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German Pages 302 Year 2018
Valentin Janda Die Praxis des Designs
| Band 8
Editorial Moderne Gesellschaften sind nur zu begreifen, wenn Technik und Körper konzeptuell einbezogen werden. Erst in diesen Materialitäten haben Handlungen einen festen Ort, gewinnen soziale Praktiken und Interaktionen an Dauer und Ausdehnung. Techniken und Körper hingegen ohne gesellschaftliche Praktiken zu beschreiben – seien es diejenigen des experimentellen Herstellens, des instrumentellen Handelns oder des spielerischen Umgangs –, bedeutete den Verzicht auf das sozialtheoretische Erbe von Marx bis Plessner und von Mead bis Foucault sowie den Verlust der kritischen Distanz zu Strategien der Kontrolle und Strukturen der Macht. Die biowissenschaftliche Technisierung des Körpers und die Computer-, Nano- und Netzrevolutionen des Technischen führen diese beiden materiellen Dimensionen des Sozialen nunmehr so eng zusammen, dass Körper und Technik als »sozio-organisch-technische« Hybrid-Konstellationen analysierbar werden. Damit gewinnt aber auch die Frage nach der modernen Gesellschaft an Kompliziertheit: die Grenzen des Sozialen ziehen sich quer durch die Trias Mensch – Tier – Maschine und müssen neu vermessen werden. Die Reihe Technik | Körper | Gesellschaft stellt Studien vor, die sich dieser Frage nach den neuen Grenzziehungen und Interaktionsgeflechten des Sozialen annähern. Sie machen dabei den technischen Wandel und die Wirkung hybrider Konstellationen, die Prozesse der Innovation und die Inszenierung der Beziehungen zwischen Technik und Gesellschaft und/oder Körper und Gesellschaft zum Thema und denken soziale Praktiken und die Materialitäten von Techniken und Körpern konsequent zusammen. Die Reihe wird herausgegeben von Gesa Lindemann und Werner Rammert.
Valentin Janda (Dr. phil.) forscht bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Er promovierte bei Werner Rammert und Ignacio Farias an der Technischen Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Design, Kreativität, digitalisierte Arbeit sowie Fragen der Usability und Interaktion mit Technik.
Valentin Janda
Die Praxis des Designs Zur Soziologie arrangierter Ungewissheiten
Zugl.: Berlin, Technische Universität, Dissertation, 2017 u. d. T. »Wort, Bild, Objekt – Trennungen und Rekombinationen im Design«
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Katharina Bullerdieck, Berlin, 2017 © Valentin Janda Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4413-5 PDF-ISBN 978-3-8394-4413-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Allen Theoretikern und Praktikern, vor allem aber allen Bastlern, Bricoleuren, Fricklern und Tüftlern, allen Heimwerkern, Handwerkern, allen Knaubern, Pfuschern, Codern, Murksern und Meistern, allen Schraubern, Hackern und allen Designern widme ich diese Arbeit.
Inhalt
Geleitwort | 11 Kapitel 1: Der doppelte Bedeutungsgewinn und die paradoxe Alltäglichkeit des Designs | 15 Kapitel 2: Diverse Perspektiven – Methoden und Analysen des Designs | 31
2.1 Die Verwissenschaftlichung und Reflexivierung der Designmethoden | 32 2.2 Anthropologische Designforschung – Fließende Übergänge zwischen Analysen und Methoden | 36 2.3 Analytische Perspektiven auf Design – Zeitdiagnosen versus Designpraxis | 38 2.4 Mikro-Studien von Designprozessen | 52 2.5 Anknüpfungspunkte für eine integrative Untersuchung von Design | 65 Kapitel 3: Epistemologie und Forschungsdesign – Die Pragmatik und Kombinatorik der Erforschung von Design | 71
3.1 Repräsentieren oder konstruieren – Die Ausgangspunkte empirischer Sozialforschung | 72 3.2 Forschungsdesign – Kluge Kombinationen statt absoluter Positionen | 81 3.3 Das Forschungsdesign der Labor- und Studio-Studien | 82 3.4 Die Kombination von Sichtweisen | 87 Kapitel 4: Konturen einer pragmatistischen Untersuchung von Design | 93
4.1 John Dewey – Die Vorordnung des Handelns als Grundannahme interaktionistischer Soziologie | 97 4.2 George Herbert Mead – Die Antizipation von Sinn und Zweck | 109 4.3 Die Produktion von Ungewissheit als Prozess | 120 4.4 Merkmale einer konzeptuellen Heuristik zur Untersuchung von Design | 129
Kapitel 5: Von einer Philosophie des Handelns zu den alltäglichen Problemen von Designarbeit – Zum Aufbau der empirischen Untersuchung | 133
5.1 Designforschung als ideales Setting zur Analyse eines Designprozesses | 133 5.2 Die Arbeitsmittel der Designerinnen– Eine induktive Kategorie als Leitmotiv der Forschung | 137 5.3 Prozessperspektive oder Detailanalyse – Der Aufbau der empirischen Argumentation | 137 Kapitel 6: Verständigung und Trennung – Bedeutungen und Wirkungen werden zerlegt | 141
6.1 Sequenz Nr. 1: Eine neue Mitarbeiterin und eine neue Aufgabe – Das Designprojekt beginnt | 141 6.2 Sequenz Nr. 2: Was tun eigentlich Touristen so? – Systematisches Sammeln, Ordnen und Verknüpfen im Brainstorming | 145 6.3 Sequenz Nr. 3: Entwürfe für eine bessere Orientierung – Die visuelle Demontage und Rekombination des Alltäglichen | 153 6.4 Sequenz Nr. 4: Mischen und Drucken – Modellbau in der Siebdruckwerkstatt | 169 6.5 Sequenz Nr. 5: Funktionieren die Funktionsmodelle? | 177 6.6 Trennung, Verständigung und Prüfung – Zusammenfassung des sechsten Kapitels | 183 Kapitel 7: Untersuchung und Bearbeitung – Bedeutungen und Wirkungen werden zugänglich | 191
7.1 Sequenz Nr. 6: Taschen auf links oder Knöpfe aus Stoff – Auf der Suche nach alternativen Wegen | 191 7.2 Sequenz Nr. 7: Der Prototyp – Ein Modell zur Prüfung und Bearbeitung vieler Ungewissheiten | 200 7.3 Sequenz Nr. 8: Das Designobjekt bekommt eine Gestalt – Differenzierung und Integration von Ungewissheit | 206 7.4 Sequenz Nr. 9: Integration zum Prototyp eines elektrischen Pullovers | 210 7.5 Zwecke werden zu Mitteln – Zusammenfassung des siebten Kapitels | 214
Kapitel 8: Rekombination und Finalisierung – Bedeutungen und Wirkungen werden stabilisiert | 219
8.1 Sequenz Nr. 10: Aus drei Objekten wird eins | 219 8.2 Sequenz Nr. 11: Die letzte Fehlersuche | 226 8.3 Das Ende der Entwurfs- und Konstruktionsarbeit – Zusammenfassung des achten Kapitels | 231 Kapitel 9: Dokumentation und Verbreitung – Bedeutungen und Wirkungen werden dokumentiert, eingepasst und interessant gemacht | 233
9.1 End- und Startpunkt zugleich – Der Fototermin des Designobjekts | 234 9.2 Erfahrungen und Perspektiven der Akteure des Designs | 237 9.3 Auf der Suche nach Anschluss und Verbreitung – Publikationen im Design | 238 9.4 Design als Unterrichtung | 245 9.5 Design auf der Suche nach Verbindungen | 248 Kapitel 10: Wort, Bild, Objekt – Die Trennungen und Rekombinationen von Bedeutung und Wirkung im Design | 253
10.1 Redesign der Welt oder Bastelei im Studio – Diskrepante Perspektiven auf Design | 254 10.2 Nutzer, Wirkung oder Ungewissheit als Explananda des Designs | 255 10.3 Trennung und Ungewissheit erlauben Rekombination und Neuheit | 257 10.4 Die zeitliche Prekarität des Designs – Aktuelle Stabilisierung künftiger Objekte | 267 10.5 Die vielfältigen Einbindungen und Bezugnahmen des Designs | 269 Kapitel 11: Ausblick – Perspektiven und Grenzen einer Soziologie des Designs | 271
11.1 Trennung und Rekombination findet stets in Bezug zu möglichen Innovationen statt | 272 11.2 Idealismus oder Sensibilität als Prinzipien des Umgangs mit dem unbeständigen Verhältnis von Zwecken und Mitteln | 275 11.3 Chancen des Designs zwischen idealistischem Weltentwerfen und ‚technologischen Monstern‘ | 278 Danksagung | 283 Literatur | 285
Geleitwort
Design ist ein Kind der Moderne. Zwar hat es funktionale Gestaltung und schöne Formgebung immer schon gegeben. Sie lebten in Handwerk und früher Ingenieurskunst wie auch in den verschiedenen Künsten. Sie zeigten sich in den wechselnden Stilen des Bauens, Bildens und Malens. Aber erst im letzten Jahrhundert entwickelte sich die Praxis des Designs als besonderer Bezirk des Handelns zwischen den Sphären von Kunst und Industrie. Mit der Bauhausbewegung wurden etwa Prinzipien rationaler, grafischer, farblicher und stofflicher Gestaltung für Bilder, Gebäude und Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs erforscht und erprobt. Es wurden Methoden eines funktionalen Designs entwickelt. Seither hat sich die Praxis des Designs auf fast alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausgeweitet: Nicht nur Mode, Möbel, Haushaltsgeräte, Fahrzeuge und Architektur stehen für die Bedeutung des Designs; gegenwärtig werden auch Websites, Interfaces und Plattformen im Internet, Abläufe in Organisationen, körperliche Proportionen sowie genetische Dispositionen zunehmend nach Designmethoden gestaltet. Design ist mit dieser Expansion seines Gegenstandsbereichs und seiner Selbstreflexion als eigenständiger Wissenschaft zu einer relevanten Praxis in der gegenwärtigen Innovationsgesellschaft geworden. Diesem ‚doppelten Bedeutungsgewinn‘ von Design, wie er sich in neueren Diskursen und Forschungen abzeichnet, geht Valentin Janda in diesem Buch genauer auf den Grund. Aus soziologischer Perspektive fragt er nach der ‚sozialen Realität‘ des Designs, wie sie nicht nur in Diskursen erscheint, sondern wie sie in der ‚alltäglichen Designarbeit‘ stattfindet. Er fragt, wie die neuen Ideen und Dinge aus dem ‚Designlabor‘ ihren Weg in die Welt finden. Er übersetzt die allgemeine Ausgangsfrage ‚Was ist Design?‘ im Laufe seines Forschungsprojekts schrittweise in die engeren Forschungsfragen ‚Wie wird Design tatsächlich gemacht?‘ und nach ersten teilnehmenden Beobachtungen im Feld ‚Mit welchen Arbeitsmitteln wird Design praktisch durchgeführt?‘.
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Mit seiner Untersuchung des ‚Doing Design‘ bezieht er sich auf Traditionen der Ethnografie in der Wissenschafts- und Technikforschung und speziell der älteren Labor- und neueren Studiostudien der internationalen Science and Technology Studies (STS). Dabei positioniert er sich markant und für das Feld innovativ als Erneuer einer ‚pragmatistischen‘ Analyseperspektive. Im tastenden Wechsel zwischen fokussierter theoretischer Reflexion der Konzepte und sequentiell strukturierter empirischer Rekonstruktion mehrerer Projekte und Phasen von Designarbeit im Labor an der Universität der Künste in Berlin kommt er zu einem originellen und über die bisher vorhandenen Ansätze hinausgehenden analytisch-theoretischen Konzept. Im Kern geht es beim Design – so seine zentrale These – um die künstliche Herstellung von ‚Ungewissheit‘ durch ‚Trennungen‘ von in ‚alltäglichen Zusammenhängen gewohnten Verbindungen von Mitteln (oftmals Geräte, Technik) und Zwecken (sinnvollen Handlungszielen)‘, um Raum für die Neuerung durch ‚die Rekombination von zuvor unverbundenen Mitteln und Zwecken‘ zu bekommen (S. 23). Das klingt abstrakt, wird aber durch die vielfältigen konkreten Beobachtungen Seite für Seite überzeugend konkretisiert. Dieses Buch leistet aus meiner Sicht einen originellen analytischen wie auch bemerkenswert konstruktiven Beitrag zu einer Soziologie des Designs, die sich allerdings erst in Ansätzen aus dem neu entstehenden interdisziplinären Forschungsfeld als eigene Perspektive herausbildet. Gegenüber den steilen Thesen einer gesellschafts- und zeitdiagnostischen Literatur zu ‚Design und Gesellschaft‘ zeichnet es sich durch ein dezidiertes Interesse an empirischer Detaillierung und theoretischer Differenzierung aus: Gegenüber der ‚symmetrischen Anthropologie‘ der Akteur-Netzwerk-Studien etwa entwickelt es eine differenziertere pragmatisch-interaktionistische Perspektive, welche das Wechselspiel von ‚Wirkungen‘ und ‚Bedeutungen‘ in die Analyse einschließt. Und über die beispielgebenden Labor- und Designstudien der Wissenschafts- und Technikforschung sowie der Kultursoziologie hinaus gelingt dem Autor mit dem neu rekonstruierten ‚pragmatistischen Standpunkt‘ eine vergleichsweise umfassendere theoretische und methodologische Rahmung der Design Studies. Damit bietet er eine höchst eigenständige Position im Theoriefeld und eine weiterführende Perspektive für die interdisziplinäre Designforschung an. Die Leser und Leserinnen des Buches können von Kapitel zu Kapitel deutlich argumentativ und durch Grafiken anschaulich nachverfolgen, wie der Verfasser in hartnäckiger, aber umsichtiger Auseinandersetzung mit Texten und Daten zu seinen Ergebnissen gelangt ist. Das Buch zeichnet nicht nur die Prozesse des ‚Doing Design‘ nach, sondern stellt seine eigene Forschung als ‚Doing Research on Design‘ dar!
Geleitwort | 13
Am Ende dieses langen, fein rekonstruierten Bogens eines Hin und Her zwischen Theorie und Empirie steht eine reichhaltigere, differenziertere und besser geprüfte Bestimmung von Design als besonderer Form sozialen Handelns: Die Praxis des Designs ist als sozio-technisches Handeln durch eine doppelte Beziehung gekennzeichnet, zum einen zu den technischen und materiellen Wirkzusammenhängen und zum anderen zu Bedeutungs- und Erwartungszusammenhängen. Konstruktiv weitergeführt und spezifiziert wird die von Hutter und Farias vertretene Auffassung von der Suche nach und dem Erschaffen von ‚förderlichen Ungewissheiten‘ für die Entstehung des Neuen: „Erst auf der Grundlage von Trennung, basierend auf den inhärenten Eigenschaften der Arbeitsmittel in ihrer Materialität und Visualität, wird die Komplexität eines Designprozesses begreifbar und verstehbar.“ (S. 259). Und erst in der zeitlich auseinandergezogenen Trennungsarbeit von eingeübten Zweck-Mittel-Zusammenhängen und der Rekombinationsarbeit von bekannten Mitteln mit neuen Zwecken sowie von erwünschten Zwecken mit neuen Mitteln wird die phasenweise und durch die Labormittel künstlich arrangierte Ungewissheit wieder in vorläufige Gewissheit transformiert. Es ist wohl der bedeutendste Beitrag dieser Studie zur Soziologie des Designs, theoretisch und empirisch die Muster und Mechanismen der Designarbeit detailliert und stimmig aufgezeigt zu haben. Dem Verfasser gelingt es mit der höchst anschaulichen und zugleich analytisch klaren Rekonstruktion der Sequenzen des Gestaltungsprozesses nicht nur zu zeigen, sondern auch zu erklären, wie sich designerisches Handeln praktisch vollzieht – und das noch zusätzlich in all seinen stofflichen, medialen, sinnhaften und zeitlichen Bezügen. Dieser für zukünftige Designforschung maßgebliche Beitrag wäre ohne eine weitere innovative Leistung nicht möglich gewesen: Der Verfasser hat aus einer Rekombination einzelner, ansonsten getrennter Theoriestücke des Pragmatismus von Dewey, Mead und Strauss einen pragmatistischen Theorierahmen entwickelt, der den konstruktiven Umgang mit den heterogenen Konzepten im Forschungsfeld erleichterte und die Integration der einzelnen Konzepte und Ergebnisse nach ihrer iterativen Prüfung erlaubte. In dieser Arbeit wurde nicht eine neue ‚Wende‘ ausgerufen, sondern vielmehr mit theoretischer und empirischer Sensibilität vorgeführt, wie die vielen proklamierten material-, medien- oder praxistheoretischen Wenden originell und mit Erkenntnisgewinn vollzogen werden können. Werner Rammert Berlin im Mai 2018
Kapitel 1: Der doppelte Bedeutungsgewinn und die paradoxe Alltäglichkeit des Designs
Design erfährt gegenwärtig einen enormen Bedeutungszuwachs. Diese Relevanzsteigerung hat zwei recht unterschiedliche Ursachen. Als selbstverständlich und unüberwindbar erscheinende Grenzen der Gestaltbarkeit werden überschritten, geteilte Annahmen über das, was als ‚machbar‘ gilt, erodieren, neue Möglichkeitsräume und Erwartungen entwickeln sich. Diese durch die Wissenschaft und Technik getriebene Entwicklung ist zu erläutern, bevor die Expansion des Begriffs Design in verschiedene, bisher nicht als ‚designbar‘ geltende Bereiche der Gesellschaft skizziert wird. Obschon wir aufgrund eines stabilen Fortschrittsglaubens wie selbstverständlich von einem beständigen Zuwachs der Gestaltungsmöglichkeiten ausgehen, übertreffen die Nachrichten über die Entwicklungen von Wissenschaft und Technik unsere Erwartungen doch immer wieder. Neuerdings erlaubt die sogenannte ‚Genschere‘ das Zerstören oder Einfügen von ganz bestimmten Gensequenzen in beliebige Organismen (vgl. Jinek, Chylinski, Fonfara, Hauer, Doudna, Charpentier 2012). Für den Laien klingt diese Methode wie ein ‚Copy und Paste‘ oder ‚Sampling‘ der Baupläne aller lebendigen Kreaturen. Die Unsichtbarkeit der Eingriffe mit der sogenannten Crispr Methode1 deutet jedoch nicht wie das ‚Copy und Paste‘ in Literatur, Musik und Kunst auf mögliche Urheberstreitigkeiten hin – vielmehr fließen die Grenzen zwischen Natur und Gestaltung ineinander, 1
Die Crispr Methode (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) ist eine biochemische Methode zum Schneiden und gezielten Verändern von Desoxyribonukleinsäure (DNA). Sie wurde 2012 erstmals von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna wissenschaftlich dokumentiert und von der Fachzeitschrift Science zum ‚Breackthrough of the Year 2015‘ erklärt (vgl. Jinek, Chylinski, Fonfara, Hauer, Doudna, Charpentier 2012; Travis 2015).
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ein einzelner Urheber2 ist nicht erkennbar. Während die Öffentlichkeit über den Sinn und die Ethik dieser neuen Grenzüberschreitung diskutiert, versuchen sich die ersten Wissenschaftler bereits im Redesign menschlicher Embryonen (vgl. Cyranoski, Readon 2015). Es sind aber nicht ‚nur‘ die bio-chemischen Bausteine von Mensch und Tier mit ihren zahllosen Mechanismen, die heute als vollkommen manipulierbar gelten. Auch den von vielen als frei verstandenen menschlichen Willen machen sich immer wieder neue Methoden der ‚Gestaltung‘ zum Gegenstand. Im Zuge der medialen Berichterstattung über eine Stellenausschreibung für drei Verhaltenspsychologen für die Arbeitsgruppe ‚Wirksam Regieren‘ der Bundesregierung stellte die Abgeordnete Britta Haßelmann eine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung, um zu erfahren, mit welchem Ziel und welchen Aufgaben diese neue Arbeitsgruppe betraut sei. Die wenig überraschende Antwort: die Wirksamkeit des Regierens solle erhöht werden und dafür sollen besonders wirksame Ansätze identifiziert werden (vgl. Deutscher Bundestag Drucksache 18/4856: 9). Sogenannte ‚Nudges‘ versprechen Menschen ein wenig in die Richtung zu ‚schubsen‘, in der man sie gerne hätte. Verschiedene Regierungen zeigen sich angetan in Erwartung dieser neuen Gestaltungsmöglichkeiten durch ‚Nudges‘ (vgl. Sueddeutsche 11/03/2015). ‚Nudging‘ wird im Design als ‚Design for Socially Responsible Behavior‘ bezeichnet, in seinem Rahmen sind Designer tätig, um dem Status Quo des Richtigen den möglicherweise entscheidenden Schubs zu geben (vgl. Tromp, Verbeek 2011: 8-12; Niedderer 2007). Der grenzenlos scheinenden Gestaltung der Körper und den entscheidenden Anstößen zum ‚richtigen‘ Verhalten können viele weitere Felder der Gestaltbarkeit zu Seite gestellt werden. Auch die Ökonomie scheint sich nicht mehr auf die Arbeit der ‚Invisible Hand‘ von Adam Smith zu verlassen. Unter dem Stichwort ‚Institutional Design‘ entwickelt sich eine Ökonomie eines als gestaltbar verstandenen Verhaltens (vgl. Bowles 2008). Das ‚Beijing Weather Modification Office‘ ist spätestens mit den Olympischen Spielen 2008 berühmt geworden, denn es sorgte für blauen Himmel über den Wettkampfstätten (vgl. The Independent 08/2010). Körper, Absichten, die Natur, die Liste der Gegenstände des Designs ist lang und reich an vielen interessanten Details. Von einer beständigen Vermehrung der Gestaltungsmöglichkeiten zu sprechen erscheint vor diesem Hintergrund durch2
Mit den weiblichen und männlichen Formen der für diese Arbeit wichtigen Menschen verhält es sich ähnlich, wie mit den verschiedenen Idealtypen von Geschlecht in der sozialen Realität. Sie werden zugeschrieben, abgeschüttelt, produziert und reproduziert und manchmal verwechselt. In diesem Sinne verteilen sie sich kontingent über die Subjekte dieses Textes.
Doppelter Bedeutungsgewinn und paradoxe Alltäglichkeit | 17
aus angemessen. Aus den beständig durch die Entwicklung von Wissenschaft und Technik gespeisten neuen Möglichkeiten resultiert der erste Teil des doppelten Bedeutungsgewinns von Design. Angetrieben durch beständig wachsende wissenschaftliche und technische Möglichkeiten erleben wir eine fortwährende Verschiebung der Grenzen des Möglichen – ein Ende dieser Entwicklung scheint nicht in Sicht.3 Der zweite Teil des Bedeutungsgewinns des Designs resultiert aus einer Veränderung der Disziplin selbst. In jüngerer Zeit sind es gerade die Methoden und Prinzipien der Designer, die in Bereichen der Gesellschaft an Relevanz gewinnen, die bisher mit Fragen des Designs unverbunden waren. Die Methoden und Episteme des Designs haben längst den Bereich der Gestaltung von Konsumgütern und Benutzeroberflächen verlassen. Unter dem Begriff ‚Design Thinking‘ gewinnen sie gegenwärtig an Relevanz in den Führungsebenen von Politik und Wirtschaft. Die Methode des Design Thinking verspricht es, die Balance zwischen individuellen und gesellschaftlichen Interessen zu suchen und zu finden. Design Thinking wird von seinen Vertretern als dritter Weg zwischen Gefühl, Inspiration und Intuition auf der einen Seite und Rationalität und Analyse auf der anderen Seite dargestellt. Design wird so zu einer zeitgemäßen Antwort auf die komplexen Probleme unserer Gegenwartsgesellschaft stilisiert. Folgt man den Argumenten weiter, so findet derjenige, der wie die Designer seit jeher das technisch Mögliche mit dem menschlich Gewünschten und dem wirtschaftlich Nötigen vermittelt, die besten Lösungen für Probleme aller Bereiche der Gesellschaft. So lautet das Versprechen des Design Thinking (vgl. Brown, Katz 2009: 10). Unter der genau genommen widersprüchlichen Bezeichnung Design Thinking expandieren die Denkweisen und Methoden der Designer in den letzten Jahren enorm, von Fragen der Materialität, Form und Funktion hin zu Fragen der Organisation ganzer Systeme, Prozesse, Interfaces bis hin zu Fragen der Erfahrungen und Beziehungen von Menschen (vgl. Stewart 2011: 517), die bisher von Ratio, Expertenwissen und Quantifizierung dominiert wurden.4 Die Unternehmensberatung ist aber nicht das einzige Feld, in dem Design heute zu einem Schlagwort geworden ist. Im Zuge der Akademisierung von Designmethoden zur Designforschung und Designwissenschaft entstehen auch 3
Selbst die ungewollten Folgen und Probleme dieser beständigen Entwicklung, seien sie ethischer, klimatischer oder sozialer Natur, sollen zumeist durch gestaltete Innovation handhabbar gemacht werden. Häufig werden diese als soziale oder gesellschaftliche Innovationen bezeichnet (vgl. Braun-Thürmann 2005: 25f.).
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Eine genaue Analyse der Praxis von Design Thinking anhand seiner zeitlichen, materiellen und kapitalistischen Situiertheit bietet Tim Seitz (2016).
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politische Texte, die Gesellschaftsdiagnosen wie auch Handlungsanweisungen für Designer der Gegenwart einschließen. Design wird von Friedrich von Borries als Ausweg aus der nahezu ausweglosen kapitalistischen, von Marx und Adorno beschriebenen, Verdinglichung des Menschen verstanden (vgl. Borries 2016: 17). Der Begriff der Gestaltbarkeit wird hier durch den Bezug auf den Begriff des Anthropozän von jeglichen Grenzen befreit, im Anthropozän ist alles gestaltbar (vgl. Borries 2016: 119ff.). Folgerichtig fällt die Ansprache an die Designer diesen Appell ernst zu nehmen deutlich, umfangreich und grundlegend aus. Borries endet mit dem Hinweis „Gutes Design entwirft die Welt“ (Borries 2016: 121ff.). Uns bleibt nur zu hoffen, dass die Designer wissen was sie tun. Diese Stilisierung des Designs zu einer neuen Methode des ‚Weltgestaltens‘ ist der zweite Teil des aktuellen Bedeutungsgewinns des Designs. Seine Kombination mit den wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen und vor allem mit den enormen Erwartungen an Design sind die Ursachen für die enorme Konjunktur des Sammelbegriffs Design. Weder die wachsenden Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik, die die Grenzen des Designbaren ständig verschieben, noch die Konjunktur und Mode des Begriffs Design sind unbedeutende Themen. Ihr unklares Verhältnis verspricht mehr als reichlich Material für den Forschenden. Design stellt sich für den Forscher als ebenso vielschichtiges wie vielversprechendes Forschungsfeld dar.5 Die Soziologie sucht die Antworten auf ihre Fragen, indem sie die soziale Realität beobachtet. Sie arbeitet stets empirisch und ist gleichzeitig bestrebt eine dialektische Beziehung zwischen der sozialen Realität und ihren konzeptuellen Verallgemeinerungen herzustellen. Die Erwartungen an und der Stellenwert von Design wurden kurz skizziert, wie aber sieht die soziale Realität des Designs aus? Wie werden die Grenzen des Gestaltbaren in der alltäglichen Designarbeit verschoben und wo liegen sie? Wie kommen die Designer auf die Ideen, die sonst keiner hat und wie finden diese Ideen den Weg aus dem Designlabor in die ganze Welt? Antworten auf diese gleichermaßen großen wie unsortierten Fragen suchte ich dort, wo Design gemacht wird. Die ersten Besuche in meinem Forschungsfeld, einem Designlabor der Universität der Künste (UDK) in Berlin, gaben auf diese Fragen keine Antworten – 5
Das begriffliche Verständnis von Design muss die Vielschichtigkeit der Tätigkeit ‚designen‘ wie auch ‚das Design‘ eines Objektes oder Prozesses als Einheit greifen können. Der hier zugrunde liegende Designbegriff ist in Anlehnung an das Phänomen selbst als breit, offen und anpassungsfähig zu verstehen. Treffende Ab- und Eingrenzungen des Begriffs Design finden sich bei Marc Rölli (2016) und Claude Lichtenstein (2016).
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im Gegenteil. Vielmehr entstand zwischen meinen durch die Literatur beflügelten Erwartungen und dem Alltag des Designs ein breiter Graben: Design zeigte sich in meinen Beobachtungen als alltägliche und wenig glamouröse Büro- und Bastelarbeit, durchgeführt von ganz normalen Menschen. In den folgenden Absätzen werde ich meine ersten Besuche im Feld und die damit einhergehende Irritation beschreiben, denn sie gaben der Anlage meiner Untersuchung einen entscheidenden Impuls. Die zahllosen Geschehnisse im Feld ließen sich zwar protokollieren, insgesamt aber fühlte ich mich in Hinsicht auf das Geschehen im Feld ratlos. Denn das Mit- und Nebeneinander von Personen, Arbeitsgegenständen und Tätigkeiten erschien mir verworren und undurchsichtig, vor allem weil das zu beobachtende Geschehen den Eindruck erweckte, als wechselten die Designerinnen häufig und sprunghaft ihre Absichten und Tätigkeiten. Während also die Zwecke und Mittel beständig variierten, blieb ich ratlos, welche längerfristigen Absichten von den Designerinnen überhaupt verfolgt wurden. Meine Irritation nahm bereits beim Kennenlernen der Räumlichkeiten des ‚Design Research Labs‘ (DRL) ihren Ausgang. Diese sind zum Teil ein Großraumbüro mit Computerarbeitsplätzen, gleichzeitig findet sich hier eine Werkstatt zur Bearbeitung von Textilien, Holz, Metall und Elektronik. Die Grenzen zwischen Büro und Werkstatt sind zwar durch eine räumliche Trennung manifestiert, die Bereiche mischen sich jedoch unentwegt. Neben einem Seminarraum und einer Bibliothek liegt in der Mitte der Räumlichkeiten als Eingangsbereich eine große Küche mit einer langen Tafel, einem Kaffeeautomaten und einer Schaukel6. Die Arbeitsstätte ist zu gleichen Teilen Büro und Werkstatt mit kleineren Anleihen einer Wohngemeinschaft – allerdings ist im DRL die Küche stets sehr aufgeräumt. In diesen Räumlichkeiten wandern beständig Akteure und mit ihnen die Gerätschaften, Materialien und Tätigkeiten zwischen den durch Glas geteilten Bereichen umher. Neben PC-Arbeitsplätzen finden sich diverse ‚Macbooks‘ sowie zahlreiche Papiere mit Skizzen auf den Tischen und an den Wänden. Materialien wie Stoff und Kabel sind allgegenwärtig, die Küche bietet dagegen einen wohlgeordneten Gegenpol. Zwar sind in dieser Designwerkstatt die Grenzen zwischen kommunikativ-administrativer Büroarbeit und handwerklicher Tätigkeit stärker verwischt als in den meisten mir bekannten Arbeitsbereichen, dennoch erschien mir alles was dort geschah sehr alltäglich – von küssenden Musen oder genialen Geistesblitzen fanden sich keinerlei Spuren. Im Gegenteil, ich sah mich konfrontiert mit einem endlosen Fluss aus gleichförmigen Tätigkeiten. Mir war es zunächst nicht einmal möglich, die parallel laufen6
Ob die Schaukel als gestalterisches Zitat an die Bar 25 erinnern soll, konnte ich nicht herausfinden.
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den Projekte der Designerin Kirsten voneinander zu unterscheiden oder auch nur bestimmte Tätigkeiten bestimmten Projekten zuzuordnen. Ich hatte keinen Durchblick, welchen Zwecken die mitunter sehr unterschiedlichen Tätigkeiten dienten. Während die Personen im Feld auf stets unterschiedliche Art und Weise aktiv, geradezu quirlig, in ganz unterschiedliche Tätigkeiten vertieft waren. Während und nach den Besuchen, vor allem aber beim Schreiben meiner Memos, gelang es mir nicht, das unübersichtliche Tun der Designerinnen mit meinen ersten explorativen Fragen zu verbinden. Diese waren zum Beispiel: Was ist Design? Was macht einen Designprozess aus? Was ist aus soziologischer Perspektive interessant am Design? Erst in der intensiven Auseinandersetzung mit den Feldnotizen, durch spätere Rekonstruktion und gezielte Nachfragen gelangen mir nach und nach Zuordnungen der Tätigkeiten zu zwei verschiedenen Projekten. Gleichzeitig schienen weitere Projekte in der Warteschleife auch eine gewisse Relevanz zu haben. So dauerte es eine Weile, bis ich im Feld meiner ethnografischen Untersuchung soweit ‚angekommen‘ war, dass ich die Vorgänge dort ihrem Sinn nach verstehen konnte. Dieser Irritation entsprang ein hilfreiches Schema zur Sortierung der Vorgänge im Feld. Dieses provisorische und in enger Auseinandersetzung mit den Phänomenen im Feld geborene grobe Ordnungsprinzip wurde im Weiteren hoch relevant für meine Untersuchung. Aus der Not entwickelte sich induktiv eine Untersuchungsheuristik. Das Problem meiner eigenen Verlorenheit im Feld führte in einer ersten intensiven Arbeitsphase mit dem Datenmaterial zu einer Heuristik für den Umgang mit den Daten. Ich versuchte die komplexe Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Arbeitsprozesse zu ordnen. Hierfür veränderte ich die Fragestellung von ‚Was ist Design?‘ zu ‚Womit wird hier designt?‘. Statt zu fragen, woran die Designerinnen arbeiteten, fragte ich nun: ‚Mit welchen Mitteln arbeiten die Designerinnen?‘ Diese Zuspitzung der Frage ist als eine Verschiebung der Untersuchungsheuristik zu verstehen. In der Folge wurden für mich ganz unterschiedliche Arbeitsmittel erkennbar: Der beständige, mitunter sprunghafte Wechsel zwischen Wort, Stift, Zeichnung, ‚Macbook‘, Model, Lötkolben usw. erschien nun nicht mehr als eine besondere Form von Unordnung und chaotischer Arbeitsorganisation, die durch eine genaue Beobachtung zu bereinigen wäre, sondern die Sprünge von Arbeitsmittel zu Arbeitsmittel ließen sich als Sprünge zwischen unterschiedlichen Formen der Artikulation und Kommunikation verstehen und damit als Kern der designerischen Tätigkeit. Es gab für mich kein dahinterliegendes Prinzip zu entdecken, denn der Wechsel selbst ist das Prinzip! Es wurde deutlich, dass es gerade diese quirlige Sprunghaftigkeit ist, die Design ausmacht. Die Wechselhaftigkeit der Tätigkeiten der Designerinnen war nicht ein Problem meiner Feldforschung, sie war der Kern von Design und damit das, wonach ich in meiner
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Forschung suchte. Es ist ein spezifisches Merkmal von Design beständig zwischen Worten, Bildern und Objekten hin- und herzuspringen, denn – das wurde mir während meiner Beobachtungen klar – mit jedem Sprung erzeugten sich die Designerinnen eine neue Perspektive auf ihre eigene Tätigkeit. Somit kann Design recht gut als ständiger Wechsel der Perspektiven beschrieben werden. Diese Perspektiven und damit der Wechsel zwischen ihnen sind gebunden an bestimmte Arbeitsmittel. Neben Diskussionen und Brainstormings zeichneten die Designerinnen häufig, allein oder auch zu zweit. Die Designerinnen klebten, nähten und programmierten aber auch. Immer wieder diskutierten sie miteinander, oft auch parallel zu anderen Tätigkeiten. Mein Blick auf Design veränderte sich durch die neue Untersuchungsheuristik wesentlich: Design erschien vor allem vielfältig, denn ganz unterschiedliche Dinge, Zeichen und Mittel wurden für diverse Tätigkeiten verwendet. An diesen ganz unterschiedlichen Arbeitsmitteln schienen ebenso vielfältige Perspektiven zu haften. Was die Designerinnen taten, war jedoch mehr oder weniger alltäglich und unspektakulär. Der vorläufige und unscharfe Begriff der Arbeitsmittel half, die mir zunächst entglittene Vielfalt der Arbeitspraxis wieder einzufangen. Arbeitsmittel konnten in Diskussionen Wörter sein, sie konnten in Entwurfssitzungen gemeinsame und individuelle Striche in einer Zeichnung sein oder es konnte die Farbe, der Programmcode oder das Kabel eines Funktionsmodells sein. Nie aber fand Design unvermittelt statt. Häufig, dazu komme ich noch im Detail, bezieht sich Design auch gerade auf die Gestaltung ebendieser Arbeitsmittel und nicht auf die Gestaltung des angestrebten Designobjektes. Das Design von Arbeitsmitteln ist als Wegbereitung zur Erreichung einer neuen Perspektive zentraler Bestandteil des Designprozesses. Diese Mittel des Designs stabilisierten sich in meiner weiteren Untersuchung und Analyse als zentrales Ordnungsprinzip meiner Beobachtung. Dieses Prinzip ermöglichte es mir, mit der Vielfalt und Gleichzeitigkeit der beobachteten Tätigkeiten umzugehen.7 Zweifellos hat die Annahme, dass im Design die Arbeitsmittel der Designer ihrer Arbeit eine gewisse Ordnung geben ihren Ursprung in der ethnografischen Beobachtung der Arbeit der Designerinnen selbst. Sie ist als induktive Annahme durch die Beobachtungen im Feld entstanden. Ebenso unzweifelhaft aber entsteht eine solche Idee nicht im luftleeren Raum, sie hat auch mit meinem Vorwissen und Interesse an Fragen von Agency, Materialität und Visualität zu tun, 7
Jede Fokussierung beinhaltet immer auch eine Abwendung von anderen Blickwinkeln. Machtprozesse oder Fragen der organisationalen Einbindung des Projektes in das DRL geraten, wie viele andere Fragen, in dieser Perspektive aus dem Blick.
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die wiederum aus der Lektüre techniksoziologischer-, pragmatistischer- und ANT-Literatur zu erklären ist. Auch ein Ethnograf ist auf diese Weise an bestimmte Sichtweisen gebunden, die von Haraway betonte Bedeutung der jeweiligen Sicht ist nicht auflösbar (vgl. Haraway 1988). Die scheinbar totale Gestaltbarkeit der Welt, die damit verbundene Konjunktur des Designbegriffs mit den schwindelerregenden Möglichkeiten des Designs, wie sie zum Teil in den Medien und der Literatur verhandelt werden einerseits und die alltäglichen, normalen und unaufregenden Tätigkeiten der Designer in ihren Büros andererseits, standen mir als großes und unzugängliches Paradox gegenüber. Meine Forschung geriet in eine Krise. Anfangs als rettender Strohhalm, später dann als gangbarer und vielversprechender Ausweg entstand aus dieser Krise die oben genannte induktive Kategorie der Arbeitsmittel. Fortan untersuchte ich nicht zuvorderst Design, ich untersuchte wie, d.h. mit welchen Arbeitsmitteln Design praktisch durchgeführt wurde. Design, so zeigte sich im Weiteren, ist stark an ganz verschiedene Arbeitsmittel gebunden, diese Mittel strukturieren den Prozess und erlauben eine Vielfalt von Perspektiven. Meine neue Sichtweise auf Design erlaubte es mir, das gleichermaßen verworrene wie alltägliche Tun der Designerinnen zu ordnen und auf eine spezifische Weise zu betrachten. Dennoch, der Graben zwischen den zwei Sichtweisen auf Design blieb tief und breit. Den einen gilt Design als omnipotente Verheißung, die Welt zum Besseren zu verändern, dem gegenüber steht das vielschichtige Treiben im Waschbetongehäuse der UDK am Landwehrkanal in Berlin mit seinen verschlungenen Problemen und alltäglichen Horizonten. Dieses Paradox wurde zu meiner spezifischen Sicht auf Design, aus dieser Sichtweise entwickelte sich im weiteren Verlauf meine spezifische Forschungsfrage, mein Zugang und Erkenntnisinteresse. Die Frage nach den Arbeitsmitteln als spezifische Sicht auf Design spitzte mein Forschungsinteresse zu und bringt eine bestimmte Fragestellung mit sich: Ich frage, wie wird Design tatsächlich gemacht? Welche Arbeitsmittel sind dabei aus welchen Gründen relevant? Wie machen die Designerinnen aus einem vagen Problem mit Hilfe von Skizzen, Diskussionen, Kabellagen, Platinen, Versprechungen und vielem mehr ein Designobjekt? Ich vertrete die These, dass die Diskussion um die Gestaltbarkeit der Welt und die daraus resultierende Verantwortung von Design und seinen Akteuren an Qualität gewänne, wenn mehr über die Möglichkeiten und Probleme, die Hindernisse und Abläufe tatsächlicher Gestaltung bekannt wäre. Die Designer könnten ihrer enormen Verantwortung besser nachkommen, wenn die Prozesse und tatsächlichen Möglichkeiten der Gestaltung im Design durch empirische Untersuchungen klar umrissen wären. Eine gründliche und systematische Beobachtung von Gestaltung verspricht deshalb mehr Erkenntnisse über die Möglichkei-
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ten der Gestaltung von Welt, als es das schnelle Herbeizitieren und die gut gemeinten Appelle an die Verantwortung der Designer mit Hilfe der unterschiedlichsten Philosophen und Gesellschaftstheoretiker leisten kann, wie es beispielsweise Borries unternimmt (vgl. Borries 2016). Womöglich hat die Gestaltung engere Grenzen als gedacht. Ich möchte einen Beitrag zur Diskussion um Design leisten, indem ich die Prozesse, die alltäglichen Handlungen und die verwendeten Wörter, Bilder und Objekte des Designs einer gründlichen pragmatistischen Analyse unterziehe. Aufbau, Verlauf und Ergebnisse meiner Untersuchung werden auf den nächsten Seiten zusammengefasst. Ich möchte jedoch vorwegnehmen, dass Design durch die Trennung von alltäglichen Handlungszusammenhängen gewohnte Verbindungen von Mitteln (oftmals Geräte, Technik) und Zwecken (sinnvolle Handlungsziele) ungewiss macht. Diese spezifische Ungewissheit erlaubt die Rekombination von zuvor unverbundenen Mitteln und Zwecken, so dass neue Handlungszusammenhänge Kontur bekommen.
AUFBAU UND ZUSAMMENFASSUNG DER ARGUMENTATION Meine Irritation erlaubt einen spezifischen Zugang zum Design und die Formulierung einer Forschungsfrage, doch eine wissenschaftliche Untersuchung profitiert davon den Stand der Forschung kritisch und konstruktiv zu sondieren und idealerweise darauf aufzubauen, dies geschieht im zweiten Kapitel. Zunächst lässt sich die Literatur zum Design in Analysen und Methoden unterscheiden. Die Methoden und ihre Geschichte sind recht jung. In ihrer etwa hundertjährigen Geschichte entwickeln sich die Methoden des Designs von einer ideologischen zu einer reflexiven und sensiblen Sicht auf ihren Gegenstand. Die Analysen des Designs dagegen sind stärker gespalten, zum einen gibt es einen Korpus an Literatur, der die Manipulierbarkeit der Welt und die dringende Notwendigkeit dieses beständigen ‚Redesigns‘ betont (vgl. Latour 2008; Borries 2016). Diese Literatur ist als zeit- und gesellschaftsdiagnostische Literatur für empirische Untersuchungen wenig anschlussfähig. Interessanter für diese Untersuchung sind die Ergebnisse verschiedener, zumeist ethnografischer Mikro-Studien von Design und Architektur. Da die Mikro-Studien des Designs aus der Wissenschaftsund Technikforschung hervorgegangen sind, ist es hilfreich, zunächst die wichtigsten Argumentationslinien der Wissenschafts- und Technikforschung nachzuziehen, denn sie sind ihr gemeinsamer Ausgangspunkt. Die soziale Konstruktion von Fakten und Artefakten, die Argumente der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) und weitere Konzepte sind die Hintergründe, vor denen verschiedene Forsche-
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rinnen kreative Arbeit in ganz unterschiedlichen Studios und Büros untersuchen. Auf der Grundlage der Wissenschafts- und Technikforschung lässt sich die recht junge Forschung zu Designprozessen sehr differenziert ordnen. So zeigen Woolgar und andere unmissverständlich, welche hohe Relevanz antizipativen und praktischen Bezügen auf den Nutzer in Designprozessen zukommt (vgl. Woolgar 1991A). Yaneva, Henderson, Houdart und andere zeigen sehr deutlich die Anteile von Werkzeugen, Skizzen, Modellen, Software und Orten an der Herstellung von neuen Designs und Gebäuden (vgl. Yaneva 2005; Henderson 1991; Houdart 2008 und 2016). Zuletzt wird im zweiten Kapitel auf einen kleinen, aber dennoch hoch relevanten Forschungsstand hingewiesen, der sich nicht recht auf die Konzepte der Wissenschafts- und Technikforschung zurückführen lässt. Hier ist es in erster Linie Farias, der zeigt, dass eine Dissonanz, verstanden als Vielfalt von Argumenten, Perspektiven und Alternativen, eine notwendige und dennoch zu bearbeitende Bedingung für Entwurfsentscheidungen in der Architektur ist (vgl. Farias 2013). Die Auseinandersetzung mit der vorhanden Literatur und Forschung zu Design erlaubt am Ende des zweiten Kapitels eine kurze und schematische Rekapitulation der wichtigsten Argumente in diesem Forschungsfeld: Der Nutzer, ob antizipativ oder praktisch, präsentiert sich als ein zentraler Referenzpunkt des Designs. Die Wirkungen und Beteiligungen, verstanden als Agency menschlicher und nicht-menschlicher Entitäten, zeigen sich als äußerst wirksam im Design. Ebenso erörtern einige wenige Texte zu Fragen von Ungewissheit und Dissonanz glaubhaft, dass im Design Ungewissheit ein produktives Element ist. Der Stand der Forschung impliziert sehr deutlich, dass der Nutzer, alle möglichen Entitäten und eine fortwährende Manipulation von Ungewissheit für Designprozesse entscheidend sind. Um die Frage wie Design gemacht wird zu beantworten, baue ich auf diese Ergebnisse auf. Unter Rekurs auf den Forschungsstand entwickle ich im dritten Kapitel einen epistemologischen Standpunkt und ein Forschungsdesign für diese Untersuchung. Die Einsicht, dass die Soziologie heute nicht mehr von Repräsentationen einer sozialen Wirklichkeit ausgehen kann, erschließt sich aus den kritischen epistemoligischen Positionen von Dewey, Haraway und Kalthoff (vgl. Dewey 2008; Haraway 1988; Kalthoff 2010). Für Dewey ist jede Praxis, auch die des empirischen Forschens, an die gleiche soziale Logik gebunden, die sie untersucht. Der Forscher kann diese Bindung nicht auflösen. Haraway teilt diese Annahme und empfiehlt den Forschenden vor diesem Hintergrund deshalb eine kluge Kombination verschiedener, aber immer subjektiver Sichtweisen, um ein gutes Bild vom Forschungsgegenstand zu erzeugen. Kalthoff erörtert wie stark sich die Wahl der Forschungsmethode auf die Forschungsergebnisse auswirkt und macht damit ein weiteres gewichtiges Argument gegen eine repräsentativis-
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tische Epistemologie. Was bleibt dem Forscher? Er ist darauf angewiesen eine kluge Kombination von Perspektiven zu entwickeln. Wie aber sieht ein Forschungsdesign aus, das klug verschiedene Sichtweisen kombiniert? Ich setze auf einen integrativen Umgang mit den Forschungsergebnissen, um Nutzer, Wirkung und Dissonanz, indem ich erstens eine Einzelfallstudie durchführe und dabei sensibel für die Ergebnisse des Forschungsstandes bin. Zweitens erlaubt ein pragmatistischer Standpunkt es eine konzeptuelle Klammer um den Forschungsstand und meine eigenen Ergebnisse zu setzen. So gehe ich über die Studien zu Design aus der Wissenschafts- und Technikforschung hinaus, indem ich einen Appell von Hirschauer ernst nehme: Ich enthemme das Verhältnis von Empirie und Theorie, auf diese Weise erweitere ich die Sichtweisen der MikroStudien von Design um eine dezidiert neue pragmatistische Perspektive (vgl. Hirschauer 2008). Eine Einzelfallstudie erlaubt unter den richtigen Voraussetzungen ein enorm genaues Bild eines Designprozesses zu zeichnen. Im vierten Kapitel wird die Wahl einer bestimmten theoretischen Sichtweise zunächst begründet, bevor ihre Inhalte recht genau erläutert werden. Dewey, Mead und Strauss sind als pragmatistisches Trio besonders geeignet, der theoretischen Sichtweise auf Design eine Form zu geben. In Mikro-Studien zu Design wird Ungewissheit oder Dissonanz als notwendige Bedingung von Design beschrieben, für Dewey ist Ungewissheit ganz allgemein eine notwendige Bedingung jedweden Handelns (vgl. Dewey 1929). Die Antizipation materieller und sozialer Zusammenhänge, wie in der Literatur zu Design besonders in Hinsicht auf den Nutzer beschrieben, ist als ‚Role-Taking‘ für Mead der zentrale Mechanismus sozialer Interaktion (vgl. Mead 1968). Die materielle Fundierung und der meist antizipative Umgang mit erwarteten und tatsächlichen Wirkungen der physischen Welt wird von Dewey beschrieben und von Mead in interaktionistische Begriffe gefasst, auch hier erweist sich der Pragmatismus als vollkommen anschlussfähig. Strauss erlaubt es schließlich, die Punktualität der designerischen Interaktionen zu bündeln, zu gruppieren und Design als organisierten Prozess zu verstehen (vgl. Strauss 1985 und 1993). Das vierte Kapitel stellt die theoretischen Konzepte von Dewey, Mead und Strauss vor, immer unter der Maßgabe mit Hilfe einer theoretischen Sichtweise eine Klammer um die Ergebnisse aus dem Stand der Forschung zu setzen. Das fünfte Kapitel leitet in die ethnografische Untersuchung ein. Der Aufbau der Untersuchung und ihr spezifischer Feldzugang werden erläutert. Design erscheint als besonders vielversprechendes Forschungsfeld, denn Design ermöglicht eine doppelte Perspektive. Durchweg ist Design selbst sozio-materielles Handeln, verfolgt dabei aber stets das Ziel, ein bestimmtes künftiges soziotechnisches Handeln zu stabilisieren. Design als Forschungsfeld ermöglicht
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deshalb einen spannenden doppelten Bezug auf die Frage nach der materiellen und visuellen Bedingtheit von Konstruktionshandeln. Aber Design im Rahmen der hier gewählten Designforschung ist nicht nur die Konstruktion von Designobjekten, Designforschung adressiert Geldgeber, die eigene wissenschaftliche Community, macht Lehre und in ihrem Rahmen entstehen Qualifikationsarbeiten. Diese Merkmale des Feldes müssen berücksichtigt werden. Neben dieser interessanten Vielfalt bietet Designforschung einen enormen Vorteil, denn Designforschung hat eine äußerst geringe Arbeitsteilung. In der Konsequenz können sehr unterschiedliche Tätigkeiten beobachtet werden, die jedoch alle von den gleichen Akteuren durch-geführt werden. Persönliche Merkmale oder ein wechselnder Kontext sind deshalb nicht relevant. Um die Arbeitsmittel im Design zu beobachten, ist diese geringe Arbeitsteilung sehr von Vorteil. Die ethnografische Beschreibung und ihre Theoretisierung folgen, eingeteilt in elf Sequenzen, in den nächsten drei Kapiteln. Jede Sequenz stellt einen längeren oder kürzeren Ausschnitt dar, ihre Reihenfolge ist chronologisch. Die elf Sequenzen haben jeweils eine kurze Einleitung, einen deskriptiven und einen konzeptuellen Teil. Diese Gliederung erlaubt den roten Faden des gesamten Prozesses mit Hilfe der chronologischen Ordnung im Blick zu behalten und gleichzeitig in den Sequenzen tief in die Details der Designarbeit einzutauchen. Kapitel sechs zeigt die ersten drei Sequenzen des Designprozesses. Hier arbeiten die Designerinnen ausschließlich symbolisch und visuell. Sie verwandeln die allgemeine und ungerichtete Unbestimmtheit in die spezifische Ungewissheit der Frage, was sie in ihrem Projekt gestalten werden. Sie beginnen, indem sie ein Repertoire an relevanten sozio-technischen Situationen definieren und bebildern, um sich im weiteren Verlauf an diesen zu orientieren. Sie kultivieren die Ungewissheit dieses Repertoires, indem sie die bekannten und alltäglichen Verwendungen der Objekte in Frage stellen und das ‚taken for Granted‘ des Alltags auflösen. Die verbliebenen Bestandteile der sozio-materiellen Konstellationen werden zu den Bausteinen neu entworfener Objektnutzungen. Der ausschließlich visuelle Vollzug dieser Trennungs- und Rekombinationsarbeit erlaubt es ihnen, spekulativ und frei mit potenziellen Sinnhaftigkeiten der Entwürfe umzugehen. Der Umgang und seine Manipulation sind frei, weil sie ohne Bezug auf ihre materielle Basis oder gar in ihre technischen Zusammenhänge rein visuell bleiben können. Design bearbeitet hier allein die Zwecke seines künftigen Objektes, um die materiell-technischen Mittel zu ihrer Erreichung kümmert es sich zunächst nicht. Mit der vierten und fünften Sequenz verschiebt sich der Fokus vom eher sinnorientierten Entwerfen hin zu einer modellhaften Fixierung bestimmter materieller Zusammenhänge zu technischen Funktionen. Anders als zuvor die unterschiedlichen Formen der Visualisierungen erlauben es
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nun die materiellen und eigens konstruierten Modelle, die Wirkzusammenhänge zu proben und zu stabilisieren – oder aber an ihrer Konstruktion zu scheitern. Im siebten Kapitel wird die mittlere Phase des Designprozesses beschrieben. Wie zuvor werden hier zunächst Fragen physikalisch-technischer Zusammenhänge getrennt von möglichen Sinn- und Nutzungshorizonten der Designobjekte bearbeitet. In Differenz zu frühen Phasen des Designprozesses wechseln nun die Verwendungen unterschiedlicher Arbeitsmittel wesentlich schneller, nicht zuletzt wird Design so als ein auf ein spezifisches Ziel hin gerichteter Arbeitsprozess beschreibbar. Die zuvor durch die Arbeitsmittel ermöglichte Trennung in unterschiedliche Teilfragen wird mit der Herstellung eines Prototyps zusammengeführt. Dabei fällt auf, dass erwartete Eigenschaften nur sehr kurz geprüft werden, unerwartete dagegen oft aufwändig und ausführlich. Je weiter der Prozess fortschreitet, desto mehr gehen die Bearbeitung und Prüfung verschiedener Wirkzusammenhänge ineinander über. Die Designerin Nora muss nun unentwegt die Ungewissheiten des Entwurfs und die Ungewissheiten seiner konstruktiven Stabilisierung zusammenbringen. Die neunte Sequenz zeigt einen Übergang. Verschiedene Wirkzusammenhänge des Prototyps sollen nun kombiniert und zentral steuerbar gemacht werden. Dieser Übergang fördert neue und dringend zu bearbeitende Probleme zu Tage, wie etwa die elektrischen Leiter und Verbraucher liegen, welcher Programmcode verwendet wird und vieles mehr muss nun festgelegt werden. Im achten Kapitel werden verschiedene kombinierte Zweck- und Mittelzusammenhänge zusammengeführt, denn nun soll der Prototyp durch das finale Designobjekt8 ersetzt werden. Die zehnte Sequenz deckt einen langen Zeitraum ab und zeigt, wie und warum viele verschiedene Arbeitsmittel in Form ganz unterschiedlicher Objekte nötig sind, um das finale Designobjekt zu gestalten. Es sind die schnellen Sprünge und Gleichzeitigkeiten der bildhaften und materiellen Arbeitsmittel, die erstens offenbaren, wie durch die Summe der an die Arbeitsmittel gebunden Perspektiven Ungewissheit bearbeitet werden kann. Zweitens zeigt sich, dass die Designerinnen um diese Eigenschaft der Arbeitsmittel wissen und reflexiv organisiert mit ihr verfahren. Die elfte Sequenz ähnelt der neunten, die Abläufe wiederholen sich, nun sind die Entscheidungen jedoch nicht mehr revidierbar. Nicht enden hingegen die Schleifen aus Annahmen, Prüfungen und Veränderungen aller Art, die auch hier wieder den größten Raum einnehmen – das Designobjekt ist fertig, die Arbeit an ihm könnte weiter andauern. 8
Objekte sind niemals final, sie können wieder und wieder geändert und umgenutzt werden. Das Designobjekt wird hier dennoch als final bezeichnet, da mit diesem Zustand dieser Designprozess sein Ende findet.
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Das achte Kapitel schließt mit einer ersten systematischen Rekapitulation der Ergebnisse. Dabei gelingt es, an den Stand der Forschung zum Stellenwert von Ungewissheit, der Wirkung verschiedener Entitäten im Design und der Bezugnahmen auf Nutzer anzuschließen. Die stets als Trennung und Rekombination bezeichnete Arbeit der Designerinnen ist eine jeweils spezifische Form der Erzeugung und Reduktion von Ungewissheit. Die Trennung von Objekten aus ihren selbstverständlichen Sinnzusammenhängen ist hierfür ein Beispiel. Die so erzeugte Ungewissheit erlaubt es, neue Rekombination zu finden und sich so neuer Objekte zu vergewissern. Ob mit Hilfe von Bildern, Skizzen, Modellen oder anderen Arbeitsmitteln, Trennungen und Rekombinationen werden immer durch die Wirkung verschiedener Arbeitsmittel vollzogen. Stets beziehen sich die Designerinnen dabei antizipativ auf bestimmte vergangene Erfahrungen und künftige Ziele, mal orientiert an physischen Wirkzusammenhängen, mal orientiert an erwarteten Sinnzusammenhängen. Das neunte Kapitel ist ebenfalls ein empirisches Kapitel, es entfernt sich jedoch von den sozio-materiellen Details der Designarbeit und zeigt, wie die Designerin Kirsten Anschlüsse an relevante Kontexte sucht. Während und nach dem Designprozess setzten die Designerinnen auf unterschiedliche Art und Weise verschiedene Momente ihrer Arbeit in Verbindung mit unterschiedlichen Feldern. Das professionelle Fotografieren des Designobjekts zeigt den Übergang von der kleinteiligen Stabilisierung des Designobjekts einerseits und der Suche nach Anschluss und Verbreitung in andere Kontexte mit Hilfe der Bilder des fertigen Designobjekts andererseits. Zwei distinkte Publikationsformen adressieren im Weiteren gezielt bestimmte Felder, so wird in einem Projektbericht das Designobjekt zu einer potenziellen Innovation stilisiert. In ihren wissenschaftlichen Publikationen betont die Designerin Kirsten dagegen die Wirkung und Entwicklung bestimmter Designmethoden und positioniert sich so als Designwissenschaftlerin. Ein wiederum anderes Feld, das Feld der universitären Lehre, bespielt die Designerin Kirsten unter anderem mit einer Übung, die vermittelt, wie die sozio-technischen Selbstverständlichkeiten des Alltags in Frage zu stellen sind. So kann eine konstruktive Trennung und mit ihr Ungewissheit erzeugt werden. Dies zeigt sich in der praxisorientierten Lehre an der Universität der Künste. Das neunte Kapitel zeigt, in welchen vielschichtigen Wechselbeziehungen die zunächst kleinteilig erscheinende Designarbeit im Designlabor steht und wie vielfältig die von den Designerinnen adressierten und antizipierten sozialen Zusammenhänge im Design tatsächlich sind. Im zehnten Kapitel wird die Empirie verdichtet, um eine konzeptuelle Rekapitulation und Zusammenführung der Forschungsergebnisse zu formulieren. Anders als die anfangs diskutierte zeit- und gesellschaftsdiagnostische Literatur
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zu Design vermuten lässt, zeigt sich Design in dieser Untersuchung als kleinteilige Bearbeitung der Zweck-Mittel-Beziehungen von wohlbekannten und neu entworfenen Objekten. Folgt man den Antizipationen über Nutzer, der Wirkung ganz unterschiedlicher Entitäten und der wechselhaften Ungewissheit durch den Designprozess, so stößt man auf die entscheidenden Merkmale von Design! Die jedem Alltagsobjekt innewohnenden Zweck-Mittel Beziehungen werden im Design in Frage gestellt und schließlich getrennt. Die Sinnhaftigkeit und die Wirksamkeit von Objekten werden kurzzeitig voneinander gelöst. Mittel verlieren ihre Zwecke, Zwecke sind ohne Mittel – eine spezifische Ungewissheit ist das gewünschte Resultat. Ungewiss ist sowohl die Bedeutung als auch die Wirkung in diesen kurzen aber entscheidenden Momenten. Durch die Rekombination von Mitteln mit anderen Zwecken entstehen neue, bisher unbekannte Zweck-Mittel Relationen. Die Oberfläche eines Pullovers wird beispielsweise zum Display einer Navigationsapp oder elektrisch leitendes Silbergarn wird zur Spule für einen Lautsprecher. Als Summe solcher neuen, aber auch altbekannten Zweck-Mittel Relationen ist das Designobjekt treffend beschrieben. ZweckMittel Relationen und die damit verbundenen Bedeutungen und Wirkungen von Objekten lassen sich zwar gestalten, jedoch nicht dauerhaft fixieren, da das Verhältnis von Mitteln und Zwecken im Handeln pro- und vor allem reproduziert werden muss. Design bleibt deshalb immer ein prekäres Unternehmen, ob seine Produkte die gewünschte Verbindung von Bedeutung und Wirkung behalten, entzieht sich der Macht der Designerinnen. Im elften und letzten Kapitel der Arbeit formuliere ich einen Ausblick. Im Design, darauf hatte ich eingangs hingewiesen, geschieht sehr viel zu gleich. Diese Gleichzeitigkeit ist hoch interessant für die Frage nach dem Verhältnis von Neuheit und Innovation, denn Neuheit, als neue Kombination und Innovation als Kontextualisierung und Verbreitung von Neuheit, treten im Design nicht chronologisch auf. An zahllosen Punkten im Designprozess werden die Modelle, Entwürfe, Argumente und Entscheidungen antizipativ auf künftige Kontexte des Designobjekts bezogen. Neuheit und Innovation führen im Design eine zeitliche Koexistenz. Die Innovation – obschon vollkommen offen ist, ob sie sich realisiert – ist im Handeln der Designerinnen immer schon gegenwärtig und wirksam. Wie auch der untersuchte Designprozess selbst, zeigen verschiedene Designmethoden einen spezifischen Umgang mit dem situationsabhängigen Verhältnis von Zwecken und Mitteln. Das Partizipative Design versucht diesem Grundproblem von Design zu begegnen, indem es sensibel, offen und integrativ eine Teilhabe an der Konfiguration von Mitteln und Zwecken ermöglicht. Klassische Designtheorien, wie das Bauhaus, problematisieren dagegen die Differenz zwischen Gestaltung und deren Wirkung nicht. Um der durch wissenschaftliche
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und technische Entwicklungen enorm wachsenden Gestaltbarkeit der Welt zu begegnen erscheint es ratsam Design sensibel und idealistisch zu betreiben.
Kapitel 2: Diverse Perspektiven – Methoden und Analysen des Designs
Neben den glamourösen Aussichten und riesigen Erwartungen an Design, der damit verbundenen Konjunktur des Begriffs Design und der irritierenden Alltäglichkeit ‚Design zu machen‘ gibt es ein breites Feld recht unterschiedlicher wissenschaftlicher Literatur zu Design. Eine gründliche Analyse untersucht den Stand der Literatur, ordnet ihn und baut für sich auf hilfreiche und gute Positionen auf, um mit der eigenen Arbeit nicht bei null, sondern auf den Schultern der Vorgänger zu starten. Diese Vorstellung, Ordnung und Aufnahme des Forschungsstandes wird hier, im zweiten Kapitel, unternommen. Die wachsende Relevanz des Designs zeigt sich auch in der Quantität der sozialwissenschaftlichen Literatur zum Thema. Die Forschungsfragen der Autoren sind dabei so verschieden, wie die Qualität der Texte selbst. Um diese Vielfalt zu ordnen, wird im Folgenden zwischen Analysen des Designs einerseits und Literatur zu den Methoden des Designs andererseits unterschieden. In der ersten Kategorie findet sich Literatur, die die Praxis von Design und Designern untersucht oder diese Personengruppe auf die eine oder andere Art und Weise zum Gegenstand einer Analyse erklärt. Auch Untersuchungen zur steigenden Relevanz von Design für die Gegenwartsgesellschaft fallen in diese Kategorie. Der zweite Teil der Perspektiven auf Design beschreibt, wie Design ‚richtig gemacht wird‘, was gutes Design von schlechtem Design unterscheidet und wie ein Designer vorgehen kann oder sollte. Analyse versus Methode ist somit das erste Ordnungsprinzip für die folgende Auseinandersetzung mit dem Stand der Forschung. Ich beginne mit den Methoden des Designs.
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2.1
DIE VERWISSENSCHAFTLICHUNG UND REFLEXIVIERUNG DER DESIGNMETHODEN
Wolfgang Jonas, Nigan Bayazit und Claudia Mareis untersuchen und reflektieren über die Geschichte und die Gegenwart des Designs. Mareis allerdings als Chronistin des Designs zu bezeichnen, greift zu kurz, da sie den gesellschaftlichen Kontext für die Entwicklung des Designs relevant macht (vgl. Mareis 2011) oder aber die Situation und die Bedeutung persönlicher und impliziter Wissensbestände gegenüber einer rationalistischen Perspektive auf Design betont (vgl. Mareis 2012). Der instruktive Aufsatz ‚Investigating Design‘ von Nigan Bayazit (2004) bietet sich aufgrund seiner klaren zeitlichen Ordnung und dem breiten Bezug auf die Designliteratur für eine Rekapitulation der Designgeschichte an. Seine Beschreibung reicht zeitlich weiter zurück als die Studien von Mareis, dabei fokussiert Bayazit stärker auf inner-disziplinäre Diskurse, anstatt wie Mareis, die Entwicklung der Disziplin selbst durch externe Faktoren zu erklären. Wolfgang Jonas ordnet die innerdisziplinären Diskurse, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Verwissenschaftlichung von Design (vgl. Jonas 2001 und Jonas 2007). Die Geschichte des Designs ist recht kurz, sie reicht nur bis ins letzte Jahrhundert zurück.9 Buckminster Fuller und sein Streben ‚Design Science‘ zu entwickeln mit dem Ziel, „maximum human advantage from minimal use of energy and materials“ zu gewinnen (Bayazit 2004: 17), wie auch die in Folge der Machtübergabe an Hitler aufgelöste und fortan sehr verstreute Bewegung des Bauhaus, sollten als die ersten systematischen Designmethoden verstanden werden (vgl. Bayazit 2004: 17). Es existieren jeweils sehr genaue Prinzipien der Gestaltung, die im Fall des Bauhaus mit seiner ganzheitlichen Weltanschauung und Ausbildung ebenso ganzheitlich gelehrt wurden und bis heute enormen Einfluss ausüben. Es ist sicher treffend, hier von Methoden des Designs zu sprechen, da diese funktionalistischen Methoden explizite Prinzipien des Designs formulieren, die den Nutzer und die tatsächlichen Folgen ihrer Gestaltung jedoch nicht in die Reflexion einbeziehen. Der Designer als Meister verleiht den Objekten ihre Gestalt, er handelt dabei in seinem Sinne für den Nutzer. Prinzipiell soll der Nutzer von der Qualität des Designs profitieren, dessen Klarheit und Transparenz soll sich auf ihn übertragen. Dass der Nutzer dabei durchaus nicht als
9
Die Unterscheidungen von Designmethodologie und Designwissenschaft werde ich an dieser Stelle nicht im Detail diskutieren, sondern gemeinsam betrachten. Siehe hierzu ebenfalls Bayazit (2004) und Jonas (2007: 191).
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Orientierungspunkt, sondern mitunter als Störfaktor wahrgenommen wurde, ist dokumentiert. Kevin Slavin schreibt hierzu über Ludwig Mies van der Rohe:10 „Mies understood that the geometry of his building would be perfect until people got involved. Once people moved in, they would be putting ornamental things along the window sills, they would be hanging all different kinds of curtains, and it would destroy the geometry. So there are no window sills; there is no place for you to put plants on the window. He supplied every single office with curtains, and the curtains are exactly the same. And he supplied every window with venetian blinds, and the blinds open all the way or close all the way, or they stop halfway – those are the only places you can stop them, because he did not want venetian blinds everywhere or blinds set at angles.“ (Slavin 2016)
Der Umgang mit den Nutzern kann hier als typisch modernistisch bezeichnet werden, sie haben keine eigene Stimme oder Gestaltungsmöglichkeit. 11 Dennoch sollen die Prinzipien von Klarheit und Offenheit dem Wohl der Nutzer dienen. Rationalität und Klarheit des Designs sollten sich in der Lebensführung der Nutzer und Bewohner des Bauhausdesigns widerspiegeln. Ab den 1960er Jahren wird diese Zentrierung um den Designer jedoch in Frage gestellt, deshalb durchläuft das Design in den 1960er Jahren eine gründliche Veränderung. Im Zuge der ersten internationalen Konferenzen von Designern entsteht eine neue Bewegung, das ‚Design Methods Movement‘. Sie folgt einem anderen Prinzip als das Bauhaus. Das Design sensibilisierte sich für Probleme und Anliegen der Menschen und begann davon ausgehend gesellschaftliche Ursachen ebendieser Problem mit in das Design einzuschließen: „Due to technological developments and the implications of mass production, interest had to be shifted from hardware to the consideration of human needs. This required a new look at the subject of design methods.“ (Newport, Trueman 1999 zitiert nach Bayazit 2004: 18)
In dieser Phase entstanden aus der Systematisierung individueller Designmethoden Kreativitätstechniken, die meist darauf zielten, rationale Entscheidungen, vor allem aber rationale Kriterien für Entscheidungen, zu entwickeln (vgl. Baya10 Mies van der Rohe war seit 1930 Direktor des Bauhauses in Dessau, Ende der 1930er Jahre immigrierte er in die Vereinigten Staaten. 11 Im Rahmen dieses Kapitels ist es nicht möglich, die Qualität der Bauhausarchitektur und des Bauhausdesigns zu diskutieren oder zu kritisieren. Wichtig, im Sinne der Argumentation, ist die Rolle des Nutzers, hieran lässt sich besonders gut der Kontrast zu den jüngeren Methoden des Designs zeigen.
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zit 2004: 19). Diese Phase des Designs ist durch eine wissenschaftspositivistische Rationalisierung des Designs gekennzeichnet. Design strebte danach, sich selbst zur Wissenschaft zu machen. Konkrete Problemfälle der Lebenswelt, Methoden und die Verarbeitung von Daten rückten an die Stelle von Idealen und Prinzipien des Designs. Gleichzeitig wich das Interesse für die Produkte des Designs einem Interesse für den Prozess des Designs. Der wissenschaftliche Positivismus, nicht aber das Interesse für die die Unordnung und Problemlagen seines Wirkungsfeldes, verließ das Design wieder mit der nachfolgenden Welle der ‚Second-Generation of Design Methods‘ (vgl. Bayazit 2004: 21f.). Von größter Bedeutung ist der Organisationstheoretiker und spätere Nobelpreisgewinner Herbert Simon, ihm zu Folge gibt es gerade im Design eine besondere Art von Problemen, da jede der Lösungen wieder neue Probleme aufwirft, die wiederum gelöst werden müssen (vgl. Bayazit 2004: 21). Der Mathematiker, Physiker und Designtheoretiker Horst Rittel gehört neben Simon zu den ersten Theoretikern, die den zu der Zeit vorherrschenden Positivismus des Designs kritisierten (vgl. Rittel 2012). Design, so Rittel, sollte sich in der Folge dieser Erkenntnis ‚complex Real-World Problems‘ verschreiben (vgl. Bayazit 2004: 21). Damit einher geht eine Kritik, an der im Zuge des ‚Design Methods Movements‘ entstandenen Akademisierung der Disziplin. Die Karriere von Rittel vergegenwärtigt das Ende des Wissenschaftspositivismus auf hoch originelle Weise. Wolf Reuter schreibt im Vorwort über Rittels Karriere, dass dieser an die Hochschule für Gestaltung Ulm geholt wurde, um in der Hochzeit der modernistischen Designtheorie eine wissenschaftlich-mathematische Erklärung für die richtige Form zu liefern. Rittel aber überraschte die Designer: „– Rittel –, obwohl zunächst dieser Erwartung zuarbeitend, befreite sich von ihr und macht das, was Wissenschaftler eben tun: Sie betrachten die Phänomene der Welt und schauen, ob sich allgemeine Sätze finden lassen, die sowohl wahr sind als auch die Vielzahl der Phänomene durch eine Erklärung zusammenbringen, eine Theorie also. Rittel beobachtete, was die Designer wirklich tun. Was er entdeckte, musste die Gestalter enttäuschen. Er bot ihnen nicht die erwartete Rechtfertigung der Form durch die Wissenschaft. Er stellte vielmehr fest, dass Ästhetik eine unabhängige Variable sei, die nicht durch funktionale Anforderungsprofile gleichsam hergeleitet werden kann.“ (Reuter 2012: 6)
Öffnete das ‚Design Methods Movement‘ das Design für die Probleme und Interessen von Individuen und Gesellschaft, so sorgen Simon und Rittel für einen neuen Zugang zu den immer auch sozialen Problemlagen und Prozessen des Designs und befreiten Design so vom Wissenschaftspositivismus. Anders als das ‚Design Methods Movement‘ versprechen sie nicht eine rationale und opti-
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male Lösung. Sie erkennen vielmehr, dass Design immer subjektiv und situativ ist und deshalb seine Entstehungsbedingungen berücksichtigen sollte (vgl. Rittel 2012: 40). Die Anzahl der relevanten Faktoren im Design, wie auch die Folgen des Designs sind unüberschaubar in ihrer Anzahl, wie in ihren Wechselwirkungen. Mit Simon und Rittel wird das Design reflexiv, es ist in der zweiten Moderne angekommen. Zwar galt schon im ‚Design Methods Movement‘ die Gestaltung nicht mehr dem Mensch-Natur-Verhältnis, sondern den von den Menschen gemachten Problemen, der Glaube an die Rationalität aber verschwindet mit Simon und Rittel aus dem Design. Der wissenschaftliche Optimismus und der Glaube an Rationalisierungserfolge weichen zunehmend politischen Auseinandersetzungen. Das ‚Participatory Design‘ verdichtet sich zum Zentrum dieser Entwicklung, Bayazit bezeichnet es als eine Form der Demokratisierung von Design und betont, dass die Vielfalt und Breite des Feldes dem der Demokratie durchaus ebenbürtig scheint (vgl. Bayazit 2004: 22). Auch wenn das ‚Scientific Management‘ aus dem frühen 20. Jahrhundert schon eine Form von methodischer Untersuchung von Arbeitsabläufen war, so wird doch erst die Arbeiterbewegung in Skandinavien mit ihrem Drängen auf Beteiligung bei der Einführung von elektronischer Datenverarbeitung (EDV) zu einem Wegbereiter des Partizipativen Designs. Pelle Ehn definiert diesen demokratischen Anspruch auf das Recht zur Mitgestaltung, aber auch die hohe Expertise der Nutzer, als die beiden zentralen Argumente für partizipatives Design (vgl. Ehn 2012: 85f.). Gerade in der Entwicklung von Interfaces hat das Partizipative Design heute sicherlich eine dominante Stellung. Auch eine verwandte Form, wie das ‚User Centered Design‘, bei dem Nutzer mehr oder weniger systematisch durch die Designer antizipiert werden, ist heute eine bedeutsame Designmethode geworden und bildet einen interessanten Widerspruch mit den oben diskutierten Prinzipien von Mies von der Rohe. Im Geiste der zwei Argumente der Partizipation, die sich im Recht auf Mitbestimmung und als Berücksichtigung der Expertise der Nutzer zusammenfassen lassen, wird in den letzten Jahren die Kompetenz der Gestaltung zum Nutzer hin verschoben. Uta Brandes Begriff des ‚Nicht-Intentionalen Designs‘ operiert dabei in großer Nähe zu dem aus dem Partizipativen Design stammenden Argument, die Kompetenz des Nutzers konstruktiv einzubinden (vgl. Brandes, Erlhoff 2006; Bjögvinsson, Ehn, Hillgren 2012). Insgesamt kann eine Verwissenschaftlichung des Designs beobachtet werden12, so wurden aus Designprinzipien Designmethoden, aus Methoden wird mit 12 Die Akademisierung der Architektur untersucht Monika Kurath (2015), als Effekte der Akademisierung sieht sie auf der einen Seite die Identifikation der Architektur mit anderen akademischen Disziplinen, andererseits besteht die Gefahr, dass die Architek-
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der Designforschung gegenwärtig eine wissenschaftliche Disziplin, die Designforschung oder Designwissenschaft untersucht Designprozesse, um ihre Methoden zu entwickeln. Der Fokus rückt dabei vom Designobjekt zum Designprozess. Wie auch später noch erkennbar wird, zeichnen sich die Akteure der Designforschung und -wissenschaft als Autorinnen wissenschaftlicher Texte, als Designer von Objekten und Prozessen, wie auch durch die universitäre Lehre aus. Die identitätsrelevante Diskussion um die Wissenschaftlichkeit von Design dauernd unterdessen an (vgl. Joost, Bredies, Christensen, Conradi, Unteidig 2016). Die in aller Kürze dargestellte Entwicklung der methodisch-normativen Perspektiven auf Design zeigt vor allem zwei wichtige Richtungen auf: zum einen die Entwicklung vom Idealismus zur Sensibilität. Design soll heute vor allem offen, neugierig und sensibel gegenüber seinem Gegenstand – Mensch und Gesellschaft – agieren. Design ist reflexiv geworden und stets bemüht, die zahllosen, in Wechselwirkung befindlichen Faktoren aufzunehmen und anzugehen. Zum anderen findet eine Akademisierung, Verwissenschaftlichung und professionelle Differenzierung des Feldes Design statt. Die kurze Skizze zur Entwicklung des Untersuchungsgegenstandes Design erlaubte Einblick in die Umbrüche des Feldes. Im zweiten Teil des Kapitels wird nun nicht mehr Design selbst der Gegenstand der Rekapitulation sein, sondern Untersuchungen von Design aus einer soziologischen Perspektive. Zuvor aber ist es hilfreich, eine interessante Mischform aus Designmethode und empirischer Analyse vor zu stellen, die anthropologische Designforschung.
2.2
ANTHROPOLOGISCHE DESIGNFORSCHUNG – FLIESSENDE ÜBERGÄNGE ZWISCHEN ANALYSEN UND METHODEN
Das anthropologische Design ist das ideale Beispiel für die oben diskutierte Reflexivierung des Designs. Designmethoden entwickeln sich von klaren Prinzipien immer mehr in Richtung sensibler Methoden. Partizipatives Design steht für diese Entwicklung als Referenz, so sind Analysen, durchaus auch mit ethnografischen Anteilen, heute häufig Teil von Designprozessen. Die Unterscheidung
tur ihren spezifischen Charakter verliere, so Kurath (vgl. Kuraht 2015: 96f.). Zur Professionalisierung im Kreativbereich siehe auch Florent Champy (2006).
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zwischen Methoden und Analysen wird durch diese analytischen Designmethoden unscharf. Das ‚Anthropological Design‘ steht exemplarisch für die Reflexivwerdung von Design. Vom Standpunkt der Anthropologie aus kann diese Entwicklung als Verschiebung von der Beschreibung zur Aktion verstanden werden (vgl. Gunn, Otto, Smith 2013: xiv). Vom Design aus betrachtet bietet die Ethnografie als Methode die Möglichkeit, den Nutzer, seine Wünsche und Bedürfnisse und auch die Nutzungssituationen zu verstehen (vgl. Gunn, Otto, Smith 2013: 2). Die Autoren lassen dabei die Frage, ob mit der Design-Anthropologie ein Beitrag zum Design oder zur Anthropologie und Ethnologie geleistet wird, offen und beschreiben Design-Anthropologie stattdessen als eine neue Subdisziplin mit eigenen Konzepten, Methoden, Forschungspraktiken und Praktikern, die kurzum einen eigenen Typ von Wissensproduktion verfolgen (vgl. Gunn, Otto, Smith 2013: 1). Als zentrale Autorin in der Entwicklung des Feldes wird von den Autoren vor allem Lucy Suchman13 genannt und ihr großer Einfluss auf die Felder der ‚Human-Computer-Interaction‘ (HCI) und der ‚Computer Supported Cooperative Work‘ (CSCW) (vgl. Gunn, Otto, Smith 2013). Die CSCW bietet sich an, um zu illustrieren, inwiefern sich die Felder Design und Anthropologie tatsächlich vermischen. Das Feld CSCW zielt explizit auf die Herstellung von bestimmten Prozessen einschließlich bestimmter Eigenschaften – klare Merkmale von Design. Dabei betont CSCW stets die technische Bedingtheit der Herstellung von Organisationsprozessen und Routinen. Das Ziel dieser Mischform aus Design und Ethnografie ist eine technisch unterstützte Organisationsbildung (einen Überblick bieten Suchman, Blomberg, Orr, Trigg 1999). Es gilt hier zwar als Vorbedingung die Prozesse und Vorgänge in der jeweiligen Organisation zu begleiten, zu analysieren und zu verstehen, die Analyse steht allerdings keineswegs für sich, sie ist kein Selbstzweck, sondern wird immer bestimmten Gestaltungszielen untergeordnet. Design-Anthropologie führt somit keine Analysen durch, um die eigenen Erkenntnisse zu erweitern. Die zumeist ethnografisch gewonnen Erkenntnisse dienen immer dem Zweck der Gestaltung und stehen niemals für sich. Aus diesem Grund macht es Sinn, die Design-Anthropologie den Designmethoden zuzuordnen.
13 Diese Einschätzung der feldspezifischen Literatur ändert nichts daran, dass Suchman auch als zentrale Figur in den der Wissenschafts- und Technikforschung wahrgenommen wird, beispielsweise als Autorin und Mitglied des Advisory Boards des Handbook of Science and Technology Studies (vgl. Hackett 2007).
38 | Die Praxis des Designs
In den nächsten Abschnitten des Kapitels werden nun nicht mehr methodisch-wissenschaftlichen Zugänge zu Design diskutiert, sondern Analysen von Design.
2.3
ANALYTISCHE PERSPEKTIVEN AUF DESIGN – ZEITDIAGNOSEN VERSUS DESIGNPRAXIS
Die Entwicklung des Designs, seiner Methoden und Selbstwahrnehmung, verlief von bestimmten Prinzipien hin zu einer spezifischen Form der Reflexion. Nun folgt eine Darstellung verschiedener Analysen des Designs. Die im Folgenden zu diskutierende Literatur stammt aus der Soziologie, der Philosophie und den ‚Science and Technology‘ Studies (STS). Hier steht gerade nicht die Frage ‚Was ist gutes Design?‘ im Zentrum, sondern die Frage, ‚Wie wird Design gemacht und was ist seine gesellschaftliche Relevanz?‘. Durch den recht schmalen Korpus dieser Analysen zieht sich ein deutlicher Bruch: Teilweise handelt es sich um Zeitdiagnosen; Design wird so zum Bestandteil der Erkenntnis, das der Mensch der Urheber der Gestaltung der Welt ist. Von Max Weber noch eindeutig als Rationalisierung und Verwissenschaftlichung verortet, ist die Diskussion um die Verantwortung des Menschen für die Welt heute, in den Zeiten des Anthropozän, diffuser und vielschichtiger geworden. Der Mensch und sein Wirken und nicht etwa göttliche oder andere Instanzen, sind die treibenden Kräfte hinter der Gestaltung der Welt. Die These der Rationalisierung, wie auch die These des Zeitalters des Anthropozän, stellen den Menschen ins Zentrum ihrer Erklärungen. Der andere Teil der Literatur untersucht, zumeist ethnografisch, Prozesse von Design, Entwurf und Architektur. Hier wird sehr kleinteilig die soziomaterielle Praxis von Design unter die sprichwörtliche Lupe genommen. Diese Untersuchungen zeigen, wie beispielsweise für einen Entwurf beständig mit Modellen aus Styropor in unterschiedlichen Maßstäben gearbeitet wird (vgl. Yaneva 2005), Bilder zu ‚Renderings‘ verbunden werden (vgl. Houdart 2008) oder zahllose Skizzen angefertigt werden (vgl. Henderson 1991). Die große Frage der Entzauberung, Rationalisierung und Gestaltung der Welt wird hier nicht adressiert. Diese Studien beobachten Akteure in Studios, Werkstätten und Büros und analysieren Prozesse des Designs und Entwerfens. So besteht der Stand der Forschung aus zwei gegensätzlichen und weitgehend unverbundenen Korpussen der Literatur.
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2.3.1 Analytische Perspektiven auf Design 1 – Zeitdiagnosen Der erste Teil der Analysen von Design beschreibt Design als ein ubiquitäres Phänomen. Kultur, Natur und der Mensch selbst werden hier zum Gegenstandsbereich des Designs erklärt. Die Philosophen Peter Sloterdijk und Bruno Latour14 beschreiben beide einen enormen Bedeutungsgewinn des Designs. Latour sieht diesen Gewinn vor allem für die Profession Design: „From a surface feature in the hands of a not-so-serious-profession that added features in the purview of much-more-serious professionals (engineers, scientists, accountants), design has been spreading continuously so that it increasingly matters to the very substance of production. What is more, design has been extended from the details of daily objects to cities, landscapes, nations, cultures, bodies, genes, and, as I will argue, to nature itself – which is in great need of being re-designed.“ (Latour 2008: 2)
Im Design sieht Latour einen möglichen Weg, die von ihm so häufig kritisierte künstliche Trennung zwischen dem Technischen und dem Sozialen aufzuheben (vgl. Latour 2008). Design wird zum entscheidenden Modus diese Trennung zu bei zu legen. „In other words, why not transform this whole business of recalling modernity into a grand question of design?“ (Latour 2013: 23). Sloterdijk fasst Design breiter als Latour, ihm zu Folge hat sich Design längst in weite Teile der Gesellschaft ausgebreitet. Er sieht die Angehörigen der ‚globalen Mittelschicht‘ mit ihren Tätigkeiten der Manipulation und Übersetzung, die in früheren Zeiten nur sehr wenigen Akteuren vorbehalten waren, als Designer: „Was sie [die sog. Postmoderne, Anm. VJ] auszeichnet, ist die soziale Vermassung der vormaligen Avantgardequalitäten und die Übersetzung von einst pathetischer Kreativität in alltägliche Manipulationen von Materialien und Zeichen durch die Angehörigen einer weltumspannenden Design-Zivilisation, sprich durch die übernationalen neuen smarten Mittelschichten.“ (Sloterdijk 2010: 9)
Auch dieses Zitat zeigt die oben bereits diskutierte, enorm wachsende Relevanz und Verantwortung der Profession Design einerseits und die allgegenwärtige Ausbreitung designerischen Handelns anderseits. Seine Wirkung auf das Individuum, das heute allerorten konfrontiert ist mit einem neuem Dispositiv – dem 14 Latour verfasst in jüngerer Zeit eher philosophische Texte, später in dieser Arbeit beziehe ich mich auf ihn in seiner Eigenschaft als bedeutenden Wissenschafts- und Technikforscher.
