiner Zeit nicht uneingeschränkt geteilt und gilt in der zeitgenössischen Fototheorie als gänzlich überholt. So hat u.a. Roland Barthes betont, dass die »fotografische Natürlichkeit« als Mythos oder diskursive Konvention zu verstehen sei (Barthes 1990a, 1990b). 89 So nutzten Étienne-Jules Marey und Eadweard Muybridge die kurzen Belichtungszeiten der Fotografie, um die mit dem bloßen Auge nicht erkennbaren Bewegungsmomente festzuhalten; vgl. dazu auch Stiegler 2001: 97. Walter Benjamin sprach deshalb auch von dem »optisch Unbewußten«, das die Fotografie ans Tageslicht bringt (Benjamin 1963: 36). Allerdings ist diese Metapher insofern nicht ganz zutreffend, als die Fotografie nicht etwas psychisch Verdrängtes sichtbar macht, sondern etwas, das aus rein physiologischoptischen Gründen nicht wahrnehmbar ist. 90 Damit ist das von Alphonse Bertillion in den 1880ern entwickelte Aufzeichnungssystem gemeint, in dem der Verbrecher einmal »en face« und einmal »en profil« fotografiert wurde. Das bis heute in abgewandelter Form eingesetzte Verfahren dient aber im Gegensatz zur physiognomischen Typologisierung weniger einem humanwissenschaftlich-
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Anspruch ausgestattet, die Physiognomien der verschiedenen »Verbrechertypen« in umfangreichen Bildatlanten zu »dokumentieren« und zu plausibilisieren.91 »So begann die Fotografie, das Terrain des anderen zu konstituieren und abzustecken und sowohl das verallgemeinerte Aussehen – die Typologie – als auch den kontingenten Einzelfall der Abweichung und des sozial Pathologischen zu definieren.« (Sekula 2003: 273)
Diese humanwissenschaftliche Strategie der Typologisierung ist zwar ähnlich wie die medizinische Beobachtungstechnik darauf ausgerichtet, von den äußeren, körperlichen »Symptomen« und Merkmalen auf eine tieferliegende unsichtbare Wahrheit zu schließen, weicht aber in einem ganz entscheidenden Punkt von dieser ab:
epistemologischen Zweck, denn einer effizienten Überwachung und Identifizierung. Vgl. dazu Tagg 1988: 76ff.; Regener 1999: 131-165; Sekula 2003. 91 Ein besonders einschlägiges Beispiel für diese humanwissenschaftlich informierte »typologische« Fotografie ist die Erfindung der »Kompositfotografien« des Statistikers und Eugenikers Francis Galton (1822-1911). Galton, der sich mit seinem vererbungstheoretischen Hauptwerk Hereditary Genius erklärtermaßen das Ziel setzte, die menschliche »Rasse« verbessern zu wollen, war der Auffassung, dass der Mensch lediglich als Produkt seiner ererbten charakterlichen Anlagen und geistigen Fähigkeiten zu verstehen sei (Galton 1869). Anders als sein Vetter Charles Darwin ging Galton jedoch von der pessimistischen Annahme aus, dass sich im Selektionskampf gerade jene »Rassen« überdurchschnittlich vermehren, die allgemein verderbliche Eigenschaften besitzen. Um diesen Verfallsprozess der Gesellschaft aufzuhalten, müssen Galton zufolge diese »verderblichen« und »degenerierten« Menschen identifiziert und mithilfe eugenischer Maßnahmen und Verheiratungsregeln an ihrer Fortpflanzung gehindert werden. Dazu griff er – genauso wie Lombroso – auf das methodologische Kategoriengerüst der klassischen Physiognomik Johann Caspar Lavaters zurück, das er aber mit dem statistischen Konzept der Biometrie verband. Diese Verschaltung von typologisierender Physiognomik auf der einen und statistischer Exaktheit auf der anderen Seite gelang durch die Methode der fotografischen Mehrfachbelichtung: In der Kompositfotografie wurde eine bestimmte Anzahl standardisierter Porträtfotografien von Personen ein und desselben »Menschentypus« übereinander geblendet. Durch dieses technische, scheinbar »objektive« Verfahren sollten die individuellen Eigenheiten der einzelnen Individuen in der fotografischen Unschärfe verschwinden, während sich die allen gemeinsamen signifikanten physiognomischen Merkmale verstärken (Schmidt 2001: 167ff.). Das Verfahren der Kompositfotografie – das Galton auch als »pictorial statistics« oder »pictorial averages« bezeichnete – macht also etwas anschaulich, was mit bloßem Auge so nicht erkennbar ist: die humanwissenschaftliche Konstruktion des Menschentypus. In der Soziologie ging Galton vor allem als Erfinder der Regressionsanalyse in die Annalen ein.
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Denn während die Medizin oder Biologie in einem letzten Schritt, dem Durchtrennen der äußeren Hülle, ihren Gegenstand, den lebenden bzw. kranken Organismus, tatsächlich sichtbar machen kann, bleibt das Objekt der kriminologischen Psychiatrie stets verborgen. Die »angeborene« Anomalie oder Degeneriertheit ist kein empirisches Ding, das sich visuell und haptisch begreifbar machen ließe, sondern gehört vielmehr dem Bereich an, der – nach kantischen Maßstäben – nicht positiv erfahrbar ist: seinem Denken, Fühlen und Verhalten. Zu (2): Wahrnehmungsphysiologie: Auch die moderne Wahrnehmungsphysiologie – die Foucault allerdings selbst nie thematisiert hat – kann als ein paradigmatisches Beispiel für die humanwissenschaftliche Ordnung der Sichtbarkeit gelten, da sie ähnlich wie die Kriminologie darauf abzielt, die transzendentale Ausstattung des Menschen empirisch erfassbar zu machen (Crary 1996: 27, 2002b: 73). So orientiert sich die wahrnehmungsphysiologische Theorie auf der einen Seite an dem kantischen Grundgedanken, dass die visuelle Wahrnehmung als ein durch transzendentale Faktoren bedingter Vorgang verstanden werden müsse, führt diese Bedingungen aber auf der anderen Seite nicht auf die apriorischen, d.h. empirisch unzugänglichen »Anschauungsformen« zurück, wie es Kant tut, sondern setzt sie mit den organisch-physiologischen Prozessen in eins. Die moderne Sinnesphysiologie und -psychologie »verkörpert« mit anderen Worten die Frage der visuellen Wahrnehmung, indem sie die Anschauungsform »biologisiert« und in der dunklen und dichten »Tiefe des Körpers«, d.h. in den physiologischen Prozessen des Auges selbst verortet. Nach Crary wird diese physiologische Erforschung der visuellen Wahrnehmung von Johann Wolfgang von Goethe angestoßen, der sich in seinem Entwurf einer Farbenlehre (1810) nicht nur mit der chemischen Zusammensetzung und ästhetischen Wirkung der Farben auseinandergesetzt hatte, sondern auch über die negativen »Netzhaut-Nachbilder« nachdachte, die im »inneren Auge« erscheinen, wenn der Blick vom Hellen ins Dunkle wandert (Crary 2002a: 71). Diese Entdeckung, dass der Seheindruck auch von der körperlichen »Produktivität« und »Subjektivität« des Betrachters abhängt, gab im Laufe des 19. Jahrhunderts Anlass für unzählige physiologische und psychologische Studien, die die Zeitlichkeit und Varianz körperlich initiierter optischer Eindrücke mit allerlei Experimenten und optischen Geräten untersuchten (Crary 1996: 21). So wurden Goethes physiologische Experimente u.a. von Johann Evangelista Purkinje (1787-1869) weitergeführt, der sich für die verschiedenen Formen und Typen von physiologischoptischen Nachbildern interessierte und zudem bereits eine gestalttheoretische Perspektive »avant la lettre« entwickelte (Müller-Tamm 2001). Die Physiker John A. Paris (1785-1856) und Joseph Plateau (1801-1883) erforschten darüber hinaus die Persistenzeffekte des positiven Nachbildes, die sie mit zwei unterschiedlichen optischen Geräten demonstrierten: So zeigte Paris mit dem Thaumatrop, das er 1824 am Royal College of Physicians in London vorführte, dass ein schneller
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Wechsel zweier Bilder dazu führt, dass beide im Auge zu einem einzigen Bild überblendet werden. Ebenso machte sich das von Plateau erfundene Phénakistiskop die durch die Persistenz des Nachbildes hervorgerufene optische Täuschung zunutze, und kombinierte diese ferner mit dem stroboskopischen Effekt, um den Eindruck eines bewegten Bildes zu erzeugen.92 Neben diesen verschiedenen Experimenten zur Form und Dauer der Netzhautnachbilder wurde die »Verkörperung« und »Subjektivierung« der Wahrnehmungstheorie zudem von Studien zur Raumwahrnehmung und dem stereoskopischen Sehen auf der einen und den verschiedenen Reiz-Reaktions-Experimenten auf der anderen Seite vorangetrieben. So erforschten in den 1830er und 40er Jahren sowohl Charles Wheatstone (18021875) als auch Sir David Brewster (1781-1868) die physiologischen Bedingungen der seit der Antike bekannten Tatsache, dass trotz der jeweils unterschiedlichen Seheindrücke der Augen letztlich nur ein einziges Bild wahrgenommen wird. Beide arbeiteten an der Entwicklung des sogenannten Stereoskops, das die dreidimensionale binokulare Wahrnehmung dadurch simulieren konnte, dass es dem Betrachter zwei der Verschiebung der Augenwinkel angepasste Bilder zu sehen gab.93 Etwa zur selben Zeit machte der Physiologe Johannes Peter Müller (1801-
92 Das Thaumatrop ist eines Scheibe, die von beiden Seiten mit jeweils einem anderen Bild bemalt ist, die im Seheindruck zu einem einzigen Bild verschmelzen, sobald die Scheibe mithilfe zweier gegenüberliegender, am Rand befestigter Fäden zum schnellen Drehen gebracht wird. Das 1832 von Plateau entwickelte Phénakistiskop ist eine an einem Griff befestigte Drehscheibe, an deren Rand eine Abfolge von 16 »Momentabbildungen« eingezeichnet ist, die in den Zwischenräumen jeweils durch radiale Schlitze unterbrochen wird. Der Eindruck einer zusammenhängenden Bewegung entsteht, wenn die Scheibe mit der Vorderseite zu einem Spiegel gewendet in Drehung versetzt wird und durch die Schlitze die rotierenden Spiegelbilder beobachtet werden (Wachelder 2001). Das Modell wurde in der Folge in mehreren Stufen weiterentwickelt: So setzte Émile Reynaud in seinem »Praxinoskop« (1877) zusätzlich Spiegel zur Projektion der Bilder ein und Eadweard Muybridge verwendet in seinem »Zoopraxiskop« (1878) chronomatische Serienfotografien, bis schließlich William K.L. Dickson 1892 den Kinetographen und das Kinetoskop für Edison erfand und die Gebrüder Lumière 1895 diesen mit einer Projektionsfunktion ausstatteten (Kittler 2002: 195ff.). Über seine erkenntnistheoretische Bedeutung hinaus kann also das Phénaskistiskop als der Prototyp des filmischen Bewegtbildes gelten, der für die gesamte visuelle Kultur der Moderne, die nicht nur auf medialer Ebene von dem Phänomen der Beschleunigung geprägt ist, eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat und immer noch spielt. 93 Abweichend von der üblichen mediengeschichtlichen Darstellung vertritt Crary die These, dass dieser Apparat, der mit den Bedingungen des binokularen Sehens spielt, für die physiologisch informierte visuelle Kultur der Moderne viel paradigmatischer ist als die Fotografie und sich nur deshalb nicht weiter durchsetzte, weil es zunehmend für
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1858) mithilfe verschiedener elektrophysikalischer Experimente die Entdeckung, dass ein und derselbe Reiz – wie beispielsweise ein elektrischer Stoß, ein mechanischer Druck oder eine chemische Substanz –, je nachdem, welches Sinnesorgan er trifft, jeweils unterschiedliche Sinnesempfindungen auslösen kann. Das heißt, dass ein visueller Eindruck nicht unbedingt von einer sichtbaren Quelle oder einem äußerem Lichteinfall herrühren muss, sondern ebenso durch andere Reize provoziert werden kann. Müllers Studien zur arbiträren Beziehung zwischen Reiz und Sinnesreaktion wurden u.a. von seinem Schüler Hermann von Helmholtz aufgegriffen, der in seinem umfang- und einflussreichen dreibändigen Werk Handbuch der physiologischen Optik (1856-1866) auch auf die verschiedenen entoptischen, d.h. die nicht von äußeren Lichtquellen verursachten visuellen Artefakte einging (Crary 2002a: 173ff.). Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Frage des Nervenreizes lieferte schließlich die »Psychophysik« von Gustav Theodor Fechner, der nicht nur für seine Experimente mit Sonnennachbildern berühmt wurde, sondern darüber hinaus mit seinem Versuch, die Stärke der Sinnesempfindungen und die Reizschwelle, d.h. den Zusammenhang zwischen Reizintensität und tatsächlicher sinnlicher Erfahrung mathematisch exakt zu bestimmen, zu der Quantifizierung, Rationalisierung und Kontrolle der sinnlichen Erfahrung und visuellen Wahrnehmung des Menschen entscheidend beitrug (Kittler 2002: 200f.). So stellt Crary (2002a) heraus, dass sich die gesamte psychometrische Forschung, die sich im Kontext von Fechners Studien entwickelte, insbesondere dafür interessierte, die visuelle Aufmerksamkeit bzw. die selektive Wahrnehmung des Menschen mithilfe ausgeklügelter Instrumente und Laborexperimente mess- und steuerbar zu machen. Wie gerade diese Studien zur Aufmerksamkeit zeigen, ist also die moderne humanwissenschaftliche Wahrnehmungsphysiologie nicht in demselben biopolitischen Register wie die Kriminologie anzusiedeln: Während letztere darauf abgestellt war, normales und pathologisches Verhalten zu registrieren und den »gefährlichen Menschen« in der anonymen Masse der Großstadt anhand seiner visuellen Merkmale zu identifizieren, spielte erstere eher im Zusammenhang mit der zunehmenden »Spektakelisierung«, Ästhetisierung und Beschleunigung der modernen großstädtischen Kultur eine Rolle, an die sich der Mensch sowohl körperlich als auch mit seiner sinnlich-psychischen Aufmerksamkeitsökonomie anzupassen hatte. Denn wie bereits Marx – wahrscheinlich in Rekurs auf die sinnesphysiologischen Studien von Johannes Müller (Crary 2002b: 76f., 1996: 100) – konstatierte, verlangen die entfremdenden Bedingungen des Industriekapitalismus dem Arbeiter ab, dass er sich mit seinem Körper, vor allem aber mit seinem sinn-
pornografische Fotografie verwendet wurde und daher einen anstößigen Anstrich bekam (Crary 1996: 122ff.).
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lichen Wahrnehmungsapparat an die spezialisierte, repetitive Fabrikarbeit anpasst (Marx 1968b: 541f.; Jameson 1981: 62-64). Und mit einer etwas anderen inhaltlichen Stoßrichtung argumentierten auch Simmel (1995) und später Benjamin (1963), dass die schnell wechselnden sinnlichen Eindrücke des großstädtischen Lebens, der Warenwelt und der kinematographischen Bilderflut die sinnliche Empfindungsfähigkeit des modernen Menschen stark beeinflussen und nachhaltig transformieren.94 2.1.2.2 Oberflächen der Malerei Auch wenn Foucault in Die Ordnung der Dinge seine archäologische Charakterisierung der Moderne nicht mit einer Bildanalyse abgerundet hatte, weist einiges darauf hin, dass er Édouard Manets Malerei – in Absehung seiner tatsächlichen kunsthistorischen Singularität – als paradigmatisch für die visuelle Ordnung der Moderne betrachtete. So hatte er den unterschiedlichen Angaben von Didier Eribon (Eribon 1993: 270) und Daniel Defert (DE1/0: 46) zufolge entweder 1966 oder 1967 – also zeitgleich bzw. kurz nach Erscheinen von Die Ordnung der Dinge – mit den Éditions de Minuit einen Vertrag über ein Manet-Buch abgeschlossen, das den Titel »Le Noir et la surface« bzw. »Le Noir et la Chaleur« tragen sollte, aber von Foucault trotz eingehender Recherche, mehreren Vorträgen und einigen Textansätzen niemals fertiggestellt wurde. Insbesondere hatte es ihm wohl das Gemälde Un bar aux Folies-Bergère (Eine Bar in den Folies-Bergère) (1881-1882) angetan, das ihm – vielleicht aufgrund der zentralen kompositorischen Rolle des Spiegels – als das moderne Pendant zu Velázquez’ Las Meninas erschien (DE1/0: 56). Ebenso zeugt sein – lediglich als unautorisierte Transkription vorliegender – Vortrag über Die Malerei von Manet (MM) davon, dass es ihm darum ging, Manets Gemälde ganz im Sinne der in Die Ordnung der Dinge entwickelten archäologischen Methode zu analysieren. So nimmt er hier erstens einen ähnlichen (bild-)diskursanalytischen »Oberflächenblick« ein wie in seiner Betrachtung von Las Meninas. Das heißt, dass er nicht nach dem historischen Hintergrund, dem gesellschaftlichen Entstehungszusammenhang und der Ikonographie von Manets Bildern fragt,95 sondern allein an dem Rhythmus und der Verteilung ihrer bildlichen »Formationen«, d.h. der räumlichen Komposition, den Beleuchtungsmodalitäten, der Farbgebung und der Betrachterposition, jene neue, moderne
94 Zu diesem neuen »testierenden Blick«, wie Benjamin ihn nennt, gehört aber sicherlich auch die schnelle Erfassung der physiognomischen Merkmale des Fremden in der Masse. 95 In einem genau entgegengesetzten Ansatz hat Pierre Bourdieu in seinen kunstsoziologischen Studien über Manet die sozialen und feldlogischen Bedingungen herausgearbeitet, die Manet zu einer Revolution in der Malweise veranlassten. Siehe dazu Kapitel 3.3.2.3.
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Bildlogik abzulesen sucht. Neben dieser analogen methodischen Ausrichtung zeichnen sich zweitens auch inhaltliche Parallelen zu seiner Bildanalyse in Die Ordnung der Dinge ab. Während Foucault Las Meninas als eine Repräsentation des klassischen Repräsentationsdenkens versteht (OD: 45), stellt er – in weitgehender Übereinstimmung mit dem kunsthistorischen Common Sense – an Manets Malweise heraus, dass sie sich von dem Ideal der »naturgetreuen« Repräsentation löst und stattdessen der modernen Entdeckung der undurchsichtigen, »objektiven« Transzendentalien gehorcht. Das heißt zwar nicht, dass er Manet zu dem Erfinder der nicht-repräsentativen Malerei erhebt, aber immerhin schreibt er ihm das Verdienst zu, der Abstraktion des 20. Jahrhunderts den Weg gebahnt zu haben (MM: 47).96 Als entscheidenden Schritt in diese Richtung sieht Foucault Manets Weigerung an, sich der ausgeklügelten Perspektivkonstruktionen, Farbcodes und Lichtregie der Akademiemalerei zu bedienen (MM: 12ff.). Wie er u.a. am Beispiel von Le bal masqué à l’Opéra (Maskenball in der Oper) (1873), L’exécution de Maximilien (Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko) (1867) und Dans la Serre (Im Wintergaten) (1879) aufzeigt, ging es Manet nicht darum, eine Illusion der räumlichen Tiefe zu erzeugen, sondern er schien im Gegensatz dazu mit aller Konsequenz die Oberflächlichkeit und Objekthaftigkeit des Bildhaften betonen zu wollen. Darauf deutet beispielsweise hin, dass er anstelle der perspektivischen Fluchtlinien die horizontale und vertikale Linienführung unterstreicht (MM: 20) und seine Räume mit farbintensiven Blickbarrieren nach hinten hin abriegelt (MM: 16). Zudem arbeitet Manet nicht mit bildinternen Lichtquellen, welche einem differenzierten Licht- und Schattenspiel zugrunde liegen, sondern verwendet vielfach das »reale« Frontallicht, das alle Unebenheiten verschluckt und die dargestellten Dinge und Figuren fast zweidimensional erscheinen lässt (MM: 31f.).97 Aber nicht nur die kompositorische Struktur, auch Manets Umgang mit der Farbe und ihrer Konsistenz unterstützt den Eindruck der Materialität des Bildes. Denn anstatt seine malerischen Mittel hinter dem Dargestellten zum Verschwinden zu bringen, verleiht Manet seinem Pinselstrich eine geradezu skulpturale Plastizität, um die Oberflächenstruktur des gemalten Gegenstandes zu imitieren (MM: 10).
96 Im Anschluss an Foucaults Einschätzung von Marx und Freud als »Diskursivitätsbegründer« (DE1/69: 1022) bezeichnet Gary Shapiro Manet daher auch als »founder of a visibility« (Shapiro 2003: 315). 97 Den Skandal, den Olympia auslöste, lässt sich also nicht nur auf die Nacktheit der – für damalige Verhältnisse ungewöhnlich hässlichen – Frau oder die Insignien ihrer niederen Herkunft aus dem Prostitutionsmilieu zurückführen, sondern auch darauf, dass sie in der wenig schmeichelhaften Frontalbeleuchtung, deren Quelle sich mit dem Blick des Betrachters deckt, vollkommen entblößt wird und mit einem ebensolchen entblößenden, herausfordernden Blick auf den Betrachter zurückschaut (MM: 37).
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Darüber hinaus zeigt sich insbesondere an den Übergängen, den Hintergrundflächen und der suchenden Bewegung der Grenz- und Umrisslinien, dass er das Repräsentierte oftmals dem reinen »Zusammenspiel der Oberflächen und Farben« (MM: 15) unterstellt.98 Diese Bildelemente offenbaren, dass Manet die repräsentierte Figur nicht mehr als eine klar umrissene, in sich geschlossene Entität auffasst, die sich von vornherein ganz deutlich identifizieren und von seinem Umfeld unterscheiden lässt. Sie scheint vielmehr das Ergebnis eines rein malerischen – also kontingenten – Aushandlungsprozesses zu sein, in dem die farbige Dichte und Struktur des Untergrundes ebenso wichtig erscheint wie die positiven Gestalten, die sich vor ihm abheben. Auch wenn der kurze Text über Die Malerei von Manet nicht viel mehr beinhaltet, würde man Foucault aber sicherlich Unrecht tun, wenn man sein archäologisches Interesse an Manet auf diese kunsthistorisch wenig originelle Diagnose der »Objekthaftigkeit« des modernen Bildes reduziert. Vielmehr ist anzunehmen, dass die hier angestellten Betrachtungen zu dem anti-repräsentationalistischen und objektifizierenden Charakter von Manets Malerei als Vorarbeiten zu verstehen sind, die noch einer analytischen Rückbindung an die diskursive Ordnung der modernen Episteme bedürfen. Denn erst wenn die formale Neuerung von Manets Malerei mit der veränderten epistemologischen (und sozialen) Stellung des modernen Subjekts in Verbindung gebracht wird, kann sie eine analoge emblematische Funktion für die archäologische Charakterisierung der Moderne annehmen, wie Las Meninas für die klassische Episteme. Um eine solche Verknüpfung von Foucaults Manet-Betrachtungen mit seiner Analyse der modernen Episteme in Die Ordnung der Dinge leisten zu können, soll hier noch einmal genauer auf eines der von Foucault gewählten Beispiele eingegangen werden, nämlich auf das berühmte Gemälde Le Balcon (Der Balkon) (1868/69) (MM: 37ff.) (siehe Abbildung 2), das nicht nur einige der von Foucault identifizierten formalen Charakteristika in sich vereint, sondern darüber hinaus auch etwas über den Status des modernen Subjekts aussagt. So stellt Foucault zunächst fest, »daß das ganze Gemälde von Horizontalen und Vertikalen [der Tür, des Balkons und der Fensterläden, S.P.] eingerahmt wird« (MM: 38), die wie bereits angedeutet, auf die Zweidimensionalität und Rechteckigkeit der Leinwand verweisen. Diese Flächigkeit wird in Le Balcon zudem durch die mangelnde räumliche Tiefe der dargestellten Szene unterstrichen: Während das gleißende Tageslicht, das von außen direkt auf den Balkon fällt, alle Schatten und Unebenheiten in den Gesichtern und den Kleidern zum Verschwinden bringt, wird das Zimmer hinter den geöffneten Balkontüren in eine nur wenig ausdifferenzierte
98 Ironischerweise ist anzunehmen, dass Manet seine Vorliebe für größere, in sich strukturierte Farbflächen aufgrund seines intensiven Studiums von Velázquez entwickelt hat.
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Dunkelheit eingetaucht, welche das sich darin verbergende bürgerliche Interieur nur erahnen lässt (MM: 39f.). Und genau auf diesem schmalen Grat zwischen der inneren Unsichtbarkeit der dunklen Privatwohnung und der äußeren Helligkeit der Welt haben drei schattenlose Figuren Platz genommen. Anstatt aber mit festen Beinen auf dem Boden zu stehen, scheinen sie vielmehr – wie sich Foucault ausdrückt – zwischen dem Innen und dem Außen in der Luft zu hängen (MM: 40f.). Dass er diesen raumlosen Ort des Balkons, der den Figuren nicht genug Standfläche bietet, recht enigmatisch als die »Grenze von Leben und Tod« interpretiert (MM: 41), lässt sich zum einen aus seinem Hinweis auf Magrittes Variation dieses Gemäldes, Perspective II. Le Balcon de Manet (Perspektive II. Der Balkon von Manet) (1950) erklären (siehe Abbildung 3), in dem die Personen durch Särge ersetzt sind. Foucaults Interpretation kann zum anderen aber auch als eine Bezugnahme auf seine archäologische Bestimmung der modernen epistemologischen Figur des Menschen verstanden werden. Denn in Die Ordnung der Dinge charakterisiert er das moderne Denken als einen anthropozentrischen Diskurs »gemischter Natur« (OD: 388), der in einer paradoxen Doppelbewegung in den empirisch erforschbaren »objektiven Transzendentalien« wie beispielsweise dem Leben (und dem Tod) einerseits die genuine Endlichkeit des Menschen und andererseits seine fundamentale Erkenntnisfähigkeit erkennt. Das moderne Denken entwirft somit den Menschen als eine »Grenzfigur«, die – genauso wie die Figuren auf Manets Balkon – zwischen einem unsichtbaren, d.h. nicht erfahrbaren tiefen »Inneren«, der Transzendentalität, und einem potentiell sichtbaren Äußeren, der Empirizität, changieren. Diese Interpretation scheint auch deswegen nicht abwegig, weil sich – über Foucaults eigene Beobachtung hinausgehend – auch in andern Aspekten des Gemäldes diese neue, unentschiedene Position des Menschen, sowohl ein erkennendes Subjekt als auch das Erkenntnisobjekt eines (humanwissenschaftlichen) Wissens zu sein, abzeichnet. So lassen die Figuren in Korrespondenz zu ihrer prekären Stellung auf der Grenze zwischen Hell und Dunkel ihre Blicke über ein Schauspiel wandern, das dem Betrachter des Bildes nicht zugänglich ist, nämlich das Spektakel auf den Pariser Boulevards. Das Entscheidende ist jedoch, dass nicht das Beobachtete – also das Volk auf der Straße – zum Thema des Bildes gemacht wird, sondern umgekehrt die bürgerlichen Beobachter selbst in den (quasi soziologischen) Blick genommen werden, die einerseits durch ihre Positionierung hinter dem Balkongitter von dem öffentlichen Leben abgeschnitten oder diesem »enthoben« sind, andererseits aber auch in sich keine stabile soziale Einheit zu bilden scheinen. Denn obwohl die repräsentative Wohnung und teuren Kleider zeigen, dass den drei Personen auf dem Balkon ihre bourgeoise Herkunft gemeinsam ist, scheint ihre Beziehung zueinander merkwürdig indifferent zu sein. So verraten nicht nur die »Oberflächlichkeit« ihrer Körper und Gesichter sowie die fehlende Räumlichkeit, dass ihnen eine gewisse seeli-
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sche Tiefe oder soziale Standfestigkeit fehlt, sondern ebenso ihre leeren oder »blasierten« Blicke (Simmel), die in unterschiedliche Richtungen schweifen.99 Im Unterschied zu Las Meninas, das mit der perspektivischen Raumkonstruktion eine visuelle Ordnung aufspannt, die jeder der dargestellten Personen einen eindeutigen (sozialen) Platz zuweist, erscheinen in Manets Bildern weder die sozialen Positionen im Allgemeinen noch die neuen bürgerlichen Geschlechterrollen100 gefestigt. Der Eindruck einer genuinen Instabilität der bürgerlichen Subjektposition, die durch die »Flachheit« der Figuren und ihren Mangel an sozialkommunikativer Einbettung entsteht, wird zudem durch einen weiteren Aspekt in Le Balcon unterstrichen, der allenfalls in Foucaults Begriff der »objektiven Transzendentalien« anklingt, aber weder in seinen archäologischen noch in seinen genealogischen Analysen explizit berücksichtigt wird: die Dominanz der »objektiven Kultur« in der Moderne,101 wie sie sich etwa in der Industrialisierung der Produktion, der Einrichtung von riesigen Warenhäusern, der neuen technischen Infrastruktur sowie der radikalen urbanistischen Transformation von Paris niederschlägt, die unter der Leitung des Stadtplaners Georges-Eugène Haussmanns 1853-1870 durchgeführt wurde.102
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In diesem Sinne charakterisiert Clark Manets kritische Haltung gegenüber dem modernen Leben folgendermaßen: »Modern life for Manet […] is not greatly animated, not familial, and not proletarian. It lacks the composure of real private life, but equally the energy of a public one.« (Clark 1985: 245)
100 Foucault selbst hat den Aspekt der modernen Geschlechterdifferenz weder in seiner Reflexion auf Manet noch in seiner archäologisch-epistemologischen und genealogischmachtanalytischen Diagnose der Moderne explizit thematisiert, was ihm von Seiten der feministischen Theoriebildung einige Kritik eingebracht hat. Zur einer diskursanalytischen Rekonstruktion der modernen Geschlechterdifferenzierung in den Humanwissenschaften und der Kultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts siehe auch Honegger 1991; Bublitz u.a. 2000. 101 In der Philosophie des Geldes stellt Georg Simmel die berühmte These auf, dass in der Moderne der »objektive Geist« der materiellen und wissenschaftlichen Kultur das Erfassungs- und Verarbeitungsvermögen des einzelnen Individuums übersteigt (Simmel 1989: 617-654). 102 Siehe dazu auch Benjamin (1983: 57). Wie diese »Haussmannisierung« in der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts verarbeitet und kritisiert wurde, hat T.J. Clark ausführlich dargestellt (Clark 1985: 23-78).
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Abbildung 2: Édouard Manet: Le Balcon (1868/69)
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Abbildung 3: René Magritte: Perspective II. Le Balcon de Manet (1950)
Auch wenn Le Balcon auf den ersten Blick nicht viele Gegenstände zu sehen gibt, lässt sich Manets Interesse an dieser materiellen und architektonischen Transformation des modernen Paris an einem dominanten Bildelement ablesen: dem Balkongeländer, dessen schlanke Kreuzform und kräftiges Grün (MM: 38) auf die neue Formensprache des Stahls hinweisen, der seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Baustoff eingesetzt wurde und bis heute das Stadtbild von Paris prägt. Und genauso wie das industriell gefertigte Geländer scheinen auch das schemenhaft zu erkennende bürgerliche Interieur sowie die in Manets Bildern immer wieder thematisierte Mode die bürgerlichen Subjekte ebenso zu umschließen und zu stützen wie auch in ihrem Sein, ihrer Bewegungsfreiheit und ihrer Wahrnehmungsfähigkeit zu begrenzen (Crary 2002a: 97ff.). Manets Erfindung des Bildes als Objekt ist also nicht nur auf rein epistemologischer Ebene zu verstehen, wie es eine Interpretation im Rahmen von
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Foucaults Die Ordnung der Dinge nahelegen würde, sondern spiegelt zudem die allgemeine »Objektivifizierung« der modernen Kultur wider, die aufgrund des technologischen und medialen Wandels, der industriellen Warenproduktion und der allgemeinen Beschleunigung von Moden den Charakter eines kontingenten und sinnentleerten Oberflächenspektakels annimmt, das die traditionelle (soziale und diskursive) Ordnung zusehends aus den Angeln hebt. Dabei erscheint das bürgerliche Subjekt als ein zutiefst widersprüchliches und verunsichertes Wesen, das zwar einerseits einer ökonomisch mächtigen Klasse angehört, aber andererseits insofern den Umständen der modernen Welt »unterworfen« ist, als ihm sowohl die politische und gesellschaftliche Souveränität des Adels als auch das nötige (epistemologische) Selbstbewusstsein fehlt, das ihm zum einen von der modernen »Analytik der Endlichkeit« und zum anderen durch das Wuchern einer nicht beherrschbaren Objektwelt genommen worden ist. Manets modernes Subjekt nimmt also ganz im Sinne von Foucault die Gestalt eines »unterworfenen Souveräns« oder »betrachteten Betrachters« an (OD: 377), von dem in Las Meninas erst ein »Vorschein« zu erahnen war.
Abbildung 4: Édouard Manet: Un bar aux Folies-Bergère (1881/82)
Dass sich parallel zu dieser veränderten Perspektive auf das dargestellte Subjekt auch die Stellung des Betrachters verschiebt, macht Foucault an einem anderen Beispiel, Un bar aux Folies-Bergère (1881), deutlich, das er – wie bereits erwähnt – wohl als das moderne Gegenstück zu Las Meninas betrachtete (DE1/0: 56) (siehe Abbildung 4). Dieser Vergleich liegt insofern nahe, als auch in diesem Bild der
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Spiegel eine zentrale Rolle spielt, allerdings in einer ganz anderen Form als in Las Meninas. Denn während in letzterem Gemälde der Spiegel nur ein schemenhaftes, aber umso wirkmächtigeres Hintergrundphänomen darstellt, das sich von dem tiefen, perspektivischen »Raum der Repräsentation« durch seine andere »Lichtordnung« abhebt, nimmt er in Manets Bild fast die gesamte Fläche ein. Der Spiegel in Un bar aux Folies-Bergère wird also zu jenem zentralen Medium, welches den gesamten Bildraum und die Gestalten darin – wenn auch nur als flüchtige Erscheinungen – allererst sichtbar macht. Dabei interessiert sich Foucault insbesondere für die Inkongruenz zwischen der Bardame, die als einziges Figur in dem Bild »direkt« dargestellt wird, und ihrem Spiegelbild auf der rechten Seite (MM: 42ff.). Denn abgesehen davon, dass ihre Widerspiegelung aufgrund der Positionierung des Spiegels, der parallel zur Bar verläuft, direkt hinter ihrem Rücken reflektiert werden müsste, erscheint im Spiegelbild zudem ein Herr, der dicht an sie heran getreten zu sein scheint, von dem aber im Vordergrund noch nicht einmal ein Schatten zu sehen ist – außer dem Schatten, den der »reale« Betrachter auf das Bild wirft. Im Gegensatz zu Las Meninas, das den Betrachterstandpunkt ganz eindeutig festlegt, lassen die darstellerischen Unvereinbarkeiten in Un bar aux Folies-Bergère keine Position zu, von der aus gesehen das Spiegelbild »richtig« erscheint (MM: 46).103 Dass diese »Auflösung« der bildkompositorischen Betrachterposition etwas damit zu tun haben muss, wie das (sehende) Subjekt in der Moderne konzipiert wird, hat Foucault selbst nicht thematisiert. Wie der Kunsthistoriker T.J. Clark bemerkt, ist jedoch wahrscheinlich, »that inconsistencies so carefully contrieved must have been felt to be somehow appropriate to the social forms the painter had chosen to show« (Clark 1985: 252). So ist über die rein optische Inkonsistenz hinausgehend auffällig, dass das Spiegelbild der Bardame auch eine ganz andere Körperform und Haltung einnimmt als ihr reserviert oder »blasiert« wirkendes Original: Statt ein fast gelangweiltes oder unbeteiligtes »fashion face« aufzusetzen (Clark 1985: 253), das weder ihre seelische oder affektive Verfassung noch ihre Klassenzugehörigkeit verrät, scheint sich die gespiegelte Dame zu dem gespiegelten Kunden unziemlich nahe und vertraulich vorzubeugen – so als ginge es ihr nicht darum, den in Goldfolie eingewickelten Champagner oder die glänzenden Orangen zu verkaufen, sondern sich selbst als Ware anzubieten (Clark 1985: 250).104 Der Betrachter muss also die Position des privilegierten »Souveräns« aufgeben, die ihm noch von Las Meninas verliehen wurde, und findet sich nun in der Rolle eines vorbeigehenden, konsumie-
103 Zu den verschiedenen sich überlagernden Perspektiven in Un bar aux Folies-Bergère siehe auch de Duve 2004. 104 Dass Un bar aux Folies-Bergère ganz eindeutig auf die Warenhaftigkeit der Frau und insgesamt auf die in den »café concerts« übliche Prostitution verweist, wurde von der zeitgenössischen Presse mühelos decodiert (Clark 1985: 243ff.).
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renden Kunden oder Freiers wieder, der genauso wie die Bardame zu einer sozialen »Randfigur« wird. In gewisser Weise scheint also Manets Un bar aux FoliesBergère nahezulegen, dass in der modernen Welt ein (spiegelbildliches) Zerrbild viel mehr vom »wahren« Leben und sozialen Zusammenhängen offenbaren kann als die »naturgetreue« Repräsentation der realen Person, da sie sich stets hinter einer oberflächlichen Maske der Indifferenz verbirgt. Vor der Folie von Foucaults Archäologie der Moderne lässt sich Manets Malerei zusammenfassend als eine Bildpraxis beschreiben, die sich von dem Ideal der räumlichen Illusion gelöst hat und stattdessen das Bild als ein materielles Objekt behandelt. Der moderne Zweifel an der Repräsentierbarkeit von Welt äußert sich also in der Malerei in einer ganz anderen Form als in den visuellen Praktiken der modernen empirischen Wissenschaften: Während letztere die Oberflächen durchschneiden, um in den »Tiefen« der Körper und Objekte nach der Wahrheit zu suchen, beginnt die Malerei sich selbst als ein undurchsichtiges, materielles Ding oder »objektive Transzendentalie« zu entwerfen, die bestimmte, die bloße Sichtbarkeit der Welt transzendierende Wissenseffekte zeitigt. Die empirische Suche nach der Tiefe der Dinge scheint somit von der Entdeckung der »Oberfläche« in der Malerei archäologisch nicht zu trennen zu sein. Daneben lassen Manets Bilder aber auch Überschneidungen mit der humanwissenschaftlichen Konzeption des Menschen finden. So scheint Manet ganz im Sinne von Foucaults Charakterisierung des humanwissenschaftlichen Wissens das ökonomische und soziale »Ungedachte« auszuloten, vor dessen Hintergrund sich das moderne Subjekt konstituiert. Da er aber nicht von der Intelligibilität der seelischen oder sinnlichen Konstitution des Einzelsubjekts ausgeht, sondern dieses vielmehr als einen bloßen »Effekt« eines ganzen Felds von (farbigen) Oberflächen konstituiert, korrespondieren seine visuellen Wissenscodes eher mit der Subjektauffassung der strukturalistischen Gegenwissenschaften als mit dem frühen humanwissenschaftlichen Biologismus. Denn genauso wie die strukturalistische Psychoanalyse, die Ethnologie und die Linguistik sieht auch Manet den Menschen nicht als in sich geschlossene Entität an, sondern als ein Wesen, das sich in die äußeren, abstrakten Strukturen – wie beispielsweise die Objektifizierung der Welt oder die visuellen Formationen – eingliedert und somit in seiner Form flexibel ist. 2.1.3 Zwischenresümee. Die visuelle Ordnung der Dinge? In Foucaults Schriften der 1960er Jahre steht die archäologische Frage nach dem Wandel der abendländischen Episteme im Vordergrund. Foucaults Grundthese ist, dass sich für jeden der von ihm untersuchten Zeiträume bestimmte interdiskursive Strukturhomologien nachweisen lassen, die in allen Bereichen des Wissens das Denk- und Sagbare organisieren. So stellt er für die Renaissance das »Denken der
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Ähnlichkeit« als die zentrale diskursive Ordnung heraus, während er die Klassik als das Zeitalter der transparenten Repräsentation charakterisiert und der Moderne einen erkenntnistheoretischen Zweifel attestiert, der mit der Konstitution einer neuen epistemologischen Figur, dem Menschen als transzendental-empirischer Dublette zur Erscheinung einhergeht. Wie in den letzten Kapiteln aufgezeigt wurde, beschränkt sich Foucaults archäologische Perspektive aber nicht auf die diskursiv-textuellen Ordnungen, sondern beinhaltet auch ein Interesse für die jeweils gültigen visuellen Wissenscodes, die – analog zu dem Diskurs – das Sichtbare einer Zeit bedingen, sowie für die Verbindungen, die zwischen der diskursiven und der visuellen Ordnung bestehen (Deleuze 1987: 71). Foucault unterscheidet dabei zwischen zwei Modi historischer Sichtbarkeit: erstens den wissenschaftlichen Beobachtungspraktiken, die von dem Diskurs organisiert und kanalisiert werden, und zweitens den (malerischen) Bildformen, die ähnlich wie die sprachlichen Aussagen nicht als »Dokumente« oder Zeichen eines dahinterliegenden Sinns, sondern als opake, materielle »Monumente« zu verstehen sind (AW: 198), die in ihrer oberflächlich-formalen Strukturiertheit eine eigenständige, d.h. diskursunabhängige Struktur aufweisen. So korreliert das klassische Repräsentationsdenken einerseits mit einer rationalen Beobachtungshaltung, die alle sichtbaren Phänomene erfasst, klassifiziert und zu einem taxonomischen Tableau anordnet, und andererseits mit der Auffassung, dass ein Gemälde wie ein durchsichtiges »Fenster« funktioniert, das den unverstellten Blick auf die Ordnung der Welt freigibt. Wie Foucault am Beispiel von Las Meninas aufzeigt, kann diese visuelle Logik der Klassik, die jedem Ding und jedem Individuum einen festen Platz in dem Tableau bzw. dem perspektivisch aufgezogenen Raum zuschreibt, den Menschen jedoch nicht als ein tätigschöpferisches oder wahrnehmend-synthetisierendes Subjekt darstellen. Demgegenüber setzt Foucault zufolge das anthropozentrische Denken der Moderne genau an diesem »blinden Fleck« des klassischen Repräsentationsregimes an und verlagert nunmehr die Bedingungen der Wahrnehmung und der Erkenntnis in die unsichtbaren und ungedachten Tiefen des menschlichen Subjekts. Die modernen empirischen Wissenschaften bilden folglich einen »Tiefenblick« aus, der die – in der klassischen Botanik und Medizin unangetastet gebliebene – Oberfläche der (lebendigen) Dinge durchschneidet, um in ihren versteckten Organisationsformen die eigentlichen Voraussetzungen ihrer Gestalt, ihrer Lebensweise und ihres Verhaltens zu entdecken. In der modernen malerischen Praxis wird hingegen das Bild selbst als ein materielles (quasi-transzendentales) Objekt aufgefasst, dessen Wirkmächtigkeit nicht mehr in der Illusion, sondern in der Hervorbringung eines eigenständigen ästhetisch-visuellen Aushandlungsraums liegt. Eine solche »archäologische« Analyse trägt entscheidend dazu bei, die visuelle Ordnung einer Zeit zu entschlüsseln. Wie einleitend bereits angemerkt, ist jedoch anzunehmen, dass sich die historische Schicht der Sichtbarkeit nicht allein aus dem epis-
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temologischen Diskurs und den damit korrespondierenden künstlerischen Repräsentationsformen ableiten lässt. So hat bereits die nähere Betrachtung von Manets Bildern gezeigt, dass die moderne Malerei zwar durchaus die (human-)wissenschaftliche Wissens- und Wahrnehmungsordnung reflektiert, darüber hinaus aber auch der Tatsache Rechnung trägt, dass das Sehen und Handeln der Subjekte von den veränderten räumlichen, visuellen und sozialen Lebensbedingungen in der Großstadt beeinflusst wird. In diesem Sinne müsste Foucaults Archäologie der visuellen Kultur in zweifacher Hinsicht ergänzt werden: erstens um die historische Rekonstruktion solcher Wahrnehmungsweisen, die – wie beispielsweise der »blasierte« oder der »zerstreute« Blick – nicht unmittelbar mit einem seriösen Diskurs in Verbindung stehen oder dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn dienen.105 Und zweitens muss die Analyse der visuellen Ordnung einer Kultur neben den bildlichen Repräsentationsformen auch solche Artefakte berücksichtigen, die die Welt nicht zur Darstellung bringen, aber nichtsdestotrotz zur »visuellen Formation« einer Zeit gehören und somit ebenfalls die visuelle Wahrnehmung bedingen. Dazu gehören etwa die architektonischen und räumlichen Gebilde, die Mode und das Mobiliar, die Techniken und Apparate sowie ganz allgemein die profanen Gebrauchsgegenstände, mit denen das Subjekt tagtäglich hantiert. Da aber die Archäologie weder die materielle Kultur noch den Raum oder die nicht-diskursiven, körperlichen »Hintergrundpraktiken« (Dreyfus/Rabinow 1987: 195) als eigenständige Instanzen der kulturellen Ordnung betrachtet, kann sie aber genau diese beiden Aspekte der visuellen Kultur – die nicht diskursiv vermittelten alltäglichen Wahrnehmungsmodi und die nicht-repräsentationalen visuellen Artefakte – nicht erfassen. Eine solche analytische Perspektive, die auch die Materialität von Kultur berücksichtigt, entwickelt Foucault erst in seiner genealogischen Wende hin zu einer Analyse der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und des historischen Gewordenseins des Subjekts. Wie im Folgenden näher darzustellen sein wird, findet Foucault aber trotz dieser »materialistischen« Neuausrichtung auch in diesem Zusammenhang keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie das Sehen durch die alltäglichen Artefakte bedingt wird.
105 Im Rekurs auf Foucaults Unterscheidung von primären, sekundären und tertiären Beziehungen könnte man also sagen, dass die von ihm in Die Ordnung der Dinge untersuchten wissenschaftlichen Beobachtungspraktiken zu den »sekundären Beziehungen« gehören, also solche, die den Diskurs »anwenden«, während die hier aufgezählten Blickweisen zu den »primären« Praktiken und Beziehungen gehören, die von dem Diskurs nicht unmittelbar berührt werden (AW: 69). In der Archäologie des Wissens hatte Foucault jedoch ausschließlich der tertiären Beziehung – also den Aussageformationen – eine ordnungsstiftende Funktion zugesprochen.
2.2 Sichtbare Körper Das Subjekt im Dispositiv
Im Kontext seiner archäologischen Analyse der Denksysteme hatte sich Foucault vor allem mit zwei Aspekten der historisch spezifischen visuellen Ordnung beschäftigt: mit dem künstlerischen »Wissen« und den bildlichen Repräsentationsformen einer Zeit auf der einen und mit den wissenschaftlichen Wahrnehmungsräumen und Visualisierungstechniken auf der anderen Seite. In den 1970er Jahren verschiebt sich dagegen sein theoretischer und analytischer Fokus in Richtung einer umfassenderen machttheoretischen Dispositivanalyse, die neben den visuellen und diskursiven Wissenspraktiken nun auch die Körpertechniken, Raumordnungen und Artefaktarrangements als eigenlogische »Agenten« der historischen Subjektivierung anerkennt. Diese analytische Hinwendung zu der Frage der Macht und der räumlich-materiellen Machttechnologien, die bereits in Foucaults ersten Schriften – Wahnsinn und Gesellschaft und Die Geburt der Klinik – implizit eine Rolle gespielt hatten, kann sowohl auf innertheoretische Sackgassen der Archäologie als auch auf äußere, politische Bedingungen von Foucaults Arbeit zurückgeführt werden. Denn die archäologische Methode weist insofern systematische und konzeptionelle Schwächen auf, als sie weder die Aktivität der handelnden Subjekte begründet,1 noch den Wandel der Diskurse plausibel erklären kann (Dreyfus/Rabinow 1987: 83).2 Zudem dürfte es Fou-
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Diese »Subjektlosigkeit« seiner Theorie wurde ihm vor allem von marxistischer Seite als unkritische oder anti-humanistische Haltung ausgelegt.
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Foucault beschreibt rückblickend seine Hinwendung zum Problem der Macht wie folgt: »Doch was in meiner Arbeit fehlte, war dieses Problem der ›diskursiven Ordnung‹, der dem Spiel des Aussagens eigenen Machtwirkungen. Ich warf sie viel zu sehr mit der Systematizität, der theoretischen Form oder so etwas wie dem Paradigma zusammen. An der Stelle, an der Histoire de la folie und Les Mots et les Choses zusammenflossen, bot sich dann dieses von mir noch sehr schlecht isolierte zentrale Machtproblem in zwei äußerst unterschiedli-
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cault, der sich seit Anfang der 1970er Jahre aktiv in der Anti-Gefängnis- (GIP) und der Studentenbewegung engagierte, politisch unbefriedigend erschienen sein, die sozialen Ausprägungen und realen Zwänge der historischen Daseinsbedingungen allein auf die Formation wissenschaftlicher Diskurse zurückzuführen. In der Folge distanziert sich Foucault also von dem latenten »Textualismus« der Archäologie3 und beginnt sowohl die Frage des Subjekts als auch die materiellen und sozialen »Hintergrundpraktiken« (Dreyfus/Rabinow 1987: 195), die er in Abgrenzung von der phänomenologischen und hermeneutischen Tradition bisher bewusst ausgeklammert hatte, in seine historische Analyse miteinzubeziehen. Es ließe sich somit sagen, dass er seit Beginn der 1970er Jahre darum bemüht ist, sein historisches Analysemodell »vom Kopf auf die Füße« zu stellen.4 So verabschiedet er sich bereits in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France, die 1971 unter dem Titel Die Ordnung des Diskurses (Odis) erscheint, von der These, dass alle sozialen Praktiken von dem Diskurs her organisiert werden (AW: 106), und kündigt an, seine archäologische Methode um eine weitere analytische Perspektive, einer von Friedrich Nietzsche inspirierten Genealogie der Macht, ergänzen zu wollen (ODis: 39ff.).5 Diese verbleibt nicht bei der diskursimmanenten
chen Ansätzen dar«, und im demselben Gespräch an etwas späterer Stelle: »Wenn ich jetzt darüber nachdenke, sage ich mir, worüber habe ich denn zum Beispiel in Histoire de la folie oder in Naissance de la clinique sprechen können, wenn nicht über die Macht? Nun ist mir freilich vollkommen bewusst, dass ich praktisch das Wort nicht verwendet und dieses Feld von Analysen nicht zu meiner Verfügung hatte.« (DE3/192: 193f.) 3
Wie oben bereits ausführlicher dargestellt wurde, geht allerdings schon die »Archäologie« davon aus, dass es neben den diskursiven Praktiken auch eigenlogische nichtdiskursive Praktiken gibt.
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Allerdings ist der theoretisch-analytische Bruch zwischen diskurs- und dispositivanalytischem Raum- und Körperkonzept auch nicht überzubewerten – so lassen sich gerade in seinen frühen Studien, die der Ausformulierung des archäologischen Konzepts vorangingen, einige Motive und Thematiken finden, die er später in seiner genealogischen Analyse der Disziplinar- und Biomacht wieder aufgreift, und umgekehrt baut sein »materialistischer« und »praxistheoretischer« Dispositivbegriff zu einem Gutteil auf seinen früheren diskursanalytischen Überlegungen auf.
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In diesem »Text des Übergangs« (DE3/197: 299) vertritt er allerdings noch die These, dass das ursprüngliche »Wuchern des Diskurses« (Odis: 33) durch diskursinterne und -externe Strategien der Verknappung im Zaum gehalten wird. Zu letzteren zählt er etwa die institutionellen Ausschließungsprozeduren, die von einem »Willen zur Wahrheit« bzw. einem »Willen zur Macht« getragen werden (Odis: 11, 17). In seinen späteren Arbeiten distanziert er sich allerdings von diesem negativen Modell der »Verknappung«
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Analyse der Aussageformationen, sondern spürt den vielfältigen niederen »Herkünften« der »Wahrheitsregime« nach, die in den vielen kleinen und »lächerlichen« Zufallsereignissen der Geschichte (DE2/84: 172) sowie den sozialen Antagonismen und Kräfteverhältnissen zu suchen sind. »Ich glaub, dass das, worauf man sich beziehen muss, nicht das große Modell der Sprache und der Zeichen, sondern das des Krieges und der Schlacht ist. Die Geschichtlichkeit, die uns […] bestimmt ist kriegerisch; sie ist nicht sprachlicher Natur.« (DE3/192: 192)
Foucault interpretiert den Diskurs also nicht mehr als eine selbstständige Entität, die sich aus sich selbst heraus bildet, sondern ordnet sie den anonymen Machtverhältnissen unter, die er nunmehr als die eigentlichen historischen Triebkräfte versteht (DE3/192: 192).6 Auch wenn Foucault mehrfach betonte, mit seiner Machtkonzeption keinen Theorieanspruch verfolgen zu wollen (WW: 102), kann aus seinen Axiomen, Beschreibungsbegriffen und Quasi-Definitionen durchaus eine systematischbegriffliche Bestimmung der Macht abgeleitet werden (Saar 2007: 205ff.). Dazu gehört, dass sich Foucault von den klassischen bürgerlichen und marxistischen Machttheorien abgrenzt, die von der repressiven Wirkung und eindeutigen Lokalisierbar-
oder des »Verbots« als zentrale Formen der Machtausübung und betont stattdessen die produktive und strategische Funktion der Macht (DE3/197: 299f.). 6
So nimmt Foucault in Nietzsche, die Genealogie, die Historie Nietzsches Formel auf, dass der »Wille zum Wissen« stets mit einem »Willen zur Macht« verbunden sei, und deutet nunmehr jegliche Interpretationstätigkeit als Strategie, »sich mit Gewalt und List eines Regelsystems zu bemächtigen, das in sich keine Wesensbedeutung trägt, und es in den Dienst eines neuen Willens zu stellen, in ein anderes Spiel einzubringen und es anderen Regeln zu unterwerfen«. In diesem Sinne sei »das Werden der Menschheit eine Abfolge von Deutungen. Und die Genealogie muss deren Historie sein: die Geschichte der Moralvorstellungen, der Ideale, der metaphysischen Begriffe, des Begriffs der Freiheit oder des asketischen Lebens, jeweils als Entstehung andersartiger Deutungen.« (DE2/84: 178) Siehe dazu auch Gutman 1999: 399f. Auch in seinen späteren Texten, in denen er einen eher relationalen und produktiven Machtbegriff vertritt, ordnet Foucault den Diskurs der Macht unter. So beschreibt er u.a. in einem Interview sein Verhältnis zur Geographie: »Je weiter ich gehe, desto mehr habe ich den Eindruck, dass die Formationen der Diskurse und die Genealogie des Wissens nicht von Bewusstseinstypen, Wahrnehmungsmodalitäten oder Formen von Ideologien, sondern von Machttechniken und -strategien her zu analysieren sind.« (DE3/169: 54) Ebenso schreibt er in Überwachen und Strafen: »Eher ist wohl anzunehmen, daß die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloß fördert, anwendet, ausnutzt) […].« (ÜS: 39)
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keit von Macht (bei einer Klasse, einer sozialen Gruppe oder bei einzelnen Personen) ausgehen (Deleuze 1977: 103-106, 1987: 39-47), und stattdessen die Anonymität7 und den »strikt relationalen Charakter der Machtverhältnisse« (WW: 117) hervorhebt.8 Er konzipiert die Macht also nicht substantialistisch, sondern eher im Sinne einer heuristischen Grundannahme, wonach Gesellschaft als ein Spiel von antagonistischen Kräfteverhältnissen analysiert werden muss (Saar 2007: 212). »Unter Macht, scheint mir, ist zunächst zu verstehen: die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kräfteverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt.« (WW: 113)
Diese anonymen Kräfteverhältnisse können Foucault zufolge aber nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie sich in materiellen Techniken, Mechanismen und Prozeduren »verobjektivieren« und reproduzieren: in der Dressur des Körpers und seiner Praktiken, den Ritualen und Institutionen, den Instrumenten und Architekturen sowie der räumlichen Verteilung der Körper und Artefakte. Diese materielldinglichen Gestalten und Praktiken – so Foucaults These – verbinden sich mit den Diskursen zu einem strategischen Beziehungs- und Verweisungszusammenhang – einem Dispositiv: »Das, was ich mit diesem Begriff [des Dispositivs, S.P.] zu bestimmen versuche, ist erstens eine entschieden heterogene Gesamtheit, bestehend aus Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen und philanthropischen Lehrsätzen, kurz, Gesagtes ebenso wie Ungesagtes, das sind die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das man zwischen diesen Elementen herstellen kann.« (DE3/206: 392)
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In diesem Sinne sei Macht als eine Strategie ohne einen dahinterstehenden, intentional handelnden Strategen zu verstehen (DE3/206: 401ff.), d.h. als antagonistisches Spiel von anonymen taktischen Rationalitäten. Auch wenn Foucault einen solchen »weiten« Machtbegriff vertritt, bedeutet das nicht, dass er die Bedeutung der Klassenstrukturen und der Geschlechterhierarchien gänzlich vernachlässigt, wie ihm von marxistischer und feministischer Seite vorgeworfen wurde. Vielmehr sieht er diese Herrschaftsverhältnisse als Ergebnis spezifischer Machtverhältnisse und -technologien wie beispielsweise des Disziplinar- und Sexualitätsdispositvs an, die nicht nur die unterdrückte, sondern auch die herrschende Klasse erst hervorbringen (DE3/206: 402, 409).
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An anderer Stelle bezeichnet er die Macht als dynamisches »Bündel von Relationen« (DE3/206: 397).
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Foucault behandelt die nicht-diskursiven Elemente also nicht mehr länger als bloße »Faktizitäten«, die erst durch die diskursive Überformung an sozialer Bedeutung gewinnen, sondern als eigenständige Dimensionen, die in ihrer Formation selbst eine historisch und kulturell spezifische Regelmäßigkeit oder Ordnung aufweisen.9 In der Überlagerung und Topologie dieser verschiedenen Ordnungsebenen nimmt der Diskurs nicht immer eine übergeordnete Position ein, sondern erscheint in Abhängigkeit von der gesamten strategischen oder machttechnologischen Ausrichtung des Dispositivs mal als »Programm einer Institution«, mal als Rechtfertigung oder »Sekundärinterpretation« einer nicht-diskursiven Praktik (DE3/206: 392f.). In diesem Sinne interessiert sich Foucault insbesondere für die »Natur der Verbindung, die zwischen diesen heterogenen Elementen [oder: Ordnungsdimensionen, S.P.] bestehen kann« (ebd.). Mit diesem stärkeren analytischen Interesse an den sozialen »Hintergrundpraktiken« (Dreyfus/Rabinow 1987: 195), nicht-diskursiven Materialitäten und den vielfältigen Relationen, die sich zwischen ihnen ergeben, ist auch eine Verschiebung des Analyseziels verbunden: Anstatt sich auf die epistemologischen Bedingungen des (wissenschaftlichen) Wissens zu konzentrieren, verfolgt Foucault nun das nietzscheanische Ziel, das historische Gewordensein des modernen aufgeklärten (Erkenntnis-)Subjekts zu bestimmen (DE2/139: 674ff., DE3/192: 195, ÜS: 285). Die genealogische Perspektive fragt mit anderen Worten danach, wie das Subjekt von den verschiedenen dispositiven Ordnungen in seinem konkreten »Dasein«, d.h. seinem Selbstverständnis, seinen intersubjektiven und interobjektiven Alltagspraktiken und insbesondere seinen Körpertechnologien geformt und an eine gesellschaftliche Norm angepasst wird. »Wenn ich an die Mechanik der Macht denke, dann denke ich an ihre kapillare Existenzform, an den Punkt, an dem die Macht den Kern der Individuen angreift, an ihre Körper rührt, sich in ihre Gesten, ihre Einstellungen, ihre Diskurse, ihr Lernen und ihr alltägliches Leben einschaltet.« (DE2/156: 915)
Wie im Folgenden näher herauszuarbeiten sein wird, wirkt sich diese »materialistischere« Perspektive auch auf die Konzeption von visueller Ordnung aus. Und das
9
Es ist also Siegfried Jägers Interpretation zu widersprechen, wonach es Foucault darum gehe, mit dem Dispositivbegriff das »Nebeneinander von Diskurs und Wirklichkeit, bzw. Gegenständen« zu fassen und er dabei übersehe »daß die Diskurse und die Welt der Gegenständlichkeiten bzw. Wirklichkeiten substantiell miteinander vermittelt sind« (Jäger 2001b: 75f.). Ebenso wenig trifft Reiner Kellers Deutung zu, dass das Dispositiv lediglich als »institutioneller Unterbau« des Diskurses zu verstehen sei (Keller 2007: 45).
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nicht nur, weil Foucault in Überwachen und Strafen aufzeigt, dass die Wirkung der modernen Disziplinarmacht zu einem Gutteil auf einem ausgeklügelten, architektonisch verankerten Überwachungssystem beruht. Der genealogische Ansatz, der die Körperlichkeit des Subjekts und die Materialität des Raums und der Artefakte berücksichtigt, birgt zudem das Potential in sich, das Sehen als eine körperliche Praxis zu konzipieren, die nicht nur von der diskursiven Vorstrukturierung der Wahrnehmungsräume abhängt, sondern darüber hinaus auch durch den konkreten Kontakt mit den räumlichen und dinglichen Formationen beeinflusst wird. Allerdings wird sich herausstellen, dass Foucault in seinen machttechnologischen Schriften diesen Schritt hin zu einer »postphänomenologischen« Theorie des Subjekts noch nicht vollzieht und erst in seinem Spätwerk einen Ansatz entwickelt, der dieses Wechselspiel zwischen wahrnehmendem Körper und äußerer Ordnung zu fassen imstande wäre. Um diesen Bogen schlagen zu können, soll hier noch einmal genauer auf das Körper-, Artefakt- und Raumkonzept der Genealogie eingegangen werden, bevor dann Foucaults Panoptismusthese kurz rekapituliert wird. 2.2.1 Die materiellen Dimensionen von Kultur: Körper, Raum und Artefakte Bereits in seiner »archäologischen« Phase hatte sich Foucault – wenn auch weniger gezielt – mit der theoriesystematischen Relevanz von Materialität und der historischen Bedingtheit des Raums, der Dinge und des menschlichen Körpers auseinandergesetzt. Zu diesen Ansätzen gehört zum einen die archäologische Grundannahme, wonach der Diskurs eine Quasi-Materialität besitze, die in ihrer topologischen Ordnung zu untersuchen sei,10 und zum anderen die verschiedenen diskursanalytischen Arbeiten, die die diskursive Wissensproduktion mit der räumlichen Anordnung der zu untersuchenden Gegenstände in Verbindung bringen.11 So hatte Foucault in Die Ordnung der Dinge die Konvergenz von Wissens-, Ding- und Raumordnungen am Beispiel der botanischen Gärten und Herbarien des 16. und 17. Jahrhunderts vorgeführt, die nach Maßgabe der naturhistorischen Taxonomien angelegt wurden, und in die Die Geburt der Klinik aufgezeigt, dass selbst der anatomisch-physiologische Körper, der üblicherweise als eine biologische »Tatsache« eingestuft wird, als ein diskursiv konstruiertes »Erkenntnisobjekt« zu verstehen ist,
10 So betonte Foucault schon in den 1960er Jahren, dass sein archäologischer Ansatz der von der Annales-Schule geprägten »Geschichte der materiellen Kultur« und insbesondere der »géohistoire« von Fernand Braudel näher steht als der idealistischen Ideengeschichte (DE1/48: 750, 752, DE1/66: 982, DE1/68: 1001). 11 Siehe dazu auch Philo 2000: 218ff.
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das erst durch seine Positionierung innerhalb der räumlichen Ordnung des Krankenhauses und des modernen medizinischen Diskurses an Gestalt gewinnt.12 Das Innovative des Dispositivkonzepts liegt also nicht darin, dass es den Körper, den Raum und die Artefakte berücksichtigt, sondern dass es diese »materiellen« Faktoren der Kultur als eigenständige, d.h. wissens- und subjektkonstitutive Dimensionen in die historische Analyse miteinbezieht. 2.2.1.1 Der Körper als Austragungsort der Geschichte Dass Foucault zu Beginn der 1970er Jahre (wieder) ein Interesse für die nichtdiskursiven Praktiken des menschlichen Körper entwickelt, lässt sich auf seine intensive Auseinandersetzung mit den Schriften Friedrich Nietzsches zurückführen.13 Dieser hatte die anti-idealistische These vertreten, dass die historische Genese von Wahrheit und Subjektivität nicht auf die fortschreitende Entwicklung des menschlichen Bewusstseins zurückzuführen sei, sondern auf die antagonistischen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sowie die Spuren, die diese Kräfteverhältnisse auf den Körpern der Individuen hinterlassen.
12 Diese These, dass die räumliche Ordnung des Krankenhauses vom medizinischen Diskurs strukturiert werde, vertritt er z.T. auch noch in seinen späteren Texten zur Psychiatrie. Siehe etwa DE2/143. 13 Foucault hatte Nietzsche – als einzigem seiner wichtigen Referenzautoren neben Kant – 1971 eine eigenständige Abhandlung Nietzsche, die Genealogie, die Moral (DE2/84) gewidmet. In diesem Text, den Scott Lash auch als den »key methodological essay after his break with archaeology« (Lash 1991: 259) bezeichnet, schreibt Foucault Nietzsche das Verdienst zu, mit dem Konzept der Genealogie dem modernen »metahistorischen« Geschichtsmodell, das Foucault bereits in Die Ordnung der Dinge kritisiert hatte, eine antimetaphysische Geschichtsauffassung entgegengehalten zu haben. Denn anstatt von einer geschlossenen Linearität der »Wahrheit« oder einem »wesenhaften« Ursprung des menschlichen Subjekts auszugehen, sucht er nach den »niederen« und lächerlichen »Herkünften«, Entstehungsherden und Ereignissen (DE2/84: 170ff.), die sowohl die gültigen Wissens- und Erkenntnisformen als auch das moderne Subjekt in seinen Gefühlen, Werten und moralischen Normen hervorgebracht haben. Genauso wie später Foucault hatte sich also bereits Nietzsche von der kantischen Idee verabschiedet, dass es ein historisch konstantes »Transzendentalsubjekt« gäbe, das jederzeit frei ist, sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen, und stattdessen die Annahme vertreten, dass das Subjekt in seinem Denken und seinem Selbstverhältnis von den äußeren Bedingungen geprägt ist. Für eine ausführliche theoretische Aufarbeitung des Foucault-Nietzsche-Bezugs siehe auch Saar 2007.
114 | DIE P RAXIS DES S EHENS »Der Leib – und alles, was damit zusammenhängt: Ernährung, Klima, Boden – ist der Ort der Herkunft; auf dem Leib findet man die Stigmata vergangener Ereignisse; aus ihm erwachsen die Begierden, Schwächen und Irrtümer.« (DE2/84: 174)
Die genealogischen Perspektive verwirft also sowohl den klassischen Biologismus, der den Körper als eine »natürliche« Entität einstuft, als auch den Cartesianismus, der zwischen dem wahrheitsfähigen Geist und dem täuschungsanfälligen Körper eine strikte Trennung einführte. In Abgrenzung zu diesen beiden Modellen fasst die Genealogie den Körper vielmehr als das zentrale soziale und historische Medium auf, in dem sich die gesellschaftlichen Normen, die geschichtlichen Ereignisse und die Unterwerfungsprozesse ganz buchstäblich einschreiben.14 Die »Psyche«, die von der neuzeitlichen Philosophie als der eigentliche Hort der menschlichen (Willens-)Freiheit angesehen wurde, erscheint dabei nur noch als eine simple »Verdoppelung« oder »Widerspiegelung« der auf den Körper gerichteten Unterwerfungsund Zurichtungsprozeduren. »Eine ›Seele‹ wohnt in ihm und schafft ihm eine Existenz, die selber ein Stück der Herrschaft ist, welche die Macht über den Körper ausübt. Die Seele: Effekt und Instrument einer politischen Anatomie. Die Seele: Gefängnis des Körpers.« (ÜS: 42)
Diese nietzscheanischen Konzeptionen von Macht, Körper und »Seele« erweitert gleich in mehrfacher Hinsicht Foucaults bisheriges Geschichtsmodell. Denn während er sich in der »diskursanalytischen« Phase weder für das Subjekt in seiner körperlichen Positivität noch für den Vorgang der Internalisierung der Diskurse interessiert hatte, wendet er sich nun der Frage zu, wie und auf welchem Wege das
14 »Wir glauben, der Leib unterliege allein den Gesetzen der Physiologie und sei daher der Geschichte entzogen. Doch auch das ist ein Irrtum. Der Leib ist einer ganzen Reihe von Regimen unterworfen, die ihn formen, etwa dem Wechsel von Arbeit, Muße und Festlichkeiten; er wird vergiftet, von Nahrung und von Werten, von Ernährungsgewohnheiten geradeso wie von Moralgesetzen; und er bildet Resistenzen aus.« (DE2/84: 179) Allerdings haben etwa Judith Butler und Chris Shilling darauf hingewiesen, dass Foucaults genealogischer Körperbegriff insofern ambivalent oder in sich widersprüchlich ist, als der Körper einerseits als der Ort erscheint, an dem der machttechnologische Zwang ansetzt und somit gewissermaßen schon vor seiner sozialen Zurichtung durch das Macht-Wissen in irgendeiner Weise vorhanden sein muss, andererseits aber Foucault entgegen der subjektphilosophischen und biologischen Auffassungen davon ausgeht, dass der Körper niemals »natürlich« sein kann, sondern stets in irgendeiner Weise konstruiert ist (Butler 2003; Shilling 1993).
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Subjekt die äußeren, z.T. konkret materiellen Bedingungsverhältnisse inkorporiert. Das historisches Subjekt wird also nicht mehr ausschließlich als ein bewusstdenkendes Wesen interpretiert, das auf der Grundlage der diskursiven Ordnungsstrukturen die »Dinge« epistemologisch einteilt, sondern als ein genuin verkörpertes Wesen, das durch die historisch spezifischen Macht-Wissens-Komplexe »unterworfen« und in seinen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken geformt wird. Wie Foucault mehrfach betont, verläuft dieser physische Subjektivierungsprozess aber nicht zwangsläufig gewaltförmig. So zeichne sich etwa das moderne Körperregime dadurch aus, dass es auf die blutigen Strafformen des Ancien Régime verzichtet und stattdessen bestimmte körperlich-mentale Praktiken, Selbstverhältnisse und Relationen beobachtet, lenkt und »diszipliniert«, um die Gesundheit – und damit die militärische und ökonomische Stärke – des Einzelnen und der Bevölkerung insgesamt – zu maximieren. »Der Körper steht […] unmittelbar im Feld des Politischen; die Machtverhältnisse legen ihre Hand auf ihn, sie umkleiden ihn, markieren ihn, dressieren ihn, martern ihn, zwingen ihn zu Arbeiten, verpflichten ihn zu Zeremonien, verlangen von ihm Zeichen. Diese politische Besetzung des Körpers ist […] an eine ökonomische Nutzung gebunden; […] zu einer ausnutzbaren Kraft wird der Körper nur, wenn er sowohl produktiver wie unterworfener Körper ist.« (ÜS: 37)
Aber nicht nur das: wie Foucault insbesondere in Der Wille zum Wissen (WW) herausarbeitet, konnte die moderne Biomacht nur deshalb eine so durchschlagende Wirkung entfalten, weil ihre diskursiven und nicht-diskursiven Strategien darauf zielten, dem Subjekt ein spezifisches körperlich-mentales Selbstverhältnis und Begehrensmuster, die sexuelle Lust, einzupflanzen. Da der sexuelle Trieb aber gleichzeitig unter den Generalverdacht gestellt wurde, potentiell gesellschaftsbedrohliche »Perversionen«, »Anomalitäten« und »Degenerationen« hervorzubringen, bot dieses Konzept zudem Ansatzpunkte für weitere »normalisierende« Machttechnologien – sei es das Geständnisritual in der christlichen Beichte und der psychoanalytischen Therapie, welches das Subjekt dazu zwingt, die kleinsten Regungen der körperlichen Lust kritisch zu beargwöhnen, sowie die bevölkerungsregulativen Vorkehrungen der öffentlichen Hygiene und Psychiatrie, die das heterosexuelle Paar reproduktionspolitisch in die Pflicht nehmen, die Familien dazu anhalten, die erotischen Praktiken der Kinder zu unterbinden, und die triebhaften, »gefährlichen« Individuen identifizieren, um sie möglichst noch vor dem Begehen einer Straftat dem »Gesellschaftskörper« zu entziehen.15 In der Moderne bildet sich demnach ein um-
15 Siehe dazu auch Kapitel 2.1.2.1.
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fassendes, biopolitisches »Sexualitätsdispositv« aus, das das Subjekt als »lustvolles« adressiert, als arbeitendes und reproduktives Individuum fördert und schließlich als potentiell »perverses« oder »gefährliches« Wesen durchleuchtet.16 Die körperlichen Machttechnologien funktionieren Foucault zufolge also nicht (nur) als repressive Unterdrückungsinstanzen, die die (sexuelle) Freiheit des Subjekts einschränken – eine Annahme, die insbesondere die Freudianer vertreten –, sondern als »produktive« Kräfte (ÜS: 41, 250), die den Körper in allen seinen positiven wie negativen Affekten, Trieben, Kräften und Fähigkeiten erst hervorbringen.17 »Sie [die Analyse, S.P.] muss zeigen, dass die Macht noch hinterhältiger ist. Dass sie nicht allein darin besteht zu unterdrücken – zu verhindern, Hindernisse aufzurichten und zu bestrafen –, sondern dass sie noch viel tiefer eindringt, indem sie Begehren schafft, Lust hervorruft und Wissen hervorbringt.« (DE2/160: 956)18
In diesem Sinne können also auch ganz alltägliche und scheinbar »freiwillig« ausgeführte Handlungen wie sportliche Übungen und medizinische Therapien, Schönheits- und Körperpflegerituale, Spaziergänge und Freizeitrituale sowie sexuelle
16 Foucault entfaltet diese Argumentation in seinen Vorlesungen Die Macht der Psychiatrie von 1973-1974 (MP) und Die Anormalen von 1974-1975 (AN) sowie Der Wille zum Wissen (WW). 17 Geprägt von seinem eigenen Interesse an der Frage des Affekts interpretiert Deleuze daher auch die Ausübung der Macht als ein Spiel der gegenseitigen Affektion, »da die Kraft sich selbst durch ihr Vermögen [pouvoir] definiert, andere Kräfte zu affizieren (mit denen sie in Beziehung steht) und von anderen Kräften affiziert zu werden. Anregen, veranlassen, produzieren (oder auch alle Begriffe auf analogen Listen) sind aktive Affekte, und angeregt werden, veranlaßt werden, zum Produzieren bestimmt werden und einen ›Nutzen‹ bewirken sind reaktive Affekte«; weiter: »Die Fähigkeit, affiziert zu werden, ist gleichsam eine Materie der Kraft, und die Fähigkeit zu affizieren ist gleichsam eine Funktion der Kraft.« (Deleuze 1987: 100f.) Auch Judith Butlers psychoanalytische Erweiterung des Foucault’schen Vokabulars um den Begriff des leidenschaftlichen »Verhaftetsein[s] mit der Unterwerfung« stellt heraus, dass die Macht sich nur dann durchsetzt, wenn sie auch in der Lage ist zu affizieren (Butler 2001: 85). Siehe dazu auch ausführlicher Kapitel 3.2.3. 18 Ähnlich auch schon in einem späteren Gespräch: »Dass die Macht Bestand hat, dass man sie annimmt, wird ganz einfach dadurch bewirkt, dass sie nicht bloß wie eine Macht lastet, die Nein sagt, sondern dass sie in Wirklichkeit die Dinge durchläuft und hervorbringt, Lust verursacht, Wissen formt und einen Diskurs produziert; man muss sie als ein produktives Netz ansehen […].« (DE3/192: 197)
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Handlungen und andere lustvolle Praktiken als Formen und Ergebnis einer machttechnologischen Besetzung des Körpers verstanden werden. Im Unterschied zu den klassischen Gesellschaftstheorien, die das moderne Subjekt als ein moralisch-vergeistigtes Wesen und die bürgerliche Herrschaftsform als eine »entkörperlichte« Form der Machtausübung verstehen, deutet Foucault die moderne Biomacht also als eine genuin physische Technologie,19 die über den »gewaltlosen Zwang« der Gefängnisse, Schulen und Fabriken sowie der Beichtstühle, Therapeuten und die Familie operiert, um das moderne, vernunftbegabte bürgerliche Subjekt zu »produzieren«.20 »Man muss zunächst eine sehr verbreitete These zurückweisen, wonach in unseren bürgerlichen und kapitalistischen Gesellschaften die Macht die Wirklichkeit des Körpers zugunsten von Seele, Bewusstsein und Idealität verleugnet hätte. Tatsächlich ist nichts materieller, nichts physischer, körperlicher als die Ausübung der Macht.« (DE2/157: 935)21
19 Indem Foucault die Disziplin als die Schlüsselkategorie der Moderne hervorhebt, folgt er zwar Max Weber, stellt jedoch nicht die moralisch-kognitive Ebene der protestantischen Ethik, sondern die disziplinarischen Körpertechnologien und die biopolitische Regulierung der Bevölkerung ins Zentrum seines Kapitalismusverständnisses: »Es ist bekannt, wie oft man die Rolle einer asketischen Moral im ersten Stadium des Kapitalismus betont hat. Was sich aber im 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Entwicklung des Kapitalismus in einigen Ländern des Okzidents abgespielt hat, ist ein anderes Phänomen von möglicherweise größerer Tragweite als jene neue Moral, die den Körper zu disqualifizieren schien. Es war nichts geringeres als der Eintritt des Lebens in die Geschichte […].« (WW: 168f.) Zum theoretischen Verhältnis von Weber und Foucault siehe beispielsweise auch Breuer 1986 und Gordon 1987. 20 Mit der nietzscheanischen These von der unterworfenen Seele in dem unterworfenen Körper variiert Foucault also seine archäologische Kritik an dem abendländischen Mythos von der neuzeitlichen Befreiung des »vernünftig« denkenden Geistes. Aber anstatt sich allein auf eine Dekonstruktion der nach-kantischen und humanwissenschaftlichen Subjekttheorien zu konzentrieren, die das Subjekt als ein souverän denkendes entwarfen, geht es ihm nun zusätzlich darum, die Genese des »modernen Aufklärungssubjekts« auf seine genuine körperliche »Unfreiheit«, d.h. die historisch spezifischen physischen Zwänge und Zurichtungsprozeduren der modernen Machttechnologien zurückzuführen (Sarasin 2005: 42): »Die ›Aufklärung‹, welche die Freiheiten entdeckt hat, hat auch die Disziplin erfunden.« (ÜS: 285) 21 Ähnlich in Der Wille zum Wissen: »Es [das Bürgertum, S.P.] hat sich […] seit der Mitte des 18. Jh. damit beschäftigt, sich eine Sexualität zu geben und sich von da aus einen
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Eine solche genealogische Betrachtung des Körpers als »konkret Gestalt gewordene Figur der Macht« (Saar 2007: 216) lässt sich nicht ohne weiteres in die archäologische Analyse der »seriösen Diskurse« integrieren. Denn sobald der Körper und nicht mehr das Denken im Fokus der historischen Analyse steht, erscheinen sowohl die antiphänomenologische Ausrichtung der Archäologie, die die alltäglichen sozialen Praktiken ausgeklammert hatte, als auch die These nicht mehr haltbar, der zufolge die Dinge lediglich durch den Diskurs in Erscheinung treten können (AW: 73). Stattdessen muss eine »Geschichte des Körpers« (WW: 181) klären, wie sich das diskursive Wissen – wie beispielsweise der humanwissenschaftliche Diskurs – mit den nicht-diskursiven »Hintergrundpraktiken« (Dreyfus/Rabinow 1987: 195), Raumordnungen und Artefaktformationen zu einem institutionellen Dispositiv verbindet,22 das sowohl das Denk- und Sagbare formt als auch den Körper mithilfe verschiedener »Mikrophysiken der Macht« (ÜS: 38) besetzt und kolonisiert. »Meine Suche geht dahin, dass ich zeigen möchte, wie die Machtverhältnisse materiell in die eigentliche Dichte der Körper übergehen können ohne dass sie durch die Vorstellung der Subjekte übertragen werden müssen.« (DE3/197: 302) »Noch bevor sie auf die Ideologie, auf das Bewusstsein des Menschen einwirkt, wirkt die politische Macht ganz physisch auf ihre Körper ein. Die Art, wie man den Leuten Gebärden, Haltungen, Bräuche, die Verteilung im Raum, Arten zu wohnen aufzwingt, diese physische, räumliche Verteilung der Menschen gehört, so scheint mir, zu einer politischen Technik des Körpers.« (DE2/136: 650)
Das bedeutet, dass das genealogische Machtkonzept neben der Materialität des Körpers und der »Inkorporierung« diskursiven Wissens auch die »Verobjektivierungen« und manifesten »Institutionen« berücksichtigen muss, die allein aufgrund ihres physischen interobjektiven Kontakts mit dem Individuum bestimmte Subjektivierungsweisen, körperlich-mentale Praktiken und »alltägliche […] Verhaltensweisen« nahelegen (DE2/160: 955). Wie Foucault besonders eindringlich am Beispiel der modernen Disziplinarmacht in Überwachen und Strafen heraushebt, basieren diese nicht-diskursiven ma-
spezifischen Körper, einen Klassenkörper mit einer eigenen Gesundheit, einer Hygiene, einer Nachkommenschaft, einer Rasse zu erschaffen.« (WW: 149) 22 So schreibt Foucault ganz programmatisch in Überwachen und Strafen: »Zu behandeln wäre der politische Körper als Gesamtheit der materiellen Elemente und Techniken, welche als Waffen, Schaltstationen, Verbindungswege und Stützpunkte den Macht- und Wissensbeziehungen dienen […].« (ÜS: 40)
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teriellen »Subjektivierungsprozeduren« erstens auf den räumlichen Anordnungen der Dinge und Individuen23 und zweitens auf dem physischen Lenkungspotential der technologischen Artefakte, deren Bedienung relativ festgelegte körperliche Gesten und Praxismuster, also ein spezifisches implizites Körperwissen erfordert. 2.2.1.2 Der Raum und die Artefakte als Medien der Subjektivierung Während sich Foucault in seinen archäologischen Arbeiten vor allem mit der Topologie der Erkenntnisgegenstände und den diskursiv hergestellten Wissensräumen beschäftigte und somit eher einen metaphorischen bzw. projektiven Raumbegriff verfolgte, behandelt er seit seiner »machtanalytischen« Wende die konkrete physisch-materielle Raumordnung als ein Medium, das die diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken strukturiert und damit sowohl das Macht-Wissen als auch das historische Subjekt mit hervorbringt.24 Diese praxis-, wissens- und subjektkonstitutive Funktion des physischen Raums führt Foucault u.a. auf die Art und Weise zurück, wie die Körper darin »eingepflanzt« und verortet werden (ÜS: 264), also wie die architektonischen und geographischen Begrenzungen bestimmte räumliche Verteilungen und Positionierungen, körperliche Beschränkungen und soziale Differenzierungen der Individuen erwirken.25
23 So betont auch Honneth den »materiellen« Charakter des Foucault’schen Machtbegriffs: »Jede Subjektwerdung des Menschen, also jede Erzeugung von Typen sozialer Individualität, besitzt für ihn ein unverrückbares Moment materiellen Zwangs, weil es stets, wenn nicht der handgreiflichen Disziplinierung, so doch der physischen Präsenz verräumlichter Gewalt bedarf, um ein menschliches Wesen in das entsprechende Netzwerk sozialer Regeln einzuüben.« (Honneth 2003: 24) Zum Raumbegriff in Foucaults Arbeiten und seiner Rezeption in der Kulturgeographie siehe auch die Sammelbände von Crampton/Elden 2007 sowie Glasze/Mattisek 2009. 24 Wie Sarasin herausstellt, verbinden sich Macht und Wissen vor allem über das Medium des Raums (Sarasin 2005: 140). Ähnliches hatte Foucault selbst in seinem HérodoteInterview gesagt: »Sie haben mir diese räumlichen Obsessionen jetzt genug zum Vorwurf gemacht und mich regelrecht damit belagert. Doch glaube ich, dass ich durch sie entdeckt habe, was ich im Grunde suchte: die Bezüge, die zwischen Macht und Wissen bestehen können. So wie man das Wissen als Region, Gebiet, Einpflanzung, Verlegung oder Übertragung analysieren kann, kann man den Prozess erfassen, durch den das Wissen als eine Macht funktioniert und deren Wirkungen verstärkt.« (DE3/169: 45) 25 Allerdings ist auch dies kein vollkommen neuer Gedanke – so machte Foucault beispielsweise schon in Wahnsinn und Gesellschaft darauf aufmerksam, dass die zunehmende Internierung und »Einschließung« der »Wahnsinnigen« seit dem Beginn der »Klassik« dazu geführt hat, dass die so gekennzeichneten »Anormalen« als absolute Außenseiter der
120 | DIE P RAXIS DES S EHENS »Man müsste eine ganze Geschichte der Räume schreiben – die zugleich eine Geschichte der Mächte wäre –, von den großen Strategien der Geopolitik bis zu kleinen Taktiken des Wohnens, der institutionellen Architektur, dem Klassenzimmer oder der Krankenhausorganisation und dazwischen den ökonomisch-politischen Einpflanzungen.« (DE3/195: 253)
In diesem Sinne untersucht Foucault in Überwachen und Strafen, wie sich das Köper- und Raumprogramm der modernen kapitalistisch ausgerichteten »Disziplinarmacht« von den Mustern der vorhergehenden »souveränen« Macht des Absolutismus unterscheidet. Denn während letztere allein darauf abzielte, die königliche Integrität und Souveränität zu wahren, und sich wenig für die Individuen und die gesellschaftliche Steuerung interessierte, geht es der modernen Macht umgekehrt darum, jedes einzelne Subjekt mittels körperlich-mentaler Dressurtechniken und Disziplinierungsrituale an bestimmte gesellschaftliche Normen, hygienische Standards und ökonomische Erfordernisse anzupassen. Foucault zufolge kann die ungeordnete, namenlose Bevölkerungsmasse aber nur dann in eine geordnete »Vielfältigkeit« überführt werden (ÜS: 279), wenn zwei Vorkehrungen getroffen werden: Die erste Bedingung ist, dass jedem einzelnen Körper ein eindeutiger Platz in einem streng gerasterten oder »parzellierten« Raum zugewiesen wird (ÜS: 181ff.).26 So beruht beispielsweise die Effizienz der modernen industriellen Arbeitsteilung nicht nur auf der zeitlichen Aufspaltung des Arbeitsablaufs in einzelne minutiös geplante Intervalle und körperliche Bewegungen. Die Choreographie des Arbeitsprozesses bedarf zudem der räumlichen Verteilung der so isolierten Arbeitsschritte.
Gesellschaft stigmatisiert und aus jeglichem sozialen Beziehungsnetz exkludiert wurden (WuG). Ebenso hat er in Die Geburt der Klinik gezeigt, dass in den modernen Krankenhäusern der Körper des Patienten einer strikt organisierten therapeutischen Maschinerie überantwortet wird, die die sozial äußerst wirksame Unterscheidung zwischen »gesund« und »pathologisch« trifft. 26 Nach Foucault wurde diese neue »disziplinarische« Raumpolitik erstmalig Ende des 17. Jahrhunderts zur Zeit der Pest umgesetzt. Damit diese sich nicht weiter ausbreiten konnte, wurde der Stadtraum verriegelt und die Stadtbewohner streng überwacht: »Dieser geschlossene, parzellierte, lückenlos überwachte Raum, innerhalb dessen die Individuen in feste Plätze eingespannt sind, die geringsten Bewegungen kontrolliert und sämtliche Ereignisse registriert werden, eine ununterbrochene Schreibarbeit das Zentrum mit der Peripherie verbindet, die Gewalt ohne Teilung in einer bruchlosen Hierarchie ausgeübt wird, jedes Individuum ständig erfaßt, geprüft und unter die Lebenden, die Kranken und die Toten aufgeteilt wird – dies ist das kompakte Modell einer Disziplinierungsanlage.« (ÜS: 253)
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»Die Arbeitskraft wird übersichtlich auf die aneinandergereihten Einzelkörper aufgeteilt und damit in individuellen Einheiten analysierbar. Gleichzeitig mit der Teilung des Produktionsprozesses stößt man bei der Geburt der Großindustrie auf die individualisierende Zerlegung der Arbeitskraft; beides wurde durch die Gliederung des Disziplinarraums ermöglicht.« (ÜS: 186f.)
Doch diese räumliche Strukturierung allein bewirkt noch nicht unbedingt, dass das Individuum »normalisiert« wird. Sie ist vielmehr Voraussetzung dafür, dass das so »platzierte« Individuum zweitens einer permanenten und systematischen Überwachung unterstellt werden kann. Denn erst in einem rundum codierten und standardisierten Fabrikraum, in dem jedem Arbeiter ein eindeutiger Arbeitsplatz zugewiesen wird und jedes zu bearbeitende Werkstück einen vorgezeichneten Parcours durchläuft, wird eine umfassende Kontrolle der individuellen Arbeitsleistung und des gesamten Arbeitsprozesses möglich.27 Wie im folgenden Kapitel noch eingehender erläutert werden soll, geht also die machttechnologische Strukturierung des Raums stets mit einem bestimmten (intersubjektiven) Sichtbarkeitsregime einher. Die räumliche Verteilung ist aber nicht die einzige »materielle« Disziplinartechnologie, die Foucault beschreibt. In Überwachen und Strafen lassen sich darüber hinaus auch einige wenige Hinweise darauf finden, dass er auch die alltäglichen Technologien und Artefakte, die in verschiedenen Praktiken Verwendung finden, zu den disziplinarischen Körpertechnologien zählt. Um beim Beispiel des »Fabrikdispositivs« zu bleiben, könnte man also sagen, dass der Fabrikarbeiter nicht nur durch seine räumliche Positionierung und die zeitliche Aufsplittung des Arbeitsprozesses, sondern auch durch den unerbittlichen Zwang des Fließbandes diszipliniert wird, das ihm immer wieder die gleiche Bewegung abverlangt. Er inkorporiert mit anderen Worten die »Anrufungen« der Technologien, die er bedienen muss, ganz automatisch (DE2/131: 583).28
27 Den Zusammenhang zwischen Disziplin und der parallelen Raum-Zeit-Gliederung beschreibt Deleuze wie folgt: »Die Durchsetzung einer Verhaltensweise [erfolgt] durch die eine räumliche Verteilung […], durch zeitliche Ordnung und Reihung, durch raumzeitliche Zusammensetzung.« (Deleuze 1987: 52) 28 Wie gerade dieses Beispiel nahelegt, lässt sich also in Foucaults machttechnologischem Körperbegriff nicht nur eine nietzscheanische Programmatik ablesen, sondern auch Parallelen zu der Praxistheorie des jungen Marx entdecken (Sarasin 2005: 151), der ebenfalls davon ausging, dass das menschlich-sinnliche Tun als Motor der historischen Entwicklung zu bestimmen sei und die Körper der Arbeiter dem kapitalistischen Produktionsprozess angeglichen werden (Marx 1968b: 541f). Diese »praxeologische« Seite des Marxismus wurde aber in der französischen Diskussion der Nachkriegszeit weitgehend vernach-
122 | DIE P RAXIS DES S EHENS »Die gesamte Berührungsfläche zwischen dem Körper und dem manipulierten Objekt wird von der Macht besetzt: die Macht bindet den Körper und das manipulierte Objekt fest aneinander und bildet den Komplex Körper/Waffe, Körper/Instrument, Körper/Maschine.« (ÜS: 197)
Mit dem macht- bzw. dispositvanalytischen Konzept verändert sich also nicht nur Foucaults Raumbegriff, sondern darüber hinaus auch sein Konzept der materiellen Kultur: Denn während er in der Archäologie des Wissens noch von der quasikonstruktivistischen These ausging, dass die Dinge nur dann in Erscheinung treten können, wenn ihnen der Diskurs einen entsprechenden Platz einräumt, scheint er sich nun auch für die machttechnologische Wirkung zu interessieren, die die Artefakte allein aufgrund ihrer Materialität und konkreten Berührung mit den menschlichen Körpern entfalten.29 In der Dispositivanalyse ist somit schon so etwas wie eine kultursoziologische »Artefakttheorie« angelegt, die erst einige Jahre später von der Akteur-Network-Theory ausformuliert werden sollte.30 Da Foucault selbst aber diesen Aspekt der praxis- und subjektgenerierenden Interobjektivität – wie so viele seiner Begriffe und Konzepte – nicht systematisch weiterverfolgt hat und ihn in den
lässigt. In diesem Sinne äußert sich auch Foucault in einem Interview kritisch über die strukturalistische Ideologiekritik: »Ich frage mich in der Tat, ob es nicht materialistischer wäre, wenn man, bevor man die Frage der Ideologie stellt, die Frage des Körpers und der Wirkungen der Macht auf ihn untersucht.« (DE2/157: 936) 29 Die Artefakte sind somit nicht einfach nur die »Materialisierung« eines präexistierenden Diskurses, wie einige neuere dispositivanalytische Studien suggerieren (Keller 2005a, 2007; Jäger 2001b: 88). Vielmehr betont Foucault in Das Spiel des Michel Foucault, dass dem Diskurs je nach Dispositiv unterschiedliche Rollen für die Gestaltung der nichtdiskursiven Praktiken zukommen können: »So kann irgendein Diskurs mal als Programm einer Institution, mal im Gegenteil als ein Element erscheinen, das erlaubt, eine Praktik zu rechtfertigen oder zu verschleiern, die selbst stumm bleibt, oder er kann als Sekundärinterpretation dieser Praktik funktionieren und ihr Zugang zu einem neuen Rationalitätsfeld verschaffen. Kurz, zwischen diesen diskursiven und nicht-diskursiven Elementen gibt es gleichsam ein Spiel, gibt es Positionswechsel und Veränderungen in den Funktionen, die ebenfalls sehr unterschiedlich sein können.« (DE3/206: 392f.) 30 In diesem Sinne haben auch Miller/Rose herausgestellt (Miller/Rose 1993), dass etwa Latours Begriff der Assoziationen (Latour 2006), dem zufolge sich Macht allein durch eine Kette von »Aktanten« fortpflanzen kann, ganz eindeutige Parallelen zu Foucaults »materialistischem« und körperlichem Machtbegriff aufweist. Latours etwas polemische Kritik, dass Foucault ein idealistisches Theoriekonzept verfolge, muss demnach – zumindest hinsichtlich der Machtanalyse – revidiert werden. Für eine Zusammenführung von Latour und Foucault siehe auch Röhle 2011 und Seier 2011.
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machtanalytischen Studien nach Überwachen und Strafen sogar fast gänzlich fallen ließ,31 gibt es gerade an dieser Stelle noch einige offene Fragen. Vorläufig lässt sich somit festhalten, dass sich Foucaults Theorie- und Analyserahmen im Zuge der macht- und dispositivanalytischen Erweiterung für dezidiert körpersoziologische und praxistheoretische sowie raum- und artefakttheoretische Fragestellungen öffnet. So konzipiert er erstens das historische Subjekt fortan als ein genuin körperliches Wesen, das sowohl in seinem Denken als auch in seinen körperlichen Praktiken bedingt, begrenzt und geformt wird, und zweitens berücksichtigt er neben dem Diskurs nun auch andere Entitäten als historische Instanzen der Subjektivierung: die räumlichen Ordnungen, Materialitäten und nicht-diskursiven Praktiken. Man könnte somit sagen, dass Foucault mit dem Dispositivkonzept die theoretische Figur der historisch spezifischen Aussageformationen auf die Ebene der körperlichen, räumlichen und dinglichen Formationen überträgt: Denn genauso wie der Diskurs als die »veräußerte« Bedingung des Denkens gilt, können die verschiedenen »materiellen« und »verobjektivierten« Topologien des Dispositivs als die nach außen verlagerten Bedingungen der Körperlichkeit angesehen werden.32 2.2.2 Die Sichtbarkeit ist eine Falle Der dispositivanalytische Ansatz, der neben dem Diskurs auch die konkrete Materialität von Kultur berücksichtigt, geht auch mit einem veränderten Interesse an der Frage der historischen Sichtbarkeitsformen und visuellen Praktiken einher. Während sich Foucault in der archäologischen Phase vornehmlich auf den (Bild-)Diskurs konzentrierte und das historische Subjekt lediglich als Träger einer diskursiven Praxis
31 Es spricht aber nichts dagegen, auch seine weniger objektzentrierten Dispositivanalysen um eine Bestimmung der jeweils machttechnologisch »charakteristischen« Artefakte zu erweitern: So können etwa der Beichtstuhl oder die psychoanalytische Couch als »typische« Requisiten des modernen »Geständniszwangs«, die streng koordinierte Handhabung des Gewehrs als zentrale interobjektive Praxis der militärischen Disziplin (ÜS: 210) oder der Computer als unabdingbares Medium der gouvernementalen Selbstoptimierung interpretiert werden. 32 So merkt auch Judith Butler an, dass Foucaults machtanalytisches Körperkonzept nicht auf den menschlichen Leib begrenzt ist, sondern genauso die »Körperlichkeit« der Institutionen einschließt, die sich von den Praktiken und der Handlungsfähigkeit des Subjekts nicht trennen lassen: »Eine jenseits der Theorie des Subjekts verstandene Handlungsfähigkeit [ist] für Foucault die Aktivität einer Strategie […], die in der Aktivierung der Materialität des Gefängnisses gegen, durch und im Spannungsverhältnis mit der Materialität des Körpers besteht.« (Butler 2003: 56)
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oder als Erfüllungsgehilfen einer diskursiv produzierten wissenschaftlichen Beobachtungsweise verstand, erscheint es ihm nun als ein Wesen »aus Fleisch und Blut«, das selbst zum Gegenstand einer historischen Sichtbarkeitsordnung wird. Foucault interessiert sich also nicht mehr länger dafür, wie eine bestimmte epistemologische Beobachtungshaltung oder künstlerische Bildpraxis aus den diskursiven oder bildlichen Formationen einer Zeit erwächst, sondern dafür, welche machttechnologischen Effekte es haben kann, wenn der eigene Körper den Blicken der Anderen ausgesetzt ist. Anders als noch in Die Ordnung der Dinge, die im Prinzip eine diskursanalytische Archäologie der letzten 600 Jahre umfasst, spannt Foucault den historischen Bogen in Überwachen und Strafen jedoch nicht mehr ganz so weit. Er konzentriert sich vornehmlich auf die Analyse des modernen Blickregimes, das er von den visuellen Strategien der sogenannten »souveränen Macht«33 abgrenzt. Letztere charakterisiert er als ein Regime, das vornehmlich auf prunkvolle Zeremonien setzt, um die Übermächtigkeit des Königs zu demonstrieren. Zu diesen »Schauspielen der Macht« gehören einerseits die vielfältigen Selbstrepräsentationen des Hofes – die reich ausgestatteten Paläste, die aufwendigen Paraden und höfischen Feste – sowie andererseits das öffentlich zelebrierte »Fest der Martern« (ÜS: 64f.), durch das der Souverän seine physische und rechtliche Überlegenheit gegenüber dem Verbrecher geltend machte. Diese beiden – recht unterschiedlichen – Formen der Machtausübung folgen insofern ein und derselben politischen Choreographie, als sie erstens jeweils nur ein exemplarisches Individuum in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit stellen – sei es der König, der seine eigene Herrlichkeit zelebriert, oder aber der Gemarterte, an dem ein grausames Exempel statuiert wird – sowie zweitens ein äußerst verschwenderisches Moment in sich bergen – sei es die Überladenheit des barocken Prunks oder aber die Exzessivität der körperlichen Strafen.34 Dieses souveräne Machtmodell beginnt sich Foucault zufolge Ende des 17. Jahrhunderts zugunsten einer ganz neuen machttechnologischen und visuellen Rationalität aufzulösen: dem Blickregime der modernen Biopolitik. Anders als die monarchische »Politik der Repräsentation« konzentriert sich diese nicht auf ein ein-
33 Foucault meint damit das absolutistische Ancien Régime. 34 In Überwachen und Strafen beleuchtet Foucault also eine weitere Seite des Zeitalters, das er in Die Ordnung der Dinge als das Zeitalter der »Klassik« gekennzeichnet hatte. Während er in letzter Analyse die Wissenschaften der Klassik als Denksysteme charakterisierte, die durch den Willen zur rationalen Ordnung und Repräsentation getragen waren, thematisiert er nun die Auswüchse der gleichzeitig existierenden Kultur des Barock, die dem cartesianischen Geist nahezu diametral entgegengesetzt zu sein scheint.