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Kreativitätsdispositiv – beschreibt die kultursoziologische Arbeit ‚Die Erfindung der Kreativität‘ von Andreas Reckwitz (2011). Das ehemals randständige Phänomen Kreativität ist in der Gegenwartsgesellschaft zu einem stabilen Regime aus Erwartungen der Kreativität einerseits und dem Wunsch der Akteure nach Kreativität andererseits geworden und löst das ehemals vorherrschende Streben nach Rationalität ab (vgl. Reckwitz 2011: 313f.). Zwar weiten diese Zeitdiagnosen den Begriff des Designs enorm aus, das dahinter liegende Argument ist jedoch weder vollkommen neu, noch entspringt es exklusiv dem Gegenstand Design. Die bereits 1919 von Max Weber formulierte These der Entzauberung der Welt kennzeichnet einen vergleichbaren Ausgangspunkt. Als Entzauberung der Welt versteht Weber den durch Säkularisierung und Rationalisierung verbreiteten Glauben an die prinzipielle Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit aller Dinge und der gesamten Welt (vgl. Weber 2002 [1919]: 488). Nun ist jedoch eine Differenzierung dieser These notwendig. Latour sieht den Menschen sowohl in der Position als auch in der Pflicht, die Welt mittels Design zu gestalten. Lief die Entzauberung der Welt auf die ultimative Rationalisierung der Welt hinaus, so versteht Latour Design als Prozess ohne Ende, Design ist für immer ‚to re-design‘ (vgl. Latour 2008: 5). Es folgt nicht einem fixen Ziel, vielmehr muss anders als bei Webers Diagnose der Entzauberung der Welt ihre Gestalt wieder und wieder in Frage gestellt und den Herausforderungen entsprechend gestaltet werden. Weber hingegen erörtert nur den Glauben an die Entzauberung und lässt offen, ob hinter dem Glauben auch Fähigkeiten stehen. Beiden Autoren gemein – und aus diesem Grund nenne ich die beiden recht unterschiedlichen Diagnosen hier gemeinsam – ist jedoch die Überzeugung, dass nicht göttliche, natürliche oder sonst wie transzendale Kräfte die Gestalt der Welt zu verantworten haben, sondern der Mensch selbst. Heute, knapp ein Jahrhundert später, ist der Glaube an die Manipulierbarkeit der Welt in breiten Teilen der Menschheit zur Überzeugung geworden, die Mittel und Ziele bleiben dabei umstritten, verschieben sich gegenwärtig jedoch von der Rationalisierung und Berechnung hin zur Kreativität und Design. Ursprung und Verantwortung für das Geschehen auf der Welt werden auch heute noch als entzaubert verstanden und sind so dem Bereich des Magischen oder Göttlichen entzogen. Der Mensch wird zur zentralen Handlungsinstanz und schreibt sich damit auch die Verantwortung für die Gestaltung der Welt selbst zu. Zur Entzauberung der Welt durch Rationalisierung gesellt sich gegenwärtig eine weitere Idee, die Idee der vollständigen Gestaltbarkeit der Welt durch das Design. Die Analogie der beiden Argumentationen ist offenkundig, gleichwohl wurde die Geschichte der Rationalisierung weitaus düsterer skizziert (vgl. Weber 2002 [1919]: 224) als es
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der designerischen Gestaltung der Welt heute prophezeit wird (vgl. Brown, Katz 2009; Latour 2008; Stewart 2011). In der genannten Literatur zeigen sich zwar die Relevanz des Untersuchungsgegenstandes Design als auch große Thesen zum Design, dennoch bietet sie keine Anschlüsse für die Frage, worin das Spezifikum von Design liegt, wie Design gemacht wird oder ob Design tatsächlich im Stande ist gesellschaftliche Probleme zu lösen. Gleichwohl wird die oben diskutierte Konjunktur des Begriffs Design durch die von Weber und Latour beschriebene menschliche und nicht göttliche oder natürliche Gestaltung der Welt viel besser nachvollziehbar. Die Zeitdiagnosen um den Begriff Design reihen sich vielmehr in die Gesellschafts- und Zeitdiagnosen der letzten 100 Jahre ein. Durch den Aufbau und die Durchführung meiner Untersuchung grenze ich mich von den angeführten Zeitdiagnosen scharf ab. Mich interessiert die Mikrosoziologie des Designs, einschließlich der Objekte, Texte und Bilder, aus denen im Design in zahllosen Interaktionen neue Objekte erschaffen werden. Wer Design verstehen möchte, muss die sozio-materielle Praxis und ihre Bezüge untersuchen, aus denen Design besteht und die Design zu einer spezifischen Praxis machen. Hilfreiche Konzepte und Begriffe für eine solche genaue Untersuchung sucht man in den großen Diagnosen von Weber bis Latour allerdings vergeblich. Dennoch bringt eine gründliche Untersuchung auch die Möglichkeit mit sich, zu einem späteren Zeitpunkt einen fundierten Bezug auf die Tragfähigkeit der großen zeitdiagnostischen Perspektiven zu unternehmen. 2.3.2 Analytische Perspektiven auf Design 2 – Designpraxis Bisher wurde zwischen Methoden des Designs und Analysen des Designs unterschieden. In einem zweiten Schritt wurden Gesellschaftsdiagnosen mit Bezug auf Design von Analysen unterschieden, die Designprozesse im Detail untersuchen. Der Stand der Forschung dieser detaillierten Untersuchungen bietet Anschlüsse für mein Forschungsvorhaben, denn hier wird gefragt, wie Design praktisch gemacht wird. Die Recherche und Lektüre von Mikro-Studien des Designs macht zunächst einen gemeinsamen Bezugspunkt all dieser Arbeiten offenkundig: In größerer Distanz oder mitunter eng und genau, beziehen sich die Mikro-Studien des Designs auf die Wissenschafts- und Technikforschung. Das international als Science and Technology Studies (STS) bezeichnete und heute recht bekannte Forschungsfeld hat sich aus einer sozialkonstruktivistischen Kritik der Naturwissenschaften in den 1970er Jahren entwickelt und ist gegenwärtig ein breites und
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multiparadigmatisches Feld.15 Die recht jungen Mikro-Studien von Designprozessen haben sich in enger Wechselwirkung mit den Theorien und Methoden der STS entwickelt. Erst seit den 1990er Jahren wurden die Prozesse und Praktiken von Designern in Designstudios, Entwicklungsabteilungen und an anderen Orten kreativer Herstellung untersucht. Einen Überblick geben Farias und Wilkie in der Einleitung des Sammelbandes ‚Studio Studies‘ (Farias, Wilkie 2016). Design als soziales Phänomen ins Zentrum ihrer Untersuchungen zu stellen verbindet all diese Studien miteinander, auch wenn sich ihre spezifischen Erkenntnisinteressen voneinander unterscheiden. Prägnant formulieren Ignacio Farias und Alexander Wilkie, dass es in den Studio Studies gerade nicht darum gehe in individualistische oder kontextualistische Erklärungen von Kreativität zu verfallen (vgl. Farias, Wilkie 2016: 3), sondern das stattdessen ein neuer Zugang zu Kreativität und Design entwickelt werden soll. Schon der Terminus Studio Studies erinnert an die ‚Laboratory Studies‘ der Science and Technology Studies und dieses Forschungsfeld bildet auch die entscheidende Referenz. Unter Rekurs auf die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) und den Ansatz der ‚Distributed Cognition‘ bezeichnen Farias und Wilkie die ‚Distributed Creation‘ als den zentralen Terminus der Studio-Studien (vgl. Farias, Wilkie 2016: 5). Kulturgüter, Dienstleistungen, Software und vieles mehr werden in auf Menschen und seine Hilfsmittel verteilten Prozessen produziert, ob sie später zu einer Innovation werden, stehe jedoch auf einem anderen Blatt. Die Studio-Studien versammeln viele der zentralen Argumente aus der sozialen Konstruktion von Technik, den LaborStudien und dem Konzept der Verteilten Kognition für ihre jeweils eigenen Analysen von Design und kreativem Schaffen. Auch methodisch und in Hinsicht auf ihr Erkenntnisinteresse gehen viele der Designstudien auf Studien der Science and Technology Studies zurück (vgl. Henderson 1991 und 1998; Farias, Wilkie 2016: 4f. und Suchman 2011: 14f.). Die Studien zur Praxis des Designs können als konzeptuelle und methodische Übertragungen aus den Science and Technology Studies verstanden werden, wobei durch die Übertragung in ein anderes empirisches Feld und durch persönliche Forschungsstile auch Differenzen und Weiterentwicklungen entstanden sind. Im folgenden Kapitel werden die Mikro-Studien von Designprozessen auf vielversprechende Anknüpfungspunkte für diese Untersuchung geprüft. Dafür werde ich als Grundlage die im Folgenden referierten Erkenntnisse der stets punktuellen Untersuchungen der Praxis von Design einbeziehen und integrieren. 15 Ein ausführlicher Überblick findet sich bei Hacket und Amsterdamska (2007), eine Einführung bieten Beck, Niewöhner und Sørensen (2012), die Klassiker und Größen des Feldes stellt ein Sammelband von Lengersdorf und Wieser vor (2014).
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Um die Designstudien zu verstehen, zu ordnen und ihre wichtigsten Argumente zu sammeln, ist es sehr hilfreich, ihre Bezüge und Anleihen bei den Konzepten der Wissenschafts- und Technikforschung nachzuvollziehen, denn hier liegen ihre konzeptuellen Bezugspunkte. Deshalb werde ich nun zunächst einen kurzen Überblick über diejenigen Konzepte der Wissenschafts- und Technikforschung geben, die für Designstudien relevant sind. Nach der Explikation der zentralen Argumente dieser Studien, wird es in Kapitel 2.4 und 2.5 möglich, eine Reihe von Mikro-Studien von Designprozessen mit den zentralen Argumenten der Wissenschafts- und Technikforschung zu verbinden. Durch den Vergleich und die Zuordnung zu ihren konzeptuellen Vorläufern aus der Wissenschafts- und Technikforschung entsteht ein systematischer Überblick zum Stand der Forschung von Mikro-Studien des Designs. Die Auseinandersetzung mit dem Stand der Forschung erlaubt es, an die Erkenntnisse und Leistungen der Vorarbeiten anzuschließen und gleichzeitig etwaige Schwächen und blinde Flecken zu erkennen, um im Aufbau meiner Untersuchung konstruktiv darauf eingehen zu können. Einige Studien aber fallen durch das konzeptuelle Raster der Wissenschafts- und Technikforschung und sind dennoch hoch interessant. In diesen Studien wird in erster Linie Vieldeutigkeit als Voraussetzung für Designprozesse betont. Ziel dieses Kapitels ist es, auf Grundlage der Vorarbeiten und ihrer Stärken und Schwächen, mein eigenes Forschungsvorhaben weiter zu präzisieren. Nur so kann eine Perspektive auf Designprozesse entstehen, welche die Argumente der bestehenden Untersuchungen konstruktiv miteinander verbindet. 2.3.3 Die Wissenschafts- und Technikforschung als Ausgangspunkt für Mikro-Studien von Design Erste Mikro-Studien von Design stammen aus den späten 1980er Jahren, die meisten sind neueren Datums. Argumentativ schließen sie zum größten Teil an die in Differenzierung begriffenen Strömungen der Wissenschafts- und Technikforschung an. Für einen Überblick über den Stand der Forschung zu MikroStudien von Design ist es sinnvoll, zunächst ihre wichtigsten Vorläufer und Argumentationszusammenhänge aus der Wissenschafts- und Technikforschung in knapper Form darzulegen. Als Argumentation für a) die soziale Konstruktion von handlungsleitenden Annahmen, b) die Wirkungen materieller Artefakte und c) Ungewissheit als Bedingung für kreative Prozesse lassen sich die drei zentralen Argumente der Mikro-Studien von Design prägnant zusammenfassen. In den folgenden Abschnitten (2.3.3.1 bis 2.3.3.3) werden zentrale Argumentationen aus der Wissenschafts- und Technikforschung vorgestellt, dabei beziehe ich mich auf wenige richtungsweisende Werke. Diese Einblicke reichen aus, um die
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Entwicklung der zentralen Argumente in der Wissenschafts- und Technikforschung nach zu vollziehen und so ein Fundament für das Verständnis der hieran orientierten Mikro-Studien des Designs zu bilden. 2.3.3.1 Die soziale Konstruktion von Technik Im Fahrwasser der in den 1980er Jahren aufkommenden sozialkonstruktivistischen Wissenschaftsforschung entstand mit Studien zur gesellschaftlichen Konstruktion von Technik ein neues Forschungsfeld. Der erstmals 1984 erschienene Aufsatz mit dem programmatischen Titel ‚The Social Construction of Facts and Artifacts. Or How the Sociology of Science and the Sociology of Technology might Benefit Each Other‘ (Pinch, Bijker 1984) ist der zentrale Referenzpunkt sozialkonstruktivistischer Techniksoziologie.16 Weitere sozialkonstruktivistische Studien zu ganz unterschiedlichen Technologien finden sich z.B. in ‚Of Bicycles, Bakelits and Bulbs‘ (Bijker 1995) und in ‚The Golem at Large: What you should know about Technology‘ (Collins, Pinch 1998), einen Überblick geben Lachmund (2014) und Sørensen (2012). 1987 erschien der Sammelband ‚The Social Construction of Technological Systems‘ herausgegeben von Wiebe Bijker, Trevor Pinch und Thomas. P. Hughes. Pinchs und Bijkers Studie von 1984 zur Entwicklung des Fahrrades wurde hier erneut abgedruckt und im Sammelband zusammen mit der Akteur-Netzwerk-Theorie und der Systemanalyse des Historikers Thomas P. Hughes Teil einer grundlegenden und – wie wir heute wissen – erfolgreichen Wende zu einer sozialkonstruktivistischen Technikforschung (vgl. Lachmund 2014: 146). Worin aber besteht das zentrale Argument von Pinch und Bijker? Ihr viel zitierter und viel kritisierter Aufsatz transferiert Argumente der konstruktivistischen Wissenschaftsforschung in die Untersuchung von Technikentwicklung. Vor gut drei Jahrzehnten ein durchaus radikaler Schritt, denn Technik und Wissenschaft wurden in dieser Zeit häufig noch als außersozial und außerkulturell verstanden (vgl. Linde 1982: 2; Sørensen 2012: 123). Ihr zentrales Argument importierten die Autoren aus dem ‚Empirical Program of Relativism‘ (EPOR) von Harry Collins und David Bloor. Wie wissenschaftliche Wahrheiten ist auch Technik das Produkt sozialer Prozesse. Die Ko-Existenz wissenschaftlicher Wahrheiten und technischer Lösungen wird so erklärt. Es war Steve Woolgar, der die Übertragung von EPOR zu SCOT ganz prinzipiell in Frage stellte, denn EPOR als Konzept aus dem Kontext seiner Entstehung zu entfernen und als Formel zu verwenden, um das Phänomen Technologie zu erklären, gleicht dem 16 Der Ansatz wird hier und häufig in der Literatur mit SCOT abgekürzt, es steht für ‚Social Construction of Technology‘.
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unreflektierten Glauben der Wissenschaft an prinzipielle und immer gültige Zusammenhänge bis ins Detail. Und das, obwohl EPOR doch angetreten war, um diese Zusammenhänge in ihrer sozialen Bedingtheit zu erklären (vgl. Woolgar 1991A: 44). 17 Dennoch, EPOR wird zur Vorlage für SCOT und SCOT wird ein enorm erfolgreiches Konzept. Das zentrale und aus EPOR stammende Argument beschreibt die Flexibilität in der Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse: „it is shown that scientific findings are open to more than one interpretation. This shifts the focus for the explanation of scientific developments from the natural world to the social world.“ (Pinch, Bijker 1984: 409)
Die Begrifflichkeit der interpretativen Flexibilität von wissenschaftlichen Tatsachen wird für die Anwendung auf Technik von den Autoren jedoch leicht modifiziert. Obwohl die Analogie von Wissenschaftsforschung und Technikforschung auf dem Argument einer prinzipiellen Ähnlichkeit dieser Felder beruht (vgl. Pinch, Bijker 1984: 432), unterscheiden die Autoren die Begriffe der interpretativen Flexibilität in Wissenschaft und Technik. Anders als bei wissenschaftlichen Tatsachen, ist im Fall von Technik damit zu rechnen, dass sie wieder und wieder uminterpretiert wird, Technik bleibt interpretativ flexibel: „By this we mean, not only that there is flexibility in how people think of, or interpret artifacts, but also that there is flexibility in how artifacts are designed. There is not just one possible way, or one best way, of designing an artifact.“ (Pinch, Bijker 1984: 421)
17 Weitere Kritik am SCOT Ansatz formulieren Winner 1993 und Schulz-Schaeffer, Meyer 2006. Schulz-Schaeffer und Meyer bieten eine differenzierte Analyse, vor allem aber eine Kritik des Konzepts. Sie unterscheiden bei SCOT und EPOR drei Formen interpretativer Flexibilität (vgl. Schulz-Schaeffer, Meyer 2006). Dabei kritisieren sie insbesondere, dass die interpretative Flexibilität von Technik jeweils nur die ‚Usefullness‘ adressiere und die interpretative Flexibilität in der Wissenschaft nur ‚Truth‘. Sie kommen zu dem Schluss, dass aufgrund des Problems eines unendlichen Regresses Erklärungen von Schließungen nicht auf eine Logik allein zurückführbar sein können, einerlei ob in Wissenschaft oder Technik. Sie schließen ihren Aufsatz mit der These, dass drei Formen interpretativer Flexibilität (Usefullness, Truth, Relevance) sowohl in Wissenschaft als auch in Technik auftreten und für die Erklärungen von Schließungsprozessen einbezogen werden müssen.
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In diesem Sinne und im Unterschied zu wissenschaftlichen Erkenntnissen ist Technik doppelt interpretativ flexibel. Technik wird zunächst in Abhängigkeit von sozialen Faktoren, wie Problemlagen und Einstellungen, unterschiedlich designt und produziert. Gerade das zeigen die Autoren am Beispiel des Fahrrades und in Analogie zu ihren Annahmen über wissenschaftliche Erkenntnisse. Technik ist nun jedoch nicht nur in der Herstellung interpretativ flexibel, sondern sie ist auch für ihre Verwender interpretativ flexibel. Ein in großen Stückzahlen produziertes und verkauftes Automobil kann beispielsweise in seiner Funktion und Bedeutung wieder geöffnet und reinterpretiert werden, indem es als stationäre Energiequelle für die Landwirtschaft genutzt wird (vgl. Kline, Pinch 1996). Auf diese Weise werden die Erwartungen, die Bedürfnisse und die Problemlagen der Nutzer im SCOT Ansatz erstmals zum Explanans der Sinnhaftigkeit und der aus ihr resultierenden Gestalt von Technik. Jeweils situativ, in Abhängigkeit von Vorstellungen, antizipiertem Nutzen oder Problemlagen, bekommt Technik einen Sinn. Das Design des Fahrrades vom Nutzer ausgehend zu erklären bedeutet, dass verschiedene Gruppen beteiligter Akteure einen positiven Nutzen in der Verwendung des Luftreifens sehen müssen. Dieser relevante Nutzen ist durchaus unterschiedlich und reicht von ‚Geschwindigkeit‘ für die Gruppe der Sportler bis hin zu ‚Komfort‘ für die Alltagsradler. Dennoch erkennen beide Gruppen für sich einen Nutzen im Luftreifen. Aufgrund dieser zwar unterschiedlichen, aber positiven Interpretationen des Luftreifens tritt eine Schließung (Closure) der Technik ein. Als Folge der Schließung verbreitet sich der Luftreifen.18 Pinch und Bijker erklären die bis heute anhaltende Verwendung des Luftreifens als Effekt des zugeschriebenen Nutzens und gerade nicht durch technische Notwendigkeiten oder Vorteile (vgl. Pinch, Bijker 1984: 428). Am Beispiel des Ford T. Modells und seiner kreativ-abweichenden Verwendung als Antriebsmaschine in der Landwirtschaft zeigen Pinch und Kline, dass auch marktreife, in großen Stückzahlen produzierte und verkaufte Technik durch ihre Nutzer uminterpretiert oder redesignt wird19, auch in ihren physischen Eigenschaften (vgl. Kline, Pinch 1996: 777). 18 Eine Schließung bedeutet nicht, dass die Entwicklung eines Artefaktes abgeschlossen ist, sondern, dass das Artefakt aus sozialen Gründen nicht weiter verändert wird. Seine prinzipielle Veränderbarkeit wird dadurch nicht gemindert (vgl. Pinch, Bijker 1984: 424ff.). 19 Dieses Phänomen ist mit der zunehmenden Informatisierung und Digitalisierung vieler technischer Objekte keineswegs verschwunden. In den letzten Jahren wurden jedoch Begriffe wie Basteln oder Tüfteln durch Anglizismen wie ‚Hardware-Hacking‘ oder ‚DIY‘ für ‚Do it Yourself‘ abgelöst oder zumindest ergänzt.
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In der Literatur gibt es einen zweifachen Bezug auf das Argument der sozialen Konstruktion von Technik. Der erste Bezug besteht in der interpretativen Flexibilität von Technik: Ob nun durch Nutzer, Ingenieure oder Designer, Technik ist, wie auch Gesten oder Symbole, empfänglich für die Zuschreibung von Bedeutung. Diese Bedeutung kann stabilisiert oder verändert werden – Technik ist immer offen für ein Redesign. Der zweite Bezug steht in enger Verbindung mit dieser Annahme und wird beispielsweise von Gesa Lindemann oder Karl Hörning und den Vätern der sozialkonstruktivistischen Technikforschung selbst erörtert (vgl. Lindemann 2009: 173f.; Hörning 1989: 106; Kline, Pinch 1996: 783f.). Antizipativ erwarten die Hersteller von Technik bestimmte Erwartungen der Nutzer und orientieren sich an ihren Erwartungs-Erwartungen gegenüber den Nutzern. Zum Teil sind diese Referenzen auch in Form von Kundenbefragungen oder Marktforschung professionalisiert. Es lässt sich schließen, dass Technik erstens für Zuschreibungen von Sinn empfänglich ist und zweitens die erwarteten Sinnzuschreibungen gegenüber Technik durch dritte bereits in der Konstruktion von Technik eine wichtige Rolle spielen. Diese zwei Argumente haben in den Analysen von Design eine große Bedeutung. Bezugnahmen auf den tatsächlichen oder erwarteten Nutzer sind in Designprozessen von enormer Relevanz für Entscheidungen in der Gestaltung (siehe Abschnitt 2.4.1). 2.3.3.2 Wirken ist verteilt auf Menschen und Dinge – Die Akteur-Netzwerk-Theorie In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre begannen unabhängig voneinander fünf Sozialwissenschaftlerinnen mit ethnografischen Untersuchungen in naturwissenschaftlichen Forschungslaboren (vgl. Amelang 2012: 147). Die erste Generation von Studien von Michael Lynch (1985), Bruno Latour und Steve Woolgar (1979), Karin Knorr Cetina (2002 [1981]) und Sharon Traweek (1988) hat die Wissenschaftsforschung, die bis dahin von Merton dominiert wurde, revolutioniert. Durch die ethnografischen Methoden wurde das Erkenntnisinteresse von der Frage, was in der Wissenschaft getan wird, auf die Frage wie wissenschaftliche Fakten in sozialen und sozio-materiellen Prozessen erzeugt werden, verlagert (Amelang 2012: 148ff.). Neben der ‚Sociology of Scientific Knowledge‘ leisteten die stets kontrovers diskutierten Labor-Studien und ihre vielen Nachfolger einen großen Beitrag zur ‚Entzauberung‘ der Naturwissenschaft. Ihr Ausgangsargument besteht darin, dass Wissenschaft, Technikentwicklung und Alltag alle der gleichen sozialen Logik von Produktion und Wirkung sozialer Gewissheit unterliegen, auch wenn sich bis heute verschiedene Konzepte aus den Pionierarbeiten entwickelt haben. Die Literatur zur Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) ist heute ebenso breit und divers wie die Forschungsfelder, in denen sie
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Anwendung findet. Dennoch beziehe ich mich im Weiteren hauptsächlich auf die Laborstudie ‚Laboratory Life‘ von Latour und Woolgar (1979), in der ein zentrales Argument der ANT zum ersten Mal formuliert wird. In ihrer erstmals 1979 erschienen Untersuchung der naturwissenschaftlichen Forschung im Salk Institute in San Diego prägen die beiden Autoren einen neuen Begriff für die Ausstattung und die Gerätschaften in den von ihnen beforschten Laboren. Sie bezeichnen einige der zahlreichen Gerätschaften der Wissenschaftler als „inscription devices“ (Latour, Woolgar 1979: 51). Inscription Devices verwandeln beispielsweise eine Flüssigkeit in eine Kurve in einem Koordinatensystem, die die Forscher in ihren Aufsätzen publizieren oder auf andere Art damit arbeiten. Die Inscription Devices haben auf diese Weise Anteil an der wissenschaftlichen Arbeit im Salk Institute, denn sie haben eine bestimmte Wirkung. Eine Untersuchung ohne Berücksichtigung des Anteils der nichtmenschlichen Akteure ist aus der Perspektive von Latour und Woolgar eine unvollständige Untersuchung. Dinge handeln mit, deshalb müssen sie in der Analyse des Labors berücksichtigt werden. Die prinzipiell mögliche Beteiligung aller Entitäten am Handeln ist die zentrale Grundannahme der Akteur-Netzwerk-Theorie. Verlaufen die ‚Inscriptions‘ erfolgreich, dann werden die dazugehörigen Inscription Devices vergessen und jedermann gibt lediglich den durch ihre Mitwirkung erzielten Ergebnissen eine Relevanz, so die Autoren (vgl. Latour, Woolgar 1979: 63). Die Inscription Devices selbst verschwinden aus der Wahrnehmung und bleiben, als zumeist nicht hinterfragte ‚Blackboxes‘, unbemerkt. Eine detaillierte und sehr schematische Darstellung des Prinzips der technischen Mitwirkung, hier differenzierter als Übersetzung bezeichnet, findet sich in Form von vier technischen Interferenzen bei Latour (2002: 216-232). Bis heute ist die ANT eine zentrale Referenz in der Wissenschafts- und Technikforschung und gewinnt an Bedeutung für die Soziologie (vgl. Wieser 2012; Kneer, Schroer, Schüttpelz 2008; Laux 2011). Allen Ausweitungen des Phänomenbereichs (vgl. Thielemann, Schüttpelz 2009) und mitunter hitzig geführten Debatten zum Trotz (vgl. Latour 2002A) bleibt das Argument der auf Mensch und Ding verteilten Handlungsträgerschaft20 einer der zentralen Punkte der ANT. 21 Dieses Argument, der 20 Die Forderung nach einer generalisierten symmetrischen Behandlung menschlicher und nichtmenschlicher Akteure findet sich in Texten der ANT sehr häufig. Obschon sich neben dem Symmetrieprinzip in der ANT verschiedene konzeptuelle Annahmen finden, versteht sich die ANT selbst nicht als Theorie mit einer bestimmten Menge an Grundbegriffen. Dieser Widerspruch, zwischen dem Anspruch ohne theoretische Vorannahmen auszukommen und doch mit bestimmten Prinzipien der Untersuchung zu arbeiten, wird treffend von Law und Singleton (2013) und Law (2009) diskutiert.
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auf Mensch und Ding verteilten Handlungen, ist jedoch in keiner Weise an den Phänomenbereich Wissenschaft und Technik gebunden. Es handelt sich um ein allgemeingültiges Argument, denn die Beziehung von Akteuren und Dingen ist in der Wissenschaft oder Technik nicht prinzipiell eine andere als irgendwo sonst. So wird die Annahme verschiedener Mikro-Studien von Design, dass dingliche Handlungsträgerschaft beispielsweise im Designlabor anzutreffen ist, kaum überraschen. Neben der Annahme, der prinzipiellen Verteiltheit von Handlungen auf ganz unterschiedliche Entitäten, ist ein weiterer Befund der ANT an dieser Stelle relevant. 1983 zeigte Latour in einer historischen Studie des Mikrobiologen Louis Pasteur, dass erfolgreiche Wissenschaft die Grenzen des Labors dehnen und überschreiten muss, um in der Gesellschaft an Relevanz und damit an Macht zu gewinnen. Pasteur importierte zentrale Aktanten (Mikroben) von französischen Bauernhöfen in sein Pariser Labor, entwickelte dort ein Verfahren, um sie zu manipulieren. Anschließend exportierte er dieses Verfahren als Teil seines Labors zurück auf die Bauerhöfe Frankreichs. Sein Erfolg beruht auf einem Netzwerk, das weit über die Mauern seines Pariser Labors hinausreicht. So gelang es ihm, viele der französischen Bauernhöfe zu einem Teil seines Netzwerks zu machen. Labore und die dort geleisteten Übersetzungen haben ohne die Beziehungen zur Gesellschaft kaum Gewicht, so das Fazit des Textes (vgl. Latour 1983: 144f.). Das bereits in Laboratory Life adressierte Phänomen der ‚Verteiltheit‘ und des ‚Blackboxing‘ von Handlung mittels unterschiedlicher Devices wird in seiner Tragweite nur nachvollziehbar, wenn die Verfolgung der Akteure nicht an den Grenzen des Labors endet (Latour 1983: 153f.). In diesem Sinne kritisiert Latour 1983 sein eigenes Forschungsdesign aufgrund seiner Beschränkung der Untersuchung auf die Tätigkeiten der Wissenschaftler im Labor selbst (vgl. Latour 1983: 160). Die Studie zu Pasteur macht sehr anschaulich, dass es die Netzwerke der Verbindungen von Aktanten aller Art sind, denen ein Forscher folgen sollte, auch wenn er dabei ganz verschiedene Bereiche und Gruppen untersuchen muss. Eine Symmetrie der Wirkung von menschlichen und anderen 21 Ausgehend von einer Kritik am Symmetrieprinzip der Akteur-Netzwerk-Theorie (vgl. Pickering 1993: 565f.) formuliert Andrew Pickering mit seinem Konzept der ‚Mangle of Practice‘ (vgl. Pickering 1993; Pickering 1995) einen Ansatz, der es ebenfalls erlaubt, die Bedeutung und Relevanz nicht-menschlicher Entitäten für die Arbeit in einem Physiklabor zu problematisieren. Die Begriffe der ANT erscheinen jedoch differenzierter und genauer, als die recht breite Metapher der ‚Mangel‘. Studien, die auf den Ansatz von Pickering zurückgehen, finden sich in ‚The Mangle in Practice‘ (vgl. Pickering, Guzik 2008).
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Entitäten sowie ihre Verbindung und Verzweigung in oft sehr weitläufige Netzwerke sind die zentralen Ausgangspunkte der ANT. Wie auch die soziale Konstruktion von Technik und die soziale Konstruktion von Erwartungen gegenüber Technik werden uns die Argumente der ANT wieder und wieder im Stand der Forschung der Designstudien begegnen. Von größtem Gewicht ist dabei die Annahme, dass prinzipiell alle Entitäten an Handlungsvollzügen beteiligt sein können. Auch das Argument, dass Handlungsketten nicht an den Grenzen Laboren enden ist relevant für die weitere Untersuchung. 2.3.3.3 Die menschliche Kognition basiert auf Repräsentationen – ‚Distributed Cognition‘ Das dritte und letzte Argument aus der Wissenschafts- und Technikforschung, das in den Studien zum Design häufig verwendet wird, ist dem Argument der ANT zum Verwechseln ähnlich, schließlich wird auch hier eine Verteilung von Handlung zwischen Mensch und Ding diagnostiziert. Die zentrale Annahme der ‚Distributed Cognition‘, der verteilten Kognition, sieht in ihren Grundannahmen den Menschen jedoch in einer anderen Position als die ANT. Gleichzeitig unterscheidet sich auch der Erklärungsanspruch der verteilten Kognition und der ANT. Aber worin genau liegt die Differenz? Eine zentrale Referenz für diese Argumentationen ist die ethnografische Untersuchung der landnahen und nicht satellitengestützten Navigation eines Schiffs der US-Marine von Edwin Hutchins (1990). Dieser zeigt zum einen, dass die Kognition der Mannschaft verteilt ist auf zahlreiche Artefakte wie Papierkarten, einen Kompass, ein Fernglas, telefonische Sprechverbindungen usw. (vgl. Hutchins 1990: 198-207). Zum anderen skizziert Hutchins anhand der Ränge und der Ausbildung die hierarchische Ordnung an Bord des Schiffes (vgl. Hutchins 1990: 207-218) und kann so zeigen, dass die verteilte Kognition der Navigation in die soziale Ordnung an Bord eingebettet ist. Die Akteure, aber auch die Mannschaft als Gruppe von Akteuren, erreichen ihre spezifischen Ziele nur mit Hilfe bestimmter Instrumente. Sie sind auf das Wissen in den Instrumenten angewiesen. Analog dazu zeigen Ronald Giere und Barton Moffat am Beispiel der Multiplikation von zwei dreistelligen Zahlen, dass viele Menschen diese Operation vollziehen, indem sie ihre Kognition zum Teil auf externe Repräsentationen verteilen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass menschliche Kognition nicht allein vom Menschen selbst bewältigt wird, denn sie verteilt sich auf Menschen, Dinge, Gerätschaften und Symbole. Diese, dem Menschen äußerlichen Dinge, repräsentieren Teile der Kognition. Der Mensch erfährt so nicht nur eine Entlastung und Verstetigung seiner Kognition, ohne das Stützen und Vertei-
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len der Kognition auf bestimmte Hilfsmittel wird sie oft erst möglich (vgl. Giere, Moffat 2003: 304). Die praktisch untrennbare Angewiesenheit, die aufs engste in jeder Handlung bestehende Verbindung von Mensch und Ding, ist sowohl der verteilten Kognition als auch der ANT zu Eigen. Dennoch offenbart eine genaue Betrachtung interessante Differenzen, so untersucht die verteilte Kognition das spezifische Verhältnis von Akteuren und Dingen in Hinsicht auf die Frage, wie der Mensch durch die Verwendung in seinem Streben Unterstützung erhält. Die menschlichen Akteure besetzten stets das Zentrum der Analyse, auf sie bezieht sich stets die Forschungsfrage nach der jeweils spezifischen Verteilung. Die verteilte Kognition fragt, wie menschliche Kognition möglich ist und verweist beständig auf die Verteiltheit dieses Handelns. Die ANT dagegen positioniert sich mit ihrem Prinzip der generalisierten Symmetrie der Beobachtung gegen die Dualismen von Mensch und Objekt. Ihr reduziertes Theorieprogramm zielt darauf, durch je spezifische Be-obachtungen die engen Verbindungen und Verweise zwischen ganz unterschiedlichen Akteuren auf zu zeigen und so neue Argumente für die Kritik alter Ontologie zu liefern. Anders als die verteilte Kognition fragt die ANT nicht nach den spezifischen Merkmalen des menschlichen Handelns, sie zeigt vielmehr, dass Handeln erst in Netzen aus ganz unterschiedlichen Akteuren möglich wird. Dabei geht sie symmetrisch vor, das heißt, sie behandelt alle potentiell wirksamen Entitäten zunächst gleich. Die verteilte Kognition bleibt dagegen auf den Menschen zentriert. Die unterschiedlichen Erklärungsansprüche und Ausgangspunkte zeigen sich recht deutlich anhand des Begriffs der Repräsentation. Der in der verteilten Kognition häufig verwendete Begriff der Repräsentation impliziert eine Unterscheidung zwischen Realität und Repräsentation. Eine derartige Unterscheidung ist mit dem generalisierten Symmetrie-Prinzip der ANT nicht in Einklang zu bringen. Diese Unterscheidung impliziert die Existenz einer Realität und einer Repräsentation derselben mit einem bestimmten fixierten Verhältnis zueinander. Hierin liegt ein Widerspruch zur ANT, in der jede Entität zunächst gleichen Ranges ist und ihre Unterscheidungen stets aus der Empirie abzuleiten sind.22 Insgesamt wird eine zentrale Differenz zwischen ANT und ‚Distributed Cogni22 Dennoch wird diese dichotome Sicht von Giere und Moffat auf die ANT appliziert. Hieran entzündet sich eine Kritik Gustav Roßlers, er bezieht sich auf die von Moffat und Giere durchgeführte Neuinterpretation eines Falles von Latour (vgl. Giere, Moffat 2003: 305-308): „Giere und Moffat identifizieren letztlich Kognition und Episteme und sehen darin auch noch eine originelle, über Latour hinausgehende Interpretation von diesem.“ (Roßler 2015A: 204FN)
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tion‘ erkennbar, denn zur verteilten Kognition gehört die prinzipielle Unterscheidung zwischen dem Menschlichen einerseits und seinen Hilfsmitteln andererseits. Der methodische Ausgangspunkt der ANT dagegen ist gerade die Aufhebung dieser Differenz, als Ausgangspunkt ihrer Analysen im Prinzip der generalisierten Symmetrie, um dann ohne prinzipielle Unterscheidungen Beschreibungen heterogener Akteursnetzwerke zu entwickeln. In den nächsten Abschnitten werden nun die Mikro-Studien von Designprozessen auf ihre Ergebnisse und Erkenntnisse, aber auch auf ihre Schwächen und Leerstellen hin untersucht. Die Mikro-Studien von Design nehmen dabei implizit, oft auch Explizit, Bezug auf die Wissenschafts- und Technikforschung. Die oben diskutierten Argumente der sozialen und sozio-technischen Konstruktion, das Mit-Handeln nicht-menschlicher Entitäten und die Verteiltheit von Kognition als zentrale Konzepte der Wissenschafts- und Technikforschung bilden den konzeptuellen Hintergrund der Mikro-Studien von Design. Bei der Darstellung und Gliederung des Forschungsstandes orientiere ich mich an diesen zentralen Argumenten. Der Stand der Forschung zu Analysen von Designprozessen lässt sich auf diese Weise ordnen und für mögliche Anschlüsse vorbereiten.
2.4
MIKRO-STUDIEN VON DESIGNPROZESSEN
Die Kernargumente der sozialen Konstruktion von Bedeutung und Erwartung von Technik, die Akteur-Netzwerk-Theorie und die verteilte Kognition erlauben es, die Mikro-Studien von Designprozessen systematisch zu ordnen. Schließlich sind diese drei zentralen Argumente aus der Wissenschafts- und Technikforschung die Grundlage für die vorliegenden Untersuchungen von Designprozesses. Wie genau die Studien von Designprozessen, Entwurfsprozessen und Architektur im Einzelnen argumentieren, werde ich in den nächsten Abschnitten vorstellen (2.4.1 bis 2.4.3). Da die Prozesse und Ergebnisse sich hier stark ähneln, werde ich keine Unterscheidung zwischen Design und Architektur vornehmen und mich stattdessen auf die jeweiligen Analysen konzentrieren. Neben den genannten Argumenten aus der Wissenschafts- und Technikforschung erscheint Unbestimmtheit – ein Phänomen das bisher noch nicht diskutiert wurde – in einigen der untersuchten Designprozesse von großer Bedeutung zu sein. 2.4.1 Das Design von erwarteten Zukünften und Nutzern Der SCOT Ansatz gab in den 1980er Jahren eine neue Antwort auf die alte Frage, wie Technik ihre konkrete Gestalt erhält. Technik wird hier als interpretativ
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flexibel begriffen, so sind es Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen Interessengruppen, die Technik ihre konkrete Gestalt verleihen (vgl. Pinch, Bijker 1984). Die interpretative Flexibilität wird ggf. auch sichtbar, wenn Nutzer eine Technologie uminterpretieren und redesignen (vgl. Kline, Pinch 1996). Auf die hohe Relevanz der Nutzer und ihre Sinnzuschreibungen weisen Hörning und Lindemann hin, indem sie die Antizipation der Erwartungen möglicher Nutzer als richtungsweisend in Konstruktionsprozessen von Technik thematisieren (vgl. Lindemann 2009; Hörning 1989). Die Mikro-Studien von Designprozessen stellen jedoch eine neue, aber in gewisser Hinsicht ähnliche Frage. Sie fragen nicht allgemein, wie Technik ihre Gestalt bekommt und welche Interessengruppen dafür verantwortlich sind, sie gehen über SCOT hinaus und fragen spezifischer, wie die Konstrukteure Design machen, Gestaltungsentscheidungen treffen, wie sie dabei vorgehen und vor allem woran sie sich orientieren. Woolgar, einer der zentralen Kritiker des SCOT Ansatzes (vgl. Woolgar 1991A) formuliert in einem Aufsatz mit dem programmatischen Titel ‚Configuring the User‘ ebenfalls eine sozialkonstruktivistische Analyse der Entwicklung von Technik, sie kann als wichtige Erweiterung von SCOT verstanden werden. Woolgar untersucht, welche Rolle die User im Designprozess eines neuen Lerncomputers haben (vgl. Woolgar 1991B). Dabei treibt er die Annahme, dass die Antizipation der Erwartungen von Nutzern eine Relevanz in Konstruktionsprozessen hat, auf die Spitze: Zunächst zeigt er, wie unterschiedliche Akteure in der Organisation des Computerherstellers sich selbst jeweils eine höhere Expertise in der Definitionshoheit des Nutzers zuschreiben (vgl. Woolgar 1991B: 69). Dass die Expertise über die Nutzer aus den Abteilungen ‚Technical Support‘ und ‚Service‘ stammt und zumeist in Form von Geschichten und Anekdoten in der Firma kursiert, schmälert ihre sozialen Folgen nicht (vgl. Woolgar 1991B: 71f.). Woolgars Aufsatz zeigt zudem, wie zu einem späteren Zeitpunkt mit Hilfe eines Versuchsaufbaus mehr Wissen über die Nutzer erzeugt werden soll, indem eine Untersuchung der Gebrauchstauglichkeit des Lerncomputers durchgeführt wird. Dass die Stichprobe der Versuchspersonen wenig repräsentativ nur mit Angestellten des Unternehmens gefüllt wird, begründen die Akteure mit Geheimhaltung (vgl. Woolgar 1991B: 70). Woolgars interessantestes Argument aber bezieht sich auf den von ihm beobachteten, sehr spezifischen, Umgang mit den Versuchspersonen: Die Beobachtung, dass auf Benutzungsprobleme nicht etwa mit einer Anpassung des Lerncomputers an die Bedürfnisse seiner Nutzer reagiert wird ist hoch interessant. Denn stattdessen wird die betriebsinterne Untersuchung der Gebrauchs-tauglichkeit praktisch auf eine Art und Weise vollzogen, die den neuen Lerncomputer in ein gutes Licht rückt. Versuchsnutzer bekommen etwa Tipps oder werden bei schlechten Resultaten in ihrer Relevanz herabgestuft
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(vgl. Woolgar 1991B: 69 und 89). Hieran zeigt sich die hohe Relevanz der Nutzer – wenn auch in anderem Sinne als bei SCOT. Die bereits im Rahmen von SCOT formulierte These, der Relevanz von Interessengruppen für die Gestaltung von Technik, wird hier bestätigt, allerdings in Form einer bemerkenswerten Wendung: Überraschenderweise wird hier nicht die Technik an die Testnutzer angepasst, sondern vielmehr der ‚Nutzer konfiguriert‘, so dass die Technik in ein besseres Licht gerückt wird. Die Relevanz des Nutzers in diesem Konstruktionsprozess steht damit außer Frage, vielmehr führt sie sogar dazu, dass der Nutzer selbst angepasst wird, ihn zu ignorieren und zu marginalisieren ist keine Option. Der Gewinn von Woolgars Untersuchung liegt darin, den Nutzer selbst und nicht allein die Technik zum Gegenstand sozialer Konstruktion zu erklären. Sophie Houdart kombiniert in ihrer Untersuchung den starken Bezug auf Nutzer mit einem Rekurs auf Argumente der ANT. Sie zeigt, wie durch die Technologie des ‚Renderings‘23 Entwurfsprozesse von einem Wandel betroffen sind. Sie formuliert ebenfalls ein starkes Argument für den sinnhaften Bezug auf künftige Nutzer. Houdart führte unter anderem in dem Architekturbüro des japanischen Architekten Kengo Kuma eine Ethnografie durch. Für die Weltausstellung Expo 2005 bereiten die Mitarbeiter seines Büros mit der damals recht neuen Technologie des Renderings Entwürfe für eine postmoderne, grüne Architektur vor (vgl. Houdart 2008: 51). Die Visualisierung der Entwürfe und mit ihr die Architektur Kumas hat sich durch ihre Digitalisierung von der konkreten physischen Realität entfernt (vgl. Houdart 2008: 53). Entwerfen findet vermehrt am Bildschirm statt, dadurch vermindern sich die Bezüge auf physische und materielle Fragen der Gestaltung der Gebäude. An ihre Stelle tritt eine neue Frage, nämlich die Frage, ob die digitalen Bilder und Bildsequenzen glaubwürdig und erstrebenswert sind (vgl. Houdart 2008: 53). So werden Fragen der physischen Machbarkeit von Fragen der Glaubwürdigkeit und Sinnhaftigkeit abgelöst – jedenfalls in den frühen Phasen des Entwurfs, die Houdart beschreibt. Im konkreten Fall wird eine grüne, naturverbundene und familienfreundliche Welt von Kuma und seinen Mitarbeitern am Bildschirm entworfen. Houdart sieht die Herausforderung der Architekten darin, den Kundenwünschen so zu begegnen, dass die Entwürfe als glaubhaft und funktional rezipiert werden (vgl. Houdart 2008: 54). Zu den zentralen Orientierungspunkten dieser Entwurfsprozesse werden die antizipierte Rezeption und die antizipierte Sinnzuschreibung der Adressaten. Gefördert wird diese Verschiebung des Entwurfshandelns durch die 23 Ein Rendering ist als Prozess der Virtualisierung am Computer zu verstehen, genauer: „[eine] Vorausberechnung von zu entwickelnden Produkten am Computer mithilfe einer dreidimensionalen virtuellen Darstellung“ (Duden 2017: Rendering).
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Eigenschaften des Renderings, hier liegt der Anknüpfungspunkt für das Argument der ANT. Folglich, so argumentiert Houdart, wächst die Relevanz der erwarteten Nutzer-Erwartungen für die Gestaltung der Entwürfe zur Expo in Japan 2005, gleichzeitig geraten Fragen der physischen Umsetzung von Architektur in den Hintergrund. Houdart stellt in ihrer Untersuchung eine hoch interessante Kombination der Orientierung an Erwartungen und an Wirkungen des Renderings vor. Alex Wilkie und Mike Michael bieten einen elaborierten Blick auf den User in Technikentwicklungs- und Designprozessen (vgl. Wilkie, Michael 2009; Wilkie 2010). Die beiden Autoren unternehmen eine Inhaltsanalyse eines Szenariopapiers eines renommierten britischen Think-Tanks. In dem Papier, aus dem Jahre 2003, sind verschiedene Szenarien mobiler Datennutzung formuliert. Der Hintergrund ist der Verkauf von 3G-Mobilfunklizenzen an verschiedene Unternehmen (vgl. Wilkie, Michael 2009: 503). In ihrer Auswertung verbinden die Autoren das Argument der Bedeutungszuschreibung gegenüber dem Nutzer mit dem Netzwerk-Argument der ANT. Die als Szenarios verfassten Beschreibungen exemplarischer Mobilfunknutzer erschaffen bestimmte Nutzungsvisionen, in denen wiederum bestimmte Bedeutungen, Erwartungen und Rollen erkennbar werden. Die Autoren differenzieren die Nutzungsszenarien sehr genau und identifizieren einen doppelten Mechanismus: 1) Die Zweiteilung,24 in Nutzer einerseits und in Technik andererseits, wirkt als Filter gegenüber der Komplexität der sozio-technischen Konstellation25 Mobilfunk. Die Reduzierung von Komplexität ist wiederum funktional, da sie die komplexen und unwägbaren Zukunftsfragen zugänglicher macht. In den Szenarios ist es allein die Figur des Nutzers, die es erlaubt, die Technik und das Soziale zusammenzubringen. Darin liegt die Stärke der Verwendung des Nutzers als zentrale Figur in den Szenarios (vgl. Wilkie, Michael 2009: 519). 2) Dieser wird zum Beweis für die Verbindung, Untrenn-
24 Diese Zweiteilung wird in der ANT häufig mit dem Begriff der Bifurkation beschrieben, verstanden als Trennung einer Einheit. Der Begriff ist ein deutlicher Hinweis auf die an der ANT orientierte Annahme einer gemeinsamen, nur analytisch trennbaren Handlungsträgerschaft von Menschen und anderen Entitäten. 25 Die Begriffe sozio-technische Konstellation, sozio-technisch und in Anlehnung soziomateriell werden im Weiteren häufiger verwendet, denn sie verhindern in dualistische Zuschreibungen gegenüber Mensch oder Ding zu verfallen. Rammert definiert soziotechnische Konstellationen am Beispiel eines Verkehrsflugzeugs, welches als Menge von menschlichen und anderen Entitäten, die alle samt, aber in unterschiedlichem Maß, am Handlungsvollzug beteiligt sind (vgl. Rammert 2003: 12f.).
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barkeit und Vielfältigkeit26 von Alltag, Datenschutz, Wirtschaft, Technik usw. Über den Nutzer wird es möglich, die Untrennbarkeit, aber vor allem die Notwendigkeit der politischen und gesellschaftlichen Gestaltung des Mobilfunks begreiflich zu machen (vgl. Wilkie, Michael 2009: 518). In diesem doppelten Mechanismus der Szenarios diagnostizieren die Autoren das Argument der hohen Relevanz des Nutzers mit der Annahme der Verwobenheit und Verbundenheit der ANT, das Ergebnis ist ein differenziertes und umfassendes Bild der Relevanz und Bedeutung des Nutzers in Designprozessen. Noch umfangreicher untersucht Wilkie die Relevanz der Nutzerinnen in seiner Dissertationsschrift ‚User Assemblages in Design‘ (Wilkie 2010). Nach einer gründlichen Begriffsgeschichte des Nutzers in der Human Computer Interaction (HCI) und der Wissenschafts- und Technikforschung stellt Wilkie vier ethnografische Untersuchungen von verschiedenen Settings des benutzerzentrieten Designs vor. Dabei steht jeweils die Relevanz und Bedeutung des Nutzers im Mittelpunkt, diese Perspektive erlaubt ihm einige Einsichten. Vor allem aber zeigt der Autor, dass Design durch den materiellen und diskursiven Bezug auf den Nutzer praktisch vollzogen wird. Gleichzeitig ist ein solcher Bezug niemals neutral, sondern impliziert vielmehr stets eine bestimmte politische Position, indem beispielsweise durch die Positionierung des Nutzers andere Positionen marginalisiert werden (vgl. Wilkie 2010: 23). Wie auch Wilkies Studien zeigen alle hier genannten Auseinandersetzungen eine breite Rezeption der Argumente und Konzepte aus der Wissenschafts- und Technikforschung. Die Erwartungen potenzieller Nutzer, die interpretative Flexibilität, aber auch die Objekte und ihre Verbindungen selbst werden in diesen Mikro-Studien von Design auf unterschiedliche Weise berücksichtigt. Wilkie gelingt es zu zeigen, dass der Nutzer zugleich konstruiert und wirkungsvoll ist. In diesem Sinne versteht Wilkie ihn zu gleichen Teilen als ‚Motor und Resultat‘ von Designprozessen (vgl. Wilkie 2010: 188).27 26 Hier wird der Begriff der ‚Multiplicity‘ verwendet, der Begriff stammt aus neueren Arbeiten der ANT und verweist auf die netzwerkartige Verbindung aller oder vieler Entitäten. 27 Eine Studie von Christian Brassac und Nicolas Gregori betont ebenfalls die hohe Relevanz der experimentellen Nutzung einer Lernsoftware. Diese konversationsanalytische Argumentation betont die große Bedeutung des Nutzers in der Entwicklung der Usability einer Lernsoftware für die Gestaltung von Unterrichtsstunden. Erst durch den Nutzer wird das Potential der Technik als Suchhilfe entdeckt (vgl. Brassac, Greogori 2000: 29f.). In diesem Sinne kann auch hier der Nutzer als Motor der Technikentwicklung verstanden werden.
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Die zentrale Stellung von tatsächlichen und von antizipierten Nutzern in Designprozessen steht nach der Analyse dieser Literatur außer Frage. Die Bezugnahmen auf Nutzer und Vorstellungen von Nutzern sind dabei recht vielfältig, vollkommen klar ist jedoch, dass eine Untersuchung des Designprozesses sensibel für jedwede Bezüge auf konkrete und antizipierte Nutzer sein muss. 2.4.2 Verteilte Handlungsträgerschaft und verteilte Kognition im Design In der Literatur zu Designstudien ist der Bezug auf das Argument der verteilten Handlungsträgerschaft aus der ANT recht verbreitet. Im Sinne der ANT wird in diesen Studien davon ausgegangen, dass Design als verteiltes Wirken von menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten zu verstehen ist. Einige Studien beziehen sich auch zugleich auf das Argument der verteilten Kognition oder gar auf beide zugleich (vgl. Henderson 1991 und 1998). In den folgenden Abschnitten werde ich einige wichtige Studien vorstellen. Wieder steht dabei die Frage im Zentrum, wie eine Studie zu Design angelegt sein sollte, um konstruktiv an die Ergebnisse des Forschungsstandes anzuschließen. Zunächst beziehe ich mich auf zwei ethnografische Untersuchungen der Soziologin Kathryn Henderson. In ihrer ersten Untersuchung wurden im Kontext von Technikdesign Papierskizzen durch ‚Computer aided Design‘ (CAD)28 ersetzt (vgl. Henderson 1991). In der zweiten Untersuchung wurden drei Callcenter eines Herstellers von Büroelektronik zu einem großen Callcenter redesignt (vgl. Henderson 1998). Henderson verbindet Argumente der ANT, der ‚Distributed Cognition‘ sowie das pragmatistische Konzept des ‚Boundary Objects‘ von Star und Griesemer (vgl. Star, Griesemer 1989)29, um schließlich Skizzen auf Papier als ‚Conscription Devices‘30 mit zwei besonderen Qualitäten zu bestim28 CAD bezeichnet die rechnerunterstützte Konstruktions- und Arbeitsplanung (vgl. Duden 2017: CAD). 29 Das Konzept des ‚Boundary Object‘ wird in verschiedenen Studien zu Designprozessen verwendet (vgl. Carlie 2002; Ewenstein, Whyte 2009). Auch Henderson bezieht sich recht deutlich darauf. Ich verzichte auf eine weitere Rezeption der genannten Studien, denn die Studien haben weniger eine Analyse von Designprozessen zum Ziel, vielmehr verwenden sie Designprozesse, um allgemeine Fragen zum Problem der Koordination zu bearbeiten. 30 Dieser schwer zu übersetzende Begriff geht auf die ‚Conscription‘, die Einberufung zur Wehrpflicht zurück. In diesem Sinne sorgen ebendiese ‚Conscription Devices‘ dafür, dass bestimmte Akteure sich beteiligen.
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men. Zum einen ermöglichen Skizzen als ‚Conscription Devices‘ den Designern als Denkhilfe oder Denkmittel erst Kreativität und die dazu erforderlichen kognitiven Prozesse (vgl. Henderson 1991: 448). Zum anderen wirken sie als Mittel der Koordination und des Austauschs von sonst schlecht zu kommunizierendem ‚Tacit Knowledge‘ (vgl. Henderson 1991: 461). Hendersons Begriffsschöpfung vereint somit verschiedene Konzepte. Einerseits beruhen die ‚Conscription Devices‘ auf Argumenten der Verteiltheit (‚Distributed Cognition‘), Verkettung und Einschreibung von Handlung (ANT). 31 Andererseits leisten ‚Conscription Devices‘ wie ‚Boundary Objects‘ eine Koordination der Arbeitsabläufe (vgl. Henderson 1991: 468f.). In ihrer zweiten Untersuchung bezieht sich Henderson ebenfalls auf die genannten Konzepte, betont hier aber insbesondere, dass in Gestaltungsprozessen von Arbeitsplätzen die Ebene der Praxis und die dazugehörigen ‚Conscription Devices‘ besonders berücksichtigt werden sollten (vgl. Henderson 1998). Die Lektüre von Henderson sensibilisiert für die Bedeutung von Skizzen, denn die stets von Skizzen begleitete Arbeit im Design ist Kommunikationsarbeit, die – und darin liegt ihr stärkstes Argument – nicht ohne das Mitwirken der oder die Verteilung auf Skizzen zu leisten ist. Kommunikation oder Interaktion im Design erscheint damit nicht einfach durch Sprechen und Schreiben vollzogen zu werden, die Analyse von Designarbeit bringt den zentralen kognitiven und kreativen Stellenwert, aber auch die koordinative Leistung von Skizzen hervor. Obwohl Latour in dem Aufsatz ‚Drawing Things together‘ (1986) weder einen Bezug auf Design herstellt noch eine ethnografische Studie im Bereich Design oder Entwurf unternimmt, lohnt sich ein kurzer Bezug auf den Text, denn er illustriert wieso Skizzen und Zeichen in Designprozessen enorme Bedeutung zukommt. Latour bezieht sich auf die Geografie, die Astronomie und die Anthropologie sowie auf die Wissenschaft in allgemeiner historischer Form. Er untersucht das Werk Prominenter, wie Tycho Brahe, Robert Boyle, Louis Pasteur und Roger Guillemin, in ihrem Verhältnis und Umgang mit Visualisierungen und Zeichen unterschiedlicher Form. Das Ergebnis sind neun Eigenschaften32 sogenannter ‚Immutable Mobiles‘, darunter versteht Latour schriftli31 Die in den Abschnitten 2.1.2 und 2.1.3 betonte prinzipielle Differenz zwischen den Ansätzen der Verteilten Kognition und der ANT übergeht Henderson. Eine differenzierte Betrachtung findet sich bei Roßler (2015A, insb. 214-236). 32 Die Eigenschaften beziehen sich auf Zeichen als ‚Immutable Mobiles‘, sie lauten folgendermaßen: ‚mobile‘, ‚immutable‘, ‚flat‘, ‚modifiable Scale‘, ‚reproduced‘, ‚recombined‘, ‚superimpose‘, ‚may be Part of a written Text‘, ‚merge with Geometry‘ (vgl. Latour 1986: 20).
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che und visuelle Inskriptionen. So zeigt der Autor, dass Wissenschaft nicht allein durch Denken, sondern vielmehr auch mit Händen, Augen und Zeichen vollzogen wird (vgl. Latour 1986: 25). Wissenschaft nun aber als Angelegenheit von Immutable Mobiles allein zu verstehen ist ebenfalls eine Verkürzung, denn entscheidend sind die Verbindungen und Mobilisierungen, in welche die Zeichen als Immutable Mobiles stets eingebunden sind (vgl. Latour 1986: 25). Der Stellenwert von Zeichen und visuellen Darstellungen in der Wissenschaft und sicher auch im Design sind kaum zu überschätzen, das zeigen sowohl Henderson als auch Latour. Das Argument der Beteiligung von nichtmenschlichen Entitäten betrifft jedoch nicht nur Zeichnungen und Texte, sondern gerade auch Objekte, wie die nun folgenden Studien zeigen. Albena Yaneva untersucht Entwurfsarbeit in der Architektur mit den Methoden der Labor-Studien, damit sind explizit die Arbeiten von Latour gemeint (vgl. Yaneva 2005: 869). Die Entwurfsarbeit in dem Rotterdamer Architekturbüro von Rem Koolhaas wird von ihr als rhythmisches und gerade nicht systematisches oder mathematisches Hinauf- und Hinabskalieren verstanden. Die Skalierungen basieren auf intensiver und kleinteiliger Arbeit mit unterschiedlichen Modellen aus Styropor, Pappe und Papier: „The models are scaled and re-scaled, not according to the architect’s mind’s eye (Akin & Weinel, 1982), but according to numerous material formations, practices and relations among architects, consultants, models, cameras and images in a complex visual field.“ (Yaneva 2005: 869)
Mit Hilfe eines ‚Modelscopes‘33 dringen die Architekten regelrecht in die entworfenen Modelle ein. Es gelingt ihnen so ein Wechselspiel aus Erleben und Modellieren der neuen Räumlichkeiten (vgl. Yaneva 2005: 676). Das beständige Wechseln zwischen unterschiedlich großen Modellen erlaubt es, das Gebäude zur gleichen Zeit als differenziert und finalisiert, aber auch als offen und unfertig zu betrachten. Große Modelle erlauben den Blick und das Begreifen von kleinteiligen Zusammenhängen und in der Folge Entscheidungen für oder wider bestimmte Details der Entwürfe. Fast gleichzeitig erlauben die kleinen Modelle eine ganzheitliche Betrachtung des Entwurfs, sodass das Gesamtkonzept niemals aus dem Blick gerät. Yaneva formuliert hier treffend, dass das Design eines Gebäudes es notwendig macht zugleich viel und wenig über den Entwurf zu 33 Tatsächlich verwenden die Architekten hier einfache optische Endoskope, wie sie auch zur Sichtprüfung des Inneren von größeren Maschinen verwendet werden (vgl. Yaneva 2005 FN 22: 890).
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wissen (vgl. Yaneva 2005: 870). Man muss viel wissen, um sich in die Details einzuarbeiten. Wenig zu wissen erleichtert es jedoch grundlegende Entscheidungen zu treffen. Auf diese vielfachen und spezifischen Weisen wird das Gebäude begreifbar und als Entwurf für die Akteure wirksam und intersubjektiv (vgl. Yaneva 2005: 869). Ihre an der ANT orientierte Inklusion der Verbindungen von Menschen und Objekten rückt die Modelle, als entscheidende Instanz, ins Zentrum der Entwurfsprozesse eines neuen Gebäudes. Sie haben einen spezifischen und unverzichtbaren Anteil an der Entwurfsarbeit. Die Entwurfsarbeit ist zwischen Architekten, Modellen und weiteren Entwürfen verteilt. Besonders nachvollziehbar macht Yaneva die konstitutive Rolle der Modelle, dabei gelingt es ihr zwischen unterschiedlichen Modellen und unterschiedlichen Praktiken ihrer Benutzung zu differenzieren. Wie letztlich Entscheidungen getroffen und Entwürfe finalisiert werden, stellt Yaneva in ihrer Untersuchung jedoch nicht dar. Neben den von Henderson untersuchten Skizzen wird unbestreitbar, dass auch Modelle besonders relevant sind im Design. Als Abschluss für die Frage nach der Beteiligung von nicht-menschlichen Entitäten am Design eignet sich insbesondere der Text ‚The Studio overflowed‘ von Houdart (2016), der sich konkret mit dem Entwurfsprozess für eine neue Glasbläserei eines bekannten japanischen Künstlers beschäftigt. Die Autorin teilt das Argument der verteilten Wirkung im Entwurfsprozess, dass in ähnlicher Form auch bei Yaneva zu finden ist. Die für den Entwurf relevanten Entitäten finden sich jedoch nicht nur in den Modellen oder im Studio des Architekten, sondern insbesondere außerhalb des Studios (vgl. Houdart 2016: 122). Das Studio wird mit diesen Entitäten ‚überflutet‘, teils absichtlich, teils unabsichtlich. Dabei reist der leitende Architekt und später sein Mitarbeiter zweimal an den Ort, an dem das Gebäude entstehen soll und besucht die Räume und Akteure, in der bereits existierenden Werkstatt.34 Die relevanten Entitäten, wie das Meer und der Strand, die soziale Umgebung, das Licht und viele mehr sind jedoch nicht einfach vorhanden, sie werden von den Architekten gesucht, eingegrenzt und geordnet, manchmal direkt erkannt und manchmal übersehen. Was auf den ersten Blick wie ein angenehmer, aber unverbindlicher und unsystematischer Ausflug wirkt, beschreibt Houdart als zentralen Mechanismus des Entwerfens: Sie versteht Entwerfen als Wechselspiel von Akkumulation und Reduktion relevan-
34 Wie nebenbei zeigt sich der leitende Architekt, Kengo Kuma, hier als talentierter Glasbläser und fügt sich auch sonst scheinbar mühelos in die örtlichen Praktiken ein (vgl. Houdart 2016: 127).
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ter Entitäten.35 Dabei sind die Besuche notwendig, um alles Belangvolle zu akkumulieren, im Studio wiederum werden wichtige Reduktionen – in diesem Fall auf die Merkmale Offenheit, Blick zum Meer und Luftzirkulation – vorgenommen. Diese Logik von Akkumulation und Reduktion, auch das zeigt der Fall, wird mitunter von unerwünschten Akkumulationen eingeholt (vgl. Houdart 2016: 135). Entwerfen wird so treffend als ‚Sammeln und Sortieren‘ ganz verschiedener Entitäten und Relationen beschrieben. Ähnlich wie bei der sozialen Konstruktion von Designobjekt und Nutzer (2.4.1) sind auch die Ergebnisse der Studien zur verteilten Handlungsträgerschaft und Kognition im Design, vor dem Hintergrund ihrer Referenzen in der Wissenschafts- und Technikforschung, nicht wirklich überraschend. Materielle Entitäten, insbesondere Skizzen und Objekte, werden in ihrem Wirken in Designprozessen beschrieben. Sie sind aber nicht per se und immer auf die gleiche Art und Weise bedeutsam. Es bedarf der Einbindung und Bezugnahme, um sie auch auf durchaus unterschiedliche Arten und Weisen wirksam zu machen. Die Grenzen des Studios sind dabei scheinbar zweitrangig. Callon formuliert sehr treffend zur Rolle von ‚Hybrid Communities‘ im Design „they are directly engaged in action and cognition“ (Callon 2004: 3). Das Engagement oder die Beteiligung nichtmenschlicher Entitäten ist scheinbar dann besonders bedeutsam, wenn es, wie im Design, darum geht neue Aktanten in neuen Netzwerken zu versammeln, zu mobilisieren und auszurichten. Wer Handlungsträgerschaft formt, wie die Designer es tun, der ist in diesem Prozess auf die Handlungsträgerschaft zahlloser Entitäten angewiesen.36 Die designerische Konstitution künftiger Bedeutungen und Wirkungen beruht auf der situativen Mobilisierung von zahlreichen Entitäten. Eine Untersuchung von Design, so zeigt es der Stand der Forschung bis hierher, muss sensibel sein für die antizipierten und tatsächlichen Sinnzuschreibungen gegenüber dem Designobjekt und Designprozess. Ebenso muss eine Designstudie sensibel sein für das Wirken von ganz verschiedenen Entitäten, diese Wirkungen werden versammelt, mitunter zerlegt und mitunter auch wieder kom-
35 Der enge Bezug zu der oben erläuterten Studie Latours zur Arbeit des Mikrobiologen Louis Pasteur ist offensichtlich, denn es gelang Pasteur, die relevanten Akteure (Mikroben) in sein Pariser Labor mitzunehmen, sie dort beherrschbar zu machen und schließlich über den Umweg auch in den französischen Kuhställen zu einem machtvollen Akteur zu werden (vgl. Latour 1983). 36 Plontke zeigt, dass auch digitale Designarbeit vor dem Bildschirm mit unterschiedlichen Handlungsträgerschaften umgehen muss (2015).
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biniert. Designte Objekte sind als produzierte Wirksamkeit auf Dauer gestellt, dem Phänomen der Wirksamkeit kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Der Stand der Forschung zu Designprozessen birgt noch weitere Ergebnisse, diese sind jedoch kaum mit den vorgestellten Vorarbeiten aus der Wissenschaftsund Technikforschung verbunden. Sie werden nun vorgestellt. 2.4.3 Uneindeutigkeit als notwendige Bedingung von Design Neben der verteilten Wirkung und den zweifachen Bezügen zu Nutzern fehlt ein weiteres, wichtiges Ergebnis aus dem Stand der Forschung zu Studien von Designprozessen. Dieses Argument der ‚Notwendigkeit von Uneindeutigkeit‘ kann möglicherweise als Verbindungslinie, der oben diskutierten Momente von Design, verstanden werden, denn uneindeutig und ungewiss erscheinen sowohl Fragen zu Nutzern, als auch Fragen zu Wirkungen von Designobjekten. Es scheinen ja gerade die Unwägbarkeiten rund um Nutzer und um die Wirkungen der Designobjekte zu sein, mit denen sich die Designerinnen befassen. Dennoch: warum ist Uneindeutigkeit oder ‚epistemische Dissonanz‘ für Design wichtig, wo doch Design darauf abzielt, Objekte, Häuser, Werbung, Dienstleistungen und vieles mehr erwartungssicher, verlässlich und wirksam zu machen? Ignacio Farias begründet die Notwendigkeit von Offenheit und Uneindeutigkeit, unter Rekurs auf die Ergebnisse einer ethnografischen Untersuchung dreier chilenischer Architekturbüros, wie folgt: „Auf diese Frage möchte ich mit dem Begriff der epistemischen Dissonanz antworten, [...] da architektonische Entscheidungen nur getroffen werden können, wenn es Unentscheidbarkeiten zwischen Entwurfsalternativen gibt.“ (Farias 2013: 79).
Seine Untersuchung zeigt, dass durch den Rekurs auf Vorgesetzte oder andere nur mittelbar am Designprozess beteiligte Akteure, aber auch durch unterschiedliche Mediatisierungs- und Visualisierungstechniken sowie durch die räumlichen Arrangements der Büros systematisch und absichtsvoll Widersprüche, Dissonanzen und Uneindeutigkeiten der Entwürfe produziert werden. Die untersuchten Architekten entwerfen nicht nur Gebäude, sie erschaffen gleichzeitig auch Unsicherheiten, die sie für ihre Arbeit benötigen. Das zugrunde liegende Argument dahinter ist recht simpel: Nur wer sich zwischen guten Alternativen entscheiden kann, kann eine gute Entscheidung treffen. Für den Fortgang der Projekte müssen die Uneindeutigkeiten ausgeräumt werden, zumeist, indem eine Entscheidung für eine der Alternativen getroffen wird. Vielheit, Uneindeutigkeit, Differenzen und unterschiedliche Perspektiven werden aus diesem Grund zu not-
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wendigen Bedingungen von Design. Praktisch werden diese Dissonanzen soziotechnisch erzeugt, indem verschiedene Formen der Darstellung von Entwürfen einen Raum an Möglichkeiten eröffnen (vgl. Farias 2013: 101). Der von Yaneva als Skalierung bezeichnete Umgang mit unterschiedlichen Modellen, die von Houdart beschriebenen Besuche beim Auftraggeber und Nutzer des zu entwerfenden Gebäudes – all diese Praktiken erzeugen ebenfalls Vielfalt und bieten einen Anschluss, an das Argument von Farias. Kurzum: Design braucht Unklarheiten, Offenheit, Dissonanz und Probleme, denn sie sind eine notwendige Bedingung, um Entscheidungen und damit auch gute Entscheidungen treffen zu können. Die praktischen und oftmals enormen Anstrengungen, die Unsicherheiten oder Dissonanzen wieder auszuräumen müssen stets die verteilten Wirkungen, Bezüge auf und Konstruktionen von Nutzern einbeziehen.37 In den nächsten Abschnitten werde ich zeigen, dass dabei auch Körper und bestimmte körperliche Fähigkeiten eine wichtige Rolle spielen. In Hinsicht auf die Anlage der vorliegenden Untersuchung ist jedoch vor allem wichtig, dass diese für ganz unterschiedliche Formen von Unsicherheit sensibel sein muss. Vor allem muss Unsicherheit dabei als gemachte, weil notwendige Bedingung für Design und nicht als um jeden Preis zu eliminierendes Problem gesehen werden. Nutzer, Wirkungen und auch Ungewissheit und Uneindeutigkeit erscheinen in Designprozessen als Ergebnisse und Triebkräfte zugleich, ihr Verhältnis im Detail zu untersuchen verspricht ein gründliches Verständnis von Design. Laura Parolin und Alvise Mattozzi beziehen sich in ihrer Untersuchung auf die ANT. Für sie rückt bei der Analyse von Designarbeit zur Gestaltung eines neuen Stuhls nicht die Skizze oder das Modell in den Vordergrund, sondern der Körper der Designer (vgl. Parolin, Matozzi: 2013). Denn allein der Körper erlaubt eine Verbindung mit den werdenden Designobjekten – einerlei, ob in eher antizipativer oder in eher manueller Form. Für ihre multiple Sicht auf den Körper und die Vielheit seiner Verbindungen mit den Materialien beziehen sie sich auf Annemarie Mol und Bruno Latour. In diesem Sinne ist der Körper nicht in der Welt, sondern erst durch die Vielfalt und den Wandel der Verbindungen von Körper und Welt wird man der Bedeutung des Körpers gerecht: „‚one is not in 37 In dem Artikel ‚Sourcing Newness: Ways of inducing indeterminancy‘ fragen Farias und Michael Hutter ganz allgemein nach den Bedingungen von Neuheit. Sie nennen unbestimmte Situationen, unbestimmte Dinge und unbestimmte Einschätzungen (vgl. Hutter, Farias 2017). Die räumlichen, medialen und diskursiven Ungewissheiten, die Farias in der hier vorgestellten Untersuchung beschreibt, lassen sich in diesem Sinne ebenso als Quellen von Neuheit verstehen.
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the world‘ but ‚one becomes together with the world‘“ (Parolin, Mattozzi 2013: 357). Ausgehend von dieser fundamentalen Körperlichkeit des Handelns untersuchen die beiden Autoren die Arbeit von zwei Möbeldesignern. Sie zeigen dabei körperliches Wissen als schwankend, zwischen detaillierten und ganzheitlichen Betrachtungen des Gegenstandes einerseits und zwischen engen und distanzierten Handlungen andererseits (vgl. Parolin, Mattozzi 2013: 364). Der Körper der Designerinnen wird in dieser Perspektive zum konstitutiven Element der Erzeugung von neuen materiellen Kombinationen und Lösungen. Aber auch die beständige Prüfung und Evaluation der Details des Stuhls ist eine durchweg körperliche Angelegenheit. So betonen die beiden Autoren, dass Innovationen durch körperliche Beziehungen hergestellt werden: „All that should allow us to account for how innovation emerges through relations among bodies.“ (Parolin, Mattozzi 2013: 358) Hannes Krämer argumentiert ähnlich, betont jedoch vor allem die Bedeutung kognitiver Kapazitäten des Menschen. In seiner Untersuchung einer Werbeagentur ist weniger die Einbindung des gesamten Körpers entscheidend, vielmehr zeigt er, dass erlerntes, inkorporiertes und kontextuelles Sehen für das Design einer guten Werbung entscheidend ist: „Kurzum, das, was das Auge erkennt, ist Ergebnis eines sozialen Lern- sowie Aushandlungsprozesses.“ (Krämer 2012: 206) Ein in diesem Sinne kompetenter Akteur braucht hierfür die Fähigkeit, auf eine spezifische Weise zu sehen und er muss diese Kompetenz als Interaktionsarbeit beständig in seinen Arbeitsroutinen geltend machen (vgl. Krämer 2012: 221ff.). Beide Studien weisen darauf hin, dass die hohe visuelle und materielle Wirksamkeit, wie sie insbesondere von Henderson und Yaneva beschrieben wird, in gewisser Weise begriffen und behandelt werden muss. Die Argumente von Parolin und Mattozzi beziehen sich auf die vielen Momente von Ungewissheit und Vergewisserung, diese Vergewisserung oder Stabilisierung im Design kann ihnen zu Folge nur über den Körper erreicht werden. Design ist für sie immer auch ein körperliches Unterfangen. Für meine Untersuchung eröffnet der Blick auf den Körper als integratives Element zur Verbindung sehr unterschiedlicher Entitäten im Design eine vielversprechende Perspektive, ebenso wie die Unsicherheit scheinbar Problem und Voraussetzung von Design zu gleichen Teilen ist.
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2.5
ANKNÜPFUNGSPUNKTE FÜR EINE INTEGRATIVE UNTERSUCHUNG VON DESIGN
Die Vorstellung und Einordnung der stets interessanten, aber sehr unterschiedlichen und kleinteiligen Untersuchungen von Designprozessen hat für die Argumentation dieser Arbeit ein hohes Gewicht. Ziel der Systematisierung, Erörterung und Kritik ist es dennoch mit den Ergebnissen der Vorarbeiten konstruktiv umzugehen, das bedeutet, die Ergebnisse des Forschungsstandes ernst zu nehmen und konstruktiv daran anzuschließen. Selbstverständlich sind für dieses Vorhaben Kritik und Kontroversen notwendig und produktiv, das Ziel bleibt es dennoch eine Perspektive auf Designprozesse zu entwickeln, die zentrale Argumente des Forschungstandes integriert und schließlich eine konzeptuelle Weiterentwicklung der genannten, durchaus heterogenen, Perspektiven auf Design zu erreichen. Um in den nächsten Kapiteln auf den Forschungsstand aufbauen zu können, werden die Thesen der diskutierten Literatur auf den verbleibenden Seiten dieses Kapitels geordnet und in knapper Form dargestellt. Im mittleren Teil dieses Kapitels (2.4) wurden Arbeiten vorgestellt, die in konzeptueller Nähe zur Wissenschafts- und Technikforschung entstanden sind. Die soziale Konstruktion von Technik, von Erwartungen und Nutzern, aber auch die These der Mitwirkung verschiedener nicht-menschlicher Entitäten an Designprozessen und die Verteilung der Kognition auf Mensch und Ding in Designprozessen, lehnen ihre Annahmen an die Thesen und Forschungsmethoden der ANT, der ‚Distributed Cognition‘ und der sozialen Konstruktion von Fakten und Artefakten an. Um den Stand der Forschung in eine knappe und prägnante Form zu bringen werden nun vergleichbar argumentierende Studien zusammengefasst. Die erstgenannten Analysen rund um den Nutzer im Design haben folgende Ergebnisse: A) Der Nutzer ist ein zentraler Referenzpunkt in Designprozessen. Sogar in Fällen, in denen der Nutzer lediglich antizipativ greifbar ist, sind Kontroversen um seine Erwartungen, Eigenschaften und vieles mehr richtungweisende Bestandteile von Designprozessen. B) Mitunter werden auch ‚echte‘ Nutzer und nicht allein Erwartungen und Vorstellungen von Nutzern in Designprozesse integriert, beispielsweise um etwaige Erwartungen ihnen gegenüber experimentell abzusichern. Woolgar (1991B) zeigt auf eindrückliche Weise, dass es aber nicht unbedingt darum geht, das Designobjekt an Nutzer anzupassen, vielmehr wird in seinem Beispiel schon in der Auswahl der Nutzer absichtsvoll selektiv gehandelt, bevor dann im tatsächlichen Nutzer-Experiment Nutzer ‚konfiguriert‘, genauer, mit bestimmten Bedeutungen belegt werden. Anstatt also die Technik des Lerncomputers zu
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verändern wird Einfluss auf die Auswahl der Test-Nutzer und ihr Benutzungsverhalten ausgeübt. So erscheint nicht allein das Designobjekt als Gegenstand der Gestaltung, mitunter wird auch der Nutzer ‚konfiguriert‘, wenn es denn für die Interessen der Akteure zuträglich scheint. C) Szenarien rund um einen imaginierten Nutzer eigenen sich in nutzerzentrierten Innovationsprozessen 1) als Filter, um die Komplexität der Szenarien zu reduzieren, 2) als Bindeglied, um die Bifurkation von Technischem und Sozialen zu verhindern und 3) als Relevanzgeber, denn über den Nutzer wird die Bedeutung der Entwicklungen für den Einzelnen begreifbar (vgl. Wilkie 2010; Wilkie, Michael 2009). Ähnlich wie bei Woolgar (1991B) wird der Nutzer auf diese Weise zu gleichen Teilen zum Resultat und zum Motor von Designprozessen. Die Konzepte aus der ANT und der verteilten Kognition führen insbesondere zu den folgenden Ergebnissen verschiedener Mikro-Studien von Design: D) Skizzen, Zeichnungen, Pläne und digitale Visualisierungen, wie Renderings und CAD-Darstellungen, haben einen konstitutiven Anteil an der Kognition im Design. Gleichzeitig werden sie als mitwirkende Entitäten mit Handlungsträgerschaft beschrieben, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise Anteil am Designprozess nehmen (vgl. Henderson 1991 und 1998; Houdart 2008). E) Objekte und Orte, insbesondere Modelle, aber auch Werkzeuge, Studios und räumliche Konstellationen, werden als Mitwirkende des Designs beschrieben (vgl. Yaneva 2005; Houdart 2016; Callon 2004). Ihre Wirkung bezieht sich dabei entweder auf die Kognition der Akteure oder wird allgemein als Wirkungsmacht im Designprozess einbezogen. Die Relevanz von Visualisierungen einerseits und von Objekten andererseits ist im Stand der Forschung, neben den Bezugnahmen auf den Nutzer, der zweite zentrale Befund der Studien von Designprozessen. F) Teilweise implizit, im Falle von Houdart (2016) als zentrale These, wird die Produktion und Reduktion von Komplexität thematisiert. In ihrer Untersuchung scheint das Architekturbüro eher zur Reduktion geeignet, während die durchaus notwendige und erwünschte Produktion von Komplexität in der Auseinandersetzung mit den Auftraggebern, den Orten und den Nutzern außerhalb des Büros erzeugt wird. Durch das Verlassen des Büros für Recherchen zeigt sich, dass Design einerseits auf Komplexität angewiesen ist, um andererseits Prozesse der Reduktion oder Reinigung vollziehen zu können. G) Die diskutierten Fälle von Design und Architektur können treffend als Stabilisierung von Wirksamkeit verstanden werden (vgl. Yaneva 2005; Parolin, Matozzi 2013). Verharrt man in der Perspektive der ANT, so zeigt sich, dass der stets angestrebten Stabilisierung von Wirksamkeit im Design eine äußerst inten-
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sive Auseinandersetzung mit ganz verschiedenen Handlungsträgerschaften, erwarteten und nicht-erwarteten, zeitlich vorausgeht. Design als Prozess beginnt scheinbar als intensive Auseinandersetzung mit ganz unterschiedlichen Handlungsträgerschaften, bevor erfolgreich oder weniger erfolgreich eine bestimmte Wirksamkeit in Form des Designobjektes stabilisiert wird. Der Stand der Forschung weist des Weiteren gewichtige Argumente auf, die nicht direkt mit den Vorarbeiten der Wissenschafts- und Technikforschung in Verbindung stehen. Diese Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: H) Ein zentrales Ergebnis stammt aus einer Untersuchung von Farias (2013), hier wird die ‚epistemische Dissonanz‘ als notwendige Bedingung für Entwurfsprozesse der Architektur identifiziert. Versteht man Entwürfe als Versicherungen und Stabilisierungen, dann macht man Ungewissheit zur notwendigen Voraussetzung für Design. Farias zeigt dabei ebenfalls, dass diese Unsicherheit von verschiedenen Architekten auf unterschiedliche Arten und Weisen produziert wird. I) Parolin und Matozzi (2013) machen glaubhaft, dass die für Design notwendige Produktion und Reduktion von Komplexität allein über den Körper hergestellt werden kann – einerlei, ob es sich um Vorstellungen oder taktile Prüfungen des Objektes handelt. Allein der Körper schafft eine Verbindung zwischen den Akteuren und Designobjekten. So lässt sich insgesamt der Stand der Forschung zu Designprozessen in neun Punkten zusammenfassen. Ihre Grundlage sind jeweils sehr genaue Studien des heterogenen Feldes Design. Die Studien bieten sehr genaue Untersuchungen und Perspektiven auf das Feld, zumeist liegt der Fokus aber auf einer bestimmten Systematik des Designs. Die Erzeugung von Dissonanz (vgl. Farias 2013), die Verwendung unterschiedlicher Modelle (vgl. Yaneva 2005), die Bedeutung des Körpers (vgl. Parolin, Matozzi 2013) oder der Einbezug des Bauplatzes und der Bauherren (vgl. Houdart 2016) sind solche Perspektiven. Eine Kombination dieser zweifelsfrei hoch wichtigen Momente von Design sucht man im Stand der Forschung vergeblich. Ich werde die neun Thesen in den nächsten Abschnitten in drei übergeordnete Einheiten subsumieren, bevor Anschlussmöglichkeiten für die angestrebte integrative Untersuchung von Design entwickelt werden. 1) Die Nutzer – in konkreter und antizipierter Form – sind der zentrale Bezugspunkt von Designprozessen. In welcher Form auch immer auf sie Bezug genommen wird, sie sind Motor und Produkt von Designprozessen zu gleichen Teilen. 2) Die Wirkung oder Handlungsträgerschaft der am Design beteiligten Entitäten (Menschen, Dinge, Visualisierungen u.v.m.) nehmen einen entscheidenden
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Anteil am Designprozess. Die Stabilisierung eines wirksamen und verlässlichen Designobjekts beruht auf einer intensiven Auseinandersetzung und Bearbeitung von ganz unterschiedlichen, aber stets handlungstragenden Entitäten. Diese Menge von Wirkungen und Handelnden Wirkungen vollzieht sich in einem zeitlichen Prozess. Kurzum, die Herstellung eines wirksamen Designobjektes ist das Resultat von intendierten und nicht intendierten Wirkungen designter Entitäten und handelnder Akteure. 3) Designprozesse sind Prozesse der Manipulation von Vieldeutigkeit. Um Ungewissheit zu reduzieren, muss diese zuvor identifiziert oder produziert werden. Ungewissheit scheint einerseits eine Bedingung für und andererseits ein Problem von Designprozessen zu sein. Ungewissheit wird auf unterschiedliche Art und Weise manipuliert, stets aber ist der menschliche Körper an ihrer Manipulation beteiligt. Ebenso spielen in verschiedenen Untersuchungen die Grenzen von Büros und Laboren eine wichtige Rolle im Umgang mit Komplexität. Die Ab- und Zunahme von Ungewissheit impliziert, dass Design stets als ein zeitlicher Prozess zu verstehen ist. Die Ergebnisse der diskutierten Studien geben treffende Antworten auf die Frage, wie Designprozesse vollzogen werden, sie geben jedoch, dass sollte nach der Erörterung des Forschungsstands deutlich geworden sein, unterschiedliche Antworten! Dabei ist jede der Antworten empirisch fundiert und argumentativ einleuchtend. Gleichzeitig gehen die Studien weit über die Selbstbeschreibungen in den Designmethoden hinaus. Bezug auf den Nutzer, Wirksamkeit und Ungewissheit als Handlungsbedingung sind durchaus originelle Antworten auf die Frage was kennzeichnend ist für Design, deshalb würde es nahe liegen, die Antworten zu kombinieren, um eine umfassende Antwort zu entwickeln. Leider sprechen verschiedene Gründe gegen diese einfache Aufsummierung der Erkenntnisse: Zunächst sind die genannten Studien stets recht punktuell angelegt, sie untersuchen jeweils ganz spezifische Momente und Ausschnitte von Design, nicht aber die Summe von Aktivitäten in einem Designprozess oder gar Design an sich. Hinter den Studien stehen zum Teil recht unterschiedliche Fragestellungen, die aus verschiedenen Erkenntnisinteressen heraus entwickelt wurden. Das gewichtigste Argument gegen eine Subsummierung der Erkenntnisse liegt jedoch in ihren sehr differenten Bezugnahmen. Argumente 1,2 und 3 sind Teil von größeren Diskussionszusammenhängen, sie nehmen Bezug auf und leisten Beiträge zu ganz verschiedenen Forschungsprogrammen: Die rund um den Nutzer entstehenden Erwartungen, die relevant werdenden Erfahrungen und die Sinnkonstitution von neuen Objekten verweisen auf das Problem der der doppelten Kontingenz. Die doppelte Kontingenz kann als eine Grundfrage der Soziologie ganz allgemein verstanden werden (vgl. Lindemann 2009: Kap. 5). Die Diskus-
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sion um Handlungsträgerschaft zusammengefasst in Punkt 2, wie sie in MikroStudien von Design mehrfach geführt wurde, ist als Problem und als Ziel des Prozesses gleichermaßen zu verstehen. Sie verweist auf einen der zentralen Diskussionszusammenhänge der Wissenschafts- und Technikforschung. Diese Diskussion findet häufig in Abgrenzung zur gerade genannten soziologischen Diskussion um Erwartungen und Antizipation statt (Latour 1992 und Latour 2008). Ungewissheit, wie in Punkt drei zusammengefasst und mit ihr der Begriff der Neuheit, verweisen auf eine Diskussion in der gegenwärtig populären Innovationsforschung. Ungewissheit, Neuheit und Innovation werden als Begriffe dabei in einen engen Zusammenhang gestellt (vgl. Hutter, Farias 2017; Stark 2009). Der Stand der Forschung, wie auch der knappe Verweis auf die größeren Diskussionszusammenhänge allein beantwortet meine Forschungsfrage, wie Design gemacht wird, nicht. Allerdings weist der Stand der Forschung sehr deutlich darauf hin, dass bestimmte Zusammenhänge und Faktoren von allergrößter Bedeutung in Designprozessen sind. In gewisser Weise erlaubt es der Stand der Forschung, die Untersuchung von Designprozessen einzugrenzen und die genannten relevanten Faktoren des Designs als Grundsteine für den Aufbau einer eigenen Untersuchung zu verwenden. Deshalb sollte eine gute Forschungsfrage auf die drei genannten Zusammenhänge aus Nutzern, Wirkung und Ungewissheit (1, 2 und 3) aufbauen, anderenfalls läuft sie Gefahr, hinter den existierenden Arbeiten zurückzubleiben. Wer also fragt, wie Design gemacht wird, der muss die Antizipation von Nutzern, die Mitwirkung verschiedener Entitäten und die Wechselwirkung von Gewissheit und Ungewissheit konstruktiv in seiner Forschung aufnehmen, anderenfalls läuft er Gefahr hinter den bestehenden Arbeiten zurück-zubleiben. Meine Forschungsfrage entspringt dem Paradox der einerseits unordentlichen, ungewissen und kleinteiligen Designarbeit und der scheinbar enorm wachsenden Bedeutung des Designs. Ich frage: wie wird Design gemacht? Diese Frage lässt sich mit Hilfe des Forschungsstandes eingrenzen: Die Nutzer, die Wirkung und die Ungewissheit sind zentrale Instanzen des Designs. Um eine gründliche Antwort zu entwickeln, müssen die bestehenden Erkenntnisse in die Beantwortung eingebracht werden. Hierzu ist zwar Kritik und Abgrenzung vom Stand der Forschung nötig, nur Kritik leistet jedoch keinen Beitrag zur Beantwortung der Frage. In diesem Sinne spitze ich die Forschungsfrage mit Bezug auf die Vorbeiten zu: Wie wird Design gemacht, wenn dabei die Nutzer, die Wirkungen verschiedener Entitäten und das Problem der Ungewissheit von zentraler Relevanz sind? Im folgenden Kapitel wird eine methodische Perspektive erarbeitet, um all diese Zusammenhänge integrativ – hier liegt die zentrale Differenz zum Stand
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der Forschung – in einem Designprozess zu untersuchen. Nicht ‚die richtige Perspektive‘ wird hier zum Ziel der Bemühungen, vielmehr zeigen die aktuellen und prinzipiellen Probleme empirischer Forschung, dass eine kluge und reflektierte Kombination verschiedener Sichtweisen die breitesten und tiefsten Erkenntnisse verspricht.
Kapitel 3: Epistemologie und Forschungsdesign – Die Pragmatik und Kombinatorik der Erforschung von Design
Die Soziologie ist eine multiparadigmatische Wissenschaft. Ihre Theorien und Begriffe und auch ihre Methoden und die damit verbundenen Forschungsinteressen sind durch eine geradezu enorme Vielfalt gekennzeichnet. Trotz der Vielschichtigkeit der Positionen und der mit ihr verbundenen Diskussionen um die Epistemologie und die Methoden der empirischen Sozialforschung, taucht eine ganz prinzipielle Frontstellung immer wieder auf. Diese Auseinandersetzung kreist um die Frage, welches die beste Art und Weise ist Daten zu produzieren bzw. zu erheben. Die Begriffe des Produzierens bzw. des Erhebens kennzeichnen auf treffende Weise bereits die zentralen Positionen dieser Diskussion. Worin aber bestehen die verschiedenen epistemologischen Standpunkte soziologischer Unter-suchungen? Und für diese Arbeit besonders relevant, welche Positionen erlauben die nötige Sensibilität für eine Analyse der Spezifika der Herstellung von Designobjekten in sozio-materiellen Prozessen? Um diese Fragen zu beantworten und eine sinnvolle epistemologische Position für meine Untersuchung zu entwickeln, werde ich in den nächsten Abschnitten kurz die kritischen Argumente ebendieser Frontstellung diskutieren, um mit dieser Untersuchung konstruktiv daran anzuknüpfen. Dieses Kapitel gliedert sich in zwei Teile. Zunächst werden eine aktuelle und eine prinzipielle Kritik an repräsentativer Sozialforschung diskutiert. Im zweiten Teil des Kapitels wird, unter Rekurs auf drei Forschungstraditionen (Pragmatismus, feministische Technik- und Wissenschaftsforschung, aktuelle qualitative Sozialforschung) erörtert, dass jedwede Forschung an der Konstruktion ihrer Daten beteiligt ist. Im dritten Teil des Kapitels wird diese Position aufgenommen, um sie konstruktiv in die Entwicklung eines epistemologischen Standortes und eines Forschungsdesigns einzubringen. Die Positionen von Studien kreativer
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Produktion aus dem Feld der Studio-Studien sind dabei sehr hilfreich, denn diese sind in ihrem Erkenntnisinteresse mit der vorliegenden Untersuchung teilweise vergleichbar. Dennoch werden auf Grundlage der kritischen Diskussion im letzten Teil dieses Kapitels eine epistemologische Position und ein Forschungsdesign entwickelt, dass die ethnografische Perspektive der Studio- und LaborStudien um konzeptuelle Positionen aus dem Pragmatismus erweitert. Dieser Bezug verspricht die Situativität und Punktualität der Studio-Studien zeitlich und konzeptuell zu erweitern und ihre verschiedenen Ergebnisse miteinander zu integrieren.
3.1
REPRÄSENTIEREN ODER KONSTRUIEREN – DIE AUSGANGSPUNKTE EMPIRISCHER SOZIALFORSCHUNG
Sowohl die quantitative als auch die qualitative Soziologie besetzt häufig epistemische Positionen, deren Gütekriterium Repräsentativität ist. In diesem Sinne ermöglichen beispielsweise Zufallsstichproben und andere Methoden die Erhebung möglichst großer Datenmengen, so dass zumindest möglichst viele Daten erfasst (erhoben) werden. Die Wortbedeutungen von erfassen und erheben zeigen sehr deutlich den zu Grunde liegenden Standpunkt, der auf der Annahme beruht, dass die Daten auch ohne den Forscher vorliegen und jeweils nur erfasst, also wahrgenommen und auf Dauer gestellt werden müssen. Das mathematische Prinzip der Normalverteilung stützt diese Annahme von Repräsentativität, gerade in quantitativen Verfahren. Aber auch die qualitative Sozialforschung setzt auf hohe Erhebungszahlen, um Repräsentativität zu gewinnen und zu steigern. Mike Savage und Roger Burrows beobachten dieses Prinzip insbesondere in der amerikanischen Soziologie, wo häufig zwischen 100 und 200 ‚In-Depth Interviews‘ durchgeführt werden. Zum Teil soll auch die Repräsentativität erhöht werden, indem durch Ortswechsel die lokalen und kulturellen Faktoren variiert werden (vgl. Savage, Burrows 2007: 11). Auch die Methode des Fallvergleichs basiert auf zweierlei Art auf dem genannten Argument der Repräsentativität. Hier wird einer höheren Fallzahl die genauere Repräsentation einer endlichen Vielfalt gegebener Phänomene zugesprochen. Vor allem aber enthält der Vergleich einen Mechanismus, der als Fokussierung auf Ähnlichkeiten der Fälle oder als Fokussierung auf Unterschiede der Fälle systematisch die Merkmale der Analogie oder die der Differenz offenlegt. In der Konsequenz werden vereinzelt vorkommende Phänomene ausgeblendet. Wie der Vergleich auch angelegt ist, Analogie oder Differenz werden systematisch gefördert. Gerade für eine am Fall
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orientierte Argumentation und Konzeptentwicklung liegt darin ein großer Nachteil, denn der Modus des Vergleichens macht nur diejenigen Phänomene zu allgemeinen Merkmalen des untersuchten Phänomens, die fallübergreifend aufgefunden werden (vgl. Hering, Schmidt 2014: 534 und Kelle, Kluge 2008: 4155). Am impliziten oder expliziten Bezug auf die epistemologische Logik von Repräsentation, so verbreitet sie auch ist, haben sich ganz unterschiedliche Formen der Kritik entzündet. Ein erstes zentrales Argument der Kritik beruht auf aktuellen Entwicklungen der Datenlage der empirischen Soziologie in der digitalisierten Gesellschaft. Eine zweite, weitaus grundlegendere Kritik, stellt die Möglichkeit jedweder Repräsentation in Frage. Um ein Forschungsdesign zu entwickeln, welches konstruktiv an diese Kritik anschließt, ist es zunächst einmal nötig, diese Kritikpunkte gründlich zu prüfen und zu differenzieren. 3.1.1 Die aktuelle Krise repräsentativistischer Sozialforschung Das erste kritische Argument zur Repräsentativität in der empirischen Sozialforschung bezieht sich auf ihre Datenlage und deren Entwicklung. In dem Aufsatz ‚The Coming Crisis of Empirical Sociology‘ argumentieren Savage und Burrows sehr deutlich, dass sich die empirische Soziologie seit Ende der 2010er Jahre auf direktem Weg in die Krise befinde (vgl. Savage, Burrows 2007). Die hohe Resonanz auf das Erscheinen des Artikels überrascht nicht, liefern doch die Autoren neue Argumente für die alte Diskussion um Repräsentation und Konstruktion von Daten in der Soziologie. Ihnen zu Folge rutscht die empirische Soziologie in eine Krise ab. Ursächlich sind verschiedene Faktoren, die mit dem Aufkommen des sogenannten ‚Knowing Capitalism‘ auftreten: Durch enorm große und detaillierte digitale Datenmengen, in Kombination mit neuen Auswertungsmethoden, entsteht eine empirische Sozialforschung, die nicht mehr auf Stichproben und Annahmen beruhen soll, sondern tatsächliche Zusammenhänge aufgreift.38 Seit einiger Zeit wird dieses Phänomen auch als ‚Big Data‘ oder ‚Massendaten‘ bezeichnet. Diese Entwicklung hat für die empirische Sozialforschung zwei Folgen: Erstens wird sie zu einem weitaus mächtigeren Instrument, denn sie 38 Der Internetversandhändler Amazon wird von den Autoren als Beispiel herangezogen. Hier werden den Kunden nicht Produkte auf Grundlage der Auswertung von Stichproben-Surveys als interessant angeboten, vielmehr erlauben gleichermaßen große wie genaue Erhebungen es dem Kunden exakt die Produkte vorzuschlagen, die andere, tatsächliche Kunden, mit ähnlichen Kaufprofilen ebenfalls gekauft haben (vgl. Savage, Burrows 2007: 9).
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argumentiert nun mit Fakten statt mit Hypothesen (vgl. Savage, Burrows 2007: 9). Zweitens liegt diese neue empirische Sozialforschung nicht mehr in den Händen der Soziologie als akademischer Disziplin. Es sind Unternehmen und staatliche Akteure, die über diese Daten verfügen, denn mit den bisher bekannten Erhebungsmethoden lassen sich derartige Datensätze nicht gewinnen. Sie entstehen vielmehr als Nebenprodukt der Digitalisierung großer kapitalistischer und staatlicher Institutionen (vgl. Savage, Burrows 2007: 5). Savage und Burrows zu Folge ist die Soziologie längst gegenüber anderen Institutionen ins Hintertreffen geraten, sowohl was die Menge und Qualität der Daten betrifft, als auch die Rechte und Möglichkeiten ihrer Bearbeitung und Auswertung. So folgern die Autoren, dass die führende empirische Sozialforschung längst die akademische Soziologie verlassen habe. Anstatt nun den Vorsprung der nicht akademischen Akteure aufholen zu wollen, empfehlen die Autoren der Soziologie, sich von Fragen der Kausalität zu distanzieren und sich stattdessen auf genaue Beschreibungen und Klassifizierungen zu berufen (vgl. Savage, Burrows 2007: 13). Darin sehen sie sowohl die Stärke als auch die interessanteste Perspektive für die Zukunft der Disziplin. Insgesamt bieten die Autoren ein wichtiges, allerdings an bestimmten Phänomenen orientiertes Argument gegen die auf Repräsentativität bauenden, großen empirischen Untersuchungen an39 und argumentieren für andere Formen empirischer Soziologie. Darin liegt ein weiterer Grund sie an dieser Stelle zu diskutieren. Sie plädieren für eine Soziologie, die sich auf detaillierte Beschreibungen beruft, eine Soziologie, die dem Fall entsprechend ihre Methoden kombiniert und sich nicht vor einer kritischen Reflexion scheut. Die Soziologie solle sich auf komplementäre Stärken berufen und in diesem Sinne genaue und detaillierte Einzelfallstudien durchführen (vgl. Savage, Burrows 2007: 13f.). Die Argumente für diese Positionierung der Soziologie sind durchaus nachvollziehbar, ihre Argumente gründen dabei auf aktuellen Phänomenen und einer recht deutlichen Veränderung der Forschungslandschaft, in Zeiten wachsender Digitalisierung. So treffend ihre Argumente auch sind, eine prinzipielle Kritik an und eine Auseinandersetzung mit den Positionen der Konstruktion und der Repräsentation der Daten können sie nicht ersetzen. Es sind noch weitere Autorinnen und
39 Des Weiteren findet sich die These in dem Aufsatz, dass die Erfolge großer Theorien nach dem zweiten Weltkrieg (hier werden Giddens, Sennet, Bauman und Beck genannt) darin begründet liegen, dass empirisch nicht zu prüfende Zusammenhänge durch theoretische Annahmen ersetzt wurden (vgl. Savage, Burrows 2007: 13). Eine gewagte, aber interessante These, die hier nicht geprüft werden kann.
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Positionen zu diskutieren, die zwar weniger aktuell, dafür aber prinzipieller argumentieren. 3.1.2 Die unausweichliche Konstruktion jedweder Daten Es existieren zahlreiche und enorm stichhaltige Argumente, die eine vom Forscher unabhängige Existenz von Daten rundheraus negieren. Zwischen dieser konstruktivistischen und einer positivistischen Position der Repräsentativität verläuft eine scharfe Bruchlinie in der sonst recht breiten Diskussion um die Methoden und Epistemologie empirischer Forschung. Einerseits werden Daten als Repräsentation der Wirklichkeit verstanden, andererseits werden Forscher und ihre Methoden als Konstrukteure von Daten gesehen. Diese Bruchlinie ist nicht neu, die ‚Grounded Theory‘40 versteht den Forscher seit den 1960er in pragmatistischer Manier als Erzeuger und nicht etwa als Sammler von Daten (vgl. Glaser, Strauss 1967).41 Gerade in den letzten Jahren gewinnt diese Diskussion wieder an Relevanz, auch aufgrund der Argumente von Savage und Burrows und die Diskussion um Big Data. An welchem Punkt aber entzündet sich die Kritik an der Annahme der Repräsentativität von Daten und wie stichhaltig sind die kritischen Argumente? Um die Kritik zu veranschaulichen und zu prüfen empfiehlt sich ein Blick in die Literatur zu den Methoden der empirischen Sozialforschung. Das folgende Zitat, aus einem aktuellen Handbuch zur empirischen Sozialforschung, beschreibt eine gängige Annahme über den Zusammenhang von Methode und
40 Die Grounded Theory, welche sich selbst eher als Forschungsstil denn als Methode begreift, ist ein analytisches Vorgehen, welches aus empirischen Daten systematisch verallgemeinerbare Zusammenhänge erzeugt. Hier das Verb ‚erzeugen‘ und nicht etwa ‚filtern‘ zu verwenden, ist von größter Bedeutung, denn die Grounded Theory reflektiert ihre eigene soziale Konstruktion von Daten und Befunden. Dieser sicherlich begründete Vorwurf an andere Methoden ist zugleich die Legitimation ihrer eigenen Existenz (vgl. Strübing 2004). 41 Die hier als Bruchlinie bezeichnete Differenz, zwischen positivistischen und konstruktivistischen Positionen, gegenüber dem Verhältnis von Theorie und Daten spaltete schließlich auch die Grounded Theory und ihre beiden Gründer Anselm Strauss und Barney Glaser. Ich beziehe mich auf die konstruktivistischen Argumente von Strauss, eine genaue Rekonstruktion ihrer Differenzen und einige treffliche Argumente für die Position von Strauss finden sich bei Kathy Charmaz und Udo Kelle (vgl. Charmaz 2006; Kelle 2011).
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Theorie, indem es den Zusammenhang von Repräsentation und Wirklichkeit darstellt: „Da die Güte von Logik und Mathematik außer Zweifel stehen, sind die entscheidenden Fragen alleine die, ob die Daten gut ausgewählt wurden (Repräsentativität) und ob ‚gut‘ gemessen wurde. Objektivität, Validität und Reliabilität beziehen sich nun genau und nur auf diesen Messvorgang. Die strategische Bedeutung der beiden Begriffe innerhalb einer quantifizierenden Sozialforschung besteht also darin, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes das Fundament legen für die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Forschung: Ist das Fundament brüchig, wird das darauf ruhende Theorie-Gebäude bald einstürzen.“ (Reichertz 2014: 72)
Sehr deutlich bestimmt Jo Reichertz den Zusammenhang zwischen repräsentativer Sozialforschung und Theoriebildung. Auf wunderbar eindringliche Art und Weise offenbart sein Zitat jedoch zugleich den zentralen Einwand gegenüber seinem epistemologischen Standpunkt: Seine Formulierungen ‚ausgewählt wurde‘ und ‚ob gut gemessen wurde‘ zeigen unmissverständlich eine Grundannahme im Begriff der Repräsentativität: Das Konzept von Repräsentativität beruht darauf, dass die Methoden der empirischen Sozialforschung die Subjektivität und Situativität der Datenerhebung ausgleichen. Dem liegt notwendigerweise eine zweite Annahme zugrunde, nämlich die problematische Annahme, dass die Daten, also beispielsweise die soziale Welt, gegeben sind und allen Subjekten einen prinzipiell gleichen Zugang erlauben. Stellt man diese zwei Annahmen in Frage, so geraten das Konzept von Repräsentativität und der mit ihr verbundene epistemologische Standpunkt ins Rutschen. Wie berechtigt oder fragwürdig diese bedeutenden Annahmen sind, werde ich in den folgenden Abschnitten darstellen. So nimmt neben der zeitdiagnostischen Kritik an den Methoden der empirischen Sozialforschung, die im vorherigen Absatz dargelegt wurde, ein zweites, nunmehr prinzipiell kritisches Argument gegen eine auf Repräsentativität zielende Forschung Form an. Dieses Argument gründet auf der Annahme, der prinzipiellen Situiertheit des Sozialen. Nimmt man dieses Argument ernst, so muss es auch für die unvermeidlich soziale Situation des Forschens selbst seine Gültigkeit behalten! Um der Breite und der Relevanz dieses Argumentes gerecht zu werden, zeichne ich es aus drei verschiedenen Forschungsperspektiven nach.42 John Dewey und mit ihm die Sozialforscher der ‚Chicago School‘, Don42 Es ist hier nicht zielführend, die Geschichte der qualitativen Sozialforschung zu diskutieren, dennoch soll der maßgebliche Aufsatz ‚Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis‘ von Max Weber nicht unerwähnt bleiben, ist
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na Haraway und ihre feministische Technik- und Wissenschaftsforschung sowie Herbert Kalthoff, als Vertreter neuerer qualitativer Soziologie untermauern auf teils unterschiedliche Art, aber stets mit stichhaltigen Argumenten, prinzipielle Zweifel an der Existenz Repräsentativität und ihrer Verwendung als Grundlage des Forschens. Ihre Argumente werden nun diskutiert, dabei bleibt es stets das Ziel einen konstruktiven Standpunkt für diese Untersuchung zu finden. Dewey Die schon mehrfach genannte Grounded Theory lieferte lange vor Haraway und Kalthoff gute Argumente gegen eine positivistische Epistemologie und in ihrer gut 50 jährigen Geschichte ein ganzes Set an Methoden zur Durchführung konstruktivistischer Forschung. Die zentralen Annahmen dieser Forschungstradition gehen auf Dewey zurück. Er negierte und widerlegte stets alle prinzipiellen Unterscheidungen zwischen theoretischem und praktischem Wissen sowie zwischen wissenschaftlichem Handeln und Alltagshandeln. In Kapitel vier wird sein Standpunkt sehr ausführlich diskutiert, für das hier diskutierte Argument ist es ausreichend zu wissen, dass Dewey jegliche prinzipielle ontologische Trennung in unterschiedliche Handlungs- und Wissenssysteme bereits 1929 in der Monografie ‚The Quest for Certainty‘ systematisch demontierte und mit Nachdruck negierte (vgl. Dewey 1929). In dem 1938 erschienenen Buch ‚Logic, The Theory of Inquiry‘ wendet Dewey seine Kritik an der prinzipiellen Unterscheidung in verschiedene Logiken der Erkenntnis und formuliert eine prinzipielle, d.h. für alle Bereiche des Sozialen gültige Erkenntnistheorie (vgl. Dewey 1938). In diesem Sinne – darin besteht ja gerade sein zentrales Anliegen – findet sich in Wissenschaft, Sozialforschung und im Sozialen allgemein ein und dieselbe Logik der Erkenntnis. Es ist noch zu zeigen, dass ebendiese Logik in einer spezifischen Form auch im Design von höchster Relevanz ist. Jeder Sozialwissenschaftler sollte sich der Prinzipien, dieser überall im Sozialen anzutreffenden Logik, bewusst sein und einen reflektierten Umgang mit ihr pflegen, denn schließlich beruht jedwede wissenschaftliche Erkenntnis und damit ihre gesamte Forschung auf dieser Logik der Forschung. In dem recht umfangreichen Buch ‚Logic, The Theory of Inquiry‘ findet sich ein Kapitel, in dem Dewey explizit die Logik der Sozialforschung erörtert (vgl. Dewey 2008: 560-588). In diesem Kapitel finden sich deshalb nicht nur die Prinzipien des später zur Grounded Theory entwickelten Forschungsstils, wichtiger ist noch, dass Dewey bereits er doch entscheidend für die verstehende Sozialforschung, die ebenfalls das nun darzustellende Argument teilt (vgl. Weber 2004).
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1938 die zentralen Argumente qualitativer konstruktivistischer Sozialforschung herausarbeitete und in aller Deutlichkeit formulierte. Im Folgenden fasse ich seine Standpunkte kurz zusammen: Jede Forschung wird Teil des Feldes und verändert so immer auch den Untersuchungsgegenstand (vgl. Dewey 2008 [1938]: 566). Vor allem aber unterliegt das Feld zahlreichen sozialen und materiellen Bedingungen und Wechselwirkungen, die vom Forscher berücksichtigt werden müssen (vgl. Dewey 2008 [1938]: 565f.). Der Forscher sollte deshalb den Leser über sein Vorgehen und sein Zugang in reflektierter Art und Weise informieren. Da keine prinzipielle Trennung zwischen Wissenschaft und Alltag existiert, muss der Forscher sich auf Alltagsbegriffe einlassen und das Geschehen im Feld auch in diesen Begriffen beschreiben und verstehen, darin liegt die unausweichliche kulturelle Grundlage der Forschung (vgl. Dewey 2008 [1938]: 560f.). Auch kann es nicht gelingen eine Forschungsfrage oder eine Problemstellung auf das Feld zu applizieren, das zu erforschende Problem muss im Feld auch als Problem wahrgenommen werden (vgl. Dewey 2008 [1938]: 573). Zur Analyse sind immer bestimmte Hypothesen und damit auch Bewertungen nötig, nur so kann die Vielfalt und Komplexität des Feldes handhabbar und analysierbar gemacht werden, der Forscher kann nicht keinen Standpunkt beziehen (vgl. Dewey 2008 [1938]: 571f.). Dewey schließt mit der These, dass das Verstehen der Geschehnisse im Feld stets auch eine Frage der Ordnung und Darstellung ist, da auf diese Weise ihre Relationen erkennbar werden (vgl. Dewey 2008 [1938]: 587). Aus einer anderen Forschungstradition haben sich durchaus vergleichbare Argumente entwickelt. Bemerkenswert dabei ist, dass es gerade die von Dewey schon Jahrzehnte zuvor formulierte theoretische Wissenschaftskritik ist, die den Argumenten Haraways ein halbes Jahrhundert später ihr Momentum verleiht. Haraway Der Widerspruch, zwischen der klassischen Wissenschaftstheorie und den Erkenntnissen der ersten Labor-Studien der 1970er und 1980er Jahre, wird für Donna Haraway zum Ausgangspunkt einer doppelten Kritik: Sie kritisiert den Begriff der wissenschaftlichen Objektivität, möchte aber ebenso wenig einen Relativismus als Lösung anerkennen (vgl. Haraway 1988). Mit dem Begriff der ‚Vision‘ (im Folgenden Sichtweise43) zeigt sie, dass alles und jeder stets an eine
43 Die Übersetzung des englischen Vision ist hier entscheidend, denn die Vision schließt als Vorstellung etwas Subjektives ein. Der Begriff der Sichtweise transportiert diesen
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bestimmte Sichtweise gebunden bleiben. Diese Bindung an bestimmte Sichtweisen ist universell und lässt sich nicht aufheben. Weder technische Verfeinerung oder Speicherung, noch methodische oder mathematische Raffinesse, können den Menschen aus der Bindung an bestimmte Sichtweisen lösen, es existiert schlichtweg keine göttliche Beobachtungsebene (vgl. Haraway 1988: 581). Der Mensch bleibt, so ausgefallen die Methoden oder avanciert die Technologien auch sein mögen, in seinen Sichtweisen verhaftet. Es gibt keinen ‚God-Trick‘ um Alles zu sehen und gleichzeitig keinen Standpunkt einzunehmen (vgl. Haraway 1988: 581). Der Akteur sieht nur, dass worauf er seinen Blick richtet. Notwendigerweise geht dieser Blick immer von einem bestimmten Standort aus. Dieser Standort erlaubt anderen eine Verortung des Beobachters, gleichzeitig erlaubt die Notwendigkeit eines Standpunktes aber auch eine Selbstverortung des Beobachters und genau davon kann der Forscher profitieren. Um die Schwächen des Objektivismus und Relativismus zu überwinden ist ihr jeweils unterschiedlicher, doch stets fragwürdiger Umgang mit dem Standpunkt des Forschenden als Schwäche beider Positionen klar zu benennen. Die genannten wissenschaftstheoretischen Positionen negieren den eigenen Standort, die eigene Subjektivität, die Situiertheit und die Körperlichkeit des Forschenden. Damit negieren die epistemologischen Positionen des wissenschaftlichen Positivismus und die epistemologisch Positionen des Relativismus den Standort der Beobachtung – ja sie negieren praktisch, dass überhaupt eine Beobachtung der Ausgangspunkt allen Forschens ist. Ein gemeinsamer Mangel, so gravierend er auch ist, bietet jedoch einen gemeinsamen Ausweg: Die Bindung an bestimmte Sichtweisen, Körperlichkeit und Technisierung von Beobachtungen, muss nicht reduziert oder gar negiert werden. Akzeptiert man diese ohnehin zwingenden Bedingungen, so ergeben sich aus ihrer Existenz Möglichkeiten sie konstruktiv für die Forschung zu nutzen. Der Forscher bringt sich damit in die vorteilhafte Position seinen Standort bewusst wahrzunehmen, zu reflektieren und durch eine Kombination oder geschickte Wechsel seiner Sichtweisen konstruktiv zu erweitern und zu entwickeln. In dieser konstruktiven Wendung einer gleichermaßen alten, wie bekannten Bruchlinie des soziologischen Wissenschaftsverständnisses liegt die Stärke Haraways gegenüber anderen kritischen Texten, die ihre Argumente teilen (vgl. Law, Ruppert 2013).
subjektiven Moment, gleichzeitig wird deutlich, dass weitere Sichtweisen existieren. Im Weiteren wird der Begriff der Sichtweise in diesem Sinne verwendet.
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Kalthoff Auch Herbert Kalthoff liefert überzeugende Argumente gegen das Streben nach Repräsentativität. Die in der Soziologie durchaus verbreitete Triangulation von Methoden kann nur dann überzeugen, wenn eine positivistische Epistemologie zugrunde liegt, argumentiert Kalthoff (vgl. Kalthoff 2010: 355). Weitere, zumeist implizite Bedingungen repräsentativer Epistemologie sieht Kalthoff in den Annahmen, dass a) der Forschungsgegenstand unabhängig von den Forschungsmethoden existiert, b) die Forschungsmethoden neutral sind44 und dem Gegenstand nichts nehmen und zufügen, c) ferner bleibt unklar, wie die Kombination der Daten zu vollführen sei (vgl. Kalthoff 2010: 355). Mit den unterschiedlichen Methoden lassen sich die Daten nicht einkreisen, vielmehr sind die Methoden und ihre Akteure in die Erzeugung von Daten eingebunden. Verschiedene Methoden, angewendet auf denselben Phänomenbereich des Sozialen, erlauben die Betrachtung durchaus unterschiedlicher Phänomene (vgl. Kalthoff 2010: 356). Eindrucksvoll zeigt Kalthoff, wie die Methoden des Interviews, der Ethnografie und der Konversationsanalyse, angewendet auf die Frage der schulischen Selektion, aufschlussreiche, aber vor allem sehr verschiedene Ergebnisse produzieren. Zwar scheint die Argumentation von Kalthoff eine geringere Reichweite zu haben, als die eher essayistische Argumentation von Haraway. In ihren Befunden ähneln sich die sehr gründliche Betrachtung des Soziologen Kalthoffs und die prinzipielle Wissenschaftskritik der feministischen Wissenschafts- und Technikforscherin Haraway doch sehr. Die zentralen Standpunkte für die Anlage dieser Untersuchung sind durch den Rekurs auf Haraway, Dewey und Kalthoff benannt. Um aber eine sinnvolle epistemologische Position zu definieren und mit einem Forschungsdesign daran anzuschließen muss die Kritik jedoch konstruktiv gewendet werden. Nur so kann sinnvoll ein belastbarer Standpunkt für die Forschung definiert werden. Wie also findet die Forscherin eine oder mehrere gute Sichtweisen, welche Standpunkte sollte sie einnehmen und welche nicht? Haraway sieht in der reflektierten Kombination verschiedener Sichtweisen die Lösung für das hier verhandelte Problem von Positivismus und Relativismus. Die stets multidimensionale Perspektivität und die Pluralität der Sichtweisen des Menschen sind keine Problem der Forschung, welche durch ‚richtige‘ Methoden oder ‚genaue‘ Berechnung aufgeho44 Zu dieser Frage leisten Law und Ruppert mit dem Text ‚The Social Life of Methods‘ einen überzeugenden Beitrag (vgl. Law, Ruppert 2013). Sie verstehen Forschungsmethoden als heterogene ‚Devices‘, die im Sinne der ANT durchaus wirksam am forschenden Handeln beteiligt sind.
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ben werden können. Die Perspektivität lässt sich nicht aufheben, vielmehr bietet sie das Potential Sichtweisen zu bestimmten, die weder positivistische Allgemeingültigkeit noch relativistische Beliebigkeit kennzeichnet. Ein reflektierter Umgang mit der eigenen Perspektivität kann in Form einer beständigen Kombination und auch als beständiger Wechsel der eigenen Sichtweise ein vielschichtiges und zuverlässiges Bild des Untersuchungsgegenstandes erzeugen. Ein absoluter Überblick durch die Kombinationen möglichst vieler ‚Daten‘ ist dabei nicht anzustreben. Der Wechsel und die Kombination von Sichtweisen sollten als bewusste und stets auch politische Entscheidung über den Untersuchungsgegenstand und die Beobachterrolle getroffen werden.45 Jede Untersuchung, mit ihren Sichtweisen und Perspektiven, unterliegt der Gestaltung und Verantwortung der Forscherin selbst. Kombiniert sie gut, so kann es gelingen ein vielseitiges und vielschichtiges Bild der Welt zu zeichnen. Vermeintliche Objektivität oder wertfreie Beliebigkeit leugnen die Existenz eines eigenen Standpunktes und behindern die Forschung. Sie verstellen der Forscherin den Blick auf ihr eigenes Tun und nehmen ihr die Möglichkeit erkenntnisreiche Sichtweisen und vor allem deren Kombination für die Forschung zu entwickeln.
3.2
FORSCHUNGSDESIGN – KLUGE KOMBINATIONEN STATT ABSOLUTER POSITIONEN
Eine Repräsentation der designerischen Praxis – so viel sollte durch die obige Kritik deutlich geworden sein – strebe ich mit diesem Forschungsdesign nicht an. Vielmehr verstehe ich im Sinne von Dewey, Haraway und Kalthoff den Forschungsprozess als Konstruktions- und Kombinationsprozess verschiedener Sichtweisen und Annahmen. Die Leistung der Forscherin besteht dann auch darin, die Sichtweisen auf Design und konzeptuelle Annahmen so miteinander in einen ‚Dialog‘ zu bringen, dass sich beide irritieren, voneinander lernen und sich so entwickeln. Für eine genauere Eingrenzung des Forschungsdesigns orientiere ich mich zunächst an der Anlage von Untersuchungen, die zum einen den grundlegenden epistemologischen Standpunkt teilen und zum anderen ebenfalls die Konstruktion kultureller Objekte und Zusammenhänge untersuchen. Die maßgeblichen 45 Siehe zu diesem wichtigen Argument des inhärent Politischen der Forschung Law und Singleton (2013). Die Autoren verstehen Forschen immer auch als eine Manipulation der Welt, dieser Verantwortung und ihrer politischen Bedeutung müssen sich die Forschenden stets bewusst stellen.
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Arbeiten stammen, wie auch große Teile des in Kapitel zwei diskutierten Standes der Forschung, aus dem Feld der Labor- und Studio-Studien. Im letzten Teil dieses Kapitels wird die Anlage dieser Untersuchung gegenüber den Labor- und Studio-Studien allerdings um einen wichtigen Punkt erweitert. Denn die vorliegende Untersuchung strebt danach, eine konzeptuelle Klammer um die heterogenen Ergebnisse der Studio- und Mirko-Studien von Design zu setzen. Hierfür erscheinen einige weitreichende und allgemeine theoretische Annahmen notwendig (siehe Kapitel vier). Auf diese Weise gehe ich aktiv mit den zu setzenden Sichtweisen um, indem ich die zumeist induktiven, aus der ethnografischen Perspektive entwickelten Ergebnisse mit den Begriffen und Konzepten des Pragmatismus vereine.
3.3
DAS FORSCHUNGSDESIGN DER LABORUND STUDIO-STUDIEN
Der im zweiten Kapitel vorgestellte Stand der Forschung rekurriert auf Arbeiten, die Design- und Architekturprozesse untersuchen. Sie betonen die Bezugnahme auf den Nutzer, die Wirkung von menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten und die Manipulation von Ungewissheit in Design- und Architekturprozessen. Dieser Stand der Forschung ist, recht allgemein gesprochen, Teil der Forschung zur Produktion von Kultur. Das Forschungsfeld der sogenannten StudioStudien untersucht explizit die Produktion von Kultur und schließt so die in Kapitel zwei vorgestellten Arbeiten ein. Das Feld ist breit und umfasst neben Design und Architektur auch viele weitere Phänomene wie Musik, Kunst, Werbung, Spiele und viele andere mehr (vgl. Born 1995; Waller 2016; Farias 2016; Ash 2016; Krämer 2014). Um einen Überblick über die mit Theodor W. Adorno und Max Horkheimer populär gewordene Untersuchung der Produktion von Kultur zu geben, orientiere ich mich an dem kürzlich erschienen Sammelband ‚Studio Studies: Operations, Topologies and Displacements‘ von Ignacio Farias und Alex Wilkie (vgl. Horkheimer, Adorno 1969: 128-176; Farias, Wilkie 2016). Neben zahlreichen aktuellen Arbeiten, zur Analyse kreativer Prozesse, bieten die beiden Autoren einen gründlichen Blick auf die Geschichte der Analyse kultureller Produktion (vgl. Farias, Wilkie 2016: 1-12). Das Feld der Studio-Studien definieren sie jedoch enger als allein über die Produktion kultureller Güter, so eint die StudioStudien eine spezifische Position zwischen individuellen und kontextuellen Erklärungen von Kreativität. Die Studio-Studien fokussieren auf den Bereich zwischen Individuum und gesellschaftlichem Kontext, sie untersuchen die ‚Dis-
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tributed Creation‘ im Studio. Die Produktion verteilt sich in diesem Sinne auf Materialien, Artefakte, Akteure, Konzepte, Körper und vieles mehr. Es ist ihr jeweils spezifisches Zusammenspiel, das von den Studio-Studien als zentraler Mechanismus der Produktion kultureller Güter untersucht wird (vgl. Farias, Wilkie 2016: 7). In diesem Sinne fallen der Genius einzelner und die kapitalistische Gesellschaftsordnung als jeweils alleiniges Explanandum kreativen Schaffens aus. Wie auch bei ihren Vorgängern der Labor-Studien sind es die Menschen, Geräte und ihre Umstände in ihren je spezifischen Konstellationen, die ursächlich für die ‚Distributed Creation‘ von wissenschaftlichem Wissen bzw. von Design-Objekten sind. Studio- und Labor-Studien grenzen sich deutlich von individualistischen bzw. kontextualistischen Erklärungen kultureller bzw. wissenschaftlicher Produktion ab.46 Dieser spezifische Fokus verbindet die Studiound Labor-Studien, denn ihre epistemologischen Standpunkte und ihre Forschungsdesigns ähneln sich (vgl. Farias, Wilkie 2016: 3f.). Ihre Differenzen liegen in ihren jeweiligen Forschungsfeldern und den ebenfalls leicht differenten Erkenntnisinteressen. Während die Labor-Studien die soziale bzw. die verteilte Konstruktion wissenschaftlicher Wahrheiten untersuchen und sich ihre Argumente stets gegen ein Wissenschaftsverständnis47 richteten, das von einem Entdecken wissenschaftlicher Fakten ausgeht haben die Studio-Studien eine andere Kernfrage (vgl. Latour, Woolgar 1979; Knorr Cetina 1981; Lynch 1985). Studio-Studien eint das gemeinsame Interesse daran, wie neue kulturelle Objekte stabilisiert und in bestehende sozio-technische Zusammenhänge eingepasst werden. Farias und Wilkie beschreiben in diesem Sinne das Studio metaphorisch als einen Ort, an dem Inventionen einem ‚reverse Engineering‘ unterzogen werden, lange bevor Innovationen erkennbar sind (vgl. Farias, Wilkie 2016: 10). Bevor wieder das Forschungsdesign in den Mittelpunkt gerückt wird, sei noch eine wichtige Fragestellung beider Forschungsfelder 46 Die Studio-Studien betreffend nennen Farias und Wilkie hier Pierre Bourdieu, Richard Peterson und Howard Becker. Dabei werfen sie Bourdieu vor kulturelle Güter lediglich als Nebenprodukte von Praxis zu thematisieren. Becker untersuche die Konventionen der Kunst, konzentriere sich dann jedoch auf die Entwicklung einer Typologie der Akteure, während Peterson allein die institutionelle Logik kultureller Produktion im Blick habe. Als erste Studio-Studie nennen Farias und Wilkie die Arbeit von Georgina Born, da diese eine sozio-technische Analyse von Praktiken der Musikherstellung untersuche (vgl. Farias, Wilkie 2016: 6f.). 47 Die diskutierte Arbeit von Haraway und ihre Kritik an den objektivistischen Positionen der Wissenschaft geht auch auf diese Arbeiten zurück und richtet sich gleichzeitig dringlich an die sozialwissenschaftliche Forschung und ihr Wissenschaftsverständnis.
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adressiert. Beide Forschungsfelder untersuchen die Grenzen der Labore bzw. Studios. Während insbesondere Latour (1983) gezeigt hat, dass Louis Pasteurs mikrobiologisches Labor die Grenzen zwischen Bauernhof und Universität nicht nur beständig überschritt, sondern das in dieser Grenzüberschreitung gerade die Erklärung für Pasteurs Erfolg und Macht zu finden sind, vertreten die StudioStudien unterschiedliche Positionen zum Innen- Außen-Verhältnis der Studios und zur Frage der Trennung zwischen Studio und Gesellschaft. Der Außenseite der Studios kommt dabei eine große Bedeutung zu, denn während in den Studios neue Kombinationen und Übersetzungen entwickelt werden, kann das Studio gerade nicht die Bewertung und Evaluation seiner Erzeugnisse vornehmen. Diese geschehen vielmehr in Haushalten, Galerien, Museen, Büros und an allen Orten, in denen kulturelle Artefakte verwendet, ignoriert, geschätzt oder in andere Praktiken eingebunden werden (vgl. Farias, Wilkie 2016: 10). So entscheidet erst die Verbindung mit der Welt und den Praktiken außerhalb der Studios über den Erfolg und die Qualität der kreativen Arbeit der Studiobewohner. Wie durchlässig diese Trennung von Studio und Lebenswelt ist, wird noch zu prüfen sein (siehe Kapitel neun). Diese Untersuchung reiht sich in Hinsicht auf das Forschungsinteresse in die Studio-Studien ein, auch in Hinsicht auf ihren epistemologischen Standpunkt stimmt sie zunächst mit den Labor- und Studio- Studien überein. Worin dieser Standpunkt im Einzelnen besteht machen die Pioniere der Labor-Studien sehr deutlich erkennbar. Latour, Woolgar und Knorr Cetina, als die prominentesten Vertreter einer neuen Wissenschaftsforschung, sind durch ihre radikale Adaption anthropologischer Fragen und Forschungsmethoden in die Naturwissenschaften zu Pionieren der Wissenschafts- und Technikforschung geworden. Die Ethnografie als Methode und die mit ihr verbundenen Standpunkte sind gegenwärtig maßgeblich, auch im Feld der Studio-Studien. Latour und Woolgar verkörpern und personifizieren diese epistemologische Position mit der Kunstfigur des Anthropologen der Wissenschaft, von ihnen meist kurz als ‚the Observer‘ bezeichnet. Diese Kunstfigur verschafft den Autoren eine Atempause, ‚the Observer‘ schafft Distanz und Raum sich von selbstverständlichem und implizitem Wissen über soziale Zusammenhänge zu distanzieren (vgl. Latour, Woolgar 1979: 88). Ein Anthropologe der Wissenschaft muss die nötige Distanz – in der Literatur zur Ethnografie wird dieser Prozesse als Befremdung bezeichnet (vgl. Knoblauch 2014: 524) – zu seinen Forschungsobjekten eigens erschaffen und erhalten. Anders als seine Vorgängerinnen in der Südsee oder im Amazonasgebiet kann er nicht den kulturellen Bezugsrahmen tatsächlich wechseln. Bemerkenswert deutlich problematisieren Latour und Woolgar die niemals vollständige und dauerhafte Ausblendung von ‚taken for Granted Knowledge‘ als
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notwendig. Eine totale Freiheit von Vorwissen sei wiederum weder erstrebenswert noch erreichbar, denn die Zusammenhänge und ihre Analyse erfordern ein bestimmtes implizites Wissen (vgl. Latour, Woolgar 1979: 88). Dennoch leistet die Kunstfigur ‚the Obeserver‘ enorm viel. Es ist seine scheinbar neutrale Perspektive, aus der es dem Leser von ‚Laboratory Life‘ möglich wird, die Prozesse naturwissenschaftlicher Forschung und Publikation mit Distanz nachzuvollziehen. Karin Knorr Cetina unterscheidet in ihrer ersten Laborstudie zwischen sensiblen und frigiden Methoden; ein sensibles Vorgehen erlaubt, anders als ein frigides Vorgehen, dem Gegenstand der Untersuchung tatsächlich nachzuspüren, anstatt in einer vermeintlich objektiven Distanz zu verharren (vgl. Knorr Cetina 2012: 44). Zwei Punkte an ihrem methodischen Vorgehen erscheinen besonders relevant: Sie verlangt vom Forscher Kontakt anstatt Distanz, nur aus der Nähe können Phänomene wirklich verstanden werden. Mit dem Begriff des Verstehens ist der zweite Punkt bereits auf das Engste verbunden. Ihr geht es darum, dass der wissenschaftliche Beobachter nicht die Definitionsmacht über die Ereignisse im Feld durchsetzt, sondern dass dieser vielmehr ein Verstehen und eine Integration der Perspektiven der Akteure aus dem Feld anstrebt (vgl. Knorr Cetina 2012: 44ff.). Die Kernpunkte dieser zwei exemplarischen epistemologischen Standpunkte aus der Wissenschafts- und Technikforschung lassen sich treffend in den Begriffen der Ethnografie zusammenfassen: In jeder soziologischen Untersuchung ist die Frage der Intersubjektivität von zentraler Bedeutung. Die Ethnografie, als teilnehmende Beobachtung, nähert sich dieser Frage sehr direkt, der Forscher verschafft sich einen Zugang zur sozialen Wirklichkeit des Feldes, anstatt die Akteure des Feldes darüber zu befragen (vgl. Knoblauch 2014: 522f.). Die soziale Wirklichkeit wird im Vollzug untersucht und nicht gerade nicht in der Rekonstruktion,48 daraus entwickelt sich eine prozessuale Perspektive der Beobachtung. Die Ethnografie schließt es dabei keineswegs aus, dass Interviews oder Aufnahmen in Bild, Ton oder Video ergänzend verwendet werden. Kalthoff fasst das Erkenntnisinteresse ethnografischer Forschung in drei Punkte, demnach untersucht Ethnografie 1) wie Individuen tun was sie tun, 2) in welcher Weise Individuen über Aktivitäten und Dinge kommunizieren und 3) in welcher Weise die soziale oder dinghafte Umgebung das Handeln und Sprechen evoziert (vgl. Kalthoff 2010: 358).
48 Eine sehr deutliche Kritik an einem rekonstruktiven Vorgehen formuliert Hirschauer, Interviews seien nicht sehr widerständig gegenüber theoretischen Annahmen, woraus sich ihr großer Erfolg erklären lässt (Hirschauer 2008: 177).
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Die Studio-Studien und als ihre Teilmenge auch die Studien von Designprozessen, gehören zum diskutierten Korpus ethnografischer Arbeiten. Sie sind durch das genannte Interesse an Intersubjektivität gekennzeichnet, anders als von Kalthoff formuliert fragen sie jedoch nicht wie das Soziale oder Dinghafte mit den Handelnden in einer Wechselbeziehung steht. Die bereits diskutieren Studien von Houdart, Yaneva und anderen folgen dem Prinzip der generalisierten Symmetrie und negieren zunächst jede prinzipielle Unterscheidung von handelnden Instanzen. Sie nehmen damit eine spezifische Sichtweise ein und machen diese zu ihrem Ausgangspunkt. Die Anlage der genannten Studio-Studien räumt nicht der unbelebten Welt oder ihren menschlichen Bewohnern eine prinzipielle höhere Relevanz ein, diese Studien streben danach, ganz im Sinne der ANT, jede prinzipielle Trennung aufzuheben49 (vgl. Yaneva 2005: FN3 869; Yaneva 2009: 3ff.; Houdart 2016: 122; Houdart 2008: 49; Parolin, Mattozzi 2013: 358f.).50 An dieser nicht repräsentativistischen Position der Labor- und Studio-Studien orientiere ich mein Vorgehen. Auch ich werde als naiver und verständnisvoller Beobachter an den sozio-materiellen Prozessen im Designstudio teilnehmen. Welche fruchtbaren Irritationen und Paradoxien aus dieser Position resultieren wurde bereits in der Einleitung der Arbeit geschildert. Auch ich werde danach streben, die Akteure im Feld zu verstehen und ihre Sinnkonstitutionen ernst zu nehmen. Auch ich bin von kontextualistischen wie von individualistischen Erklärungen wenig überzeugt. Für diese Untersuchung eines Designprozesses werde ich verschiedene Formen der Dokumentationen verwenden, wie Fotografie, Video- und Audioaufnahmen. Vor allem aber werde ich mich auf meine Feldnotizen beziehen. In einem wichtigen Punkt distanziere ich mich jedoch von der Anlage der Labor- und Studio-Studien. Worin diese Differenz besteht, erläutere ich in den nächsten Abschnitten.
49 Yaneva bezieht sich eng auf Latour und bezeichnet sich ebenfalls als Anthropologin der Moderne (vgl. Yaneva 2009: 5). 50 Kathryn Henderson bringt sich selbst in die Nähe zu Argumenten einer generalisierten Symmetrie (1991; 1998). Ihre Kombination von ‚Boundary Objects‘ und ANT wirft jedoch einige Widersprüche auf. Eine für diesen Einwand hilfreiche Unterscheidung zwischen epistemischen und ontologische Objekten vollziehen Law und Singleton (vgl. Law, Singleton 2005: 333f.).
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3.4
DIE KOMBINATION VON SICHTWEISEN
Ich definiere für diese Untersuchung einen epistemologischen Standpunkt fernab der Suche nach der Repräsentation einer existierenden und für alle in gleicher Weise zugänglichen Welt. Dabei möchte ich von dem radikalen Perspektivwechsel der ersten Wissenschafts- und Technikstudien profitieren und nehme ebenfalls die Position eines teilnehmenden ethnografischen Beobachters ein. In diesem Sinne führe ich eine Einzelfallstudie zur Untersuchung eines Designprozesses durch. Einzelfallstudien bieten dabei gegenüber anderen Forschungsdesigns drei zentrale Vorzüge, die meinem Erkenntnisinteresse förderlich sind (vgl. Hering, Schmidt 2014: 530f.). 1) Der von mir untersuchte Fall ist per se interessant, da er durch den guten Zugang51 zum Forschungsfeld den Großteil der Arbeit der Designerinnen in einem bestimmten Designprozess zum Untersuchungsgegenstand machen kann. Alle Untersuchungen aus dem relevanten Stand der Forschung fokussieren zumeist auf die Details einzelner Fälle, wie beispielsweise Modellbau (vgl. Yaneva 2005) oder Skizzieren (vgl. Henderson 1991). Eine Einzelfallstudie erlaubt es verschiedene, über Zeit und Raum verteilte Handlungsvollzüge zusammen zu bringen. 2) Einzelfallstudien sind keineswegs frei von Vergleichen und Bezugnahmen aller Art. Auch hier wird Bezug genommen auf den Stand der Forschung, vor allem aber auf die Ergebnisse der eigenen Untersuchungen und Analysen, die sich auf verschiedene Orte, Akteure und Zeitpunkte verteilen. 3) Ein drittes Merkmal von Einzelfallstudien besteht darin, dass sie besonders geeignet sind, einer theoretischen Diskussion neue Perspektiven und Argumente zu liefern, beispielsweise dann, wenn ein Phänomen bisher nicht oder kaum beforscht wurde. In diesem Fall liegt im Feld der Designforschung eine deutliche Dominanz einer generell symmetrischen Perspektive der ANT vor, die Rolle des Nutzers und die Bedeutung von Ungewissheit sind weitere wichtige Ergebnisse der bestehenden Forschung. Diese dominanten Perspektiven sollen durch ein Tiefenverständnis, dieses per se interessanten Falls, in Frage gestellt und diskutiert werden. Meine Untersuchung zielt darauf, am Gegenstand Design eine substantielle Konzeptualisierung der Dynamiken designerischer Praxis zu entwickeln. Der Stand der Forschung wird gleichzeitig konstruktiv eingebunden. Sowohl die eher zeitdiagnostischen, als auch die grundlegenden epistemologischen Argumente, stellen ein repräsentativistisches Verständnis soziologischer Forschung grundsätzlich in Frage. So klar diese Argumente auch sind, ihre Kon51 Mein Zugang und vor allem der Charakter des Feldes werden in Kapitel fünf genau erörtert.
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sequenzen sind weitreichend, denn jede Methode, jede Frage und jeder Besuch im Feld verliert seine Neutralität. Die von Knoblauch getroffene Unterscheidung zwischen Befremdungs- und Binnenperspektiven in der ethnografischen Forschung ist ebenso ein Beispiel für die Parteilichkeit und Spezifik von Sichtweisen, wie es die zitierten Schwerpunkte von ethnografischer Untersuchungen von Kalthoff sind (vgl. Knoblauch 2014: 523f.; Kalthoff 2010: 358f.). Jeder Forscher hat bestimmte Entscheidungen über sein Forschungsdesign zu treffen. Mit diesen Entscheidungen ist immer auch ein gewisses politisches Gewicht verbunden, darin liegt Law und Singleton zu Folge eine nicht zu unterschätzende Verantwortung, denn in der Wahl der Fälle und der Forschungsfragen ist Forschung stets ein Politikum (vgl. Law, Singleton 2013).52 Der Forscher hat nicht die Wahl, ob er die Datengewinnung formt und strukturiert – dies ist nicht zu verhindern – er hat aber die Wahl, wie offen und reflektiert er damit umgeht! An diesem Punkt trägt er die Verantwortung, seine Untersuchung dem Gegenstand und seinem Erkenntnisinteresse entsprechend zu gestalten. Ich entscheide mich für die ethnografische Perspektive der Labor- und Studio-Studien. Ich teile ihre Schwerpunktlegung auf die Nutzer, die Wirkung der materiellen und visuellen Dinge und die Manipulation von Ungewissheit. Um aber die starken Argumente von Haraway, Dewey und Kalthoff ernst zu nehmen und um dieses Forschungsdesign vorteilhaft zu gestalten, erweitere ich meinen epistemologischen Standpunkt und mein Forschungsdesign gegenüber den Labor-, Studio- und Mirko-Studien von Design, um ein entscheidendes Merkmal: Ich nehme Stefan Hirschhauers Aufruf zur Enthemmung des Verhältnisses zwischen Theorie und Empirie ernst (vgl. Hirschauer 2008: 165). In diesem Sinne erweitere ich den Standpunkt der Studio- und Designstudien um einige wichtige theoretische Werkzeuge (mehr dazu in Kapitel vier). Der von Hirschauer entliehene Begriff des Werkzeugs, zur Bezeichnung von Methoden und Theorien gleichermaßen, erlaubt es elegant auf die Parteilichkeit, Zweckorientierung und Fallgebundenheit eines jeden Begriffs und einer jeden Methode (wenigstens implizit) hinzuweisen. In diesem Sinne haben die Werkzeuge Gewicht, theoretische Werkzeuge müssen jedoch der Empirie angemessen sein, sonst sind sie 52 Meine Entscheidung Design zu untersuchen nahm ihren Ursprung aus einer persönlichen Neugierde heraus. Die Neugierde ist theoretischer und praktischer Natur und betrifft jedwede Produktion und Konstruktion materieller oder visueller Art. Die Einsicht, dass wir Menschen heute in einer von uns gemachten Welt leben – mit allen dazugehörigen Möglichkeiten und Konsequenzen – hat diese Neugier gefüttert. Design ist gleichzeitig Gestaltung der und Verantwortung für die Welt – welcher Forschungsbereich sollte relevanter sein?
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zwecklos und sollten gegen andere Werkzeuge ausgetauscht werden. Durch die Benutzung werden Werkzeuge mitunter ‚stumpf‘, auch in solchen Fällen sollten Forscher ihre Werkzeuge tauschen oder schärfen. Einen solchen zweckorientierten Umgang mit jedwedem Werkzeug der Forschung rät Hirschauer dem forschenden Soziologen dringend an (vgl. Hirschauer 2008: 176). Wie auch den Aufruf Haraways, zur eigenständigen Erarbeitung und Kombination vielversprechender Sichtweisen, mache ich Hirschauers Aufruf zur Abrüstung zwischen theoretischem Universalismus einerseits und hartnäckiger Theorieabstinenz andererseits, zum Modus dieser Untersuchung (vgl. Hirschauer 2008: 172f.). In diesem Sinne versuche ich, in Form einer wechselseitigen Überraschung zwischen Theorie und Empirie, Abduktionen zu erzeugen. Es ist der amerikanische Pragmatismus, der es erlaubt, eine zusätzliche und vielversprechende Sichtweise auf Designprozesse zu entwickeln. Neue Zusammenhänge werden erkennbar, gleichzeitig wird bekanntes Wissen miteinander ins Verhältnis gerückt. Warum dafür gerade der Pragmatismus in besonderer Weise geeignet ist, wird im folgenden vierten Kapitel erläutert. Für meine epistemologische Position und mein Forschungsdesign haben die genannten Entscheidungen wichtige Konsequenzen. Die Studio- und LaborStudien sind der zentrale Orientierungspunkt meiner Untersuchung. Um ihre Ergebnisse miteinander zu verbinden und um meine Sichtweisen im Sinne Haraways vielversprechend und auf unterschiedliche Arten und Weisen sinnvoll zu definieren, gehe ich über die Labor und Studio-Studien hinaus. Ich kombiniere die theoretische Sichtweise des amerikanischen Pragmatismus mit der ethnografischen Sichtweise der Studio-Studien. Ziel dieses Vorhabens bleibt es, eine integrative Klammer um die interessanten, aber heterogenen Ergebnisse der Mikro-Studien von Design zu setzen. Ich werde die ethnografisch-induktive Perspektive der Labor- und Studio-Studien ebenso einnehmen, wie ich an anderen Stellen deduktive Annahmen aus dem Pragmatismus am empirischen Material prüfen werde. In diesem Sinne wechsle ich in schneller oder langsamer Abfolge zwischen induktiven und deduktiven Perspektiven, um Abduktionen zu erzeugen. Ich verschaffe mir auf diese Weise eine epistemologische Position, die über die Anlage, der in Kapitel zwei diskutierten Mikro-Studien von Design, hinausreicht. So nehme ich sowohl Haraways Aufruf zur multiplen Positionierung ernst, ebenfalls folge ich Hirschauers Aufruf, zu einem unprätentiösen Umgang mit Methode und Theorie. Dieser Umgang ist an der Erkenntnis und nicht etwa an der Orthodoxie von Methode oder Theorie orientiert. Für mein Forschungsdesign bedeute dies zunächst die aus den Studio- und Labor-Studien bekannten, meist induktiven, Positionen zu übernehmen. Diese, zu verschiedenen Zeiten unterschiedlichen Positionen meiner teilnehmenden
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Beobachtung, werden durch neue Sichtweisen im Sinne Haraways ergänzt. Immer wieder verbinde ich die Vorgänge im Feld mit einigen allgemeinen Annahmen aus dem amerikanischen Pragmatismus und seinen Soziologiesierungen durch George H. Mead und Anselm Strauss. Auf diese Art und Weise, also durch die spezifische und wohlüberlegte Kombination von Sichtweisen, erzeuge ich ein Forschungsdesign, das neue Erkenntnisse und die Kombination von alten Erkenntnissen fördert. Nach der Diskussion des Standes der Forschung zu Untersuchungen von Designprozessen in Kapitel zwei und nach der Entwicklung eines epistemologischen Standpunktes und Forschungsdesigns in diesem Kapitel stehen zwei Befunde unzweifelhaft fest. Beide Befunde sind für den weiteren Aufbau der Untersuchung von entscheidender Relevanz. Erstens, die ethnografisch induktive Argumentationsweise der Labor- und Studio-Studien erscheint für diese Untersuchung von Design vielversprechend. Ihr epistemologischer Standpunkt, jenseits von Repräsentation und Vergleich, erlaubt es, die Konstitution und Wirkung der sozio-materiellen Zusammenhänge im Feld der Designarbeit genau und verstehend zu untersuchen. Dennoch unterscheidet sich das Forschungsdesign dieser Untersuchung deutlich von denen der Labor- und Studio-Studien. Durch den noch zu leistenden Bezug auf ein allgemeines theoretisches Modell, kann der induktiven Argumentation immer wieder eine neue Sichtweise zur Seite gestellt werden. Dieses Vorgehen ist eng orientiert an Haraways Empfehlungen eine Vielheit der Sichtweisen zu kultivieren und zu nutzen. Gleichzeitig nimmt mein Forschungsdesign Hirschauers Empfehlungen ernst, Theorie und Methode als Werkzeuge der Erkenntnis rücksichtslos an den praktischen Zweck der Erkenntnis anzupassen. Zweitens, der neue konzeptuelle Standpunkt und die Referenz auf bestimmte theoretische Konzepte müssen wohl überlegt sein und gewissen Anforderungen genügen. Der Stand der Forschung zu Analysen von Designprozessen aus Kapitel zwei definiert diese Anforderungen in klarer Weise. Alle drei Schwerpunkte sind Teil von größeren Forschungs- und Diskussionszusammenhängen. Der Bezug auf tatsächliche oder antizipierte Nutzer, die Relevanz einer gewissen, beständigen Ungewissheit und die Beteiligung verschiedener visueller und materieller Entitäten am Design sind, als Ergebnisse hoch relevanter Vorarbeiten, ernst zu nehmen und in die eigene Forschung zu integrieren. Ein konzeptueller Bezug muss deshalb nicht nur jedem dieser drei Zusammenhänge die Möglichkeit zur Anknüpfung bieten, idealerweise ermöglicht ein solches Konzept es, die drei wichtigen, aber bisher stets disparaten Forschungs- und Diskussionszusammenhänge in konstruktiver Weise zusammenzuführen. Auch um einen theoretischen Beitrag zum Verständnis von Design zu entwickeln. Deshalb wird im folgenden Kapitel, unter Rekurs auf den ameri-
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kanischen Pragmatismus, eine theoretische Perspektive entwickelt, die eine Kombination und Integration der folgenden Zusammenhänge erlaubt: 1) Die stetigen Bezugnahmen auf den Nutzer, in konkreter und in antizipativer Form, sind ein Charakteristikum von Design. 2) Visuelle, materielle und menschliche Entitäten sind die treibenden Kräfte, mitunter aber auch Hindernisse in Designprozessen. Ihre Agency tritt in intendierter und nicht intendierter Form auf. Als Ziel von Design kann die Herstellung und Stabilisierung bestimmter Formen sozio-technischer Handlungszusammenhänge verstanden werden. 3) Die Reduktion und Produktion von epistemischer Dissonanz, als notwendige Bedingung von Design, ist ein weiteres Charakteristikum von Design, dies zeigt der Stand der Forschung deutlich. Diese Manipulation von Dissonanz oder Ungewissheit ist als zeitlicher Prozess zu verstehen. Die folgende Untersuchung eines Designprozesses wird in diesem Sinne von mir nicht nur als Ethnograf des Designs durchgeführt, sondern stets auch als pragmatistischer Theoretiker des Designs.
Kapitel 4: Konturen einer pragmatistischen Untersuchung von Design
Die ersten drei Kapitel geben dieser Untersuchung ihre Ausrichtung, ein wichtiges Element fehlt jedoch noch. Im ersten und zweiten Kapitel wurde die aktuell steigende Relevanz des Phänomens Design offenkundig, als Zunahme der Möglichkeiten von Gestaltung und als Ausbreitung einer spezifischen, mit Design verbundenen, Handlungsweise. Auch verschiedene Zeitdiagnosen rund um den Begriff Design und detaillierte Untersuchungen von Design zeigen seine aktuell hohe Relevanz. Die Mikro-Studien von Design erscheinen für weitere Untersuchungen relevant und produktiv, denn sie versprechen, das Phänomen Design gründlich zu analysieren und mögliche Gesellschaftsdiagnosen überhaupt erst auf ein festes Fundament zu stellen. Im zweiten Kapitel wurde deshalb der Korpus an Analysen von Designprozessen untersucht, sie kennzeichnet ein enger Bezug auf zumeist aus den STS stammende Argumente. Für eine weiterführende Untersuchung von Design scheint es vielversprechend die Relevanz sinnhafter Bezüge auf die Nutzer, die Wirkungen von materiellen und anderen Entitäten im Designprozess und die Wirkungen des Designobjektes sowie die Produktion und Reduktion von Ungewissheit in der Analyse miteinander zu integrieren. Obschon diese Ergebnisse nicht aufeinander Bezug nehmen oder sogar aufgrund ihrer jeweiligen konzeptuellen Hintergründe in Widerspruch zueinanderstehen (siehe Abschnitt 2.4 und 2.5), sind die Ergebnisse selbst hoch interessant und hoch relevant. Im Sinne von Robert Mertons Prinzip ein Phänomen stets von den Schultern derjenigen Vorgänger zu betrachten, die über eine erhöhte und deshalb privilegierte Perspektive verfügen, strebe ich keine Abgrenzung von den genannten Ergebnissen an, vielmehr werden sie zu einem vorteilhaften Ausgangspunkt dieser Analyse gemacht (vgl. Merton, Bowen 1965). Die gänzlich unterschiedlichen Anlagen des SCOT Ansatzes, der ANT und des Prinzips der epistemischen Dissonanz verhindern es, die Ergebnisse einfach zu subsumieren, um mit allen zugleich zu arbeiten. Die soziale Konstruktion von Technik hat keinen Raum für
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die Wirkung nicht-menschlicher Entitäten. Eben so wenig hat die ANT Raum, für die im Design scheinbar hoch relevante Ungewissheit und Offenheit. Diese und weitere Unvereinbarkeiten sind in den jeweiligen Theorien angelegt und dürfen nicht übergangen werden. Stattdessen bietet es sich an, die gemeinsamen Grundlagen, die konzeptuellen Gemeinsamkeiten der Ansätze zu suchen – denn auf der Seite der Phänomene scheint es keineswegs ausgeschlossen, dass in einem Designprozess sowohl Ungewissheit, diverse Entitäten als auch Bezüge auf Nutzer alle samt hoch relevant sind. Wie aber findet man eine Verbindung, die sowohl auf konzeptueller als auch auf phänomenologischer Seite als Verbindungslinie taugt? Eine genaue Untersuchung und Diskussion der Ansätze scheint interessant, aber wenig zielführend. Produktiver scheint die Suche nach konzeptuellen Gemeinsamkeiten. Welche Annahmen, welche Prämissen teilen die genannten Ansätze? Welche Logik und welchen Annahmen eint alle drei Ansätze? Ein Schritt zurück, in Richtung allgemeinerer theoretischer Grundlagen, ist für die Suche nach konzeptuellen Gemeinsamkeiten hilfreich. Der amerikanische Pragmatismus hat Potential, eine Klammer aufzuspannen, in der die genannten Befunde aus der Forschung miteinander in ein produktives Verhältnis gerückt werden können. Schließlich ist der Pragmatismus ein wichtiger Vorläufer sozialkonstruktivistischer Soziologie. Die ANT wird seit einiger Zeit als neo-pragmatistischer Ansatz bezeichnet und das Wechselspiel zwischen Ungewissheit und Vergewisserung, als dritter Teil des Forschungsstandes zu Design, ist eine der zentralsten Annahmen des Pragmatismus. Ziel dieses Kapitels ist es, genau und gründlich zu zeigen, inwiefern der Pragmatismus als integratives Konzept geeignet ist, die drei zentralen Befunde des Standes der Forschung zum Design zu integrieren. Die methodischen Prämissen der Vielheit der Perspektiven und eines Bezuges auf die Probleme der Akteure des Feldes dürfen dabei ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben. Diese Anlage der Studie erzeugt eine scharfe Abgrenzung von einer Auffassung von Forschung, die jede Schwäche von Vorarbeiten dazu verwendet den eigenen Standpunkt zu festigen. Es wäre ein Leichtes den Studien, deren Grundlage die ANT ist nach zu weisen, dass der Nutzer und Bezüge auf ihn von hoher Relevanz sind und aus seiner Marginalisierung ein gravierender Mangel erwächst. Ebenso ließe sich mit der ANT deutliche Kritik an der Nutzerzentrierung vieler Designstudien formulieren, ein wirklicher Gewinn, für das Verständnis von Design, würde durch diese Abgrenzungen jedoch nicht erwachsen. Ich bin bestrebt, die Ergebnisse des Forschungstandes konstruktiv und integrativ zu behandeln, in diesem Sinne verstehe ich Robert Mertons Plädoyer Vorarbeiten ernst zu nehmen, als Plädoyer für einen konstruktiven Umgang mit den Vorarbeiten anderer. Dieser konstruktive und mitunter
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integrative Umgang zeichnet auch die Arbeiten von Lindemann aus, mein Vorgehen orientiert sich an diesen Bemühungen um Integration und Weiterentwicklung, auch wenn es eine andere Theorie zum Gegenstand hat (vgl. Lindemann 2009: Kap. 5; Lindemann 2014: Kap. 3). Es bleibt dabei stets das Ziel, sozio-materielle Prozesse von Sinnkonstitution und Wirkung aus größter Nähe und in enger Wechselwirkung zu beobachten (Kapitel fünf). Gleichzeitig aber verspricht eine stets leicht distanzierte, theoretisch informierte Perspektive auf die Vorgänge im Designstudio einen Erkenntnisgewinn gegenüber dem Stand der Forschung zumeist ethnografischer Arbeiten. Eine überlegte und gut gewählte Fundierung der Forschungsperspektiven vermag es die Möglichkeiten induktiver ethnografischer Forschung konstruktiv zu bereichern und zu erweitern. Diese theoretische Perspektive erweitert, ergänzt, vermittelt und verallgemeinert die induktiv-ethnografisch erarbeiteten Ergebnisse dieser Arbeit. Zum einen beruht diese Untersuchung, wie die meisten Vorarbeiten aus dem Bereich der Studio-Studien, auf induktiven Argumenten und Befunden. Im Unterschied zu den meisten Vorarbeiten aus dem Bereich der Studio-Studien, versucht diese Arbeit jedoch diese ethnografische Position mit einem integrativ angelegten theoretischen Standpunkt zu erweitern. Dadurch wird ein beständiger Wechsel zwischen vorteilhaften Perspektiven – diese sind zum Teil induktiv, zum Teil theoretisch orientiert – möglich. Im Sinne des Arguments von Haraway aus Kapitel drei wird so eine produktive Vielheit der Sichtweisen erreicht. Die Sichtweisen wechseln zwischen theoretisch-konzeptuellen und empirischinduktiven Standpunkten und bieten damit eine entscheidende Erweiterung zu den ethnografisch argumentierenden Mikro-Studien von Design. In den nun folgenden Abschnitten werden die genannten Ergebnisse des Forschungsstandes als Orientierungspunkt genutzt, um eine gegenüber dem Stand der Forschung erweiterte und vorteilhafte Perspektive auf Design zu entwickeln. Dabei soll der nun zu entwickelnde theoretische Rahmen zwei Ansprüchen genügen: Er soll erstens offen und sensibel sein, für die bekannten Charakteristika von Designprozessen aus dem Stand der Forschung. Er soll zweitens offen und ausbaufähig sein, sodass induktiv erarbeitete Erweiterungen, Ergänzungen, Differenzierungen und Korrekturen in der intensiven Auseinandersetzung mit dem Fall formuliert und geprüft werden können. Mit dem Terminus der konzeptuellen Heuristik ist zu gleichen Teilen die Struktur und die Offenheit dieses begrifflichen Erkenntniswerkszeuges beschrieben: Die Perspektive und der Zugang des Forschenden, verstanden als Heuristik,
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ist nicht vollkommen frei, neu und unvoreingenommen 53, sie steht im Bezug zu bestimmten Konzepten mit ebenso bestimmten Vorannahmen, Begriffen und Setzungen. Gleichzeitig ist eine Heuristik niemals hermetisch, deterministisch und unflexibel. Eine Heuristik fixiert die Perspektive nicht, sie leitet nur an, fördert die eigene situative Erkenntnis, setzt Grenzen und schafft durch diese Reduktion von Komplexität Raum für neue Perspektiven und Interpretationen. Die nötige Sensibilisierung für einige zentrale Mechanismen in Designprozessen leistet Kapitel drei, wie eine konzeptuelle Heuristik zur Untersuchung von Design jedoch beschaffen sein muss ist noch offen. Die Soziologie verfügt über eine ganze Reihe von Konzepten und Theorien, um den Blick des Forschers für sehr unterschiedliche Phänomene zu schulen und zu sensibilisieren. Welches Konzept aber erlaubt es, all die genannten Charakteristika aufzunehmen ohne dabei Design lediglich als Staffage für Diskussionen um Agency, Ungewissheit oder doppelte Kontingenz zu verwenden? Welche konzeptuelle Heuristik ist so offen, dass sie die große Unordnung, in der Design vollzogen wird, aufnehmen kann? Wie sieht ein theoretischer Standpunkt aus, der unter engem Rekurs auf die bekannten Charakteristika von Designprozessen eine Perspektive entwickelt, die eine möglichst offene und reichhaltige Fallanalyse fördert? Der Pragmatismus von John Dewey und seine Soziologisierung durch George H. Mead und Anselm Strauss haben das Potential zur Entwicklung einer solchen konzeptuellen Heuristik und damit bieten sie eine entscheidende Erweiterung der Untersuchungsperspektiven auf Design. Dewey als Ausgangspunkt der Untersuchung von Designpraxis zu bestimmen liegt in der besonderen Bedeutung seiner Konzepte begründet. Deweys Arbeiten sind grundlegend für alle interaktionistischen Sozialtheorien und ihre weiteren Entwicklungen. Denn wichtige Sozialtheorien teilen die Grundannahmen Deweys, wie beispielsweise der symbolische Interaktionismus, die Ethnomethodologie, neuere Ansätze des Pragmatismus von Anselm Strauss, Susan Leigh Star und Adele Clarke, aber auch Sozialtheorien wie die Systemtheorie Niklas Luhmanns oder die ANT von Michel Callon, Latour und anderen. Aus diesem Grund scheint Dewey der ideale Lieferant für eine Untersuchungsheuristik, denn seine Konzepte bilden so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner interaktionistischer Sozialtheorien.54 53 Dieses Phänomen wird in Kapitel drei diskutiert, denn es gibt durchaus epistemische Standpunkte, wie etwa in der Grounded Theory nach Barney Glaser, die eine Neutralität ihres Standpunktes idealisieren. 54 Ein weiteres Argument für die Aktualität und Bedeutung des Pragmatismus liefert Henning Laux unter engem Rekurs auf die Arbeiten von Richard Rorty. Der Pragmatismus, so Laux, eigne sich besonders für die Analyse von kreativen und kombinatori-
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Gleichzeitig erlaubt sein Minimalismus induktive Schlüsse in großer Nähe zum Fall.55 Der empirische Beleg, für die Qualität einer an Dewey orientierten Untersuchung, wird sich in der weiteren Argumentation dieser Arbeit zeigen. Der erste der drei folgenden Abschnitte (4.1) stellt ein Konzept vor, dass die Reduktion von Ungewissheit als den zentralen Zweck jedweden menschlichen Handelns versteht. Ungewissheit – einerlei, ob sie der unbelebten Umwelt oder dem Sozialen entspringt – begegnet der Mensch stets handelnd. Um das Verständnis von Handlung über die Reduktion von Ungewissheit hinaus zu differenzieren wird im zweiten Abschnitt (4.2) Handeln, ganz gleich, ob es sich an Menschen, Dinge oder Visualisierungen richtet, als antizipativer Vorgang einer Zweck-Mittel Relation begriffen. Zwar wird der Relevanz der Ungewissheit bereits im ersten Abschnitt Rechnung getragen, allerdings muss sie nicht allein als Problem des Handelns, sondern vielmehr auch als Ressource des Handelns begriffen werden. Um etwa ein wechselndes Niveau von Ungewissheit anzuzeigen wird im dritten Teil dieses Kapitels (4.3) die konzeptuelle Heuristik um eine zeitliche Perspektive erweitert.
4.1
JOHN DEWEY – DIE VORORDNUNG DES HANDELNS ALS GRUNDANNAHME INTERAKTIONISTISCHER SOZIOLOGIE
Deweys Arbeiten, welche ihren Ursprung in seinen Bezügen auf William James und Charles Sanders Peirce finden, wurden vor allem durch ihre Rezeption in der Chicago School zu einem zentralen Bezugspunkt des ersten soziologischen Forschungsinstitutes in Amerika, ebendieser Chicago School. Prominente Vertreter dieser Schule waren Robert. E. Park, William I. Thomas und später auch Herbert Blumer. Als Philosophen und Pädagogen waren Dewey und auch George H. Mead zwar keine Mitglieder der Chicago School, ihr Einfluss und ihre Nähe sind jedoch nicht nur geografischer Natur, sondern erklären sich vor allem in einer engen intellektuellen Verbundenheit (vgl. Suhr 1994: 11f.). Eine
schen Prozessen, wie sie besonders für die Gegenwartsgesellschaft kennzeichnend sind (vgl. Laux 2013). Eine breitere Perspektive zur Renaissance des Pragmatismus eröffnen Tanja Bogusz und Laux mit einem Sonderheft des Berliner Journals für Soziologie (vgl. Bogusz, Laux 2013). 55 Die Nähe von Deweys Werk zur Methode der Grounded Theory untermauert diese These.
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gleichermaßen breite wie schnelle Rezeption Deweys durch die Chicago School sowie durch Personen wie Mead und andere sorgte dafür, dass insbesondere in der amerikanischen Soziologie ein breiter Korpus unterschiedlicher Ansätze entstanden ist und bis heute weiterentwickelt wird, der zu großen Teilen Deweys grundlegendes pragmatistisches Argument der Vorordnung56 von Handlung teilt. Wer sich auf das zentrale Argument Deweys einlässt, der findet Anschluss an eine ganze Tradition vielseitiger und unterschiedlich gut ausgearbeiteter Forschungsansätze. In diesem Sinne ist Deweys Annahme der Vorordnung der Handlung gegenüber dem Wissen der kleinste gemeinsame Nenner einer langen Reihe von Konzepten interaktionistischer Soziologie. Deweys Minimalismus erzeugt eine hohe Anschlussfähigkeit, gleichzeitig erlaubt dieser Minimalismus sehr nah am empirischen Material zu arbeiten. Aus diesen Gründen sind seine Konzepte der ideale Ausgangspunkt für Analysen, die einerseits nah und detailliert am empirischen Material arbeiten, aber andererseits explizit einen konzeptuellen Rahmen adressieren.57 Dieser Rahmen ist stets vollkommen anschlussfähig für sozio-materielle Interaktion, nicht nur im Design. Er orientiert und formatiert im Sinne einer konzeptuellen Heuristik. Details, aber auch größere Zusammenhänge, lassen sich jedoch stets induktiv erarbeiten. Anders als der Theoretiker Dewey selbst leisten viele der Ansätze, die auf ihn Bezug nehmen, Differenzierungen und Zuspitzungen, aufgrund von konkreten empirischen Analysen. Im Folgenden wird der theoretische Rahmen der Untersuchung erörtert. In jedem der vier folgenden Abschnitte bildet jeweils ein Konzept Deweys den Ausgangspunkt, dort aber wo sie zu kurz greifen, beispielsweise beim Problem der doppelten Kontingenz des Sozialen, werden sie Stück für Stück erweitert. Die Auswahl und Bezüge auf Dewey orientieren sich jeweils an inhaltlichen
56 Obschon der Begriff Vorordnung eher selten gebraucht wird ist er hier doch treffender, als etwa vorrangig oder übergeordnet, denn Vorordnung betont sowohl den Vorrang der Bedeutung als auch die zeitliche Reihenfolge der Handlung. 57 Die Frage, ob es möglich ist, offen und ohne Vorannahmen empirisch zu forschen, wird in der Literatur zur Grounded Theory diskutiert. Offenkundig vertraten ihre Gründer zu den Möglichkeiten rein induktiver Forschung durchaus unterschiedliche Standpunkte (vgl. Strübing 2004: 63-73). Auch die symmetrische Anthropologie der ANT liefert zum Verhältnis von Beschreibung und Neutralität einen interessanten Diskurs (vgl. Law, Singleton 2013 und Latour 1999). Die Literatur legt die Annahme nahe, dass auch rein induktiv argumentierender Forschung klare Annahmen zugrunde liegen.
Konturen einer pragmatistischen Untersuchung von Design | 99
Maßgaben. Ich habe vier zentrale Texte aus dem Werk von Dewey ausgewählt. 58 Diese Anordnung entspricht annähernd der zeitlichen Reihenfolge ihrer Entstehung, allein ‚Experience and Nature‘ (Dewey 1958 [1925]) ist mit ‚The Quest for Certainty‘ (Dewey 1929) zeitlich vertauscht. Die Erläuterungen zum ‚Pattern of Inquiry‘ folgen am Ende dieses Kapitels nach den Ausführungen zu Mead und Strauss. Stets ist es der Zweck dieser Erläuterung eine für das Design möglichst sensible konzeptuelle Heuristik zu entwickeln, um der empirischen Arbeit im fünften Kapitel einen guten Rahmen zu geben. 4.1.1 Handeln steht vor Wissen – ‚The Reflex Arc Concept in Psychology‘ Bereits 1896 formulierte Dewey eine der zentralen Annahme interpretativer Sozialforschung. Im ‚Reflex Arc Concept in Psychology‘ (Dewey 1896) findet sich zwar kein ausgearbeitetes Modell von Interaktion oder Handeln, aber es findet sich eines der grundlegendsten Prinzipien so einflussreicher Forschungstraditionen wie der ‚Chicago School‘, der ‚Grounded Theory‘ oder des ‚Symbolischen Interaktionismus‘. Gegen die seiner Zeit dominante behavioristische Psychologie59 formulierte Dewey, in aller Deutlichkeit, das Prinzip der Vorordnung der Handlung gegenüber der Wahrnehmung. Dewey argumentiert unter Bezug auf ein Kind, welches sich an einer Kerze verbrennt, wie folgt: Vom Kerzenschein, so Dewey, gehe kein Stimulus aus. Allein die Aktivität des Individuums – und sei es nur eine winzige Regung der Augen – ist initial für die Wahrnehmung des Lichts und die im Weiteren folgenden Handlungsschritte. Dewey stellt die damalige Annahme einer per se existierenden Natur voller Stimuli auf den Kopf und ordnet die Handlung dem Stimulus und in der Konsequenz allem Weiteren vor:
58 Deweys Werk ist enorm, Martin Suhr schreibt: „Eine seiner bemerkenswertesten Züge war zweifellos seine intellektuelle und physische Kraft. Mit achtzig Jahren arbeitete er an mehreren Büchern, nachdem er in dem Jahrzehnt davor sieben Bücher geschrieben und zwei vollständig revidiert hatte. […] Er konnte leicht ein Kapitel pro Tag schreiben, das zwischen 5000 und 7000 Wörter zählte. Und es am nächsten Tag streichen und wieder von vorne beginnen“ (Suhr 1994: 16). 59 Sowohl Dewey als auch Mead arbeiteten sich beständig am Behaviorismus ab, es finden sich viele Passagen der Abgrenzung bei beiden Autoren, ausführlich wird dies im ersten Kapitel von Meads bekanntestem Buch ‚Geist, Identität und Gesellschaft im Sozialbehaviorismus‘ ausgeführt (vgl. Mead 1968 [1934]: 9-38).
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„Upon analysis, we find that we begin not with a sensory stimulus, but with a sensorimotor coordination, the optical-ocular, and that in a certain sense it is the movement which is primary, and the sensation which is secondary, the movement of body, head and eye muscles determining the quality of what is experienced. In other words, the real beginning is with the act of seeing; it is looking, and not a sensation of light. The sensory quale gives the value of the act, just as the movement furnishes its mechanism and control, but both sensation and movement lie inside, not outside the act.“ (Dewey 1896: 358f.)60
Dewey demonstriert, dass nicht der Lichtschein einer Kerze den Menschen reizt, vielmehr ist eine Initiative, eben eine Spur von Handlung nötig, um den Reiz wahrzunehmen. Eine unmerkliche Bewegung der Augen, ein Fokussieren, nur so selektiert der Mensch aktiv aus der Unzahl potenzieller Reize einen bestimmten und gibt der exemplarischen Kerze ihre Relevanz. Es ist der Akteur selbst, welcher aus einer Unzahl von Reizen erst handelnd seinen eigenen Stimulus wählt. Fragen von Bewusstheit oder Reflexion von Handeln stehen in diesem Artikel noch nicht zur Debatte. Im Pragmatismus bildet die hier beschriebene Vorordnung der Handlung den Grundstein aller weiterführenden Konzeptualisierungen: Handlung ist der Struktur, der Erkenntnis, selbst der Identität vorgeordnet. Die Vorordnung der Handlung bleibt nicht ohne Folgen für das Verständnis von Natur und Welt. „What the sensation will be in particular at a given time, therefore, will depend entirely upon the way in which an activity is being used. It has no fixed quality of its own.“ (Dewey 1896: 368)
Dieser frühe Aufsatz von Dewey kann als Fundament seines Handlungsbegriffes, ja seiner gesamten Theorie verstanden werden. Reize und alles was im Weiteren daraus folgt, haben ihren Ursprung in einer Aktion des Akteurs. Eine Interpretation dieser Position als konstruktivistisch greift jedoch zu kurz, die folgenden Abschnitte zeigen, dass die Welt und Umwelt als Objekt und Gegenstück der Interpretation von Dewey nicht als beliebig interpretierbar verstanden wurde. Im Gegenteil, zumeist erklären sich Handlungen als Aktion gegen die Ungewissheit einer ebenso unnachgiebigen wie undurchsichtigen, aber stets gegebenen und existentiell bedeutsamen Welt. 60 In diesem Kapitel gebe ich den Zitaten viel Raum, um der Leserin einen gewissen Einblick in die Literatur zu erlauben. Um den Lesefluss nicht zu hemmen, bevorzuge ich, dort wo Übersetzungen verfügbar sind, die deutsche Version der jeweiligen Zitate.
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Ein Anschluss an den Stand der Forschung zu Designprozessen ist zunächst noch wenig offensichtlich. Allerdings wird mit der Vorordnung der Handlung der zentrale Bezugspunkt jeder Untersuchung erkennbar, es sind die Handlungen und ihre Folgen, die im Fokus jedweder Analyse stehen müssen. 4.1.2 Wissenschaft ist Basteln, Basteln ist Wissenschaft – ‚The Quest for Certainty‘ Knapp drei Jahrzehnte später macht Dewey das Prinzip der Vorordnung der Handlung zum Ausgangspunkt für eine umfassende Kritik an der Philosophie. Diese Kritik nimmt ihren Ausgang an der in der Philosophie seiner Zeit inhärenten Trennung zwischen wissenschaftlichem Wissen und materiellen, praktischen Problemen. Um diese Annahme zu plausibilisieren, sind jedoch einige weitere theoretische Setzungen nötig. Das zentrale Prinzip von Handlungen ist mit dem ‚Reflex Arc Concept‘ benannt. Die Frage nach dem ‚Wie‘ der Handlung ist grob beantwortet, das ‚Warum‘ aber ist noch offen. Dewey diskutiert dieses Problem in ‚The Quest for Certainty‘ an prominenter Stelle und formuliert wie folgt: „In the absence of that organic guidance given by their structure to other animals, man had to find out what he was about, and he could find out only by studying the environment which constituted the means, obstacles and results of his behavior. The desire for intellectual or cognitive understanding had no meaning except as a means of obtaining greater security as to the issues of action.“ (Dewey 1929: 38)
Dewey erklärt Ungewissheit (uncertainty)61 zum Ausgangspunkt jeder Handlung des Menschen. Die menschliche Instinktarmut, seine Weltoffenheit und Neugier zwingt ihn, sich handelnd und tätig die Welt näher zu bringen. Allein im Handeln kann der Mensch sich mit den Folgen seiner Handlungen bekannt machen, die Resultate seines Tuns kennenlernen. Der Mensch erhandelt sich eine Vergewisserung dessen, was ihn umgibt. Handelnd reduziert der Mensch die allgegenwärtige, ihn umgebende Unsicherheit – er macht Erfahrungen, er lernt. Handeln wird zum Mittel, um die Handlungsbedingungen gewisser zu machen. Seine Erfahrung (Experience), als Grundlage für künftiges Handeln, formiert sich.
61 Ich benutze bei den Autoren vorzugsweise deutsche Begriffe und deutsche Zitate, hin und wieder werden die Argumente durch die englischen Begriffe aber deutlicher, so nutze ich an entsprechenden Stellen die englischen Begriffe.
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Dewey entwickelt aus dieser Verknüpfung von Handeln und Wissen eine Kritik der Trennung reiner, theoretischer und absoluter Erkenntnis gegenüber niederer, praktischer Tätigkeit, die sich lediglich auf gegenwärtige Probleme richtet. In der damaligen Philosophie war diese Trennung allgegenwärtig (vgl. Dewey 1998: 20f.). Dewey sieht Erkenntnis, Lernen und Wissen als untrennbar mit konkreter Praxis verknüpft: „Unsere geringschätzige Haltung gegenüber der ‚Praxis‘ würde sich ändern, wenn wir gewohnt wären, über sie im umfassenden Sinne nachzudenken, und wenn wir den üblichen Dualismen zwischen zwei getrennten Arten von Werten, die einen von Natur aus höher und die anderen von Natur aus niedriger, aufgäben. Wir sollten die Praxis als das einzige Mittel (außer dem Zufall) ansehen, wodurch allem, was als achtunggebietend, bewunderungswürdig oder anerkennenswert beurteilt wird, eine konkret erfahrbare Wirklichkeit verschafft werden kann.“ (Dewey 1998: 36)62
Die instruktive und ausführliche Kritik Deweys an der verbreiteten Trennung in ein überlegenes, theoretisches Wissens und ein niederes, praktisches Wissen basiert darauf, jedwede Erfahrung als eine praktische Erfahrung zu verstehen. Damit ist jede Erkenntnis – ganz gleich welcher Motivation sie entspringt – eine Erkenntnis, die auf eine praktische, in der Handlung gewonnene Erfahrung zurückzuführen ist. Deshalb ist gleichgültig, ob ein Akteur seine Erfahrung in einem wissenschaftlichen Labor, nur theoretisch in Gedanken oder aber als Problem des Alltags macht. Für die Untersuchung von Design macht diese Annahme jede prinzipielle Unterscheidung zwischen designerischem Handeln und anderen Handlungsformen obsolet. Handeln, als Ausgangspunkt jedweder Analyse und Handeln als Mittel, um den Ungewissheiten der Welt eine Vergewisserung entgegen zu setzen – auf diese Weise lässt sich Dewey bis hier her in aller Kürze zusammenfassen. Die stets an Handlung gebundene Reduktion von Ungewissheit ist das zentrale Motiv des Handelnden bei Dewey (dieser Zusammenhang wird in 4.3 vertieft). Die Analysen von Designprozessen haben uns hingegen Dissonanz als Ressource und Problem von Design gleichermaßen präsentiert, so scheint Dewey für die Untersuchung der Bearbeitung von Ungewissheit durchaus geeignet. Wie mit Ungewissheit im Detail im Design umgegangen wird bleibt im empirischen Teil dieser Arbeit jedoch genau zu prüfen, dennoch macht die Annahme Ungewiss62 Die Argumente, welche in den 1970er und 1980er Jahren von den Vertretern der Science and Technology Studies zur Entzauberung der Naturwissenschaften stark gemacht wurden, erinnern durchaus an Deweys Argumentation (vgl. Bammé 2014).
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heit als Motor jeder Handlung zu verstehen, Dewey zum idealen Bezugsrahmen dieser Analyse stets ungewisser Designprozesse. Die Wechselwirkung von Handeln und Ungewissheit im Design detailiert zu untersuchen wird durch die Betonung des Zusammenhangs zwischen Ungewissheit und Handeln ein zentrales Vorhaben dieser Arbeit. Zugleich impliziert ‚The Quest for Certainty‘, dass designerisches Handeln sich nicht prinzipiell von anderen Handlungszusammenhängen unterscheidet. 4.1.3 Nur handelnd ermächtig sich der Mensch – ‚Experience and Nature‘ In seinem 1925 erschienenen Buch ‚Experience and Nature‘ stellt Dewey, insbesondere im vierten Kapitel, das Verhältnis von ‚Nature, Means and Knowledge‘ (Natur, Handlungsmittel und Wissen) heraus (vgl. Dewey 1958 [1925]). Ursachen und Abläufe von Handlungen sind in Abschnitt 4.2 und 4.3 grob dargestellt, allerdings ist es nun nötig, genauer auf die Elemente und Koordinaten des Handels zu blicken. Was also sind die natürlichen Voraussetzungen oder Bedingungen des Handelns, welche Handlungsmittel hat der Mensch und welche Rolle hat Erfahrungswissen als Element des Handelns? Schon in ‚Quest for Certainty‘ wurde allgemein die Natur zum Ausgangspunkt existentieller Gefahren (Perils) erklärt: Die Natur ist die Quelle von Ungewissheit, sie droht mit Mangel, Not, Unvollkommenheit und Nicht-Sein (vgl. Dewey 1958 [1929]: 129). Handelnd strebt der Mensch danach sich von Unsicherheit zu befreien, nur handelnd kann er sich der Welt vergewissern. Dabei – und das ist ein neues Argument – ist der Mensch von zweierlei Beziehungen abhängig. Einerseits ist er verbunden mit den Objekten der Welt, sensorisch und antizipativ. Andererseits ist er abhängig von den Beziehungen und Zusammenhängen, welche die Objekte der Welt untereinander verbinden. „Die Voreingenommenheit des Menschen für sich selbst veranlaßt ihn, ein Werkzeug lediglich in Beziehung auf sich selbst, auf seine Hand und seine Augen, zu bemerken; aber primär bezieht sich ein Werkzeug auf andere äußerliche Dinge, wie der Hammer auf den Nagel und der Pflug auf die Erde. Nur durch diese objektive Verbindung bewahrt es seine Beziehung zum Menschen selbst und zu seinen Tätigkeiten.“ (Dewey 1995 [1925]: 128f.)