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zelnes Individuum, das zur Erhaltung der Souveränität entweder gefeiert oder zerstört werden muss, sondern zielt auf ausnahmslos alle Subjekte ab, um die Gesundheit, Lebenserwartung und »Nutzbarkeit« des einzelnen Individuums zu stärken und so die ökonomische und militärische Leistungsfähigkeit der Gesamtbevölkerung zu gewährleisten. Die moderne Macht erscheint somit als eine Strategie, die das souveräne Privileg, »sterben zu machen und leben zu lassen« (WW: 162), durch das »vitalere« und umfassendere Prinzip, »leben zu machen und sterben zu lassen«, ersetzt (VG: 284).35 Um ihre strategischen Ziele zu erreichen, manifestiert sich die moderne Biomacht in zwei zentralen machttechnologischen »Hauptformen« (WW: 166), nämlich einerseits in der mikrophysischen, individualisierenden Disziplin, die den tätigen Körper in all seinen Bewegungen, Gesten und Haltungen »durchdringt, zergliedert und wieder zusammensetzt« (ÜS: 176), und andererseits in der makropolitischen, totalisierenden Regulierung der Bevölkerung, d.h. der medizinischen Steuerung der Vermehrungs-, Krankheits- und Sterblichkeitsraten sowie der geopolitische Anordnung verschiedener Bevölkerungsgruppen. Die biopolitische »Verwaltung des Lebens« ist dabei sowohl mit spezifischen Diskursen – wie beispielsweise dem humanwissenschaftlichen und medizinischen Wissen – als auch mit bestimmten räumlich-visuellen Neustrukturierungen verbunden, deren machttechnologische Funktionsweise dem visuellen Regime der absolutistischen Macht diametral entgegengesetzt ist. Anstatt auf Abschreckungseffekte eines exemplarischen »Züchtigungstheaters« zu setzen und ansonsten die undurchsichtige Bevölkerungsmasse ihrem Schicksal zu überlassen, unterzieht die Biopolitik nun jedes einzelne Individuum – egal ob es straffällig geworden ist oder nicht – einem prüfenden Blick, um es von Kindesbeinen an systematisch zu disziplinieren und zu normalisieren. Die moderne Macht- und Sichtbarkeitstechnologie ist also weniger von einer Politik des Schreckens oder der Repräsentation als vielmehr von dem Rousseau’schen Traum getragen, die Gesellschaft in jedem ihrer Teile sichtbar, lesbar und kontrollierbar zu machen (DE3/195: 257). »Die kaum auszuhaltende Sichtbarkeit des Monarchen wendet sich in die unerbittliche Sichtbarkeit der Subjekte.« (ÜS: 243)
35 In seinen machtanalytischen Studien entwirft Foucault also eine andere Modernetheorie als noch in seiner archäologischen Studie Die Ordnung der Dinge, in der er den Anbruch der Moderne mit Kants Kopernikanischer Wende und der Geburt der Anthropologie gleichsetzte. Siehe dazu Kapitel 2.1.2. Zudem ist bemerkenswert, dass er in seiner antimarxistischen Genealogie auch die Französische Revolution als wichtiges Ereignis für die politische und kulturelle Umstrukturierung der modernen Gesellschaft ausspart und sich allein auf die Machttechnologien als solche bezieht.
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2.2.2.1 Panoptische Architekturen und biopolitische Stadtpolitik Als architektonisches Emblem dieser alles durchdringenden »Macht der Transparenz«36 kann Foucault zufolge der berühmte Gefängnisentwurf des Utilitaristen Jeremy Bentham, das »Panopticon«, gelten (ÜS: 251ff.). Denn anders als die Kerker des Ancien Régime, das alle Individuen im Dunkel des Gefängnisbaus verschwinden lässt, stellt das Panopticon die Inhaftierten unter eine permanente Überwachung, um ihnen bestimmte Verhaltensregeln und -normen aufzuzwingen. Das machttechnologisch Entscheidende an diesem architektonischen Konzept ist, dass der »disziplinierende« Effekt dabei nicht durch ein großes Aufgebot an Wächtern sichergestellt wird, sondern – viel ökonomischer – in den Gefängnismauern selbst eingeschrieben ist. Benthams Panopticon besteht aus einem ringförmigen Gebäude, das in viele stets lichtdurchflutete und von außen beobachtbare Einzelzellen unterteilt ist, welche den darin Inhaftierten nur wenig Bewegungs- und Verhaltensspielraum bieten und darüber hinaus jegliche Kommunikation mit den anderen Mithäftlingen unterbinden. In der Mitte dieses wabenartigen Zellentraktes steht ein nach allen Seiten hin geöffneter Wachtturm, von dem aus jedes einzelne Individuum sichtbar ist,37 der aber umgekehrt von den Zellen aus nicht einsehbar ist. Das zu überwachende Individuum nimmt also niemals die Position eines sehenden oder kommunizierenden Subjekts ein, erfährt sich aber stets als das Objekt einer permanenten Beobachtung und potentiellen Sanktionierung, auch wenn es de facto gerade nicht anvisiert wird oder der Wachtturm nicht besetzt ist. Durch diesen Trick, der das Sehen von dem Gesehenwerden abtrennt (ÜS: 259), wird das Individuum dazu gebracht, den disziplinierenden Blick des Wächters zu imaginieren und gegen sich selbst auszuüben, d.h. sich selbst in einem vorauseilenden Gehorsam an die gegebenen Normen anzupassen, um nicht bei einem eventuell beobachteten Verstoß oder einer Abweichung zur Rechenschaft gezogen zu werden. Dem Subjekt wird also durch die architektonische Struktur des Überwachungsdispositivs eine unterworfene – Freud würde vielleicht sagen: eine »masochistische« – Seele einge-
36 Der moderne Panoptismus steht damit der modernen Bildpraxis von Manet (MM), der die Undurchsichtigkeit und die Undurchdringlichkeit der Bildflächen betont, diameteral entgegen. Siehe dazu Kapitel 2.1.2.2. 37 »Der perfekte Disziplinarapparat wäre derjenige, der es einem einzigen Blick ermöglichte, dauernd alles zu sehen. Ein zentraler Punkt wäre zugleich die Lichtquelle, die alle Dinge erhellt, und der Konvergenzpunkt für alles, was gewußt werden muß: ein vollkommenes Auge der Mitte.« (ÜS: 224)
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pflanzt, die in ihrem Denken, Fühlen und ihren Einstellungen von vornherein an die disziplinarischen Anforderungen angepasst ist (ÜS: 25).38 »Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt, er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung.« (ÜS: 260)
Der machttechnologische Effekt des panoptischen Raumprogramms beruht demnach nicht auf einer tatsächlichen Überwachung oder direkten körperlichen Gewaltanwendung, sondern auf einer rein »fiktiven Beziehung« (ÜS: 260) zwischen Insasse und Wächter, die durch ein ausgeklügeltes, architektonisches »Kalkül der Öffnungen, Wände und Zwischenräume, der Durchgänge und Durchblicke« hergestellt wird (ÜS: 222). Das Bentham’sche Panopticon, das so im Übrigen niemals gebaut wurde, ist für Foucault allerdings nur die Chiffre einer viel allgemeineren Ausbreitung des Panoptismus im 18. und 19. Jahrhundert (ÜS: 269ff.). So fand das körpertechnologische Grundprinzip der panoptischen Architektur – die Standardisierung und funktionale Differenzierung des Raums, die eindeutige Verortung der Individuen auf einem einzigen Platz sowie die hierarchische Überwachung – auch in anderen modernen Institutionen Verwendung, die zwar nicht zum Strafsystem gehören, aber genauso wie das Gefängnis darauf abzielen, die ihnen anvertrauten Individuen möglichst effizient umzuformen und zu steuern: Seien es die Fabriken und Büros, in denen die Fließbänder und Schreibtische vom erhöhten Chefbüro aus überwacht werden,39 das
38 Auch wenn sich Foucault sowohl scharf von der Psychoanalyse als auch von dem Existentialismus abgrenzt, lassen sich dennoch Parallelen zwischen seinem machttheoretischen Subjektbegriff, dem zufolge das Disziplinarsubjekt die äußere Überwachung und Sanktionsmaschinerie gegen sich selbst wendet, und Freuds Über-Ich-Konzept aus Das Ich und das Es (Freud 1992a) sowie Sartres Analyse des Blicks des Anderen in Das Sein und das Nichts (Sartre 1952) ausmachen. 39 Die panoptische Disziplinierung der Büroarbeit erfuhr ihre Perfektion in dem »scientific management« des US-amerikanischen Ingenieurs Frederick Winslow Taylor, der auf der Grundlage von Zeit- und Bewegungsstudien das Büromobiliar und die Organisation der Innenräume nach Maßgabe höherer Effizienz und Funktionalität reorganisierte: So führte er standardisierte Schreibtische ein, auf denen jedes Formular und jedes Schreibgerät seinen festen Platz hatte. Diese fabrikartige Kodifizierung der Bewegungsabläufe wurde mancherorts durch eine Art Fließbandsystem unterstützt, das den Informations- und Kommunikationsfluss möglichst ohne intersubjektive Reibungsverluste kanalisieren soll-
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Schulzimmer, in dem der Lehrer als einzige Person vorne sitzt und jeden einzelnen Schüler ins Visier nehmen kann, oder das Krankenhaus, in dem die Ordnung der Betten eine bestimmte Form der ärztlichen Untersuchung vorzeichnet40 – in allen diesen Fällen übernimmt die Architektur eine aktive, disziplinierende Funktion. Neben dem mikropolitischen architektonischen Panoptismus von Disziplinarinstitutionen, die auf die körperliche Dressur und Kontrolle des einzelnen Individuums ausgerichtet sind, hat sich Foucault in den späten 1970er Jahren auch mit den makrologisch-demographischen Raumprogrammen der Biomacht, den stadtpolitischen »Sicherheitsdispositiven« beschäftigt, die sich im 18. und 19. Jahrhundert
te (Forty 1986: 124ff.; Fritz 1982: 102). Die flachen Schreibtischplatten und die strenge Aufreihung der Tische ermöglichte zudem eine allumfassende hierarchische und effiziente Überwachung der Angestellten. In einem solchen Arbeitsdispositiv zeichnet sich eine ökonomisch und sozial privilegierte Position dementsprechend dadurch aus, dass der Angestellte individuelle Handlungs- und Bewegungsspielräume, körperlich-sinnliche Annehmlichkeiten sowie räumliche Intimität und Gestaltungsmöglichkeiten erhält (Baldry 1999: 537; Larsen/Schultz 1990). 40 Foucault selbst hat behauptet, dass er das Prinzip der panoptischen Überwachung während seiner Arbeit an Die Geburt der Klinik entdeckt hatte, aber lange Zeit geglaubt hatte, dass es sich dabei um einen Architekturtypus handele, der für die medizinischen Probleme der Ansteckung eigentümlich sei (DE3/195: 250f.). In diesem Sinne kann das KlinikBuch – jedenfalls zum Teil – als eine frühe Variante der Gefängnisstudie aus Überwachen und Strafen gewertet werden. So nimmt er darin einerseits wichtige Thesen und Themen seiner späteren Analysen der modernen Biopolitik und der medizinisch informierten Aufteilung des städtischen Raums vorweg, aber weicht andererseits gerade in der Analyse des ärztlichen Blicks von der Konzeption des überwachenden Blicks in Überwachen und Strafen ab. Denn anders als in der Gefängnisstudie interessiert ihn zu diesem Zeitpunkt vor allem die medizinische Konzeption von Körperlichkeit und nicht die Frage, wie und ob der (medizinische) Blick auf den Körper und die Krankenhausarchitektur den Patienten selbst verändert, also ob sich das medizinische Wissen in der Ausformung von Subjektivität niederschlägt. Diese Frage nach der unmittelbaren machttechnologischen Wirkung der räumlichen Verteilung der Individuen lässt sich demgegenüber eher in der methodologisch noch wenig ausgereiften Studie Wahnsinn und Gesellschaft wiederfinden, die Foucault rückblickend auch als sein erstes machtanalytisches Buch betrachtet. So charakterisiert er hier bereits die Klassik als ein Zeitalter der Internierung (WuG: 76f.), das den Wahnsinn zum Verstummen bringt, und versteht demgegenüber die modernen Psychiatrien als eine Art Wahrheitsdispositiv, in dem durch Therapiegespräche und Beobachtungen der Patienten ein umfassendes anthropologisch gestütztes Wissen von den psychischen Störungen angehäuft wird.
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etablierten.41 Diese waren darauf ausgerichtet, mithilfe einer durchorganisierten (Um-)gestaltung des öffentlichen und privaten Raums einerseits bestimmte Handlungen und Entwicklungen zu befördern, wie etwa den reibungslosen Ablauf der ökonomischen Produktion und des Warenhandels, und andererseits bestimmte gesellschaftliche und politische Gefahren auf ein Mindestmaß einzudämmen und zu kanalisieren.42 »[…] es handelte sich darum, die Zirkulation zu organisieren, das was daran gefährlich war, zu eliminieren, eine Aufteilung zwischen guter und schlechter Zirkulation vorzunehmen und, indem man die schlechte Zirkulation verminderte, die gute zu maximieren.« (GG1: 37)
Zu diesen »schlechten« Zirkulationen gehören zweifelsohne die »Bettler, Vagabunden, Delinquenten, Kriminellen, Diebe, Mörder« (ebd.) aber auch die Krankheiten und Seuchen, die sich in den räumlichen Zusammenballungen, engen Gassen, schlecht belüfteten Räumen und dem mangelhaften Kanalisationssystem schnell ausbreiten konnten. Um diesem Problem zu begegnen, wurden ganze Viertel eingerissen oder umgebaut und im gesamten Stadtraum hygienische Baustandards durchgesetzt. Zielscheibe dieser politisch motivierten »medizinischen Intervention« (DE3/168: 30f.) waren vor allem solche Stadtviertel und sozialen Räume, in denen die Ansteckungswahrscheinlichkeit als besonders hoch eingeschätzt wurde – wie beispielsweise die Gefängnisse, die Schiffe, die Hafenanlagen und die allgemeinen Spitäler. Aber auch die hygienisch einwandfreie Gestaltung der alltäglichen intimen Wohnräume wurde zu einem zentralen Gegenstand des stadtpolitischen Diskurses,
41 Anfang der 1970er Jahre betreute Foucault im Rahmen einer Forschergruppe, die sich mit der sozialtechnologischen Funktion von Architektur beschäftigte, eine Gemeinschaftsarbeit zum Thema Wohnformen zwischen 1800 und 1850 (Defert 1997: 279). In diesem Kontext sind die beiden Sammelbände Politiques de l’habitat: 1800-1850 (Alliaume/Foucault u.a. 1977) und Les machines à guérir. Aux origines de l’hôpital moderne (Foucault/ Kriegel u.a. 1979) entstanden; in letzterem ist auch sein Aufsatz »Die Gesundheitspolitik im 18. Jahrhundert« (DE3/168) erstmalig erschienen. Die Frage der »Medizinierung« des Stadtraumes sowie die der raumpolitischen Lenkung der Bevölkerung behandelt er zudem in seiner Vorlesung Sicherheit, Territorium, Bevölkerung von 1977-1978 (GG1: 27ff.) sowie in einigen kleineren Texten und Gesprächen dieser Zeit. 42 Wie Foucault betont, geht es also in den Sicherheitsdispositiven nicht darum, eine bestimmte »Norm« mithilfe bestimmter Machttechnologien zu produzieren, wie es Ziel der Disziplinarinstitutionen ist, sondern auf der Basis gegebener Umstände und Dynamiken – oder eines »Milieus« – die Wahrscheinlichkeit einer Entwicklung zu beeinflussen (vgl. etwa GG1: 38f.).
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der Regeln für die angemessene Belüftung und Säuberung der Zimmer, für die funktionale Differenzierung der Wohnbereiche sowie die optimale Verteilung der Betten und die Sexualerziehung der Kinder aufstellte. »Wie mir scheint, bekommt es die Architektur Ende des 18. Jahrhunderts erstmals mit dem Problem der Bevölkerung, der Gesundheit und des städtischen Lebens zu tun […]. Bis zum 18. Jahrhundert [bleibt] das Haus ein undifferenzierter Raum […]. Es gibt Zimmer: man schläft darin, man isst darin, man empfängt darin, es macht keinen Unterschied. Danach spezifiziert sich, Schritt für Schritt, der Raum und wird funktional […]. Man wird die Arbeiterfamilie festlegen; man wird ihr eine Art Sittlichkeit vorschreiben, indem man ihr einen Raum zum Leben mit einem Zimmer, das Küche und Esszimmer zusammenfasst, einem Zimmer für die Eltern, welches der Ort für die Zeugung ist, und dem Zimmer für die Kinder zuweist.« (DE3/195: 253)
Die »hygienisierte« Stadt funktioniert in ihrer Gesamtheit also ganz ähnlich wie das architektonische Programm der Gefängnisse, Schulen und Fabriken: Sie ist – jedenfalls in der Phantasie ihrer Planer – ein komplett durchorganisierter und kontrollierbarer Raum, der die einzelnen Individuen jeweils an einem eindeutigen und standardisierten Ort, nämlich in der ökonomisch, politisch und medizinisch funktionalisierten Wohnung, fixiert und bestimmte (medizinische und politische) Gefahren allein aufgrund der Aufteilung und Gestaltung der Straßen und öffentlichen Plätze von vornherein in Schach hält.43
43 Als paradigmatisches Beispiel einer solchen »biopolitischen« Umgestaltung des Stadtraums kann die Restrukturierung, Sanierung und teilweise Neuerrichtung ganzer Stadtteile von Paris gelten, die der Präfekt Georges Eugène Haussmann während seiner Amtszeit Mitte des 19. Jahrhunderts durchführen ließ. Dass die »Haussmannisierung« aber nicht nur wohlfahrtstaatlichen, sondern zudem auch polizeilich-sicherheitstechnologischen Überlegungen gehorchte, hat bereits Walter Benjamin bemerkt: »Der wahre Zweck der Haussmann’schen Arbeiten war die Sicherung der Stadt gegen den Bürgerkrieg. Er wollte die Einrichtung von Barrikaden in Paris für alle Zukunft unmöglich machen […]. Haussmann will sie auf doppelte Art unterbinden. Die Breite der Straßen soll ihre Errichtung unmöglich machen und neue Straßen sollen den kürzesten Weg zwischen den Kasernen und Arbeitervierteln herstellen.« (Benjamin 1983: 57) Nach Martin L. Hofmann lässt sich Foucaults Diagnose, dass die moderne Macht vor allem auf individuelle Disziplinierung und Bevölkerungsregulierung ausgerichtet sei, zudem in den modernistischen Architekturprogrammen des 20. Jahrhunderts wiedererkennen, die immer wieder auf die eine oder andere Weise darauf abzielten, eine »effizientere«, »ordentlichere« oder »gesündere« Gesellschaft durch einen funktionalistischen Wohnungs- und Städtebau zu erschaffen (Hof-
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Wie Foucault herausstreicht, konnte dieses umfassende stadtpolitische Sicherheitsdispositiv aber nur deshalb erfolgreich umgesetzt werden, weil es seit dem 18. Jahrhundert zudem durch einen zentral organisierten Polizeiapparat unterstützt wurde (ÜS: 273ff.), der einerseits die verschiedenen Institutionen und Überwachungsinstanzen mithilfe eines umfassenden Registrierungssystems miteinander verband und andererseits als »mobile« und allgegenwärtige Form der Überwachung in alle Gesellschaftsbereiche und nicht regulierten »Schlupflöcher« eindrang. 2.2.2.2 Heterotopien und ästhetische Dispositive Folgt man Foucaults machttheoretischen Analysen der 1970er Jahre, erscheint die gesamte moderne Raum- und Gesellschaftsordnung als ein komplexes, ineinander verschachteltes System von über- und untergeordneten Überwachungs-, Disziplinierungs- und Regulierungsdispositiven. So verlockend und überzeugend diese These zunächst auch klingen mag und in der Folge eine ganze Reihe von empirischen Studien inspiriert hat, wird bei näherer Betrachtung recht schnell deutlich, dass sie bei Weitem nicht alle gesellschaftlichen Relationen, Praktiken und Phänomene der modernen Welt erfassen kann. Es ist mit anderen Worten davon auszugehen, dass die moderne Kultur neben den panoptischen Sichtbarkeitregimen auch Raumordnungen hervorgebrachte hat, die einer anderen, mitunter sogar widerständigen relationalen Logik gehorchen.44 Zu diesen alternativen Dispositiven, die Foucault zwar in seinen früheren Schriften behandelt hatte, aber in seinen machtanalytischen Abhandlungen fast gänzlich ausspart, gehören erstens die sogenannten »Heterotopien« (1) und zweitens die »ästhetischen Dispositive« (2). Zu (1): Moderne Heterotopien: Foucault hat den Begriff der »Heterotopie« 1967 in dem Vortrag Von anderen Räumen (DE4/360) erstmals systematisch entwickelt.45 Er bezeichnet so all diejenigen »tatsächlich verwirklichten Utopien«
mann 2000: 94ff.). Zum Verhältnis von Biopolitik und moderner Stadtpolitik siehe auch Mümken 2012. 44 Wie folgende Bemerkung offenbart, schien Foucault selbst von einer Pluralität der Machttechnologien auszugehen: »Doch die in den modernen Gesellschaften ins Werk gesetzten Machtprozeduren sind sicher zahlreicher, verschiedenartiger und reichhaltiger. Es wäre falsch zu behaupten, das Sichtbarkeitsprinzip beherrsche die gesamte Technologie der Macht seit dem 18. Jahrhundert.« (DE3/195: 252) 45 Bereits in Die Ordnung der Dinge hatte Foucault den Begriff der Heterotopien verwendet, um die sprachliche Gegen-Ordnung von Borges’ »chinesischer Enzyklopädie« zu bezeichnen: »Die Heterotopien beunruhigen, wahrscheinlich weil sie heimlich die Sprache unterminieren, weil sie verhindern, daß dies und das benannt wird, weil sie die gemeinsamen Namen zerbrechen oder sie verzahnen, weil sie im voraus die Syntax zerstören, und nicht
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(DE4/360: 935), in der die allgemein gültige gesellschaftliche Ordnung gestört, verschoben oder zeitweise suspendiert wird. Als Beispiele für solche real existierenden »Gegenorte«, »die außerhalb aller Orte liegen« (ebd.), führt Foucault unter anderem Friedhöfe, Museen, Theater, Schiffe, Bordelle, Feriendörfer und Bibliotheken auf, aber auch solche Räume, die er später als paradigmatische Raumformen der Disziplinarmacht ansehen wird: das Gefängnis, die Psychiatrie oder die Militärakademie (DE4/360: 936f.).46 Diese analytische Inkongruenz von Heterotopie- und Panoptismusthese fällt jedoch insofern nicht weiter ins Gewicht, als Foucault in seinen machtanalytischen Arbeiten nunmehr die These vertritt, dass es ohnehin kein wie auch immer geartetes »Außen der Macht« geben könne, und sich lediglich auf die Analyse der normalisierenden Funktion von Raum- und Machttechnologien konzentriert. Diese eindimensionale Sicht auf die Praktiken der Unterwerfung hat ihm jedoch den Vorwurf eingebracht, ein allzu deterministisches Subjektmodell zu vertreten, welches die Möglichkeit der Kritik, des Widerstands und der aktiven Veränderung von Machtdispositiven nicht denken könne. Dieser theoretischen Schwachstelle kommt er in Der Wille zum Wissen dadurch bei, dass er nicht mehr von einer einzigen omnipräsenten und transinstitutionellen Rationalität der Macht – wie beispielsweise der Disziplin – ausgeht, sondern betont, dass es zu jeder Zeit stets verschiedene, antagonistische Macht-Wissens-Regime gibt, die sich gegenseitig beeinflussen, verdrängen und verschieben können (WW: 117). Diesen Gedanken bindet er jedoch nicht an seine früheren Überlegungen zur Heterotopie zurück. Das heißt, dass er weder aufzeigt, wie diese einander widerstreitenden Dispositive mit der Ordnung des Raumes zusammenhängen, noch der Frage nachgeht, ob und inwiefern die räumliche und architektonische Ordnung der Moderne auch »heterotopische« Formen hervorgebracht hat. Damit entgeht ihm jedoch, dass es im 19. Jahrhundert Dispositive gegeben hat, die sich der kapitalistischen Logik der Verwertung und
nur die, die die Sätze konstruiert, sondern die weniger manifeste, die die Wörter und Sachen zusammenhalten läßt.« (OD: 20) In dem Vortrag Von anderen Räumen (DE4/360) überträgt er den Begriff demgegenüber auf konkrete, materielle Raumordnungen. 46 Nach Erscheinen von Überwachen und Strafen, das eine raum- und architektursoziologische Mode auslöste, wurde auch der Begriff der Heterotopie wieder neu diskutiert. So wurde der Begriff u.a. von dem Architekturhistoriker Georges Teyssot auf die kontraintuitiven räumlichen Aufteilungen von Krankenhausarchitekturen des 18. Jahrhunderts übertragen (Teyssot 1980), und der US-amerikanische Kulturgeograph Edward Soja griff u.a. auf das Heterotopiekonzept zurück, um die postmoderne Stadtlandschaft von Los Angeles zu beschreiben (Soja 1989, 1995). Darüber hinaus wird der Heterotopie-Ansatz vor allem in Kontexten der kulturwissenschaftlichen Kunst- und Ästhetiktheorien sowie der Literaturwissenschaft verwendet (Chlada 2005; Hartle 2006; Bippus u.a. 2012; Elia-Borer u.a. 2013).
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Disziplinierung zumindest teilweise entzogen haben. Dazu können beispielsweise die frühsozialistischen Wohnungsbauprojekte gezählt werden, die im Unterschied zur industriellen Fabrik oder dem Gefängnis einem explizit anti-kapitalistischen Ideal folgten und auf eine Freisetzung und Ermächtigung der Arbeiter ausgelegt waren.47 So hatte beispielsweise der Utopist Charles Fourier (1772-1836) Anfang des 19. Jahrhunderts den Plan für einen selbstverwalteten, autarken Wohn- und Arbeitskomplex, die Phalanstère, entwickelt, in der bis zu 1600 Menschen in »universaler Harmonie« gemeinsam leben, arbeiten und – das war ein zentraler Aspekt für diese utopische Gemeinschaft – auch ihre Sexualität frei ausleben sollten. Fouriers Ideen aufgreifend, errichtete der Unternehmer Jean-Baptiste André Godin Mitte des 19. Jahrhunderts ein entsprechendes Wohngebäude für die Arbeiter seiner Ofenfabrik, die Familistère von Guis, die neben Wohnungen auch Unterhaltungsangebote, Badehäuser, eine Schule sowie große glasbedachte Innenhöfe bereitstellte, in denen sich die Bewohner für gemeinsame Veranstaltungen einfinden konnten. Da sich aber auch diese utopischen oder »heterotopischen« Architekturen auf die eine oder andere Weise einer funktionalistischen Bauart bedienten, die Foucault als eine typische Form der biopolitischen Wohnungsbauentwicklung interpretierte, lässt sich keine trennscharfe Linie zwischen »panoptisch-unterwerfender« und »freiheitserzeugend-sozialer« Architektur ziehen.48 In diesem Sinne entgegnet auch Foucault in dem späten Interview Raum, Wissen und Macht von 1982 (DE4/310) auf die Frage, ob es aus seiner Sicht eine Architektur gäbe, die individuelle Freiheit fördern könne, dass beispielsweise Le Corbusiers durch und durch funktionalistische Architektur durchaus freiheitsfördernde Absichten verfolge, die jedoch letztlich nicht aufgegangen seien und daher fälschlicherweise als totalisierender »Kryp-
47 Siehe dazu auch Bollery 1991, die sich vor allem mit Fourier und Godin auseinandersetzt. 48 Auch Walter Benjamin, der in seinem Passagen-Werk ebenfalls eine »Archäologie« oder »Urgeschichte« der Moderne verfolgte, diese aber im Unterschied zu Foucault nicht an dem anthropologischen Diskurs oder dem Gefängnisdispositiv, sondern an den städtischen Gestalten und Beziehungsformen aufzeigte, hat auf diese Ambivalenz der modernen Formen hingewiesen (Benjamin 1983). So lässt sich beispielsweise zwischen dem sozialistischen Fourierismus auf der einen und den kapitalistischen Passagen auf der anderen Seite insofern eine formengeschichtliche und soziale Analogie ausmachen, als sich beide Gebäudeformen die durch den neuen Baustoff Eisen ermöglichte Verglasung der Innenhöfe zunutze machen, um neue Interaktions- und Praxisformen anzuregen. In diesem Sinne deutet er die Passage als eine »Katastrophenstätte gescheiterter Emanzipation« (Lindner 1984: 39), die aufblitzen lässt, welche Utopien mit den kulturellen Produkten der Moderne verknüpft waren und wie diese im Verlauf der Moderne in eine reine Warenästhetik oder Phantasmagorie der Ware umgekippt sind.
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tostalinismus« interpretiert worden seien.49 Im Unterschied zu seiner »materialistischen« These in Überwachen und Strafen, dass das menschliche Verhalten von den körpertechnologischen Raumanordnungen gänzlich vorgezeichnet sei, führt er dieses Scheitern aber nicht auf die Architektur selbst zurück, sondern macht es von der Art und Weise abhängig, wie die Individuen den Raum mit ihren Praktiken »einräumen«. »Ich glaube, die Architektur kann etwas Positives bewirken und tut dies auch, wenn ihre auf Befreiung zielenden Absichten mit der realen Praxis von Menschen zusammenfallen, die ihre Freiheiten ausüben.« (DE4/310: 331)
Dass Foucault hier die Praktiken der Subjekte und nicht die räumlichen Bedingungen als den eigentlichen Ort der Freiheitserzeugung betont, mag wohl einerseits darin begründet liegen, dass Freiheit im Unterschied zur Disziplin per se nicht vorgeschrieben werden kann, ist aber andererseits auch auf die subjekttheoretische »Kehre« seines Spätwerks zurückzuführen, der zufolge das Subjekt von seinen Daseinsbedingungen nicht vollständig determiniert wird, sondern selbst an der Gestaltung der Gesellschaft und seines Selbst beteiligt ist. Zu (2): Ästhetische Dispositive: Neben den frühsozialistischen Heterotopien vernachlässigt Foucault in seiner Modernediagnose aber noch einen weiteren Dispositivtypus, der im Gegensatz zu den rationalistisch organisierten Disziplinarinstitutionen auf das sinnliche Erleben, das Spektakel und die ästhetische Erfahrung setzt. Denn wie bereits Georg Simmel zu Beginn des 20. Jahrhunderts beobachtet und zuletzt Andreas Reckwitz50 systematisch herausgearbeitet hat, zeichnet sich die
49 Die modernistische Architektur des 20. Jahrhunderts – zu deren Hauptvertretern Le Corbusier in Frankreich sowie die Bauhäusler Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe in Deutschland gehörten – war nicht nur auf eine effiziente sozialtechnologische Lenkung der Bevölkerung ausgelegt, sondern verfolgte in Fortführung der Ideen des Fourierismus auch das »philanthropische« Ziel, die miserablen Wohn- und Lebensumstände der Arbeiter mithilfe von serienmäßig hergestellten, voll ausgestatteten und hoch effizienten Wohngebäuden zu verbessern (Hofmann 2000: 89f.). Zur sozialen Programmatik der modernen Architektur siehe auch die Studien in Delitz 2010. 50 Reckwitz zeigt in Das hybride Subjekt auf, dass die moderne Rationalisierung stets von ästhetischen Gegenbewegungen begleitet wurde (Reckwitz 2006b). Eine solche Ästhetisierung zeichnet sich beispielsweise in den künstlerischen Bewegungen der Romantik, der Avantgarde oder der Counter Culture, aber auch in den Alltagsästhetiken der Landschaft, der Großstadt und der Warenwelt ab. Nach Reckwitz konvergieren diese beiden Strömungen – die Rationalisierung und die Ästhetisierung – schließlich in der Postmoder-
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moderne Kultur nicht allein durch eine zunehmende Rationalisierung und Standardisierung aus, sondern weist zudem Tendenzen einer allgemeinen Ästhetisierung der Lebenswelt auf. So schreibt Simmel in einem Essay über die Besucher der Kunst- und Gewerbeausstellungen im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts: »Es scheint, als ob der moderne Mensch für die Einseitigkeit und Einförmigkeit seiner arbeitsteiligen Leistung sich nach der Seite des Aufnehmens und Genießens hin durch die wachsende Zusammendrängung heterogener Eindrücke, durch immer rascheren und bunteren Wechsel der Erregungen entschädigen wolle.« (Simmel 2005: 34)
Die machttechnologische Sichtbarkeitsordnung der Moderne ist also nicht allein auf die Etablierung eines umfassenden, panoptischen Apparates beschränkt, sondern bietet dem Individuum zudem ästhetische und sinnliche Anreize, die es zu bestimmten Sehhaltungen, Selbstbezügen und interobjektiven Tätigkeiten anhält. Ein solches Regime der sinnlichen Affizierung zeigt sich etwa in den glitzernden Warenwelten der neuen Kaufhäuser und Konsumtempel, den mechanisch betriebenen Vergnügungsparks, den imaginären Landschaften des Kinos, oder, wie Tony Bennett in Fortführung von Foucaults Machtanalyse in The Birth of the Museum (1995) beschreibt, in den großen Welt- und Technikausstellungen, des 19. Jahrhunderts. All diese Dispositive beinhalten beides: sowohl panoptische Disziplinierungstechniken als auch verführerische Bild- und Dingtopologien. In Anlehnung an die These aus Der Wille zum Wissen, wonach die Biomacht ihre Akzeptabilität nicht nur durch Unterwerfung, sondern auch durch positive Impulse – wie beispielsweise die Entfachung der sexuellen Lust – absichert, wären also auch die visuellen Ordnungen und Praktiken der Moderne auf ihre ästhetischen und affektiv-sinnlichen Mechanismen hin zu analysieren. Doch während sich Foucault in seinen frühen Arbeiten noch für die Eigenlogik der ästhetischen Erfahrung interessierte51 und auch später noch vereinzelt über Ausstellungen und künstlerische Arbeiten schreibt52, misst
ne, in der sich beispielsweise die ökonomischen Praktiken weniger an dem Ideal der hierarchischen Bürokratie und der industriellen Fertigung, als vielmehr an dem projektförmigen Schaffensprozess der künstlerischen Produktion orientieren. Eine These, die beispielsweise auch Boltanski/Chiapello 2003 und Menger 2006 vertreten. 51 Zu den Texten, die sich mit ästhetischen Fragen auseinandersetzen, zählen insbesondere seine Einleitung zu Ludwig Binswangers existentialphänomenologisch-psychoanalytischer Schrift Traum und Existenz (DE1/1) sowie seine Überlegungen zur (prä-)surrealistischen Literatur (DE1/13, DE1/10) und zum Zusammenhang von Wahnsinn und Literatur (DE2/82). 52 Siehe insbesondere DE2/118, DE2/135, DE2/150 und DE3/203.
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er dem »ästhetischen« Blick oder der visuellen Affektivität weder in Überwachen und Strafen noch in seinen anderen machtanalytischen Schriften eine besondere Bedeutung bei. Stattdessen grenzt er sich sogar ganz bewusst von den neomarxistischen Ansätzen ab, die in der modernen Kultur eine »Gesellschaft des Spektakels« (Debord 1996) zu erkennen glauben. »Unsere Gesellschaft ist nicht eine des Schauspiels, sondern eine Gesellschaft der Überwachung. Unter der Oberfläche der Bilder werden in der Tiefe die Körper eingeschlossen. Hinter der großen Abstraktion des Tausches vollzieht sich die minutiöse und konkrete Dressur der nutzbaren Kräfte.« (ÜS: 278).
2.2.3 Zwischenresümee. Der disziplinierte Blick? Die Analysen der panoptischen Architektur führen insofern eine wichtige Neuerung gegenüber dem archäologischen Textualismus ein, als Foucault nun über die Diskurse und die Formen bildlicher Repräsentation hinausgehend auch explizit »materielle« oder nicht-repräsentationale Dimensionen der visuellen Ordnung, nämlich das körperliche Subjekt sowie die architektonisch organisierten Blickregime in seine historische Analyse integriert. In diesem »materialistischeren« Ansatz erscheint das Individuum also nicht mehr bloß als ein kognitives Wesen, dessen Denkweise von dem historischen Apriori des Diskurses vorgezeichnet wird, sondern wird nun als ein genuin körperlich-mentales Subjekt adressiert, das im Prozess der Auseinandersetzung mit der räumlich-visuellen Ordnung seiner Umgebung seine »Seele« herausbildet. Mit dieser Überwindung des cartesianischen Geist-Körper-Dualismus sowie des archäologischen Textualismus und Repräsentationalismus geht die Panoptismusthese über viele kultur- und sozialwissenschaftliche Visualitätstheorien hinaus, die sich zumeist entweder aus der semiotischen oder der ikonographischen Methodologie ableiten und somit sowohl das körperliche Subjekt und seine sinnlichen Praktiken als auch die Architektur und Dingwelt als Formen der visuellen Konditionierung weitgehend ausklammern. Dass die materielle Kultur und die gebaute Umwelt aber als ganz entscheidende »Medien des Sozialen« angesehen werden können, haben in jüngster Zeit die Actor-Network-Theory (ANT), die Architektursoziologie und die Material Culture Studies gezeigt. Im Unterschied zu den Visual Culture Studies interessieren sich diese neuen Artefakttheorien aber weniger für die visuelle Ordnung und die formale Gestalt der gebauten Umwelt, als vielmehr für die soziale Prägekraft der materiellen Widerständigkeit und körperlich-interobjektiven Beziehungen. Die Stärke von Foucaults genealogischer Analyse der verräumlichten Sichtbarkeit liegt also darin, dass sie den Zusammenhang zwischen den dinglich-räumlichen Formationen, den körperlichen Praktiken und den Sehmodalitäten, der von den Bildwissenschaften und den Raum- und Artefakttheorien jeweils
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ausgespart wird, an einem konkreten historischen Beispiel, dem Bentham’schen Gefängnisbau herausarbeitet. In dieser analytischen Konzentration auf die modernen Überwachungsdispositive liegen aber auch gleichzeitig einige analytische und theoretische Engpässe von Foucaults Ansatz begründet. Zum einen weist Foucaults machtanalytische Modernediagnose einige historische Lücken auf. Denn wie bereits dargestellt, kann das moderne Sichtbarkeitsregime nicht allein auf die panoptischen Mechanismen reduziert werden, sondern beinhaltet zudem positiv-affizierende und ästhetische Raum- und Dingordnungen, die ebenfalls zur »Subjektivierung« der modernen Individuen beitragen. Dass sich Foucaults genealogisches Analysemodell aber nicht so ohne Weiteres auf diese nicht-panoptischen visuellen Dispositive übertragen lässt, hat auch damit zu tun, dass seine Konzeption von Körperlichkeit und Sichtbarkeit neben den gesellschaftstheoretischen Leerstellen auch einige sozial- und subjekttheoretische Aspekte vermissen lässt, die für die Frage nach der Historizität von Wahrnehmung und die Frage der interobjektiven Praktiken von grundlegender Bedeutung sind: die formale Ordnung der materiellen Kultur und die Relationalität des sozialen Raums (1), die sinnliche Wahrnehmung sowie das implizite Wissen (2) und schließlich die Differenzen in sozialen Subjektivierungsweisen und die Freiheit des Subjekts (3). Zu (1): Dingliche Formationen und relationale Raumordnung: Mit dem Dispositivkonzept öffnet Foucault zwar seine historische Analyse der Sichtbarkeiten für die Materialität der visuellen Ordnungen, versäumt aber, seine archäologische Methode des topologischen Oberflächenblicks auch auf die konkreten formalen Gestalten der gebauten Umwelt und der Artefaktarrangements, also auf die historisch spezifischen visuellen Formationen, zu übertragen – wie er es ansatzweise schon für die bildlichen Formationen versucht hatte. Denn in Überwachen und Strafen geht es weniger um die Art und Weise, wie die Architektur selbst wahrgenommen wird, als vielmehr um die Frage, wie die Öffnungen und Lücken in den Wänden bestimmte Blickachsen, Sichtbarkeiten und intersubjektive Relationen zwischen dem überwachten Subjekt und einem (imaginären) durch den zentralen Turm repräsentierten Wächter ermöglichen. In seiner Analyse der machttechnologischen und subjektivierenden Wirkungen von Architektur und visuellen Ordnungen deckt Foucault also in erster Linie auf, inwiefern das Panopticon ein intersubjektives Blickverhältnis herstellt, aber interessiert sich nicht dafür, wie das Subjekt in der interobjektiven Beziehung mit seiner sichtbaren Umgebung ein bestimmtes Wahrnehmungsschema ausbildet. Damit entgeht ihm, dass selbst solche Architekturen, die rein »funktional« und im engeren Sinne als panoptisch oder biopolitisch-regulativ gelten können – wie etwa die Fabrikgebäude oder Wohnblocks des 19. Jahrhunderts –, jenseits ihrer unmittelbaren Zweckbestimmung formale Eigenheiten und dekorative Ele-
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mente aufweisen, die das moderne Stadtbild sowie die Wohn- und Arbeitskultur insgesamt geprägt haben.53 Zu diesem neuen Formenkanon, der im 19. Jahrhundert neben den klassizistischen Stil tritt,54 gehören beispielsweise der neue Werkstoff Eisen, der sowohl in der Industrie als auch in der Wohnarchitektur eingesetzt wurde, die standardisierte, schnörkellose Geometrie der Fassaden, das »rationale« Design industriell hergestellter Möbel und Waren sowie die vielen technischen Medien, elektrischen Geräte und öffentlichen Transportmittel, die – wie Georg Simmel in Die Großstädte und das Geistesleben (Simmel 1995) darstellt – die Wahrnehmungspraktiken des modernen Menschen nachhaltig verändert haben. Neben der Vernachlässigung der formalen Gestalt der modernen Architekturund Dingwelt weist zudem Foucaults Raumbegriff einige konzeptuelle Schwächen auf. So wurde von den Kulturgeographen und Raumtheoretikern (Soja 1989: 16ff.; Elden 2001; Philo 2004; Murdoch 2006: 29ff.; Schreiber 2009) zum einen positiv hervorgehoben, dass Foucault ein genuin topologisch denkender Theoretiker sei, der sich für den Raum als historisch und kulturell spezifische Kategorie grundsätzlich sensibel zeige, zum anderen aber gleichzeitig kritisiert, dass der machtanalytische, auf die Analyse lokaler Institutionen ausgerichtete Raumbegriff noch nicht weit genug gehe. In diesem Sinne beanstandet etwa Harvey (2007), dass Foucault zwischen einerseits einer klassisch euklidischen oder cartesianischen Perspektive, welche den Raum als ein an sich unveränderliches dreidimensionales »Gefäß« auffasst, in dem die Dinge und Individuen je nach vorherrschendem Dispositiv bloß unterschiedlich angeordnet werden, und andererseits einem analytisch fruchtbareren, relationalen Raumbegriff schwanke, dem zufolge sich auch die Qualität des Raums mit den Machtverhältnissen und Subjektivierungsweisen verändere. Eine solche relationale Konzeption impliziert jedoch auf der einen Seite, dass sich die Raumverhältnisse und -dimensionen durch die Praktiken der Subjekte verschieben oder sich gar neu konfigurieren lassen und dass auf der anderen Seite die Raumwahrnehmung und -nutzung von der körperlichen Disposition und sozialen Position des Subjekts abhängt. Da Foucault in Überwachen und Strafen aber von einem unilateralen Modell ausgeht, in dem die räumlich-architektonischen Machttechnologien auf den Körper einwirken, umgekehrt aber weder die Wahrnehmung der Subjekte noch die Spuren, die ihre Körperpraktiken in der äußeren Umgebung hinter-
53 So erzählen etwa auch die Bilder von Manet, den Foucault in Die Malerei von Manet (MM) als einen der wichtigsten Repräsentanten der modernen Bildpraxis einstuft, von der industriellen Ästhetik der »Haussmannisierung«. Siehe dazu auch Kapitel 2.1.2.2. 54 Der funktionalistische Modernismus ist im 19. und 20. Jahrhundert nur eine und noch nicht einmal die dominante Strömung unter mehreren Architekturstilen, zu denen weiterhin auch der Klassizismus gehört (Hofman 2000: 81).
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lassen, thematisiert, werden die relationalen Prozesse, durch die sich die Raumordnungen verschieben können, machtanalytisch nicht greifbar. Ähnliches gilt auch für die Artefakte: Sofern Foucault neben der Architektur überhaupt die dingliche Materialität als Faktor der historischen Subjektivierung berücksichtigt, geht es ihm auch hier weniger darum, die Rückkopplungsprozesse zwischen Gestalt und körperlichsinnlicher »Aneignung« der Dinge herauszuarbeiten, als vielmehr allein um den stillen Zwang, den die Dinge auf den Körper ausüben. Zu (2): Die sinnliche Wahrnehmung und das implizite Wissen: Sowohl die Frage der formalen Dingordnung als auch die der Relationalität des Raums verweisen auf ein grundlegendes Problem von Foucaults Subjekt- und Körperkonzeption. Denn aufgrund seiner strikt antiphänomenologischen Haltung hat er gar keinen Begriff davon, wie das körperliche Subjekt sich selbst und die sich verändernde äußere Welt überhaupt wahrnimmt und erfährt (Turner 1984: 245; Shilling 1993: 80f.; McNay 1992: 42f.). Zwar spricht er davon, dass die körperzentrierten Machttechnologien »Gefühle« (DE2/84: 179) oder auch sexuelle »Lust« (WW: 181, 186) in das Subjekt »einpflanzen« können, interessiert sich aber kaum dafür, wie sich die Sinnlichkeit und Affektivität des Körpers durch seine historische Zurichtung verändern. So konzentriert er sich in Überwachen und Strafen allein auf die passive Seite des Sehprozesses, also auf das Angesehenwerden als subjektivierende Körpertechnologie, und arbeitet nicht heraus, wie sich umgekehrt das überwachte Disziplinarsubjekt selbst aktiv sehend zur Welt in Beziehung setzt. Das moderne Subjekt erscheint somit lediglich als ein »gelehriger« Körper, in den sich das Machtwissen und die panoptischen Zurichtungsprozeduren »eingefaltet« haben, aber niemals als ein »leibliches« Selbst, dessen sinnliche Wahrnehmung durch ein ihm äußeres machttechnologisches System konditioniert wird. Dabei hatte bereits Marx darauf hingewiesen, dass die technologische Gewalt der Fabrikmaschinen die Arbeiter nicht nur zu standardisierten und repetitiven Körperbewegungen anhält, sondern darüber hinaus ihre Wahrnehmung und visuelle Aufmerksamkeit kanalisiert (Marx 1968b: 541f.; Jameson 1981: 62-64). Mit der einseitigen Fokussierung auf den sichtbaren Körper als Ort der Subjektgenese fällt Foucault also in gewissem Sinne hinter seine früheren archäologischen Analysen zurück, in denen er – zumindest ansatzweise – das Sehen als eine historisch wandelbare wissensgenerierende Praktik thematisiert hatte. Allerdings hatte sich Foucault in den archäologischen Arbeiten allein mit den wissenschaftlichen Beobachtungspraktiken beschäftigt, die er von den »seriösen« Diskursen ableitete, und weder die körperliche Konditionierung des Subjekts noch die Eigenlogik der alltäglichen materiellen und visuellen Formationen berücksichtigt. Um demgegenüber die historisch spezifischen Wahrnehmungsweisen nicht nur als diskursive Effekte, sondern auch als körperlich-sinnliche Praktiken fassen zu können, die sich durch die alltägliche sinnliche Interaktion mit den technisch-medialen, architektonischen oder auch bildlichen Artefakten ausbilden, muss also die Analyse der vi-
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suellen Praktiken, die in der Archäologie bereits angedacht wurde, auf alltägliche Wahrnehmungsräume ausgedehnt und mit der machtanalytischen Perspektive verschmolzen werden. Eine Konzeption, die das Subjekt lediglich als eine »Falte« (Deleuze 1987: 168) oder bloße Einstülpung der dispositiven Ordnung denkt, hat zudem einige Schwierigkeiten damit, so etwas wie ein visuelles »Gedächtnis« oder ein implizites perzeptives »Körperwissen« zu denken. Denn anstatt das Subjekt (bzw. das [Un-] Bewusstsein) – wie Freud vorgeschlagen hatte – als einen »Wunderblock« zu verstehen, in dem das einmal Eingeschriebene zwar verwischt, aber niemals gelöscht werden kann, erscheint es bei Foucault eher als ein »leeres Blatt«, das stets neu beschrieben wird und somit allen Bewegungen und Verschiebungen folgt, die sich auf der Ebene der Diskurse und Zwangsmechanismen ergeben. Wie demgegenüber jedoch beispielsweise die praxeologische Konstruktion des Habitus (Bourdieu) oder die psychoanalytische Kategorie der »unbewussten Erinnerung« deutlich machen, lässt sich ein einmal inkorporiertes oder internalisiertes Wahrnehmungsschema nicht ohne weiteres durch ein anderes »Körperwissen« ersetzen. Vielmehr können Individuen gerade aufgrund ihrer »inkorporierten« und internalisierten sozial-kulturellen Prägung durchaus Probleme haben, sich an die veränderten äußeren Bedingungen und Erfordernisse anzupassen. Wie Deleuze in seiner FoucaultInterpretation schreibt, können gerade diese »abgespeicherten« Diskurs- und Dispositivablagerungen aus der Vergangenheit »der Gegenwart Widerstand entgegensetzen, nicht für eine Rückkehr, sondern ›zugunsten, hoffentlich, einer künftigen Zeit‹« (Deleuze 1987: 168). Die theoretisch-analytische Herausforderung liegt also darin, erstens den topologischen Blick, den Foucault allein für die Analyse der Aussageformationen angewandt hat, auch auf die visuell-dinglichen Formationen zu übertragen, und zweitens diese Formationen als Fundament eines historisch spezifischen »impliziten« visuellen Wissens, d.h. von historischen »Anschauungsformen« und »Einbildungskräften« auszuweisen. Zu (3): Differente Subjektivierungsweisen und die (Gestaltungs-)Freiheit des Subjekts: Von verschiedener Seite wurde Foucault vorgeworfen, dass er die materiellen und körperlichen Bedingungsverhältnisse und Effekte sozialer Ungleichheit reflektiert. So heben einige Gender-Theoretiker an Foucaults machtanalytischem Körperbegriff positiv hervor, dass er den physischen Körper, der selbst von der feministischen Theorie lange Zeit als ein »biologisches« Faktum angesehen wurde, als historisch variabel ansieht und damit potentiell neben dem »gender« auch die Kontingenz des »sex« sichtbar macht, aber kritisieren ihn gleichzeitig dafür, dass er selbst dort, wo er sich explizit mit dem Sexualitätsdispositiv beschäftigt, die machttechnologische und diskursive Produktion des Geschlechtskörpers und der Geschlechterdifferenz nur unzureichend thematisiert (Diamond/Quinby 1988; McNay 1992; McLaren 2002). Eine ähnliche Kritik trifft auch auf den Aspekt der Klasse zu: So nimmt
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Foucault zwar an, dass die modernen Machtverhältnisse den gesamten Gesellschaftskörper durchziehen, dass also sowohl das Proletariat als auch das Bürgertum von den Macht- und Körpertechnologien geformt werden (DE3/206: 402, 409), arbeitet aber nicht heraus, ob und wie sich der Zugriff der Macht, d.h. die körperliche »Disziplinierung« und »Sexualisierung« je nach Klassenzugehörigkeit unterscheidet. Im Zusammenhang mit dem Aspekt der sozialen Ungleichheit stellt sich zudem die Frage nach der Aktivität und Handlungsfähigkeit des Subjekts. So wurde von verschiedener Seite darauf hingewiesen (de Certeau 1988: 15f.; Honneth 1985, 1988; Lash 1991; McNay 1992: 43ff.; Lemke 1997: 111ff.; Butler 2001, 2003), dass Foucaults Rede vom disziplinierten »Gehorsamssubjekt« (ÜS: 167) die Möglichkeit einer widerständigen oder zumindest abweichenden Praktik theoretisch ausschließt. Zwar hatte Foucault stets betont, dass die Macht notwendigerweise bestimmte körperliche »Resistenzen« oder Widerstände hervorruft (DE2/84: 179, WW 117), vermochte aber das Auftauchen dieser Praktiken weder mit dem genealogischen Körper- und Subjektbegriff aus Überwachen und Strafen55 noch mit dem antisubjektivistischen Wider-
55 Dieses Defizit ist vor allem auf das Körper-Seele-Problem zurückzuführen, denn Foucault versteht nicht nur den Körper und die körperlichen Praktiken als bloße »Effekte« der machttechnologischen Konditionierung, sondern geht zudem von der anti-psychoanalytischen Annahme aus, dass die Seele, also das Denken, das Fühlen und die Affektionen, als eine bloße »Verdoppelung« dieser körperlichen Zurichtungsprozeduren zu verstehen sind. Wenn aber der Körper durch die Macht und die Seele wiederum durch den Körper vollkommen determiniert wird, kann es im Subjekt weder auf körperlicher noch auf psychischer Ebene ein Residuum oder »Draußen« geben, das sich der Macht in irgendeiner Weise entzieht und eine andere Form der sozialen und interobjektiven Relationalität etabliert. Diese problematische Abhängigkeit der Subjektwerdung von der Unterwerfung, welche im Begriff der »Seele« zum Ausdruck kommt, wird von Judith Butler in Psyche der Macht aufgegriffen und dem klassisch psychoanalytischen Konzept der »Psyche« gegenübergestellt (Butler 2001). Nach Butlers Interpretation fungiert die psychische Identität der Seele bei Foucault als eine Art räumlicher Gefangenschaft, die den Körper einkerkert (Butler 2001: 82f.). Demgegenüber wird das Subjekt in der Psychoanalyse Lacans mittels der Figur eines in der Psyche verorteten Ich-Ideals in das Feld der symbolischen Norm und in die verfügbaren Schemata kultureller Verständlichkeit eingeführt. Alles, was der normativen Forderung und der Verregelmäßigung widersteht, bleibt aber unbewusst in der Psyche erhalten und kann so als das widerständige Andere des Subjekts verstanden werden. Eine psychoanalytische Kritik an Foucault fragt somit danach, wie eine Seele, die lediglich als ein Werkzeug der körperkonditionierenden Macht und nicht als ihr potentielles Gegenüber konzipiert wird, widerständig sein kann. Wie kann ein Widerstand gedacht werden, welcher im Gegensatz zum psychisch Unbe-
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standskonzept aus der Der Wille zum Wissen ausreichend zu begründen.56 Das heißt, dass er in seinen genealogischen Machtanalysen nicht aufzeigen kann, welche strategischen Möglichkeiten sozial marginalisierten und unterdrückten Subjekten zur Verfügung stehen, um die Machtverhältnisse zu kritisieren, mit »abweichendem Verhalten« zu unterlaufen oder gar aktiv zu ihren Gunsten zu verschieben. Sowohl die Frage der unterschiedlichen Subjektivierungsweisen als auch die mangelnde Berücksichtigung der »Freiheit des Subjekts« betrifft auch das Problem der historischen Sichtbarkeiten und visuellen Praktiken. So ist einerseits anzunehmen, dass sowohl die äußere Erscheinung eines Subjekts, d.h. die Form seiner körperlichen »Normalisierung«, als auch dessen leibliche Wahrnehmungsvorgänge, d.h. die Art und Weise, wie es das Gesehene auffasst, inkorporiert, mit Affekten besetzt und in seine Praktiken einbindet, von der sozialen Position bedingt wird, die es in der Gesellschaft einnimmt. Andererseits ist aber genauso wahrscheinlich, dass das Subjekt sowohl in seinen körperlichen Selbstdarstellungspraktiken als auch in seinen sinnlichen Wahrnehmungen nicht vollständig determiniert wird, sondern über einen gewissen Spielraum verfügt und durch gezielte gestalterische Eingriffe selbst auf das Dispositiv Einfluss nehmen kann. Bevor darauf eingegangen wird, wie sich diese fehlenden Aspekte – die visuelle Ordnung der Dinge, die Wahrnehmungsschemata sowie die relative gestalterische Freiheit des Subjekts – in das Foucault’sche Dispositivkonzept integrieren lassen, soll zunächst ein Blick auf sein Spätwerk geworfen werden, das zwar den Aspekt der Visualität und Materialität von Kultur fast gänzlich außer Acht lässt, aber dafür ein komplexeres Subjekt-, Körper und Machtmodell entwirft und somit erste Anknüpfungspunkte für eine solche theoretische Erweiterung bietet.
wussten innerhalb des Ordnungssystems der Macht formiert wird und diese aktiv umzulenken vermag? Mit dieser »psychoanalytischen« Relektüre des Foucault’schen Machtbegriffs gelingt es Butler, einerseits die sozio-kulturelle Bedingtheit des Subjekts weiterhin als Prämisse beizubehalten – denn auch das Unbewusste ist bei Lacan gesellschaftlich bzw. durch das Symbolische bedingt –, und andererseits eine individuelle Widerständigkeit und Aktivität des Subjekts zu denken. Zu einem ausführlicheren Vergleich der Foucault’schen und der psychoanalytischen Subjektkonzeption siehe auch Kapitel 3.2.3. 56 In Der Wille zum Wissen geht er davon aus, dass der Widerstand allein aus dem »Dazwischen« der antagonistischen Kräfteverhältnisse und polyvalenten Diskurse resultiert (WW: 117), aber macht nicht deutlich, inwiefern diese Antagonismen auch widerständige Praktiken und Subjektpositionen hervorbringen.
2.3 Visuelle Technologien des Selbst
Ende der 1970er Jahre gibt Foucault seinem historischen Projekt noch einmal eine neue theoretische wie inhaltliche Wendung. Er verabschiedet sich zunächst von der vielfach kritisierten Diagnose, dass sich die moderne Macht allein disziplinierendunterwerfender Körpertechnologien bedient, und führt stattdessen das subjekttheoretisch ausdifferenziertere Modell der »Gouvernementalität« oder »Regierungsrationalität« ein, das von einer indirekten Lenkung der nicht vollständig determinierbaren Subjekte ausgeht. Dieses machtanalytische Zugeständnis an die Aktivität und relative Freiheit des Subjekts baut Foucault in seinen darauffolgenden Vorlesungen und Büchern, Der Gebrauch der Lüste (GL), Die Sorge um Sich (SuS) und Hermeneutik des Subjekts (HS), noch weiter aus und widmet sich nun erstmals in seiner intellektuellen Laufbahn der Frage, wie das Subjekt durch körperliche und mentale »Technologien des Selbst« (DE4/363) ein Verhältnis zu sich selbst entwickelt und sich als ein (moralisch) handelndes Wesen konstituiert.1 Mit diesem veränderten Macht- und Subjektbegriff greift Foucault explizit auf Elemente der subjekttheoretischen Tradition zurück,2 bricht aber insofern nicht mit seinen vorhergehenden, vehement anti-subjektivistischen diskurs- und machtanalytischen Ansätzen, als er nun die ethischen Praktiken der Selbstbezüglichkeit und -formung als einen zusätzlichen, eigenständigen Bedingungsfaktor für die Herausbildung historischer Subjektivitäten, Erfahrungsformen und Praktikenkomplexe
1
»Nach dem Studium der Wahrheitsspiele und ihrem Verhältnis zueinander […] und nach dem Studium der Wahrheitsmechanismen im Verhältnis zu den Machtbeziehungen […] schien sich mir eine andere Arbeit aufzudrängen: das Studium der Wahrheitsspiele im Verhältnis seiner selbst zu sich und der Konstitution seiner selber als Subjekt.« (GL: 12)
2
In seiner Analyse der Selbstkonstitution des Subjekts geht es Foucault aber nicht darum, das klassische Erkenntnissubjekt wiederzubeleben, sondern er interessiert sich umgekehrt für die »konkreten Praktiken«, durch die das Subjekt und das Objekt gleichzeitig konstituiert werden (DE4/345: 780).
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ansieht.3 Leider arbeitet Foucault aber nicht explizit heraus, wie sich dieses »offenere« und im engeren Sinne praxeologische Macht- und Subjektmodell mit seinen vorherigen Überlegungen zur materiellen und visuellen »Bedingtheit« der Praktiken und Selbstverhältnisse zusammendenken lässt. Für die hier anvisierte allgemeinere Fragestellung, wie sich bestimmte Wahrnehmungsschemata durch die visuellen Formationen ausbilden und wie sich das historische Subjekt sehend zu der solchermaßen sichtbar gemachten Welt in Beziehung setzt, ist es dennoch fruchtbar, diese neueren Konzepte darauf hin zu untersuchen, ob in ihnen potentiell auch eine theoretische Verschiebung hinsichtlich der visuellen Ordnung und visuellen Praktiken angelegt ist, die über die machttheoretische Analyse der modernen Überwachungsdispositive hinausweist. Um eine solche mögliche »Erweiterung« oder Verschiebung der Panoptismusthese aus den macht- und subjekttheoretischen Überlegungen des Spätwerks abzuleiten, werden diese kurz umrissen. Dabei soll herausgestellt werden, dass sich die Konzepte der Gouvernementalität und der Selbsttechnologie, die Foucault anhand zweier höchst unterschiedlicher historischer Kontexte – dem Liberalismus und der Antike – ausformuliert, theoretisch-analytisch nicht voneinander trennen lassen. Auf dieser Grundlage wird dann näher beleuchtet, wie die miteinander verbundenen Fremd- und Selbstführungen durch sichtbare Artefakte und visuelle Praktiken vermittelt werden. 2.3.1 Die Macht als Führung der Selbstführungen Foucault entwickelte den Begriff der »Gouvernementalität« Ende der 1970er Jahre im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen zur (neo-)liberalen, biopolitischen Regierungskunst, die gewissermaßen als Ergänzung und Ausdifferenzierung seiner Modernediagnose aus Überwachen und Strafen gelten können. So hebt er nun die
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Entgegen der Annahme, Foucaults Auseinandersetzung mit antiken Selbstpraktiken zeuge von einem »heillosen Subjektivismus« (Habermas 1985: 324), der seinen vorangehenden Arbeiten entgegenstehe (für einen Überblick der verschiedenen Vorwürfe siehe Lemke 1997: 295ff.), geht die vorliegende Arbeit von einer Kontinuität zwischen den diskurs-, macht- und subjekttheoretischen Arbeiten Foucaults aus. Auch Lemke zufolge zielt die sogenannte »subjektive Wende« nicht darauf ab, das Ethische vom Politischen zu isolieren oder die Machtanalyse zugunsten einer Theorie der Subjektivität aufzugeben, sondern darauf, die Mikroebene moderner Selbstführung mit der Makroebene moderner Staatlichkeit zu verknüpfen (Lemke 1997: 295-297). Ebenso sieht Reckwitz in Foucaults Reflexionen eine allgemeinere theoretische Verschiebung in Richtung einer handlungstheoretischen Wissensanalyse (Reckwitz 2006a: 293-308). Und schließlich hat Foucault auch selbst die Kohärenz zwischen seinen früheren Arbeiten und seinen Analysen der antiken Ethik betont (DE4/363: 968, DE4/344: 759, DE4/345: 779f.).
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»politische Vernunft« des Liberalismus insofern von ihren historischen Vorläufern, dem souveränen Absolutismus und dem disziplinarischen »Verwaltungsstaat« ab, als sie erstmalig in der Geschichte eine nationalstaatliche, makropolitische Machtstrategie entwickelt. Diese ist im Unterschied zu den rein mikropolitisch agierenden souveränen Straftechniken und disziplinarischen Zurichtungen darauf ausgerichtet, die Wahrscheinlichkeit von bevölkerungspolitischen Risiken – wie beispielsweise von Epidemien oder Arbeitsunfällen – durch »Sicherheitstechnologien« einzudämmen und die äußeren Bedingungen für den freien, marktförmigen Tausch zu verbessern.4 Gerade um Letzteres zu gewährleisten, setzt die liberale Gouvernementalität nicht nur auf Zwang, Disziplin und Vereinheitlichung, sondern hält die Subjekte durch indirekte Lenkungsmechanismen dazu an, einen unternehmerischen Geist zu entwickeln und ihre Handlungen an den Gesetzen des Marktes – d.h. Konkurrenz und Innovation – auszurichten.5
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So definiert Foucault die Gouvernementalität in einem gleichnamigen Vortrag von 1978: »Unter Gouvernementalität verstehe ich die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat. Zweitens verstehe ich unter Gouvernementalität die Tendenz oder die Kraftlinie, die im gesamten Abendland unablässig und seit sehr langer Zeit zur Vorrangstellung dieses Machttypus, den man als ›Regierung‹ bezeichnen kann, gegenüber allen anderen – Souveränität, Disziplin – geführt und die Entwicklung einer ganzen Reihe spezifischer Regierungsapparate einerseits und einer ganzen Reihe von Wissensformen andererseits zur Folge gehabt hat. Schließlich glaube ich, daß man unter Gouvernementalität den Vorgang oder eher das Ergebnis des Vorgangs verstehen sollte, durch den der Gerechtigkeitsstaat des Mittelalters, der im 15. und 16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat geworden ist, sich Schritt für Schritt ›gouvernementalisiert‹ hat.« (DE3/239: 820f.) Wie Foucault betont, sind aber die anderen Formen der Machtausübung nicht unbedingt gänzlich verschwunden, sondern werden lediglich den Zielen der liberalen Gouvernementalität unterstellt (DE3/239: 819f.).
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Foucault führt diesen gouvernementalen Paradigmenwechsel auf die politische und ökonomische Krise des Keynesianismus zurück. Diese hatte zur Folge, dass sich der ökonomische Diskurs nicht mehr länger an der effizienten Produktion und dem Warentausch als Leitprinzipien orientierte, sondern stattdessen den unternehmerischen Wettbewerb und die Produktinnovation zu den obersten Zielen der wirtschaftlichen Tätigkeiten erklärte (GG2: 208). Im Gegensatz zu dem klassischen Liberalismus, der davon ausging, dass sich eine wettbewerbsbasierte und innovationsorientierte Marktwirtschaft von selbst einstellt, sobald sich der Staat aus den ökonomischen Prozessen zurückzieht,
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Foucault verwendet den Gouvernementalitätsbegriff also zunächst in einem rein gesellschaftstheoretischen Sinne, nämlich als Bezeichnung für die historisch spezifische Form der biopolitisch-liberalen Machtausübung, die mit dem Konzept der Selbsttechnologien, das er demgegenüber im zweiten und dritten Buch seiner Geschichte der Sexualität (GL, SuS) ausbuchstabiert, auf den ersten Blick kaum etwas gemeinsam hat. Denn Foucault wagte mit diesen letzteren Arbeiten sowohl einen zeitlichen als auch thematischen Sprung: Anstatt die historischen Bedingungen des modernen Denkens und der moderner Subjektivität zu entschlüsseln, was bisher das Hauptziel seiner Arbeiten war, wendet er sich nun einer von ihm bisher noch gar nicht behandelten historische Epoche, der griechisch-römischen Antike zu. Zudem geht er erstmalig der analytischen Frage nach, wie die Individuen durch bestimmte Moralkodizes dazu gebracht werden, sich selbst als ethisches Subjekt zu konstituieren (GL: 12), d.h. ein bestimmtes körperlich-mentales Selbstverhältnis und spezifische (Selbst-)Erfahrungsformen zu generieren. Foucault zufolge zeichnet sich die antike Ethik gegenüber der christlichen Verbotsmoral vor allem dadurch aus, dass sie die Praktiken, Denkweisen und Selbstverhältnisse der Subjekte nicht zu kontrollieren und dominieren sucht, sondern ganz im Gegenteil die Individuen lediglich dazu ermuntert, sich durch freiwillig ausgeführte körperliche und mentale Übungen – wie Gymnastik, Gesundheitspflege (GL: 133ff.), Spaziergänge (DE4/344: 772, HS: 278f.), die Einschränkung von sexuellen und anderen körperlichen Genüssen (GL, Kapitel 2, SuS, Kapitel 4) oder auch das Aufschreiben und Sammeln von Reflexionen (DE4/363: 978, DE4/344: 767f.) und Träumen – zu »freien«, souveränen und glücklichen Subjekten zu entwickeln. In diesem Sinne beschreibt Foucault die antiken »Selbsttechnologien« als Praktiken, »[…] die es dem Einzelnen ermöglichen, aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen, mit dem Ziel, sich so zu verändern, dass er einen gewissen Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt« (DE4/363: 968).
vertritt die neoliberale Regierungsrationalität aber die These, dass die sozialen und ökonomischen Bedingungen des Wettbewerbs durch gezielte staatliche Interventionen erst hergestellt und permanent kontrolliert werden müssen (GG2: 226). Im Anschluss an diese Diagnose haben vor allem die anglo-amerikanischen (Burchell u.a. 1991; Barry u.a. 1996; Rose 1990, 1996; Miller/Rose 1993), aber auch die deutschen Governmentality Studies (Lemke 1997, 2008; Bröckling u.a. 2000; Bröckling 2007; Opitz 2004; Gertenbach 2007; Krasmann/Volkmer 2007) untersucht, wie in dem neoliberalen (Management-)Diskurs bestimmte soziale »role models«, Praxisformen und Interventionsstrategien als wünschenswert oder gar ökonomisch notwendig konstruiert werden.
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Diese Diagnose ist jedoch nicht allein als eine historische Beobachtung zu werten, sondern impliziert auch eine theoretische Transformation des Subjektbegriffs. Denn während Foucault in seinen früheren archäologischen und genealogischen Konzeptionen das Subjekt als bloßes Abziehbild oder »Einfaltung« des Machtwissens entwarf, hebt er nun explizit hervor, dass es die präskriptiven Moralvorschriften unterschiedlich interpretieren, inkorporieren und in seinen Praktiken performativ umsetzen kann (DE4/344: 759, GL: 36ff.). Er geht also nun davon aus, dass die Subjekte zwar von übergeordneten Wissensformationen, Erfahrungsmodi und Moralordnungen angeleitet werden, nimmt aber nicht mehr an, dass die Selbsttechnologien von dem moralischen Diskurs vollständig vorgezeichnet werden. Den moralischen Vorschriften und Handlungscodes ist vielmehr ein gewisser Anwendungsspielraum inhärent, der verschiedene Praktiken der Selbstführung und -interpretation zulässt (DE4/344: 759).6 Das historische Subjekt erscheint somit als ein »relativ freier«
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So schreibt er in Der Gebrauch der Lüste: »Ist ein Handlungscode gegeben sowie ein bestimmter Typ von Handlungen (die man nach ihrer Übereinstimmung oder Abweichung im Verhältnis zum Code bestimmen kann), so gibt es verschiedene Arten, moralisch ›sich zu führen‹, verschiedene Arten für das handelnde Individuum, nicht bloß als Agent, sondern als Moralsubjekt jener Aktion zu operieren.« (GL: 37) In diesem Sinne kann beispielsweise das Gebot der sexuellen Treue, je nachdem ob die Treue allein auf den konkreten körperlichen Akt oder aber auch schon auf den »treulosen« Gedanken bezogen wird, ganz andere Formen der Selbstführung implizieren. Während es im Hellenismus um Taten gehe und das Verliebtsein ohne Ausleben des Begehrens einen hohen moralischen Wert gehabt habe, ziele die christliche Beichte auf die Ausrottung des Begehrens als solches (DE4/363: 980, DE4/344: 760). Die verschiedenen Selbstverhältnisse, die ein und denselben Kodex ausfüllen können, unterscheidet Foucault nach ethischer Substanz (Akte oder Begehren), Subjektivierungsmodus (welcher Natur ist das Gesetz, aufgrund dessen man sich dem Kodex unterwirft – ästhetisch, göttlich, natürlich oder vernünftig?), den Mitteln (Praktiken des Selbst oder der Askese) sowie Teleologie (was ist das dahinter liegende Seinsideal?) (DE4/344: 760ff., GL: 36ff.). Wie er im Vergleich der griechischen Ethik und der christlichen Moral herausstellt, unterscheiden sich allerdings die übergeordneten Moralkodizes danach, ob sie eher dem Primat der »Künste der Existenz« (GL: 18), d.h. der selbstverantwortlichen Praktik der Selbststilisierung (Antike) folgen, oder aber durch klare Ver- und Gebotsregeln die individuellen Verhaltensweisen relativ strikt vorschreiben (christliche Moral) (GL: 41ff.): »Die Selbstpraktiken nehmen [vor dem Christentum, S.P.] die Gestalt einer Selbstkunst an, die von einer moralischen Gesetzgebung relativ unabhängig ist. Das Christentum hat in der moralischen Reflexion ganz sicher das Prinzip des Gesetzes oder der Struktur des Kodex verstärkt.« (DE4/350: 828)
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Akteur, der in seinen körperlich-mentalen Selbsttechnologien die vorkodierten »symbolischen Systeme zugleich verwendet und durchkreuzt« (DE /344: 773).7 Auch wenn Foucault das Konzept der Gouvernementalität und der Selbsttechnologien in zwei grundlegend verschiedenen historischen Kontexten entwickelt, tendiert er in seinen späten Vorlesungen, Vorträgen und Aufsätzen (HS: 314ff., RS, DE4/304, DE4/306) dazu, den Begriff der »Regierung« mit dem der »Selbsttechnologien« zu verknüpfen und als allgemeine sozialtheoretische Konzepte zu fassen.8 So erklärt er nun in Abgrenzung von der noch in Überwachen und Strafen virulenten »Hypothese Nietzsches« (VG: 33)9, dass die Machtrelationen nicht als ein irreduzibler Antagonismus widerstreitender Kräfte zu verstehen seien, sondern vielmehr von dem Zusammenspiel der miteinander verwobenen »Selbst-« und »Fremdführungen« getragen sind. In diesem Sinne heißt es in Subjekt und Macht: »Der Ausdruck ›Führung‹ (conduite) vermag in seiner Mehrdeutigkeit das Spezifische an den Machtbeziehungen vielleicht noch am besten zu erfassen. ›Führung‹ heißt einerseits, andere (durch mehr oder weniger strengen Zwang) zu lenken, und andererseits, sich (gut oder schlecht) aufzuführen, also sich in einem mehr oder weniger offenen Handlungsfeld zu ver-
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Wie Christoph Menke richtig anmerkt, ist das »ethische« Konzept der Subjektivierung aber insofern dem genealogischen Subjektmodell grundsätzlich ähnlich, als beide Modelle davon ausgehen, dass die historische Subjektivität im Wesentlichen durch eine körperliche Einübung geformt wird: »Die Gemeinsamkeit von disziplinärer und ästhetischexistentieller Subjektkonzeption besteht darin, das Subjekt als wesentlich praktisch zu fassen.« (Menke 2003: 286) Allerdings unterscheiden sich die ethischen Körperübungen dadurch von den disziplinarischen Körperzurichtungen, dass sie von dem Subjekt selbst und ohne einen von außen auferlegten, inkorporierten Zwang ausgeführt werden.
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In Subjekt und Wahrheit schreibt Foucault dementsprechend: »Man könnte auch das Problem der ›Gouvernementalität‹ unter einem anderen Blickwinkel angehen, nämlich dem der Herrschaft über sich selbst im Zusammenhang mit den Beziehungen zu den anderen.« (DE4/304: 260) Mit »anderer Blickwinkel« ist gemeint, dass die Frage der Regierung nicht nur hinsichtlich der Institutionen, der Exklusionen und der wissenschaftlichen Objektivität gestellt werden muss, sondern ebenso die Frage der »in allen Kulturen anzutreffenden Verfahren zur Beherrschung oder Erkenntnis seiner selbst« betrifft (DE4/304: 259).
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In seiner Vorlesung In Verteidigung der Gesellschaft von 1976 am Collège de France fragt sich Foucault selbstkritisch, ob »der Krieg für die Analyse der Machtverhältnisse und als Matrix der Herrschaftstechnik wirksam werden [kann]« (VG: 62). In dieser Genealogie seines eigenen genealogischen Ansatzes revidiert Foucault somit die Kriegshypothese, die er nun sogar mit der Repressionshypothese parallelisiert, da das kriegstheoretische Modell den permanenten Gegensatz von legitim–illegitim des juridischen Modells durch den Dualismus von Kampf und Unterwerfung ersetzt (VG: 34ff.).
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halten. Machtausübung besteht darin, ›Führung zu lenken‹, also Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit von Verhalten zu nehmen.« (DE4/306: 286)
Genauso wie in seinen früheren machtanalytischen Schriften charakterisiert Foucault also auch hier die Machtausübung als eine Form der Einflussnahme oder Beziehung, durch die das körperliche und seelische Verhalten der Individuen in bestimmter Weise geformt wird, trifft aber nun eine Unterscheidung zwischen dem fixen Herrschaftszustand, in dem die Individuen durch physische Gewalt zu einem bestimmten Verhalten, Denken und Fühlen gezwungen werden, und der Machtausübung im eigentlichen Sinne, die das Handeln und die Erfahrungen der relativ »freien« Subjekte lediglich choreographiert und kanalisiert, aber niemals vollständig vorzeichnet. Gegenüber seiner früheren These vom »Gehorsamssubjekt« visiert Foucault somit ein komplexeres machttheoretisches Modell an, dem zufolge die Regierungstechnologien einen mehr oder weniger offenen Handlungs-, Denk- und Erfahrungsspielraum einrichten, der je nach Ausstattung eine bestimmte Bandbreite an möglichen »Verhaltens-, Reaktions- oder Handlungsmöglichkeiten« zulässt (DE4/306: 287).10 Das historische Subjekt ist demnach weder vollständig von seinen äußeren Bedingungen geformt, wie es Foucault in seinen früheren Schriften annahm, noch vollständig selbstbestimmt, wie es in den klassischen Subjekttheorien angenommen wird. Das Subjekt bildet sich vielmehr an der Schnittstelle von diskursiven und machttechnologischen »Fremdführungen« auf der einen und den Praktiken der Selbstführung auf der anderen Seite aus.11 »I think that if one wants to analyze the genealogy of the subject in Western civilization, he has to take into account not only techniques of domination but also techniques of the self
10 In diesem Sinne können auch der christliche und der antike Moralcodex jeweils als eine Art »Regierungsprogramm« verstanden werden, das je nach zugrunde gelegtem Subjektideal dem Individuum mehr oder weniger Raum zur freien Entfaltung lässt. So fährt die antike ethische Kultur die Fremdführung zugunsten der individuellen Selbstsorge zurück, während die christliche Moral den Handlungsspielraum der Subjekte und damit auch eine kritische oder selbstermächtigende Praxis von vornherein begrenzt. 11 Das Subjekt erscheint also nun selbst als ein gestaltend-produktives Element des Dispositivs- oder Handlungsfelds, wie sich Foucault hier ausdrückt. In diesem Sinne schreibt auch Deleuze: »Die Dispositive sind also zusammengesetzt aus Sichtbarkeitslinien, Linien des Aussagens, Kräftelinien, Subjektivierungslinien, Riß-, Spalt- und Bruchlinien, die sich alle überkreuzen und vermischen und von denen die einen die anderen wiedergeben oder durch Variationen oder sogar durch Mutationen in der Verkettung wieder andere erzeugen.« (Deleuze 1991: 157) Dabei weist er zudem darauf hin, dass gerade die Subjektivierungslinien das Potential in sich bergen, die Dispositive zu verändern (Deleuze 1991: 156).
150 | DIE P RAXIS DES S EHENS […]. The contact point, where the individuals are driven by others is tied to the way they conduct themselves, is what we can call, I think, government. Governing people […] is not a way to force people to do what the governor wants; it is always a versatile equilibrium, with complementarity and conflicts between techniques which assure coercion and processes through which the self is constructed or modified by himself.« (Foucault 1993: 203f.)
Wie Foucault in Was ist Kritik? herausstreicht, beschränkt sich die Aktivität des Subjekts aber nicht darauf, dass es die äußeren Impulse auf verschiedene Weise aufgreift und in sein Dasein und sein Selbstverständnis integriert. Es kann zudem auf die Gestalt seiner äußeren Bedingungsverhältnisse, d.h. den gouvernementalen Möglichkeitsraum Einfluss nehmen, indem es durch weniger konforme aber dennoch legitime Praktiken dessen materielle und immaterielle Grenzen verschiebt oder gar aushebelt. Das Subjekt ist demnach dazu fähig, gegenüber den eigenen Regierungsbedingungen eine Haltung der Kritik zu entwickeln, die Foucault auch als die Kunst bezeichnet, »nicht dermaßen regiert zu werden« (WK: 12). Mit der Konzeption der ineinandergreifenden Fremd- und Selbstführungen visiert Foucault somit ein im engeren Sinne »praxeologisches« Subjekt- und Machtmodell an, das einerseits die strukturelle Bedingtheit von Subjektivität betont und andererseits dessen »relative Freiheit« und Handlungsmächtigkeit denken kann. 2.3.2 Die Ästhetik der Existenz und das Sehen als selbsttechnologische Praxis Auch wenn sich Foucault weder in den Schriften zur Gouvernementalität noch in den Abhandlungen zur antiken Ethik eingehender mit den historischen Bedingungen des Sehens beschäftigt hat, steht dennoch zu vermuten, dass sich dieses praxeologische Modell der miteinander verknüpften Macht- und Selbsttechnologien auch auf die Dimension der Visualität übertragen ließe. Das heißt, dass hier die These vertreten werden soll, dass auch die historischen visuellen Ordnungen, die sich in den Bildern, Körperformen, Architekturen, Dingen und Medien manifestieren, mit spezifischen Wahrnehmungsweisen, (visuellen) Praktiken und (ästhetischen) Erfahrungen der Subjekte korrespondieren. Diese haben aber grundsätzlich die Wahl, sich der visuellen Umgebung entweder zu öffnen, sich ihr zu verschließen oder aber gestaltend auf sie einzuwirken. Um dieses Problemfeld der visuellen Selbsttechnologien näher zu beleuchten, soll zunächst ein Blick auf Foucaults Bestimmung der machttechnologischen »Fremdführung« aus Subjekt und Macht geworfen werden. Auffällig ist, dass er hier die Machtausübung in erster Linie als einen intersubjektiven Vorgang charakterisiert, nämlich als ein »Ensemble aus Handlungen, die sich auf das mögliche Handeln richten« (DE4/306: 286). Dabei wiederholt er den bereits in Der Wille zum Wissen vor-
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formulierten Gedanken, dass die Macht nur im Grenzfall Handlungen erzwingt oder verhindert und stattdessen eher »Anreize bietet, verleitet [oder] verführt« (ebd.), vernachlässigt aber die genealogische These aus Überwachen und Strafen, wonach das historische Subjekt vor allem über den unmittelbaren physischen Zugriff auf den Körper und die räumliche Anordnung in seinem Sein geformt wird.12 Demgegenüber ist jedoch anzunehmen, dass auch den visuellen und räumlichen Formationen – ganz im Sinne von Latours ANT – ein gewisses Handlungs- oder Aktivitätspotential zugesprochen werden kann. Denn auch die sichtbaren Dinge betätigen sich insofern als Agenten des gouvernementalen Möglichkeitsraums, als sie bestimmte sinnlichaffektive Wahrnehmungen und Erfahrungen sowie körperliche Praktiken eher wahrscheinlich machen als andere. So hat beispielsweise die Farbgebung und Lichtregie eines Raumes einen maßgeblichen Einfluss darauf, ob dieser entweder kühl und abweisend wirkt oder eine einladende und gemütliche Atmosphäre ausstrahlt, und genauso kann ein Bild, ein Gegenstand oder eine Form den Betrachter zum Verweilen anhalten, unbewusste Assoziationen wecken oder den Impuls auslösen, das Gesehene berühren zu wollen. Um diese »interobjektiven«, medialen oder sinnlichen »Führungen« theoretisch fassen zu können, wäre also Foucaults gouvernementalitätstheoretischer Handlungsbegriff in Richtung einer praxeologischen Medien-, Artefakt- und Raumtheorie zu erweitern, die den »ekstatischen« Charakter der visuellen Formationen, d.h. ihre Tendenz, sich dem körperlichen Subjekt in den Weg zu stellen, sich der Wahrnehmung geradezu aufzudrängen oder aber im Gegenteil möglichst unscheinbar in den Hintergrund zu treten, ebenfalls als eine historisch spezifische Regierungstechnik fasst. Die gouvernementalitätstheoretische Bestimmung der Regierung als ein »Ensemble aus Handlungen« muss mit anderen Worten mit dem früheren Dispositivkonzept kurzgeschlossen werden, das Foucault in ganz ähnlicher Weise definiert hat, nämlich als eine »entschieden heterogene Gesamtheit« (DE3/206: 392), bestehend aus diskursiven und nicht-diskursiven Elementen, die das körperliche Subjekt in seinem Dasein und seinen Erfahrungsformen hervorbringt und bedingt. Mit diesem erweiterten Gouvernementalitätsbegriff könnte der auf die Steuerung der (Selbst-)Praktiken ausgerichtete Möglichkeitsraum als ein »Regierungsdispositiv« gefasst werden, in dem neben den intersubjektiven Beziehungen auch die sinnlich erfahrbaren Artefakte und Räume bestimmte Praxis- und Wahrnehmungsangebote bereitstellen, an denen sich die Selbstführungen abarbeiten müssen.
12 In seiner Studie über die Genealogie der politischen Ökonomie weist er zwar darauf hin, dass auch die ökonomische Verwendung und Verteilung der Dinge und Menschen zu den zentralen Regierungspraktiken gehört (GG1: 145), arbeitet aber nicht explizit heraus, dass die Subjekte auch umgekehrt von den räumlich-visuellen Anordnungen der Dinge »regiert« werden können.
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Ein solches gouvernementalitätstheoretisch gewendetes Dispositivkonzept hat gegenüber dem früheren machttheoretischen Modell des Panoptismus den entscheidenden Vorteil, dass es das visuelle Regime der Moderne nicht auf die überwachend-unterwerfende Funktion reduzieren muss, sondern potentiell auch andere visuelle Machteffekte wie etwa die »positiven Anreize« der sichtbar-materiellen Artefakt- und Raumarrangements oder die visuellen Codes eines körperlichen Schönheits- und Geschlechtsregimes sowie die »visuelle Aktivität« des Subjekts – also die Art und Weise, wie es auf die gegebene visuelle »Fremdführung« reagiert – in die historische Analyse integrieren kann. Allerdings gibt Foucault nur wenig Aufschluss darüber, wie eine Selbsttechnologie auf der Ebene des Sinnlich-Visuellen aussehen könnte. Zwar geht er in seinen Analysen der antiken »Ästhetik der Existenz« auf eine Reihe von körperlichmentalen Übungen ein, durch die sich das Subjekt zu seinen Lüsten und seinen Erfahrungen in Beziehung setzt, bezieht sich aber kaum auf solche Selbsttechnologien, die – wie beispielsweise Wohn-, Gestaltungs- oder Schönheitspraktiken – vornehmlich auf die ästhetisch-sinnliche Auseinandersetzung mit Artefakten oder Raumbedingungen abzielen. Dennoch lassen sich auch in den Ethik-Büchern und in Hermeneutik des Subjekts einige Anmerkungen zu asketischen Wahrnehmungsübungen finden, die erste Hinweise darauf geben, was es genau heißt, sich durch »visuell-sinnliche« Selbsttechnologien zu einer gegebenen sichtbaren Welt in Beziehung zu setzen. Um die antiken Praktiken zur aktiven Wahrnehmungssteuerung sowohl in ihrer historisch-analytischen Relevanz als auch hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf moderne Regierungsdispositive besser einschätzen zu können, sollen hier noch einmal die zentralen Argumente der Vorlesung Hermeneutik des Subjekts rekapituliert werden, die sich in Fortführung von Foucaults Analysen zur antiken Sexualmoral mit dem allgemeinen Verhältnis zwischen dem Prozess der Wahrheitsfindung und den damit verbundenen Selbstpraktiken beschäftigt (HS: 16). In Hermeneutik des Subjekts unterscheidet Foucault zwischen dem neuzeitlichen cartesianischen Denken, welches das menschliche Subjekt per se für erkenntnisfähig hält, und den antiken griechischen bzw. römischen Philosophien seit Platons Alkibiades, denen die Annahme zugrunde liegt, dass erst eine praktischethische »Sorge um Sich«, eine epimeleisthai sautou, die Erkenntnis der Welt ermöglicht. In der Antike ist die ethische Praktik der körperlich-mentalen Selbstsorge – zu der etwa die Diätik, die sexuelle Enthaltsamkeit und die Selbstprüfung gehören – also eine Art »Geistigkeitsvoraussetzung«, die das Subjekt erlangen muss, um einen Zugang zur Wahrheit zu erhalten (HS: 32). Allerding tritt der Aspekt der Wahrheit im Laufe der Jahrhunderte zugunsten der Selbstsorge in den Hintergrund, denn während im 4. Jahrhundert v. Chr., d.h. zur Zeit von Sokrates und Platon, die Praktiken der Selbstsorge noch relativ eng an die Aufgabe der Selbsterkenntnis gekoppelt waren und nur von einigen wenigen privilegierten Personen, nämlich den aristokratischen Anwärtern auf ein politisches Amt, ausgeübt wurden (HS: 66), wei-
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tet sich die Selbstpraxis in der römischen Stoa (1.-2. Jahrhundert n. Chr.) zu einer allgemeinen Lebenskunst, der techne tou biou aus, die keinen bestimmten gesellschaftlichen Status voraussetzt und anstelle der Erkenntnis die vollendete (ästhetische) Beziehung zu sich selbst und zur »Natur« zum universellen Prinzip erhebt (HS: 164ff.). In der stoischen »Ästhetik der Existenz« geht es also nicht mehr um die philosophische Ausbildung derjenigen, die andere anführen sollen, sondern um eine allgemeine Selbstkultur, die potentiell jedem Subjekt erlaubt, einen individuellen Zustand des Glücks und der Freiheit zu erreichen.13 Wie Foucault an verschiedenen Schriften und Ratschlägen von Seneca, Plutarch, Epiktet und Marcus Aurelius herausarbeitet, ist diese stoische Hinwendung zum Selbst von der Annahme getragen, dass das Subjekt erst dann wirklich frei und weise sein kann, wenn es seinen Blick und seine Aufmerksamkeit von den Reizen der äußeren Welt – d.h. auch von der Politik – abwendet, sich die Befriedigung von Bedürfnissen versagt und stattdessen in dem eigenen Selbst nach der natürlichen Ordnung sucht (HS: 260f., 337ff.). Das Gebot, den Blick nach innen, auf das Selbst zu richten (HS: 269), ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen: Denn zu den verschiedenen Meditationstechniken, körperlichen Übungen und Gedächtnistrainings, durch die das Subjekt lernen soll, sich nicht von den Geschehnissen des Alltags ablenken zu lassen, seiner Neugier zu wiederstehen und sich auf sich selbst zu konzentrieren, gehört auch der Ratschlag von Plutarch, »sich darin zu üben spazierenzugehen, ohne nach rechts und links zu schauen« (HS: 278). Und ebenso empfiehlt Epiktet, sich während eines Spaziergangs daraufhin zu prüfen, ob man von einem Gegenstand oder einer Person etwa »beeindruckt ist, ob man sich erregen lässt, ob man durch die Stärke des Konsuls oder die Schönheit einer Frau in
13 Nach Foucault dreht sich das Verhältnis zwischen Selbsterkenntnis und Selbstsorge im Christentum und der modernen Philosophie um. Die christliche Moral fordert von dem Subjekt, dass es sein Selbst zurückstellt, der Autorität eines anderen unterwirft und die eigene Seele nach verbotenem Begehren und Lüsten durchforscht (DE4/363: 996ff., GL: 55). In diesem Sinne ist die christliche Moral Foucault zufolge nicht mehr auf die aktive Steigerung und Ermächtigung des Selbst und eine Verschönerung des Lebens, sondern auf die passive Unterwerfung sowie die Reinigung der Seele und Ausrottung von Begierden ausgelegt (DE4/344: 767ff.). Zudem verenge sich in der abendländische Philosophie seit Descartes die Frage nach der Wahrheit auf die Objekterkenntnis, die nun im Unterschied zu dem griechischen Denken auch ohne »Geistigkeitsvoraussetzung« als möglich angesehen werde (HS: 242f.). »In der Rangordnung der beiden antiken Maximen ›Achte auf Dich selbst‹ und ›Erkenne Dich selbst‹ hat es eine Umkehrung gegeben. In der griechisch-römischen Kultur erschien die Selbsterkenntnis als Folge der Sorge um sich selbst. In der Moderne dagegen verkörpert die Selbsterkenntnis das fundamentale Prinzip.« (DE4/363: 973)
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seiner Seele erschüttert ist« (DE4/344: 772). Der Spaziergänger steuert also seine tatsächliche visuelle Erfahrung, indem er sich durch eine bestimmte körperlichmentale Praktik (die meditative, in sich gekehrte Haltung) der visuellen Fremdführung (den sinnlichen Zwängen und Reizen der Umgebung) verweigert. Im Unterschied zu der archäologischen Analyse, die den epistemologischen Blick allein auf die Formationen des »seriösen« Diskurses zurückführte, und der genealogischen Kritik des Panoptismus, die den anonymen, allgegenwärtigen Blick als die zentrale disziplinarische Körpertechnologie der Moderne entlarvte, dem sich das Subjekt nicht entziehen kann, charakterisiert Foucault die stoischen Sehübungen somit als eine ganz aktive Praktik, die die subjektivierenden Kräfte der diskursiven und visuellen Ordnung zu einem gewissen Grad außer Gefecht setzen kann. Neben der asketischen Strategie, sich den sinnlichen Attraktionen gänzlich zu verweigern, sind aber sicherlich auch noch ganz andere Formen der aktiven körperlich-sinnlichen Wahrnehmungs- und Affektsteuerung denkbar. So hat Foucault – allerdings nur beiläufig – auf eine moderne Variante der Spaziergangsübung verwiesen, nämlich auf die Existenzkunst des Flanierens, die von der künstlerischen Bohème des 19. Jahrhunderts gepflegt wurde. Ähnlich wie die antiken Selbsttechnologie geht es beim Flanieren darum, den Erfordernissen der visuellen Fremdführung – in diesem Fall der Hektik der Masse, den schnell wechselnden Sinneseindrücken und der allgegenwärtigen Warenästhetik in den modernen Metropolen – ein »Anders-Sehen« entgegen zu stellen. Aber anstatt sich den visuellen Reizen komplett zu entziehen, versucht der Flaneur, das Flüchtige des großstädtischen Lebens ganz bewusst wahrzunehmen, um darin das Poetische und Ewige zu entdecken (DE4/344: 773, DE4/339: 694ff.).14 Nach Foucault ist dieser ästhetisierenden Wahrnehmungstechnik insofern eine aufklärerische »Haltung der Modernität« inhärent,15 als sich der Flaneur von den zweckrationalen Regierungsgesetzen des Kapitalismus und den bürgerlichen Subjektidealen distanziert und stattdessen die eigene Aktualität und die Bedingungsverhältnisse seiner Gegenwart kritisch reflektiert. Im Allgemeinen ist aber die ästhetische Einstellung nicht zwangsläufig als eine Selbsttechnologie zu bewerten, die sich den sinnlichen Anforderungen des Regierungsdispositivs widersetzt. Wie beispielsweise Brian O’Doherty in seinem berühmten Essay Inside the White Cube (1986) und nach ihm u.a. die »Insitutional Critique« dargelegt haben, kann z.B. das moderne Museums- und Ausstellungsdis-
14 Zu Begriff und Bedeutung des Flaneurs in der modernen urbanen Kultur siehe u.a. auch Benjamin 1978: 537-562 und Tester 1994. 15 In Was ist Aufklärung interpretiert Foucault Kants gleichnamigen Aufsatz von 1784 als einen Text, der die Reflexion über »heute«, also die »Haltung der Modernität« als die eigentliche philosophische Aufgabe herausstellt und damit eine Brücke zwischen Kants Kritik der Vernunft und seiner Reflexion über die Geschichte schlägt (DE4/339: 694).