Die sensorische Beziehung zur Welt und ihren Objekten verschafft dem Handelnden Zugang zum Verhältnis der physischen Dinge untereinander, zu ihren Relationen (vgl. Dewey 1958 [1925]: 123). Diese zweiteilige Beziehung „Mensch-Hammer“ (erster Teil) und „Hammer-Nagel“ (zweiter Teil), die verall-
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gemeinert als Beziehung vom Menschen zur Natur bezeichnet werden kann, ist ein grundlegender Bezugspunkt jeden Handelns und damit auch im designerischen Handeln von großer Bedeutung. Die theoretische Trennung und der daraus folgende differente Umgang mit vermeintlich prinzipiell differenten Formen des Handelns, sind für Dewey jedoch Anlass zur Kritik: Denn häufig wird Handeln auf zwei unterschiedliche Arten erfasst, behandelt und kategorisiert, entweder praktisch künstlerisch oder aber abstrakt wissenschaftlich. Diesen Dualismus kritisiert Dewey hier und in vielen seiner Schriften als eine falsche Trennung, eine künstliche Trennung ohne inhaltliche Legitimität. Dewey macht seine Kritik greifbar durch einen genauen Vergleich der Praxis von nützlichen Künsten (hierunter sind angewandte Tätigkeiten zu verstehen, wie z.B. Handwerk) und auf der anderen Seite Wissenschaft. Ich möchte diese zwei Felder anhand zweier Zitate kurz vorstellen. Der Mensch wehrt sich künstlerisch praktisch – darin besteht kein Widerspruch – gegen die Unsicherheit der Natur. Mitunter gelingt es dem Menschen Zusammenhänge und Wirkungen von Objekten in eine beständige, also dauerhafte, Wirkrelation zu fixieren: „Empirisch existieren individualisierte Objekte, einzigartige Dinge. Aber sie sind flüchtig und unstabil. Sie sind vom Untergang bedroht, sobald sie erscheinen. Die nützlichen Künste beweisen, daß es möglich ist, das Auftreten einiger dieser einzigartigen Dinge herbeizuführen und auf Dauer zu stellen, wenn man ihre Einzigartigkeit in gewissen Grenzen unberücksichtigt läßt und die Aufmerksamkeit auf das Gemeinsame, sich Wiederholende, Zeitunabhängige richtet.“ (Dewey 1995 [1925]: 151)
Auch mit den Mitteln der Wissenschaft – und das ist entscheidend – richtet sich der Mensch handelnd gegen ebendiese Unsicherheit: „Die Objekte der Wissenschaft sind, wie die direkten Objekte der Künste, eine Ordnung von Beziehungen, die als Werkzeuge dienen, um unmittelbares Haben und Sein zu bewirken.“ (Dewey 1995 [1925]: 140)
Eine gewisse Erwartungssicherheit wird praktisch-künstlerisch durch eine zeitliche, wie quantitative Wiederholbarkeit von Wirkzusammenhängen erreicht, dieses Phänomen wird mitunter als Technisierung beschrieben.63 Wissenschaft verallgemeinert dieselben natürlichen Relationen, aber auf einer abstraktsymbol-ischen Ebene. Diese Allgemeinheit und die daraus folgende Mobilisier63 Beispielsweise von Werner Rammert (vgl. Rammert 2000: 42) oder mit dem Begriff der ‚Blackbox‘ von Latour (vgl. Latour 2002A: 222 ff.).
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barkeit der Relation von Objekten sind die besonderen Merkmale und Stärken von Wissenschaft (vgl. Dewey 1995 [1925]: 134f.).64 Aber, beide Formen – darin lag bereits in ‚Quest for Certainty‘ der Ausgangspunkt für Deweys zentrales Argument – beziehen sich auf dasselbe, nämlich auf identische Objekte derselben Welt. Die Existenz einer Trennung von Wissenschaft und praktischer Kunst (Handwerk) ist für Dewey nicht aus den Objekten der Welt heraus erklärbar, er sieht in ihrer Trennung lediglich ein Artefakt sozialer Emergenz. „Die soziale Trennung in eine arbeitende und eine müßige Klasse, zwischen Gewerbe und ästhetischer Kontemplation, wurde zu einer metaphysischen Trennung in Dinge, die bloße Mittel sind, und Dinge, die Zwecke sind. Mittel sind knechtisch, dienend, sklavisch; und Zwecke frei und final.“ (Dewey 1995 [1925]: 130)65
Was aber ist der gemeinsame Bezugspunkt von Wissenschaft und praktischer Kunst? Worauf beziehen sie sich gleichermaßen? Welche Eigenschaften eint die disparaten Bereiche, welche gemeinsamen Eigenschaften hat die praktische und die theoretische Welt? Für die Beantwortung der Frage, wie im Design die Welt be- und verarbeitet wird, sind diese Fragen enorm bedeutsam. Dewey erklärt eine relationale Ordnung der Welt zur Voraussetzung von Handeln, denn erst die Existenz gewisser, wie auch immer gearteter Relationen, erlaubt ein kontrollierbares Handeln. Wiederholbare Relationen sind konstitutiv für die Erwartbarkeit des Ausgangs von Handeln und damit für jedes nicht zufällige Handeln. „Sie [Ordnung oder Zustand der Welt, Anm. V.J.] fügt dem zufälligen Haben von Zwecken die Fähigkeit hinzu, das Datum, den Ort und die Weise ihres Erscheinens zu kontrollieren. Im Grunde ist die Behauptung, daß diese Bedingung geordneter Beziehungen 64 Es ist ebendieses Spezifikum von Wissenschaft, das in Latours historischer Studie zur Arbeit von Pasteur als Destabilisierung der Innen- und Außengrenzen von Pasteurs Labor und damit zum Erfolg seines Impfstoffes führt (vgl. Latour 1983). Knorr Cetina fasst die Mobilisierung von Relationen in der Wissenschaft allgemeiner. Ihr Begriff des Räsonierens von Analogie „halberahnter Ähnlichkeit“ wird so tragfähig und verbindet bisher disparate Ideen (Knorr Cetina 2002 [1981]: 94). 65 Zwar unterscheidet sich Deweys These, der Trennung zwischen höheren und profanen Künsten, von der Kritik Latours an dem Irrglauben der Manipulierbarkeit des Sozialen gegenüber der Stabilität des Technischen. Ihre jeweils auf Institutionalisierung basierenden Erklärungen der zugegeben differenten Missverhältnisse, wie auch ihre jeweiligen Appelle zur Beendigung der gegenwärtigen Zustände ähneln sich, obschon sie fünf Jahrzehnte auseinander liegen, doch sehr (vgl. Latour 2008).
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mathematisch- mechanisch sei, eine Tautologie; das heißt, die Bedeutung von allem, das so beschaffen ist, daß seine Wahrnehmung und sein Gebrauch uns befähigt, die Konsequenzen zu regulieren oder terminale Qualitäten zu erlangen, ist eine mathematischmechanische oder – wenn man will – logische Ordnung. Würden wir nicht die entdecken, die wir gefunden haben, hätten wir andere finden müssen, wenn es bewußtes Planen und Ausführen geben soll.“ (Dewey 1995 [1925]: 140)
Zugleich aber relativiert Dewey – und da sind wir wieder am Ausgangspunkt – sein fast positivistisch anmutendes Argument durch die Situativität, Zweckdienlichkeit und Temporalität allen Handelns. Dewey geht zwingend von erwartbaren und einigermaßen stabilen Relationen in der Welt aus. Diese fixen Relationen zeigen sich dem Menschen jedoch nur im Handeln selbst. Dieses Handeln ist aber nicht von Dauer, es ist in zeitlicher Hinsicht flüchtig und stets an seine spezifischen Zwecke gebunden. Damit wird auch die Kenntnis des Menschen, gegenüber der prinzipiell fixen und verlässlichen Zusammenhänge der Welt, flüchtig und jeweils spezifisch.66 Die Welt und ihre Zusammenhänge erscheinen immer ausgehend vom Impuls des Menschen, wie im Begriff des ‚Reflex Arc‘ deutlich beschrieben. Darin besteht der Kern des Pragmatismus. Wissenschaft und praktische Kunst, so konnten wir oben erfahren, haben ihre eigenen Methoden, um ebendiese Relation zu greifen. Ihr Ursprung liegt aber im gleichen grundsätzlichen Problem. „Wir sehen Inseln sozusagen auf der See schwimmen; wir nennen sie Inseln aufgrund ihres scheinbaren Mangels an Kontinuität mit dem Medium, das sie unmittelbar umgibt. Aber sie sind herausragende Teile genau der Erde, auf der wir uns bewegen; die Verbindungsglieder erscheinen gewöhnlich nicht; sie sind da, aber sie werden nicht gehabt. Der Unterschied zwischen dem Erscheinenden und dem nicht Erscheinenden ist von immenser praktischer und theoretischer Bedeutung, da er uns einen Zwang zu Schlußfolgerungen auferlegt, der nicht bestünde, wenn die Dinge uns in ihren vollen Verbindungen erschienen statt mit scharf markierten Umrissen, die auf den Grenzen der Wahrnehmbarkeit beruhen.“ (Dewey 1995 [1925]: 142)
Die pragmatistischen Vorordnung des Handelns gegenüber seinen Zwecken aus dem Reflex Arc Concept (Dewey 1896), die Natur, als Quelle und damit Antrieb 66 Der Pragmatismus bietet aufgrund seiner Anlage einen Ausweg zwischen konstruktivistischen und deterministischen Erklärungen, in Kombination mit Mead bietet er, im Unterschied zur symmetrischen Anthropologie, eine Möglichkeit, das Problem der doppelten Kontingenz zu greifen.
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allen Handelns (Dewey 1958 [1925]) und die soeben dargestellten Qualitäten von Mitteln und Objekten im Handeln, einerlei ob praktisch oder wissenschaftlich, bilden die Heuristik für die Untersuchung der Tätigkeiten im Design. Sie sind das Set von Annahmen, das meiner Untersuchung einen Rahmen gibt und so eine systematische Untersuchung erst möglich macht.67 Bevor im folgenden Kapitel die forschende menschliche Tätigkeit konzeptuell zusammengezogen und so für die empirische Arbeit vorbereitet wird, schließt dieser Abschnitt mit einer Definition der Mittel (‚Means‘) von Handlung: „Ein Ding ist auf bezeichnendere Weise das, was es ermöglicht, als das, was es unmittelbar ist.“ (Dewey 1995 [1925]: 133) In enger Anlehnung an Dewey lässt sich dieses Kapitel wie folgt zusammenführen: Mittel werden erst zu Mitteln in ihrem Ziel.68 Zentral im Handeln ist das Zweck-Mittel Verhältnis, auch in seiner Verbindung zu den Objektrelationen (Objekt-Objekt) und den Mensch-Objekt Relationen. In der Konsequenz entbehrt jegliche Trennung in subjektive Erfahrung und objektive Natur der Grundlage. Akteure können nichts, außer zu Handeln und dieses Handeln richtet sich gegen Ungewissheit. Vollzogen wird es stets in Form von Zweck-Mittel Relationen. Jede ontologische Unterscheidung zwischen Zwecken und Mitteln negiert Dewey jedoch. Ob nun eine Designerin handelt, ein Wissenschaftler handelt oder, ob wir ein Problem des Alltags lösen, macht keinen prinzipiellen Unterschied, alles folgt der gleichen Logik und basiert auf den gleichen materiellen Zusammenhängen. Erfahrung erlaubt Handeln und damit das Verfolgen von Interessen. Erfahrungen ermöglichen damit die Welt zu gestalten (vgl. Dewey 1995 [1925]: 145-150). Einerlei, ob in Wissenschaft, Kunst oder anderswo, kognitiv sensorisch handelnd setzt sich der Mensch in Beziehung zur Welt und ihren Objekten, dabei sind die Objekte der Welt untereinander verbunden. Zwar kann der Mensch diese Zusammenhänge nie gänzlich begreifen, sie bleiben situativ und flüchtig, kleinere Ausschnitte der Zusammenhänge sind jedoch für den Menschen erwartbar. Allein im Handeln – einerlei ob im wissenschaftlichen oder in anderen Kontexten – gelingt es dem Menschen, die Ungewissheit dieser Zu67 Das Verhältnis von Annahmen und induktiven Erkenntnissen wurde in Kapitel drei ausführlich diskutiert. 68 Die im Pragmatismus oft kritisierte Zusammenführung von Mitteln und Zwecken liegt auch dieser Annahme zu Grunde. Darin liegt ein Anknüpfungspunkt für Kritik am Pragmatismus: „Es ist das Wesen des Pragmatismus, Bedeutung mit Absicht zu verwechseln […] diese Kritik erscheint mir einfach und direkt, und ich glaube nicht, daß einer der drei Führer der pragmatistischen Bewegung – James, Schiller und Dewey – sie jemals zufriedenstellend beantwortet hat.“ (Blanshard 1994: 19)
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sammenhänge gewisser zu machen. Allein handelnd findet der Mensch einen Zugang zu Welt. Die stets ungewisse Welt weist zwei Arten von Beziehungen auf: Zum einen die Beziehung des Menschen zu den Dingen selbst, zum anderen die Beziehungen und Wirkzusammenhänge der Dinge untereinander – mit beiden Formen muss der Mensch sich auseinandersetzen und beide Formen werden im Design manipuliert und deshalb hoch relevant. Die Beschreibungen der Wirkung visueller und materieller Objekte in den Untersuchungen von Designprozessen lassen sich auch in den Begriffen von Dewey aufgreifen. Die Eigenschaften der Arbeitsmittel und Designobjekte, betrachtet man sie aus Deweys Perspektive, erschließen sich den Designerinnen und Architekten in ihrer Ungewissheit erst indem sie mit ihnen Handeln, sich mit ihnen in Beziehung setzen, sie bauen und ausprobieren, also eine Zweck-Mittel Beziehung eingehen. Ein Anschluss an die große Relevanz der Wirkung visueller und materieller Objekte im Design erschließt sich möglicherweise über das Handeln und sein Verhältnis zur Ungewissheit. Ob damit auch Stabilisierungsprozesse von Wirkungen beschrieben werden können wird erst das empirische Material in Kapitel fünf zeigen. Offenkundig aber ist bereits jetzt, dass Dewey zwar die Zusammenhänge von Ungewissheit und materieller Welt beschreiben kann, darüber darf jedoch nicht vergessen werden, dass Design stets auch ein sozialer Prozess ist und das der Sozialität eine weitere spezifische Form von Ungewissheit entspringt (mehr dazu in Abschnitt 4.2). Die erste Bezugnahme auf Dewey in 4.1 erlaubt es, Handeln und Ungewissheit als eindimensionales Wirkverhältnis zu verstehen: Handeln reduziert Ungewissheit. Dewey nennt Quellen der Ungewissheit, diese liegen prinzipiell im Verhältnis der Menschen zur Welt und im Verhältnis der Dinge untereinander. Damit liegen zwei Anknüpfungspunkte zum Stand der Forschung vor, erstens zur Dissonanz oder Uneindeutigkeit als Bedingung von Design, zweitens zur Wirkung visueller und materieller Objekte. Wie aber diese Beziehungen praktisch vollzogen werden ist ab Kapitel fünf am empirischen Material zu prüfen. Die Auseinandersetzung mit Dewey zeigt jedoch, dass der Pragmatismus wichtige Annahmen für das Verstehen von Design liefert und damit besonders anschlussfähig ist. Die hoch relevante Ungewissheit, wie auch die Wirkungen verschiedener Objekte, sind durchaus in den Begriffen Deweys problematisierbar. Die Begriffe und Annahmen Deweys erlauben jedoch keinen Bezug auf den Nutzer oder ein Verständnis von Design als zeitlichen Prozess. Vor allem aber findet sich bei Dewey keine Erklärung zu einer der ergiebigsten Quellen von Ungewissheit überhaupt. Der Mensch ist als soziales Wesen zwar ständig mit Dingen, ihren Verweisungen und den sich daraus ergebenden Unwägbarkeiten konfrontiert, doch gleichzeitig findet sich der Mensch und auch der Designer in
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sozialen Situationen. Soziale Situationen werden in der Soziologie als doppelt kontingent problematisiert. Um die enorme hohe, aus dieser Kontingenz resultierende Unsicherheit begrifflich zu fassen, sind vor allem die Begriffe von Mead geeignet, auch weil sie direkt an die Arbeit von Dewey anschließen. In Abschnitt 4.2 werde ich ein theoretisch-allgemeines Verständnis der Begriffe von Mead vorbereiten, um im empirischen Teil der Arbeit den Bezug auf den Nutzer und die Sozialität im Design verstehbar zu machen.
4.2
GEORGE HERBERT MEAD – DIE ANTIZIPATION VON SINN UND ZWECK
Die pragmatistische Perspektive Deweys zeigt keinen Anknüpfungspunkt für die Thematisierung der Relevanz des Nutzers, welche im Stand der Forschung an verschiedenen Stellen betont wurde. Es waren insbesondere die Thesen von Woolgar (1991B) und von Wilkie (2010) zur Bedeutung des Nutzers in Designprozessen, die zu der Folgerung führten, dass Nutzer sowohl als Motor als auch als Resultat von Designprozessen verstanden werden müssen. Im Folgenden wird ein Einblick in Annahmen von Mead gegeben, die vielversprechend für ein konzeptuelles Verständnis der von Woolgar und Wilkie beschriebenen Phänomene sind. Die Bezugnahme auf Nutzer kann dabei als exemplarischer Fall einer empathischen sozialen Handlung verstanden werden, die im Design ebenso häufig, wie in allen anderen Bereichen des Sozialen auftritt. Die Verbindung der Konzepte von Mead und Dewey wird in den folgenden Abschnitten ebenfalls diskutiert. Aus drei Gründen wähle ich für die notwendige Erweiterung der pragmatistischen Untersuchungsheuristik Mead: Erstens sind seine Arbeiten direkt an die von Dewey anschließbar, beide betonten stets die Vorordnung des Handelns und entwickeln, ausgehend von diesem Axiom, ihre jeweiligen Begriffe und Konzepte. Zweitens sind Meads Konzepte und Begriffe von Interaktion und Kommunikation die zentralsten und grundlegendsten Arbeiten in der Soziologie zu dieser Frage überhaupt. Herbert Blumer arbeitet im Symbolischen Interaktionismus einige Grundlagen von Mead aus, allerdings in einer sozialkonstruktivistischen Lesart (vgl. Blumer 1966: 539f.). Luhmanns Begriff von Kommunikation, z.B. in ‚Die Gesellschaft der Gesellschaft‘, folgt dem Begriff von Mead (vgl. Luhmann 1997: 29, 84, 206). Lindemann resümiert: „In der Soziologie ist der wichtigste Autor für Analyse der Bildung von Symbolen Mead.“ (Lindemann 2014: 198) Meads Begriffe der Rollenübernahme, der Gesten und Symbole und des Sinns sind heute Grundbegriffe der Soziologie. Die dritte und für diesen Fall
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bedeutsamste Stärke liegt jedoch in einer weniger bekannten Eigenschaft seines Werkes. Die Anlage der Grundbegriffe in Analogie zu Dewey erlaubt es, neben sozialer Interaktion, sozio-materielle Zusammenhänge äußerst präzise zu erfassen und zwar mit einem ähnlichen Begriffsvokabular wie es aus der Beschreibung sozialer Interaktion bekannt ist (vgl. Joas 1980; McCarthy 1984). Für die Untersuchung, der im Design hoch relevanten Manipulation materieller Entitäten, ergibt sich daraus ein großer Vorzug der Konzepte von Mead, der im Folgenden genauer zu erläutern ist. Zunächst aber folgen noch einige allgemeine Worte zum Werk von Mead und zum Verhältnis von Meads und Deweys Werken zueinander. Wie Dewey steht Mead der Chicago School nahe und möglicherweise sorgt neben dem gemeinsamen pragmatistischen Ausgangsargument auch ihre Freundschaft für eine besondere Kompatibilität ihrer Begrifflichkeiten: „Die Arbeiten Meads und Deweys ergänzen einander in vielen Aspekten und stehen meines Wissens niemals in einem bemerkenswerten Widerspruch zueinander. Seit ihren Jahren an der Universität Michigan waren sie enge Freunde, und während ihrer Jahre an der Universität Chicago diskutierten sie ständig gemeinsam ihre Probleme. Das Ergebnis war eine natürliche Arbeitsteilung innerhalb einer gemeinsamen Aufgabe. […] Liefert Dewey Reichweite und Weitblick, so liefert Mead analytische Tiefe und wissenschaftliche Genauigkeit. Ist Dewey gleichzeitig die Felge und manche Speiche im Rad des modernen Pragmatismus, so ist Mead dessen Achse.“ (Morris 1968 [1934]: 14f.)
Große Teile von Meads Werk richten sich gegen eine seinerzeit verbreitete Strömung der Psychologie, genauer, gegen den Behaviorismus. 69 Die behavioristische Annahme, den Menschen als stabile und auf Reize reagierende Einheit zu verorten, während gleichzeitig die gegenständliche Welt durch den Menschen erarbeitet werden muss, wählt Mead als Ansatzpunkt für seine Gegenargumentation. Meads und Deweys Ausgangspunkte sind identisch, beide berufen sich auf die Vorordnung der Handlung, ihre Erkenntnisinteressen unterscheiden sich jedoch voneinander. Mead untersucht beispielsweise die Entwicklung des ‚Ichs‘, er beschreibt das ‚Ich‘ des Menschen nicht als gegeben, vielmehr sei das Ich ein Resultat von stets körperlichen, sozialen und materiellen Prozessen:
69 Eine hilfreiche Einordnung zur Entstehungsgeschichte von Meads Werk liefert Joas (1980: 91-119).
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„Nun können wir aber offensichtlich nicht beide Positionen zu gleich vertreten. Wir können nicht annehmen, daß die Ich-Identität sowohl ein Produkt wie eine Voraussetzung menschlichen Bewußtseins ist.“ (Mead 1987A: 202) „Anstatt eine Voraussetzung für gesellschaftliches Handeln zu sein, ist ein gesellschaftliches Handeln die Voraussetzung für Bewußtsein.“ (Mead 1968 [1934]: 56)
Mead bemüht hier das zentrale und bereits rezipierte pragmatistische Argument der Vorordnung des Handelns (vgl. Dewey 1896) und zieht es für eine soziologische Erklärung von Identität und Bewusstsein heran.70 Eine gründliche und grundlegende Abgrenzung von den behavioristischen Autoren seiner Zeit ist das Ergebnis.71 Damit ist die Identität als emergentes Ergebnis sozialer und materieller Prozesse zu verstehen. Die Nähe von Mead und Dewey wird vor allem in den Ausgangspunkten ihrer jeweiligen Argumentationen sichtbar. Erklärt Dewey den Platz und das Dasein des Menschen aus seinem durch Handlung vermittelten Verhältnis zur Welt heraus, so erklärt Mead die Identität, den Geist und die gesamte Gesellschaft aus ebendiesen Handlungen der Akteure. Wie aber können Meads und Deweys Begriffe für die Untersuchung von Designprozessen produktiv genutzt werden? Die Argumentation gliedert sich dabei wie folgt: Die Figur der Rollenübernahme dient als Anknüpfungspunkt, zur im Design häufigen Bezugnahme auf den Nutzer und andere relevante Akteure. Rollenübernahmen finden allerdings nicht in einem Vakuum statt, sie beruhen auf Gesten und Symbolen und damit auch auf den Körpern der beteiligten Akteure. Mit Mead lässt sich zeigen, dass der Sinn einer Handlung aus der Interpretation des Gegenübers entspringt, dabei muss der Sinn immer wieder neu erschaffen werden. Um dennoch von der Subjektivität des Sinns zu einer Intersubjektivität zu gelangen, ist es notwendig Handlungen, genauer Gesten und Symbole, mit einem signifikanten Sinn zu belegen. Auf diese Weise erklärt Mead den Umgang mit der doppelten Kontingenz des Sozialen und genau darin besteht die entscheidende Erweiterung gegenüber Dewey: Mead formuliert eine 70 Seine für diese These notwendige Differenzierung der menschlichen Identität in jeweils ein ‚I‘, ‚Me, und ein ‚Self‘ sei hier genannt, sie wird aber nicht weiter ausgeführt (vgl. Mead 1968 [1934] Kap. 3). 71 Zunächst sind hier Baldwin, McDougall und Wundt zu nennen, im weiteren Royce (vgl. Joas 1980 Kap. 5). Eine Abgrenzung ist immer auch Orientierung, in Meads Fall insbesondere in der Auseinandersetzung mit Wundt, dessen Konzept der Nacherzeugung von Lautgebärden ebenfalls eine Nacherzeugung von Gefühlen verursacht (vgl. Joas 1980: 97).
112 | Die Praxis des Designs
pragmatistische Theorie des Sozialen. Dewey hingegen formuliert eine pragmatistische Theorie des Verhältnisses von Handeln und Ungewissheit. Deweys zentraler Mechanismus der Wechselwirkung von Ungewissheit und Handlung kann mit Mead entscheidend differenziert werden. Darin liegt ein großer Gewinn, insbesondere für diese Untersuchung. Erst die Begriffe von Mead erlauben es, Handeln gegenüber der Ungewissheit des Sozialen als Rollenübernahme und das Handeln gegenüber der Ungewissheit der materiellen Welt als Antizipation zu verstehen. Deweys Begriffspaar aus Handlung und Ungewissheit erfährt so eine entscheidende Differenzierung.72 Mit Mead gelingt es, die pragmatistischen Prinzipien Deweys für die Soziologie anschlussfähig zu machen. Für die anstehende Analyse eines Designprozesses bedarf es der Erörterung einiger zentraler Begriffe von Mead. 4.2.1 Die eigenen Handlungen orientieren – Rollenübernahme Im Begriff der Rollenübernahme findet sich der Kern von Meads Sozialtheorie in aller Deutlichkeit: Ego richtet sein Verhalten an den erwarteten Reaktionen von Alter aus, ebenso richtet Alter sein Verhalten an den erwarteten Reaktionen von Ego aus. Wechselseitig versetzen sich soziale Akteure in die Rolle ihres 72 Siehe hierzu auch Joas: „Cooley hatte als erster die Notwendigkeit eines ‚sozialen‘ oder ‚soziologischen‘ Pragmatismus erklärt und eine Theorie der Ich-Identität und ihrer Angewiesenheit auf Primärgruppen entwickelt. Er war dabei aber noch sehr inkonsistent vorgegangen. Er verankerte das Bewußtsein nicht konsequent im Handeln und entwarf eine emotive nicht kognitive Theorie der Ich-Identität. Dieses Problem einer pragmatistischen Analyse der Situationen sozialer Interaktion und individueller Selbstreflexion war das zentrale Verbindungsstück für eine Verknüpfung der pragmatistischen Philosophie mit der anti-utilitaristischen Sozialpsychologie und Soziologie. Weit mehr als Dewey war Mead derjenige, der diesen Punkt durchdachte und schrittweise einer Lösung zuführte.“ (Joas 1992: 33f.) Jörg Strübing argumentiert ähnlich: „Mead hat mit seinem Werk und mit seiner Lehrtätigkeit den im Pragmatismus angelegten Handlungsbegriff für die Soziologie und die Sozialpsychologie handhabbar gemacht. Die von ihm in ‚Mind, Self and Society‘ entwickelte Vorstellung von der signifikanten Geste setzt auf sozialpsychologischem Gebiet fort, was Dewey in seinem ‚Reflex Arc‘ Aufsatz 1896 aus wahrnehmungspsychologischer Sicht gegen die Stimulus-Response-Theorie als Vermittlungsmodell zwischen Individuum und Umwelt entwickelt hat“ (Strübing, 2005: 111). Die Bedeutung von Mead für eine Soziologisierung des Pragmatismus und die damit einhergehende Anschlussfähigkeit des Pragmatismus kann kaum hoch genug eingeschätzt werden.
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Gegenübers, um ihr eigenes Verhalten an den erwarteten Erwartungen des jeweils konkreten Gegenübers zu orientieren. Mead typisiert hier die Phasen des ‚Play‘ und des ‚Games‘ als hoch relevante Vorgänge im Erlernen der Rollenübernahme: Während in der Phase des ‚Play‘ allein die Nachahmung eines Verhaltens Dritter gefordert ist, verlangt das organisierte ‚Game‘ eine Orientierung an den Erwartungen der Mit- und Gegenspieler (vgl. Mead 1968 [1934]: 193206). Mit fortschreitender Sozialisation werden die konkreten Gegenüber durch eine allgemeine und nicht mehr an bestimmte Akteure gebundene gesellschaftliche Erwartung – Mead nennt diese Erwartungsstrukturen den verallgemeinerten Anderen – ersetzt und ergänzt. Dieses von Mead als „Auftreten des anderen in der eigenen Identität“ (Mead 1968 [1934]: 299) bezeichnete Prinzip ist in seiner Relevanz für die Identität von Akteuren einerseits und für die Möglichkeit einer organisierten und kooperativen Gesellschaft andererseits der zentrale Mechanismus. Aufgrund seiner eigenen Reaktionen mutmaßt der sozialisierte Akteur, welche Reaktionen sein ebenfalls sozialisiertes Gegenüber zeigen wird, erst in diesem Wechselspiel macht soziales Handeln planvolles Handeln möglich. Intersubjektivität kann auf diese Weise pragmatistisch gefasst werden. Die Studien von Designprozessen zeigen, dass der Nutzer, in konkreter oder abstrakter Form, einen zentralen Orientierungspunkt für das Design darstellt. Die Orientierung am Nutzer und an dem sozialen Alter ist mit dem Prinzip der Rollenübernahme zwar benannt, ihr praktischer Vollzug ist aber noch zu erörtern. Schließlich findet die Rollenübernahme nicht in einem Vakuum statt, es braucht Worte, Gesten, Körper, Zeichen und Objekte, um einander einschätzen, verstehen und miteinander Handeln zu können. Ego und Alter interagieren mittels Symbolen, damit räumt die interaktionistische Soziologie Meads Gesten und Symbolen eine zentrale Bedeutung ein. Erst durch die Gesten und Symbole wird es möglich sozial zu handeln, signifikant zu kommunizieren und planvoll zu agieren. 4.2.2 Mittel und Zwecke der Handlung 1 – Symbole und Sinn Die Begriffe Geste, Symbol und signifikantes Symbol sind Schlüsselbegriffe für die meadschen Erklärungen des Sozialen. Schließlich führen uns diese Begriffe unmittelbar auf eine der Kernfragen der Soziologie: Wie ist Interaktion und Kommunikation möglich? Mead gibt eine gleichermaßen klare, wie bedeutungsvolle Antwort auf diese Frage, die mitunter kontrovers diskutiert wird. Er bildet mit seiner Antwort, laut Lindemann, einen Konsens, deren Anschlussfähigkeit viele Sozialtheorien nutzen (vgl. Lindemann 2014: 198). Wie aber sieht dieser zum Konsens avancierte Ansatz aus? Wie wird der unwahrscheinliche Fall, dass
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zumindest zwei Akteure einem Symbol den gleichen Sinn zumessen, zur alltäglichen Grundlage von Kommunikation? Stets ist die Handlung eines Akteurs der Startpunkt einer Interaktion, Mead argumentiert in diesem Sinne typisch pragmatistisch. Eine weitere Handlung wiederum zeigt als unmittelbare Reaktion auf die Erstere ihren Sinn an, sie gibt der initialen Handlung des Gegenübers ihren Sinn (vgl. Mead 1968 [1934]: 116). Immer wieder entsteht in den Reaktionen der jeweiligen Gegenüber neu und situativ Sinn. Der Sinn einer Geste resultiert aus der Reaktion der Beteiligten. Er entspringt der Situation und hat zunächst keinen weiteren oder gar gesellschaftlichen Bezugspunkt. Somit ist Sinn situativ.73 Die von Mead häufig bemühten Tiere stehen exemplarisch für die einfache, nicht wechselseitige Erzeugung von Sinn: „So ist z. B. die Reaktion des Kükens auf das Glucken der Henne eine Reaktion auf den Sinn des Gluckens; das Glucken weist je nachdem auf Gefahr oder Nahrung hin und hat für das Küken diesen Sinn oder diese Bedeutung […]. Der Mechanismus des Sinnes ist also in der gesellschaftlichen Handlung vor dem Auftreten des Bewußtseins des Sinnes gegeben. Die Handlung oder anpassende Reaktion des zweiten Organismus gibt der Geste des ersten Organismus ihren jeweiligen Sinn.“ (Mead 1968 [1934]: 116f.)
Der Sinn des exemplarischen Verhaltens zweier Hühner ist keineswegs gegeben, er entspringt aus ihren Reaktionen. Erst ihre Reaktionen verleihen den Gesten überhaupt Sinn. Anders als Menschen, hier zieht Mead eine gerade in neuerer Zeit häufig kritisierte kategoriale Trennung74, teilen aber Henne und Küken den Sinn nicht. Die Henne kann im Küken nicht die gleiche Reaktion wie in sich selbst hervorrufen. Die Henne kann eine Geste artikulieren, welchen Sinn und welche Bedeutung das Küken ihr daraufhin zumisst, entzieht sich der Henne. Menschen dagegen, hier zeigt sich seine prinzipielle und keineswegs empirisch begründete Unterscheidung zwischen Mensch und Tier, können die Reaktion auf
73 Wie auch aus den folgenden Zitaten zu entnehmen ist, wird Sinn hier mit Bedeutung gleichgesetzt, im Original heißt es ‚Meaning‘. Gerade in seiner einfachen Form, die nicht auf Signifikanz abhebt, wäre Bedeutung als Begriff wohl eingängiger als der abstraktere Begriff von Sinn. 74 Eine ausführliche und genau belegte Kritik an Meads a priori von Mensch und Tier findet sich bei Nico Lüdtke (2011). Ebenso der Hinweis, dass in Zeiten der Entwicklung von künstlicher Intelligenz eine solch prinzipielle Trennung vielen Phänomenen nicht mehr gerecht wird (vgl. Lüdtke 2011).
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ihre Gesten abschätzen.75 Im stets vermuteten Zutreffen der Annahme der Rollenübernahme liegt vielmehr die Ursache für ihre Äußerungen: „Im Gegensatz zum Menschen löst ein Tier nicht in sich selbst das gleiche Objekt oder den gleichen Sinn aus, wenn es einem anderen Tier etwas anzeigt oder es auf einen Sinn hinweist; denn es ist ohne Geist, es kann nicht denken, deshalb gibt es hier keinen signifikanten bewußten Sinn.“ (Mead 1968 [1934]: 121)
Erst die Signifikanz einer Geste hingegen erlaubt die bewusste Interaktion. Die Voraussetzung dafür ist ein entwickeltes Bewusstsein, wie man es nur bei sozialisierten Akteuren findet. „Auf der Stufe des Bewußtseins wird eine solche Geste zum Symbol, zum signifikanten Symbol. […] Sinn kann durch Symbole oder Sprache in ihrem höchsten und kompliziertesten Entwicklungsstadium (dem Stadium, das sie in der menschlichen Erfahrung erreicht) beschrieben, erwogen oder erklärt werden, doch greift die Sprache aus dem gesellschaftlichen Prozeß nur eine Situation heraus, die logisch oder implizit bereits vorhanden ist. Das Sprachsymbol ist einfach eine signifikante oder bewußte Geste.“ (Mead 1968 [1934]: 118f.)
Das menschliche Bewusstsein und ebenso der Sinn einer Geste sind Produkte der Beziehung unterschiedlicher Entitäten. Der Mensch aber vermag durch sein Bewusstsein den Symbolen, also verbalen, schriftlichen oder sonst welchen Äußerungen, einen signifikanten Sinn zu verleihen. Signifikant bedeutet, dass Ego und Alter davon ausgehen dürfen, einer Geste die gleiche Bedeutung zuzumessen.76 Ego kann sich sicher sein mit einer bestimmten Äußerung in Alter die gleiche Reaktion wie in sich selbst hervorzurufen, die signifikanten Symbole sind das zur Rollenübernahme notwendige Mittel in den Interaktionsbeziehungen der Menschen. Signifikante Symbole sind das Mittel gezielter Kommunika75 Eine auf breiter empirischer Basis stehende Argumentation zum Sprach- und Gestenerwerb bei Primaten und Menschen bietet Michael Tomasello (2014). Seine Befunde stützen und erweitern die Annahmen von Mead, obschon er selbst keinen Bezug zu ihm herstellt. 76 Dass dieser Beziehung, mit Luhmann gesprochen, dessen Nähe zu diesem Kommunikationsbegriff ja schon erwähnt wurde, eine doppelte Kontingenz zu Grunde liegt, liegt ja gerade daran, das Ego und Alter von der stets geteilten Bedeutung einer Geste ausgehen, letztlich aber nicht im Stande sind wirklich zu prüfen, ob ihr jeweiliges Gegenüber tatsächlich die gleiche Bedeutung, wie sie selbst, zuschreibt.
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tion, die ein wechselseitiges Verstehen erlaubt. Dass Interaktion und die Artikulation von Gesten stets eine körperliche Angelegenheit sind, steht dabei außer Frage. Darin liegen die Grundsteine planvollen Handelns. Für den zu untersuchenden Designprozess sind Meads Begriffe und Annahmen hoch relevant, weil das Verhältnis von Nutzer und Designer als Verhältnis von Rollenübernahme verstanden werden kann. Die Handlungen der Nutzer werden in Meads Sinne sinnhaft verstanden oder als sinnhaft antizipiert und gewinnen so Relevanz für den Designprozess. Der Nutzer wird zu einem zentralen Referenzpunkt, denn Annahmen über den Nutzer treiben die Designer und damit den Designprozess an. Als Produkt einer Rollenübernahme wird der Nutzer in seiner Relevanz für das Design erst geschaffen. Der Begriff der Rollenübernahme erscheint als das geeignete Analysewerkzeug, um die Beziehung zwischen Nutzer und Designer zu untersuchen. Diese Annahme wird in der Analyse des Designprozesses noch zu prüfen und im Detail zu untersuchen sein. Aber auch der Designprozess selbst ist als sozialer Prozess zu verstehen. Schließlich zeigen sich die Designer nicht nur wechselseitig Sinn an, sondern sie kreieren in ihren Entwürfen mögliche künftige Sinnhaftigkeiten. Die konkrete Untersuchung von Design wird nicht umhinkommen, neben der Ungewissheit der materiellen Objekte im Design, ebenso die Rollenübernahmen potenzieller späterer Nutzer, aber auch die sozialen Prozesse aus denen Design besteht, als Quellen von Ungewissheit differenziert zu untersuchen. 4.2.3 Mittel und Zwecke der Handlung 2 – Physische Objekte Die hohe Relevanz von Uneindeutigkeit in Designprozessen zeigt vor allem Farias (2013). Deweys Verständnis von Ungewissheit ist wesentlich breiter angelegt, er konzeptualisiert sie als Motor jedweden Handelns. Bevor in 4.3.2 erörtert wird, wie das Verhältnis von Ungewissheit (Uncertainty) zu Unbestimmtheit (Indeterminancy) von Dewey angelegt ist (4.3.2), ist das Verhältnis von Handeln und Ungewissheit zu spezifizieren. Die sozialen Quellen von Ungewissheit lassen sich mit Hilfe der Begriffe von Mead recht gut konzeptualisieren, sie entspringen der doppelten Kontingenz des Sozialen. Um den Umgang mit der ebenfalls ungewissen materiellen Welt im Handeln konzeptuell zu fassen, beziehe ich mich auf einen weniger rezipierten Teil der Arbeiten von Mead.77 Im Folgenden wird die Frage beantwortet, wie diejenige Ungewissheit 77 Die Wirkung von Meads Konzepten zu Interaktion und Sozialisation ist weitaus größer, als die seiner Arbeiten zu Zeit- und Dingkonstitution (vgl. Strübing 2005: 111).
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handelnd reduziert wird, deren Quelle materielle Zusammenhänge sind. Der Bezug auf Mead hat gegenüber dem Bezug auf Dewey hier den Vorteil differenziert verschiedene Quellen der Ungewissheit zu trennen. Die nun zu untersuchende Form von Ungewissheit, als auch ihre Lösung, entspringt aus der Relation physischer Objekte.78 Der erneute Bezug auf die Begriffe von Mead fördert die Geradlinigkeit der Argumentation, denn die soziale Interaktion und die Manipulation der physischen Welt lassen sich in ähnlichen Begriffen erfassen. Dies ermöglicht es, dem stets gemischt, als soziotechnische Konstellation auftretenden Phänomenen, Rechnung zu tragen. Die Existenz eines konsistenten Schemas zur Untersuchung von Handlungen, die aufs Soziale oder aufs Materielle gerichtet sind, ist einem Theorieproblem Meads zu verdanken: „Der Durchbruch für Meads Theorie der Dingkonstitution kam nun, als er erkannte, daß die Kooperation von Hand und Auge erst dann ‚Dinge‘, permanente Objekte bilde, wenn die im sozialen Umgang entwickelte Fähigkeit der Rollenübernahme auf den Umgang mit nicht-sozialen Objekten ausgedehnt wird.“ (Joas 1980: 151)79
Beginnen möchte ich mit den Ähnlichkeiten zwischen sozialer Interaktion und Dingkonstitution – die Rollenübernahme. Kinder lernen über das ‚Play‘ die Imitation einzelner Alter, im ‚Game‘ die Ausrichtung ihres eigenen Tuns in Hinsicht auf die Rollen aller Alter (vgl. Mead 1968 [1934]: 194-206). Die Rollenübernahme löst sich von einem bestimmten Alter und bezieht sich schließlich auf den ‚verallgemeinerten Anderen‘ (vgl. Mead 1968 [1934]: 194-206). In Analogie hierzu entwirft Mead seine Begrifflichkeiten für den Umgang mit leblosen Objekten: „Der Techniker, der eine Brücke konstruiert, spricht mit der Natur genauso, wie wir mit dem Techniker sprechen. Es gibt dabei Elemente, die er einkalkulieren muss, und dann kommt die Natur mit anderen Reaktionen, die wiederrum anders unter Kontrolle gebracht werden müssen. In seinem Denken nimmt er die Haltung physischer Objekte ein. Er spricht zur Natur, die Natur antwortet ihm.“ (Mead 1968 [1934]: 229) 78 Gemeint sind hier die Beziehungen zwischen den Objekten (Objekt-Objekt) und die Beziehung zwischen Mensch und Objekt, die Dewey unterscheidet (vgl. Dewey 1995 [1925]: 128f.). 79 Ich beziehe mich auf Joas, weil seine Zusammenstellung von Meads Werk gleichzeitig äußerst genau und reich an Bezügen auf den Kontext von Meads Theorieentwicklung ist. Für den Einbezug des Materiellen in den Begriffen von Mead eignet sich auch McCarthy (1984).
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Selbstredend ist der Ausdruck ‚Sprechen mit der Natur‘ metaphorisch, der adressierte Umgang mit dem Natürlichen findet durch andere Mittel und auf anderen Wegen statt, als die soziale Interaktion der Rollenübernahme und der signifikanten Kommunikation. Ausgehend von einer Instinktreduktion80, als Voraussetzung für die Wählbarkeit unterschiedlicher Handlungsabschlüsse, diagnostiziert Mead eine Freistellung der Hand. Diese Freistellung befreit den Menschen vom zwanghaften sofortigen Befriedigen seiner Instinkte, beispielsweise bei der Fortbewegung (vgl. Mead 1968 [1934]: 228; Joas 1980: 147). Ausgehend von dieser anthropologischen Voraussetzung gelang es dem Menschen, im Zuge seiner Entwicklung, seine Hand tastend und fühlend zu einem Sinnesorgan zu verfeinern. Da der Mensch über viele verschiedene kognitive Kanäle verfügt, entstehen im Handeln Situationen der Gleichzeitigkeit von zum Beispiel tastenden, sehenden, hörenden oder anderen Wahrnehmungen. Diese Gleichzeitigkeit von Auge und Hand ist für Meads Verständnis der Dingkonstitution von allergrößter Relevanz, denn er leitet zwei prinzipiell verschiedene Formen der Wahrnehmung aus dieser menschlichen Disposition ab: Die Distanzwahrnehmung, ohne Beteiligung der Hand und die Kontaktwahrnehmung, als zeitlich gleichzeitige Wahrnehmung von Auge und Hand.81 „In der Kontakterfahrung ist die Eigenschaft des Widerstandes im Objekt identisch mit der Eigenschaft des Widerstandes im Organismus; dagegen ist die Eigenschaft des Objektes in der Distanzerfahrung überhaupt nicht in dem Organismus präsent.“ (Mead 1987B: 242)
Im Kontakt mit der physischen Welt entwickeln sich ganz unterschiedliche Kontakterfahrungen – stets ist hierfür jedoch eine Handlung die Voraussetzung, wie im Beispiel von Kind und Kerze bei Dewey (vgl. Dewey 1896). In späteren Handlungen ist ein händisches, kontaktvolles Prüfen der Kerze nicht mehr notwendig, das Kind antizipiert – und hier ist die Ähnlichkeit zum Mechanismus der Rollenübernahme am größten – die Eigenschaft der Kerze, orientiert an dieser Antizipation seine Handlung und fasst nun nicht in die Flamme. Über die Gleichzeitigkeit von Wahrnehmung und daraus resultierend über eine wachsende Erfahrung gegenüber der dinglichen Welt gewinnen die Antizipationen des 80 Meads Annahmen ähneln hier denen von Arnold Gehlen, der mit dem Begriff des Hiatus die Fähigkeit eine ‚Pause‘ im Handlungsvollzug einzulegen beschreibt (vgl. Gehlen 1997 [1940]: 334). 81 Die Frage, der Möglichkeit von gleichzeitigen Wahrnehmungen anderer Sinnesorgane, diskutiere ich im Kontext des Umgangs mit einer Sprachsteuerung eines Fernsehgerätes (vgl. Janda 2012).
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Menschen an Qualität. Dieser Mechanismus erklärt Deweys These der Reduktion von Ungewissheit durch Handeln, gegenüber Ungewissheiten der materiellen Welt. Dass dabei das Soziale von doppelter Kontingenz geprägt ist, das Materielle dagegen von einer gewissen Stabilität und Erwartbarkeit (vgl. Dewey 1995 [1929]: 142), spielt für den Mechanismus von Rollenübernahme bzw. Antizipation zunächst keine Rolle, wohl aber für seine Erfolgsquote. Dennoch kann eine Rollenübernahme, wie auch eine Antizipation, schlicht falsch sein. Ob Techniker, Designer oder Akteur im Alltag, in den allermeisten Fällen liefert uns unsere Erfahrung eine verlässliche Distanzerfahrung der Objekte, die uns umgeben. Dadurch bestätigen sich in unserem Handeln die Erwartungen gegenüber der materiellen Welt. Wir setzten die Füße auf den Boden und er trägt uns, wir versenden eine E-Mail und sie erreicht den Adressaten. Die in Kontexten technischer Konstruktion unausweichliche Antizipation neuer oder zumindest unbekannter materieller Relationen birgt eine große Ungewissheit. Nicht treffliche Erwartungen gegenüber materiellen und technischen Teilen unserer Welt führen zu Irritationen der doppelt kontingenten sozialen Beziehungen, denn fast immer treten soziale und materielle Beziehungen in Netzen sozio-materieller Zusammenhänge auf und nicht in sauberer Trennung, wie es die hier diskutierten Begrifflichkeiten implizieren. Zwei spezifische Formen mit materieller Unsicherheit und der Unsicherheit doppelter Kontingenz zu verfahren wurden erläutert.82 Wie im Design im Einzelnen mit den Ungewissheiten des Sozialen und des Materielleren, vor allem aber mit seinen wesentlich häufiger anzutreffenden Mischformen, umgegangen wird, wird in den empirischen Kapiteln dieser Arbeit (Kapitel 6,7,8 und 9) noch Gegenstand einer gründlichen Untersuchung. Wie durch die Erörterung kenntlich wurde, zeigt der Pragmatismus einen zentralen Vorzug für die Untersuchung von Design und anderen soziomateriellen Praktiken. Worin liegt dieser Vorzug? Der Pragmatismus priorisiert zwar ganz prinzipiell den sozialisierten Menschen, denn der Pragmatismus unterstellt nur ihm die Fähigkeit zur Antizipation bzw. Rollenübernahme. Darin 82 Die Grenzen der Zuständigkeit der Soziologie sind in den letzten Jahren in Bewegung geraten, einige Vertreter halten eine Ausweitung der Grenzen für notwendig. Lindemann z.B. sieht die doppelte Kontingenz des Sozialen zwar als zentrales, aber nicht als einzige Kontingenz der Mitwelt (vgl. Lindemann 2014 insb. Kapitel 1, 2 und 3). Latours Suche nach den ‚Missing Masses‘ der Soziologie argumentiert zwar vollkommen anders, plädiert aber letztlich vergleichbar mit Lindemann für eine Ausweitung der Entitäten, die für die Analyse und Erklärung sozialer Phänomene berücksichtigt werden sollten (vgl. Latour 1992).
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liegt eine Differenz zum Prinzip der generalisierten Symmetrie, wie sie in der ANT gefordert wird. Die Stärken des Pragmatismus und der ANT ähneln sich jedoch in interessanter Art und Weise, denn beide Theorien nehmen die Wirkungen und Beteiligungen nicht-menschlicher Entitäten ernst und räumen diesen einen zentralen Stellenwert ein. Diese Gemeinsamkeit sorgt für eine interessante Nähe der beiden Ansätze. Die Erwartung von Wirkung und der Umgang mit Wirkung von Mensch und Objekt werden im Pragmatismus zwar als Antizipation und Rollenübernahme begrifflich unterschieden, der dahinterliegende Mechanismus im Handeln des Menschen ist jedoch ähnlich! Obgleich das Antizipieren von und der händische Umgang mit Objekten aufgrund fehlender doppelter Kontingenz weit weniger komplex ist – materiellen und technischen Dingen gegenüber ist die Erwartungssicherheit höher als gegenüber Menschen. Damit setzt der Pragmatismus den Menschen und seine spezifische Fähigkeit sein Handeln an etwas Virtuellem (Rollenübernahme, Antizipation) zu orientieren, ganz allgemein als Bedingung von Handeln und Sozialität voraus. Die ANT bleibt hier wesentlich einfacher, hier kommen erst einmal alle Entitäten als handelnde in Frage, die Folge ist eine Annäherung der Begriffe Handeln und Wirken, denn Handeln wird hier nicht als durch einen spezifischen Zukunftsbezug gekennzeichnet verstanden. Es ist nicht nur eine Stärke der ANT mit den gleichen Begriffen und Konzepten die materielle und soziale Welt verstehen zu wollen (vgl. Callon 1986: 17), sondern ebenso eine Stärke des Pragmatismus. Es bieten deshalb beide Theorien einen Zugang zur untrennbaren Verbindung des Materiellen und des Sozialen. Der Pragmatismus scheint jedoch besonders geeignet, die zumeist an der ANT orientierten Perspektiven der Mikro-Studien von Design konstruktiv zu erweitern, denn der Pragmatismus hat in seinem Begriff von Handlung einen spezifischen Zukunftsbezug angelegt, wie er sich oft in Gestaltungsprozessen findet.
4.3
DIE PRODUKTION VON UNGEWISSHEIT ALS PROZESS
Die Anlage der diskutierten Begriffe von Mead erlaubt es, die Verwobenheit von sozialen und materiellen Sachverhalten ernst zu nehmen und sie gleichzeitig in ein und demselben Analyserahmen zu erfassen. Eine prinzipielle Unterscheidung von Subjekt und Objekt besteht dabei, allerdings – darin liegt der zentrale Vor-
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zug – lassen sich beide Idealtypen 83 in ein und demselben Begriffsrepertoire erfassen. Der nun folgende letzte Teil der konzeptuellen Heuristik zur Analyse von Design entfernt sich von den Details der sozio-materiellen Ungewissheitsbewältigung, um die zahllosen, in diesem Sinne vollzogenen Aktionen in einen prozessualen Zusammenhang zu bringen. Die Anschlussfähigkeit an die Ergebnisse des Standes der Forschung bleibt das Kriterium für die konzeptuelle Heuristik, gerade hierfür ist die zeitliche Dimension erforderlich. Um einem zeitlichen Zusammenhang Kontur zu geben, werden zunächst die beschriebenen sozialen und materiellen Ungewissheiten unter Rekurs auf Dewey als Verhältnis von ‚Means‘ (Mittel) und ‚Ends‘ (Zwecke) verallgemeinert. Diese Unterscheidung von Mitteln und Zwecken wird danach mit Hilfe des ‚Pattern of Inquiry‘ zu der prinzipiellen Verlaufslogik von forschendem Handeln erweitert. Um Anschlüsse an organisatorische und konkrete zeitliche Bedingungen zu ermöglichen, werden zuletzt die Begriffe der Arbeitslinie und des Arbeitsbogens von Anselm Strauss in die konzeptuelle Heuristik aufgenommen. 4.3.1 Dewey – Das Verhältnis von Mitteln und Zwecken Das Fundament der konzeptuellen Heuristik hat seinen Ausgangspunkt in drei zentralen Prämissen von Dewey: 1) Vorordnung der Handlung (vgl. Dewey 1896), 2) beständige Auseinandersetzung mit Ungewissheit (vgl. Dewey 1929), 3) die physische Bedingtheit des Handelns (vgl. Dewey 1925). Der Vollzug des stets gegen Unsicherheit gerichteten Handelns ließ sich unter Rekurs auf Mead in symbol-basierte soziale Interaktionen einerseits und die Antizipation von Wirksamkeiten und Eigenschaften materieller Entitäten andererseits differenzieren (vgl. Mead 1968 [1934]; Mead 1969). Um nun eine prozessuale Perspektive auf die genannten Zusammenhänge zu entwickeln, findet erneut ein Rekurs auf Dewey statt. Seine ungewisse Position in der Welt vergewissert der handelnde Akteur indem er bestimmte Zweck-Mittel (‚Means-Ends‘) Beziehungen in seinem Handeln etabliert. Der Erfolg ist dabei durchaus wechselhaft. Symbole und Objekte werden im Design häufig Mittel, Sinn und Wirken werden häufig zu Zwecken, ihr Verhältnis ist jedoch veränderlich. Ihre Zusammenhänge werden in einer iterativen Verlaufs- und Wiederholungslogik suchenden und forschenden Han83 Eine substantielle Diskussion zu der Frage zugeschriebener und tatsächlicher Handlungsträgerschaft bieten Rammert und Schulz-Schaeffer (2002). Das generelle Problem zwischen Zuschreibung und Vorhandensein von Handlungsträgerschaft zu unterscheiden diskutiert Braun-Thürman auf pointierte Weise (2002).
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delns zusammengeführt (vgl. Dewey 1938). Schließlich erlauben die Begriffe des Arbeitsbogens und der Arbeitslinie eine kontextuell anschlussfähige Untersuchungsheuristik für Designprozesse. ‚Means‘ (Mittel) und ‚Ends‘ (Zwecke) sind die Variablen jedweder menschlicher Bemühung. Sie stehen stets in einer spezifischen Relation zueinander, einer wechselseitigen Zweck-Mittel-Relation. Ihre Bedeutung für das menschliche Handeln könnte Dewey zu Folge nicht größer sein: „No human activity operates in a vacuum; it acts in the world and has materials upon which and through which it produces results. On the other hand, no material – air, water, metal, wood, etc. – is means save as it is employed in some activity to accomplish something.“ (Dewey 1939: 50)
Keine Handlung lässt sich vollziehen ohne einen Bezug auf Mittel, aus Sicht der Akteure sind Mittel konstitutive Bedingung des Handelns. Die Mittel selber sind frei, sie werden erst durch die Erreichung von Zwecken zu Mitteln. „The end-inview is that particular activity which operates as a co-ordinating factor of all other subactivities involved.“ (Dewey 1939: 48f.) ‚Means‘ und ‚Ends‘ sind Bestandteile jeder Handlung, ihre Untrennbarkeit sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ‚Means‘ und ‚Ends‘ durchaus differente und voneinander unterscheidbare Sachverhalte beschreiben: ‚Ends‘ (Zwecke) führen eine Orientierungsleistung mit, die eingesetzten ‚Means‘ (Mittel) sind in diesem Sinne immer Mittel im Lichte der Zwecke. Deshalb haben Zwecke einen großen Anteil an der Koordination und Orientierung der Mittel und ihrer Verwendung. Mittel und Zwecke stehen in einer Wechselwirkung, nicht aber in einem fixierten Zusammenhang zueinander. Deshalb – und das ist entscheidend – sind Mittel und Zwecke in einem nicht lösbaren Verweisungszusammenhang miteinander verbunden. Dewey besteht in seinen Texten sehr häufig und vehement auf diese Verbindung und ihren Verweisungscharakter, denn in der Wechselwirkung von Mitteln und Zwecken sieht er ein starkes Argument für die von ihm so zentral propagierte Vorordnung der Handlung und die Untrennbarkeit von Theorie und Praxis. Für mein Vorhaben, ein pragmatistisches Verständnis von Design zu entwickeln, ist es dagegen erforderlich, mit den Nuancen und vor allem mit den Differenzen der Begriffe zu arbeiten. In der Differenzierung zwischen Mitteln und Zwecken liegt ein großes Potential für ein differenziertes Verständnis von Design. „[I]t necessarily follows that the distinction between ends and means is temporal and relational. Every condition that has to be brought into existence in order to serve as means
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is, in that connection, an object of desire and an end-in-view, while the end actually reached is a means to future ends as well as a test of valuations previously made.“ (Dewey 1939: 43)
Dewey zeigt an vielen Stellen der eben zitierten ‚Theory of Valuation‘, dass die Mittel-Zweck-Beziehung erst anhand ihres Wertes taxierbar ist und gerade deshalb keine absolute Größe bildet. Dieses Argument ist zentral für seine pragmatistische Argumentation und Theoriebildung. Meine Argumentation zielt jedoch auf eine andere Erkenntnis. Erst Arbeitsmittel und Zielpunkte gemeinsam machen Design als sozio-materiellen Prozess mit einer spezifischen Wechselwirkung zwischen ‚Means‘ und ‚Ends‘ verstehbar. Dewey genügt die Auflösung ihrer falschen Dichotomie und ontologischen Beharrlichkeit, damit ist sein Argument für die Überlegenheit des Pragmatismus gemacht. Um diese pragmatistische Perspektive jedoch für die empirische Analyse eines Gestaltungsprozesses fruchtbar zu verwenden, bedarf es ihrer Umstellung auf eine prozessuale Perspektive. Die Unterscheidungen zwischen Mitteln und Zwecken sind Unterscheidungen, die nicht final zu treffen sind. Es sind aber gerade diese differenzierten und situativen Unterscheidungen, die für die Analyse des Designprozesses vielversprechend erschei-nen und es erlauben, nicht bei einer nachträglichen Plausibilisierung einer allgemeinen sozio-materiellen Bedingtheit stehen zu bleiben, also bei einer Plausibilisierung hinter der das Verhältnis aus Technischem und Sozialem doch wieder verschwimmen würde. 84 Für die Untersuchung eines Designprozesses ist es entscheidend, die Mittel und Zwecke des Prozesses differenziert betrachten zu können. Möchte man, wie es der Forschungsstand nahe legt, untersuchen, welche Bedeutung den visuellen, materiellen und anderen Entitäten im Designprozess zukommt, so ist eine differenzierte Betrachtung und Trennung von Mitteln und Zwecken notwendig. Diese Differenzierung muss im Weiteren empirisch vollzogen werden, um gerade nicht bei der Diagnose einer allgemeinen sozio-technischen Bedingtheit designerischen Handelns zu verharren. Für die nun beabsichtigte Charakterisierung von Design sollte das von Dewey prinzipiell und punktuell beschriebene Verhältnis von 84 In der Literatur existieren einige treffende Metaphern zum Verhältnis von Materialität und Sozialität. ‚The Mangle of Practice‘ von Andrew Pickering (1995) oder der Leitsatz ‚The Medium is the Message‘ von Marshall McLuhan (2011 [1967]). So treffend sie auch sind, oftmals bleiben sie in ihrer Beschreibung so grobkörnig, dass sie vielmehr als Platzhalter eine tiefgehende Erkenntnis über das genaue Verhältnis von Materialität und Sozialität versperren. Die Leistung dieser Programme besteht gleichwohl darin auf einen wichtigen Mangel der Sozialforschung aufmerksam zu machen.
124 | Die Praxis des Designs
‚Means‘ und ‚Ends‘ in eine prozessuale Perspektive rücken. Hierfür erscheint der Zusammenhang von ‚Means‘ und ‚Ends‘ zu kurz und zu wenig anschlussfähig für vorherige und nachfolgende Ereignisse. Wie aber wird es möglich, ihr zweifelsfrei bedeutendes Verhältnis im Design konzeptuell als Prozess mit Anfang und Ende zu erfassen und an die empirischen Daten anzubinden, anstatt nur generell und oberflächlich von einem Prinzip zu sprechen? 4.3.2 Muster suchenden Handelns – Deweys ‚Pattern of Inquiry‘ Eine von Deweys späteren Arbeiten erörtert den prozessual-rekursiven Charakter suchenden Handelns, dass stets gegebene, in seinem Vollzug jedoch immer wieder neu zu gestaltende, jeweils spezifische Verhältnis von ‚Means‘ und ‚Ends‘ wird so erkennbar. Jedes Handeln, so Dewey, ganz bestimmt jedoch das designerische Handeln, hat den Charakter einer forschenden Suche, einer ‚Inquiry‘85. Jede ‚Inquiry‘, so Dewey, folgt einem Muster (‚Pattern‘), welches das Verhältnis von Mitteln und Zwecken in eine bestimmte Form bringt. Ganz allgemein beschreibt Dewey dieses wiederkehrende Muster forschenden Handelns wie folgt: „Forschung ist die gelenkte oder gesteuerte Umformung einer unbestimmten Situation in eine bestimmte vereinheitlichte. Der Übergang wird mittels zweier Arten von Operationen erzielt, die in funktionaler Entsprechung zueinanderstehen. Die eine Art von Operationen hat es mit Ideen oder begrifflichem Substrat zu tun. Dieses Substrat steht für mögliche Lösungswege und -ziele. Es antizipiert eine Lösung und unterscheidet sich von purer Phantasie dadurch, dass oder insofern es bei der Anregung und Lenkung neuer Beobachtungen, die neues Tatsachenmaterial ergeben, operativ ist. Die andere Art von Operation besteht aus Tätigkeiten, die Technik und Organe der Beobachtung beinhalten. Da diese 85 Martin Suhr hat für die Übersetzung von ‚Inquiry‘ den Begriff Forschung gewählt, weist aber darauf hin, dass Untersuchung fast ebenso treffend sei (Dewey 2008: 615). Neubert, Hickman und Reich weisen 2004 zu Recht sehr deutlich darauf hin, dass der Begriff Untersuchung, gegenüber dem Begriff Forschung, die Kontinuität zwischen alltäglichem und wissenschaftlichem Handeln betont und bevorzugen ihn (vgl. Neubert 2004: 17 FN 1). Forschung führt den Glauben an die Objektivität der Wissenschaft und ihrer Methoden mit sich, Suche ist zu allgemein und zu immateriell. Aus diesen Gründen verwende ich hier den Begriff Inquiry. Es sollte bereits klargeworden sein, dass Forschung für Dewey nicht an Wissenschaft oder Profession gebunden ist, vielmehr versteht er Forschen stets äußerst allgemein, der Begriff der Suche ist deshalb ebenso treffend.
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Operationen reale Handlungen sind, modifizieren sie die frühere reale Situation, arbeiten vorher dunkle Bedingungen heraus und drängen andere Aspekte, die anfangs auffällig waren, in den Hintergrund. Grund und Kriterium der Ausführung dieser Arbeit der Betonung, Auswahl und Anordnung ist, das Problem auf eine solche Weise einzugrenzen, dass reales Material bereitgestellt werden kann, um damit die Ideen zu überprüfen, die mögliche Formen der Lösung darstellen. Symbole, definierende Ausdrücke und Aussagen sind erforderlich, um sowohl begriffliche wie reale Substrate beizubehalten und erfolgreich fortzuführen, damit sie ihre eigentliche Funktion bei der Steuerung der Forschung erfüllen können. Andernfalls wird das Problem für gelöst gehalten, und die Forschung findet ein Ende.“ (Dewey 2008: 146)
Mit der Logik der ‚Inquiry‘ rückt Dewey die Ursachen von Unbestimmtheit und Ungewissheit, die Vorgänge zur Reduktion von Ungewissheit und die vielen daran beteiligten Elemente in eine spezifische und stabile Beziehung zueinander. Er bestimmt ein spezifisches Muster ihrer Relation. Dewey bietet, gewissermaßen als Verbindungslinie der bisher hier dargestellten Begriffe, eine prozessuale Perspektive auf das Verhältnis von Unbestimmtheit, Ideen, Annahmen, Zielen und Mitteln an. 1938 formulierte Dewey in ‚Logic: The Theory of Inquiry‘ mit dem ‚Pattern of Inquiry‘ eines seiner bekanntesten Konzepte. Die oben erarbeiteten Prinzipien fließen in seinem Verständnis der Logik von suchendem Handeln (‚Inquiry‘) zusammen. Ausgehend von der allem anderen vorgeordneten Handlung sucht der Akteur nach Gewissheit über sich und seine Situation. Diese Annahme wurde insbesondere in Deweys ‚Quest for Certainty‘ betont und zwar als Merkmal jedweden Handelns. Beispielsweise ist damit eine prinzipielle Trennung zwischen wissenschaftlichem Handeln oder Alltagshandeln obsolet. Deweys Logik der Forschung bietet eine entscheidende Erweiterung des Begriffs der Ungewissheit, die insbesondere für die Untersuchung von Design entscheidend ist. Anders als in ‚Quest for Certainty‘ ist in Hinsicht auf die Ursachen von Ungewissheit hier nicht mehr von den Gefahren der Natur (‚Perils‘) die Rede (vgl. Dewey 1929). Dewey differenziert zwischen Unbestimmtheit (‚Indeterminancy‘) und Ungewissheit (‚Uncertainty‘) (vgl. Dewey 2008: 132f.). Unbestimmtheit ist eine Voraussetzung für Ungewissheit, Unbestimmtheit ist der ungeordnete und noch unter keiner Maßgabe oder Zielstellung betrachtete Zustand der Welt. Aus Unbestimmtheit wird erst durch die Qualifizierung, durch die Betrachtung Ungewissheit (vgl. Dewey 2008: 132). Der Begriff Unbestimmtheit benennt präkognitiv das Verhältnis von nicht näher bestimmten Elementen, als Beispiel nennt Dewey hier das organische Verhältnis des Hungers (vgl. Dewey 2008: 134). Die Problematisierung, also das Erkennen und relevant machen ist, ganz im Sinne der Vorordnung der Handlung, der erste Schritt von
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der Unbestimmtheit zur Ungewissheit (vgl. Dewey 1896). Wird die allgemeine und allgegenwärtige Unbestimmtheit der Welt mit einer wie auch immer gelagerten Betrachtung wahrgenommen und Problematisiert, dann wird aus einer allgemeinen und ungerichteten Unbestimmtheit eine abgrenzbare Ungewissheit (vgl. Dewey 2008: 134f.). Die prozessuale Betrachtung, die Dewey mit dem ‚Pattern of Inquiry‘ anstrebt macht es nötig, den Zustand vor der ‚Inquiry‘ zu benennen. Das ungeordnete Chaos, das niemanden interessiert, wohl aber auf bestimmten Zusammenhänge beruht, wird eben durch diesen Begriff der Unbestimmtheit beschrieben. Diese Unterscheidung ist hoch relevant in Deweys Theorie, denn er verbindet die Elemente von Unsicherheit und Handeln zur einer Logik des forschenden Handelns. Aber auch für die Untersuchung von Design, insbesondere für die These, dass im Design Ungewissheit mitunter produziert und nicht allein reduziert wird, ist der genannte Zusammenhang hoch relevant, denn mit der Transformation von Unbestimmtheit zu Ungewissheit beginnen die Designerinnen ihre Auseinandersetzung mit ihrem spezifischen Problem. Auf diese Weise beschreibt Dewey im Weiteren die Problematisierung des Unbestimmten zum Ungewissen. Für diese prozessuale Perspektive muss das Verhältnis der Elemente, zu einem bestimmten Zeitpunkt, für die Akteure definiert sein. Dewey trifft die folgenden Annahmen: Ausgangspunkt ist eine unbestimmte Situation, die Situation selbst muss unbestimmt sein, die notwendig vom Akteur ausgehende Einschätzung von Unsicherheit, Verworrenheit oder Mehrdeutigkeit muss ursächlich aus der Situation hervorgehen und macht aus der unbestimmten Situation eine ungewisse (vgl. Dewey 2008: 132). Die Notwendigkeit der Untersuchung muss in der Situation erkannt werden und geht so ebenfalls aus der Situation hervor. Sie ist weder ein allgemeines immerwährendes noch ein subjektives Bedürfnis (vgl. Dewey 2008: 135f.). Unsicherheit lässt sich nicht unabhängig von Situation und Kontext konstruieren oder initiieren, sie muss mit der Situation, mit dem Fall verbunden sein, ja aus ihr und dem Handeln hervorgehen.86 In diesem Sinne geht mit dem Erkennen einer problematischen Situation ein weiterer entscheidender Schritt einher, denn ein Erkennen und Bewusstsein kann nicht ohne eine Vorstellung der Situation und der ihr eigenen Bedingungen geschehen. Derjenige, der eine Situation als problematisch definiert, muss über eine Vorstellung ihrer Bestandteile und Bedingungen verfügen, er muss ein zumindest vages Bild von der Situation im Kopf haben. Ob die Vermutung zutrifft oder nicht, ist zunächst zweitrangig. Aus seiner Vorstellung des aktuellen 86 Auch hier zeigt sich, dass Dewey keine konstruktivistischen Positionen vertritt, sondern vielmehr immer die Vermittlung zwischen Handlung und Handlungsbedingungen, auch materieller Art, zum Ausgangspunkt seiner Konzepte macht.
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Zustandes entwickelt der Akteur eine Suggestion, also eine Vorstellung oder Projektion eines erwarteten oder gewünschten Zustandes. Diese Suggestion betrifft die Verhältnisse der künftigen Situation. In anderen Worten, er projiziert oder antizipiert ‚Means‘ und ‚Ends‘ in ein bestimmtes zukünftiges Verhältnis. Dadurch wird die Suggestion zu einer Idee. Die Idee ist die Grundlage, um die Elemente der Situation in einen tatsächlich greif- und prüfbaren87 Zustand zu bringen. Hierfür ist mal mehr und mal weniger Aufwand erforderlich, die Prüfung ist jedoch unverzichtbar, denn in der Prüfung entsteht die Relevanz (vgl. Dewey 2008: 136ff.). Diese Beweisführung, als Prüfung der Idee, kann sehr unterschiedlich ausfallen. Sie hat, egal ob in Wissenschaft, Handwerk oder Alltag, die gleichen Bezugspunkte in der konkreten Situation des Akteurs und sie besteht als Prozess aus den gleichen Elementen und durchläuft die gleichen Schritte (vgl. Dewey 2008: 139f.). Die von Mead beschriebene Gleichzeitigkeit von Auge und Hand ist die konkreteste Bestimmung dieses Vorgangs. So zeigt sich das Muster der ‚Inquiry‘ als sehr allgemeiner Mechanismus, der jedoch immerzu darauf zielt Unbestimmtheit durch Problematisierung zu Ungewissheit zu machen und im Weiteren diese Ungewissheit, als spezifisches, aber nicht unabänderliches Verhältnis von ‚Means‘ und ‚Ends‘, zu manipulieren. Der Inhalt von diesem Prozess sind die oben bereits ausführlich diskutierten Symbole, Objekte und der mit ihnen verbundene Sinn. Der ‚Pattern of Inquiry‘ hat keine bestimmte Dauer oder feste Anzahl von Elementen, über seine zeitlichen Eigenschaften und den Umfang seiner Bezüge finden sich keine Angaben, vielmehr dienen seine Begrifflichkeiten als prinzipieller, ganz allgemeiner Handlungszusammenhang. Obschon dieser Mechanismus als sehr allgemein beschrieben wird, sollte man nicht übersehen, dass Unsicherheit hier stets als etwas beschrieben wird, dass es zu reduzieren gilt. Ihre Quelle ist stets eine bestimmte Situation und das menschliche Handeln. Ungewissheit wird von Dewey als problematisch und unerwünscht verstanden, Handelnde bemühen sich stets um ihre Reduzierung. Der Stand der Forschung, zu Uneindeutigkeit im Design, deutet dagegen darauf hin, dass diese Ungewissheit im Design reduziert aber eben auch absichtsvoll erzeugt wird.
87 Die Problematik zunehmend abstrakte Zustände als greif- und fühlbare Zustände abzugrenzen, war zu Zeiten von Deweys und Meads Begriffsbildung noch kein Thema. Die dichotome Gegenüberstellung von begreifbaren und antizipierten Objekten bedarf in Zeiten, in denen Bildschirme allgegenwärtig sind einer weiteren Differenzierung.
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4.3.3 Zeitlichkeit und Kontext – ‚Arcs‘ und ‚Lines of Work‘ Dass Symbole, Objekte und Sinn sich in einem gemachten zeitlichen Verhältnis zueinander befinden, lässt sich treffend mit dem Begriff Arbeit von Anselm Strauss beschreiben. Strauß wird meist zuerst mit dem Forschungsstil der Grounded Theory in Verbindung gebracht, weniger bekannt sind seine empirischen Arbeiten, die oftmals im Feld von Medizin und Krankenhaus angesiedelt sind (vgl. Becker, Geer, Hughes, Strauss 1961; Glaser, Strauss 1965). Ferner hat er gerade in ‚Continual Permutations of Action‘ wichtige Annahmen pragmatistischer Philosophie zu Begriffen interaktionistischer Soziologie ausgearbeitet (vgl. Strauss 1993). Diese Monografie ist eine vollkommen anschlussfähige Weiterentwicklung pragmatistischer Philosophie, zu einer interaktionistischen Soziologie (vgl. Denzin 1994). Anderes als in der deutschen Arbeits- und Industriesoziologischen Tradition88 wird Arbeit hier sehr allgemein verstanden. „Implicit in the Pragmatist theoretical action scheme is the idea of work – imagining, trying out, assessing actions or lines of actions involves ‚working things out,‘ to use a common phrase. Work is entailed in the process of unblocking the blocked action, and moving along into the future.“ (Strauss 1993: 52)
Dieser interaktionistische Begriff von Arbeit ist beinahe so allgemein wie das Handeln selbst. Sehr deutlich ist jedoch eine zeitliche Ordnung in diesem Begriff angelegt. Es sind die Mittel und Zwecke, die zum Grundelement von Arbeit werden. So verstanden ist Arbeit eine organisierte Form von Interaktion, mit bestimmten unterschiedlichen Zielen. Es sind die zeitliche Orientierung und die Verknüpfung von Interaktionen zu einem Zusammenhang, die als Einheit – etwa
88 Der interaktionistische Arbeitsbegriff von Strauss steht in starkem Kontrast zu der, insbesondere in Deutschland, gewichtigen Arbeits- und Industriesoziologischen Debatte um Arbeit, in der, ausgehend von den Produktionsverhältnissen die gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse erklärt werden. Strauss versteht Organisationen als charakterisiert durch die Art und Weise, wie in ihnen praktisch Arbeit vollzogen wird und nicht etwa durch strukturelle Elemente wie Hierarchie oder Klasse: „The division of work among classes of persons may therefore be different during different phases of the project or trajectory, each successive one perhaps necessitating new classes with particular skills or relying on different skills of the same workers. It is the skills and actions which are the essential elements then, not simply the class of worker as such.“ (Strauss 1985: 4f.)
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als Aufgabe oder Projekt89 – mit dem Begriff ‚Arc of Work‘ beschrieben werden. „An arc for any given trajectory – or project – consists of the totality of tasks arrayed both sequentially and simultaneously along the course of the trajectory or project.“ (Strauss 1985: 4)
Als Arbeit und insbesondere als Arbeitsbogen bekommt der Zusammenhang von verschiedenen ‚Inquiries‘ eine zeitliche Ausrichtung und einen gemeinsamen Zielpunkt – in diesem Verständnis wird die Herstellung eines Designobjekts zum Inhalt eines Designbogens. All die Bemühungen symbolischer und objektiver Art, die zur Vergewisserung des Objektes dienen oder dienen sollen, können als Inhalt eines Arbeitsbogens verstanden werden. Der ‚Arc of Work‘ oder in diesem Fall eben der Designbogen, schließt das zeitlich gerichtete Wechselspiel in Hinsicht auf das Ausgangsproblem zu einer Einheit (wieder: Designbogen) zusammen. Dieser Bogen umfasst das Wechselspiel von ‚Means‘ und ‚Ends‘ in ihrem – und das ist entscheidend – Verhältnis zur Ungewissheit des Designprozesses. Dieses Verhältnis wird dabei über einen bestimmten Zeitraum hinweg entwickelt und von den Designerinnen mit wechselndem Erfolg manipuliert. Worin genau die Quellen von Ungewissheit und ihr Umgang bestehen wurde oben diskutiert. Der integrative Begriff des Designbogens erlaubt es, Anschlüsse an Fragen zu Projekten, Organisation und ganz allgemein zum Kontext der Designarbeit zu knüpfen. Strauss liefert in Kombination mit ‚Deweys Pattern of Inquiry‘ das begriffliche Instrumentarium, um die Bearbeitung unterschiedlicher Ungewissheiten von einem punktuellen Problem zu einem zeitlichen Prozess, in einem bestimmten Kontext, zu machen.
4.4
MERKMALE EINER KONZEPTUELLEN HEURISTIK ZUR UNTERSUCHUNG VON DESIGN
Das erklärte Ziel dieses Kapitels war die Entwicklung einer konzeptuellen Heuristik, die auf zwei Arten mit den Ergebnissen aus dem Stand der Forschung in Verbindung steht: Erstens, die als Stand der Forschung zusammengefassten 89 Charakteristisch für eine interaktionistische Soziologie ist die bereits von Dewey geforderte Orientierung an und Sensibilität für die Begriffe und Probleme des Feldes, hier drückt sie sich in der Übernahme der sog. Ethnobegriffe aus (vgl. Dewey 2008: 560f.).
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Mikro-Studien von Design und ihre Ergebnisse wurden in Kapitel zwei als Relevanz der Nutzer, Wirkungen von unterschiedlichen Entitäten und als Manipulation von Ungewissheit zusammengefasst. All diese Phänomene – so das erste Kriterium – müssen von einer konzeptuellen Heuristik adressierbar sein, nur integrativ kann die angestrebte Analyse substantielle Erkenntnisse produzieren, um eine Klammer um den Stand der Forschung zu setzen. Die im Stand der Forschung zu Design stets differenten Bezüge auf konstruktivistische Technikforschung, ANT und Fragen der Uneindeutigkeit unterbinden bisher eine integrative Analyse. In diesem Sinne – und darin besteht das zweite Kriterium – muss die konzeptuelle Heuristik einen Anschluss erlauben an alle im Stand der Forschung als relevant diskutierten Phänomene, nur so kann die empirische Untersuchung Ergebnisse produzieren, die über die bekannten Studien hinausweisen. Für die Frage nach Relevanz und Einbindung der Nutzer und allgemeiner nach der Erwartung des Künftigen, sind die Begriffe der Rollenübernahme, der symbolischen Kommunikation und der Sinnkonstitution vielversprechend. Die Frage nach Wirkungen können mit dem Begriffsapparat von Antizipation und Gleichzeitigkeit gegenüber physischen Objekten adressiert werden. Darin besteht eine Differenz zu vielen Studien aus dem Stand der Forschung, die unter der Annahme einer generalisierten Symmetrie argumentieren und so möglicherweise interessante Nuancen verdecken, da sie die Bezüge auf Sinn- und Wirkungszusammenhänge nicht differenzieren. Die Bedeutung von Ungewissheit, als dritter Befund aus dem Stand der Forschung, könnte im Pragmatismus kaum größer sein. Allerdings offenbart sich hier die größte Differenz zwischen den Begriffen aus dem Pragmatismus und den Ergebnissen aus den Designstudien. Teils war in den Designstudien Ungewissheit eine Voraussetzung von Design und ist, in diesem Sinne, als eine durchaus manipulierbare Ressource zu verstehen. Dagegen wird Ungewissheit in der Literatur von Dewey stets problematisiert und so zu einem eliminierenden Übel erklärt, zu einem Problem und einer Gefahr. Im Design, darauf weist der Stand der Forschung hin, wechseln positive wie negative Vorzeichen von Ungewissheit häufig, der Designer wird mit eigenem Zutun zu ihrem Operator. Mead liefert den Schlüssel, um das zentrale Problem der Ungewissheit differenziert zu betrachten. Ungewissheit kann auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden. So wird es möglich, die Antizipation bzw. Rollenübernahme menschlicher oder dinglicher Gegenüber als Quelle von Ungewissheit zu beschreiben. Trotzdem bleibt die Frage, ob und wie Unsicherheit zu einem produktiven Element von Design wird, auch in der hier formulierten konzeptuellen Heuristik weitgehend offen. Umso wichtiger und spannender
Konturen einer pragmatistischen Untersuchung von Design | 131
wird es, im nun folgenden empirischen Teil dieser Untersuchung, das Verhältnis von Ungewissheit, Handeln und Design genau zu untersuchen. Die hier skizzierten Momente pragmatistischer Philosophie und Soziologie fügen sich recht gut aneinander. Zum einen resultiert diese Kompatibilität sicher aus den geteilten Grundannahmen, allen voraus das von Dewey formulierte Prinzip der Vorordnung der Handlung. Sicher fördert aber auch die Offenheit der Begriffe die Möglichkeit sie zu kombinieren und sinnvoll zu verbinden. Dem Ziel, ein Verständnis von Design zu entwickeln, das die bisherigen Ergebnisse zu integrieren vermag, kommt man mit Hilfe des Pragmatismus näher. Die gerade gelobte Offenheit der Begriffe, so vorteilhaft sie auch ist, fordert jedoch Empirie und Forscher eine Menge ab. Es sind die Beschreibungen und Zusammenhänge der Empirie, die die Lücken füllen müssen, welche durch die allgemeinen und offenen, aber stets auch groben Begriffe entstehen. Damit sich ein produktiver Zusammenhang aus Begriffen und Phänomenen entwickelt reicht es nicht, sich mit den Begriffen ‚auf dem Trockenen‘ auseinanderzusetzen und sie aneinander anzupassen. Die Begriffe, gerade die des Pragmatismus, sind kaum gewinnbringend von ihren empirischen Gegenständen zu trennen. Die erste Verbindung der Begriffe mit dem Stand der Forschung zum Phänomenbereich Design ist in den vorherigen Kapiteln erfolgt, die zweite, aufwändigere und wichtigere Verbindung, mit den Details der von mir erzeugten Daten, wird in den folgenden Kapiteln unternommen.
Kapitel 5: Von einer Philosophie des Handelns zu den alltäglichen Problemen von Designarbeit – Zum Aufbau der empirischen Untersuchung
Vor detaillierten Einblicken in die Interaktionen der Designer sind zwei kurze Erläuterungen unverzichtbar. Dieses Kapitel und die Kapitel sechs, sieben, acht und neun haben die ethnografische Untersuchung eines Designprozesses zum Gegenstand. Kapitel sechs, sieben und acht verfolgen den Prozess dabei sehr genau, der Prozess wird in elf unterschiedlich lange Sequenzen zerlegt. In Kapitel neun abstrahiert die Analyse stärker, als in den davorliegenden Kapiteln, um die Verbindungen, Bezugnahmen und Relationen des Prozesses mit anderen Kontexten zu untersuchen. Doch zunächst wird die Wahl des Forschungsfeldes begründet und gleichzeitig eine kurze Einführung in das Forschungsfeld Designlabor gegeben (Kapitel 5.1). Danach wird die spezifische Perspektive der Analyse (Kapitel 5.2) sowie der Aufbau der drei empirischen Kapitel erläutert (Kapitel 5.3).
5.1
DESIGNFORSCHUNG ALS IDEALES SETTING ZUR ANALYSE EINES DESIGNPROZESSES
Design zum Forschungsgegenstand dieser Arbeit zu machen hat mehrere, miteinander verbundene Gründe. Den Ausgangspunkt, auch wenn damit kein Argument für die Relevanz des Phänomenbereichs gemacht werden kann, bildet mein persönliches Interesse an einer soziologischen Untersuchung von Design. An den Debatten in der Techniksoziologie und der Wissenschafts- und Technikforschung interessieren mich besonders Fragen der Handlungsträgerschaft. Insbe-
134 | Die Praxis des Designs
sondere ihre doppelte Auflösung in a) einen Zuschreibungsprozess und b) eine empirische Frage des Einzelfalls, erschienen mir gleichzeitig spannend wie unbefriedigend (vgl. Rammert, Schulz-Schaeffer 2002; Latour 2002A). Mein theoretisches Interesse geht in diesem Sinne über die klassisch-soziologische Frage nach dem sozialen Handeln hinaus, mich interessieren die Mischformen, die stets in Bewegung befindlichen Überschneidungen und materiell-technisch und visuell gebundenen Formen des Handelns. Die materielle Vermittlung findet sich allen Ortens, doch das Design verspricht eine doppelte Perspektive, einen besonderen Zugang zur Sozio-Materialität. Erstens ist Design, wie jedes andere Handeln auch, zumeist ein sozio-materielles Handeln, zweitens, und darin liegt eine reizvolle Besonderheit, zielt Design darauf ab, spezifische Typen künftigen sozio-materiellen Handelns zu entwerfen und zu stabilisieren. Design ist auf diese Weise für mich und mein Erkenntnisinteresse doppelt interessant, denn Design erlaubt es sowohl sozio-materielle Prozesse selbst, als auch die Herstellung potenzieller künftiger sozio-materieller Zusammenhänge zu beobachten. Zwar findet sich dieser doppelte Bezug mutmaßlich in jedem Konstruktionsprozess, die vermeintliche oder tatsächliche kreative Freiheit der Designer gegenüber Konstruktionsprozessen im Handwerk oder in den Ingenieurwissenschaften lässt die materielle und visuelle Vermittlung des designerischen Schaffens aber deutlicher hervortreten, als es in den routinisierten Prozessen in Handwerks- oder den formalisierten Prozessen der Ingenieursberufe der Fall ist. Die Vermutung einer größeren Freiheit und Kreativität gegenüber Prozessen der Konstruktion in Handwerk und in Ingenieurwissenschaften ist ein weiteres Argument dafür, Design zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. Mein Interesse, dieses Themenfeld zu untersuchen bedurfte jedoch zwei weiteren Anstößen, damit sich daraus eine Dissertation entwickeln konnte. Ein Anstoß resultierte aus einer wechselseitigen Neugier zwischen verschiedenen Designerinnen der Universität der Künste (UDK) und verschiedenen Techniksoziologinnen der Technischen Universität Berlin.90 Diese Neugier zeigte sich etwa in wechselseitigen Kolloquiumsbesuchen, einer Exkursion mit Studierenden der Soziologie in das DRL und dem Verfassen eines bisher erfolglosen Forschungsantrags91. Aus dieser Konstellation resultierte für mich die Gelegenheit, das DRL, genauer gesagt, die Arbeit zweier Designerinnen zu 90 Von der UDK sind hier vor allem Katharina Bredies und Gesche Joost zu nennen, auf Seiten der TU Berlin sind Werner Rammert, Juliane Haus, Gustav Roßler, JanHendrik Passoth und ich aktiv gewesen. 91 Eine Zusammenfassung der Diskussion rund um den Antrag findet sich bei Gustav Roßler (vgl. Roßler 2015B).
Aufbau der empirischen Untersuchung | 135
meinem Forschungsgegenstand zu machen. Erfreulicherweise entwickelte sich ein stets vertrauensvoller und offener Umgang miteinander. In der Offenheit und einem neugierigen Interesse gegenüber meiner ethnografischen Arbeit liegen oft unterschätzte Bedingungen für einen guten Verlauf der Forschung, die hier stets gegeben waren.92 Das ‚Design Research Laboratory‘ (DRL) ist kein Designstudio in dem Produkte für Kunden entwickelt werden, das DRL ist eine universitäre wissenschaftliche Einrichtung und betreibt Forschung und Lehre. Allerdings werden sowohl Forschung als auch Lehre als Designprozesse vollzogen: Somit wird in dem Labor zu unterschiedlichen Zwecken designt, zur Forschung, zur Wissensvermittlung, aber auch für weitere Felder, worauf ich in Kapitel neun eingehe. Die Hintergründe der jeweiligen Projekte sind für den Beobachter zunächst nicht offenkundig, dem Beobachter präsentiert sich das DRL als ein Ort, an dem permanent und in verschiedenen Zusammensetzungen designt wird. Designforschung wird durch designen vollzogen. Die Designforschung macht deshalb in erster Linie Design, wie ihre Kolleginnen in den kommerziellen Studios auch. Der Designtheoretiker Wolfgang Jonas ordnet die Designforschung in die Bereiche „Research Into / about, for / for und through / by design“ (Jonas 2007:191). Die Designforscher machen also vor allem das, was andere Designer auch tun, sie designen. Das wissenschaftliche Publizieren und die Ausbildung von Studierenden sind allerdings Besonderheiten der Designforschung. Diese werden in Kapitel neun diskutiert.93 Die Annahme, dass mit der Designforschung, die frei von externen Zwängen und Erwartungen ist, gewissermaßen die reine Lehre des Designs zu finden ist, trifft selbstverständlich nicht zu. Es wird noch erkenntlich werden, dass auch die Designforschung keine isolierte Insel ist und durchaus ideologischen oder finanziellen Erwartungen gegenübersteht. Eine tatsächliche Differenz und gleichzeitig ein Vorzug gegenüber anderen Forschungsfeldern, liegen in der enorm geringen Arbeitsteilung der Designforschung, wie sie im DRL vollzogen wird. Die Desig92 Der Feldzugang wird meist nicht explizit gemacht, möglicherweise wird deshalb seine Bedeutung häufig unterschätzt. Die erwähnten Labor-Studien von Knorr Cetina (1981) und Latour und Woolgar (1979) verfügen scheinbar über geradezu ideale Bedingungen für eine ethnografische Untersuchung, sie informieren den Leser leider kaum darüber. 93 Es finden sich jedoch auch prominente Beispiele kommerzieller Gestalter, angefangen bei den Größen des Bauhaus, die stets auch Texte und Vorträge veröffentlichten und als Lehrer tätig sind. Rem Koolhas ist ein prominentes Beispiel für diese beständige Grenzüberschreitung zwischen Konstruktion und Artikulation.
136 | Die Praxis des Designs
nerinnen dort vollführen, bis auf sehr wenige Ausnahmen, jeden Schritt ihrer Projekte selbst, so unterschiedlich sie auch sind. Angefangen vom Skizzieren, über Nähen, Löten, Kleben, Schneiden, bis hin zum Programmieren, in dem von mir beobachteten Designprozess wurden die unterschiedlichsten Tätigkeiten allein durch die beiden Designerinnen vollzogen. Nur eine Aufgabe wurde an einen externen Dienstleister abgegeben, diesem Dienstleister gelang die termingerechte Herstellung eines elektronischen Bauteils jedoch nicht, woraufhin die Aufgabe an die Designerinnen Kirsten und Nora zurückfiel. Der Aufgabenbereich der Designerinnen geht dabei, wie noch gezeigt wird, weit über das handwerkliche Moment hinaus und ist gekennzeichnet durch Lehrtätigkeit im Bachelor- und Masterstudiengang der UDK, eine Lehrer-Schüler-Beziehung im Designprojekt sowie wissenschaftliches Arbeiten und Publizieren. Selbstverständlich gehören auch administrative Tätigkeiten zu ihrer Arbeit, ebenso wie eine Positionierung im wissenschaftlichen Kontext. Diese äußerst geringe Arbeitsteilung ist ein enormer Vorzug meines Untersuchungsfeldes, denn untersucht man die durch den Bezug auf unterschiedliche Mittel realisierte, aber stets materiell und visuell vermittelte Herstellung eines Designobjekts, dann ist es vorteilhaft, wenn lediglich zwei Akteure den Prozess durchführen. Schließlich bleiben die mit den Akteuren verbundenen Einflussgrößen, ebenso wie der Kontext, relativ stabil. Ein hochgradig arbeitsteiliges Designprojekt würde den Beobachter vor die enorme Herausforderung stellen, die Designarbeit beständig analytisch von der Koordinationsarbeit des Projektes trennen zu müssen. Die Arbeitsmittel ließen sich ungleich schwerer durch die verschiedenen Kontexte und Akteurskonstellationen verfolgen. Der Einfluss wechselnder persönlicher Stile und sozialer Dynamiken auf das entstehende Designobjekt, ist in meinem Feld sehr begrenzt – dadurch ist der Vollzug der soziomateriellen Prozesse umso besser zu beobachten. Meine Unterteilung des Designprozesses in elf aufeinanderfolgende Sequenzen erlaubt durch das nebeneinander dieser Phasen einen interessanten Vergleich, der zum Teil sehr verschiedenen Tätigkeiten. Die Ausgangsfrage, nach den spezifischen Wirkungen und Bedeutungen der Arbeitsmittel, verschob sich während der empirischen Arbeit im Feld, vor allem aber bei der Auswertung. So führten die Arbeitsmittel und ihre genaue Beobachtung in diesem Designprozess mich zu der breiten Frage: Wie wird Design gemacht?
Aufbau der empirischen Untersuchung | 137
5.2
DIE ARBEITSMITTEL DER DESIGNERINNEN – EINE INDUKTIVE KATEGORIE ALS LEITMOTIV DER FORSCHUNG
Die ersten Besuche im DRL und die ersten Anfertigungen von Memos, waren für mich wenig ausschlussreich, der Gegenstand der Untersuchung und mit ihm die gesamte Tätigkeit im Feld erschienen mir enorm verworren. Mit den ersten Besuchen im Forschungsfeld wählte ich als Lösung für dieses akute Problem eine bestimmte Perspektive. Diese, aus dem Problem und dem Geschehen im Feld abgeleitete induktive Heuristik, wurde zu einem überraschend stabilen Begleiter der gesamten Untersuchung, ich habe darauf bereits in der Einleitung (Kapitel eins) der Arbeit hingewiesen. Entscheidend an dem Paradox, welches zwischen dem Bild von Design in der Literatur und dem Blick auf die designerische Praxis entsteht, ist seine Wirkung auf die Entwicklung meines Forschungsinteresses und meiner Fragestellung. Mein weitläufiges Interesses an Design wurde durch den Widerspruch zwischen der Erwartung an das Feld und der Realität im Feld auf die Frage hin enggeführt, wie wird Design gemacht? Der ebenfalls in der Einleitung diskutierte Schlüssel zur Bearbeitung und letztlich auch zur Beantwortung dieser Frage ist das Analyseschema der sogenannten Arbeitsmittel. Der Fokus auf die Frage nach den Arbeitsmitteln reduzierte die Komplexität des Feldes und erlaubte gleichzeitig den von mir gewählten Fokus auf die Frage des ‚Wie‘ forschungspraktisch umzusetzen.
5.3
PROZESSPERSPEKTIVE ODER DETAILANALYSE – DER AUFBAU DER EMPIRISCHEN ARGUMENTATION
Der Aufbau einer Untersuchung und ihr Erkenntnisinteresse müssen eng aufeinander abgestimmt sein. Um der Problemstellung dieser Untersuchung gerecht zu werden, sind zwei empirische Perspektiven zu kombinieren. In Anlehnung an den von Strauss beschriebenen ‚Arc of Work‘ wird in dieser Untersuchung stets der rote Faden des Designprojektes verfolgt und im Blick behalten, darunter ist hier der Designbogen zu verstehen. Teils gleichzeitig, teils in anderen Beschreibungen, werden die Interaktionen des Designs mitunter sehr detailliert beschrieben und untersucht, denn als typisch für Design zeigt sich hier gerade der schnelle und kurzfristige Wechsel der Arbeitsmittel. Erst in ihrer Verwendung und durch die Wechsel zwischen ihnen realisiert sich hier Design. Diesen Umgang mit ganz unterschiedlichen Worten, Bildern und Objekten zu beobachten erfor-
138 | Die Praxis des Designs
dert es, die Tätigkeiten der Designerinnen äußerst genau zu verfolgen und zu dokumentieren, denn es sind teilweise kurze Gespräche oder einzelne Messungen, die dem Designprozess eine Richtung geben. Die Frage nach dem Aufbau und der Beschreibung der Untersuchung steht deshalb vor dem Problem mit äußerst vielschichtigen Phänomenen umgehen zu müssen. Der Aufbau dieser Untersuchung zielt darauf ab, sowohl die Details, als auch den Prozess analytisch einzubeziehen. Wie aber gelingt dieser Spagat und welche Abstriche sind dafür nötig? Erstens ist die Annahme leitend, dass nicht jedes Detail wichtig ist und beobachtet werden muss. Die Untersuchung hat notwendigerweise Lücken. Zweitens, der Prozess in seinem Verlauf ist so relevant, dass er beständig verfolgt und nachgezeichnet werden muss. Um diesem Widerspruch gerecht zu werden, wird die Masse an stattfindenden und dokumentierten Geschehnissen auf elf Sequenzen reduziert. Die Zielstellung ist klar, der rote Faden des gesamten Prozesses darf weder reißen noch durch Redundanzen und Überläufer Knoten und Unklarheiten produzieren. Gleichzeitig ist es unverzichtbar, den Details der Interaktionen viel Raum zu geben und sie sehr genau zu untersuchen. Der Designbogen wird in diesem Sinne aus elf Versatzstücken zusammengefügt, ihre Anzahl erlaubt es dennoch, den Schwung und die Form des Bogens gut nachzuvollziehen. Diese elf Sequenzen oder Versatzstücke des Bogens werden jeweils sehr genau untersucht und miteinander in Verbindung gebracht. Es ist unmöglich einen Designprozess vom ersten Gedanken bis zur letzten Umnutzung als empirischer Forscher zu verfolgen. Der konstruktive Umgang mit diesem Problem sieht vor, den Designbogen als Prozess zu verstehen, der von den beiden Designerinnen vollzogen wird. Das neunte Kapitel stellt nach der Analyse der kleinteiligen Designarbeit die Bezugsrahmen und Kontextualisierungen vor, die die Designerinnen zu jedem Zeitpunkt im Gestaltungsprozess unternehmen. Der Aufbau der empirischen Untersuchung gestaltet sich in diesem Sinne wie folgt: Die Nummerierung der Sequenzen ist in den nächsten drei Kapiteln (sechs, sieben und acht) durchlaufend und folgt der Chronologie des Designprozesses über die Kapitel hinweg. In den Sequenzen sind zum Teil recht unterschiedliche Zeiträume abgebildet, diese rangieren zwischen ein paar Minuten bis zu einem ganzen Tag. Der Widerspruch zwischen Detail- und Prozessperspektive wird durch die Gliederung der Sequenzen aufgefangen, die wie folgt angelegt ist: Jeweils der erste Teil jeder Sequenz fasst unter der Überschrift Zusammenfassung den jeweiligen Prozess in knapper Form zusammen. Dabei werden auch Verbindungen mit der vorherigen und nachfolgenden Sequenz hergestellt. Der zweite Teil jeder Sequenz liefert unter der Überschrift Ethnografische Beschreibung eine detaillierte ethnografische Beschreibung der sozio-mate-
Aufbau der empirischen Untersuchung | 139
riellen Interaktionen. Stets wird hier erläutert, mit welchen Mitteln die Designerinnen arbeiten und mit welchen Ungewissheiten sie konfrontiert sind. Im dritten Teil jeder Sequenz wird unter dem Titel Konzeptuelle Verallgemeinerung ein Bezug zu den Konzepten des Pragmatismus und gelegentlich zu anderen theoretischen Konzepten hergestellt. Es ist nicht das Ziel hier den Stand der Forschung zu bestimmten Phänomenen zu diskutieren, sondern ein pragmatistisches theoretisches Verständnis zu entwickeln, dafür sind Rückgriffe auf andere Untersuchungen und Begriffe zum Teil sehr hilfreich. So werden die jeweils zuvor beschriebenen Phänomene vom Einzelfall gelöst und dadurch verallgemeinert. Durch diese Formalisierung entsteht eine Vergleichbarkeit der designerischen Tätigkeit in den elf Sequenzen. Diese Darstellung macht gerade den im Projektverlauf sehr unterschiedlichen Umgang mit den Arbeitsmitteln offenkundig, denn sie erzeugt eine Vergleichbarkeit der Arbeitsmittel selbst. Zudem wird dieser spezifische Aufbau gewählt, um sowohl die Details als auch den roten Faden des gesamten Prozesses zu berücksichtigen. Ferner ermöglicht diese Gliederung es dem Leser, je nach seiner spezifischen Interessenlage, sich leicht im Text zu orientieren. Dieser letzte Absatz, vor Beginn der empirischen Untersuchung, dient dazu, noch einmal auf den epistemologischen Ausgangspunkt der Untersuchung hinweisen. In Kapitel drei wurde unter Rekurs auf die Argumente von Haraway und Hirschauer deutlich gemacht, dass die Trennung zwischen empirischer Beschreibung und theoretischem Konzept keine absolute Trennung ist (vgl. Haraway 1988; Hirschauer 2008). Ich verstehe am Gegenstand ausgerichtete Gliederungen, Trennungen und Kategorien als wichtiges, geradezu unverzichtbares Instrument der Analyse, dennoch bleibt jede Unterscheidung idealtypisch. Entscheidend ist immer der Gegenstand, nicht aber die Kategorie als Selbstzweck. Deshalb ist es niemals das Ziel, empirische Phänomene in bestimmte Kategorien einzupassen oder gar hinein zu quetschen. Es sind die Kategorien selbst, die sich anhand der Phänomene ausrichten, entwickeln und aufbauen. Der Aufbau dieser Untersuchung ist nichts anderes als die praktische Umsetzung der Aufforderung Haraways verschiedene – aber stets wohl überlegte – Sichtweisen einzunehmen und sie beständig zu wechseln und weiter zu entwickeln. So soll es gelingen Annahmen und Beobachtungen in eine fruchtbare, das heißt auch reibungsvolle Beziehung zueinander zu bringen (vgl. Hirschauer 2008: 184).
Kapitel 6: Verständigung und Trennung – Bedeutungen und Wirkungen werden zerlegt
Die drei folgenden Kapitel (Kapitel sechs bis acht) folgen dem Designprozess in seiner Chronologie. Sie beschreiben und analysieren dabei jeweils besonders interessante Sequenzen des Prozesses. Dieses sechste Kapitel zeigt vor allem, wie die beiden Designerinnen zunächst eine gemeinsame Sprache und eine geteilte und gemeinsame Problematisierung ihrer Aufgabe entwickeln. Die Basis dafür ist ein geteilter Gegenstandsbereich, der verbal und schriftlich in Listen und Tabellen umrissen wird. Ihre Bemühungen gelten zunächst der Abgrenzung und der Intersubjektivierung bestimmter sozio-technischer Zusammenhänge, die im weiteren Verlauf als Teilelager oder Rohstoff in neue Formen gebracht werden. Für die beiden Designerinnen beginnt die gemeinsame Arbeit am Projekt also damit gemeinsam zu entscheiden, was relevant ist und was nicht. Der Problembereich des Relevanten mag groß sein, er ist jedoch spezifisch und abgrenzbar gegenüber der Unbestimmtheit aller möglichen und denkbaren Zusammenhänge. Die Arbeit der Designerinnen, so könnte man zusammenfassend formulieren, konzentriert sich im sechsten Kapitel auf die Trennungen, Verständigungen und Rekombination verschiedener sozio-technischer Zusammenhänge.
6.1
SEQUENZ NR. 1: EINE NEUE MITARBEITERIN UND EINE NEUE AUFGABE – DAS DESIGNPROJEKT BEGINNT
Zusammenfassung von Sequenz Nr. 1: Mit der Designerin Kirsten bin ich bisher nur aus meinen Besuchen des Kolloquiums der DRL sowie von ihren Besuchen im Kolloquium der Technik-, Wissenschafts- und Innovationsforschung an der TU Berlin bekannt. Ihre gerade eingestellte Assistentin, die De-
142 | Die Praxis des Designs
signstudentin Nora, treffe ich an diesem Nachmittag zum ersten Mal. Die Räume und einige Gesichter des DRL kannte ich jedoch bereits aus meinem Besuchen des Kolloquiums. Für die beiden Designerinnen ist das Treffen der Startpunkt und das erste Arbeitstreffen eines sechsmonatigen Designprojekts. Kirsten führt Nora in das Problem und die Fragestellung ihres aktuellen Projektes ein. Zumeist beziehen sie sich dabei auf Beschreibungen und Bilder einiger alltags Objekte und setzen ihr Vorhaben in Relation. Erst als Analogie wird das Vorhaben für Nora überhaupt soweit verständlich und fassbar, dass sie gezielte Fragen stellen kann. Die erfahrene Kirsten führt die neugierige, aber bisher mit der Arbeit unvertraute, Nora in das Feld ein. Ethnografische Beschreibung von Sequenz Nr. 1: Kirsten erläutert Nora an diesem Nachmittag das Ziel des Projektes: Ein Wearable94 zur Navigation soll entwickelt und gebaut werden. Der Designauftrag oder das initiale Problem sind kein selbstgestelltes Problem, sondern wurden vom Projektträger definiert.95 Obwohl die Projektbeschreibung den Ausgangspunkt und den Hintergrund des gesamten Projekts bildet, wird sie von den beiden hier nicht genauer diskutiert. Nur Kirsten kennt die Beschreibung und die Vereinbarung genau. Mit diesem Treffen von Kirsten und Nora beginnt ihr gemeinsamer Designprozess; und zwar als Gespräch. Den größten Anteil daran hat zunächst Kirsten als erfahrene und erklärende Instanz. Nora stellt Fragen und macht Notizen. Recht schnell beziehen sich die beiden im Gespräch auf Abbildungen aus einer älteren Recherche einer anderen Mitarbeiterin. So ist nicht etwa ein weißes Blatt Papier der Ausgangspunkt, vielmehr werden die Ergebnisse anderer zum Ausgangspunkt des Schaffens der Designerinnen. Bilder von elektronischen und vernetzten Gürteln, Westen, Schuhen usw., die für unterschiedliche Funktionen benutzbar sind, werden von Kirsten, aber besonders von Nora, neugierig betrachtet und diskutiert. Bilder und kurze Texte zeigen die Designobjekte anderer Forschungsinstitute oder Wirtschaftsunternehmen. Häufig haben diese oft provisorisch anmutenden Objekte die Funktion, durch fühlbare Reize Hinweise zur Orientierung ihrer Träger zu vermitteln. Mit den Abbildungen werden die Fragen von Nora zahlreicher und präziser. Offensichtlich liefern die Bilder ein Thema, einen Gegenstand, sodass Nora ihre Fragen zuspitzen kann. Mit den Abbildun94 „In die Kleidung integriertes oder (unmittelbar) am Körper getragenes Computersystem, das auf den Nutzer oder dessen Umwelt bezogene Daten registriert und verarbeitet“ (Duden 2017: Wearable). 95 Der Träger des Projektes war die Deutsche Telekom. Der Projektbericht und mit ihm die Rahmenbedingungen des Projekts werden in Kapitel neun genauer erläutert.
Bedeutungen und Wirkungen werden zerlegt | 143
gen und Beschreibungen entwickelt sich eine Analogie zwischen den dargestellten Objekten und dem eigenem Vorhaben ein Designobjekt96 zu erschaffen. Die anfangs offensichtliche Unklarheit von Nora über die Absichten und Zwecke des Projekts verringert sich sichtbar. Die Abbildungen vermitteln, im Unterschied zu den Beschreibungen von Kirsten, recht schnell und klar Vorstellungen vom Ziel des Projekts. Die initiale Frage, was ein Wearable ist und worin sein Zweck besteht, wird hier durch Analogien zu bestehenden Objekten beantwortet und nachvollziehbar gemacht. Den grundlegenden Erklärungen des Projektziels folgen recht genaue Fragen und Erörterungen über mögliche Bauteile und Materialien. Kirsten beschreibt und zeigt ‚Lilypad’s‘97 und Bluetoothmodule98 sowie die Programmierung der Bauteile durch eine App99. Die technischen Bauteile, in den ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, führen den Designerinnen die Frage nach Funktionen und Zwecken des eigenen, noch zu designenden Objekts, vor Augen. Wieder findet die Erklärung ihren Weg über Analogien: Das Seitenlinienorgan von Fischen ist zum Beispiel ein solcher Bezugspunkt für die Konkretisierung von Vorstellungen. In diesem Prozessschritt wird deutlich, dass Analogien – ob in Bild, Wort oder der Kombination von beidem – Diskussionen und vor allem Fragen erst möglich macht. Was praktisch und sinnvoll ist wird nicht im Allgemeinen diskutiert, sondern stets konkret an exemplarischen Gegenständen. Die beispielhaften Gegenstände wechseln sich dabei öfter ab.
96 Als Designobjekt wird nun das ‚in Entstehung begriffene‘ bezeichnet werden, auch wenn gerade zu diesem Zeitpunkt kaum mehr als eine vage Vorstellung existiert und eben noch kein Objekt. Der Begriff Designobjekt ist hilfreich, um diesen häufig unternommenen Bezug deutlich zu beschreiben. 97 Ein Lilypad ist eine kreisrunde etwa 7 cm große Steuerungsplatine, speziell für elektronische Textilien. Sie ist für ganz unterschiedliche Zwecke programmierbar und leicht an Textilien anzunähen. Mit vierzehn Anschlüssen und einer geringen Stromspannung soll sie einfaches und zügiges Entwickeln von Funktionsmodellen erlauben (vgl. Website des Herstellers: www.arduino.cc). Zahlreiche Programme für das Lilypad sind im Netz kostenlos verfügbar. 98 Ein solches Modul soll hier zum Einsatz kommen. Es verspricht eine kabellose Verbindung zwischen iPhone und Lilypad. Der Bau dieses Moduls wurde als Auftrag an einen externen Dienstleister vergeben. 99 An der Entwicklung dieser App ist Kirsten beteiligt.
144 | Die Praxis des Designs
Konzeptuelle Verallgemeinerung von Sequenz Nr. 1: Die initiale Aufgabenstellung des Projekts ist Kirsten, nicht aber Nora gegenwärtig. Kirstens Bemühungen, das Designobjekt zum Ausgangspunkt der gemeinsamen Arbeit zu machen, gewinnen in dem Moment an Fahrt, als ihre Erläuterungen visuell durch Abbildungen ergänzt werden. Die Ergebnisse vergleichbarer Projekte, so scheint es, machen für Nora erst erkennbar, was das Ziel der eigenen Bemühungen sein könnte. Zahlreiche Nachfragen und Wiederholungen zeigen eindringlich, dass Nora lange unklar ist, worum es in dem Projekt geht. Mit den Bezügen auf konkrete Objekte, Probleme oder Fähigkeiten gewinnen ihre Fragen und die gesamte Diskussion an Präzision, nicht nur die Erläuterungen am Gegenstand werden verständlicher und nachvollziehbarer, vor allem Nora fragt nun häufiger und vor allem genauer nach. In dieser Sequenz ist vor allem die Relevanz von Abbildungen vergleichbarer Objekte bemerkenswert hoch. Das Design von etwas Neuem beginnt mit einer Orientierung an vergleichbaren Objekten. Diese sind der zentrale Bezugspunkt für die Diskussionen um das Neue, noch äußerst ungewisse Designobjekt. Diese Orientierung gelingt in der verbalen Kommunikation allein nicht, erst der Bezug auf Abbildungen erlaubt eine gewisse Signifikanz in der Kommunikation der Designerrinnen (vgl. Mead 1968 [1934]: 111). Nora erlangt Gewissheit darüber, worum es Kirsten geht. Eingangs waren die Inhalte des Projektes für Nora derart offen, das ihr nicht einmal die Problematisierung dieser Offenheit in Form von Fragen gelingt. Kirsten vermag in dieser Sequenz Nora mit Hilfe visueller Arbeitsmittel aus der ungerichteten Unbestimmtheit in Richtung einer konkreteren Problematisierung zu führen. Auch Nora fragt sich nun, wie ein Wearable zur Navigation gestaltet werden könnte. Ungerichtete und präkognitive Unbestimmtheit wird problematisierbar und dadurch in ein bestimmtes Verhältnis gerückt. Aus der nicht adressierbaren Unbestimmtheit wird eine problematisierbare Ungewissheit (vgl. Dewey 2008: 132ff.). Anders als für Kirsten beginnt das Projekt für Nora scheinbar in vollkommener Unbestimmtheit. Sie ist auf Kirsten angewiesen, um die Unbestimmtheit in Ungewissheit zu verwandeln. Im Zentrum der Bemühungen der ersten Sequenz steht damit die Frage, was designt wird und welcher Bereich mit dem neuen Design adressiert werden soll. Der Nachmittag endet mit einem Arbeitsauftrag für Nora, der die Relevanz vergleichbarer Objekte noch einmal bestätigt: Nora soll weitere vergleichbare Objekte in einer Internetrecherche sammeln und sortieren, um diese als ‚Bilderhalde‘ für die weitere Verwendung zu speichern.
Bedeutungen und Wirkungen werden zerlegt | 145
6.2
SEQUENZ NR. 2: WAS TUN EIGENTLICH TOURISTEN SO? – SYSTEMATISCHES SAMMELN, ORDNEN UND VERKNÜPFEN IM BRAINSTORMING
Zusammenfassung von Sequenz Nr. 2: Die Designerinnen entwickeln in dieser Arbeitssitzung systematisch einen Bezug auf und eine gemeinsame Vorstellung über das relevante sozio-materielle Feld ihres Designobjekts. Die Frage, welche Objekte, Akteure und Nutzungen für ihr Vorhaben relevant sind, steht dabei im Vordergrund. Das Feld wird jedoch nicht frei gewählt, schließlich hat das Projekt die Vorgabe ein Hilfsmittel für die Orientierung von Touristen an fremden Orten zu entwickeln. Die von Kirsten angeleitete Kreativitätstechnik ermöglicht es, das Alltagswissen der Beteiligten explizit zu machen und in einem zweiten Schritt die Erfahrungen und Kenntnisse aller Beteiligten miteinander in Beziehung zu bringen. Diese ‚Kartierung‘ relevanter Objekte, einschließlich ihrer Relationen, wird symbolisch-visuell erzeugt, in diesem Fall mit Stift und Papier. Es entsteht eine umfangreiche Sammlung von sozio-technischen Konstellationen, sie schließt Orte, Nutzer und ihre Beziehungen zu den Objekten ein. Es geht hier also weniger um die isolierten Eigenschaften eines Objektes, als um dessen Einbindung, Relevanz und Funktion. Nicht nur ein erstaunlich vielseitiges Repertoire von Mensch-Objekt-Konstellationen steht am Ende der Sitzung zur Verfügung, auch die Verknüpfungen der Objekte untereinander werden von Kirsten und Nora systematisch thematisiert. Die ausführliche Diskussion von Kirsten und Nora über die Bedeutungen und die Beziehungen der Objekte erlaubt es, zu späteren Zeitpunkten wieder auf dieses gemeinsame Repertoire einer spezifischen Objektwelt zurückzugreifen. Dieses Repertoire ist zu ihrer gemeinsamen Basis geworden. Ethnografische Beschreibung von Sequenz Nr. 2: In der offenen Küche des DRL, an einem großen Esstisch, setzen die Projektleiterin Kirsten, ihre studentische Mitarbeiterin Nora und ich uns zusammen. Kirsten verteilt dicke schwarze Filzstifte mit der an Nora und mich gerichteten Aufforderung nun schreibend am Prozess teilzunehmen. Gleich zu Beginn dieser Sequenz werde ich temporär zum Teilnehmer des Designprozesses. Kirsten rollt einen großen Bogen weißes Papier (ca. 150cm x 60cm) vor uns aus und schreibt für alle gut sichtbar in die Mitte: ‚Navigation für Touristen mit Wearables‘. Die Sitzung beginnt, indem Kirsten uns nach Merkmalen von Touristen fragt. Lebhaft beginnen wir zu antworten: „Wollen viel in kurzer Zeit sehen“, „sprechen die Sprache nicht“, „viel draußen unterwegs“, „fotografieren viel“.
146 | Die Praxis des Designs
Kirsten fertigt aus diesen und vielen weiteren Aussagen eine Liste. Obwohl Kirsten uns mit der Aufforderung zu schreiben Stifte in die Hand gedrückt hat, entsteht sofort eine andere Arbeitsteilung. Nur Kirsten notiert ihre und unsere Antworten, Nora und ich notieren selber nichts. Gleichzeitig selektiert Kirsten die Antworten, indem sie einige Antworten sofort aufschreibt, gelegentlich lobt oder erweitert, andere Beiträge nur in veränderter Form aufschreibt oder nicht notiert. Anhand ihrer Vorstellungen und Erwartungen selektiert sie die Beiträge. Nora und ich vergessen unsere Filzstifte schnell und arbeiten Kirsten mit unseren Ideen zu. Nachdem 15 Eigenschaften von Touristen als kompakte Liste mittig auf dem großen Papierbogen notiert sind, sucht wiederum Kirsten bestimmte Notationen der Liste aus und zieht von dort eine Linie über den Papierbogen; am Ende der Linie entsteht unverzüglich eine neue Liste. So werden bestimmte Eigenschaften von Touristen zum Ausgangspunkt von neuen Listen überall auf dem Papierbogen: Zum Beispiel die anfangs notierte Eigenschaft ‚sprechen die Sprache nicht‘, wird als wichtige Eigenschaft von Touristen mittels einer Linie zum Ausgangspunkt einer neuen Liste, dort entsteht eine Liste von Subjekten, die diese Eigenschaft teilen, also ebenfalls der Sprache nicht mächtig sind: ‚Hunde‘, ‚Babys‘, ‚Ausländer‘, ‚alte Menschen‘, ,vom Dorf‘, ‚Juristen und Bürokraten‘ usw. Die Liste wächst zügig und besteht schließlich aus etwa zwölf Gruppen und Personen. Indem die erste Listung der Eigenschaften von Touristen nun jeweils mit weiteren Listen von anderen Subjekten verbunden wird entstehen insgesamt acht Listen auf dem Papierbogen. Einige, der anfangs notierten Eigenschaften von Touristen, werden dagegen nicht weiter verfolgt. Die Methode operiert ganz offensichtlich nach dem Prinzip der Ähnlichkeit, tauscht dabei aber immer wieder den Bezugspunkt von Ähnlichkeit aus und schafft so Variation. Die Selektion von Kirsten ist ein zweites Prinzip in dieser Arbeitssitzung.
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Abbildung Nr. 1: Zahllose Subjekte und Objekte werden in dieser Sitzung schriftlich gruppiert und so miteinander in Beziehung gebracht.
In einer weiteren, nunmehr dritten Phase entfernt sich unser Brainstorming weiter vom Ausgangspunkt Touristen. Aus den in der zweiten Phase erstellten acht Listen von Subjekten mit ‚Touristen-Eigenschaften‘ werden nun von drei der Listen Favoriten gewählt. Dafür markieren wir besonders interessante Punkte in den Listen mit einem roten Stift. Was als interessant gilt, wird hier nicht weiter diskutiert und ist uns Teilnehmern überlassen. In dieser dritten Phase wird also von uns allen selektiert. ‚Eltern‘, ‚kleine Kinder‘, ‚Matrosen‘ und ‚Nomaden‘ sind nur einige Beispiele für Subjekte, die wir für den weiteren Prozess als interessant ansehen und deshalb mit einem roten Herz markieren. Der große Papierbogen ist nun gut gefüllt mit zahlreichen Listen, hier und da markieren Herzen besonders interessante Punkte. Der vierte und letzte Schritt dieses Brainstormings wird nun nicht mehr mit dem großen Papierbogen durchgeführt. Kirsten nimmt weiße DIN A4 Blätter zur Hand, jeweils einer, der zuvor mit Herzen als interessant markierten Punkte aus den Tabellen wird in der der Mitte der Blätter notiert. Diese vierte Phase dient nun dazu Objekte und Subjekte zu sammeln, die mit den von uns als interessant markierten Objekten und Subjekten zu tun haben. Für die als interessant eingestuften Eltern sind das etwa: Tragetücher, Kindersitze, Elternabende, Augenrän-
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der, Wäscheständer usw. Zehn DIN A4 Blätter werden auf diese Weise zu Beziehungskarten interessanter Subjekte und Objekte gemacht. Jedes von uns gewählte Subjekt oder Objekt steht am Ende in einem Beziehungsgeflecht aus Dingen und Personen auf einem separaten Blatt. Dabei zeigen sich unterschiedliche Ansichten und Einschätzungen von dem, was relevant ist oder zu einem Objekt gehört. Oft werden vorgeschlagene Referenzen mit Geschichten oder auch Anekdoten untermauert und plausibilisiert. Diese Arbeitsphase schwankt in ihrem Charakter zwischen dem einfachen Sammeln von Ähnlichkeiten und dem diskursiven Aushandeln von Ähnlichkeiten. Gerade in dieser Phase zeigt sich, dass ein geteiltes Verständnis der Objektbeziehungen keinesfalls selbstverständlich ist. Im Gegenteil, es muss erarbeitet werden. Wir drei reagieren darauf, indem wir unser Verständnis mit Hilfe lebhafter und vor allem situationsgebundener Schilderungen untermauern. Die jeweiligen Eigenschaften werden durch das erzählerische Einbetten in Geschichten für die Diskussion regelrecht lebendig gemacht. Auf diese Weise werden die Objekte stets an einen spezifischen Kontext und eine spezifische Situation gebunden. Tabelle Nr. 1: Audiotransskript Sequenz 2 Kirsten
Kirsten
„Die Halsbänder hatten wir noch gar nicht. Das Rettungsfässchen ist ja toll. Und ich weiß, dass es zum Wandern auch Hundekleidung mit Griff dran gibt, also da kann man die Hunde dann am Rücken hoch nehmen.“ „Genau und da ist es halt so schön ortsgebunden, also die Matrosen fahren dann halt in den Hafen und lassen sich dann da so den Namen ihrer Liebsten rauf stechen und das ist dann an den Ort gebunden und das ist dann so eine Art von Tourismus, also das ist ein schöner Vergleich und bei den Sammlern gibt es ja nun auch die, die unbedingt da gewesen sein müssen.“
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Oder in dialogischer Form: Tabelle Nr. 2: Audiotransskript Sequenz 2 Nora
Kirsten Nora Kirsten Nora
Kirsten
„Die Frauen tragen Glitzer und immer diese Sachen, die so aussehen wie Haut, wie diese Schlittschuhfahrer. Aber ich weiß auch nicht wie die heißen.“ „Podeste gibt es da auch viel.“ „Ahh, Leotard heißen diese Anzüge.“ „Wie wird das geschrieben?“ „Das ist Leotard. Das sind diese Ganzkörperanzüge. Da gibt es diesen Typ, der die eingeführt hat. Irgend so ein Franzose.“ „Ok, Peitsche, Podest, Käfig, noch diverse Geräte, auf denen dann die Akrobaten rumspringen.“
Das Ergebnis dieser gut dreistündigen Arbeitssitzung ist ein Repertoire von zehn Subjekten, die in einer bestimmten Beziehung zu den anfänglich diskutierten Touristen stehen (Hunde, kleine Kinder, Eltern, Matrosen, Zirkusleute, Schäfer, Schausteller, Jäger, Sportler und Nomaden). Wichtiger noch als diese Gruppe sind die Gegenstände, Objekte und Beziehungen, die sie umgeben. Im Brainstorming folgten wir dabei durchweg dem Prinzip der Analogie und Assoziation, vom Pürierstab für die Eltern bis zur Übelkeit des Jahrmarktbesuchers. Kirsten selektierte insbesondere in der Anfangsphase, indem sie bestimmte Ideen und Vorschläge nicht aufnahm. Ein erstes Ergebnis dieses Prozessschrittes besteht in der Beschreibung der sozio-technischen Konstellationen, gleich einer Wolke aus Begriffen werden die jeweils assoziierten Subjekte und Objekte auf dem Papier um den Ausgangsbegriff herum gruppiert. Ein zweites Ergebnis ist die Erzeugung eines gemeinsamen Repertoires relevanter Objekte. Durch die Geschichten und Anekdoten in der Diskussion und durch die Worte und ihre Verbindungslinien auf dem Papier wurde für alle Beteiligten intersubjektiv versteh- und nachvollziehbar gemacht, wie und warum bestimmte Subjekte und Objekte für Touristen und ihr Navigationsproblem relevant sind. Konzeptuelle Verallgemeinerung von Sequenz Nr. 2: Die hier beschriebene Designarbeit beruht vollständig auf gesprochener und geschriebener Sprache. Zwischen Gruppen von Personen und Objekten werden Relationen hergestellt und verworfen. Objekte und Subjekte werden aufgrund von Ähnlichkeit, teils im Konsens, teils im Dissens, zusammengeführt. Dabei kommt es zu kurzen Narra-
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tionen, die die Subjekte und Objekte situativ einflechten und so einander annähern. Die Beteiligten bemühen sich Sinnbezüge intersubjektiv zu machen (vgl. Mead 1968 [1934]: 118f.). Knorr Cetina bezeichnet die Arbeit von Wissenschaftlern zum Teil als ‚Räsonieren von Analogie‘. Diese Form der Plausibilisierung von zuvor nicht bestehenden, danach aber geteilten Analogien beschreibt die Arbeit der Designer treffend (vgl. Knorr Cetina 2012: 94ff.).100 Die Tabellen und Verbindungslinien repräsentieren Verhältnisse der Beziehung, wie Ähnlichkeit oder Differenz, Nähe oder Ferne. Erst durch die Kombination der gesprochenen und geschriebenen Sprache und ihrer spezifischen Ordnung in Tabellen und Verbindungslinien, entsteht hier eine dauerhafte und intersubjektive Definition dessen, was für die Fragestellung des Designprozesses und ihre Bearbeitung überhaupt relevant ist. Kurz gesagt führen die Designerinnen hier einen Prozess der Verständigung und gegenseitigen Absicherung durch. Sie bedienen sich dabei der gesprochenen und geschriebenen Sprache. Dennoch überrascht es, dass sich Akteure ähnlichen Alters, gleicher kultureller Prägung und Muttersprache über die Eigenschaften von Touristen und anderen, zumeist selbstverständlichen, Subjekten fast drei Stunden lang aufwändig und systematisch verständigen. Warum ist diese Verständigung notwendig? Welche Antworten hat die pragmatistische Soziologie auf diese Frage? Eine pragmatistische Erklärung schließt die Annahme ein, dass sich jedes Handeln gegen Formen von Ungewissheit richtet. Hier wird Handeln mittels Sprache vollzogen. Sprache richtet sich gegen eine Unsicherheit, die auf der Frage beruht, ob das Gegenüber den sprachlichen Symbolen die gleiche oder eine andere Bedeutung zuschreibt. Diese Unsicherheit oder Kontingenz ist jeder sozialen Beziehung in unterschiedlichem Maße inhärent. Denn im Pragmatismus und in seiner Folge in verschiedenen anderen Theorien des Sozialen, ist die Verständigung zwischen zwei oder mehr Akteuren keine Selbstverständlichkeit, vielmehr ist das Verstehen unwahrscheinlich und bedarf immer wieder einer Erneuerung. Der hier beobachtete Fall, dass drei Akteure einem Sprachsymbol die gleiche Bedeutung zumessen, ist unwahrscheinlich, wie es dennoch gelingt – und hier gelingt es immer wieder – ist eine der Kernfragen der Soziologie. Mead argumentiert typisch pragmatistisch: Erst aus der unmittelbaren Reaktion auf eine Geste leitet sich ihr Sinn ab (vgl. Mead 100 Neben Knorr Cetina wären hier und an vielen weiteren Stellen Bezüge auf verschiedene Konzepte der Wissenschafts- und Technikforschung und der Studio-Studien möglich. Ziel ist es jedoch nicht einen Stand der Forschung abzubilden oder zu diskutieren, sondern eine integrative pragmatistische Perspektive auf Design zu entwickeln. Die Bezüge auf die Literatur ordnen sich diesem Anliegen unter und werden deshalb sparsam und ohne Anspruch auf Vollständigkeit gemacht.
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1968 [1934]: 116). Immer wieder neu entsteht situativ Sinn, er ist nicht etwa festgeschrieben, der Sinn wird erst anhand der Reaktionen erkennbar. Gerade in der Tierwelt ist zu erkennen, dass Gesten durch Reaktionen Sinn zugeschrieben werden, diese Reaktionen sind aber unsicher, unerwartbar und ergeben sich immer wieder neu, Verständnis und absichtsvolles Handeln ist Tieren unmöglich. Dieses ungerichtete, aber als sinnhaft interpretierbare Handeln diagnostiziert Mead als Niveau der Tierwelt.101 In Meads Theorie unterscheidet sich die Sinnkonstitution des Menschen von der zufälligen Sinnkonstitutionen in der Tierwelt. Der Mensch artikuliert ebenfalls Gesten, diese besitzen jedoch eine Signifikanz, einen geteilten Sinn durch ihr recht sicher zu erwartendes Verstehen des jeweils menschlichen Gegenübers. Eine Geste, wie auch immer diese im Einzelnen beschaffen ist, wird zu einem signifikanten Symbol, wenn Ego und Alter ihren Sinn teilen. Die Geste bekommt nun, wie in der Tierwelt, ihren Sinn durch die Reaktion, die Reaktion Alters ist jedoch für Ego zu erwarten. Absichtsvolle Interaktion wird so möglich, denn Ego weiß, dass er in Alter in etwa den gleichen Sinn mit seiner Geste auslöst wie in sich selbst. Ego kann sich darauf verlassen, dass Alter in sich, durch Egos Artikulation des Wortes Tourist, in etwa die gleiche Erfahrung hervorruft, die er selbst mit dem signifikanten Wort verbindet. Signifikante Symbole (Worte, Gesten, Schrift) ermöglichen absichtsvolle Handlungen, denn sie überbrücken die auch von Luhmann so prominent diskutierte, als doppelte Kontingenz des Sozialen bezeichnete, Unwahrscheinlichkeit des wechselseitigen Verstehens. Gerade in der zweiten Sequenz wurde sehr deutlich, wie Kirsten und Nora sich durch die vielen Geschichten und den intensiven Austausch, der stets fragilen Signifikanz ihres Objektrepertoires, vergewissern. Die oben beschriebene Arbeitssitzung diente der Produktion eines Repertoires an bedeutsamen gemeinsamen Objekten, genauer, der Signifikanzsteigerung ihrer subjektiven Bedeutungen. Die Sequenz ließ erkennen, dass sowohl Sinn als auch Signifikanz des Verstehens nicht als gegeben betrachtet werden dürfen, sie wurden hier aufwändig erzeugt und im Laufe des Projektes werden sich Kirsten und Nora wieder und wieder eines gemeinsamen Sinns versichern. Die beiden bearbeiten durch den breiten Austausch eine Unsicherheit, die den Eigenheiten menschlichen Interaktion entspringt. Der recht hohe Aufwand, mit dem sie ihr wechselseitiges Verstehen sicherstellen, mag ein Zeichen für die hohe Bedeutung von Intersubjektivität im Design sein. Versteht man Design als einen sozialen Prozess, dann muss man die jeder sozialen Beziehung inhärente Kontingenz der Kommunikation, als eine reichhaltige Quelle von Unsicherheit, ernst nehmen. Die Designerinnen gehen mit dieser Unsicherheit 101 Er wurde dafür nicht wenig kritisiert (vgl. Lüdtke 2007 und 2011).
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des Sozialen um, indem sie sich ausführlich über bestimmte Zusammenhänge und Beziehungen verständigen. Sie schaffen so eine Grundlage, für ihre stets auf Kommunikation und deren Signifikanz angewiesene soziale Beziehung. Nur das Streben nach Intersubjektivität als Quelle von Ungewissheit zu verstehen greift jedoch zu kurz. In der ersten Sequenz wurde das Designprojekt von einen unbestimmten Status in einen bestimmten ungewissen Status gebracht. Dieser Prozess wird hier fortgesetzt und abgeschlossen. Denn nach dieser Sitzung existiert ein geteiltes Repertoire an sozio-technischen Konstellationen, die für das Designprojekt relevant sind, alles was nicht darunter subsumiert ist, bleibt unbestimmt, hat keine Relevanz und wird auch nicht bearbeitet. Ungewissheit nicht aber Unbestimmtheit erlaubt es, forschendes und suchendes Handeln zu vollziehen (vgl. Dewey 2008: 134f.). Das Erstellen, Diskutieren und Kategorisieren mittels der Listen produziert und intersubjektiviert ihre Inhalte. Gemeinsame Bedeutungen werden gefunden, gemacht oder leicht verschoben in Hinsicht auf das gemeinsame Vorhaben. Es findet eine Problematisierung im Sinne Deweys statt (vgl. Dewey 2008: 134f.). Das so entstehende Repertoire an Objektnutzungen in situ besteht aus engeren und entfernteren Beziehungen, die mittels unterschiedlicher Symbole dargestellt werden. Für den Designprozess wird so ein ganzes Repertoire an relevanten Gegenständen gewiss und geht mit einem bestimmten Einvernehmen über den Inhalt und die Bedeutung des Projekts einher. Die hin und wieder auftauchende Selektivität und die von Kirsten getroffenen Entscheidungen über Inhalte zeigen, dass ein Repertoire aktiv hergestellt werden muss und keineswegs selbstverständlich ist. Auch ein das Einvernehmen ist dabei nicht selbstverständlich. Das Ergebnis dieser Sequenz ist eine geteilte Vorstellung einer abgrenzbaren, aber ungewissen Menge sozio-technischer Konstellationen. Sinnhafte Interaktion erlaubt es hier, das gänzlich Unbestimmte zu einem benennbaren, aber ungewissen Zusammenhang zu fixieren – für Dewey liegt darin die Voraussetzung mit einem forschen Handeln beginnen zu können (vgl. Dewey 2008: 135f.). Erst die Verständigung erlaubt es, aus der gänzlichen Unbestimmtheit einen bestimmten, aber ungewissen Zusammenhang abzugrenzen.
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6.3
SEQUENZ NR. 3: ENTWÜRFE FÜR EINE BESSERE ORIENTIERUNG – DIE VISUELLE DEMONTAGE UND REKOMBINATION DES ALLTÄGLICHEN
Zusammenfassung von Sequenz Nr. 3: Der bisherige Arbeitsprozess produzierte und intersubjektivierte ein von nun an geteiltes Reservoir eines abgrenzbaren Zusammenhangs von Objekten und Akteuren in ihren Beziehungen und brachte das Designprojekt von einem unbestimmten in einen bestimmten, aber ungewissen Status. Dies geschah als Sammeln, Ordnen und in Beziehung setzen von bekannten Objekten und deren Nutzungen. Im Anschluss an Sequenz Nr. 2. hat Nora die handschriftlich-tabellarischen Ergebnisse zusammenfassend geordnet, neu verschriftlicht und bebildert. Das Ergebnis von Sequenz zwei und die Arbeit von Nora fließen als schriftliche und grafische Aufbereitung zusammen, diese Darstellung (siehe Abbildungen zwei) werden im Folgenden als ‚Sedcards‘ bezeichnet. Sedcards bestehen jeweils aus einem Foto eines Objekts in Gebrauch, zusätzlich sind Funktion, Nutzer und Material in englischer Sprache beschrieben. Der Terminus Sedcard wurde von mir für die Beschreibung eingeführt und ist kein Ethnobegriff. Er steht für die knappe, aber stets treffende Kombination aus einem Bild und einer visuellen und schriftlichen Benennung zentraler Merkmale. Die Herstellung der Sedcards ist mehr als eine einfache Transformation des Formates: Durch die Zuordnung von Bildern und durch das Formulieren von Beschreibungen erweitert Nora die zuvor produzierten und intersubjektivierten sozio-technischen Konstellationen um neue Merkmale. Im Ergebnis erscheinen sie nun kompakt und geordnet. Die Sedcards stehen nun als Produkt der Arbeit für weitere Schritte zur Verfügung. Aus verschlungenen Tabellen mit unzähligen Verweisungslinien sind bunt bebilderte und übersichtliche DIN A4 Seiten geworden, die ohne verzweigte Verweisungszusammenhänge für die Betrachterin verständlich sind. Den Verweisungszusammenhang ihrer Entstehung kann man den Karten selbst nicht entnehmen.
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Abbildung Nr. 2: Die Sedcards fassen die Ergebnisse der vorherigen Sequenzen zusammen und werden gleichzeitig zum Rohstoff künftiger Designarbeit.
Spout Cup
Notes
a Tool for make drinking easier
Technology: casted synthetics
Design: cup alike with a muzzle
Design: round and colorful
User: babys, kids and old or handicaped people
User: kids and german pirate party Goal: to have fun
Goal: drinking
notepad Technology: cutted paper wich stays together with a gluey stripe
Notes
hundreds of little plastic balls
Technology: cupped synthetics
Post-it
Sphere Bath
Notes
Rotary Cloths Dryer metal frame with tightened strings
Design: alle kinds of forms but mostly squares and rectangles
Technology: aluminium tubes, synthetic strings, nods and holes, inverse umbrella folding system, roatating mechanism
User: parents, creatives, office workers, students
Design: metal, smooth surface, like a cobweb
Goal: to be organized
User: parents, housewifes and men Goal: to dry cloths
Notes
Bedeutungen und Wirkungen werden zerlegt | 155
Tattoos Body art Technology: ink and tattoo gun Design: sailorman style and all kinds of individual creations User: sailors and anybody else Goal: to expresse oneself and a collection of trophies and life stories
Notes
Compass
Notes
Navigation Tool Technology: glass, metal or wood casing, magnet needle Design: round and devided in four sections User: sailors and all people who have the need for navigation and orientation and no gps available Goal: navigation, orientation
In dieser dritten Sequenz gehen die Designerinnen zum ersten Mal in diesem Projekt über eine Analogisierung und Neuordnung hinaus, indem sie neue Entwürfe erschaffen – und zwar auf der Grundlage der in den Sedcards kumulierten Ergebnisse. Das Zerstückeln alltäglicher Nutzungsszenarien, samt ihrer komplexen Mittel- und Zweckbeziehungen, stellt den beiden Designerinnen zahllose Bausteine zur Verfügung, die sie zu neuen Nutzungsszenarien komponieren. So entsteht eine Vielzahl neuer Szenen, die aufgrund des ‚Ausgangsmaterials‘ mehr oder weniger eng um die Frage der Orientierung von Touristen kreisen. 102 Zweck und Wirkung werden in den Darstellungen stets visuell angelegt. Die Analyse der Sequenz zeigt, dass Sinn und Zweck der Entwürfe hier das zentrale Thema für die Designerinnen sind. Die stets visuelle, teils comichafte Darstellung der Entwürfe in farbigen Skizzen erlaubt es beispielsweise physikalische oder finanzielle Ungewissheiten auszublenden und so vollständig auf die Fragen der Zweckhaftigkeit der Entwürfe zu fokussieren. Skizzen, als Mittel des Designs erlauben es, bestimmte Unsicherheiten, in diesem Fall die soziale Sinnhaftigkeit, 102 Eine recht tragfähige Analogie für diesen Entwurfsprozess bietet das Spielen mit Lego. Auch hier erlaubt das Ausgangsmaterial zahllose Re- und Neukombinationen zu immer wieder anderen Szenen, gleichzeitig geben die jeweiligen Legosteine eine thematische Richtung vor. Sei es die Feuerwehr, die Polizei, die Raumfahrt oder was auch immer, das hiesige Ausgangsmaterials bleibt stets mit Fragen der Orientierung verbunden.
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zu adressieren und gleichzeitig technische oder finanzielle Details vollkommen außer Acht zu lassen. Über die Skizze gelingt eine Fokussierung auf ein ganz bestimmtes Moment, einen ausgewählten Teil von Unsicherheit der unwägbar großen ‚Gesamtunsicherheit‘ des Projektes. In dieser Sequenz wird entworfen und verworfen, bis die Designerinnen schließlich über eine gemeinsam produziertes und intersubjektiviertes Repertoire neu entworfener Objekte verfügen. Ethnografische Beschreibung von Sequenz Nr. 3: Beim Eintreten ins DRL sehe ich sogleich die offene Tür des Seminarraums. Darin sitzen weithin hörbar Kirsten und Nora und sind fröhlich bei der Arbeit. Auf einem riesigen Tisch finden sich die Sedcards. Abgebildet sind Babyflaschen, Autoscooter, Gewehre, Hundepfeifen, Zelte und vieles mehr. Es sind 50 Karten mit jeweils einem Bild vor den beiden auf dem Tisch ausgebreitet. Alle Karten zeigen eine Situation, in der ein oder mehrere Menschen mit den unterschiedlichsten Dingen umgehen, umgeben sind oder diese benutzen. Die Sedcards liegen ausgebreitet in geometrischer Harmonie vor den Designerinnen auf dem großen Gruppentisch im Besprechungsraum und sind vom Sonnenlicht beleuchtet – ein nicht pragmatistisch geschulter Beobachter könnte fast annehmen von den Karten gehe eine geradezu evozierende Anziehungskraft aus. Man möchte sie durchblättern, stapeln, gruppieren, nur um damit wieder von vorne zu beginnen. Auf Nachfrage erläutert Kirsten, dass die heutige Sitzung folgende Fragestellung zum Thema hat: „Wie kann man die Aspekte, die man in den Bildern findet auf Navigation übertragen?“ (Audiotransskript Sequenz 3) Diese Frage orientiert den Arbeitsdiskurs zwischen Nora und Kirsten. Die beiden Designerinnen beantworten die Frage aber nicht mündlich, sondern durch das Zeichnen von Skizzen. Die implizite Wahl des Füllworts ‚Aspekte‘ zeigt die Offenheit der Frage, scheinbar ist nicht klar einzugrenzen, was sinnvoll von den Bildern auf die Entwürfe übertragen werden kann. Ein Bild zeigt beispielsweise einen drehbaren Wäscheständer in einem Garten, eine Frau hängt dort Wäsche auf. Im Hintergrund befinden sich eine Schubkarre und eine Rutsche mit einem Häuschen für Kinder, der Garten kann als gepflegt bezeichnet werden, seine Grenzen sind durch eine Hecke klar gekennzeichnet. Diese überaus alltägliche Szene bietet dem aufmerksamen Beobachter eine Menge Material zur Interpretation: Eine Frau und kein Mann hängt die Wäsche auf, Rasen und Hecke sind gepflegt, die Schubkarre im Hintergrund deutet darauf hin, dass die zugehörige Familie aus finanziellen oder weltanschaulichen Beweggründen Gartenarbeit selbst erledigt. Die Rutsche und das Kinderhaus stehen für eine bestimmte Art der Erziehung, die vielleicht bereits schon für die Elterngeneration mit ihren Begrenzungshecken relevant war. Die Waschmaschine auf einer anderen Sedcard bietet
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andere Anknüpfungspunkte, auch sie kann nicht für sich allein stehen. Sie benötigt ein großtechnisches System, eine Infrastruktur aus Wasser, Strom, Maschinen und Akteuren für ihre Funktion. Die Waschmaschine kann nur aufgrund weitreichender Normung in dieses System eingebaut werden, die Normen unterliegen den Interessen verschiedener wirtschaftlicher und politischer Akteure usw. Diese Geschichten ließen sich fast grenzenlos ausweiten, immer neue Verbindungen kämen so zu Tage, denn Technik steht niemals für sich, Technik ist immer Technik in Aktion, nie aber bloßes Objekt (vgl. Rammert 2003; Latour 2006). Technik in Aktion offenbart dem aufmerksamen Beobachter immer auch ein unglaublich detailreiches Stück der Gesellschaft. Akteure und Technik bieten zahllose Verweise und Interpretationen in Hinsicht auf weitere Akteure und Dinge sowie auf die sie umgebende Gesellschaft, ein endloses Netz aus Verweisen lässt sich forschend erzeugen.103 Ein ebenfalls unter den Sedcards befindliches Beduinenzelt weist, wie andere Szenen auch, ebensolche Verweise und Verbindungen auf, es zeigt jedoch auch den Kontrast und die Differenz solcher Verweisungssysteme, denn es befindet sich in einem gänzlich anderen System aus Verweisen und sozio-technischen Beziehungen. In diesem Sinne enthält das Repertoire der Sedcards durchaus eine Vielfalt, die über die mitteleuropäische Technik in Aktion hinausweist. Die bebilderten sozio-technischen Gesellschaftsschnipsel bilden den Rohstoff, das Ausgangsmaterial der Designerinnen. Sie bilden eine bestimmte, aber undurchsichtige Menge von Gesellschaftsschnipseln. Es ist anzunehmen, dass Kirsten wenigstens implizit um diese Qualität von Technik in Aktion wusste, als sie Nora auftrug, bei der Herstellung der Sedcards immer Objekte in Benutzung für die Bebilderung der Karten zu wählen und auf septische Darstellungen von Objekten, wie sie oft in Webshops oder Katalogen auftauchen, zu verzichten. 104
103 Besonders illustrativ verfolgt Daniel Miller diesen Zusammenhang (vgl. Miller 2010). 104 Das Google tief in unsere Wissens- und Realitätsentwürfe eingewoben ist, ist keine neue These. Aber die grundlegende Bedeutung der Google-Bildersuche hat mich als Beobachter doch überrascht. Wenn die Auswahl der Bilder Relevanz hat für die Ergebnisse der Arbeit, dann hat auch der Algorithmus von Google Anteil an der Kreation neuer Objekte. Ebenso hat die Personalisierung des Suchalgorithmus eine spezifische Wirkung. Mit der leichten Verfügbarkeit von Bildern hat sich das Design vermutlich stark gewandelt, die Gegenwart dieses visuellen Werkzeuges, insbesondere in der Ausbildung der Design Studierenden, war praktisch nicht zu übertreffen.
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Abbildung Nr. 3: Mit Stift und Papier werden zahlreiche Nutzungssituationen demontiert und neu kombiniert.
Als Beobachter ist mir anfangs unklar, wie die Arbeitsaufgabe in diesem Prozessschritt zu verstehen ist. Ich schaue für eine Weile zu und lasse mir die fertigen Skizzen erklären. Nach einiger Zeit schließe ich mich Kirsten und Nora an, denn sie fordern mich auf, ebenfalls zu zeichnen. Meinem ersten Versuch fehlt es an Abstraktion, ich verwerfe die Zeichnung und beginne mit Kirsten über eine der Sedcards zu sprechen und mache daraufhin ein nuckelndes Kleinkind mit seiner Flasche zu meinem Rohstoff. An der Babyflasche interessiert mich die Tatsache, dass auch sehr kleine Kinder scheinbar immer die richtige Seite zum Mund führen und so an Tee oder Milch gelangen. Ich sehe darin eine besondere räumliche Orientierungsleistung, Nora und Kirsten teilen diese Einschätzung. Ich beginne mit Kirsten über dieses Merkmal von Babyflaschen zu sprechen. Aus der Verbindung von Babyflasche zur Orientierung von Touristen ist etwas Neues entstanden, etwas, das aus seinen Bestandteilen nicht vorhersagbar ist, eine Abduktion (ich gehe später noch genauer darauf ein). Wir kommen überein, dass insbesondere bei Entweder-oder-Entscheidungen die Ortsunkundigen häufig falsche Entscheidungen treffen, so unsere Annahme über eine typische Situation der Orientierung von Touristen. Im Gespräch entwerfen wir ein problematisches Szenario: Ein Tourist fände zwar die richtige U-Bahn Linie samt Bahnsteig, steigt dann aber in den falschen, der zwei am Bahnsteig wartenden
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Züge ein. Wir sprechen eine Weile darüber, während Kirsten bereits auf einem Blatt vor sich skizziert. In der Skizze hält ein Kind ein Objekt vor sich, welches einer Trinkflasche in ihrer Form sehr ähnelt. Die ausgestreckten Arme deuten an, dass das Kind dem Objekt folgt, ja das Objekt das Kind geradezu zieht. Die gelben Waggons und ein weißes U auf blauem Grund in der Peripherie machen die Berliner U-Bahn erkennbar. Kirsten zeichnet schnell und gekonnt. Bleistiftstriche geben den Körpern und Dingen ihre Kontur, bevor Kirsten Farben und Schatten mittels farbiger Filzstifte illustriert. Neben und nach unserem Gespräch entwickelt sie eine grobe und reduzierte Zeichnung. Aus einer flüchtigen abduktiven Idee macht sie mittels der Skizze einen dauerhaften und für dritte verstehbaren Entwurf. Den meisten Betrachtern wird schnell klar werden, dass sich der abgebildete Akteur in einem urbanen Kontext von dem Objekt in seiner Hand orientieren lässt, hierfür stehen auch Pfeil und Fragezeichen als Symbole. Eine kurze Beschreibung und die Nennung des Ausgangsobjekts vervollständigen die Skizze. Der Entwurf für ein neues, namenloses Objekt zur Orientierung ist entstanden – die Designerinnen ‚verhackstücken‘ sogleich weitere Gesellschaftsschnipsel als Rohstoff für weitere Entwürfe. Abbildung Nr. 4: Einer von vielen Entwürfen, die plastische Darstellung erlaubt es Dritten sofort den Sinn der Entwürfe zu verstehen.
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Gespräche und das Anfertigen von Skizzen verlaufen parallel, die Designerinnen fassen ihre Vorstellungen in Worte und tauschen sie aus. Kirsten und Nora signalisieren sich Zustimmung oder Ablehnung, Relevanz oder Nichtigkeit. Wie nebenbei entwickeln sie einen Ausdruck, eine Artikulation einer gemeinsamen Idee. Dewey zu Folge ‚springen‘ problematische Situation durch die Auseinandersetzung mit ihren Bestandteilen um, sie verändern sich in ihrer zeitlichen Ausrichtung und werden in manchen Fällen zu prospektiven Szenarien, eine Idee ist entstanden (vgl. Dewey 2008: insb. 135-139). Immer wieder werden Vorstellungen und Erfahrungen zur Nuckelflasche, zu Touristen und den vielen Entitäten auf den Sedcards ausgetauscht. Dabei erlauben die Sedcards, die an sie gebundenen, zahllosen Erfahrungen und Verweise handhabbar zu machen, zu verarbeiten und als Rekombination in den Skizzen zu etwas Neuem zu machen. Im Diskurs entstehen Entwürfe in Gemeinschaftsarbeit, auch wenn die beiden zeitweise allein an den Skizzen arbeiten. Zerlegung und Rekombination – möchte man die Metapher der Sedcards als Gesellschaftsschnipsel weiter bemühen – findet in der Anfertigung der Skizzen statt, die wiederum mit Vorschlägen und Ideen aus dem ständig fließenden Gespräch versorgt werden. Durch Blatt und Stift werden die Entwürfe auf Dauer gestellt und erlangen eine intersubjektive Verstehbarkeit. Abbildung Nr. 5: Humorvoll und konzentriert rekombinieren die Designerinnen neue Entwürfe aus bekannten Situationen.
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Aus zahllosen Worten und gekonnten Strichen entwickeln die beiden Designerinnen in dieser teils humorvollen, teils konzentrierten Sitzung 25 Entwürfe von sozio-technischen Konstellationen, alle stehen im Bezug zur Ausgangsfrage der Orientierung von Touristen. Ideen und Zeichnungen verschmelzen zu Entwürfen; sie bekommen so Raum, Materialität, Dauerhaftigkeit und in der Arbeitsgruppe intersubjektive Sinnhaftigkeit. Gleichzeitig strukturieren und formen sie die künftigen Vorstellungen und Entwürfe, wie noch ersichtlich werden wird. Individuelle Vorstellungen werden mit den Mitteln skizzenhafter Darstellung und dem Diskurs zu geteilten Soll-Zuständen von Objekten. Als Entwürfe repräsentieren sie geteilte Vorstellungen von sinnvollen, nicht aber preiswerten oder technisch machbaren Orientierungsobjekten – diese Ungewissheiten bleiben ausgeklammert, Niemand spricht an diesem Tag über technische Machbarkeiten oder die Kosten bestimmter Entwürfe. Bemerkenswert ist nicht allein die Produktivität der beiden, sondern vor allem ihre Fähigkeit, mittels der Skizzen, auch Dritte wie mich an der komplizierten Wechselbeziehung von Situation, Objekt und Akteur recht unmittelbar teilhaben zu lassen. Die Zeichnungen machen sehr einfach erkennbar, welcher Sinn einem Entwurf zugedacht wird. Eine schriftliche Beschreibung oder mündliche Erläuterung hätte einen ungleich höheren Aufwand zu Folge, würde aber dennoch höhere sprachliche und kulturelle Hürden der Verständlichkeit enthalten. Abbildung Nr. 6: Dieser Entwurf zeigt die Idee, die Farbe von Kleidung in Abhängigkeit von der räumlichen Position variieren zu lassen.
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Nach gut 1,5 Stunden stelle ich fest, dass wir viele Geschichten von Füchsen und Hunden ausgetauscht haben, immer ging es um fremde und eigene Orientierungen. Wir haben viel über Touristen in Berlin gesprochen, aber auch unsere Erfahrungen ausgetauscht, die wir als Touristen an anderen Orten gesammelt haben. Wieder sind Geschichten und Anekdoten aus Alltag und Urlaub der Ausgangspunkt der Designarbeit. In Kombination mit der Zergliederung der Gesellschaftsschnipsel bilden sie den Rohstoff neuer Entwürfe. Als Stückwerk erschaffen Nora und Kirsten neue sinnhafte Entwürfe. Anders als ein Funktionsmodell nötigt die Skizze die Designerinnen nicht über Kabel, Kontakte und Software informiert zu sein, Skizzen setzen den Designerinnen kaum technische oder physikalische Grenzen. Sie können ihre Kreativität von Sachzwängen unbekümmert entwickeln, adressieren dennoch durchweg eine gesellschaftliche Sinnhaftigkeit. Dass sich die Designerinnen für diese Arbeit in einem emphatischen Sinne ‚gut verstehen‘ müssen, erklärt die Arbeit in Sequenz zwei, aber auch die vielen persönlichen Geschichten, die in dieser Sitzung geäußert und verstanden wurden. Abbildung Nr. 7: Dieser Entwurf zeigt den drehbaren Wäscheständer von einer der Sedcards in einer neuen Funktion als Wegzeichen.
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Abbildung Nr. 8: Dieser Entwurf stellt Licht und Vibration als Signalgeber zur Orientierung dar.
Konzeptuelle Verallgemeinerung von Sequenz Nr. 3: Die recht lange Beschreibung dieser Arbeitssitzung ermöglicht die Konzeptualisierung besonders interessanter Zusammenhänge. Die Sequenz zeigt eine ganze Ökologie von Ungewissheit und Vergewisserung. Begonnen mit dem systematischen Hinterfragen und Zerlegen, der zuvor zusammengetragenen Gesellschaftsschnipsel, wird hier Ungewissheit befördert. Eigentlich selbstverständliche sozio-materielle Zusammenhänge werden zerlegt, wodurch die Ungewissheit wächst. Durch die Zerlegung und ihre abduktive Rekombination entstehen Entwürfe neuer soziotechnischer Zusammenhänge. Diese Rekombination reduziert den zuvor geöffneten Möglichkeitsraum wieder, wodurch die aufgeworfene Ungewissheit wiederum reduziert wird. Die Designerinnen sind in der Lage systematisch, absichtsvoll und organisiert Abduktionen und daraus folgend die Produktion von Neuheit vor zu nehmen. Sie wissen wie und mit welchen Mittel sie Neuheit produzieren können. Wie die neuen Entwürfe im Einzelnen aussehen, können sie selbstverständlich nicht erahnen, jedoch durch die vorherige Auswahl der zugrunde liegenden Gesellschaftsschnipsel beeinflussen. Die Abduktionen und Entwürfe auf visueller Basis herzustellen erlaubt es, Fragen von technischer Machbarkeit und Kosten in dieser Sequenz nicht bearbeiten zu müssen. Die visuellen Arbeitsmittel erlauben einen Fokus auf die Bedeutungen der Entwürfe.
164 | Die Praxis des Designs
Die hier beschriebene Designarbeit ist gekennzeichnet durch einen wichtigen Zusammenhang, der vor dem Skizzieren der neuen Entwürfe wirksam wird. Die Designerinnen verstehen die sogenannten Gesellschaftsschnipsel auf den Sedcards nicht als unveränderliche und feststehende Tatsachen, im Gegenteil, ein Wäscheständer, die Oberfläche eines Pullovers und vieles andere wird von ihnen in seinem alltäglichen Sinn in Frage gestellt. Was als ‚taken for Granted‘ oder ‚common Sense‘ bezeichnet wird, ist für die Designerinnen nur eine von vielen Möglichkeiten mit den Dingen, die uns umgeben, umzugehen. Diese Fähigkeit, die normalen Verwendungen und Bedeutungen in Frage zu stellen, ist der Ausgangspunkt dieser Entwurfssitzung. Die Tragweite dieses beständigen Hinterfragens zeigt sich in der Funktion des alltäglichen ‚taken for Granted‘. Es hilft Akteuren mit der Komplexität des Alltags umzugehen, denn wenn ein Pullover Mode und Wärmespender ist, ein Wäscheständer zum Trocknen derselben dient usw., ist der einzelne Akteur nicht wieder und wieder mit der Ungewissheit belastet, wofür die vielen Dinge in seiner Umgebung da sind und was er mit ihnen tun kann. Feste Bedeutungen reduzieren die Komplexität des Alltags enorm. Ignoriert man, wie es die Designerinnen tun, die geteilten Zwecke der Objekte, so erzeugt man eine spezifische, an die Objekte gebundene Ungewissheit. Es ist gerade diese Ungewissheit, auf deren Basis die Designerinnen im Folgenden arbeiten. Ausgehend von diesem generellen, ‚es könnte auch anders verwendet werden‘, gehen die beiden recht systematisch vor. Planvoll organisiert erzeugen Kirsten und Nora neue Entwürfe. Weder das in Frage stellen des Selbstverständlichen, weder induktive Schlüsse (die Babyflasche ist orientiert, deshalb sind alle Babyflaschen orientiert) noch deduktive Schlüsse (alle Babyflaschen sind orientiert, deshalb ist diese eine ebenfalls orientiert) allein vermögen zu erklären, wie es zu den neuen Entwürfen kommt (vgl. Reichertz 2011: 284; Strübing 2004: 45). Das hiesige Vorgehen hebt sich deutlich von diesen beiden regelgeleiteten Verfahren ab, denn wieder und wieder gelingt Kirsten und Nora ein Sprung, sie ereilt ein abduktiver Blitz, indem sie Nutzer, Funktion und Sinn in einen anderen Kontext verschieben. Auf diese Weise entstehen in dieser Session 25 neue Entwürfe. Der in Kapitel vier vorgestellte ‚Pattern of Inquiry‘ von Dewey beschreibt, als Teil der Logik der Forschung, die Entstehung von Ideen aus Suggestionen, die als dritte Phase von Forschung beschrieben wird (vgl. Dewey 2008: 137). Zum Begriff der Idee schreibt Dewey: „Sie treten zunächst einfach als gedankliche Anregungen, als Suggestionen auf; Suggestionen entstehen einfach, blitzen auf, fallen uns ein.“ (Dewey 2008: 137) Die Vagheit von Deweys Formulierung macht es nötig, dass Phänomen Abduktion etwas genauer zu untersuchen. Hierfür eignet sich einer von Deweys Lehrern, Charles Sanders
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Peirce. Im Folgenden beziehe ich mich dafür auf seine Rezeption durch Jo Reichertz. Diese renommierte Rezeption bietet, im Unterschied zum Original, bereits Bezüge zu soziologischen Problemstellungen: „Hier hat man sich [im Falle der Abduktion, Anm. V.J.] (wie bewusst auch immer und aus welchen Motiven auch immer) entschlossen, der bewährten Sicht der Dinge105 nicht mehr zu folgen: Eine solche Bildung eines neuen Typs, also die Zusammenstellung einer neuen typischen Merkmalskombination, ist ein kreativer Schluss, der eine neue Idee in die Welt bringt. Diese Art der Zusammenschließung ist nicht zwingend, eher sehr waghalsig. Die Abduktion ‚schlussfolgert‘ also aus einer bekannten Größe (= Resultat) auf zwei unbekannte (= Regel und Fall). Die Abduktion ist ein mentaler Prozess, ein geistiger Akt, ein gedanklicher Sprung, der das zusammenbringt, von dem man nie dachte, dass es zusammengehört.“ (Reichertz 2011: 285f.)
In dieser Sequenz vollziehen die Designerinnen immer wieder Abduktionen. In gewisser, wenn auch nicht kausal-logischer Weise scheinen die Designerinnen diese wertvolle Leistung zu kontrollieren. Das eingangs formulierte Ziel der Sitzung, ihre Vorgehensweise sowie die Vorbereitung, einschließlich der Erstellung der Sedcards, zeigen eine gründliche Organisation der Sitzung. Dementsprechend hat die Produktion abduktiver Schlüsse hier eine gewisse Systematik – die schließlich auch erfolgreich ist. Die Sedcards, die Diskussion und das Zeichnen der Entwürfe werden zu einer ‚Methode der Abduktion‘. Organisiert, absichtsvoll und systematisch kommt es zu Abduktionen, ihre Inhalte aber sind nicht vorhersehbar. Wie kann diese Kreativitätsleistung gelingen? Reichertz, seinerseits in engem Rekurs auf Peirce, bestreitet zwar, dass regelgeleitete Abduktion in einem strengen Wortsinn produziert werden könne, dennoch folgert er aus zwei Situation, dass es eine prinzipielle Haltung gibt, „die es dem Blitz [gemeint ist der abduktive Blitz, Anm. V.J.] erleichtern, auch in die eigene Forschung ‚einzuschlagen‘“ (Reichertz 2011: 286). Im Folgenden möchte ich die etwas vage bleibende Definition unter Bezug auf die obige Sequenz klarieren und ggf. erweitern. Die exemplarische Designsequenz zeigt: Abduktion lässt sich zwar nicht erzwingen, verlässlich regeln oder gar algorithmisieren, aber offensichtlich lässt sich Abduktion vorbereiten, stimulieren und ein Rahmen herstellen, indem sie geschieht. Demnach kann angenommen werden, dass mehr als ein glücklicher Zufall in dieser Sitzung dazugehört, um auf so viele Abduk105 In Kapitel 9.3 wird offenkundig, dass gerade dieses in Frage stellen eines soziotechnischen ‚Common Sense‘ ein wichtiger Teil der universitären Ausbildung von Designerinnen ist.
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tionen zu treffen. Wie aber tritt Abduktion in der oben beschriebenen Arbeitssitzung in Erscheinung und was fördert Abduktion? Gelungen ist Nora und Kirsten Abduktion nicht gerade nicht in einem allein mentalen Prozess, der Designprozess zeigte, dass die Situationen durchweg sozio-materieller Natur sind. Erst in der Interaktion entstanden neue Vorschläge, erst durch die Zustimmung und Einwände anderer wurden sie zu Ideen, erst durch die technisch-materielle Visualisierung entstand ihre Sinnhaftigkeit und Intersubjektivität. Reichertz erweitert das Verständnis von Peirce um zwei wichtige, auch in dem beobachteten Arbeitsschritt sichtbare Merkmale. Erstens, den kommunikativen Charakter von Abduktion: „Der abduktive Blitz trifft nur den vorbereiteten Geist, jedoch reicht es nicht, nur die Daten zu kennen, sondern man muss auch in jeder Phase der Forschung kommunizieren. Kommunikatives Handeln ist somit (auf mehrfache Weise) ein wesentliches Mittel, die eigenen Gedanken zu ‚beflügeln‘ und ihnen Mut für den Sprung ins Ungewisse zu geben.“ (Reichertz 2013: 33) „Nie ist bei Peirce dieser Akt des Schlussfolgerns, und das ist aus meiner Sicht eine erhebliche Verkürzung des erkennenden Denkens, Ergebnis der Kommunikation mit anderen.“ (Reichertz: 2013:30)
Zweitens und ebenso präsent in der Designarbeit ist die Verbindung von Abduktion und Visualisierung, Reichertz formuliert allgemein: „Vor den sprachlichen Zeichen (und diese fundierend) liegen nach Peirce die Diagramme. Ohne Sprache zu denken (also auch außerhalb der Sprache denken) heißt für ihn diagrammatisch zu denken. Und deshalb können Diagramme und diagrammatisches Schließen (was beileibe nicht dasselbe ist) bei Abduktionen eine Rolle spielen.“ (Reichertz: 2013:25)
Den Designerinnen gelingt es Abduktion herzustellen. Abduktion ist dabei zu verstehen, als Emergenz aus einem sozialen, visuellen und materiellen Prozess. Sedcards, Papier, Stifte, eine gewisse Stimmung, basierend auf einem stets zu reproduzierenden Konsens von Bedeutungen, Zwecken und Zielen des Handelns sind die Bestandteile der obigen ‚Abduktionssitzung‘. Die Sequenz wurde in ihrem groben Ablauf im Vorhinein organisiert, was wiederum auf eine Bewusstheit der Abduktion hinweist. Eine wichtige Voraussetzung für Abduktion ist es, die Normalität, hier die normalen Verwendungen von ganz unterschiedlichen Objekten lediglich als eine von vielen Möglichkeiten ihrer Verwendung zu se-
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hen. Das sozio-materielle ‚taken for Granted‘ darf im Design eben gerade nicht als selbstverständlich verstanden werden, im Gegenteil, es muss in Frage gestellt werden, um eine spezifische und diesem Fall auch produktive Ungewissheit zu erzeugen. Für den Designprozess, wie auch in der Wissenschaft und in anderen Bereichen, ist Abduktion als notwendige Bedingung von Kreativität vollkommen unverzichtbar. Design ist zu guten Teilen organisierte und angewandte Abduktion. In diesem gekonnten Umgang mit Abduktion liegt die Erklärung für die Kreativität der Designerinnen: Abduktion macht die Designerinnen kreativ, dass Neue in ihren Entwürfen sind präziser gesagt neue Kombinationen bekannter Zusammenhänge, ihre Grundlage sind immerzu die ungewissen, aber nicht unbestimmten Gesellschaftsschnipsel in getrennter und rekombinierter Form aus den vorherigen Sequenzen. Abduktion zeichnet sich ebenfalls durch Momente der Akkumulation und Selektion von Komplexität aus. Wenn die alltägliche Zuschreibung bestimmter Zwecken an bestimmte Objekte der Komplexitätsreduktion gilt, dann ist folglich die Auflösung dieser alltäglichen Zuschreibungen ein starker Produzent von Komplexität. Wenn der Pullover also nicht zum Anziehen da ist, sondern für alles Mögliche, dann werden die Handlungsoptionen für die Akteure sehr zahlreich und mit ihnen die Welt sehr komplex. Es ist gerade diese Komplexität, als spezifische Form von Ungewissheit, auf die die Abduktionen der Designerinnen angewiesen sind. Diese hohe Ungewissheit bildet ihre Basis. Die Abduktion selbst und ihre, als Entwurf festgehaltene Form, reduziert die aufgekommene Ungewissheit jedoch sofort wieder. Im Alltag ist der Pullover als Kleidung zum Anziehen da, hier im Design wird diese Bedeutung in Frage gestellt, der Pullover kann für kurze Zeit alles Mögliche sein. Praktisch aber wird er im Entwurf mit einer neuen Bedeutung aufgeladen, er ist beispielsweise eine einfache Form eines Displays (siehe Abbildung Nr. 8). Die Ungewissheit dieses Prozesses ist am Anfang auf einem ähnlichen Level wie am Ende, vor der Abduktion muss sie jedoch sehr hoch sein, damit neue Möglichkeiten greifbar werden. Auf diese Weise wird in den Abduktionen Ungewissheit akkumuliert und reduziert. Abduktionen, wie schon geschildert wurde, werden hier als visuelle und soziale Prozesse vollzogen. Ob eine andere Basis, als das visuelle Zerlegen und Rekombinieren möglich ist, kann hier nicht beantwortet werden. Es ist jedoch offenkundig, dass in der Visualität der vorliegenden Arbeit ein spezifischer Vorzug zu finden ist. Wieder ist es Reichertz, der in Anlehnung an Peirce, Visualisierungen als allzeit veränderbare Instrumente zu Konfiguration der Wirklichkeit beschreibt: 109 Ton und Bild dieser recht kurzen Sequenz habe ich aufgenommen, eine detaillierte Auswertung ist so recht einfach möglich.
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„Diagramme ermöglichen auch nach Peirce ein schnelles Konfigurieren von vorgestellten Sachverhalten und Ereignisabfolgen und was noch wichtiger ist: Man kann diese Konfigurationen mit wenigen Federstrichen schöpferisch umgestalten – unabhängig davon, wie die Eigenschaften des im Diagramm Dargestellten ‚tatsächlich‘ sind.[…] Kurz: Mit Strichen lässt sich leichter und freier experimentieren als mit der Wirklichkeit.“ (Reichertz 2013:27)
Zwar widerspreche ich Reichertz hier deutlich, denn die Striche selbst sind eine Form von Wirklichkeit, ich komme aber mit ihm darin überein, dass Striche und Zeichnungen spezifische Eigenschaften tragen, die hier zum Vorteil der Designerinnen eingesetzt werden, denn Visualisierungen erlauben eine ganz spezifische Bearbeitung von Ungewissheit. Die Eigenheiten ihrer Visualität erlaubt es beispielsweise systematisch alle technischen und finanziellen Ungewissheiten der Entwürfe vollständig auszublenden, dennoch sind die Entwürfe sehr gut sinnhaft zu verstehen. Es ist die Visualität der Entwurfsskizzen, die es möglich macht, ausschließlich die Sinnhaftigkeit der Gesellschaftsschnipsel zu zerlegen und zu Entwürfen zu rekombinieren ohne andere Zwänge berücksichtigen zu müssen.106 Frei von finanziellen Zwängen und ebenso frei von Bedenken technischer Machbarkeit wird durch die Visualisierungen allein die Frage nach der sozialen Sinnhaftigkeit adressiert. Diese Trennung beruht auf der Verwendung unterschiedlicher Arbeitsmittel, in den Sequenzen eins bis drei stehen visuelle Arbeitsmittel im Zentrum. Im Umkehrschluss erlaubt scheinbar die Fokussierung auf bestimmte Arbeitsmittel eine Konzentration auf bestimmte Zusammenhänge ohne eben mit der Ungewissheit anderen Zusammenhänge belastet zu sein. Es wird noch zu beobachten sein, ob Kirsten von diesen Eigenschaften der Materialität oder anderen Stoffen und Formen systematisch Gebrauch macht. In den folgenden Sequenzen wechseln die Designerinnen die Arbeitsmittel, nun werden materielle und nicht mehr visuelle Mittel vorgezogen.
106 Christian Kiesow formuliert ein treffendes Beispiel für eine inhärente Eigenschaft von Visualisierungen in der Mathematik: „Das Bild einer unendlichen Menge reeller Zahlen z.B. wird immer aus endlich vielen Punkten bestehen, da jeder Farbpunkt eines Bildes als empirisch-materielle Entität einen gewissen Raum einnimmt und nicht dimensionslos ist. Mathematische Strukturen verfügen also über eine Eigenlogik, die grundsätzlich nicht „materialisiert“ werden kann.“ (Kiesow 2012: 256)
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6.4
SEQUENZ NR. 4: MISCHEN UND DRUCKEN – MODELLBAU IN DER SIEBDRUCKWERKSTATT
Zusammenfassung von Sequenz Nr. 4: Im Anschluss an die Entwurfssitzung entscheidet sich Kirsten einem der Entwürfe zu folgen. So soll die visuellsinnhafte Darstellung des Entwurfs in dieser Sequenz ein materiell-technisches Äquivalent erhalten. Die bisher symbolisch-visuelle Designarbeit wird nun zu einer materiellen Produktions- und Bastelarbeit. Ziel dieser Sequenz ist die Herstellung einer Reihe von Funktionsmodellen zur Prüfung eines bestimmten physikalischen Zusammenhanges. Die technische Funktion der Farbänderung (Thermochromie) soll dem Entwurf entsprechend als Signal für bestimmte Situationen der Orientierung nutzbar sein. Zur Prüfung der Machbarkeit dieser technischen Funktion werden in dieser Arbeitseinheit einige Modelle hergestellt. Als Ergebnis dieser zweitägigen, durchweg sehr handwerklichen Arbeit finden sich etwa 20 Funktionsmodelle in absichtsvoll variierender Ausführung. Eine Reihe der Modelle kombiniert verschiedene Stoffe mit einer besonderen Siebdruckfarbe, die als elektrischer Leiter verwendbar sein soll. Weitere Modelle bestehen aus Siebdruckfarbe, die auf unterschiedliche Temperaturen mit einer Farbänderung reagieren sollen. Beide Modellreihen beruhen auf Mischungen von Siebdruckfarbe und anderen Substanzen, sie werden im Siebdruckverfahren auf unterschiedliche Trägerstoffe aufgetragen. Nora variierte dabei die Zusammensetzungen der Farben, um eine Vergleichbarkeit der gesuchten Eigenschaften von Verfärbung und Leitfähigkeit herzustellen. Sowohl die elektrisch leitende Farbe zum Aufdrucken, vor allem aber die thermochrome 107 Farbe sind als technische Basis für den ausgewählten Entwurf hoch relevant. Ethnografische Beschreibung von Sequenz Nr. 4: Kirsten und Nora besprechen sich morgens im Großraumbüro des DRL. Als ich eintreffe betrachten und probieren sie gerade alte Funktionsmodelle thermocromer Farbe. Wieder beginnt ein Arbeitsprozess mit dem Rekurs auf Bestehendes, diesmal jedoch auf eigene Vorarbeiten, denn Kirsten liegen noch einige alte Modelle aus einem anderen Designprojekt vor. Die zugrunde liegende Erwartung, dass ein elektrischer Widerstand das Stahlgarn in den bereits vorliegenden alten Modellen erwärmt und in der Folge eine Farbänderung der temperatursensiblen Farbe auslöst, wird enttäuscht. Weder erwärmen sich die metallischen Drähte in den Modellen, noch tritt eine Farbänderung ein. Nur kurz wird die Stromspannung gemessen, die 107 Als Thermochromie wird in der Chemie die Änderung der Farbe eines Stoffes in Folge von Temperaturwechseln bezeichnet (vgl. dwds 2017: Thermochromie)
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Batterie oder auch das Alter der Modelle werden als mögliche Ursachen für das Ausbleiben der Farbänderung in Erwägung gezogen. Nach wenigen Minuten beenden die Designerinnen die Auseinandersetzung mit den alten Modellen. Kirsten und Nora wenden sich der Arbeitsplanung und damit dem laufenden Projekt zu. Abbildung Nr. 9: Für die verschiedenen Siebdrucke mischt Nora unterschiedliche Farben und dokumentiert deren Zusammensetzung.
Ich werde Nora den ganzen Tag begleiten. Nach der Arbeitsbesprechung mit Kirsten verlassen wird das DRL und gehen mit einer Kiste voller Farben, Stoffe und weiterer Chemie zur Siebdruckwerkstatt der Universität der Künste (UDK). Dort suchen wir zunächst das Büro von Herrn S. auf. Der freundliche Werkstattleiter öffnet uns die Siebdruckwerkstatt, während Nora ihr Anliegen schildert. Die beiden sprechen über Farben, Trägerstoffe und Pigmente. Die für den Verlauf der Arbeit entscheidende Frage, ob eine bestimmte Farbe wasser- oder alkohollöslich ist, veranlasst Herrn S. zu einem kurzen Versuch, dieser verläuft folgendermaßen: Nora: „Soll ich das [Lösungsmittel, Anm. V.J.] schnell im Internet nachsehen?“ S.: „Nee, das probieren wir gerade mal aus.“ Daraufhin holt er ein altes Siebdrucknetz, trägt die fragliche Farbe auf und riecht daran, die Farbe erscheint ihm nicht alkoholbasiert. Ein zweiter Test bestätigt seine Annahme: Nach kurzem Kontakt mit einem Lösemittel für wasserbasierte Farbstof-
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fe spült Herr S. mit einem Hochdruckreiniger zügig die Farbe vom Siebdrucknetz – die Farbe löst sich gut. Bereits im Eingangsgespräch mit dem Werkstattleiter zeigt sich ein bestimmtes Muster des Prüfens, welches über den gesamten Tag wieder und wieder auftaucht. Bestimmte Annahmen werden durch kleine Tests am Material bestätigt oder widerlegt. Dieses Muster ist während der Arbeit in der Siebdruckwerkstatt sehr häufig zu beobachten, in den Sequenzen eins bis drei hingegen blieb es vollkommen aus. Hier wird erkennbar, dass die handwerkliche Arbeit des Druckens immer wieder von kurzen Tests und Experimenten durchsetzt ist. Sie besteht sogar zu einem guten Teil aus diesen Tests und Experimenten, die häufig vor der ‚eigentlichen Arbeit‘ des Druckens eingesetzt werden. Dieses händische Probieren und Prüfen tritt häufig auf. Das kurze Ausprobieren von stofflichen Eigenschaften, die sinnliche Vergewisserung der Eigenschaften von chemischen Zusammensetzungen, dem Zustand von Werkzeugen oder anderer verwendeter Geräte und Materialien leitete in Form der Betrachtung alter Funktionsmodelle ja bereits diese Sequenz ein. Scheinbar wird in der Werkstatt und generell bei der materiellen Arbeit, ein kurzes Ausprobieren des jeweiligen Gegenstands gegenüber der Recherche oder Diskussion bevorzugt. Scheinbar geht es hier nicht nur um einen Konsens des Verstehens, wie in den vorherigen Sequenzen, sondern um eine Falsifikation von Annahmen hinsichtlich der materiellen Eigenschaften. Das gut 15 minütige Gespräch zwischen Nora und dem Werkstattleiter gleicht einer intensiven Beratung mit einigen kleinen Exkursen des Probierens und Prüfens. Nora folgt mit ihren zahlreichen Fragen dem Arbeitsprozess und stellt somit Herrn S. ihre Arbeitsplanung vor. Herr S. teilt bereitwillig seine Expertise zu Bronzebindern, transparenten Bindern und vielem anderen mit ihr. Die ausführliche Beratschlagung führen die beiden mit Bedacht und großer Ruhe zu Ende. Im Fortgang der Arbeit zeigen sich viele der Fragen und Auskünfte als relevant, allerdings tauchen auch nicht wenige neue Fragen und Ungewissheiten auf. Die Herstellung der Modelle geschieht in zahlreichen, mitunter gegensätzlichen Arbeitsschritten. Neben filigraner Fototechnik zur Belichtung der Siebe steht die grobe und laute Arbeit mit einem Hochdruckreiniger und Lösemitteln zum Auswaschen der Drucke und zur Reinigung der Siebe. Für die Herstellung der Farbe kalkuliert und mischt Nora deren Zusammensetzung mit einer Waage. Dabei dokumentiert sie stets gründlich ihr Vorgehen, so gleicht es einer Versuchsreihe, in der nach und nach die Variablen verändert werden. Dies ermöglicht zu einem späteren Zeitpunkt den Vergleich der verschiedenen Zusammensetzungen. Zwischendurch verlässt Nora die Siebdruckwerkstatt und sucht die
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Stoffwerkstatt der UDK auf, um dort die verschiedenen Stoffproben aus unterschiedlichem Material zu glätten. Neben vielen gut ausgestatteten Werkstätten unterschiedlicher Gewerke bietet die UDK eine enorme Expertise an, denn in jeder Werkstatt gibt es einen Experten als Ansprechpartner für die Studierenden, die dort für ihre Seminare und Abschlussarbeiten tätig sind. Aber nicht nur die Expertise ist gegenwärtig, die Werkstätten sind gefüllt mit Werkzeugen, Maschinen und Materialien, wodurch die Expertise beständig praktisch demonstriert und vermittelt werden kann. Die jeweiligen Werkstattleiter mit ihrer Expertise in Kombination mit den Werkstätten, Werkzeugen und Materialien sind zweifellos die entscheidende Ressource, der dort arbeitenden Studierenden.108 Verglichen mit den Vorbesprechungen und den Vorbereitungen ist das Bedrucken der Stoffe erstaunlich schnell geschehen. Als Druckschablone dient jeweils ein feines gespanntes Netz in einem Holzrahmen. Auf dieses Netz oder Sieb (deshalb der Terminus Siebdruck) wird eine lichtempfindliche Flüssigkeit aufgetragen. Hierfür wird jeweils das Siebdrucknetz eingestrichen, bis das Sieb vollständig verschlossen ist. Entsprechend des gewünschten Drucks deckt Nora nun bestimmte Teile des Siebs ab und legt die Siebdruckschablonen in einen Lichtschrank. Durch die Abdeckung werden nur bestimmte Bereiche des Drucksiebs belichtet. Die belichteten Zonen werden brüchig und anschließend mit dem kräftigen Wasserstrahl eines Hochdruckreinigers ausgewaschen – das Sieb ist fertig für den Druck.