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positiv, das zeitgleich mit den Überwachungsdispositiven entsteht, als ein Handlungsraum verstanden werden, der durch seine Gestaltung einen kontemplativen, »interesselosen« Blick sowie eine gewisse Bildungsbeflissenheit für sich einfordert. Damit wird aber nicht nur die Körperlichkeit des Betrachters systematisch ausgeklammert, sondern darüber hinaus den sozialen Distinktionsabsichten sowie kulturellen und ökonomischen Herrschaftsansprüchen der bürgerlichen Elite in die Hände gespielt.16 Neben der klassischen Kontemplation des Kunstbetrachters gibt es aber auch noch andere »ästhetisierende« Einstellungen, die den strategischen Zielen der (post-)modernen kapitalistischen Gouvernementalität entsprechen, wie etwa den touristischen Blick, der den Stadtraum nach Sehenswürdigkeiten absucht und dabei soziale Ungleichheiten und Alltagsprobleme ausblendet, die konsumtorische Wahrnehmungshaltung, die sich allein für die visuellen Appelle der Warenwelt empfänglich zeigt und die Dinge nur hinsichtlich ihres monetären oder symbolischen Werts betrachtet,17 oder die postmodernen Bürodispositive, deren »unkonventionelle« Gestaltung ein »pleasure in work« freisetzen (Donzelot 1991) und die Mitarbeiter zur kreativen Ideenfindung animieren soll.18 Und genauso wie die ästhetische Haltung
16 Siehe dazu Benjamin 1963, Bourdieu: FU und Kapitel 3.3.2.1 und 3.3.2.2. 17 Siehe dazu ausführlicher Urry 1990, 1992 sowie Burns u.a. 2010 und Delitz 2005. 18 In der Soziologie stimmt man weitgehend darin überein, dass sich in den 1970er Jahren das ökonomische Paradigma hin zu einer weniger bürokratisch-rationalisierten oder standardisierten Arbeitskultur verschoben hat, die wahlweise als Neoliberalismus, als Informations- und Wissensökonomie oder als postfordistischer, postmoderner, postindustrieller oder desorganisierter Kapitalismus bezeichnet wurde (Amin 1994: 1f.). In der poststrukturalistisch orientierten Kultursoziologie wird diese veränderte Arbeitswelt vor allem hinsichtlich der diskursiv-konzeptuellen Verschiebungen diskutiert, die sich in der betriebswirtschaftlichen Literatur abzeichnen. Dabei geht es um ökonomische role models, um theoretische und semantische Referenzen, um Arbeitsinhalte sowie Aspekte der managerialen Steuerung und Organisation von Arbeitspraktiken. In ihrer Diagnose der diskursiven Transformation stimmen aber die verschiedenen Studien, die von der postoperaistischen Kritik an der immateriellen Kommunikations- und Affektarbeit (vgl. Lazzarato 1998a, 1998b; Hardt 2003) über die Diagnose eines »neuen Geist des Kapitalismus« im französischen Neopragmatismus (Boltanski/Chiapello 2003) bis hin zu den subjekt- und gouvernementalitätstheoretischen Analysen des »Kreativsubjekts« (Reckwitz 2006b, 2008f., 2012) und des »Unternehmer seiner selbst« reichen (Rose 1990: 55, 119, 1996; Opitz 2004; Bröckling 2007), in vielen Beobachtungen überein. Sie diagnostizieren 1.) eine allgemeine Tendenz zur Kulturalisierung der Ökonomie, 2.) eine Zunahme von immaterieller Wissens- und Kreativarbeit, 3.) flexibilisierte und projektbasierte Arbeitsprozesse sowie 4.) eine Orientierung an ästhetischen Arbeitsformen und künstlerischen role models. Diese indirekten Regierungstechniken der kreativökonomischen Gouvernementalität zeigen sich
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je nach Kontext und Ausprägung entweder eine widerständige Position markiert oder aber der Fremdführung entspricht, kann umgekehrt eine überwachende Beobachtung, die Foucault in Überwachen und Strafen lediglich als repressivunterwerfend eingestuft hatte, in bestimmten Zusammenhängen – z.B. wenn es darum geht, die Machtwirkungen bestimmter Praktiken und Handlungen ans Licht zu bringen – als eine kritische Selbsttechnologie gelten. Visuelle Praktiken und Selbstführungen sind mit anderen Worten nicht von vornherein als abweichend, kritisch oder konform zu bewerten, sondern müssen stets im Kontext der Dispositive, d.h. der Diskurse, architektonisch-dinglicher Strukturen sowie Körper- und Subjektmodelle, betrachtet werden, an denen sie sich abarbeiten. Um dieses Spannungsfeld zwischen äußeren visuell-dinglichen »Fremdführungen« auf der einen und körperlich-sinnlichen Selbstführungen auf der anderen Seite genauer zu bestimmen, wäre herauszuarbeiten, wie das Subjekt das Gesehene tatsächlich aufnimmt, affektiv besetzt und als »historische Anschauungsform« in sein »Wahrnehmungsschema« inkorporiert, wie das so bedingte Sehen in den gesamten Praktikenkomplex eingebettet ist und an welchen Punkten das Subjekt selbst gestaltend auf seine sichtbare Umwelt Einfluss nimmt. Foucault selbst hat sich in seinen gouvernementalitäts- und subjekttheoretischen Schriften allerdings nicht eingehender mit diesem Problem auseinandergesetzt, so dass gerade an dieser Stelle noch Klärungsbedarf besteht.
auch auf der Ebene des Bürodesigns: Die tayloristische Rechteckigkeit und das nüchterne Grau-in-Grau weichen schrillen Farben, runden Formen, gemütlichen Sofas und allerlei Spiel- und Entspannungsmöglichkeiten. Siehe dazu auch Prinz 2012. Für eine ausführliche ethnographische Analyse kreativökonomischer Arbeitsprozesse siehe auch Krämer 2014.
2.4 Resümee Auf dem Weg zu einer Geschichte des Sehens
Im Laufe seiner Karriere hat Foucault sowohl sein theoretisch-analytisches Instrumentarium als auch seine empirischen Forschungsgegenstände immer wieder neu justiert. So ging es ihm während seiner ersten, archäologischen Schaffensperiode vor allem darum, die historischen Bedingungen des Denkens in der quasimateriellen Formation der Aussagesysteme freizulegen. In seiner darauf folgenden nietzscheanisch-genealogischen Phase stellt er seinen eigenen Ansatz insofern »vom Kopf auf die Füße«, als er seine diskursanalytische Perspektive nun um eine Analyse der übergeordneten Machtrelationen und »Hintergrundpraktiken« ergänzt, die ganz physisch-materiell auf die Körper der Subjekte einwirken. In seinem Spätwerk widmet sich Foucault schließlich den (Selbst-)Praktiken des Subjekts, welches er nun nicht mehr als bloßen Träger oder Effekt der diskursiven und machttechnologischen Formationen und Praktiken denkt, sondern als einen aktiven, »relativ freien« Akteur in den historischen Dispositiven konzipiert, der einen gewissen Handlungs- und Denkspielraum in Bezug auf seine äußeren Bedingungsverhältnisse besitzt. In all diesen Stadien seiner theoretisch-analytischen Entwicklung von einem rein diskurstheoretischen über ein machttheoretisches bis hin zu einem ausdifferenzierten praxeologischen Modell der Subjektanalyse hat sich Foucault mal mehr, mal weniger intensiv mit den kulturellen Ordnungen der Visualität beschäftigt – ohne jedoch ein dem Diskursmodell vergleichbares Konzept des historisch-kulturellen Apriori des Sehens, d.h. der historisch und kulturell spezifischen »Anschauungsformen« und »Apperzeption« ausformuliert zu haben. Wie in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich dargestellt wurde, lassen sich aber aus Foucaults verstreuten Kommentaren und Theoriefragmenten erste Ansätze ableiten, um auch die kulturellen und historischen visuellen Formationen sowie die damit verbundenen visuellen Praktiken theoretisch-analytisch in den Blick zu bekommen. So analysiert Foucault in seiner archäologischen Phase trotz der darin enthaltenen textualistischen Tendenz nicht nur den Diskurs als sprachliche Denkordnung, sondern interessiert sich vor allem in Die Geburt der Klinik und Die Ordnung der
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Dinge – also noch vor der Ausformulierung der diskursanalytischen Methodologie – auch dafür, wie die Gegenstände des wissenschaftlichen Wissens in den verschiedenen »Epistemen« auf je spezifische Weise in Erscheinung treten. In seiner Archäologie des »positive[n] Unbewusste[n] des Wissens« (OD: 11) geht es ihm also auch darum, wie das Sichtbare und das Sagbare durch die seriösen Diskurse in ein spezifisches Verhältnis gebracht werden (AW: 79f.). Neben den wissenschaftlichen Beobachtungs-, Anordnungs- und Analysetechniken beschäftigen Foucault zu dieser Zeit zudem die Bildende Kunst und die malerischen Repräsentationsformen, denen er – entgegen seiner zugespitzten These aus Archäologie des Wissens, wonach der Diskurs alle anderen Kulturerscheinungen organisiere – eine gewisse Eigenlogik einräumt (OD: 38, DE1/51: 796). Dabei scheint er – zumindest implizit – davon auszugehen, dass Bilder ähnlich wie die Diskurse eher Monumente als Dokumente sind, »die systematisch die Gegenstände bilden«, die sie abbilden (AW: 74), und daher ebenfalls mit der archäologischen Methode des formalen »Oberflächenblicks« zu analysieren sind. Das heißt aber nicht unbedingt, dass die visuellen Repräsentationen die seriösen Diskurse oder die diskursiv erzeugten Gegenstände bloß illustrieren, sondern dass auf der Ebene der bildlichen Formation ähnliche epistemologische Probleme verhandelt werden wie auf der Ebene der sprachlichen Formation. In diesem Sinne korrespondiert beispielsweise Manets Malerei, die sich nach Foucault durch ihre »Oberflächlichkeit« und »Dinglichkeit« auszeichnet, insofern mit dem modernen okularzentristischen Blick der Naturwissenschaftler, der sich in die dunkle, körperliche Tiefe der Dinge bohrt, als beide visuelle Äußerungsmodalitäten ein wesenhaftes »Dahinter« oder »Darunter« der sichtbaren Welt entweder in Frage stellen (wie bei Manet) oder aber aufzudecken suchen (wie in den modernen Wissenschaften). Und Las Meninas, das Foucault als ein paradigmatisches Bild des Repräsentationsdenkens der Klassik interpretiert, gibt bereits einen Vorschein auf das transzendentale Erkenntnissubjekt, das erst im nach-kantischen anthropologischen Denken an Gestalt gewinnt. Diese archäologisch-»textualistische« Perspektive auf die visuelle Kultur, die allein von den seriösen Diskursen bzw. den visuellen Formationen bildlicher Repräsentationen ausgeht und von diesen ausgehend Rückschlüsse auf die Beschaffenheit der kulturellen Erkenntnisformen und Sichtbarkeiten zieht, klammert jedoch das körperliche Subjekt als Träger und Objekt des Blicks, die Medialität der Artefakte sowie die alltäglichen Wahrnehmungsräume und -formen aus. Erst mit seiner genealogisch-machtanalytischen Wende, seit der er statt des Diskurses die anonymen Machtrelationen zu der übergeordneten kulturellen Ordnungsinstanz erhebt, dehnt Foucault seine historische Analyse auch auf die konkrete physische Materialität der Körper, Artefakte und Räume aus, die er nun als eigenständige Elemente ansieht, die sich mit der Quasi-Materialität der Aussage- (und Bild-)Formationen zu einem subjektivierenden Dispositiv zusammenschließen. Das Subjekt erscheint in der nietzscheanischen Genealogie somit nicht mehr nur als ein »Cogito«, in das sich die
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diskursiven und repräsentationalen Ordnungen »einfalten«, sondern auch als ein physisches Wesen, dessen Körperpraktiken und seelische Vorgänge durch die räumlichen Aufteilungen und körperzentrierten Machttechnologien eine bestimmte Form erhalten. Zu diesen Machttechnologien zählt Foucault auch Formen der (architektonischen) Blicklenkung, wie beispielsweise die theatrale Inszenierung souveräner Autorität zur Zeit des Ancien Régime sowie umgekehrt die allumfassende Sichtbarmachung und Normalisierung jedes individuellen Körpers durch die moderne Disziplinarmacht. Damit zeigt er erstens auf, dass der prüfende Blick nicht immer nur der wissenschaftlichen Erkenntnis dient, sondern auch als eine strategisch motivierte Machttechnologie eingesetzt werden kann, sobald er auf das zu disziplinierende, körperliche Subjekt gerichtet wird, und macht zweitens deutlich, dass der (architektonische) Raum jenseits seiner Funktion, die Dinge nach Maßgabe eines bestimmten Wissensmodells anzuordnen, auch eine nicht-diskursive Materialität besitzt, die die konkreten Praktiken und Blicke der Subjekte eindämmt oder ermöglicht und somit die soziale Ordnung medial mit hervorbringt. Bei diesem zeitweiligen analytisch-theoretischen Zugeständnis an die konkrete Materialität und Medialität der sichtbaren Körper, Räume und Artefakte sowie an die alltäglichen Wahrnehmungsräume und Subjektivierungsweisen gehen jedoch einige Facetten der visuellen Ordnung, die er in seiner archäologischen Phase bereits herausgearbeitet hatte, verloren: So lässt Foucault den Aspekt der historisch spezifischen visuellen Formationen, die er in Bezug auf malerische Repräsentationen angedacht hatte, nun gänzlich fallen und versäumt, die archäologische Frage aus Die Ordnung der Dinge, wie bestimmte visuelle Praktiken und Sichtweisen durch diskursive Bedingungsverhältnisse erzeugt werden, körpertheoretisch-materialistisch auszuweiten. Zudem berücksichtigt er in seiner Genealogie nicht, dass die machttechnologische Normalisierung, die sowohl die Gestalt des Körpers als auch die damit verbundenen (visuellen) Praktiken determiniert, nicht alle Individuen gleichermaßen subjektiviert, sondern je nach sozialer Position anders behandelt und somit auch soziale Differenzen herstellt. Diese »blinden Flecken« der genealogischen Analyse der modernen visuellen Kultur haben insofern weitreichende theoretische und analytische Konsequenzen, als Foucault damit jegliche visuelle Aktivität der Subjekte sowie die sinnlich-affektive Dimensionen des Sehens vernachlässigt. Er muss sich also nicht die Frage stellen, wie das Subjekt – abhängig von Klasse, Geschlecht und Kulturzugehörigkeit – die formale Ordnung der alltäglichen Welt inkorporiert und in ein implizites visuelles Wissen umwandelt, das es dazu befähigt, bestimmte (Körper-)Formen, Gestalten oder Artefaktarrangements zu identifizieren, zu kategorisieren und in seine Praktiken einzubinden. Auch wenn Foucault nach Überwachen und Strafen das Thema der visuellen Ordnung und der visuellen Praktiken nicht weiter verfolgt, scheint aber sein späteres machtanalytisches Konzept der »Gouvernementalität« sowie seine analytische Fokussierung auf die körperlich-mentalen »Selbsttechnologien« zumindest das Potential eines komplexeren theoretischen
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Modells der historischen Visualitätsordnung in sich zu bergen. So ließe sich in Anlehnung an Foucaults Definition der Macht aus Subjekt und Macht (DE4/306) das Dispositiv als eine Art praxeologischer Möglichkeitsraum verstehen, in dem das Subjekt mit verschiedenen visuellen »Fremdführungen« wie beispielsweise Bildern, Artefakten, Medien, Körpern und Architekturen konfrontiert ist, auf die es mit bestimmten visuellen Selbstführungen, also inkorporierten Wahrnehmungsschemata, implizitem (visuellem) Wissen, Affekten sowie gezielt gesteuerten visuellen Praktiken und Haltungen reagiert. Um ausgehend von Foucaults historischem Projekt ein solches komplexes Modell der miteinander verwobenen historischen visuellen Formationen auf der einen sowie der kulturell bedingten Wahrnehmungsweisen auf der anderen Seite auszuformulieren, bedarf es aber – vor allem was die Frage der Inkorporierung äußerer visueller Ordnungen und die Aktivität des sehenden Subjekts anbelangt – einiger theoretischer Ergänzungen, die Gegenstand des folgenden Kapitels sind. An dieser Stelle soll zunächst kurz rekapituliert werden, wie Foucaults Ansätze, die historischen Bedingungen des Sehens konzeptionell zu fassen, von verschiedener Seite aufgegriffen, angewandt und weitergedacht wurden, um schließlich auf dieser Grundlage den spezifischen Fokus der hier eingeschlagenen Perspektive zu begründen. 2.4.1 Neuere Forschungsansätze: Vom Bild-Diskurs bis zur Dispositivanalyse Die meisten der sozial- und kulturwissenschaftlichen Studien, die sich des Foucault’schen Vokabulars bedienen, um Phänomene der visuellen Kultur zu analysieren, setzen entweder an Foucaults archäologischen Bildbetrachtungen an, die in Richtung einer umfassenden Bild-Diskurs-Analyse erweitert werden, oder übertragen die dispositivanalytische Diagnose der »Panoptisierung« auf andere historische und kulturelle Kontexte. (1) Bild-Diskurs-Analyse: Zu den bildwissenschaftlichen Ansätzen, die an die archäologischen Bildanalysen anknüpfen, gehören sowohl einige Arbeiten der angloamerikanischen Visual Culture Studies (Hall 1997a/b: 15-63; Rose 2001: 135-163; Leeuwen 2008) als auch die vornehmlich sozialwissenschaftlich ausgerichtete »BildDiskurs-Analyse«, die sich in jüngster Zeit im deutschsprachigen Raum zu etablieren beginnt (Maasen u.a. 2006; Renggli 2007; Miggelbrink/Schlottman 2009). Analog zur diskursanalytischen Perspektive, die die Anordnung einer ganzen Aussagentopologie freilegt, zielen diese Studien darauf, die visuelle Konstruktion von bestimmten »Evidenzen« – also stereotypen Vorstellungsbildern von Sachverhalten, Gegenständen oder Subjektpositionen – aus verschiedenen Bild-Text-Arrangements herauszuarbeiten. In der Bild-Diskurs-Analyse steht also nicht ein einziges Bild im Fokus, sondern ein ganzes intertextuelles bzw. interrepräsentationales Bild-Diskurs-Feld, das – u.a. im Rekurs
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auf semiotische (Hall 1997a: 15-63) oder ikonographische (Rose 2001: 135-163) Analysemodelle – sowohl hinsichtlich seiner inhaltlichen, formalen und kompositorischen Regelmäßigkeiten und Bild-Text-Formationen als auch in Bezug auf seine repräsentationalen »Verknappungen« untersucht wird. Neben der »Interpositivität« der bildlichen Repräsentationen geht es also auch darum, die Phänomene, die systematisch aus dem kulturell Sichtbaren ausgeklammert werden und somit »visuell unintelligibel« bleiben, zu beleuchten.1 Neben diesen Ansätzen, eine allgemeine bildanalytische Methodologie aus der Foucault’schen Archäologie abzuleiten, gibt es aber auch Versuche, Foucaults eigene archäologische Analysen systematisch zu erweitern. So hat etwa Gary Shapiro (2006) vorgeschlagen, im Anschluss an Foucaults Betrachtungen von Bosch, Velázquez, Manet und Magritte eine »Archäologie der Malerei« auszuarbeiten,2 und Jonathan Crary (2002a) ergänzt die Modernediagnose aus Die Ordnung der Dinge um einige malerische Beispiele, die ähnlich paradigmatisch für das moderne Denksystem sind wie Velázquez’ Las Meninas für die Klassik. So zeigt er etwa an den Bildern von Manet und Seurat auf, dass sich das nach-kantische anthropologische Denken und insbesondere die wahrnehmungsphysiologische und -psychologische Erforschung der Erkenntniskräfte auch im modernen Bildverständnis und den malerischen Darstellungspraktiken widerspiegelt. (2) Surveillance Studies und kritische Kriminologie: Gegenüber der bildwissenschaftlich-textualistischen Rezeptionslinie setzt ein zweiter, vielleicht sogar stärkerer Zweig der Visual Culture Studies und der angrenzenden kulturwissenschaftlichen Felder an der prominenten Panoptismusthese an, die die sozialen Effekte intersubjektiver Blickverhältnisse und der architektonischen Raumordnung betont (Rose 2001: 164-186; Sturken/Cartwright 2001: 93ff.; Mirzoeff 2009: 94ff.). In den letzten Jahren hat sich beispielsweise eine ganz neue transdisziplinäre Spezialisierung, die sogenannten Surveillance Studies ausgebildet, die Foucaults Diagnose einer allgemeinen Panoptisierung der modernen Gesellschaft in die Gegenwart überträgt und
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In Anlehnung an Foucaults Interesse für die diskursive Konstruktion von Krankheit, Wahnsinn und Abweichung untersuchen viele der bilddiskursanalytischen Studien visuelle Formen des »Othering«. So haben etwa Cartwright und Didi-Huberman die konstitutive Funktion der medizinischen und psychiatrischen Visualisierungen (Cartwright 1995; Didi-Huberman 1997), Nead und Walkowitz die stereotype Repräsentation von Prostitution in englischen Zeitschriften des späten 19. Jahrhunderts untersucht (Nead 1988; Walkowitz 1992). In den Kunst- und Medienwissenschaften ist zudem der intertextuelle Zusammenhang zwischen »Sichtbarem« und »Sagbarem« ein viel diskutiertes Thema (Voßkamp/Weingart 2005; Siegel 2008).
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Ähnlich ist auch Joseph J. Tankes Buch über Foucault’s Philosophy of Art angelegt (Tanke 2009).
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sich vor allem mit den politischen und sozialen Folgen der modernen, videogestützten Überwachungstechnologien auseinandersetzt (Levin u.a. 2002; Krasmann 2005; Zurawski 2006; Lyon 2006, 2007; Murakami Wood 2007, 2009; Kammerer 2008). Andere Studien schlagen dagegen einen Bogen zwischen der archäologischbildanalytischen und der machttheoretischen Perspektive und untersuchen die institutionelle Einbettung der kriminalistischen Fotopraxis, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts einerseits dem kriminologisch-psychiatrischen Diskurs als wissenschaftliches Instrument diente, um »typische« Verbrecherphysiognomien visuell zu konstruieren, und andererseits in der Polizeiverwaltung als eine Art mediale »Verlängerung« der architektonischen Überwachungsdispositive eingesetzt wurde, um rückfällige und/oder flüchtige Verbrecher besser identifizieren zu können (Tagg 1988, 1994; Regener 1999; Sekula 2003). (3) Körpersoziologie und Gender Studies: Neben diesen Arbeiten, die sich relativ eng an Foucaults Themen der disziplinierenden Überwachung, des Strafsystems und der Kriminalisierung von abweichendem Verhalten orientieren, gibt es aber auch noch einige andere Studien zur visuellen Kultur, die mit dem machtanalytischen Dispositivkonzept arbeiten, aber die darin behandelten Aspekte – wie die soziale Konditionierung des sichtbaren Körpers oder die gesellschaftskonstitutive Kraft der Architektur und der Artefakte – theoretisch verallgemeinern und in andere Kontexte transferieren. So wurde Foucaults genealogischer Körperbegriff, dem zufolge die äußere Gestalt und das körperliche Verhalten der Individuen von den Diskursen sowie den machttechnologischen Zwangs- und Überwachungsapparaten erst hervorgebracht werden, von der Körpersoziologie aufgegriffen (Gugutzer 2004: 59ff.; Schroer 2005) und z.T. in Richtung einer Analyse geschlechtsspezifischer Körperbilder (Pollock 1994) sowie performativer Selbstdarstellungen und Körperinszenierungen (Bublitz 2006; Villa 2008) ausgebaut.3 Den körpersoziologischen Arbeiten geht es im Unterschied zu den bildwissenschaftlichen Ansätzen also nicht nur um die Art und Weise, wie »normale« Körperlichkeit in bildlichen Repräsentationsformen konstruiert wird, sondern um den sichtbaren Körper selbst als Träger dieser visuellen Ordnungen. (4) Museum Studies und Architektursoziologie: Eine andere Rezeptionsrichtung setzt an den räumlich-architektonischen Blick- und Bewegungslenkungen an: So haben etwa die Vertreter der Museum Studies (Hooper-Greenhill 1992; Bennett 1995) herausgearbeitet, dass die modernen Museen, Messen und Ausstellungshäuser, die etwa zeitgleich mit dem panoptischen Gefängnisbau entstehen, ebenfalls als biopolitische Dispositive zur humanwissenschaftlichen Wissensbildung und Bevölkerungs-
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In der Körpersoziologie wird allerdings die Perspektive auf die Performativität und visuelle Inszenierung von (geschlechtlicher) Körperlichkeit sowie spezifischen kulturellen Körper- und Schönheitspraktiken zumeist nicht von Foucault aus, sondern eher im Anschluss an die Arbeiten von Butler oder Bourdieu entwickelt.
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regulierung verstanden werden können. Bennett (1995) widerspricht allerdings Foucaults These von der »Entspektakelisierung« der modernen visuellen Kultur und stellt demgegenüber heraus, dass z.B. die großen Welt- und Industrieausstellungen des 19. Jahrhunderts darauf ausgelegt waren, die industriellen und kulturellen Errungenschaften der Nationalstaaten besonders spektakulär in Szene zu setzen, um damit die eigene politische und ökonomische Überlegenheit gegenüber dem Rest der Welt zu demonstrieren. Das Ausstellungsdispositiv ist somit sowohl in seiner ästhetischen als auch in seiner kommerziellen Spielart eine visuelle Raumordnung, die potentiell ganz andere körperliche Praktiken, Haltungen und Wahrnehmungsweisen von den Subjekten einfordert als etwa eine Fabrikhalle oder ein militärischer Exerzierplatz – allerdings gehen die Museum Studies auf die tatsächlichen Wahrnehmungsakte und sinnlichen Erfahrungen der Betrachter nicht näher ein. Auch für die jüngere Architektursoziologie (Delitz 2009, 2010) ist Überwachen und Strafen insofern eine wichtige Inspirationsquelle, als sie Foucault – neben Deleuze – zu den ersten poststrukturalistischen Kulturtheoretikern zählt, die jenseits eines reinen Sprachkonstruktivismus auch die soziale Medialität der gebauten Umwelt sowie die architektonische Bedingtheit der Sichtbarkeits- und Körperverhältnisse in den Blick genommen haben. Allerdings gibt es in der architektursoziologischen Debatte kaum Studien, die Foucaults Dispositivansatz soweit ausarbeiten, dass dieser auch auf andere, nichtpanoptische Architekturformen übertragbar wird. (5) Archäologie der Medien: Auch in den Medienwissenschaften gibt es Arbeiten, die – ähnlich wie die Architektursoziologie – die wissens- und wahrnehmungskonstitutive Funktion von technischen Artefakten herausstellen und Foucaults historisches Projekt um eine Analyse der (audiovisuellen) Medien ergänzen wollen (Parr/Thiele 2007).4 So versucht etwa Friedrich Kittler das Foucault’sche Diskurskonzept mit McLuhans Medienmaterialismus und den Grundannahmen der Informationstheorie zu verknüpfen, und spricht dementsprechend nicht von dem »historischen Apriori«, sondern von dem »medialen Apriori« des Denk-, Sag- und Sichtbaren (Kittler 1986: 167). Damit ist gemeint, dass alle historischen Erkenntnisformen, Sichtweisen und Praktiken allein durch die Medien – und nicht allein durch die Dis-
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Zudem gibt es starke konzeptionelle Überschneidungen zwischen den Dispositivbegriffen von Foucault und Jean-Louis Baudry, die in ihren Schriften jedoch nie explizit aufeinander Bezug genommen haben. So stellt Baudry, der sich im Übrigen eher an Freud und Lacan, denn an Foucault orientiert, heraus, dass die ideologischen Effekte des Kinos nicht allein aus der filmischen Repräsentation resultieren, sondern bereits in der Technik des »kinematographischen Basisapparats« angelegt seien (Baudry 1986, 2000). Denn die technische Struktur des Kinofilms erfordere sowohl eine imaginäre Vereinheitlichung der an sich genuin fragmentierten Welt als auch die Immobilisierung der Betrachter auf ihrem Sitzplatz. In der anglo-amerikanischen Apparatus Theory wurde dieser Gedanke weitergeführt.
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kurse – bedingt werden, die entweder, wie im Falle der »Aufschreibesysteme« (Kittler 1985), nur bestimmte Formen des Festhaltens, Memorierens und Reproduzierens von Gedanken ermöglichen, oder aber, wie etwa bei den »optischen Medien« (Kittler 2002), die sichtbare Welt in einem besonderen Licht erscheinen lassen. Mit einem ähnlichen Argument stellt auch Jonathan Crary heraus, dass sich der Status, die Position und die Praktiken des modernen Betrachters durch die neuen visuellen Medien und insbesondere die Technik der Stereoskopie ganz grundsätzlich gewandelt haben (Crary 1996). Diese medientechniktheoretische Perspektive ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, da sowohl Kittler als auch Crary die vermeintliche Überbetonung des Diskurses durch einen Mediendeterminismus ersetzen und weder das Wechselspiel der verschiedenen Ordnungsebenen des Dispositivs noch die tatsächlichen Sehpraktiken der Subjekte und die damit verbundenen Erfahrungen und Affekte in den Blick bekommen. Neuere Studien zur »Intermedialität« der »Kommunikationsdispositive« setzen an dieser Schwachstelle an (Elia-Borer u.a. 2011). (6) Soziologische Dispositivanalyse: In der soziologischen Foucault-Rezeption hat sich zudem eine neuere Diskussion entwickelt, die sich mit den Grenzen und Möglichkeiten einer allgemeinen methodologischen Formalisierung des Dispositivkonzepts auseinandersetzt (Jäger 2001a, 2001b; Bührmann 2004; Keller 2005a, 2005b, 2007; Schneider/Hirseland 2005; Bührmann/Schneider 2007, 2008). Alle diese Ansätze, eine soziologische Dispositivanalyse zu begründen, stimmen darin überein, dass in der historischen (Subjekt-)Analyse neben dem Diskurs auch Machttechnologien, nicht-diskursive Praktiken sowie materielle und visuelle Ordnungen zu berücksichtigen seien. Allerdings weichen die verschiedenen methodologischen Strategien, die Artefakte, Architekturen und Sichtbarkeiten empirisch einzubeziehen, je nach inhaltlicher und theoretischer Schwerpunktlegung voneinander ab. So neigen viele der vorgeschlagenen Modelle und insbesondere diejenigen, die einer wissenssoziologischen Tradition angehören (Keller 2005a, 2007), dazu, die nichtdiskursiven Ordnungen und Praktiken als »materielle […] Infrastruktur der Diskurse« zu konzipieren (Keller 2007: 43), also als Formen, durch die sich ein Diskurs institutionalisiert und manifestiert. In diesem Sinne schlägt auch Siegfried Jäger (2001b: 88) vor, die nicht-diskursiven Praktiken sowie materiellen Sichtbarkeiten als Umsetzung bzw. Vergegenständlichungen eines ehemals diskursiven Wissens zu verstehen, was jedoch Foucaults eigener Konzeption insofern widerspricht, als dieser das Dispositiv stets als ein »heterogenes« Ensemble bezeichnet hatte. Gegenüber diesen »diskursivistischen« Interpretation versuchen daher Schneider/Hirseland (2005) sowie Bührmann/Schneider (2007, 2008) das eigenständige »Strukturierungspotential« der Dinge zu berücksichtigen, doch auch hier werden die Artefakte weniger in ihren sinnlich-materiellen oder medialen Eigenschaften,
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denn als Träger von nicht-diskursiven, alltäglichen Bedeutungszuschreibungen gefasst, die es wissenssoziologisch zu rekonstruieren gilt.5 2.4.2 Konzeptuelle Leerstellen: visuell-dingliche Formationen, Wahrnehmungsschemata und Praktiken des Sehens Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass Foucaults exemplarische Ansätze, die historischen Bedingungen des Sehens und der Sichtbarkeit theoretisch und analytisch greifbar zu machen, in den Sozial- und Kulturwissenschaften in vielfacher Weise aufgegriffen, gesellschaftstheoretisch und sozialtheoretisch ausgebaut und teilweise methodologisch formalisiert wurden, um sie auch auf andere visuelle Phänomene übertragen zu können. Im Mittelpunkt dieser methodologischen und analytischen Bemühungen stehen fünf verschiedene Themenkomplexe: die Produktion von (visuellem) Wissen durch bildliche Repräsentationen, die machttechnologische Wirkung von panoptischen Architekturen und Überwachungstechniken, die geschlechts- und klassenspezifische Normierung der körperlichen Gestalt, das »mediale Apriori« des Sichtbaren sowie das Zusammenspiel heterogener Elemente in übergeordneten Dispositiven. Auch wenn mit diesen verschiedenen Rezeptionslinien bereits viele Ebenen der historischen visuellen Ordnung und der visuellen Praktiken erfasst werden, scheinen jedoch zwei Aspekte von den meisten Studien nur beiläufig oder gar nicht behandelt zu werden: zum einen die visuelle Formation der (alltäglichen) Gebrauchsdinge und Artefakte, die ebenso wie die Diskurse und bildlichen Repräsentationen den Gesetzen der Regelmäßigkeit, der Schließung und der Öffnung gehorchen und sich je nach Dispositiv sowie kulturellem und historischem Kontext zu einer anderen formalen, wissens- und wahrnehmungskonstitutiven Ordnung oder »visuell-sinnlichen Fremdführung« zusammensetzen. Und zum anderen das Subjekt als ein aktivsehender Akteur, dessen Wahrnehmungsschemata und -praktiken sowie körperlichsinnlichen Erfahrungen, Affekte und Selbstführungen durch die visuellen Formationen der Bild-, Raum-, Körper- und Artefaktwelt mit bedingt werden.6 Das folgende Kapitel wird sich daher der Aufgabe widmen, diese beiden systematischen Leerstellen – die visuelle Formation der Dingwelt sowie die spezifischen Wahrnehmungsschemata, die aus der Inkorporation dieser Topologie resultieren – in die Foucault’sche Perspektive zu integrieren. Es geht, mit anderen Worten, darum, sowohl die historisch spezifische Ordnung der Dinggestalten in ihrer sozialen Relevanz als auch das wahrnehmende Subjekt als »relativ freier« Akteur innerhalb dieser »Aufteilung des Sinnlichen« (Rancière 2006) analytisch in den Blick zu nehmen.
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Für eine dispositivanalytische Methodologie, die demgegenüber die Materialität und
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Für eine ähnliche Kritik siehe auch Thrift 2007a.
Räumlichkeit des Dispositivs betont, siehe Prinz/Schäfer 2013.
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Der Fokus der folgenden theoretischen Auseinandersetzung liegt dabei nicht auf den technischen, bildproduzierenden Geräten und Dispositiven – wie dem Kino oder dem Mikroskop –, sondern auf den eher beiläufig wahrgenommenen Artefakten. Denn dieses alltägliche »Zuhandene« (Heidegger), das aufgrund seiner Selbstverständlichkeit nicht ins Auge fällt, aber gerade deshalb eine außerordentliche Prägekraft für die kulturellen Praktiken besitzt, wurde in der kultur- und sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der visuellen Kultur bisher kaum beleuchtet. Dieses komplexe Wechselverhältnis zwischen visuell-dinglichen Formationen oder Fremdführungen auf der einen sowie den Wahrnehmungsschemata und visuell-sinnlichen Selbsttechnologien auf der anderen Seite lässt sich nur dann theoretisch fassen, wenn sowohl der Vorgang der Inkorporierung der äußeren, visuellen Ordnung als auch die kulturelle Praxis des Sehens weiter konkretisiert werden. Zu diesem Zweck wird Foucaults Subjektmodell im folgenden Kapitel mit drei weiteren Perspektiven verknüpft, die zwar von ähnlichen subjekttheoretischen Prämissen ausgehen, aber hinsichtlich der Frage der Wahrnehmung zu anderen Ergebnissen gelangen.
3. Das Subjekt der Wahrnehmung Theoretische Anschlüsse
Foucault hat sich vor allem in seiner archäologischen und machtanalytischen Phase nicht nur mit dem Diskurs, sondern auch mit den historischen Bedingungen des Sichtbaren beschäftigt. Seine Analysen von visuellen Ordnungen und Praktiken sind dabei von seinem jeweiligen allgemeinen Erkenntnisinteresse geprägt: So konzentriert er sich in seinen frühen archäologischen Arbeiten vornehmlich auf die wissenschaftlichen Wahrnehmungsräume und Beobachtungstechniken (OD, GK) sowie die bildlichen Repräsentationsformen (OD, MM), die er entweder auf das Wahrheitsspiel der vorherrschenden »seriösen« Diskurse zurückführt oder aber als eine eigenständige wissenskonstitutive Dimension beschreibt, die mit dem Sagbaren in einer historischen Schicht verflochten ist. In Überwachen und Strafen steht demgegenüber nicht das Sehen als ein Instrument des diskursiven und visuellen Wissens im Vordergrund, sondern die machttechnologische Wirkung der panoptischen Überwachungsmaschinerien, die den zu normalisierenden Körper einer schonungslosen Sichtbarkeit ausliefern. Und in seinem Spätwerk schließlich weist Foucault zumindest am Rande darauf hin, inwiefern auch die Wahrnehmung Teil der selbsttechnologischen Praxis wird. Nicht zuletzt aufgrund seiner Weigerung, eine allgemeine Theorie zu formulieren, die auf alle historischen Kontexte anwendbar wäre, versäumt er jedoch, eine dem Diskurskonzept vergleichbare allgemeine Heuristik zu entwickeln, die die Rückkopplungseffekte zwischen den »äußeren« visuellen Formationen, d.h. den Repräsentationsweisen, Architekturen und sichtbaren Artefakten auf der einen und den darin implizierten Subjektpositionen und inkorporierten Wahrnehmungspraktiken auf der anderen Seite erfassen und beschreiben kann. Um eine solche Perspektive zu entwickeln, bedarf es aber nicht nur einer theoretischen Konkretisierung der in Foucaults Arbeiten bereits angelegten Ansätze, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln bereits vorgenommen wurde. Vielmehr tun sich bei näherer Betrachtung einige theoriesystematische Lücken in seinen Überlegungen auf, die vor allem die Konzeption des Subjekts, seiner Wahrnehmungsformen und seiner (visuellen) Praktiken betreffen. So spart Foucault in seinen macht-
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analytisch-körpertheoretischen Arbeiten, die die Analyse der historischen Sichtbarkeit auch auf nicht-repräsentationale Artefakte und nicht-wissenschaftliche Räume ausdehnt, die Frage der historischen Bedingtheit der körperlich verankerten Wahrnehmungsweisen systematisch aus. Das körperliche Subjekt wird in diesen Studien lediglich als ein passiv-angesehenes Wesen thematisiert, aber niemals als ein aktivsehender Akteur, der sich mittels der von ihm inkorporierten historisch-kulturellen Sehmodalitäten zu der ihn bedingenden (visuellen) Welt auf die eine oder andere Weise in ein Verhältnis setzen kann. Diese grundsätzliche Vernachlässigung der aktiven, körperlichen Sehpraktiken, die Foucault erst in seinem Spätwerk – zumindest ansatzweise – in den Blick nimmt, geht mit weiteren Problemen einher. So konzentriert sich Foucault in Überwachen und Strafen ausnahmslos auf die negativunterwerfende Wirkung der Überwachungstechnologien und berücksichtigt nicht, dass es in der modernen visuellen Kultur neben den einschränkenden Disziplinarinstitutionen auch indirekt operierende Dispositive gibt – wie etwa das Kino, die Einkaufszentren oder die privaten Wohnräume – die nicht (nur) über materielle Zwänge, sondern zudem über ästhetische Verführungen, visuelle »Spektakelisierung« sowie affektive Besetzungen operieren, um die Praktiken und Selbsttechnologien der Subjekte zu beeinflussen. Schließlich wurde von Foucault außerdem nicht explizit berücksichtigt, dass es zu einem historischen Zeitpunkt nicht nur eine übergeordnete visuelle Ordnung und eine einzige dominante Form des Sehens gibt, sondern dass sowohl visuelle Formationen als auch visuelle Wahrnehmungsmodi sowohl in Abhängigkeit von dispositivspezifischen Kontexten als auch hinsichtlich der verschiedenen sozialen und kulturellen Positionen der Subjekte variieren. Um Foucaults archäologisch-genealogischen Analyserahmen und insbesondere seinen Subjektentwurf für diese drei analytischen Aspekte – die körperlich verankerte visuelle Wahrnehmung, die affektive Besetzung der sichtbaren Dinge sowie die soziale Position des wahrnehmenden Subjekts – zu öffnen, wird sein Ansatz im Folgenden mit drei benachbarten Theorieangeboten, nämlich mit Maurice MerleauPontys Phänomenologie, mit Jaques Lacans strukturalistischer Psychoanalyse sowie Pierre Bourdieus Praxistheorie ins Gespräch gebracht. Dabei kann aber keine der hier vorgestellten Positionen als der alleinige Königsweg zu einer umfassenderen Heuristik gelten, die sich als analytische Schablone über alle erdenklichen Phänomene legen ließe. Die einzelnen theoretischen Blickwinkel, die jeweils einen anderen Aspekt der visuellen Ordnung, der Subjektposition im Feld der Sichtbarkeit und der Wahrnehmungspraktiken näher beleuchten, sind vielmehr als komplementäre Instrumente zu verstehen, die zusammengenommen einen flexiblen Werkzeugkasten bilden und je nach Gegenstand und analytischem Interesse in unterschiedlicher Kombination zum Einsatz kommen können.
3.1 Der wahrnehmende Leib Foucault und Merleau-Pontys Leibphänomenologie
Auf den ersten Blick scheint es zunächst abwegig, Foucaults archäologischgenealogische Analyse, die sich ausdrücklich als Gegenprogramm zur Phänomenologie versteht, ausgerechnet mit Maurice Merleau-Pontys Leibphänomenologie zu verknüpfen. So ist eines seiner wichtigsten Werke, Die Ordnung der Dinge, nicht nur dem Versuch gewidmet, eine neue Geschichte des Wissens zu begründen, sondern kann darüber hinaus auch als eine anti-phänomenologische »Kampfschrift« (Lebrun 1991: 25) verstanden werden, mit der sich Foucault von Merleau-Pontys »Philosophie der Bedeutung« (DE1/22: 489)1 und seinen eigenen phänomenologischen Anfängen2 lossagen wollte. Er wirft darin der phänomenologischen »Analytik des Erlebten« vor, ein instabiler, anthropozentrischer »Diskurs gemischter Natur« (OD: 388) zu sein, der deshalb nie sein Ziel erreichen wird, weil er erstens zwischen Empirismus und Transzendentalismus unendlich oszilliert, zweitens die Voraussetzungen des Gedachten in einem niemals vollständig explizierbaren Ungedachten – also im tatsächlich Erlebten – aufzudecken sucht und schließlich drittens den Ursprung allen Denkens in eine unerreichbare Urvergangenheit verlegt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass Foucault mit diesem Pauschalurteil nicht nur die höchst verschiedenen phänomenologischen Ansätze auf eine einzige
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Nach Eribon versäumt Foucault in den Jahren 1947-1949 keine der Vorlesungen von Merleau-Ponty (Eribon 1993: 62). Und auch Foucault beschreibt seine eigene Generation als eine, »deren Denkhorizont in allgemeiner Weise von Husserl geprägt worden ist« (DE1/55: 851), sich aber in den 1950er Jahren ganz unvermittelt von dieser Tradition löst und statt dessen »eine andere Leidenschaft [entdeckt]; die Leidenschaft für den Begriff und für das ›System‹« (DE1/37: 664), d.h. für die strukturalistische Denkweise, welche die Phänomenologie fortan als Leitparadigma in den Schatten stellen sollte.
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Dazu gehört die Einführung zu Binswanger (DE1/1) sowie der Erfahrungsbegriff in Wahnsinn und Gesellschaft.
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theoretische Position, nämlich die von Edmund Husserl, zusammenschmilzt.3 Er verwischt mit dieser Geste zudem die Spuren, die das phänomenologische Denken und insbesondere Merleau-Pontys anti-idealistischer Ansatz in seinem eigenen analytischen Modell hinterlassen haben. So hat Foucault beispielsweise – ohne dies jemals kenntlich gemacht zu haben – sowohl den Begriff der »Archäologie« als auch das postkantische Konzept des »konkreten« oder »historischen Apriori« von Husserl (Husserl 1976: 140ff., 380) bzw. Merleau-Ponty (PdW: 113) übernommen, welche dieses freilich nicht in dem anonymen Diskursgeschehen, sondern vielmehr in der praktisch-erfahrenen »Lebenswelt« und »Umwelt« des Subjekts verorteten (Waldenfels 1983: 520). Dreyfus und Rabinow haben zudem darauf hingewiesen, dass Foucaults Archäologie insofern nicht der von ihm kritisierten Denkfigur der transzendental-empirischen Doppelung entkommt, als er sich mit seinem Diskurskonzept ein ähnliches Problem wie Heidegger mit dem Begriff der »Existenzialien« oder Merleau-Ponty mit dem Konzept des »Leibes« einhandelt, nämlich eine empirische Ordnung oder Regelmäßigkeit als die transzendentale Regel oder »Wirklichkeitsbedingung« des Denkens ausweisen zu müssen (Dreyfus/Rabinow 1987: 119). Foucaults anfängliche Nähe zum existential-phänomenologischen Denken steigert sich sogar noch im Verlaufe seiner intellektuellen Karriere. So verabschiedet er sich in den 1970er Jahren von dem latenten Kognitivismus bzw. Textualismus der Archäologie, die das Subjekt als Effekt oder Leerstelle diskursiver Praktiken interpretierte, und verlagert nun seinen analytischen Fokus auf den (sichtbaren) Körper, den er fortan als den eigentlichen Vollzugsort historischer Prozesse und Subjektivierungen verstehen wird. Auch wenn Foucault in diesem Zusammenhang lediglich auf Nietzsche rekurriert, ist eine Verwandtschaft zwischen diesem neuerlichen Interesse an dem in einem Machtdispositiv situierten Körper und Merleau-Pontys Konzentration auf den Leib als Medium des »Zur-Welt-Seins« des Subjekts und Brutstätte seines (Wahrnehmungs-)Bewusstseins kaum zu übersehen. Im Unterschied zu Merleau-Ponty, der sich stets für das aktive Verhalten des körperlichen Subjekts interessierte, vertritt Foucault aber zunächst ein materialistisch-deterministisches Körperverständnis. Erst in seinem Spätwerk, in dem er dem historischen Subjekt erstmalig seit seiner Verabschiedung der Subjektphilosophie in Die Ordnung der Dinge wieder mehr Spielraum und Handlungsmächtigkeit zugesteht und damit – wie noch zu zeigen sein wird – einen Freiheitsbegriff entwickelt, wie er bereits von Merleau-Ponty in Phänomenologie der Wahrnehmung (PdW: 493ff.) angedacht
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Zwar hatte Husserl tatsächlich gehofft, mithilfe der Methode der phänomenologischen Reduktion eine Phänomenologie des transzendentalen Bewusstseins zu begründen, aber bereits Martin Heidegger und Merleau-Ponty hatten sich von Husserls Kognitivismus distanziert und demgegenüber das »In-der-Welt-Sein« (Heidegger) oder leibliche »être au monde« (Merleau-Ponty) stärker in den Vordergrund gerückt.
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wurde, scheint sich Foucault zu seinem phänomenologischen Erbe zu bekennen. Insgesamt ist man also überrascht, »wie sehr […] sich [Foucaults Arbeiten, S.P.] an eine bestimmte Version der Phänomenologie anschließen, nämlich an jene, in der Husserls transzendentale Fragestellung in Richtung auf Schelers Anthropologie oder auf Heideggers Geschichts- und Seinsdenken verschoben wird, und die in Frankreich in Merleau-Ponty ihren kraftvollsten Vertreter hat« (Waldenfels 1983: 523).
Um genauer herausarbeiten zu können, inwiefern diese genuine Verwandtschaft zwischen Foucaults archäologisch-genealogischer Perspektive und Merleau-Pontys existential-phänomenologischer Analyse der Leiblichkeit das Potential in sich birgt, den Aspekt der visuellen Wahrnehmung in den Foucault’schen Analyserahmen zu integrieren, werden im Folgenden Merleau-Pontys Arbeiten zur Frage der Wahrnehmung und der Sichtbarkeit näher vorgestellt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf seinem frühen Hauptwerk Phänomenologie der Wahrnehmung, da dieses für die hier verfolgte Frage die meisten theoretisch-systematische Anknüpfungspunkte bietet. Im Anschluss daran werden die Parallelen und Unterschiede zwischen den beiden theoretischen Ansätzen genauer untersucht, um dann zu diskutieren, inwiefern und unter welchen Voraussetzungen das phänomenologische Konzept des »wahrnehmenden Leibes« dazu beitragen kann, eine praxeologische Heuristik der historischen Ordnung von Visualität und visuellen Praktiken zu konkretisieren. 3.1.1 Das Subjekt als Zur-Welt-Sein des Leibes Wie viele Philosophen seiner Generation war Merleau-Ponty der Meinung, dass die cartesianische Trennung von »res extensa« und »res cogitans«, die Trennung von Leib und Seele, zu der philosophisch und wissenschaftlich unbefriedigenden Alternative zwischen einem empiristischen Objektivismus auf der einen und einem subjektivistischen Idealismus auf der anderen Seite führe. Merleau-Ponty hält beide Ansätze insofern für defizitär, als sie – von je konträrer Seite her kommend – ein Prinzip (entweder die objektive Welt der Dinge oder das Bewusstsein des Subjekts) als grundsätzlich und unveränderlich gegeben voraussetzen und davon ausgehend alle anderen Aspekte der Welt erklären (AuG: 275ff.). Während empiristische Theorien wie etwa der Behaviorismus oder die empirische Psychologie bei der faktischen, wissenschaftlich beobachtbaren und abstrakt beschreibbaren Welt ansetzen und das menschliche Bewusstsein lediglich als ein Stück dieser Welt (PdW: 62), als ein Objekt unter anderen Objekten behandeln, geht der postkantische Idealismus umgekehrt von der subjektiven Denkaktivität als einzige evidente Tatsache aus und bestreitet, dass die äußere, faktische Welt »an sich« zugänglich ist. In dieser Per-
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spektive sind die Dinge also niemals »objektiv« gegeben, sondern treten immer nur als ein »Für-Sich« des alles begründenden menschlichen Bewusstseins in Erscheinung.4 Zwar hatte sich schon Husserl von einem reinen Idealismus verabschiedet, um wieder zu den »Sachen selbst« (Husserl 1975: X) zurückzukehren, aber er hatte sich noch nicht von dem bewusstseinsphilosophischen Ziel losgesagt, über die Analyse der phänomenalen Erscheinungsweise der Dinge zu einer neuartigen transzendentalphilosophischen Bestimmung des Cogito zu gelangen. Merleau-Ponty war diese Lösung jedoch noch nicht radikal genug, da sie die erkenntnistheoretische Kluft zwischen dem inneren subjektiven Bewusstsein und der äußeren objektiven Welt unangetastet ließ. In Fortführung von Husserls Phänomenologie machte er sich daher zur Aufgabe, eine »dritte Seinsweise« (PdW: 401) zwischen Objekt und Subjekt freizulegen, in der beide Dimensionen – die empirisch-materielle und die geistigintellektuelle – noch nicht voneinander geschieden sind.5 »[…] diesseits der Idee des Objekts und der Idee des Subjekts gilt es, das Faktum meiner Subjektivität und das Objekt in statu nascendi wiederzufinden, die Urschicht, der Ideen wie Dinge allererst entspringen.« (PdW: 257) 3.1.1.1 Der Leib als »dritte Seinsweise« Merleau-Ponty vertritt somit die These, dass die Trennung in Objekt und Subjekt einer primordialen empirisch-geistigen Ambiguität entspringt, die es allererst zu ergründen und zu beschreiben gilt, bevor überhaupt Aussagen über das Bewusstsein und die »wahre« Erkenntnis getroffen werden können. Aber was hat man sich unter dieser »dritten Seinsweise« oder Zone der »Ambiguität« im Einzelnen vorzustellen, und worauf muss sich die philosophische Analyse richten, um sie näher zu bestimmen? Merleau-Ponty gibt darauf eine klare Antwort: Der primordiale Zwischenbereich, von dem aus sich die Sinnstrukturen allererst entfalten, ist die leibliche Existenz.6 Das menschliche Sosein ist also weder von seinem Inneren her zu denken noch allein auf seine äußeren ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungsverhältnisse zurückzuführen, sondern gründet in seiner konkreten Existenz, seiner un-
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Zu Merleau-Pontys grundsätzlicher Kritik an der klassischen Alternative Empirismus – Idealismus siehe auch Die Struktur des Verhaltens (SV) sowie die Einleitung aus Phänomenologie der Wahrnehmung (PdW: 19-88).
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Merleau-Ponty hofft mit anderen Worten, dass »die existentielle Analyse […] die klassischen Alternativen zwischen Empirismus und Intellektualismus hinter sich [lässt]« (PdW: 165).
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In Die Struktur des Verhaltens verwendet Merleau-Ponty noch den Begriff des »Verhaltens«, um diese dritte Dimension zwischen empiristischem Objektivismus und intellektualistischem Kritizismus zu bezeichnen.
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hintergehbaren und zugleich dezentrierenden Verbundenheit mit einer ihm äußeren Welt. Diese existentialphänomenologische Grundannahme entnimmt MerleauPonty einerseits dem Lebensweltbegriff7 des späten Husserl (PdW: 80, 491) sowie andererseits der Fundamentalontologie seines Zeitgenossen Martin Heidegger, der in Sein und Zeit (Heidegger 1927) dem menschlichen »Dasein« oder »In-der-WeltSein« (PdW: 149, 413) eine Priorität vor der bewussten Erkenntnis einräumte.8 Merleau-Ponty gibt der Existentialphänomenologie jedoch insofern eine eigene Wendung, als er das existentielle »Zur-Welt-Sein« (»être-au-monde«) (PdW: 10) an den menschlichen Leib koppelt. Denn nach Merleau-Ponty zeichnet sich der Leib im Unterschied zur bloßen physischen Körperlichkeit auf der einen und des reinen, immateriellen Bewusstseins auf der anderen Seite gerade dadurch aus, dass er sich sowohl unter die anderen »materiellen« und »objektiven« Dinge gesellen kann, als auch wie ein wahrnehmend-handelndes Quasi-Subjekt fungiert, das aktiv und gezielt mit der von ihm vorgefundenen Welt interagiert. Der Leib fungiert somit als eine Art Medium, das einerseits das Subjekt in der konkreten Welt »verankert« und ihm andererseits die Sinnhaftigkeit der Welt erst zugänglich macht (PdW: 174, 176). Der sich verhaltende Leib ist also immer schon in das Geschehen der Welt involviert, noch bevor das Subjekt überhaupt ein Bewusstsein ausbilden kann. In diesem Sinne spricht Merleau-Ponty mitunter auch von dem Leib als dem »natürlichen Ich« (PdW: 243), dem »natürlichen Subjekt« (PdW: 234) oder als »Ausdruck eines konkreten Ich« (PdW: 79), welches dem denkenden Cogito vorgeordnet ist.9 Die Konzeption einer vor-bewussten leiblichen Existenz des Subjekts ist mit zwei weiteren Grundannahmen verknüpft: erstens dem Primat der sinnlichen Wahrnehmung vor der eigentlichen (Objekt-)Erkenntnis sowie zweitens dem Vorrang der körperlichen Praxis oder dem leiblich-impliziten »ich kann« (PdW: 166, AuG: 252, SU: 285) vor dem bewusst-expliziten »ich denke«.10 Denn entgegen der
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Husserl versteht unter »Lebenswelt« ein historisch und kulturell spezifisches »Universum vorgegebener Selbstverständlichkeiten« dessen Sinn- und Bedeutungssysteme von den Subjekten fraglos hingenommen und in ihren alltäglichen Praktiken angewandt werden (Husserl 1976: 183).
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Allerdings folgt Merleau-Ponty Heidegger nicht in dessen latent negativer Interpretation des »Geworfenseins« in die Welt und betont stattdessen, dass das »Zur-Welt-Kommen« der Existenz die Voraussetzung aller subjektiven Handlungsmacht darstellt (Günzel 2007: 40).
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Man könnte also sagen, dass Merleau-Ponty mit der Priorisierung des sich-verhaltenden und wahrnehmenden Leibes dem Bewusstsein ein konstitutives Unbewusstes zugrunde legt. Damit weist die Leibphänomenologie eindeutige Parallelen zur Psychoanalyse auf. Siehe dazu auch Gondek 2000 und Stawarska 2008.
10 Auch wenn sich Merleau-Ponty – genauso wie Foucault – von Nietzsches Empfehlung, die Geschichte der Moral am »Leitfaden des Leibes« zu untersuchen, anregen ließ
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kritizistischen Tradition geht Merleau-Ponty nicht davon aus, dass das Subjekt über ein apriorisches Apperzeptionsvermögen verfügt, welches bewirkt, dass »das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhältnissen geordnet angeschauet wird« (Kant: KrV, A: 20) und daraufhin mit entsprechenden Kategorien belegt werden kann. Aber umgekehrt lehnt er auch die empiristische These ab, wonach die erfahrbare Welt eine »objektive« Bedeutung in sich trage, die der aufmerksame Beobachter lediglich zu entziffern habe. Merleau-Ponty nimmt vielmehr an, dass das Subjekt erst durch seinen leiblichen Kontakt mit der erfahrbaren Welt die Wahrnehmungskompetenzen ausbildet, die ihm ermöglichen, das auf ihn einströmende sinnliche Rauschen zu filtern, zu differenzieren und in kohärente Gestalten einzuteilen. Die Sinnbildung ist Merleau-Ponty zufolge also weder auf die Syntheseleistung eines präexistenten Bewusstseins noch auf die »objektive« Ordnung der Dinge zurückzuführen, sondern wird in der »spontanen Organisation« (AuG: 10) der vorbewussten leiblichen Wahrnehmung vollzogen,11 die wiederum selbst von ihren äußeren Daseinsbedingungen beeinflusst und geformt wird. Die eigentliche Objekterkenntnis und das kategoriale Denken, die für die Bewusstseinsphilosophie an vorderster Stelle stehen, sind aus leibphänomenologischer Sicht bloß sekundäre Prozesse, die der vorprädikativen Erkenntnis des sinnlich-sinnstiftenden Leibes als einer ursprünglicheren Form von Sinn- und Bedeutungsgenese logisch und ontologisch nachgeordnet sind.12 Diese perzeptive Strukturierungsleistung gehorcht dabei keinem Selbstzweck, sondern ist nach Merleau-Ponty stets von dem genuin praktischen Impuls des Leibes getragen, der sich in seiner Welt orientieren muss. Wie die Welt dem wahrnehmenden Leib erscheint, hängt demnach zu einem Gutteil davon ab, wie er sich in ihr praktisch-handelnd eingerichtet hat, über welche Verhaltensroutinen er verfügt und welche praktischen Aufgaben an ihn herangetragen werden. In Abwandlung von Husserls Begriff des »intentionalen Bewusstseins«13 spricht Merleau-Ponty daher
(Waldenfels 2000b: 16), verfolgt er mit seinem Leibbegriff jedoch insofern ein anderes Konzept, als er den Körper nicht an die Stelle der Vernunft stellt, sondern vielmehr von einer vorbewussten Vernunft des Leibes ausgeht (Bermes 2004: 71). 11 Mit Merleau-Ponty kann man daher sagen, dass der wahrnehmende Leib selbst als eine Art »Erkenntnisorganismus« oder »Erkenntniswerkzeug« fungiert (PdW: 273, 403). 12 Ganz ähnlich hatte auch Heidegger in Sein und Zeit formuliert: »Alles vorprädikative schlichte Sehen des Zuhandenen ist an ihm selbst schon verstehend-auslegend.« (Heidegger 1927: 149) »Vorprädikativ« meint hier nicht vorsprachlich, sondern im Sinne von vorpropositional, also vor der prädikativen Struktur der Aussage liegend. 13 Husserl vertrat die These, dass sich das Bewusstsein stets »intentional« auf die von ihm wahrzunehmende Welt richtet und die Art der Gerichtetheit (noesis) des intentionalen Bewusstseins, oder das »Wie« des Denkens, beeinflusst, wie der Inhalt, oder das »Was«,
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auch von einer »fungierenden« oder »motorischen« Intentionalität des Leibes (PdW: 15, 165ff., 488).14 Dieses zielgerichtete, kohärente Körper- und Handlungsschema bildet sich – genauso wie die Wahrnehmung als solche – aber erst immanent, d.h. durch die tatsächliche Konfrontation des Leibes mit seiner materiellen und sozialen Umwelt heraus (PdW: 123ff.). Wie an späterer Stelle noch ausführlicher aufgezeigt wird,15 lässt sich das praktisch-perzeptive »Können«, welches die Grundlage dafür bildet, dass sich der Leib intentional auf die ihm äußere Welt beziehen und überhaupt so etwas wie ein Bewusstsein ausbilden kann, aus leibphänomenologischer Sicht also nicht transzendental bestimmen, sondern muss stets an die konkrete innerweltliche Existenz des Leibes rückgebunden werden.16 »Mit der natürlichen und der sozialen Welt haben wir das wahre Transzendentale entdeckt, das nicht die Gesamtheit konstitutiver Leistungen ist […], sondern das zweideutige Leben, in dem der Ursprung der Transzendenzen geschieht, der vermöge eines fundamentalen Widerspruchs in eins mit diesen mich in Kommunikation versetzt und auf diesem Grund Erkenntnis ermöglicht.« (PdW: 417)
3.1.1.2 Die historischen und sozio-kulturellen Bedingungen der leiblichen Existenz Von strukturalistischer und soziologischer Seite wurde Merleau-Ponty oft vorgeworfen, er vertrete einen zu individualistischen und subjektivistischen Ansatz, da er nicht genauer erläutert, wie das individuelle Körperschema des Leibes durch die übergeordneten sozio-kulturellen Ordnungen und historischen Machtgefüge vorgeformt und beeinflusst wird. So weist Loïc Wacquant einerseits darauf hin, dass Bourdieus Begriffe des »Habitus« und des »praktischen Sinns« auf Merleau-Pontys These von der vorreflexiven, »fungierenden Intentionalität« des Leibes zurückgehen, hebt aber gleichzeitig hervor, dass die Leibphänomenologie im Unterschied zur soziologischen Praxeologie nicht dazu in der Lage gewesen sei, »einen analy-
(noema) dem Bewusstsein erscheint. Das heißt, das Subjekt nimmt immer »etwas als etwas« wahr (Husserl 1977: 200ff.). 14 Bereits in Die Struktur des Verhaltens weist Merlau-Ponty auf das »implizite Bewusstsein« und die »praktische Intention« der körperlichen Handlung hin (SV: 198, 199). 15 Zu dem Zusammenhang von Wahrnehmung, Körperschema und innerweltlicher Situiertheit siehe auch Kapitel 3.1.2.1. 16 Merleau-Ponty merkt jedoch an, dass das Körperschema, sobald es einmal etabliert und in »Fleisch und Blut« übergegangen ist, sich nicht ohne weiteres abschütteln oder verändern lässt und somit im Lauf der Zeit Züge eines quasi-transzendentalen Grundvermögens annimmt. Siehe dazu auch Kapitel 3.1.2.2.
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tisch tragfähigen Zusammenhang zwischen den internen und den externen Strukturen herzustellen« (Wacquant 1996: 44). Diese Einschätzung greift jedoch eindeutig zu kurz: Zwar stimmt es, dass Merleau-Ponty seine philosophische Aufgabe wie Husserl darin sah, hinter das kulturelle Körperschema zurückzugehen, um den Prozess des ursprünglichen Differenzierungs- und Strukturierungsgeschehens aufzudecken.17 Aber wie u.a. Bernhard Waldenfels (1983, 2000), Silvia Stoller (1995), Gregor Bongaerts (2003) und insbesondere Nick Crossley (2004, 2008) herausgestellt haben, hat er bereits andeutungsweise in Die Struktur des Verhaltens sowie dann ausführlicher in dem Freiheits-Kapitel aus Phänomenologie der Wahrnehmung (PdW: 493ff.) und einigen späteren Schriften zum Marxismus und Strukturalismus18 darauf hingewiesen, dass die leibliche Existenz nicht unabhängig von ihren
17 Merleau-Ponty bezieht sich dabei mehrfach auf eine Stelle in Husserls Cartesianische Meditationen (PdW: 257, SU: 171): »Es ist die reine und sozusagen noch stumme Erfahrung […] die zur reinen Aussprache ihres eigenen Sinnes zu bringen ist.« (Husserl 1973: 77) Um diesen Punkt, an dem sich das leibliche Tun zu einer vorprädikativen Sinnstruktur verdichtet, rekonstruieren zu können, greift Merleau-Ponty auf Husserls Methode der phänomenologischen Reduktion zurück, der zufolge alle Erfahrungen und alles Wissen von den Dingen »eingeklammert« werden muss, um zu den ursprünglichen Sinnstiftungsakten vordringen zu können. In diesem Sinne versucht auch Merleau-Ponty in Phänomenologie der Wahrnehmung, hinter die Wahrnehmungsroutinen und das alltägliche Sinnverstehen zurückzugehen, um offenzulegen, wie sich die Gestalten und Gegenstände der Welt, die normalerweise als selbstverständlich vorausgesetzt werden, in und durch die leibliche Wahrnehmung allererst als solche herausbilden. Ihm geht es also darum, den ursprünglichen, perzeptiven Artikulationsprozess offenzulegen, durch den sich die Welt, die zunächst als ein ungeordnetes, rohes Sein vorliegt, in eine Vielheit von abgrenzbaren und handhabbaren Dingen transformiert. Da der Leib aber per definitionem immer in einer konkreten Welt situiert und damit stets an eine bestimmte zeitliche und räumliche Perspektivität gebunden ist, hält Merleau-Ponty im Gegensatz zu Husserl die vollständige Reduktion nicht für möglich: »Die wichtigste Lehre der Reduktion ist so die Unmöglichkeit der vollständigen Reduktion.« (PdW: 11) 18 Zu nennen wären insbesondere seine geschichtsphilosophischen Abhandlungen über den Marxismus in Marxismus und Philosophie (SNS: 170-186) und Lob der Philosophie (Vorl1: 15-50 bzw. AuG: 177-224), seine Kritik des real existierenden Sozialismus in Humanismus und Terror (1966) und Die Abenteuer der Dialektik (AD), sowie sein späteres Interesse für Saussures Linguistik und die strukturalistische Anthropologie von Claude Levi-Strauss in Lob der Philosophie (Vorl1: 15-50 bzw. AuG: 177-224), Die Humanwissenschaften und die Phänomenologie (Vorl1: 177-226), Prosa der Welt (PW), Das indirekte Sprechen und die Stimmen des Schweigens (Z: 53-116 bzw. AuG: 111-175), Von Mauss zu Claude Lévi-Strauss (Z: 163-179 bzw. AuG: 225-241).
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historischen und sozio-kulturellen Daseinsbedingungen verstanden werden könne. So schreibt er beispielsweise in Marxismus und Philosophie ganz explizit: »Das Individuum ist das gesellschaftliche Wesen. […] Die Gesellschaft ist für das Individuum nicht ein erlittener Unfall, sondern eine Dimension des Seins. Das Individuum ist nicht in der Gesellschaft, wie ein Gegenstand in einer Schachtel ist, er nimmt sie auf sich mittels dessen, was sein Innerstes ist. Eben deshalb kann man sagen, daß ›der Mensch den Menschen produziert, sich selbst und den anderen Menschen‹, ›…wie die Gesellschaft selbst den Menschen produziert, so ist sie durch ihn produziert.‹« (SNS: 175)19
Mit dieser quasi soziologischen Bestimmung des Individuums als einem »ZurGesellschaft-Sein« des Leibes grenzt sich Merleau-Ponty nach zwei Seiten hin ab: einerseits gegen die empirische Psychologie und Physiologie, die alle Praxis- und Denkformen des Menschen allein auf die bio-chemischen und physiologischen Prozesse des Körpers zurückführen,20 und andererseits gegen einen soziologischen Objektivismus, der das Individuum bloß als Effekt sozialer oder ökonomischer Determinierungen betrachtet. So führt er gegen den Biologismus ins Feld, dass jede Art und Weise des »Gebrauch[s], den der Mensch von seinem Leibe macht, […] diesen Körper als bloß biologisch Seiendes [transzendiert]« (PdW: 224). Damit ist gemeint, dass es nicht einen »natürlichen Leib« gibt, der unter den kulturellen Zurichtungen aufzudecken wäre. Vielmehr weist der sich verhaltende Leib, gerade weil er in eine ihm vorgängige sozio-kulturelle Welt hineingeboren wird, von jeher eine »geschichtliche Dichtigkeit« (PdW: 279) auf und trägt in seinen Praktiken die inkorporierten kulturellen Strukturen weiter (PdW: 112f., 220ff., 398; Stoller 1995: 222f.).21
19 Merleau-Ponty zitiert hier aus Marx’ Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (Marx 1968b: 537). 20 Der biologistischen Annahme, dass sich alle Regungen der Seele auf die organische Ausstattung des Körpers zurückführen lassen, hält Merleau-Ponty entgegen: »Der bloße Umstand, daß zwei bewußte Wesen dieselben Organe und dasselbe Nervensystem besitzen, bewirkt noch keineswegs, daß dieselben Erregungen sich beim einen wie beim anderen in denselben Zeichen äußern. Entscheidend ist vielmehr die jeweilige Art und Weise des Gebrauchs des Leibes, der in der Emotion in eins vollzogenen Formgebung von Leib und Welt.« (PdW: 223f.) 21 In diesem Sinne unterscheidet er in Die Struktur des Verhaltens zwischen einem »natürlichen Leib«, also dem Leib als »Masse chemischer Bestandteile«, und einem »›kulturellen‹ Leib, der die Sedimentierungen seiner spontanen Akte darstellt« (SV: 244, Anm. 50).
178 | DIE P RAXIS DES S EHENS »So wie die Natur mein personales Leben bis in sein Zentrum durchdringt und mit ihm sich verflicht, so steigen meine Verhaltungen in die Natur wieder herab und schlagen in ihr sich nieder in Gestalt einer Kulturwelt.« (PdW: 398)
Oder an anderer Stelle: »Mit meiner Existenz habe ich schon eine Weise zu existieren, einen Stil empfangen. All meine Taten und Gedanken haben Bezug zu dieser Struktur.« (PdW: 517) In diesem Sinne deutet Merleau-Ponty selbst solche Ausdrucks- und Erfahrungsweisen des Menschen, die auf den ersten Blick als rein reflexartige, körperliche Reaktionen erscheinen – wie beispielsweise die Zornesmimik in einem Streit oder die emotionale Erregung bei einem Trauerfall – als kontingente Formen des Leibgebrauchs. Trotz dieser nachdrücklichen Betonung der sozio-kulturellen Überformung der leiblichen Existenz grenzt er sich jedoch auch von dem soziologischen Objektivismus ab, wie er ihn beispielsweise in der Durkheim-Schule (SV: 256) sowie der ökonomistisch-materialistischen Spielart des Marxismus (SNS: 170ff.) am Werk sieht. Denn wie er im Rekurs auf den Praxisbegriff des frühen, noch humanistisch geprägten Marx betont, lässt sich die historische Entwicklung der gesellschaftlichen und ideologischen Ordnung nicht auf die immanenten Gesetze einer überindividuellen, ökonomischen Struktur zurückführen. Welche kollektiven Bedeutungssysteme und sozialen Verhaltensweisen sich herausbilden, hängt vielmehr von den (vorprädikativen) Sinnbildungsprozessen der konkreten sozialen Praxis und Intersubjektivität (SNS: 176) ab.22 Damit stimmt Merleau-Ponty zwar Marx’ anti-intellektualistischer These zu, »daß die Geschichte nicht auf dem Kopfe geht«, hält aber dem materialistischen »Basis-Überbau-Modell« entgegen, dass es »nicht minder wahr [sei, S.P.], daß sie nicht mit den Füßen denkt« (PdW: 16). Mit der Re-Interpretation des historischen Materialismus als einem Materialismus der sinnstiftenden leiblichen Praxis verschiebt sich auch das Konzept der Klasse bzw. des Klassenbewusstseins. So glaubt Merleau-Ponty, dass die Klassenzugehörigkeit eines Individuums nicht nur von seiner Position in den Produktionsverhältnissen bedingt wird, sondern auch von der Art und Weise abhängt, wie es sein (soziales) »Zur-Welt-Sein« wahrnimmt und sich darin einrichtet. Für Merleau-
22 So schreibt er etwa in Marxismus und Philosophie: »Marx hat seinen Materialismus häufig einen ›praktischen Materialismus‹ genannt. Er wollte damit sagen, daß die Materie als Stützpunkt und Körper der Praxis ins menschliche Leben eintritt. Es handelt sich nicht um eine nackte, dem Menschen äußerliche Materie, durch die das Verhalten des Menschen erklärt werden könnte. Der Marx’sche Materialismus ist die Idee, daß alle ideologischen Gebilde einer gegebenen Gesellschaft einem bestimmten Praxistyp […] synonym oder komplementär sind.« (SNS: 178)
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Ponty ist die soziale Identität somit in erster Linie eine Frage des »tacit sense of collectivity and belonging« (Crossley 2004: 103).23 »Nicht die Wirtschaft oder die Gesellschaft, betrachtet als unpersönliche Mächte, qualifizieren mich als Proletarier, sondern die Gesellschaft und die Wirtschaft, so wie ich sie in mir trage und sie erlebe; und nicht eine intellektuelle Leistung ohne jedes Motiv, sondern meine Weise des Zur-Welt-Sein in diesem institutionellen Rahmen.« (PdW: 504)
Daraus folgt, dass sich ein revolutionäres Klassenbewusstsein nur dann herstellen kann, wenn alle Beteiligten denselben präreflexiven Existenzmodus teilen und das Gefühl haben, ihr eigenes Leben sei mit dem Schicksal der Anderen verbunden (PdW: 505). Zudem bezweifelt er – im Gegensatz zu seinem existentialistischmarxistischen Antipoden Sartre –, dass die Subjekte über die Freiheit verfügen, ihre historische Situation vollkommen neu zu definieren.24 Zwar ist er davon überzeugt, dass die Subjekte ihre eigenen Lebensbedingungen und somit auch den historischen Verlauf durch ihr Verhalten aktiv beeinflussen und unter Umständen sogar transformieren können, aber merkt zugleich an, dass das leibliche Subjekt gerade aufgrund seines Körperschemas, d.h. seiner perzeptiven, praktischen und kommunikativen Gewohnheiten, die er im Umgang mit diesen »äußeren Strukturen« erworben hat, stets an seine soziale Herkunft gebunden bleibt. Das freiheitliche Handeln ist aus leibphänomenologischer Sicht also kein voluntaristischer Akt, der die vorgefundene Welt nach Gutdünken umordnen kann, sondern eine Praxis, die sich mit den gegebenen Situationen auseinandersetzen und sie interpretieren muss, um sie übersteigen oder umgestalten zu können. In diesem Sinne spricht Merleau-Ponty – ähnlich wie später auch Foucault – von der »bedingten Freiheit« (PdW: 514) des Subjekts.25 »Was also ist die Freiheit? Geboren werden heißt in eins, aus der Welt geboren werden und zur Welt geboren werden. Die Welt ist schon konstituiert, aber nie ist sie auch vollständig konstituiert. In der ersten Hinsicht sind wir von ihr in Anspruch genommen, in der zweiten offen für unendliche Möglichkeiten.« (PdW: 514)
23 Für den Foucault-Leser ist wohl von besonderem Interesse, dass Merleau-Ponty diese lebensweltlichen Institutionen an anderer Stelle auch als das »historische Apriori« der Kulturwelt bezeichnet, das dem Subjekt seine Rolle in der Geschichte schon vorschreibt und sich erst verändert, wenn die historischen Kräfte aus dem Gleichgewicht geraten (PdW: 113). 24 Diese Einschätzung mag zum Teil auch in seinen eigenen Erfahrungen im Krieg und in der Resistance begründet liegen. Siehe dazu Der Krieg hat stattgefunden (SNS: 187-206). 25 Ähnlich in Marxismus und Philosophie: »Man muß verstehen, daß die Bindung des Menschen an die Welt zugleich das Mittel zu seiner Freiheit ist.« (SNS: 177)
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Entgegen der üblichen Einschätzung, die Phänomenologie würde ein ahistorisches, transzendentales Subjektmodell vertreten, beginnt Merleau-Ponty also bereits in Phänomenologie der Wahrnehmung so etwas wie eine praxeologische »Theorie des geschichtlichen Subjekts« (Stoller 1995: 86) zu entwickeln, die die Alternative zwischen Objektivismus und Subjektivismus zu überwinden trachtet.26 Allerdings sind diese Überlegungen nur erste Ansätze, die bei weitem nicht den Anspruch haben können, die geschichtliche und soziale Genese von Subjektivierungsweisen befriedigend zu klären. So versäumt es Merleau-Ponty etwa, näher zu untersuchen, wie die Leiblichkeit und das Körperverhalten geschlechtlich codiert werden (Stoller 2000), oder wie sich einzelne Praktiken und Wahrnehmungsweisen historisch wandeln bzw. von unterschiedlichen sozialen Gruppen jeweils anders ausgeführt werden. Dass sich die Leibphänomenologie aber um solche Fragestellungen erweitern lässt, zeigen sowohl feministische Studien, die u.a. geschlechtsspezifische Körperpraktiken leibphänomenologisch untersuchen (Young 1980; Grosz 1991; Preston 1996; Stoller 2000), als auch die praxistheoretische Soziologie von Pierre Bourdieu, dessen Konzepte der leibphänomenologischen Analyse des körperlichen Verhaltens viel zu verdanken hat.27 3.1.1.3 Das Fleisch der Welt Zur Zeit von Phänomenologie der Wahrnehmung hatte Merleau-Ponty eine existentialistische Position vertreten, die das leibliche »Verhalten« und die innerweltlich bedingte »Wahrnehmung« als die eigentlichen Instanzen der Sinngenese auswies. Wie er jedoch im Laufe seiner Arbeit feststellen muss, bleibt diese leibphänomenologische Strategie des »Weder-Noch« insofern unbefriedigend, als sie zwischen der (subjektivistischen) Begründungsfigur des vor-bewussten wahrnehmenden Leibes auf der einen und der (objektivistischen) Perspektive auf dessen existentielle Daseinsbedingungen auf der anderen Seite unendlich hin- und herzupendeln droht. Um dieser »schlechte[n] Ambiguität« (Vorl1: 16) zu entgehen, entwirft Merleau-Ponty in seinem unvollendeten Spätwerk Das Sichtbare und das Unsichtbare (SU) einen vom Strukturalismus beeinflussten Ansatz, der nicht mehr von dem Begriffspaar »Leib« und »Welt« getragen wird, sondern bei einer noch viel fundamentaleren Seins-Schicht, dem alles Seiende umfassenden »Fleisch« (chair) der Welt (SU: 164, 181) ansetzt. Dieses Fleisch – so Merleau-Pontys These – liegt zunächst
26 So schreibt auch Nick Crossley: »Merleau-Ponty effectively overcomes the limitations of subjectivist and objectivist approaches, offering instead a praxiological framework which effectively locates human subjectivity within the objective social world, understood both in terms of structures or institutions and such historical dramas and struggles as foreign occupation and class conflict.« (Crossley 2004: 117) 27 Vgl. dazu insbesondere Crossley 2004 und 2008.
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als ein ungeordnetes »es gibt« (SU: 58, 302) oder »rohes Sein« (»être brut« oder »être sauvage«) (SU: 133) vor,28 aus dem heraus sich die basalen Unterscheidungen von Leib und Ding, Körper und Geist, Sehen und Sichtbarem erst entwickeln. Das Fleisch ist mit anderen Worten eine Art ontisch-ontologisches Ur-Element29, welches als »formende[s] Milieu für Objekt und Subjekt« (SU: 193) allen innerweltlichen Relationen zugrunde liegt. »Man darf sich das Fleisch nicht von den Substanzen Körper und Geist her denken, denn dann wäre es eine Einheit von Gegensätzen, sondern man muß es, wie gesagt, als Element und als konkretes Emblem einer allgemeinen Seinsart denken.« (SU: 193) Die sinnstiftende Differenzierung zwischen den Dingen, den Anderen und dem Ich, die allem Erkennen, Sprechen und Denken vorangeht, wird somit nicht mehr als die aktive Syntheseleistung eines leiblichen Vor-Bewusstseins verstanden, sondern geht auf einen »anonymen« Strukturierungsprozess zurück, der aus der »Mitte« des »rohen Seins« selbst entspringt. Das Seiende erscheint mit anderen Worten »auf dem Hintergrund eines Seins, das sich selbst differenziert und artikuliert« (Waldenfels 1983: 202). Mit dieser post-phänomenologischen Vorstellung einer dem Fleisch der Welt immanenten Ontogenese der (Sinn-)Strukturen nähert sich Merleau-Ponty gleich in zweifacher Weise dem strukturalistischen Denken an. So teilt er mit dem Strukturalismus zum einen die Annahme, dass es eine vor- oder überindividuelle Struktur30
28 Merleau-Ponty spricht mitunter auch von der »rohen Welt« dem »rohen Sein« und dem »rohen Geist«, dem »rohe Wesen« und der »rohen Existenz« (SU: 73, 133, 156). 29 Anders als Heidegger glaubt Merleau-Ponty nicht, dass zwischen Ontologischem und Ontischen absolut unterschieden werden könne, sondern nimmt an, dass das Sein stets im Seienden gegenwärtig ist (Waldenfels 1983: 203). 30 So stellt Merleau-Ponty in Von Mauss zu Claude Lévi-Straus heraus, dass das linguistische Strukturkonzept (anders als sein eigener Leibbegriff) die Subjekt-Objekt-Dichotomie hinter sich lässt: »Dem Philosophen weist die Struktur, die außer uns in dem natürlichen und sozialen System und in uns als symbolische Funktion gegenwärtig ist, einen Ausweg aus der Subjekt-Objekt-Beziehung, welche die Philosophie von Descartes bis Hegel beherrscht. Sie läßt uns in besonderem Maße verstehen, wie wir mit der gesellschaftlich-geschichtlichen Welt kreisförmig zusammengeschlossen sind, sofern sich der Mensch sich selbst gegenüber exzentrisch verhält und das Soziale nur in ihm sein Zentrum findet. […] Der Philosoph, den sie interessiert, ist nicht jener, der die Welt erklären oder konstruieren will, sondern jener, der unsere Einfügung ins Sein zu vertiefen sucht.« (Z: 176-177) Angesichts dieses geteilten anti-anthropozentrischen Impetus könnte man also sagen, Merleau-Ponty »shared the same antipathies as those thinkers who have typically been associated with structuralism« (Schmidt 1985: 161).
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oder strukturierte »Zwischenwelt«31 geben müsse, die das Wahrnehmen, Denken und Verhalten der Subjekte von Grund auf formt. Und zum anderen vertritt er nun ähnlich wie de Saussure die These, dass Bedeutungen nicht positiv bestimmbar sind, sondern nur relational, d.h. als Abweichungen und Differenzierungen innerhalb eines Kontinuums zu verstehen sind.32 »Der Begriff, die Bedeutung sind das dimensionalisierte Einzelne, die formulierte Struktur, und keinem Sehen ist dieses unsichtbare Scharnier zugänglich; der Nominalismus hat recht: die Bedeutungen sind nur bestimmte Abweichungen.« (SU: 300) Wie an späterer Stelle noch genauer erläutert wird,33 radikalisiert Merleau-Ponty in Das Sichtbare und das Unsichtbare somit den bereits im leibphänomenologischen Gestaltbegriff angelegten Gedanken, dass sowohl die Bedeutung als auch die ihr zugrunde liegende Wahrnehmung nur entstehen können, wenn gleichzeitig bestimmte Aspekte des Fleisches als »nicht-signifikant« und »un-sichtbar« ausgeklammert werden. Dem Anwesenden liegt somit stets ein konstitutives, inkompossibles Abwesendes zugrunde, das erst zu einem Anwesenden werden kann, wenn sich die gesamte strukturelle Ordnung ändert.34
31 Bereits in Abenteuer der Dialektik bezeichnet er die Geschichte als einen solchen Zwischenbereich: »Es gibt Subjekte, es gibt Objekte, es gibt Menschen und die Dinge, aber es gibt auch eine dritte Ordnung, die der Beziehungen zwischen den Menschen, die Werkzeugen oder sozialen Symbolen eingeschrieben sind, Beziehungen, die ihre Entwicklung, ihre Fortschritte und Rückschritte haben.« (AD: 48) 32 In diesem Sinne hatte er auch schon in Die Prosa der Welt seinen Sprachbegriff modifiziert. Er entwirft hier das Sprechen nicht mehr als Ausdrucksverhalten des sinnstiftenden Leibes, sondern als das Vermögen, eine differentielle Struktur anwenden zu können: »Sprechen besagt nämlich nicht, daß man eine gewisse Anzahl von Zeichen zur Verfügung hat, sondern daß man eine Sprache besitzt in Form eines Unterscheidungsprinzips, wie groß immer die Zahl der Zeichen sein mag, die sich speziell daraus gewinnen lassen.« (PW: 54) Siehe dazu auch Kapitel 3.1.2.2. 33 Siehe dazu Kapitel 3.1.2.3. 34 Wie Bernhard Waldenfels betont, ist dieses konstitutive »Abwesende« aus Das Sichtbare und das Unsichtbare insofern von dem momentan Nicht-Sichtbaren zu unterscheiden, als letzteres von einem anderen zeitlichen oder räumlichen Standpunkt aus gesehen »präsent« werden könne. Das Unsichtbare, das aus der Selbstausdifferenzierung des Fleischs der Welt in Sichtbares und Unsichtbares resultiert, ist demgegenüber niemals wahrnehmbar, sondern Voraussetzung dafür, dass überhaupt wahrgenommen werden kann (Waldenfels 1983: 200). So schreibt Merleau-Ponty: »Die Idee ist […] also nicht etwas faktisch Unsichtbares wie ein Gegenstand, der hinter einem anderen verborgen ist, aber sie ist auch nicht ein absolut Unsichtbares, das mit dem Sichtbaren nichts zu tun hätte, sondern sie ist das Unsichtbare dieser Welt, das, was diese Welt bewohnt, sie stützt, sie sichtbar macht,
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Trotz dieser klaren Parallelen gibt es aber auch einige Punkte, an denen Merleau-Ponty von der strukturalistischen Orthodoxie abweicht. So wehrt er sich analog zu seiner Kritik an dem »ökonomistischen« Marxismus auch in diesem Zusammenhang gegen eine Verabsolutierung der überindividuellen Strukturen und betont stattdessen, dass die vorherrschenden Ordnungen stets als »gelebte« oder »praktizierte« zu verstehen sind. Die sozialen, sprachlichen und historischen Strukturen sind für Merleau-Ponty also keine fixen, quasi-metaphysischen Schablonen, in die sich das Subjekt einfügen muss, sondern relativ flexible Praxismuster, die in dem »leibhaftigen« Wahrnehmen und Verhalten »aufgeführt« und aktiv weitergetragen werden. In diesem Sinne schreibt er in Bezug auf Lévi-Strauss’ strukturalistische Anthropologie: »Ein formales Portrait […] der generellen Gliederungsformen, die für jede Gesellschaft gelten, [ist] keine Metaphysik […]. Die überraschenden logischen Operationen, die durch die formale Struktur der Gesellschaft bezeugt werden, müssen auf irgendeine Weise von den Bevölkerungen ausgeführt werden, die diese Verwandtschaftssysteme durchleben.« (Z: 70)
Mit dieser praxis-orientierten Sichtweise auf die gesellschaftliche Strukturen vertritt Merleau-Ponty im Prinzip bereits einen Standpunkt, den die poststrukturalistische Praxistheorie einige Jahre später einnehmen wird, nämlich dass die soziokulturellen Strukturen stets der »subjektiven« Umsetzung in einer konkreten Praxis bedürfen und somit potentiell einem ständigen Wandel unterworfen sind. Neben dieser fruchtbaren Zusammenführung strukturalistischer und phänomenologischer Theoriefiguren bietet das Konzept des Fleisches zudem eine neue Perspektive auf die Relation von Leib und Welt. Während Merleau-Ponty in Phänomenologie der Wahrnehmung noch von der (cartesianischen) Gegenüberstellung von wahrnehmendem Leib auf der einen und wahrnehmbarer Welt auf der anderen Seite ausging, impliziert der Begriff des Fleisches eine prinzipielle Kontinuität von menschlichem und weltlichem »Leib«. Denn beide Entitäten – das leibliche Subjekt und die Dinge, mit denen es hantiert – sind aus demselben »rohen Sein« hervorgegangen und bleiben daher auch nach ihrer Ausdifferenzierung chiasmatisch miteinander verflochten. »[…] mein Leib ist aus demselben Fleisch gemacht wie die Welt […], und dieses Fleisch meines Leibes wird zudem von der Welt geteilt, diese strahlt es zurück, greift auf es über, und es greift über auf sie.« (SU: 313) Diese durch das Fleisch der Welt hindurch vermittelte paradoxe Gleichzeitigkeit von Getrennt- und Einssein des wahrnehmenden Leibes und der wahrgenommenen Dinge macht Merleau-Ponty an Husserls berühmtem Beispiel der sich gegenseitig
sie ist ihre innere und ureigene Möglichkeit, das Sein dieses Seienden.« (SU: 198) Zum Problem des Sehens in Merleau-Pontys Spätwerk siehe auch Kapitel 3.1.2.3.
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berührenden Hände deutlich (SU: 24, 176, 328). In dieser Konstellation sind die Hände weder einfach nur der »inneren« subjektiven oder der »äußeren« objektiven Welt zuzuschlagen, sondern sind beides zugleich: sowohl wahrnehmend-berührender Leib als auch wahrgenommen-berührter Körper, tastendes Subjekt und ertastetes Objekt.35 Nach Merleau-Ponty zeigt sich in dieser unhintergehbaren leiblichkörperlichen Reversibilität von Berühren und Berührtwerden das chiasmatische Grundprinzip, das allen innerweltlichen (Wahrnehmungs-)Beziehungen zugrunde liegt. Denn so wie die zwei Hände eines Menschen sind auch die Leiber und die Dinge aus demselben »fleischlichen« Stoff gemacht und somit stets wahrnehmendwahrnehmbar, berührend-berührbar und sehend-sichtbar aufeinander bezogen. Merleau-Ponty war es allerdings nicht mehr vergönnt, diesen späten Entwurf einer postphänomenologischen Wahrnehmungs- und Subjekttheorie weiter zu konkretisieren und zu einem kohärenten Ansatz auszuarbeiten. So gibt Das Sichtbare und das Unsichtbare weder Aufschluss darüber, welche Prinzipien der Selbstausdifferenzierung des »rohen Seins« zugrunde liegen, noch wie sich das Konzept einer sich aus dem Fleisch herausbildenden Wahrnehmungsbeziehung zwischen Leib und Welt für die Analyse konkreter kultureller Praktiken und Phänomene fruchtbar machen ließe. Davon abgesehen ist fraglich, ob eine Ontologie, die sich zum Ziel gesetzt hat, hinter das sich verhaltende und wahrnehmende Subjekt zurückzugehen, um die Basis alles Seienden aufzudecken, genügend theoriesystematische Anknüpfungspunkte für die hier eingeschlagene praxis- und subjekttheoretische Perspektive bietet. Denn mit dem Konzept des »Fleisches« und der These einer nahezu spiegelbildlichen Reversibilität von wahrnehmbaren Dingen und wahrnehmbarem Leib kann Merleau-Ponty nicht mehr begründen, warum verschiedene Subjekte ein und dasselbe Schauspiel jeweils unterschiedlich wahrnehmen. Mit der Verabschiedung der Subjekt-Differenz verliert Merleau-Ponty mit anderen Worten die theoretische Dimension der »Inkorporierung« und der leiblichen Disposition aus den Augen, die für eine praxistheoretische Perspektive auf die Ordnung der Wahrnehmung von zentraler Bedeutung ist. Im Folgenden wird es daher darum gehen, Merleau-Pontys frühe Wahrnehmungstheorie daraufhin zu prüfen, ob sie sich in eine alternative post-phänomenologische Lesart überführen lässt, die – genauso wie Das Sichtbare und das Unsichtbare – die strukturelle und historische Bedingtheit von Wahrnehmung sowie die konstitutive Korrelation zwischen der »Ordnung der Dinge« und der »Ordnung der Sichtbarkeit« betont, aber gleichzeitig das aktive Subjekt, das über eine individuelle Leib- und Wahrnehmungsbiographie verfügt, nicht vollkommen aus seiner Verant-
35 Wie Merleau-Ponty betont, lassen sich diese beiden Pole der Erfahrung jedoch niemals vollständig zur Deckung bringen – die eine Hand kann mit anderen Worten die andere nicht als eine berührende, sondern nur als eine berührte berühren (SU: 193f.).
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wortung entlässt. Dabei wird insbesondere herauszuarbeiten sein, dass bereits solche Konzepte wie das differentielle »Gestaltsehen«, das »konkrete Apriori« der leiblichen Existenz sowie das habituelle Körperschema einige grundlegende Parallelen zu poststrukturalistischen und praxistheoretischen Theoriefiguren aufweisen und sich in Verbindung mit Foucaults archäologisch-genealogischem Ansatz zu einer historischen Theorie visueller Praktiken ausbauen lassen. 3.1.2 Die perzeptive Syntax36 Wie bereits angedeutet, ist Merleau-Pontys frühes Hauptwerk Phänomenologie der Wahrnehmung von der Annahme eines ontologischen »Primats der Wahrnehmung« getragen. Damit ist gemeint, dass alle körperlich-mentalen Akte, Verhaltensweisen und Ausdrucksformen auf einen ursprünglichen »Urkontakt« mit der Welt zurückzuführen sind, der durch die Strukturierungsleistungen der sinnlichen Wahrnehmung hergestellt wird.37 Um diesen subjekt- und praxiskonstitutiven Sonderstatus der Wahrnehmungserfahrung philosophisch zu begründen, grenzt sich MerleauPonty im ersten Teil der Phänomenologie der Wahrnehmung zunächst von den »Vorurteilen« der klassischen empiristischen und intellektualistischen Erklärungsmodelle ab. So kritisiert er an der empirischen Psychologie und dem Behaviourismus, dass diese alle Regungen des Körpers und der Psyche als biologischphysikalisch objektivierbare Prozesse konzipieren und die Wahrnehmung folglich als bloß physiologische Reaktionen auf die einzelnen, isolierbaren Reize verstehen. Merleau-Ponty hält dem entgegen, dass ein Wahrnehmen, das die punktuellen Reize oder Reizströme lediglich passiv in sich aufnimmt, allenfalls ein polymorphes, undifferenziertes Rauschen, d.h. inkonsistente und instabile Farbflecken und Oberflächen sowie nicht identifizierbare Bewegungen zu sehen oder zu fühlen gäbe, aber keine differenzierbaren Objekt- und Körperformen. Im Anschluss an die Überlegungen der Gestaltpsychologie38 vertritt Merleau-Ponty daher die These, dass ein
36 Merleau-Pontys Begriff »syntaxe perceptive« wurde im Deutschen als »Wahrnehmungssyntax« übersetzt (PdW: 58, im französischen Original: 45). Hier soll im Folgenden jedoch »perzeptive Syntax« verwendet werden. 37 In diesem Sinne spricht Lambert Wiesing auch von einem in Merleau-Pontys Arbeiten angelegten perceptual turn (Wiesing 2003: 114). Zudem sei angemerkt, dass MerleauPonty unter dem Begriff der Wahrnehmung zwar alle Formen der sinnlich-leiblichen Berührung mit der Welt subsumiert – also visuelle, auditive, taktile und olfaktorische – und auch auf das synästhetische Zusammenspiel der verschiedenen Wahrnehmungsmodi zu sprechen kommt, aber sich in seinen Ausführungen vor allem auf die visuelle Wahrnehmung konzentriert. 38 Er beruft sich dabei vor allem auf die Arbeiten von Wolfgang Köhler und Kurt Koffka.
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Ding nur deshalb als ein in sich geschlossener Gegenstand erscheint, weil der Wahrnehmungsakt einige sinnliche Impulse zu artikulierten Gesamtheiten zusammenschließt und dafür andere Reize ausklammert. Die leibliche Wahrnehmung ist also nicht einfach nur ein rein physiologischer Vorgang, der bei allen Menschen gleich abläuft, sondern basiert auf einer Art habituellem Filter oder »perzeptive[r] Syntax« (PdW: 58), die das undifferenzierte Rauschen der Welt in ein geordnetes Arrangement von identifizierbaren Ding-, Körper- und Bewegungsgestalten auf der einen und nicht-wahrgenommenen bzw. nicht wahrnehmbaren39 Hintergrundelementen auf der anderen Seite scheidet. Diese Anordnung von Figur und Grund läuft normalerweise fast automatisch ab, kann aber auch irritiert werden, wie die berühmten Kippfiguren zeigen (siehe Abbildung 5).
Abbildung 5: Joseph Jastrow: Do you see a duck or a rabbit, or either? (1899) »Das Aussehen der Welt würde für uns erschüttert, wenn es uns gelänge, die Zwischenräume zwischen den Dingen als Dinge zu sehen – zum Beispiel den Raum zwischen den Bäumen auf der Straße – und umgekehrt die Dinge Selbst – die Straßenbäume – als Hintergrund. Genau das passiert in den Vexierbildern.« (AuG: 30)
Mit dieser gestalttheoretischen Perspektive, welche die Bedingungen der Wahrnehmung auf die aktive Syntheseleistung des leiblichen Ichs zurückführt, scheint
39 In Das Sichtbare und das Unsichtbare radikalisiert er diesen Gedanken der notwendigen Inkompossibilität verschiedener Gegenwarten oder Gestaltformationen. Siehe dazu auch Kapitel 3.1.2.3.