108 Im Lichte dieser Unverzichtbarkeit der jeweiligen Experten erscheint eine damals aktuelle Kürzung ihrer Stellen fatal, ist doch die Arbeit und Ausbildung der Designstudierenden auf das engste mit der handwerklichen Ausbildung verbunden.
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Abbildung Nr. 10: Nora entfernt mit dem Wasserstrahl eines Hochdruckreinigers die nicht benötigte Farbe aus dem Sieb, das Streifenmuster ist die Vorlage für die Drucke.
Hierfür wird die Siebdruckschablone mit ihrem gespannten, teilweise durchlässigen Netz auf die Stoffprobe aufgelegt und mit Gewichten beschwert. Nachdem Nora je ein oder mehrere Siebe auf den zu bedruckenden Stoff gelegt hat, trägt sie Farbe auf und verstreicht diese mit einem festen Gummi. Auf diese Weise gelangt die Farbe gleichmäßig durchs Sieb auf den Stoff. Nach dem Abnehmen des Drucksiebs ist der Farbaufdruck in seiner jeweiligen Qualität sofort erkennbar. Der Druck muss nun noch trocknen, bis er fertig ist. Bei dieser Arbeit sind gerade die Vor- und Nachbereitung sehr zeitintensiv, so beginnen wir mit dem eigentlichen Drucken erst um 15 Uhr. Parallel zum Drucken mischt Nora weiter Farbe, diese macht sich auf Händen und Kittel und auch im Gesicht von Nora breit, sie ist sehr konzentriert und redet wenig. Immerzu begleiten kritische und prüfende Blicke die praktische Arbeit des Druckens: Ist der Druck sauber oder sind die Kanten verlaufen? Ist der Farbauftrag gleichmäßig oder mangelt es an Farbe? Schon oben habe ich das beständige Wechselspiel zwischen Annahmen und Wissen einerseits und dem prüfenden Anfassen, Riechen, ja einem systematischen Ausprobieren anderseits beschrieben. Dieses Muster des Forschens aus Annahmen und Prüfungen spannt sich mal über wenige Augenblicke oder bei anderen Gelegenheit auch über Stunden, denn das Drucken selber ist nichts
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anderes als ein Teil einer prüfenden Auseinandersetzung. Sicht- und Fühlbarkeit sind dabei allgegenwärtig, aber auch das Riechen der Farben und anderer Stoffe ist Bestandteil der Arbeit. Dabei ist die Arbeit nicht einfach als lineare Abfolge zu erledigender Tätigkeiten strukturiert, vielmehr organisiert Nora die Arbeitsabläufe geschickt um die Topf- und Belichtungszeiten der verschiedenen Substanzen mit denen sie arbeitet. Arbeitsgänge werden unterbrochen, um Tätigkeiten auszuführen, die zeitlich nicht flexibel sind. Wartezeiten, die durchs Härten oder Belichten entstehen, füllt Nora mit Arbeiten, die leicht wieder unterbrochen werden können. Abbildung Nr. 11: Nora schneidet die Stoffe zu, bevor diese im Siebdruckverfahren bedruckt werden.
Nora verbringt etwa zwei Tage in der Siebdruckwerkstatt, am ersten Tag unterstütze ich sie. Das Herstellen der Modelle ist arbeitsintensiv, zeitlich aufwändig und handwerklich anspruchsvoll. Die ausgeführten Tätigkeiten sind enorm vielseitig, von einfachen und repetitiven Aufgaben, wie dem Reinigen der Siebe, zu
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manuell anspruchsvollen Tätigkeiten, wie dem Auftragen der Farbe. Wo es nötig ist hilft der Werkstattleiter mit Ratschlägen. Die manuelle Arbeit findet sich im ständigen Wechsel mit intellektueller, antizipativer Arbeit. Nora produziert eine ganze Modellreihe von gut 20 Exemplaren und variiert hierfür die Konzentration der Farbe, verändert das Verhältnis von Farbpigmenten und wechselt die Trägerstoffe. Hierfür kalkuliert und dokumentiert sie die Mischungsverhältnisse der Farben. Die bisher kreative und planvolle Tätigkeit der Designerinnen wird im Bau der Modelle zu einer handwerklichen Tätigkeit. Nora arbeitet mit den unterschiedlichsten Materialilien und Werkzeugen, die breite Spanne an Tätigkeiten und die niedrige Arbeitsteilung im Design zeigt sich hier recht deutlich. Diskutiert, aufgeschrieben und skizziert wird auch hier, allerdings stehen die Materialien und ihre Eigenschaften im Zentrum der Bemühungen von Nora. Konzeptuelle Verallgemeinerung von Sequenz Nr. 4: An zwei arbeitsintensiven Tagen in der Siebdruckwerkstatt hat Nora sich eine gewisse Expertise im Siebdruckverfahren erarbeitet. Offenkundig wird eine Diskrepanz zwischen der recht zügig verlaufenen Sinnstiftung in der Entwurfsarbeit in Sequenz drei und dem hohen Aufwand der materiellen Herstellung von Funktionsmodellen. Der Vergleich offenbart einen gleichermaßen wichtigen, wie grundlegenden Unterschied: In der verbalen und visuellen Entwurfsarbeit vergewissern sich Kirsten und Nora beständig über geteilte, gemeinsame Bedeutungs- und Sinnzuschreibungen. Dadurch findet auf unterschiedlichen Ebenen eine Form der Verständigung oder Intersubjektivierung unterschiedlicher Themen und Fragen statt. Dieses Muster der Verständigung weicht in dieser Sequenz zum ersten Mal einem Muster der materiellen Prüfung. In allen Sequenzen präsentiert sich die Designarbeit als Manipulation von Ungewissheit, hier zeigt sich jedoch eine neue Form der Vergewisserung. Nora hegt bestimmte Annahmen und Zuschreibungen, beispielsweise über das Lösemittel. Eine Klärung wird jedoch nicht oder nicht allein über einen sozialen Konsens herbeigeführt. Die Klärung durch eine Prüfung am Material erhält in der handwerklichen Arbeit durchweg den Vorzug. Annahmen werden nun nicht mehr geteilt, sie werden am Material geprüft. Das Material wird betrachtet, betastet, gerochen, anderen Materialien und Substanzen ausgesetzt und so weiter. So ist in dieser Sequenz eine neue Form der Vergewisserung in der Designarbeit erkennbar. Nora tritt Ungewissheit hier als eine materielle Eigenschaft entgegen und sie bearbeitet Ungewissheit nun auch als Eigenschaft von Gegenständen und Materialien. In den vorherigen Sequenzen dagegen wurden Fragen materieller Eigenschaften und Wirkungen absichtsvoll ausgeklammert, indem ausschließlich
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visuelle Arbeitsmittel verwendet wurden. Die Sequenzen drei und vier unterscheiden sich durch eine unterschiedliche Trennung: In der dritten Sequenz reduzierten die visuellen Arbeitsmittel die Arbeit auf Fragen der Sinnhaftigkeit von Entwürfen. In der vierten Sequenz dagegen resultiert die Verwendung materieller Arbeitsmittel in der Bearbeitung materieller Wirkzusammenhänge. Diese, auf den Arbeitsmitteln beruhende, Trennung ist ebenfalls eine spezifische Form der Reduktion von Ungewissheit. Als Quelle von Unsicherheit sieht Nora in dieser handwerklichen Sequenz scheinbar die Eigenschaften von Werkzeugen, Materialien und vor allem der Modelle, hieran orientiert sich ihre Arbeit in dieser Sequenz. Das Brainstorming und die Entwurfssitzung orientierten sich ebenfalls an bestimmten Unsicherheiten und bearbeiteten diese mit Sprache und Symbolen. Diese Unsicherheit Bezog sich allerdings auf Sinnzuschreibungen von Objekten und auf die Ähnlichkeit von Objekten. Kurz gesagt, in Sequenz drei wurde nicht mit den Eigenschaften der Materialien selbst gearbeitet, sondern vielmehr mit deren Bedeutungen und Sinnzuschreibungen. Gerade die Sequenzen drei und vier zeigen, dass die stets aufeinander verweisenden Fragen von Sinn und Funktion, von Zweck und Material, durch die spezifische Organisation von Kirsten jeweils separat und getrennt voneinander designbar gemacht wurden. Diese kurzfristige und niemals vollständige Division von Wirkung und Bedeutung ist für den Designprozess möglicherweise entlastend. Generell scheint die Herstellung und Prüfung von Mitteln in bestimmten zirkulären Mustern zu verlaufen. Annahmen werden getroffen, diese werden am Material geprüft, die Prüfung falsifiziert oder bestätigt die Annahmen. Dieses Muster aus Annahme und Prüfung wiederholt sich beispielsweise in der oben erörterten Frage nach dem Lösemittel innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne und ist immer wieder im Prozess zu beobachten. Die Herstellung der Modelle und ihre in Sequenz fünf anstehende Prüfung dauert mehrere Tage, folgt aber der gleichen Logik, nur in einer wesentlich längeren Zeitspanne. Insgesamt zeigt sich im Wechselspiel zwischen Annahmen, Antizipation, Erfahrung und Wissen auf der einen Seite und dem Probieren und Testen auf der anderen Seite der Primat des Probierens in der Auseinandersetzung mit dem Materiellen und Wirksamen recht deutlich. Dieses spezifische Muster des Umgangs mit materiellen Fragen des Designs spielt auch in der folgenden Sequenz eine bedeutende Rolle.
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6.5
SEQUENZ NR. 5: FUNKTIONIEREN DIE FUNKTIONSMODELLE?
Zusammenfassung von Sequenz Nr. 5: Es liegen zahlreiche Funktionsmodelle aus der vorherigen Sitzung vor. Die Modelle sind etwa DIN A4 Blatt groß. Auf unterschiedlichen Stoffen befinden sich mehrere unterschiedlich breite Streifen thermochromer Farbe. Alle Streifen sind mit einem Stahlgarn durchnäht. Die elektrisch leitfähige Farbe ist ebenso auf unterschiedlichen Stoffen aufgedruckt, anders als die thermochrome Farbe ist sie jedoch nicht mit einem leitenden Garn durchnäht. Kirsten und Nora erwarten von den Modellen ein bestimmtes physikalisches Zusammenwirken ihrer Elemente, zur Funktion der Farbänderung oder Spannungsübertragung. Die Herstellung der Modelle war zeitlich aufwändig. Ob die Modelle die Erwartungen der Designerinnen erfüllen, wird in dieser Sitzung geprüft. Durch das unerwartete Ergebnis ihrer Prüfung in dieser Sequenz wird der aktuelle Entwurf von neuem in Frage gestellt. Ethnografische Beschreibung von Sequenz Nr. 5: Von den etwa 20 Modellen sollen einige als elektrische Leiter verwendbar sein. Zunächst wird deren elektrische Leitfähigkeit geprüft, hierfür misst Kirsten den elektrischen Widerstand in Ohm mit einem Multimeter.109 Abbildung Nr. 12: Durch das Anlegen der Kontakte des Multimeters werden handlungsleitende Annahmen überprüft. Kirsten misst die Leitfähigkeit der Funktionsmodelle.
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Gestapelt liegen die Siebdrucke auf einem Tisch in der Werkstatt des DRL. Kirsten hat einen Multimeter vor sich liegen, dessen Pole sind je mit einem roten und einem schwarzen Kabel verbunden, an den Enden der Kabel sind Krokodilklemmen befestigt. Das oberste Modell, ein netzartiger Stoff mit einem Aufdruck reich an leitfähigem Kupferpulver, wird zuerst gemessen: Kirsten drückt die zwei Krokodilklemmen auf den Stoff und schaut auf das Display, nun drückt sie die Kontaktstellen ihres Messgerätes auf unterschiedliche Punkte des Stoffes. Sie variiert die Messpunkte in den folgenden Augenblicken etwa zehnmal, ihr Blick wandert zwischen Stoff und Display hin und her. Tabelle Nr. 3: Audiotransskript Sequenz 1 Kirsten (00:01)
„Gucken wir mal, ob irgendwas irgendwie leitet, bevor wir mit der Batterie daran gehen. So das ist jetzt ½ Kupfer, so der macht schon mal nichts, der macht wirklich überhaupt nichts.“
Nora (00:20)
„Dann werden die anderen nichts machen, weil ich habe hier die Hälfte von der Mischung und dann nochmal.“
In den ersten zwanzig Sekunden bleibt unklar, ob das Modell elektrisch leitet, denn auch nach der ersten Aussage misst Kirsten weiter und weiter. Sie blickt dabei abwechselnd auf Messgerät und Funktionsmodell. Schließlich beendet sie die Messung – es ist keine Leitfähigkeit messbar. Unmittelbar nach dieser gründlichen und mehrfachen Messung stellt Nora das Experimentieren ein und formuliert eine induktive Folgerung in Hinsicht auf die Eigenschaften weiterer Modelle (siehe Nora 0:20). In weniger als einer halben Minute scheitern die gleichermaßen lang und intensiv verfolgten Absichten, die Siebdrucke als elektrische Leiter zu verwenden am Ergebnis dieser Messung. Als visueller und verbaler Entwurf stabilisierte sich die farbveränderliche Kleidung im bisherigen Verlauf von diesem Projekt. In dieser Sequenz scheitert der Entwurf innerhalb von Sekunden durch die enge Auseinandersetzung mit dem Material, genauer, durch die Prüfung seiner Eigenschaften.
109 Ton und Bild dieser recht kurzen Sequenz habe ich aufgenommen, eine detaillierte Auswertung ist so recht einfach möglich.
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Tabelle Nr. 4: Audiotransskript Sequenz 2 Kirsten (00:27)
Nora (00:40) Kirsten (00:45) Nora (00:48) Kirsten (00:50)
„Wenn das richtig dick, wenn da so eine richtige Blobsschicht110 drauf ist, weil da ist es nicht so richtig fett aufgetragen. Selbst wenn man es da nebeneinandersetzt.“ (Hinweis durch eine Handbewegung auf eine andere Materialprobe) „Ja, aber selbst dann und hier ist eher weniger sagst Du.“ „Hmmhm (Zustimmung). Wenn das nichts macht, dann werden die nichts machen.“ „Nee. Weil sieht das halt schön aus, kann man noch irgendwie als Farbe benutzen.“
Induktiv wird von Kirsten und Nora verallgemeinert, dass die weiteren Proben ebenfalls nicht leitfähig sind (00:27 bis 00:48). Nora wiederholt und bestärkt die Vermutung von Kirsten. Auch der beschwichtigende Vorschlag von Kirsten, die Kupferfarbe nun konventionell als Farbe zu verwenden richtet sich, wenn auch eher scherzhaft, auf das weitere Vorgehen im Projekt.
110 Dieser lautmalerische Begriff bezeichnet eine besonders dick aufgetragene Farbschicht, eine Farbschicht, die eher aufgetropft als aufgemalt wurde.
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Tabelle Nr. 5: Audiotransskript Sequenz 3 Valentin (00:57) Kirsten (00:59) Nora (01:04) Kirsten (01:14) Nora (01:17) Kirsten (01:20)
Nora (01:41) Kirsten (01:42) Nora (01:45)
„Das war die, das Kupfer?“ „Genau, das ist das Kupferpulver in unterschiedlichen Bindern, oder? Du hast hier ne transparent?“ „Doch doch, zweimal transparent in unterschiedlicher Intensität und einmal Bronze.“ „Silber zuckt auch nicht.“ „Schade“ „Aber das kann halt sein, dass es einfach, dadurch dass es auch noch gebrochenes Gewebe ist (Pause) aha, also wenn man ganz doll aufdrückt und sehr beieinander ist, mit den Klipsen vielleicht (lacht).“ „Nichts macht er.“ „Nee! Das tut nichts.“ „Naja gut.“
Kirsten misst weitere Modelle, sie wiederholt und variiert dabei häufig die Kontaktauflage des Messgerätes. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich nun wieder gänzlich auf die Funktionsmodelle. War zuvor Kupfer als Basis der elektrischen Leitfähigkeit antizipiert worden, so sollen in den nun vorliegenden Modellen Silberpartikel elektrisch leiten. Das Vorgehen von Kirsten, wieder und wieder an verschiedenen Punkten zu messen, wiederholt sich hier mit dem gleichen Ergebnis – auch auf Basis von Silber haben die Drucke keine elektrische Leitfähigkeit. Ähnlich wie Nora zuvor formuliert nun Kirsten aus dem unbefriedigenden Ergebnis eine allgemeine Folgerung zur Erklärung des Scheiterns: Das gebrochene Gewebe könne die Leitfähigkeit verhindern. Allgemein ist ihre These, weil sie nicht nur für ihre Stoffprobe, sondern für alle Stoffproben mit gebrochenem Gewebe gilt. Mit einem kurzen, aber aufmerksam beobachteten Ausschlag des Multimeters endet die Prüfung dieses Modells, doch scheinbar haben sich lediglich die Kontakte berührt, der Ausschlag des Messgeräts lässt sich messend nicht wiederholen. Wieder und wieder werden die vorliegenden Modelle gemessen, so erzeugen sich die beiden langsam Gewissheit darüber, dass die Funktionsmodelle nicht leitfähig sind. Sie widerlegen unfreiwillig ihre eigenen Erwartungen am Material. Die Details der Durchführung der Messungen sind bemerkenswert. Während dieser Arbeitssitzung wird eine gewisse Unverbindlichkeit der Messungen erkenntlich, denn Kirsten führt Messung auf Messung durch, offensichtlich in
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der Erwartung doch eine Leitfähigkeit zu finden, um ihre Erwartung zu bestätigen. Immer wieder setzt sie Plus- und Minuspol des Multimeters auf den Stoff, variiert die Messpunkte und den Druck und schaut auf das Display des Messgerätes. Die anhaltende Wiederholung der Messung erscheint fast, als wollte sie dem Modell doch noch das gewünschte Ergebnis abringen. Physisch ist eine Leitfähigkeit messbar oder nicht, dennoch zeigt hier die intensive, aufwändige interaktionistische Erarbeitung des Ergebnisses, dass auch ein binärer Zustand dem Material mühsam abgerungen wird und keinesfalls sofort eindeutig ist. Gleichwohl bedeutet der gesteigerte Aufwand nicht etwa, dass ein Ergebnis unverbindlich oder interpretativ flexibel ist – es beruht auf der physischen Eigenschaft des Stoffes, gleichwohl muss jede Prüfung des Materials interaktiv vollzogen werden. Vielleicht sind es die konträren Erwartungen der Designerinnen, die sie recht lange in Auseinandersetzung am Material verharren lassen, denn im Scheitern zeigt sich die ursprüngliche Erwartung von Kirsten und Nora. Erst eine Vielzahl von Messungen, der Wechsel der Funktionsmodelle und ein kurzer Messfehler führen zur der Erkenntnis, dass die Drucke als elektrische Leiter nicht geeignet sind. Später in der Sitzung legen Kirsten und Nora Spannung an ein Silbergarn an, welches als Heizdraht eine Farbänderung herbeiführen soll. Die Messung verläuft ähnlich, insofern nicht das erwartete und angestrebte Ergebnis auftritt und die Messung wieder und wieder durchgeführt wird. Anders als zuvor wird für die Messung nicht das Multimetermessgerät verwendet, Kirsten und Nora reicht ein Auflegen ihrer Finger, sie möchten die Wärme der vermeintlichen Heizdrähte erspüren. Sie legen nun wieder und wieder ihre Finger an den Draht, bis schließlich zu einem unwägbaren Zeitpunkt der Test für sie eindeutig ist. Auch hier wurde das Ergebnis interaktiv erarbeitet. Dass kognitives Erleben, wie das Fühlen einer Temperatur, viel Raum für Interpretation lässt, verwundert zunächst nicht („Fühlst Du was?“, „Wird der Faden warm?“). Da aber die darauffolgende Messung mit dem Multimeter ebenso verläuft, scheint die interpretative Flexibilität nicht durch das Messinstrument (Finger oder Multitmeter) verursacht. Ausführliches Probieren gegenüber unerwarteten Ergebnissen ist wohl eher ein Merkmal von Messungen, als von Messinstrumenten. Auch binäre Zustände (Strom fließt oder Strom fließt nicht, warm oder kalt) sind nicht einfach abrufbar, sondern gehen auf ein intensives Interagieren mit dem Material zurück. Ein Modell hat zwar bestimmte Eigenschaften, es muss allerdings intensiv und aktiv bearbeitet werden, um diese Eigenschaften hervorzubringen. Der hier dargestellte Test offenbart sich, bei genauer Betrachtung, als intensives Agieren mit dem Material, bis schließlich ein bestimmtes Ergebnis feststeht und nicht wieder in
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Frage gestellt wird. Wann genau also aus einer Prüfung ein Fakt hervorgeht scheint wenig berechenbar. Bemerkenswert ist die Differenz der Zeitdauer zwischen Messungen, die erwartungsgemäß verlaufen und solchen mit unerwartetem Ergebnis: Diejenigen Messungen, die ein erwartetes, positives Ergebnis haben werden nicht wieder und wieder durchgeführt, sie enden in dem Moment, in dem das positive Ergebnis sichtbar wird. Messungen dauern scheinbar nur so lange, bis das erwartete Ergebnis eintritt. Tritt die Erwartung nicht ein dauert die Interaktion – wie oben – recht lange. Die Vergewisserung von etwas Unerwartetem scheint aufwändiger, unerwartete Ergebnisse resultieren aus längeren Phase von Interaktionen. Durch die Entscheidung für den Entwurf, der die thermochrome Farbe verwendet, einschließlich seiner modellhaften Umsetzung anhand eines bestimmten Konstruktionsprinzips in der Siebdruckwerkstatt, entwickelte sich der Designprozess nach den Plänen von Kirsten und Nora. Die Lösung des ursprünglichen Designproblems wurde gewisser. Allerdings öffnet sich der Designprozess mit der fünften Sequenz, da die Funktionsmodelle keineswegs die antizipierten Eigenschaften aufweisen. Ihr Entwurf wurde mittels Sprache geboren, als Skizze weiterentwickelt und sollte nun als Model prüf- und wiederholbar werden. Dieser dritte Schritt aber misslingt! Die Arbeit mit den Modellen revidiert ihre Vorstellungen und Erwartungen. Das ‚Arbeitsmittel Funktionsmodell‘ erwies sich nicht als anschlussfähig für die Vorstellungen von Kirsten und Nora. Schließlich verwerfen die beiden in dieser Sequenz ihre Vorstellung der Farbänderung mittels thermochromer Farbe in dieser Form. 111 Das Arbeitsmittel Funktionsmodell steht damit in einem deutlichen Kontrast zu anderen Arbeitsmitteln, wie der sprachlichen Beschreibung oder der Skizze, mit denen sich die Vorstellungen zur 111 Die Arbeit mit der Idee der Farbveränderlichkeit wurde noch kurz weiterverfolgt. Auf Grundlage einer Recherche und einer Beratung in einem Fachgeschäft für Elektronikbauteile konstruieren Kirsten und Nora zunächst einen neuen Schaltkreis mit einem Heizdraht. Die Stromquelle war nun anstelle von einer 9 V Batterie ein an das Stromnetz angeschlossenes Netzteil. Wie ich in einem späteren Interview erfahren habe, erwärmten und verfärbten sich die Farben nun tatsächlich. Durch den immensen Strombedarf entzündete sich allerdings ein Netzteil. Aufgrund der hohen Spannung und der nicht realisierbaren Mobilität sehen die beiden für dieses Projekt von den Heizdrähten ab. In Hinsicht auf weitere Projekte und eine kurz angesprochene Verwendung von leistungsfähigen Akkumulatoren aus dem Modellbau, bleibt die Farbänderung ein erstrebenswertes Ziel. An vielen Stellen betonen die beiden, dass eine Farbänderung des Stoffes prinzipiell erstrebenswerter sei als LED Lämpchen und mehr gestalterische Möglichkeiten biete.
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farbveränderlichen Farbe dagegen sehr gut entwickeln und intersubjektivieren ließen. Die Differenz besteht in der gefestigten Gewissheit, dass eine Farbänderung sinnhaft ist. Die dafür notwendige Gewissheit, einen technischen Zusammenhang entsprechend zu manipulieren konnte nicht gewonnen werden. Mit der fünften Sequenz ist eine Differenz zwischen modellhaften und visuellen Arbeitsmitteln offenkundig geworden. Konzeptuelle Verallgemeinerung von Sequenz Nr. 5: Der Designprozess hat sich bisher recht geradlinig auf einen Entwurf hin entwickelt, die unerwarteten Eigenschaften des Funktionsmodells aus Stoff, Kupferdraht und anderen Materialien geben dem Designprozess hier unerwartet eine neue Richtung, denn das Designobjekt kann nicht, wie erwartet, mit einer farbveränderlichen Oberfläche ausgestattet werden. Anders als in den Sequenzen eins bis drei wird in den Sequenzen vier und fünf nicht symbolbasiert an einem Konsens der Bedeutung gearbeitet. Die vierte und fünfte Sequenz sind erstens durch Antizipation bestimmter physischer Eigenschaften, zweitens durch die Konstruktion dieser materiell-physischen Zusammenhänge und drittens durch ihre Prüfung gekennzeichnet. In diesem Fall waren Annahmen und Konstruktion nicht mit der Prüfung vereinbar, die Modelle funktionierten nicht in der erwarteten Art und Weise. Der Zusammenhang von Antizipation, Konstruktion und Prüfung ist durch eine ganz bestimmte, zeitliche Logik gekennzeichnet. Er zeigt den spezifischen Zukunftsbezug von Design sehr deutlich auf. Ausgehend von Annahmen – in diesem Fall Annahmen über physische Zusammenhänge – konstruieren Kirsten und Nora bestimmte Modelle. Ob ihre Annahmen zutreffend waren lässt sich jedoch erst nach der Konstruktion und Prüfung in Sequenz vier und fünf zweifellos feststellen. Die Prüfungen selbst zeigen, dass erwartete Funktion nur sehr kurz, unerwartete Eigenschaften jedoch wieder und wieder geprüft werden. Eine Erwartung prüfend zu wiederlegen scheint weitere Handlungszusammenhänge auf zu werfen, anders als erwartete Ergebnisse zu bestätigen.
6.6
TRENNUNG, VERSTÄNDIGUNG UND PRÜFUNG – ZUSAMMENFASSUNG DES SECHSTEN KAPITELS
Zu Beginn des Designprozesses wurde aus der Unbestimmtheit der Welt eine konkrete Ungewissheit isoliert, die Ungewissheit, wie ein ‚Wearable Interface‘ designt werden kann. Sie wird von den Designerinnen Problematisiert und so zum Gegenstand des Designprozesses gemacht. Allerdings wird dieses viel-
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schichtige Problem von den Designerinnen nicht mental bearbeitet, sie nutzen die spezifischen, inhärenten Eigenschaften verschiedener symbolischer, visueller und materieller Arbeitsmittel, um diese umfassende Ungewissheit zunächst zu zerlegen. In jeder der fünf vorgestellten Sequenzen wird auf Grundlage eines bestimmten Arbeitsmittels eine bestimmte Form von Ungewissheit zunächst getrennt und daraufhin manipuliert – mit wechselhaften Erfolg. Während der zweiten Sequenz schaffen die Designerinnen mit den symbolischen Arbeitsmitteln der schriftlichen und verbalen Kommunikation einen Konsens über die Frage, welche Objekte relevant sind für das Projekt. In der dritten Sequenz werden mit Bildern von sozio-technischen Konstellation und eigens angefertigten Skizzen bedeutungsvolle Entwürfe rekombiniert. Die visuellen Arbeitsmittel erlauben es, die Bedeutungen der Entwürfe getrennt von ihrer technischen und physischen Konstruktion zu entwickeln, diese Trennung reduziert die Ungewissheit der Arbeit. Nachdem in der vierten Sequenz nunmehr einer der 25 Entwürfe zum Teil materiell konstruiert wurde, dient die fünfte Sequenz dazu, auf materieller Basis die Wirkung dieses spezifischen materiell-physischen Zusammenhangs zu prüfen. Alle Sequenzen zeigen unmissverständlich, dass Ungewissheiten des wechselseitigen Verstehens, der künftigen Nutzung und der technischen Wirkung auf Grundlage unterschiedlicher Arbeitsmittel getrennt werden. In diesen jeweils temporären Trennungen wird ihre Bearbeitung vollzogen. Die verschieden Formen der Trennung lassen sich in der Rückschau verallgemeinern: So zeigt sich, dass ungewisse Bedeutungen generell mit symbolisch visuellen Arbeitsmitteln bearbeitet werden, ungewisse Wirkzusammenhänge dagegen auf Basis materieller Arbeitsmittel, hier sind die Funktionsmodelle von entscheidender Bedeutung. Es lässt sich Rekapitulieren, dass das vielschichtige und ungewisse Designproblem mit Hilfe verschiedener Arbeitsmittel getrennt und Stück für Stück bearbeitet wird. Neben der hohen Relevanz der trennenden Arbeitsmittel wird ersichtlich, dass im bisherigen Prozess recht verschiedene Ziele verfolgt werden: Erzeugten die ersten drei Sequenzen einen Konsens der Relevanz und Bedeutung des unfertigen Designobjekts, so dienten die vierte und die fünfte Sequenz der Stabilisierung bestimmter, mit der Bedeutung verbundener physischer Wirkzusammenhänge. Das Designprojekt wird in diesem Sinne nicht nur durch unterschiedliche Arbeitsmittel in bestimmte Phasen getrennt, diese Phasen haben auch unterschiedliche Zielstellungen:
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Tabelle Nr. 6: In verschiedenen Sequenzen werden unterschiedliche Ungewissheiten bearbeitet
Sequenz 1,2,3 Sequenz 4,5
Welche Formen von Ungewissheit werden bearbeitet? Ungewissheit sinnhafter Bedeutungen Ungewissheit materieller Wirkzusammenhänge
Die Arbeitsmittel und ihre spezifischen Eigenschaften erlauben den Designerinnen eine Trennung materieller und sinnhafter Momente des Designs, obschon jedes Objekt, auch das in Entstehung befindliche Designobjekt, durch beide Momente gekennzeichnet ist. Charakteristisch für den Designprozess sind zwei distinkte und mit unterschiedlichen Mitteln bearbeitete Formen der Ungewissheit und ihrer Manipulation. Der Aufwand für diese Trennungen, auch das zeigt der Prozess, ist hoch. So treffend diese Analyse des bisherigen Designprozesses auch ist, sie simplifiziert den Prozess. Ihr fehlt der im Stand der Forschung so prominente Bezug auf die künftigen Nutzer und Nutzungszusammenhänge. Die genauere Betrachtung der ersten drei Sequenzen und das Verständnis von Design, als Prozess des Suchens uns Forschens, verkompliziert das Verhältnis der obigen Zielstellungen und Ungewissheiten auf interessante Weise. Die ersten zwei Sequenzen dienten der Herstellung eines Konsens zwischen den zwei Designerinnen, die Entwurfssequenz (Sequenz 3) dagegen zeigt einen deutlichen Bezug auf die Zukunft, also auf künftige Bedeutungen und Verwendungen. Hier geht es explizit um die Frage, was künftige Nutzer mit verschiedenen Objekten künftig tun könnten. Auch die Herstellung und Prüfung materieller Zusammenhänge bezieht sich auf die gegenwärtige Situation, indem geprüft wird, wie eine Farbveränderung erwartungssicher, d.h. technisch, konstruiert werden könnte. Design bearbeitet hier getrennt Bedeutungen und Wirkungen, zielt aber auch darauf, im aktuellen Designprozess künftige Bedeutungen und Wirkungen für künftige Kontexte zu erforschen und zu fixieren. In diesem Sinne zeigt Designarbeit einen spezifischen Zeitbezug. Dieser Bezug auf das Künftige verdoppelt die in der obigen Tabelle benannten Ungewissheiten, denn Design ist mit gegenwärtigen und mit künftigen Ungewissheiten betraut. Deshalb ist neben der Frage, wie Bedeutung und Wirkung hergestellt werden können, zusätzlich ungewiss, ob diese Bedeutungen und Wirkungen auch in der Zukunft ihre Gültigkeit bewahren. Ein Blick in die Literatur hilft, die künftigen Formen von Ungewissheit genauer zu bestimmen. Im vierten Kapitel wurde unter Rekurs auf Dewey Ungewissheit als prinzipielle und stets präsente Handlungsbedingung des Menschen präsentiert, als Motiv jedweden Handelns. Für die Analyse von Designarbeit ist
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nun eine Differenzierung dieser Annahme nötig, gerade in Hinsicht auf die weitere Analyse. 6.6.1 Zur prinzipiellen Ungewissheit des Sozialen, gegenwärtig Die Diskussionen und Brainstormings zum Thema Navigation und Touristen in Sequenz eins und zwei richteten sich im Wesentlichen gegen eine Unsicherheit, die jeder sozialen Interaktion inhärent ist. Bereits im Abschnitt 4.2 hatte ich unter Rekurs auf Mead formuliert, dass signifikante Symbole, ob in gesprochener, geschriebener oder sonstiger Form, als Mittel gegen die inhärente Unsicherheit des sozialen Verstehens treffend zu beschreiben sind (vgl. Mead 1968 [1934]: 111f.). Die doppelte Kontingenz des Sozialen ist ursächlich für die Unwahrscheinlichkeit wechselseitigen Verstehens, mittels signifikanter Symbole suchen die Akteure diese Unsicherheit zu überbrücken. Klassiker und moderne Sozialtheorien gleichermaßen bezeichnen die doppelte Kontingenz als das Grundproblem von Kommunikation und Handlung.112 Durch die Etablierung geteilter Symbol- und Bedeutungszusammenhänge gelingt es häufig, die Unwägbarkeiten des Sozialen hand-habbar zu machen. Kommunikation, Koordination, erwartungssicheres und absichtsvolles Handeln werden möglich. Ich fasse zusammen: Die aus der doppelten Kontingenz des Sozialen entspringende Unsicherheit wird mit Hilfe von signifikanten Symbolen im bisherigen Designprozess zumeist erfolgreich reduziert, Kirsten und Nora interagieren sinnhaft, signifikant miteinander. Die gemeinsame Konstruktion, aber auch die Wirkung von dieser, aus dem Handeln vorhergehenden Sinnkonstitutionen, ist eines der zentralen Themen der Soziologie. Bedeutung geben und Bedeutung verstehen ist der zentrale Mechanismus von Sozialität, hier unterscheidet sich Design nicht von anderen sozialen Interaktion. Auch Design ist zunächst ein sozialer Prozess und damit auf wechselseitiges Verstehen angewiesen.
112 Einen guten Überblick zu den Gemeinsamkeiten verschiedener soziologischer Klassiker in Hinsicht auf dieses zentrale Problem der Sozialität bietet Lindemann. Viele Klassiker der Soziologie, wie Simmel, Weber und Mead eint die Annahme, dass die Komplexität sozialer Beziehungen eine unabhängige Ordnung notwendig macht, um ein wechselseitiges Verstehen zu ermöglichen. Im Falle von Mead liegt diese Möglichkeit in den Symbolen und dem Bezug auf den verallgemeinerten Anderen (vgl. Lindemann 2009: 164f.).
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6.6.2 Die Ungewissheit der Nutzung, künftig In der dritten Sequenz wird ein Moment von Sozialität erkennbar, der spezifisch für Design ist. Mit den visuellen Entwürfen richten die Designerinnen ihre Interaktion nun nicht nur aufeinander aus, sie orientieren sich in erster Linie an erwarteten Sinnzusammenhängen künftiger Nutzer. Die im Entwerfen erzeugte Bedeutung bezieht sich nun auf künftige Situationen der Orientierung, des Gebrauchs und der Verwendung der eigens entworfenen Designobjekte. Dieser Moment des Künftigen ist per se ungewiss, denn Ego kann zwar Bedeutung zuschreiben, ob Alter diese auch so versteht, zeigt sich jeweils situativ und damit künftig. Daraus resultiert eine neue und besonders in Sequenz drei gut sichtbare Ungewissheit hinsichtlich der Frage, was ein guter Entwurf ist. Entwerfen ist prinzipiell auf die zukünftige Rezeption von Bedeutung gerichtet, notwendig findet Entwerfen jedoch als gegenwärtige Konstitution von Bedeutung statt. Hierfür, auch das zeigt die dritte Sequenz, war es notwendig, die Alltäglichkeit von sozio-technischen Konstellationen zunächst ungewiss zu machen. Eine Entwurfssitzung muss, wie jede soziale Situation, die inhärente Unsicherheit des Verstehens wieder und wieder gewiss machen. Hinzu kommt der Bezug auf künftige Bedeutungen, als Spezifikum des Entwerfens und als zweite Quelle von Ungewissheit. Im Entwerfen sind die Designerinnen dazu gezwungen, die künftige Rezeption, die Situativität, kurzum die künftigen Sinnkonstitutionen zu antizipieren und sich daran zu orientieren. Diese zweite Form der Ungewissheit wird anders als die erste Form der Ungewissheit nicht mit gesprochenen und geschriebenen Symbolen bearbeitet, sondern mit visuellen Entwürfen.113 6.6.3 Die Ungewissheit des Materiellen, gegenwärtig und künftig Das Verhältnis gegenwärtiger und künftiger Wirkung unterscheidet sich von dem gerade beschriebenen Verhältnis gegenwärtiger und künftiger Bedeutung. Materielle Wirkzusammenhänge sind stabiler, sie gehorchen den Gesetzen der Physik und nicht der stets kontingenten Logik des Sozialen.
113 Es überrascht nicht, dass in der Literatur viele Fälle geschildert werden in denen Dinge anders als erwartet genutzt werden (vgl. Kline, Pinch 1996). Auch das Design versucht konstruktiv an die Aneignung an zu knüpfen, Stichworte sind hier ‚Gebrauch als Design‘ und ‚Design after Design‘ (vgl. Bredies 2014; Bjögvinsson, Ehn, Hillgren 2012).
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‚Means‘ als Handlungsmittel, gemeint sind damit Objekte, wie sie in der Entwurfssitzung skizziert wurden oder aber wie sie uns im Alltag umgeben, kennzeichnet eine doppelte Beziehung. Zwar wird in den Sozial- und Geisteswissenschaften meist die Beziehung zwischen Mensch und Objekt in den Vordergrund gestellt, doch die ‚Means‘ oder etwas breiter formuliert, Gegenstände der jeweiligen Handlung stehen nicht nur in einer Relation mit den Menschen, sie finden sich auch untereinander in einer Relation, ja sie bestehen geradezu aus bestimmten Relationen (vgl. Dewey 1929: 128f.). Diese Relationen, wie z.B. das Verhältnis vom Hammer zum Nagel, vom elektrischen Widerstand zur Wärme und von der Wärme zur thermochromen Farbe, sind Voraussetzungen für bestimmte bedeutungsvolle Handlungen auf der Ebene Mensch-Objekt (vgl. Dewey 1929: 129). Die ‚praktische‘ Seite dieser Relationen ist der Gegenstand der nützlichen und angewandten Künste. Mit der ‚abstrakten‘ Seite dieser Relationen beschäftig sich die Wissenschaft, häufig nennt Dewey die Mathematik als Beispiel (vgl. Dewey 1929). Mit dieser Fundierung, unterhalb der Mensch-Objekt Beziehung, liefert Dewey ein stechendes Argument für die Relevanz der materiellen Ebene, als Grundlage jedweden Handelns und damit auch des sozialen Handelns. Ich wiederhole hier ein Zitat von Dewey, um die integrale Bedeutung der materiell-physischen Grundlagen für das Handeln zu verdeutlichen: „Würden wir nicht die [Relationen der Dinge, Anm. V.J.] entdecken, die wir gefunden haben, hätten wir andere finden müssen, wenn es bewußtes Planen und Ausführen geben soll.“ (Dewey 1995 [1925]: 140)
Handelnde stehen in bestimmten Relationen zueinander, Teil dieser Beziehungen sind materielle Entitäten, auch zu diesen unterhalten die Menschen eine Beziehung, gemeint sind die sogenannten ‚Means‘, Handlungsmittel. Die ‚Means‘ selbst aber, jeder Hammer, jeder Stift, ja sogar jedes gesprochene Wort, steht in einem bestimmten physischen Verhältnis, beispielsweise der Hammer mit dem Nagel, der Stift mit dem Papier und dem Licht, das gesprochene Wort mit der Form einer Ohrmuschel und vielem mehr. 114 Es ist das Planen, Konstruieren und der Versuch des Fixierens bestimmter materieller Wirkrelationen, die Kirsten und Nora in der vierten und fünften Sequenz beschäftigen: Gelingt es, eine Wirkbeziehung zwischen Draht, Elektrizität, Farbe, kurzum eine Verfärbung der Stoffe zu stabilisieren, so ist es aussicht114 Es ist die von Mead beschriebene Gleichzeitigkeit von Hand und Auge, die es den Akteuren erlaubt absichtsvoll mit diesen Zusammenhängen umzugehen (Mead 1968 [1934]: 229; Mead 1969: Kap. 3; Mead 1987B: Kap. 6).
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reich mit der spezifischen sozialen Bedeutung eines Pullovers für einen bestimmten Entwurf zu arbeiten. Damit ist als Grundlage eines bedeutungsvollen Entwurfs hier eine bestimmte materielle Wirkrelation zu stabilisieren. Wie wir wissen gelingt das nicht. Einen Pullover auf Basis seiner physikalischen Eigenschaften (Farbveränderung) zum Symbol für Orientierung zu machen, ist eine spezifische und originelle Form von Technisierung, genauer Mechanisierung eines sozialen Zusammenhanges, der in anderen Situationen mit Worten oder Gesten vollzogen wird (vgl. Rammert 2008: 352). Sie beruht jedoch auf bestimmten physischen Wirkzusammenhängen, deren Stabilisierung in Sequenz vier und fünf gerade nicht gelingt. Die Analyse von Design zeigt in aller Deutlichkeit, dass die Herstellung von bedeutungsvollen Objekten auf die Manipulation und Fixierung physikalischer Zusammenhänge angewiesen ist. Gleich der oben diskutierten Erzeugung von Bedeutung ist auch die Erzeugung dieser Wirkrelationen – wie jedes Handeln – an die Gegenwart gebunden. Die Gestaltung der bedeutungsvollen Beziehungen Objekt-Mensch und der wirkungsvollen Beziehungen Objekt-Objekt unterscheiden sich jedoch gravierend in ihren Zukunftsbezügen. In Sequenz fünf war zu beobachten, dass unerwartete Ergebnisse in Prüfungen der Objekt-ObjektBeziehung wieder und wieder geprüft wurden. Spätere Sequenzen zeigen, dass erwartete Ergebnisse nur sehr kurz geprüft werden. Dieser Umgang weist auf die verschiedenen Zukunftsbezüge hin: Anders als Bedeutung muss Wirkung nicht in jeder künftigen Situation neu verstanden werden, Wirkung wird abgerufen, ihre Zusammenhänge sind zumeist stabil. Anders als Bedeutung, die jeweils neu und situativ produziert wird, sind physikalische Wirkzusammenhänge stabil. Kirsten und Nora erwarten mit Recht, dass eine einmal technisch stabilisierte Verfärbung auch in Zukunft mit Sicherheit erwartet werden kann und vice versa. Diese Stabilität, diese Erwartungssicherheit ist es, die Dewey im obigen Zitat in Hinsicht auf die Objekt-Objekt-Beziehungen adressiert und die ein kaum sichtbarer, aber unverzichtbarer Teil jedweden Handelns ist. Diese Analyse von Design zeigt die Existenz von Ungewissheit und Gewissheit in zwei unterschiedlichen, aber eng miteinander verbundenen Formen. Die erste Form der Ungewissheit resultiert aus der doppelten Kontingenz des Sozialen, die zweite Form der Unsicherheit resultiert aus den physischen Eigenschaften der materiellen Welt. Diese stets miteinander verwobenen Ungewissheiten unterscheiden sich jedoch in ihrem Zukunftsbezug: Was heute physikalisch wirksam ist, wird es sehr wahrscheinlich morgen auch sein. Was aktuell eine bestimmte Bedeutung zugeschrieben bekommt, kann oder kann nicht in Zukunft auf diese Weise verstanden werden.
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Tabelle Nr. 7: Ungewissheiten werden je aktuell bearbeitet, sind im Design jedoch auf das Künftige gerichtet. Welche Ungewissheit wird aktuell bearbeitet? Sequenz 1,2,3
Ungewissheit der aktuellen Bedeutung, durch Interaktion herstellbar
Sequenz 4,5
Ungewissheit aktueller materieller Wirkzusammenhänge, durch Prüfung fixierbar
Welche künftige Ungewissheit wird damit adressiert? Ungewissheit der künftigen Bedeutung, im Designprozess nur antizipierbar, unsicher Aus der gegenwärtigen Bearbeitung relativ sicher zu übertragen, relativ stabil
Design zeigt sich in dieser ersten Phase als sozio-materieller Prozess, der zunächst Unbestimmtheit in eine bearbeitbare Ungewissheit umwandelt. Die Bearbeitung, als teils gelingende, teils misslingende Manipulation von Ungewissheit, basiert auf Trennungen in verschiedenen Formen von Ungewissheit. Das ‚Trennmittel‘ zur weitgehend isolierten Bearbeitung von Ungewissheit ist die Verwendung unterschiedlicher Arbeitsmittel, meist in visueller oder materieller Form. Die folgende mittlere Phase des Designprozesses zeigt andere Formen von Trennungen und Bearbeitungen des in Entstehung begriffenen Designobjekts.
Kapitel 7: Untersuchung und Bearbeitung – Bedeutungen und Wirkungen werden zugänglich
Die nun folgenden vier Sequenzen rücken etwas ab von dem in Kapitel sechs gelegten Fokus auf das Verhältnis von Ungewissheit und verschiedenen Arbeitsmitteln. Der Designprozess ist reich an weiteren wichtigen Phänomenen und um diese Zusammenhänge ebenfalls in den Blick zu nehmen, ist eine etwas distanziertere Perspektive auf den Prozess hilfreich, obschon Trennungen und Rekombinationen immer wieder vollzogen werden. In dieser mittleren Phase des Designprozesses werden sozio-materielle Zusammenhänge nicht nur getrennt und isoliert voneinander behandelt, sondern regelrecht ausgelotet, ausprobiert, weiter getrennt und auch wieder zusammengefügt.
7.1
SEQUENZ NR. 6: TASCHEN AUF LINKS ODER KNÖPFE AUS STOFF – AUF DER SUCHE NACH ALTERNATIVEN WEGEN
Zusammenfassung von Sequenz Nr. 6: Nachdem in Sequenz fünf unzweifelhaft klar wurde, dass farbveränderliche Drucke nicht wie erwartet realisierbar sind, haben die Fragen nach einem guten und bedeutungsvollen Entwurf und die Frage nach dessen technischer Umsetzung neue Relevanz gewonnen. Der fehlgeschlagene Test der Funktionsmodelle öffnet den Designprozess auf überraschende, nicht intendierte Weise. Kirsten und Nora reagieren auf das unerwartete Ergebnis der Prüfung der Modelle (Sequenz fünf), indem sie einzelne Entwürfe, die bisher wenig Relevanz hatten, aus Sequenz drei wieder aufgreifen und weiter editieren. Sie orientieren sich neu, ein neuer Entwurf bringt auch neue materielle
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Ungewissheiten mit sich. Zwischenzeitlich ist nicht absehbar, in welche Richtung sich das Projekt im Weiteren entwickeln wird. Am Ende dieser Sequenz sind die Perspektiven und Pläne des Projektes neu geordnet. Kirsten hat sich für bestimmte Entwürfe aus der vorherigen Sequenz entschieden. Bereits existierende Entwürfe werden gegeneinander abgewägt, miteinander verglichen und auch weiter entwickelt. Zunächst scheint es, als sei die Arbeit mit den materiellen Zusammenhängen der Funktionsmodelle wieder in den Hintergrund gerückt, doch die Designarbeit wird nun anders organisiert. Kirsten und Nora bearbeiten die Ungewissheit des Entwurfs und die Ungewissheit seiner materiellen Basis nun anders. Im Unterschied zu Sequenz drei, vier und fünf arbeiten sie nun in einer engen zeitlichen Folge – ihre Elemente bleiben jedoch gleich. Die in den bisherigen Sequenzen weitgehend isolierte Manipulation verschiedener Ungewissheiten und die damit verbundenen Arbeitsmittel werden ab der sechsten Sequenz wesentlich stärker vermischt. Ethnografische Beschreibung von Sequenz Nr. 6: Während Nora einige neue, aber an den ursprünglichen 25 Entwurfsskizzen orientierte Skizzen anfertigt kommt Kirsten hinzu und eine Diskussion über die Entwürfe beginnt. Nora stellt eine Idee zu textilen Knöpfen115 vor, Kirsten reagiert, indem sie ihr Interesse für das Krempeln von Textilien bekundet und einen prinzipiellen Einwand gegen textile Knöpfe formuliert: „Mein Ziel ist es ja immer tatsächlich eine Interaktion zu finden, wo das Textil so richtig benutzt wird“ (Audiotransskript Sequenz 6). Unter der Aussage ‚Textil zu nutzen‘ ist hier ein Einbinden der Weichheit, Faltund Krempelbarkeit von Stoffen in das Designobjekt zu verstehen. Diese Eigenschaften von Textilien sollen Merkmale der Entwürfe werden. In der Rückschau wird klar, dass auch die thermochrome Farbe als faltbares, stoffliches Display diesem Anspruch genügt hätte. Ein textiler Knopf dagegen wäre ein Nachbau eines existierenden Designs auf anderer materieller Basis – genau deswegen entscheidet sich Kirsten gegen diesen Vorschlag. Die Begründung und Entscheidung von Kirsten folgt einem bis dato implizit gebliebenen Paradigma oder Prinzip – erst die Diskussion macht es explizit und nachvollziehbar. In dieser Sequenz geschieht der Bezug auf bestimmte Paradigmen mehrfach. Später z.B. weist sie Nora darauf hin, dass die Kabel, Platinen und Verbraucher am Kleidungsstück keineswegs versteckt werden sollen, vielmehr sollen sie ein sichtbares Element der Wearables sein. Die Integration stofflicher Eigenschaften und die Sichtbarkeit des Aufbaus kommen hier ganz klar als Grundsätze ihres desig115 Gemeint sind hier nicht die Knöpfe, die ein Hemd geschlossen halten, sondern Knöpfe mit der Funktion eines Schalters, um einen Stromkreis zu schließen.
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nerischen Handelns zu Tage, denn sie entfalten eine bestimmte Wirkung auf die Merkmale der Entwürfe. Nach diesen paradigmatischen Einwänden konzentrieren sich die Designerinnen auf das Skizzieren. Stets mit Bezug auf die Skizzen tauschen sich die beiden aus, Ideen werden visualisiert und gemischt. Bemerkenswert ist, dass mit der Entstehung der Skizzen eine Veränderung der Diskussion einhergeht. Liegt ein Entwurf als Skizze vor, so sprechen Kirsten und Nora plötzlich über ‚hier‘ und ‚da‘. Der Entwurf wird eine adressierbare, von den Äußerungen der Akteure distinkte Instanz. Stellen auf dem Papier werden genannt und mit der Hand angezeigt. Merkmale und Eigenschaften der Entwürfe haben den Status einer Idee verlassen und werden mit und in den Skizzen als Sachverhalte gezeigt, gar mit Fingern auf dem Papier in Erinnerung gerufen. Die Entwürfe und ihre Details bekommen eine Gestalt und einen fixen Ort. Diese Gestalt liegt an einem Ort außerhalb der individuellen und wortreichen Beschreibungen auf dem Papier vor ihnen. Dieser Ort auf dem Papier bildet einen gemeinsamen, intersubjektiven Bezugspunkt ikonografischer Art. Auch auf sprachlicher Ebene sind in dieser Sequenz interessante Entwicklungen zu beobachten. In der folgenden Passage wird eine bestimmte Form der Arbeit mit Sprache sehr anschaulich: Nora erläutert vorhandene Entwurfsskizzen, exemplarisch ist hier ein volumenveränderlicher Handschuh. Unmerklich mischen sich in dem Gespräch die Ideen der volumenveränderlichen Kleidung und die Ideen von einem Aufkrempeln eines elektrisch leitfähigen Stoffs. Kirsten beendet die Konfusion mit einer Definition der sprachlichen Mittel, indem sie die Differenz zum Krempeln des Taschenfutters festlegt: Als ‚Knitschzeug‘ sind im Folgenden volumenvariable Textilien zu verstehen, die elektrische Betätigung per Knopfdruck sei ein anderes Gebiet, so Kirsten. Sie stellt den Sprachgebrauch in Frage, durch diesen reflektierten Umgang mit Sprache differenziert Kirsten ihr zentrales Arbeitsmittel Sprache. Daran wird erkenntlich, dass der prinzipiellen Ungewissheit des sozialen Verstehens beständig mit signifikanten Symbolen entgehen getreten werden muss. Dieses kurze Beispiel zeigt den Umgang mit einer nicht signifikanten Kommunikation. Diese, in ihren Phänomenen heterogene Sequenz, zeigt ein weiteres interessantes Phänomen. Kirsten argumentiert stellenweise auf eine materialbezogene Art und Weise, diese Art von Argument bezeichne ich als ‚Argument technischen Sachzwangs‘. Exemplarisch ist der folgende Aufbau von Kirstens Argumentation: Die Idee, eines berührungssensiblen Kleidungsstücks aus mehreren Schichten elektrisch leitender Stoffe, lehnt Kirsten rundheraus ab. Sie argumentiert, dass eine solche Konstruktion technisch nicht machbar sei. Auch eine Idee zu einem elektrischen Knoten oder Krawattenknoten lehnt Kirsten aufgrund
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technischer Bedenken ab. Sie formuliert jeweils Argumente technischen Sachzwangs. Diese Argumente beziehen sich auf antizipierte Ergebnisse von Kontakterfahrungen. Sie nehmen das negative Ergebnis der Prüfung einer materiellen Ungewissheit vorweg, indem sie es gerade nicht prüfen, sondern antizipieren. „Kontaktflächen aus Stoff werden nicht funktionieren‘“, da ist sich Kirsten ganz sicher. Argumente technischen Sachzwangs sind, wie wir hier sehen können, auch ohne ihre tatsächliche Prüfung als Kontakterfahrung wirkungsvoll.116 Am Ende dieser Sequenz besteht Kirsten auf ‚Arbeit im Material‘. Nach längeren Dialogen zum Aufbau von Schaltkreisen und Schaltern aus Stoff drängt sie zur Konstruktion von funktionstüchtigen, aber „einfachen und rotzigen“ Modellen: „Dann haben wir etwas wo man am Kleidungsstück probieren kann, wie fühlt es sich denn an“ (Audiotransskript Sequenz 6). Sie begründet ihre Präferenz für diese Organisation der Arbeit mit der Möglichkeit von Kontakterfahrungen, also mit der Möglichkeit, direkt mit der materiellen Ungewissheit zu arbeiten. Diese Arbeit im Material bedarf umfangreicher Vorarbeiten, soviel dürfte durch die bisherigen Beispiele erkennbar geworden sein. Ob mit Designprämissen, Argumenten technischen Sachzwangs, der Schärfung sprachlicher Mittel – Kirsten strukturiert den Arbeitsprozess in dieser Sequenz, indem sie sich auf unterschiedliche Legitimationen beruft. Ihre Deutungsund Entscheidungshoheit wird dabei nie in Frage gestellt. Konzeptuelle Verallgemeinerung von Sequenz Nr. 6: Für die konzeptuelle Verallgemeinerung dieser Sequenz ist es nötig, über das Wechselverhältnis von Handeln und Ungewissheit hinauszugehen, denn diese Sequenz zeigt neue Phänomene. Vor allem aber zeigt sie, dass die verschiedenen, stets für oder wider Ungewissheit gerichteten Handlungen in einem spezifischen Verhältnis zueinander stehen. Die genaue Beobachtung der ersten Sequenzen dieses Designprojektes, insbesondere das Augenmerk auf das Begriffspaar Handeln und Ungewissheit, hat sich als produktiv für die Analyse erwiesen. Ungewissheit, soviel ist deutlich geworden, lässt sich in zwei Typen idealisieren, dabei zeigt jeder Typus eine gewisse Affinität zu bestimmten Arbeitsmitteln der Designerinnen. Unter Rekurs auf die jeweiligen Mittel wird Ungewissheit oftmals erfolgreich manipuliert. Design ist scheinbar mehr als allein Handeln versus Ungewissheit. Als Verge116 Auf diesen Typus von Argument trifft man im Alltag recht, etwa in der Autowerkstatt oder im Gespräch mit dem IT-Administrator der Universität. Ohne eine Gleichzeitigkeit von Kontakt- und Distanzerfahrung, also eine Form von Prüfung, sind diese Argumente schwer zu widerlegen.
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wisserung gegenüber Ungewissheit ist Handeln auf einer allgemeinen Ebene treffend definiert. Designerisches Handeln oder gar Designforschung aber kennzeichnet eine spezifische Form mit Ungewissheit umzugehen. Um die distinkten Formen von Ungewissheit, ihre Steigerung und ihre Reduzierung in ein Verhältnis zueinander zu bringen, ist eine Spezifikation des Begriffs Handeln, hin zum Begriff Arbeit vielversprechend. Der Begriff Arbeit erlaubt breiteren Einbezug der Elemente des Handelns in einem zeitlichen Rahmen. Anselm Strauss, eher bekannt als Begründer der Grounded Theory, hat die Konzepte der Chicago School und den Pragmatismus Deweys zu einer interaktionistischen Sozialtheorie weiterentwickelt. Norman Denzin bezeichnet diese Sozialtheorie recht treffend als ‚Postpragmatism‘ (vgl. Denzin 1994: 453f.; Strauss 1993). Strauss’ zahlreiche Studien zu Arbeit (vgl. Strauss 1959; Glaser, Strauss 1965) und Arbeitspraxis im Feld der Medizin (vgl. Becker, Geer, Hughes, Strauss 1961) sind der beste Beleg für einen engen Bezug auf die zentralen Argumente des Pragmatismus und seine gleichzeitige Weiterentwicklung. Diese Untersuchung zielt nicht auf die Identifikation einer bestimmten ausgehandelten sozialen Ordnung, aus diesem Grund unternehme ich nur punktuelle, d.h. pragmatische Bezüge zu Strauss Theorie der ‚Negotiated Order‘. Dies tue ich immer dort, wo es vielversprechend für die Ergründung der Prinzipien des Designs erscheint. Einen solchen selektiven Bezug formuliere ich nun für Strauss’ Begriff der Arbeit. Sein Begriff von Arbeit ist zwar – typisch pragmatistisch – weit und offen, bereichert aber das Problem von Ungewissheit und Handeln um zwei Dimensionen: Der zeitliche Verlauf von Handlungen und ihr Problemgegenstand werden relevant. Der Begriff Arbeit wird im Vergleich zu dem Begriff der Handlung dadurch spezifischer. „Implicit in the Pragmatist theoretical action scheme is the idea of work – imagining, trying out, assessing actions or lines of actions involves ‚working things out,‘ to use a common phrase. Work is entailed in the process of unblocking the blocked action, and moving along into the future.“ (Strauss 1993: 52)
Das in dieser Untersuchung bisher genutzte Verständnis, von durch Handlungen erreichter Vergewisserung, geht in dieser Definition von Arbeit perfekt auf. Die zeitliche und über den Moment hinausgehende Zielstellung des Designprozesses erlaubt es, Projektziele und Deadlines in die Analyse mit aufzunehmen, hierauf werde ich in den folgenden Sequenzen weiter eingehen. Denkbar sind sekundäre, dem Designobjekt nachgeordnete Ziele wie z.B. die Erweiterung von Wissen und Fähigkeiten oder die Einhaltung des Zeitplans und der finanziellen Rahmenbedingungen.
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Die Designarbeit bekommt im Vergleich zu breiten Begriff des gegen Unsicherheit gerichteten Handelns nun eine spezifische Kontur. In ihrer Summe zeigen die Sequenzen nicht allein Handeln, als Mittel der Vergewisserung im Sinne Deweys oder im Sinne von Arbeit als „process of unblocking blocked action“ (Strauss 1993: 52), sie zeigen designspezifisches Handeln und damit zeigen sie Designarbeit. Verstellte, nicht erreichbare Ziele und Handlungen werden auf typisch designerirsche Art und Weise freigelegt, denn für den zuvor beschriebenen Fortgang der Arbeit ist die ‚Ideologie‘ der Designerin Kirsten, mit ihrem Bezug auf die künftige Verwendung des Designobjektes, entscheidend. Der Begriff der Arbeit erlaubt es, verschiede Handlungen zusammen zu binden zu Designarbeit. Sequenz Nr. 6 bietet aufgrund der Vielseitigkeit der durchgeführten Praktiken einen solchen Kumulus an und weist idealistische, an Prinzipien orientierte Entscheidungen auf. Diese Sequenz zeigt einen spezifischen Umgang mit Entwurfsskizzen und Sprache. Der Begriff der Designarbeit bringt diese Spezifika zusammen. Im Folgenden werden einige dieser Spezifika erörtert. Ideale und Ästhetik im Design Auch in Sequenz sechs richtet sich das Handeln gegen Ungewissheit, in einigen Passagen ist das Handeln jedoch weniger pragmatisch, d.h. weniger eng an der Situation und ihren Elementen orientiert als in den bisherigen Beispielen aus Sequenz drei, vier und fünf. Vielmehr, und das ist neu, werden in diesem Prozessschritt prinzipielle Einstellungen und Positionen von Kirsten erkennbar. Ihre ‚Ideologie‘, auch wenn der Begriff für den obigen Zusammenhang etwas scharf klingt, wird zu einem wichtigen Moment von Design. Kirsten trifft mehrfach Entscheidungen anhand bestimmter Grundsätze. Diese Entscheidungen machen die Prinzipien von Kirsten an verschiedenen Stellen explizit und für die Beobachterin sichtbar. Die Entscheidung gegen textile Knöpfe und die Präferenz ‚im Material zu arbeiten‘ sind hierfür gute Beispiele. In der Analyse einer ethnografischen Untersuchung in einer Psychiatrie konstatiert Strauss eine enge Orientierung von Handlungsregeln an der Ideologie der ausführenden Profession. Er zeigt eine enge Verbindung zwischen Ideologie und Handlungsentscheidungen. In einem Nervenkrankenhaus beobachten die Forscher, dass Entscheidungen über bestimmte Behandlungen nicht oder nicht nur aufgrund des Krankheitsbildes getroffen werden, sondern dass die Entscheidung der Behandelnden eng mit ihrer jeweiligen Ausbildung und der dort vermittelten psychiatrischen Ideologie korrespondiert (vgl. Strauss, Schatzman, Ehrlich, Bucher, Sabshin 1963: 155). Insbesondere in Momenten der Aushandlung treten
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die zumeist schwer zu fassenden und wenig eindeutigen Werte besonders hervor und werfen Licht auf die Besonderheiten bestimmter Professionen ihrer jeweils sinnstiftenden Regelungen (Strauss, Schatzman, Ehrlich, Bucher, Sabshin 1963: 151; Strauss 1978; Strauss 1993: 105-141): „The task is rendered all the more difficult because they, as professionals, see matters in certain lights, while the aides as laymen, may judge matters quite differently.“ (Strauss, Schatzman, Ehrlich, Bucher, Sabshin 1963: 155)
Sequenz sechs zeigt ganz explizit Momente von Entscheidungen, die auf ideologischen Einstellungen basieren. Strauss unterscheidet verschiedene ‚Orders‘117 als implizite, in der Beobachtung auftretende ‚Orders‘ (Strauss 1993: 59). Ebenso wie im Fall der Psychiatrie die Handlung und Entscheidung im Sinne einer spezifischen ‚Order‘ verlief, so ist eine spezifischer ‚Order‘ in Kirstens Designarbeit sichtbar. Diese ‚Orders‘ können sehr verschiedene Ziele haben, Strauss nennt unter anderem zeitliche, räumliche, emotionale und auch ästhetische ‚Orders‘, die darauf abzielen, einen bestimmten Stil oder Standard zu erreichen (vgl. Strauss 1993: 59f.). Die oben darstellte Sequenz offenbart sehr deutlich die impliziten ästhetischen ‚Orders‘ von Kirstens Designarbeit. Diese ‚Orders‘ sind nicht zufällig, sie resultieren aus Kirstens professioneller Haltung und Erfahrung als Designerin. Es ist sicher richtig, dass Kirsten und Nora eine bestimmte Ästhetik ihres Designobjektes anstreben, darin liegt aber noch kein analytischer Mehrwert für die Analyse dieser Sequenz, denn ästhetisch, so Reckwitz, ist jede Praxis. Dabei orientieren sich manche Praktiken stärker am Ergebnis, andere orientieren sich stärker am Erleben selbst (vgl. Reckwitz 2015: 25f.). Diese graduelle Unterscheidung zwischen zweckhaften und ästhetischen Praktiken negiert eine prinzipielle Unterscheidung vom Zweckhaften und Ästhetischen (vgl. Reckwitz 2015: 30). Praktiken existieren nur im Vollzug und nicht im Prinzip, deshalb kann allein der Vollzug einer Praxis ästhetisch sein (vgl. Reckwitz 2015: 24). Der von Reckwitz auf recht breiter Basis formulierte Begriff von Ästhetik korrespondiert insbesondere in seinem Praxisbezug, also in seiner notwendigen Anbindung an 117 Ich verzichte hier auf eine Übersetzung des Begriffs ‚Orders‘, denn die deutschen Begriffe Auftrag, Befehl und Anordnung verweisen sehr deutlich auf einen aktiven Sprecher. Die ‚Orders‘ im Sinne von Strauss resultieren aber aus den Erfahrungen und Werten von Ego und treten in Handlungssituationen auf, sie werden allein von Ego relevant gemacht, es gibt deshalb keinen Sprecher oder Befehlshabenden in diesem Begriff von ‚Order‘.
198 | Die Praxis des Designs
Handlungsvollzüge, mit dem Begriff der Ästhetik von Mead. Für Mead ist eine Handlung ästhetisch, wenn eine zweckhafte Handlung, wie z. B. die Verwendung eines Werkzeuges oder die kommunikative Arbeit eines Politikers, unterbrochen wird, um ebendieses zweckhafte Ziel der Arbeit „als Gemeinschaft allen Daseins“ zu spüren und zu genießen (Mead, 1987C: 351). Für das Verständnis von Design bringt es keinen Mehrwert anzunehmen, dass Kirsten und Nora in ihrer Arbeit durchaus ästhetische Momente erleben – zweifellos wird es ihnen so ergehen.118 Wichtig dagegen ist, dass die Designideologie von Kirsten, man könnte es auch als ihren Stil bezeichnen, auf eine spätere ästhetische Praktik abzielt. Somit hat ihr Design zweifellos eine ‚aesthetic Order‘. Die Stofflichkeit, die Sichtbarkeit der technischen Konstruktion, diese immer auch ästhetischen Merkmale des Designobjekts richten sich auf die Verwendung durch künftige Nutzer, erst die späteren Nutzer werden vielleicht in den Genuss dieser Ästhetik kommen. Die Ästhetik gilt hier allein der späteren Nutzung, auch wenn die Designarbeit selbst zuweilen ästhetische Momente aufweist. Auch hier zeigt sich der spezifische Bezug auf das Künftige im Design sehr deutlich. Es lässt sich zusammenfassen, dass sich Entscheidungen über die Gestalt des Designobjektes an bestimmten Prinzipien orientieren. Eines dieser Prinzipien zielt auf eine bestimmte Ästhetik seiner künftigen Verwendung, sicher gibt es noch weitere. Diese Prinzipien sind ein Hilfsmittel der Entscheidungsfindung und stehen zudem, wie auch andere Mittel der Designarbeit, in einer Wechselwirkung mit der Ungewissheit. Sie können Entscheidungen erleichtern, aber auch aufwändige und ungewisse Prozesse initiieren. Damit sind auch sie ein Mittel der Manipulation von Ungewissheit im Design. Sprache signifikant machen Aus einer Konfusion in der Beschreibung verschiedener Entwürfe heraus nimmt Kirsten, wie oben geschildert, eine adhoc-Definition eines bestimmten Wortes vor. ‚Knitschzeug‘ als Sprachsymbol wird intersubjektiviert, also mit Signifikanz versehen, damit es gegenüber einem Entwurf, der auf dem Prinzip des Krempelns von Ärmeln oder Hosenbeinen beruht, eindeutig unterscheidbar wird. Wie in den ersten zwei Sequenzen zeigt sich ein umsichtiger und reflektierter Umgang mit Sprache. Die teils latente, teils offene Konfusion endet sofort aufgrund der sorgfältigen Anpassung des Arbeitsmittels Sprache ans aktuelle Pro118 Die in Sequenz drei beschriebene Entwurfssitzung hatte sicherlich zahlreiche solcher Momente, während die Messung und die gesamte Sequenz fünf weniger ästhetisch in ihrem praktischen Vollzug war.
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blemfeld. Kirsten orientiert und manipuliert das Arbeitsmittel Sprache sowie sie eine Zeichnung, ein Modell oder ein Werkzeug ihren aktuellen Zwecken anpasst. Prinzipien der Entscheidung Kirsten bevorzugt in Sequenz sechs und zu anderen Zeitpunkten im Designprozesses ‚die Arbeit im Material‘ gegenüber Diskussionen. Ihr Verweis auf materielles ‚Probieren‘ beendet eine offene Diskussion zur Arbeitsorganisation. Diese Sequenz macht jedoch nicht erkennbar, ob hinter diesem Grundsatz die persönliche oder die professionelle und berufsspezifische Erfahrung von Kirsten steht. Dennoch – dreht man den Zusammenhang von Ideologie und Erfahrung um – wird erkennbar, dass professionelle Ideologie nicht von der Erfahrung und Praxis ihrer Anwendung gelöst sein kann. Prinzipien und Praktiken der Entscheidung müssen sich hier reproduzieren oder sie werden verschwinden. Sachzwang als Argument Eine besondere Form der Argumentation wird in Sequenz sechs offenkundig. Mehrfach zeigt sich die Reduktion von Ungewissheit durch Entscheidungen von Kirsten. Häufig formuliert sie dabei eine spezifische Form von Begründung, die ich als Argument technischen Sachzwangs bezeichnen möchte: Eine berührungssensible Kleidung aus verschiedenen Stoffschichten, so Kirsten, sei konstruktiv nicht machbar. Anders als bei dem Entwurf zur thermochromen Farbe findet an dieser Stelle weder ein physisches Ausprobieren, noch eine visuelle Darstellung statt, es ist lediglich eine minimale Aushandlung zu beobachten. Kein Zyklus der Forschung wird durchlaufen. Dennoch ist die Entwurfsidee von Nora für den gesamten Designprozess vom Tisch. Kirstens Argument technischen Sachzwangs ist als argumentativ eingebrachte Distanzerfahrung im Sinne Meads zu verstehen. Eine solche antizipative Erfahrung kann überprüft werden, wie es im Falle der farbveränderlichen Kleidung mit recht hohem Aufwand vollzogen wurde; sie kann aber auch – wie hier geschehen – im Status der Distanzerfahrung verbleiben. Insgesamt scheinen Distanzerfahrungen, als Einschätzungen von physischen Zusammenhängen in Designprozessen, eine sehr große Bedeutung zu haben.119
119 Thomas Hughes, Arie Rip, Harold Lente, Gerd Bender und andere haben in ihren Untersuchungen von Technikentwicklung auf der Meso- und Makroebene gezeigt, dass die Erwartungen gegenüber Technologien durchaus Kräfte entfalten können,
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Bisher wurde Design als Manipulation von Ungewissheit mit Hilfe von speziellen Arbeitsmitteln verstanden. Der schon häufig herangezogene pragmatistische Arbeitsbegriff von Strauss verspricht nicht weniger, als dieses Durcheinander von Ungewissheiten, Handlungen und Arbeitsmitteln begrifflich zu einem kohärenten Prozess zu machen. Schon in Sequenz vier und fünf half der ‚Pattern of Inquiry‘ dabei, die Handlung und Ungewissheit in eine Abfolge zu bringen. Versteht man die Bemühungen der Designerinnen jedoch als Designarbeit, dann zeigt sich Design als aktives Ausarbeiten. Dadurch werden unzugängliche Zusammenhänge zugänglich und kontrollierbar; dieser Prozess orientiert sich stets auf etwas Künftiges (vgl. Strauss 1993: 52). Das Arbeiten mit Wörtern zur Vergewisserung von Intersubjektivität, das Arbeiten mit Bildern zur Vergewisserung sinnvoller Entwürfe, das Arbeiten mit Modellen zur Vergewisserung materieller Zusammenhänge, die Bezugnahme auf bestimmte Ideologien und künftige Ästhetik und all die weiteren gerade erläuterten Momente des untersuchten Prozesses lassen sich als Designarbeit begrifflich zusammenführen. Ob erfolgreich oder nicht, ob relevant oder unbedeutend, all diese Phänomene lassen sich mit Hilfe dieses breiten Verständnisses von Arbeit in eine Klammer setzen. Die dort enthaltenen Phänomene und ihre Konzeptualisierungen zeigen was Design, genauer, Designarbeit ausmacht.
7.2
SEQUENZ NR. 7: DER PROTOTYP – EIN MODELL ZUR PRÜFUNG UND BEARBEITUNG VIELER UNGEWISSHEITEN
Zusammenfassung von Sequenz Nr. 7: Ein gebrauchter grauer Kapuzenpullover dient als Prototyp, verschiedene Funktionen werden von Nora in diesen gebrauchten grauen Kapuzenpullover eingenäht, eingeklebt und dann geprüft. Die zugrunde liegenden Entwürfe stammen aus der Entwurfssitzung in Sequenz drei, wurden aber zum Teil bearbeitet und weiterentwickelt. Die Arbeit der Designerinnen konzentriert sich auf ein einziges Modell, dieses Modell macht das Designobjekt im wörtlichen Sinne greifbar. In dieser Sequenz wechseln Konstruktion und Prüfung schnell und häufig. Ist eine elektrisch leitende Naht genäht, so folgt der Funktionstest und wenn nötig direkt das ‚Debugging‘ (Fehlersuche und Beseitigung). Gerade die elektrisch leitenden Nähte aus Silbergarn sind
die ganze Felder von Technologieentwicklung und Wissenschaft strukturieren (Hughes 1987; Bender 1999 und 2006; van Lente 1993; van Lente, Rip 1998).
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aufwändig zu verarbeiten. Längere Phasen konzentrierter Einzelarbeit werden unterbrochen durch Fragen und Diskussionen. Immer wieder folgen auf die Konstruktionsarbeit Phasen der Begutachtungen und des Testens der Funktion durch beide Designerinnen. Wie in Sequenz fünf steht auch hier die Frage, ob eine Funktion in erwarteter und antizipierter Weise eintritt, im Zentrum der Bemühungen. Die Zyklen aus Herstellung und Prüfung sind dabei kürzer, gleichzeitig greifen verschiedene Zyklen ineinander. Verschiedene Elemente werden nun miteinander verbunden. So lässt sich beispielsweise durch das Krempeln einer Tasche ein Stromkreis öffnen und schließen. Diese elektrische Schaltung wird in einen existierenden Schaltkreis, bestehend aus einem steuernden ‚Lilypad’120 und verbrauchenden LED’s, integriert. Der Prototyp ist dabei eine Kombination, genauer eine Rekombination aus verschiedenen bekannten und unbekannten Entwürfen und den dazugehörigen Wirkzusammenhängen. Im Lichte dieser positiven, in anderen Worten, dieser erwarteten Ergebnisse, fassen die Designerinnen umgehend weitere Pläne. Ethnografische Beschreibung von Sequenz Nr. 7: Anders als in Sequenz vier und fünf produziert und prüft Nora hier keine Funktionsmodelle, sondern einen Prototypen. Dienten die Funktionsmodelle zur Prüfung einer Funktion, so kennzeichnet den Prototyp die Kombination von vielen verschiedenen Funktionen. Auch die Möglichkeit ihn als Pullover zu tragen gehört zu diesen Funktionen. Die Herstellung dieses besonderen Modells, die Applikation und Fehlerbehebung verschiedener Funktionen und die Verbindung und Steuerung dieser Funktionen, nehmen Kirsten und Nora in dieser Sequenz vor. Die Taschenschaltung An die linken Seiten der zwei Taschen des Pullovers (gemeint sind die Seiten des Taschenfutters, die am Körper liegen und bei einem Griff in die Tasche nicht berührt werden) hat Nora je zwei rechteckige Stücke aus elektrisch-leitendem Stoff genäht, die wiederrum mit leitendem Garn verbunden sind. Dieses Garn, als elektrischer Leiter, wird entlang der Nähte des Pullovers auf den oberen 120 Alle Platinen der Lilypad Produkte sind lila und nicht wie gewöhnlich grün, auch der Schriftzug Lilypad ist sehr rundlich, er erinnert an die Symbolik von einem Spielzeug, wie beispielsweise einer Puppe. Die symbolische Konnotation ist klar weiblich ausgelegt, dies wird besonders augenfällig in der sonst so einheitlich strengen Optik von elektronischen Bauteilen. Nora schließt mit dem treffenden Kommentar „Lego für große Mädchen“, ihr missfällt diese Symbolik.
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Rücken geführt. Damit ist eine Phase der Konstruktion vorerst abgeschlossen. Ein erster Test gilt der Frage, ob die modifizierte Tasche, in ihrer neuen Funktion als elektrischer Schalter, den Stromkreis schließt. Durch das Rausziehen des Taschenfutters berühren sich die zwei leitfähigen Stoffstücke auf den ‚linken‘ Seiten der Taschen. Wieder nutzt Kirsten das Multimeter zur Messung des elektrischen Widerstandes: Sie schließt die Krokodilklemmen an und die Schaltung verhält sich wie vorgesehen – die Leitfähigkeit ist hergestellt. Der elektrische Widerstand pendelt sich bei zufriedenstellenden 100 Ohm ein. Im Vergleich zu den Tests in Sequenz fünf verläuft diese Funktionsprobe schnell, die Auseinandersetzung mit dem Material ist weit weniger intensiv, denn die Messung wird – vermutlich aufgrund des erwarteten Ergebnisses – nicht mehrfach wiederholt. Ab diesem Zeitpunkt wird diese elektrische Wirkung nicht mehr in Frage gestellt. Dennoch gibt es auch hier kleinere Kontaktschwierigkeiten. Die Tasche muss richtig liegen, die Kontakte müssen richtig sitzen, nur mit Fingerspitzengefühl wird diese neue Wirkung verlässlich, wiederholbar und gewinnt damit einen technischen Charakter. Im Unterschied zu Sequenz vier und fünf stimmen Erwartung und Ergebnis überein, die Kontakterfahrung bestätigt hier die Distanzerfahrung. Der neue Entwurf wird zügig zusammengestellt und überprüft. Schalt- und Stromkreis Nora und Kirsten gehen sehr zügig zum nächsten Arbeitsschritt über. Die ‚Taschenschaltung‘ soll nun zu einem schalt- und programmierbaren Stromkreis ausgebaut werden. Zum Zentrum dieses Schaltkreises machen die beiden eine programmierbare Steuerungsplatine vom Typ ‚Lilypad‘ (zur Erklärung siehe Fußnote 97). Etwa auf der Höhe, auf der die Schulterblätter der Trägerin liegen würden, endet das Silbergarn, hier soll das ‚Lilypad‘ befestigt werden, allerdings auf der sichtbaren Außenseite des Pullovers. Zügig verbinden die beiden Designerinnen Kabel mit einem Widerstand und einer LED und integrieren damit den Verbraucher in den Stromkreis, ohne Verbraucher würde der Schalter ohne Funktion bleiben. Nun wird das ‚Lilypad‘ in den Stromkreis eingebaut, der Schaltkreis ist geschlossen. Per USB-Kabel verbindet Kirsten die Platine des ‚Lilypads‘ mit ihrem ‚Macbook‘, so ist die Stromversorgung gesichert, vor allem aber kann das ‚Lilypad‘ über den Computer programmiert und gesteuert werden.
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Abbildung Nr. 13: ‚Macbook‘, Multimeter, ‚Lilypad-Platine‘, diverse Kabel, der Prototyp rechts, diverse Nähutensilien und die Nähmaschine zeigen die Vielfalt der Tätigkeiten in dieser Phase des Designprozesses.
Die Steuerungsplatine in dem Stromkreis erfordert eine Programmierung mittels eines bestimmten ‚Codes‘. Auf dem ‚Macbook‘ findet sich die entsprechende Software, ein Fenster zeigt dabei den editierbaren Code an. Die Software erlaubt es, den Code auf die Platine zu kopieren und den Schaltkreis in Gang zu setzen. Der Umgang mit der Elektrotechnik und Software geht gerade Kirsten leicht von der Hand, aber auch Nora findet sich schnell in die von der handwerklichen Arbeit sehr differente Arbeit ein. Es ist interessant zu beobachten, dass die Designerinnen zwar den Strom- und Schaltkreis selber produzieren, den Code zu seiner Steuerung aber von einer Open Source Website herunterladen. Es sind zwar Anpassungen notwendig, diese gelingen aber recht schnell. So kann keine Rede davon sein, dass eine der Designerinnen hier einen Code schreiben würde. Der Umgang mit der Software gleicht eher einer Praxis des ‚Sampling‘, die aus der Musik bekannt ist. Die Struktur wird aus einem existierenden Werk übernommen und angepasst und zwar solange, bis die Schaltung die Erwartungen erfüllt.
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Entwerfen, Nähen, Messen, Verkabeln und Programmieren zeigen die enorme Vielseitigkeit der Designarbeit, aber auch die vielen Fähigkeiten der Designerinnen. Die Arbeitsteilung im gesamten Projekt ist äußerst gering. 121 Ganz ähnlich, wie zuvor im Aufbau des Schaltkreises und seiner elektrischen Prüfung, treten bei der Programmierung Fehler auf. Diese werden ebenso untersucht und behoben, nun aber nicht mit dem Multimeter in der Hand und als Prüfung der Kabelverbindungen, sondern in der Software. Die Arbeitsschritte folgen zügig aufeinander, erneut wechseln sich Konstruktion und Prüfung in schneller Folge ab. Das ‚Taschen-Interface‘ funktioniert am Ende dieser Sequenz sobald das Taschenfutter herausgezogen wird, denn dann berühren sich die Rückseiten des Taschenfutters, der Stromkreis schließt sich und die LED beginnt zu leuchten. Die beiden probieren die Funktion nur drei- bis viermal aus und gehen im Anschluss direkt zur weiteren Arbeitsplanung über. Kirsten und Nora diskutieren darüber, was machbar und was erstrebenswert wäre. Dabei gehen sie auch auf technische Details ein. Schließlich formuliert Kirsten einen Arbeitsauftrag für Nora, sie soll eine ähnliche, nun aber graduell schaltbare Schaltung in einen der Ärmel einnähen. Konzeptuelle Verallgemeinerung von Sequenz Nr. 7: Konstruktion und Prüfung wechseln mitunter von Augenblick zu Augenblick. Der Entwurf selbst wird hier nicht in Frage gestellt. Bisher war der Designprozess vor allem über die Verwendung verschiedener Arbeitsmittel (symbolische, visuelle, materielle) so organisiert, dass die verschiedenen Formen von Ungewissheit differenziert bearbeitet wurden. Die Differenz lag darin, dass beispielsweise Fragen des technischen Aufbaus, wie in Sequenz vier, deutlich von Fragen seiner Funktion in Sequenz fünf getrennt wurden. Nicht gänzlich getrennt, aber doch recht differenziert wurden bestimmte Typen von Ungewissheit im bisherigen Designprozess bearbeitet, mit dem Prototyp wird diese Trennung durchlässiger. Konstruktion und Prüfung wechseln hier mitunter von Augenblick zu Augenblick. Im Weiteren zeigt diese Sequenz eine bereits angesprochene Besonderheit von Funktionsprüfungen auf. Erwartete Eigenschaften werden nur kurz, unerwartete Eigenschaften aber recht lang und mehrfach geprüft. Mead formuliert 121 Für mich als Beobachter resultiert aus der niedrigen Arbeitsteilung in diesem Designprozess die Möglichkeit, die beiden Designerinnen in ganz verschiedenen Tätigkeitsbereichen, genauer, in Auseinandersetzung mit ganz verschiedenen Arbeitsmitteln, zu beobachten. Dadurch werden die spezifischen Wirkungen der verschiedenen Methoden und Mittel besonders gut erkennbar.
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zu treffenden und falschen Objekterfahrungen die folgende Aussage: „Als Unwirkliches [falsche Erwartung gegenüber einem Objekt, Anm. V.J.] ist es bloß eine Erfahrung des Individuums, als Reales wird es Teil des Objektes.“ (Mead 1969: 108) Nicht zutreffende Erwartungen von Objekteigenschaften rechnen Akteure sich selbst als Irrtum oder Fehler der Erfahrung zu. Trifft eine Erwartung hingegen zu, so ist diese Eigenschaft Teil des Objektes und wird als stabil verstanden. In Bezug auf Sequenz fünf haben sich Mead zu Folge Kirsten und Nora den Misserfolg ihrer Funktionsmodelle selber zugeschrieben. Der Misserfolg wird Teil ihrer Erfahrung und ihrer Fähigkeiten und der Art wie sie Modelle aufbauen. Die Zuschreibung führt direkt zu einer Fortsetzung ihrer Arbeit, weil die eigenen Erwartungen nicht erreicht wurden. Die in dieser Sequenz erfolgreich stabilisierte Funktion des Prototyps und seiner Bestandteile ist, Meads These zu Folge, auf die Eigenschaften der Objekte zurückzuführen. Häufig konnte ich beobachten, dass nicht erwartete Eigenschaften von Objekten sehr lange und gründlich geprüft wurden, erwartete Eigenschaften dagegen nur sehr kurz und mit dem Charakter einer Bestätigung. Im Falle einer Fehlfunktion scheinen Kirsten und Nora auch immer ihre Prüfung mit zu prüfen, indem sie sie wiederholen und in Frage stellen. Entspricht dagegen das Ergebnis den Erwartungen, so findet keine Prüfung der Prüfung statt, das Ergebnis wird sofort als eindeutig verstanden. Erwartete und nicht-erwartete Ergebnisse werden praktisch nicht auf die gleiche Art und Weise produziert. Es sind die in der Soziologie recht prominenten Krisenexperimente des Ethnomethodologen Harold Garfinkel, die in aller Deutlichkeit die Erwartungen von Akteuren zu Tage fördern. Diese Krisenexperimente zeigen anhand der Reaktionen der Akteure die Erwartungen an einen bestimmten ‚common Sense‘ (vgl. Garfinkel 1967: 64). Tritt dieser common Sense nicht ein, bedeutet dies Stress und eine starke Irritation für die Akteure. Die nicht erwartete ‚Krise‘ des Designprozesses in Sequenz fünf ist insofern ein Glückfall, denn gleich einem Krisenexperiment zeigen sich die enttäuschten Erwartungen von Kirsten und Nora besonders deutlich. Dieser Sequenz zeigt, dass die Bestandteile von Designarbeit, wie Konstruktion und Prüfung, mit denen anderer Sequenzen identisch sind. Verlauf und Reihung dieser Elemente im Prozess mag zwar eine andere sein, das Verhältnis von Ungewissheit, Handeln und bestimmten Arbeitsmitteln ändert sich dadurch jedoch in keiner Weise. Die Zusammenführung und Beantwortung vieler offener Fragen gelingen in dieser Sequenz als Konstruktion und Prüfung des stets pragmatisch erarbeiteten Prototyps. Auf diese Weise wird Ungewissheit als Frage
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und Problem kultiviert und durch eine wechselhafte Kombination von Konstruktion und Prüfung verringert.
7.3
SEQUENZ NR. 8: DAS DESIGNOBJEKT BEKOMMT EINE GESTALT – DIFFERENZIERUNG UND INTEGRATION VON UNGEWISSHEIT
Zusammenfassung von Sequenz Nr. 8: Der funktionierende Strom- und Schaltkreis des Prototyps soll hier durch den Kontakt zweier leitfähiger Stoffe erweitert werden. Eine zweite Vorrichtung im Ärmel soll als Ergänzung zu der diskutierten binären Schaltung (Sequenz sieben) eine graduell-analoge Regelung ermöglichen. Ein Krempeln der Ärmel soll die Stoffe in Kontakt bringen, mit zunehmender Länge des aufgekrempelten Ärmels wird die Kontaktfläche größer und der elektrische Widerstand geringer – so der Entwurf. Die Konstruktion gänzlich textilbasiert zu vollziehen und dabei die Weichheit und Formbarkeit der Textilien zu nutzen entspricht der bereits diskutierten Designideologie von Kirsten. Ihr ist es ein Anliegen, Materialen anhand ihrer stofflichen Eigenschaften einzubeziehen und damit eine bestimmte Ästhetik der künftigen Nutzung zu ermöglichen. Diese Sequenz untersucht jedoch eine Arbeitsphase, in der Nora alleine die Modifikation des erwähnten Prototyps verfolgt. Nora verschafft sich Gewissheit über einige konstruktive Details. Ihr Ausgangspunkt ist eine recht genaue Vorstellung davon, wie ein solcher Ärmel zu bauen ist und welche Probleme dabei auftreten können. Schließlich gelingt es ihr, eine Vielzahl kleinerer Konstruktionsprobleme zu beseitigen und ein funktionierendes Modell des Ärmels zu konstruieren. Im inneren eines Ärmels ist ein leitfähiger Stoff mit einem Bügelkleber aufgeklebt. Die Längen der Phasen von Prüfung und Konstruktion sind wechselhaft, zumeist aber sehr kurz. Ethnografische Beschreibung von Sequenz Nr. 8: Nora ermittelt zunächst mit einem Maßband die Länge des Ärmels des Pullovers. Sie holt zwei Stücke leitenden Stoff hervor und zeichnet auf einem grünlichen Stoff mit Schablone einen Umriss, diesen schmalen und länglichen Streifen schneidet sie mit einer Schere aus. Das zweite Stück ist bronzefarben, glänzt metallisch und ist sehr elastisch.
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Abbildung Nr. 14: Nora beginnt die Arbeit, indem sie die Ärmel des Prototyps gründlich misst.
Während der erste Stoff eine geringe Leitfähigkeit und damit einen hohen Widerstand in Ohm besitzt, ist der Letztere sehr leitfähig, ihre Kombination soll die graduelle Regelung des Stroms ermöglichen. Nach mehrmaligem Aufeinanderlegen und Vergleichen von Größe und Form liegen Nora zwei, in etwa gleich große Streifen Stoff mit differenter elektrischer Leitfähigkeit vor. Sie legt die Streifen auf den Ärmel des Pullis und bringt sie in Position. Durch eine Anprobe des Prototyps ermittelt sie, an ihrem eigenen Körper, die geeignetsten Stellen für das Aufbringen der Streifen. Sie hat sich für die Innenseite des Arms entschieden. Als die Streifen in der erwünschten Position sind, beginnt Nora sie mit Stecknadeln zu fixieren. Sie beabsichtigt, die Streifen anzunähen, denn zum einen bevorzugt sie prinzipiell das Nähen gegenüber dem Kleben, vor allem aber befürchtet sie, dass der Kleber die Stoffe steif macht und so ein Krempeln erschwert oder verhindert. Nach einigem Hantieren beginnt sie, den grünen Streifen, ausgehend vom Bündchen des Pullis, von innen aufzunähen. Zunächst surrt die Maschine auch recht zügig, die Arbeit geht voran, wird aber immer langsamer, denn je näher sie der Schulter kommt, desto mehr Stoff staut sich um die Nadel herum auf. Als sie etwa auf einem Drittel der Höhe des Ärmels ist, ist so viel Stoff im Weg, dass es ihr unmöglich ist weiter zu nähen.
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Der aufgeschobene Stoff blockiert ihre Sicht und den Fluss des Stoffes. Schließlich entscheidet sich Nora die Stoffe nun doch aufzukleben. Auf diese Weise bringt sie die Arbeit recht schnell zu Ende. Entgegen ihrer Erwartung der materiellen Eigenschaften (Distanzerfahrung) macht der Klebstoff die Ärmel nicht steif, sie lassen sich weiterhin gut krempeln. Die praktische Herstellung revidiert hier ihr eigenes Argument technischen Sachzwangs. In dieser Sequenz hat Nora den Aufwand des Nähens abgeschätzt. Mit der richtigen Maschine und Zeit ließen sich die Stoffe sicherlich aufnähen, scheinbar priorisiert sie jedoch ein zügiges Vorankommen und so veranlasste sie die problematische Ausführung der Arbeit ihre anfänglichen Pläne zu ändern. Die von ihr geäußerte Befürchtung, dass der Klebstoff den Ärmel steif werden lässt, bestätigt sich nicht in der Kontakterfahrung. Abbildung Nr. 15: Obwohl Nora viel Erfahrung und Kenntnis im Umgang mit der Nahmaschine hat, gelingt hier die geplante Ausführung nicht, schließlich entscheidet sie sich gegen das Nähen und für das Aufkleben des Stoffs.
Konzeptuelle Verallgemeinerung von Sequenz Nr. 8: Die recht schnelle Konstruktion eines funktionierenden Modells macht zahlreiche Details und Eigenschaften der Materialien, Werkzeuge und eigene Fähigkeiten relevant, die im Vorfeld von Nora nicht richtig eingeschätzt werden. In schneller Folge wechseln sich die Auseinandersetzung mit Problemen materieller Ungewissheit und
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avisierten Zielvorstellungen ab. Nora reduziert durch Konstruktion und Prüfung eine ganze Reihe materieller Ungewissheiten, die initiale Ungewissheit dieser Sequenz wurde zuvor durch den Arbeitsauftrag von Kirsten klar umrissen. Da die Arbeit mit dem Prototyp einen engen Bezug auf die Eigenschaften der Materialien erzwingt, kommt Nora zu Lösungen, die gerade im Vergleich zur Skizze einen detaillierten Einbezug von sehr vielen Eigenschaften nötig machen. Das Modellieren macht es im Unterschied zur Skizze notwendig, all diese Details zu berücksichtigen, denn es führt beständig die Ungewissheit des Materiellen mit sich. Schließlich lässt sich der Ärmel anziehen, anfassen und ausprobieren – und das ist unersetzlich für die Frage nach der Festigkeit eines Klebers oder einer vorteilhaften Stelle zum Aufbringen der leitfähigen Stoffe. Die Prüfung und Bearbeitung verschiedener Wirkzusammenhänge gehen eng miteinander einher. Der Prototyp bringt die Ungewissheit des materiellen und die Ungewissheit des Entwurfs zusammen. Nora möchte hier die Ungewissheit der angestrebten Ästhetik und ihre materielle Umsetzung zusammenbringen, indem sie diese im Prototyp stabilisiert. Wieder wird hier die Trennung verschiedener Formen von Ungewissheit durchlässig, denn um einen Prototyp zu konstruieren ist es nötig, die verschiedenen Formen der Ungewissheit und ihrer Vergewisserung zu verbinden. Wurden in einigen vorherigen Sequenzen Arbeitsphasen beschrieben, die nur sinnhafte Probleme adressiert haben (Sequenz drei) oder nur materielle Ungewissheit in Form von Prüfungen (Sequenz fünf), so bringt der Prototyp die Ungewissheit der Bedeutung und die Ungewissheit des Materiellen zusammen. Wurden bisher Gemengelagen von Ungewissheit mit Hilfe unterschiedlicher Arbeitsmittel in Form von Trennungsarbeit auseinander dividiert, so dienen die späteren Arbeitsschritte dieses Designprozesses der Kombination und der Synchronisation verschiedener Vergewisserungen. Diese Sequenz verdeutlicht zwei weitere wichtige Punkte: Erstens macht Nora hier ausgiebigen Gebrauch von ihrem Körper. Sie nutzt ihren Körper in einer umfassenderen Form, als sie es in Sequenz fünf während der Funktionsprüfung der Modelle tut, denn dort werden nur die Hände fühlend bzw. die Gleichzeitigkeit der Wahrnehmung von Hand und Auge in die Arbeit einbezogen. In dieser Sequenz erlaubt es ihr Körper, die Größe, die Position und die Maße der Prototypen zu ermitteln. Sie macht ihren Körper zu einer Projektionsfläche des noch vagen Designobjektes. Wie bereits mehrfach diskutiert wurde, sind Objekte außerhalb von Situationen, Handlungen und Kontexten schwer begrifflich zu fassen (vgl. Rammert 2003; Latour 2006). Diese Notwendigkeit zur situativkonkreten – und eben auch körperlichen Einbindung – erfüllt Nora hier und an anderen Stellen des Designprozesses durch den Einbezug ihres eigenen Körpers.
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Parolin und Mattozzi thematisieren in einer Untersuchung norditalienischer Möbeldesigner, dass für die Kreativität und Innovationskraft immer wieder ein Verhältnis von körperlicher Nähe und Distanz zum Designobjekt aufgebaut werden muss, um das Wissen vom Designobjekt zu erweitern und zu entwickeln (vgl. Parolin, Mattozzi 2013:364). Die Bedeutung von Noras Körper präsentiert sich in dieser Sequenz jedoch auf andere Art und Weise. Durch die körperliche Bezugnahme, die Applikation des Prototyps auf den Körper, verbindet Nora antizipative Annahmen und materielle Möglichkeiten der Gestaltung. Die Ungewissheit der Antizipation wird durch eine materiell-körperliche Bezugnahme geprüft, die Möglichkeiten der materiellen Gestaltung werden durch den Bezug auf den Körper und das Vorhaben eingeschränkt und angepasst. Der Körper verbindet somit die Vorstellungen über das Objekt und die konkreten materiellen Möglichkeiten. Anders gesagt, der Körper verbindet die abstrakten Ungewissheiten mit den materiellen Ungewissheiten im Sinne einer Verringerung der Ungewissheit. Zuletzt ist noch festzustellen, dass die Arbeit mit der Software und die Programmierung derselben einen überraschend kleinen Anteil am Designprozess einnehmen. Die handwerkliche Arbeit, die Arbeit des Entwerfens und gegen Ende eben die Rekombination dieser eigentlich untrennbaren Zusammenhänge nehmen wesentlich mehr Zeit und Mühe in Anspruch. Hierfür gibt es zwei Erklärungen, so schien gerade Kirsten recht geübt im Umgang mit der Software und der Liypad- Steuerungsplatine. Vor allem aber gibt es hier ganz offensichtlich eine inoffizielle Arbeitsteilung. Die ‚Open Source Communitiy‘ stellt recht verwendungsnahe Codes zu Verfügung. Anders als die Designobjekte werden diese übernommen und nicht von Grund auf neu aufgebaut. Die Arbeit des Programmierens, aber auch der Herstellung der Platine, findet anderswo statt, im Designprozesse ist nur eine Anpassung zu beobachten.
7.4
SEQUENZ NR. 9: INTEGRATION ZUM PROTOTYP EINES ELEKTRISCHEN PULLOVERS
Zusammenfassung von Sequenz Nr. 9: Seit der fehlgeschlagenen Funktionsprüfung in Sequenz fünf zeigen sich wesentlich kleinere Zyklen von Entwurf und Idee einerseits und ihrer Umsetzung im Modell oder Prototyp anderseits. Die Entwürfe aus der dritten Sequenz wurden weiterentwickelt, ebenso sind einzelne Funktionsmodelle entstanden, vor allem aber wurden viele der Entwürfe auf den Prototyp, den grauen Kapuzenpullover, übertragen. Dieser umfasst nun eine binär schaltende Tasche, einen analog regelnden Ärmel, einen Vibra-
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tionsmotor, eine Leuchtdiode, aus Garn angefertigte Lautsprecher in der Kapuze und einen Summer auf der Brust. Selbstverständlich bedarf es zahlreicher elektrischer Verbindungen und einer Steuerung, um die verschiedenen Funktionen in Betrieb zu setzen. Einige dieser Entwürfe und Konstruktionen wurden in den vorherigen Sequenzen verfolgt und diskutiert, andere nicht. In dieser Sequenz bemühen sich die beiden Designerinnen, den schon recht üppigen Prototypen in Funktion zu nehmen. Alle Teilfunktionen wurden bereits während der Herstellung gemessen und ausprobiert, eine Verbindung mit der Steuerungsplatine und deren Programmierung aber findet nun zum ersten Mal statt. Waren die genannten Funktionen an Tasche, Ärmel und anderswo bisher das Ziel (‚Ends‘) der Designarbeit, werden sie nun zu Mitteln der Designarbeit (‚Means‘), um den Prototyp zu vollenden. Ethnografische Beschreibung von Sequenz Nr. 9: Nora sitz an einem der Tische im Großraumbüro des DRL, vor ihr befinden sich ihr ‚Macbook‘, diverse Näh Utensilien, einige Skizzen und eine Nähmaschine. Auf einem Modellkorpus eines Frauenkörpers, wie man ihn aus Schaufenstern kennt, ist der Prototyp platziert. Seine Steuerungsplatine (‚Lilypad‘) ist per USB-Kabel mit dem Laptop verbunden. Der Pullover hat die Anmutung von etwas Unfertigem, dicke Kabel mit Krokodilklemmen in Rot und Grün verbinden einige der Pins der Platine, hier und da sind sie mit Klebeband am Pullover befestigt. Ein Akku ist ebenfalls mit Klebeband befestigt. Die Kabel tragen kleine Klebezettel, auf denen ihre Funktion notiert ist. Als ich dazukomme sehe ich auf dem Bildschirm mehrere offene Fenster mit unterschiedlichen Codes für die Steuerungsplatine. Nora arbeitet am Laptop, sie sucht im Netz nach einem Code, um den ‚Buzzer‘122 in Betrieb zu nehmen. Mit ‚Copy und Paste‘ wird der Code in eines der Fenster kopiert und von dort aus per Klick auf die Steuerungsplatine übertragen. Alle Schritte zur Inbetriebnahme des ‚Buzzers‘ auf der Vorderseite des Pullovers sind nun abgeschlossen. Während die Software den Code überträgt entsteht eine Pause – die Designerinnen schweigen. Dann bewegt Nora ihr Ohr in Richtung des Pullovers und hört ein leises Piepsen, sie freut sich über die Funktion des ‚Buzzers‘. Sogleich betätigt sie die Taschenschaltung, allerdings ohne einen Effekt zu erzielen. Nora beginnt in den Fenstern mit den Codes herum zu klicken. Sie fügt erneut einen Code aus dem Netz hinzu, bildet neue Kombinationen. Zunächst piept zwar der Summer, aber die Taschenschaltung bleibt ohne 122 Der ‚Buzzer‘ ist, wie auch die LED Lampen, ein Verbraucher, er erzeugt je nach Programmierung ein Tonsignal. Seine Konstruktion wurde nicht genauer beschrieben.
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Funktion. Interessant zu beobachten ist in diesem Arbeitsschritt wieder die körperliche Falsifikation mit dem Ohr. Die Software bietet zwar eine Fülle von Informationen über die Funktion und ihre Fehler, die letztendliche Bestätigung aber wird, wie schon so oft, durch eine gleichzeitige körperliche Wahrnehmung vollzogen. Stets wird eine meadsche Gleichzeitigkeit von Auge, Software, Ohr und ‚Buzzer‘ angestrebt (vgl. Mead 1987B: 242; Joas 1980: 151). Kirsten kommt von einem Gespräch mit ihrer Chefin hinzu. Nach einem kurzen Dialog mit Nora setzt sie sich an den Laptop und schließt alle geöffneten Fenster bis auf ein einziges. Sie informiert sich auf der Herstellerseite der Platine und ändert den Code, indem sie Teile des Codes außer Kraft setzt und andere editiert. Nach dem Hochladen des neuen Codes auf die ‚Lilypad-Steurungsplatine‘ funktionieren der Summer und seine Betätigung durch die Taschenschaltung sofort, wieder wird die erwartete Funktion nur sehr kurz geprüft. Abbildung Nr. 16: Waren ‚Macbook‘, ‚Lilypad‘, diverse Kabel, Nähutensilien und vieles mehr in Abbildung Nr. 13 noch auf dem Tisch verteilt, so wird die viel beschrieben Rekombination und Verbindung hier plastisch vollzogen und damit sichtbar. Die Elemente sollen hier in eine funktionale Einheit gebracht werden.
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Im zweiten Teil der Sitzung lässt sich der im Ärmel installierte, krempelbare analoge Regler nicht in Funktion bringen. Die beiden prüfen mit dem Multimeter die Leitfähigkeit des dazugehörigen Stromkreises und entdecken einen Kurzschluss. Wie schon in Sequenz fünf, ist das Multimeter das wichtigste Instrument für die Messung. Die beiden hantieren nun mit dem Pullover vor sich und auf ihren Schößen. Zur Erinnerung, die Stromkreise bestehen nicht aus isolierten Kabeln, sondern aus nicht isoliertem Garn mit hohem Silberanteil. Kurzschlüsse sind somit durch Nähe oder Berührung sehr leicht zu erzeugen. Nach vielen Messungen und vielen Hypothesen über die Ursache des Fehlers sucht Nora eine bestimmte Naht des elektrischen Leiters ab. Bei der Konstruktion des Prototyps hat sie die elektrisch leitfähigen Nähte in der Seitennaht des Pullovers platziert. Sie geht diese Nähte nun kleinteilig durch, um die Ursache des Kurzschlusses zu finden. An einigen Stellen isoliert sie mit Klebeband das zum Teil sehr eng aneinander liegende Silbergarn. Die Sitzung endet, ohne dass der Fehler behoben ist, da Nora noch einen auswärtigen Termin hat. Insbesondere der zweite Teil der Sitzung zeigt eines der nun zentralen Probleme der Konstruktion elektrischer Kleidung: Die Leitfähigkeit des Garns, die Isolation des Stromkreises und damit seine ganze Funktion sind äußerst fragil. Für die Integration der verschiedenen Funktionen zu einem Prototyp sind diese widerständigen Details oftmals Quellen von Ungewissheit. Konzeptuelle Verallgemeinerung von Sequenz Nr. 9: Die mittlere Phase des Designprozesses zeigt wieder und wieder ein zentrales Muster: Aus den Entwürfen werden bestimmte Funktionen materiell technisch konstruiert, Aufwand und Erfolg sind dabei unterschiedlich. Die Problemstellung, einen bestimmten Entwurf zu konstruieren, sorgt dabei für Ungewissheit, ihre materielle Konstruktion reduziert diese Ungewissheit wieder. Die neunte Sequenz unterscheidet sich von diesem Muster und beruht doch auf den genannten Vorarbeiten: Die schon bekannten Funktionen in Ärmel, Tasche, Kapuze und anderswo werden nun nicht mehr im Einzelnen stabilisiert, sie sollen nun zu einem programmierbaren Prototyp zusammengeführt werden. Die hiesige Ungewissheit entspringt dem Ziel der Kombination oder Rekombination. Ihr Vollzug ist als kleinteiligen Programmierung und Verkabelung beschrieben. Das noch schwebende Ziel, diese Funktionen zu einem steuer- und programmierbaren Objekt zu verbinden, ist weiterhin offen. Es sind immerzu die Phasen des Übergangs, die Zwischenräume, die für den Prozess von größter Bedeutung sind. Diese Zwischenräume, dieses Hin und Her zwischen der Stabilisierung der Funktionen des Pullovers und ihrer Verbindung und Steuerung zu einem neuen Ganzen, bringt erstens die entscheidenden Fragen und Probleme auf den Tisch und macht sie so begreif- und damit manipu-
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lierbar. Die Probleme der Programmierung sind nun nicht mehr abstrakt, sie sind konkret und damit greifbar und behandelbar. Wie wird verkabelt? Welche Codes werden benötigt? Wo berühren sich die elektrischen Leiter und erzeugen einen Kurzschluss? Diese Fragen werden konkret und müssen bearbeitet werden. Bezeichnend für die neunte Sequenz ist die Verschiebung im Verhältnis der Mittel und Zwecke. Waren die diversen Schaltungen, Kabel und ihre Leitfähigkeit bisher stets das Ziel der Designarbeit, so werden mit der Kombination zu einem Prototyp Zwecke zu Mitteln. Fixierte Zwecke werden mit dem Fortschreiten des Designprozesses zu mehr oder weniger verlässlichen Mitteln des Handelns. Waren also bisher die Taschenschaltung, der Regler im Ärmel und vieles mehr Zwecke der Bemühungen, so sind sie in dieser Sequenz zu Mitteln geworden. Es sind die Absichten der Designerinnen, die hier aus Zwecken Mittel machen. Immer beruhen die Mittel und durch sie die Zwecke auf bestimmten physischen Wirkrelationen auf der Ebene Objekt-Objekt. Ich wiederhole zur Veranschaulichung ein Zitat von Dewey: „[I]t necessarily follows that the distinction between ends and means is temporal and relational. Every condition that has to be brought into existence in order to serve as means is, in that connection, an object of desire and an end-in-view, while the end actually reached is a means to future ends as well as a test of valuations previously made.“ (Dewey 1939: 43)
Ferner zeigt sich in dieser Sequenz, dass Kirsten und Nora durchaus unterschiedliche Fähigkeiten haben. Kirsten geht sicherer mit der Elektronik um, während Nora große Teile der Näharbeiten durchführt. Es sind diese ab- und eingrenzbaren, nicht aber diffusen Fragen und Ungewissheiten, die die konstitutive Grundlage des designerischen Handelns darstellen. Alle Übergänge, Zwischenräume und Phasen zwischen verschiedenen Typen von visuellen und materiellen Modellen, enthalten derartige Ungewissheiten, jeder Projektfortschritt bringt auch neue Unsicherheiten mit. Die Frage, ob und wie dieses produktive Wechselspiel jedoch beendet werden kann, bleibt weiterhin offen.
7.5
ZWECKE WERDEN ZU MITTELN – ZUSAMMENFASSUNG DES SIEBTEN KAPITELS
Der mittlere Teil des Designprozesses unterscheidet sich von der in Kapitel sechs geschilderten ersten Phase des Designprozesses, obschon auch hier mit und gegen materielle und bedeutungsvolle Formen von Ungewissheit gearbeitet
Bedeutungen und Wirkungen werden zugänglich | 215
wird. Die anfangs noch mit Hilfe der Arbeitsmittel sehr deutlich voneinander getrennten Entwurfs- und Konstruktionsphasen sind nun wesentlich durchlässiger geworden. Meist bezieht sich die Arbeit in dieser Phase auf materielle Ungewissheiten der Objekt-Objekt Ebene. Entscheidungen für und wider bestimmter Materialien, Ausführungen, Platzierungen von Kabeln und Stoffen betreffen jedoch immer auch die Bedeutung der Entwürfe. Ganz trennen lassen sich Bedeutung und Wirkung auch im Design nicht – die Trennung bleibt stets mehr oder weniger durchlässig. Besonders interessant sind einige Momente der Prüfung in den beschriebenen Sequenzen, beispielsweise werden erwartete Ergebnisse praktisch anders hergestellt als solche, die nicht erwartet wurden: Sobald im Zuge einer Prüfung von einem konstruierten Element, wie etwa dem krempelbaren Ärmel, eine avisierte und erwartete Wirkung nicht eintritt, wird wieder und wieder geprüft. Oft wird dabei auch die Prüfung selber in Frage gestellt, eine Prüfung der Prüfung ist die Folge. Der Kontrast zu den erwartungsgemäß verlaufenden Prüfungen ist hoch, hier wird nur sehr kurz und ohne Wiederholungen geprüft. Die Bearbeitung der materiellen Ungewissheit kann in diesem Sinne zwar als Prüfung beschrieben werden, jede dieser Prüfung ist aber eine praktische, mehr oder weniger aufwändige Durchführung bestimmter Handlungen. Es sind die Körper, seine Organe und kognitiven Kapazitäten, die zwischen den Antizipationen und Erwartungen von Wirkung einerseits und ihrer materiellen Prüfung andererseits stehen. Durch körperliches Erfahren kommen spezifische Erfahrungen und Fähigkeiten der Designerinnen zum Tragen, sichtbar etwa im Umgang mit dem Multimeter oder mit der Programmierung der Steuerungsplatine. Die ObjektObjekt-Beziehungen mögen relativ stabil sein, sie müssen jedoch aktiv körperlich in den Designprozess eingebracht werden. Mit dem Begriff der Designarbeit werden die gerade genannten und weitere typische Merkmale des untersuchten Prozesses zusammengeführt. Neben der Produktion von Prüfungsergebnissen, dem Körper als vermittelnde Instanz zwischen den Antizipationen und den tatsächlichen materiellen Zusammenhängen, ist die hiesige Designarbeit in ihrer mittleren Phase durch die Referenz auf bestimmte ästhetische Ideale gekennzeichnet. Diesen Bezug stellt stets die Projektleiterin Kirsten her und er betrifft antizipierte Kontexte künftiger Nutzung und nicht etwa die gegenwärtige Designpraxis selbst. Der Bezug auf ästhetische Paradigmen und Ideale macht Entscheidungen möglich und trägt so zum Fortschritt der Designarbeit bei. In ähnlicher Weise, aber in Bezug auf materielle Zusammenhänge, formuliert Kirsten gelegentlich sogenannte Argumente technischen Sachzwangs. Hier werden antizipierte, jedoch nicht geprüfte Wirkzusammenhänge auf der Objekt-Objekt Ebene als Argumente für oder wider bestimm-
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ter Entscheidungen verwendet. Wie auch durch die Referenzen auf ästhetische Ideale werden so Entscheidungen legitimiert und die Designarbeit vorangetrieben. Der breite Arbeitsbegriff von Strauss erlaubt es, zu unterschiedlichen Zeitpunkten beobachtete Momente von Design zu einem Prozess zu kombinieren. Designarbeit, als gegenwärtiges Handeln, richtet sich auf die Stabilisierung bestimmter Wirk- und Bedeutungszusammenhänge. Diese Wirk- und Bedeutungs-zusammenhänge sind als zukünftige Ereignisse nicht erreichbar, werden aber in den aktuellen Tätigkeiten adressiert und nach Möglichkeit stabilisiert. Designarbeit integriert und trennt aktuelle Momente der Ungewissheit von Wirkung und Bedeutung, bearbeitet sie mit unterschiedlichem Erfolg und zielt dabei doch immer auf die Stabilisierung eines bestimmten Wirk- und Bedeutungszusammenhanges, wie er typisch ist für technische Objekte. Die Ausrichtung der Designarbeit, auf die Stabilisierung von Wirk- und Bedeutungszusammenhängen, erlaubt eine weitere, hoch interessante Beobachtung. Sobald eine Wirkung stabilisiert ist, wird sie vom Ziel der Designarbeit zum Mittel der Designarbeit. Der beschriebene Schalter auf Basis der Taschenfutter etwa wurde mit dem Fortgang des Prozesses vom Ziel zum Mittel. Zielte die Designarbeit anfangs auf die Stabilisierung des genannten Schalters, so wurde dieser im weiteren Fortgang zum Mittel der Designarbeit an einem ganzen Pullover mit verschiedenen Wirk- und Bedeutungszusammenhängen. Der Status von Zwecken und Mitteln ist in der Designarbeit keineswegs fixiert, sie sind durch die Organisation, die Projektziele und die Absichten der Designerinnen bestimmt. Transformationen von Zwecken zu Mitteln finden auch auf der Bedeutungsebene statt. Dem Zweck der Produktion von Entwürfen beispielsweise dienten die ersten drei Sequenzen, die mittlere Phase des Designprozesses machte einige zu Mitteln der Herstellung des Navigationspullovers. Tabelle acht zeigt exemplarische Mittel-Zweck Relationen auf der Bedeutungs- und Wirkungsebene:
Bedeutungen und Wirkungen werden zugänglich | 217
Tabelle Nr. 8: Ausgewählte Zweck-Mittel Relationen in der ersten und zweiten Phase des Designprozesses. Mittel Bilder alltäglicher Nutzungssituationen von ganz verschiedenen Objekten, werden zerlegt, diskutiert und rekombiniert, um Farbe, Garn, Silbergarn, Stoff, Lösemittel, Lichtschrank, Hochdruckreiniger und vieles mehr werden zu Funktionsmodellen stabilisiert, um Taschenschaltung, krempelbare Ärmelregelung, Nähmaschine, Multimeter, ‚Lilypadplatine‘, Programmcodes und vieles mehr werden kombiniert, um
Zwecke Entwurfsskizzen sinnvoller, neuer Nutzungen zu entwerfen.
Funktionsmodelle farbveränderlicher Stoffe zu konstruieren.
Einen Prototyp des Designobjekts zu konstruieren.
In der zweiten Phase des Designprozesses werden vormalige Zwecke zu Mitteln im Fortgang des Designprozesses: Vormaliger Zweck, jetzt Mittel Entwurfsskizzen sind Mittel, um
Funktionsmodelle werden Mittel, um Prototyp des Designobjekts wird zum Mittel, um
Zweck Bestimmte sinnhafte Eigenschaften im Prototyp und finalen Designobjekt zu stabilisieren. Die Wirkung farbveränderliche Farbe zu stabilisieren, allerdings ohne Erfolg. Funktionen, Passform und Verwendung für den finalen Navigationspullover zu stabilisieren
Schaut man auf den bisherigen Designprozess, so wird deutlich, dass das Design eines Objektes gleichermaßen der Rekombination von Gewissheit, wie der Differenzierung von Ungewissheit bedarf. Darin liegt eine neue Erkenntnis: Die Ungewissheit ist nicht nur die Ursache der Arbeit, Ungewissheit als Ursache und Voraussetzung von Arbeit wird hier und an vielen anderen Punkten zum Gegenstand der Organisation. Nicht nur, wie oben beschrieben, erzeugen die Designe-
218 | Die Praxis des Designs
rinnen Ungewissheit als notwendige Bedingung ihrer Arbeit selbst, sie organisieren mal mehr und mal weniger erfolgreich wann und in welcher Intensität Ungewissheiten bearbeitet oder ausgeklammert werden. Ganz praktisch geschieht dies durch die Problematisierung von bestimmten Zusammenhängen und die Trennung auf Basis bestimmter Arbeitsmittel. An diese Annahme anschließend wäre es interessant zu prüfen, ob die erfahrene Kirsten prinzipiell anders vorgeht als die unerfahrene Nora. Designarbeit, wie Arbeit ganz allgemein, beinhaltet eine Form von Reflexion, die besonders dann wichtig wird, wenn die Routinen unterbrochen und blockiert sind (vgl. Strauss 1993: 225). Allerdings tritt diese Reflexion des eigenen Tuns nicht nur dann auf, wenn die wenigen Routinen außer Funktion sind. Die Reflexion findet auch in Voraussicht und in organisierter Form statt. So sind die Entscheidungen, welche Probleme wann angegangen werden, in den meisten Fällen kein Produkt des Zufalls, sondern das Ergebnis von Erfahrung und Reflexion.
Kapitel 8: Rekombination und Finalisierung – Bedeutungen und Wirkungen werden stabilisiert
Im dritten empirischen Kapitel steht nun die Frage im Zentrum, wie es gelingen kann, aus der Vielfalt der verschiedenen Entwürfe, Modelle und dem vorläufigen Prototyp ein einziges Designobjekt zu stabilisieren. Wie in den vorherigen Sequenzen auch, werden hier Zwecke zu Mitteln, denn der Prototyp dient als Vorlage für die Herstellung eines eigens entworfenen und genähten Navigationspullovers. Die technischen Funktionen werden dafür aus dem Prototyp übernommen.
8.1
SEQUENZ NR. 10: AUS DREI OBJEKTEN WIRD EINS
Zusammenfassung von Sequenz Nr. 10: Die zehnte Sequenz deckt einen längeren Zeitraum ab, als alle vorherigen Sequenzen. Wieder sind Beobachtungen im DRL die Grundlage der Sequenz. Neben ihrer Arbeit rekapitulierten die beiden Designerinnen jedoch im Stile eines narrativen Interviews ihre Arbeit aus den vergangenen Wochen. Ausgangspunkt der Rekapitulation ist der in Sequenz neun beschriebene, nun aber vollständig funktionierende Prototyp des Navigationspullovers auf Basis des gebrauchten grauen Kapuzenpullovers. In Sequenz neun wurde vor allem ersichtlich, dass mit den Transformationen von Zwecken zu Mitteln Unsicherheiten entstehen, aber zugleich auch greif-, bearbeitbar und damit manipulierbar werden. In den vorausgegangenen Wochen lag wiederum eine ähnliche Situation vor. Ausgehend vom Prototyp, auf Basis des grauen Pullovers, wurde vor allem das Problem der Kabelführung und Kabelisolierung des finalen Designobjekts problematisiert. Der Prototyp und seine spezifische
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Ungewissheit der Verlässlichkeit der elektrischen Leitungen werden von den Designerinnen als Problem auf das finale Designobjekt übertragen und hier bearbeitet. In dieser Sequenz werden verschiedene Schritte auf dem Weg vom funktionierenden Prototyp zum finalen Designobjekt rekapituliert. Die zentrale Erkenntnis besteht darin, dass für die Finalisierung auf ein Objekt hin wiederum die Vielfalt vieler verschiedener Objekte und Arbeitsmittel unabdingbar ist. Wichtig sind hier drei Arbeitsmittel, der Prototyp, ein Modell aus Stoff und Fäden sowie ein Papierplan der Verkabelung. War der Prototyp bisher der zentrale Zweck der Designarbeit wird er hier zum Arbeitsmittel. Ethnografische Beschreibung von Sequenz Nr. 10: Das schon bekannte Problem der ungewollten elektrischen Kontakte und Kurzschlüsse ist auch bei der Konstruktion des finalen Navigationspullovers die größte Herausforderung. Unvermeidliche Kreuzungen, der nicht isolierten elektrischen Leiter, sind mit Papier- und Stoffstücken recht aufwändig zu isolieren. Gleichzeitig ist ein Textil, anders als die meisten elektrischen Geräte, in seiner Form veränderlich und deshalb ständig in Bewegung. Eine wirksame Anordnung der vielen elektrischen Leiter auf dem Textil ist hier das Ziel. Bereits während der Modifizierung des Prototyps entwickeln sich Gespräche und schnelle Skizzen über konstruktive Details, auch über die Lage der elektrischen Leiter. Auf dem Weg zum finalen Designobjekt adressiert Nora das Problem, indem sie Skizzen anfertigt. Diese unterscheiden sich von den bisher diskutierten Visualisierungen: Wurden besonders in der Sequenz drei bedeutungsvolle, sinnhafte Nutzungsszenarien voller Menschen entworfen, so gleichen die aktuellen Skizzen eher Bauplänen, Schnitten oder Aufrissen. Sie repräsentieren die Lage und das Verhältnis der einzelnen Bestandteile zueinander. Diese Form der Darstellung, als orthogonale Projektion, ist allgegenwärtig in technischen Arbeitsfeldern, anders als in den Entwurfszeichnungen aus Sequenz drei ist eine sinnhafte künftige Nutzung hier nicht erkennbar. Wie zuvor in den Entwurfsskizzen ist die Darstellung auch hier selektiv, allerdings werden andere Teile des Designobjekts selektiert als in der Entwurfssitzung. Die Darstellung des künftigen Pullovers gleicht in ihrer Perspektive einem abgezogenen Tierfell: Der in Umrissen angedeutete Pullover ist entlang der auf den Rippen liegenden Seitennaht und an den Unterseiten der Arme aufgetrennt und flach auf eine Ebene projiziert. Diese Draufsicht gleicht einem kurzen und recht breiten Kreuz mit einem Loch in der Mitte. Die spezifische Darstellung mit diesem spezifischen Arbeitsmittel orientiert sich an der zentralen Ungewissheit der Lage der Kabel, denn auf dem Papier kann die Positionen der Kabel leicht probiert und definiert werden.
Bedeutungen und Wirkungen werden stabilisiert | 221
Das zweite hier verwendete Arbeitsmittel wiederum ist ein recht grobes Modell aus weißem Stoff. Im Unterschied zu den bisherigen Funktionsmodellen und dem Prototyp modelliert dieses Objekt nicht die Funktion, sondern die Lage der elektrischen Leiter zueinander und zum Pullover. Man könnte es als Raummodel oder Aufbaumodell treffend bezeichnen. Dieses grobe, aber in Form und Größe realistische Modell des Navigationspullovers bietet Raum für Wollfäden unterschiedlicher Farbe. Diese bunten Fänden substituieren das elektrisch leitende Silbergarn. Wie parallele Rauten sind die Wollfäden um das Kopfloch herum angeordnet. Probieren, ändern und festlegen wird so möglich, verschiedene Optionen werden vergleichbar. Meist werden die Positionen von der Skizze ins Modell übertragen. Vergleiche und Anpassungen der Skizze kommen jedoch ebenso vor. Die visuelle und die materielle Darstellung trennen die komplexe Ungewissheit des finalen Designobjekts von der Frage, wie die elektrischen Leiter verlaufen sollen. Diese Trennungen und Reduktionen, mit Hilfe bestimmter Arbeitsmittel, wurden schon häufig unternommen, nun jedoch werden zwei unterschiedliche Trennungen auf Basis zweier unterschiedlicher Arbeitsmittel zur gleichen Zeit unternommen und bearbeitet. Es entstehen so zwei reduzierte Perspektiven zur gleichen Zeit, ein Vergleich der spezifischen Trennungen wird so möglich. Es ist gerade die Gleichzeitigkeit und das beständige Wechseln zwischen zwei unterschiedlichen Darstellungsformen, das zur Beilegung der aktuellen Unsicherheit führt. Erst im beständigen Wechsel zwischen diesen Arbeitsmitteln gelingt es den beiden, die Lage der elektrischen Leiter zu definieren und ihre Entscheidung abzuschließen. Mein Interesse und meine Nachfragen entwickeln in der Arbeitssitzung eine Dynamik, die eine Diskussion zwischen Kirsten und Nora über die Vor- und Nachteile von Modellen, Zeichnungen und einer virtuellen Darstellung in der Software ‚Illustrator‘ anstößt (eine dritte Darstellungsform, die hier auch, aber nur sehr punktuell verwendet wurde). Die Zitate zeigen jeweils die Spezifik der unterschiedlichen Arbeitsmittel an: Nora: „In dem Illustrator-Ding merkt man drei Sachen, die ich im Schnitt noch nicht merke. Und wenn ich es dann fertig gemacht hab, merk ich nochmal drei Sachen. Und wenn ich dann diese Wolle drauf gemacht habe, kann man ganz schnell auch Sachen gut lösen irgendwie.“ (Audiotransskript Sequenz 10)
Nora sieht, unabhängig von der Form des Darstellungsmediums, den Vorzug im beständigen Wechseln der Darstellungsmittel. Jeder Wechsel des Darstellungs-
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mittels ermöglicht für sie neue Erkenntnisse. Kirsten betont die gute Handhabung des Modells: Kirsten: „Ich finde es halt schön, weil alles tatsächlich gleichzeitig auch da ist. Also bei Illustrator schalte ich halt Ebenen an und aus. Dann sehe ich einen Teil und den anderen nicht, es wird sehr schnell total verwirrend und obwohl man hier die gleiche Menge an Verbindungen hat, ist es einfacher, das zu handhaben aus irgendeinem Grund.“ (Audiotransskript Sequenz 10) Nora: „Und es ist ja auch …, es ist ja auch etwas Dreidimensionales. Z.B. bei einer Kapuze, die kann man ja mit Illustrator, also in so einer Abwicklungszeichnung … Also dann müsste man ja noch ein Ohr modellieren … Ich finde, dass man am Material einfach besser denken kann. Und dann hat man das vor sich und probiert es aus. Es geht schnell und gut eigentlich.“ (Audiotransskript Sequenz 10)
Das spezifische Arbeitsmittel spezifische Perspektiven erzeugen wurde schon häufig beobachtet, neu ist dagegen, dass mit zwei oder mehr spezifischen Perspektiven zur gleichen Zeit gearbeitet wird. Eine spezifische Reduzierung wird in unterschiedlicher Form vervielfacht. Dieser Umgang mit Arbeitsmitteln ist hier neu. Das angestrebte und schließlich auch stabilisierte Design muss folglich in Verbindung mit allen Arbeitsmitteln funktionieren. Konzeptuelle Verallgemeinerung von Sequenz Nr. 10: Beständig bearbeiten Kirsten und Nora den Übergang und die Differenz der zweidimensionalen Projektion und des dreidimensionalen Models. Die im Plan zweidimensional dargestellten Kabel finden mit Hilfe des Modells und seinen bunten Fäden einen Weg vom Bildhaften ins Materielle. Alles was das Bild an Kreuzungen der Kabel sichtbar macht, wird durch die Fäden begreifbar. Möchte man etwa dem Verlauf eines Fadens durch den Stoff folgen, kann das Modell beispielsweise einfach in die Hand genommen und gedreht werden. Das Modell macht begreifbar, was im Plan nur beschaubar ist: Die Fäden sind nicht fest und können sich auf dem Gewebe bewegen, ebenso werden die Bewegungen und Spannungen von Kleidung nur mit dem Modell begreifbar. In seiner räumlichen Ausdehnung und Form ist dieses Aufbaumodell dem Designobjekt scheinbar ähnlich – wichtiger aber ist der händisch-materielle Umgang, die Handhabung, die das Modell erlaubt. Man kann aber nicht sagen, das Modell sei der Skizze überlegen, denn es ist allein die Skizze, die ihrem Betrachter alle relevanten Elemente auf einen Blick offenbart und dabei stets übersichtlich bleibt. Sie reduziert weit stärker auf einen Idealzustand als das Modell. Keine Stoffschichten, keine losen Nadeln und
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kein Durcheinander trüben hier den Blick aufs das gesamte Verhältnis aller relevanten Elemente. Es ist das Hin und Her, der Bezug auf beide Arbeitsmittel zugleich, der für die Arbeit der Designerinnen eine besondere Produktivität entfaltet. Die Skizze zeigt alle Elemente klar und deutlich, ungewiss ist ihre räumliche Anordnung. Das Modell zeigt die räumliche Anordnung und macht sie begreifbar, ist aber unübersichtlich und garantiert keine Vollständigkeit. Ständig lösen und verschieben sich seine Bestandteile. Die Ungewissheit der Skizze liegt im materiellen Verhältnis der Bestandteile; die Ungewissheit des Modells liegt in der Frage, welche Bestandteile existentiell sind. Im beständigen Wechsel lassen sich die jeweils spezifischen Ungewissheiten gegen die Gewissheiten der anderen Darstellungsform tauschen. Entscheidungen und Fixierungen sind die Folge. Die sozio-materiellen Interaktionen an den Übergängen verschiedener Arbeitsmittel bergen ein enormes Potential für die Arbeit mit Ungewissheit. Zugänglich und bearbeitbar werden diese Übergänge jedoch nur durch eine entsprechende Organisation der Arbeit, wofür wiederum ein reflexives Bewusstsein über die Eigenschaften der Arbeitsmaterialien der Designerinnen notwendig ist. Unsicherheit, Probleme und die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formaten des Künftigen sind deshalb keine von extern auf die Designerinnen einstürzende Phänomene, sondern notwendig zu organisierende Elemente der Arbeit. Häufig, aber keineswegs immer, wird der Designprozess so organisiert, dass die Vorzüge bestimmter Arbeitsmittel ausgespielt werden. Wie auch die visuelle Darstellung selbst, reduziert das Model die diffuse Uneindeutigkeit auf eine bestimmte Form der Ungewissheit: Wie können die elektrischen Leiter und Verbraucher sinnvoll angeordnet werden? Diese Sequenz zeigt, dass es gerade der Zwischenraum und das Hin und Her zwischen den Modellen ist, dass die Manipulation von Ungewissheit erlaubt. Der Vergleich des visuellen und des materiellen Arbeitsmittels verdeutlicht hier einen ganz interessanten Schluss. Beide Arbeitsmittel reduzieren auf die Frage der Anordnung der Leiter und Verbraucher; beide nehmen keine anderen Fragen oder Gegebenheiten mit auf – dennoch sind Modell und Skizze als Arbeitsmittel jeweils grundverschieden in ihrer Wirkung auf die Ungewissheit des Prozesses! Sie weisen als Arbeitsmittel jeweils eine spezifische Medialität auf. In dieser Sequenz gelingt es den Designerinnen, die inhärente Spezifik visueller und materieller Medien für ihre Zwecke einzubringen: „Ein Medium kann also ganz allgemein als ein Stoff charakterisiert werden, der seine materiellen Eigenschaften problemlos für eine Prägung von außen hergibt, der auf der einen Seite seinen Widerstand dagegen verringert und der auf der anderen Seite den For-
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men ihren manipulierbaren und sichtbaren Ausdruck ermöglicht, ohne ihn durch seine eigenen Ziele zu trüben. Der feinkörnige Sand macht es zum Beispiel leicht, Burgen zu bauen oder Zeichen einzuritzen; aber diese Artefakte, Gebäude wie Geschriebenes, zeigen nicht genügend Härte und Beständigkeit. Daher ist Sand im Vergleich zu Ziegeln oder Zement ein schlechtes Medium, um Gebäude zu konstruieren.“ (Rammert 2007: 60)
Die Charakteristika der orthogonalen Projektion der Kabelverläufe erlaubt eine Bearbeitung spezifischer Fragen, die Charakteristika des Aufbaumodells und der anderen Modelle erlauben die Manipulation anderer Ungewissheiten. Sie liegen in den a priori Eigenschaften des jeweiligen Arbeitsmittels oder Mediums – darauf verweist der zitierte Medienbegriff. Es ist die Leistung der Designerinnen, den Umgang mit diesen unterschiedlichen Arbeitsmitteln so zu organisieren, dass am Ende des Prozesses ein einziges Objekt steht. Abbildung Nr. 17: Eine orthogonale Projektion der geplanten Verkabelung.
Zum wiederholten Male wird in dieser Sequenz eine gewisse Ordnung und Organisation der Designarbeit sichtbar. Die Designerinnen setzen sich zu bestimmten Zeiten mit bestimmten Ungewissheiten auseinander, zu anderen Zeiten nicht. Die Designerinnen arbeiten am Übergang zweier bestimmter Arbeitsmittel, ihr Erfolg veranschaulicht dieses Vorgehen. Die spezifischen Eigenschaften der Arbeitsmittel, d.h. ihre medialen Besonderheiten, werden für Kirsten und Nora zum Gegenstand von Planung und Organisation. Es ist vor allem Kirsten, die
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scheinbar nebenbei den Prozess organisiert. Die Organisation der Verwendung der Arbeits-mittel scheint ebenso konstitutiv für den Erfolg des Designprozesses, wie die Eigenschaften der Arbeitsmittel selbst.123 In Sequenz sechs zeigten sich ästhetische Ideale und Argumente technischen Sachzwangs als typische Entscheidungslegitimationen in der Designarbeit. Versteht man Design, mit Hilfe von Strauss, als Designarbeit, so ordnen sich die Aktivitäten in der beständig fortschreitenden Zeit und gegenüber dem Zweck des (Arbeits-) Handelns, um eben handelnd verstellte Ziele und Möglichkeiten zu erreichen. Die Herstellung, die Verwendung und die Dopplung von bestimmten Darstellungen des Designobjektes wäre demnach ein typisches Element von Designarbeit. Anhand von bestimmten Idealen oder Paradigmen Entscheidungen zu treffen ist ebenso ein wichtiger Moment von Designarbeit, wie auch die beständige Organisation der Aktivitäten durch Kirsten ein solches Moment ist. Aus diesen Zusammenhängen – die Folgerung lässt diese Untersuchung zu – besteht Designarbeit. Dieser Prozess ist jedoch ein spezifischer Fall von Designarbeit und hat damit eine spezifische Reihenfolge, Anordnung und Menge von Aktionen. Diese bestimmte Akkumulation von Designarbeit wird treffend als Designarbeitsbogen bezeichnet, in Anlehnung an den bereits eingeführten Begriff des ‚Arc of Work‘: „An arc for any given trajectory – or project – consists of the totality of tasks arrayed both sequentially and simultaneously along the course of the trajectory or project.“ (Strauss 1985: 4) Wie bereits oben erläutert wurde, versteht Strauss Arbeit als eine Form der organisierten Interaktion; die Grenzen zu anderen Formen der Interaktion, wie Spiel oder Fantasieren, sind fließend (Strauss 1993: 95). Hier werden die Bemühungen einen Navigationspullover herzustellen als ein solcher ‚Arc of Work‘ verstanden. Der Begriff ermöglicht es, die zahllosen Interaktionen zur Verringerung und Erhöhung der Unsicherheit zusammen zu fassen. Diejenigen Interaktionen, die nicht auf die Probleme der sinnhaften und funktionalen Konstruktion des Designobjektes bezogen sind, fallen damit aus der Analyse, alles weitere lässt sich als Designarbeitsbogen fassen. Verlauf und Richtung sind als permanenter Aushandlungsprozess zu verstehen, sein Ergebnis ist offen, es muss interaktiv hergestellt werden. Wie der Bogen verläuft wird ausgehandelt und steht keineswegs fest. Sein Ergebnis ist offen, es muss interaktiv hergestellt werden.
123 Wieder zeigt sich, dass die Entscheidung für eine bestimmte Perspektive – in diesem Fall der Fokus auf die Arbeitsmittel der Designer – immer auch eine Vernachlässigung anderer Fragen und Perspektiven zur Folge hat. Die Projektorganisation ist ein solcher spannender, aber nur wenig untersuchter Gegenstand.
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Ein solcher Bogen setzt sich aus vielen kleinen Fragmenten zusammen, von denen hier einige genauer betrachtet wurden. In einiger Entfernung zu den Interaktionen formt sich aus zahlreichen ‚Arcs of Work‘ eine ‚Line of Work‘ (vgl. Strauss 1993: 14). Dieser Begriff dient dazu, mehrere Projekte oder die Arbeit einer ganzen Organisation zu erfassen. Hier könnte das DRL mit seinen zahlreichen Projekten eine solche Arbeitslinie im Sinne Stauss‘ verfolgen.
8.2
SEQUENZ NR. 11: DIE LETZTE FEHLERSUCHE
Zusammenfassung von Sequenz Nr. 11: Der Navigationspullover liegt vor und soll zum ersten Mal in Betrieb genommen werden. Sein Stoff, seine Kabel, seine Schalter sind alle an Ort und Stelle, aber sie funktionieren noch nicht als technisches System. Nora hat am Wochenende und an den Tagen davor den gesamten elektrischen Aufbau des Pullovers hergestellt. Über Tage wechselte sie dabei das Nähen mit der Hand mit dem maschinellen Nähen ab. In der aktuellen Sequenz werden einen ganzen Tag lang kleinteilig Hypothesen aufgestellt und dann am Material geprüft. Zumeist erzeugen zu hohe elektrische Widerstände, Kurzschlüsse und unterbrochene Stromkreise Probleme. Ethnografische Beschreibung von Sequenz Nr. 11: In Sequenz neun wurde vorgestellt, wie der graue Kapuzenpullover als Prototyp aufgebaut wurde. Alle bisher erreichten Zwecke wurden dort zu einem System verbunden. Diese Sequenz verläuft ähnlich.
Bedeutungen und Wirkungen werden stabilisiert | 227
Abbildung Nr. 18: Mit dem Multimeter wird Stück für Stück der elektrische Widerstand des Silbergarns gemessen, um schlecht leitende Stellen zu finden.
Susanne, eine Designerin aus dem DRL ist ebenfalls zugegen, als Expertin für elektrische Kleidung und die damit verbundene Fehlersuche unterstützt sie Kirsten und Nora im Laufe des Tages immer wieder. Die Arbeit beginnt mit der LED, die ebenso wenig funktioniert, wie die Vibrationsmotoren. Kirsten sucht in der Software und nimmt hier Änderungen vor – ohne Erfolg. Kirsten und Susanne beschließen nun nicht mehr punktuell zu schauen, sondern einmal alles anzuschalten – wieder ohne den gewünschten Erfolg. Die Konstellation der Sitzung verschiebt sich, Kirsten und Susanne fragen Nora über zahllose konstruktive Details aus; diese Phase der Arbeit wirkt wie ein Interview. In einer Phase der Stillarbeit werden elektrische Verbindungen geprüft und vor allem ausgebessert, Kontaktfehler werden ‚ausgenäht‘ (so lautet der hier verwendete Terminus). Auf das Herstellen folgt die Prüfung: Vier Hände und ein Multimeter verschwinden immer wieder in einem blauen Stoffknäuel, dem Navigationspullover. Das Messen geht den beiden erfahrenen Designerinnen schnell von der Hand, aber auch sie setzen die Kontakte immer wieder auf. Zuverlässiges Messen ist eine Tätigkeit, die viel Erfahrung erfordert. Auf die Frage, ob ein Widerstand von 130 Ohm in einem Stromkreis mit 5V problematisch ist, folgt eine spannende, aber nicht mehr überraschende Episode. Auf einem Steckbrett baut Susanne zügig
228 | Die Praxis des Designs
einen solchen Stromkreis auf. Sie beantwortet die Frage experimentell und nicht etwa mathematisch; der hier vorliegende Widerstand ist kein Problem. Das LED funktioniert nun, allerdings nicht wie gewünscht in allen Farben. Kirsten formuliert die Hypothese, dass die Garnverbindungen generell zu lose angelegt seien. Eine ebenso allgemeine Hypothese betrifft einige elektrisch leitende Klettverbindungen. Über eine ganze Reihe von Klettverbindungen wird die Steuerungsplatine mit dem Rest des Pullovers verbunden, denn sie befindet sich auf einem etwa DIN A4 großen Stoffstück. Dadurch ist sie leicht zu entnehmen und austauschbar.124 Ihre Verbindung mit Klett scheint nun aber problematisch. Die drei diskutieren die Möglichkeit, die runden Klettpunkte durch Druckknöpfe zu substituieren.
124 Ursprünglich war geplant eine Steuerungsplatine zu verwenden, die über Bluetooth mit anderen Geräten verbunden wird. Dieses Bauteil wurde bei einem externen Dienstleister in Auftrag gegeben und im Laufe des Prozesses mehrfach reklamiert und in der Folge hin und her gesendet, so dass es zum Ende des Projektes noch nicht verwendbar war. Der Austausch der Platine ermöglicht zu einem späteren Zeitpunkt die Verwendung einer kabellosen Kommunikation von Pullover und iPhone.
Bedeutungen und Wirkungen werden stabilisiert | 229
Abbildung Nr. 19: Die elektrische Leitfähigkeit von Klettverbindungen wird gemessen, nun am finalen Navigationspullover.
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Als der Funktionstest und die Fehlersuche die Vibrationsmotoren einschließt, wird das Vorgehen systematischer. Zuerst wird der Verbraucher über Kabel direkt mit Strom versorgt – er funktioniert. Es folgt eine Messung aller Verbindungen: Stromversorgung, Ansteuerung und Erdung. Eine Stelle mit einem sehr hohen elektrischen Widerstand wird gefunden. Nora näht drum herum; die Fehlersuche und Beseitigung ist erfolgreich. Wieder formuliert Kirsten allgemeiner, dass der hohe Widerstand des elektrischen Garns das zentrale Problem sei. Diese systematischen Arbeitsphasen wechseln sich mit Phasen ab, in denen Kirsten monologisch ihre Handgriffe erläutert. „Ich messe zunächst hier, dann schaue ich da, nicht vergessen hier usw.“ Nach der Mittagspause funktioniert eine der Taschen wie erwartet, die andere jedoch nicht. Wieder geraten die Klettverbindungen in Verdacht, Kirsten formuliert nun eine elaboriertere These dazu. Der elektrisch leitende Stoff stelle sehr viele Kontakte und Unterbrechungen in einem kurzen Zeitraum her, diese zahllosen Kontakte sorgten für eine Überforderung der Steuerung. Zwischen Kirsten und Susanne entwickelt sich eine Diskussion über mögliche Lösungen, obwohl dieses Projekt ganz kurz vor dem Ende steht. Scheinbar denken die beiden schon an künftige Probleme und deren Lösung. Während Nora problematische Stellen der elektrischen Leiter umnäht, macht Kirsten eine zweite Baustelle auf. Sie misst nun systematisch die Widerstände der Klettverbindungen, woraufhin sie entscheidet, dass die Klettpunkte durch Knöpfe ersetzt werden müssen. Insgesamt gehen Kirsten und Susanne wesentlich systematischer vor als Nora. Sie verfügen über eine breite Basis an Erfahrung, sie haben im Gegensatz zu Nora ein regelrechtes Rezeptwissen. Ihnen gelingt es immer, die experimentell ermittelten Fehlfunktionen mit abstrakteren Zusammenhängen in Verbindung zu bringen, auch wenn diese sich nicht immer als richtig erweisen und noch geprüft werden müssen. Nora bleibt dagegen bei Problemen oftmals ratlos zurück. Die Fehler scheinen zu vage zu sein, um eine Problematisierung und daraus eine Bearbeitung zu beginnen. Nach einer weiteren erfolglosen Fehlersuche versucht Kirsten, die ‚Methode brutal‘. Verdächtige Stellen werden mit Stecknadeln überbrückt. Nebenbei geben Kirsten und Susanne sich einem humorvollen Fatalismus hin, sie tauschen Anekdoten aus. Von defekten Platinen ist hier die Rede und von nicht nachvollziehbaren Unterschieden, ob das System mit Strom vom Laptop oder mit Strom aus einem Akku versorgt wird; ein gewisser Galgenhumor ist nicht zu überhören. Der Tag geht zu Ende, nicht alles funktioniert stabil, aber Vieles arbeitet wie erwartet, nun übrigens auch die rechte Tasche.
Bedeutungen und Wirkungen werden stabilisiert | 231
Konzeptuelle Verallgemeinerung von Sequenz Nr. 11: Wieder besteht die Designarbeit aus zahllosen Zyklen und Iterationen von Annahmen und Prüfungen. Wieder ist dabei die Erfahrung ebenso im Einsatz wie verschiedenen körperlichkognitive Wahrnehmungen es sind. Der Designbogen geht seinem Ende entgegen, ohne dass jedwede Ungewissheiten durch eine Gewissheit ersetzt worden wäre. Auch das fast fertige Designobjekt erlaubt es wieder und wieder zu problematisieren und diese Ungewissheit zu bearbeiten. Ganz gewiss ist der Zustand eines Objekts scheinbar nie. Sicher, dass finale Designobjekt wird stabiler, gewisser und damit auch technischer, aber mit jeder Vergewisserung entstehen auch wieder neue Fragen. Warum leiten die Klettverbindungen nicht oder wie kann in Zukunft mit dem hohen elektrischen Widerstand von Silbergarn umgegangen werden? Diese Fragen und Ungewissheiten werden von Kirsten und Susanne neugierig diskutiert, obwohl im aktuellen Prozess keine Möglichkeit besteht sie noch zu bearbeiten. Ihnen scheint klar zu sein, dass diese Fragen Anschluss an weitere Designprozesse erlaubt. Mit dieser Sequenz endet die Designarbeit in Bezug auf den Navigationspullover. Die enge Auseinandersetzung mit dem Material und beständige Entwicklung und Verschiebung von Zielen erscheint typisch für Design- und Konstruktionsprozesse, wie sie auch in kommerziellen Kontexten oder als private Bastelarbeit und Hobby vorkommen. Die Spezifik von Designarbeit, im Rahmen von Designforschung, ist im Weiteren genauer abzugrenzen, denn ganz zu Ende ist der Prozess noch nicht.
8.3
DAS ENDE DER ENTWURFS- UND KONSTRUKTIONSARBEIT – ZUSAMMENFASSUNG DES ACHTEN KAPITELS
Mit diesen Sequenzen endet die Konstruktions- und Entwurfsarbeit in diesem Designbogen, obschon von Kirsten offene Fragen und Probleme weiter angeregt aufgenommen und diskutiert werden. Wenig später steht ein funktionierender Navigationspullover zu Verfügung, dass mit der Konstruktions- und Entwurfsarbeit der Designbogen selbst noch nicht zu Ende geht zeigt das neunte Kapitel, denn Designforschung besteht nicht allein aus Konstruktions- und Entwurfsarbeit. Zunächst ist es jedoch hilfreich, die wichtigsten Punkte aus dem achten Kapitel zu ordnen und kurz zusammen zu fassen. Wie schon im mittleren Teil des Designbogens werden auch hier vormalige Zwecke der Designarbeit zu Mitteln des Handelns. Der prototypische Pullover ist dafür das zentrale Beispiel, er wird zur zentralen Referenz für die Herstellung
232 | Die Praxis des Designs
des finalen Navigationspullovers. Die Transformation von Zielen zu Mitteln ist typisch für den Fortgang des Designprozesses, sie wiederholt sich in kleineren und größeren Zyklen. Die Trennung, Reduktion und Bearbeitung bestimmter Formen von Ungewissheit, mit Hilfe von bestimmten Arbeitsmitteln, ist ebenfalls typisch für alle Phasen des hier untersuchten Prozesses. Allerdings wird hier, im Lichte der Finalisierung des Designobjektes, anders mit den Arbeitsmitteln umgegangen als bisher: Ein Plan und ein Modell erlauben jeweils eine spezifische Perspektive auf die ungewisse Kabelführung, die Perspektiven werden nun aber nicht mehr nacheinander eingenommen, sondern gleichzeitig. Es ist eine gleichzeitige Vielfalt der Perspektiven, die sich die Designerinnen hier herbei organisieren und konstruieren, um die Positionen der Kabel festzulegen. Wie schon so oft zuvor basiert die Arbeit der Designerinnen auf der spezifischen Medialität der verwendeten Arbeitsmittel, auch wenn ihre Einbindung in den Designprozess zum Teil unterschiedlich organisiert wird. Die Wirkung der Arbeitsmittel, ihr Potential zur Isolierung und Bearbeitung bestimmter Ungewissheiten, bedarf der Organisation durch die Designerinnen selbst. Sie haben Sorge dafür zu tragen, dass die Mittel in Hinsicht auf die Zwecke des Prozesses hilfreich eingesetzt werden. Durch die gleichzeitige Verwendung der visuellen und materiellen Arbeitsmittel am Ende des Prozesses gelingt schließlich die Finalisierung des Designobjektes. Am Ende der Konstruktionssitzung werden die Arbeitsmittel vervielfacht, um die Finalisierung zu erreichen. Vielfache Mittel werden zur Finalisierung des Designobjekts verwendet, so erhält das Designobjekt seine finale Form. Bevor im zehnten Kapitel dieser Arbeit die Ergebnisse der empirischen Arbeit konzeptualisiert werden, folgt zunächst ein weiteres empirisches Kapitel. Im Unterschied zu den drei vorherigen Kapiteln werden nun nicht die Interaktionen der Designarbeit untersucht, vielmehr stehen nun die Verbindungen und Anknüpfungspunkte im Fokus der Untersuchung. Auch die Verbindungen und Verknüpfungen sind für diesen Designprozess kennzeichnend.
Kapitel 9: Dokumentation und Verbreitung – Bedeutungen und Wirkungen werden dokumentiert, eingepasst und interessant gemacht
Im Unterschied zu den drei vorherigen Kapiteln entfernt sich dieses Kapitel von den Prozessen der Herstellung eines neuen Designobjekts. Der Prozess der Herstellung und die damit einhergehende beständige Interaktion und Manipulation der vielen Objekte des Designs wurde beendet, es gelang den Designerinnen schließlich die zentralen Ungewissheiten durch den Navigationspullover auszuräumen, obgleich ohne Zweifel viele weitere Ungewissheiten rund um das Designobjekt weiter bearbeitet werden könnten. Das Ende der konstruktiven Designarbeit ist damit nicht nur von dem Zustand des Designobjektes abhängig, sondern es bedarf auch einer Entscheidung der Designerinnen, da keineswegs alle Ungewissheiten ausgeräumt sind und immer wieder neue Fragen auftauchen. So gibt es hier kein unwiderrufliches oder ‚natürliches‘ Ende des Designprozesses, dennoch wird der Prozess beendet. Dieses Kapitel ist anders aufgebaut, als die Vorherigen: Wurden bisher die vielen kleinteiligen und stets an Arbeitsmittel gebundenen Handlungen der Designerinnen sehr genau untersucht, beschrieben und konzeptualisiert, so thematisiert dieses Kapitel Handlungen, die zum Designprozess gehören, jedoch nicht direkt Entwurf und Konstruktion des Designobjektes betreffen. Der vorliegende Prozess von Design und Designforschung besteht zu einem guten Teil, aber nicht vollständig, aus Trennungs- und Rekombinationsarbeit mit unterschiedlichen Arbeitsmitteln. Gleichzeitig oder im Anschluss an die diskutierten Phänomene des Designs, ist für Designforschung der Bezug auf Innovationsfelder, wissenschaftliche Diskurse und vieles mehr konstitutiv, diese Bezugnahmen werden hier erörtert. Ich ordne das folgende Kapitel anhand der Phänomene in vier Teile.
234 | Die Praxis des Designs
Im ersten Teil zeigt sich ein Fotoshooting als idealtypische Phase des Übergangs vom Konstruieren zum Publizieren, denn zum einen wird weiterhin die enge Auseinandersetzung, des nun schon gut bekannten kleinteiligen und körperlichen Umgangs mit dem Navigationspullover fortgesetzt, zum anderen weisen die Fotoaufnahmen über den bestehenden Kontext und Personenkreis hinaus. Die Fotos und ihre Verbreitung im Netz oder in gedruckten Berichten adressieren neue, bisher mit dem Designprozess unverbundene Akteure und Interessen. Im zweiten Teil wird anhand zweier Aussagen der Designerinnen deutlich, dass die Projektarbeit ihre Erfahrungen – und damit auch die Art und Weise wie sie in Zukunft Design machen werden – verändert hat, auch hier weist das Designprojekt über die Projektdauer hinaus, denn die Erfahrungen und mit ihr auch die Zwecksetzungen der Designerinnen haben sich verändert. Im dritten und wichtigsten Teil dieses Kapitels zeige ich, wie die kleinteilige Trennungs- und Rekombinationsarbeit durch unterschiedliche Modi der Verbreitung Anschluss an zwei distinkte Diskussionsfelder sucht und herstellt. Eines dieser Felder formt sich um Designmethoden, im zweiten Feld stilisiert sich Design als Teil eines Innovationsfelds. Im vierten und letzten Teil präsentiert sich Designforschung als Inhalt universitärer Lehre und vermittelt bestimmte Prämissen seiner Arbeit. Jedem dieser Zusammenhänge ist gemein, dass er eine Verbindungslinie von der zeitlich und personell begrenzten Designarbeit hinaus etabliert. Jedes der vier Beispiele zeigt, wie sich Design mit recht unterschiedlichen Kontexten in Verbindung setzt. Seien es Nachwuchsdesigner, ein Telekommunikationskonzern, die eigene wissenschaftliche Community oder spätere Projekte von Kirsten und Nora selbst.
9.1
END- UND STARTPUNKT ZUGLEICH – DER FOTOTERMIN DES DESIGNOBJEKTS
Am Tag nach der Fehlersuche und Fehlerbeseitigung in Sequenz elf werden Fotoaufnahmen des finalen Designobjektes angefertigt. Der blaue, einerseits futuristisch, andererseits wie ein Sportanzug anmutende Navigationspullover ist das finale Designobjekt.125 Ich bezeichne ihn hier als final, da er von den Designerinnen in seinem Aufbau nicht mehr verändert wird. 125 Der Terminus Designobjekt diente bis hierher als Variable für die Absichten und und den Zielpunkt der Handlungen von Kirsten und Nora, denn von Anfang an wurden die noch vagen Vorstellungen als Designobjekt bezeichnet, obgleich sie eher ein Gesprächsgegenstand waren. Der Begriff Designobjekt war ein wichtiges Hilfsmit-
Bedeutungen und Wirkungen werden eingepasst | 235
Das Fotografieren des Produkts der Designarbeit bildet exakt den Übergang zwischen der oben so ausführlich untersuchten Trennungs- und Rekombinationsarbeit mit unterschiedlichen Arbeitsmitteln und einem Moment von Design, der bisher nicht diskutiert wurde. Neben dem Entwerfen und Konstruieren suchen die Designerinnen nach Anschluss und Verbreitung. Diese Anknüpfungen sind ebenso ein zentrales Merkmal von Design. Zum einen zeigt sich hier erneut, der für die Designarbeit so wichtige Bezug auf das Objekt und seine Bestandteile und die aus ihnen erwachsenden Funktionen. Der Navigationspullover wird als finales Objekt drapiert, angezogen, ausgezogen; er steht im Zentrum aller Bemühungen und jeder Aufmerksamkeit – typisch für die Designarbeit, wie sie bisher verlaufen ist. Nachdem der Pullover selbst in seiner Form und mit seinen Teilen fotografiert wurde, posiert eine Kollegin von Kirsten mit dem Pullover auf unterschiedliche Art. Es entsteht eine ganze Reihe von Fotos, zum Teil ähneln sie Modefotos, zum Teil dienen sie eher der Präsentation der technischen Funktionen und Details. Die Fotografien, als Produkte dieser Arbeitssitzung, weisen jedoch über die Konstruktion des Pullovers hinaus, sie richten sich nicht mehr auf Veränderungen des Pullovers, nicht mehr auf sein Design, vielmehr richten sie sich als Darstellung der Designarbeit und ihrer Ergebnisse an Dritte. Die Fotografien richten sich gewissermaßen nach außen, an bisher nicht beteiligte Akteure. Der letzte Akt, in dem das Designobjekt im Zentrum aller Bemühungen steht, weist gleichzeitig schon über das Designobjekt und die kleinteilige Arbeit an ihm hinaus. So zeigt diese Sequenz einen doppelten Bezug: auf das Designobjekt selbst und gleichzeitig auf seine Wirkung nach außen, auf Dritte. Deshalb ist der Fototermin im Fotostudio der Universität der Künste (UDK) ein Prozess des Übergangs, er verbindet die stets pragmatische und rekombinatorische Designarbeit mit verschiedenen Kontexten, als Bild kann das Designobjekt in Fachdiskurse, soziale Netzwerke und andere gesellschaftliche Zusammenhänge hineintransportiert werden. Bereits in Kapitel neun hatte ich darauf hingewiesen, dass für Latour (1983) Wissenschaft gerade durch das Hineinholen der Welt ins Labor einerseits und die Relevanzmachung für die Welt außerhalb des Labors gekennzeichnet ist. Nach dem letzten Auslösen der Spiegelreflexkamera löscht der Fotograf die Studiobeleuchtung. Der Auftritt des Pullovers endet, sorgfältig wird er von Nora eingepackt. Der Pullover geht nicht auf die Reise, um zum Prototyp einer industriellen und ausbeuterischen Fertigung in Bangladesch oder Kambodscha zu tel, eine Variable, um die Bemühungen von Kirsten und Nora benennen zu können. Inzwischen ist aus dem Designobjekt ein materielles und technisches Objekt geworden.
236 | Die Praxis des Designs
werden. Ebenso wenig wird er Teil des Alltags, er wird in keinem Kleiderschrank einen Platz bekommen und auch seine Designerinnen werden ihn nicht tragen. Er wird auch nicht weiter verbessert oder von Fehlern befreit. Kein Tourist wird ihn jemals verwenden und doch ist dieser Navigationspullover kein Quasi-Objekt, er bleibt Technik in Aktion, er erschafft Verbindungen, ist in Vorstellungen und Erwartungen präsent (vgl. Rammert 2003; Latour 2006). Mit den Fotos und ihrer Verbreitung auf unterschiedlichen Wegen, zielen die Designerinnen darauf, das neue Objekt in unterschiedliche Kontexte zu transportieren. Diese Einbindung ist jedoch nicht die typische eines Kleidungsstückes, ein wirtschaftlich orientiertes Modedesign würde möglicherweise dafür sorgen Tragen, dass der Pullover nun in unterschiedlichen Größen gefertigt wird, pünktlich in den entsprechenden Geschäften und Webseiten eingestellt wird, um verkauft zu werden. Design findet in diesem Fall jedoch im Kontext von Designwissenschaft statt, die Bezüge zur Gesellschaft sind andere als in ökonomischen Projekten, dementsprechend werden andere Kontexte adressiert, wie im Folgenden noch gezeigt wird. Der Fototermin ist ein Übergangsprozess und besonders spannend, denn er zeigt einen Wandel seiner Einbindung und seiner Bezugssysteme. Ab jetzt werden am Designobjekt keine Veränderungen mehr vorgenommen; physisch materiell bleibt er wie er ist – wenn man von unvermeidlichen Zerfallsprozessen einmal absieht. Er wird verstaut und nur von Zeit zu Zeit Neugierigen präsentiert und vorgeführt. Mit dem Ende der konstruktiven Designarbeit in diesem Designprozess – hier darf man sich nicht täuschen lassen – endet keineswegs die Tätigkeit von Nora und Kirsten. Es verschieben sich lediglich ihre Bezüge. Es endet die enge, stets pragmatische und materielle Entwurfs- und Konstruktionsarbeit am Designobjekt, als Designforscherinnen aber vollführen die Designerinnen im Anschluss und zum Teil auch während der Konstruktionsphase, recht unterschiedliche Bezugnahmen auf unterschiedliche Kontexte. Bisher folgte die gesamte Untersuchung und Beschreibung streng den Arbeitsmitteln der Designer. Diese sorgfältig entwickelte Perspektive erlaubte es, das Wechselspiel aus sinnhaften, erwarteten und materiellen Ungewissheiten zu untersuchen und zu skizzieren.126 Nun wird der Fokus und damit die Perspektive geweitet, nicht aber um doch noch die klassischen interaktionistischen Fragen nach der sozialen Ordnung 126 Wie jeder Fokus, so machte auch der hier gewählte viele andere Phänomene unscharf, etwa die hierarchischen Beziehungen im Designprozess, die beständige Aushandlung einer sozialen Ordnung und vieles mehr tauchten zwar in den Daten auf, wurden aber nicht weiter verfolgt. Meine Perspektiven waren hierfür nicht geeignet, die Wahl meiner Perspektive folgte anderen Prioritäten.
Bedeutungen und Wirkungen werden eingepasst | 237
zu stellen, sondern um die Spezifität dieses Designprozesses herauszustellen und den Designprozess in seiner ganzen Breite verstehbar zu machen.
9.2
ERFAHRUNGEN UND PERSPEKTIVEN DER AKTEURE DES DESIGNS
Die Vorstellungen, das Wissen und die Erfahrung entwickeln sich beständig mit allen Interaktionen, gerade auch mit den Interaktionen des Designprozesses. Kirsten äußert sich sehr konkret in einem Interview 127 dazu. Sie konzentriert sich scheinbar nicht nur auf die Ungewissheiten des aktuellen Projekts, sie ist nicht nur bestrebt einen gewissen Entwurf im Detail weiter zu verfolgen, sondern sie betrachtet ihre aktuellen Probleme und den Umgang mit diesen immer auch als Basis für noch vage künftige Vorhaben: „Also einfach schauen, was überhaupt geht, mal was Neues ausprobieren und ob das jetzt mit dem Krempelärmel in irgendeiner Anwendung wirklich Sinn macht in der Form, ist noch total offen. Und dann kann es eben auch wieder sein, dass zwar das Krempeln, wie es im Ärmel vorkommt, eine gute Interaktion ist, aber nicht als Ärmel, sondern als was anderes. […] Es ist nicht reine technische Funktion, sondern es ist dann doch ein Stück weit so, wie sie in der Form vorliegt. Also d.h., das Ding mit dem Ärmel ist dann halt, wenn wir merken, als Ärmel ist diese technische Funktion total beknackt, aber als Hosenbein ist sie total toll, dann hat es natürlich damit zu tun, dass ich vielleicht den Ärmel in einer bestimmten Situation nicht krempeln will oder krempeln kann oder der hochgekrempelte Ärmel mich stört. Aber das es mich beim Hosenbein weniger stört oder dass es sinnvoller ist z.B. beim Fahrradfahren.“ (Interview mit Kirsten vom 19/03/2013)
Noras Beschäftigung als studentische Mitarbeiterin ist an die Projektlaufzeit gebunden. Ihre Interessen sind sehr breit, sie studiert Modedesign und wird ihr neues Wissen und ihre neue Erfahrungen in ihr Studium einfließen lassen. In welcher Form sie wirksam werden, ist nicht vorhersehbar. Auf die Frage zu der Differenz von Modedesign und diesem Designprozess betont sie, dass hier technische Fragen, als dritter Faktor, die Arbeit im Vergleich zum Modedesign verkomplizieren: 127 Etwa nach zwei Dritteln des sechsmonatigen Designprozesses habe ich mit Kirsten eines von mehreren Experteninterviews durchgeführt. Zu dieser Zeit wurde gerade der prototypische graue Kapuzenpullover zu einem funktionierenden System zusammengestellt.
238 | Die Praxis des Designs
„Was man findet, was gut aussieht und was der Schnitt hergibt und hier [in diesem Designprozess, Anm. V.J.] sind es halt drei Sachen, weil das geht mit der Technik nicht und das geht im Schnitt nicht und das passt dann gar nicht da rein“ (Interview mit Kirsten vom 14/06/2013)128
Im Vergleich zum ihr wohlbekannten Modedesign macht Nora hier die Erfahrung, dass drei und nicht zwei Bereiche relevant und ungewiss sind und miteinander in Einklang gebracht werden müssen, um zu einem guten Ergebnis zu gelangen. In diesem Sinne ist das Produkt des Designprozesses nicht allein das Designobjekt Navigationspullover, vielmehr entwickeln sich Erfahrungen, neues Wissen und neue Positionen. Sie sind mit dem Designobjekt erzeugt worden, jedoch nicht an das Objekt gebunden, sie werden von Kirsten und Nora weitergetragen und werden irgendwann wieder an Relevanz gewinnen. Damit sind die Erfahrungen aus den zahllosen interaktiven ‚Patterns of Inquiry‘, seien sie nun kurz oder lang, ebenso ein wirkungsvolles Produkt dieses Designprozesses. Wie auch die Fotos weisen diese Erfahrungen, ob sie nun wirksam werden oder nicht, über das konkrete Projekt hinaus.
9.3
AUF DER SUCHE NACH ANSCHLUSS UND VERBREITUNG – PUBLIKATIONEN IM DESIGN
Neben dem Designobjekt ist die Projektdokumentation ein weiteres Produkt des Prozesses. Dieser Bericht ist ein zentrales Merkmal dieses Designprozesses, wieder weist Design hier über den Prozess von Trennung und Rekombination hinaus. In Differenz zu beispielsweise Handwerk, Basteln oder Kunst adressiert der Bericht gezielt die Interessen bestimmter Akteure. Das Designobjekt wird in einem Nutzungsszenario zu einer gefragten Innovation stilisiert. 9.3.1 Design als Keimzelle potenzieller Innovationen Der gut 100 seitige, in englischer Sprache verfasste Projektbericht besteht etwa zu drei Vierteln aus Fotos, Zeichnungen und schematischen Darstellungen, teilweise stammen sie aus dem Arbeitsprozess, teilweise sind sie für den Bericht 128 Diese Aussage stammt aus der Tonaufzeichnung eines längeren Gesprächs, das sich während eines Feldbesuches zwischen Kirsten, Nora und mir entspann. Der entsprechende Feldbesuch wird in Sequenz 11 genauer beschrieben.
Bedeutungen und Wirkungen werden eingepasst | 239
angefertigt worden. Der Bericht schließt neben dem Navigationspullover noch ein längeres Kapitel zu experimentellem Stricken ein. Das Designobjekt wird hier als zentrales, nicht aber als einziges Designobjekt beschrieben. Für den Bericht wurde die Designarbeit, insbesondere von Nora, beständig dokumentiert. Zwei Punkte an dem Bericht erscheinen besonders interessant: Erstens erzeugt der Bericht ein sehr glattes Bild, einen fast linearen Eindruck des Projektverlaufs. Der Prozess zwischen einem Ziel und seiner Erreichung erscheint hier als kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Wie wir wissen, zeichnete sich der Prozess durchgängig durch eine zyklische und wiederkehrende, aber niemals unmittelbare Erreichung von Zielen aus. Annahmen folgten Untersuchungen, die Untersuchungen veränderten die Annahmen usw. Kirsten und Nora als Autorinnen des Berichts teilen ganz offensichtlich die Annahme, dass sich die Leser des Berichts nicht für iterative Schleifen, Experimente und falsche Annahmen, sondern ausschließlich für deren Ergebnisse interessieren. Der iterative, stets gewundene und manchmal im Kreis laufenden Prozess wird im Bericht stark begradigt und das Augenmerk liegt auf seinen Ergebnissen. Auf diese Weise orientieren sich die die Designerinnen im Verfassen des Berichts nicht am Ideal dokumentarischer Objektivität, sondern an den erwarteten Erwartungen seiner Leserinnen. Das zweite wichtige Merkmal des Berichts ist die zentrale Positionierung eines Nutzerszenarios. Der Bericht formuliert ein detailliertes Nutzerszenario: Eine hypothetische Nutzerin mit Name, Alter, Interessen usw. wird als Berlinbesucherin erfunden. Diese exemplarische Nutzerin verwendet die neue Technologie, um mit einer App an einer digitalisierten Schnitzeljagd 129 teilzunehmen. Die Wearables, in Kombination mit einem Smartphone, erlauben es, eine Art Exkursion oder Schnitzeljagd durch die Stadt zu unternehmen. In dem Szenario wird eine Schirmmütze präsentiert, die mit Hilfe von Vibrationen links, rechts usw. den Weg durch die Stadt weist. Die Navigation mittels Vibration ist auch eine von mehreren Funktionen des Navigationspullovers. Im Laufe der beschriebenen Anwendung werden immer wieder Fragen und Informationen über die angesteuerten Orte auf dem Mobiltelefon gestellt und angezeigt, spielerisch aber körperlich mit dem System verbunden, bewegt sich die Touristin durch Berlin. Dieser 129 Das Wortauskunftssystem der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften definiert die Schnitzeljagd wie folgt: „Verfolgungsjagd, bei der jemand den Fuchs darstellt und seinen Fluchtweg durch Papierschnitzel markiert, nach denen sich die Verfolger, Jäger richten“ (dwds 2017: Schnitzeljagd). Es ist wenige überraschend, dass die meisten Leser wohl verschiedene Variationen dieses Such- und Entdeckungsspiels kennen.
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Teil der Technologie, der sich neben vielen anderen im Navigationspullover findet, wird mit Hilfe dieser Narration im Nutzerszenario als zentrale Errungenschaft präsentiert. Durch die Narration wird der Zusammenhang zwischen technischer Funktion und ihrem Sinngehalt in einer Nutzung ins Zentrum der Wahrnehmung des Lesers gerückt, so pointiert das Nutzerszenario die Nützlichkeit des Designs. Durch diese Idealisierung einer bestimmten Nutzungssituation bemühen sich seine Verfasserinnen, die von ihnen konstruierten Neuerungen im Bericht als Innovation zu rahmen. Es ist hilfreich, hier zwischen Neuerung und Innovation zu unterscheiden: Als Neuerung ist die neue Kombination bekannter Elemente zu verstehen, wie sie hier ausführlich beschrieben wurde, als Innovation dagegen ist eine durchgesetzte, das heißt verbreitete und anerkannte Neuerung zu verstehen (vgl. Rammert 2010: 32). Durch Rekombination und die geschickte Manipulation von Ungewissheit gelang es verschiedene Neuerungen im Designobjekt zu verwirklichen. Diese „kreativen Neuerungen“ unterscheiden sich von bekannten Kleidungsstücken und Interfaces (Rammert 2010: 32). Der Bericht geht jedoch darüber hinaus, er erzeugt mit Hilfe des Nutzerszenarios die Ahnung, das Vorgefühl einer Innovation. Diese nun ahnbare Innovation basiert auf den diskutierten Neuerungen von Kleidung als Interface, Vibration in Verbindung mit GPS (global Positioning System) und weiteren uns bekannten Neuerungen ihres Designobjekts. Der Bericht, mit seinem ausführlichen Szenario, macht diese Inventionen zu einer Innovation. Narrativ stellt das Szenario eine selbstverständliche Verwendung der Neuerungen in alltäglichen touristischen Situationen vor, diese selbstverständliche Anwendung, diese scheinbare Verbreitung, die literarische Einbettung der Neuerung in gesellschaftliche Routinen und Erwartungen erhebt sie vom Status der Invention auf den Status einer Innovation (vgl. Rammert 2010: 32). Der Bericht dokumentiert somit nicht nur die zweifellos spannenden kreativen Neuerungen, er zeichnet gleich eingangs ein prospektives Szenario einer Innovation auf Basis der modellierten und getesteten Neuerungen – ein spezifischer, mit den Inventionen aufs engste verbundener Möglichkeitsraum entsteht. 130 Es ist den Designerinnen gelungen auf pragmatischer Ebene, im Sinne Rammerts, die 130 Die Erwartung an neue technische Möglichkeiten ist in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen. Ein breites Forschungsfeld der Techniksoziologie untersucht, auf welche Weise Erwartungen von Akteuren der Wirtschaft, der Politik und aus der Technologieentwicklung ganze Technologiefelder formen und institutionalisieren (vgl. Hughes 1987; Bender 1999 und 2006; van Lente 1993; van Lente, Rip 1998; Schulz-Schaeffer, Meister 2015; Schulz-Schaeffer 2013).
Bedeutungen und Wirkungen werden eingepasst | 241
notwendigen Elemente einer Innovation zu realisieren. Auf geschickte Weise werden in dem Bericht jedoch die semantische Ebene und die grammatische Ebene von Innovation ebenso adressiert (vgl. Rammert 2010: 34-39). So erlaubt es das Szenario, den Sinngehalt ihres Designobjekts semantisch nachzuvollziehen. Auf grammatischer Ebene ist die Adressierung weniger deutlich, die App, die Verbreitung ihrer Erfindung über relevante Peers (in dem genannten Szenario die Freunde des exemplarischen Nutzers) berühren aber zumindest die ‚Rules of the Game‘, in dem von ihnen adressierten Innovationsfeld zwischen angewandter Forschung und den Bedürfnissen eines Telekommunikationskonzerns. Wie schon die Erfahrungen und die Verbreitung der Fotografien des Designobjektes weist der Bericht deutlich über die Trennungs- und Rekombinationsarbeit hinaus. Der Bericht adressiert bestimmte erwartete Erwartungen und sucht so Anknüpfungspunkte und Verbindungen. Das Ergebnis der kleinteiligen Entwurfs- und Konstruktionsarbeit wird durch die spezifische Darstellung zu einer potenziellen Quelle von Innovationen eines Telekommunikationskonzerns stilisiert. Der Projektbericht und insbesondere das darin enthaltene Nutzungsszenario erlaubt es den Designerinnen, einen Anschluss zu suchen, an ein von mir nicht näher bestimmbares Innovationsfeld rund um neue Formen von Interfaces (vgl. Windeler 2016: 100f.). Ob der Anschluss gelingt und wie ein solches Feld strukturiert ist, sind interessante Forschungsfragen, die hier jedoch nicht weiter verfolgt werden können. Der Bericht ist ein weiterer Hinweis, das Design nicht allein durch Entwurfs- und Konstruktionsarbeit zu charakterisieren ist. 9.3.2 Design als Beitrag zu den Debatten der Designwissenschaft Neben den Fotografien als Kommunikationsmittel, der Erfahrung der Designerinnen und der Stilisierung zu einem Innovationsobjekt wird von Kirsten ein weiterer Anknüpfungspunkt adressiert, der Kontext der Designwissenschaft. Einen besonders interessanten Kontrast bildet der Vergleich des beschriebenen Projektberichts mit den wissenschaftlichen Fachpublikationen von Kirsten im Feld der Designwissenschaft. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen richten sich an das Feld von Designforschern und Designwissenschaftlerinnen und nehmen die dort relevanten Probleme, Fragen und Diskurse auf, wie ich im Folgenden zeigen werde. Leider gibt es zu diesem Zeitpunkt keine wissenschaftliche Publikation von Kirsten, die die Arbeit an dem oben genannten Designobjekt thematisiert. Im Folgenden werde ich anhand von zwei Publikationen von Kirsten, die ebenfalls auf die Arbeit mit textilen Interfaces zurückgehen, zeigen, dass sie im Kontext
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design-wissenschaftlicher Diskussionen keineswegs in Hinsicht auf Innovationen argumentiert, so wie es im Forschungsbericht geschehen ist. Kirsten argumentiert in beiden Fällen für eine spezifische Methode, um das designerische Potential der Nutzer in den Prozess einfließen zu lassen und so für das Designobjekt nutzbar zu machen. Ihr Argument wird anhand von Zitaten aus ihren Publikationen nachvollziehbar. Zunächst betont sie die Ähnlichkeiten zwischen Design und Gebrauch. „Die Gestaltung eines Gegenstands und sein Gebrauch sind in modernen Industriegesellschaften weit voneinander entfernt. Das bedeutet jedoch nicht, dass beide sich nicht strukturell ähneln können. Wenn wir einen großzügigen Designbegriff zu Grunde legen, dann können wir auch die originelle Improvisation im Gebrauch als eine Art von Design verstehen.“ (Bredies 2016: 219)
Ausgehend von der Beobachtung, dass in Aneignung und Umnutzung immer wieder absichtsvoll designte Objekte umgenutzt und zweckentfremdet werden, spiegelt Kirsten ihre konstruktivistische These zurück auf den Designprozess. Salopp formuliert positioniert sich Kirsten hier als sozialkonstruktivistische131 Designerin und stellt damit zumindest implizit auch ihre Position in Frage. Kirsten sieht gerade in den Interpretationen und Aneignungen der Nutzer ein Potential für das Design. Praktisch erreichen möchte sie die Beteiligung der Nutzer am Design, indem sie sie irritiert. Irritierter Gebrauch soll neue Potentiale für Design freisetzen, indem der irritierte Gebrauch von Nutzungskonventionen abweicht. Gelingt diese Irritation, dann würden die vielen kreativen Aneignungen der Nutzer zu einem bisher wenig eingebunden Quelle neuen Designs. „Andererseits ging es mir darum, einen experimentellen Designprozess auszuprobieren, der alternative Rollenverteilungen hinsichtlich Design und Gebrauch vorsieht. Damit 131 Kline und Pinch zeigten 1996 in einer historischen Studie, dass auch sehr komplexe Dinge wie Fahrzeuge durchaus erfolgreich umgenutzt werden (vgl. Kline, Pinch 1996). Insofern beschreibt Lindemann, mit ihrer Aussage über die Beziehung zwischen Hersteller und Nutzer von Technik, möglicherweise den Regelfall, aber nicht alle Fälle: „Die Produzentin erwartet mögliche Nutzungserwartungen seitens bestimmter oder anonymer Techniknutzer. Diese Antizipationen sind in praktische Gestaltung der Technik eingelassen. Der Produzent erwartet z.B. eine Waschmaschinennutzerin mit bestimmten praktischen Erwartungen und gestaltet die Waschmaschine entsprechend.“ (Lindemann 2009: 173) Kirstens Erwartungen als Technikproduzentin unterscheiden sich, sie hegt die Erwartung einer kreativen Aneignung.