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der Sprung in das idealistische Lager gar nicht mehr so weit zu liegen. MerleauPonty grenzt sich allerdings auch insofern von der bewusstseinsphilosophischen Tradition ab, als er die gestaltbildende Wahrnehmungssynthese nicht auf apriorische »Anschauungsformen« zurückführt. Stattdessen stellt er heraus, dass die in Anschlag gebrachte »perzeptive Syntax« aus dem vorsubjektiven »Aushandlungsprozess« zwischen Leib und (historischer) Welt resultiert und daher je nach Situation variieren kann. Die leibphänomenologische Perspektive verschiebt somit erstens die Bedingungen der Wahrnehmung von dem transzendentalen Cogito in den vorbewussten und vorsubjektiven Bereich des in der Welt involvierten sinnlichsinnstiftenden Leibes40 und nimmt zweitens an, dass das Subjekt die Wahrnehmungskompetenz, die es für eine Entschlüsselung seiner Umwelt benötigt, erst durch den konkreten leiblichen Kontakt mit den sinnlich erfahrbaren Räumen und Gegenständen ausbildet. Die wahrgenommene Gestalt wird also weder von dem empirischen Gegenstand allein vorgezeichnet noch von dem autonomen Bewusstsein erzeugt, sondern entsteht in der Wechselbeziehung zwischen wahrnehmendem Leib und wahrgenommener Welt. »Das Sinnliche gibt mir nur wieder, was ich ihm leihe, doch habe ich noch dies selbst von ihm« (PdW: 252). Welche Gestalten sich in einer konkreten Wahrnehmungs- und Praxissituation vor dem Empfindungsuntergrund abzeichnen und wie diese wahrgenommen werden, hängt somit sowohl von den multisensorischen Reizkonglomeraten der aktuellen Ding- und Raumarrangements als auch von den komplexen senso-motorischen Prozessen des Leibes ab, die er in der Auseinandersetzung mit verschiedenen sinnlich-materiellen Raum- und Dingformationen erworben hat. Diese zirkuläre Argumentationsfigur, welche die Art und Weise, wie die Welt dem Subjekt erscheint, letztlich auf die empirische Welt selbst wieder zurückführt, impliziert jedoch, dass weder die leiblichen Wahrnehmungsschemata noch das Subjekt, dessen Denken auf diesen Wahrnehmungsschemata beruht, jemals »vollständig« konstituiert sind. Da davon auszugehen ist, dass sich die empirische Welt kontinuierlich verändert und sich das Subjekt auch gelegentlich in ungewohnte Umgebungen begibt, liegt vielmehr nahe, dass das »leibliche Ich« im Laufe seines Lebens immer wieder mit neuen Eindrücken und praktischen Anforderungen konfrontiert wird, die es dazu zwingen, sein Körperschema und seine »perzeptive Syntax« zu modifizieren. Als Philosoph interessiert sich Merleau-Ponty jedoch nicht dafür, wie die perzeptive Syntax durch biographische Erfahrungen oder durch kulturelle Veränderungen im Einzelnen transformiert wird. Seine Analysen sind stattdessen darauf ausgerichtet, die allen Wahrnehmungsprozessen gemeinsamen konstitutiven Be-
40 Merleau-Ponty betont dementsprechend den anonymen Charakter der Wahrnehmung im Sinne eines »man nimmt in mir wahr« (PdW: 253).
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dingungen der perzeptiven Sinnstiftung herauszuarbeiten.41 Zu diesen ganz fundamentalen Bedingungsfaktoren der Wahrnehmungserfahrung zählt er erstens die räumlich-zeitliche Situiertheit des wahrnehmenden Leibes, der sich in seinem Umfeld praktisch orientieren muss, und zweitens das habitualisierte senso-motorische Körperschema, das der Leib durch seinen praktisch-perzeptiven Kontakt mit der Welt und den Dingen ausgebildet hat. Im Verlauf seiner Argumentation räumt Merleau-Ponty zudem drittens immer wieder ein, dass die »perzeptive Syntax« von einigen übergeordneten strukturellen, d.h. sozio-kulturellen und historischen Faktoren beeinflusst wird, die dem Subjekt, noch bevor es sein eigenes fungierendes Körperschema ausbilden kann, eine überindividuelle Sinnstruktur auferlegen: Zu diesen Faktoren zählen das Verhalten des Anderen, die Bedeutungsstruktur der Sprache und schließlich die kulturellen Artefakte. Diese drei Dimensionen – das »Hier und Jetzt« des Leibes, die habituelle Wahrnehmungsdisposition und die übergeordnete, sozio-kulturelle Struktur – bezeichnet Merleau-Ponty mitunter auch als die »Horizonte« der Wahrnehmung, d.h. als diejenigen abgelagerten Sinnschichten und potentiellen Ansichten, die in dem aktuellen Wahrnehmungsvollzug nicht explizit in Erscheinung treten (können), aber dennoch implizit mit-wahrgenommen werden. 3.1.2.1 Raum-zeitliche Horizonte und habituelle Dispositionen der Gestaltwahrnehmung Im Rekurs auf Kant, der die Anschauungsformen »Raum« und »Zeit« als die apriorische Grundbedingung jeglicher Wahrnehmung bestimmte, nimmt auch MerleauPonty an, dass das Wahrnehmen stets vor einem raum-zeitlichen Horizont stattfindet.42 Allerdings glaubt er nicht, dass der »objektive« geometrische Raum und die »objektive« lineare Zeit Anschauungsformen sind, auf die jedes Subjekt von Geburt an zugreifen kann, um sich das Wahrgenommene zu vermitteln (PdW: 178, 258ff., 284). Vielmehr stellt er heraus, dass das Subjekt, noch bevor es die Erscheinungen nach Maßgabe geometrischer und temporaler Einheiten zu beurteilen vermag, seine Umgebung zunächst als eine räumlich-zeitliche »Dichte« erfährt (PdW: 240, 320), die seinen Leib mit einem spezifischen perzeptiv-praktischen Anforderungsprofil konfrontiert. Die gelebte Raum- und Zeiterfahrung hat also nichts mit mathema-
41 Dabei bezieht er auch die Ergebnisse der experimentellen Gehirnpathologie von Adhémar Gelb und Kurt Goldstein mit ein, die sich u.a. mit (verletzungsbedingten) Wahrnehmungsstörungen beschäftigt haben. 42 Nach Günzel, einem der deutschen Vertreter des »spatial turn«, nimmt der Raum in der Theoriesystematik von Merleau-Ponty sogar eine zentrale Rolle ein, da sich durch die Frage nach dem Raum seine Hauptinteressen – der Sinn, die Leiblichkeit und die Wahrnehmung – miteinander in Verbindung bringen lassen (Günzel 2007: 22).
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tisch-akkuraten Raum- oder Zeiteinheiten zu tun, sondern beruht auf den vielen visuellen, haptischen und auditiven Sinnesreizen, die von allen Seiten auf den Leib einströmen. »Jede Empfindung ist räumlich: diese These haben wir uns nicht darum etwa zu eigen gemacht, weil die Qualitäten nur im Raume als Gegenstände gedacht zu werden vermögen, sondern weil die Empfindung als ursprüngliche Seinsberührung, als Übernahme einer vom Sinnlichen selbst angezeigten Weise des Existierens durch das empfindende Subjekt, als Koexistenz von Empfindendem und sinnlich Empfundenem, selbst überhaupt ein Milieu der Koexistenz konstituiert, d.h. aber: einen Raum.« (PdW: 259)
Wie Merleau-Ponty betont, stimmen die Raumempfindungen, die durch die verschiedenen Sinne gewonnen werden, jedoch nicht unbedingt überein – so ist beispielsweise der Tast- und Riechraum viel beschränkter und u.U. auch körperlich intensiver als der Sehraum, und das Hören kann weit entfernte Ereignisse ankündigen, die noch nicht zu sehen sind – oder umgekehrt. Der einheitliche Raum, der die Hintergrundfolie für die Gestaltwahrnehmungen darstellt, ist mit anderen Worten kein empirisches Faktum, sondern muss erst durch den synthetisierenden Leib hergestellt werden (PdW: 260f.). Wenn aber der kohärente Raumeindruck erst dadurch entsteht, dass der Leib die unterschiedlichen Raumeindrücke verarbeitet und zusammenfügt, dann bedeutet das im Umkehrschluss, dass das raum-zeitliche Wahrnehmungsraster, mit dem das Subjekt die ihm koexistierenden Dinge und Gestalten erfasst, nicht allgemein bestimmbar ist. Die Art und Weise, wie ein Leib seinen Raum und das darin stattfindende Schauspiel wahrnimmt, hängt vielmehr von zwei variablen Faktoren ab: erstens den außerleiblichen empirischen Eigenschaften des jeweiligen Raums, der den Leib mit einer bestimmten sensorischen »Konsistenz«, d.h. einer Licht-, Ding- und Geräuschkulisse konfrontiert, und zweitens von dem innerleiblichen, koordinierten »Körperraum« (PdW: 126) des wahrnehmenden Subjekts selbst, das sich gegenüber diesen Wahrnehmungs- und Praxisangeboten der räumlichen Situation auf verschiedene Weise verhalten kann. Diese aktive Bezugnahme des leiblichen Subjekts auf seine sinnliche Umwelt geschieht nach Merleau-Ponty sowohl durch die praktisch-handelnden Körperbewegungen, mit denen sich der Leib in seiner raum-zeitlichen Umgebung positioniert, als auch durch die »innerleiblichen« Verarbeitungsprozesse, die die verschiedenen sinnlichen Raumeindrücke zu einer einheitlichen Raumerfahrung synthetisieren.43
43 Merleau-Ponty erläutert diesen Zusammenhang am Beispiel des Blinden, der sich allein auf den taktilen und den akustischen Sinn verlassen muss, um sich in einer konkreten Situation zurechtzufinden, und somit einen ganz anderen räumlichen Eindruck gewinnt, als
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Die Positionierung des Leibes Nach Merleau-Ponty nimmt der aktive, »fungierende« Leib den Raum, in dem er sich befindet, nicht als eine geometrisch aufgespannte Fläche oder »Karte« wahr, die er analytisch überblicken kann. Seine Umgebung erscheint ihm vielmehr als ein auf seinen Leib orientierter dichter »Tätigkeitsraum« (Waldenfels 2000: 117), der ihm bestimmte praktische und perzeptive Aufgaben stellt. Das »leibliche Ich« kann also weder von den multiplen Handlungsanforderungen und -optionen des ihn umgebenden räumlichen Artefakt- und Praxisarrangements abstrahieren noch von seinem eigenen Standort oder räumlichen »Hier«, das den Ausgangspunkt seiner eigenen intentionalen Bewegungen und Praktiken bildet.44 »Die Orte des Raumes bestimmen sich nicht als objektive Positionen im Verhältnis zur objektiven Stelle unseres Leibes, sondern zeichnen um uns her die wandelbare Reichweite unserer Gesten und Abzweckungen in unserer Umgebung ein.« (PdW: 173) In diesem Sinne nimmt der Leib die Distanz zwischen seinem eigenen Körper hier und dem Gegenstand dort nicht als eine neutrale Strecke wahr, die sich mithilfe eines metrischen Systems ausdrücken ließe, sondern als einen praktischen Abstand (PdW: 310f.), den er in seine Bewegungen einkalkulieren muss. Und ebenso beurteilt er architektonische Elemente wie Mauern, Türen oder Brücken nicht als Teile eines größeren Gebäude- oder Stadtkomplexes, sondern als konkrete Begrenzungen oder Erweiterungen seines eigenen praktischen Möglichkeitsraums (Waldenfels 1996). Für den senso-motorischen Leib existiert der Raum also nur als ein praktischer »Um-raum«, der aus einem Davor und Dahinter, einem Oben und Unten sowie einem Rechts und Links besteht, aber er nimmt ihn niemals als ein dreidimensionales Koordinatensystem wahr, in dem sich die Körper und Dinge nach geometrisch-linearen und chronologischen Gesetzen anordnen. Das bedeutet jedoch auch, dass sich der gesamte »gelebte« räumliche Horizont von einem Moment auf den anderen verändern kann, wenn der Leib seinen Standpunkt oder seine Perspektive wechselt, sich umdreht oder aber auch nur seine Bewegungsintuitionen modifiziert. Denn jede dieser vielleicht nur minimalen Veränderungen der eigenen perzeptiv-praktischen Position impliziert, dass sich auch die Erscheinung der Raumkonstellationen und des eigenen Zum-Raum-Seins verschiebt, also welche Gestalten der Leib zum Vorder- und welche er zum Hintergrund zählt, welche interobjektiven und -subjektiven Beziehungen ihm zum Greifen
jemand, der zusätzlich noch auf den visuellen Wahrnehmungssinn zurückgreifen kann (PdW: 263). 44 Merleau-Ponty unterscheidet dementsprechend zwischen der Positionsräumlichkeit der äußeren Dinge, die sich in einer bestimmten Lagebeziehung zueinander befinden, und der qualitativ unterschiedlichen »Situationsräumlichkeit« des Leibes, von der aus der handelnde Körper seine Aufgaben ausführt (PdW: 125f.). Vgl. dazu auch Waldenfels 2000a: 115.
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nah erscheinen oder in die Ferne rücken, oder aber welchen Schritt er als nächstes anvisiert. Das »Hier« des Leibes ist also stets an eine zeitliche Perspektivität, an ein gegenwärtiges »Jetzt« gebunden, das seine Wahrnehmungen und Praktiken bestimmt (PdW: 169). Die orientierte Zeitlichkeit der leiblichen Wahrnehmung entfaltet sich dabei auf mehreren miteinander verwobenen Ebenen: Zunächst ist der Akt des intentionalen Fixierens selbst eine in der Zeit vollzogene, prospektive (Augen-)Bewegung (PdW: 280), in welcher der Leib einen bestimmten Gegenstand in den Blick nimmt und dafür andere, simultan existierende, potentiell ebenfalls sichtbare Dinge oder Ansichten aus der gegenwärtigen Wahrnehmung ausschließt (AuG: 279). Da der identifizierende Blick somit nicht alle Gegenstände, Körper und Bewegungen des Dinghorizonts gleichzeitig erfassen kann, muss er, um sich sein gesamtes »Präsenzfeld« zu erschließen, die räumlichen Relationen nach und nach abtasten und dabei die einzelnen Eindrücke zu einem Gesamtbild montieren (PdW: 279).45 Anders als Kant konzipiert Merleau-Ponty diese zeitliche Wahrnehmungssynthese jedoch nicht als eine lineare Aufreihung diskreter Wahrnehmungsbilder, sondern als einen zirkulären oder netzförmigen Akt. In dem Wahrnehmungsgeschehen verschmilzt das eben Gesehene mit der darauf folgenden konkreten Wahrnehmungsgegenwart und wird somit Teil einer ganz neuen Erfahrungskonstellation, die wiederum das Vergangene in einem anderen Licht erscheinen lässt. »In jedem Augenblick, der kommt, erfährt der vorangegangene eine Modifikation: ich habe ihn noch im Griff, er ist noch da, und doch vergeht er bereits und sinkt unter die Linie der Gegenwarten herab […], er beginnt, sich in meiner Gegenwart abzuschatten, auf sie sich zu projizieren, indessen er eben noch meine Gegenwart war.« (PdW: 473f.)
Die leibliche, vorbewusste Zeitsynthese zieht also das eben Gesehene, die gegenwärtigen Wahrnehmungseindrücke sowie die Aussicht auf den nächsten Augenblick zu einem dynamischer »Zeitgespinst« zusammen, das den Blick in die Vergangenheit, die Zukunft und auf das aktuell Zu-Sehende des gegenwärtigen Wahrnehmungsfeldes freigibt. Wie Merleau-Ponty an anderer Stelle herausarbeitet, gehen die Mechanismen der zirkulären Zeitlichkeit aber über die Mikroebene der aktuellen Wahrnehmungssynthese hinaus. So ist anzunehmen, dass das gesamte »Präsenzfeld« des wahrneh-
45 Merleau-Ponty beschreibt das Ineinandergreifen von räumlichen und zeitlichen Relationen wie folgt: »Die ›Ordnung der Sukzession‹, oder vielmehr die Zeit ist überhaupt nicht nur Bewußtsein einer Sukzession. Die Wahrnehmung gibt mir ein ›Präsenzfeld‹ im weiten Sinne, das sich nach zwei Dimensionen erstreckt: der Dimension des Hier-Dort und der Dimension Vergangenheit-Zukunft.« (PdW: 309)
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menden Leibes stets von übergeordneten zeitlich-historischen »Protentionen« und »Retentionen«46 durchzogen ist, die das leibliche »Jetzt« an weiter zurückliegende Erfahrungen zurück binden und auf mögliche Zukünfte hin verlängern. Diese temporale Öffnung des Wahrnehmungsfeldes geht nach Merleau-Ponty auf die individuelle Geschichte des Leibes zurück, der seine implizit-unbewussten Erinnerungen an vergangene Erfahrungen und Wünsche niemals vollständig abschütteln kann und mit den gegenwärtigen Phänomenen ganz automatisch assoziiert.47 »Wir glauben, unsere Vergangenheit reduziere sich für uns selbst auf die ausdrückliche Erinnerung, die wir betrachten können […]. Doch wie vermöchten wir diese Spuren selbst zu erkennen als solche einer Vergangenheit, wäre uns nicht anderswoher zu dieser schon ein unmittelbarer Zugang eröffnet? Wir müssen das Phänomen des Erwerbs als ein irreduktibles anerkennen. Was wir erlebt haben, ist und bleibt beständig für uns da, der Greis noch rührt an seine Kindheit.« (PdW: 448)
Die gegenwärtige Wahrnehmung ist somit immer auch an Erinnerungen und Bedeutungssedimentierungen, körperliche Gewohnheiten und Habitualisierung gebunden, die der Leib durch seine permanente Auseinandersetzung mit der Welt erworben hat. Das habituelle Körperschema Die Art und Weise wie das Subjekt sein Präsenzfeld wahrnimmt und strukturiert, wird also sowohl von der räumlich-zeitlichen Perspektivität des Leibes als auch von seinem habituellen Körperschema bedingt. Das bedeutet, dass das (erwachsene) Subjekt im Laufe seines Lebens ein bestimmtes Repertoire an bereits identifizierten Wahrnehmungsgestalten oder implizitem perzeptivem und praktischem Wissen ansammelt, das es auf neue Wahrnehmungssituationen oder ungewohnte Praxiszusammenhänge ganz automatisch überträgt. Etwas wahrzunehmen bedeutet demnach immer auch, etwas »wieder zu sehen«. Merleau-Ponty differenziert dabei zwischen verschiedenen biographischen Schichten des senso-motorischen Körper- und Wahrnehmungsschemas: So wird das erste, primordiale Körperschema, mit dem der Mensch sich als eine leibliche Existenz allererst konstituiert, im Kontakt mit derjenigen physischen und sozialen Umgebung ausgebildet, in die der Mensch im wahrsten Sinne des Wortes »hineingeboren« wird. In der Auseinandersetzung mit dieser ersten aller Welten erwirbt der
46 Merleau-Ponty übernimmt die Begriffe der Protention und Retention von Husserl, der damit die zeitlichen Verlängerungen der gegenwärtigen Erfahrung in die Zukunft sowie in die Vergangenheit bezeichnet (PdW: 473). 47 Diese biographische Struktur des Wahrnehmens spielt für die Psychoanalyse eine wichtige Rolle. Siehe dazu auch Kapitel 3.2.
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Leib seine perzeptiven Grundfähigkeiten – so beispielsweise das Vermögen, Farbwie Formunterschiede zu identifizieren und Dinggestalten zu erfassen – sowie seine praktisch-motorischen Fertigkeiten, die ihm helfen, sich in der auf diese Weise wahrgenommenen Welt angemessen zu verhalten. Diese ersten »Urgewohnheiten« (PdW: 116) begleiten Merleau-Ponty zufolge das Subjekt sein Leben lang.48 Es kann seinen existentiellen Modus daher auch dann nicht oder nur schwer modifizieren, wenn es in eine ganz andere Welt eintaucht, die ihm neue perzeptive und praktische Fähigkeiten abverlangt, oder wenn – wie im Falle der Amputation oder der Lähmung – sein »aktueller Leib« seinem ursprünglichen »habituellen Leib« oder Körperbild gar nicht mehr entspricht (PdW: 107).49 Im Laufe seines Lebens erlernt der Leib jedoch noch weitere perzeptive und praktische Fertigkeiten, die sich um diesen »habituellen Kern« herum gruppieren. Entscheidend dabei ist, dass auch diese »sekundären« Habitualitäten – unabhängig davon, wie ausdifferenziert und kompliziert sie im Einzelnen sind und über welche Bewusstseinsgrade das Subjekt bereits verfügt – genauso wie die habituelle Urschicht nicht durch eine bewusst-kognitive Reflexion angeeignet wird. Eine Praktik zu erwerben heißt vielmehr, dass ihr präreflexiver Sinn von dem Körper durch systematisches Training und Übung »verstanden« und als eine senso-motorische Gewohnheit – oder wie man praxeologisch sagen würde: als ein neues implizites Know-how-Wissen – einverleibt wird. Maschineschreiben oder Klavierspiel-Lernen bedeutet daher nicht, die Buchstaben-Anordnung der Tastatur oder die Tonbelegung der Klaviatur auswendig zu lernen, sondern, »ein Wissen [zu erwerben, S.P.], das in den Händen ist, das allein der leiblichen Betätigung zur Verfügung steht, ohne sich in objektive Bezeichnung übertragen zu lassen« (PdW: 174). Es bedeutet, den »Raum« der Tastatur oder der Klaviatur in das eigene Körperschema zu integrieren (PdW: 175) und sie damit »an der originalen Struktur des Eigenleibes teilhaben« zu lassen (PdW: 116), sprich: den habituellen Handlungs-, Ausdrucks- und Bewegungsspielraum des Leibes durch die Inkorporierung eines technischen Artefakts auszudehnen. Aber nicht nur diese im engeren Sinne körperlich-motorischen Vermögen werden durch praktisch-körperliches »Üben« oder »Einverleiben« erlernt. Auch das Sprechen und das urteilende Erkennen, das traditionellerweise als eine rein kogniti-
48 Ähnliches beschreibt auch Bourdieu mit dem Begriff der Hysteresis. Siehe dazu auch Kapitel 3.3.1. 49 So erklärt Merleau-Ponty beispielsweise das Phänomen des Phantomarms damit, dass der Leib, dem ein Arm amputiert wurde, Schwierigkeiten hat, sich an die Veränderungen seiner körperlichen Grundausstattung und den Verlust seines ursprünglichen praktischen Weltbezugs zu gewöhnen (PdW: 106ff.). Im Rekurs auf den psychoanalytischen Terminus der Verdrängung charakterisiert Merleau-Ponty den Phantomarm daher auch als eine »einstige Gegenwart, die sich weigert, Vergangenheit zu werden« (PdW: 110).
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ve Angelegenheit angesehen wird, interpretiert Merleau-Ponty als das Ergebnis eines leiblichen Gewöhnungsprozesses an die sprachliche Ordnung (PdW: 158). Genauso wie das motorische »Können« der körperlichen Tätigkeit beruht also auch das intuitive »Kennen« von sprachlichen und dinglichen Bedeutungen auf Erfahrungen, die sich als implizites Wissen im Körper ablagern (Waldenfels 2000a: 182). Wenn aber jedes erfolgreiche Lernen entweder auf der Habitualisierung einer neuen Praxis – sei sie artefaktbasiert oder nicht – oder der Sedimentierung von Bedeutungen beruht, und jede Habitualisierung und Sedimentierung stets mit einer grundlegenden Umorganisation oder Erweiterung der psychischen und sensomotorischen Struktur des Körperschemas einhergeht, ist jedes echte Lernen eine folgenschwere Angelegenheit: Denn für Merleau-Ponty heißt ein anderes Körperschema anzunehmen auch, die Art und Weise »zur Welt zu sein«, d.h. die Welt wahrzunehmen und in ihr zu handeln, zu verändern (Crossley 2004: 107). 3.1.2.2 Historische und sozio-kulturelle Horizonte der Wahrnehmung Auch wenn sich Merleau-Ponty in erster Linie darauf konzentriert, die allgemeine Funktionsweise des Körperschemas herauszuarbeiten, merkt er immer wieder an, dass alle habituellen Schichten des Leibes, d.h. sowohl sein »habitueller« Kern als auch die später erworbenen Praktiken und Fertigkeiten, stets von überindividuellen kulturellen Ordnungen überformt werden. Die ontogenetische Geschichte des »leiblichen Ichs« ist also stets mit der kollektiven Geschichte der sozio-kulturellen Welt, in die es hineingeboren wird, verknüpft. In Phänomenologie der Wahrnehmung erwähnt Merleau-Ponty mindestens drei miteinander verbundene Phänomene, die das leibliche Subjekt mit den sozio-kulturellen und historischen Bedingungen seiner Existenz konfrontieren: erstens der Leib des Anderen, dessen sichtbares Verhalten zum Nachahmen verleitet, zweitens die Sprache, die sowohl den kommunikativen Ausdruck als auch das Denken des Subjekts vorzeichnet, und drittens schließlich die kulturellen Artefakte, die das Subjekt aufgreift und in seine körperlichen Praktiken einbindet. All diese Entitäten sind konstitutiver Teil der äußeren, wahrnehmbaren Welt und gehen als kulturelle »Gestalten« in die perzeptive Syntax des wahrnehmenden Leibes ein. Der Leib des Anderen Nach Merleau-Ponty impliziert das leiblich vermittelte Zur-Welt-Sein des Subjekts immer schon ein intersubjektives Mit-Sein mit anderen sich-verhaltenden Leibern.50
50 Merleau-Pontys Konzept der Interleiblichkeit als Basis der sozialen Relationalität der Existenz wurde insbesondere von den anglo-amerikanischen Sozialwissenschaften aufgegriffen. Siehe etwa Nick Crossley 1996, O’Neill 1989 und Gugutzer 2002.
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Die leibliche Existenz lässt sich mit anderen Worten nicht losgelöst von der gemeinsamen leiblichen Koexistenz mit anderen Subjekten denken. Dabei bildet der Leib des Anderen insofern den »erste[n] aller Kulturgegenstände« (PdW: 400), als seine Verhaltens- und Wahrnehmungsweisen auf das Vorhandensein eines dem leiblichen Ich analogen »perzeptiven Bewusstseins« (PdW: 403) schließen lassen. Eine solche Identifikation mit dem Anderen ist Merleau-Ponty nur deshalb möglich, weil sich das Subjekt selbst als ein durch die äußere Welt bedingtes, »verleiblichtes« Wesen erfährt, dessen Intentionen sich in seinen körperlichen Praktiken, seinen Gesten und seiner Mimik Ausdruck verschaffen.51 Dieses interleibliche Zusammenspiel zeigt sich besonders deutlich an der Tendenz von Kleinkindern, die Berührungen des Gegenüber in seinem eigenen Körper widerzuspiegeln: »Es [das Kind, S.P.] nimmt in seinem Körper seine Intentionen wahr, meinen Leib mit dem seinen, und so meine Intentionen in seinem Körper.« (PdW: 403) Das Subjekt erkennt mit anderen Worten in dem Verhalten des Anderen eine Ähnlichkeit zu seiner eigenen leiblichen Existenz, seinen Praktiken und seinen Wahrnehmungen. Beide, das »leibliche Ich« und der »leibliche Andere«, sind keine in sich geschlossenen Entitäten »für-sich«, sondern Teil einer einzigen empirischen Welt, auf die sie sich zwar aus je unterschiedlicher Perspektive, aber dennoch in ähnlicher Weise beziehen. »Mein Leib ist es, der den Leib des Anderen wahrnimmt, und er findet in ihm so etwas wie eine wunderbare Fortsetzung seiner eigenen Intentionen, eine vertraute Weise des Umgangs mit der Welt; und wie die Teile meines Leibes ein zusammenhängendes System bilden, bilden somit auch der fremde Leib und der meinige ein einziges Ganzes.« (PdW: 405)
Der Leib erfährt eine erste kulturelle Prägung also schon aufgrund der bloßen räumlichen Koexistenz mit einem anderen Leib, den er als einen dem Ich analogen, äußeren Ort der Sinnentfaltung erfährt, »von dem meine Welt angezogen und gleichsam angesaugt wird« (PdW: 405).52
51 In diesem Sinne hält Merlau-Ponty auch Zorn, Hass und Liebe nicht für innere Wirklichkeiten, sondern für nach außen sichtbare Verhaltensstile, die von dem Gegenüber gelesen werden müssen (PdW: 407, AuG: 36). 52 Mit dem Gedanken, dass die leibliche Koexistenz notwendigerweise zu einem kommunikativen Austausch führe, distanziert sich Merleau-Ponty von seinem existentialistischen Gegenspieler Jean Paul Sartre, der die Anwesenheit des Anderen stets als eine Bedrohung interpretierte. So heißt es in Phänomenologie der Wahrnehmung mit klarem Bezug zu Sartres Das Sein und das Nichts: »Der Andere macht mich zum Gegenstand und verneint mich, ich mache den Anderen zum Gegenstand und verneine ihn, sagt man ferner. In Wahrheit macht weder der Blick des Anderen mich zum Gegenstand, noch auch der meine ihn, es sei denn, daß er wie ich uns zurückziehen in den Grund unseres denkenden
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Diese primordiale Kommunikation mit dem Leib des Anderen bedeutet jedoch nicht, dass sich ihre beiden Sichtweisen vollkommen entsprechen. Denn wie MerleauPonty betont, kann ein und dieselbe Situation von den koexistierenden Leibern nur von ihrem jeweiligen Standpunkt aus wahrgenommen werden. Die koexistierenden Leiber sind also einerseits kommunikativ aufeinander bezogen, bleiben aber andererseits aufgrund ihrer notwendigen Situiertheit in ihrer begrenzten Perspektive gefangen. Sie führen »die Komödie eines Solipsismus zu vielen auf […]« (PdW: 411). Auch in seinem Spätwerk beschäftigt sich Merleau-Ponty mit der fundamentalen Intersubjektivität allen menschlichen Seins, interpretiert die »Zwischenleiblichkeit« (SU: 185) nun aber als eine besondere Form des innerweltlichen Chiasmus. Dass der eigene und der andere Leib sich »verstehen«, führt er also nicht mehr auf die beiden gemeinsame Form der Existenz und die gegenseitige Interpretation der Verhaltensweisen zurück, sondern darauf, dass beide aus demselben »Fleisch der Welt« geboren wurden und daher trotz Trennung stets reversibel – d.h. sehendsichtbar, berührend-berührbar – miteinander verflochten sind: »Hier gibt es kein Problem des alter ego, weil nicht ich sehe und nicht er sieht, sondern weil uns beiden eine anonyme Sichtbarkeit und ein Sehen im allgemeinen innewohnt, und zwar dank dieser ursprünglichen Eigenschaft, die dem Fleisch eigen ist.« (SU: 187) Die Sprache als Institution Die stumme Zwischenleiblichkeit ist allerdings nur die Vorstufe für eine intensivere Form der Intersubjektivität: den sprachlichen Austausch. Denn anders als die rein gestische Kommunikation, in der die beiden Leiber letztlich in ihrer jeweiligen Sichtweise verharren, ermöglicht das Sprechen die ansonsten getrennten Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken zu einem einzigen, intersubjektiven Sinngeflecht zu verbinden (PdW: 406).53 Neben dem sich-verhaltenden Leib des Anderen ist also
Wesens, uns beide verwandeln in dessen unmenschlichen Blick […]. Doch auch dann noch wird die Objektivierung durch den Blick des Anderen nur darum als peinlich empfunden, weil sie sich an die Stelle einer möglichen Kommunikation setzt.« (PdW: 413) 53 Den intimen, Grenzen überschreitenden Prozess eines Gespräches beschreibt MerleauPonty folgendermaßen: »In der Erfahrung des Dialogs konstituiert sich zwischen mir und dem Anderen ein gemeinsamer Boden, mein Denken und seines bilden ein einziges Geflecht, meine Worte wie die meines Gesprächspartners sind hervorgerufen je durch den Stand der Diskussion und zeichnen sich in ein gemeinsames Tun ein, dessen Schöpfer keiner von uns beiden ist. Das ergibt ein Sein zu zweien, und der Andere ist hier nicht mehr für mich ein bloßes Verhalten in meinem transzendentalen Felde, noch übrigens in dem seinen, sondern in vollkommener Gegenseitigkeit sind wir füreinander Mitwirkende, unsere Perspektiven gleiten ineinander über, wir koexistieren durch ein und dieselbe Welt hindurch.« (PdW: 406)
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auch die Sprache ein zentrales »Kulturobjekt« (PdW: 406), das von dem wahrnehmenden Individuum erfasst und übernommen werden muss, um sich in die soziale Umwelt zu integrieren. Dabei vertritt er zunächst einen anderen Sprachbegriff als die strukturalistische Linguistik. Denn anders als de Saussure, der die Sprache als eine dem sprechenden Individuum vorgängige Zeichenordnung konzipiert, nimmt Merleau-Ponty – zumindest noch in Phänomenologie der Wahrnehmung – an, dass die sprachlichen Bedeutungen aus der sinnlich-sinnstiftenden Auseinandersetzung des Leibes mit seiner Welt hervorgegangen sind. Das Sprechen ist also kein rein kognitives Vermögen, welches bereits gedachte Gedanken und identifizierte Gegenstände lediglich mit Worten belegt. Es ist ein quasi-körperlicher Akt, der dem »ursprünglichen Schweigen« (PdW: 218) des wahrnehmenden und sich-verhaltenden Leibes »phonetische Gesten« (PdW: 214) entreißt, um seine Umwelt sinnhaft zu gliedern und seinen »fungierenden« Intentionen nachzukommen. Der sprachliche Laut bringt also in gewisser Weise die Bedeutungen, die er scheinbar nur ausdrückt, gleichsam performativ mit hervor (PdW: 215ff.). So heißt es bei Merleau-Ponty: » […] der Ausdruck [ist] nicht lediglich eine Übersetzung, sondern die Realisierung und Verwirklichung der Bedeutung selbst […]. Das Denken ist nichts ›Innerliches‹, das außerhalb der Welt und außerhalb der Worte existierte.« (PdW: 217) In einer bereits etablierten Kultur sind solche genuin kreativen Ausdrucksakte allerdings eher die Ausnahme. Üblicherweise werden die Individuen in eine bestehende Sprachgemeinschaft hineingeboren und können somit auf bereits etablierte Wortbedeutungen und Ausdrucksweisen zurückgreifen. Das, was gemeinhin als »die Sprache« oder die Sprachstruktur bezeichnet wird, ist aus Merleau-Pontys Sicht demnach nichts anderes als eine Sedimentation von ehemals spontanen »Sprachgebärden«, die sich im Laufe der Zeit verselbständigt und zu einem relativ festen Regelsystem zusammengeschlossen haben. »Die Sprachen, als bereits konstituierte syntaktische und Vokabular-Systeme und als empirisch vorhandene ›Ausdrucksmittel‹, sind Niederschlag und Sedimentation des Sprechens, in dem der noch unformulierte Sinn nicht nur ein Mittel äußerer Bekundung findet, sondern überhaupt ein Dasein für sich selbst gewinnt, als Sinn erst eigentlich geschaffen wird. Oder man könnte zwischen sprechender Sprache und gesprochener Sprache unterscheiden.« (PdW: 232)
Das leibliche Ich, das in einer sozio-kulturellen Welt situiert ist, übernimmt demnach eine institutionalisierte »gesprochene Sprache«, die es durch die identifikatori-
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sche Nachahmung des sprachlichen Verhaltensstils seiner Mitmenschen erlernt.54 Wie alle seine körperlich-geistigen Fähigkeiten erwirbt das Subjekt also auch sein Sprachvermögen durch einen vorbewussten, leiblichen Einübungs- und Gewöhnungsprozess und integriert auf diese Weise eine ganze Tradition von Bedeutungen in sein eigenes Körperschema. Das Sprechenlernen beschränkt sich somit nicht nur auf einen Teilbereich des leiblichen Ichs, sondern verändert die ganze Art und Weise, wie es sich in der Welt situiert, also welche Dinggestalten es identifiziert, welche Bedeutungen es ihnen gibt und wie es seine Praktiken ausführt. In seinen Schriften der 1950er Jahre – insbesondere in Die Prosa der Welt (PW) und den Texten aus Zeichen (Z) – sowie in Das Sichtbare und das Unsichtbare (SU) nimmt Merleau-Pontys Sprachbegriff noch einmal eine neue Wendung (Waldenfels 1983: 193ff.). Unter Berufung auf Ferdinand de Saussures strukturalistische Linguistik verabschiedet er sich nun von der Idee eines ursprünglichen, gestischen Sprechens und hebt stattdessen den differentiellen Charakter von sprachlichen Bedeutungen hervor (PW: 53ff., Z: 53ff.). Er interpretiert den Sprechakt somit nicht mehr als eine schöpferische Gebärde, welche die Bedeutung positiv in sich trägt, sondern als eine Differenzierung- und Systematisierungsleistung, die dem Gemeinten durch die regelbasierte (Re-)Kombination von sprachlichen Zeichen Ausdruck verleiht. »Sprechen besagt nämlich nicht, daß man eine gewisse Anzahl von Zeichen zur Verfügung hat, sondern daß man die Sprache besitzt in Form eines Unterscheidungsprinzips, wie groß immer die Zahl der Zeichen sein mag, die sich speziell daraus gewinnen lassen« (PW: 54). Der Sinn kann somit stets nur negativ, d.h. in dem Dazwischen oder am »Rand der Zeichen« (Z: 55) entstehen, niemals aber ist er vollkommen präsent. Trotz dieses Zugeständnisses an die strukturalistische Sprachtheorie opfert Merleau-Ponty aber keineswegs das sprechende Subjekt als aktiven Re-Produzenten der »gesprochenen Sprache«. Für ihn ist »[d]ie Sprache […] nicht wie ein Gefängnis, in dem wir eingeschlossen sind, sie ist kein Führer, deren Anweisungen wir blind zu befolgen hätten« (PW: 121-122, ebenso Z: 112). Sie bildet vielmehr eine Art Möglichkeitsraum, den das Subjekt je nach leiblicher Erfahrung und Ausdrucksvermögen nutzen kann, um einen bisher nicht gedachten Sinn zur Sprache kommen zu lassen.55
54 »Was den Sinn des Wortes betrifft, so lerne ich ihn, wie ich den Gebrauch eines Werkzeuges lerne, indem ich es im Kontext einer bestimmten Situation gebraucht sehe.« (PdW: 459) 55 Eine ähnliche Differenzierung führt auch Lacan ein, der zwischen »leerem Sprechen«, also der bloßen Reproduktion von existierenden Bedeutungen, und »vollem Sprechen« unterscheidet, welche dem Unbewussten Gehör verschafft. Siehe dazu Kapitel 3.2.1.2, Abschnitt: »Das Imaginäre«.
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Die Macht der »parole« gegenüber der »langue« zeigt sich Merleau-Ponty zufolge schon im alltäglichen Dialog. Denn in jeder Kommunikation kann es vorkommen, dass das Sprachsystem, das den »gemeinsamen und selbstverständlichen Boden« (PW: 156) des Austauschs bildet, von den beiden Gesprächspartnern jeweils anders verwendet wird. Das heißt, dass der Andere u.U. eine sprachliche Ausdrucksweise an den Tag legt, die dem Ich zunächst fremd, ja fast als ein »NichtSinn« erscheint, aber dennoch insofern eine rätselhafte Sinnhaftigkeit in sich trägt, als sie demselben kulturellen Diskurs angehört (PW: 157ff.). Zudem kommt es vor, dass sich einige üblichen sprachlichen Wendungen im Laufe der Zeit »abnutzen« und durch neue, meist zufällig im Gespräch entstandene Ausdrucksmittel ersetzt werden (Vorl: 44). Der Dialog ist somit ein Ort, an dem die bestehenden Bedeutungsordnungen potentiell in Frage gestellt werden und sich das Selbst, sofern es sich auf den »andere Sinn« einlässt, transformieren kann. Ähnliches trifft auch auf die Literatur zu. Denn wie Merleau-Ponty schon in Phänomenologie der Wahrnehmung (PdW: 232) angedeutet hatte, zeichnet sich der »große« Schriftsteller dadurch aus, dass er die etablierten Worte und syntaktischen Ordnungen so zu (re-)kombinieren versteht, dass dem Leser in dem »Stil« des Textes, d.h. der Gesamtheit der sprachlichen Setzungen, Auslassungen und latenten Mehrdeutigkeiten, eine neue »Sichtweise« auf die Welt erscheint. Beim literarischen Text geht es mit anderen Worten darum, die latente »Über-Bedeutung« (PW: 159) des etablierten Ausdruckssystems durch geschickte Sinnverschiebungen auszuspielen. »[…] der Schriftsteller [versetzt uns] kurzerhand ohne Übergänge oder Vorbereitungen aus der schon bekannten Welt in eine andere. Und wie unser Leib uns durch die Welt der Dinge nur führen kann, wenn wir ihn nicht analysieren, sondern ihn gebrauchen, so ist die Sprache nur dann literarisch, das heißt schöpferisch, wenn wir ihr nicht mehr auf Schritt und Tritt Rechtfertigungen abverlangen, sondern ihr auf ihrem Wege folgen, wenn wir die Wörter und alle Ausdrucksmittel eines Buches zu jenem Bedeutungshof entwickeln lassen, der sich ihrer besonderen Anordnung verdankt […].« (Z: 107-108)
Die kulturellen Artefakte In einigen wenigen Passagen in Phänomenologie der Wahrnehmung deutet Merleau-Ponty zudem an, dass es neben der Zwischenleiblichkeit und dem Sprachsystem noch eine dritte Instanz gibt, die den Leib mit der kulturellen Ordnung konfrontiert: die Welt der Artefakte.56 Denn den Dingen, derer sich das leibliche Subjekt in seinem »Zur-Welt-Sein« ganz selbstverständlich bedient, ist gleich in zweifacher
56 So heißt es etwa in Phänomenologie der Wahrnehmung: »Die Zivilisation, an der ich teilhabe, hat ihr evidentes Dasein für mich in den Werkzeugen, die sie sich selbst gegeben hat.« (PdW: 399)
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Hinsicht ein kultureller Mehrwert inhärent. Zum einen sind sie insofern sichtbare Manifestationen vergangener Verhaltensweisen und Sinnbildungen, als sie im Hinblick auf einen (praktischen) Zweck entworfen wurden und für ihre Herstellung spezifische Wissensformen und Arbeitstechniken nötig waren. Und zum anderen verleiten sie aufgrund der in ihnen angelegten Funktion sowie ihrer konkreten materiell-sinnlichen Beschaffenheit zu bestimmten Wahrnehmungen und Handhabungen,57 die diese Praxisformen und Sinnbildungen u.U. reproduzieren. »Der Geist einer Gesellschaft verwirklicht sich, überliefert sich und wird wahrnehmbar in den kulturellen Objekten, die sie sich gibt und mitten unter denen sie lebt. Ihre praktischen Kategorien sedimentieren sich darin, und umgekehrt legen sie den Menschen eine Seins- und Denkweise nahe.« (SNS: 179)
Diese den Dingen innewohnende kulturelle Seins- und Denkweise wird sich von dem Subjekt zu eigen gemacht, sobald es selbst anfängt, sich »ihrer zu bedienen, wie andere es tun« (PdW: 405). Es lernt also deshalb mit den Dingen »richtig« umzugehen, weil es aufgrund seiner genuinen leiblichen Verbundenheit mit dem Anderen »in seinem Körperschema unmittelbar Entsprechungen zwischen dem, was es tun sieht, und dem, was es selbst tut, versichert ist« (ebd.). Die Kulturgegenstände sind somit nicht einfach nur passive »Objekte«, die von dem Subjekt aus der Distanz heraus registriert und in sein Präsenzfeld eingeordnet werden. Aufgrund ihrer Gemachtheit und Werkzeughaftigkeit verkörpern sie vielmehr eine »anonyme fungierende Intentionalität«, ein »man macht« oder »man sieht«, das von dem wahrnehmenden Leib intuitiv erfasst und aufgegriffen wird (PdW: 399). »Ich habe nicht nur eine physische Welt, lebe nicht nur in einer Umwelt von Erde, Luft und Wasser, mich umgeben Wege, Forste, Dörfer, Straßen, Kirchen, Werkzeuge, eine Klingel, ein Löffel, eine Pfeife. Jeder dieser Gegenstände ist in sich gezeichnet von dem menschlichen Tun, zu dem er bestimmt ist. Jeder umgibt sich mit einer menschlichen Atmosphäre.« (PdW: 399) »Wir leben in einer von Menschen geschaffenen Welt, zwischen Gebrauchsgegenständen, in Häusern, auf Straßen, in Städten – und die meiste Zeit sehen wir all diese Dinge nur unter dem Blickwinkel der menschlichen Tätigkeiten, die in, mit oder an ihnen vorgenommen werden können.« (AuG: 14)
Merleau-Ponty entwickelt in seiner »existentialistischen Phase« somit erste Ansätze einer artefakttheoretischen Perspektive, wonach der Leib durch seinen alltäglichen
57 Das entspricht Heideggers Konzept der »Zuhandenheit« des »Zeugs« (Heidegger 1927: 66ff.).
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Umgang mit Dingen, Formen und Materialitäten bestimmte Wahrnehmungs- und Praxistraditionen inkorporiert.58 Allerdings führt er weder näher aus, wie sich eine Kultur in den verschiedenen Formen, die sie sich gibt – d.h. in den Architektur- und Kunststilen, dem Dingdesign oder visuellen Medien –, manifestiert,59 noch wie diese konkrete wahrnehmungs- und praxiskonstitutive Wirkung entfalten können.60 3.1.2.3 Formen des Sehens Wie bereits mehrfach betont, gehört zu den wichtigsten Grundannahmen der leibphänomenologischen Wahrnehmungstheorie, dass nicht alles zu jeder Zeit sichtoder wahrnehmbar ist. Die Welt besteht aus einer unübersehbaren Fülle von Farben, Formen und Sinnesreizen, die alle gleichermaßen um die perzeptive Aufmerksamkeit des Subjekts werben, aber niemals zugleich wahrgenommen werden können. In Das indirekte Sprechen zeigt Merlau-Ponty diese Rivalität der möglichen Ansichten am Beispiel von Mond und Geldstück auf (AuG: 125): Beide sind gleichermaßen Elemente des Präsenzfeldes, können aber de facto nicht zur gleichen Zeit fixiert werden – der Blick richtet sich entweder nur auf das kleine Objekt in der Hand oder auf den großen Himmelskörper in der Ferne. Das Sehen kann sich mit anderen Worten immer nur auf einen Gegenstand bzw. eine Konstellation von Gegenständen einlassen und muss dafür andere ausklammern. »Mein aktuelles Sehen ist stets
58 Merleau-Ponty nimmt damit sowohl Foucaults These aus Überwachen und Strafen vorweg, der zufolge die moderne Körperlichkeit durch die Disziplinarmaschinerien geformt wird, als auch eines der Kernargumente der ANT, das besagt, dass sich Gesellschaftsformen nicht nur aufgrund sozialer Regeln, Diskurse oder intersubjektiver Interaktionen stabilisieren, sondern zu einem wesentlichem Anteil auch auf dem medialen Effekt der Artefakte basieren, die bestimmte soziale Praktiken allein durch den »zwanglosen Zwang« ihrer Materialität provozieren. 59 In dem späteren, schon strukturalistisch geprägten Text Das indirekte Sprechen und die Stimmen des Schweigens, in dem er sich u.a. mit der Geschichte der Malerei auseinandersetzt, deutet Merleau-Ponty zumindest an, dass sich verschiedene Epochen durch jeweils unterschiedliche künstlerische Stile und »Formsprachen« auszeichnen (Z: 53-116). So hält er beispielsweise die perspektivische Konstruktion nur für eine »mögliche Interpretation des spontanen Sehens« (Z: 56, 124). 60 Zwar hält Merleau-Ponty etwa zeitgleich einen Vortrag über Das Kino und die neue Psychologie, geht darin aber lediglich auf die Art und Weise ein, wie der Film wahrgenommen wird, und nicht darauf, wie durch den Film bestimmte Wahrnehmungskonventionen vermittelt werden (AuG: 29-46). Für eine Erweiterung von Merleau-Pontys analytischem und theoretischem Instrumentarium in Richtung einer Phänomenologie der Architektur und der Medien siehe etwa Waldenfels 1999: 200ff., 2004: 113ff., Sobchack 1992, Därmann 1995 und Fahle 2010.
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umgeben von einem Horizont nicht gesehener, ja auch überhaupt nicht sichtbarer Dinge.« (PdW: 254) Welche Gestalten hervortreten – also welche Formen signifikant sind und welche im Hintergrund bleiben – ist dabei von zwei miteinander korrespondierenden Faktorenbündeln abhängig: einerseits von dem Arrangement der Dinge und Körper selbst, die mit ihren Farben, Formen und Bewegungen den sie identifizierenden Blick anlocken, und andererseits von den verschiedenen ineinandergreifenden »Horizonten« des leiblichen Subjekts, die den Empfindungen und Wahrnehmungsakten zugrunde liegen. Zu diesen Horizonten des Wahrnehmens gehören – wie in den letzten Kapiteln näher erläutert – das räumlich-zeitliche »Hier-und-Jetzt« des Leibes, von dem ausgehend das Subjekt Ausschau auf sein Tätigkeitsfeld hält, die habituellen Dispositionen des Körperschemas – also all jene perzeptiven und motorischen Fähigkeiten, die der Leib im Laufe seines Lebens erworben hat und daher routinemäßig ausübt –, und schließlich die kulturellen Strukturen, die das Subjekt vermittels der leiblichen Koexistenz mit den Anderen, dem Erlernen der Sprache und dem Umgang mit Kulturobjekten inkorporiert. Trotz dieser breiten Auffächerung von Bedingungsverhältnissen, die auf eine kulturhistorische und/oder -soziologische Analyse von Wahrnehmungspraktiken und Subjektivierungsweisen hindeuten, konzentriert sich Merleau-Ponty in der Phänomenologie der Wahrnehmung vor allem auf die allgemeinen Mechanismen des Sehens, die allen noch so differenten Wahrnehmungsvollzügen gemeinsam sind. Es geht ihm also nicht darum, zu klären, wie sich die individuellen Wahrnehmungs- und Dingbiographien sowie kultur- oder klassenspezifische Wahrnehmungstraditionen auf die Ding- und Gestaltkonstitution im Einzelnen auswirken, sondern um die viel grundsätzlichere theoretische Frage, wie die Leibphänomenologie das Phänomen der Dingwahrnehmung – in Abgrenzung zum Empirismus und Intellektualismus – begründet. Das »profane« Sehen Wie Merleau-Ponty in Abgrenzung von empiristischen und intellektualistischen Ansätzen immer wieder herausgestellt hat, übersteigt die leibliche Wahrnehmung einerseits das bloße Empfinden von sinnlichen Reizen, da sich in ihr bereits eine sinnhafte Strukturierung der Welt abzeichnet, geht aber andererseits insofern den eigentlichen Erkenntnisurteilen voraus, als es sich hierbei um eine vor-bewusste leibliche Konstitutionsleistung handelt. Nach Waldenfels lässt sich der Wahrnehmungsakt daher in drei aufeinander folgende Phasen unterteilen: erstens das Empfinden (1), zweitens das Gestaltwahrnehmen (2) und drittens das kategorisierende Objekterkennen (3) (Waldenfels 2000: 96ff.). Zu (1): Empfinden: Den Anfang des Wahrnehmungsaktes bildet das rein sinnliche Empfinden von Ausdruckqualitäten – wie etwa Farben, Formen, Temperaturen oder Aggregatzustände, die dem Leib allererst anzeigen, dass es überhaupt etwas wahrzunehmen gibt. Dabei geht Merleau-Ponty jedoch nicht davon aus, dass ein
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bestimmter äußerer Reiz ganz automatisch eine bestimmte sinnliche Reaktion auslöst, sondern betont, dass der dialogische Austausch zwischen Leib und Welt bereits auf dieser prä-perzeptiven Stufe beginnt. »Empfindender und empfundenes Sinnliches sind nicht zwei äußerlich einander gegenüberstehende Terme, und die Empfindung nicht die Invasion des Sinnlichen in den Empfindenden. Die Farbe lehnt sich an meinen Blick, an die Form des Gegenstandes, an die Bewegung meiner Hand, oder vielmehr mein Blick paart sich mit der Farbe, meine Hand mit dem Harten und Weichen, und in diesem Austausch zwischen Empfindungssubjekt und Sinnlichem ist keine Rede davon, daß das eine wirkte, das andere litte, das eine dem anderen einen Sinn gäbe. Ohne meinen forschenden Blick, meine tastende Hand und ehe mein Leib sich mit ihm synchronisiert, ist das Sinnliche bloß eine vage Erregung.« (PdW: 251)
Die sinnlichen Farben, Formen und Oberflächen richten sich also lediglich als »Empfindungsangebote« an den Leib, der diese entweder mit einer entsprechenden rezeptiven Haltung aufnimmt, sie nicht zu registrieren vermag oder aber gar abzuwehren versucht. Um beispielsweise die Farbe »Rot« sehen zu können, reicht es nicht aus, dass ein Licht bestimmter Wellenlänge auf die Netzhaut des Auges trifft; vielmehr muss der Leib die »schlecht formulierte Frage« (PdW: 252) des Farbeindrucks begreifen und mit einer adäquaten senso-motorischen Einstellung »beantworten« (PdW: 246ff., SU: 174).61 Zu (2): Gestaltwahrnehmen: In einem zweiten Schritt, der eigentlichen Wahrnehmung, werden einige dieser lose fluktuierenden intersensorischen Empfindungen zu artikulierten Dinggestalten zusammengesetzt, während andere in den nichtartikulierten Hintergrund zurückgedrängt werden. Der Wahrnehmungsakt beruht somit auf einer differentiellen Anordnung des Wahrnehmungsfeldes, die das polymorphe »Rauschen« der multisensorischen Reizströme mithilfe der internalisierten, habituellen bzw. historisch-spezifischen perzeptiven Syntax in signifikante und weniger signifikante Formen und Aspekte einteilt. Dabei ist entscheidend, dass diese Differenzierungsleistung nicht allein auf das Individuum zurückgeht – wie es der Intellektualismus nahelegt –, sondern einem zirkulären Prozess zwischen (habituellem) Leib und Welt entspringt, in dem sich das Ding und die Dingwahrnehmung gegenseitig herausfordern. Die sichtbare Welt zeigt also in einem gewissen Sinne
61 Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die sinnlichen Empfindungen stets durch das habituelle und sozio-kulturelle Körperschema bedingt werden. So bemerkt etwa MerleauPonty, dass selbst das Farbensehen an einen gewissen »Stil des Sehens« gebunden ist, und ebenso stellte bereits Simmel heraus, dass der moderne Leib, der sich an die großstädtische Geräusch-, Lichter- und Formenkulisse gewöhnt hat, seine Sensibilität für leisere Töne und weniger auffällige Formen verloren hat (PdW: 184; Simmel 1992, 1995).
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schon selbst an, welche Formen als positive Umgrenzungen eines sinnhaften Dings gelten sollen.62 »In einem normalen Gesichtsfeld vollzieht sich die Trennung von Ebenen und Umrissen unwiderstehlich; wenn ich etwa auf dem Boulevard spazierengehe, gelingt es mir schlechterdings nicht, die Zwischenräume zwischen den Bäumen als Dinge und die Bäume selbst als Hintergrund zu sehen. Wohl bin ich es, der die Erfahrung der Umgebung hat, doch bin ich in dieser Erfahrung mir bewußt, eine faktische Situation zu übernehmen, einen in den Phänomenen zerstreuten Sinn zu sammeln und zu sagen nur, was sie von sich aus sagen wollen.« (PdW: 307)
Doch was heißt es eigentlich, ein Ding in seiner positiven Gestalt wahrzunehmen, und was geschieht mit der Dinggestalt, wenn sich ihre Licht-, Raum- und Hintergrundverhältnisse verändern? Merleau-Ponty macht dies zunächst an dem berühmten Problem der »Appräsentation« deutlich, also dem Phänomen, dass dem Blick, auch wenn er einen dreidimensionalen Gegenstand – wie etwa einen Würfel – nur von einem perspektivischen Punkt aus betrachtet, alle weiteren Ansichten automatisch mitpräsent sind. Im Unterschied zu Husserl, der darin eine Konstitutionsleistung des Bewusstseins sah, begründet Merleau-Ponty den dreidimensionalen Wahrnehmungseindruck damit, dass der Leib – noch bevor er überhaupt ein Bewusstsein entwickelt – »wahrnehmend-erfahrend« in die Dichte der Welt »eintaucht« (PdW: 240) und somit das Gesehene stets nach praktischen Gesichtspunkten beurteilt. »Alles was ich sehe, ist prinzipiell in meiner Reichweite, zumindest in der Reichweite meines Blickes, vermerkt auf der Karte des ›Ich kann‹.« (AuG: 279) Die Dinggestalt ist also keine rein optische Form, die der Sehende kognitiv zu entschlüsseln hätte, sondern eine genuin praktische Einheit, die von der »fungierenden Intentionalität« des wahrnehmenden Leibes erfasst wird. Im Wahrnehmungsprozess verschmelzen also Leib und Ding zu einem Ganzen – Bruno Latour wird dieses Gespinst später »Hybrid« nennen –, das sowohl die Erscheinungsweise des Dings bestimmt als auch die perzeptive Syntax des Körperschemas beeinflusst. Von dieser »praxeologischen« Grundannahme ausgehend lassen sich zwei weitere wichtige Spezifika der leiblichen Dingwahrnehmung erklären: nämlich zum einen die intersensorische Kohärenz des Dingeindrucks und zum anderen das Phänomen der Dingkonstanz, also der Umstand, dass ein Ding stets als dasselbe wahrgenommen wird.
62 Eine Ausnahme bilden etwa die berühmten »Kippfiguren« (vgl. dazu auch Kapitel 3.1.2, Abbildung 5), die je nach Einstellung eine andere Gestalt zeigen und daher stets in eine andere Ansicht »umkippen« können (Hase – Ente, alte Frau – junge Frau). Tatsächlich können aber auch Dinge in der Natur zunächst als »etwas anderes« wahrgenommen werden: ein Busch als der Schatten einer menschlichen Gestalt oder aber eine Pfütze als Loch im Boden.
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Auch wenn sich Merleau-Ponty in seinen Beschreibungen vornehmlich auf den visuellen Sinn konzentriert, geht er stets davon aus, dass an jedem Wahrnehmungsvollzug alle Sinne auf die eine oder andere Weise beteiligt sind und miteinander kommunizieren (PdW: 273, 369).63 Ein Ding zu sehen, heißt demnach, neben seinen »rein« optischen Eigenschaften wie etwa der Farbe oder der Form auch gleichzeitig seine materielle Konsistenz und seine Oberflächenstruktur wahrzunehmen, also Wahrnehmungsqualitäten, die man empfände, wenn man es anfassen würde.64 »Die Anordnung der Farben auf einem Ding […] gibt in sich die Antworten zu verstehen, die es auf die Fragen eines jeden der anderen Sinne gäbe; ein Ding hätte nicht die und die Farbe, hätte es nicht diese oder jene Form, die und die taktilen Eigenschaften, diese Sonorität, diesen Geruch.« (PdW: 369)
Neben der Beobachtung, dass sich die verschiedenen Sinneseindrücke von ein und demselben Gegenstand stets zu einem komplementären Gesamteindruck ergänzen, stellt Merleau-Ponty zudem fest, dass ein Ding, sobald es einmal identifiziert und vom Leib praktisch »erfasst« wurde, in seiner Wahrnehmungserscheinung invariabel bleibt, auch wenn sich seine optischen Merkmale verschieben (PdW: 347). So ändert sich beispielsweise der Wahrnehmungseindruck von einem Gefäß nicht dadurch, dass der Betrachter statt von oben hineinzuschauen, es von einer anderen Seite oder gar aus einem größeren Abstand heraus betrachtet. Und ein Blatt Papier erscheint ihm auch dann als komplett »weiß«, wenn es zur Hälfte im Schatten liegt und somit streng genommen auf der einen Seite eher eine grau-bläuliche Farbe annimmt (PdW: 264ff.). In der alltäglichen Wahrnehmung werden also sowohl die Größe und Form als auch die Farbe als stets gleichbleibende Eigenschaften eines Gegenstandes erfahren, auch wenn diese rein optisch gesehen variieren können (Dingkonstanz). Zu (3): Objekterkennen: Das primordiale Wahrnehmungsgeschehen, durch das sich einzelne Gestalten allererst konfigurieren und sich schließlich als praktisch handhabbare, in sich konsistente Gegenstände erweisen, bildet Merleau-Ponty zufolge die Voraussetzung dafür, dass überhaupt so etwas wie eine prädikative Er-
63 Dass der Leib die Dinge normalerweise als komplexe intersensorische Eigenschaftenbündel erfährt, erklärt auch, warum eine Farbe »süßlich« oder »schrill« wirken kann oder eine Form als scharf oder weich empfunden wird. Das Phänomen der synästhetischen Wahrnehmung ist somit nichts anderes als eine durch Erfahrung gewonnene, in einer anderen Situation habituell hergestellte Assoziation von Sinneseigenschaften. 64 In Das Sichtbare und das Unsichtbare beschreibt Merleau-Ponty diesen Sachverhalt wie folgt: »Seine deutliche Gestalt [die des roten Dings, S.P.] ist verbunden mit einer gewissen, wolligen, metallenen oder porösen Konfiguration oder Textur.« (SU: 174)
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kenntnis im kantischen Sinne möglich wird. Das bewusste Erfahrungsurteil, das die Dinge nach Maßgabe bestimmter Kategorien und Anschauungsformen analysiert, einordnet und benennt, ist also erst der Abschluss eines dreistufigen Konkretisierungsprozesses, in dem die zweite Phase – das Gestaltwahrnehmen – für die alltägliche Praxis die wichtigere und fundierende darstellt. Mit dieser Annahme greift Merleau-Ponty eine Einsicht seines phänomenologischen Vordenkers Husserl auf, der in seinem Spätwerk Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie (Husserl 1976) die These vertrat, dass die Wurzeln und Bedingungen des wissenschaftlichen Wissens in dem Alltagswissen der Lebenswelt zu suchen sind. »Im Wahrnehmungsbewusstsein selbst aber gleicht die Wahrnehmung nicht einer Wissenschaft, sind Größe und Form des Gegenstandes uns nicht als Gesetze gegeben, vielmehr vollziehen sich die numerischen Bestimmungen der Wissenschaft gemäß der Vorzeichnung einer ihr je schon vorangegangenen Weltkonstitution.« (PdW: 350)65
Da sich Merleau-Ponty in Phänomenologie der Wahrnehmung aber vor allem auf die Analyse der priomordialen, leiblichen Sinngebung konzentriert und die bewusste Erkenntnis lediglich als Sekundäreffekt der Wahrnehmung versteht, stellt er sich nicht explizit die Frage, wie das wissenschaftliche Wissen auf die alltäglichen Wahrnehmungsprozesse und Wissenspraktiken zurückwirkt. An dieser Stelle wird jedoch später sein Schüler Foucault einhaken und Husserls These von dem Vorrang der alltäglichen Wissens- und Wahrnehmungspraktiken vom archäologischen Standpunkt der Diskursanalyse her in Frage stellen. Der Blick des Malers Neben seiner Analyse des alltäglichen Sehaktes, der die leibliche Umgebung allein nach Maßgabe der »fungierenden Intentionalität« abtastet, hat sich Merleau-Ponty stets auch für die künstlerische Wahrnehmungshaltung interessiert, die sich von allen praktischen Seh- und Verhaltensroutinen distanziert.66 So zeichnet sich der »malerische Blick« (PdW: 264, 356) Merleau-Ponty zufolge gerade dadurch aus, dass er
65 Vgl. auch bei Heidegger die Priorität des Zuhandenen vor dem Vorhandenen. Die »Zuhandenheit ist die ontologisch-kategoriale Bestimmung von Seiendem, wie es ›an sich‹ ist«, dagegen dringt das Erkennen »erst über das im Besorgen Zuhandene zur Freilegung des nur noch (!) vorhandenen vor« (Heidegger 1927: 71). 66 Für einen Überblick zu Merleau-Pontys Bild- und Kunstbegriff siehe Wiesing 2000, H.J. Silverman 2008, sowie insbesondere Waldenfels 2010. Für eine leibphänomenologische Analyse postmoderner bzw. zeitgenössischer Kunst siehe etwa die Beiträge in Kapust/Waldenfels 2010 sowie Schürmann 2000.
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hinter die gewohnten Gestalten, Dingkonstanten und Gegenstandsfarben zurückgeht und sich stattdessen ausschließlich auf die lokalen Formen und Farbschattierungen konzentriert. Paradoxerweise machen nämlich gerade diese »unsichtbaren« Schattenund Farbspiele, die von dem profanen Sehen normalerweise »übersehen« werden, erst den dreidimensionalen und räumlichen Wahrnehmungseindruck möglich (AuG: 285). Um eine Figur, einen Raum oder eine Landschaft bildlich darzustellen, muss sich der Maler also seines »menschlichen«, d.h. gestaltbildenden Blicks entledigen67 und das gesamte Wahrnehmungsfeld in einzelne Flächen, Linien und Farben zerlegen, um es auf der Leinwand zu neuen Figuren und Kompositionen zusammenzusetzen.68 Merleau-Ponty deutet das Gemälde somit als eine nach außen projizierte »Übersetzung« oder »Verobjektivierung« der leiblich vollzogenen Wahrnehmungssynthese, als eine »ins Sichtbare fortgesetzte Sehtätigkeit« (Wiesing 2000: 279). »Jenes innere Äquivalent, jene sinnliche Formel (formule charnelle) ihrer Gegenwart, die die Dinge in mir erwecken, warum sollten sie nicht einen wiederum sichtbaren Linienzug hervorrufen, in der jeder andere Blick die Motive wiederfinden würde, die seiner Sicht der Welt unterliegen? Dann erscheint ein Sichtbares in der zweiten Potenz, ein sinnliches Wesen (essence charnelle) oder ein Bild des ersten.« (AuG: 281)
Ein Bild ist also niemals einfach nur neutrales Abbild der sichtbaren Welt, sondern stets eine sinnstiftende Interpretation oder »Stilisierung«, die in der formalen Anordnung der Bildelemente eine bestimmte Sicht- und Existenzweise zur Darstellung bringt, wenn nicht gar erst produziert.69 Folglich hält Merleau-Ponty auch die klassische Perspektivmalerei nicht für eine »objektive« Repräsentation der Welt, die den Wahrnehmungsvorgang »naturgetreu« nachahmt, sondern für eine kulturell kodierte Darstellungsform, die nur »eine mögliche Interpretation des spontanen Sehens« (AuG: 124) unter vielen ist und somit eine ganz bestimmte Weltauffassung zur Anschauung bringt. Denn anstatt die
67 So spricht Merleau-Ponty auch von dem »Unmenschlichen« in Cézannes Malerei (AuG: 5, 14). 68 Die bildliche Darstellung ähnelt somit in gewisser Weise der Strukturierungs- und Syntheseleistung des gestaltbildenden Wahrnehmungsaktes. Zur Parallelität der Stilisierung in Wahrnehmung und Bild siehe auch Wiesing 2000. 69 In diesem Sinne heißt es in Das indirekte Sprechen: »Wenn ich […] Maler bin, wird das, was auf die Leinwand kommt, nicht mehr nur ein vitaler oder sinnlicher Wert sein, auf dem Bild wird nicht nur ›eine Frau‹ […] sein, sondern das Sinnbild einer bestimmten Art, die Welt zu bewohnen, mit ihr umzugehen, sie zu interpretieren durch das Gesicht wie durch die Kleidung, durch die Bewegtheit der Gebärde wie durch die Trägheit des Körpers, kurz, das Sinnbild einer bestimmten Beziehung zum Sein.« (AuG: 132)
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leiblich erlebte »Inkompassibilität« der koexistierenden Dinge zu reflektieren, überführt die zentralperspektivische Konstruktion die potentiell rivalisierenden »Ansichten« auf die Welt in ein befriedetes Nebeneinander gleichwertiger Gegenstandsformen (AuG: 125ff.). Die Zentralperspektive löst demnach den Betrachter aus seiner leiblichen Verankerung in der polymorphen Welt und bietet ihm stattdessen einen körperlosen Blick an, der das Präsenzfeld vollkommen beherrscht (AuG: 127). Damit klammert sie jedoch zwei wichtige Aspekte der leiblichen Wahrnehmungserfahrung aus: zum einen, dass sie stets von der undurchdringlichen Vielfalt der sichtbaren Welt umschlossen wird, und zum anderen, dass das Sichtbare nur dann Gestalt annehmen kann, wenn bestimmte Aspekte des Präsenzfeldes verdrängt, d.h. unsichtbar gemacht werden. Die moderne Malerei – so Merleau-Pontys These – zeichnet sich demgegenüber gerade dadurch aus, dass sie sich von einer rein optischen Bildauffassung löst und das »Zur-Welt-Sein« des Blicks zu ihrem eigentlichen Gegenstand erhebt.70 Die moderne Malerei ist also nicht eine bloß »subjektive« Kunst, wie noch André Malraux diagnostizierte71, sondern im Gegenteil eine Art bildhafte »Theorie des Sehens« (AuG: 284, 287), die in der leiblichen Konfrontation mit den Anordnungen der Welt die Bedingungen der Wahrnehmung (und der Malerei) aufzuspüren sucht. Diese neue »philosophische« Tendenz der modernen Malerei sieht Merleau-Ponty insbesondere in den Gemälden von Paul Cézanne am Werk. Denn Cézannes besondere Leistung liegt Merleau-Ponty zufolge darin, dass dieser in seiner malerischen Stilisierung nicht nur das Wahrgenommene festhält, sondern darüber hinaus auch die Bedingungen des Wahrnehmbarwerdens der Welt mit sichtbar macht. Cézannes Bilder besitzen also in gewissem Sinne eine »doppelte Sichtbarkeit« (Wiesing 2002: 278), nämlich sowohl die figurativen Darstellungen in dem Bild als auch den selbstreflexiven Anblick des Sehvorgangs selbst. Merleau-Ponty macht seine Interpretation erstens daran fest, dass Cézanne auf die alt bewährten malerischen Formeln verzichtet. So verwendet er weder klare Konturierungen, die eine Fixierung und Endgültigkeit der Dinggestalten suggerieren, noch organisiert er den Bildraum über die zentralperspektivische Konstruktion, welche die potentielle Multiperspektivität des leiblichen »Hier-und-Jetzt« sowie die dynamisch Rivalität der sichtbaren und unsichtbaren Gestalten negiert. Diese Distanzierung von den gewohnten Bildmodalitäten führt jedoch nicht dazu, dass Cézanne die strenge Analyse der manifesten Dinggestalten aufgibt und sich allein
70 So schreibt er in Das Auge und der Geist: »Das Sehen des [modernen, S.P.] Malers ist nicht mehr ein Blick auf ein Äußeres, eine bloß ›physisch-optische‹ Beziehung zur Welt. Die Welt liegt nicht mehr durch eine Repräsentation vor ihm.« (AuG: 305) 71 Merleau-Ponty bezieht sich hier auf Malraux’ Le musée imaginaire (Malraux 1947).
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dem Spiel der flüchtigen Erscheinungen hingibt.72 Wie Merleau-Ponty betont, scheint Cézanne vielmehr den fragilen Moment einfangen zu wollen, in dem die Dinge aus dem visuellen Rauschen auftauchen und Gestalt anzunehmen beginnen.
Abbildung 6: Paul Cézanne: Montagne Sainte-Victoire (1904-05) »Er will die festen Dinge, die in unserem Blick erscheinen, nicht von der flüchtigen Weise ihres Erscheinens trennen, er will die Materie malen, wie sie im Begriff ist, sich eine Form zu geben, will die durch eine spontane Organisation entstehende Ordnung malen.« (AuG: 9f.)
In diesem malerischem Anspruch, den Dingen im Moment ihres Erscheinens oder ihrer »Gestaltwerdung« einen Ausdruck zu verleihen, erkennt Merleau-Ponty eine Parallele zu seinen eigenen phänomenologischen Erkundungen. Auch er war stets darum bemüht, hinter die alltäglichen Wahrnehmungsroutinen und vertrauten Dinggestalten zurückzugehen, um die Mechanismen des primordialen Gestaltsehens ans Licht zu bringen. Der Maler Cézanne und der Philosoph Merleau-Ponty gehen also mit unterschiedlichen Mitteln ein und derselben Frage nach, nämlich wie die
72 Merleau-Pontys Meinung nach unterscheidet sich Cézanne in diesem Punkt von den Impressionisten, da »dieses Malen der Atmosphäre und die Zerlegung der Farbtöne den Gegenstand und seine eigentümliche Schwere zum Verschwinden« brachten (AuG: 7f.).
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bedeutungskonstitutive Scheidung von Figur und Grund, von Sichtbarem und Unsichtbarem einsichtig gemacht werden kann. »Sie [die Phänomenologie, S.P.] ist mühsam wie das Werk von Balzac, von Proust oder Cézanne: in gleichem Aufmerken und Erstaunen, in gleicher Strenge der Forderung an das Bewußtsein, in gleichem Willen, den Sinn von Welt und Geschichte zu fassen in statu nascendi.« (PdW: 18)
In einem seiner späten Texte, Das Auge und der Geist (AuG: 275-317), greift Merleau-Ponty seine Cézanne-Lektüre noch einmal auf und gibt ihr unter den Vorzeichen der von ihm anvisierten post-phänomenlogischen Ontologie eine neue Wendung: Der Maler erscheint nun nicht mehr als ein Leib, der sich die sichtbare Welt aktiv vermitteln muss und in der bildlichen Darstellung seinen inneren Wahrnehmungsvollzug »verobjektiviert«. Merleau-Ponty interpretiert ihn vielmehr – genauso wie die sichtbaren Dinge auch – als Teil des »Fleischs der Welt«, der lediglich eine Art Durchlaufstelle der überindividuellen visuellen Ordnung bildet. Die Malerei – so könnte man zusammenfassen – ist also keine Repräsentation, sondern ein »Zu-SichKommen des Sichtbaren« (AuG: 305). Um das zu verstehen, soll hier abschließend noch auf Merleau-Pontys späte Wahrnehmungstheorie eingegangen werden. 3.1.2.4 Das Sichtbare und das Unsichtbare Wie bereits ausführlicher dargestellt, ist Das Sichtbare und das Unsichtbare darauf ausgerichtet, die cartesianische Gegenüberstellung von Leib und Welt endgültig zu überwinden und stattdessen das all umfassende »Fleisch der Welt« (la chair du monde) als Brutstätte allen Sinns auszuweisen. Infolgedessen verabschiedet sich Merleau-Ponty nun mit aller Konsequenz von der anthropozentrischen Annahme, dass die Genese der »perzeptiven Syntax« auf die leibliche Auseinandersetzung mit den (historisch und kulturell spezifischen) Formen der Welt zurückzuführen sei, und geht demgegenüber davon aus, dass die Scheidung von wahrnehmendem Leib und wahrgenommenem Ding sowie von Sichtbarem und Unsichtbarem aus einer spontanen Ausdifferenzierung des »rohen Seins« resultiert. Oder anders ausgedrückt: In seinem Spätwerk führt Merleau-Ponty die bedeutungskonstitutive Gestaltbildung nicht mehr auf die Syntheseleistung des individuellen Leibes zurück, sondern sucht in den anonymen, innerweltlichen Strukturierungsprozessen des Fleisches die eigentliche Bedingung aller Wahrnehmung (SU: 262ff.). Diese quasistrukturalistische Reinterpretation der Bedingung von Wahrnehmung kommt jedoch nicht von ungefähr – vielmehr scheint Merleau-Ponty damit den gestalttheoretischen Gedanken zu radikalisieren, den er bereits in Phänomenologie der Wahrnehmung entwickelt hatte: nämlich die Idee, dass sich die sichtbaren Gestalten nur differentiell, d.h. in Abgrenzung und unter Absehung von den nicht bedeutsamen Hintergrundelementen des Präsenzfeldes identifizieren lassen. Etwas zu sehen heißt
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demnach immer auch, bestimmte potentiell ebenso sichtbare Aspekte der Welt eben nicht zu sehen – ja, noch nicht einmal sehen zu können. Die Welt ist also zu keinem Zeitpunkt vollständig sichtbar. Jede aktuelle Ansicht ist stets von simultan existierenden, rivalisierenden Gegenwarten umgeben, die nur unter anderen strukturellen Bedingungen – d.h. durch eine Verschiebung der gesamten differentiellen Ordnung – sichtbar werden könnten. Während sich Merleau-Ponty in der Phänomenologie der Wahrnehmung vornehmlich für die positive Form interessierte, die im Auge des Betrachters entsteht, legt er nun den theoretischen Schwerpunkt auf das strukturelle Differenzierungsgeschehen als solches, also auf die Frage, wie in das Kontinuum des »rohen Seins« die gestaltkonstitutive Trennlinie zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem eingeführt wird. »It [Das Sichtbare und das Unsichtbare, S.P.] has a focus of a most peculiar and challenging sort. It enjoins us to look neither at the duck, nor the rabbit, nor the oscillating series duckrabbit-duck-rabbit-duck-rabbit … Rather, we must learn to look at the patterns of lines which cleave space in such a way as to make a hinge around which ducks and rabbits may pivot.« (Schmidt 1985: 159)
Neben der Hinwendung zu den »anonymen« Strukturen der Sichtbarkeit ist Merleau-Pontys späte Wahrnehmungstheorie von einer weiteren post-anthropozentrischen Zuspitzung eines leibphänomenologischen Grundgedankens getragen: der Überwindung der radikalen Differenz von wahrnehmendem Subjekt und wahrnehmbarem Objekt. Denn wie zu Anfang des Kapitels ausführlich dargestellt wurde, distanzierte sich Merleau-Ponty bereits in der Phänomenologie der Wahrnehmung von der transzendentalphilosophischen Annahme, dass die Anschauungsformen und das Apperzeptionsvermögen apriori existieren, und betonte stattdessen, dass die Art und Weise, wie die Dinge dem Subjekt erscheinen, stets von der unmittelbaren leiblichen Konfrontation mit ihnen bedingt wird. In Das Sichtbare und das Unsichtbare geht Merleau-Ponty noch einen Schritt weiter und stellt die These auf, dass der wahrnehmende Leib insofern mit den wahrnehmbaren Dingen verflochten ist, als beide aus demselben »Fleisch der Welt« hervorgegangen sind. Der Sehende und das Sichtbare sind also nicht von vornherein zwei abgeschlossene, einander gegenüberstehende Entitäten, die sich in einem unendlichen Zirkelschluss wechselseitig beeinflussen.73 Als die beiden komplementären Pendants der Sichtbarkeit, die aus der Selbstteilung des Fleisches entstehen, bilden sie vielmehr notwendige Be-
73 So schreib Merleau-Ponty in Das Sichtbare und das Unsichtbare: »Gegeben sind also nicht etwa mit sich selbst identische Dinge, die sich dem Sehenden im Nachhinein darbieten würden, und ebenso wenig gibt es einen zunächst leeren Sehenden, der sich ihnen im Nachhinein öffnen würde.« (SU: 173)
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standteile derselben strukturellen Ordnung und bleiben daher trotz ihrer unüberwindlichen Trennung stets aufeinander bezogen. Mehr noch: Erst dieser Chiasmus macht es möglich, dass der Leib sich der Welt wahrnehmend öffnen kann. »Das Sichtbare kann mich somit nur deshalb erfüllen und besetzen, weil ich als derjenige, der es sieht, es nicht aus der Tiefe des Nichts heraus sehe, sondern aus der Mitte seiner selbst, denn als Sehender bin ich ebenfalls sichtbar; das Gewicht, die Dichte, das Fleisch jeder Farbe, jedes Tones, jedes tastbaren Gewebes, der Gegenwart und der Welt kommt dadurch zustande, daß derjenige, der sie erfaßt, sich wie durch eine Art Einrollung oder Verdoppelung aus ihnen auftauchen fühlt, von Grund auf gleicher Art ist wie sie, daß er das zu sich selbst kommende Sinnliche ist und daß das Sinnliche hinwiederum vor seinen Augen liegt wie seine Doublette oder eine Erweiterung seines Fleisches.« (SU: 152)
Eine solche chiasmatische Verschränkung der Leiber und der Dinge impliziert eine grundsätzliche Reversibilität von Wahrnehmendem und Wahrgenommenem. Ebenso wie die Hand, die etwas aktiv berührt und gleichzeitig Gegenstand einer Berührung werden kann, erfährt sich auch der Leib nicht nur als aktiv-sehend, sondern stets als sicht- und beobachtbar (AuG: 279) – er ist »als sichtbares Ding […] im großen Schauspiel [der Welt, S.P.] mitenthalten« (SU: 182). Merleau-Ponty meint damit aber nicht nur die intersubjektive Relation, in der sich die Augenpaare eines anderen Leibes auf den eigenen Körper richten. Auch die scheinbar leblosen Dinge können zu Trägern eines »anonymen Blicks« werden, da sie aufgrund ihrer konstitutiven Teilhabe am Sehakt eine Art nach außen projizierte »Verlängerung« des sehenden Leibes darstellen (AuG: 280). In diesem Sinne attestiert Merleau-Ponty dem Sehen und der Sichtbarkeit eine grundlegende narzisstische Struktur: Der Sehende sieht in den sichtbaren Dingen »immer noch sich selbst« und fühlt sich aus diesem Grund gleichzeitig »von den Dingen beobachtet« (SU: 183) oder »betrachtet« (AuG: 286).74 Während diese »fleischliche« Reversibilität von Leib und Ding im alltäglichen Wahrnehmungsgeschehen nur selten in zumeist höchst irritierenden Momenten spürbar wird, gehört es Merleau-Ponty zufolge zu einer der zentralen Anstrengungen des bildenden Künstlers, sich dieser Erfahrung gänzlich hinzugeben. Der Maler versucht mit anderen Worten, im Sehakt alle Aspekte des Seins zu erfassen und da-
74 Sowohl die These, dass das Sehen kein individuelles Vermögen darstellt, sondern durch eine anonyme strukturelle Ordnung vermittelt ist, als auch der Gedanke, dass die Dinge Träger des Blicks werden können, wurde von Lacan aufgegriffen. Anders als MerleauPonty, der eine fast vollkommene Reversibilität von Sehendem und Gesehenem anzunehmen scheint, interessiert sich Lacan in erster Linie für den Bruch zwischen dem äußeren Schauspiel der Welt und dem Individuum, das sich darin nicht reibungslos einzupassen vermag. Siehe dazu Kapitel 3.2.2.1.
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bei die Grenzen seiner Selbst im »Meer des rohen Seins« aufzulösen. In diesem Sinne wird er zu einem »passiven« Medium des »anonymen« Sehens des Fleisches, das von ihm selbst nicht mehr beherrscht oder dirigiert werden kann. Im Gegenteil: »Vielmehr ist es der Maler, der in den Dingen geboren wird wie durch eine Konzentration oder ein Zu-Sich-Kommen des Sichtbaren; und das Gemälde bezieht sich schließlich nur dann auf irgendetwas unter den empirischen Dingen, wenn es zunächst ›autofigurativ‹ ist.« (AuG: 305)
Anknüpfend an seine frühere Cézanne-Lektüre behauptet Merleau-Ponty daher nun, dass es diesem stets um das »Aufblitzen des Seins« (AuG: 303) gegangen wäre, das nur dann zum Vorschein kommt, wenn man hinter die äußere »Haut« der Dinge zurückgeht. Wie Bernhard Waldenfels bemerkt hat, bietet Merleau-Pontys post-phänomenologische These von der dem Fleisch immanenten Ausdifferenzierung der sichtbaren Welt auf der einen und dem sehenden Leib auf der anderen Seite erste Anknüpfungspunkte für eine historische Theorie der Wahrnehmung, die sich nicht auf die Geschichte der Repräsentationsmodi beschränkt, sondern auf die »Ordnung der Dinge« selbst übergreift (Waldenfels 1986: 157). Merleau-Ponty arbeitet jedoch weder genauer heraus, welche Mechanismen der historisch und kulturell spezifischen Ausdifferenzierung von Sichtbarkeitsordnungen zugrunde liegen, noch wie sich die Reversibilität von sichtbarer Welt und sehendem Leib in dem konkreten Wahrnehmungsakt selbst abzeichnet – also wie die verschiedenen Formen der Welt mit den verschiedenen Formen des Sehens korrespondieren. Im Folgenden wird daher vorgeschlagen, einen alternativen Ansatz auszuformulieren, der ebenfalls ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis von der historischen »Ordnung der Dinge« und dem Apperzeptionsvermögen voraussetzt, aber diesen Zusammenhang aus einer »archäologisch-genealogischen« Relektüre der Phänomenologie der Wahrnehmung entwickelt. 3.1.3 Eine Genealogie der leiblichen Wahrnehmung Im Folgenden wird es darum gehen, Foucaults historisches Theorie- und Analyseprogramm mit Merleau-Pontys Leibphänomenologie zusammenzudenken. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob und wie beide Perspektiven zu einem Ansatz synthetisiert werden können, der die Wechselbeziehung zwischen historischer visueller Ordnung auf der einen und körperlichen Wahrnehmungspraktiken auf der anderen Seite theoretisch greifbar macht. Zu diesem Zweck werden zunächst die allgemeinen Parallelen und Differenzen zwischen dem leibphänomenologischen und dem archäologisch-genealogischen Analyseprogramm in aller Kürze dargestellt, um daran anschließend zu diskutieren, inwiefern sich beide Ansätze sinnvoll verbinden
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lassen. Schwerpunkte dieses abschließenden Vergleichs bilden auf der eine Seite Merleau-Pontys Versuche, die sozio-kulturellen »Horizonte« der gestaltbildenden »perzeptiven Syntax« (PdW: 58) zu bestimmen, sowie auf der anderen Seite Foucaults machttheoretisches Konzept des gouvernementalen Dispositivs, dem zufolge die (Selbstführungs-)Praktiken der Subjekte von den ihnen äußeren materiellen, visuellen und diskursiven Ordnungen bedingt werden. Eine solche Gegenüberstellung liegt allerdings nicht unbedingt auf der Hand, da sich Foucault zu Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere äußerst vehement von der phänomenologischen Theoriebildung abgegrenzt und diese in Die Ordnung der Dinge sogar als ein aussichtsloses Unterfangen dargestellt hat, das dazu verdammt sei, zwischen Empirismus und Transzendentalismus unendlich zu oszillieren (OD: 388f.). Diese starke Abgrenzung gegenüber dem phänomenologischen Theorie- und Analyseprogramm spiegelt sich – zumindest auf den ersten Blick – ganz deutlich in der »anti-anthropologischen« Haltung der Archäologie wider: Denn während Merleau-Ponty das ursprüngliche, vorprädikative Sinnverstehen des individuellen Leibes zum Ausgangspunkt der Analyse wählt, zeichnet sich Foucaults archäologische Bestimmung der historischen Denk- und Sagbarkeitssysteme gerade dadurch aus, dass sie das individuelle Subjekt komplett ignoriert und statt dessen bei den überindividuellen und äußerlichen Strukturen der manifestierten Aussagesysteme ansetzt. Trotz dieser fundamentalen Differenz der analytischen Zugangsweisen zeigt sich bei näherer Betrachtung jedoch, dass die Archäologie mit einigen Grundannahmen des leibphänomenologischen Theorieprogramms übereinstimmt und sich Foucault dementsprechend gar nicht so leicht von seinem ehemaligen Lehrer lossagen kann, wie er glauben machen möchte. 3.1.3.1 Das leibliche Selbst und der unterworfene Körper. Ein Vergleich So teilen beide Ansätze das Bestreben, sich einerseits von dem transzendentalen Intellektualismus der bewusstseinsphilosophischen Tradition loszusagen, aber andererseits nicht in einen positivistischen Empirismus zu verfallen, der allein den natürlichen oder ökonomischen Gesetzen eine reale Wirksamkeit zugesteht. Um diesen beiden unliebsamen Alternativen zu entgehen, verlagern sowohl Merleau-Ponty als auch Foucault die Bedingungen des Bewusstseins in ein exzentrisches »konkretes Apriori«, nämlich entweder in den Leib des Subjekts, der sich zu seiner ihm äußeren, historisch wandelbaren Welt ins Verhältnis setzen muss (Merleau-Ponty), oder aber in die Quasi-Materialität der diskursiven Aussageformationen, die das Denkund Sagbare bedingen (Foucault). In beiden Perspektiven wird das Subjekt also nicht als eine ahistorische, invariable Instanz konzipiert, sondern als eine »Falte« im Stoff der Zeit, die eine ihm äußere, manifeste Struktur – sei es die Welt oder das Aussagesystem – in sich einschließt. »Ich bin also nicht, mit Hegel zu reden, ein
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›Loch im Sein‹, sondern eine Höhlung, eine Falte, die sich im Sein gebildet hat und auch wieder verschwinden kann.« (PdW: 252)75 Da die Leibphänomenologie mit ihrer Annahme, dass sich das »wahre« Denken aus dem konkreten »Zur-Welt-Sein« des Leibes ableitet, die Historizität und kulturelle Variabilität von Subjektivität, die Foucault später konsequent ausbuchstabieren wird, bereits anvisiert, muss Foucaults Fundamentalkritik aus Die Ordnung der Dinge ein Stück weit relativiert werden. Zugespitzt formuliert ließe sich sogar behaupten, dass Foucaults Archäologie »die genetische Phänomenologie« nicht überwindet, sondern lediglich »mit anderen Mitteln fortsetzt« (Waldenfels 1983: 517). Allerdings – und das ist der entscheidende und folgenschwere Unterschied – ist Foucaults Ansatz um einiges radikaler als die existentialistische Leibphänomenologie, die sich nicht vollständig von der Bewusstseinsphilosophie lösen kann. Denn die Rede von der »Wahrnehmung« des Leibes als eine vorprädikative, vorbewusste Form des Sinnverstehens tendiert dazu, »die Privilegien des Bewusstseins lediglich an eine andere Instanz, nämlich den Leib« (Waldenfels 1983: 177) zu delegieren und die Aporien der Bewusstseinsphilosophie so in einen »empirisch-transzendentalen« (OD: 384) Zirkelschluss oder – wie Merleau-Ponty selbstkritisch zugeben wird – eine »schlechte Ambiguität« (Vorl: 16) zu überführen.76 Demgegenüber abstrahiert Foucault zunächst vollkommen von der Kategorie des Subjekts und dreht das phänomenologische Modell in gewisser Weise um: Statt die Wortsprache und das wissenschaftliche Wissen aus dem Sinnverstehen der leiblichen Erfahrung abzuleiten, vertritt er die gegenteilige These, dass die Strukturen der »seriösen« Diskurse erst die Erfahrungs- und Praxisräume einrichten, die dann vom Subjekt ausgefüllt werden können. Leibphänomenologisch formuliert heißt das, dass Foucault das »Primat der Wahrnehmung« durch ein »Primat des Diskurses« ersetzt und somit die Genese der »perzeptiven Syntax«, die Merleau-Ponty noch auf den wechselseitigen Austausch zwischen individuellem Leib und Welt zurückführte, allein auf der Seite der »äußeren Welt« und hier in einem spezifischen privilegierten Bereich, dem textuell fixierten Wissen, verortet. Das Subjekt kann also nicht
75 Die berühmte Metapher vom Subjekt als »Falte« geht also ursprünglich auf MerleauPonty zurück und wird von Foucault und Deleuze lediglich aufgegriffen (OD: 27; Deleuze 1987: 168). 76 Wie in Kapitel 3.1.1.3 näher dargestellt, entwickelt Merleau-Ponty in seinem Spätwerk jedoch einen alternativen, post-phänomenologischen Ansatz, der nicht von vornherein von der noch der Bewusstseinsphilosophie verpflichteten Welt-Leib-Dichotomie ausgeht, sondern annimmt, dass sich diese erst aus dem »Fleisch der Welt« heraus entwickelt. Mit dieser Perspektive überwindet er die empirisch-transzendentale Ambivalenz und schlägt damit im Prinzip eine ähnliche Richtung ein wie Foucault, der jedoch in seinem Impetus und seiner Diktion um einiges radikaler erscheint. Siehe dazu auch Cohen 2000.
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deshalb die Dinggestalten identifizieren, weil sein Leib in der Auseinandersetzung mit der Welt entsprechende Wahrnehmungsschemata ausgebildet hat, sondern weil die sprachlichen Wissensordnungen ihm genau vorschreiben, was zu sehen ist und was nicht. In seinen Bildanalysen in Die Ordnung der Dinge oder Die Malerei von Manet lockert Foucault dieses »textualistische« Argument insofern ein wenig, als er nun auch dem bildlichen Diskurs eine gewisse Eigenlogik zugesteht. Anders als Merleau-Ponty, der in Cézannes Bildern eine Repräsentation des Sinns in statu nascendi zu entdecken vermeinte, glaubt Foucault – jedenfalls zu der Zeit, in der er seine Las Meninas-Analyse verfasste – jedoch nicht mehr daran, dass die Kunst ein ungeordnetes »rohes Sein« jenseits der diskursiven Ordnung offenbaren könne. Seine Bildanalysen sind vielmehr darauf ausgerichtet, die wissens- und wahrnehmungskonstituierende Wirkung in den historisch und kulturell spezifischen Regelmäßigkeiten der formalen Bildeigenschaften aufzudecken. Foucault geht es also auch in seinen Bildbetrachtungen nicht um die Rekonstruktion des individuellen Wahrnehmungsvollzugs, sondern um die Art und Weise, wie die bildlichen Repräsentationen die Parameter der differentiellen Gestaltwahrnehmung, d.h. die historischen Sicht- und Unsichtbarkeiten allererst erzeugen.77 Die archäologische Analysestrategie, die den Prozess der visuellen und sprachlichen Sinngenese konsequent in das Außen des Subjekts verlagert, hat gegenüber der leibphänomenologischen Perspektive sowohl Vor- als auch Nachteile. Zu den Vorteilen zählt sicherlich, dass Foucault die Bedingungen des erkennenden Denkens und Sehens ganz eindeutig auf nur eine Seite des existentiellen Geschehens, nämlich die des quasi-materiellen (Bild-)Diskurses zurückführt. Damit sagt er sich entschiedener als Merleau-Ponty von der Bewusstseinsphilosophie los und verstrickt sich nicht allzu schnell in eine zirkuläre Argumentationsfigur, die zwischen den multidimensionalen Aspekten der Welt und des Leibes hin- und herpendelt.78 Zudem zeigt seine poststrukturalistische Diskursanalyse, die sich vor allem für den historischen Wandel der übergeordneten Diskursmuster oder Episteme interessiert, noch viel entschiedener und konsequenter als die Leibphänomenologie auf, warum und inwiefern das Subjekt als ein historisch und sozio-kulturell kontingentes Wesen zu verstehen ist. Diesen analyse- und theoriesystematischen Vorteilen stehen aber auch einige Nachteile gegenüber: So impliziert die einseitige Konzentration auf den Diskurs,
77 Zu Foucaults und Merleau-Pontys unterschiedlichen Bildbegriffen siehe auch Fóti 2003: 53ff., sowie Shapiro 2003: 228ff. 78 Wie Dreyfus und Rabinow betonen, entkommt aber auch die Archäologie nicht dem Problem der transzendental-empirischen Doppelung, da sie eine empirische Regelmäßigkeit, die der Aussageformationen, zur historisch-transzendentalen Regel des Bewusstseins erhebt (Dreyfus/Rabinow 1987: 119).
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dass alle nicht-diskursiven Praktiken und Erfahrungen des Subjekts sowie alle Erscheinungen der Welt zu Epiphänomenen degradiert und aus der Analyse ausgeklammert werden. Diese rein »textualistische« Strategie bleibt jedoch erstens ganz eindeutig hinter Merleau-Pontys Bemühungen zurück, die cartesianische KörperGeist-Dichotomie mithilfe des Begriffs des Leibes bzw. des leiblichen Verhaltens zu überwinden, und kann dementsprechend zweitens auch nicht der praxis- und wahrnehmungskonstitutiven Wirksamkeit der dinglich-visuellen Formationen gerecht werden. Im Gegenteil: Die Archäologie bestreitet sogar, dass es jenseits der Ordnung des Diskurses einen eigenständigen senso-motorischen Austausch zwischen Körper und Welt, zwischen Wahrnehmungsvollzug und Dinggestalten geben kann. Dieser bewusste Verzicht auf einen individualistischen Körper- und Erfahrungsbegriff führt ferner dazu, dass der frühe Foucault weder den historischen Wandel noch die (kritische) Aktivität des Subjekts begründen kann. Denn dadurch, dass er vollständig vom Individuum und seinen alltäglichen Praktiken abstrahiert und sich allein auf die Regelmäßigkeiten der übergeordneten Denksysteme konzentriert, verliert er aus den Augen, dass die diskursiv konstruierten Denk-, Wahrnehmungs- und Erfahrungsangebote von den historischen Subjekten jeweils unterschiedlich aufgegriffen, ausgefüllt und im Grenzfall auch verschoben werden können. Es mag u.a. an diesen analytischen Engpässen der Archäologie liegen, dass Foucault seinen historischen Ansatz in seiner darauffolgenden Schaffensperiode, der »genealogischen« Phase, um die nietzscheanische Frage der Macht ausbaut, was – wie bereits ausführlich dargestellt wurde – eine Reihe von grundlegenden konzeptionellen Veränderungen mit sich bringt. Für den Vergleich mit Merleau-Ponty ist dabei von besonderem Interesse, dass Foucaults neu eingeführtes Konzept des »machttechnologischen Dispositivs« nun auch den Körper und seine nicht-diskursiven Praktiken sowie die räumliche, visuelle und materielle Anordnung von Architekturen und Artefakten als Austragungsorte und Medien historischer Prozesse und Subjektivierungsweisen anerkennt. Mit dieser praxis- und körpertheoretischen Neuausrichtung rückt Foucaults historische Perspektive wieder dichter an das Analyse- und Theorieprogramm der Leibphänomenologie heran. Denn Merleau-Ponty nimmt ebenfalls an, dass der »fungierende Leib« oder das vorbewusste »leibliche Ich« erst durch den Kontakt mit seiner räumlich-sinnlichen Umgebung an Einheitlichkeit gewinnt. Trotz dieser grundlegenden thematischen Übereinstimmungen79 schlägt Foucault aber auch hier einen anderen Weg als Merleau-Ponty ein: Statt bei den sinnproduzierenden Prozessen des individuellen Leibes anzusetzen und die Ausbildung der perzeptiv-praktischen Fähigkeiten als einen wechselseitigen Aushandlungsprozess zwischen Welt und aktivem Leib zu verstehen, führt er das Erlernen von körperlichen Praktiken auf die »Macht-
79 Siehe dazu auch Crossley 1996: 100.
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technologien« zurück, die von außen formend auf den Körper einwirken. Foucault legt seinem Körperbegriff somit ebenfalls eine dem archäologischen Diskurskonzept vergleichbare externalisierende Argumentationsfigur zugrunde, welche die äußeren (quasi-)materiellen Verhältnisse und Zurichtungsprozeduren als das ursächliche, konkrete Apriori des körperlichen bzw. kognitiven Soseins des historischen Subjekts identifiziert. Diese Ausrichtung auf die äußeren Bedingungsfaktoren des historischen Körpersubjekts impliziert, dass Foucault mit dem Raum- und Visualitätsaspekt ein ganz anderes Interesse verfolgt als Merleau-Ponty. Denn im Unterschied zu letzterem interessiert sich Foucault nicht dafür, wie der sinnlich-sinnstiftende Leib den Raum erlebt und als einen funktionalen Tätigkeitsraum für sich erschließt oder wie das Individuum lernt, die Dinggestalten von den Horizonten zu unterscheiden, um mit ihnen hantierten zu können. Vielmehr geht es ihm darum aufzuzeigen, wie die manifesten Zwänge der räumlichen Strukturen und Beobachtungsverhältnisse auf das äußerliche Verhalten des Subjekts einwirken, um es körperlich und seelisch an die gegebenen sozio-kulturellen und ökonomischen Normen anzupassen. Oder wie es Crossley kurz und bündig formuliert: »Merleau-Ponty’s body acts, where Foucault’s body is acted upon.« (Crossley 1996: 104) Damit trifft auch auf die Genealogie zu, was bereits für die Archäologie festgehalten wurde, nämlich dass sie viel pointierter als die individualistisch orientierte Leibphänomenologie herausarbeiten kann, wie das Subjekt, sein Körper und seine Erfahrungen durch die sozialen und historischen Dispositive bedingt sind und erzeugt werden. Allerdings hat diese analytische Schärfe auch ihren Preis: So fällt in Bezug auf die Frage der Visualität und der visuellen Praktiken zumindest eine systematische Leerstelle des genealogischen Macht- und Körperkonzepts auf: nämlich das Versäumnis, die »Normalisierung« der körperlichen Erfahrung und visuellen Wahrnehmung als Ergebnis der machttechnologischen Zurichtung zu analysieren. Zwar stellt Foucault in Überwachen und Strafen das panoptische Gefühl des »Gesehenwerdens« als eine Form der »visuellen« Machtausübung heraus, aber bedenkt nicht, dass sich die gesellschaftlichen Macht- und Wissensverhältnisse auch in den Gestalten der visuell-materiellen Formationen der Dinge abzeichnen. Foucault arbeitet mit anderen Worten nicht heraus, inwiefern nicht nur die »äußeren« körperlichen Praktiken, sondern auch der Wahrnehmungs- und Sinnesapparat des Subjekts durch seine interobjektive Beziehung mit den sichtbaren Gegenstands-, Technikund Architektursystemen »diszipliniert« werden. Mit der Vernachlässigung der Erfahrungsdimension geht zudem einher, dass Foucault weder die Inkorporierungsprozesse, also die Art und Weise, wie die äußeren diskursiven und nicht-diskursiven Bedingungen der Erfahrung von dem körperlichen Subjekt aufgegriffen und internalisiert werden, noch den Aspekt des »impliziten« Körperwissens zufrieden stellend beschreibt. In der genealogischen Perspektive erscheinen die körperlichen Subjekte wie eine unendlich formbare Masse, die sich an
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alle machttechnologischen Veränderung der äußeren Verhältnisse problemlos anpassen kann. Demgegenüber ist jedoch anzunehmen, dass die körperlichen Fähigkeiten und Praktiken, die das Subjekt im Laufe seines Lebens erlernt, eine gewisse nicht steuerbare Persistenz besitzen, die u.U. mit neuen Anforderungen kollidieren. Dieser Aspekt verweist auf eine weitere Schwachstelle des genealogischen Machtmodells: Denn anders als Merleau-Ponty, der stets die gestaltende Aktivität des senso-motorischen Leibes betont, kann Foucault mit seinem deterministischen Macht- und Körperkonzept (noch) nicht begründen, warum und inwiefern das historische Subjekt seinen äußeren diskursiven und nicht-diskursiven Bedingungen einen Widerstand entgegensetzen kann. Bevor nun näher darauf eingegangen wird, wie sich die Frage der Dingwahrnehmung und der Inkorporierung (visueller) Ordnungen mithilfe der leibphänomenologischen Wahrnehmungstheorie in das Foucault’sche Analyseschema integrieren lässt, soll an dieser Stelle noch ein vergleichender Blick auf Foucaults spätes Gouvernementalitäts- und Subjektkonzept und Merleau-Pontys Freiheitsbegriff geworfen werden. Wie bereits ausführlich dargestellt, weist Foucaults Spätwerk zwei entscheidende Neuerung gegenüber der Genealogie auf: Erstens gibt Foucault seine ursprünglich resolut anti-subjektivistische Haltung auf und gesteht nun dem Subjekt zu, mithilfe von selbstinduzierten körperlich-mentalen »Selbsttechnologien« und gezielten Inkorporierungen sowohl auf sich selbst als auch auf die Welt ganz aktiv gestaltend einwirken zu können. Und zweitens betont er nun, dass die diskursiven und nicht-diskursiven Machttechnologien die aktiven (Selbst-)Führungen und Praktiken des Subjekts lediglich indirekt steuern und kanalisieren können (DE4/306: 286f.).80 Foucault räumt dem individuellen Akteur nun die »relative Freiheit« ein, sich gegenüber den Handlungs- und Erfahrungsangeboten des machttechnologischen »Möglichkeitsraums« auf unterschiedliche Weise verhalten zu können. Wie bereits angedeutet, weist dieses »offenere« praxeologische Macht- und Subjektkonzept erstaunliche Parallelen zu Merleau-Pontys Freiheitsbegriff aus dem letzten Kapitel der Phänomenologie der Wahrnehmung auf, dem zufolge das leibliche Subjekt den historischen und sozialen Bedingungen seiner Existenz zwar nicht entkommen, diese aber durch seine kritischen Praktiken und Verhaltensweisen zumindest verschieben und transformieren kann. Am Ende seiner Karriere kehrt Foucault also zu dem Punkt zurück, von dem er sich mit seiner Archäologie eigentlich hatte entfernen wollen, nämlich zu dem zirkulären Subjektmodell der (Leib-) Phänomenologie, das in den äußeren, empirischen Bedingungsverhältnissen des Individuums die notwendigen Grundlage dafür sieht, dass es die Parameter seines eigenen Bedingtseins in seinen Praktiken verändern kann.
80 Siehe dazu ausführlicher Kapitel 2.3.1.
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Allerdings, und das ist die zentrale theoriesystematische Differenz zwischen poststrukturalistischer Gouvernementalitätstheorie und leibphänomenologischem Geschichtsbegriff, legt erstere trotz zögerlicher Berücksichtigung der körperlichmentalen »Erfahrungsformen« und einiger Zugeständnisse an die »Aktivität« des Subjekts ihren analytischen und theoretischen Schwerpunkt auf die subjekt- und praxiskonstitutive Funktion der diskursiven und nicht-diskursiven Strukturen des Dispositivs, während sich die leibphänomenologische Perspektive in erster Linie mit der individuellen Erfahrung auseinandersetzt und dafür die Historizität des Subjekts nicht genauer ausbuchstabiert. Beide Ansätze können also voneinander profitieren: Foucaults historisches Körper- und Subjektmodell von dem differenzierten Erfahrungs-, Wahrnehmungs- und Praxisbegriff der Leibphänomenologie und die leibphänomenologische Wahrnehmungs- und Verhaltenstheorie umgekehrt von der konsequent historisierenden Perspektive des Gouvernementalitätsmodells, das in der Formation der individuellen Erfahrungsformen und Praktiken eine allgemeinere Ordnung aufspürt. Die folgenden Überlegungen konzentrieren sich jedoch nur auf einen Teilaspekt dieser möglichen, umfangreicheren Zusammenführung, nämlich auf die Frage, ob und inwiefern sich Merleau-Pontys Wahrnehmungstheorie dazu eignet, Foucaults Ansätze, die historische Ordnung der »Sichtbarkeit« zu bestimmen, um den Aspekt der überindividuellen und aktuellen visuellen (Ding-)Wahrnehmung zu ergänzen. Es geht mit anderen Worten darum, das leibphänomenologische Konzept der »perzeptiven Syntax« für eine archäologisch-genealogische Analyse der visuellmateriellen Formation der Dinggestalten sowie ihrer wahrnehmungs- und praxiskonstitutiven Funktion fruchtbar zu machen. 3.1.3.2 Die Formation der Dinggestalten Eine solche Übertragung bietet sich deshalb an, weil Merleau-Ponty trotz seines vornehmlichen Interesses an dem individuellen Sinnverstehen des Subjekts mit dem Begriff der »Gestalt« das Feld der Sichtbarkeit ähnlich differentiell bestimmt wie Foucault in seiner archäologischen Phase. So kann Merleau-Ponty zufolge das Subjekt nur deshalb positive, abgrenzbare Dinggestalten wahrnehmen, weil dafür andere potentiell sichtbare Aspekte der Welt in den Hintergrund verschwinden. Das Sichtbare ist somit stets von einem innerweltlichen »Unsichtbaren« umgeben (SU: 198), das nicht einfach jenseits der Erfahrbarkeit liegt oder eine faktische äußere Grenze des Sehens bildet, sondern für das Sehen eine konstitutive Bedeutung besitzt. Wie im Wahrnehmungsvollzug das Sichtbare vom Unsichtbaren geschieden wird, also welche intelligiblen Gestalten sich von dem nicht-differenzierten Untergrund abheben, hängt dabei von der jeweiligen »perzeptiven Syntax« (PdW: 58) ab, die das Subjekt in Anschlag bringt, um sich seine Welt zu vermitteln. Man könnte also sagen, dass Merleau-Ponty mit Foucault in der Annahme übereinstimmt, dass das Sehen auf einer historisch und kulturell kontingenten Sehordnung basiert, die
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bestimmte formale Aspekte, Gestalten und Zusammenhänge als »sehenswürdig« heraushebt und dafür andere, weniger prägnante oder visuell nicht intelligible Elemente aus dem Sichtfeld ausklammert (Waldenfels 1999: 106). Der entscheidende analytische Mehrwert der leibphänomenologischen Wahrnehmungstheorie liegt jedoch darin, dass Merleau-Ponty die visuelle Ordnung nicht aus dem Diskurs oder den intersubjektiven Machtbeziehungen ableitet, sondern als ein dem Wahrnehmungsprozess immanentes Strukturierungsgeschehen betrachtet. Darüber hinaus buchstabiert er mit seinem Begriff des senso-motorischen Körperschemas konsequenter und differenzierter aus, wie das Subjekt die ihm äußere visuelle Ordnung inkorporiert. Im Gegensatz zu Foucault, der mit dem archäologischen Diskursmodell der Eigenlogik des visuellen Wahrnehmens ausweicht und in der genealogischen Architekturanalyse die Frage des aktiven Sehens zugunsten der Analyse des passiven »Gesehenwerdens« zurückstellt, entwickelt Merleau-Ponty also einen Ansatz, der einerseits das differenzierende »Gestaltsehen« als eine kulturell geprägte Fähigkeit des historischen Körpers herausstellt und andererseits die diesen Gestalten zugrunde liegenden historisch spezifischen Anschauungsformen und Apperzeptionen aus den formalen Anordnungen der sichtbaren Welt selbst ableitet. Um diese äußerst gewinnbringende visualitätstheoretische Perspektive in Foucaults Subjekt- und Geschichtsmodell integrieren zu können, müssen jedoch noch einige intertheoretische Unstimmigkeiten geklärt werden: So ergibt sich eine erste Inkompatibilität zwischen Archäologie und Leibphänomenologie aus der Tatsache, dass es Merleau-Ponty niemals darum ging, eine konsistente »Geschichte des Sehens« zu schreiben. Im Gegenteil: Als Philosoph hat er seine phänomenologischen Bemühungen vielmehr darauf ausgerichtet, hinter die kulturellen und historischen Wahrnehmungsformen zurückzugehen, um in dem konkreten, unvoreingenommenen Austausch zwischen nacktem, existierendem Leib auf der einen und noch ungeordneter Welt auf der anderen Seite das »ursprüngliche« primordiale Wahrnehmungsgeschehen aufzudecken, das allen Sehordnungen logisch und ontologisch vorangeht. Ein solches Ursprungsdenken liegt Foucault jedoch völlig fern. Für ihn gibt es keinen Körper oder »leibliches Ich« jenseits des Dispositivs, kein wildes »Außen« der Welt, das durch eine visuelle Ordnung, den Diskurs und die Machttechnologien gezähmt werden muss, sondern stets nur andere historische Ordnungen, welche die Grenzen zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, zwischen Sagbarem und Unsagbarem immer wieder neu ziehen.81 Anders als Merleau-Ponty,
81 Die einzigen Ausnahmen bildet zum einen die Annahme aus Wahnsinn und Gesellschaft, dass das »vernünftige Sprechen« die »ursprüngliche Erfahrung des Wahnsinns« ausklammert, und zum anderen die Bemerkung in Die Ordnung des Diskurs, dass dem »Wuchern des Diskurses« durch verschiedene Verknappungsprozeduren Einhalt geboten werden muss (ODis: 33). Von beiden Überlegungen distanziert sich Foucault später jedoch wieder.
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der nur am Rande auf die historischen Strukturen der Welt zu sprechen kommt, ist für Foucault daher die Bestimmung des Subjekts notwendigerweise an die Analyse der historischen Ordnungssysteme gebunden. Eine zweite Schwierigkeit besteht in der ambivalenten, empiristisch-intellektualistischen Doppelstrategie von Merleau-Ponty, die weder der sinngenerierenden Wahrnehmung des Leibes noch der visuellen Beschaffenheit der dinglichen Welt eine primäre Funktion für die perzeptive Strukturierungsleistung einräumt. Wie Foucault in Die Ordnung der Dinge bereits kritisierte, bleibt die leibphänomenologische Analyse auf diese Weise in einem unendlichen, analytischen Regress gefangen, der die bewusstseinsphilosophische Trennung zwischen einem Innen des Subjekts (Leib) und einem Außen des Objekts (Welt) nicht wirklich überwinden kann. Foucault verlagert demgegenüber ganz ausdrücklich das historische Apriori der diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken weg von dem Subjekt selbst und in die empirischen Ordnungen der Welt hinein. Um also die historische Dispositivanalyse um den leibphänomenologischen Aspekt der »perzeptiven Syntax« ergänzen zu können, muss erstens Merleau-Pontys philosophischer Anspruch, die »ursprüngliche Wahrnehmung« ans Licht bringen zu wollen, ausgeklammert und zweitens seine ambivalente subjektivistisch-objektivistische Analyseposition in Richtung eines externalisierenden, poststrukturalistischen Ansatzes aufgelöst werden.82 Unter archäologisch-genealogischen Vorzeichen sind die Voraussetzungen der gestaltbildenden Differenzierung also nicht mehr länger in den »gleichberechtigten« Aushandlungsprozessen zwischen aktivwahrnehmendem Leib und wahrnehmbarer Welt, sondern noch viel entschiedener in den immanenten Anordnungen der »äußeren« sichtbaren Strukturen der Welt bzw. der verschiedenen Dispositive zu suchen. Eine solche »externalisierende« Lesart hat den Vorteil, dass sich die perzeptive Syntax analog zur diskursanalytischen Rekonstruktion des »Denk- und Sagbaren« analysieren ließe: nämlich als Effekt der Häufungen, Verteilungen und Muster, die sich auf der Oberfläche der Dinge ergeben. Diese »materiell-visuellen Formationen« – so die These – werden vom Subjekt, das in sie »hineingeworfen« wird, inkorporiert und in das eigene Wahrnehmungsschema integriert.
82 Das heißt, dass denjenigen Passagen in der Phänomenologie der Wahrnehmung ein stärkeres theoriesystematisches Gewicht eingeräumt werden muss, in denen Merleau-Ponty auf die sinnliche »Aktivität« und historische Dichte der Dinghorizonte eingeht. Zudem sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass Merleau-Pontys später post-phänomenologischer Ansatz die ambivalente Analyseposition zugunsten des Begriffs des Fleisches aufgibt, das ebenfalls der Genese des sehenden Subjekts einen anonymen Ausdifferenzierungsprozess zugrunde legt. Allerdings stellt er dabei kein Instrumentarium zur Analyse der sich selbst ausdifferenzierenden Sichtbarkeit zur Verfügung.
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Es geht also darum, herauszuarbeiten, wie die kulturell spezifischen visuelldinglichen Formationen, d.h. die »Ordnung der sichtbaren Dinge«, die »Sehroutinen« und »Wahrnehmungsschemata« der Subjekte bedingen und wie umgekehrt ein Subjekt aufgrund des »visuellen Praxiswissens«, das es durch seine individuelle Ding- und Dispositivbiographie ausgebildet hat, dem formalen Setting, in dem es aktuell situiert ist, handelnd-wahrnehmend und modifizierend begegnet. Das soll jedoch nicht heißen, dass hier von einer vollständigen Determination des Sehens ausgegangen wird. Im Rekurs auf Foucaults Gouvernementalitäts- und Selbsttechnologiekonzept und Merleau-Pontys Freiheitsbegriff ist vielmehr anzunehmen, dass die Handlungs- und Wahrnehmungsangebote der äußeren Artefaktsysteme je nach inkorporiertem implizitem »Wahrnehmungswissen« und der Selbsttechnologie des wahrnehmenden Subjekts jeweils unterschiedlich an- und aufgenommen werden. So ist beispielsweise ein alter Mensch, der auf eine lange Ding- und Gestaltbiographie zurückblickt, u.U. nicht mehr dazu in der Lage, die aktuellen perzeptiven Anforderungen seiner Umwelt in sein Körperschema zu integrieren, ist aber dafür für die Attraktivität von Dingen empfänglich, die für die jüngere Generation keinen Wert mehr besitzen. Und der moderne, westliche Großstadtmensch, der durch den Gebrauch »seines« Stadtraums gelernt hat, die »typischen« Reizgestalten eines rationalistisch-modernistischen Formen- und Architekturprogramms intuitiv zu erfassen und sich in einem entsprechenden räumlichen Umfeld zu orientieren, überträgt dieses »modernistische Wahrnehmungsschema« vielleicht auch auf asiatische oder südamerikanische Städte, die zwar auch von Gestalten der westlichen Moderne bevölkert sind, diese aber in andere ästhetische Konstellationen integrieren. Aber nicht nur diese »passive« Inkohärenz von Wahrnehmungsfeld und Körperschema des wahrnehmenden Leibes führt zu einer (produktiven) Dissonanz von visueller Selbst- und Fremdführung. Das Subjekt kann sich auch aktiv gegen die Wahrnehmungsangebote des Dispositivs zur Wehr setzen: So versucht etwa Foucaults antiker Asket, der zwecks Selbstverbesserung Verzicht und Selbstkontrolle einüben will, sich von dem Anblick der »Stärke des Konsuls oder [der] Schönheit einer Frau« nicht erschüttern zu lassen (DE4/344: 772). Und um noch einmal zu Merleau-Pontys Beispiel zurückzukehren: Auch das Malen kann als eine Form der »aktiven« Bezugnahme auf den dispositiven Wahrnehmungsraum gelten, da der Künstler von den gewöhnlichen Zweckbestimmungen der zumeist nur peripher wahrgenommenen Alltagsgegenstände abstrahieren muss, um stattdessen das Farb- und Formenspiel ihrer Oberflächen sehen zu können. Anders als MerleauPonty, der in Cézannes Bildern eine »ursprünglichere« Form der Weltwahrnehmung erkennt, kann der malerische Blick aus Foucault’scher Perspektive jedoch nicht als etwas gelten, das hinter oder unter jegliche Sehordnung fällt. Das ästhetische Sehen muss vielmehr als eine andere Sehkonvention oder als ein »Anders Se-
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hen« verstanden werden, das sich aktiv an den blinden Flecken, Vorurteilen und Verallgemeinerungen der alltäglichen »perzeptive Syntax« abarbeiten muss. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass Merleau-Pontys Wahrnehmungstheorie insofern eine gewinnbringende Ergänzung zu Foucaults Dispositivund Subjektkonzept darstellt, als sie es erstens ermöglicht, die in einem Dispositiv virulente »visuelle Ordnung« oder die »historisch spezifischen Wahrnehmungsschemata« aus den Artefaktformationen selbst abzuleiten, ohne einem einfachen Empirismus das Wort zu reden. Und zweitens kann sie die in Foucaults spätem Subjekt- und Körpermodell bereits angelegte komplexere praxeologische Theorie um das Konzept des habituellen »fungierenden Körperschemas« und des »impliziten Wissens« vervollständigen. In dieser um das leibphänomenologische Gestaltkonzept erweiterten genealogisch-archäologischen Perspektive erscheint das historische Subjekt nunmehr als ein Wesen, in dessen senso-motorischem Körperschema sich bestimmte Figuren, Ansichten und sinnliche Zusammenhänge als implizit visuelles bzw. perzeptives Wissen »abgelagert« haben, welche ihm dabei helfen, sich in den alltäglichen gouvernementalen Handlungsräumen zurechtzufinden, sich zu ihnen zu verhalten und ggf. seine Parameter zu verschieben. Allerdings können mit dieser leibphänomenologischen Erweiterung des Foucault’schen Visualitätskonzepts zwei Aspekte noch nicht ausreichend geklärt werden: erstens, warum manche der Dinge eine besondere affektive Kraft besitzen – also warum sich das Subjekt von einigen, besonderen Dinggestalten eher angezogen fühlt als von anderen. Und zweitens, inwiefern die »perzeptive Syntax« der Subjekte je nach sozialer Position variiert. Im Folgenden wird es zunächst darum gehen, die Frage des »visuellen Affekts« näher zu beleuchten. Ausgangspunkt dafür ist eine theoretische Perspektive, die ebenfalls Foucaults Subjekttheorie Pate stand, nämlich die strukturalistische Psychoanalyse von Jacques Lacan.
3.2 Visuelle Affekte Foucault und Lacans strukturalistische Psychoanalyse
Die Psychoanalyse ist nicht unbedingt eine theoretische Perspektive, die sich mit dem Foucault’schen Subjektmodell gut verträgt. Denn spätestens mit der genealogischen Analyse der modernen Disziplinarmacht in Überwachen und Strafen sowie seiner darauffolgenden, dreibändigen Abhandlung über die Geschichte der Sexualität grenzt sich Foucault mit äußerster Vehemenz gegen die psychoanalytische Theoriebildung ab. Sie gilt ihm nunmehr als eine besonders perfide Machttechnologie des modernen »Sexualitätsdispositivs« (WW: 128). Dabei stand Foucault der Psychoanalyse nicht immer skeptisch gegenüber. Seine frühen Arbeiten und archäologischen Überlegungen aber auch späte Statements zeigen, dass er einer speziellen Richtung der psychoanalytischen Theoriebildung stets verbunden war: der strukturalistischen Psychoanalyse von Jacques Lacan. Zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn in den 1950er Jahren hatte Foucault sogar noch mit dem Gedanken gespielt, sich auf die Psychologie zu spezialisieren, und hatte 1952 eine Assistenzstelle für Psychologie an der Universität Lille angenommen. In diese Zeit fallen auch seine ersten Begegnungen mit der zu diesem Zeitpunkt noch kaum publizierten und daher lediglich in Insiderkreisen diskutierten psychoanalytischen Lehre Jacques Lacans. Jedenfalls scheint er sich mit dessen Ideen soweit auseinandergesetzt zu haben, dass er seinem Freund Jean-Claude Passeron 1952 den Rat gab, sein »diplôme« über die Idee des »Spiegelbildlichen« bei Lacan zu verfassen (Eribon 1998: 237). Und in seinem ersten veröffentlichten Text, der Einführung zu Ludwig Binswangers Traum und Existenz von 1954, verwies Foucault auf Lacan als einen der wichtigsten intellektuellen Erben Freuds (DE1/1: 117)1. Auch wenn seine
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Entgegen der einleitenden Darstellung aus dem ersten Band von Dits et Ecrits hat Foucault jedoch niemals ein Seminar von Lacan besucht (DE1/0: 23). So bemerkt auch Foucault zu seiner eigenen Lacan-Rezeption: »Zweifellos hat das, was ich von seinen [Lacans, S.P.] Werken erfassen konnte, für mich eine Rolle gespielt. Aber ich habe seine
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Studien in den folgenden Jahren eine andere theoretische und analytische Wendung nehmen, hebt Foucault auch weiterhin die Bedeutung der Lacan’schen Psychoanalyse hervor: So spricht er in einem Interview von 1961 Lacan nicht nur das Verdienst zu, der Psychoanalyse ganz allgemein zu einer »zweite[n], glanzvolle[n] Existenz« (DE1/5: 235) verholfen zu haben, sondern bezeichnet dessen Arbeiten zudem als eine wichtige Inspirationsquelle für seine eigene historische Arbeit Wahnsinn und Gesellschaft.2 In seiner ersten großen »archäologischen« Abhandlung, Die Ordnung der Dinge, die sowohl den philosophisch-theoretischen als auch analytisch-methodischen Grundstein für seine weiteren Studien bildet, zählt er die Lacan’sche Psychoanalyse neben der strukturalistischen Ethnologie von Claude Lévi-Strauss sogar zu denjenigen (postmodernen) »Gegenwissenschaften«, die der cartesianisch-humanwissenschaftlichen Anthropologisierung des Denkens ein dezentrierendes Subjektmodell entgegenhalten (OD: 454). Zu diesem Zeitpunkt identifiziert sich Foucault noch mit der strukturalistischen Aufbruchstimmung der 1960er Jahre und entgegnet daher in einem Interview von 1966 – einem Jahr, in dem wohlgemerkt nicht nur Die Ordnung der Dinge, sondern auch der erste Band der gesammelten Schriften von Lacan (S1) sowie Lévi-Strauss’ zweiter Band der Mythologiques erscheinen3 – auf die Frage, wann er denn aufgehört hätte, an den (phänomenologischen) Sinn zu glauben, mit einem Plädoyer für seine beiden strukturalistischen Mitstreiter: »Der Bruch kam, als Lévi-Strauss für die Gesellschaft und Lacan für das Unbewußte zeigten, daß der Sinn wahrscheinlich nur eine Oberflächenerscheinung, eine Spiegelung, eine
Lehre nicht aus hinreichender Nähe verfolgt, um von ihr wirklich durchdrungen zu sein. Ich habe manche seiner Bücher gelesen; doch um Lacan zu verstehen, muss man ihn bekanntlich nicht nur lesen, sondern auch an seinem Unterricht teilnehmen, seine Seminare besuchen, eine Analyse absolvieren. Ich habe nichts davon getan. Ab 1955, als Lacan den wesentlichen Teil seiner Lehre lieferte, war ich schon im Ausland.« (DE4/281: 73) 2
Und tatsächlich lassen sich rudimentäre Ähnlichkeiten zwischen Foucaults und Lacans Begriff des »Wahnsinns« ausmachen, da beide den Wahnsinn bzw. das »Symptom« als eine »andere« Form des Sprechens bezeichnen, das sich den Regeln der offiziellen symbolischen Struktur verweigert (Sarasin 2005: 22f.). Allerdings kritisiert Foucault schon in Wahnsinn und Gesellschaft die Freud’sche Analysepraxis als eine Institution der Vernunft, die die »Stimmen der Unvernunft« zum Schweigen bringt (GW: 535).
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Am 18. Mai dieses Jahres nimmt Foucault sogar an einer Sitzung von Lacans Seminar XIII teil (Lacan 1966). Lacan hatte seinen Studenten verordnet, Foucaults Las Meninas-Analyse aus Die Ordnung der Dinge zu lesen, um mit ihm dessen Thesen aus psychoanalytischer Perspektive zu diskutieren. Allerdings fand keine wirkliche Auseinandersetzung statt, da Foucault während der ganzen Sitzung kaum ein Wort von sich gab.
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Schaumkrone darstellt, während das eigentliche Tiefenphänomen, von dem wir geprägt sind, das vor uns da ist und uns in Zeit und Raum trägt, das System ist.« (DE1/37: 655)
Und im gleichen Interview etwas später: »Die Entdeckungen von Lévi-Strauss, Lacan und Dumézil gehören in den Bereich der so genannten Humanwissenschaften, charakteristisch ist nun aber, daß all diese Forschungen nicht nur das überkommene Menschenbild auslöschen, sondern meines Erachtens die Idee des Menschen in der Forschung und im Denken tendenziell überflüssig machen. Die größte Last, die wir aus dem 19. Jahrhundert geerbt haben […] ist der Humanismus.« (DE1/37: 667)
Foucault ist mit anderen Worten von dem strukturalistischen Schachzug fasziniert, das Subjekt nicht von dessen Bewusstsein und Sinnverstehen her zu denken, wie es seit Descartes in der abendländischen Philosophie üblich war, sondern von den »materiellen« Bedingungen und sprachlichen Strukturen, in die es »geworfen« wird – ein subjekttheoretischer Ansatz, der seine Arbeiten bis zum Schluss prägen wird. Doch schon mit der Archäologie des Wissens, in der er seine Methode als eine »positivistische« Analysestrategie charakterisiert, die nicht nach den »dahinterliegenden« Strukturen, sondern nach den diskursimmanenten Regelmäßigkeiten sucht, beginnt sich Foucault von der Ahistorizität des »Strukturalismus« zu distanzieren (AW: 27ff., 283ff.) und reagiert im Laufe der Jahre zunehmend gereizt auf die Frage, was ihn denn mit Lacan, Lévi-Strauss und den »anderen Strukturalisten« verbinde.4 Angesichts des politischen Scheiterns der freudo-marxistischen »Befreiungsschläge« und
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So polemisiert Foucault bereits in einem Interview von 1969 in gewohnt sarkastischer Weise: »Eigentlich sollten die Leute, die all diese verschiedenen Arbeiten unter dem Etikett des ›Strukturalismus‹ zusammenfassen, uns erklären, worin denn die Übereinstimmung besteht. Sie kennen sicher die Rätselfrage: Was ist der Unterschied zwischen Bernard Shaw und Charlie Chaplin? Es gibt keinen, denn beide haben einen Vollbart, mit Ausnahme von Chaplin natürlich.« (DE1/68: 1002) Und ähnlich amüsante Abgrenzungsmanöver finden sich auch in späteren Interviews: »Ich koche vor Wut! Sind sie jemals in einem meiner Bücher auf das Wort ›strukturalistisch‹ gestoßen? […] So Leute wie Piaget, die behaupten, ich sei ein Strukturalist, bezichtige ich ausdrücklich der Lüge, und zwar der dreisten Lüge. Piaget kann das nur aufgrund einer Lüge oder aus Dummheit behaupten: Ich lasse ihm die Wahl« (DE3/175: 118) und: »Ich sehe niemanden, der antistrukturalistischer sein kann als ich« (DE3/192: 192) sowie »Ich möchte zunächst einmal feststellen, dass im Grunde […] keiner der Akteure dieser Bewegung, sondern auch keiner von denjenigen, die, ob sie wollten oder nicht, das Etikett Strukturalist verpasst bekamen, sehr genau wusste, um was es sich dabei handelte.« (DE4/330: 521)
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der »sexuellen Revolution« der 68er-Bewegung5 kippt seine anfängliche Begeisterung für die Psychoanalyse schließlich in das Bedürfnis um, sie mit »sarkastischen Bemerkungen [niederzuwalzen]« (Miller 1991: 66) und ihre machttechnologische Funktion herauszustellen. In Der Wille zum Wissen (WW) richtet sich dieser direkte Angriff vor allem gegen die psychoanalytische »Redekur«, die vorgibt, die sexuelle Lust der Individuen von den bürgerlichen Repressionen und Tabus zu befreien, aber letztlich sowohl das »zu erlösende«, psychische Subjekt als auch das Phänomen der »Sexualität« allererst diskursiv erzeugt. Nach Foucault trägt die Psychoanalyse entgegen ihres eigenen Selbstverständnisses also keinesfalls zur Freiheit des modernen Subjekts bei, ganz im Gegenteil. Indem sie das Individuum permanent dazu zwingt, seine geheimen Lüste, Ängste und Begehren zu erforschen, anzuerkennen und auszusprechen, perpetuiert die Psychoanalyse vielmehr den Unterwerfungsmodus des pastoralen »Geständniszwangs« (WW: 87), der die Subjekte unter einen allgemeinen Generalverdacht stellt. Anstatt das Subjekt aus der gesellschaftlichen Zwangsjacke der Sexualmoral zu befreien, befördert die psychoanalytische Praxis »einen Machtmechanismus […], ohne ihn infrage zu stellen« (DE2/163: 1014). Sein strenges Urteil fällt jedoch ein Stück weit milder aus, wenn es um Lacan geht: So räumt Foucault im mittleren Teil von Der Wille zum Wissen ein – allerdings ohne den Namen Lacan auch nur zu erwähnen –, dass auch schon die strukturalistische Begehrensanalyse die Freud’sche Repressionshypothese hinter sich gelassen hat und von einer kulturellsprachlichen »Gemachtheit« des (sexuellen) Begehrens ausgeht: »[…] ich [habe] meine Einwände gegen den Begriff der Repression so vorgetragen, als wüßte ich nicht, daß von woanders eine radikalere Kritik gekommen ist: eine Kritik, die von einer Theorie des Begehrens ausgeht. Daß der Sex nicht unterdrückt wird, ist in der Tat keine ganz neue Behauptung. Schon vor geraumer Zeit haben es Psychoanalytiker gesagt […]. Die Idee einer rebellischen Energie, die es zu drosseln gilt, schien ihnen unangemessen, die Art und Weise der Ineinanderfügung von Macht und Begehren zu entschlüsseln […]. Das Machtverhältnis ist immer schon da, wo das Begehren ist.« (WW: 101)
Trotz dieses Zugeständnisses an die strukturalistische Psychoanalyse grenzt sich Foucault von ihr mit dem Hinweis ab, dass sie – genauso wie die orthodoxe Psycho-
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Eribon zufolge kritisierte Foucault insbesondere Marcuse, der die Entfesselung der Lüste und die »sexuelle Revolution« als Voraussetzung für die Entfremdung des modernen Subjekts ansah (Eribon 1998: 258). Dementsprechend betont Foucault immer wieder: »Man muss sich von Marx und Freud als Bezugspunkte für die Lösung der Probleme befreien.« (DE2/160: 966) Dabei bezieht er sich auf den Anti-Ödipus von Gilles Deleuze und Félix Guattari, den er auch als »die radikalste Kritik der Psychoanalyse, die jemals geleistet worden ist«, bezeichnet (DE2/160: 963).
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analyse – eine ausschließlich negativ wirkende Macht unterstellt: das symbolische »Gesetz«.6 In seinen späteren Arbeiten, die sich mehr und mehr dem Problem der historischen Genese von Subjektivität zuwenden, wird Foucaults Ton gegenüber der Psychoanalyse insgesamt und insbesondere gegenüber Lacans Subjektbegriff etwas versöhnlicher: »Das Subjekt hat eine Genese, eine Bildung, eine Geschichte; es ist nicht ursprünglich. Wer aber hatte das nun so gesagt? Sicher Freud, aber es war nötig, dass Lacan es klar hervorhob. Daher stammt die Bedeutung Lacans.« (DE3/234: 741) Und in seiner Vorlesung Hermeneutik des Subjekts hebt er sogar anerkennend hervor, dass Lacan nach Freud und Heidegger der einzige gewesen sei, der das Verhältnis des Subjekts zu seiner Wahrheit – also die Frage, welche Wissens- und Selbstführungspraktiken das Subjekt ausbilden muss, um einen Zugang zur Wahrheit oder ein »Wahrsprechen« zu erlangen – ins Zentrum der subjekttheoretischen Überlegungen gestellt hat (HS: 51, 240).7 Statt aber diesen offensichtlichen Bezügen zwischen seinem eigenen Ansatz und Lacans Psychoanalyse systematisch nachzugehen, streitet Foucault nun ab, überhaupt etwas von Lacan zu verstehen (DE4/281: 73, DE4/349: 821), und gesteht Jacques-Alain Miller, dem Schwiegersohn, Herausgeber und Nachlassverwalter Lacans, bei einem gemeinsamen Besuch der Salpêtrière 1972: »Du wirst mir eines Tages Lacan erklären müssen.« (Miller 1991: 71)8 Entgegen dieser Abgrenzungsstrategien lohnt es sich durchaus den Lacan’schen Subjektbegriff mit dem Foucault’schen Denkansatz in Verbindung zu bringen. Denn trotz Foucaults wiederholter Beteuerung, dass die Macht nicht nur negativunterwerfend, sondern auch »verführerisch« und lustbringend sei (WW: 65f., 92, DE2/160: 957, DE4/281: 243, DE4/306: 286), gelingt es ihm im Unterschied zu Lacan nicht, die Aspekte des Begehrens und der (historisch spezifischen) Affektivität theoretisch zu fassen und in seine analytische Heuristik zu integrieren. Foucault interessiert sich lediglich dafür, wie das Phänomen der (sexuellen) Lust durch das
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Unter Kapitel 3.2.3 wird noch näher darauf einzugehen sein, inwiefern diese Einschätzung tatsächlich zutrifft.
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Lacan ging davon aus, dass erst eine bestimmte Praxis – nämlich die psychoanalytische Redekur – das Subjekt dazu in die Lage versetzt, das »leere Sprechen« des bewussten Selbst zu überwinden, um das »volle Sprechen« seines »wahren«, d.h. unbewussten Ichs zu vernehmen. Nach Foucault weist diese Annahme Parallelen zu dem platonischen und hellenistischen Denken auf, das die körperliche und mentale Selbstsorge als Voraussetzung der Selbsterkenntnis und des Zugangs zur Wahrheit ansah. Allerdings umfasst die antike Selbstsorge nicht nur sprachliche Praktiken, sondern auch körperliche Übungen. Zum Verhältnis von Lacans Ethik und Foucaults Selbstsorge siehe auch O’Sullivan 2010.
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Für eine ausführlichere Darstellung von Foucaults Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse siehe auch Lagrange 1990.
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Machtwissen des modernen »Sexualitätsdispositivs« produziert wird (WW) oder welche körperlich-mentalen Selbsttechnologien in der Antike eingesetzt wurden, um die eigene Lust zu steuern (GL, SuS). Er untersucht aber nicht genauer, wie das diskursiv und machttechnologisch erzeugte Begehren auf die Praktiken, Selbstverhältnisse und Erfahrungsweisen des Subjekts einwirkt. Um also die Frage klären zu können, wie das Subjekt von den »visuellen Formationen«, Dispositiven und Architekturen seiner Welt nicht nur körperlich beschränkt und überwacht, sondern darüber hinaus auch »verführt« und zu Handlungen »verleitet« wird, muss im Rekurs auf Lacans Subjekt- und Visualitätsmodell geklärt werden, wie und warum sich Subjekte von manchen Formen, ästhetischen Eindrücken und Gestalten eher angezogen fühlen als von anderen, und warum manche Umgebungen oder Dinge »unheimlich« oder »unangenehm« erscheinen. 3.2.1 Das Subjekt des Begehrens Lacan macht es seinen Lesern wahrlich nicht leicht: Aufgrund des ausdifferenzierten Begriffsapparats sowie der Formeln und »Graphen«, die er vor allem in seinen späteren Texten verwendet, gewinnt man zwar den Eindruck, es mit einer in sich kohärenten, systematischen Theorie zu tun zu haben. Dennoch muss man immer wieder aufs Neue die narzisstisch kränkende Erfahrung machen, dass sich das »große Ganze« dem intellektuellen Zugriff entzieht. Denn egal, wie tief man sich in das Dickicht der Lacan’schen Theorie vorwagt – stets scheint ein Begriff, ein Zusammenhang oder eine theoretische Anschlussfigur zu fehlen, um seine Theorie vollständig zu entschlüsseln. Diese Irritation resultiert ganz wesentlich aus der Tatsache, dass Lacan im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere seinen zentralen Begriffen und Konzepten immer wieder eine neue Wendung gibt. Jenseits dieser recht banalen Erklärung ist es jedoch wahrscheinlich, dass dieses Verwirrspiel auch Methode hat: Lacan hat es nie darauf abgesehen, eine in sich geschlossene Theorie zu entwickeln. Vielmehr ist ihm daran gelegen, seinem zentralen Gegenstand – der »Sprache« des Unbewussten – dadurch gerecht zu werden, dass er sie nicht in ein »leeres Sprechen«, d.h. den alltäglichen bedeutungsgebenden Sprachmodus »überführt«. Sein Diskurs bewahrt und transportiert etwas von ihrer beunruhigenden Dynamik und genuinen »Unaussprechlichkeit«, um so die grundlegende Kraft des Begehrens – sprich: das per definitionem nicht Wissbare wissen zu wollen – beim Vortrag oder Akt des Lesen zur Geltung zu bringen. »Ich glaube, Lacans Schriften sind deshalb hermetisch, weil er wollte, daß man sich seine Ideen nicht einfach nur ›bewusst macht‹. Er wollte, dass der Leser sich in der Lektüre selbst als Subjekt des Begehrens entdeckt. Lacan wollte, daß die Dunkelheit seiner Écrits so kom-
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plex wie das Subjekt und die zum Verständnis erforderliche Arbeit eine Arbeit an sich selbst sei.« (DE4/299: 249)
Eine theoretische Auseinandersetzung mit Lacans Werk setzt demnach eine höchst aktive Interpretations- und Entscheidungstätigkeit voraus, die sich ihren Weg durch den widersprüchlichen Theoriekomplex bahnen und die changierenden Begriffe auf eine Deutung festlegen muss. In diesem Sinne ist auch die nun folgende Rekapitulation von Lacans Grundthesen als eine mögliche von vielen Lesarten zu verstehen. Sie erhebt keinesfalls den Anspruch, Lacans gesamtes Denk- und Analysegebäude vollständig abzubilden. Es geht vielmehr darum, eine systematische Grundlage für den späteren Vergleich mit dem Foucault’schen Subjekt- und Visualitätsmodell zu liefern. Wie bereits erwähnt, hat Foucault an Lacans Arbeit besonders geschätzt, dass dieser Freuds einflussreichen theoretischen Impuls, das cartesianische, selbstbewusste Subjekt mit der Kategorie des »Unbewussten« zu unterhöhlen, aufgegriffen und im Rekurs auf die strukturalistische Linguistik de Saussures radikalisiert hat. Denn während Freud unterstellt, dass das »Unbewusste« zu einem Gutteil aus quasi-biologischen, libidinösen Triebenergien besteht (Freud 1992a: 258f., 264f., 1992b: 82ff.), scheint sein französischer Erbe Lacan aus dem »anthropologischen« Schlaf (oder besser: Traum) der Humanwissenschaften erwacht zu sein: Er stellt ganz klar heraus, dass die unbewussten Regungen des Subjekts nicht aus dessen »ursprünglichem« Inneren stammen und vom Realitätsprinzip des bewussten »Ichs« in Schach gehalten werden müssen, sondern genau umgekehrt von den äußeren, kulturellen Strukturen seines Daseins bedingt werden. Im Unterschied zu Freud zielt Lacan also auf eine im engeren Sinne kulturtheoretische Psychoanalyse (Bowie 1991: 12), die zwar bestimmte psychische Muster identifiziert, aber weit davon entfernt ist, dem Menschen ein organisch bedingtes »triebhaftes« Wesen zu unterstellen. Damit entfernt sich Lacan jedoch nicht gänzlich von den theoretischen Wurzeln und Grundkategorien der Freud’schen Psychoanalyse. Vielmehr spricht er sich für eine »Rückkehr zu Freud« aus – so der Titel eines Vortrags, den er 1955 in Wien hielt (Lacan 2005) – und sieht seine Aufgabe dementsprechend darin, in Freuds zentralen Konzepten und Analysen ein Motiv offenzulegen, das dort bereits angelegt, aber nicht konsequent ausformuliert ist: die sprachliche Struktur des gesellschaftlichen »Gesetzes« und die Zeichenförmigkeit der unbewussten Prozesse. Um Lacans Ansatz besser verstehen zu können, lohnt es sich daher, zunächst einen kurzen Blick auf das Freud’sche Subjektmodell zu werfen.9
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Für eine sehr gute Zusammenfassung des Freud’schen Subjektbegriffs siehe auch Silverman 1984: 132-149.
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3.2.1.1 Freuds Topik Einer entscheidenden Erkenntnis der Freud’schen Psychoanalyse zufolge ist das Ich »nicht einmal Herr […] im eigenen Haus« (Freud 1991b: 273). Vielmehr hängen Bewusstsein und intentional gesteuerte Handlungen stets von den »Nachrichten« und Bewegungen des Unbewussten ab.10 Im Unterschied zur bewusstseinsphilosophischen Tradition seit Descartes geht Freud demnach nicht davon aus, dass sich das Subjekt durch Vernunft und Erkenntnisfähigkeit auszeichnet. Das Ich – so Freuds Annahme – wird stattdessen zu einem Gutteil von einer nicht vernehmbaren »inneren Stimme« gesteuert. Diese gehorcht nicht rationalen Kriterien, sondern untersteht dem sogenannten »Lustprinzip«, welches stets auf eine Herabsetzung der somatischen und psychischen Reize drängt (Freud 1992b: 84f.). Das Unbewusste sucht, mit anderen Worten, jegliche Unlustempfindung, die durch eine Steigerung der Erregungszustände und den Stau unbefriedigter Bedürfnisse hervorgerufen wird, zu vermeiden. Zu diesem Prinzip, das auf unmittelbare Lustgewinnung und Triebabfuhr zielt, gesellt sich im Laufe der psychischen Reifung noch ein zweites, konträres Prinzip: das vom Ich gesteuerte »Realitätsprinzip« (Freud 1992c: 33ff.). Dieses sucht die zunächst frei fließende Libidoenergie11 nach Maßgabe der »realen« Bedingungen der (sozialen) Außenwelt zu »binden«, einzudämmen und zu kanalisieren. Die Triebregulation kann dabei auf verschiedene Weisen erfolgen: Entweder wird die Befriedigung auf einen späteren, günstigeren Zeitpunkt »verschoben«, durch andere Handlungen sublimiert, oder aber der Trieb wird als solcher ganz und gar ins Unbewusste verdrängt, weil er mit den gesellschaftlichen Normen oder der individuellen Selbsterhaltung inkompatibel ist.12 Das Realitätsprinzip orientiert sich
10 Nicht gerade bescheiden bezeichnet Freud die psychoanalytische Entdeckung des Unbewussten auch als die »dritte und empfindlichste Kränkung«, welche die Menschheit »im Laufe der Zeiten von der Wissenschaft erdulden« musste (Freud 1991b: 273). Ihr voran ging erstens Kopernikus’ astronomischer Beweis, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist, und zweitens Darwins Evolutionstheorie, die nachweist, dass der Mensch von den Tieren abstammt. Erstaunlich ist jedoch, dass Freud in diesem Zusammenhang nicht auf die »kopernikanische« Wende der kantischen Erkenntnistheorie verweist. 11 Die Libido beinhaltet neben dem Sexualtrieb noch andere »Partialtriebe«, wie etwa den skopischen Trieb, den aggressiven Bemächtigungstrieb oder aber den Todestrieb. 12 In Abriß der Psychoanalyse fasst Freud den Vorgang der Triebregulation wie folgt zusammen: Die konstruktive Leistung des Ichs liegt darin »daß es zwischen Triebanspruch und Befriedigungshandlung die Denkaktivität einschaltet, die nach Orientierung in der Gegenwart und Verwertung früherer Erfahrungen durch Probehandlungen den Erfolg der beabsichtigten Unternehmungen zu erraten sucht. Das Ich trifft auf diese Weise die Entscheidung, ob der Versuch zur Befriedigung ausgeführt oder verschoben werden soll oder
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mit anderen Worten an den Gesetzen und Verboten der verschiedenen soziokulturellen Zensur- und »Über-Ich«-Instanzen, von denen die Figur des Vaters, der die ödipale Beziehung zur Mutter unterbindet, die erste darstellt. Freuds Subjekt lässt sich somit als ein Wesen beschreiben, in dem sich zwei (bzw. drei) Kräfte oder Energien gegenüberstehen: auf der einen Seite die unbewussten und verdrängten Triebe, die nach Erfüllung streben, und auf der anderen Seite das vom Über-Ich befeuerte Ich, das nur bestimmte Befriedigungen und Gedanken zulässt und immer wieder neue »Schranken« und Abwehrmechanismen erzeugen muss, um das bereits Verdrängte weiterhin unter Verschluss halten zu können. Denn die Triebrepräsentanzen lösen sich keineswegs auf, sobald sie verdrängt werden, sondern verbinden sich im Unbewussten mit anderen Erinnerungen, Vorstellungen und Bildern, um sich in Träumen, Witzen und Fehlleistungen ihren Weg ins Bewusstsein zu bahnen (Freud 1992e: 107f.). Freud selbst hat dieses Zusammenspiel zwischen Bewusstem und Unbewusstem bzw. zwischen Ich, Es und Über-Ich in zwei verschiedenen topologischen Modellen des psychischen Apparats zur Darstellung gebracht: Das erste – wenn man Kaja Silverman folgen will: »semiotische« – Modell (Silvermann 1984: 54ff.) stammt aus dem siebten Kapitel der 1900 erschienenen Traumdeutung (Freud 1991a). Freud unterscheidet hier zwischen drei räumlich voneinander abgetrennten Systemen – dem Bewussten (Bw), dem Vorbewussten (Vbw) und dem Unbewussten (Ubw) – sowie zwischen einem »Wahrnehmungsende« und einem »Motilitätsende« des psychischen Apparats (Freud 1991a: 528ff.). Letzteres bedeutet, dass alle psychischen und motorischen Regungen ihren Anfang in »äußeren« oder »inneren« (Trieb-)Reizen nehmen, die jedoch nicht automatisch zu einer wie auch immer gearteten Reaktion führen. Vielmehr folgen die verschiedenen Reizwahrnehmungen zunächst einer Reihe miteinander verknüpfter, unbewusster Erinnerungsspuren, bevor sie zur prüfenden Instanz des »Vorbewussten« vordringen. Diese Instanz entscheidet, ob die Reizwahrnehmungen verdrängt oder aber abgeführt und ins Bewusstsein weitergeleitet werden. Nach diesem Modell besteht das Unbewusste aus einem Arsenal verdrängter Wahrnehmungen, Objektbesetzungen und Triebrepräsentanzen, den vornehmlich visuellen Sachvorstellungen, die sich ungeachtet rationaler Kriterien miteinander verbinden und überlagern. Zwei der wichtigsten Formen dieser unbewussten Assoziation – oder wie Freud es auch nennt: des »Primärvorgangs« – sind die »Verdichtung« und die »Verschiebung«, durch welche die psychische Energie einer verdrängten Repräsentation auf eine andere, für das Vorbewusste annehmbarere Sachvorstellung übertragen wird. Im zweiten System, dem Bereich des Vorbewussten, sammeln sich diejenigen Empfindungen und Sachvorstellungen, die grundsätzlich dem Reali-
ob der Anspruch des Triebes nicht überhaupt als gefährlich unterdrückt werden muß (Realitätsprinzip).« (Freud 1994a: 95)
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tätsprinzip genügen und somit abfuhr- oder »bewusstseinsfähig« sind. Dazu gehören sowohl »legitime« Wünsche und Wahrnehmungen als auch latent bewusste Vorstellungen, also Gedanken, die schon einmal bewusst waren, dem Subjekt aber gerade nicht präsent sind. Im sogenannten »Sekundärvorgang« werden diese »bewusstseinsfähigen« Sachvorstellungen schließlich mit Wortvorstellungen verknüpft und an das Bewusstsein weitergeleitet. Dem bewussten Denken geht also immer eine eindeutige Benennung und Versprachlichung der psychischen Energie voraus, welche so in ihrer Bedeutung »festgeschrieben« und kontrolliert werden kann.13 Das zweite topologische Modell entwickelt Freud 1923, also rund 20 Jahre später, in seiner »metapsychologischen« Abhandlung Das Ich und das Es (Freud 1992a). Dieser Text führt erstmals die berühmten Instanzen des »Es« und des »Über-Ich« ein, die Freud vom »Ich« abgrenzt. Das Es deckt sich weitestgehend mit dem, was in seinem ersten Modell das »Unbewusste« hieß: Es beinhaltet verdrängte Wünsche, Triebrepräsentationen und Sachvorstellungen, die die Schranke des Realitätsprinzips nicht passieren konnten. Nach dem neuen Schema ist das Es aber nicht mehr scharf von der vorbewussten und bewussten Instanz, dem Ich, geschieden. Das Ich, das sich aus dem W[ahrnehmungs-]System, also aus dem unmittelbaren Kontakt mit den äußeren Widerständen der realen Welt, entwickelt hat und daher das »Realitätsprinzip« vertritt, sitzt dem Es nur oberflächlich auf (Freud 1992a: 264). Das bedeutet, dass auch das Verdrängte durch die Umwege der Primärvorgänge wieder zum Ich zurückfinden kann. Bis zu diesem Punkt sind die beiden topologischen Modelle Freuds nicht grundsätzlich verschieden. In beiden Varianten gibt es einen vollkommen unbewussten Teilbereich des psychischen Apparats, das Es, und ein vorbewusst-bewusstes System, das Ich. Neu hingegen ist die Instanz des ÜberIchs: Freud versteht darunter einen Teil des Ichs, der sich im Zuge des Untergangs des Ödipuskomplexes14 von diesem abgespalten hat und nunmehr die übergeordne-
13 Hier gibt es deutliche Anklänge an die Erkenntnistheorie von Kant, der ebenfalls davon ausging, dass die Einbildungskraft die Wahrnehmungen erst mit Begriffen verknüpfen muss, damit diese zur Grundlage von Erkenntnis werden können. 14 Nach Freud entsteht die psychische Instanz des Über-Ichs, wenn das (männliche) Kind durch die »Kastrationsdrohung«, die vom Vater ausgeht, dazu gezwungen wird, seine Mutter als Liebesobjekt aufzugeben und sich stattdessen mit dem Vater zu identifizieren (Freud 1992a: 270ff.). Denn durch diese »Zertrümmerung« des Ödipuskomplexes wird die Autorität des Vaters vom Kind als ein (unbewusstes) Über-Ich oder »Gewissen« verinnerlicht, das nunmehr anstelle der »äußeren« Sanktionsinstanzen darüber wacht, dass die libidinösen Triebe des Es in die »richtigen« Bahnen gelenkt werden. Dieses »masochistische« Über-Ich ist jedoch noch viel heftiger als die tatsächlich erlebte Autorität, weil es erstens nicht dem Verbot, sondern der unbewussten Aggression entspricht, die
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te, »beherrschende« Funktion eines strengen Richters oder »Gewissens« einnimmt, das alle psychischen Regungen und Handlungen des Ich mit den Ansprüchen eines imaginären Ich-Ideals abgleicht. Die überwältigende, aggressive Macht dieser überaus kritischen Instanz rührt Freud zufolge daher, dass sie zum Teil unbewusst bleibt und somit die aufgestaute Energie des Es für ihre Zwecke nutzen kann (Freud 1992a: 267ff.). Wie Freud in Das Unbehagen in der Kultur betont, treten im Laufe der psychischen Entwicklung neben das Verbot des Vaters, das die Bildung des Über-Ichs anstößt, noch weitere kulturelle und gesellschaftliche Zwänge und Forderungen, darunter kollektive Ideale und Moralvorstellungen, die sich ebenfalls als »Richter« im Über-Ich manifestieren (Freud 1994b: 104ff.). 3.2.1.2 Lacans gespaltenes Subjekt Lacan übernimmt das Grundgerüst des Freud’schen Subjektmodells, setzt aber an einigen zentralen Punkten ganz neue Akzente. Eine seiner folgenschwersten Neuerungen liegt darin, dass er die Ordnungsfunktion der Sprache auf das Unbewusste ausdehnt. Anders als Freud geht Lacan also nicht mehr davon aus, dass die »Wortvorstellungen« allein im System des Vorbewussten und Bewussten regieren, während die Primärvorgänge im Chaos steckenbleiben. Unter Berufung auf die strukturalistische Ethnologie von Lévi-Strauss konstatiert Lacan, dass auch das Unbewusste »strukturiert [ist] wie eine Sprache« (Sem11: 26). Diese Behauptung gründet auf Freuds eigenen Analysen des »psychischen Apparats«. Wie Lacan in seinem Seminar VII (Sem7: 62ff.) argumentiert, verwendet Freud zwar den Begriff »Sachvorstellungen«, um die Traumbilder gegenüber dem bewussten Denken unterscheiden zu können. Das schließt aber nicht aus, dass die Traumbilder ebenfalls einer strukturellen Logik gehorchen. Ja, der Begriff »Vor-stellung« impliziert geradezu, dass es sich hier um einen Repräsentationsvorgang handelt, bei dem eine per se undefinierte, »formlose« psychische Energie die Gestalt eines Zeichens annimmt. Darüber hinaus legt der Begriff »Sache« nahe, dass es sich bei Traumbildern eben nicht um undifferenzierte, nicht benennbare visuelle Eindrücke oder »Dinge« handelt, die erst noch einer Anordnung bedürfen, sondern um bereits identifizierte Gestalten mit bestimmten Eigenschaften. Eine solche Identifizierung ist für Lacan ohne begriffliche Zuordnung aber undenkbar: »One could say that ›Die Sache ist das Wort des Dinges‹ […]. It is precisely as we shift into discourse that das Ding, the Thing, is resolved into a series of effects – in the sense that one can say meine Sache.« (Sem7: 63) Was genau Lacan im Unterschied zur »Sache« unter dem »Ding« – man könnte vielleicht auch kantisch sagen: dem »Ding-an-sich« – versteht, wird an späterer Stelle diskutiert. Hier genügt es zunächst festzustellen, dass die linguistische Interpreta-
das Kind aufgrund des Verbots seinem Vater gegenüber entwickelt, und sich zweitens umso mehr steigern muss, je stärker die Triebe unterdrückt werden.
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tion des Unbewussten Lacans Psychoanalyse von der »biologistischen« Annahme Freuds entfernt. Gründete sich das Freud’sche Es im Wesentlichen auf rein somatisch bedingte innere Reize und »natürliche« psychische Triebe, so erscheint es in der Lacan’schen Deutung als Ausdruck oder Ergebnis der sprachlichen Struktur (S2/DB: 19). Daraus ergibt sich, dass die psychische Instanz des Unbewussten nicht weniger kulturell überformt ist wie das Bewusstsein und die Gesetze des Über-Ichs. Für Lacan ist die Entstehung des Unbewussten also nicht allein dem Verbot des Vaters geschuldet, der die libidinöse Besetzung der Mutter untersagt, sondern hängt ganz maßgeblich davon ab, dass das Inzestverbot nur auf der Grundlage der sprachlichen Unterscheidung von familiären Positionen vollzogen werden kann. »Hinreichend deutlich ist zu erkennen, daß dieses Grundgesetz [das Inzestverbot, S.P.] mit einer sprachlichen Ordnung identisch ist. Denn keine Macht außer der sprachlichen Benennung von Verwandtschaftsgraden ist imstande, das System von Präferenzen und Tabus zu institutionalisieren, das durch Generationen hindurch die Fäden der Abstammung miteinander verflicht und verknotet.« (S1/FF: 118)
Für Lacan wird somit der Eintritt in die Sprache zum zentralen Ereignis der Subjektwerdung – und das in mehrfacher Hinsicht: Denn parallel zur Etablierung der fundamentalen Differenz zwischen dem »ich« und dem »anderen« »spaltet« die Sprache das Subjekt zudem in einen bewussten und einen unbewussten Teil auf (Lacan verwendet später auch das Kürzel S/). Erst dieser doppelte Bruch weckt Lacan zufolge im Subjekt ein libidinöses Begehren – nämlich das Begehren, das eigene Entfremdetsein von sich und der Welt überwinden zu wollen. Die Dynamiken des Unbewussten resultieren somit nicht aus den »natürlichen Trieben« des Menschen. Vielmehr entstammen sie dem Wunsch, den durch den Eintritt in die kulturelle Ordnung erfahrenen Verlust von eigener Ganzheit und innerweltlicher Unmittelbarkeit mithilfe von (Liebes-)Objekten aufzuheben. Wie Lacan nicht müde wird zu betonen, sind diese Versuche jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Keines der begehrten Objekte – oder wie er sie später nennt: der »Objekte klein a« – vermag den »Mangel an Sein« zu kompensieren, den die Sprache im Subjekt hinterlassen hat. Und das gilt nicht nur, weil die verschiedenen Objekte lediglich »Lückenbüßer« sind für eine Leerstelle, die einer ganz anderen Logik entspringt. Das Subjekt hat gar keine Möglichkeit, hinter das Gesetz der Sprache zurückzugehen, ohne dabei den Status seiner Subjektivität zu verlieren – es bleibt gefangen in den Schlaufen des Begehrens. Um den Zusammenhang von Subjektivität und Sprache, Begehren und libidinösen Besetzungen zu verdeutlichen, entwickelte Lacan ein theoretisches Modell, das jedoch von Freuds Topik des psychischen Apparats grundlegend abweicht. Statt von dem Unbewussten und dem Bewussten bzw. dem Es, Ich und Über-Ich als voneinander abgrenzbaren psychischen Regionen auszugehen, spricht er seit 1953 vielmehr von drei verschiedenen Strukturen oder »Ordnungen«: dem Realen, dem
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Symbolischen und dem Imaginären. Diese bilden die Eckpunkte eines Kräftefeldes, in dem die psychischen Abläufe des Subjekts unendlich zirkulieren. Das Reale Das Reale ist jene Ordnung, die hinter oder vor jeglicher sprachlichen und symbolischen Anordnung der Erscheinungen liegt. Das Reale ist daher nicht mit der »Realität« oder dem Freud’schen »Realitätsprinzip« zu verwechseln, das bereits die deutende Unterscheidung zwischen dem Ich und der Außenwelt sowie die Existenz von (sprachlichen) Verboten und Gesetzen voraussetzt (Pagel 2002: 57). Vielmehr handelt es sich um einen ungeordneten Seinszustand, in dem es noch keine Differenz zwischen Ich und dem Anderen, Innen und Außen gibt und die pure »Materialität« der Dinge mit der physischen Körperlichkeit, seinen »organischen Bedürfnissen« sowie dem Geist und der Phantasie uneingeschränkt ineinanderfließen.15 Zu diesem »An sich« der Welt hat das Subjekt, sobald es in die Sprache und die damit verbundene »symbolische Ordnung« eintritt, jedoch keinen Zugang mehr – denn alle Erscheinungen der Welt, zu denen auch die eigenen körperlichen Bedürfnisse gehören, müssen nun durch das vereinheitlichende Kategoriensystem der Sprache und des Denkens gepresst werden, das stets sowohl zu viel als auch zu wenig ausspricht.16 »The real [...] consists of both the subject’s own being (its libidinal resources or needs) and the phenomenal world. Once the subject has entered the symbolic order its organic needs pass through the ›defiles‹ or network of signification and are transformed in a way which makes them thereafter impossible to satisfy.« (Silverman 1984: 166)
Das bedeutet aber nicht, dass »das Reale« keine Rolle mehr für das sprachlich konditionierte Subjekt spielt – im Gegenteil: Gerade weil es etwas ist, das unmöglich vorgestellt, wahrgenommen oder bewusst erlebt werden kann (Evans 2002: 251), hält das Reale das Subjekt gleich auf zweifache Weise in seinem Bann: Denn erstens macht das Subjekt im Laufe seines Lebens immer wieder Erfahrungen, die das Gerüst der symbolischen Ordnung sprengen und jeder bedeutungsgebenden Versprachlichung widerstehen. Diese schockhaften Konfrontationen mit
15 Lacans Vorstellung von dem »Realen« weist einige Ähnlichkeiten mit Merleau-Pontys postphänomenologischem Begriff des »Fleischs der Welt« auf. Siehe dazu auch Kapitel 3.1.1.3. 16 An diesem Punkt lassen sich deutliche Parallelen zu der transzendentalen Erkenntnistheorie von Kant erkennen, der ebenfalls davon ausging, dass die menschlichen Erkenntnisinstrumente das eigentliche »Ding an sich« nicht erfassen können. Im Unterschied zu Kant glaubt Lacan jedoch, dass diese nicht begrifflich erfassbare Ebene der Welt auf das Subjekt rückwirkt.
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dem unfassbaren »Realen«, zu denen etwa Begegnungen mit dem Tod (Bowie 1991: 100), Erfahrungen von Gewalt, aber auch das Gefühl von Ausgeliefertsein an die eigenen körperlichen Vorgänge17 sowie die sexuelle »jouissance« gehören, lösen Lacan zufolge Ängste aus (Sem2: 196) und können im Extremfall – wenn sie nicht im Nachhinein vom Symbolischen eingefangen werden – auch zu Traumata oder psychotische Schüben führen (Sem11: 59f.). Zweitens löst der »Mangel an Sein«, der durch die Trennung von dem Realen entsteht, in dem Subjekt eine tief empfundene Sehnsucht nach einem nichtentfremdeten Dasein aus, dem keine inneren und äußeren Grenzen gesetzt sind. Das sprachlich »gespaltene« Subjekt entwickelt mit anderen Worten das Begehren, den paradiesischen Zustand des Einsseins mit der Welt (wieder) zu erlangen, von dem es sich eine vollkommene Erfüllung seiner Wünsche verspricht.18 »Das Subjekt aber ist da, um sich wiederzufinden da wo es […] das Reale war« (Sem11: 51). Welche Strategien und Objekte es wählt, um diesem per definitionem nicht erreichbaren »Urzustand« nahe zu kommen, hängt dabei von der herrschenden symbolischen und imaginären Ordnung ab. Das Symbolische Das Symbolische, von Lacan oft mit dem »Gesetz der Sprache« gleichgesetzt, ist wohl die wichtigste der drei Ordnungen. Es liegt sowohl den innerpsychischen Vorgängen des Subjekts als auch dessen sozialen und kulturellen Praktiken als determinierendes Prinzip zugrunde, oder wie Lacan formuliert: »Das Gesetz des Menschen ist das Gesetz der Sprache.« (S1/FF: 112) Diese außerordentliche »Macht« der symbolischen Ordnung resultiert aus ihrer zugleich strukturierenden und entfremdenden Wirkung. Indem sie die Welt in klar geschiedene Einheiten trennt und eine Grenze zieht zwischen legitimen und illegitimen Wünschen, schafft die symbolische Ordnung die Voraussetzungen, die es
17 Zur genuinen Fremdheit des eigenen Körpers siehe auch Widmer 1990: 58ff. 18 Den Gedanken, dass das Subjekt stets nach einem primordialen Zustand vollkommener »Reizlosigkeit« strebt, in dem sich seine Ich-Grenzen und somit seine Subjektivität auflösen, übernimmt Lacan von Freud, der den Trieb als »ein dem belebten Organischen innewohnender Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustandes« (Freud 1992d: 221) definiert. Während er jedoch in seinen früheren Schriften noch davon ausging, dass dieser »Drang« zur Spannungsminderung allein den Weg des voranschreitenden Lustprinzips gehen muss, vertritt Freud in Jenseits des Lustprinzips die These, dass es auch so etwas wie einen »Todestrieb« geben müsse. Ähnlich wie Lacan, der die Aufgabe des Subjekts darin sieht, zum Realen zurückzukehren (Sem11: 51, siehe oben), schreibt Freud: »Das Ziel alles Lebens ist der Tod, und zurückgreifend: Das Leblose war früher da als das Lebende.« (Freud 1992d: 223)
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dem Subjekt erlauben, sich seine Realität bewusst anzueignen und in intersubjektive Beziehungen einzutreten. Zugleich enthebt sie das Subjekt seiner innerweltlichen Immanenz. Damit weckt sie in ihm das unbewusste Begehren, die sprachlich induzierte Abspaltung vom »realen« Sein zu überwinden. Bevor näher darauf eingegangen werden kann, wie Lacan diesen Zusammenhang zwischen symbolischer Ordnung und begehrender Subjektivität herleitet, soll hier noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass Lacan das Symbolische keineswegs auf die Sprachfunktion beschränkt. Auch Rituale, »praktische« Handlungsregeln sowie visuelle und repräsentationale Ordnungen können als Formen des Symbolischen gelten. Der Einfachheit halber wird das Symbolische dennoch zunächst anhand der sprachlichen Überformung des Realen erläutert, um in einem zweiten Schritt zu diskutieren, in welchem Sinne die Strukturen der visuellen Kultur ebenfalls eine symbolische Ordnung bilden. Für Lacan liegt eines der wichtigsten Merkmale der Sprache darin, dass sie das Objekt zum »Verschwinden« bringt (S1/FF: 116). Die Sprache »überdeckt« die Welt des Realen gewissermaßen und transformiert sie so in eine differenzierte Gesamtheit von einzelnen, handhabbaren Phänomenen oder »Sachen«. »Es ist vielmehr die Welt der Worte, die die Welt der Dinge19 schafft – die zuerst im hic et nunc eines werdenden Ganzen unterscheidbar sind –, indem sie ihrem Wesen konkretes Sein verleiht und ihrem Immerseienden überall seinen Platz zuweist.« (S1/FF: 117)
Mit dieser Annahme befindet sich Lacan durchaus in Übereinstimmung zu Foucaults späterer Behauptung, dass die Gegenstände erst vom Diskurs gebildet werden (AW: 74). Auch die Lacan’sche These, wonach der Mensch nur deshalb spricht, »weil das Symbol ihn zum Menschen gemacht hat« (S1/FF: 117), lässt an Foucaults »archäologische« Subjekttheorie denken, der zufolge der Diskurs die Position des sprechenden Subjekts vorzeichnet (AW: 138f.). Tatsächlich geht auch Lacan – ähnlich wie später Foucault – davon aus, dass die Sprache eine Struktur ist, die von außen, sprich: vom »großen Anderen« (A) kommt und sich dem Subjekt überstülpt.20 Doch im Unterschied zu Foucault interessiert sich Lacan vor allem für die innerpsychischen Dynamiken, die der Spracheintritt beim Subjekt auslöst.
19 Konsequenterweise müsste hier nicht »Dinge« stehen, sondern »Sachen«, da Lacan in seinem Seminar VII eine Unterscheidung trifft zwischen den begrifflich geordneten »Sachen«, die auch in den Sachvorstellungen des Traums in Erscheinung treten, und den primordialen, für das Subjekt nicht fassbaren »Dingen«, die noch nicht von der Struktur des Symbolischen durchkreuzt worden sind (Sem7: 63). 20 Lacan bezeichnet deshalb auch die Sprache bzw. die symbolische Ordnung als das »große Andere« (A), als die radikale Alterität, welche das Subjekt durchkreuzt oder »spaltet«.
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Um diesen Übergang vom vorsprachlichen Dasein zur sprachlichen Subjektivität genauer zu bestimmen, greift Lacan auf ein berühmtes Beispiel von Freud zurück, nämlich auf das Fort/Da-Spiel seines eineinhalbjähren Enkelkindes (Freud 1992d: 199ff.): »Das Kind hatte eine Holzspule, die mit einem Bindfaden umwickelt war. Es fiel ihm nie ein, sie zum Beispiel am Boden hinter sich herzuziehen, also Wagen damit zu spielen, sondern warf die am Faden gehaltene Spule mit großem Geschick über den Rand seines verhängten Bettchens, so daß sie darin verschwand, sagte dazu sein bedeutungsvolles o-o-o-o und zog dann die Spule am Faden wieder aus dem Bett heraus, begrüßte aber deren Erscheinen jetzt mit einem freudigen ›Da‹. Das war also das komplette Spiel, Verschwinden und Wiederkommen, wovon man zumeist nur den ersten Akt zu sehen bekam, und dieser wurde für sich allein unermüdlich als Spiel wiederholt, obwohl die größere Lust unzweifelhaft dem zweiten Akt anhing.« (Freud 1992d: 200)
Freud interpretierte dieses Spiel als eine »große kulturelle Leistung des Kindes« (Freud 1992d: 201). Das Kind gestaltet das Fortgehen der Mutter und die damit verbundene Unlusterfahrung erträglicher, indem es das schmerzhafte Trennungserlebnis mithilfe von Wortvorstellungen »bindet«, kontrolliert und sogar aktiv, also handlungsmächtig reinszeniert. Lacan deutet dieses Spiel ebenfalls als Sinnbild für die sprachliche Meisterung von Erfahrungen, schreibt der Episode aber ungleich mehr Bedeutung zu als Freud. Für Lacan demonstriert das Fort/Da-Spiel nicht nur, dass sich das Kind mithilfe der Sprache die eigene Realität zu vermitteln weiß. Das Spiel zeigt vielmehr an, dass das Sprachlich-Werden des Subjekts ganz wesentlich mit einer Entfremdung vom Realen (hier: der Mutter) und vom eigenen Sein verknüpft ist (Silverman 1984: 168f.). Dieser »Seinsmangel« des sprechenden Subjekts resultiert nach Lacan aus dem Umstand, dass eine Sprache – egal wie ausgefeilt sie auch sein mag – die Welt und das (körperliche) Ich »an sich« nicht abzubilden vermag. Wie das Beispiel des Fort/Da-Spiels zeigt, nimmt die Rede ihren Ausgang dort, wo eigentlich »Nichts« ist: in der Abwesenheit der Dinge. »Durch das Wort, das bereits eine Anwesenheit darstellt, die auf Abwesenheit gründet, erhält in einem besonderen Augenblick die Abwesenheit selbst einen Namen.« (S1/FF: 116f.) Mit seiner ersten »Signifikantenkette«, also den Worten »Fort« und »Da«, lernt das Kind nicht nur, seine Welt mithilfe einer bereits bestehenden Sprache zu symbolisieren. Indem es einen »Namen« für das Abwesende findet, gibt es auch sein unmittelbares, präsentistisches Einssein mit ihr auf. Diese Aufgabe wird als schmerzlicher Verlust erlebt. Statt einer tatsächlichen Kastration(sdrohung) durch
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den Vater21 erleidet das werdende Subjekt eine »symbolische Kastration« durch den »großen Anderen« (A) der Sprache. Die psychischen Effekte dieser »symbolischen Kastration« sind allerdings ambivalent: Einerseits ermächtigt die Sprache das Subjekt überhaupt erst dazu, sich seiner selbst und der äußeren Welt »bewusst« zu werden, sich Abwesendes zu »vergegenwärtigen« und mit anderen Subjekten in ein kommunikatives Verhältnis zu treten. Andererseits entfremdet die Sprache das Subjekt von seinem Sein (S/) und pflanzt ihm damit das unstillbare Begehren ein, die verlorene Ganzheit durch Identifikationen und Liebesobjekte wiederherzustellen. Um seine These vom »Gesetz der Sprache« zu stützen (S1/DB), greift Lacan seit den 1950er Jahren auf die Sprachwissenschaft von Ferdinand de Saussure zurück. Dieser hatte in seinem Cours de linguistique générale (1916) die für den Strukturalismus wegweisende Annahme vertreten, dass die Wörter (die Signifikanten) in keiner natürlichen Relation zu den Vorstellungsbildern (den Signifikaten) stehen, sondern auf vollkommen arbiträren Setzungen beruhen, die ihre Bedeutung ausschließlich aus der Differenz zu anderen Wörtern beziehen. Während sich de Saussure aber weniger für erkenntnistheoretische Fragestellungen interessierte und davon auszugehen schien, dass Signifikate schon vor der Ordnung der Signifikanten existieren, schreibt Lacan dem differentiellen Spiel der Signifikanten ganz eindeutig die primäre bedeutungsgenerierende Funktion zu (S2/DB: 21).22 Aus dieser Annahme folgt, dass das sprechende Subjekt keine vorsprachliche oder außersprachliche »Realität« kennt, die sich direkt in seinen Vorstellungsbildern manifestiert. Die Welt – also die Dinge, die anderen Lebewesen, aber auch die eigenen Gefühle – erscheint dem Subjekt ausschließlich in Form der Vorstellungen, die in dem »Dazwischen« der Signifikanten entstehen. Neben diesem ontologischen Verlust hat die Priorität des Signifikanten noch eine weitere folgenschwere Konsequenz: Bedeutung erscheint nicht länger als eine relativ stabile Größe, die sich je nach sprachlicher Konvention in unterschiedlichen Begriffen Ausdruck verschafft. Vielmehr verschiebt sich die Bedeutung, sobald sich die signifikante Kette umstrukturiert oder erweitert – was recht häufig passiert, da jeder einzelne Signifikant in einer Kette stets auf eine Menge anderer Signifikanten verweist (Evans 2002: 271).
21 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass für Lacan das Entscheidende des »Untergangs des Ödipuskomplexes« nicht darin liegt, dass der Vater dem Kind die Beziehung zur Mutter unter Androhung der Kastration verbietet, sondern dass er damit auch eine Unterscheidung zwischen den Verwandtschaftsgraden und somit eine »symbolische Ordnung« herstellt (S1/FF: 118). 22 Lacan drückt diesen konstruktivistischen Gedanken mithilfe des »Algorithmus« S/s aus: der Signifikant steht über dem Signifikat (S2/DB: 21).
242 | DIE P RAXIS DES S EHENS »Man kann also sagen, daß der Sinn in der Signifikantenkette insistiert, daß aber nicht ein Element der Kette seine Konsistenz hat in der Bedeutung, deren es im Augenblick gerade fähig ist. Es drängt sich also der Gedanke auf, daß das Signifizierte unaufhörlich unter dem Signifikanten gleitet.« (S2/DB: 27)
Zwei der wichtigsten Assoziationsmechanismen, die einen unmittelbaren Zusammenschluss ganz verschiedener Signifikantenketten und somit größere »Bedeutungssprünge« ermöglichen, leitet Lacan aus Freuds Die Traumdeutung ab. Hier hatte Freud herausgearbeitet, dass verdrängte Sachvorstellungen durch die Traumarbeit »verdichtet« oder »verschoben« werden und so eine Gestalt annehmen, in welcher sie die Zensurinstanzen des Vorbewussten passieren können. Während sich bei der Verdichtung (Freud 1991a: 285ff.)23 verschiedene Assoziationen und Erinnerungsspuren in einem einzigen, überdeterminierten Traumbild bündeln, geht bei der »Verschiebung« (ebd.: 309ff.) die psychische Energie der ursprünglichen Sachvorstellung auf eine andere, assoziativ naheliegende, aber weniger intensive Vorstellung über. Anschließend an die Arbeiten von Roman Jakobson interpretiert Lacan diese beiden Prozesse als genuin rhetorische Figuren, die sich auf der Ebene der Signifikantenketten quasi von selbst ergeben. In diesem Sinne versteht er den Vorgang der psychischen Verdichtung als »Metapher«, d.h. als die »vertikale« Substitution eines Signifikanten durch den Signifikanten einer anderen Kette, wodurch ganz neue Sinneffekte entstehen. Ein Beispiel dafür ist etwa das (körperliche) »Symptom«, das an die Stelle eines verdrängten Bedeutungskomplexes tritt.24 Die Verschiebung bezeichnet Lacan hingegen als Metonymie: als eine diachronische, horizontale Substitutionsbewegung (S2/DB: 36), die eine Bedeutungskonstellation an den nächstfolgenden Signifikanten in der Kette weitergibt. Nach Lacan können diese Grundformen der symbolischen Bedeutungsproduktion und -transformation jedoch nur im Bereich des Unbewussten ungehindert walten. Das Bewusstsein gehorcht dem imaginären Ideal »festgeschriebener« Bedeutungen und leugnet daher das Gleiten der Signifikanten. Im Unterschied zu Freud, der das Es als einen vollkommen ungeordneten, teilweise »natürlich« bedingten Bereich ansieht, versteht Lacan das Unbewusste demnach als ein System, das zwar
23 Freud erzählt hier von einem eigenen Traum, in dem er eine botanische Monographie über eine unbestimmte Pflanzenart geschrieben hat. Das Traumbild der »botanischen Monographie« interpretiert er als eine Verdichtung, da sie nicht nur auf seine nie geschriebene »Arbeit über Kokain« verweist, sondern auch auf Professor Gärtner, an eine »blühende« Patientin mit Namen Flora sowie die Lieblingsblumen seiner Frau usw. (Freud 1991a: 288ff.). 24 An diesem Beispiel zeigt sich bereits, dass Lacan die symbolische Ordnung und ihre Prozesse keineswegs auf die sprachlichen Signifikanten beschränkt. Zum Symptom »als Sprache« siehe auch S1/FF: 109, 122.
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genuin dynamisch ist, in seiner Dynamik aber dem kulturellen Gesetz des »großen Anderen« folgt. Oder wie es Lacan kurz und bündig formuliert: »Das Es spricht.« (S2/SuS: 174)25 Das »normale« Subjekt gibt sich der Sprache des Es aber nicht vollkommen hin.26 Mit dem Eintritt in die symbolische Ordnung und der Bildung des Unbewussten entsteht zugleich das unbewusste Begehren, dem ontologischen Mangel, welchen der Spracheintritt hinterlassen hat, Abhilfe zu verschaffen. Das durch die Sprache »ausgestrichene« oder »gespaltene« Subjekt sehnt sich mit anderen Worten nach Stabilität, Ich-Identität und der unmittelbaren »Fülle« des Seins, welche die per se unvollständige Sprache nicht liefern kann. Dieses Begehren nach »Sinn- und Seinsfülle« verschafft sich durch die Strategien des »Imaginären« eine zwar illusionäre, aber immerhin temporäre Befriedigung. Das Imaginäre Neben dem Realen und dem Symbolischen existiert somit noch eine dritte Ordnung, eben das Imaginäre. Es erwächst aus dem narzisstischen Begehren des sprachlich gespaltenen Subjekts, die Signifikantenkette abzuschließen und den eigenen Mangel an Sein zu überwinden. Lacan arbeitet die grundlegende »Matrix« aller imaginären Prozesse (S1/S: 64) bereits 1936 in seinem berühmten Vortrag Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion (S1/S) heraus, also noch lange bevor er die drei Ordnungen systematisch unterscheidet. Ausgangspunkt seiner Analyse ist die Beobachtung, dass sich ein Kind im Alter von sechs bis achtzehn Monaten im Spiegel zum ersten Mal selbst erkennt und dieses neu gewonnene Selbstbild jubilierend registriert. Wie Lacan betont, gibt das Spiegelbild jedoch nicht den »wahren« Zustand des kindlichen Ichs wieder, da der Spiegel-Körper wie eine kontrollierbare, somatische Entität erscheint, während es dem wirklichen Körper des Säuglings am motorischen Koordinationsvermögen fehlt. »Die totale Form des Körpers, kraft der das Subjekt in einer Fata Morgana die Reifung seiner Macht vorwegnimmt, ist ihm nur als ›Gestalt‹ gegeben, in einem Außerhalb.« (S1/S: 64) Das kindliche Subjekt identifiziert sich also mit dem äußeren Bild eines omnipotenten Ideal-Ichs (moi), welches dem realen Ich (je), das noch abhängig ist von der pflegenden Zuwendung anderer Subjekte, in keiner Weise entspricht. Oder anders ausgedrückt: Das imaginäre Sich-(Er-)kennen (me connaître) als ganzheitliches
25 Man könnte aber auch sagen: »Das Unbewußte ist der Diskurs des Anderen.« (S2/ÜF: 81) 26 Nur das wahnsinnige Subjekt ist dem Symbolischen vollkommen ausgeliefert. »Im Wahnsinn wird das Subjekt gesprochen und spricht nicht selber.« (S1/FF: 124) Umgekehrt bewirken aber auch zu viele dieser »illusionären Fixierungen« neurotische Symptome.
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Selbst (moi) basiert auf einem konstitutiven Verkennen (méconnaître) (S1/S: 69, S3: 183) des eigentlich »zerstückelten« Ichs (je) (S1/S: 67). »Dem Repräsentierenden, dem Abbild eignet eine irreduzible Priorität vor dem Repräsentierten, und das Subjekt konstituiert sich somit als imaginäres gerade durch seine Differenz zum Abgebildeten. Dadurch wird dem Ich eine die Selbstidentität ex-zentrierende uneinholbare Heterogenität eingeschrieben.« (Pabst 2004: 24)
Entscheidend ist hier, dass das Spiegel-Imago von den Bezugspersonen – beispielsweise der Mutter, die das Kind vor den Spiegel hält – als das eigene (begehrenswerte) Ich bestätigt wird: »Ja genau, das bist Du.« Das heißt, dass die zutiefst »entfremdende« Identifizierung des Kindes mit seinem bildhaften Alter Ego nicht als ein rein individualpsychologischer Vorgang verstanden werden kann, der unabhängig von der sozialen Außenwelt stattfindet. Im Gegenteil scheint das kohärente Spiegelbild eine Form des Ichs wiederzugeben, die von den anderen Subjekten eingefordert und dem Kind nahegelegt wird. Damit weist das Spiegelstadium – auch wenn es streng genommen noch der vorsprachlichen Entwicklung des Kindes zuzurechnen ist – bereits einige der grundlegenden Aspekte und Mechanismen der imaginären Ich-Identifikation auf, wie sie von dem erwachsenen oder »symbolisch kastrierten« Subjekt Zeit seines Lebens immer wieder aufs Neue durchlaufen werden.27 Dazu gehört erstens, dass den imaginären Prozessen stets ein »zerstückeltes«, impotentes Subjekt zugrunde liegt: das sprachlich gespaltene Subjekt (S/), das durch die symbolische Ordnung von seinem Sein und der Welt unüberbrückbar entfremdet ist.28 Aus diesem Mangel erwächst das Begehren, das Ausgeliefertsein an »den Anderen« und die eigene Spaltung zu überwinden. Da aber das Subjekt per definitionem nicht »vor« das Symbolische zurückgehen kann, hat es keine andere Möglichkeit, als den Mangel wiederum symbolisch zu repräsentieren. Der Mangel stellt sich dem (unbewussten) Subjekt jedoch nicht als ein »Zuviel« an Sprache dar. Vielmehr erfährt es ihn als ein »Zuwenig« an der »richtigen« Sprache, die sein eigenes Sein und die Welt in Vollständigkeit abbilden könnte.
27 »Identification in all its forms is the repetition of an infantile narcissistic rite.« (Bowie 1991: 37) 28 Streng genommen handelt es sich dabei aber um eine andere Form der »Zerstückelung«. Denn während die Ohnmacht des Kindes auf eine somatische Rückständigkeit zurückzuführen ist, die dem Register des »Realen« angehört, resultiert die »Spaltung« des sprachlichen Subjekts aus der symbolischen Ordnung, die eben diese realen (körperlichen) Bedürfnisse nicht restlos benennen kann.
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Vor dem Hintergrund dieses symbolisch durchwirkten Mangel- und Begehrensszenarios entwickelt das Subjekt zweitens ein Ideal-Ich (moi), von dem es sich die Behebung des Mangels erhofft. Das gespaltene Ich stellt sich mit anderen Worten vor, seine ontologisch bedingte Entfremdung und Impotenz loswerden zu können, sobald es die Züge seines Ideals annimmt. Diese Imagination ist dabei nichts individuelles, sondern speist sich aus jenen Selbstbildern und Subjektentwürfen, die in verschiedenen Diskursen zirkulieren und gemeinhin als erstrebenswert gelten. Das Imaginäre ist somit stets historisch und kulturell bedingt. Nach Lacan stützt sich beispielsweise das dominante Ich-Ideal der westlichen Moderne auf das cartesianische Subjektkonzept. Dieses entwirft das Ich bekanntermaßen als ein mit sich selbst identisches, autonomes (männliches) Subjekt, das sich dem eigenen Sein und der Welt durch das Denken gewiss wird. Dieses Konzept verkennt jedoch die Tatsache, dass das Subjekt von dem Symbolischen »durchgestrichen« wird und somit niemals Herr seines Denkens und Sprechens sein kann.29 Um sich diesem narzisstischen Ziel anzunähern und wenigstens temporär das Gefühl zu bekommen, den Mangel überwunden zu haben, bedient sich das Subjekt drittens bestimmter Hilfsmittel oder »Prothesen«, die ihm eine »orthopädische«, d.h. künstliche Vollkommenheit »zurückspiegeln« (S1/S: 67): Zum einen sind das die sogenannten »Steppunkte« (Sem3: 305f.) (1), die der intersubjektiven Rede und dem Diskurs zugrunde liegen, und zum anderen die affektiv besetzten »Objekte klein a« (Sem11: 68) (2), die gewissermaßen als imaginäre »Lückenbüßer« dienen:30 Da vor allem Letztere für die Frage der Dingwahrnehmung eine wichtige Rolle spielen, sollen diese beiden Manifestationen des Imaginären an dieser Stelle etwas näher beleuchtet werden. Zu (1): Die Steppunkte: Was allgemein als das rationale, »bewusste Denken« oder als »intersubjektive Rede« gilt, deutet Lacan als Versuch, bestimmte Bedeutungen zu fixieren und zu einem allgemein verbindlichen Kanon zu verfestigen. Damit Regeln, Verbote, Identitäten, soziale Rollen, Ideologien und Diskurse überhaupt begründet werden können, müssen sich die Subjekte schließlich darauf geeinigt haben, dass bestimmte Signifikanten(-reihen) stets mehr oder weniger dasselbe bedeuten. Lacan nennt diese relativ stabilen Signifikat-Signifikanten-Konstellationen »Abhef-
29 Damit grenzt sich Lacan ganz klar von Descartes’ einflussreicher Schlüsselthese »ich denke also bin ich« ab und behauptet stattdessen: »Ich bin nicht da, wo ich das Spielzeug meines Denkens bin; ich denke an das, was ich bin, dort wo ich nicht denke zu denken.« (S2/DB: 43) 30 So definiert Malcom Bowie das Imaginäre als einen Bereich, »in which the human being seeks to provide himself or herself with consolation by identifying with chosen fragments of the world, by finding an imagined wholeness of the ego reflected in the seeming wholeness of the perceived thing« (Bowie 1991: 10).
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tungsstellen« (S2/DB: 27) oder Steppunkte (Sem3: 305f.). An diesen werden die Signifikantenketten, die sich ansonsten frei bewegen und überlagern, miteinander »vernäht« (Bowie 1991: 74).31 Zu diesen imaginären Steppunkten zählt auch die Vorstellung, dass »Ich« und »Du« zwei in sich abgeschlossene, »bewusst denkende« Wesen sind, die über die Sprache zueinander in Kontakt treten können. Obwohl Lacan einräumt, dass einige dieser imaginären Bedeutungs- und Identitätsfixierungen notwendig sind, um das Subjekt vor dem Abdriften in die Psychose zu bewahren, bewertet er sie im Unterschied zur Ich-Psychologie nicht durchweg positiv. Letztere interpretiert die wortsprachliche »Bindung« von psychischer Energie als eine Ich-stärkende Funktion, während Lacan die »bewusste Rede« des »denkenden Ichs« letztlich als ein »leeres Sprechen« interpretiert, das weder die eigentlichen psychischen Vorgänge, die sich in den unbewussten Verschiebungen der Signifikantenketten abspielen, noch die Wahrheit des »gespaltenen« Ichs abbilden kann (S1/FF: 84ff.). Lacan veranschaulicht den Umstand, dass die intersubjektive, bewusste Rede stets auf einer Verkennung der beiden beteiligten Subjekte beruht, in seinem »Schema L« (Sem2: 309ff.) (siehe Abbildung 7).
Abbildung 7: Jacques Lacans »Schema L«
Das alltägliche Sprechen zwischen zwei Subjekten ist demnach kein direkter Austausch der beiden »echten«, unbewussten Ichs (hier: Es (S) und A(nderer)). Es handelt sich vielmehr um eine »imaginäre Beziehung« zwischen zwei im Wesentlichen gleichförmigen Ich-Idealen (hier: (Ich)a und der a’(ndere)), die in ihrer »leeren« Kommunikation auf die »illusionären« Bedeutungen, d.h. die kulturellen Steppunkte zurückgreifen. Allein in den Freud’schen Fehlleistungen oder dem Witz, die auf metonymischen Verschiebungen beruhen und somit das wackelige Fundament der
31 Letztlich handelt es sich bei diesen Steppunkten um eine spezifische Form der Metapher.
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Steppunkte offenbaren, kann das »wahre«, »volle Sprechen« des Es zum Zuge kommen.32 Anders als Freud, der die therapeutische Maxime vertrat: »Wo Es war soll Ich werden« (Freud 1991c: 81), sieht Lacan das Ziel der psychoanalytischen Kur daher nicht darin, das bewusste Sprechen in die Region des Unbewussten vordringen zu lassen. Es geht ihm vielmehr darum, unter dem »leeren Sprechen« das »volle Sprechen« des Unbewussten freizulegen (S1/FF: 84ff., S3/SuS: 175f.). Zu (2): Das »Objekt klein a«: Neben dem bewussten Denken äußert sich der Wunsch nach Einssein zudem in sowohl intersubjektiven als auch interobjektiven affektiven Besetzungen, die gewissermaßen quer zu dem »leeren Sprechen« verlaufen. Ausgedrückt im »Schema L« besetzt das »wahre« Ich (S) den anderen (a’) affektiv, weil dieser für etwas einsteht, was das Subjekt unbewusst begehrt: das verloren geglaubte primordiale »Partialobjekt«.33 Was bedeutet das genau? Wie bereits mehrfach angedeutet, provoziert der »Mangel an Sein«, den das Subjekt durch den Eintritt in die symbolische Ordnung erfährt, das Begehren nach einer Vervollständigung der per se lückenhaften Signifikantenkette. Unbewusst glaubt das Subjekt, dass es diesen fehlenden Signifikanten – Lacan nennt ihn auch »das Ding« (Sem7: 43ff.) – einstmals besaß und nur wiederzufinden braucht, um sich wieder »ganz« zu fühlen. »Die Fiktion des Verlusts ist eine Form der Bewältigung der strukturellen Tatsache, dass die Sprache – der große Andere in der Terminologie Lacans – lückenhaft ist, dass er gerade für die dringendsten existentiellen Belange des infans keine Antwort weiß.« (Cremonini 2001: 178) Das Begehren richtet sich also letztlich auf ein »impossible nonobject« (Silverman 2000: 15), das es tatsächlich nie gegeben hat, dessen Fehlen aber nachträglich als Grund des »Mangels an Sein« empfunden wird. Trotz dieser ursprünglichen Leere, die bewirkt, dass das Begehren sein Ziel letztlich niemals erreichen wird, bildet sich das »bewusst« denkende und erlebende Subjekt immer wieder ein, »das Ding« in konkreten Gegenständen oder Personen inkarniert wiederzufinden. Im Laufe seines Lebens besetzt das Subjekt also eine ganze Reihe von menschlichen und nicht-menschlichen »Objekten klein a«34, die
32 Auch Merleau-Ponty hatte zwischen einem Sprechen unterschieden, das die etablierten Bedeutungskonventionen lediglich reproduziert, und solch einem Sprechen, das einen bisher nicht gedachten Sinn zur Sprache bringen kann. Vgl. dazu Kapitel 3.1.2.2, hier den Abschnitt über »Die Sprache als Institution«. 33 Über die grundlegend narzisstische Struktur des Begehrens schreibt Silverman: »Indeed, since others will be loved only if they are believed to be capable of completing the subject, desire must be understood as fundamentally narcissistic.« (Silverman 1984: 177) 34 Lacan meint mit diesem Ausdruck, dass die konkreten Objekte oder Subjekte, auf die sich das narzisstische Begehren des gespaltenen Subjekts richtet, das per se unerreichbare
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ihm wenigstens zeitweise das narzisstisch befriedigende Gefühl verschaffen, mit sich und der Welt eins zu sein.35 Ähnlich wie bei den Ich-Idealen hängt auch die Wahl der »Objekte klein a« in hohem Maße davon ab, welche Dinge oder Personen gesellschaftlich affektiv besetzt sind. Genau aus diesem Grund lässt sich eine gewisse Gleichförmigkeit bei der Wahl der Statussymbole beobachten, mit denen männliche westliche Subjekte ihr Ich-Ideal eines intellektuell, ökonomisch und sexuell potenten (d.h. »phallischen«36) Mannes ausstatten: schnelle (rote) Autos, schöne Frauen oder ostentativ vorgebrachtes Fachwissen. Nicht weniger erstaunlich ist die Hartnäckigkeit, mit der moderne Frauen immer noch an dem weiblichen Ideal der körperlichen Attraktivität, Keuschheit und Fragilität festhalten und sich daher zu entsprechenden Dingen (Schmuck, Kleidung, Kosmetik) und Personen (starker Partner) hingezogen fühlen. Neben diesen grob gezeichneten gesellschaftlichen Stereotypen existieren natürlich noch jede Menge Mischformen, milieuspezifische Stilisierungen und explizite Gegenentwürfe, die aber nicht unbedingt als »unabhängigere« Formen des Selbstentwurfs gelten können. Auch die Figuren des »Metrosexuellen«, des »Kreativen« oder der »Feministin« stellen kollektiv geteilte Orientierungspunkte für imaginäre Subjektivierungen dar. Doch wie unterschiedlich all diese Strategien im Einzelnen ausfallen mögen – entscheidend ist, dass weder das bewusst erarbeitete Wissen noch die affektiven Besetzungen Garant für eine stabile Subjektposition sind. Ganz im Gegenteil ist das Subjekt Zeit seines Lebens mit der Möglichkeit seines Zerfalls konfrontiert. Dieser Zerfall kann verschiedene Ursachen haben, etwa wenn sich die gesellschaftlich anerkannten Ich-Ideale verschieben oder das Subjekt feststellen muss, dass bestimme Selbstbilder nur für bestimmte Lebensphasen taugen, oder aber – und das ist sicher eine der wichtigsten Quellen für die Destabilisierung des Subjekts – weil die imaginären Ich-Ideale, das »Wissen« und die begehrten »Objekte klein a« letztlich nicht halten können, was sie versprechen. Die IchIdeale, Stepppunkte und konkreten Objektbesetzungen sind schließlich nur Lückenbüßer für einen ontologischen Mangel, der per definitionem nicht durch ein symbolisch identifiziertes Objekt behoben werden kann.
»Andere« des Symbolischen inkarnieren und somit vermeintlich greifbar machen. Nach Lacan kann beispielsweise die Spule, die das Kind in dem Fort/Da-Spiel von sich wirft und somit sprachlich von seinem Ich abtrennt, als eines der ersten »Objekte klein a« gelten (Sem11: 68). 35 Lacan drückt diese imaginäre Beziehung des gespaltenen Subjekts mit seinem »Objekt klein a« auch mit der Formel S/◊a aus. 36 Für Lacan ist der Phallus eine abstrakte Figur, die den »fehlenden Signifikanten« bezeichnet. Dieser wird jedoch in der imaginären Ordnung durch den Penis repräsentiert.
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In diesem »ontologischen Fehlschluss« liegt auch die ambivalente Grundhaltung begründet, die das Subjekt seinen Liebesobjekten gegenüber zeigt: Denn da die »Objekte klein a« das begehrende Subjekt täuschen, müssen sie es auch irgendwann enttäuschen und mutieren dabei leicht vom Liebes- zum Hassobjekt. Aus diesem Grund ist das Subjekt stets auf der Suche; es beschreitet die metonymischen Bahnen seines Begehrens, um das oder den andere(n) ausfindig zu machen, welcher ihm hilft, die narzisstische Illusion von Vollständigkeit aufrechtzuerhalten (S2/DB: 44). Lacans zentrale These, dass »das Begehren des Menschen […] das Begehren des Anderen [ist]« (S2/SuS: 190, Sem11: 44), gilt somit gleich in mehrfacher Hinsicht.37 Im folgenden Kapitel soll es nun um die Frage gehen, wie sich die symbolische Ordnung und das Imaginäre auf der Ebene des Visuellen manifestieren. Dazu wird zunächst Lacans eigenes Konzept des Blicks (»le regard«) rekapituliert, das er – wohlgemerkt angeregt durch das Erscheinen von Merleau-Pontys Das Sichtbare und das Unsichtbare – in seinem Seminar XI Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse entwickelt. 3.2.2 Das begehrende Sehen Wie bereits ausgeführt, weist Lacans Begriff des Symbolischen über die Sprache hinaus. Auch die kulturellen (An-)Ordnungen von Dingen, Bildern oder (ritualisierten) Praktiken beruhen auf einem Strukturierungssystem, das die gleichen psychischen Wirkungen zeitigt wie die Sprache selbst. Damit ist das Subjekt nicht nur der sprachlichen »Kastration« ausgesetzt, sondern wird von visuellen, auditiven oder anderen sinnlichen »Signifikantenketten« durchkreuzt, die sich mit den wortsprach-
37 Das Begehren ist erstens insofern »Begehren des Anderen«, als es durch »den Anderen« (die symbolische Ordnung) erst induziert wird. Des Weiteren ist das Begehren zweitens auch ein Begehren nach dem Anderen, sowohl im Sinne des Begehrens nach einem anderen Subjekt oder Objekt, das den eigenen Mangel zu kompensieren verspricht, als auch des Wunsches, über ein lückenloses symbolisches System zu verfügen. Und drittens kann dieser Satz auch hegelianisch gelesen werden: Das Begehren des Subjekts richtet sich entweder auf die Objekte, auf die sich auch das Begehren der anderen richtet, oder aber darauf, selbst das Objekt des Begehrens des anderen zu sein – also selbst die Rolle des »fehlenden Signifikanten« einzunehmen und somit vom anderen anerkannt zu werden: »Weder das Subjekt noch der Andere (für jeden der Beziehungspartner) kann sich damit zufrieden geben, Subjekte des Bedürfnisses oder Objekte der Liebe zu sein, sondern einzig und allein damit, Statthalter zu sein für die Ursache des Begehrens.« (S2/BP: 127) Letzteres ist vor allem in der ersten Phase des Ödipuskomplexes zu beobachten, in der das Kind versucht, der Phallus für die Mutter zu sein.
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lichen Zeichenprozessen überschneiden und vermischen. So kann ein bestimmtes Wort metonymisch auf ein anderes verweisen, assoziiert sich aber vielleicht gleichfalls mit einer visuellen Sachvorstellung oder einem haptischen Eindruck, der dem Signifikanten nahesteht. Umgekehrt vermag ein bestimmter Geruch oder Geschmack wie eine Metapher zu wirken, die ein ganzes Bedeutungsszenario heraufbeschwört (man denke nur an die Madeleine in Marcel Prousts A la recherche du temps perdu). Um klarzustellen, dass sich das Unbewusste eben nicht allein aus der sprachlichen Ordnung ableiten lässt, betont Lacan daher immer wieder: »[…] das Unbewusste [ist] strukturiert […] als [besser: wie, S.P.] eine Sprache. Ich sage als, um nicht zu sagen […] daß das Unbewußte strukturiert ist durch eine Sprache.« (Sem20: 52f.) In Lacans Seminaren und Schriften lassen sich aber nur wenige systematische Auseinandersetzungen mit solchen nicht-sprachlichen Ordnungen finden. Eine Ausnahme bildet das Seminar XI Die Vier Grundbegriff der Psychoanalyse, in dem Lacan dem »Blick als Objekt klein a« immerhin vier Sitzungen widmet. Neben dem Spiegelstadium-Aufsatz wurde diesen gut fünfzig Seiten Text eine breite Aufmerksamkeit seitens der Visual Culture Studies, vor allem aber der feministischen Filmund Medienwissenschaften zuteil. Dabei richtete sich das Interesse aber vornehmlich auf die filmische und bildliche (Re-)Produktion von visuellen Ideal-Ich-Konstruktionen, weiblichen und männlichen Körperbildern sowie geschlechtsspezifischen Sehmodalitäten. Demgegenüber versucht die folgende Darstellung herauszuarbeiten, inwiefern Lacans Visualitätsmodell die Grundlage dafür bieten kann, die Frage der Dingwahrnehmung bzw. der affektiven Besetzung von Artefakten genauer ins Visier zu nehmen. Zu diesem Zweck werden neben Lacans eigenen Überlegungen die Arbeiten von Kaja Silverman und Leo Bersani herangezogen, die hier Pionierarbeit geleistet haben. 3.2.2.1 Die symbolische Ordnung des Blicks Nach Lacan unterliegt das Sehen – ebenso wie das Sprechen – einer symbolischen Ordnung, die das, was gesehen werden kann, vorstrukturiert. Und ebenso wie das »bewusste Sprechen« die existentielle Bedingung des Subjekts – den Zustand der Entfremdung und des Gleitens der Bedeutungen – verdrängt, so ist auch das »bewusste Sehen« als ein Akt der imaginären Verkennung zu verstehen, bei dem die jeweiligen blinden Flecken ausgeblendet werden. Dieser Zusammenhang von Sehen und Verkennen prägt bereits das Spiegelstadium (S1/S): Das Kind entdeckt im Spiegel ein kohärentes Körperbild, während seine tatsächliche somatische Unvollkommenheit unsichtbar bleibt. Mit Lacans Konzept des »Blicks« als das symbolische Andere ist aber noch viel mehr gemeint als lediglich die narzisstische Selbstbespiegelung. Es will darauf hinaus, dass sämtliche Gestalten, die dem Subjekt begegnen – sei es der eigene Körper, der einer anderen Person, oder aber auch nicht-menschliche Dingformen und deren
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Konstellationen – letztlich durch die Brille einer strukturellen Ordnung betrachtet werden, die einerseits das »reale« Gesicht der Welt versperrt und damit andererseits den Wunsch nach einer visuellen Omnipotenz oder Allsichtigkeit begründet. »Auch das Sehen ist um einen inneren Mangel, einen Fluchtpunkt organisiert, der sich nicht fixieren lässt, der das Sehen in jene Unruhe versetzt, aus der heraus Sichtbarkeit sich allererst konstituiert.« (Cremonini 2001: 176) Um diesen Zusammenhang besser verstehen zu können, lohnt es sich, den theoretischen Ansatz ins Gedächtnis zu rufen, der Lacans Überlegungen zum Blick und zum Sehen als Inspirationsquelle gedient hat: Merleau-Pontys unvollendetes Werk Das Sichtbare und das Unsichtbare (SU), das genau zu der Zeit, in der Lacan sein Seminar XI abhielt, posthum veröffentlicht wurde (Sem11: 85). Wie bereits ausführlich dargestellt, geht auch Merleau-Ponty davon aus, dass das Sehen nicht in der Lage ist, die Welt »an sich« zu erfassen. Um überhaupt etwas erkennen zu können, muss das visuelle »Rauschen«, also die zunächst undifferenzierte und damit unqualifizierte Menge an potentiellen Sichtbarkeiten, in klar umrissene Gestalten und weniger klar ausgeformte Hintergründe gegliedert werden. Im Unterschied zu den klassischen Transzendentalphilosophen glaubt Merleau-Ponty jedoch nicht, dass diese Scheidung von »Figur« und »Grund« von jedermann zu jeder Zeit in der gleichen Weise ausgeübt wird. Was gesehen wird und gesehen werden kann, hängt vielmehr davon ab, welche leiblichen »Wahrnehmungsschemata« das Subjekt im Laufe seiner konkreten perzeptiven Erfahrung mit der Welt erworben hat (PdW: 123ff., 252). Während Merleau-Ponty in der Phänomenologie der Wahrnehmung noch ein quasi-transzendentalphilosophisches Subjektmodell vertrat, das die Bedingungen der Möglichkeit des Sehens lediglich vom Bewusstsein auf den Leib verschob (Waldenfels 1983: 177), wählt er in Das Sichtbare und das Unsichtbare einen radikal anti-anthropologischen Ansatz: Der Strukturierungsvorgang, welcher der »perzeptiven Syntax« (PdW: 58) zugrunde liegt, wird jetzt vom Subjekt abgelöst und innerhalb der weltlichen Immanenz, oder wie Merleau-Ponty sich ausdrückt: dem »Fleisch der Welt« verortet. Dieses »Fleisch der Welt« ist der Trennung von Dingen und menschlichem Leib ontologisch vorgelagert – es ist das sich selbst ausdifferenzierende Ur-Element, aus dem alles »Seiende« – also sowohl das sehende Subjekt als auch die Dinge in ihrer »abgeschlossenen«, sichtbaren Gestalt – allererst entspringen (Waldenfels 1983: 202). Aufgrund dieses geteilten »Fleischseins« von Sehendem und Sichtbarem ist Merleau-Ponty zufolge das Sehen ein zutiefst chiasmatischer Prozess: Das Subjekt ist nicht das einzige, das sieht – es wird selbst permanent von der scheinbar leblosen, dinglichen Welt, die es umgibt, »angesehen«.38 »Seers are seeing themselves when they see things, and the things see
38 Merleau-Ponty formuliert das so: »Das Sichtbare kann mich somit nur deshalb erfüllen und besetzen, weil ich als derjenige, der es sieht, es nicht aus der Tiefe des Nichts heraus
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the seers, such that, as many painters have said, I feel myself looked at by the things.« (Evans 2008: 187) Auch wenn Lacan in seinem Seminar nicht weiter auf Das Sichtbare und das Unsichtbare eingeht, ist die theoretische Affinität zwischen seinem eigenen Ansatz und den post-phänomenologischen Überlegungen des späten Merleau-Ponty nicht zu übersehen, und das in dreifacher Hinsicht: (1): Auch Lacan geht davon aus, dass der kulturellen Differenzierung zwischen dem (sehendem) Subjekt auf der einen und dem (gesehenem) Objekt auf der anderen Seite eine ursprüngliche Immanenz des Seins vorangeht, die er selbst als das »Reale« bezeichnet.39 Im Unterschied zu Merleau-Ponty bestimmt Lacan das »Reale« aber nicht als den positiven Grund allen Daseins, sondern vertritt die These, dass sich dieses Einssein mit der Welt durch den Eintritt des Subjekts in die symbolische Ordnung ein für allemal auflöst. Es lässt sich nur retrospektiv als Verlust des »Dings« imaginieren. (2): Darüber hinaus dürfte Lacan an Merleau-Pontys Entwurf insbesondere der Gedanke fasziniert haben, dass dem individuellen Sehakt eine Strukturierung des Visuellen vorangeht, die sich eben nicht auf das Subjekt zurückführen lässt, sondern quasi von »außen« an dieses herangetragen wird. Diese These entspricht Lacans Vorstellung, dass das Subjekt durch eine ihm vorausgehende Ordnung des Symbolischen »gespalten« wird – eine Spaltung, die das Subjekt allererst dazu befähigt seine Welt zu symbolisieren (S1/FF: 117). Bis dato vermochte Lacan nur aufzuzeigen, inwiefern die Sprache in das Reale eine »Differenz« einführt. Er konnte aber nicht präzisieren, wie sich die symbolische Ordnung auf der Ebene des Visuellen konstituiert. Genau das aber scheint mit den Anregungen aus Das Sichtbare und das Unsichtbare nun möglich: »Auge und Blick, dies ist für uns die Spaltung, in der sich der Trieb auf der Ebene des Sehfeldes manifestiert.« (Sem11: 79)
sehe, sondern aus der Mitte seiner selbst. Denn als Sehender bin ich ebenfalls sichtbar; das Gewicht, die Dichte, das Fleisch jeder Farbe, jedes Tones, jedes tastbaren Gewebes, der Gegenwart und der Welt kommt dadurch zustande, dass derjenige, der sie erfaßt, sich wie durch eine Art Einrollung oder Verdoppelung aus ihnen auftauchen fühlt, von Grund auf gleicher Art ist wie sie, daß er das zu sich selbst kommende Sinnliche ist und daß das Sinnliche hinwiederum vor seinen Augen liegt wie seine Doublette oder eine Erweiterung seines Fleisches.« (SU: 152) 39 So schreibt Lacan: »Man scheint also beobachten zu können, wie in diesem unvollendeten Werk [Das Sichtbare und das Unsichtbare, S.P.] sich eine Art Suche nach einer Substanz ohne Namen abzeichnet, aus der ich selbst, als Sehender, mich ausziehe. Aus Netzen, oder, wenn Sie so wollen, aus Streifen, aus einem Schillern, dessen Teil ich erst bin, tauche ich auf als Auge, nehme gewissermaßen Ausgang aus dem, was ich die Funktion der Sichtung nennen könnte.« (Sem11: 88)
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Analog zu seiner Unterscheidung zwischen der symbolischen Sprachordnung und dem bewussten Sprechakt des Subjekts differenziert Lacan somit zwischen der überindividuellen Instanz des »Blickregimes«40 (»le regard«), welche die sichtbare Welt symbolisch anordnet, und dem »Auge« des Individuums, das sich dieser visuellen Ordnung bedient. Das, was sich »auf dem Grund meines Auges abzeichnet« (Sem11: 102), wird somit nicht von dem sehenden Subjekt aktiv ausgewählt und anvisiert, sondern beruht in Wahrheit auf einem vorgängigen »Zu-SehenGegebenen« (Sem11: 80) des »symbolischen« Blickregimes. Dieses legt im Voraus fest, welche Formen, Zusammenhänge und Figuren überhaupt »Gestalt« annehmen können oder in der visuellen Ordnung nicht »vorgesehen« sind. »Von Grund auf bestimmt mich im Sichtbaren der Blick, der im Außen ist.« (Sem11: 113) Was genau man sich unter dieser symbolischen Strukturierung des Sichtfeldes vorzustellen hat, lässt Lacan jedoch – wie so viele seiner Konzepte – in der Schwebe. In ihrer inspirierten Lacaninterpretation The Threshold of the Visible World (1996) macht die Filmtheoretikerin Kaja Silverman den instruktiven Vorschlag, das symbolische Blickregime aus dem »cultural image repertoire« einer Zeit abzuleiten (Silverman 1996: 179). Silverman geht davon aus, dass die Ordnung des Sehens auf einem kulturell kontingenten Signifikantensystem beruht, das sich zwar nicht wie bei der Sprache aus Worten, dafür aber aus tradierten ikonografischen Formeln zusammensetzt, die ebenfalls dem assoziativen Gleiten von Metonymie und Metapher unterliegen. So lässt eine bestimmte Mutter-Kind-Pose beispielsweise automatisch an klassische Mariendarstellungen denken, während eine Sanduhr, verwelkte Blumen oder ein Totenschädel konventionelle Vanitasmotive darstellen. Diese Interpretationen des Blicks können jedoch nur teilweise überzeugen, da sie sich allein auf die Strukturierungsinstanz des Bildlichen beschränken, die nicht-repräsentationale Ordnung der Dinge aber außer Acht lassen. Lacan hatte demgegenüber jedoch betont, dass es ein großes Verdienst der Phänomenologen sei, »sehr genau und überraschend festzustellen, daß es völlig klar ist, daß ich draußen sehe, daß die Wahrnehmung nicht in mir ist, daß sie auf den Gegenständen ist, die sie erfasst« (Sem11: 87). In Anbetracht dieser offensichtlichen Nähe zu Merleau-Pontys Gedanken soll hier deshalb die These vertreten werden, dass Lacans Begriff des »Blickregimes« nicht nur das kulturelle Bildrepertoire meint, sondern auf die jeweils gültige differentielle Sichtbarkeitsordnung verweist, die aus der strukturellen »Selbstausdifferenzierung« des Fleisches entstanden ist. Diese Sichtbarkeitsordnung liegt sowohl der visuellen »Ordnung der Dinge« als auch der »perzeptiven Syntax« des Subjekts
40 Üblicherweise wird »le regard« im deutschen als »Blick« übersetzt. Da damit aber das strukturelle Moment des »le regard« zu wenig betont ist, wird hier der Übersetzungsvorschlag von Roger M. Buergel und Natascha Noack aufgegriffen (Silverman 1997: 62, Anm. 1).
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zugrunde, die ihm wiederum ermöglicht, zwischen den Dinggestalten oder »Objekten« (als den »Wahrnehmungszeichen« (Sem7: 65) innerhalb der visuellen Signifikantenkette) und dem nicht-signifikanten Untergrund (dem, was vom Blickregime nicht erfasst wird) zu unterscheiden. Damit erweist sich die symbolische Ordnung des Visuellen viel allgemeiner als eine Ordnung kulturell intelligibler Formen, die sich sowohl im Medium des Bildes als auch auf dinglicher oder materieller Ebene niederschlägt. (3): Lacans »Blickregime« unterhält schließlich noch eine dritte Parallele zu Merleau-Pontys Das Sichtbare und das Unsichtbare, insofern auch Lacan annimmt, dass das Sehen von dem »großen Anderen« (A) erwidert wird. Das Subjekt hat mit anderen Worten stets den Eindruck, von der sichtbaren Welt selbst – egal, ob es sich nun um ein tatsächliches Augenpaar oder aber leblose Gegenstände handelt – angeblickt zu werden: »Merleau-Ponty gibt uns den Hinweis, daß wir im Schauspiel der Welt angeschaute Wesen sind. Was uns zum Bewußtsein macht, das setzt uns auch mit demselben Schlag ein als speculum mundi.« (Sem11: 81) Dies ist sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne zu verstehen: Das Individuum, das durch die Ordnungsleistung des Anderen erst zu einem sehenden und sprechenden Subjekt gemacht wird, weiß sich dieser übergeordneten Instanz stets ausgeliefert. Um die unvorstellbare Alterität der symbolischen Ordnung zumindest ansatzweise in den Griff zu bekommen, imaginiert das Subjekt daher den allwissenden und allsehenden »Anderen« auf Seiten der faktisch anderen Entitäten (Sem11: 90). Damit sind die anderen sprechenden und sehenden Subjekte gemeint, die ihm begegnen, aber eben auch – und das ist das Neue am Seminar XI – die anderen Dinge, die ihn genauso wie die menschlichen Akteure »angehen« oder affizieren.41 Diese Affektion durch die Dinge veranschaulicht Lacan mit einer Anekdote aus seiner Jugend (Sem11: 101f.): Als junger Intellektueller hatte er einen Sommer lang bei einer Fischersfamilie in der Bretagne gearbeitet, um die »Rauheit« und »Risiken« des ländlichen Lebens am eigenen Leibe zu erfahren. Eines Tages spielte sich draußen auf dem Meer folgende Szene ab: Der kleine Petit-Jean, ein Kind der Fischersfamilie, zeigt auf eine in der Sonne glänzende Sardinenbüchse42, die auf den
41 Hier liegt auch der Unterschied zu Sartres Blicktheorie in Das Sein und das Nichts (Sartre 1952): Anders als Sartre, dem zufolge das Subjekt von dem tatsächlichen Blick des anderen in seinem Tun unterbrochen wird und deshalb ein Schamgefühl entwickelt, ist Lacan der Ansicht, dass der andere vom Subjekt nur als derjenige imaginiert wird, der den Blick besitzt, während die Scham in Wahrheit aus einer viel ursächlicheren Spaltung erwächst (Cremonini 2001: 172). Siehe dazu auch Sem11: 90f. 42 Über die affektive Kraft des Glanzes insgesamt und insbesondere Lacans Beispiel der Sardinenbüchse siehe auch Cremonini 2005: 235ff.
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Wellen dahin schwimmt, und sagt zu dem städtischen Gast: »Siehst Du die Büchse? Siehst Du sie? Sie, sie sieht Dich nicht.« Im Unterschied zu dem Kind fand Lacan diese Bemerkung jedoch alles andere als komisch. Dieses »Nicht-Sehen« auf Seiten der Dinge brachte nämlich die Tatsache zum Ausdruck, dass er nicht Teil der Fischerwelt ist oder, allgemeiner, dass er aus ihrem Bild (Tableau) wie ein störender Fleck herausfällt (Sem11: 102). Neben dem omnipräsenten »Blick des Anderen« veranschaulicht diese kleine Geschichte, wie sich das Begehren nach Einssein und Bedeutungsmacht im Feld des Sehens äußert: Wie der Begriff des »Tableau« schon anzeigt, erlebt das »gespaltene Subjekt« die sichtbare Welt nicht als »lebendige« Formenkonstellation, die sich vor seinen Augen permanent verschiebt, umordnet und verändert. Es erfährt sie vielmehr in Form von einzelnen »fixen« Standbildern, deren Funktion mit den Steppunkten der bewussten Rede vergleichbar ist. »Das Sehen folgt einem Modus, den man allgemein mit Bildfunktion bezeichnen könnte.« (Sem11: 92) Daraus folgt erstens, dass das Subjekt seine (sozialen) Umgebungen stets durch eine Art »imaginären Sucher« (Silverman 1997: 42) betrachtet. Dieser gibt ihm zwar das Gefühl, das »Schauspiel der Welt« in kohärenten Bildern einfangen zu können, verschleiert dabei aber letztlich, dass das Sichtbare durch die symbolische Ordnung bestimmt wird, über die das Subjekt keine Kontrolle hat (Sem11: 102).43 Zweitens impliziert dieser Gedanke, dass das Subjekt auch die eigene Erscheinung als »starres« Bildelement betrachtet, das sich in diese imaginäre Komposition einzufügen hat, um visuell (an-)erkannt zu werden.44 Nur wenn das Subjekt den Ein-
43 Zudem scheint Lacan nahezulegen, dass sich die symbolische Ordnung des Sichtbaren – genauso wie die der Sprache – nur im Unbewussten und den Träumen frei entfalten kann: »Was besagt dies anderes, als daß im sogenannten Wachzustand der Blick elidiert ist, wobei nicht nur elidiert ist, daß es anblickt, sondern auch daß es zeigt. Auf dem Feld des Traumes dagegen ist das Charakteristische der Bilder: daß es zeigt. Es zeigt – aber dabei bezeigt sich auch noch so etwas wie ein Gleiten des Subjekts […]. Es tritt so sehr hervor, in seinen charakteristischen Eigenheiten, seinen Koordinaten – Fehlen eines Horizonts, Verschluß des im Wachzustand Gesehenen, auch die Art des Auftretens, des Kontrasts, des Flecks seiner Bilder, die Intensivierung seiner Bildfarben – daß wir im Traum letzten Endes eine Position einnehmen, die die Position dessen ist, der nicht sieht. Das Subjekt sieht nicht, wohin es führt, das Subjekt folgt nur, kann sich gelegentlich zwar davon lösen, kann sich sagen, das sei nur ein Traum, aber keinesfalls könnte das Subjekt sich im Traum so begreifen, wie es sich im cartesianischen cogito als Denken begreift.« (Sem11: 81f.) 44 Lacan vergleicht den Vorgang der visuellen Selbstanpassung des Subjekts auch mit der Mimikry einiger Tierarten: »Ein Krustentierchen, das man Caprella nennt […] imitiert, was bei diesen quasi-pflanzlichen Lebewesen wie den Briozoaren ein Fleck ist. […] Es
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druck hat, dass seine äußere Erscheinung und sein Verhalten nicht »aus dem Rahmen« fallen, kann es sich als ein kohärentes Ich imaginieren: ein Ich, das mit sich und der Welt eins ist, das nicht nur passiv den Blicken ausgesetzt ist, sondern das Sichtbare aktiv erfasst. Das tiefsitzende Begehren des Subjekts, seine ontologische Trennung von der (sichtbaren) Welt zu überwinden und sich selbst als ein »vollständiges« Subjekt zu erfahren, drückt sich somit auch in einer spezifisch visuellen Omnipotenzphantasie aus: dem in sich widersprüchlichen Wunsch, einerseits als ein Subjekt angesehen zu werden, das sich lückenlos in das Tableau der Welt einfügt, und andererseits selbst an die Stelle des Blicks des Anderen zu treten und somit die Herrschaft über die sichtbare Welt zu gewinnen. Diesen spiegelbildlichen Zusammenhang zwischen den imaginären Prozessen des Sehens und Gesehenwerdens veranschaulicht Lacan mithilfe eines Dreiecksschemas (Sem11: 97, 112) (siehe Abbildung 8).
Abbildung 8: Jacques Lacans »Dreiecksschema«
In den beiden einander gegenüberliegenden Dreiecken werden die Funktionen des sehenden Subjekts (oben, hier an der Stelle des »Geometralpunkts«) sowie des äußeren Blicks (unten, hier als »Lichtpunkt« bezeichnet) zunächst getrennt voneinander dargestellt: Das Subjekt glaubt demnach, das reale Objekt zu sehen, erblickt aber letztlich nur ein imaginäres »Standbild«, und umgekehrt kann es nur dann als Teil des Tableaus erscheinen, wenn es die Form des imaginären »Schirms« an-
wird zum Fleck, zum Tableau, es schreibt sich in das Tableau ein. Hier kann dann im eigentlichen und ursprünglichen Sinne von Mimikry die Rede sein.« (Sem11: 105)
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nimmt. In dem darunterliegenden vollständigen Diagramm überlagert Lacan diese beiden Dreiecke. Damit demonstriert er, dass beide Projektionen – die visuelle Vorstellung von der Welt und das imaginäre Selbstbild – auf ein und derselben Ebene zu verorten sind: dem Bild/Schirm. Welche Formen genau sich auf dem Bild/Schirm abzeichnen, was also tatsächlich sichtbar wird und wie sich das Subjekt selbst in Szene setzt, hängt dabei vom jeweils vorherrschenden Formenkanon und den pikturalen Repräsentationsmodi einer Epoche ab, zu denen sich die jeweils herrschenden Ich-Ideale sowie allgemein anerkannte »Objekte klein a« gesellen. »Daß Subjektivität und Welt sich widerspiegeln, und darüber erst begründen, ist also kein Merkmal unserer Epoche. Epochenspezifisch sind die Bedingungen, zu denen das geschieht: die Darstellungslogik, die unseren Blick auf die Objekte bestimmt und die Gestalt, die wir selbst annehmen, sowie der Wert, den ein inzwischen komplexer organisiertes visuelles Feld diesen Darstellungen beimißt.« (Silverman 1997: 42)
So orientiert sich Lacan zufolge der Bild/Schirm der Neuzeit, die entscheidend von dem Subjektideal der Autonomie geprägt ist, an der spezifischen Darstellungslogik der zentralperspektivischen Bildkonstruktion (Sem11: 92ff.). In Übereinstimmung mit dem cartesianischen Subjektkonzept vermittelt die zentralperspektivische Projektion ihrem Betrachter das narzisstisch äußert befriedigende Gefühl, einen privilegierten Standpunkt innezuhaben, von dem aus sich die gesamte Welt überblicken und mithilfe eines mathematisch exakten Instrumentariums beherrschen lässt. Anders formuliert verspricht das perspektivische Bild, die visuelle Impotenz des Subjekts zu beheben und es, zumindest für die Dauer der Betrachtung, in die Position des Allsehenden zu rücken. Allerdings – und das ist der Moment, in dem sich dieses bildliche »Objekt klein a« als bloß imaginäre »Verkennung« entpuppt45 – zerfällt diese Illusion, sobald der Betrachter den vorgesehenen Standpunkt verlässt, um sich das Bild von der Seite oder aus der Nähe anzuschauen. Die Phantasie der rationalen Ordnung und »Allsichtigkeit« erweist sich als starr und ist nur auf Kosten der eigenen »Lebendigkeit« aufrecht zu erhalten.46
45 Lacan betont, dass die geometrale Perspektive nicht einmal annähernd die Voraussetzungen und den Prozess des Sehens repräsentieren kann (Sem11: 93). Auf das Missverhältnis zwischen Perspektivkonstruktion und physiologischer Wahrnehmung hatten schon Erwin Panofsky (1964) sowie Merleau-Ponty aufmerksam gemacht (AuG: 10, 295). 46 In dem unveröffentlichten Seminar XIII greift Lacan das Thema der Perspektive noch einmal auf, gibt ihm aber noch einmal eine neue Wendung (Lacan 1966). Nun erscheint ihm der perspektivische Fluchtpunkt, der an die Stelle des im Unendlichen liegenden und
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Lacan veranschaulicht diese These am Beispiel des berühmten Doppelportraits The Ambassadors (Die Gesandten) (1533) von Hans Holbein dem Jüngeren (Sem11: 94ff.) (Abbildung 9). Er interpretiert dieses Bild aber nicht als konventionelle zentralperspektivische Konstruktion, sondern eher als eine Art »Metabild«, das die grundlegenden imaginären Mechanismen des Blickregimes, des visuellen Begehrens und des Bild/Schirms im Medium des Bildes freilegt.47 Auf den ersten Blick will es scheinen, als würden Die Gesandten den vielfältigen Errungenschaften der Renaissance huldigen. So zeigt die Anrichte, die von den beiden prachtvoll gekleideten Gelehrten gerahmt wird, alle Insignien, die auf eine wissenschaftliche, ökonomische und politische Beherrschung der Welt deuten: neben naturwissenschaftlichen und astronomischen Messgeräten sowie nautischen Apparaten finden sich dort exotische Handelswaren, kunsthandwerkliche Gegenstände, Musikinstrumente, aber auch geistliche und weltliche Literatur. Das Bild vom cartesianischen Cogito schiene perfekt – wäre da nicht dieser eigenartige, schwebende Fleck über dem Boden, der jeder perspektivischen oder narrativen Kohärenz widerspricht. Wohl eben deshalb geht von diesem form- und farblosen Etwas eine fesselnde Anziehungskraft aus: Es lässt ein Jenseits der aktuellen bildlichen Ordnung erahnen. Tatsächlich offenbart der Fleck sein Geheimnis, sobald der Betrachter dem Bild nicht zentral gegenübertritt, sondern sich ihm von der Seite her nähert. Er entpuppt sich als die anamorphotische Darstellung eines Totenschädels (Abbildung 10).48
daher nicht repräsentierbaren Schnittpunktes zweier Parallelen tritt, als bildhafter Ausdruck für die symbolische Spaltung des Subjekts. Siehe dazu etwa die Sitzungen vom 4. und vom 11. Mai 1966. 47 Die Gesandten hat damit eine ganz ähnliche Funktion für Lacans Konzept des Blickregimes wie Las Meninas für Foucaults archäologische Methode in Die Ordnung der Dinge (Mitchell 2008: 201ff.). In Seminar XIII nimmt Lacan sogar direkt auf Foucaults Analyse Bezug, kommt aber zu einem anderen Schluss als dieser: Für ihn ist Las Meninas weder eine Repräsentation der klassischen Episteme der transparenten Repräsentation noch der Ausdruck für die Abwesenheit des Subjekts. Er interpretiert das Gemälde vielmehr als eine Darstellung der symbolischen Ordnung des Felds der Sichtbarkeit, des visuellen Begehrens, etwas zu sehen, was nicht sichtbar werden kann, sowie des Bildes als »Vorstellungsrepräsentanz« (Freud) bzw. »Objekt klein a« (Lacan 1966). Für einen weiteren Vergleich zwischen Lacans und Foucaults Interpretationen siehe auch Brockelman 2013. 48 Ursprünglich hing das Bild in einem Treppenhaus, so dass zuerst der Totenschädel sichtbar wurde.
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Abbildung 9: Hans Holbein der Jüngere: Double Portrait of Jean de Dinteville and Georges de Selve (The Ambassadors) (1533)
Abbildung 10: Hans Holbein der Jüngere: Double Portrait of Jean de Dinteville and Georges de Selve (The Ambassadors) (1533), Detail
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Nach Lacan verdeutlicht dieses kunstvolle Spiel mit der Anamorphose gleich in dreifacher Hinsicht, wie das Blickregime funktioniert: Erstens demonstriert die Verzerrung, dass das bewusste Denken und Sehen, das von den beiden Gelehrten verkörpert wird, stets um einen buchstäblich »blinden Fleck« herum organisiert ist, dem sich mit keinen optischen Prothesen oder wissenschaftlichen Instrumenten beikommen lässt.49 Die Vorstellung einer aktiven Aneignung der sichtbaren Welt beruht demnach zweitens auf einer Verkennung oder Verdrängung der wahren »Nichtigkeit« (Sem11: 98) oder Endlichkeit des Subjekts, das sein Sichtfeld eben nicht vollständig kontrollieren kann, sondern von der symbolischen Ordnung des Blickregimes »gespalten« wird. »The Ambassardors thus suggests that the geometral point is only one site from which to apprehend an image – or, by extension, the cultural screen – and that the screen can appear very different depending upon where one ›stands‹.« (Silverman 1996: 178)
Der Totenschädel symbolisiert aber nicht nur die symbolische »Kastration« des Subjekts, sondern macht drittens deutlich, dass es das »wahre« Gesicht des menschlichen Seins oder »das Reale«, zu dem zweifelsohne auch der Tod gehört, nicht zu erfassen imstande ist. Genau aus diesem Unvermögen resultiert auch der unstillbare Wunsch, das einzufangen, was sich der Symbolisierung entzieht. »All das zeigt, daß Holbein im Zentrum der Epoche selbst, in der sich das Subjekt abzeichnet und die geometrale Optik gefunden wird, etwas sichtbar macht, was nichts anderes ist als: das Subjekt als ein genichtetes – genichtet in einer Form, die jenes Weniger-Phi [(-φ)] der Kastration bildhaft inkarniert, die für uns die gesamte Organisation der Begierden quer durch den Rahmen der Grundtriebe zentriert.« (Sem11: 95)
Oder um es anders zu formulieren: Die mathematisch korrekte Perspektivdarstellung, die üblicherweise die Omnipotenz des cartesianischen Subjekts anzeigt, dient Holbein hier als Mittel, um dieses Subjektmodell gerade als ein »symbolisch kastriertes« zu entlarven, eines, das den eigentlichen Sinn des Realen niemals erfassen wird (Bowie 1991: 173). Aus der Konstruktion des Malers spricht aber auch ein subjektives Vermögen, das bislang nicht zur Sprache kam. Gemeint ist die »relative Freiheit« des Subjekts, die darin liegt, sich der Ideologie des Imaginären ein Stück weit entziehen und mit dem kulturellen Bild/Schirm spielen zu können.
49 Nach Cremonini (2005: 246ff.) haben die Glanzpunkte in der Malerei eine ähnliche Funktion.
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»Nur das Subjekt – das menschliche Subjekt, das Subjekt des Begehrens, welches das Wesen des Menschen ausmacht – unterliegt, im Gegensatz zum Tiere, nicht ganz diesem imaginären Befangensein. Es zeichnet sich aus. Wie das? In dem Maße, wie es die Funktion des Schirms herauslöst und mit ihr spielt. Tatsächlich vermag der Mensch mit der Maske zu spielen, ist er doch etwas, über dem jenseits der Blick ist. Der Schirm ist hier der Ort der Vermittlung.« (Sem11: 114)
Ähnlich wie der späte Foucault, der Kritik als die Kunst bezeichnete, »nicht dermaßen regiert zu werden« (WK: 12), denkt also auch Lacan, dass das symbolisch gespaltene Subjekt nicht vollständig von seinen narzisstischen Spiegelfechtereien beherrscht wird. Das Zitat verrät, dass er den Subjekten grundsätzlich zugesteht, die ideologischen Effekte der imaginären Ordnung mit gezielten Strategien zu unterlaufen. Diese Strategien können, wie im Falle Holbeins, im Medium der künstlerischen Repräsentation verankert sein, wurzeln unter Umständen aber auch in Alltagspraktiken. Jenseits seiner Überlegungen zur bildenden Kunst gibt Lacan aber kaum Hinweise darauf, wie sich diese kritischen Praktiken des »Anders-Sehens« in der alltäglichen Wahrnehmung äußern können. Diese konzeptuelle Leerstelle steht in Verbindung mit einem weiteren »Mangel«, der Lacans Diskussionen zum Blickregime prägt. Trotz seiner Bezugnahme auf Merleau-Pontys Phänomenologie und der im Seminar VII formulierten These, nach der auch konkrete Dinge affektiv besetzt werden können, beschränkt sich die Lacan’sche Analyse fast ausschließlich auf das (perspektivische) Bild als privilegiertes »Objekt klein a« des Sehens.50 Abgesehen von der kurzen Anekdote über die glänzende Sardinenbüchse geht Lacan in Seminar XI weder darauf ein, inwiefern der »Appetit des Auges« (Sem11: 122) auch von Dingen befriedigt werden kann, noch interessiert er sich für die Anpassungsleistun-
50 Nach Lacan ist das Betrachten eines Gemäldes deshalb so außerordentlich befriedigend, weil es vorgibt, den unbeherrschbaren »Blick« zähmen und dem Auge überantworten zu können (Sem11: 118). Es geht in der Malerei also nicht um eine »Imitation« der Objekte, so wie sie sich dem Auge in der alltäglichen Wahrnehmung präsentieren, sondern darum, eine Sichtbarkeit zu erzeugen, die dem Betrachter das Gefühl gibt, aus Sicht des Blick (-regimes) die Welt erfassen zu können. So schreibt er in Seminar VII über Cézanne (was man ebenfalls als eine Reminiszenz an Merleau-Ponty verstehen könnte): »At the moment when painting turns once again upon itself, at the moment when Cézanne paints his apples, it is clear that in painting those apples, he is doing something very different from imitating apples – even though his final manner of imitating them, which is the most striking, is primarily oriented toward a technique of presenting the object. [...] everyone knows that there is a mystery in the way Cézanne paints apples, for the relationship to the real as it is renewed in art at the moment makes the object appear purified; it involves a renewal of dignity [...].« (Sem7: 62)
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gen des Subjekts an dessen dingliche Umgebung. Im Folgenden sollen daher die Ansätze von Kaja Silverman und Leo Bersani vorgestellt werden, die sich auf je unterschiedliche Weise mit dem Problem der affektiven Besetzung von Dingen sowie der Teilhabe des Selbst an der sichtbaren Welt beschäftigen. Beiden Autoren schwebt ein »Anders-Sehen« vor, das ähnlich der Foucault’schen »Ästhetik der Existenz« die gegebenen (visuellen) Subjektideale und Sichtweisen der westlichen Kultur nicht einfach nur negiert, sondern produktiv unterläuft. 3.2.2.2 Die affektive Kraft der Dinge Bislang stand in der kulturwissenschaftlichen Rezeption von Lacans Visualitätsmodell der Aspekt der bildlichen Repräsentation im Vordergrund: So haben etwa die (feministischen) Film- und Kunstwissenschaften der 1970er und 1980er Jahre die Konzepte des Spiegelstadiums, des Blicks und des Bild/Schirms aufgegriffen, um die geschlechtspezifische Darstellung von Körperlichkeit und die darin angelegte Reproduktion patriarchaler Ich-Ideale und Begehrensstrukturen zu analysieren (Mulvey 1975; Doane 1982; Chaudhuri 2006). Innerhalb der neueren kunst- und bildwissenschaftlichen Lacandiskussion geht es ebenfalls vornehmlich um die Faszination, die von bestimmten Bildelementen – wie etwa den Leucht- und Glanzpunkten oder den »Augentäuschungen« – ausgeht.51 Visuelles Begehren wird also vorwiegend mit Bildlichkeit oder intersubjektiven Blickverhältnissen in Verbindung gebracht; während die Frage der Dinge und der interobjektiven Affektivität weitgehend ausgespart bleibt. Zu den wenigen Ansätzen, die die Anziehungskraft der Dinge thematisieren, gehören die Arbeiten der Filmtheoretikerin Kaja Silverman, die sich zwar anfangs ebenfalls mit den geschlechtsspezifischen Spiegeleffekten des fotografischen und filmischen Blickregimes beschäftigt hatte (Silverman 1992, 1996, 1997), die sich in ihren jüngeren Arbeiten (2000, 2009) aber zunehmend der ontologisch fundamentaleren Frage zuwendet, was eigentlich das begehrende Subjekt mit seiner (dinglichen) Welt verbindet. Gleichfalls relevant in diesem Zusammenhang sind die kunst- und filmwissenschaftlichen Analysen von Leo Bersani (1998, 2004), der die Korrespondenzen zwischen der menschlichen Figur und ihrer Umwelt auslotet. Anders als Silverman, die direkt an Lacan anknüpft, bezieht sich Bersani in erster Linie auf Freud sowie die Arbeiten des Lacan-Schülers Jean Laplanche.
51 Siehe dazu auch die Beiträge von Leikert, Siegert, Hevers, Cremonini u.a. in Blümle/van der Heiden 2005.
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Kaja Silverman: World Spectators Wie sein Titel schon andeutet, widmet sich Kaja Silvermans Buch World Spectators (2000) der existentiellen Frage nach der Beziehung zwischen dem sehenden Subjekt und dessen (Um-)Welt. Dazu knüpft sie aber nicht bei Lacans Seminar XI an, sondern orientiert sich vielmehr an dessen Überlegungen zum Status des »Objekt klein a« aus dem Seminar VII. Wie bereits erläutert, ist das »Objekt klein a« dasjenige konkrete Objekt – sei es nun ein menschliches Wesen oder aber ein lebloser Gegenstand –, von dem sich das symbolisch »gespaltene« und von der Welt entfremdete Subjekt (S/) die Befriedigung seines Wunsches nach »Seinsfülle« erhofft. Diese besondere psychische Bedeutung gewinnen eine Person oder ein Gegenstand dann, wenn das Subjekt in ihm denjenigen ursprünglichen Teil seiner selbst wiederzufinden glaubt, dessen vermeintlicher Verlust den Seinsmangel verursacht hat. Vermeintlich ist dieser Verlust, weil es Lacan zufolge so ein konkretes »Ding« niemals gegeben hat. Es handelt sich um eine nachträgliche Phantasie, durch die sich das gespaltene Subjekt die eigene ontologische Unvollständigkeit unbewusst zu vermitteln sucht. Dass das Subjekt seinen Mangel als ein »fehlendes Ding« symbolisiert, ist auf die Ordnung des Symbolischen zurückzuführen, die überhaupt erst die Logik der Differenz und somit auch die Unterscheidung zwischen Haben und Nicht-Haben bzw. Präsenz und Absenz eingeführt hat. »Das Ding« ist somit ein bloßer Sinneffekt derjenigen Instanz, die das Subjekt einerseits überhaupt erst hervorgebracht hat, die es andererseits aber gerade daran hindert, jemals wieder eins mit sich und der Welt werden zu können. »The entry into language does not simply precipitate the ›fading‹ of ›being‹; it also gives rise to an unsatisfiable urge to symbolize what we have lost. The je ne sais quoi which each of us thereafter lacks, and to which all of our acts of signification will never be adequate, represents less an object, than a nonobject; the impossible nonobject of desire.« (Silverman 2000: 39)
Silverman ist daran interessiert, in welchen Gestalten sich dieses »impossible nonobject« inkarniert, warum also ein beliebiges Subjekt bestimmte Gegenstände oder Personen affektiv auflädt, zugleich aber andere – scheinbar ebenso »geeignete« – Liebesobjekte keines Blickes würdigt. Diese »Besetzung« lässt sich nicht allein auf sozialisationsbedingte Vorlieben zurückzuführen, wie es die vorherigen Abschnitte etwas zu vereinfachend nahegelegt haben. Silverman geht vielmehr davon aus, dass das subjektive Begehren trotz symbolischer und imaginärer Überformung in »relativ« individuellen Bahnen verläuft (Silverman 2000: 37). Diese »relative« Individualität affektiver Besetzungen ist darauf zurückzuführen, dass jedes Subjekt eine eigene libidinöse »Objektbiographie« oder »language of desire« (Silverman 2000: 43) ausbildet, welche die Wahl der zukünftigen Liebesobjekte beeinflusst. Ob eine bestimmte Sache oder Person für ein Subjekt zu einem »Objekt klein a« werden kann,
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hängt also davon ab, welche konkreten Gestalten, Formen oder Menschen diesem bisher als legitime Inkarnationen des »Dings« erschienen sind. Nach Silverman bildet sich die individuelle »language of desire« im Unbewussten aus, d.h. in dem Bereich des psychischen Apparates, in dem sich alle verdrängten und vergessenen Erinnerungen und Triebrepräsentanzen sammeln, um sich jenseits irgendwelcher Einschränkungen zu einem Gefüge dynamischer Signifikantenketten verbinden zu können. Unter Berufung auf Freuds erstes topisches Modell hebt sie dabei hervor, dass diese »Primärvorgänge« vor allem visueller Natur sind (Silverman 2000: 58): Sie beruhen nicht auf »bindenden« Wortvorstellungen, sondern auf frei flottierenden Sachvorstellungen oder Wahrnehmungszeichen, die – wie Lacan bemerkt hat (Sem7: 63ff.) – insofern nicht weniger strukturiert sind als die symbolische Ordnung der Sprache, als sie bereits die Differenzierung von Objekten und Gestalten voraussetzen. 52 Die visuellen Signifikanten folgen dabei einer analogen, wenn auch rein formalen Verknüpfungslogik wie die sprachlichen Zeichen. So etwa vermag ein aktuell wahrgenommener Gegenstand metonymisch auf einen unbewusst erinnerten Gegenstand zu verweisen, der eine ähnliche Farbe oder Form hatte. Manchmal reicht auch nur ein so ephemerer Eindruck wie ein bestimmter Lichteinfall, eine flüchtige Geste oder ein oberflächlicher Schimmer, um derlei visuelle Assoziationen zu wecken. Jedes Sehen ist demnach zu einem Gutteil immer auch ein »Wiedersehen« mit den Dingen und Personen, die als Wahrnehmungsreste in den unbewussten Signifikantenketten schlummern – ein Gedanke, der auch in MerleauPontys Begriff des habituellen Körperschemas anklingt. 53 Silvermans Interesse gilt aber nicht vornehmlich der grundlegenden Struktur aller Sehprozesse, sondern richtet sich auf eine ganz spezifische Form des »WiederSehens«: den Augenblick, in dem das Subjekt meint, das begehrte »Ding« in einer konkreten Gestalt (wieder) zu erkennen. Diese Weihe der affektiven Besetzung erhält eine Sache oder eine Person nicht nur, weil sie oder es auf das allererste Liebesobjekt – sei es das Kuscheltier oder die Mutter – metonymisch verweist. Das visuelle Begehren ist ungleich viel flexibler. Es speist sich nämlich aus allen erinnerten Gestalten, die jemals die Rolle des »Objekts klein a« angenommen haben oder mit diesen in metonymisch-metaphorischer Verbindung stehen. Begegnet das Subjekt nun einem visuellen Stimulus, den es als Reinkarnation eines dieser kostbaren Wahrnehmungszei-
52 Die Wahrnehmungszeichen werden mit anderen Worten von dem symbolische Blickregime vor-gesehen. 53 Nach Merleau-Ponty sammelt das Subjekt im Laufe seines Lebens eine Reihe von bereits identifizierten Dinggestalten an, die es automatisch abruft, sobald es auf ähnliche visuelle Situationen stößt. Siehe dazu auch Kapitel 3.1.2.
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chen erlebt, so wird Silverman zufolge die gesamte psychisch-affektive Energie freigesetzt, die bis dahin in den unbewussten Signifikantenketten gebunden war. »To desire is thus initially to incarnate/reincarnate the what-has-been. Over time, it comes to consist of a complex and multifaceted constellation of signifiers, which provides both a record of all the ways each of us has loved in the past, and an opening up of the new ways each of us will be able to love in the future.« (Silverman 2000: 39f.)
Im Umkehrschluss folgt daraus, dass das Subjekt, welches im Laufe seines Lebens stets neue Wahrnehmungszeichen ansammelt und im Unbewussten abspeichert, eine ganze Reihe von Gestalten zu Kandidaten einer affektiven Besetzung erheben kann.54 In diesem Vermögen liegt für Silverman die ethische Dimension des Sehens: Aufgrund seines Erinnerungsreichtums verfügt das Subjekt über die Möglichkeit, die »ontologische Kraft« des »liebenden Blicks« nahezu unbegrenzt auszudehnen. Es zeichnet den »World Spectator« aus, dass er sein visuelles Begehren nicht nur auf einige wenige Dinge und Personen beschränkt, sondern aktiv um all die potentiellen Schönheiten erweitert, die ihm die Welt bietet. »When we look in the most profound and creative sense of the word, we are always responding to a prior solicitation from other creatures and things. This solicitation is aesthetic in nature: the world addresses us through its formal parameters. However, in displaying their colors, shapes, patterns and movements to us, things do not merely request us to turn our eyes toward them, or even to answer in kind. What the world of phenomenal form solicists from us is our desire.« (Silverman 2000: 144)55
Im Rückgang auf Lacans Analyse des Blicksregimes ergibt sich daraus die Forderung, das Fremde nicht etwa als Unwert oder gar Bedrohung zu empfinden, sondern in ihm das Eigene (wieder) zu entdecken und lieben zu lernen. Auch wenn diese universale Umarmungsgeste mit ihrem schwer romantisierenden Unterton nicht wirklich überzeugen kann, liegt in Silvermans Argument ein Ansatz, der für die hier verfolgte Fragestellung und insbesondere für den Aspekt der »relativen Freiheit« »visueller Selbstführungen« von Interesse ist: Erstens wird deutlich, dass jedes Subjekt stets ein unbewusstes visuelles »Wissen« vergangener Ereignisse und Gestalten in sich trägt, das es unwillkürlich auf alle aktuellen Situationen projiziert. Das Sehen wird von den
54 Lacan selbst kann mit einigen merkwürdigen »Objekten klein a« aufwarten: Hüten, Zündholzschachteln oder Maccheroni (Sem7: 114, 99, 121). 55 Silverman bezieht sich hier auf Merleau-Pontys These, dass die vielen Dinge und Gestalten um den sie identifizierenden Blick des Subjekts buhlen. Siehe dazu auch Kapitel 3.1.2.3.
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formalen Parametern des Dispositivs also nicht beherrscht, sondern tritt eher in ein kommunikatives Verhältnis zu den visuellen Formationen, die es umgeben. Daraus ergibt sich zweitens, dass das visuelle Begehren, das oft unberechenbare metonymische Schleichwege nimmt, die perzeptiven Einschränkungen und Anreizungen, wie sie das Dispositiv nahelegt, sowohl übersteigen als auch unterwandern kann. Es birgt mit anderen Worten das Potential, die (sozialen) Grenzen und Zuschreibungen der Macht-Wissens-Komplexe kraft visueller Assoziationen zu durchbrechen. Leo Bersani: Forms of Being Die theoretischen und analytischen Bemühungen des Film- und Kunsttheoretikers Leo Bersani zielen ebenfalls darauf, die Beziehung des Subjekts zur sichtbaren Welt zu überdenken. Während jedoch Silverman den ontologischen »Mangel« des Subjekts nicht in Frage stellt und lediglich vorschlägt, die Spanne visueller Affizierung auszuweiten, unterzieht Bersani die Kategorie des Begehrens einer grundlegenden Kritik. Nicht nur sucht er das Wie des Begehrens als eine historisch wandelbare Dimension von Subjektivität zu begreifen; Bersani behauptet vielmehr, dass der Begehrenssmodus als solcher eine historisch und kulturell spezifisch abendländische Form der intersubjektiven und interobjektiven Relationalität darstellt. Wie bereits Lacan festgestellt hat, beruht diese Beziehung auf einem genuinen Nicht-Wissen, wird aber zugleich von dem unstillbaren Wunsch bestimmt, alles wissen zu wollen. In dieser »epistemologischen« Verklammerung strahlt der oder das Andere insofern eine verführerische Anziehungskraft aus, als er/es wie der Hüter eines Geheimnisses erscheint. Jean Laplanche spricht in diesem Zusammenhang vom »enigmatic signifier«, den das Subjekt unwissentlich mitkommuniziert, bzw. den es, so er vom Anderen kommt, in sein Selbst zu integrieren sucht (Bersani/Dutoit 1998: 13).56 Wie Bersani in Rekurs auf Freuds Triebe und Triebschicksale (Freud 1992b) betont, handelt es sich bei diesem Integrationsversuch aber um eine genuin »aggressive« Form der Weltaneignung, da sie nur zwei konträre Modi kennt, um mit den äußeren und somit potentiell gefährlichen Objekten umzugehen: entweder die identifikatorische Einverleibung, welche die Sonderexistenz des Objekts aufhebt, oder aber die Abstoßung bis hin zur Vernichtung, welche
56 Bersani beruft sich an dieser Stelle jedoch nicht direkt auf Lacan, der diese Doppelstruktur von Mangel und Begehren auf die symbolisch induzierte Entfremdung des Subjekts zurückführt, sondern auf die Verführungstheorie von Jean Laplanche, dem zufolge das Kind von seinen Eltern libidinös besetzte »enigmatische Botschaften« erhält, die es verzweifelt zu entziffern sucht. Diese Deutung ist im Prinzip eine Abwandlung von Lacans These, dass in der psychischen Beziehung der andere als Inkarnation von »dem Anderen« verstanden wird – also demjenigen, der die Macht über die Signifikation besitzt.
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die Distanz zwischen dem Ich und dem Objekt vergrößert oder totalisiert (Bersani/Dutoit 1998: 41).57 Allein die Kunst – so Bersanis These – kann dieser vorherrschenden Logik von Identität und Differenz eine positive Alternative entgegenhalten (Bersani/Dutoit 1998: 58). Wie er in Caravaggio’s Secrets sehr eindrücklich vorführt, scheint der italienische Barockmaler Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610) an einer solchen »alternativen Relationalität« gearbeitet zu haben. Hier ist nicht der Ort, die vielen inspirierenden Bildanalysen von Bersani und Dutoit en detail wiederzugeben, doch soll ein prägnantes Beispiel herausgegriffen werden: Morte della Vergine (Der Tod der Jungfrau) (1604) in Santa Maria della Scala in Rom (Abbildung 11). Auf diesem Bild wird die heilige Jungfrau Maria wie eine weltliche Tote darstellt: ausgestreckt auf dem Bett liegend, mit entblößten Beinen und einem aufgedunsenen, geradezu »fleischlichen« Körper, der nichts von der bevorstehenden Himmelfahrt Marias verrät. Bersani und Dutoit zufolge verbirgt sich die Spiritualität der Maria jedoch in einem anderen Bildelement, das die Trauernden gar nicht weiter beachten: dem fließenden roten Vorhang über dem Bett, in dem sich die Farbe und in gewisser Weise auch die Form von Marias Kleid wiederholen. »That undulating piece of drapery is the most alive part of the painting, as if there had been a transfer of energy to the curtain not only from the Virgin but also from all the static figures surrounding her.« (Bersani/Dutoit 1998: 32)
Es ist diese rein formale Korrespondenz zwischen dem menschlichen Körper und der scheinbar unbelebten Materie, die hier eine ganz neuartige interobjektive Verknüpfung jenseits des Antagonismus von Erkenntnissubjekt und -objekt ermöglicht. Die Kraft der visuellen Assoziation zwischen Menschlichem und NichtMenschlichem ist auch in anderen Gemälden Caravaggios zu beobachten. So scheinen Fanciullo con canestro di frutta (Der Knabe mit dem Früchtekorb) (1592) (Abbildung 12) und Bacchino malato (Kleiner kranker Bacchus) (1593/94) (Abbildung 13) zunächst nichts anderes als jene erotische Anziehungskraft darzustellen, die aus der geheimnisvoll ambivalenten Pose zwischen Selbstdarbietung und -verhüllung, zwischen Aufforderung und Ablehnung spricht. Bei näherer Betrachtung jedoch zeigt sich, dass es hier um etwas ganz anderes geht, nämlich um die »inaccurate replication« (Bersani/Dutoit: 1998: 5) des menschlichen Körpers in den Dingen, die ihn umgeben: in den Früchten, deren sinnliche Fülle an die Stelle des
57 So schreibt Freud in Triebe und Triebschicksale: »Das Äußere, das Objekt, das Gehasste wären zu allem Anfang identisch. Erweist sich späterhin das Objekt als Lustquelle, so wird es geliebt, aber auch dem Ich einverleibt.« (Freud 1992b: 97)
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verdeckten Genitals tritt, oder aber in dem steinernen Tisch, dessen Farbe sich im blassen Gesicht des kleine Bacchus widerspiegelt.
Abbildung 11: Michelangelo Merisi da Caravaggio: Morte della Vergine (1604)
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Abbildung 12: Michelangelo Merisi da Caravaggio: Fanciullo con canestro di frutta (1592)
Abbildung 13: Michelangelo Merisi da Caravaggio: Bacchino malato (1593/94)
270 | DIE P RAXIS DES S EHENS »Caravaggio posits a mode of connectedness which, as we shall see, he richly elaborates elsewhere: the relation of the human body not to a more or less enigmatic human intentionality, but rather to a vast family of materiality in which community is no longer of reciprocal readings of desire.« (Bersani/Dutoit 1998: 6)
Caravaggios Gemälde scheinen somit bedeuten zu wollen, dass es gar kein Geheimnis gibt zwischen dem begehrenden Subjekt auf der einen und dem begehrten Objekt auf der anderen Seite, keine Kluft, die durch eine intellektuelle oder sexuelle Besitznahme zu überbrücken wäre. Im Gegenteil: Das »ontologische Laboratorium« (Bersani/Dutoit 1998: 59) der Kunst macht vielmehr deutlich, dass alle Elemente der Welt, die das Wissen fein säuberlich trennt und hierarchisiert, allein aufgrund der unmittelbaren Korrespondenz ihrer Farben, Formen und Oberflächen stets miteinander verbunden sind. »We are not cut off from anything; nothing escapes connectedness, the play of and between forms. Because of its confirmation of this severe and exhilarating law, perhaps only an aesthetic of the sort practiced by Caravaggio, one conceived of as the discipline of relationality, can relieve us of the anxiety of castration – not because such an art satisfies our appetite for possession, but because it demolishes the very distinction between subject and object which sustains that appetite.« (Bersani/Dutoit 1998: 72)
Anders als Silverman, die für eine individuelle Ethik des Sehens plädiert, vertritt Bersani also die gewagte These, dass sich der »Verlust an Sein«, den der Mensch durch den Eintritt in die symbolische Ordnung erleidet, durch die vollständige Hingabe an eine universale Relationalität, deren Schlüssel die Kunst ist, aufheben lässt. Ein solches »ästhetisches Sein« zahlt aber einen Preis für die Überwindung der Qual des Begehrens, und das ist der Subjektstatus als solcher, der sich schließlich der Logik der Differenz verdankt. So gesteht Bersani in einem Gespräch mit Tim Dean und Kaja Silverman ein: »I am interested in the pleasure in losing or dissolving the self that is no way equated with loss, but comes rather through rediscovering the self outside the self. It is a kind of spatial, anonymous narcissism.« (Dean/Silverman 1997: 6) Zwar ist auch dieses Szenario in letzter Konsequenz einigermaßen utopisch, es bietet aber ähnlich wie Silvermans Theorie interessante Anknüpfungspunkte, um einerseits genauer herauszuarbeiten, wie sich das Subjekt »normalerweise« in das Tableau seiner Dispositive einzuschreiben versucht. Andererseits deutet es auf die Notwendigkeit, die von Foucault anvisierte »Ästhetik der Existenz« über die Selbstpraktiken hinaus um alternative interobjektive Beziehungsformen zu ergänzen. In diesem Sinne soll es im Folgenden um einen kurzen rekapitulierenden Vergleich zwischen dem psychoanalytischen und dem archäologisch-genealogischen Subjekt- und Visualitätsmodell gehen. Im Anschluss daran wird diskutiert, inwie-
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fern die Aspekte des »visuellen Unbewussten« und der »Affektivität« eine gewinnbringende Ergänzung zu Foucaults Analyse der visuellen Ordnung darstellen. 3.2.3 Eine Macht, die verführt Bereits Butler (2001: 81-100, 2003) hatte für eine psychoanalytische Relektüre des Foucault’schen Subjektbegriffs plädiert. Ihr ging es darum, den komplexen Vorgang der (seelischen) Unterwerfung unter die disziplinierende Macht sowie die Bildung möglicher Strategien des Widerstands genauer zu fassen. Dabei wehrt sich Butler ausdrücklich gegen die romantisierende Auffassung, wonach das Unbewusste als das Bollwerk eines psychischen »Rests« gelten kann, der jeglicher sozialen Normalisierung widersteht. Im Gegensatz dazu betont sie unter Berufung auf Lacan, dass auch das Unbewusste und das Begehren als Effekte der diskursiven und machttechnologischen Zurichtungsprozeduren verstanden werden können (Butler 2001: 85). Die folgenden Überlegungen gehen ebenfalls davon aus, dass die Ansätze von Foucault und Lacan insofern miteinander vereinbar sind, als sie beide die Bedingungen der Subjektivierung in ein »Außen« verlagern – sei es der »Diskurs« bzw. das Dispositiv oder aber das »Symbolische«. Im Unterschied zu Butler, die diese beiden Konzepte relativ umstandslos gleichzusetzen scheint (Butler 2001: 94f.), soll hier aber zunächst gezeigt werden, dass Lacans Begriff des »symbolischen Gesetzes« zwar Ähnlichkeiten zu Foucaults Diskurs- und Dispositivkonzept aufweist, an einigen entscheidenden Punkten aber dennoch in eine andere theoretische Richtung zeigt. Dabei soll deutlich werden, wie mittels einer solchen psychoanalytisch informierten Lesart Foucaults Rede von der »Verführungskraft« der Macht und der »relativen Freiheit« des Subjekts einen neuen Sinn erhalten könnte. Auf der Grundlage dieses allgemeinen Vergleichs wird dann zu zeigen sein, inwiefern Lacans Begriffe des Blicks und des visuellen Begehrens Foucaults historische Perspektive auf die visuellen Ordnungen und Praktiken gewinnbringend ergänzen. 3.2.3.1 Diskurs und symbolische Ordnung – ein Vergleich Obwohl sich Foucault gerade ab den 1970ern zunehmend von der Psychoanalyse abzugrenzen versucht, ist die Ähnlichkeit zwischen seinem archäologischen Ansatz und Lacans »strukturalistischem« Subjektmodell nicht zu übersehen.58 Mehr noch: Foucault bezieht sich in seiner ersten wichtigen archäologischen Abhandlung Die Ordnung der Dinge gleich in zweifacher Weise positiv auf Lacan, der zu diesem Zeitpunkt seine Seminare und Schriften allerdings noch nicht veröffentlicht hatte und eher als eine Art intellektueller »Geheimtipp« gegolten haben dürfte: So stellt
58 Siehe dazu beispielsweise auch Sarasin 2005: 44ff., 156ff.
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Foucault die strukturalistische Psychoanalyse zum einen als eine der antianthropozentrischen »Gegenwissenschaften« heraus (OD: 454), die nicht von dem begründenden Cogito, sondern den ihnen äußeren symbolischen Strukturen ausgehen. Und zum anderen charakterisiert er seine eigene Archäologie als eine Analysestrategie, die ebenfalls das »positive Unbewusste des Wissens« (OD: 11) aufzudecken versucht. Beide Ansätze – Lacans strukturalistische Psychoanalyse sowie Foucaults diskurstheoretische Archäologie – verabschieden sich also von der idealistischen Vorstellung, der zufolge es sich bei dem denkenden Ich um eine präexistente, sinnstiftende Entität handele, und betonen stattdessen, dass das Subjekt von einer »äußeren Instanz« abhängig sei. Einigkeit scheint bei beiden Theoretikern auch im Hinblick auf die Frage, wodurch sich diese äußere Instanz auszeichnet, zu bestehen. So ist Lacan der Auffassung, dass die Subjektwerdung mit dem Eintritt in das Symbolische und insbesondere die Sprache einsetzt, und auch Foucault glaubt, dass das Denken von der diskursiven Ordnung seiner Zeit bedingt wird. In beiden Fällen wird das Subjekt somit als ein Wesen verstanden, dessen Denken, Wahrnehmen und Handeln von den ihm vorangehenden sprachlichen Parametern sowohl ermöglicht als auch begrenzt wird. Die psychoanalytische Kategorie der symbolischen Ordnung weicht jedoch in einigen zentralen Aspekten vom Diskursmodell ab. Erstens geht Lacan im Unterschied zu Foucault davon aus, dass es jenseits der Ebene der symbolischen Einteilung der Dinge noch eine fundamentalere ontologische Schicht des »Realen« gibt, die zwar stets undifferenziert und »unaussprechlich« bleibt, aber nichtsdestotrotz oder gerade deshalb eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf das Subjekt ausübt. Demgegenüber hatte Foucault in der Archäologie des Wissens klargestellt, dass alle Erfahrungen und Praktiken letztlich auf die diskursive Ordnung zurückzuführen seien und es dementsprechend kein Außerhalb des Diskurses (bzw. der Macht) geben könne (AW: 106). An diese grundlegende Differenz schließt sich ein zweiter Unterschied an: Während Foucault den Diskurs als eine kohärente Schicht von Aussageformationen betrachtet, die relativ stabile Wahrheitseffekte zeitigt, betont Lacan die Lückenhaftigkeit und Dynamik der Signifikationsprozesse. Gerade weil die sprachliche Bedeutung das Reale nicht abbilden kann, ist sie einem ständigen metonymischen Gleiten ausgesetzt, das jede »Gewissheit« ins Wanken bringen kann. Diese Dynamik wird von dem bewussten Subjekt, das sich an imaginären »Bedeutungsfixierungen« oder Steppunkten festzuhalten versucht, jedoch verdrängt und kann daher nur im Unbewussten walten. Man könnte also sagen, dass Foucaults Diskursbegriff zwei Aspekte der sprachlichen Konstitution des Subjekts vereint, die Lacan auf die beiden sprachlichen Register des Symbolischen und des Imaginären verteilt: Einerseits hat der Diskurs eine ähnlich grundlegende Funktion wie das Symbolische, insofern er die Architektur des Denkens organisiert, andererseits aber ist er genauso erstarrt wie die imaginäre Ordnung der bewussten Rede, weil er keine Bedeutungs-
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verschiebungen zulässt. Mit dieser »Vereinfachung« entgeht dem Diskursbegriff jedoch eine wichtige Erkenntnis der psychoanalytischen Theorie, dass nämlich jedes bewusste Denken, jede Rede und jeder Text einer zweiten, noch fundamentaleren Sprache – der Sprache des Unbewussten – aufsitzen, die sich nur in Träumen, Symptomen oder Fehlleistungen zeigen kann.59 Lacan schreibt der Sprache somit drittens eine andere Wirkung zu als Foucault. Während Letzterer den Prozess der Internalisierung nicht näher erläutert und anzunehmen scheint, dass das Subjekt das Wissen und die Subjektpositionen, die der Diskurs vorzeichnet, relativ unproblematisch »einfaltet« (AW: 138f.), entwirft Lacan ein ungleich komplexeres Szenario, das eben nicht in einer stabilen Subjektform einmündet, sondern im Gegenteil eine unhintergehbare psychische Instabilität des Subjekts begründet. Diese genuine Instabilität resultiert aus der Tatsache, dass das Symbolische das Subjekt nicht nur konstituiert, sondern ihm gleichzeitig einen »Mangel an Sein« sowie das unstillbare Begehren einpflanzt, diesen Mangel zu überwinden. Die diskursiven »Subjektpositionen« – wie etwa die Vorstellungen, ein bewusstes Ich zu sein, eine geschlechtliche Identität zu besitzen oder aber über soziale Macht zu verfügen – sind aus Lacan’scher Sicht also nichts anderes als imaginäre »Spiegelbilder«. Sie können von einem auf den anderen Moment in Frage gestellt werden – etwa wenn das Subjekt mit dem »Einbruch des Realen« konfrontiert wird oder sich seine Begehrensmuster und Ich-Ideale metonymisch verschieben. Anders als Foucaults Diskurskonzept, das den sprachlichen Aussageformationen eine Priorität einräumt, umfasst Lacans symbolische Ordnung viertens potentiell auch jene nicht-sprachlichen Differenzierungen, die sich beispielsweise auf der Ebene der körperlichen Praktiken, der Interaktionsrituale oder der Anordnung der Dinge ergeben. Lacan geht also nicht davon aus, dass alle kulturellen Äußerungsformen auf eine sprachliche Zeichenstruktur zurückzuführen wären. Er verwendet den Begriff des Symbolischen eher zur Bezeichnung des abstrakten Faktums, dass auf verschiedenen Ebenen jeweils spezifische Ordnungsformen existieren. Damit nähert sich sein Konzept der symbolischen Ordnung weniger dem archäologischen Diskursbegriff als vielmehr dem umfassenderen genealogischen Dispositivmodell von Foucault an, dem zufolge das Individuum auch durch nicht-diskursive Ordnungen, wie etwa körperliche Zurichtungen oder architektonische Anlagen subjektiviert wird.
59 Eine Ausnahme bilden freilich seine frühen Schriften zum Wahnsinn, zur Literatur und zur Ästhetik. Hier hatte er noch angenommen, dass sowohl das »wahnsinnige Sprechen« als auch die Arbeiten von George Bataille (DE1/13) oder Raymond Roussell (RR) eine »andere« Sprache offenbaren, die den bewussten Diskurs der Vernunft überschreitet (WuG: 36ff.). In ähnlicher Weise hatte auch Lacan die These aufgestellt, dass im Wahnsinn nicht das bewusste Subjekt spricht, sondern von der Sprache selbst gesprochen wird (S1/FF: 124).
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Doch ganz so bruchlos wie es hier zunächst erscheint, lassen sich die Lacan’sche und Foucault’sche Konzeption nicht angleichen. Anders als der mittlere und späte Foucault hat sich Lacan – sieht man von seiner Analyse des Blickregimes einmal ab – nie systematisch mit nicht-sprachlichen Ordnungen beschäftigt.60 Geht es um die Historizität des Begehrenssubjekts, so bleiben Lacans Ausführungen gleichfalls in der Schwebe. Trotz eines grundlegend dynamisch angelegten Modells geht er nicht näher darauf ein, inwiefern das Symbolische – und damit auch die Strukturen des Imaginären und des Begehrens – historisch und kulturell kontingente, und damit variable Ordnungen darstellen. Um den psychoanalytischen Gedanken einer kulturell hervorgebrachten Affektivität für eine genealogisch-archäologische Subjekttheorie fruchtbar machen zu können, müsste daher auch Lacans Theorie präzisiert werden: zum einen im Hinblick auf die körperliche und dinglichräumliche »Materialität«, und zum anderen in Bezug auf die der symbolischen und imaginären Ordnungen eigenen Historizität. Eine erschöpfende Auseinandersetzung mit den Lacan’schen Körper-,61 Materialitäts- und Geschichtsbegriffen ist hier nicht zu leisten; es sei aber zumindest angedeutet, wie eine solche Zusammenführung aussehen könnte. Wie bereits dargestellt, nimmt Lacan an, dass das Symbolische das Subjekt von der Unmittelbarkeit seines Seins abtrennt: Die Welt, in der es zunächst keine Grenzen und Beschränkungen zu geben scheint, verwandelt sich im Zuge der Subjektwerdung in eine Konfiguration unterscheidbarer und benennbarer, aber damit auch fremder und unzugänglicher Dinge. Parallel zu dieser Distanzierung von der Welt findet aber noch eine weitere »Entfremdung« statt: die vom eigenen Körper. Denn genauso wie das Subjekt lernt, die Dinge als in sich geschlossene »Objekte« zu betrachten, lernt es auch, den eigenen Körper und dessen Bedürfnisse mithilfe des symbolischen Registers zu fassen und nach dem Vorbild der allgemein anerkannten Ich-Ideale zu modulieren. Es beginnt mit anderen Worten, sich selbst als kohärentes
60 Dies mag vor allem daran liegen, dass Lacan seine Ideen stets von der psychoanalytischen Praxis her entwickelt, und diese basiert ausschließlich auf einer »Redekur«. 61 Insgesamt nimmt der Körperbegriff in Lacans Arbeiten keine zentrale Stellung ein; es lassen sich aber mindestens drei Kontexte ausmachen, in denen er sich explizit mit der subjektkonstitutiven Rolle des Körpers auseinandersetzt: 1.) in seinem frühen Text über das Spiegelstadium, in dem es um die Verkennung des eigenen Körperbildes und die damit einhergehende symbolische Spaltung des Subjekts geht; 2.) in seinen Auseinandersetzungen mit der Funktion der (körperlichen) Symptome, die er als Ausdruck der Sprache des Unbewussten versteht; und schließlich beschäftigt er sich 3.) in seinem Spätwerk mit der »jouissance« und der »realen« Dimension des Körpers. Siehe dazu auch Declerq 2004. Anders als Foucault geht er also davon aus, dass es unter der kulturellen Überformung des Körpers noch eine »ursprünglichere« Schicht gibt.
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Ich zu verstehen, verdrängt dabei aber sowohl die eigene symbolische Spaltung als auch die realen Körperprozesse. Anders als der mittlere und späte Foucault (sowie auch Merleau-Ponty) ignoriert Lacan jedoch, inwiefern sich diese Symbolisierung der Gegenstände und des eigenen Körpers nicht nur über kognitive Akte, sondern auch durch körperliche »Einübung« bestimmter (interobjektiver) Praktiken vollzieht. So ließen sich beispielsweise die »disziplinierende« Zurichtung und die Selbsttechnologien62 durchaus als »symbolische« Akte begreifen, die eine unhintergehbare kulturelle »Spaltung« oder Codierung in den Körper einführen. Gleichfalls können Raumordnungen (seien es gestaltete Landschaften oder Architekturen) oder auch die Formen technischer Gegenstände als Ausprägungen der symbolischen Ordnung gelten, da sie das körperliche Verhalten, die Wahrnehmung und das Denken in bestimmte Bahnen lenken.63 Zusammengefasst ließe sich also behaupten, dass im Rekurs auf den Foucault’schen Dispositivbegriff der symbolische Andere als diejenige Instanz verstanden werden kann, die – auf welche Weise auch immer – das Individuum zu bestimmten Praktiken und Selbstverhältnissen anhält. Mit dieser Foucault’schen Lesart der Funktion des Anderen lässt sich zudem die Historizität der verschiedenen symbolischen Ordnungen erfassen: Denn so wie Foucault die Bedingungen des Denkens aus den empirischen Aussageformationen ableitet, können auch die symbolischen Ordnungen als empirisch beobachtbare Häufung und Verteilung von signifikanten Elementen – seien es Wörter, Dinge oder körperlichen Praktiken – verstanden werden. Die symbolischen Ordnungen sind mit anderen Worten als empirische Ordnungen der Elemente des Dispositivs zu reinterpretieren. Auf der Grundlage einer solchen Anpassung der beiden Perspektiven kann Foucaults Dispositiv neu bestimmt werden: als ein heterogenes Ensemble miteinan-
62 Allerdings sind Selbsttechnologien, die eine kulturelle Ordnung reproduzieren, von solchen zu unterscheiden, die im Gegensatz dazu darauf ausgerichtet sind, sich von den »Fremdführungen« zu distanzieren. Letzteres entspricht eher dem »vollen Sprechen« der Lacan’schen Redekur. 63 Allerdings würde Lacan im Gegensatz zu Foucault davon ausgehen, dass auch diese nichtsprachlichen Ordnungen der Gegenstände und Körper stets »lückenhaft« sind, also immer einen bestimmten Rest des Realen nicht erfassen können. Dieser nicht-symbolisierbare »Rest« hat zweifelsohne mit der »Materialität« der Dinge zu tun, da er sich immer dann offenbart, wenn sich die Materialität gewissermaßen »verselbständigt«, z.B. wenn ein technisches Gerät nicht mehr funktioniert, wenn der Putz eines Gebäudes abbröckelt, oder sich das Subjekt an einem Messer schneidet. Man könnte mit Lacan also sagen, dass sich die materielle Kultur ihrer vollständigen symbolischen Ordnung stets entzieht. Dieser Aspekt ist für die folgenden Überlegungen aber nicht zielführend und soll daher hier nicht weiter verfolgt werden. Siehe dazu auch Widmer 1997: 58ff.
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der verschränkter symbolischer und imaginärer Ordnungen, die einerseits abstecken, welche Praktiken, Denkweisen und Wahrnehmungsformen überhaupt möglich sind, und andererseits vorschreiben, welche »Ich-Ideale« und »Objekte klein a« von dem Subjekt libidinös besetzt werden.64 Eine solche psychoanalytische Interpretation oder Erweiterung des Dispositivbegriffs hat einen doppelten Vorteil. Zum einen kann so die Foucault’sche These, dass die Macht stets auch »Anreize [bietet], verleitet, verführt« (DE4/306: 286), theoretisch besser fundiert werden. Denn wie Foucault selbst wiederholt betont hat (WW: 65f., 92, DE2/957, DE4/281: 243, DE4/306: 286), besteht der eigentliche Trick der Macht darin, dass die Unterwerfung den Subjekten Lust bereitet, was er jedoch nur am Beispiel der modernen Erfindung der Sexualität erläutert.65 Darüber hinaus liefert Lacans Subjektmodell eine Begründung dafür, warum das Widerständige »das nicht wegzudenkende Gegenüber« (WW: 116f.) der Macht ist. Denn aus psychoanalytischer Sicht sind die nicht-materiellen Faktoren des Dispositivs – das Wissen, die Subjektpositionen und die Verhaltensregeln – nur imaginäre »Festschreibungen«, die letztlich nicht halten können, was sie versprechen, und daher ständig Gefahr laufen, durch die metonymischen Verschiebungen des Unbewussten unterminiert zu werden.66 Es gibt also tatsächlich eine Art psychischen »Rest«, der von den imaginären Ordnungen nicht vollständig »gezähmt« werden kann. Da dieses widerständige Potential jedoch aus der symbolischen Überformung des Subjekts resultiert, ist es – und das ist der Unterschied zu Freuds anthropologischem Triebgedanken – keineswegs »natürlicher« oder »authentischer« als die imaginären Spiegelbilder, gegen die es sich wendet. Es ist vielmehr strukturell in ihnen angelegt. Neben dieser strukturellen Erklärung des Widerständigen – man könnte viel-
64 Butler bezeichnet diese durch das Dispositiv bedingten affektiven Besetzungen der gesellschaftlich legitimierten Subjektpositionen auch als ein »unbewusstes Verhaftetsein mit der Unterwerfung« (Butler 2001: 85). 65 Daher ist auch Foucaults Kritik aus Der Wille zum Wissen, der zufolge die »Analyse des Begehrens« eine ausschließlich negative Macht unterstellt, nicht haltbar (WW: 103). Lacans innovatives Potential liegt ja gerade darin, dass er das Begehren, das von der Psychoanalyse bis dato als ein biologischer »Trieb« aufgefasst wurde, als einen Effekt der symbolischen Spaltung entlarvt. Lacan geht also nicht davon aus – wie Foucault hier zu unterstellen scheint –, dass es ein sexuelles Begehren gibt, das durch das Gesetz des Symbolischen »kastriert« oder »zensiert« würde. Für Lacan ist vielmehr entscheidend, dass das Kind gezwungen wird, eine (symbolische) Differenz zwischen sich selbst und seiner Welt anzuerkennen, und somit erst in die Ökonomie des Begehrens gestoßen wird. Auch Butler glaubt, dass Foucault Lacan an dieser Stelle missverstanden hat (Butler 2001: 99). 66 Die »Materialität« der Gefängnismauern, die dem Bewegungsradius klare Grenzen setzen, müsste demgegenüber zum Realen gezählt werden.
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leicht auch sagen: der dem Unbewussten innewohnenden Tendenz zur Um- und Unordnung –, scheint Lacan zudem davon auszugehen, dass sich das Subjekt zwar nicht vollständig aus den imaginären Weltbildern und libidinösen Besetzungen befreien kann, dass es aber zumindest die Möglichkeit besitzt, mit ihnen »zu spielen« (Sem11: 114). Damit trifft sich sein Subjektmodell mit dem Gouvernementalitätsbegriff des späten Foucault67, dem zufolge die Dispositive als »Möglichkeitsräume« zu verstehen sind, die dem Subjekt die »relative Freiheit« (DE4/306: 287) lassen, sich zwischen verschiedenen (Selbstführungs-)Praktiken zu entscheiden.68 Im Folgenden gilt es nun, diese Parameter einer möglichen Zusammenführung von psychoanalytischer und archäologisch-genealogischer Subjekttheorie für die (symbolische) Ordnung des Visuellen durchzuspielen. 3.2.3.2 Visuelle Affektivität zwischen Fremd- und Selbstführung Wie Foucault und Merleau-Ponty vertritt auch Lacan die These, dass das Sehen wie eine Art Filter funktioniert, der nur bestimmte Formen, Aspekte und Zusammenhänge sichtbar werden lässt, während andere »Ansichten« ausgespart bleiben. Das Subjekt hat mit anderen Worten keinen unmittelbaren Zugang zu den Dingen »an sich«, sondern kann sich seine Welt nur in Form eines bestimmten »Weltbildes« vermitteln, das unweigerlich blinde Flecken enthält. Wie dieses Weltbild zustande kommt, wird von den Autoren unterschiedlich begründet. Während der »archäologische« Foucault davon ausgeht, dass der (Bild-) Diskurs dem Subjekt »den Blick für unsere Welt einsetzt« (Frank 1984: 121) und sich später nur noch mit den machttechnologischen Effekten des Erblickt-Werdens beschäftigt, führt Merleau-Ponty in der Phänomenologie der Wahrnehmung die
67 Wie in Kapitel 3.1.1.2 näher dargestellt wurde, ist ein solches Konzept »relativer Freiheit« auch in Merleau-Pontys Freiheitsbegriff angelegt. 68 Hier werden also zwei Unterscheidungen zu Butlers Interpretation gemacht: Erstens werden die Identitäten und Subjektpositionen nicht als rein symbolischer Effekt angesehen – wenn dem so wäre, dann würde sich die Identität ja ständig im Fluss befinden. Sie sind vielmehr als »imaginäre« Fixierungen zu verstehen, die das wahre gespaltene »je« eben verdeckt. Daraus ergibt sich ein zweiter Unterschied: Denn wenn Butler die Subjektposition als eine »symbolisch« erzeugte versteht, kann sie das Widerstandspotential nur im Imaginären verorten – nämlich als bloße Nichtanerkennung der symbolischen Differenzierung, die aber letztlich nichts an der Struktur selbst ändert (Butler 2001: 92ff.). Demgegenüber wird hier genau umgekehrt argumentiert, dass das Subjekt zwar die Möglichkeiten hat, seine imaginären Ich-Ideale aktiv zu verschieben oder abzulehnen, dass es daneben aber auch eine strukturelle Instabilität der Subjektpositionen gibt, die aus dem Gleiten des Symbolischen und dem Begehren selbst resultiert. Damit liegt Lacan gar nicht so weit entfernt von Foucaults Behauptung, dass sich der Widerstand aus der Macht speist.
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Genese der »perzeptiven Syntax« auf die konkrete körperliche Auseinandersetzung des Subjekts mit seiner Umwelt zurück. Wie bereits dargestellt, hat diese Perspektive gegenüber Foucaults diskursanalytischem »Textualismus« den doppelten Vorteil, dass sie einerseits die Parameter der visuellen Ordnung aus den Formationen der sichtbaren Welt selbst ableitet und andererseits die (visuelle) Wahrnehmung in den körperlicher Praktiken verankert. Problematisch ist daran, dass sich MerleauPonty in der Phänomenologie der Wahrnehmung noch nicht vollständig von dem bewussteinsphilosophischen Paradigma verabschiedet hat, welches das aktiv erfahrende Subjekt ins Zentrum der Analyse stellt, und nur in Ansätzen herausarbeitet, inwiefern die Wahrnehmung von überindividuellen historischen und sozialen Strukturen geprägt wird. Lacan wiederum ist wie Foucault dazu bereit, die Bedingungen des Sehens in das äußere »Blickregime« zu verlagern und damit das Subjekt entschieden zu dezentrieren.69 Dabei bezieht er sich auf Merleau-Pontys post-phänomenologisches Spätwerk Das Sichtbare und das Unsichtbare, um zu verdeutlichen, dass sich das kulturelle Blickregime aus der Ordnung der sichtbaren Welt selbst ableitet – nämlich aus dem kollektiv geteilten Formenrepertoire, das sich sowohl aus den ikonografischen Formeln als auch den dinglichen Gestalten zusammensetzt. Damit entwirft Lacan im Prinzip eine theoretische Konstruktion, die dem hier verfolgten Ziel schon sehr nahekommt: nämlich aus der formalen Ordnung der äußeren Dinge die Bedingungen des Wahrnehmungsschemas abzuleiten. Allerdings lässt Lacan zwei Aspekte außer Acht, die für die hier avisierte Theorie visueller Ordnungen und Praktiken von Bedeutung sind: erstens Foucaults grundlegende These, nach der das Denken und Sehen, sowie die körperlichen Praktiken allgemein, stets von historisch und kulturell spezifischen Ordnungen geformt werden, die je nach Dispositiv variieren können. Zweitens übergeht er Merleau-Pontys zentralen, praxeologisch äußert gewinnbringenden Gedanken, dass die visuelle Wahrnehmung in das fungierende Körperschema des Leibes eingebettet ist. Wie bereits angedeutet, lassen sich diese »Defizite« der psychoanalytischen Theorie aber aus dem Weg räumen. So kann das Blickregime oder symbolische »Formenrepertoire« ganz analog zu Foucaults Definition des Diskurses als eine empirische Häufung und Verteilung von visuellen Gestalten, Mustern und Formen verstanden werden.70 Darüber hinaus lässt sich im Rekurs auf Merleau-Pontys Be-
69 Lacan setzt sich sogar in seinem Seminar XIII ganz direkt mit Foucaults Analyse von Las Meninas auseinander. Dieses Seminar wurde bisher aber noch nicht veröffentlicht. 70 Man braucht sich nur einen Film aus einem vergangenen Jahrzehnt oder einem anderen Land anzuschauen, um zu verstehen, dass sich die Codes der Wahrnehmung verschieben können, denn alles sieht irgendwie anders oder gar befremdlich aus: Besonders augenscheinlich wird dies wohl an der Mode, aber auch die Zuschnitte der technischen Geräte,
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griff des senso-motorischen Körperschemas die Internalisierung dieses symbolischen Blickregimes als Vorgang der »Inkorporierung« jener Ordnung interpretieren, die vom historischen Formenrepertoire vor-gesehen wird. Das Auge-Werden des Subjekts geht also mit einer symbolischen Kodifizierung des Körpers einher, da sich dieser stets für die perzeptiven Erfordernisse seiner visuellen Umgebung sensibilisieren muss. Soweit ist aus Lacans Ansatz aber noch nicht viel Neues gewonnen – alles, was bisher zur kulturellen Bedingtheit des Sehens gesagt wurde, ließe sich auch aus einer leibphänomenologischen Ergänzung der archäologisch-genealogischen Perspektive ableiten. Der entscheidende Beitrag Lacans liegt demgegenüber in der Analyse der psychisch-affektiven Mechanismen, die das Sehen begleiten und sich auf vier Ebenen zeigen: 1.) in den unbewussten visuellen Erinnerungen, 2.) in der imaginierten Omnipräsenz des Blicks des Anderen, 3.) in den visuellen Ich-Idealen und 4.) in einem visuellen Begehren. Zu (1): Unbewusste visuelle Erinnerungen: Wie Silverman (2000) im Anschluss an Lacans Seminar VII und Freuds erstem topischen Modell des psychischen Apparates herausgearbeitet hat, wird das Unbewusste von einer ganzen Reihe visueller Sachvorstellungen oder »Wahrnehmungszeichen« bevölkert, die von dem Subjekt verdrängt oder schlicht vergessen wurden. Diese Wahrnehmungszeichen sind jedoch keineswegs inaktiv. Im Gegenteil: Da sie der Kontrolle des Bewusstseins entgehen, sind sie in der Lage, sich mit anderen sprachlichen oder nicht-sprachlichen Signifikanten uneingeschränkt zu verketten. Zudem können sie, sobald das Subjekt auf einen entsprechenden Stimulus trifft, den Weg in das Bewusstsein zurückfinden. Übertragen auf die Frage der historischen Ordnung der Sichtbarkeit würde das bedeuten, dass das Subjekt niemals nur auf ein aktuelles Dispositiv reagiert, sondern das jeweils Sichtbare stets mit den latenten visuellen Erinnerungen, die in seinem Unbewussten schlummern, verknüpft. Dies hat zwei Konsequenzen: Zum einen kann das, was tatsächlich gesehen wird, von dem Dispositiv nicht gänzlich vorgezeichnet werden – es kann lediglich gewisse Assoziationen nahelegen. Zum anderen ergibt sich daraus die Möglichkeit, dass dem Subjekt ganz fremd(-artige) Phänomene merkwürdig vertraut vorkommen können. Zu (2): Der Blick des Anderen: Wie Lacans Visualitätstheorie deutlich macht, erfährt das Subjekt die sichtbare Welt stets als Träger eines prüfenden Blicks,71 von
die Häuserfassaden, die Inneneinrichtung oder selbst die verwendeten Farben und Materialien ähneln zwar dem gewohnten Formenrepertoire, weisen aber doch eine andere Qualität auf – eine Qualität, die ebenso eine andere Form von Subjektivität impliziert. 71 Diese Idee stammt zwar ursprünglich aus Merleau-Pontys Das Sichtbare und das Unsichtbare, aber Lacan macht in der Folge etwas Eigenes daraus – es geht ihm nämlich
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dessen Anerkennung es seine Existenz abhängig macht. Hier ist entscheidend, dass Lacan anders als Foucault und Sartre nicht voraussetzt, dass es sich bei dieser Blickbeziehung um eine tatsächliche oder potentielle intersubjektive Beziehung handeln muss. Lacan betont vielmehr, dass dieser äußere Blick eine Imagination ist, die das Subjekt nicht nur anderen Personen, sondern auch scheinbar »leblosen« Objekten zuschreibt.72 In diesem Sinne wird das Lacan’sche Subjekt von allen Elementen des Sehfeldes – also nicht nur von dem Wärter, sondern auch von den Gefängnismauern – angestarrt und »überwacht«. Zu (3): Visuelle Ich-Ideale: Daran schließt sich unmittelbar der bereits erwähnte Wunsch des Subjekts an, sich äußerlich einem Ich-Ideal anzugleichen, von dem es glaubt, dass es »visuell anerkannt«, wenn nicht gar begehrt wird. Das Subjekt passt sich also nicht einfach nur den Normen des Bild/Schirms an – es affirmiert darüber hinaus die Subjektpositionen, die von diesem vorgezeichnet werden. So müsste beispielsweise auch das Disziplinarsubjekt, das Foucault lediglich als Produkt einer von außen auferlegten körperlichen Zurichtung verstanden hatte, als ein »historisch spezifiziertes imaginäres Ideal« (Butler 2001: 87) gedeutet werden, mit dem sich die Subjekte positiv identifizieren. Im gleichen Sinne können bestimmte geschlechts- oder klassenspezifische Körpernormen als affektiv besetzte Selbstbilder gelten.73 Zu (4): Visuelles Begehren: Das kulturelle Blickregime löst zudem ein visuelles Begehren aus, das sich sowohl in dem Wunsch äußert, der Welt mithilfe von Bildern »habhaft« zu werden, als auch in der affektiven Besetzung von menschlichen und nicht-menschlichen »Objekten klein a«. Wie Silverman herausgearbeitet hat (2000), hängt Letzteres sowohl von den aktuellen imaginären Ich-Idealen als auch von den unbewussten Erinnerungsspuren des Subjekts ab – von den Objekten, die in der Vergangenheit bereits affektiv besetzt wurden. So kann z.B. ein an sich recht unscheinbares Ding – wie beispielsweise eine alte Armbanduhr – eine enorm anziehende Kraft entwickeln, wenn ein früherer Liebhaber oder aber die eigene Mutter eine solche Uhr besessen hat. Da das Netz metonymisch verflochtener Sachvorstellungen äußert flexibel ist und beständig wächst, kann das Subjekt von solchen in-
nicht um die ontologische Frage nach dem »Fleisch der Welt«, sondern um die psychischen Mechanismen, die hinter dieser Imagination stecken. 72 Damit greift er einen Gedanken des späten Merleau-Ponty auf, liefert aber eine andere Begründung dafür. Denn während Merleau-Ponty das Gefühl des Angeblickt-Werdens auf die unhintergehbare ontologische Reversibilität von Welt und Leib zurückführt, hält Lacan dieses Phänomen für eine Projektion des psychischen Subjekts, die aus der Empfindung des eigenen Mangels erwächst. 73 Letzteres haben vor allem die feministischen Filmwissenschaftler untersucht. Siehe etwa Mulvey 1975; Silverman 1992, 1997; Chaudhuri 2006.
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tensiven Momenten der Affektion auch dann überrascht werden, wenn es gar nicht damit rechnet – wie etwa in der U-Bahn oder bei der Arbeit –, eben immer dann, wenn das Bewusstsein schlummert. Mit Lacan gewinnt somit der Vorschlag, die kulturelle Bedingtheit des Sehens als das Zusammenspiel von visuellen Fremdführungen und Selbstführungen zu verstehen, eine zusätzliche Bedeutung. Denn aus Lacan’scher Perspektive verfügt die sichtbare Welt über eine Verführungskraft, die das Subjekt permanent herausfordert: entweder weil es sich von ihr »beobachtet« fühlt und sich in ihr Bild einfügen möchte, oder weil diese Welt Dinge enthält, die es an etwas Vergangenes erinnern und/oder sein Begehren wecken. Doch auch bei Lacan wird das Subjekt von den Dispositiven nicht determiniert: So unterläuft das (visuelle) Begehren oftmals ganz automatisch die gesellschaftlich legitimen Ich-Ideale und genormten »Objekte klein a«, um sich an ganz merkwürdige Dinge zu heften.74 Neben diesen unwillkürlichen, strukturellen »Widerständen« gegen die visuellen Lenkungen des Dispositivs kann das Subjekt aber auch ganz aktiv eine kritische Haltung gegenüber dem aktuellen Bild/Schirm einnehmen. In diesem Sinne haben sowohl Silverman als auch Bersani gezeigt, dass das Subjekt den visuellen Fremdführungen mit einem »Anders-Sehen« begegnen kann, das entweder die diskriminierende Unterscheidung zwischen sehenswert und nichtsehenswert aushebelt (Silverman), oder aber eine Sichtweise auf die Welt etabliert, die sich (weitgehend) von der Logik des Begehrens entkoppelt hat (Bersani). Wie alle kritischen Praktiken sind aber auch diese ästhetischen Selbstführungsstrategien nicht als endgültige Lösungen zu verstehen, sondern stellen lediglich eine andere Ordnung her.
74 In der postfordistischen Warenwelt suggerieren allerdings viele kommerziell hergestellte Produkte oder inszenierte »Wohlfühl-Dispositive«, sie könnten den Abwegen des Begehrens entsprechen.
3.3 Habituelle Wahrnehmungsschemata Foucault und Bourdieus Praxeologie
Als Foucault mit Die Ordnung der Dinge und Archäologie des Wissens seine ersten großen akademischen Erfolge feierte, begann auch Pierre Bourdieus wissenschaftliche Karriere. Damit spielt seine Arbeit für Foucaults intellektuelle Entwicklung keine vergleichbare Rolle wie die Schriften von Merleau-Ponty oder Lacan, die beide – wenn auch implizit – ganz entscheidende Impulse für die Formulierung der Archäologie und Genealogie geliefert haben. Aber auch nach Erscheinen von einigen der wichtigsten Arbeiten Bourdieus, wie Die feinen Unterschiede (FU) und Sozialer Sinn (SoSi), bezieht sich Foucault trotz langjähriger freundschaftlicher Bande (DE1/0: 18) und gemeinsamem politischem Engagements (Eribon 1993: 427) nie auf seinen soziologischen Zeitgenossen.1 Umgekehrt ist auch Bourdieu stets recht sparsam mit seinen Verweisen auf Foucault umgegangen und setzte sich erst nach dessen Tod in einigen – durchweg kritischen – Kommentaren mit der Diskurs- und Machtanalyse auseinander (Callewaert 2006).2
1
Eine einzige Ausnahme bildet der Verweis auf Bourdieu in einem kurzen Vorwort zu einer dem gemeinsamen Lehrer Georges Canguilhem gewidmeten Sondernummer der Revue de métaphysique et de morale (1985) – dem letzten Text, den Foucault selbst zum Druck freigegeben hat (DE4/361: 944).
2
Zu den Hauptkritikpunkten, die Bourdieu gegenüber Foucault vorzubringen hat, gehört dessen »objektivistische« Tendenz, den Zwang der äußeren diskursiven und machttechnologischen Strukturen überzubetonen und dementsprechend den Gestaltungsspielraum und die aktive (Re-)Produktionsarbeit des Akteurs zu vernachlässigen (Praktische Vernunft [PV]: 57, M: 181, Die Intellektuellen und die Macht [Bourdieu 1991]: 90). Allerdings betont Bourdieu in seiner späten praxistheoretischen Abhandlung Meditationen, dass Foucaults Machtanalyse insofern grundsätzlich zuzustimmen ist, als sie die Körperzentriertheit der gesellschaftlichen Formung betone (M: 181).
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Diese gegenseitige Nicht-Rezeption ist umso erstaunlicher, als Bourdieu und Foucault einige zentrale theoretische Strategien und analytische Interessen teilen (Schäfer 2009; Reckwitz 2011): die entschiedene Dezentrierung und Historisierung von Subjektivität und Wissen, die Betonung der Körperlichkeit sozialer Zurichtungsprozeduren und kultureller Praktiken sowie schließlich das politische Interesse an einer Kritik der Macht. Diese allgemeinen Übereinstimmungen von Bourdieus Habitus- und Foucaults Subjektivierungstheorie sind auf ihre gemeinsamen theoretischen »Herkünfte« zurückzuführen. Beide sind stark vom Strukturalismus und insbesondere Lévi-Strauss’ strukturalistischer Anthropologie beeinflusst (Stingelin 2008; Moebius/Peter 2009), orientieren sich an der Wissenschaftsgeschichte von Georges Canguilhem (DE4/361: 944) und greifen zudem einige Theorieelemente aus Maurice Merleau-Pontys Leibphänomenologie auf.3 Vor allem letztere Referenz ist für die hier verfolgte Fragestellung von entscheidender Bedeutung. Denn nicht nur Foucaults Bemühungen, die historischen Bedingungen des Sehens und der Sichtbarkeit zu ergründen, lassen sich mit einiger Sicherheit auf sein Studium der Leibphänomenologie zurückführen, auch Bourdieus Konzept der körperlich verankerten »Wahrnehmungsschemata« weist deutliche Parallelen zu Merleau-Pontys Überlegungen aus der Phänomenologie der Wahrnehmung auf. Anders als Foucault, dessen Analyse auf die epochen- und gesellschaftsübergreifenden »Schichten« des Sicht- und Sagbaren abzielte, betont Bourdieu jedoch, dass der Habitus und damit auch die visuellen Praktiken je nach sozialer Position – d.h. Klassen-, Feld- und Geschlechtszugehörigkeit – variieren können. Es geht ihm mit anderen Worten nicht darum, die einer ganzen Kultur inhärente Denk- und Wahrnehmungsordnung zu rekonstruieren, sondern die sozialstrukturell bedingten Dispositionen einzelner sozialer Gruppen und individuellen Akteure aufzuzeigen. Im Unterschied zu Foucault, der ganz explizit die Autonomie des Diskurses und der Artefakte herausgestellt hat, tendiert Bourdieu allerdings zu einer »soziologistischen« Perspektive, die letztlich das gesamte Verhalten des Akteurs auf dessen familiäre, schulische und feldspezifische Sozialisationsprozesse zurückführt. Das heißt, dass er weder genauer herausarbeitet, wie die visuelle Kultur der Alltagswelt zur »soziale[n] Genese des Blicks« beiträgt (RdK: 490), noch seinem eigenen kunstsoziologischen Anspruch wirklich gerecht wird, die werkimmanente Analyse kultureller Produkte
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Zu den Parallelen von Merleau-Pontys und Bourdieus Ansätzen siehe auch Dreyfus/ Rabinow 1993, Taylor 1993, Marcoulatos 2001, Bongaerts 2003, Crossley 2004, 2008 und Zenklusen 2010: 34ff. Merleau-Pontys Einfluss auf Foucaults Arbeit wurde in Kapitel 3.1 ausgearbeitet.
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mit der »externen« Analyse des sozialen Produktions- und Rezeptionsfeldes in Verbindung zu bringen (Bourdieu/Passeron 1963, SF/Schö: 206, PV: 56f.).4 Wie im Folgenden näher darzustellen sein wird, profitiert also nicht nur Foucaults Analyse der visuellen Ordnung von der soziologischen Differenzierung in klassen-, feld- und geschlechtsspezifische Wahrnehmungsschemata, auch Bourdieus visualitätstheoretischer Ansatz kann durch einen Ausbau seiner leibphänomenologischen Bezüge und eine stärkere Berücksichtigung der wahrnehmungskonstitutiven Funktion visueller Formationen hinzugewinnen. 3.3.1 Der Habitus als Erzeugungsprinzip von Praxis Zuletzt wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass Bourdieu zu den wenigen Soziologen gehört, die sich systematisch sowohl mit Aspekten der Visualität und Bildlichkeit als auch mit der sozialen Rolle von Kunst und ästhetischen Praktiken auseinandergesetzt haben (Wuggenig 2008, 2011; Raab 2008: 78ff.; Kastner 2009, 2013; Schumacher 2011). So hatte er bereits für seine frühen ethnologischen Arbeiten, die die Prozesse und Folgen der erzwungenen Modernisierung in der Kabylei aufzeigten, ein umfangreiches Fotoarchiv angelegt (Schultheis/Frisinghelli 2003; Schultheis 2008)5, und ebenso arbeitet er in seinen im engeren Sinne soziologischen Arbeiten stets mit Grafiken, Schaubildern und Fotografien, um seine Argumentationen und empirischen Ergebnisse zu veranschaulichen.6 Bourdieu interessiert sich aber nicht nur für die methodologische Frage, wie soziale Zusammenhänge mithilfe von visuellen Abbildungsverfahren festgehalten und dargestellt werden können, seine kunst- und lebensstilsoziologischen Arbeiten zielen zudem darauf, die klassenspezifischen Aneignungs- und Gebrauchsweisen von Bildern und visuellen Artefakten näher zu bestimmen. Ein zentrales Anliegen dieser Bemühungen ist, die traditionel-
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In seinen erst kürzlich erschienenen vorletzten Vorlesungen am Collège de France zu
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Bourdieu hatte seine ethnographische Fotoarbeit bis zum Ende seiner Karriere nie öffentlich
Manet. Une Rèvolution symbolique (MRS) holt er eine solche Analyse jedoch nach. präsentiert. Erst auf Anregen von Franz Schultheis erklärte er sich bereit, eine Auswahl seiner Bilder in der Ausstellung Pierre Bourdieu: Images d’Algérie. Une affinité élective im Institut du Monde Arabe, Paris zu zeigen, die jedoch erst Anfang 2003, also nach seinem Tod, realisiert werden konnte (Schultheis/Frinsinghelli 2003). Einige der darin gezeigten Bilder dürften den französischen Bourdieu-Lesern jedoch schon bekannt vorgekommen sein, da er sie für die Cover einiger seiner Bücher verwendet hatte. 6
So ist die französische Originalausgabe von Die Feinen Unterschiede (FU) mit nicht weniger als 48 Fotografien, vier Gemälde-Reproduktionen und einer ganzen Reihe von Grafiken bestückt. Diese wurden jedoch zumeist nur unvollständig in die Übersetzungen übernommen (Wuggenig 2008).
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le Vorstellung der philosophischen Ästhetik, wonach das »interesselose Wohlgefallen« an dem (Kunst-)Schönen aus den transzendentalen Erkenntniskräften des Menschen resultiere, als eine bürgerliche Ideologie zu entlarven (FU: 23ff.). So zeigt er etwa in Die feinen Unterschiede und Die Liebe zur Kunst auf, dass die ästhetischen Klassifikations- und Bewertungsschemata, die die Betrachter an die Kunst herantragen, mit den Positionen im sozialen Raum korrelieren. In diesem Sinn sei der »ästhetische Sinn« also nicht als eine »natürliche« Gabe zu verstehen, die grundsätzlich jedem Individuum offensteht, sondern als ein »Sonderfall« des durch Primär- und Sekundärsozialisation erworbenen »praktischen Sinns« der sozialen Akteure zu betrachten (RdK: 492). Um ein genaueres Bild davon zu bekommen, was Bourdieu mit dem Begriff der klassen- und feldspezifischen Wahrnehmungsschemata im Allgemeinen und dem »ästhetischen Sinn« im Besonderen meint, gilt es demnach, zunächst die Grundzüge seiner Habitus- und Praxistheorie nachzuzeichnen. Dabei wird sich nicht nur zeigen, dass sein häufig verwendeter Begriff des »Wahrnehmungsschemas« vergleichsweise unterbestimmt bleibt, sondern auch, dass einige seiner zentralen Thesen und Prämissen – wie etwa die Betonung der Körperlichkeit des sozialen Akteurs und die Annahme, dass dem bewussten Handeln eine »praktische Intentionalität« (M: 184) vorangeht – schon in MerleauPontys Phänomenologie der Wahrnehmung angedacht, wenn nicht gar vorweggenommen wurden. Diese grundsätzliche Affinität zwischen praxeologischer Soziologie und Leibbzw. Existentialphänomenologie7 spiegelt sich bereits in Bourdieus theoretischem Ziel wider, die unbefriedigende sozialwissenschaftliche Alternative zwischen deterministisch-normativistischem Objektivismus und individualistisch-utilitaristischem Subjektivismus mithilfe einer »Theorie der Praxis« zu überwinden (TdP: 146f., SoSi: 49ff.). Letztere stellt Bourdieu zufolge insofern einen goldenen »Mittelweg« dar, als sie sowohl die objektiven Bedingungen der Subjektwerdung als auch die praktischen Erfahrungen und Alltagsdeutungen der Akteure berücksichtigt und somit das Subjekt bzw. den Habitus als eine gleichermaßen strukturierte und strukturierende Struktur denken kann (SoSi: 97). In den Meditationen reformuliert er diesen grundsätzlichen Einwand gegen den erkenntnistheoretischen Dualismus noch einmal als eine allgemeine Kritik an allen klassischen Handlungstheorien (M: 177), da diese – seien sie nun normativistisch oder utilitaristisch – die scholastische, cartesianische Geist-Körper-Trennung unhinterfragt übernehmen und somit nicht
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Bourdieu selbst bezieht sich – vielleicht aus Distinktionsgründen – weniger auf MerleauPonty, denn auf Heidegger. Lediglich in den Meditationen verweist er an zwei Stellen anerkennend, aber recht beiläufig, auf Merleau-Ponty (M: 183, 188).
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»die Tatsache zur Kenntnis […] nehmen, dass dieser Körper als realer Akteur, das heißt als Habitus mit seiner eigenen Geschichte und den von ihm verkörperten Eigenschaften ein Prinzip der Vergesellschaftung darstellt« (M: 171f.).
In ähnlicher Weise hatten bereits Heidegger und Merleau-Ponty die Spaltung von Empirismus und Intellektualismus kritisiert und stattdessen den empirisch-transzendentalen »Zwischenraum« des vorbewussten praktischen »Daseins« (Heidegger) oder primordialen »zur-Welt-Seins des Leibes« (Merleau-Ponty) als die eigentliche Zone der Subjektwerdung herausgestellt.8 Bourdieus Ansatz unterscheidet sich jedoch in zwei entscheidenden Punkten von der philosophischen Phänomenologie: Zum einen geht es ihm weniger um eine allgemeine ontologische Bestimmung des (leiblichen) Daseins als vielmehr um eine soziologisch-historisierende Analyseperspektive, die die Wechselwirkungen zwischen den objektiven Gegebenheiten der sozialstrukturellen Position auf der einen und den Dispositionen des Habitus auf der anderen Seite erfasst. »Es gilt daher, die Untersuchung des Daseins in der Welt wiederaufzunehmen, sie aber zu historisieren, das heißt die Frage nach der sozialen Konstruktion der Strukturen und Schemata zu stellen, mit deren Hilfe der Akteur die Welt konstruiert […], und anschließend die ganz besonderen sozialen Bedingungen zu analysieren, unter denen die soziale Welt als sich von selbst verstehende erfahren werden kann.« (M 188)
Diese Historisierung impliziert zum anderen, dass seine praxeologische Habitusanalyse nicht in erster Linie bei den leiblichen Erfahrungen des Subjekts ansetzt, wie es Merleau-Ponty tut, sondern – analog zu Foucaults Archäologie und Genealogie – noch viel entschiedener die formende Wirkung der externen Strukturen des sozialen Daseins in den Blick nimmt.9 Aber auch hier gibt es Differenzen: Denn erstens führt Bourdieu die soziale Konditionierung des Subjekts im Unterschied zum frühen und mittleren Foucault nicht auf die übergeordneten Episteme und disziplinarischen Machttechnologien zu-
8 9
Siehe dazu auch Kapitel 3.1.1. Bourdieus allgemeine Kritik, dass die »phänomenologische Untersuchung politisch […] neutralisiert [sei]« (M: 221), trifft jedoch auf Merleau-Pontys leibphänomenologische Untersuchungen nicht zu. Wie oben (Kapitel 3.1.1.2) genauer gezeigt werden konnte, setzt sich Merleau-Ponty im Laufe seiner akademischen Karriere sehr intensiv mit dem Marxismus auseinander und hat bereit in Phänomenologie der Wahrnehmung einen Freiheitsbegriff entwickelt, der sich ganz explizit gegen die existenzialistische Vorstellung wendet, das Subjekt könne seiner historisch gewordenen Situation entkommen.
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rück, sondern auf eine ganze Reihe von alltäglichen »Daseinsbedingungen«, zu denen auch die Formen der (geschlechtsspezifischen) Arbeitsteilung, bestimmte Praxismuster und Konsumptionsweisen sowie die häusliche Objektwelt gehören (SoSi: 101). Zweitens glaubt Bourdieu nicht, dass sich allgemeine, gesellschaftsübergreifende Subjektivierungsweisen wie »das moderne Disziplinarsubjekt« oder der »neoliberale Unternehmer seiner selbst« ausmachen lassen. Da die sozialen und kulturellen »Daseinsbedingungen«, in die der Akteur hineingeboren wird, in Abhängigkeit vom Bildungsstand, den ökonomischen Verhältnissen und der sozialen Position der Eltern variieren, und auch die verschiedenen sozialen Felder je andere Anforderungen an den Akteur stellen, ist aus soziologischer Sicht vielmehr anzunehmen, dass auch die in einer Gesellschaft verfügbaren kollektiven Habitusformen differieren.10 In Abwandlung von Marx’ rein ökonomischer Klassentheorie entwickelt Bourdieu daher einen »kulturalistischen« Klassenbegriff, dem zufolge die Vertreter unterschiedlicher Klassen – er unterteilt ganz klassisch in (Bildungs-)Bürgertum, Kleinbürgertum und Proletariat – nicht nur verschieden viel ökonomisches Kapital besitzen, sondern aufgrund der differenten Konditionierung in ihrer Kindheit auch über ein mehr oder weniger großes Kontingent von inkorporiertem »kulturellen Kapital« verfügen.11 Schließlich teilt Bourdieu drittens nicht Foucaults Auffassung, dass das Subjekt die ihm äußeren gesellschaftlichen Strukturen einfach nur »einfaltet« und sich somit relativ problemlos an die gegebenen Umstände anpasst. Ganz ähnlich wie es Merleau-Ponty bereits in seiner Saussure-Rezeption anvisiert hatte12 und es auch von Foucault in seinem Spätwerk vertreten wird, plädiert
10 In Die feinen Unterschiede (FU) arbeitet Bourdieu anhand einer Reihe empirischer Analysen heraus, dass ein (bildungs-)bürgerliches Kind von klein auf lernt, wie man sich in Gesellschaft zu bewegen hat, welche Kleidung wann zu tragen ist und was einen »guten« Geschmack auszeichnet. Demgegenüber läuft jemand, der den Umgang mit kulturellen Objekten nicht gewöhnt ist, stets Gefahr, nicht den richtigen »Ton« zu treffen oder mit seinen ästhetischen Wahlentscheidungen danebenzuliegen. 11 »[…] als Klasse von identischen oder ähnlichen Existenzbedingungen und Konditionierungen ist die gesellschaftliche Klasse (an sich) untrennbar zugleich eine Klasse von biologischen Individuen mit demselben Habitus als einem System von Dispositionen, das alle miteinander gemein haben, die dieselben Konditionierungen durchgemacht haben« (SoSi 112). Ganz ähnlich ging auch Merleau-Ponty davon aus, dass sich das Klassenbewusstsein nicht automatisch aufgrund strukturell identischer Positionen innerhalb der Produktionsverhältnisse herstellt, sondern aufgrund der Erfahrung eines gemeinsamen »Zur-Welt-Seins« (PdW: 504f.). 12 Wie Nick Crossley bemerkt, hat bereits Merleau-Ponty eine entsprechende Haltung zum Strukturalismus vertreten: »His [Merleau-Ponty’s, S.P.] message, is much the same [as
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Bourdieu vielmehr für eine Art »phänomenologischen« oder »genetischen« Strukturalismus, dem zufolge der Akteur zwar die objektiven Strukturen seiner alltäglichen, gewohnten Welt inkorporiert, von diesen aber nicht vollständig determiniert wird. Die inkorporierten Strukturen seien vielmehr als ein Arsenal von impliziten Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata zu verstehen, auf das der Akteur automatisch zugreift, um die sozialen Situationen (oder »Felder«), in die er geworfen wird, intuitiv zu erkennen, zu ordnen und seine Praktiken daraufhin auszurichten. Sie bilden mit anderen Worten eine generative Matrix mentaler und körperlicher Dispositionen, die zwar grundsätzlich dazu tendieren, das einmal Inkorporierte in den aktuellen Praktiken und Wahrnehmungsweisen zu reproduzieren, aber gleichzeitig auch die »relative Freiheit« in sich bergen, in einem begrenzten Rahmen anders handeln zu können. Bourdieu nennt diese körperlich verankerten »Systeme dauerhafter Dispositionen« (TdP: 165) »Habitus« – ein Begriff, den er eigenen Angaben zufolge von Erwin Panofsky übernommen hat, der damit das allen künstlerischen Äußerungen zugrundeliegende kollektive »Kunstwollen« einer Zeit bezeichnet hatte.13 Es ist jedoch davon auszugehen, dass Bourdieu auch die »individualistischere« Begriffsva-
Bourdieu’s, S.P.]: don’t let the embrace of structure lead you to lose the sight of the agent, because they are two sides of the same coin and, furthermore, because the historical ›mutation‹ of structures, a process which is constant, is strictly inexplicable if structures are not ›centred‹ in the innovative and improvised actions of ›man‹. […] MerleauPonty does not have a clear concept, such as the habitus, to identify this point of interchange between agency and structure. His work does make continual reference to the concept of ›habit‹, however, which he is very clear to interpret in a way which, retrospectively, agrees with Bourdieu’s habitus.« (Crossley 2004: 98) 13 Bourdieu gebraucht das Wort »Habitus« erstmalig in seinem Nachwort von Panofskys Arbeit Gothic Architecture and Scholasticism. Hier hatte Panofsky herausgestellt, dass die stilistischen Ähnlichkeiten, die zwischen den Kulturerzeugnissen einer Epoche bestehen, nicht auf ein gemeinsames explizites Wissen oder ausdrückliche Absichten der Künstler zurückzuführen seien, sondern auf das epochenspezifische implizite »Kunstwollen« (Alois Riegl), das alle Akteure einer Zeit unbewusst teilen: »Wer Individualität und Kollektivität zu Gegensätzen macht, bloß um den Rechtsanspruch des schöpferischen Individuums und das Mysteriums des Einzelwerks wahren zu können, begibt sich der Möglichkeit, im Zentrum der Individuen selber Kollektives zu entdecken; Kollektives in Form von Kultur – im subjektiven Sinne des Wortes ›cultivation‹ oder ›Bildung‹ oder, nach Erwin Panofskys Sprachgebrauch, im Sinn des ›Habitus‹, der den Künstler mit der Kollektivität und seinem Zeitalter verbindet und, ohne daß dieser es merkte, seinen anscheinend noch so einzigartigen Projekten Richtung und Ziel weist.« (SsF/4: 132).
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riante von Merleau-Ponty kannte, der in der Phänomenologie der Wahrnehmung den Leib als einen »primordialen Habitus« bezeichnet hatte (PdW: 116), in dem sich das gewohnheitsmäßige Tun niedergeschlagen und zu einem »fungierenden Körperschema« zusammengesetzt hat (PdW: 123ff.).14 Bourdieus eigener Genealogie zum Trotz scheint sein Habitusbegriff somit eher eine Art theoretisches Amalgam zu sein, das von Panofsky den kollektiven, überindividuellen Charakter der Habitusformen und von Merleau-Ponty die Herleitung aus einem konkreten Inkorporierungsvorgang übernimmt.15 Um Bourdieus Konzeption der habitusspezifischen Wahrnehmungsschemata nachvollziehen zu können, wird es zunächst darum gehen, die Genese des Habitus – d.h. den Prozess der Einverleibung von sozialen Strukturen – sowie die Begriffe des praktischen Sinns und der sozialen Felder näher zu beleuchten. 3.3.1.1 Habitat und Habitus Bourdieu geht davon aus, dass der soziale Kontext, in den der Akteur hineingeboren wird, das »dispositionelle« Grundgerüst seines Habitus legt, das er im Laufe des Lebens kaum bzw. gar nicht verändern oder gar ablegen kann.16 Der soziale Akteur offenbart also in all seinen Äußerungen – seiner körperlichen Haltung (Hexis), seiner Sprache oder seinen Geschmacksentscheidungen stets mehr oder weniger offensichtlich seine soziale Herkunft.17
14 In diesem Sinne schreibt auch Bongaerts, dass Merleau-Ponty »ein Erklärungsprinzip [anbietet], das dem Bourdieus nahezu identisch ist: den habitualisierten Leib bzw. den Habitus« (Bongaerts 2003: 46). 15 Nach Omar Lizardo kann ebenfalls Jean Piagets Entwicklungspsychologie der 1920er und 1930er Jahre als eine Inspirationsquelle für Bourdieus Habitusbegriff und »genetischen Strukturalismus« gelten (Lizardo 2004). 16 Ebenso war schon Merleau-Ponty der Ansicht, dass sich das erste, primordiale Körperschema nicht ablegen lässt (PdW: 116). 17 In jüngerer Zeit ist diese These vom einheitlichen Klassenhabitus auf Kritik gestoßen. So betont etwa Bernard Lahire, dass der Akteur in verschiedenen sozialen Feldern und Lebensbereichen ganz unterschiedliche Sozialisationserfahrungen macht, die zu einer inneren Heterogenität und Widersprüchlichkeit seines Habitus führen (Lahire 1998, 2004; Peter 2004: 304ff.). Er entwickelt dementsprechend eine dissonanztheoretische Perspektive, die die differenten Handlungsdispositionen bei ein und demselben »pluralen Akteur« in den Blick nimmt. Damit radikalisiert er eine Bemerkung von Bourdieu, wonach die Vertreter einer Klasse zwar grundsätzlich einen strukturell ähnlichen »Klassenhabitus« ausbilden, sich aber im Laufe ihres Lebens zudem noch weitere Dispositionen aneignen, die letztlich ihre »relative« Individualität ausmachen (SoSi: 113).
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»In einer Gesellschaft mit Klassenteilung sagen alle Hervorbringungen eines bestimmten Handelnden infolge einer wesensmäßigen Überdeterminiertheit untrennbar zugleich etwas über seine Klassenzugehörigkeit (oder genauer über seine Stellung in der Gesellschaft und seinen Aufstieg oder Abstieg) und über seinen Leib aus, oder genauer über alle stets gesellschaftlich näher bestimmten Eigenschaften, die er mit sich herumträgt.« (SoSi: 146)
Bourdieu differenziert zwischen drei Formen der Inkorporierung sozialer Daseinsbedingungen (SoSi: 138): erstens dem expliziten Erlernen von Vorschriften, Regeln und Wissen, zweitens der körperlichen Einübung praktischer Meisterschaften und schließlich drittens dem »Lernen durch schlichte Gewöhnung […], bei dem der Lernende unmerklich und unbewußt die Grundzüge von Kunst und Lebenskunst erwirbt« (ebd.). Auf all diesen Ebenen bildet der Akteur ein explizites und implizites Deutungs- und Praxiswissen aus, das er später in den feldspezifischen Kämpfen um Legitimität, Anerkennung und symbolische Macht einsetzen kann. Dabei ist sicherlich letztere Inkorporierungsform – die Habitualisierung bestimmter Handlungs-, Denk- und Wahrnehmungsschemata – gerade aufgrund ihres unbewussten Vollzugs die prägendste und nachhaltigste Sozialisationsweise und soll dementsprechend hier im Vordergrund stehen. Auch wenn Bourdieu nicht systematisch herausarbeitet, wie diese unbewusste Inkorporierung im Einzelnen vonstatten geht, scheint er zumindest mit Merleau-Ponty darin übereinzustimmen, dass die »Verinnerlichung der Äußerlichkeit« (SoSi: 102) zum Teil auf einem konkreten »interobjektiven« Austausch von (leiblichem) Ich und Welt beruht. »Die Welt erfaßt mich, schließt mich als Ding unter Dingen ein, aber als Ding, für das es Dinge gibt, ja eine Welt, erfasse ich die Welt; und dies […] gerade weil sie mich umfängt und umfaßt: Denn durch dieses – oft übersehene oder verdrängte – materielle Eingeschlossensein und das, was daraus folgt, die Einverleibung sozialer Strukturen in Form von Dispositionsstrukturen, objektiver Möglichkeiten in Form von Erwartungen und Vorwegnahmen, erwerbe ich eine praktische Erkenntnis und Beherrschung des mich umschließenden Raums.« (M: 167)
Die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata des Akteurs resultierten also aus dessen unmittelbarem, körperlichem Kontakt mit den Dingen (und Praktiken) seiner Umwelt, an deren Ästhetik, Ordnung und Funktionsweise er sich durch ständiges »Hantieren« und Einüben »gewöhnt«. Der Körper – und nicht das Bewusstsein – ist
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somit das »bilaterale« Medium, durch das sich der Akteur Zugang zur äußeren Welt verschafft und das andererseits die äußere Welt in sein »Inneres« einlässt.18 »Die Welt ist erfaßbar, unmittelbar sinnerfüllt weil der Körper, der dank seiner Sinne und seines Gehirns fähig ist, auch außerhalb seiner selbst in der Welt gegenwärtig zu sein, von ihr Eindrücke zu empfangen und durch sie dauerhaft verändern zu lassen, über lange Zeit hinweg (seit seinem Ursprung) ihrem regelmäßigen Einwirken ausgesetzt war.« (M: 174)
In diesem Sinne stimmt Bourdieu mit Foucaults zentraler genealogischer These, wonach die sozialen Normen nicht kognitiv erlernt, sondern unbewusst über eine körperliche »Einübung« von Praktiken internalisiert werden, zwar grundsätzlich überein, betont aber darüber hinaus, dass der Körper neben den gezielten Zurichtungen in »Disziplinarinstitutionen« auch von den »stummen Befehlen« der »gewöhnlichen Ordnung der Dinge« konditioniert wird (M: 181). Zu diesen »gewöhnlichen« Dingen gehören beispielsweise die Raumanordnung, Möbel und sonstige Innenausstattung, bildliche Repräsentationen und Kunst(-handwerk), technische Geräte und Werkzeuge sowie Lebensmittel und Körperpflegeprodukte. Anders als Foucault interpretiert Bourdieu die alltägliche materielle Kultur jedoch nicht als eine »eigenlogische« Ordnung, die sich quasi von selbst herstellt. Vielmehr nimmt er an, dass sie selbst das Ergebnis von »Objektivierungsprozessen« ist, welche nach »denselben Strukturen strukturiert sind, wie sie der Habitus auf sie anwendet« (SoSi: 142). Kurz: Die häusliche Objektwelt ist als eine »Verobjektivierung« des Habitus der Eltern zu verstehen: »Tendenziell übersetzt sich der soziale Raum in der Form einer bestimmten Anordnung der Akteure und Eigenschaften mehr oder weniger verzerrt in den physischen Raum.« (M: 173) Folglich fungieren der Raum und die Dingordnung wie eine Art indirekter Vermittler von körperlichen und mentalen Dispositionen, die den darin sozialisierten Akteur wiederum dazu veranlassen, homologe Konsum- und Einrichtungsentscheidungen zu treffen. Die Beziehung zwischen dem Akteur und seinen »materiellen Lebensbedingungen« ist damit nicht nur als ein einseitiger äußerer Zwang zu interpretieren, wie es bei Foucault anklingt, sondern wirkt im Sinne einer reziproken Beeinflussung: Das ursprüngliche familiäre »Habitat« formt den kindlichen »Habitus« und dieser neigt umgekehrt dazu, die derart inkorporierte Dingordnung in seinem eigenen Habitat zu reproduzieren.
18 In analoger Weise hatte Merleau-Ponty den Leib als ein »Zwischenglied« verstanden, das einerseits der Welt der Dinge angehört, also ein materielles Ding unter anderen Dingen ist, und andererseits gerade aufgrund dieses konkreten Involviertseins mit der Welt ihre Sinnhaftigkeit zugänglich machen kann. Vgl. dazu Kapitel 3.1.1.1.
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»Der bewohnte Raum – in erster Linie das Haus – ist der bevorzuge Ort der Objektivierungen der Erzeugungsschemata, und durch die Einteilungen und Hierarchien, die es unter den Dingen, Personen und Praktiken herstellt, trichtert dieses dinggewordene Rangordnungssystem die Prinzipien der für das kulturell Willkürliche konstitutiven Klassifizierung ein und verstärkt sie unablässig.« (SoSi: 141)
Bereits in seinen noch stark strukturalistisch geprägten Studien in Algerien hatte Bourdieu dieses gegenseitige Bedingungsverhältnis zwischen Habitat und Habitus herausgearbeitet. So zeigt er etwa am Beispiel des »kabylischen Hauses« auf (SoSi: 468ff.), dass sich in der symbolischen Einteilung und Gestaltung der Räume, Gegenstände und Werkzeuge die sozialen Strukturen und insbesondere die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern widerspiegeln. Und ebenso weist er in seinen ungleich bekannteren Untersuchungen der modernen französischen Klassengesellschaft nach, dass die Einrichtungsstile der sozialen Akteure den Präferenzstrukturen ihrer Herkunftsmilieus entsprechen (FU: 136ff.). 3.3.1.2 Der praktische Sinn Bourdieus Habitusbegriff unterscheidet sich von Foucaults frühem und mittlerem Subjektkonzept dadurch, dass er den Habitus nicht als bloße »Durchlaufstation« einer äußeren Struktur auffasst, sondern als ein Dispositionssystem, das die Praktiken aktiv hervorbringt.19 »Da er ein erworbenes System von Erzeugungsschemata ist, können mit dem Habitus alle Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen, und nur diese, frei hervorgebracht werden, die innerhalb der Grenzen der besonderen Bedingungen seiner eigenen Hervorbringungen liegen.« (SoSi: 102)
Die inkorporierten Dispositionen stellen also kein fixiertes Regelsystem dar, das alle Praktiken und Äußerungsmodi des Akteurs klar vorschreibt. Sie fungieren vielmehr als eine Art »Betriebssystem«, das die aktuelle soziale Situation mithilfe eines bestimmten Differenzierungscodes registriert, die so gefilterten Informationen verarbeitet und schließlich ein entsprechendes Handlungsprogramm entwirft. Dabei betont Bourdieu in Abgrenzung von den kognitivistischen Handlungsund Subjekttheorien, dass der Akteur seine Welt nicht bewusst »entziffert« und auf
19 In diesem Sinne schreibt Bourdieu: »Die Konditionierungen, die mit einer bestimmten Klasse von Existenzbedingungen verknüpft sind, erzeugen die Habitusformen als Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, als strukturierte Strukturen, die wie geschaffen sind, als strukturierende Strukturen zu wirken.« (SoSi: 98)
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dieser Grundlage rationale Entscheidungen trifft. Die im Körper verankerten dispositionellen Erkenntnis- und Erzeugungsschemata fungieren vielmehr als ein unbewusster oder impliziter »praktischer Sinn«, der die jeweiligen Situationen nach Maßgabe intuitiv angewandter Kriterien quasi automatisch erfasst und handhabt (M: 174, 182).20 Die Praktiken eines Akteurs weisen folglich nicht deshalb eine bestimmte Regelmäßigkeit auf, weil sich der denkende Akteur an einem Katalog von Normen orientiert oder bestimmte Handlungsentscheidungen trifft, sondern weil die impliziten Denk- Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, derer er sich bedient, eine ihm nicht bewusste Systematizität aufweisen (SoSi: 99). Das Tun der sozialen Akteure hat demnach »mehr Sinn, als sie selber wissen« (SoSi: 127).21 Dieser vorbewussten, nichtreflektierten Systematizität des Tuns ist Bourdieu zufolge auch geschuldet, dass der Akteur stets dazu tendiert, die objektiven Daseinsbedingungen, die der Ausbildung seines Habitus zugrunde liegen, in den eigenen Praktiken zu reproduzieren. Denn erstens kann das, was sich durch die Primärsozialisation in den Körper als »praktischer Sinn« »eingeschliffen« hat, nie (ganz) abgeschüttelt oder verändert werden. Es handelt sich mit anderen Worten um eine »dauerhafte Disposition«, die eine »stabile […] Art und Weise der Körperhaltung, des Redens, Gehens und damit des Fühlens und Denkens« begründet (SoSi: 129) und sich stets auf die eine oder andere (unintendierte) Weise Gehör verschafft. Zweitens ist der Akteur dadurch, dass er seine Praktiken nur mithilfe der impliziten Schemata hinterfragen kann, die diese hervorgebracht haben, nicht dazu in der Lage, die soziale »Gemachtheit« von sich selbst und den anderen zu durchschauen. Er neigt somit dazu, die symbolische Ordnung, die er einmal gelernt und inkorporiert hat – wie etwa die ihm zugewiesene Geschlechterrolle, die allgemeinen Verhaltensund Bewertungsnormen oder ästhetischen Bewertungsmaßstäbe – als »natürlich«
20 Dass diese Konzeption eines durch Sozialisation gewonnenen »praktischen Sinns« von Merleau-Pontys »fungierender Intentionalität« des Körperschemas inspiriert ist, hat Bourdieu selbst angemerkt: »Der in die Praxis eingebundene Akteur erkennt die Welt, aber diese Erkenntnis entsteht, wie Merleau-Ponty gezeigt hat, nicht in der Beziehung, die ein erkennendes Bewußtsein von außen knüpft. Er erfaßt sie in gewisser Hinsicht nur zu gut, nämlich ohne objektivierende Distanz, als etwas, das sich von selbst versteht, eben deswegen, weil er sich von ihr umfangen findet, weil er mit ihr eins ist, weil er sie bewohnt wie ein gewohntes Kleidungsstück, oder wie eine vertraute Wohnstätte. Er fühlt sich in der Welt zu Hause, weil die Welt in Form des Habitus auch in ihm zu Hause ist.« (M: 183) 21 Nach Bourdieu folgt die Praxis somit einer Logik, die zwar anders als die scholastische Logik (oder die »Logik der Logik«) funktioniert und sich daher einer Theoretisierung entzieht, die aber nichtsdestotrotz eine Systematizität aufweist (SoSi: 157).
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und nicht verhandelbar anzusehen. Die inkorporierten Erkenntnis- und Praxisschemata des Habitus sind somit als eine Art unsichtbare epistemologische »Zwangsjacke« zu verstehen, die von dem Akteur selbst nicht als solche registriert wird und gerade deswegen seine Möglichkeiten umso effektiver und nachhaltiger einschränkt und kanalisiert. Bourdieu bezeichnet diesen körperlich-praktischen Automatismus, der sicherstellt, dass das Subjekt die gegebene soziale Ordnung akzeptiert und sich mit allen seinen Praktiken an sie anzupassen sucht, auch als »symbolische Gewalt«: »Die symbolische Gewalt ist ein Zwang, der ohne die Zustimmung nicht zustande kommt, die der Beherrschte dem Herrschenden (und also der Herrschaft) nicht verweigern kann, […] die Schemata, über die er sich wahrnimmt und bewertet oder über die er die Herrschenden wahrnimmt und bewertet (hoch/niedrig, männlich/weiblich, weiß/schwarz usw.), [sind] das Produkt der Einverleibung von somit zur eigenen Natur werdenden Klassifizierungen […], deren Produkt sein soziales Sein ist.« (M: 218)
Trotz dieses sich selbst stabilisierenden Kreislaufs von Struktur, Habitus und Praxis hält es Bourdieu grundsätzlich für denkbar, dass sich Praktiken und damit auch mittel- bzw. langfristig körperliche und dingliche Verobjektivierungen sowie soziale Strukturen wandeln können. Diese Transformationen nehmen jedoch aufgrund der »Implizitheit« der Praxis und der strukturell begrenzten Kritikmöglichkeit selten die Form einer expliziten »symbolischen Revolution« an, wie es im Kunstfeld des 19. Jahrhunderts der Fall war. Viel häufiger kommt es vor, dass Praktiken ganz ungewollt »scheitern« oder »misslingen«, z.B. wenn es dem Akteur nicht gelingt, eine bestimmte Handlung adäquat durch- oder aufzuführen oder – und das ist von besonderer Bedeutung für die Interaktion von Akteur und sozialem Feld – wenn die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisschemata nicht oder nicht mehr der gegebenen sozialen Situation entsprechen (M: 204ff., SoSi: 116).22 Bei der soziologischen Untersuchung des Habitus und der sozialen Praktiken darf daher nicht vergessen werden, dass auch die äußere Welt, die der Akteur mit seinem »Praxissinn« zu erfassen sucht, selbst bestimmte Codes, Verdinglichungen und Praxisanforderungen aufweist. Das situative, praktische Erkennen ist somit stets »doppelt informiert durch die Welt« (M: 190): Einerseits beruht es auf Schemata, die aus dem Einverleiben von objektiven Strukturen einer bereits vergangenen Welt hervorgegangen sind, und andererseits trifft es in jeder erlebten Situation auf neue, aktuelle »objektive Strukturen«, die es zu deuten und praktisch zu handhaben gilt.
22 Bourdieu nennt das unerwünschte »Weiterwirken der Erstkonditionierungen« unter veränderten sozialen Bedingungen auch »Hysteresis-Effekt« (SoSi: 116f.).
296 | DIE P RAXIS DES S EHENS »Sie [die Praktiken, S.P.] lassen sich daher nur erklären, wenn man die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen der Habitus, der sie erzeugt hat, geschaffen wurde, und die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen er angewandt wird, zueinander ins Verhältnis setzt.« (SoSi: 104f.)
Je nach Nähe und Ferne zum Herkunftsmilieu des Akteurs können diese aktuellen objektiven Bedingungen mehr oder weniger stark von denen abweichen, die dem Dispositionssystem des Akteurs zugrunde liegen. Und je größer die strukturellen Differenzen zwischen den Schemata des Habitus und dem Anforderungsprofil der Situation sind, desto größer ist zum einen die Gefahr, dass es zu Missverständnissen oder gar Konflikten kommt, und zum anderen die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Habitus an die neuen Strukturen anpasst und somit modifiziert. Inwieweit der Habitus überhaupt dazu in der Lage ist, hängt dabei von dem durch das Elternhaus vermittelten Grad an Flexibilität und Offenheit ab. »In Abhängigkeit von neuen Erfahrungen ändern die Habitus sich unaufhörlich. Die Dispositionen sind einer Art ständigen Revision unterworfen, die aber niemals radikal ist, da sie sich auf der Grundlage von Voraussetzungen vollzieht, die im früheren Zustand verankert sind.« (M: 207)
Dieses allgemeine Zusammenspiel oder Spannungsverhältnis zwischen den beiden verobjektivierten »Zuständen des Sozialen« (M: 193) – der zum Körper gewordenen Herkunft (Habitus) auf der einen und den aktuellen dinglichen Verobjektivierungen sozialer Strukturen auf der anderen Seite – lässt sich am besten in Rekurs auf Bourdieus Konzept »sozialer Felder« erläutern. 3.3.1.3 Soziale Felder Der Begriff »soziales Feld« hat in Bourdieus Theoriearchitektur eine grundsätzlich ähnliche Funktion wie das Konzept der »Klasse«. Beide Begriffe zeigen auf, dass die Gesellschaft nicht eine einheitliche Masse darstellt – wie es etwa von Foucault in Überwachen und Strafen nahegelegt wird –, sondern sich in differenzierte soziale Gruppen und funktionale Einheiten aufgliedert, die nach je eigenen Regeln und symbolischen Codes operieren. Theoriesystematisch sind die beiden Konzepte jedoch auf einer anderen analytischen Ebene angesiedelt: Während Bourdieu mit dem (marxistischen) Klassenbegriff die Sozialstruktur des gesamten sozialen Raums anvisiert, verwendet er den Feldbegriff, um die Effekte und Mechanismen der moder-
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nen »funktionalen Differenzierung« zu beschreiben.23 Die einzelnen Felder bilden dabei »relativ autonome Spiel-Räume« (Wacquant 1996: 37), die trotz Interdependenzen und »Brechungseffekten« mit anderen Kräften einer je eigenen symbolischen »Ordnung« gehorchen. Diese symbolische Ordnung des Feldes setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen: erstens der »doxa«, d.h. dem feldspezifischen Komplex an Überzeugungen, Sinnsystemen und »kodifizierten Handlungsprogrammen« (M: 197), die sich in entsprechenden Institutionen und der relationalen Systematik möglicher Positionen manifestieren, zweitens der »illusio«, d.h. dem Glauben an und dem affektiv aufgeladenen Interesse für das, was in diesem Feld »auf dem Spiel steht«,24 und schließlich drittens dem Umfang und der Zusammensetzung des ökonomischen und (inkorporierten) kulturellen Kapitals, das die Akteure als »Einsatz« mitbringen müssen, um an dem Spiel teilzunehmen. Bourdieu vertritt zudem die konflikttheoretische These, dass die Strategien und Praktiken der Akteure stets darauf ausgerichtet sind, die eigene Position innerhalb eines Feldes zu stärken, also die doxa so zu modifizieren, dass sie den eigenen Dispositionen Geltung verschafft (M: 194). In diesem Sinne sind die sozialen Felder als »Kampffelder« zu verstehen, in denen etablierte Akteure die eigene Position gegen »Angriffe« von Heterodoxen verteidigen, während Neulinge, die noch keine entsprechende Position erreicht haben, feldspezifisches »symbolisches Kapital« zu akkumulieren und sich gegenüber den Herrschenden zu behaupten suchen (Bourdieu 1998a: 20). »Diese Struktur [des Feldes, S.P.], die der Ursprung der auf Veränderung abzielenden Strategien ist, steht selber ständig auf dem Spiel: Das Objekt der Kämpfe, die im Feld stattfinden, ist das Monopol auf die für das betreffende Feld charakteristische legitime Gewalt (oder spezifische Autorität), das heißt letzten Endes der Erhalt bzw. die Umwälzung der Verteilungsstruktur des spezifischen Kapitals.« (SF/EF: 108)
Wie Bourdieu unter Berufung auf sein Konzept des »praktischen Sinns« betont, führt der Akteur auch diese feldspezifischen Kampfstrategien – wie die meisten seiner alltäglichen Praktiken – in erster Linie unbewusst aus. Der Akteur kann sich also nicht ausdrücklich vornehmen, an die illusio zu glauben und die Spielregeln zu
23 Bourdieu identifiziert beispielsweise u.a. ein Kunstfeld (RdK), ein Wissenschaftsfeld (1998a), ein journalistisches Feld (1998b) und ein politisches Feld (PF). 24 Zu dem Zusammenhang zwischen doxa und illusio siehe auch M: 19ff. sowie SoSi: 122: »Mit ihrer Teilnahme lassen sie [die Akteure, S.P.] sich auf das ein, um was es bei diesem Spiel geht (also die illusio im Sinne von Spieleinsatz, Spielergebnis, Spielinteresse, Anerkennung der Spielvoraussetzungen – doxa)«.
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befolgen, sondern muss einen praktischen »Sinn für das Spiel« (SoSi: 122) entwickelt haben, der ihm ermöglicht, die Situationen intuitiv zu erfassen, mögliche Zustände vorauszusehen und sich »comme il faut« zu verhalten (M: 178). Bourdieu erläutert diese praktische Interaktionsbeziehung zwischen Kampffeld und Akteur oftmals anhand des Mannschaftssports25 – ein Beispiel, das er Loïc Wacquant zufolge von der berühmten Fußballpassage aus Merleau-Pontys Die Struktur des Verhaltens übernimmt (SV: 193f.): Hier zeigt Merleau-Ponty auf, dass der Fußballspieler den Fußballplatz nicht als ein »Objekt« wahrnimmt, das er aus einer distanzierten Position heraus analysiert, sondern als einen von Kraftlinien durchzogenen Raum, auf den die »praktischen Intentionen« seines Körpers ausgerichtet sind. Wacquant vermutet, dass Bourdieu sowohl sein Konzept des präreflexiven »praktischen Sinns« als auch den Begriff des »Feldes« aus dieser Analyse abgeleitet habe (Wacquant 1996: 41), merkt aber gleichzeitig an, dass Bourdieu insofern über Merleau-Ponty hinausgehe, als er den konstitutiven Strukturen der »Spielregeln« mehr theoretisches und analytisches Gewicht einräume als sein philosophischer Vorgänger. Denn während Merleau-Ponty lediglich beschreibe, wie das Feld aus subjektiver Sicht wahrgenommen wird, betone Bourdieu, dass ein »Mitspielen« nur möglich sei, wenn der Akteur die Regeln des Spiels und die objektiven Konfigurationen des Spielfeldes zuvor inkorporiert habe (Wacquant 1996: 44).26 »Wem die Strukturen der Welt (oder eines besonderen Spiels) einverleibt sind, der ist hier unmittelbar, spontan ›zu Hause‹ […]; er bringt Handlungsprogramme hervor, die sich als situationsgemäß und dringlich objektiv abzeichnen und an denen sein Handeln sich ausrichtet, ohne daß sie durch und für das Bewußtsein oder den Willen klar zu expliziten Normen oder Geboten erhoben worden wären.« (M: 183)
Allerdings kann nicht jeder Akteur zu jeder Zeit die Spielregeln eines beliebigen Feldes einüben. Die Möglichkeit, einen feldspezifischen »Sinn für das Spiel« zu erwerben, ist vielmehr abhängig davon, ob der »primäre Habitus« an die strukturellen Anforderungen des Feldes vorangepasst ist.27 Die Zugangsbedingungen zu und
25 Siehe dazu etwa SoSi: 122, Bourdieu/Wacquant 1996: 127. 26 Wacquants Kritik trifft nur bedingt zu, da auch Merleau-Ponty – insbesondere in seinen späteren Arbeiten – die strukturelle und gesellschaftliche Dimension der leiblichen Konditionierung berücksichtigt. Siehe dazu Kapitel 3.1.1.2. 27 Nach Bourdieu erwirbt der Akteur seinen »spezifischen Habitus« erst im Feld: »Der Erwerb des primären Habitus innerhalb der Familie hat nichts von einem mechanischen Prozeß schlichten Eintrichterns […]. Und so steht es auch um den Erwerb der spezifischen, in einem Feld erforderlichen Dispositionen, der sich in der Beziehung zwischen den primären
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Positionierungen in den Feldern sind folglich mit den sozialstrukturellen Ungleichheiten des sozialen Raums intersektional verschränkt: In Feldern, die im Feld der Macht zu den »mächtigsten« gehören und ein entsprechendes »Eintrittskapital« verlangen, werden die symbolisch einflussreichsten Positionen zumeist von Vertretern der oberen Klassen besetzt, wohingegen die niedrigeren Aufgaben vor allem von Akteuren aus den unteren Klassen oder anderen benachteiligten Gruppen übernommen werden.28 Die »symbolische Macht« wird somit nicht nur durch die Primärsozialisation reproduziert, sondern erfährt auch durch die Mechanismen der sozialen Felder eine permanente Bestätigung. Jenseits dieser Frage nach der Kompatibilität zwischen (Klassen-)Habitus und feldinternen doxa geht Bourdieu nicht weiter auf die Wechselwirkung zwischen den zwei »verobjektivierten« sozialen Strukturen ein. Wie insbesondere das Beispiel des Kunstfeldes zeigen wird, ist jedoch anzunehmen, dass sich die Zwänge des Feldes nicht nur aus den jeweiligen Sinnsystemen und »kodifizierten Handlungsprogrammen« speisen, sondern auch mit einer feldspezifischen Raum-, Ding- und Bildordnung verknüpft sind. 3.3.2 Klassen- und feldspezifische Wahrnehmungsschemata Anders als Foucault, der stets die Autonomie von Diskurs-, Bild- und Artefaktordnungen betont hatte, geht Bourdieu von einem tendenziell »soziologistischen« Subjekt- und Gesellschaftsmodell aus. Das heißt, dass er der Dingwelt keine »eigenlogischen« Effekte zugesteht, sondern diese lediglich als Vermittler, Repräsentationen oder Katalysatoren einer dahinter liegenden sozialen Ordnung begreift. Diesem repräsentationalistischen Dingkonzept mag es geschuldet sein, dass sich in seinen Arbeiten trotz des relativ häufigen Gebrauchs des Begriffs »Wahrnehmungsschemata« nur wenige Hinweise darauf finden lassen, was er genau darunter versteht. Zumeist spricht er nur ganz pauschal von »Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata«, untersucht aber nicht im Einzelnen, wie eine bestimmte Sichtweise »eingeübt« wird, oder welche Medien dabei eine Rolle spielen. Allein in einigen seiner weniger prominenten kunstsoziologischen Arbeiten deuten einzelne Bemerkungen darauf hin, dass Bourdieu einen ähnlichen Wahrnehmungsbegriff wie Merleau-Pontys ver-
Dispositionen, die von den innerhalb des Feldes erwarteten mehr oder weniger abweichen, und den der Struktur des Feldes immanenten Zwängen abspielt.« (M: 210) 28 Bourdieu hat sich zwar – wenn auch nicht durchgängig, so doch wenigstens immer wieder – mit der »männlichen« Herrschaft auseinandergesetzt, aber die soziale Position von Migranten oder anderen marginalisierten Gruppen weitgehend außer Acht gelassen. Eine solche Perspektive ließe sich jedoch im Anschluss an seine frühen ethnologischen Studien ergänzen (Kastner 2011).
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tritt, wonach sich die perzeptive Syntax durch das »Wiedersehen« und die Gewöhnung an bestimmte Gestalten herausbildet.29 Gesellschaftliche Wahrnehmungsnormen werden »durch die wiederholte Auseinandersetzung mit Darstellungen, die nach denselben Normen produziert wurden, unmerklich eingeübt.« (KuK/ÄD: 151) Bourdieu buchstabiert eine solche »allgemeine« soziologische Wahrnehmungstheorie jedoch nicht weiter aus, sondern konzentriert sich in seinen Studien zum klassenspezifischen Lebensstil in erster Linie auf die Analyse der sozialen Bedingungen einer spezifischen Form von Wahrnehmung: der des ästhetischen Geschmacksurteils. Im Zusammenhang dieser Arbeiten wird der Begriff von Wahrnehmung oftmals auf den Aspekt von »Bewertung« enggeführt. Bourdieu interessiert sich also weniger für die erkenntnistheoretische Frage, mit welchen perzeptiven Mustern oder Schablonen der soziale Akteur seine Welt wahrnimmt, sondern allein dafür, wie er das Gesehene nach Maßgabe von ästhetischen Kriterien einteilt. Erst in Die Regeln der Kunst merkt er an, dass »eine Theorie von der Wahrnehmung des Kunstwerks eine Theorie der ursprünglichen Wahrnehmung als einer theorie- und begriffslosen Praxis aufnehmen« müsste (RdK: 492), um »in den sichtbaren Eigenschaften der bildlichen Darstellung Hinweise auf die Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata auszumachen, die in jene Anschauung eingingen, welche der Maler wie die Betrachter von der Welt und der bildlichen Darstellung der Welt hatten« (RdK: 496).
Dieses – mit Foucaults bilddiskursiver Analyseperspektive vergleichbare – Vorhaben, ausgehend von den bildlichen Erzeugnissen einer Kultur ihre alltäglichen »Weltanschauungen« zu rekonstruieren, hat er jedoch – abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen – nie systematisch verfolgt.30
29 Siehe dazu Kapitel 3.1.2. 30 Zu diesen Ausnahmen gehört erstens der weiter unten aufgeführte Text über Michael Baxandalls Analyse der visuellen Kultur des Quattrocento (KuK/SW), der in Die Regeln der Kunst in veränderter Form wieder abgedruckt wurde (RdK: 493ff.), und zweitens findet sich in seiner früheren Studie über die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie (IK) eine kurze Passage über den Zusammenhang zwischen kulturellen Wahrnehmungskonventionen und fotografischer Praxis. Im Unterschied zu dem Vorschlag aus Die Regeln der Kunst geht es ihm hier jedoch nicht darum, aufzuzeigen, dass die Fotografie die Schemata der »alltäglichen Wahrnehmung« reproduziert, sondern dass umgekehrt die Fotografie die Kompositionsprinzipien der als legitim anerkannten Kunstwerke imitiert: »So übernehmen die Bauern, die für das Hochzeitsphoto posieren, das Kompositionsprinzip und die Haltung der Figuren auf byzantinischen Mosaiken […].Weit davon entfernt, mit
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3.3.2.1 Die sozialen Bedingungen des ästhetischen Blicks Eines der erklärten Ziele von Bourdieus geschmacks- und kunstsoziologischen Studien war, Immanuel Kants berühmtes Diktum aus der Kritik der Urteilskraft (KdU), wonach der ästhetische Geschmack einen »Gemeinsinn« (sensus communis) darstelle (KdU: §40), über den zwar gestritten, aber nicht disputiert, d.h. mit Gründen entschieden werden könne (KdU: §56), soziologisch zu hinterfragen (FU: 17ff., SsF/5, LK: 67ff.).31 Denn im Unterschied zu Kant geht Bourdieu nicht von der transzendentalphilosophischen Annahme aus, dass jedes Subjekt über dieselben »Gemüts- und Erkenntniskräfte« verfügt und somit prinzipiell dazu in der Lage ist, angesichts des Natur- oder Kunstschönen ein »interesseloses Wohlgefallen« zu empfinden.32 Vielmehr versucht er, den gegenteiligen Nachweis zu erbringen, dass das »künstlerische Erleben« eine kulturelle Wahrnehmungskompetenz darstellt, die von einer Reihe »gesellschaftliche[r] Möglichkeitsbedingungen« abhängt (KuK/ÄD: 111). Um diese These zu stützen, führt Bourdieu sowohl ein feld- als auch ein klassentheoretisches Argument an: Erstens weist er im Rekurs auf Michael Baxandalls für die Visual Culture Studies wegweisendes Buch Painting and experience in fifteenth century Italy (1972) darauf hin, dass die legitime Kunstrezeption im Quattrocento keineswegs dem Ideal der ästhetischen Erfahrung verpflichtet war, sondern sich an ökonomischen Kriterien und alltagspraktischen Beurteilungsschemata orientierte (KuK/SW). »Dieser durch ›Religion, Gewandtheit, Geschäfte‹ geformte ›geistliche und moralische Blick‹, der ›Blick des Quattrocento‹ ist nichts anderes als das System von Wahrnehmungs- und Bewertungs-, Beurteilungs- und Genussschemata, die in alltäglichen Verhaltensweisen – in der
den Möglichkeiten zu spielen, die die Photographie bietet, um die herkömmliche Ordnung des Sichtbaren umzustoßen, […] unterwirft die gängige Praxis die photographische Wahl den Kategorien und Regeln der traditionellen Weltdeutung.« (IK: 88) Von dieser Beobachtung inspiriert, zeigt Jürgen Raab einen ähnlichen Mechanismus für die gegenwärtige Amateurfotografie und -videografie auf (Raab 2008). 31 Bereits der Untertitel seines lebensstilsoziologischen Hauptwerks Die Feinen Unterschiede weist darauf hin, dass es Bourdieu darum geht, Kants klassischer Kritik der Urteilskraft (Kant 1963 [1790]) eine Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft entgegenzuhalten. Zu Bourdieus Geschmacksbegriff siehe auch Prinz 2009. 32 Nach Kant beruht das »interesselose Wohlgefallen« auf einem »freien«, d.h. nicht zweckgebundenen »Spiel der Erkenntniskräfte«, das durch die vorbegriffliche Anschauung der »Zweckmäßigkeit« des Natur- oder Kunstschönen angestoßen wird (KdU: §§1-7). Dieses Spiel löst Kant zufolge insofern ein Gefühl der Lust aus, als es der Urteilskraft erlaubt, über sich selbst und die Gemütskräfte zu reflektieren (KdU: §§10-17).
302 | DIE P RAXIS DES S EHENS Schule, in der Kirche, auf dem Markt, beim Hören von Vorträgen, Reden oder Predigten, beim Wiegen und Messen von Weizen oder Tuchballen, bei der Berechnung von Zinseszinsen oder Seetransportversicherungen – erworben wurde und in der gewöhnlichen Existenz ebenso wie bei der Produktion und Rezeption von Kunstwerken zur Geltung kommen.« (KuK/SW: 175)
Das »interesselose Wohlgefallen« sei folglich ein kulturell und historisch spezifischer Wahrnehmungsmodus, der erst im Zuge der Herausbildung des modernen Kunstfeldes »erfunden« wurde. Neben dieser Historisierung des »interesselosen Wohlgefallens« reinterpretiert er das Vermögen, eine ästhetisch-distanzierte Haltung gegenüber dem Wahrgenommenen einnehmen zu können, zweitens als eine habitusspezifische Kompetenz, die eine bestimmte Menge und Zusammensetzung inkorporierten kulturellen Kapitals voraussetzt. Das bedeutet, dass nur derjenige Akteur, der durch sein sowohl kulturell als auch ökonomisch wohlhabendes Elternhaus frühzeitig an die Welt der Kunst herangeführt worden ist, einen »ästhetischen Sinn« entwickeln kann.33 Der reine, interesselose Blick gehört Bourdieu zufolge also nicht zu der transzendentalen Grundausstattung eines jeden Subjekts, sondern ist als ein historisch und kulturell kontingentes Wahrnehmungs- und Bewertungsschema zu verstehen, das phylogenetisch von der Herausbildung des autonomen Kunstfeldes und ontogenetisch von der klassenspezifischen Primärsozialisation, der Bildungsbiographie und der feldspezifischen sozialen Laufbahn des Akteurs abhängt (RdK: 491).34 In seinen frühen Arbeiten interpretiert Bourdieu diesen Sinn für das Kunstschöne noch als einen unbewusst ablaufenden Dekodierungsvorgang, der auf einen durch
33 Dass es bestimmter subjektseitiger Voraussetzungen bedarf, um eine ästhetische Erfahrung auch tatsächlich machen zu können, würde Kant auch behaupten, allerdings begründet er diese nicht gesellschaftstheoretisch, sondern individualistisch: »Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt, und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen. Ein stumpfer oder eingeschränkter Kopf, dem es an nichts, als an gehörigem Grade des Verstandes und einigen Begriffen desselben mangelt, ist durch Erlernung sehr wohl, sogar bis zur Gelehrsamkeit auszurüsten. Da es aber gemeiniglich auch an jenem (der secunda Petri) zu fehlen pflegt, so ist es nichts Ungewöhnliches, sehr gelehrte Männer anzutreffen, die, im Gebrauche ihrer Wissenschaft, jenen nie zu bessernden Mangel häufig blicken lassen.« (KrV, B: 173) 34 In diesem Sinne heißt es in Die historische Genese einer reinen Ästhetik: »Die Erfahrung des Kunstwerks als unmittelbar mit Sinn und Wert versehen ist eine Wirkung der Übereinstimmung zwischen den beiden Seiten der gleichen geschichtlichen Institution, der kultivierte oder gebildete Habitus und das künstlerische Feld, die sich wechselseitig begründen.« (GrÄ: 19)
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Schulbildung erworbenen kunsthistorischen Code zurückgreift (SsF/5, LK: 72ff., KuK/ÄD: 140ff.).35 Anders als Kant, dem zufolge das interesselose Wohlgefallen gerade die Erfahrung einer nicht begrifflich fixierbaren Anschauung impliziert, knüpft Bourdieu die angemessene Form der Kunstwahrnehmung somit an ein die alltäglichen Bedeutungssysteme überschreitendes ikonographisch-ikonologisches Fachwissen, das erst den wahren historischen Sinn eines Kunstwerkes zu entziffern erlaubt.36 »Die Kunstkompetenz erweist sich […] als die unerläßliche Kenntnis der spezifischen künstlerischen Unterteilungsprinzipien, die es gestatten, einer Darstellung durch Gliederung der stilistischen Indikatoren, die sie enthält, im Rahmen der Darstellungsmöglichkeiten, die den gesamten Bereich der Kunst konstituieren, ihren Ort zuzuweisen, nicht aber im Rahmen der Vorstellungsmöglichkeiten, die das Universum der alltäglichen Gegenstände oder der Welt der Zeichen bilden.« (SsF/5: 171)
Bereits in Die feinen Unterschiede (FU: 20f., 120ff., 134ff.) und insbesondere in seiner späteren feldtheoretischen Studie Die Regeln der Kunst versucht er jedoch, diese »Spuren von Intellektualismus zu tilgen« (RdK: 490) und den »reinen Blick« gerade von der »Pedanterie« des schulmäßig erlernten Wissens abzugrenzen.37 So betont er nun, dass es sich bei dem »ästhetischen Sinn« eher um ein sinnliches Erkennen (RdK: 492) handelt, das sich auf nicht explizierbare »praktische Schemata« stützt. Das bedeutet, dass sich der Kunstliebhaber nicht (nur) dadurch auszeichnet,
35 Zu Bourdieus Interpretation der angemessenen Kunstwahrnehmung siehe auch Raab 2008: 81ff. sowie Zahner 2011. 36 So spricht sich Bourdieu in Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis sehr deutlich gegen ein verkürztes Verständnis von ästhetischer Erfahrung aus: »[…] ein Verständnis, das sich auf die expressiven und, wenn man so sagen darf, ›physiognomischen‹ Eigenschaften des Werkes stützt – und darauf beschränkt sich das Werkverständnis einer bestimmten romantischen Auffassung von ästhetischer Erfahrung – allenfalls eine Vorschule der ästhetischen Erfahrung bilden kann, wenn sie nicht, statt es bei einer solchen Verkürzung zu belassen, eine kohärente Auffassung von der Stil- und Typengeschichte und von der Geschichte der kulturellen Zeugnisse gewinnt« (SsF/4: 129). 37 So gibt er hier selbstkritisch zu: »Obschon ich von Anfang an die spezifische Logik sinnlichen Erkennens, dessen Untersuchung ich etwa zur gleichen Zeit anhand ganz anderer empirischer Gegenstände (wie etwa des Rituals der Kabylen) vorantrieb, darstellen wollte, hatte ich viel Mühe, mit der intellektualistischen Konzeption zu brechen, die – noch in der von Panofsky begründeten ikonologischen Tradition und vor allem in der damals aufblühenden semiologischen Tradition – die Rezeption des Kunstwerks als Akt des Entzifferns oder, wie man damals gerne sagte, einer ›Lektüre‹ zu begreifen sucht […].« (RdK: 491)
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dass er den kunsthistorischen Kanon beherrscht und bestimmte künstlerische Stile benennen kann, sondern ein »Gefühl der Vertrautheit« im Umgang mit den Kunstwerken und ein untrügliches Gespür für künstlerische Qualität besitzt. Dieses Gespür befähigt ihn auch dazu – und das ist das eigentliche Kennzeichen des wahren Connaisseurs –, die etablierten »Regeln der Kunst« ignorieren zu können und auch avantgardistische Arbeiten oder sogar ganz randständige kulturelle Erzeugnisse zu goutieren, die (noch) keine Weihen vom breiteren Kunstfeld erhalten haben. Im Unterschied zum »pedantischen« Bildungsmenschen, der sich sklavisch an das einmal Gelernte hält, ist er also in der Lage, nicht nur mit den Codes der Alltagswahrnehmung, sondern auch mit den etablierten Codes des Kunstfeldes zu brechen (KuK/ÄD: 153f., LK: 92ff.).. Diese »charismatische Ideologie der ›schöpferischen‹ Rezeption«, die von den Bildungseinrichtungen und insbesondere dem Museum gestützt und gefördert wird, stellt Bourdieu zufolge insofern eine außerordentlich ertragreiche symbolische Macht- und Distinktionsstrategie dar, als die Akteure die soziale Genese ihrer »Erkenntnis- und Gemütskräfte« grundsätzlich verdrängen und den »ästhetischen Sinn« daher als eine »natürliche« Begabung ansehen, die nur wenigen Auserwählten zuteil wird (StA: 58, 61, LK: 89ff., SsF/5: 193ff.).38 »Wenn die Kommunikation mit einem Kunstwerk eine Art mystische Kommunion ist, für die nur wenige prädestiniert sind, kann sie ihre Weihekraft auf jene Auserwählten übertragen, die sich selbst durch ihre Eigenschaft, den Ruf der Kunst zu vernehmen, auserwählt haben. Und wie eine unsichtbare Barriere, die gerade der sakrale Museumsraum aufbaut, der diejenigen, die Zugang zu ihm haben, sakralisiert, trennt die ›Liebe zur Kunst‹ zwischen all jenen, denen die Gnade der Kunst zuteil wird, und den anderen, denen sie vorenthalten bleibt.« (KuK/ÄD: 136)
Bourdieu ist aber zu wenig (Leib-)Phänomenologe und zu großer Kunstskeptiker, als dass er an dieser Stelle genauer darauf eingehen würde, wie dieser »reine Blick« genau eingeübt wird und was im Auge bzw. dem wahrnehmenden Körper des ästhetisch geschulten Akteurs passiert, wenn er ein Kunstwerk betrachtet oder einen Museumsraum betritt. Wie im Folgenden im Einzelnen darzustellen sein wird, interessiert ihn vielmehr die Frage, welche sozialen und historischen Strukturen der Ausbildung der »ästhetischen Disposition« vorangehen und welche Kämpfe und Machteffekte mit der »charismatischen Ideologie« verbunden sind. Wie bereits angedeutet, gehören Bourdieu zufolge zu diesen sozialen Möglichkeitsbedingungen des ästheti-
38 Die Bildungsbürger lehnen dementsprechend auch jede Form der erklärenden »Kunstvermittlung« (Audioguides, erklärende Texte oder Führungen) als eine Form der »Belehrung« oder »Bevormundung« ab (LK: 86ff.).
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schen Blicks sowohl die klassenspezifische Herausbildung eines entsprechend kultivierten Habitus als auch die Genese eines autonomen künstlerischen Feldes. 3.3.2.2 Das klassenspezifische Geschmacksurteil In seinen Arbeiten, die sich mit der klassenspezifischen Ausprägung von kulturellen Praktiken und Lebensstilen auseinandersetzen (LK, IK, FU), untersucht Bourdieu, inwiefern die »ästhetische Urteilskraft« der Akteure mit ihrem Habitus, sprich: ihren ganz alltäglichen Denk- Wahrnehmungs- und Handlungsschemata zusammenhängt. Im Unterschied zur philosophischen Ästhetik vertritt er dabei ein recht weites Konzept von »Geschmack«. In seiner Terminologie handelt es sich weniger um das spezifische Vermögen, ein ästhetisches Urteil über das Kunstschöne zu fällen, als vielmehr um einen allgemeinen »praktischen Sinn«, der die »physische Ordnung der Dinge« – egal ob es sich um Kunstwerke, Kleidung oder Lebensmittel handelt – in eine »symbolische Ordnung signifikanter Unterscheidungen« transformiert (FU: 284). Bei den Geschmacksentscheidungen handelt es sich demnach um eine Klassifikation, die bestimmten Dingen einen besonderen Wert beimisst. Dabei unterscheidet sich die signifikative »Aufladung« von gewöhnlichen Gebrauchsgegenständen Bourdieu zufolge nicht grundlegend von den »sakralisierenden« Zuschreibungsprozessen, die Kunstwerken entgegengebracht werden. »[D]ie Einstellungen, die der Wahl bestimmter legitimer Kulturgüter zugrundeliegen, [sind] umfassend nur zu verstehen […], wenn sie in die Einheit des Systems der Dispositionen wieder eingefügt werden, wenn […] der durchgebildete Geschmack für erlesene Gegenstände mit dem elementaren Schmecken in Zusammenhang gebracht wird.« (FU: 171)
Wie Bourdieu mithilfe der Korrespondenzanalyse nachweist, fördert eine solche »umfassendere« Perspektive, die alle kulturellen Praktiken der Akteure berücksichtigt, zwei Homologien zu Tage: erstens, dass die Akteure ganz unbewusst einen in sich kohärenten Lebensstil ausbilden, in dem beispielsweise eine bestimmte Präferenz für Kunstwerke und -richtungen mit einer dazu homologen Vorliebe für Mode, Musik oder Mobiliar einhergeht. Und zweitens lässt sich beobachten, dass sich die differentielle Ordnung des symbolischen Raums der Lebensstile grundsätzlich mit der Struktur des sozialen Raums deckt. Das heißt, dass sich die Akteure zumeist von denjenigen verfügbaren Gütern und Diensten angesprochen fühlen, die der eigenen Stellung im sozialen Raum entsprechen (RA/SR: 145, FU: 322, 728). »Geschmack, verstanden als die Gesamtheit der Praktiken und Besitztümer einer Person oder einer Gruppe, ist das Produkt eines Zusammentreffens (einer prästabilierten Harmonie) zwischen Gütern und Geschmack. […] Auch alle Wahlobjekte – Wahlverwandtschaften – wie etwa Sympathie-, Freundschafts- und Liebesobjekte muß man sich, will man nicht schockieren, passend zu diesen Gütern aussuchen.« (SF/MG: 154)
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Wie bereits in Bezug auf die unintendierten Regelmäßigkeiten der Praktiken im Allgemeinen dargestellt wurde, sind Bourdieu zufolge diese doppelten »Präferenzhomologien«, also die Geschmackskohärenzen eines individuellen Akteurs auf der einen sowie die Entsprechungen der Lebensstile von Akteuren einer Klasse auf der anderen Seite, darauf zurückzuführen, dass alle Wahlentscheidungen des Akteurs auf einem klassenspezifischen Habitus basieren, der mit mehr oder weniger kulturellem Kapital ausgestattet ist (FU: 278ff.). Dieser bewirkt nicht nur, dass die Praktiken des Akteurs sich stets grundsätzlich ähneln, sondern tendiert darüber hinaus dazu, die (materiellen) Daseinsbedingungen seiner eigenen Genese zu reproduzieren. Die Konsumentscheidungen, die der Akteur trifft, sind damit als »Verobjektivierungen« seines Habitus und somit als mehr oder weniger »verzerrte« Reinkarnationen des »Habitats« seiner sozialen »Herkünfte« zu interpretieren. Mit dieser theoretischen Rückkopplung zwischen den scheinbar privaten Geschmacksentscheidungen des Akteurs und dessen struktureller Position im sozialen Raum macht Bourdieu einen zentralen Mechanismus der kulturellen Reproduktion sozialer Ungleichheit deutlich, nämlich dass die (ästhetischen) Klassifikationssysteme der Akteure stets selbst klassifizierend wirken und somit im – vornehmlich unbewusst ablaufenden – Kampf um soziale Anerkennung, Distinktion und symbolische Macht als »Waffen« eingesetzt werden können.39 Bourdieu unterteilt die französische Gesellschaft der 1960er Jahre in drei statistisch konstituierte Klassen, die sich sowohl hinsichtlich ihres ökonomischen und kulturellen Kapitalvolumens als auch bezüglich ihrer ästhetischen Präferenzmuster unterscheiden40: Erstens das Bildungsbürgertum, das über ein hohes Volumen an ökonomi-
39 Anders als Veblen, der dem Konsumverhalten der oberen Klassen eine demonstrative Absicht unterstellte (Veblen 1899), versteht Bourdieu dieses Distinktionsstreben aber als eine unbewusste Abgrenzung, die von dem »praktischen Sinn« der Akteure gesteuert wird (FU: 382, RA/SR: 146). 40 Angesichts des erhöhten Lebensstandards der unteren Schichten wurde in den letzten beiden Jahrzehnten vielfach diskutiert, ob die Klassentheorien durch Modelle horizontaler Differenzierung zu ersetzen seien; siehe etwa Schulze 1992. Diese Diskussion erscheint mittlerweile jedoch obsolet, da sich die soziale Ungleichheit in jüngerer Zeit nicht nur im Weltsystem, sondern auch in Ländern des westlichen Zentrums wieder verstärkt. Andere kritische Stimmen bezweifeln die Annahme, dass sich überhaupt kohärente Präferenzstrukturen und Lebensstile – ob für eine Klasse oder für parallel existierende soziale Gruppen – isolieren lassen. Für die US-amerikanische Gesellschaft der 1980er Jahre hat etwa der Kultursoziologe Richard Peterson die These aufgestellt, dass die kulturelle Grenze zwischen höheren und niedrigeren Gesellschaftsschichten nicht mehr zwischen »legitimem« und »illegitimem« Geschmack verläuft, sondern zunehmend zwischen »omnivorous taste« und
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schem sowie kulturellem Kapital verfügt41 und dementsprechend einen äußerst kultivierten, »legitimen Geschmack« an den Tag legt. Dieser entspricht Bourdieu zufolge insofern dem Kant’schen Diktum vom »interesselosen Wohlgefallen«, als die Vertreter des (Bildungs-)Bürgertums42 aufgrund einer entsprechenden Primär- und Sekundärerziehung nicht nur dazu in der Lage sind, die Kunstwerke »rein ästhetisch«, d.h. im Sinne der Bourdieu’schen Interpretation des »reinen Blicks« nach Maßgabe stilistischer Merkmale wahrzunehmen (LK: 71, FU: 69). Ihre kapitalbedingte kulturelle Überlegenheit, die sie selbst der »charismatischen Ideologie« gemäß als eine »natürliche Begabung« ansehen, offenbart sich darüber hinaus in dem Vermögen, jeden noch
»univorous taste« (Peterson 1992). Chan und Goldthorpe halten es jedoch für fraglich, ob sich die Omnivore-These auch auf das Feld der Bildenden Kunst übertragen lässt (Chan/Goldthorpe 2007). Petersons jüngere Studien belegen zudem, dass sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine »post-omnivore period« ankündigt, in der wieder ein distinktiver Geschmack kultiviert wird (Peterson 2005). Für eine Analyse der spätkapitalistischen Ausprägungen von klassen- und geschlechtsspezifischen Lebensstilen in Deutschland siehe auch Bennett u.a. 2009 sowie Resch 2012. 41 Nach Bourdieu basiert die ästhetische Einstellung, die mit einer Affinität zum zweckfreien Spiel und Luxus einhergeht, wesentlich auf einer materiellen Absicherung: »Die Distanziertheit des reinen Blicks ist nicht zu lösen von einer allgemeinen Disposition zum ›Zweckfreien‹, ›Interesselosen‹ als dem paradoxen Produkt einer negativen ökonomischen Bedingtheit, die über Erleichterungen, über Leichtigkeit und Ungebundenheit die Distanz zur Notwendigkeit erzeugt.« (FU: 103) 42 Bourdieu zufolge variiert das Volumen des kulturellen Kapitals – und damit auch die Legitimität des ästhetischen Urteilsvermögens – je nach Fraktionszugehörigkeit des Akteurs und der Dauer seiner Zugehörigkeit zur bürgerlichen Klasse (FU: 405ff.). Während die Vertreter der bildungsbürgerlichen Fraktion, die über mehr kulturelles als ökonomisches Kapital verfügen und daher von Bourdieu als »beherrschte Herrschende« bezeichnet werden, im engeren Sinne den »legitimen Geschmack« repräsentieren, da sie nicht nur den Kanon kennen, sondern auch avantgardistische Strömungen goutieren können, verlassen sich die Vertreter des Besitzbürgertums, dessen Kapital eine umgekehrt proportionale Zusammensetzung aufweist, auf die Legitimität bereits etablierter Werke (FU: 426, 441). Daneben ist auch die Dauer der Zugehörigkeit zu den jeweiligen Fraktionen – sowohl im Sinne des Lebensalters als auch der Laufbahn – ein wichtiger Indikator für Differenzen innerhalb des legitimen Geschmacks (FU: 411ff.). So grenzt sich sowohl die künstlerische Avantgarde, die sich gegenüber den etablierten Platzhaltern zu behaupten versucht, als auch die »neue Bourgeoisie«, die häufig über eine höhere Bildung als die alten Unternehmer verfügt, von dem pedantischen und konservativen Lebensstilen der älteren Generationen ab (FU: 460ff., 480ff.).
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so profanen Gegenstand in Absehung seines praktischen Nutzens zum Gegenstand einer rein formalen Kontemplation zu erheben (FU: 288, 441). In diesem »Konsekrationsvermögen« unterscheidet sich der legitime Geschmack des Bürgertums von dem »prätentiösen Geschmack« des Kleinbürgertums, den Bourdieu als zweites klassenspezifisches Präferenzmuster aufführt. Denn anders als die (bildungs-)bürgerliche Elite verfügen die Vertreter des Kleinbürgertums nicht über genügend inkorporiertes kulturelles Kapital, um die kulturellen Produkte differenzierend beurteilen und entsprechend ästhetisch würdigen zu können. Da sie aber grundsätzlich die Legitimität des bürgerlichen Geschmacks anerkennen, versuchen sie ihren fehlenden »ästhetischen Sinn« mit bildungsbeflissener Überkorrektheit wettzumachen (FU: 503ff.), die mit der spielerischen Lässigkeit der Bourgeoisie jedoch nicht viel gemein hat (FU: 513ff.).43 Neben dem »legitimen« und dem »prätentiösen« Geschmack identifiziert Bourdieu schließlich noch drittens einen reinen »Notwendigkeitsgeschmack«, den er den kulturell und ökonomisch unterprivilegierten Klassen zuschreibt. Dieser stellt insofern die »negative Kehrseite der Kantischen Ästhetik« (FU: 81) dar, als er im Gegensatz zum legitimen »reinen Blick« nicht von dem praktischen Funktionalismus der alltagsweltlichen Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata abstrahieren kann (FU: 604, SsF/5: 162).44 In diesem ästhetischen Universum wird ein Gemälde oder eine Fotografie daher nur dann als gelungen erachtet, wenn es »etwas Schönes« abbildet oder einen anderweitigen informativen, emotionalen oder moralischen Wert
43 Auch hier unterscheidet Bourdieu drei Fraktionen: Zu dem »absteigenden Kleinbürgertum« gehören diejenigen, die am wenigsten Kapitalvolumen besitzen und allen kulturellen Neuerungen mit Ressentiment begegnen (FU: 541ff.). Die Vertreter des »exekutiven Kleinbürgertums«, die über ein mittleres Kapitalvolumen verfügen, identifizieren sich am stärksten mit dem bürgerlichen Lebensstil und halten sich aufgrund ihres unbedingten Aufstiegswillens zumeist streng an die kulturelle Orthodoxie (FU: 549ff.). Und schließlich gibt es noch das »neue Kleinbürgertum«, dessen Angehörige meist aus den oberen Klassen stammen, aber ihr hohes familiales kulturelles Kapital nur ungenügend in offizielles Bildungskapital umgewandelt haben. Anders als die kleinbürgerlichen Aufsteiger, die einen prätentiösen Geschmack kultivieren, konsumiert das neue Kleinbürgertum neben hochkulturellen auch populärkulturelle Gattungen, die sich auf dem Wege der Legitimierung befinden (z.B. Fotografie, Film, Jazz, Comics), um gegenüber der legitimen Kultur eine eigenständige Position zu markieren (FU: 561ff.). 44 Wie Jürgen Raab bemerkt, setzt Bourdieu damit »die Kunstwahrnehmung der unteren gesellschaftlichen Bildungsschichten auf eine Stufe mit der untersten Sinnschicht in Panofskys Dreistufenmodell kunstwissenschaftlicher Interpretation« (Raab 2008: 81).
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besitzt (FU: 82f., IK: 89f.).45 Wie Bourdieu mehrfach betont, lässt sich dieser Hang zum »naiven« (KuK/ÄD: 139) oder »barbarischen Geschmack« (IK: 89, LK: 71, FU: 85)46 jedoch nicht allein darauf zurückführen, dass die ökonomische Zwangslage von vornherein eine ästhetische Distanzierung verhindert, sondern ist auch in den habituellen Dispositionen der Akteure angelegt (FU: 594): »[D]ie Beherrschten [tendieren] zunächst einmal dahin, sich das zuzuschreiben, was ihnen qua Distribution ohnehin zugewiesen ist, das abzuwehren, was ihnen ohnehin verwehrt ist (›das ist nichts für uns‹), sich damit abzugeben, was ihnen aufgezwungen ist, ihre Hoffnungen auf das Maß ihrer Chancen zurechtzustutzen, sich so zu definieren, wie die herrschende Ordnung sie definiert, das ökonomische Verdikt als ihr eigenes zu wiederholen, sich mit dem zu bescheiden, was ihnen ohnehin zukommt.« (FU: 735)
Vor dem Hintergrund veränderter ökonomischer und sozialstruktureller Daseinsbedingungen, der Popularisierung von Kunst und der Pädagogisierung der Museen (Zahner 2006, 2011) sowie der allgemeinen Ausdifferenzierung von Konsum- und Medienangeboten seit den 1960er und 70er Jahren ist allerdings strittig, ob die These von dem einheitlichen naiven »Notwendigkeitsgeschmack« auch heute noch zutrifft (Hradil 1989: 121ff.).47 Zudem wäre zu diskutieren, ob tatsächlich die Klassendifferenz derjenige sozialstrukturelle Faktor ist, der am meisten Einfluss auf die Geschmacksbildung der
45 So schreibt Bourdieu über die Bewertung von Fotografie im bäuerlichen Milieu der 1960er Jahre: »Die Photographie [findet] ihre Rechtfertigung im photographierten Gegenstand […], in der Entscheidung, ihn zu photographieren, oder im schließlichen Gebrauch, den man von der Photographie macht, womit zugleich das Photographieren um des Photographierens willen als unnütz, pervers oder bourgeois deklariert wird.« (IK: 89) 46 Bourdieu macht an unterschiedlichen Stellen darauf aufmerksam, dass der »Notwendigkeitsgeschmack« im Prinzip dem von Kant in Kritik der Urteilskraft als »barbarisch« abgetanen Sinnengeschmack entspreche, der »die Beimischung der Reize und Rührungen zum Wohlgefallen bedarf, ja wohl gar diese zum Maßstabe seines Beifalls macht« (KdU: §13). 47 So hat Bourdieu in seiner Studie zu den sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie noch die Beobachtung gemacht, dass es die Vertreter der bäuerlichen Gesellschaft Mitte der 1960er strikt ablehnten, selbst zu fotografieren, da ihnen die Amateurfotografie als ein überflüssiger, ja geradezu lächerlicher Luxus erschien, der den Städtern vorbehalten bleiben sollte (IK: 59ff.). Demgegenüber ist die fotografische Praxis heutzutage mit ungleich viel weniger finanziellem und technischem Aufwand verbunden und kann geradezu als eine Art neuer »Volkssport« angesehen werden. Ähnliche Veränderungen lassen sich auch hinsichtlich des Konsums von Lebensmitteln und Kleidung beobachten.
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Akteure hat.48 Zwar deutet Bourdieu in Die Feinen Unterschiede an, dass die Lebensstil- und Konsumpraktiken auch vom Geschlecht der Akteure abhängig sind,49 geht aber diesem »sekundären« Aspekt der symbolischen Differenzierung – selbst in seiner späten Arbeit, die sich explizit mit der männlichen Herrschaft beschäftigt (MH) – nicht systematisch nach.50 Ähnliches trifft auch auf die Faktoren »Alter« und »Ethnizität« zu: Im Unterschied zu den Cultural Studies (Willis 1978; Hebdige 1979) hat sich Bourdieu – bis auf einige wenige Bemerkungen zu klasseninternen Generationskonflikten – nie mit dem offensiven »Geschmacksprotest« und den antibürgerlichen Legitimationscodes der neuen Jugendkulturen der 1960er und 1970er Jahre auseinandergesetzt (Miller 1996). Und ebenso wenig scheint ihn die Frage interessiert zu haben, ob und inwiefern Akteure mit einem migrantischen Hintergrund, die während ihrer Sozialisation potentiell sowohl westliche als auch nicht-westliche Objektkulturen und symbolische Ordnungen inkorporiert haben, hybride oder »gebrochene« Präferenzstrukturen ausbilden.51 Diese Defizite sind je-
48 Auch Bennett u.a. plädieren für eine intersektionale Erweiterung der Bourdieu’schen Differenzierungstheorie (Bennett u.a. 2009). 49 So arbeitet er heraus, dass in den verschiedenen Klassen jeweils unterschiedliche Männlichkeitsideale gelten, die mit je unterschiedlichen Präferenzstrukturen einhergehen (FU: 307, 600). 50 In Die männlichen Herrschaft (MH) lässt Bourdieu die Frage der geschlechtsspezifischen Präferenzmuster und die intersektionalen Verschränkungen von Geschlecht und Klasse weitgehend außer Acht (Dölling 2009: 176). Dies mag vor allem daran liegen, dass er die Geschlechtsklassifikation und den vergeschlechtlichenden Habitus nicht an modernen Klassengesellschaften, sondern am Beispiel der Kabylen herleitet. Wie vielfach kritisiert wurde (Krais 1993: 122), vertritt er dabei die – für seine Verhältnisse ungewöhnlich undifferenzierte – These, dass sich dasselbe System vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichender Klassifikationen »im Wesentlichen über die Jahrhunderte und die ökonomischen und gesellschaftlichen Unterschiede hinweg« auch in modernen Gesellschaften findet (MH: 142). Damit bleibt er hinter dem Komplexitätsgrad seiner früheren Arbeiten und den analytischen Möglichkeiten seiner habitus- und praxistheoretischen Perspektive zurück, die es durchaus zulässt, historisch- und kulturspezifische Formen geschlechtlicher Habitus, Geschmäcker sowie Habitate in den Blick zu nehmen. 51 Eine solche Perspektive ist allerdings in seinen früheren ethnologischen Analysen der algerischen Gesellschaft potentiell angelegt. So hatte er beispielsweise in Die zwei Gesichter der Arbeit darauf hingewiesen, dass die erzwungene »Modernisierung« des algerischen Wirtschafts- und Wohnsystems nicht zu dem »vorkapitalistischen« Habitus der Algerier passt und sich somit innerhalb der Praxisökonomie der Akteure Diskrepanzen und Widersprüche auftun können (Bourdieu 2000). Ähnliches ließe sich auch über die neuen industriell gefer-
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doch rein analytischer Natur und können somit innerhalb des Bourdieu’schen Theorierahmens behoben werden.52 Wie bereits mehrfach angedeutet, weist Bourdieus Lebensstilsoziologie aus artefakt- und visualitätstheoretischer Sicht aber zudem einige grundlegende, theoriesystematische Schwachstellen auf. Dazu gehört insbesondere Bourdieus tendenziell kognitivistischer und »soziologistischer« Wahrnehmungsbegriff, dem zufolge die Rezeption und Konsumption von (visuellen) Artefakten lediglich als Reproduktion familiär und schulisch erworbenen Wissens und als Ausdruck dahinterliegender gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen zu verstehen sei. Denn wie in jüngster Zeit insbesondere Bruno Latour kritisch angemerkt hat, läuft eine solche »Soziologie des Sozialen« (Latour 2007: 23) Gefahr, die praxis-, wahrnehmungs- und gesellschaftskonstitutiven Effekte der Artefakt- und Bildwelten aus dem Blick zu verlieren.53 Bevor näher auf dieses Problem eingegangen wird, soll hier aber zunächst Bourdieus Analyse des modernen Kunstfeldes vorgestellt werden. Diese feldtheoretische »Wissenschaft von den kulturellen Werken« (RdK: 340) ist insofern für die Frage nach den historischen Bedingungen der visuellen Wahrnehmung von Interesse, als Bourdieu auch in diesem Zusammenhang eine gewisse theoretische Ambivalenz hinsichtlich der »sozialen Macht« der Artefakte an den Tag legt. Denn auf der einen Seite räumt er sehr wohl ein, dass »der Wandel der Instrumente und Produkte des künstlerischen Tuns« den »Wandel der Instrumente der ästhetischen Wahrnehmung […] bedingt« (KuK/ÄD: 152) und dass die Herausbildung des autonomen Kunstfeldes mit einer »symbolischen Revolution« verbunden war, aus der »unser Blick hervorgegangen ist« (KuK/SW: 244). Auf der anderen Seite neigt er jedoch selbst in diesem Zusammenhang dazu, die Analyse der formalen Eigenschaften der Kunstwerke zugunsten einer Analyse der sozialen Kämpfe weitgehend auszuklammern.
tigten Gebrauchsgegenstände und rationalistisch organisierten Wohnungen sagen, die die traditionelle symbolische Ordnung des Raumes und des Habitats durcheinanderbringen. 52 Für eine intersektionale Analyse geschlechts- und klassenspezifischer Selbstdarstellungsund Schönheitspraktiken siehe etwa McRobbie 2010 sowie Penz 2010. Daran anschließend untersuchen Prinz/Clauss die filmische Repräsentation klassenspezifischer Frauenkarrieren (Prinz/Clauss 2011). Um die Präferenz- und Legitimationsmuster von Jugendlichen zu untersuchen, schlägt Sarah Thornten den Begriff des »subkulturellen Kapitals« vor (Thornton 1996), bei Gabriele Klein finden sich ähnliche Ansätze (Klein 2004). 53 So haben beispielsweise Fröhlich und Mörth bereits 1994 kritisiert, dass Bourdieu in seiner Analyse der Reproduktion von klassenspezifischen Präferenzmustern nicht berücksichtigt hat, dass Praxismuster, Know-how-Wissen und Dispositionen nicht nur durch die unmittelbare soziale und dingliche Umgebung des Akteurs vermittelt, sondern auch durch audiovisuelle Medien verstärkt werden (Fröhlich/Mörth 1994: 11, 19ff.).
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3.3.2.3 Die Autonomisierung des Kunstfeldes und die doxa des »l’art pour l’art« Neben seiner Analyse der klassenspezifischen Kunstrezeption und des Raums der Lebensstile hat sich Bourdieu in den 1980er Jahren verstärkt auch der anderen Seite des künstlerischen Prozesses, den Werken und den künstlerischen Praktiken selbst zugewandt.54 Seiner allgemeinen Kritik der »charismatischen Begabtenideologie« entsprechend, grenzt er sich dabei ganz entschieden von der Vorstellung ab, dass die Schöpfung eines Kunstwerks nur einem einzigen »genialen« Individuum zuzurechnen ist. Damit stimmt er grundsätzlich mit Roland Barthes’ und Michel Foucaults Kritik der Autorfunktion überein (Barthes 2000; Foucault: DE1/69), wonach ausnahmslos jedes künstlerische oder kulturelle Erzeugnis das Resultat eines weitverzweigten, kulturellen Kontextes ist (MRS: 81). Er merkt demgegenüber jedoch an, dass sich die historische Genese der (Bild-)Texte nicht aus der eigenlogischen Kohärenz und relationalen Regelmäßigkeit der (bild-)diskursiven Formationen allein ableiten lasse, sondern ebenso einer Analyse der externen sozialen Strukturen bedürfe (Bourdieu/Passeron 1963, M: 226, PV: 56f., MRS: 146). »Einen Diskurs sozio-logisch zu analysieren, sich dabei aber allein an das Werk selbst zu halten, das hieße, sich jener Bewegung zu verschließen, die in einem fortwährenden Wechsel von den thematischen und stilistischen Merkmalen des Werks, in denen sich die soziale Position des Produzenten niederschlagen, zu den Charakteristiken der sozialen Position des Produzenten führt, worin sich seine stilistischen Entscheidungen ankündigen, und umgekehrt.« (SF/Schö: 206)
Bourdieu geht also weder davon aus, dass die Kunstwerke von einem künstlerischen »Genie« erschaffen werden, noch nimmt er an, dass sie von einem autonomen »Diskurs« vorgezeichnet werden. Vielmehr vertritt er die These, dass die Form der künstlerischen Praktiken auch von den sozialen Strukturen des Kunstfeldes abhängt.55 Der Feldtheorie gemäß zeichnen sich die sozialen Strukturen inner-
54 Wenn im Folgenden von »Kunstfeld« die Rede ist, dann ist vor allem das Feld der »Bildenden Kunst« gemeint. Zwar hatte Bourdieu seine »Regeln der Kunst« vor allem am literarischen Feld entwickelt, ging aber davon aus, dass dieselben Prinzipien auch für die Bildende Kunst zutreffen (RdK: 341). 55 So schreibt Bourdieu in Die historische Genese einer reinen Ästhetik: »In dem Maße, wie das Feld als solches sich herausbildet, ist das Subjekt der Produktion des Kunstwerkes, seines Wertes wie seines Sinns, nicht der Produzent des Gegenstandes in seiner Materialität, sondern die Gesamtheit der Handelnden, die Produzenten von Werken, die als künstlerisch […] eingestuft werden, die Kritiker aller Art […], die Sammler, die Vermittler,
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halb des Feldes durch zwei aufeinanderstoßende »Verobjektivierungen« aus:56 einerseits die Habitus der Akteure, die sich durch die klassen- und feldspezifische Primär- und Sekundärsozialisation herausgebildet haben, und andererseits die künstlerischen doxa sowie die institutionellen Ordnung des Feldes, die sich als Ergebnisse vorangegangener Kämpfe um Legitimität sedimentiert haben. Um erfolgreich am »Spiel« der Kunst teilnehmen zu können, muss der angehende Künstler demnach einen »praktischen Sinn« besitzen, der es mit zwei miteinander korrespondierende Strukturen aufnehmen kann: erstens den Verteilungs- und Legitimitätskämpfen innerhalb der etablierten institutionellen Strukturen des Kunstfeldes sowie zweitens der symbolischen und formellen Ordnung, die von den Kunstwerken aufgespannt wird. »Der eigentliche Gegenstand der Wissenschaften vom Kunstwerk ist daher die Beziehung zwischen zwei Strukturen: der Struktur der objektiven Beziehungen zwischen den Positionen innerhalb des Produktionsfeldes (und den sie einnehmenden Produzenten) und der Struktur der objektiven Beziehungen zwischen den Positionierungen im Raum der Werke.« (RdK: 369)
Diese institutionellen und symbolischen Positionen und Positionierungen bilden zusammengenommen den »Raum des Möglichen«57, der einerseits insofern einschrän-
die Konservatoren etc., all jene also, die teilhaben an der Kunst, die für die Kunst und auch […] von der Kunst leben.« (GrÄ: 24) Mit dieser Diagnose stimmt er grundsätzlich mit Dantos These überein (Danto 1984), dass das Kunst-Sein den Kunstwerken selbst nicht innewohnt, sondern ihnen erst durch die Institutionen der Kunstwelt zugeschrieben werden muss (Wuggenig 1995). Allerdings grenzt sich Bourdieu in Die Regeln der Kunst explizit von Dantos Institutionentheorie ab, da diese die Genese des Kunstfeldes nicht berücksichtige (RdK: 452). Daneben lassen sich auch Parallelen zum »production of culture«-Ansatz von Harrison und Cynthia White feststellen (White/White 1965), auf den sich Bourdieu mehrfach positiv bezogen hat (u.a. MRS: 190). Zur theoriehistorischen Verortung von Bourdieus Kunstfeldanalyse siehe auch Wuggenig 2011. 56 Neben den institutionellen Strukturen und dem Habitus der Akteure muss Bourdieu zufolge auch die Position des künstlerischen Feldes im Feld der Macht bestimmt werden (RdK: 340, KuK/FM: 98). 57 Bourdieu beschreibt dabei diesen feldspezifischen Raum des Möglichen ähnlich wie Foucault in Bezug auf den Diskurs als ein »historisches Apriori«: »Dieser Raum des Möglichen nötigt all denen, die Logik und Notwendigkeit des Feldes als eine Art historisches Transzendentales verinnerlicht haben, ein System (sozialer) Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien auf, [… das] das Universum des Denkbaren wie des Undenkbaren definiert und begrenzt, das heißt das endliche Universum der zum gegebenen Zeitpunkt denk- und
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kend wirkt, als er der künstlerischen Produktion sowohl institutionelle als auch formal-diskursive Zwänge auferlegt, andererseits aber auch stets strukturelle Lücken aufweist, die von dem Neuling »besetzt« werden können.58 Im Folgenden geht es weniger um eine umfassende Rekapitulation von Bourdieus Analyse des künstlerischen Feldes, als um seine Charakterisierung eines besonderen historischen Moments in diesem Wechselverhältnis zwischen sozialen Produktionsbedingungen und künstlerischen Werken, nämlich die gleichzeitige Etablierung eines »autonomen Kunstfeldes« Ende des 19. Jahrhunderts und eines neuen künstlerischen Stils – eines Stils, der Bourdieus Interpretation zufolge eine andersartige Form der Bildwahrnehmung erforderte: den ästhetischen Blick. »Das Ideal der ›reinen‹ Rezeption eines Kunstwerks in seiner Eigenschaft als Kunstwerk entspringt einem ›Reinigungs‹-Prozess, der in dem Augenblick einsetzt, da sich das Kunstwerk seiner magischen oder religiösen Funktionen entledigt.« (KuK/ÄD: 115)
Nach Bourdieu hatte es in Frankreich bereits im 18. Jahrhundert erste Andeutungen einer solchen künstlerischen Autonomisierungsbewegung gegeben, die jedoch durch
durchführbaren Möglichkeiten […] und zugleich das System der Zwänge, innerhalb derer sich entscheidet, was zu tun und zu denken ist.« (RdK: 373) Im modernen Kunstfeld, das aufgrund der vorherrschenden doxa des l’art pour l’art zu einer zunehmenden Selbstreflexivität tendiert, wird dieser »historisch transzendentale« Raum des Möglichen durch die gesamte Geschichte des Feldes bestimmt (SF/Schö: 208, RdK: 384ff.). In diesem Sinne beruht auch die symbolische Legitimität der Avantgarde nicht einfach darauf, dass sie »alles anders macht«, sondern dass sie den »Stand der Dinge« praktisch und theoretisch verinnerlicht hat und aus dieser überlegenen Position heraus die derzeit etablierten künstlerischen Ausdrucksformen und Problematiken begründet überschreiten kann (RdK: 385). 58 Dieses Wechselspiel zwischen Feldstrukturen und künstlerischer Positionierung läuft allerdings nicht so mechanisch ab, wie es nach dieser Darstellung den Anschein haben mag (RdK: 371, 406). Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass jeder Künstler selbst eine eigene Struktur – seinen Habitus bzw. »praktischen Sinn« – in das Feld einbringt. Die Zwänge und Möglichkeiten des Feldes werden demnach stets durch das Prisma der Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata betrachtet und bewertet, die der Akteur durch seine Herkunft und Berufskarriere ausgebildet hat. So tendiert beispielsweise ein Künstler, der aus einem gutsituierten bürgerlichen Haushalt stammt und somit über sehr viel »kulturelles« sowie »ökonomisches Kapital« verfügt, eher dazu, »riskantere« und somit auch symbolisch lukrativere künstlerische Strategien zu verfolgen, als jemand, der dieses ererbte »Grundkapital« nicht besitzt und sich daher eventuell lieber eine Position im Bereich des kommerziellen Kunstfeldsektors sichert (RdK: 414).
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die Einrichtung staatlicher Kunstakademien nach der Revolution ein jähes Ende fanden. Erklärtes Ziel dieser neuen Einrichtungen war, sowohl der aristokratischen als auch der romantischen Kunst einen alternativen Kanon entgegenzuhalten, der den ideologischen Überzeugungen und dem Geschmack der neuen bürgerlichen Elite entspricht (KuK/IA: 245ff.). In seiner Darstellung des akademischen Systems geht Bourdieu jedoch nicht weiter auf die historische Genese und gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Kunstakademie ein, sondern konzentriert sich in erster Linie auf ihre interne Funktionslogik, um nachzuweisen, dass es sich bei der »symbolischen Revolution« der Impressionisten Ende des 19. Jahrhunderts vor allem um eine feldinterne Absatzbewegung handelte.59 Denn seiner polemischen Beschreibung zufolge handelte es sich bei der Académie des Beaux-Arts um eine streng hierarchisch organisierte, »verknöcherte« Institution (KuK/IA: 246), die die Ausbildung der Künstler, ihren Werdegang sowie das gesamte Ausstellungswesen bis ins letzte Detail vorschrieb. Damit ein Künstler überhaupt als legitim anerkannt und in der Öffentlichkeit entsprechend wahrgenommen wurde, musste er eine festgelegte Abfolge von Initiationsschritten absolvieren: Neben den Lehrjahren in verschiedenen Meisterklassen, die die technischen und motivischen Standards der akademischen Tradition vermittelten, gehörte dazu auch die Beteiligung an Wettbewerben (wie etwa dem Grand Prix), sowie schließlich die Zulassung zur Ausstellung in dem Salon de Paris, über die eine Kommission aus Akademie-Mitgliedern bestimmte. Mit dieser Entscheidungshoheit besaß die Akademie das »Monopol zur Produktion der Produzenten und der legitimen Werke oder – wenn man so will – [die] Macht zu sagen, wer Maler ist und wer nicht; was Malerei ist und was nicht« (KuK/IA: 264). Dieser reglementierten institutionellen Ordnung entsprach Bourdieu zufolge auf symbolisch-formaler Ebene ein ebenso starrer »akademischer Stil«, der sich durch zwei zentrale Merkmale auszeichnete: einerseits durch den kühlen »Kult der Technik« (KuK/IA: 253), welcher der malerischen Perfektion huldigt und das verwendete Material hinter der Illusion zum verschwinden bringt, sowie andererseits eine reine »Inhalts- und Lesbarkeitsästhetik« (KuK/IA: 254), die dem Wert des Abgebildeten – meist historischen und literarischen Motiven – mehr Bedeutung einräumt als der Form. Dass dieses stabile System Ende des 19. Jahrhunderts zu bröckeln begann, führt Bourdieu darauf zurück, dass die Verbesserung des französischen Bildungssystems Mitte des 19. Jahrhunderts einen gewaltigen Zustrom von gut ausgebildeten Maleraspiranten auslöste, der die Aufnahmekapazitäten der Akademie bei Weitem
59 Die folgenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf Bourdieus Aufsätzen Die Institutionalisierung der Anomie (KuK/IA), Ästhetische Disposition und künstlerische Kompetenz (KuK/ÄD), Die impressionistische Revolution (KuK/IR) sowie Die Regeln der Kunst (RdK).
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übertraf (KuK/IR: 281ff.). Als Folge entstand in Paris eine neue Schicht des »künstlerischen Lumpenproletariats« (KuK/IR: 283), das zwar über sehr viel kulturelles, aber wenig ökonomisches und symbolisches Kapital verfügte und somit innerhalb des Bürgertums einen ganz neuen anti-bürgerlichen Lebensstil, den des Bohemien, begründete – einen Lebensstil, der aus der Not eine Tugend macht und an die Stelle des ökonomischen Gewinnstrebens die »Interesselosigkeit« der reinen Kunst setzte (RdK: 127).60 »Die Erfindung des bärtigen, langhaarigen, selbstlosen, hungernden Bohèmekünstlers war einer der großen historischen Schocks, der die gesamte postromantische Generation prägte. […] der moderne Künstler kam in Gestalt des verkrachten oder zumindest verfemten Malers auf die Welt.« (KuK/IR: 283) 61
Glaubt man Bourdieu, war es diesem »Überschuss« an Künstlern dieses Typs geschuldet, dass sowohl die Legitimität des akademischen Ausbildungssystems als auch der »akademische Stil« zunehmend in die Kritik gerieten. Vor allem die Impressionisten und insbesondere Édouard Manet – so seine These – trugen dazu bei, dass die doxa der Akademie nach und nach von einem neuen Glaubenssystem, dem »l’art pour l’art«, abgelöst wurde, das nicht mehr die technische Perfektion oder das erhabene Sujet ins Zentrum rückte, sondern die malerische Form selbst zu einem der wichtigsten Gegenstände des künstlerischen Tuns erklärte. Diese »revolutionäre« Generation von Künstlern setzte sich über alle formalen Konventionen der Akademie – wie etwa die perspektivische Konstruktion, die Geschlossenheit der Form oder die Abtönung der Farben – hinweg, verzichtete auf malerische Vollendung, um die Individualität des Stils zu erhalten, und erhob schließlich die Figuren, Gegenstände und Szenarien ihrer alltäglichen Gegenwart zum Gegenstand der ästhetischen Auseinandersetzung – für die Akademie, die sich der Historienmalerei verschrieben hatte, ein unglaublicher Affront (KuK/IR: 285).
60 Bourdieu zufolge grenzten sich die neuen Malerbohemiens aber nicht nur gegen die angestammte bürgerliche Akademiekunst ab, sondern erteilten auch der etwa zeitgleich entstehenden »art social« eine Absage, die sich explizit sozialen Zielen verschrieben hatte und die »Tugend der Unterdrückten« verherrlichte (KuK/FM: 100, RdK: 126ff.). 61 Diese »umgekehrte Ökonomie« des armen, aber »wahren« Künstlers bildet bis heute eines der wichtigsten Merkmale des nicht-kommerziellen Kunstfeldes: »In der Tat findet man sich in einer verkehrten ökonomischen Welt vor: auf symbolischem Terrain vermag der Künstler nur zu gewinnen, wenn er auf wirtschaftlichem Terrain verliert (zumindest kurzfristig), und umgekehrt (zumindest langfristig).« (RdK: 136)
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»Die gesellschaftliche Konstruktion autonomer Produktionsfelder geht einher mit […] der Erarbeitung eines genuin ästhetischen Wahrnehmungsmodus, der die Grundlage des ›schöpferischen Akts‹ in die Darstellung und nicht in das Dargestellte verlegt und seine Geltung vollends im Vermögen erlangt, die niederen oder vulgären Objekte der modernen Welt zu ästhetisieren.« (RdK: 215)
Die Herausbildung einer kritischen Masse an jungen, gut ausgebildeten »Häretikern«, die nach Ausdrucks- und Karrieremöglichkeiten jenseits des akademischen Systems suchten, war aber sicherlich nicht der einzige Grund dafür, dass sich die Ästhetik des l’art pour l’art schließlich durchsetzte. Eine Stabilisierung dieser neuen doxa konnte nur gelingen, weil sich parallel dazu auch eine alternative institutionelle Struktur herausbildete – angefangen bei den Alternativ- und Gegenausstellungen, die seit dem ersten »Salon des Refusés« von 1863, der für viel Aufsehen gesorgt hatte, mehrfach ausgerichtet wurden, über die Etablierung eines unabhängigen Galerienwesens bis hin zur Formierung eines aus den eigenen Reihen rekrutierten Publikums- und Kritikernetzwerks, das andere, ökonomisch potentere Akteure wie Sammler und Galeristen auf die »neue Kunst« aufmerksam machte (Wuggenig 2007; Kastner 2009: 57ff.). Die Autonomisierung des Kunstfeldes hing mit anderen Worten ebenso von der Bildung eines »anonymen Markts symbolischer Güter« sowie von der Unterstützung seitens feldexterner (ökonomischer) Kräfte ab (SF/Schö: 201, RdK: 400f.). In der »symbolischen Revolution« der Impressionisten sind somit schon einige der grundlegenden Strukturen und Mechanismen angelegt, die Bourdieu zufolge das moderne Kunstfeld bis heute prägen: Die soziale Stellung der Künstler als »beherrschte Herrschende« im Feld der Macht; die anti-ökonomische Ideologie und der Glauben an den Wert der Kunst »an sich«; sowie schließlich der Antagonismus zwischen Alteingesessenen und Neulingen, die permanent »um das Monopol der Definition der legitimen Produktionsweise« kämpfen (RdK: 360).62 Auch wenn diese feldtheoretische Perspektive durchaus plausibel aufzeigt, wie die sozialen Kämpfe dazu beitragen, dass sich nur bestimmte künstlerische Stile durchsetzen können, weist sie aus visualitäts- und artefakttheoretischer Perspektive jedoch ähnliche Schwachstellen auf wie die lebensstilsoziologischen Arbeiten. So spricht Bourdieu zwar stets von den »objektiven Strukturen« des Feldes und betont, dass die strategischen Positionierungen der Akteure sowohl von ihrem »praktischen Sinn« als auch den vorherrschenden symbolischen Ordnungen abhängen, neigt aber insgesamt dazu, die zur Debatte stehenden Kunstwerke lediglich als reine »Verobjektivierungen« feldinterner sozialer Auseinandersetzungen zu interpretieren. Das
62 Zudem ließe sich die interne Spaltung des Kunstfeldes in einen heteronomen, kommerziellen und einen autonomen Pol ergänzen.
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heißt jedoch, dass er erstens den Kunstwerken keinerlei »eigenlogische« soziale Funktion zugesteht. Sie erscheinen lediglich als passive »Trägermedien« von sozialen Zuschreibungs- und Konsekrationsprozessen, aber niemals als »Dinge« im engeren Sinne, die aufgrund ihrer materiellen Widerständigkeit oder sinnlichen Qualität bestimmte Praktiken und Wahrnehmungsweisen evozieren.63 Und zweitens entgeht ihm auf diese Weise, dass zu den historisch-gesellschaftlichen »Möglichkeitsbedingungen« der modernen Malerei nicht nur die sozialen Institutionen und Netzwerke gehören. Wie der Kunsthistoriker T.J. Clark in seinem wegweisenden Buch The Painting of Modern Life (1985) gezeigt hat, haben vielmehr auch die veränderten, industriellen Ding- und Bildwelten, Architekturen sowie technischen Artefakte dazu beigetragen, dass sich die »Wahrnehmungsschemata« des modernen Menschen im Allgemeinen und damit auch der »ästhetische Sinn« der Künstler im Besonderen verändert haben. Es ist mit anderen Worten zu verkürzt, Manets »flächigen Stil« allein auf sein mehr oder weniger unbewusstes Distinktionsbedürfnis gegenüber der akademischen Orthodoxie zurückzuführen. Eine »soziologische« Analyse seines Werkes muss demgegenüber auch der Tatsache Rechnung tragen, dass er sich intensiv mit den neuen »Oberflächen«, visuellen Formationen und Lebensstilen seines modernen großstädtischen Umfelds auseinandergesetzt hat.64 Während Bourdieu diese alternative Lesart in seiner ersten großen kunstsoziologischen Abhandlung Die Regeln der Kunst gänzlich ignoriert, setzt er sich in seiner späten Vorlesung Manet. Une révolution symbolique ausgiebig und wiederholt mit Clark kritisch auseinander. Zwar hält er Clark zugute, dass er als Kunsthistoriker das Wagnis eingeht, die sozialen Dimensionen der Kunstproduktion miteinzubeziehen, und räumt ein, dass es durchaus fruchtbar sei, die Haussmannisierung von Paris mit Manets Malerei in Verbindung zu bringen (MRS: 387, 398ff.).65 Er wirft Clark jedoch
63 Für eine ähnliche Kritik siehe etwa Albertsen/Diken 2004, de la Fuente 2007 sowie Born 2010. 64 Siehe dazu auch Kapitel 2.1.2.2. 65 »Il y a Haussmann qui a bouleversé Paris: les Parisiens sont affolés, ils ont un sentiment de fin du monde et il y a une attente de représentation de ce changement, une demande sociale très mal définie, diffuse, objective et pas nécessairement formulée. Elle se formulera en grande partie sous forme de réaction négative, de révolte et de scandale devant Manet. C’est Manet qui fait surgir cette demande d’expression en la décevant. On pourrait oublier, dans un travail de ce type, que tout cela se passe à Paris sous Napoléon III, qu’il y a d’enormes changements, qu’Asnières est une banlieue où se construisent des usines, et que, par hasard, on voit à horizon apparaîte des usines dans les tableaux de Manet mais pas dans ceux de Monet. Le rappel du contexte historique lourd tel que fait Clark est, je crois, extrêmement utile.« (MRS: 387) Diese Gegenüberstellung von Manet und Monet, die
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vor, dass er – ähnlich wie vor ihm Arnold Hauser – insofern einem reduktionistischen Materialismus anheimfalle, als er die künstlerische Produktion mit der gesamtgesellschaftlichen Situation »kurzschließe« (MRS: 290, 344)66 und dabei die sozialen Dynamiken des künstlerischen Feldes nicht genügend berücksichtige. Man müsse – so Bourdieus wenig überraschendes Argument – stattdessen untersuchen, wie die Bedeutungs- und Wahrnehmungsstrukturen der alltäglichen Welt durch die Filter des Kunstfeldes »gebrochen« werden. Abgesehen davon, dass Bourdieu selbst eine solche Zusammenführung nicht leistet, verfehlt seine Kritik auch ihr Ziel. Denn anders, als er es in seiner Vorlesung darstellt, hatte sich Clark selbst von einer vulgärmarxistischen Sozialgeschichte der Kunst abgegrenzt, um demgegenüber die kunsthistorische Analyse des Werkes mit einer Formenanalyse der alltäglichen visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts in Verbindung zu bringen. Ihm geht es mit anderen Worten eben nicht darum, den »Klassenkampf« in die Bilder hineinzulesen, sondern umgekehrt zu zeigen, dass die sozialen Daseinsbedingungen immer auch mit einer visuellen Ordnung der Architekturen, Artefakte und Techniken einhergehen, die wiederum – vermittelt durch die Erfahrungen oder wenn man so will: die Inkorporierungen der Künstler – in die Werke Eingang findet. Damit hat er aber etwas realisiert, das Bourdieu in Die Regeln der Kunst zwar als Ziel formuliert hatte, aber selbst nie umsetzen konnte, nämlich die formale Analyse der Kunstwerke auf die Analyse der alltäglichen Wahrnehmungsschemata einer Zeit zurückzubinden (RdK: 492).67 3.3.3 Die soziale Ordnung der Sichtbarkeit Die folgende Zusammenführung von Foucaults und Bourdieus Subjekt- und Praxistheorien zielt nicht auf einen umfassenden Theorievergleich der verschiedenen
Bourdieu hier Clark in die Schuhe zu schieben versucht, ist allerdings viel zu schematisch. Auch von Monet gibt es Bilder, die sich mit den sozialen Bedingungen der modernen Industrialisierung auseinandersetzen, wie etwa das Gemälde Les charbonniers/Les déchargeurs de charbon von 1875. 66 »C’est ne pas faux, mais c’est ce que j’apelle l’erreur du court-circuit, qui consiste à faire communiquer directement des pôles très éloignés, ce qui interdit de comprendre ce qui s’est vraiment passé.« (MRS: 344) 67 Tatsächlich lassen sich in Bourdieus kunstsoziologischen Arbeiten – trotz des Vorhabens, die interne mit der externen Analyseperspektive zu kombinieren – kaum Analysen von Kunstwerken finden. Einzig in der erwähnten Vorlesung bespricht er einige von Manets Gemälden, vermag es aber nicht, darin die sozialen Bedingungen ihrer Genese aufzudecken und bleibt damit eindeutig hinter Clark zurück (MRS: 511ff.).
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Wissens-, Körper- und Machtbegriffe68. Hier geht es vielmehr um die Frage, inwiefern Bourdieus Begriff der »Wahrnehmungsschemata« dazu beitragen kann, Foucaults fragmentarische Ansätze, die historische und kulturelle Bedingtheit visueller Ordnungen und Praktiken zu bestimmen, zu einer allgemeinen sozialtheoretischen Heuristik auszubauen. Im Zentrum dieser Überlegungen steht insbesondere Bourdieus klassen-, feld- und lebensstilsoziologische Perspektive, die im Unterschied zu Foucaults gesellschaftsübergreifendem Analyseansatz die Ausprägungen der (visuellen) Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata auf die sozialstrukturell differierenden Lebensumstände des Akteurs zurückführt. In Bourdieus Habitustheorie ist, mit anderen Worten, der Gedanke angelegt, dass die spezifischen Gestalten der alltäglichen Wohn-, Arbeits- und Artefaktwelt Einfluss darauf haben, wie der Akteur seine Welt wahrnimmt und diese selbst gestaltet. Dieser klassen- und feldtheoretische Ansatz ist aus wahrnehmungstheoretischer Sicht jedoch insofern nur bedingt fruchtbar, als Bourdieu dazu tendiert, die Dinge und Bilder als bloße »Verobjektivierungen« zu verstehen, die die dispositionellen Strukturen des Habitus, der sie erzeugt oder ausgewählt hat, nahezu identisch reproduzieren. Demgegenüber hat Foucault jedoch stets herausgestellt, dass die materiellen und »quasimateriellen« Formationen – und damit auch die visuelle Ordnung – stets eine gewisse Eigenlogik aufweisen und sich daher nicht allein auf die bewussten oder unbewussten Praktiken der Subjekte reduzieren lassen. Im Gegenteil: Foucault zufolge sind diese »externen« Ordnungen die Grundlage dafür, dass bestimmte Praktiken und Subjektivierungsformen überhaupt Gestalt annehmen können. Wie schon in Bezug auf Merleau-Pontys und Lacans Visualitätstheorien herausgearbeitet wurde, ist also auch die folgende Diskussion nicht als ein einseitiges Unterfangen zu verstehen: Zwar steht die Frage im Vordergrund, wie Foucaults Ansatz von Bourdieus klassenspezifischem Wahrnehmungsbegriff profitieren könnte, aber damit steht gleichfalls zur Diskussion, inwiefern umgekehrt auch Bourdieus Habitusmodell durch eine Verbindung mit Foucaults Dispositivkonzept hinzugewinnt. Um für diese wechselseitig Revision von Foucaults und Bourdieus Visualitäts- und Wahrnehmungskonzept eine theoretische Basis zu schaffen, sollen hier zunächst die allgemeinen Übereinstimmungen und Differenzen zwischen praxeologischer Habitustheorie und archäologisch-genealogischer Subjektivierungstheorie kurz rekapituliert werden. Diese Darstellung orientiert sich im Wesentlichen an den von Hilmar Schäfer (2009) und Andreas Reckwitz (2011: 42f.) identifizierten Vergleichsmomenten, setzt aber mitunter andere Schwerpunkte.
68 Siehe dazu etwa Kajetzke 2008, Schäfer 2009 und Reckwitz 2011.
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3.3.3.1 Subjektivierung und Habitus – ein Vergleich (1) Zwischen Strukturalismus und Phänomenologie: Trotz ihrer unterschiedlichen akademischen Sozialisation als Soziologe bzw. Philosoph verfolgen Bourdieu und Foucault eine ähnliche theoretische Strategie: Beide greifen einige zentrale Grundgedanken der strukturalistischen Anthropologie auf, verknüpfen diese aber mit existential- bzw. leibphänomenologischen Theoriefragmenten.69 So übernehmen sowohl Bourdieu als auch Foucault die strukturalistische These, dass das Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsvermögen der Subjekte nicht auf ihre individuellen Bewusstseinstätigkeiten und Sinnzuschreibungen zurückzuführen ist, sondern von externen, gesellschaftlichen Strukturen überformt und gelenkt wird. Beide grenzen sich jedoch von der klassischen Annahme des Strukturalismus ab, dass es sich dabei um in sich geschlossene Regel- oder Normsysteme handelt, die sich auf die eine oder andere Weise in allen Gesellschaften nachweisen lassen. Sie betonen stattdessen, dass das (implizite) Wissen, der Körper und die Praktiken der Subjekte von den empirischen Regelmäßigkeiten der äußeren Welt geformt werden: sei es durch die klassen- und feldspezifischen Lebensbedingungen (Bourdieu) oder die Formationen der Diskurse und Dispositive (Foucault). Bourdieu und Foucault schlagen demnach einen strukturalistisch-existentialphänomenologischen Mittelweg ein, der einerseits berücksichtigen kann, dass die Subjekte durch kollektive, kulturelle Strukturen konstituiert werden, und andererseits diese »strukturelle Bedingtheit« des Subjekts an die konkreten sozio-kulturellen Ordnungen des Daseins zurückbindet. (2) Historisierung und Kritik: Einer der wichtigen theoretischen Vorteile dieser doppelten Argumentationsfigur ist, dass die Habitus- bzw. Subjektivierungstheorie damit eine genuin historisierende Perspektive einnehmen kann.70 Denn während die traditionelle Subjektphilosophie das Bewusstsein und der klassische Strukturalismus die überindividuelle Struktur als ahistorische, (quasi-)transzendentale Bedingungen von Subjektivität setzt, impliziert die konsequente »Empirisierung« kultureller Existenzbedingungen, dass die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata als grundsätzlich wandelbar, also als historisch und kulturell kontingent gelten. Mit dieser Perspektive auf das jeweilige konkrete »historische Apriori« von Subjektivität und gesellschaftlicher Ordnung verfolgen beide Autoren zudem eine explizit kritische Absicht: Es geht ihnen darum, aufzuzeigen, dass das, was als »normal«, »natürlich« oder »selbstverständlich« gilt – wie etwa der »gute Geschmack« (Bourdieu),
69 In diesem Punkt ist Reckwitz zu widersprechen, dem zufolge Bourdieu und Foucault mit dieser »Dezentrierung des Subjekts« allein vom Strukturalismus beeinflusst sind und in Distanz zur Phänomenologie gehen (Reckwitz 2011: 42). 70 Nach Schäfer ist einer der wichtigen Referenzen dieser historisierenden Perspektive zudem Canguilhem, der von beiden rezipiert worden ist (Schäfer 2009: 44).
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die »sexuelle Lust« oder die »psychische Gesundheit« (Foucault) –, stets eine soziokulturelle Konstruktion darstellt, die mit sozialen Unterschieden bzw. Machtwirkungen verbunden ist. Bourdieu und Foucault vertreten somit beide ein relationales Machtkonzept, nach dem Macht keine Eigenschaft darstellt, die jemand besitzt und ein anderer nicht. Macht ist vielmehr als eine »Strategie ohne Strategen« zu verstehen (DE3/206: 401ff.), deren Wirkungen auf der kollektiven Anerkennung von historisch kontingenten symbolischen Ordnungen basiert: Dadurch, dass die Subjekte die Grenzen und Grundlagen ihres Denkens und Tuns nicht in Frage stellen (können), sind sie stets daran beteiligt, die Herrschaftsstrukturen und sozialen Unterschiede, die der symbolischen Ordnung bzw. dem »Macht-Wissen« innewohnen, zu festigen – selbst wenn sie Benachteiligte dieser Ordnung sein sollten. Neben der strukturalistisch-phänomenologischen Perspektive und der Historisierung von Subjektivität weisen Bourdieus und Foucaults Ansätze noch zwei weitere Parallelen auf. Diese sind jedoch insofern nicht so einfach zu ziehen, als hier zwischen dem frühen »archäologischen«, dem mittleren »genealogischen« und dem späten »gouvernementalitäts- bzw. subjektivierungstheoretischen« Foucault differenziert werden muss. (3) Die Inkorporierung äußerer Strukturen: Bourdieu, dessen Habitustheorie stark von Merleau-Pontys Leibbegriff beeinflusst ist, vertritt von Beginn an eine genuin körpersoziologische Perspektive. Für ihn sind also nicht das Denken oder das Sinnverstehen, sondern der Körper, der die äußeren Bedingungen des Daseins durch konkrete Interaktion in sich aufnimmt, das zentrale Medium der Sozialisation. Foucault war demgegenüber nicht immer so entschieden: So hat er in seiner frühen archäologischen Phase, in der er sich noch entschieden von der Leibphänomenologie abzugrenzen suchte, gänzlich auf einen eigenständigen Körperbegriff verzichtet und stattdessen die tendenziell intellektualistische These vertreten, dass das Denken und die Praktiken der Subjekte allein von den Diskursordnungen konditioniert würden. Erst im Zuge seiner genealogischen Machtanalyse nimmt er sich der nietzscheanischen (und leibphänomenologischen) Frage des Körpers (wieder) an und zeigt nun auf, dass das Individuum erst über die disziplinäre Zurichtung des Körpers »subjektiviert« wird. Mit dieser »Inkorporierungsthese« nähert sich Foucaults Subjektkonzept zwar grundsätzlich Bourdieus Habitusmodell an,71 weicht aber dennoch in zwei Punkten von diesem ab: Denn zum einen konzentriert sich Foucault allein auf die körperliche »(Selbst-)Unterwerfung«72 und beachtet dabei
71 Diese Parallele hat Bourdieu selbst bemerkt (M: 181). 72 Während Bourdieu Foucaults Machttheorie zunächst als eine reduktionistische Theorie des bloßen »Zwangs« missinterpretiert (Bourdieu 1991: 90), räumt er später ein, dass die
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nicht (genug), dass auch die alltäglichen Gegenstände und Praktiken formend auf den Körper einwirken. Und zum anderen tendiert seine genealogische Machttheorie zu einem reinen Determinismus, der keine Variation oder Transformation von Körperlichkeit zulässt. Letzteres nimmt er erst mit seinem Konzept der »Selbsttechnologien« in den Blick, wonach das Subjekt die herrschenden (körperlichen) Normen unterschiedlich ausfüllt und durch gezielte körperliche Übungen auf sich selbst Einfluss nehmen kann. Dieses späte, komplexe Modell, das sowohl die soziale Geformtheit als auch die relativ individuelle Formbarkeit des Körpers betont, kommt Bourdieus Habitusmodell als zugleich »strukturierter und strukturierender« Struktur (SoSi: 97) wohl am nächsten. (4) Körperliche Praktiken: Mit dem Körper- und Inkorporierungskonzept ist eine weitere Übereinstimmung von soziologischer Habitus- und archäologischgenealogischer Subjektivierungstheorie verbunden: Der Fokus auf körperliche Praktiken. Für Bourdieu ist das Konzept der körperlichen Praktiken ein wichtiger Bestandteil seines Ansatzes, da er zum einen die theoretische Lücke zwischen Objektivismus und Subjektivismus schließt und zum anderen die Reproduktion sozialer Ordnung nicht auf einen automatischen Mechanismus reduziert. Demgegenüber ging Foucault noch in der Archäologie des Wissens davon aus, dass allein der Diskurs alle sozialen und kulturellen Praktiken organisiere, wertet aber in Überwachen und Strafen die nicht-diskursiven »Hintergrundpraktiken« (Dreyfus/ Rabinow 1987: 195) gegenüber dem Diskurs entscheidend auf. Allerdings tendiert er auch hier noch zu einer deterministischen Perspektive, wonach das (körperliche) Tun des Subjekts von den disziplinären »Macht-Wissens-Komplexen« gänzlich vorgezeichnet wird. Wie Andreas Reckwitz herausgestellt hat, kann daher letztlich erst sein späteres Gouvernementalitäts- und Selbsttechnologiemodell als eine Praxeologie im eigentlichen Sinne verstanden werden, da hier dem Subjekt selbst eine gewisse Produktivität und relative »Handlungsmächtigkeit« eingeräumt wird (Reckwitz 2006a: 293ff.). Das bedeutet, dass Foucaults späte Subjektivierungstheorie ähnlich wie Bourdieus Habitusmodell voraussetzt, dass die Reproduktion, Stabilisierung und Wandlung kultureller Wissens- und Praxisordnungen nicht ohne die aktive Beteiligung der Subjekte denkbar ist. Neben diesen Parallelen weisen die Ansätze von Bourdieu und Foucault aber zudem zwei grundsätzliche theoriesystematische Differenzen auf, die auch für die Frage der Wahrnehmungsschemata von entscheidender Bedeutung sind.
»Disziplin« eher als »Normierungsdruck« zu verstehen sei (M: 181), der zu einem Gutteil auf einer »Selbstunterwerfung« beruhe (Schäfer 2009: 45).
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(1) Klasse und Feld vs. Dispositiv:73 Während Bourdieus Praxeologie betont, dass die körperlichen Praktiken und Dispositionen eines Akteurs stets von dessen klassenspezifischer Herkunft und feldspezifischer Sekundärsozialisation zeugen, hatte sich Foucault stets von der marxistischen Theorietradition distanziert. Er interessiert sich weniger für die ungleiche Verteilung von ökonomischem und kulturellem Kapital als vielmehr für die diskursiven und machttechnologischen Unterscheidungen von »normal«/»anormal« bzw. »gesund«/»pathologisch«, die über die Klassen- und Felddifferenzen hinweg in allen Bereichen der Gesellschaft Wirkung zeigen. Diese Perspektive hat gegenüber der von Bourdieu sowohl Vor- als auch Nachteile: Zu den Vorteilen gehört sicherlich, dass Foucault damit »MachtWissens-Dispositive« erfassen kann, die quer zu der Unterteilung von sozialen Feldern und Klassen liegen – ein Problem, das von Bourdieu nur in seltenen Fällen wie etwa in Bezug auf die »männliche Herrschaft« (MH) anvisiert wird. Ein Nachteil von Foucaults Dispositivansatz ist jedoch, dass er nicht genauer herausarbeitet, inwiefern sich ein und dasselbe »Macht-Wissen« in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und professionellen Feldern anders niederschlägt bzw. inwiefern verschiedene Felder konkurrierende oder »widerstreitende« Diskurse ausbilden. So betont er zwar, dass auch das Bürgertum von den modernen Machttechnologien geformt wird (DE 3/206: 402, 409), zeigt aber nicht im Einzelnen auf, wie sich die »Normalisierung« und »Sexualisierung« des bürgerlichen Subjekts von der disziplinarischen Zurichtung des Fabrikarbeiters unterscheidet. Ebenso entgeht ihm, dass die neoliberale Subjektivierungsform des »Unternehmers seiner selbst« nur bedingt ein gesellschaftsübergreifendes Modell darstellt, da es in erster Linie diejenigen Berufssparten betrifft, die vornehmlich für Akteure mit hohem ökonomischen und kulturellen Kapital reserviert sind. An dieser Stelle gilt es also, Foucaults Subjektmodell zu ergänzen. (2) Verobjektivierungen vs. diskursive und visuelle Formationen: Eine weitere Differenz zwischen Habitus- und Subjektivierungsanalyse betrifft den Status, den Bourdieu und Foucault den kulturellen Artefakten einräumen. Denn während Foucaults Archäologie und Genealogie gerade auf der zentralen »anti-humanistischen« These basieren, dass die diskursiven und nicht-diskursiven Formationen eine von der Autorschaft des Subjekts unabhängige Eigenlogik besitzen, geht Bourdieu stärker von dem handelnden Akteur selbst aus: Die Dinge, Bilder oder medialen Erzeugnisse erscheinen hier als bloße Verobjektivierungen eines präexistenten »praktischen Sinns« der in den Praktiken und dem Habitus des Subjekts verankert ist. Damit entgeht ihm jedoch, dass die Artefaktwelt eine gewisse »Handlungs-
73 Für einen ausführlichen Vergleich von Feld- und Dispositivbegriff siehe auch Reckwitz 2011: 53ff.
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mächtigkeit« besitzt, die auf das Denken, Wahrnehmen und Handeln der Akteure einwirkt. Auf diese letzten beiden Aspekte – die Klassen- und Feldspezifität sowie die »Aktivität« der Dinge – soll im Folgenden noch einmal in Bezug auf die Frage der kulturellen Wahrnehmungsschemata eingegangen werden. 3.3.3.2 Feld-, klassen- und geschlechtsspezifische Dingordnungen Wie ausführlich dargestellt wurde, neigt Bourdieu in seiner Konzeption der »Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata« insgesamt zu einer eher »soziologistischen« Perspektive. Zwar lässt sich aus einigen wenigen Bemerkungen herauslesen, dass er einen grundsätzlich ähnlichen Wahrnehmungsbegriff wie Merleau-Ponty zugrunde legt (KuK/ÄD: 151, RdK: 492), aber im Unterschied zu Letzterem nicht der Frage nachgegangen ist, wie sich der »perzeptive Sinn« durch die leibliche Auseinandersetzung mit den »Gestalten« der Welt herausbildet. Dieses Desinteresse an den interobjektiven Inkorporierungsprozessen hat womöglich damit zu tun, dass er die materiellen, räumlichen und visuellen »Daseinsbedingungen« nicht als eigenständige Phänomene interpretiert, sondern als bloße »Durchlaufstationen« von Praktiken und sozialen Kämpfen behandelt: In seinen lebensstil- und rezeptionsanalytischen Arbeiten erscheint etwa das Habitat eines Akteurs lediglich als eine mehr oder weniger gelungene »Verobjektivierung« seiner klassen- (bzw. geschlechts-)spezifischen ästhetischen Dispositionen, die aus der Inkorporierung des Habitats und der ästhetischen Vorlieben seiner Eltern hervorgegangen sind. Dazu gehören auch die Kunstwerke, die Bourdieu tendenziell zu bloßen Fetischen oder Projektionsflächen der bürgerlichen »charismatischen Ideologie« abstempelt. Dass Dinge und Kunstwerke darüber hinaus aber auch noch eine materielle, visuelle und ästhetische »Widerständigkeit« besitzen, die die eindeutigen sozialen Zuschreibungen insofern übersteigen, modifizieren oder irritieren können, als sie etwa die sozialen Bedingungen ihrer Herstellung überdauern, in andere Kontexte transferiert werden oder gar ganz neue körperlich-perzeptive Aneignungsformen einfordern, buchstabiert Bourdieu nicht weiter aus. Trotz seines Plädoyers für eine kombinierte externe und interne Analyse von kulturellen Erzeugnissen74 und eines gewissen Zugeständnisses an die Eigenlogik der Bildmedien (Swartz 1997: 86f.) geht Bourdieu aber auch in seinen Analysen der
74 Bourdieu hatte in Abgrenzung von der semiotischen und diskursanalytischen Tradition sowie der Massenkulturtheorie immer für eine Kombination von interner (textimmanenter) und externer (feldtheoretischer) Analyse von kulturellen Produkten plädiert (Bourdieu/Passeron 1963, SF/Schö: 207, PV: 56f.), sich aber im Falle der Kunst und der Medien de facto vor allem auf die Analyse der externen feldspezifischen Produktionslogiken konzentriert.
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kulturellen Produktionsfelder (ÜF, RdK) nicht weiter auf die »Aktivität« der Artefakte und Bildmedien ein. Im Gegenteil: Da er annimmt, dass letztlich alle feldinternen Praktiken, Akteure und Institutionen an der Hervorbringung der kulturellen Produkte beteiligt sind, zielt sein analytisches Interesse eher auf die Auseinandersetzungen und Strategien, die von den Akteuren (unbewusst) angewendet werden, um sich feldspezifisches symbolisches Kapital zu sichern. So wertet er etwa die »symbolische Revolution« der Impressionisten nicht als eine »formale« Reaktion auf die veränderte visuelle, diskursive und gesellschaftlichen Ordnung der Moderne, sondern lediglich als eine geschickte Strategie der »Refüsierten«, sich der alten akademischen doxa zu entledigen und an deren Stelle das neue anti-ökonomische Gesetz des »l’art pour l’art« zu setzen, das ihren eigenen habitusspezifischen Dispositionen mehr entsprach (KuK/IA, KuK/IR). Und ebenso führt er es allein auf diese »charismatische Ideologie« zurück, dass sich in der Folge der »reine Blick« als legitime Rezeptionshaltung durchsetzen konnte, arbeitet aber nicht näher heraus, dass auch die formale Ordnung der Bilder selbst eine veränderte Wahrnehmungshaltung nahelegt. Bourdieu macht sich in seiner Kunstsoziologie demnach weder Gedanken darüber, inwiefern nicht nur die intersubjektiven Strukturen und Institutionen, sondern auch die Strukturen und Techniken der feldspezifischen und gesamtgesellschaftlichen Artefaktwelt zu den »sozialen Produktionsbedingungen« gehören, die die Form und Ordnung der (Medien-)Bilder beeinflussen. Noch fragt er sich, ob die formale Ordnung der (Medien-)Bilder selbst eine wahrnehmungs- und wissenskonstitutive Kraft besitzt. An dieser Stelle soll gar nicht bestritten werden, dass die Konsum- und Kulturgüter für die (unbewusste) Selbstdarstellung der Akteure und die intersubjektive Interaktion eine wichtige Rolle spielen. Aus Foucault’scher Perspektive muss jedoch bezweifelt werden, dass sich die soziale Funktion der Dinge, Bilder und Medien darin erschöpft, lediglich Ausdruck einer dahinter liegenden sozialen Dynamik zu sein. Um Bourdieus Begriff der klassen- und feldspezifischen Wahrnehmungsschemata für eine Foucault’sche Analyse der visuellen Ordnungen fruchtbar machen zu können, muss er somit in zweierlei Hinsicht transformiert werden: Erstens muss die Artefaktwelt von den intersubjektiven Prozessen analytisch abgekoppelt und als eine (relativ) eigenständige Dimension der sozialen Daseinsbedingungen in den Blick genommen werden. Es gilt, mit anderen Worten, genauer darzustellen, durch welche spezifischen visuellen Formationen, Raumordnungen und Artefaktwelten sich die verschiedenen klassenspezifischen Lebensstile und Felder auszeichnen, welche vergangenen sozialen Beziehungen sich darin abgelagert haben und wie ihre Gestalt formal über die Klassen- und Feldgrenzen hinausweist. Diese Betonung der »Eigenlogik« visueller und materieller Ordnungen impliziert, dass die Dinge nunmehr als Entitäten betrachtet werden, die zumeist mehr als die Wahrnehmungs- und Praxisschemata ihrer Besitzer oder Hersteller in sich bergen und vermitteln. Das heißt, dass zweitens auch dem Prozess der Inkorporierung der mate-
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riellen und visuellen Daseinsbedingungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, als es Bourdieu selber tut. Eine solche Erweiterung lässt sich mithilfe einer noch stärkeren Bezugnahme auf Merleau-Pontys Leibphänomenologie realisieren, die trotz der Annahme, dass die Artefakte »Wahrnehmungstraditionen« und Verhaltensweisen transportieren, den leiblichen Lernprozess des Subjekts in den Vordergrund stellt. Mit einer solchen Zusammenführung des habitus- und feldtheoretischen Begriffs der »Wahrnehmungsschemata« mit einer um das leibphänomenologische Konzept der »perzeptiven Syntax« ergänzten Analyse historisch spezifischer visueller Formationen kann nicht nur herausgearbeitet werden, inwiefern die visuelle Aufmerksamkeit und die Wahrnehmungsroutinen von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen differieren, sondern auch gezeigt werden, wie neue Dinge, Gebäude oder Medien an der Transformation routinisierter Praktiken beteiligt sind.
4. Schlussbetrachtung
Es war das Ziel der vorliegenden Arbeit, Michel Foucaults unzusammenhängende Analysen visueller Phänomene zusammenzuführen, um auf dieser Grundlage einen kohärenten praxistheoretischen Ansatz zur Analyse kultureller Wahrnehmungsschemata und visueller Praktiken zu entwickeln. Dabei ging es insbesondere darum, den konstitutiven Zusammenhang zwischen der »visuellen Ordnung der Dinge« und dem kulturell »Sichtbaren« herauszuarbeiten. Diese theoretische Perspektive grenzt sich ganz grundsätzlich von allen klassischen Wahrnehmungstheorien ab, die unter empiristischen oder transzendentalphilosophischen Vorzeichen ein essentialistisches Subjektkonzept und einen ahistorischen Begriff der Wahrnehmung vertreten.1 Demgegenüber wird hier die These vertreten, dass das Subjekt von den historisch und kulturell kontingenten Bedingungen seines Daseins erst hervorgebracht wird. Daraus folgt, dass nicht für jedes Subjekt alles zu jeder Zeit sicht- und denkbar ist. Was das Subjekt sehen kann und wie es etwas ansieht, hängt davon ab, welches implizite Wahrnehmungswissen es im Laufe seines Lebens ausbildet, welche Sichtweisen von seiner Umgebung »vorgesehen« werden, und welche Praktiken es jeweils ausübt. Das Sehen beruht demnach auf einem »historischen Apriori« des Sichtbaren oder, wie man auch sagen könnte, auf einem historisch spezifischen Apperzeptionsvermögen, das sich wie ein Filter zwischen das Subjekt und die Welt schiebt. Dieser Gedanke ist als solcher nicht neu. Bereits die Visual Culture Studies haben darauf hingewiesen, dass nicht nur die sprachlichen Diskursordnungen historisch spezifische Wissens- und Wahrheitsregime in sich bergen, sondern dass visu-
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So begreifen empiristisch-objektivistische Ansätze das Sehen als einen rein mechanischphysiologischen Prozess, der von den optischen Reizen der äußeren Welt ausgelöst wird, während die klassische Transzendentalphilosophie die Wahrnehmung auf die »produktive« Leistung eines mit apriorischen Anschauungsformen und Einbildungskraft ausgestatteten Bewusstseins zurückführt.
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elle Artefakte gleichfalls dazu beitragen, bestimmte Normen, Konventionen und Klischees – wie etwa geschlechtliche oder ethnische Stereotype – zu (re-)produzieren und zu naturalisieren. Im Unterschied zu den genannten Studien, die zumeist mit einem semiotisch-diskursanalytischen Vokabular arbeiten und sich ausschließlich auf die »interne« Analyse der Darstellungs- und Wissenscodes von Bildmedien konzentrieren, folgt der hier vorgeschlagene Ansatz einer dezidiert nicht-repräsentationalen, praxistheoretischen Perspektive. Diese zeichnet sich gegenüber den »repräsentationalistisch-textualistischen« Kulturtheorien dadurch aus, dass sie neben den kollektiven Sinn- und Wissensstrukturen auch die materiellen Daseinsbedingungen sowie die Körperlichkeit des Subjekts in ihre Analyse einbezieht. Im Unterschied zu den bestehenden Visualitätstheorien beschränkt sich eine »Praxeologie des Sehens« somit nicht darauf, die Wissenseffekte der Bilddiskurse zu untersuchen. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit darüber hinaus sowohl auf die formale Anordnung der Dingwelten und Raumstrukturen als auch auf die Frage, wie das Subjekt letztere in sein Praxiswissen integriert. Es geht ihr mit anderen Worten darum, die historisch und kulturell spezifischen Wahrnehmungsweisen und -praktiken, die das Subjekt auf seine dinglich-räumliche Umgebung anwendet, aus der Logik der visuellen Formationen und Displays der empirischen Dingwelt selbst abzuleiten. Bevor nun zusammenfassend dargestellt wird, mit welchen Dimensionen, Analyseebenen und Fragestellungen eine solche »Praxeologie des Sehens« arbeitet, sei an dieser Stelle die theoretische Herleitung rekapituliert. Am Ausgangspunkt der Überlegung stand die Vermutung, dass in Foucaults vielfältigen historischen Analysen, theoretischen Reflexionen und verstreuten Kommentaren ein visualitätstheoretischer Ansatz angelegt ist, der – analog zu der diskursanalytischen Dezentrierung des Denkens – die Bedingungen des Sehens aus den visuellen Formationen einer Zeit ableitet. Da sich in der Forschungsliteratur zu Foucault aber kaum umfangreichere Arbeiten finden ließen, die sich systematisch mit dessen visualitätstheoretischer Perspektive auseinandergesetzt haben,2 war zunächst exegetische Grundlagenarbeit zu leisten. Zu diesem Zweck wurde Foucaults Gesamtwerk daraufhin untersucht, mit welchen visuellen Phänomenen er sich überhaupt beschäftigt hat, wie sich diese in den jeweiligen analytischen und theoretischen Kontext fügen, und wie sich schließlich das Interesse an der Frage der Visualität im Laufe seiner theoretisch-analytischen Entwicklung vom archäologischen Diskursanalytiker, über den genealogischen Machtkritiker bis hin zum praxeologischen Subjektivierungstheoretiker verändert und verschoben hat. So sind Foucaults frühe archäologische Arbeiten noch deutlich von dem Bedürfnis getragen, sich gegen die leibphänomenologische Wahrnehmungs- und Sub-
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Eine Ausnahme bilden die Arbeiten von Rajchman 2000, Shapiro 2003 und Tanke 2009.
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jekttheorie seines Lehrers Maurice Merleau-Ponty abzugrenzen. Zwar stimmt Foucault mit Letzterem darin überein, dass die Bedingungen des Denkens nicht im »transzendentalen« Bewusstsein des Subjekts, sondern in dessen konkretem Dasein zu verorten sind, hält es aber für theoretisch inkonsequent, stattdessen bei den »Erfahrungen des Leibes« anzusetzen. Foucault schlägt demgegenüber vor, vom Subjekt vollkommen zu abstrahieren und die »topologischen« Regelmäßigkeiten der quasi-materiellen Aussageformationen als die eigentliche Voraussetzung alles Denk- und Sagbaren auszuweisen. Wie seine vielen kleineren Texte zu kunsthistorischen Fragen (DE1/39, DE1/51, DE1/53) und insbesondere seine Analysen von Velazquez’ Las Meninas (OD: 31-54) und der Malerei von Manet (MM) zeigen, ist er zu dieser Zeit aber nicht nur an der wissenskonstitutiven Funktion der sprachlichen Diskurse interessiert. Foucault scheint vielmehr mit der Möglichkeit gespielt zu haben, einen analogen Ansatz auch für das Sehen auszuarbeiten. Dies zeigt sich darin, dass er die zu analysierenden Bilder nicht als »Repräsentationen« versteht, die eine vorgängige Wahrnehmungserfahrung auf die Leinwand bannen, sondern als »Monumente«, die allein aufgrund ihrer kompositorischen Konstruktionen und formalen Eigenschaften ein bestimmtes »Weltbild« und die darin angelegte Betrachterposition vorzeichnen. Neben seinem Interesse für die Darstellungscodes der bildenden Kunst setzt sich Foucault in dieser Zeit zudem mit dem historischen Wandel von wissenschaftlichen Beobachtungstechniken und »Wahrnehmungsräumen« auseinander. Anders als seine Bildanalysen, die der »historischen Schicht des Sichtbaren« eine gewisse Eigenlogik einräumen, geht er hier von der gegenteiligen Annahme aus und sucht aufzuzeigen, dass alle nicht-diskursiven Praktiken von einem seriösen Diskurs her organisiert werden. Das heißt, dass er die Art und Weise, wie ein Botaniker, Anthropologe oder Arzt die Untersuchungsgegenstände anblickt und zueinander in ein (räumliches) Verhältnis setzt, einzig auf die historisch spezifischen Möglichkeitsbedingungen des jeweiligen Diskurses zurückführt. Insgesamt tendiert Foucault in seiner archäologischen Phase also zu einer textualistisch-objektivistischen Analyseperspektive: Er konzentriert sich ausschließlich auf die (Wissens-)Effekte der (bild-)diskursiven Formationen und berücksichtigt weder die nicht-diskursiven »Daseinsbedingungen« – sprich: die Dinge und Räume – als eigenständige Faktoren der Wahrnehmungsgenese, noch arbeitet er heraus, wie das Subjekt diese »visuellen Formationen« inkorporiert. Diese Zurückhaltung gegenüber den nicht-diskursiven Ordnungen und »Hintergrundpraktiken« der Subjekte lässt sich als eine theoriestrategische Positionierung gegenüber der zentralen leibphänomenologischen Grundannahme verstehen, wonach alle sprachlichen und bildlichen Ausdrucksformen einer Kultur lediglich sekundäre Ableitungen aus vorgängigen alltäglichen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Praktiken des Körpers darstellen. Gegenüber dieser subjektivistischen Priorisierung der individuellen Erfahrung hat die poststrukturalistische Diskurstheorie den
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Vorteil, dass sie noch viel entschiedener die historische und kulturelle »Gemachtheit« des Subjekts begründen kann. Dennoch weist sie eine entscheidende Schwäche auf: Während die leibphänomenologische Subjekttheorie stets darum bemüht ist, die cartesianische Trennung von Geist und Körper zu überwinden, bleibt die diskursanalytische Perspektive – auch wenn sie die Bedingungen des Bewusstseins in die »Quasi-Materialität« der Diskurse verlagert – dem intellektualistischen Paradigma verhaftet. Spätestens in den 1970er Jahren gesteht sich Foucault ein, dass eine historische Analyse, die alle kulturellen Praktiken und Äußerungsformen ausschließlich auf die Ordnungsfunktion der »seriösen Diskurse« zurückführt, aus theoretischen und politischen Gründen nicht haltbar ist. In dieser Zeit wendet er sich erstmals explizit der Frage der Macht und damit einigen Motiven zu, die zu den zentralen Untersuchungsgegenständen der Leib- bzw. Existentialphänomenologie gehören, darunter die materielle und räumliche Ordnung des Daseins, die Anpassung des Körpers an seine Umwelt oder die Strukturierung alltäglicher Praktiken. Foucault stellt allerdings von vornherein klar, dass er seinen Körper-, Macht- und Raumbegriff nicht von der Leibphänomenologie, sondern von Nietzsches Genealogie übernimmt (DE2/84) – einer Theorie, die ebenfalls vom Erfahrungsbegriff absieht und stattdessen betont, dass alle als »autonom« geltenden Regungen des Subjekts, seien es die Vernunft oder die moralischen Gefühle, letztlich von dessen körperlicher Unterwerfung herrühren. Foucault gibt also auch in seiner genealogisch-machtanalytischen Phase den anti-phänomenologischen Ansatz nicht auf, dem zufolge das historische Subjekt sich nicht aktiv in der Welt »einrichtet«, sondern ausschließlich von den ihm äußeren, kulturellen Ordnungen her zu denken ist. Neu ist hieran lediglich, dass Foucault nun einerseits die nicht-diskursiven Bedingungen in seine Analyse mit einbezieht und daher nicht mehr nur vom Diskurs, sondern allgemeiner vom »Dispositiv« spricht, und dass er sich andererseits ausdrücklich für den Körper und die Inkorporierungsvorgänge als Orte der Subjektgenese zu interessieren beginnt. Für die hier verfolgte Fragestellung nach dem systematischen Zusammenhang von »visueller Ordnung«, inkorporierten Wahrnehmungsschemata und visuellen Praktiken ist Foucaults einflussreiche Panoptismusthese, die er im Kontext seines machtanalytischen Hauptwerks Überwachen und Strafen entwickelt, von besonderem Interesse. Diese besagt, dass sich die »moderne Disziplinarmacht« mit einer in der Architektur »eingelassenen«, allgegenwärtigen Überwachungsmaschinerie ausgerüstet hat, die die Subjekte dazu zwingt, sich selbst unter Beobachtung zu stellen und ihre nach außen hin sichtbaren körperlichen Praktiken an die gegebenen Normen anzupassen. Mit dem Panoptismusmodell verabschiedet sich Foucault von der tendenziell »intellektualistischen« Perspektive der Diskursanalyse und bewegt sich auf ein breiter angelegtes körper- und artefakttheoretisches Modell von Visualität hin, das neben den seriösen (Bild-)Diskursen auch die »materielle Kultur« und die alltäglichen Praktiken der Subjekte in den Blick nimmt. Da sich Foucault jedoch
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auf dieses eine historische Beispiel beschränkt und auch ansonsten darauf verzichtet, den Zusammenhang zwischen Artefakten, Körpern und visueller Ordnung theoretisch näher zu bestimmen, liefert Überwachen und Strafen noch kein tragfähiges analytisches Modell, das auch auf nicht rein panoptische Dispositive – wie etwa Wohnräume, Museen oder Shoppingmalls – anwendbar wäre. Zudem lässt sein genealogischer Ansatz zwei Aspekte außer Acht, die gerade für eine »Praxeologie des Sehens« von Bedeutung sind: Erstens konzentriert sich Foucault in Überwachen und Strafen ausschließlich auf die »subjektivierenden« Effekte des (imaginären) Angeblickt-Werdens. Weder arbeitet er genauer heraus, inwiefern auch das Sehen zu den körperlichen Praktiken gehört, die von den (nicht-)diskursiven Formationen des Dispositivs konditioniert und »normalisiert« werden. Noch stellt er dar, auf Basis welcher »historischer Anschauungsformen« das disziplinierte Subjekt seine räumliche Umgebung und Artefaktwelt wahrnimmt. Zweitens bleibt Foucaults genealogisches Subjekt- und Praxismodell insofern unterbestimmt, als es davon ausgeht, dass das Subjekt in seinem körperlichen und geistigen So-Sein von den Macht-Wissens-Komplexen vollständig determiniert wird. Damit kann er jedoch nicht plausibel begründen, inwiefern die individuellen Praktiken des Subjekts Formen annehmen können, die – ob intendiert oder nicht – von den Verhaltensnormen abweichen. Es gelingt ihm nicht, das Spannungsverhältnis zwischen der kulturellen Überformung von Subjektivität auf der einen und der relativen Handlungsfreiheit der Individuen auf der anderen Seite zu denken. Zumindest das zuletzt genannte Dilemma räumt Foucault in seinem Spätwerk aus – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass er seinen vehement anti-phänomenologischen Standpunkt aufgibt und dem Subjekt die »relative« Freiheit eines begrenzten Handlungsspielraums zugesteht. So arbeitet er im zweiten und dritten Band seiner Geschichte der Sexualität (GL, SuS) sowie seinen Studien zur Gouvernementalität (GG1, GG2) heraus, dass die »äußeren« diskursiven und nicht-diskursiven Ordnungen des Dispositivs (bzw. die »Moralcodes«) lediglich als mehr oder weniger eng gefasste Handlungsanleitungen zu verstehen sind, die verschiedene legitime Verhaltensweisen zulassen. Zudem führt er hier den theoriesystematisch neuen Begriff der »Selbsttechnologien« ein, dem zufolge die Subjekte nicht nur durch die äußeren Bedingungen subjektiviert werden, sondern auch ganz aktiv auf ihre eigenen Erfahrungs-, Denk-, und Handlungsweisen Einfluss nehmen können. In dieser Perspektive stellt die Macht also eine »indirekte Führung« dar, die bestimmte »Selbstführungen« eher wahrscheinlich macht als andere, aber keinesfalls genau vorschreibt, wie sich das Subjekt im Einzelnen zu verhalten hat (DE4/306). Foucault buchstabiert dieses Wechselverhältnis von Fremd- und Selbstführungspraktiken allerdings nur für die antiken Ethiken und das neoliberale Subjektmodell aus, und berücksichtigt dabei weder die »Materialität« des Raums, der Architektur und der Artefakte noch die visuellen Wahrnehmungen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich diese
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Dimensionen nicht in die Analyse integrieren ließen. Im Gegenteil beruht die hier verfolgte Argumentation gerade auf der Annahme, dass Foucaults spätes Macht- und Subjektmodell in Verbindung mit seinen früheren visualitätstheoretischen Überlegungen die theoretische Grundlage für eine allgemeine Praxeologie des Sehens liefert, die nicht nur die sozio-kulturelle Bedingtheit von körperlichen (Wahrnehmungs-)Praktiken erklärt, sondern auch die Möglichkeit eines kritischen »Anderssehens« denkbar macht. Konkret bedeutet dies, dass die (bild-)diskursiven und insbesondere auch die nicht-diskursiven Formationen des Dispositivs – seien es Artefakte, Architekturen, Medien oder andere Arten von Displays – als »manifeste« Formen der visuellen Fremdführung verstanden werden sollen, die je nach Gestalt(ung) eine bestimmte Wahrnehmungshaltung für sich einfordern. Wie diese visuellen Angebote von dem Subjekt aufgegriffen oder »beantwortet« werden, hängt dabei einerseits davon ab, welche »visuellen (An-)Ordnungen«, Diskurse und »Selbstbilder« es bis dato inkorporiert hat – also über welches implizite Wahrnehmungs- und Praxiswissen es verfügt –, und andererseits von den »Selbstführungspraktiken«, die es in einem gegebenen Augenblick wählt. Um diese beiden Aspekte in die Dispositivanalyse aufnehmen zu können, bedarf die praxeologische Subjektivierungstheorie Foucaults aber noch einiger theoretischer Ergänzungen: Neben der Frage, wie das Subjekt die »visuellen Formationen« seiner gewohnten Welt inkorporiert, gilt es auch zu klären, wie es aktuelle Dispositive mittels des so erworbenen impliziten Wahrnehmungswissens in Augenschein nimmt. Hier wurde vorgeschlagen, diese Leerstellen des Foucault’schen Subjektbegriffs im Rekurs auf drei benachbarte Subjekttheorien zu schließen: der Leibphänomenologie von Merleau-Ponty, der strukturalen Psychoanalyse von Jacques Lacan und schließlich der praxeologischen Habitustheorie von Pierre Bourdieu. Diesen drei Ansätzen ist gemein, dass sie zwar einige Grundannahmen des Foucault’schen Subjektmodells teilen, sie weisen aber über dieses hinaus, als sie sich auf die eine oder andere Weise mit der sozio-kulturellen Kodierung von körperlich verankerten Wahrnehmungsschemata auseinandersetzen. Auch wenn diese theoretischen Ergänzungen jeweils einen entscheidenden Aspekt zu der hier verfolgten Fragestellung beisteuern, kann Merleau-Pontys leibphänomenologische Wahrnehmungstheorie sicherlich als die wichtigste der drei gelten. Diese herausragende Bedeutung von Merleau-Pontys Ansatz hat zum einen damit zu tun, dass sein differentieller Gestalt-Begriff und sein Konzept der leiblich verankerten »perzeptiven Syntax« dazu beitragen, eine der grundlegenden Thesen der vorliegenden Arbeit zu profilieren: dass es nämlich analog zum »historischen Apriori« des Denkens historisch spezifische »Anschauungsformen« und »Apperzeptionen« gibt, die ebenfalls aus den äußeren Formationen der Dingwelt abgeleitet werden können – ein Gedanke, der von Foucault nur in Bezug auf die »Bilddiskurse« anvisiert worden ist, der sich aber auch auf alle nicht-repräsentationalen visuellen Ordnungen übertragen lässt. Ein weiterer Grund für die besondere Bedeutung Mer-
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leau-Pontys liegt in der Tatsache, dass auch die beiden anderen hier behandelten Autoren mehr oder weniger explizit auf dessen Visualitäts- bzw. Körperbegriff Bezug nehmen. So entwickelt Lacan sein Konzept des »le regard« ausgehend von Merleau-Pontys posthum erschienenem Werk Das Sichtbare und das Unsichtbare, während Bourdieus Habitus- und Praxiskonzept deutliche Parallelen zu den leibphänomenologischen Begriffen des »Körperschemas« und der »fungierenden Intentionalität« aufweist. Doch zunächst zur Zusammenführung von Foucault und Merleau-Ponty. Wie bereits angedeutet, zielen Foucaults Archäologie und Genealogie darauf ab, der Existential- und Leibphänomenologie ein radikaleres theoretisches Modell entgegenzuhalten, das die Bedingungen von Subjektivität in ein historisches Außen verlagert. Dabei übergeht Foucault, dass in Merleau-Pontys Arbeiten einiges von dem angelegt ist, was seinem genealogischen Subjektmodell entspricht. Denn ähnlich wie der »mittlere Foucault« geht auch Merleau-Ponty davon aus, dass das Subjekt in seinem So-Sein – wenigstens zu einem Teil – durch die ihm äußeren Daseinsbedingungen geformt wird. Während sich Foucault in seinen archäologischen und genealogischen Studien ausschließlich darauf konzentriert, die historische »Gemachtheit« des scheinbar autonomen Subjekts nachzuweisen, postuliert Merleau-Ponty, der noch stärker der subjektphilosophischen Tradition verhaftet bleibt, ein aktiveres Subjekt, das durch sein perzeptives und praktisches »Zur-Welt-Sein« ein fungierendes »Körperschema« entwickelt. Für die hier verfolgte Frage ist vor allem der zentrale anti-intellektualistische Gedanke aus der Phänomenologie der Wahrnehmung von Interesse, wonach das Sehen nicht auf einem allgemeingültigen ahistorischen Apriori beruht, sondern vom Leib erst in Auseinandersetzung mit der Welt erworben werden muss. Merleau-Ponty geht somit davon aus, dass der Leib erst aufgrund der Konfrontation mit bestimmten praktischen Anforderungen lernt, das undifferenzierte »visuelle Rauschen« der äußeren Welt in bestimmte signifikante »Gestalten« und »insignifikante«, d.h. unsichtbare Hintergründe aufzuteilen. In dieser gestalttheoretischen Annahme, der zufolge ein Leib nicht alles zu jeder Zeit sehen kann, ist bereits ein »differentielles« Wahrnehmungskonzept angelegt, das Foucault in ähnlicher Weise auch in seiner Archäologie entwickelt. Gegenüber dem diskursanalytischen Ansatz, der die historischen Bedingungen der Möglichkeit des Denkens und Sehens vornehmlich aus den Aussageformationen und ansatzweise auch aus der formalen Ordnung der Bildmedien ableitet, hat Merleau-Pontys Wahrnehmungskonzept jedoch einen doppelten Vorteil: Zum einen betont es, dass es sich beim Wahrnehmen um eine vorbewusste, praktisch-leibliche Kompetenz handelt, und nicht um einen Akt, der durch ein (bild-)diskursiv bedingtes Bewusstsein gesteuert wird. Zum anderen führt dieses Wahrnehmungskonzept die Ausbildung der »perzeptiven Syntax« (PW: 58) auf die empirischen Regelmäßigkeiten der sichtbaren Welt zurück. Im Unterschied zu Foucault versteht Merleau-Ponty »die Ordnung des Sichtbaren« also nicht als einen Effekt der »diskursiven Formationen«, sondern
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als das Ergebnis eines interobjektiven Aushandlungsprozesses zwischen dem Körper, der wahrnimmt, und der formalen Strukturierung des Sehfeldes. Um diese beiden Aspekte für die Foucault’sche Subjekt- und Dispositivtheorie fruchtbar machen zu können, muss eine zentrale Inkompatibilität zwischen dem leibphänomenologischem Ansatz und dem archäologisch-genealogischen Subjektmodell ausgeräumt werden. So hatte Foucault zurecht darauf verwiesen, dass die (Leib-)Phänomenologie ein Diskurs »gemischter Natur« ist, der sich nicht so recht entscheiden kann, ob er die Bedingungen der Subjektgenese eher in dem quasitranszendentalen »Leib« oder der »äußeren Welt« suchen soll. Da sich Foucaults historisches Modell aber eindeutig für Letzteres ausspricht, kann eine Zusammenführung beider Ansätze nur gelingen, wenn die leibphänomenologische Ambivalenz in Richtung einer entschiedeneren Dezentrierung und Historisierung des Subjekts aufgelöst wird. Unter dieser Voraussetzung kann Merleau-Pontys Wahrnehmungsmodell in dreifacher Hinsicht dazu beitragen, Foucaults Subjektivierungsmodell zu einer »Praxeologie des Sehens« auszubauen: Erstens hilft es, den machttechnologischen Aspekt der interobjektiven Zurichtung des Körpers genauer auszuformulieren – ein Gedanke, der in Überwachen und Strafen zwar in Bezug auf die Architektur angedacht, aber nicht konsequent ausbuchstabiert wird. Zweitens kann im Rekurs auf das Konzept der »perzeptiven Syntax« herausgearbeitet werden, dass auch das Sehen eine historisch spezifische (körperliche) Praxis darstellt, die von den manifesten Daseinsbedingungen des Subjekts – genauer: den »visuellen Formationen« der Welt – konditioniert und gesteuert wird. Drittens schließlich impliziert Merleau-Pontys Begriff des »Körperschemas«, dass es sich bei den so erworbenen praktischen »Anschauungsformen« um ein dauerhaftes Wahrnehmungswissen handelt, das vom Subjekt in andere visuelle Kontexte transferiert wird. Ausgehend von dieser leibphänomenologischen Erweiterung des Foucault’schen Analyserahmens, die sowohl die visuell-materiellen Formationen als strukturierende Elemente des Dispositivs als auch das historisch und kulturell spezifische »GestaltSehen« als Ergebnis der äußeren Bedingtheit oder körperliche Zurichtung des Subjekts zu denken erlaubt, lassen sich noch weitere Aspekte und Dimensionen der historischen Ordnung der Visualität und der Praktiken des Sehens in den Blick nehmen. Zwei dieser Dimensionen standen hier im Zentrum: zum einen die den einzelnen Dinggestalten oder Bildern innewohnende »affektive Kraft«, die im Unterschied zur panoptischen Unterwerfungsmaschinerie als eine positive Form der machttechnologischen (Ver-)Führung verstanden werden kann, und zum anderen die klassen- und feldspezifische Differenzierung der Dingformationen und Wahrnehmungsschemata. Der Aspekt der »visuellen Affektivität« wurde hier im Rekurs auf Lacans strukturale Psychoanalyse diskutiert. Auch wenn sich Foucault seit seiner genealogischen Phase von dem Strukturalismus und der Psychoanalyse abgrenzt, weist sein Subjektbegriff einige Parallelen zu Lacans Modell auf: Beide gehen davon aus, dass das Individuum durch eine ihm äußerliche Ordnung – das Dispositiv (Foucault)
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bzw. die symbolische Ordnung (Lacan) – subjektiviert wird. Während Foucault annimmt, dass das Subjekt diese äußeren Bedingungen relativ umstandslos inkorporiert, ist Lacans theoretische Konstruktion komplexer: Ihm geht es darum aufzuzeigen, dass das Subjekt durch die kulturelle Konditionierung von sich selbst und seiner Welt »entfremdet« wird, wobei es diese Entfremdung jedoch nicht als notwendige Bedingung seiner Subjektivität anerkennt, sondern als einen Verlust oder »Mangel an Sein« erlebt. Diesen vermeintlichen Verlust versucht es dadurch rückgängig zu machen, dass es bestimmte Dinge und Personen als den »verlorenen« Teil seiner Selbst (d.h. als »Objekt klein a«) imaginiert und sich einzuverleiben sucht. Welche Dinge oder Personen zu diesen affektiv besetzten »Objekten klein a« auserkoren werden, hängt von den gesellschaftlich vorherrschenden »Ich-Idealen« und von der individuellen Begehrensbiographie gleichermaßen ab. Diesen fundamentalen Zusammenhang zwischen kultureller Strukturierung, Mangelerfahrung und Begehren überträgt Lacan auch auf das Sehen und die »visuelle Ordnung«. Dazu beruft er sich u.a. auf Merleau-Pontys spätes Visualitätsmodell aus Das Sichtbare und das Unsichtbare, dem zufolge das Sehen auf einer konstitutiven Unsichtbarkeit beruht und jedes Sehen ein anonymes Angeblicktwerden impliziert. In die Lacan’schen Begriffe übersetzt, wird das Gestaltsehen stets von einer symbolischen Ordnung, dem kulturellen »Blickregime« (»le regard«) durchkreuzt, welches einen unmittelbaren Zugang zur sichtbaren Welt verhindert und das sehende Subjekt selbst als ein »angesehenes« adressiert. Das Subjekt imaginiert seine Umwelt daher als Träger eines ihm selbst unzugänglichen omnipräsenten Blicks und steht zugleich vor der Aufgabe, die eigene Erscheinung an dieses »Tableau« anzupassen. Andererseits begehrt es, stets »mehr« zu sehen bzw. das ihm äußere Sichtfeld, das aufgrund seiner »Blickhaftigkeit« latent bedrohlich wirkt, zu »überschauen« – ein Wunsch, der sich in der Neuzeit, so Lacans These, in der perspektivischen Bildkonstruktion Ausdruck verschafft hat. Im Anschluss an Lacans Visualitäts- und Dingbegriff hat Kaja Silverman darauf hingewiesen, dass nicht nur Bilder, sondern auch andere visuelle Artefakte die Rolle des »Objekt klein a« übernehmen können. Voraussetzung dafür ist, dass ihre formale Gestalt metonymisch oder metaphorisch auf unbewusste visuelle Erinnerungsspuren von Dingen oder Personen verweist, die in der Vergangenheit bereits als Reinkarnationen des verloren geglaubten »Dings« gedient haben. Da das Subjekt im Laufe seines Lebens eine weit verzweigte Begehrensbiographie ausbildet und ein ganzes Repertoire an unbewussten visuellen Erinnerungen ansammelt, können diese affektiven Besetzungen ganz unvorhergesehene Bahnen nehmen, die die kollektiv geteilten Normen zuweilen unterlaufen. Wird dieses strukturalistische Konzept von »visueller Affektivität« mit dem – um den Begriff der »perzeptiven Syntax« erweiterten – Foucault’schen Modell historischer Dispositive und Subjektivierungsweisen zusammengedacht, kann dreierlei gezeigt werden: erstens, dass sich das Subjekt stets als ein angeblicktes Wesen erfährt – unabhängig davon, ob es (potentiell) einem menschlichen Blick ausgesetzt
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ist. Es wird also nicht nur durch die intersubjektive Überwachungsmaschinerie dazu gezwungen, sich an bestimmte Ideale anzupassen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch die nicht-menschlichen »visuellen Formationen« einen »normalisierenden« Aufforderungscharakter besitzen. Zweitens zeigt sich, dass es neben den »unterwerfenden« auch verführerische Dispositive gibt. Deren Machttechnologie gründet sich auf das narzisstische Begehren, dem Ich-Ideal zu entsprechen. Zu diesen nicht-disziplinarischen Dispositiven zählen beispielsweise Kaufhäuser, Kinos oder Spielhallen. Schließlich lässt sich drittens mit dem Konzept der »unbewussten visuellen Erinnerungsspuren« sowohl das Konzept des »impliziten (visuellen) Wissens« um die Dimension der Erinnerung erweitern, als auch begründen, warum die affektive »Fremdführung« nicht immer funktioniert. Gerade weil sich die affektiven Besetzungen durch metonymische und metaphorische Verschiebungen ihre eigenen Wege bahnen, kann es dazu kommen, dass Dinge oder Personen zu »Objekten klein a« erklärt werden, die dem gesellschaftlich legitimierten Kanon gar nicht entsprechen. Mit dem psychoanalytischen Begriff der Affektivität lässt sich demnach sowohl erklären, warum Macht im buchstäblichen Sinne verführerisch wirken kann – eine Annahme, die Foucault zwar immer wieder hervorhebt, aber theoretisch nicht plausibel begründen kann. Es lässt sich aber auch zeigen, warum das Begehren, trotz kultureller Prägung, letztlich nicht vollständig domestizierbar ist. Da weder Foucaults noch Merleau-Pontys und Lacans Subjektbegriff explizit zwischen verschiedenen sozialen Positionen unterscheiden, bleibt bis hierhin unklar, inwiefern sowohl die »visuellen Formationen« als auch die inkorporierten Wahrnehmungsschemata, Affekte und Erinnerungen nach Klassen- oder Geschlechtszugehörigkeit sowie professionellem Kontext differieren können. Eine solche Perspektive bietet Pierre Bourdieus praxeologische Habitustheorie. Ihr zufolge hängen die inkorporierten Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata der Akteure von den sozialen Daseinsbedingungen ihrer Primär- und Sekundärsozialisation ab. In Die feinen Unterschiede demonstriert er dies insbesondere anhand der Konsumentscheidungen und ästhetischen Präferenzen der sozialen Akteure. Dabei geht Bourdieu – ähnlich wie Merleau-Ponty – davon aus, dass sich zumindest ein Teil des »Habitus« des Akteurs durch die körperlich-praktische Gewöhnung an entsprechende Artefakte, Kunstgegenstände und Raumordnungen ausbildet. Insgesamt neigt er aber zu der soziologistischen Annahme, dass diese »manifesten« Dimensionen von Kultur nichts anderes als die »Verobjektivierungen« des Habitus der Eltern oder feldspezifischer Positionierungsstrategien sind. Bourdieu interpretiert die Dinge somit tendenziell als passive Medien einer vorgängigen sozialen Beziehung und geht folglich nicht der leibphänomenologischen Frage nach, wie sich die Wahrnehmungsschemata durch den Umgang mit den formalen Ordnungen der Umwelt herausbilden oder was tatsächlich im Sehakt geschieht. Aus Foucault’scher Sicht muss den Dingformationen jedoch eindeutig mehr Macht eingeräumt werden: Sie bilden nicht nur eine soziale Ordnung ab, sondern sind aktiv daran beteiligt,
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dass sich eine solche allererst herstellt oder transformiert. Um den Aspekt der sozialen Differenzierung von Wahrnehmungsformen in die Analyse mit einbeziehen zu können, muss den Aspekten der »kulturellen Materialität« sowie der Inkorporierung visueller Ordnungen mehr theoretisches Gewicht beigemessen werden, als es Bourdieu tut. Eine solche »materialistischere« Lesart des Habituskonzepts trägt in zweierlei Hinsicht dazu bei, Foucaults Dispositiv- und Subjektivierungsanalyse zu ergänzen: Erstens kann so bestimmt werden, inwiefern sich die formalen Merkmale der Dispositive – sprich: die Gestaltung und Aufteilung der Räume sowie der Formenkanon der Dinge – je nach sozialem Kontext unterscheiden. Zweitens lässt sich herausarbeiten, dass nicht nur der klassifizierende »Geschmack« von der sozialen Position des Akteurs abhängt, sondern auch das der Bewertung vorgelagerte »Gestalt-Sehen«. Auf Basis dieser drei theoretischen Ergänzungen – Merleau-Pontys Leibphänomenologie, Lacans strukturaler Psychoanalyse und Bourdieus praxeologischer Habitustheorie – lässt sich abschließend Foucaults Dispositiv- und Subjektkonzept um folgende drei Analysedimensionen erweitern. (1) Die »visuellen Formationen« des Dispositivs: In seinen Analysen soziokultureller Dispositive hatte Foucault vor allem drei Formen der »Fremdführung« mit unterschiedlicher Gewichtung miteinbezogen: erstens die quasi-materiellen, topologischen Formationen der (Bild-)Diskurse, die das Denk-, Sag- und Sichtbare einer Zeit vorzeichnen, zweitens die räumlich-architektonischen Verteilungs- und Überwachungstechnologien, die auf den Körper der Subjekte disziplinierend einwirken, sowie drittens die intersubjektiven Regierungstechnologien, die eher im Sinne einer indirekten Lenkung den Spielraum möglicher Handlungen begrenzen und strukturieren. Ergänzend dazu lassen sich nun auch die »visuellen Formationen« der Dinggestalten als eine eigenlogische Ordnungsdimension denken, die genauso wie die Diskurse, Raumstrukturen und intersubjektiven Regierungstechnologien zu den historisch spezifischen Daseinsbedingungen des Subjekts gehören. Denn vergleichbar mit den diskursiven Regelmäßigkeiten, die als »historisches Apriori« das Denk- und Sagbare konturieren, tragen die formalen Häufungen, Verteilungen und Relationen der materiellen Kultur – mit Lacan könnte man auch sagen: das vorherrschende »Tableau« – dazu bei, dass das Subjekt historisch und kulturell spezifische »Anschauungsformen« und Apperzeptionsweisen ausbildet, die es für bestimmte »Ansichten«, Gestalten und Ästhetiken sensibilisiert, während es potentiell gleichermaßen wahrnehmbare Elemente aus dem Sichtfeld ausklammert. Mit Blick auf Bourdieu ist dabei zu berücksichtigen, dass die visuellen Formationen einer Gesellschaft nicht homogen sind, sondern je nach feld- und klassenspezifischem Dispositiv variieren, sich überschneiden und aufeinander verweisen. (2) Implizites Wahrnehmungswissen: Während Foucault in seiner frühen archäologischen und mittleren machttheoretischen Phase noch von einem deterministischen Subjektmodell ausgeht, das weder den Vorgang der Inkorporierung noch die
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Persistenz eines einmal eingeübten Wahrnehmungsschemas berücksichtigt, entwickelt er in seinem Spätwerk das komplexere Konzept der Selbsttechnologien, das der wiederholten Einübung von Praktiken und der aktiven Ausbildung eines Selbstverhältnisses mehr Bedeutung beimisst. An diese Überlegungen anschließend wurde hier im Rekurs auf Merleau-Ponty und Lacan aufgezeigt, dass das Subjekt erst durch die anhaltende, leibliche Auseinandersetzung mit den visuellen Formationen seiner Welt eine kulturell spezifische »perzeptive Syntax« und ein »visuelles Unbewusstes« ausbildet. Dieses »implizite visuelle Wissen« hilft ihm einerseits dabei, die bildlichen Repräsentationen, gewohnten Dinggestalten und räumlichen Konstellationen auf den ersten Blick zu identifizieren. Andererseits bewirkt es, dass ihn bestimmten Gestalten und Bilder affizieren, abstoßen oder unberührt lassen. Sowohl der leibphänomenologische Begriff der »perzeptiven Syntax« als auch das psychoanalytische Konzept der »visuellen Erinnerungsspur« impliziert zudem, dass es sich bei den einmal inkorporierten Wahrnehmungsschemata um ein dauerhaftes Praxiswissen handelt. (3) Situative Wahrnehmungspraktiken: Neben den »äußeren«, visuellen Formationen auf der einen und dem impliziten Wahrnehmungswissen auf der anderen Seite ist herauszuarbeiten, welche Sehpraktiken das Subjekt in einem gegebenen Dispositiv tatsächlich ausführt. Ob und wie etwas angesehen wird, hängt dabei von mehreren Faktoren ab: erstens davon, wie viel perzeptiven Spielraum die jeweiligen dinglichen, räumlichen und (bild-)diskursiven Konstellationen zulassen, also ob das Sichtfeld, wie beispielsweise im Kino oder im Labor, rigide vorstrukturiert wird oder ob das Dispositiv auf ein relativ freies Umherschweifen der Blicke ausgerichtet ist, wie es etwa im Stadtraum, im Kaufhaus oder in einer Ausstellung der Fall ist. Wie dieses Zu-Sehen-Gegebene dem Subjekt erscheint, hängt zweitens davon ab, in welchem Maße sich die inkorporierten Wahrnehmungsschemata, die es durch die wiederholte, leibliche Auseinandersetzung mit den kulturspezifischen visuellen Formationen »seiner« Welt ausgebildet hat, mit den perzeptiven Anforderungen und Ästhetiken des aktuellen Dispositivs deckt. Diese Deckungsgleichheit entscheidet, ob das Subjekt in den ihm »fremden« Gestalten Bekanntes wiederzuerkennen und sich in das herrschende Tableau einzufügen vermag.3 Hierzu ist drittens von Bedeutung, welche soziale Position das Subjekt in dem jeweiligen intersubjek-
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Eine solche »befremdende« Inkongruenz von Wahrnehmungsschemata und Dispositiv wird insbesondere bei der Überschreitung von kulturellen Grenzen spürbar, etwa wenn sich der Geruch und die Ingredienzien einer exotischen Speise nicht identifizieren lassen. Mit Verweis auf Foucaults methodisches Prinzip des »Problematischwerdens« von Diskursen oder Regierungstechnologien ließe sich sogar behaupten, dass die Funktionsweise von Wahrnehmungsschemata erst in solchen interkulturellen Kollisionen evident wird.
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tiven und interobjektiven Praxiskontext innehat, welche Aufgaben es darin übernimmt und welche Wahrnehmungshaltung und »visuelle Selbstführung« es in Abhängigkeit von diesen »Fremdführungen« wählt. So kann sich die sinnliche Gestalt eines Ausstellungsexponats verändern, je nachdem ob es aus dem Blickwinkel des sonntäglichen Touristen, des traditionsbewussten Kustoden oder der wachsamen Aufsichtsperson betrachtet wird. Und ein Flaneur kann sich entschließen, die vielen verlockenden Angebote, die das Warenhaus für ihn bereithält, zu ignorieren, um stattdessen seinen Blick in dem Schauspiel der anonymen Masse zu verlieren. Zusammenfassend lassen sich die Dispositive somit als mehr oder weniger durchlässige Handlungsräume verstehen, deren formale Ordnungen bestimmte Wahrnehmungsweisen und Affekte eher wahrscheinlich machen als andere. Wie die Subjekte auf diese visuellen, räumlichen und dinglichen Ordnungen reagieren, hängt dabei einerseits von ihrem impliziten Wahrnehmungswissen ab und andererseits von den »Selbstführungen«, die sie in der gegebenen Situation praktizieren. Für sie besteht stets die Möglichkeit, »anders zu sehen«, als es das Dispositiv vorsieht.4
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Die kritische Praxis als Kunst, »nicht dermaßen regiert zu werden« (WK: 12), kann also bereits auf der Ebene der Wahrnehmung ausgeübt werden. Zu der Möglichkeit eines solchen »produktiven Blicks« oder »sehenden Sehens«, das die etablierten Konventionen übersteigt, siehe auch Silverman 1996: 180ff. sowie Waldenfels 1999: 106ff.
Danksagung
Ohne die Unterstützung von vielen Seiten wäre die vorliegende Arbeit nicht entstanden. Zu Dank verpflichtet bin ich allererst Professor Andreas Reckwitz für das mir entgegengebrachte Vertrauen und den großen intellektuellen Freiraum. Er hat sich für mein Vorhaben von Anfang an offen gezeigt und mir den wertvollen Rat gegeben, mein Instrumentarium praxistheoretisch zu schärfen. An seinen Lehrstühlen, zunächst an der Universität Konstanz, dann an der Europa Universität Viadrina (Frankfurt/Oder), war ich seit Beginn der Promotion als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Besonderer Dank gilt zudem apl. Prof. Dr. Ulf Wuggenig, der mich während meines gesamten akademischen Werdegangs gefördert hat und mir stets auch mit freundschaftlichem Rat zur Seite stand. Ohne meine »Lehrjahre« an der Universität Lüneburg (heute: Leuphana), ohne die vielfältigen Anregungen, die ich in dem von ihm und Diethelm Stoller geleiteten Kunstraum empfangen habe, wäre mein Interesse an interdisziplinären Fragestellungen kaum geweckt worden. Auf meinen Kollegen und Freund Hilmar Schäfer konnte ich mich stets verlassen. Er war nicht nur ein unermüdlicher Gesprächspartner in praxistheoretischen Belangen, sondern hat mir auch geholfen, mich im universitären System zurechtzufinden. Zu meinen liebsten Mitstreiter/-innen im Universitätsalltag gehören zudem Mareike Clauss, der ich einen Großteil meiner filmischen Bildung verdanke, Hannes Krämer, der mir das Kreativitätsdispositiv erhellt hat, sowie Hanna Göbel, die mir in Sachen Wahrnehmung alternative Einblicke eröffnet hat. Meine Konstanzer Kolleg/-innen und Freund/-innen, Katrin Auspurg, Barbara Grimpe, Stefan Laube, Gregor Thomas, Yasemin Soytemel und Daniel Šuber haben mir den Start an der Universität und das Leben in der Kleinstadt erleichtert. Gabi Reichle und Sibylle Seiring danke ich für ihr umsichtiges Management, unterhaltsame Kaffeepausen und gute Laune. Tatkräftige Unterstützung habe ich zudem von meiner Familie erfahren – und das nicht nur in lebenspraktischer, sondern auch in fachlicher Hinsicht. Mein Vater
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Hans-Jürgen Prinz war mir in seiner intellektuellen Neugier stets ein Vorbild und zugleich ein unentbehrlicher Berater in philosophischen Fragen. Meiner Schwester Katharina danke ich für ausgiebige Telefonate, stilistische Strenge und für ihren Humor. Meine Mutter Marie-Luise hatte in jeder Krisensituation ein offenes Ohr für mich. Meinem Bruder Sebastian verdanke ich den Soundtrack, der für ein beschwingteres Schreiben sorgte. Und Susanne Jack ist es des Öfteren gelungen, mich mit ihrer freundschaftlichen Pragmatik auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Ebenso danke ich meinen lieben Freundinnen Meike Giebeler und Susanne Haubner, die mich in regelmäßigen Abständen an die frische Luft scheuchten, sowie Andreas Dröscher und Stefanie Krinninger für ihre gründliche Korrektur des Manuskripts. Zuletzt möchte ich mich bei Roger bedanken, für das schöne Coverbild mit den koreanischen Reisküchlein, für die Inspiration und die Zuwendung.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Diego Velázquez: Las Meninas (La Familia de Felipe IV), 1656 (Öl auf Leinwand), 316 × 276 cm, Prado, Madrid Foto: Giraudon/The Bridgeman Art Library Abbildung 2: Édouard Manet: Le Balcon, 1868/69 (Öl auf Leinwand), 170 × 124,5 cm, Musée d’Orsay, Paris Foto: Giraudon/The Bridgeman Art Library Abbildung 3: René Magritte: Perspective II. Le Balcon de Manet, 1950 (Öl auf Leinwand), 84 × 65 cm, Museum voor Schone Kunsten, Ghent © VG Bild-Kunst, Bonn 2013 Foto: Hugo Maertens/The Bridgeman Art Library Abbildung 4: Édouard Manet: Un bar au Folies-Bergère, 1881/82 (Öl auf Leinwand), 96 × 130 cm, The Courtauld Gallery, London Foto: Samuel Courtauld Trust/The Bridgeman Art Library Abbildung 5: Joseph Jastrow: Do you see a duck or a rabbit, or either?, 1899 Quelle: Jastrow, Joseph (1899): »The mind’s eye«, in: Popular Science Monthly, 54, S. 299-312, S. 312. Abbildung 6: Paul Cézanne: Montagne Sainte-Victoire, 1904-05 (Öl auf Leinwand), 54 × 73 cm, Fondation Beyeler, Basel Foto: Giraudon/The Bridgeman Art Library Abbildung 7: Jacques Lacans »Schema L« Quelle: Lacan, Jacques (1973): Das Seminar über E. A. Poes »Der entwendete Brief«, in: ders.: Schriften. Band 1, Olten [u.a.]: Walter, S. 7-60, S. 53.
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Abbildung 8: Jacques Lacans »Dreiecksschema« Quelle: Lacan, Jacques (1987): Das Seminar. Buch 11. Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Weinheim [u.a.]: Quadriga, S. 97 und 112. Abbildung 9: Hans Holbein der Jüngere: Double Portrait of Jean de Dinteville and Georges de Selve (The Ambassadors), 1533 (Öl auf Holz), 206 cm × 209 cm, National Gallery, London Foto: User: Dcoetzee [Public domain], via Wikimedia Commons Abbildung 10: Hans Holbein der Jüngere: Double Portrait of Jean de Dinteville and Georges de Selve (The Ambassadors), 1533 (Öl auf Holz), 206 cm × 209 cm, National Gallery, London (Detail) Foto: Thomas Shahan [Public domain], via Wikimedia Commons Abbildung 11: Michelangelo Merisi da Caravaggio: Morte della Vergine, 1604 (Öl auf Leinwand), 369 × 245 cm, Louvre, Paris Foto: The Bridgeman Art Library Abbildung 12: Michelangelo Merisi da Caravaggio: Fanciullo con canestro di frutta, 1592 (Öl auf Leinwand), 70 × 67 cm, Galleria Borghese, Rom Foto: Giraudon/The Bridgeman Art Library Abbildung 13: Michelangelo Merisi da Caravaggio: Bacchino malato, 1593/94 (Öl auf Leinwand), 67 × 53 cm, Galleria Borghese, Rom Foto: Giraudon/The Bridgeman Art Library
Siglen- und Literaturverzeichnis
1. 2. 3. 4. 5.
Michel Foucault | 347 Maurice Merleau-Ponty | 352 Jacques Lacan | 353 Pierre Bourdieu | 353 Weitere Autoren | 355
1. M ICHEL F OUCAULT Schriften, Band 1 Foucault, Michel (2001): Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Band 1: 19541969, hg. von Defert, Daniel/ Ewald, François/ Lagrange, Jacques, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. (Im Folgenden: Schriften, Band 1). DE1/0: Defert, Daniel/ Ewald, François/ Lagrange, Jacques (2001): »Zeittafel«, in: Schriften, Band 1, S. 15-105. DE1/1: Foucault, Michel (2001 [1954]): »Einführung (in: Binswanger, L., Traum und Existenz)«, in: Schriften, Band 1, S. 107-174. DE1/5: Foucault, Michel (2001 [1961]): »Der Wahnsinn existiert nur in einer Gesellschaft [Gespräch mit J.-P. Weber]«, in: Schriften, Band 1, S. 234-237. DE1/10: Foucault, Michel (2001 [1962]): »Sagen und Sehen bei Raymond Roussel«, in: Schriften, Band 1, S. 284-297. DE1/13: Foucault, Michel (2001 [1963]): »Vorrede zur Überschreitung«, in: Schriften, Band 1, S. 320-342. DE1/22: Foucault, Michel (2001 [1964]): »Diskussion über den Roman«, in: Schriften, Band 1, S. 434-449. DE1/32: Foucault, Michel (2001 [1965]): »Die Hoffräulein«, in: Schriften, Band 1, S. 603-621. DE1/34: Foucault, Michel (2001 [1966]): »Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge (Gespräch mit R. Bellour)«, in: Schriften, Band 1, S. 644-652.
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DE1/37: Foucault, Michel (2001 [1966]): »Gespräch mit Madeleine Chapsal«, in: Schriften, Band 1, S. 664-670. DE1/39: Foucault, Michel (2001 [1966]): »Ist der Mensch tot? (Gespräch mit C. Bonnefoy)«, in: Schriften, Band 1, S. 697-703. DE1/48: Foucault, Michel (2001 [1967]): »Über verschiedene Arten, Geschichte zu schreiben (Gespräch mit R. Bellour)«, in: Schriften, Band 1, S. 750-769. DE1/51: Foucault, Michel (2001 [1967]): »Worte und Bilder«, in: Schriften, Band 1, S. 794-797. DE1/53: Foucault, Michel (2001 [1968]): »Dies ist keine Pfeife«, in: Schriften, Band 1, S. 812-830. DE1/55: Foucault, Michel (2001 [1968]): »Foucault antwortet Sartre (Gespräch mit J.-P. Elkabbach)«, in: Schriften, Band 1, S. 845-853. DE1/58: Foucault, Michel (2001 [1968]): »Antwort auf eine Frage«, in: Schriften, Band 1, S. 859-886. DE1/66: Foucault, Michel (2001 [1969]): »Michel Foucault erklärt sein jüngstes Buch«, Schriften, Band 1, S. 980-991. DE1/68: Foucault, Michel (2001 [1969]): »Die Geburt einer Welt (Gespräch mit J.-M. Palmier)«, Schriften, Band 1, S. 999-1003. DE1/69: Foucault, Michel (2001 [1969]): »Was ist ein Autor?«, in: Schriften, Band 1, S. 1003-1041. Schriften, Band 2 Foucault, Michel (2002): Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Band 2: 19701975, hg. von Defert, Daniel/ Ewald, François/ Lagrange, Jacques, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. (Im Folgenden: Schriften, Band 2). DE2/82: Foucault, Michel (2002 [1970]): »Wahnsinn, Literatur, Gesellschaft«, in: Schriften, Band 2, S. 129-156. DE2/84: Foucault, Michel (2002 [1971]): »Nietzsche, Genealogie, die Historie«, in: Schriften, Band 2, S. 166-191. DE2/95: Foucault, Michel (2002 [1971]): »Ein Problem interessiert mich seit langem: das Problem des Strafsystems«, in: Schriften, Band 2, S. 250-255. DE2/102: Foucault, Michel (2002 [1972]): »Mein Körper, dieses Papier, dieses Feuer«, in: Schriften, Band 2, S. 300-331. DE2/118: Foucault, Michel (2002 [1973]): »Die Kraft zu fliehen«, in: Schriften, Band 2, S. 499-504 DE2/119: Foucault, Michel (2002 [1973]): »Von der Archäologie zur Dynastik«, in: Schriften, Band 2, S. 504-518. DE2/131: Foucault, Michel (2002 [1973]): »Die Strafgesellschaft«, in: Schriften, Band 2, S. 568-585. DE2/135: Foucault, Michel (2002 [1974]): »(Über D. Byzantios) (Ausstellung)«, in: Schriften, Band 2, S. 644-647.
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DE2/136: Foucault, Michel (2002 [1974]): »Gefängnisse und Anstalten im Mechanismus der Macht«, in: Schriften, Band 2, S. 648-653. DE2/139: Foucault, Michel (2002 [1974]): »Die Wahrheit und die juristischen Formen«, in: Schriften, Band 2, S. 669-792. DE2/143: Foucault, Michel (2002 [1974]): »Die psychiatrische Macht«, in: Schriften, Band 2, S. 829-843. DE2/150 Foucault, Michel (2002 [1975]): »Die photogene Malerei (Präsentation)«, in: Schriften, Band 2, 871-882. DE2/156: Foucault, Michel (2002 [1975]): »Gespräch über das Gefängnis; das Buch und seine Methode«, in: Schriften, Band 2, S. 913-932. DE2/157: Foucault, Michel (2002 [1975]): »Macht und Körper«, in: Schriften, Band 2, S. 932-941. DE2/160: Foucault, Michel (2002 [1975]): »Irrenanstalten. Sexualität. Gefängnisse«, in: Schriften, Band 2, S. 955-970. DE2/163: Foucault, Michel (2002 [1975]): »Michel Foucault. Die Antworten des Philosophen«, in: Schriften, Band 2, S. 1001-1018. Schriften, Band 3 Foucault, Michel (2003): Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Band 3: 19761979, hg. von Defert, Daniel/ Ewald, François/ Lagrange, Jacques, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. (Im Folgenden: Schriften, Band 3). DE3/168: Foucault, Michel (2003 [1976]): »Die Gesundheitspolitik im 18. Jahrhundert«, in: Schriften, Band 3, S. 19-37. DE3/169: Foucault, Michel (2003 [1976]): »Fragen an Michel Foucault zur Geographie (Gespräch)«, in: Schriften, Band 3, S. 38-54. DE3/175: Foucault, Michel (2003 [1976]): »Michel Foucault, die Ungesetzlichkeit und die Kunst des Strafens (Gespräch)«, in: Schriften, Band 3, S. 115-118. DE3/192: Foucault, Michel (2003 [1977]): »Gespräch mit Michel Foucault«, in: Schriften, Band 3, S. 186-213. DE3/195: Foucault, Michel (2003 [1977]): »Das Auge und die Macht (Gespräch)«, in: Schriften, Band 3, S. 250-271. DE3/197: Foucault, Michel (2003 [1977]): »Die Machtverhältnisse gehen in das Innere der Körper über (Gespräch)«, in: Schriften, Band 3, S. 272-298. DE3/ 203: Foucault, Michel (2003 [1977]): »Präsentation (Präsentation einer Ausstellung des Malers Maxime Defert)«, in: Schriften, Band 3, 362-363. DE3/206: Foucault, Michel (2003 [1977]): »Das Spiel des Michel Foucault (Gespräch)«, in: Schriften, Band 3, S. 391-429. DE3/218: Foucault, Michel (2003 [1977]): »Mächte und Strategien (Gespräch)«, in: Schriften, Band 3, S. 538-550. DE3/220: Foucault, Michel (2003 [1978]): »Die Entwicklung des Begriffs des ›gefährlichen Menschen‹ in der forensischen Psychiatrie des 19. Jahrhunderts«, in: Schriften, Band 3, S. 568-594.
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DE3/234: Foucault, Michel (2003 [1978]): »Die Bühne der Philosophie (Gespräch)«, in: Schriften, Band 3, S. 718-747. DE3/239: Foucault, Michel (2003 [1978]): »Die ›Gouvernementalität‹ (Vortrag)«, in: Schriften, Band 3, S. 796-823. Schriften, Band 4 Foucault, Michel (2005): Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Band 4: 19801988, hg. von Defert, Daniel/ Ewald, François/ Lagrange, Jacques, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. (Im Folgenden: Schriften, Band 4). DE4/281: Foucault, Michel (2005 [1980]): »Gespräch mit Ducio Trombadori«, in: Schriften, Band 4, S. 51-119. DE4/299: Foucault, Michel (2005 [1981]): »Lacan, der ›Befreier‹ der Psychoanalyse«, in: Schriften, Band 4, S. 248-249. DE4/304: Foucault, Michel (2005 [1981]): »Subjektivität und Wahrheit«, in: Schriften, Band 4, S. 258-264. DE4/306: Foucault, Michel (2005 [1982]): »Subjekt und Macht«, in: Schriften, Band 4, S. 269-294 DE4/307: Foucault, M. (2005 [1982]). »Denken, Fühlen«, in: Schriften, Band 4, 294-302. DE4/310: Foucault, Michel (2005 [1982]): »Raum, Wissen und Macht«, in: Schriften, Band 4, S. 324-302. DE4/326: Foucault, Michel (2005 [1983]): »Zur Genealogie der Ethik: Ein Überblick über die laufende Arbeit«, in: Schriften, Band 4, S. 461-498. DE4/330: Foucault, Michel (2005 [1983]): »Strukturalismus und Poststrukturalismus«, in: Schriften, Band 4, S. 521-555. DE4/339: Foucault, Michel (2005 [1984]): »Was ist Aufklärung?«, in: Schriften, Band 4, S. 687-707. DE4/344: Foucault, Michel (2005 [1984]): »Zur Genealogie der Ethik: Ein Überblick über die laufende Arbeit«, in: Schriften, Band 4, S. 747-776. DE4/345: Foucault, Michel (2005 [1984]): »Foucault«, in: Schriften, Band 4, S. 776-782. DE4/349: Foucault, Michel (2005 [1984]): »Interview mit Michel Foucault«, in: Schriften, Band 4, S. 807-823. DE4/350: Foucault, Michel (2005 [1984]): »Die Sorge um die Wahrheit«, in: Schriften, Band 4, S. 823-836. DE4/354: Foucault, Michel (2005 [1984]): »Die Rückkehr der Moral«, in: Schriften, Band 4, S. 859-873. DE4/357: Foucault, Michel (2005 [1984]): »Eine Ästhetik der Existenz«, in: Schriften, Band 4, S. 902-909. DE4/360: Foucault, Michel (2005 [1984]): »Von anderen Räumen«, in: Schriften, Band 4, S. 931-942.
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DE4/361: Foucault, Michel (2005 [1984]): »Das Leben: Die Erfahrung und die Wissenschaft«, in: Schriften, Band 4, S. 943-959. DE4/363: Foucault, Michel (2005 [1984]): »Technologien des Selbst«, in: Schriften, Band 4, S. 966-999. Monographien AN: Foucault, Michel (2003 [1999]): Die Anormalen. Vorlesungen am Collège de France (1974-1975), Frankfurt a.M.: Suhrkamp. AW: Foucault, Michel (1981 [1969]): Archäologie des Wissens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. GG1: Foucault, Michel (2004 [2004]): Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesung am Collège de France (19771978), Frankfurt a.M.: Suhrkamp. GG2: Foucault, Michel (2004 [2004]): Geschichte der Gouvernementalität II. Die Geburt der Biopolitik. Vorlesung am Collège de France (1978-1979), Frankfurt a.M.: Suhrkamp. GK: Foucault, Michel (1988 [1963]): Die Geburt der Klinik. eine Archäologie des ärztlichen Blicks, Frankfurt a.M.: Fischer. GL: Foucault, Michel (1989 [1984]): Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit, Band 2, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. HS: Foucault, Michel (2004 [2001]): Hermeneutik des Subjekts. Vorlesungen am Collège de France (1981/82), Frankfurt a.M.: Suhrkamp. KA: Foucault, Michel (2010 [2008]): Einführung in Kants Anthropologie, Berlin: Suhrkamp. MM: Foucault, Michel (1999 [1989]): Die Malerei von Manet, Berlin: Merve. MP: Foucault, Michel (2005 [2003]): Die Macht der Psychiatrie. Vorlesung am Collège de France (1973-1974), Frankfurt a.M.: Suhrkamp. OD: Foucault, Michel (1974 [1966]): Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. ODis: Foucault, Michel (1991 [1971]): Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt a.M.: Fischer. RR: Foucault, Michel (1989 [1969]): Raymond Roussel, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. RS: Foucault, Michel (2009 [2008]): Die Regierung des Selbst und der anderen. Vorlesung am Collège de France (1982-1983), Frankfurt a.M.: Suhrkamp. SuS: Foucault, Michel (1989 [1984]): Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit, Band 3, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. ÜS: Foucault, Michel (1977 [1975]): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. VG: Foucault, Michel (2001 [1996]): In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France (1975-76), Frankfurt a.M.: Suhrkamp. WK: Foucault, Michel (1992 [1990]): Was ist Kritik?, Berlin: Merve.
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