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nehme ich eine Entwicklung auf, die in der zunehmenden Annäherung von ‚critical design‘ und ‚participatory design‘ bereits begonnen hat und auf eine Ausbreitung experimenteller und ergebnisoffener Entwurfsmethoden außerhalb des akademischen Zusammenhanges hinausläuft. […] Während mit dem benutzerorientierteten Design ein Ansatz vorliegt, der die Unsicherheit im Design mithilfe wissenschaftlicher Gewissheit zu minimieren versucht, läuft das ‚irritierende‘ Design, das ich vorschlage, auf ein gezieltes Verunsichern und Verändern (wissenschaftlich) anerkannter Gewohnheiten und Erkenntnisse hinaus. Damit möchte ich den Bewegungsspielraum von Designern wieder erweitern, ohne die durch das benutzerorientierte Design gewonnene Systematik komplett aufzugeben.“ (Bredies 2014: 5).
Ihr Argument, ihre Bezüge, alles richtet sich auf den Designprozess selbst. Sie führt als ‚Research through Design‘ Design praktisch durch, um als Designforscherin ihre Methode zu verbessern, andere Forscher darüber zu informieren und nicht zuletzt, um sich im Feld der Designforschung zu positionieren und zu qualifizieren.132 Ihre Bemühungen richten sich also auf den Designprozess und seine Methoden. Kirsten führt einen Prozess zur Gestaltung verschiedener textiler Interfaces durch und bestimmt in ihrem Text verschiedene Begriffe und Verhältnisse der Arbeit. Diese Methode und ihr Text richten sich an die wissenschaftliche Gemeinschaft rund um Design. Ihr Anliegen ist es, besseres Design mithilfe einer neuen Designmethode zu entwickeln. Möglicherweise möchte sie das Design davon befreien, früher und besser wissen zu müssen, was vollkommen anonyme Nutzer wollen und brauchen. Vielleicht möchte sie die User davon befreien, die Objekte und Interfaces nun gerade so verwenden zu müssen, wie die Designer sich die ideale Verwendung vorstellen. So oder so, ihr wissenschaftliches Argument richtet sich an die Diskurse der Designwissenschaft. Die oben diskutierte Argumentation, rund um den Forschungsbericht, dagegen richtet sich an Akteure, die verstehen sollen, dass Designforschung ein Innovationsfeld ist und sich deshalb möglicherweise ein ‚Return on Investment‘ versprechen. Ganz anders als in dem Innovationsszenario des Berichts thematisiert Kirsten hier ein bestimmtes methodisches Vorgehen. Inhaltlich sind Bericht und die wissenschaftlichen Publikationen grundverschieden, sie sind jedoch beide Teile von Design und differenzieren das Bild von Design. Sowohl die Adressierung der Auftraggeber, als auch die Positionierung in der wissenschaftlichen Community sind wichtige Momente von Design, denn sie verweisen auf differenzierte Interessenlagen zwischen Innovation und Wirtschaftlichkeit auf der 132 Die Quelle von 2014 bezieht sich auf die Ergebnisse ihrer Dissertation, die wissenschaftliche Qualifikation spielt damit ebenso eine Rolle.
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einen Seite sowie Erkenntnis und Wissenschaftlichkeit auf der anderen Seite. Die Arbeit von Kirsten befindet sich scheinbar zwischen diesen Feldern oder steht zumindest mit beiden in Kontakt. Sie ist mit beiden Seiten verbunden und – das hat dieses Kapitel gezeigt – orientiert sich deutlich sichtbar an den Erwartungen beider Seiten. Diese Position von Kirstens Projekt, zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, ist ein typisches Phänomen fragmentaler, nicht aber funktionaler Differenzierung (vgl. Rammert 2007: 196f.). Die im Detail untersuchte konstruktive Designarbeit ist ein elementarer Teil davon, sie allein ist aber nicht kennzeichnend für den hier untersuchten Designprozess. Michel Callon erklärt die Entstehung und den Zerfall eines heterogenen Netzwerks aus Fischern, Wissenschaftlern und Jakobsmuscheln mit dem Begriff des ‚Interessement‘ (vgl. Callon 1986: 71): Einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern gelingt es, in dem von ihm untersuchten Fall, verschiedene Akteursgruppen, trotz heterogenen Interessenlagen, über einen gewissen Zeitraum aneinanderzubinden, weil ebendiese Bindung verspricht, sie ihren jeweils unterschiedlichen Interessen näher zu bringen. Die Probleme der verschiedenen Akteursgruppen werden für einen gewissen Zeitraum zu einem gemeinsamen Problem rund um die Frage, ob sich Jakobsmuscheln in der Bucht von St. Brieuc züchten lassen oder nicht. In der Folge reicht das Ende dieser Überzeugung auf Seiten einer der Parteien aus, um den sofortigen Zerfall des Netzwerkes zu verursachen (vgl. Callon 1986: 80). Die Designforscherin Kirsten in einer vergleichbaren Position zu rücken ist überzogen, dennoch, ihre unterschiedlichen Publikationen könnten sowohl auf Seiten der Akteure aus der Wirtschaft, als auch bei den Akteuren aus dem Feld der Designforschung Probleme lösen, etwa das Problem, wie eine Innovation angestoßen wird oder das Problem, wie eine neue Designmethode aussehen könnte. Beide Probleme könnten durch das Design von Kirsten eine Antwort finden. Ob dieses ‚Interessement‘ gelingen kann, muss offenbleiben. Die Gliederung dieser Arbeit impliziert, dass die zuletzt genannte Arbeit unterschiedlicher Formen von Veröffentlichungen und die noch zu erläuternde universitäre Lehre (siehe 9.4) nach der Trennungs- und Rekombinationsarbeit durchgeführt werden. Tatsächlich existiert keine stringente zeitliche Ordnung, viele Arbeiten laufen parallel. Die zeitliche Folge ist eine notwendige Konstruktion meiner Analyse, in der Einleitung habe ich die Schwierigkeiten geschildert Tätigkeitsbereiche als Beobachter überhaupt voneinander abzugrenzen und einzelne Projekte zu identifizieren. Diese von mir geleistete Trennung veranschaulicht auf sehr greifbare Art und Weise, dass die Ungewissheiten von Konstruktion und Entwurf, von Anschluss an Diskurse um Innovation und an Diskurse um Methoden der Designwissenschaft nicht aufeinanderfolgen. Sie liegen
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nebeneinander, geschehen gleichzeitig oder lösen sich zum Teil auch voneinander ab. Zwar ist das rekombinierte Designobjekt nie unveränderlich, aber schon im Status der gerade entstandenen Neuerung werden sie in Berichten zu Innovationen stilisiert, zum Lehrinhalt für Studierende gemacht oder zu einem stichhaltigen Argument für die Diskurse der Designwissenschaft transformiert. Zwischen diesen vielfältigen Bezugnahmen und der Rekombinationsarbeit gibt es keine zeitliche Rangfolge. Hier herrscht keine Reihenfolge von der Invention zu Innovation, sondern immer ein Nebeneinander und eine Gleichzeitigkeit. Die hier angestrebte Beschreibung von Design gelingt nur, wenn neben der Entwurfs- und Konstruktionsarbeit auch die vielfältigen Bezüge des Designs offen gelegt werden. Auch sie sind charakteristisch für diesen Designprozess. Ein weiterer derartiger Bezug liegt in der Unterrichtung von Design.
9.4
DESIGN ALS UNTERRICHTUNG
Neben dem sechsmonatigen Designprozess habe ich zwei je einwöchige Lehrveranstaltungen des DRL als teilnehmender Beobachter begleitet. Die Veranstaltung, auf die ich mich hier beziehen möchte, wurde von Kirsten und ihrer Kollegin Thea durchgeführt. Sie richtet sich an die Bachelor- und Masterstudierenden der UDK in Berlin und fand einige Monate nach dem oben erörterten Designprozess statt. Titel und Thema lautete ‚Unknown Fabric Objects‘. Die Veranstaltung wurde als Vollzeitblock an fünf aufeinanderfolgenden Tagen durchgeführt, die Studierenden arbeiten dabei in kleinen Gruppen jeweils an ihren eigenen Designobjekten. Das Ziel der folgenden Darstellung ist es nicht, die vielen Skizzen, Diskussionen, Präsentationen und Irritationen dieser arbeitsreichen Woche darzustellen; weiterhin ist die Differenz zwischen Design als Entwurfs- und Konstruktionsarbeit und Design als Modus der Verbreitung und des Anschlusses der Gegenstand der Untersuchung. Universitäre Lehre ist neben den oben diskutierten Publikationen deshalb ein wichtiger Moment dieses Designprozesses. Im Folgenden greife ich eine zentrale Beobachtung heraus, obgleich eine Gruppe von etwa 20 Designerinnen, die eine Woche zusammen arbeiten weit mehr Material bietet. Alle Studierenden erhielten die Aufgabe, in dieser Woche ein textiles Objekt zu designen, das in seiner Funktion in unserem Alltag in anderen Materialien realisiert ist.133 Hierfür wurden Bereiche eingegrenzt, so gab es Gruppen, die 133 Kirsten schafft mit ihrer Arbeit eine Schnittmenge aus dem Bereich des FashionDesigns, welches zentral das Thema Textilien besetzt und dem scheinbar sehr ent-
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sich im Badezimmer, in der U-Bahn oder in der Küche nach vielversprechenden Möglichkeiten eines solchen Redesigns umschauen sollten. Der erste Tag diente dazu, in den jeweiligen Bereichen ein Problem einzugrenzen, um im weiteren Verlauf der Woche mit diesem Problem zu arbeiten. Der erste Tag begann mit einer längeren Einführung in das Prinzip des ethnografischen Arbeitens mit Bezug auf Bronislaw Malinowski und sollte den Studierenden dabei helfen, die Selbstverständlichkeiten ihrer Lebenswelt im Badezimmer, in der U-Bahn, beim Sport und anderswo systematisch in Frage zu stellen. Im Blitztempo sollten sie lernen mit der Perspektive eines Fremden auf die Selbstverständlichkeiten unserer materiellen Kultur zu blicken. Wie jeder Seminartag endete auch dieser erste Tag mit einer Präsentation aller Gruppenergebnisse am späten Nachmittag. Die am ersten Tag eingekreisten und präsentierten Probleme sowie die dazugehörigen Ideen fielen sehr dichotom aus: Entweder den Gruppen gelang das Herauslösen der Alltagsobjekte aus den bekannten Routinen und Erwartungen, die Projektgruppen präsentierten dann immer auch originelle Ideen, in Form einer neuen Lösung und neuer Praktiken. Eine dieser Gruppen präsentierte beispielsweise eine Idee für kleine Küchen. Töpfe, Pfannen und Geschirr sollten so beschaffen sein, dass sie, genau wie Stoff, falt- knüll- und zusammenlegbar sind. Damit würde der Platzbedarf enorm sinken, man könnte die Küchenutensilien wie Socken in die Schränke und Schubladen stopfen. Dieser Gruppe gelang die für eine Neuerung notwendige Distanzierung von den Selbstverständlichkeiten unserer Lebenswelt. Sie machten sich frei von dem, was als normal gilt und ebenso frei von Fragen der technisch-physikalischen Umsetzung ihre Idee. Ihnen gelang es aus der ungerichteten Unbestimmtheit der Küche einen interessanten ungewissen Bereich abzugrenzen und so ein konkretes Problem mit einer spezifischen Ungewissheit zu definieren. Die Abgrenzung beruht auf einer Trennung, Fragen alltäglicher Selbstverständlichkeit wurden von Fragen der technischen Machbarkeit und von Fragen nach dem, was wünschenswert ist, getrennt. Diese Trennung erlaubte das fokussierte Arbeiten an einer spezifischen Ungewissheit, der Ungewissheit einer sinnvollen, bedeutungsvollen Anwendung. Anderen studentischen Arbeitsgruppen gelang diese Trennung nicht. Diese Gruppen konnten sich nicht auf einen bestimmten Problemfokus festlegen und gleichzeitig andere Probleme ignorieren. Exemplarisch für diese ‚Trennungsprobleme‘ ist eine der Gruppen, ihr Thema war die U-Bahn. Ihr gelang diese Differenzierungsleistung, diese Zerlegung fernten Bereich des ‚Interface-Designs‘. Damit entsteht ein neuer Bereich, der Kompetenzen aus beiden Feldern benötigt und vermittelt. In ihrer Lehrveranstaltung treffen aus diesem Grund Studierende mit unterschiedlichen Hintergründen aufeinander.
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nicht. Stattdessen stellten sie die Aufgabe in Frage, nicht aber die soziotechnischen Selbstverständlichkeiten der Berliner Verkehrsbetriebe. Sie argumentierten, dass die U-Bahn auf enorm gute Weise bis ins Detail funktioniere und aus gutem Grund gerade so gestaltet ist, wie sie ist. In der Folge problematisierte die Gruppe generell die Verwendung von Textilien in der U-Bahn, anstatt den gegenwärtigen Status zu hinterfragen und so eine interessante Ungewissheit für Design zu definieren. Sie argumentierten, dass Stoff in der U-Bahn große hygienische Probleme verursachen würde, anstatt den Status Quo in Frage zu stellen. So ließen sie sich von erwarteten Problemen daran hindern einen neuen Entwurf zu entwickeln. Zweifelsohne wirft sowohl eine Bratpfanne aus Stoff, als auch ein Polstersessel in der U-Bahn größere Probleme auf – das Anliegen von Kirsten und Thea in der Lehrveranstaltung besteht aber darin, diese verketteten, ja verknoteten Probleme erst einmal zu lösen, um sich als Designerin so den Raum zu verschaffen, den Knoten Strang für Strang zu untersuchen und zu bearbeiten. Eine zentrale Kompetenz, die hier teils erfolgreich, teils ohne Erfolg vermittelt wurde, war gerade diese Trennungsarbeit, die ja die Voraussetzung ist, um die stets komplexen sozio-technischen Probleme des Designs systematisch, ja methodisch handhabbar zu machen. Diese Trennungsarbeit, wie wir sie praktisch in dem Designprozess und hier als Inhalt der Ausbildung sehen, ist eine Methode, um das, was von Horst Rittel so treffend als ‚Wicked Problems‘ bezeichnet wurde, überhaupt manipulierbar zu machen (vgl. Rittel, Webber 1973). Schließlich gelang denjenigen Designerinnen, die diese Probleme differenzieren, bearbeiten und rekombinierten, wieder differenzieren usw. die geforderte Bearbeitung. Diese Trennungsarbeit und ihre Rekombination in neuen Zusammensetzungen suchten Kirsten und ihre Kollegin Thea über die gesamte Woche zu vermitteln, teils mit Erfolg, teils ohne. Universitäre Lehre präsentiert sich in dem vorliegenden Fall als Teil von Design. Recht nah am eigenen Fall und Vorgehen bemühen sich Kirsten und Thea eine zentrale Kompetenz des Designs zu vermitteln. Die Abgrenzung, Trennung und Ausklammerung von bestimmten Zusammenhängen aus der Unbestimmtheit unseres sozio-materiellen Alltags wird als Trennungsarbeit immer wieder von Kirsten und Nora im Designprozess unternommen. Sie definieren bestimmte Probleme und machen damit aus ungerichteter Unbestimmtheit eine bearbeitbare Ungewissheit. Dieses methodische Vorgehen findet sich sowohl im Entwerfen, als auch im Konstruieren bestimmter technischer Zusammenhänge, als auch bei der Fehlersuche- und Beseitigung. Trennung, als Form der Definition bestimmter Ungewissheiten, ist eines der zentralen Prinzipien des Designs. Es ist gerade diese Methode, die hier im Rahmen der universitären Lehre von Kirsten und Thea vermittelt wurde. Hier fallen Forschung und Lehre geradezu idealtypisch
248 | Die Praxis des Designs
zusammen. Wichtiger aber für die Frage danach wie Design gemacht wird, ist die Erkenntnis, dass Design nicht allein aus der mit Arbeitsmitteln vollzogenen Trennungs- und Rekombinationsarbeit besteht, sondern das Design Anschluss sucht, mit Fotos, durch Szenarien rund um eine Innovation, durch Beiträge zur Designwissenschaft und nicht zuletzt dadurch seine spezifischen Inhalte und Methoden an Studierende zu vermitteln.
9.5
DESIGN AUF DER SUCHE NACH VERBINDUNGEN
Anders als im Kontext von Innovation und anders als im Kontext der designwissenschaftlichen Fachdiskussion wurden im Kontext der universitären Lehre andere Momente der Entwurfs- und Konstruktionsarbeit herausgegriffen und an Dritte adressiert. Die Innovation, die Methode Nutzer als Designer einzubeziehen und nun die Trennungsarbeit, sie alle – das zeigt dieses Kapitel sehr deutlich – finden in der Designarbeit statt. All diese Momente und Zusammenhänge sind in der Entwurfs- und Konstruktionsarbeit, wie auch als Anknüpfungspunkte an weitere Kontexte gleichermaßen gegenwärtig. Die Designarbeit und die Suche nach Verbindungen zu unterschiedlichen Kontexten verweisen beständig aufeinander, sie konstituieren sich wechselseitig. Die Frage, wie Design gemacht wird, ist deshalb auf zweierlei Arten zu beantworten. Erstens durch Trennung und Rekombination von sozio-technischen Konstellationen, hierfür sind die Arbeitsmittel besonders bedeutsam. Zweitens erscheint es typisch für Design – in jedem Fall aber für diesen Fall von Design – immer wieder recht unterschiedliche Zusammenhänge um die Themen Innovation, Designwissenschaft und universitäre Lehre zu adressieren und zwar mit Elementen aus der kleinteiligen Trennungs- und Rekombinationsarbeit. Design, wie es von Kirsten und Nora im universitären Kontext vollzogen wird, sucht immer wieder Anknüpfungspunkte für Inhalte der Trennungs- und Rekombinationsarbeit. Das Verhältnis von kleinteiliger Forschungsarbeit im Labor und ihre mitunter für die ganze Gesellschaft relevante Bedeutung untersucht Latour. Er liefert einige hoch relevante Argumente, um die Verbindung zwischen kleinteiliger Arbeit im Labor und gesellschaftlichen Zusammenhängen zu erkennen und zu verstehen (vgl. Latour 1983). In dem wissenschaftshistorischen Aufsatz ‚Give me a Laboratory and I will Raise the World‘ kritisiert Latour seine eigene, mit Steve Woolgar durchgeführte Laborstudie ‚Laboratory Life‘, die erstmals 1979 veröffentlicht wurde. Seine Kritik bezieht sich auf seine eigene, zu enge Perspektive, die allein das Labor ins Zentrum der Untersuchung rückt (vgl. Latour 1983; Latour, Woolgar 1979). Die Schwäche von ‚Laboratory Life‘ liegt dem-
Bedeutungen und Wirkungen werden eingepasst | 249
nach darin, die Untersuchung allein auf das Labor und seine internen Vorgänge zu fokussieren und dabei die Relevanz, Macht und Bedeutung des Labors als einen gegebenen Fakt anzunehmen, anstatt eben die Entstehung von Macht und Relevanz des Labors zu untersuchen (vgl. Latour 1983: 162). Vielmehr ist es gerade diese spezifische Macht der Wissenschaft, die der Untersuchung und der Erklärung am dringendsten bedarf. Latour thematisiert deshalb die von Pasteur durchaus machtvoll eingerichteten und belebten Beziehungen zu den Bauern Frankreichs als Übersetzungen.134 Die Übersetzung findet in mehreren Schritten statt, hierfür ist es zunächst einmal nötig, das Interesse anderer Akteur zu wecken (vgl. Latour 1983: 144f.). Ist das gelungen, sollte man einen ‚Hebel‘ ansetzten (um mit seiner Wirkung die eigenen Kräfte in ein anderes Verhältnis zu bringen), indem man sich aus einer schwachen Position in eine starke Position bringt (vgl. Latour 1983: 146). Pasteur gelingt es, eine solche Hebelwirkung aufzubauen, indem er zeigt, dass er in seinem Labor die für die Bauern so gravierenden Anthrax-Bakterien kontrollieren kann. Dort ist Pasteur der Herr der Bakterien. In einem dritten Schritt bringt er diese ‚Hebelwirkung‘ dorthin, wo sie die größte Relevanz hat: auf den von Anthrax betroffenen Bauernhof (vgl. Latour 1983: 150). Pasteur ist die Übersetzungsleistung gelungen, auf diese Weise hat er sich eine machtvolle Position erschaffen. Er hat den damaligen Verhältnissen mit der Mikrobe einen wichtigen Akteur hinzugefügt, den allein er kontrollieren kann. Es ist ein großer Fehler, so Latour, wenn die Untersuchungen von Laboren und Wissenschaft an den Mauern der Labore enden. Die Geschichte Pasteurs mag ein extrem erfolgreicher Fall von Übersetzungen sein, sehr wohl aber können wir beobachten, auf welche vielfältige Weise Verbindungen über die Mauern und Glaswände des DRL hinaus gesucht werden oder schon vorhanden sind. Potenzielle Auftraggeber der Forschung werden adressiert, die wissenschaftliche Fachgemeinschaft wird adressiert, während gleichzeitig Nachwuchs ausgebildet wird. Es wurde offenkundig, auf welche durchaus unterschiedliche Arten und Weisen Kirsten daran gelegen ist, Bestandteile der Entwurfs- und Konstruktionsarbeit am Navigationspullover und an anderen Objekten zu übersetzten. Als Innovation, als neue Methode oder als 134 Im Unterschied zu anderen seiner Texte, beispielsweise dem Sammelband ‚Pandorras Hope‘ insbesondere in dem Aufsatz ‚A Collective of Humans and Nonhumans‘ bestimmt Latour 1983 die Übersetzung vornehmlich als Verbindung zwischen Akteuren und zwischen der Mikro- und Makroebene des Sozialen. In ‚Pandorras Hope‘ dagegen betont er vor allem Verschiebungen und Interferenzen, die mit den Übersetzungen zwingend verbunden sind, genauer darzustellen und zu untersuchen (vgl. Latour 2002A).
250 | Die Praxis des Designs
zentrales Lernziel in Lehr- und Lernkontexten. Ob ihre hier untersuchten Übersetzungen in den drei Feldern ‚verstanden‘ werden, bleibt abzuwarten. Die Tatsache, dass die Forschung auch von einem Telekommunikationskonzern finanziert wurde und dass sie erfolgreich ihre Dissertation abgeschlossen hat, weist darauf hin, dass sie ihre konstruktive und stets kleinteilige Designarbeit bereits zu früheren Zeitpunkten erfolgreich übersetzt hat. Die von Latour angemahnte Bedeutung der Verbindungen der Labore nach außen ist auch in diesem Forschungsfeld von höchster Relevanz. Design ist nicht allein das Herstellen von Neuerungen, Designarbeit wird erst durch die Verbindungen und dafür nötigen Übersetzungen zu Design. Was als Invention durch die kleinteilige Arbeit in Labor oder Werkstatt Gestalt bekommt, ist als Inhalt des Forschungsberichts gleichzeitig stets eine Innovation. Designarbeit, als Trennungs- und Rekombinationsarbeit, ist recht eng verbunden mit Design, als Anknüpfung an recht unterschiedliche Felder. Die Kombination dieser zwei Zusammenhänge kennzeichnet Design im Rahmen universitärer Designforschung. Mit den vorhergehenden Absätzen habe ich das DRL mindestens implizit in die Nähe eines Labors gestellt, gleichzeitig argumentiert diese Arbeit mit vielen Texten aus dem Bereich der Studio-Studien. Mir geht es nun nicht darum zu definieren, ob das DRL Laboratorium oder Studio ist, allerdings erlauben die Begriffe Studio und Labor einige interessante Schlüsse zur Designarbeit. Farias und Wilkie weisen auf einige zentrale Merkmale des Studios hin, sie unterscheiden sehr deutlich zwischen dem hier vorgestellten Begriff von Labor und einem eigenen Verständnis von Studio (vgl. Farias, Wilkie 2016: 10). Das Labor, so die Autoren, sei dadurch gekennzeichnet, dass es nur dann relevant, legitim und machtvoll ist, wenn seine Wahrheiten breite Relevanz in vielen gesellschaftlichen Bereichen erlangen. Beraubt man die Analyse von Laboren um ihre Verbindungen zur Gesellschaft, dann wird sie uninteressant. Das Labor ohne Verbindung zu Gesellschaft ist bedeutungslos. Labore, die wie dasjenige von Pasteur ‚Verbreitung‘ in der Gesellschaft finden erklären die Macht und Relevanz von Labor und Wissenschaft (vgl. Farias, Wilkie 2016: 10). Das Studio dagegen ist ein Ort interpersonaler und materieller Intimität, der Rest der Welt dagegen bleibt aus dem Studio ausgesperrt, für die kreative Arbeit ist diese Intimität und Differenz entscheidend, auch wenn die im Studio geschaffenen Objekte außerhalb be- und verwertet werden (vgl. Farias, Wilkie 2016: 11). Dieser Graben zwischen dem Studio und seinem Außen hat, folgt man den Autoren weiter, zwei zentrale Folgen. Erstens herrscht im Studio eine Intimität, Nähe und Unmittelbarkeit des Umgangs mit Mensch und Material, die die spezifische Studioarbeit erst möglich macht und zugleich eine Zurechnung der Arbeitsleistung zwischen Akteur und Objekt verunmöglicht (vgl. Farias, Wilkie 2016: 11).
Bedeutungen und Wirkungen werden eingepasst | 251
Zweitens, die Akteure in den Studios versuchen beständig, die Realität ihrer Objekte zu stärken. Aus ihrer Isolation wächst die Notwendigkeit, bei der Produktion von immer auch kulturellen Objekten ebendiese Kultur zu berücksichtigen. Diese beständige Bewegung erreicht jedoch niemals ihr Ziel. Denn was mit den Objekten draußen geschieht, außerhalb der Studios, wo eine andere Kultur herrscht, ist nicht verlässlich vorhersagbar (vgl. Farias, Wilkie 2016: 11f.). Sowohl die auf Differenzierung vom Außen beruhende Definition des Studios von Farias und Wilkie, als auch die offene, vernetzte Definition des Labors von Latour (vgl. Latour 1983) weisen eine Schnittmenge mit dem DRL und der darin stattfindenden Designarbeit auf. Die Widersprüche zwischen dem intimen, von den Erwartungen und Notwendigkeiten des Außen nur mittelbar betroffenen Studios und von dem aufs Außen ausgelegte, ja im Falle von Latour beständig nach außen wandernde Labor, lassen sich in den hier verwendeten Begrifflichkeiten der ANT nur schwerlich fassen. Es scheint fast, als müsse man sich zwischen den Konzepten entscheiden. Nimmt man jedoch die pragmatistische Perspektive ein, so wird es möglich, das Innen-Außen Verhältnis differenzierter zu betrachten und die genannten Annahmen zu integrieren. Das Innen des Labors scheint dann als intimer, kontrollierbarer Ort der materiell-physischen Auseinandersetzung menschlicher Körper und ganz unterschiedlicher Materialen. Nur bestimmte Körper und Materialien haben hier Zutritt. So tritt das Außen in der Tat nicht unmittelbar in das Studio oder Labor ein. Wir konnten aber beobachten, dass gerade im Entwerfen die Ungewissheit der späteren Verwendung als Antizipation, als Rollenübernahme künftiger Situationen über die Designerinnen und ihre Arbeitsmittel den Weg in das Studio findet. Das Außen fand als Rollenübernahme und Antizipation über Kirsten und Nora den Weg in die Gedanken und Handgriffe der Designarbeit. Sicher ist das DRL ein intimer Ort ohne Touristen, meist ohne Studierende und ohne Konzernstrategen. Es sind die von Skizzen, Fotografien und eigenen Erfahrungen getragenen und vermittelten Touristen und viele weitere Momente des Außen, die die Designarbeit von Kirsten und Nora mit-gestalten. Diese Differenzierung ist dringend notwendig, um die Innen-Außen Beziehung der hier untersuchten Phase der Designarbeit zu verstehen. Ob dann später das Labor und die Impfungen oder ein mit einem ‚Lilypad‘ ausgestatteter und mit einem iPhone verbundener Navigationspullover tatsächlich eine Verbreitung in der Gesellschaft finden, ist eine andere Frage. Der für das Soziale basale Mechanismus der Rollenübernahme, der für das Handeln so basale Mechanismus des materiellen Gegenübers, genau diese Mechanismen erlauben eine differenzierte Erklärung der Grenzen von Studio und Labor. Denn dass die Touristen in unterschiedlicher, meist antizipativer Form die Arbeit von Kirsten und Nora bevölkern, steht außer
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Frage. In dieser vermittelten Form scheinen sie so kontrollierbar, dass sie die notwendige Intimität im DRL nicht in Frage stellen. Die Grenzen des Designlabors sind in diesem Sinne hoch durchlässig, antizipativ bevölkern alle möglichen gesellschaftlichen Zusammenhänge das Labor und die Arbeit der Designerinnen. Mit dieser Grenzüberschreitung wird die zeitliche Rangfolge von Invention und Innovation obsolet, denn die Innovation ist antizipativ in der Invention stets bereits enthalten.
Kapitel 10: Wort, Bild, Objekt – Die Trennungen und Rekombinationen von Bedeutung und Wirkung im Design
In der Rekapitulation zeigt sich Design als spezifische Trennungs- und Rekombinationsarbeit von sozio-materiellen Konstellationen, durchführt mit Worten, Bildern und Objekten. Trennungen und Rekombinationen kontingenter soziotechnischer Konstellationen, in ihrem Bezug auf spezifische künftige Zusammenhänge, kennzeichnen Designarbeit. Dieses Kapitel leistet eine Konzeptualisierung der empirischen Befunde und beantwortet die Forschungsfrage, ‚Wie Design gemacht?‘. Die Forschungsfrage dieser Untersuchung entsprang einem Widerspruch aus den hohen Erwartungen an Design, wie sie in der Literatur zu finden sind und der alltäglichen, von mir beobachteten Realität der Designarbeit: ‚Wie wird Design gemacht?‘ entwickelte sich induktiv während der ersten Feldbesuche zum zentralen Problem und mit dem Fortgang der Untersuchung zu ihrer Leitfrage. Eine pragmatistische Perspektive, gepaart mit einer ethnografischen Untersuchung, verspricht die Beantwortung dieser Frage und sie ermöglicht es auch, den Forschungsstand der Mikro-Studien zu Design konstruktiv einzubeziehen. Design wird im Stand der Forschung der Mikro-Studien anhand von Bezugnahmen auf die Nutzer, die verteilte Wirkung oder durch die Bearbeitung bestimmter Dissonanzen erklärt (siehe Kapitel zwei). Der Pragmatismus erlaubt es, mit den Begriffen der Antizipation, der Zweck-Mittel Beziehung und dem hohen Stellenwert der Ungewissheit, auf den Stand der Forschung aufzubauen, um schließlich seine unterschiedlichen Befunde miteinander zu integrieren. Aus einer pragmatistischen Perspektive zeigt sich Design als Trennungs- und Rekombinationsarbeit von Wirkung und Bedeutung, obschon in der techniksoziologischen Literatur Wirkung und Bedeutung stets als eng und verbunden beschriebenen werden. Auf Basis ganz unterschiedlicher visueller und materieller
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Arbeitsmittel – mit Worten, Bildern und Objekten – versuchen die Designerinnen die Trennung von Wirk- und Bedeutungszusammenhängen zu erreichen. Die kurzfristige Trennung von Zwecken und Mitteln erlaubt es, die Leerstellen von Zwecken oder Mitteln zu füllen. Eine solche Rekombination bringt neue ZweckMittel Relationen mit sich und damit neue Designobjekte. In der Trennung werden bestimmte Zweck-Mittel Relationen aus der Komplexität des Soziomateriellen gelöst, manipuliert, rekombiniert; so entstehen potenzielle neue Designobjekte. Mit dem Fortgang des Prozesses werden immer wieder Zwecke zu Mitteln gemacht und wiederum mit neuen Zwecken verbunden. Die rekombinierten Designobjekte stehen jedoch nicht für sich, sie nehmen zu jedem Zeitpunkt Bezug auf unterschiedliche Felder, etwa bestimmte designwissenschaftliche Diskurse, die universitäre Lehre oder auf Innovationsfelder. Design arbeitet mit den getrennten und so portionierten Ungewissheiten seiner jeweils aktuellen sozio-materiellen Beziehungen. Design strebt danach, sozio-technische Konstellationen so zu rekombinieren, dass sie Anschluss an künftige und ungewisse Handlungszusammenhänge finden. In den folgenden Abschnitten werden diese Ergebnisse der Untersuchung konzeptualisiert, um ein allgemeines Verständnis von Design zu entwickeln.
10.1 REDESIGN DER WELT ODER BASTELEI IM STUDIO – DISKREPANTE PERSPEKTIVEN AUF DESIGN Meine Auseinandersetzung mit dem Thema Design begann mit der Lektüre zeitund gesellschaftsdiagnostischer Literatur zum Design. Latour, Sloterdijk, Borries, aber auch die These des Kreativitätsdispositivs von Reckwitz liefern zwar sehr unterschiedliche Beiträge zum Thema Design und Kreativität, sie vereint jedoch die Annahme, dass Design und Kreativität wichtige, wenn nicht sogar die entscheidenden Phänomene der Gegenwartsgesellschaft sind (vgl. Latour 2013: 23; Sloterdijk 2010: 9; Borries 2016; Reckwitz 2011: 313f.). Meine Erwartungen an das Forschungsfeld Design wuchsen mit der Lektüre, meine ersten Feldbesuche lösten jedoch eine große Irritation aus, denn die Designerinnen, die ich in ihrem Studio beobachten und befragen konnte, gingen allesamt einer sehr alltäglichen Büro- und Handwerksarbeit nach. Kurz gesagt, die in der Literatur versprochene Revolution und das Redesign der Gesellschaft war in den Büros des ‚Design Research Labs‘ (DRL) nicht auf zu finden! Aus diesem Paradox von Literatur und Beobachtung heraus entwickelte ich eine Beobachtungsstrategie: Die alltäglichen, vielschichtigen und undurchsichtigen Tätigkeiten beobachtete
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und dokumentierte ich mithilfe einer bestimmten Heuristik, ich folgte den Arbeitsmitteln. Arbeitsmittel sind dabei alles, was die Designerinnen in ihrem Handeln verwenden. Es sind ihre Worte, ihre Skizzen, ihre Modelle, die Werkzeuge, die Modelle und Designobjekte anderer, die Notizen, die sie machen und vieles mehr – eben alle Wörter, Bilder und Objekte mittels derer sie arbeiten. Ich reduzierte meine Perspektive auf diese Arbeitsmittel und erreichte dadurch eine Strukturierung der Komplexität der Geschehnisse im Feld. Vor allem aber wurde durch den Fokus auf die Arbeitsmittel sichtbar, dass die Designerinnen mit unterschiedlichen Arbeitsmitteln sehr unterschiedliche Dinge tun! Die Frage, wie im Design gehandelt wird, ist offenkundig eng mit der Frage verbunden, womit im Design gehandelt wird. Die verschiedenen Tätigkeiten, wie Entwerfen, Modellbau, Diskussionen, Brainsstormings usw. werden jeweils mit verschiedenen Arbeitsmitteln durchgeführt – mein Interesse für den Zusammenhang von Problem und Arbeitsmittel war geweckt. Das Paradox der Erwartungen und die Alltäglichkeit der Arbeit führten zu der induktiven Kategorie der Arbeitsmittel. Diese induktive Kategorie sorgte für die entsprechende Zuspitzung meiner Forschungsfrage und meines Forschungsinteresses, ich frage: ‚Wie wird Design gemacht?‘ Eine erste und nicht vollständige Antwort lautet: Mit unterschiedlichen Arbeitsmitteln werden unterschiedliche Probleme im Design adressiert. Auf Welche Weise diese Problematisierung und deren Beilegung geschieht, ist Gegenstand dieses Kapitels.
10.2 NUTZER, WIRKUNG ODER UNGEWISSHEIT ALS EXPLANANDA DES DESIGNS Die Literatur zu Design besteht nicht allein aus zeit- und gesellschaftsdiagnostischen Texten, es existiert auch eine Reihe empirischer, zumeist ethnografischer Untersuchungen ganz unterschiedlicher Designprozesse. Diese Mikro-Studien von Design sind Teil der sogenannten Studio-Studien. In Analogie zu den LaborStudien und ihrem Fokus auf das Labor gilt das Studio als Ursprungsort des Kreativen und Schöpferischen (vgl. Farias, Wilkie 2016). Die Nähe zur Wissenschafts- und Technikforschung resultiert jedoch nicht allein aus der Analogie von Labor und Studio. Die Mikro-Studien von Design beruhen auf den Konzepten, Annahmen und zum Teil auch auf den Fragestellungen der Wissenschaftsund Technikforschung, sie sind aus ihr hervorgegangen. Die soziale Konstruktion von Fakten und Artefakten (vgl. Pinch, Bijker 1984) und die Wirkung und Vernetzung menschlicher und nicht-menschlicher Akteure aus der AkteurNetzwerk-Theorie (vgl. Latour, Woolgar 1979; Latour 1983 und 2002) sind als
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zentrale Quellen zu nennen. Als Mikro-Studien von Design wiederholen die Studio-Studien aber nicht einfach das Vorgehen und reproduzieren so die Erkenntnisse aus der Wissenschafts- und Technikforschung, sondern sie entwickeln die Konzepte weiter und produzieren neue, über die Vorarbeiten hinausgehende Erkenntnisse. Eine sehr kurze Zusammenfassung der Erkenntnisse der Mikro-Studien von Designprozessen betont die Relevanz tatsächlicher, wie auch antizipierter Nutzer als Orientierungsmarken in Designprozessen, die Mitwirkungen der Dinge, Orte und Studios in den kreativen Prozessen. Zudem und in Differenz zur Laborwissenschaft, wird eine bestimmte Form von Ungewissheit oder Dissonanz als Voraussetzung für Entwurfsprozesse erkennbar (vgl. Farias 2013). Nutzer, Wirkung und Ungewissheit sind damit die zentralen Stichworte aus dem Stand der Forschung zu Mikro-Studien von Design. Leider nehmen die einzelnen Arbeiten wenig Bezug aufeinander und erklären die Praxis von Design meist ohne auf die Ergebnisse anderer Studio-Studien oder Mikro-Studien von Design aufzubauen. Diese Untersuchung unternimmt einen konstruktiven Umgang mit den genannten Ergebnissen der Forschung. Konstruktiv bedeutet in diesem Sinne, dass hier nicht ihre Falsifikation und eine damit einhergehende Abgrenzung das Ziel meiner Arbeit ist, im Gegenteil: Die Nutzer, die verteilten Wirkungen und die mitunter produktive Uneindeutigkeit erscheinen vielmehr als vielversprechende Meilensteine, um der Antwort auf die Frage, wie Design gemacht wird näher zu kommen. Diese Untersuchung eines Designprozesses greift auf die genannten Thesen aus dem Stand der Forschung zurück, um ihre zentralen Argumente differenziert zu betrachten und um das Nebeneinander der Ergebnisse miteinander zu integrieren. In diesem Sinne baut diese Untersuchung auf allen drei Teilen der genannten Vorarbeiten auf. Eine solche Integration, so naheliegend und gewinnbringend dieses Vorgehen auch erscheint, hat jedoch nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn es in einen entsprechenden methodischen und konzeptuellen Rahmen eingebunden wird. Dieser Rahmen muss anschlussfähig sein, für jeden der drei bisher voneinander isolierten Forschungsstände. Die Konstruktion dieses methodischen und konzeptuellen Rahmens steht damit vor nicht geringen Herausforderungen. Wie kann ein solcher methodischer und konzeptueller Rahmen aussehen? Qualitative Sozialforschung zielt nicht darauf einen einzigen richtigen Zugang zum Forschungsfeld zu entwickeln, qualitative Sozialforschung sieht sich heute als Teil des Feldes und in der Folge als gebunden an spezifische Sichtweisen (vgl. Haraway 1988; Hirschauer 2008). Da eine Negation von Perspektivität aussichtslos ist, sollte Forschung konstruktiv mit der Gebundenheit an bestimmte Sichtweisen umgehen, indem a) eine sinnvolle Vielfalt der Sichtweisen einge-
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nommen wird und b) die verschiedenen Sichtweisen in ein konstruktives Verhältnis zueinander gebracht werden. Dieser gewinnbringende Umgang kann gelingen, indem verschiedene Sichtweisen sinnvoll und jeweils fallabhängig kombiniert werden. Im Sinne einer solchen Kombination der Sichtweisen verbinde ich die Ergebnisse der Mikro-Studien von Design mit einer spezifischen theoretischen Perspektive. Die theoretische Sicht auf die Phänomene des Designs fügt den bestehenden Untersuchungen etwas hinzu. Ganz im Sinne Hirschauers enthemme ich das Verhältnis von Theorie und Empirie (vgl. Hirschauer 2008: 165). Wie das methodische Vorgehen muss auch der theoretische Rahmen zur Forschungsfrage und zu den zu integrierenden Vorarbeiten passen. Der amerikanische Pragmatismus von Dewey, Mead und Strauss ist gleichermaßen offen, um neue Erkenntnisse zu entwickeln, gleichzeitig ist er hoch anschlussfähig, für die Ergebnisse aus den Mikro-Studien zu Design. Ungewissheit, als Antrieb des menschlichen Handelns sowie die Antizipation von sinnhaften und materiellen Zusammenhängen und nicht zuletzt ihre Einbindung in wirk- und bedeutungsvolle Zweck- Mittelrelationen sind Kernargumente des Pragmatismus. Sie versprechen eine hohe Kompatibilität mit dem Forschungsstand zu Design und gleichzeitig seine Integration. Der Forschungsstand rund um Nutzer, Wirkung und Ungewissheit kann mit einer pragmatistischen Sichtweise zusammengeführt werden. Darin liegt ein enormer Gewinn, denn eine Sichtweise, die eine Klammer um die bisherigen Arbeiten setzt und ihre Erkenntnisse konstruktiv einbringt, gleichzeitig aber offen ist für neue Einsichten, eine solche Sichtweise erweitert das Verständnis von Design auf konstruktive und produktive Art und Weise.
10.3 TRENNUNG UND UNGEWISSHEIT ERLAUBEN REKOMBINATION UND NEUHEIT Den Arbeitsmitteln durch einen Designprozess zu folgen erzeugt eine spezifische Sichtweise auf das Geschehen im DRL, sie rückt das in Entstehung befindliche Designobjekt in den Fokus. Anders als in den zwei vorherigen Abschnitten abstrahiere ich nun stärker vom Aufbau und von der Gliederung der Arbeit. Ziel ist es, die Begriffe Trennung, Ungewissheit und Rekombination sowie Neuheit klar darzustellen. Sie sind die zentralen Begriffe, um Designarbeit zu Konzeptualisieren. Der Zusammenhang von Trennung und Ungewissheit bedarf einer differenzierten Betrachtung damit klar ersichtlich wird wovon genau, von welcher Entitität die Ungewissheit manipuliert wird. Der Designprozess selbst, mit seiner Problemstellung, wurde als ungewiss und offen bezeichnet. Die Trennung und
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Zerlegung dieses Prozesseses, hier als Designbogen bezeichnet, in unterschiedliche Probleme und Bereiche, erlaubt seine Bearbeitung und führt, mit etwas Abstand betrachtet, zu einer Vergewisserung oder Stabilisierung des Designbogens oder Gestaltungsprozesses. Am Ende ist das Problem der Designerinnen gelöst, die Ungewissheit des Prozesses ausgeräumt, denn ein neues Designobjekt wurde erfolgreich gestaltet. Schaut man dagegen sehr genau in die Details der Designarbeit, so führt die Trennung von Zweck-Mittel Relationen (nicht des Designbogens) zu Ungewissheit, einer produktiven Ungewissheit von höchster Relevanz für die Erzeugung von Neuheit. Die Trennung von Zweck-Mittel Relationen, wie sie in der kleinteiligen Entwurfs- und Konstruktionsarbeit beschrieben wurde, erzeugt Ungewissheit. Im Entwerfen werden die Zwecke von ihren Mitteln getrennt, in der Konstruktionsarbeit die Mittel von ihren Zwecken, so wird eine bestimmte Ungewissheit erzeugt. Diese spezifische Ungewissheit ist notwendig, um Zwecke mit neuen Mitteln zu erreichen, bzw. Mittel mit neuen Zwecken zu verbinden. Durch die Trennung wird Ungewissheit erzeugt, diese ist nötig, um als Rekombination von Zwecken und Mitteln Neuheit zu schaffen. Objekte – auch dieser Designprozess zielt auf die Herstellung eines neuen Objekts – sind eingebunden in Beziehungen. Jedes Objekt steht in einer Vielzahl von produzierten und reproduzierten Beziehungen zu Akteuren und anderen Objekten. Diese Argumentation findet sich seit geraumer Zeit bei Rammert (1989; 2003), auch bei Vertretern der ANT (vgl. Law 1987; Latour 1996). Besonders treffend bringt die Gegenüberstellung von Objekt und Quasi-Objekt die Argumentation der ANT auf den Punkt (vgl. Latour 2006: 39). Generell haben sich die Argumente der technisch-materiellen Durchwirkung des Sozialen in den aktuellen soziologischen Diskussionen einen Platz erstritten, so ist die materielle und technische Bedingtheit der Sozialität heute auf dem Weg zum ‚common Sense‘ in der Soziologie (vgl. Reckwitz 2015: 24; Knoblauch 2013: 37). Deweys Objektbegriff nimmt diese Diskussion vorweg, hier ist ein Objekt prinzipiell in zwei Arten von Beziehungen zugleich eingebunden: Die Objekt-MenschBeziehung wird zumeist in den schönen und angewandten Künsten diskutiert, die Objekt-Objekt-Beziehung, mit ihren physikalischen Merkmalen, ist häufig Gegenstand der Mathematik (vgl. Dewey 1995 [1925]: 128f.). Deweys exemplarischer Hammer, sein Stiel und Kopf stehen in einer Objekt-Objekt-Beziehung mit dem Nagel. Mehr Interesse wird jedoch meist der Objekt-MenschBeziehung, also derjenigen zwischen Hammer und Mensch, entgegengebracht, so Dewey (vgl. Dewey 1995 [1925]: 128f.). Ungewissheit wird prinzipiell handelt durch die Herstellung einer Zweck-Mittel Beziehung begegnet (vgl. Dewey 1939: 50). Häufig, aber nicht zwingend, werden im Handeln Objekteigenschaften zu Mitteln und Objekt-Mensch Beziehungen zu Zielen.
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Die Designerinnen in ihren Studios und Laboren kümmert die soziologische Annahme der ständigen Einbindung aller Objekte in Zweck-Mittel Relationen wenig, sie versuchen sich an dem Unmöglichen: Sie vollziehen die Trennung und isolieren mit wechselndem Erfolg Fragen der Wirkung von Fragen der Bedeutung! Aber nicht nur die Objekte des Alltags existieren in diesen Beziehungen, der Designprozess zeigt, dass auch das unfertige, bisher lediglich als Idee existierende Designobjekt135 bereits in diversen Beziehungen zu anderen Objekten und Akteuren befindlich ist. Es existieren bereits Vorstellungen über seine sinnhafte Verwendung, seine technische Konstruktion und vieles mehr. Der Widerspruch zwischen den etablierten Objektbegriffen in der Wissenschaftsund Technik-forschung und der offenkundigen Trennungspraxis im Design ist der hoch interessante Kern dieser Arbeit, denn einerseits wirft er eine neue Perspektive auf den kaum umstrittenen Objektbegriff, andererseits macht er die Beobachtung offenkundig, dass Trennung und Rekombination den Kern des Designs ausmachen. Im Design werden diese mannigfaltigen Relationen des Designobjekts in Frage gestellt und zerlegt. Es ist diese vielfache Verbundenheit der Beziehungen, die jedes Objekt – auch das unfertige – kennzeichnet. Gerade diese Verbundenheit machen die Designerinnen durch bestimmte Trennungen frei und ungewiss für neue Verbindungen von Zwecken und Mitteln. Trennung und Ungewissheit, Rekombination und Neuheit sind nun systematisch zu erläutern. Ich folge dabei der Reihenfolge dieser Aufzählung. Durch meine Fokussierung auf die Arbeitsmittel der Designerinnen traf ich wieder und wieder auf Trennungen der eigentlich für jedes Objekt, ob Designobjekt oder Alltagsobjekt, typischen Einbindung in bestimmte Zweck-Mittel Relationen. Durch meinen spezifischen Zugang zur Designarbeit, über die Arbeitsmittel der Designerinnen, wird ersichtlich, dass mit bestimmten Arbeitsmitteln jeweils nur bestimmte Ausschnitte der Objekt-Objekt und Objekt-Mensch-Beziehungen des Designobjekts bearbeitet werden. Abbildungen und Skizzen dienen beispielsweise dazu, die Bedeutung und Sinnhaftigkeit des Designobjekts zu entwerfen. Kabel, Stoffe, Farbe und Garn dagegen dienen dazu, seine technischen Wirksamkeiten zu trennen und zu rekombinieren. Mit der Gruppe der visuellen Arbeitsmittel werden andere Beziehungen des Designobjekts gestaltet als mit Materialien wie Stoffen und Kabeln. Konzentriert man sich als Forscher auf die Arbeitsmittel so stößt man auf Trennungen, der in der Literatur stets als verwoben beschriebenen Objekte. 135 Zur Erinnerung, der Terminus Designobjekt beschreibt auch das unfertige, nur in Erwartung und Vorstellung existierende Ziel des Prozesses, eben das künftige Designobjekt.
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Wie werden Trennungen hergestellt? Temporäre Trennungen kennzeichnen den untersuchten Designprozess. Als Trennung sind Phasen zu verstehen, in denen allein bestimmte Teile der vielfältigen Zweck-Mittel Beziehungen manipuliert werden. Vermittelt durch Abbildungen, Papier, verschiedene Anekdoten und eigens angefertigte Skizzen arbeiteten die Designerinnen zunächst ausschließlich an der Bedeutung und Sinnhaftigkeit des Designobjekts. Sie organisieren das Projekt in seinem Verlauf auf eine bestimmte Art und Weise. Aus der Vielzahl der Beziehungen des Designobjekts wird in der ersten Phase des hier untersuchten Designbogens allein die Frage seiner künftigen Bedeutungen und Zwecke herausgetrennt und bearbeitet. Fragen der Kosten, der physischen Machbarkeit und vieles mehr bleibt zunächst ungewiss und unberücksichtigt. Zwecke werden von Mitteln getrennt, beide werden durch die Trennung ungewiss und bearbeitbar. Zwecke können mit neuen Mitteln und Mittel mit neuen Zwecken verbunden werden, ihre etablierten Zweck-Mittel Relationen sind getrennt, daraus resultiert eine bestimmte Ungewissheit. Die Trennung währt nicht lange, durch die Einbindung in Handlungsvollzüge werden die Zwecke und Mittel in neue Relationen gebracht. Die Trennung besteht darin, die Bedeutung des Designobjekts (genauer gesagt seiner Entwürfe) getrennt von anderen wichtigen Eigenschaften des Designobjekts zu bearbeiten. Die Bedeutung wird getrennt von der Wirkung, so werden beide ungewiss, aber gleichzeitig frei für Verbindungen mit neuen Bedeutungen bzw. Wirkungen. Die mit der Trennung einhergehende Ungewissheit ist eine notwendige Bedingung für die spätere Rekombination. Die Herstellung der Funktionsmodelle in Sequenz vier und ihre Prüfung in Sequenz fünf sind hierfür treffende Beispiele (siehe Kapitel 6.4 und 6.5), ebenso wie die vielen Stunden der Herstellung verschiedener Elemente des Prototyps mit seiner Taschenschaltung und die durch das Krempeln der Ärmel betätigte elektrische Regelung. Zweck-Mittel Relationen drohten hier ständig zu zerfallen und ließen sich oft nicht wie gewollt kombinieren. Die getrennte Bearbeitung unterschiedlicher Ungewissheiten beruht nicht auf den Absichten der Designerinnen allein, auf ihren Vorsätzen oder auf einem Arbeitsplan. Sicher, es bedarf der Organisation der Arbeit, es bedarf auch einer Reflexion des Prozesses, aber die Trennung wird vollzogen durch die spezifischen und inhärenten Eigenschaften ganz unterschiedlicher Arbeitsmittel. Die Bearbeitung der Entwürfe fand ausnahmslos auf Basis visueller Arbeitsmittel statt. Bilder von Szenen des Alltags bilden den Rohstoff für die Entwurfsskizzen künftiger Alltagszenen. Immer liegt hier eine bildhaft-visuelle Darstellungsform vor. Bilder von Alltagsobjekten und das Anfertigen von Skizzen rücken die Zwecke ins Zentrum. Die Mittel zu ihrer Erreichung lassen sich dagegen belie-
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big skizzieren und manipulieren, sie belasten die Zwecke in dieser Situation nicht. In anderen Phasen des Designbogens wird allein mit bestimmten Stoffen, Kabeln und elektrischen Leitern als Mittel gearbeitet, unbelastet von der Frage der Qualität der damit angestrebten Zwecke. So operiert die Trennungsarbeit. In diesem Sinne basiert die Trennungsarbeit der Designerinnen auf den immanenten Eigenschaften visueller Arbeitsmittel. In anderen Phasen werden allein materielle Arbeitsmittel verwendet, während die symbolhafte Sprache, aber auch verschiedene Formen von Körperlichkeit in allen Fällen flankierend und verbindend beteiligt waren. Die unterschiedlichen Arbeitsmittel der Designerinnen weisen eine je spezifische Wirkung auf, von dieser Wirksamkeit machen die Designerinnen mit unterschiedlichem Erfolg Gebrauch. Die Trennungsarbeit im Design bedarf auch der Organisation, denn es sind die Eigenschaften der Arbeitsmittel, die eine Trennungsarbeit möglich machen. Design arbeitet mit der Wirkung von bestimmten Zweck-Mittel Relationen rund um seine Arbeitsmittel; weil sie in diese Zweck-Mittel Relationen der Trennung eingebunden sind, sind Arbeitsmittel von so entscheidender Bedeutung im Design. Design organisiert und systematisiert diese Wirk- und Bedeutungszusammenhänge mit unterschiedlichem Erfolg. Was ist kennzeichnend für eine Trennung? Aus welchen Grund ist die Trennung so wichtig im Design? Welchem Zweck dient sie? Besonders illustrativ ist zunächst erneut die dritte Sequenz, die Entwurfssitzung (Kapitel 6.3). Mit Hilfe der visuellen Arbeitsmittel und auf Basis von symbolischer Kommunikation gelang es den Designerinnen, systematisch und organisiert eine ganze Reihe abduktiver Schlüsse herzustellen, diese intersubjektiv verstehbar zu machen und als Zeichnung in eine feste und dauerhafte Form zu bringen. Abduktion tritt hier als visuell basierter Prozess auf. Objektbedeutungen von Alltagsobjekten wurden aus ihrem ‚common Sense‘ gelöst, Wäscheständer sind nun nicht mehr zum Trocknen da und Pullover nicht mehr nur kleidend, ihre Zerlegung auf Basis visueller Arbeitsmittel hat sie in ihren Zwecken ungewiss gemacht. Wäscheständer werden nun zu Signaltafeln und Pullover bieten ausreichend sichtbare Oberfläche, um als Display verwendet zu werden! Durch die Trennung und Rekombination entsteht der für Kreativität und Design so fundamental wichtige Moment von Neuheit. Die Leerstelle der alten Zwecke wird abduktiv sofort mit neuen Zwecken gefüllt, die kurze Verbannung der bekannten Zwecke erlaubt es den Designerinnen, die Mittel (Wäscheständer, Pullover) mit neuen Zwecken zu verbinden – abduktiv und blitzschnell. Der Mechanismus von Trennung und Rekombination ist im Prinzip simpel, neue Zwecke können dann entstehen und verbunden werden, wenn die alten temporär negiert werden. Anderenfalls scheint der Platz an der Seite der Mittel besetzt, die Routine verhindert die Neu-
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heit.136 Die Trennung von den gewohnten Zwecken, die temporäre Auflösung ihrer Zweck-Mittel Relation, erlaubt die Rekombination neuer Zweck-Mittel Zusammenhänge. Trennung ist eine notwendige Bedingung von Rekombination. Alternative Kombinationen erlauben es, im Prozess Neuheit systematisch und absichtsvoll zu produzieren. Die Trennung von Zweck-Mittel Relationen findet sich im Designprozess sehr häufig, gerade auch in Konstruktionsphasen. Mal werden Mittel mit neuen Zwecken verbunden, mal Zwecke mit neuen Mitteln. Beispielsweise bekommt der Ärmel eines Pullovers einen neuen Zweck, er wird zum stufenlos regelbaren elektrischen Schalter, ebenso bekommt das Taschenfutter neue Zwecke, es dient nicht mehr oder nicht mehr allein zum Schließen der Tasche, es wird zu einem elektrischen Schalter. Die inhärenten Eigenheiten von Visualität erlauben diese Trennungen und Rekombinationen ohne auf materielle Zusammenhänge Rücksicht nehmen zu müssen, etwa auf die Frage, ob ein Pullover physikalisch als Display geeignet ist, eine Bratpfanne aus Stoff ihren Zweck auch erfüllt usw. Visuell sind allein die Zwecke dargestellt, visuell sind Wirkzusammenhänge frei verfügbar. Gleichfalls erlauben Funktionsmodelle physikalische Wirkzusammenhänge zu bearbeiten und zu stabilisieren ohne auf deren Bedeutung und Zwecke Rücksicht nehmen zu müssen. Darin besteht die inhärente Eigenschaft der Arbeitsmittel. Rekombination bedarf der Trennung. Rekombinationen führen zu einem Moment von Kreativität und Neuheit, denn rekombiniert werden nicht die bekannten Zusammenhänge von Wirkung und Bedeutung, bestehend aus zahllosen Zweck-Mittel Relationen, vielmehr erlaubt ihre temporäre Isolierung neue Kombinationen. Das Ergebnis dieser Entwurfssitzung könnte auch ein fliegender Teppich sein, denn zeitweise interessiert allein seine Zweckhaftigkeit, nicht aber seine physische Basis. Die Trennung der Zweck-Mittel Relationen, des in Entstehung begriffenen Designobjekts, beruht auf den inhärenten Eigenschaften der Arbeitsmittel, die selbstverständlich auch über ein spezifisches Netz von Objekt- und SubjektRelationen verfügen. So wurden die Ungewissheiten der physischen Zusammenhänge im wortwörtlich händischen Umgang mit verschiedenen materiellen Objekten bearbeitet. Der materielle Umgang und Momente der Gleichzeitigkeit verschiedener Wahrnehmungen machen bestimmte Zusammenhänge im Wortsinne begreifbar. Der Fokus der Analyse auf die Arbeitsmittel der Designerinnen zeigt, wie die stets als eng verbunden geltenden Beziehungen zwischen Mitteln
136 Originelle Zweckentfremdungen, etwa um mit einer Kreditkarte eine Wohnungstür zu öffnen, beruhen ebenfalls auf dieser Trennung und Rekombination der ZweckMittel Beziehung des Objekts Kreditkarte.
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und Zwecken temporär getrennt und ungewiss werden, um neu rekombiniert zu werden. Die Gebundenheit der Zweck-Mittel Relationen an Handlungen machen ihre designerische Gestaltung schwierig und ungewiss. Dewey unterscheidet die Unbestimmtheit der Welt von der Ungewissheit bestimmter Situationen (vgl. Dewey 2008: 132f.). Ohne eine Bezugnahme, in Form einer Handlung, verweilt die Welt in einer Unbestimmtheit, diese Unbestimmtheit verwandeln handelnde Akteure, indem sie aus der Unbestimmtheit Annahmen über bestimmte ZweckMittel Relationen etablieren. In ihrem Handeln manifestieren sie so bestimmte Zweck-Mittel Relationen (mit oder ohne Erfolg). Die Verwendung von Arbeitsmitteln im Design, wie auch der größte Teil des Alltagshandelns, sind so durchaus treffend beschrieben. Designarbeit geht jedoch über diese für das Handeln typischen Formierungen von Zwecken und Mitteln hinaus, denn im Design werden die vielen etablierten, routinierten und institutionalisierten Zweck-Mittel Beziehungen, die unser Alltagshandeln tragen, in Frage gestellt. Zwecke werden von Mitteln getrennt, Trennungen werden vollzogen, eigentlich sichere und bekannten Zweck-Mittel Relationen werden ungewiss gemacht. Diese Trennung erzeugt Ungewissheit, es sind diese Trennungen und die daraus resultierenden Ungewissheiten, die Rekombinationen möglich machen und in diesem Sinne konstitutiv sind für Design. Ohne Trennung von Mitteln und Zwecken entstünde keine Ungewissheit, ohne Ungewissheit ließen sich Zwecke und Mittel nicht in neuer Art und Weise kombinieren. Hierin liegt die Differenz zwischen Design, Gestaltung, Kreativität und Rekonstruktion, Nachahmung und Reproduktion. Erst auf der Grundlage von Trennung, basierend auf den inhärenten Eigenschaften der Arbeitsmittel137 in ihrer Materialität und Visualität wird die Komplexität eines Designprozesses begreifbar und verstehbar. Die Literatur zeigt andere Formen der Portionierung von Ungewissheit. Als Überflutung des Studios beschreibt Houdart beispielsweise die Exkursionen eines Architekten zu den Kunden und den Besuch des Ortes, an dem der Bau errichtet werden soll. Ansammlung und Reduktion geschiert hier nicht allein im Studio, sondern eben im 137 Die Zweck-Mittel Relationen sind in ihrem Verhältnis veränderlich, so sind etwa bestimmte Schaltungen oder Entwürfe in der Anfangsphase des Designprozesses Zwecke, die Designerinnen setzen verschiedene Mittel ein, um sie zu stabilisieren. Auch die Entwürfe werden über den Prozess von Zwecken zu Mitteln der Gestaltung. Auch der Prototyp war über einen Großteil des Designprozesses hin Zweck, also Ziel der Bemühungen. In der letzten Phase des Designprozesses wurde er zum Mittel, um das Designobjekt zu finalisieren. Mit dem Fortgang des Designprozesses wechselt ihr Status mitunter von Zwecken zu Mitteln des Designs.
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Spannungsfeld zwischen Studio und lokaler Situation (vgl. Houdart 2016). Was genau angesammelt wird und inwiefern es reduziert wird, durch die Ortswechsel, beschreibt Houdart leider nicht genauer. Ich denke, es wäre als Ungewissheit sehr treffend beschrieben. Spezifische Zweck-Mittel Relationen können in Trennung bearbeitet werden ohne dass ihre Verweisungen ebenfalls berücksichtigt und bearbeitet werden müssen. Dadurch wird Designarbeit möglich. Die Trennung und Verunsicherung von bekannten und etablierten Zweck-Mittel Relationen ist der Kern der Designarbeit. Er erlaubt, als Rekombination, dass alte Zwecke mit neuen Mitteln oder aber neue Zwecke mit alten Mitteln erreichbar werden. Versteht man Designarbeit als spezifischen Umgang mit sehr unterschiedlichen, immer auch materiellen Zweck-Mittel Beziehungen, wird der enorme Stellenwert von Trennungen und der daraus resultierenden Ungewissheit im Design offenkundig. Ungewissheit wird durch die Trennung von Zweck-Mittel Beziehungen erzeugt, die Ungewissheit ist nötig, damit neue Zweck-Mittel Zusammenhänge entstehen können. Deshalb ist Ungewissheit nicht einfach ein Problem im Design oder im Handeln allgemein, es ist die Ungewissheit selbst, die den Designprozess erst ermöglicht, mitunter auch antreibt oder gar neu beflügelt. Durch die Trennung von bestimmten Zweck-Mittel Relationen werden bestimmte Ungewissheiten relevant gemacht, sie können durch neue Kombinationen von Zwecken und Mitteln vergewissert werden, ein neuer Handlungszusammenhang bekommt Gestalt. Wer gutes Design machen möchte, sollte sich weniger auf die Reduktion von Ungewissheit konzentrieren, sondern für seine Zwecke förderliche Ungewissheiten suchen und erschaffen. Michael Hutter und Farias bezeichnen dieses Phänomen treffend „configuring frames of indeterminate situations“ (Hutter, Farias 2017: 438). Durch Immunisierung bestimmter Orte, etwa Studios und Labore, wird ein geschützter Raum geschaffen, indem sich die jeweilige kreative Arbeit intensivieren lässt (vgl. Hutter, Farias 2017: 440). In anderen Zusammenhängen entstehen durch das Infrage stellen von Werten und Regeln Momente, die für die Entstehung des Neuen förderlich sind (vgl. Hutter, Farias: 440ff.). Hutter und Farias erklären in Differenz zu Dewey Unbestimmtheit138, etwa in ‚Quest for Certainty‘, zur entscheidenden und vor 138 Die Argumentation von Hutter und Farias ist treffend und reich an Beispielen, den Begriff der ‚Indeterminancy‘ und nicht aber die ‚Uncertainty‘ ins Zentrum der Argumentation zu stellen ist jedoch problematisch. Für Dewey resultiert die ‚indeterminate Situation‘ also die unbestimmte Situation aus organischen Zusammenhängen, der Hunger, bevor er als solcher erkannt wird, geht auf bestimmte Relationen auf der Objekt-Objekt Ebene zurück und wird von Dewey als Beispiel für eine unbe-
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allem zur produzierten Ausgangsbedingung von Neuheit (vgl. Dewey 1958 [1929]: 129). Es lässt sich wie folgt schließen: Etablierte Zweck-Mittel Relationen von Objekten werden im Design getrennt, dabei werden mal die Zwecke von ihren Mitteln getrennt, als auch die Mittel von ihren Zwecken getrennt. Die Trennung von Zwecken und Mitteln erzeugt eine Ungewissheit für beide Elemente. Diese Ungewissheit ist spezifisch an bestimmte Zwecke und Mittel gebunden, vor allem aber ist sie die notwendige Bedingung, damit Zwecke mit neuen Mitten verbunden werden können, bzw. Mittel mit neuen Zwecken verbunden werden können. Doch wie gelingt nach der Trennung die Rekombination? Die Rekombination ist weitaus einfacher als die Trennung. Jede Bezugnahme im Handeln, einerlei ob sie mit dem Körper oder antizipativ vollzogen wird, bringt ein Objekt, auch ein Designobjekt, in spezifische Zweck-Mittel Verhältnisse: Erwartungen und Annahmen richten sich an das Objekt, es wird in Handlungsvollzüge eingeschlossen und findet sich sofort wieder in einem Beziehungsgeflecht. Die dritte Sequenz, mit den langen Diskussionen rund um die Benutzung der entworfenen Designobjekte, ist hierfür ein Beispiel, ebenso die Prüfungen der Funktion der Taschenschaltung. Jedes Handeln mit einem Objekt bringt das betreffende Objekt zurück in spezifische Zweck-Mittel Beziehungen. Dieses Phänomen ist allgegenwärtig, jeder Bezug auf ein Objekt etabliert eine derartige Relation (vgl. Dewey 1939: 43, 48f.). In diesem Sinne sind die Trennungen eine aufwändig zu produzierende Ausnahme; der Normalfall der Verbundenheit wird durch die stimmte Situation angeführt (vgl. Dewey 2008: 134). Wird diese unbestimmte Situation des Hungers jedoch erkannt, so wird sie zu einer problematischen und ungewissen Situation. Unbestimmtheit ist also nur dann unbestimmt, wenn sie nicht in einer, wie auch immer gearteten, Beziehung mit einem Akteur steht, gerät sie mit einem Akteur in Verbindung, so wird sie zu einem Problem und damit ungewiss. Eine unbestimmte Situation als ungewiss und problematisch zu bezeichnen weist Dewey von sich und kritisiert diese Vermengung von Ungewissheit und Unbestimmtheit als Vorwegnahme (Prolepsis) (vgl. Dewey 2008: 134). Die Unbestimmtheit ist gegeben, sie muss aber im Handeln problematisiert werden, das Handeln, wie von Dewey im ‚Reflex Arc‘ Aufsatz beschrieben (vgl. Dewey 1896), ist allem anderen vorgeordnet. Mit dem Handeln aber verschwindet die Unbestimmtheit, sie bekommt eine Richtung, sie wird zu einem ungewissen Problem, die Relevanz dessen für die Kreation von Neuheit ist evident. Denn es ist unstrittig, dass die die Herstellung von Ungewissheit und problematischen Situationen nicht negativ, sondern als Kern des Prozesses selbst verstanden werden muss.
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Einbindung in jedwedes Handeln schnell wieder hergestellt. Trennungen und Ungewissheit müssen aufwändig produziert werden, Einbindung geschieht durch jede Bezugnahme im Handeln fast wie von selbst. Je häufiger auf ein Objekt im Handeln Bezug genommen wird, desto breiter und fester gerät seine Einbindung.139 Routinen entstehen, das Objekt entwickelt eine fixe Bedeutung, darin besteht der Normalfall. Fasse ich etwa beim Kochen den heißen Topf mit dem gerafften Stoff meines Pullovers an, so etabliere ich eine alternative ZweckMittel Relation. Im Design aber ist zu beobachten, wie temporär eine Trennung der Zweck-Mittel Relation gelingt, oftmals finden sich in der Rekombination dann neue Verbindungen von Zwecken und Mitteln, etwas Neues ist produziert worden. Auf Basis von Trennungen gelingt es im Design, das Verhältnis von Mitteln und Zwecken neu zu konfigurieren. Neuheit kann jedoch nur dann entstehen, wenn die Designerinnen gerade nicht die verbreiteten Zweck-Mittel Verbindungen wieder aufnehmen. Kleidung, als Mittel zur Mode, brächte das hier vorgestellte Design seinem Ziel nicht näher. Zu Beginn dieses Abschnitts stand die in der Wissenschafts- und Technikforschung recht breit geteilte Annahme, dass Soziales und Materielles zusammenfallen und entsprechend in ihren Zweck-Mittel Relationen zusammen zu denken und zu untersuchen sind. Widerlegt die Trennungsarbeit der Designerinnen diese Annahme? Keineswegs, die Sequenzen zeigen zwar Trennungen und sie zeigen, dass diese Trennungen auf der Wirkung der Arbeitsmittel beruhen. Ebenso unmissverständlich zeigen die Sequenzen aber auch, dass Mittel, sobald sie sich in Handlungszusammenhängen befinden, immer mit bestimmten Zwecken verbunden sind. Eine Trennung ist zwar nötig, um neue Rekombinationen zu ermöglichen, Trennung zwischen Zwecken und Mitteln kann jedoch nicht aufrechterhalten werden. Trennungen sind nicht stabil, sie sind prekär und temporär, jede handelnde Bezugnahme verbindet Zwecke und Mittel miteinander. Der Design139 Hörning konstruierte aus einem ähnlichen Gedanken ein Argument gegen den Technikdeterminismus: „Je intensiver aber - und dies ist mein zentraler Ausgangspunkt technische Dinge in einer Gesellschaft zirkulieren, je höher also ihr technisches Entwicklungsniveau ist, desto weniger ist die technologisch deterministische These angebracht - denn desto weniger tritt ‚die‘ Technik als eine unabhängige Größe auf. […] Denn die ‚Durchdringung der menschlichen Welt mit technischen Finalitäten ist nicht minder ein Durchtränken der Technik mit menschlichen Absichten‘“ (vgl. Hörning 1989: 91f.). Für Hörning werden Objekte abhängig von ihrer Einbindung mehr oder weniger gesellschaftlich, dem Design steht diese Einbindung mit ihrer Komplexität hinderlich gegenüber, Design sucht die temporäre Trennung, um neue Verbindungen zu etablieren.
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prozess zeigt den enormen Aufwand der Trennung, obschon die Trennungen dabei nur über recht kurze Phasen bestehen. Zum Ende des Prozesses werden die Trennungsphasen kürzer. Die These von der sozio-materiellen Verfasstheit existierender und in Entstehung begriffener Objekte wird durch die Bemühungen um ihre Trennung bestätigt und nicht widerlegt. Die Begriffe von Dewey, Latour und Rammert behalten ihre Relevanz. Trennung ist möglich, aber nie vollständig und nie dauerhaft. Trennung ist nicht das Ziel von Design, das Ziel bleibt eine von vorherigen Konfiguration der Objektbeziehungen unterscheidbare Rekombination. Alte Zusammenhänge werden getrennt, bearbeitbar und gleich einer Collage zu neuen Kombinationen zusammengefügt. Erst in der Rekombination entsteht ein neues Designobjekt. Trennung ist eine Voraussetzung für Rekombination, Rekombination produziert Neuheit. Im Zentrum von Designarbeit werden bekannte Mittel mit neuen Zwecken verbunden und erwünschte Zwecke durch neue Mittel erreicht.140
10.4 DIE ZEITLICHE PREKARITÄT DES DESIGNS – AKTUELLE STABILISIERUNG KÜNFTIGER OBJEKTE Der Grundbaustein von Design ist die Rekombination von Zweck-Mittel Relationen. Dafür ist dafür die Trennung und Verunsicherung ebendieser Relation zwingend erforderlich. Durch einen erneuten Blick auf den Objektbegriff und einen kurzen Bezug auf den Begriff des ‚Blackboxing‘, wird das für Design typische Spannungsverhältnis aus Stabilisierung und Situativität erkennbar. Objekte, auch das in Entstehung begriffene Designobjekt, werden erst durch ihre Einbindung in Zweck-Mittel Relation für Akteure relevant. Zweck-Mittel Relationen schließen physikalische und sinnhafte Zusammenhänge ein. Sie sind nie endgültig, sie verändern sich durch ihre jeweilige Einbindung in die je aktuellen Handlungen, Zwecke können zu Mitteln werden und vice versa. Die Bedeutung, Relevanz, Funktion, der Sinn, all diese Merkmale von Objekten sind deshalb abhängig von der Einbindung des Objekts in Handlungen. Häufig wurden in diesem Gestaltungsprozess Zwecke zu Mitteln.
140 Uta Brandes und Michael Erlhoff (2006) gelingt es mit ihrem Bildband ‚Non Intentional Design‘ diesen zentralen Moment von Design zu thematisieren. Die Umnutzung bekannter Objekte im Alltag verbindet bekannte Mittel (Alltagsobjekte) mit neuen Zwecken.
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Erweitert man diese Annahme mit einer Überlegung Latours, wird die Prekarität des Designs treffend beschreibbar. Latour bezeichnet die Sozialität in Affengesellschaften als komplex, in menschlichen Gesellschaften dagegen als kompliziert (vgl. Latour 2002B: 241f.). Die Differenz besteht darin, dass Affen zu jedem Zeitpunkt mit der gesamten Menge aller sozialen Beziehungen zugleich konfrontiert sind, eine äußerst komplexe und dadurch in ihrer Entwicklung beschränkte Situation. Menschen dagegen können mit Hilfe von technischen Objekten die komplexe Allgegenwart sozialer Beziehungen ineinander falten. Sie ‚blackboxen‘141 bestimmte soziale Zusammenhänge und klammern diese so aus. Die Gegenwart, der je aktuellen Handlung, bleibt so frei von der Vielschichtigkeit sozialer Beziehungen, die aktuelle Situationen bleibt unbelastet (vgl. Latour 2002B: 241). Exemplarisch nennt Latour hier einen Akteur, der am Postschalter in der Schlange steht und durch dessen Aufbau und die situative Rahmung mit Alter nur über Briefmarken und Geld, nicht aber über seinen Rang in der Familie, seine Kollegen und vieles mehr sprechen muss, all diese Beziehungen verschwinden für den Moment in der ‚Blackbox‘. Die Situation wird technisch von einer komplexen in eine komplizierte verwandelt. Design gestaltet Objekte, in Objekten sind zahllose Zweck-Mittel Beziehungen stabilisiert und unsichtbar angelegt, sie sind dort ‚geblackboxt‘. Gleichzeitig sind Zweck-Mittel Beziehungen verschiebbar, auflösbar, veränderlich und in ihrer Wirkung vom jeweiligen Handeln abhängig. Design findet deshalb immer in einem prekären Spannungsverhältnis statt: Design ist bestrebt bestimmte, oftmals neue Zweck-Mittel Relationen zu stabilisieren und zu ‚blackboxen‘, die Beziehungen sind jedoch abhängig von ihrer jeweils aktuellen Einbindung in Handlungen. Design gestaltet und stabilisiert heute einen Navigationspullover, was damit in Zukunft geschieht, in welche Zweck-Mittel Relationen das Designobjekt gesetzt wird, lässt sich durch das Design jedoch nicht letztgültig definieren. Design bleibt aufgrund der Situativität der Zweck-Mittel Relationen zwingend ein prekäres Unternehmen. Design ist gebunden an die Aktualität von Zweck-Mittel Relationen, zielt jedoch auf ein ‚Blackboxing‘ für künftige Kontexte, wie etwa in der Entwurfssitzung sichtbar wurde (siehe 6.3). Design besteht jedoch nicht nur aus dieser auf spezifische Art und Weise durchgeführten Manipulation der sozio-materiellen Welt. Design findet nicht nur in der Aktualität des Labors oder Studios statt. Insbesondere das neunte und letzte empirische Kapitel zeigt, wie schon während der kleinteiligen Arbeit von 141 Welche zahlreichen Verwicklungen und verwobenen Beziehungen der Öffnung einer ‚Blackbox‘ folgen beschreibt Latour am Beispiel eines defekten OverheadProjektors (vgl. Latour 2002A: 222ff.).
Trennungen und Rekombinationen von Bedeutung und Wirkung | 269
Trennung und Rekombination entfernte Zusammenhänge gezielt adressiert und ins Handeln einbezogen wurden. So produzierten die Designerinnen, neben dem Designobjekt, auch Beiträge zur designwissenschaftlichen Diskussion, Inhalte für die universitäre Lehre und positionieren ihre kleinteilige Trennungsarbeit stets auch als Beitrag zu einer Innovation. Designarbeit trennt und rekombiniert zur Stabilisierung eines bestimmten Designobjekts, diese Stabilisierung ist jedoch kein Selbstzweck. Designarbeit richtet sich hier an wissenschaftliche Diskussionen, universitäre Lehre und auch an ein spezifisches Innovationsfeld rund um ‚Wearable-Computing‘. Design bemüht sich, durch Trennung und Rekombination um die Stabilisierung eines Wissenschaftsobjektes, eines Lehrobjektes und nicht zuletzt um die Stabilisierung eines Innovationsobjektes. Design gestaltet in der kontingenten Aktualität vielschichtige sozio-technische Konstellationen für eine notwendig ungewisse künftige Nutzung.
10.5 DIE VIELFÄLTIGEN EINBINDUNGEN UND BEZUGNAHMEN DES DESIGNS Ich beende diese Konzeptualisierung der Untersuchungsergebnisse mit der Diskussion einer These von Farias und Wilkie. Die Autoren charakterisieren hier das Studio wie folgt: „we can start to reimagine the studio as a site, where invention is reverse engineered, so to speak, as it necessitates connecting new cultural artefacts to existing settings and arrangements.“ (Farias, Wilkie 2016: 10)
So treffend diese Definition auch ist, es lohnt sich, sie im Lichte der Ergebnisse dieser Untersuchung genau zu prüfen, auch in Hinsicht auf das Vorhaben, die Relevanz der Nutzer, die Wirkung und Ungewissheit als zentrale Momente des Designs miteinander zu integrieren. Farias und Wilkie beschreiben Studioarbeit als ‚Reverse Engineering‘ von ‚Invention‘, also als Rekonstruktion oder Nachkonstruktion von Erfindungen. In dieser Untersuchung präsentiert sich Design jedoch als Rekombination designwissenschaftlicher Fachdiskurse, Rekombination universitärer Designlehre und Re-kombination eines Innovationsobjektes. Anders als ‚Reverse Engineering‘ verweist Rekombination nicht allein auf die technischen und materiellen Zusammenhänge als Ingenieurshandlung: Rekombiniert und zuvor getrennt wurden gerade auch die Bedeutungszusammenhänge. Auch der Begriff ‚Invention‘ ist differenziert zu betrachten, er verweist auf Neuheit und gerade nicht auf die
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Einbindung in existierende Zusammenhänge, die in diesem Prozess adressiert wurden. Invention ist neu und unverbunden, radikale Neuheit droht mit bestehenden sozio-materiellen Kontexten nicht kompatibel zu sein. Design präsentierte sich jedoch immer suchend nach Anbindung und dem Anschluss an alltägliche und bestehende Kontexte. Design ist deshalb weniger ein technisches ‚Reverse Engineering‘ von neuen Erfindungen, als ein Zerlegen und Rekombinieren des Alltäglichen. Die Nutzer und die vielen mit ihnen verbunden Bedeutungshorizonte, die Wirkungen, als Teil der zahllosen Mittel-Zweck Relationen im Design werden ungewiss gemacht, damit sie auf neue und vielleicht bessere Art und Weise wieder stabilisiert werden können. So dreht sich, wie im Forschungsstand beschrieben, Design sehr wohl um Nutzer, Wirkung und Ungewissheit, diese Elemente sind jedoch – anders als in den Mikro-Studien des Designs – auf das engste miteinander verbunden. Sie müssen erstens in ihren spezifischen Bedeutungen und Wirkungen, zweitens in ihren Wechselwirkungen und drittens in ihrem stets prekären Zukunftsbezug gestaltet werden.
Kapitel 11: Ausblick – Perspektiven und Grenzen einer Soziologie des Designs
„Now that we can do anything, what will we do?“ Bruce Mau 2004:15
Nach der Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse wird es möglich Distanz zum hier untersuchten Fall aufzubauen, um die Perspektiven und Grenzen einer soziologischen Auseinandersetzung mit Design auf zu zeigen. Insbesondere die im neunten Kapitel beschriebenen Bezugnahmen des Designs auf Kontexte der Innovationsgenese, auf wissenschaftliche Diskussionen und universitäre Lehre zeigen, dass Design immer sowohl als praktische Trennungs- und Rekombinationsarbeit, als auch als gezielte Bezugnahme auf entferntere und nicht fixier- und stabilisierbare Zusammenhänge verstanden werden muss. Diese Relevanz des nicht absehbaren zeigt sich auch in verschiedenen Designmethoden. Gerade das Partizipative Design ist bestrebt durch Rekurse auf Nutzer mit diesem Problem umzugehen. Die Orientierung an künftigen Zusammenhängen sind typisch für Design, gleichzeitig muss diese Orientierung immer prekär und vage bleiben. Design als spezifische Form sozialen Handelns ist immer an die Situation und Umstände seiner jeweils aktuellen Situation gebunden. Um mit der immer vorhandenen Ungewissheit des Zukunftsbezugs im Design umzugehen plädiere ich dafür, die Sensibilität des Designs zu erhöhen, um Künftigem analytisch und sensibel zu begegnen. Allerdings sollte Design sich nicht allein auf die Entwicklung seiner empirischen Sensibilität verlassen; Design sollte gleichzeitig der unumgänglichen Vagheit des Künftigen mit Idealismus und klaren Positionen entgegentreten.
272 | Die Praxis des Designs
11.1 TRENNUNG UND REKOMBINATION FINDET STETS IN BEZUG ZU MÖGLICHEN INNOVATIONEN STATT Im neunten Kapitel dieser Arbeit wurde erkennbar, dass die intensive und stets kleinteilige Trennungs- und Rekombinationsarbeit der Designerinnen, wie in Kapitel sechs, sieben und acht beschrieben, eine spezifische Verbindung zu unterschiedlichen Feldern außerhalb des ‚Design Research Labs‘ (DRL) unterhalten. Die Bezugnahmen sind recht weitläufig: Kirstens universitäre Lehre vermittelte mit unterschiedlichem Erfolg das Prinzip der Trennung vom ‚taken for Granted‘ unseres sozio-technischen Alltags. Trennung erlaubt es, vorhandene Lösungen in Frage zu stellen, eine zentrale Voraussetzung um Ungewissheit zu kreieren und so neue, möglicherweise bessere Designs zu produzieren. Auch Kirstens wissenschaftliche Publikationen richten sich an einen Diskussionszusammenhang außerhalb des DRL. In Form von Aufsätzen und einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit leistet sie einen Beitrag zur Designwissenschaft und positioniert sich so in diesem Feld. Interessiert man sich für das Verhältnis von Design und Innovation, ist jedoch der Projektbericht das aufschlussreichste Dokument. Stärker als in der Trennungs- und Rekombinationsarbeit thematisiert der Bericht mit einem Nutzungsszenario mögliche und massentaugliche Verwendungen von Kirstens Designobjekten. Zwar können auch die Entwürfe als sinnhafte Szenarien verstanden werden, auch ihre zentrale Rolle für das Design ist unumstritten, der Projektbericht aber erzeugt einen Bezug zum Alltag in einem umfassenden Szenario und adressiert damit gezielt Akteure außerhalb des Designprojekts. Der Umfang und der Reichtum an Details macht das Szenario für nicht am Design beteiligte Akteure problemlos nachvollziehbar. Vor allem aber zeigt das Szenario Anschlüsse an verbreitete technische Standards und Hardware an. Im Szenario erscheinen Kirstens Designobjekte bereits als selbstverständliche Elemente in einem wohl bekannten Netz aus mobilem Internet, Navigationstechnik, dem zunehmenden touristischen Interesse an Berlin, dem App-Store, bekannten Sehenswürdigkeiten und vielem mehr. Im Szenario hat das Designobjekt den Schritt von der Neuerung zur Innovation längst gemacht, wenn auch nur in literarischer Form. Bereits in Kapitel neun hatte ich auf die breite Literatur zu der Frage, welche Rolle Erwartungen in der Technikentwicklung spielen können, hingewiesen (siehe Fußnoten 119 und 130). Diese Bezugnahmen sind für den hier untersuchten Designprozess ebenso charakteristisch wie Trennungs- und Rekombinationsarbeit. Design ist Trennungs- und Rekombinationsarbeit, die stets aktiv Bezug auf spezifische soziale Zusammenhänge nimmt. Es existiert keine bestimmte Reihenfolge, Trennungsund Rekombinationsarbeit und die Bezugnahmen finden sowohl parallel wie
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auch nacheinander statt. Diese Studie zeigt, dass Design mehr ist als die handwerklich-kreative Arbeit im Studio oder Labor, Design positioniert sich selbst immer auch als potenzieller Innovationserzeuger. Handwerklich-kreative Arbeit findet, wie die Bezugnahme auf potenzielle Innovationen, in der heterogenen und vielschichten Designarbeit gleichermaßen statt, denn in den Entwürfen sind die Designobjekte längst in den Wohnzimmern, Innenstädten und öffentlichen Verkehrsmitteln verbreitet, verwendet und gefragt. Im Entwurf wird stets die Innovation schon mit-entworfen. Der Entwurf schließt die Einbettung, die mannigfaltigen Verbindungen und Verweise von Objekten schon mit ein. Er nimmt ihre Entwicklung zum Innovationsobjekt vorweg – einerlei ob sie sich je realisieren oder nicht. Entworfen werden in diesem Designprozess immer Innovationen und nie Neuerungen. Innovationen, allerdings in visuell-symbolischer und antizipativer Form, sind längst wirkungsvolle Bestandteile des Designprozesses, unabhängig davon, ob es zu einer tatsächlichen Innovation kommt oder nicht. Diese Vorwegnahmen geschehen in der Entwurfssitzung mit Hilfe von Fotografien, eigenen Zeichnungen und Anekdoten. Schon mit Beginn des Designprozesses nimmt der antizipative Bezug auf Innovationen eine hoch relevante Rolle ein, die Innovation folgt nicht der Neuheit oder vice versa, beide treten gleichzeitig als eine praktisch nicht zu trennende Einheit auf. Hutter und Farias unternehmen in dem Aufsatz ‚Sourcing Newness: Ways of inducing indeterminancy‘ eine zeitliche Zerlegung der Herstellung von Neuheit und Innovation. Sie konzentrieren sich in ihrem Text allein auf den Moment der Entstehung von Neuheit. Sie trennen diesen Moment von seiner unbestimmten Zukunft und seiner ungewissen Vergangenheit und untersuchen die Gegenwart, den Startpunkt des Neuen im sogenannten „drop of now“ (vgl. Hutter, Farias 2017: 441,444). „The new, we argue, is not the beginning or the result of a process of innovation and does not emerge via a comparison of the present with the past and the future.“ (Hutter, Farias 2017: 435)
Nachdem durch einen Rekurs auf Dewey das Verhältnis zwischen Ungewissheit und Neuheit beschrieben wurde, identifizieren die Autoren verschiedene Rahmen von Unbestimmtheit, die für die Produktion des neuen konstitutiv sind (vgl. Hutter, Farias 2017). Die Betonung der Relevanz des Neuen für die Innovation ist so treffend wie die These, dass das Neue vor der tatsächlichen und realisierten Innovation stehen muss. Hier lohnt jedoch doch eine Differenzierung, wie die hier untersuchte Entwurfssitzung nahe legt (siehe Kapitel 6.3). Die pragmatistische Perspektive auf Rollenübernahme und Antizipation sensibilisiert für einen
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bestimmten Zusammenhang. In antizipativer Form und damit im Handeln der Designerinnen hoch relevant, tritt die Innovation im Entwerfen ständig auf, ihre neuen Ideen verbinden die Designerinnen unentwegt mit spezifischen Nutzern und anderen Technologien zu selbstverständlichen Alltagshandlungen. Entwerfen ist eine antizipative Form der ‚Sozialisierung‘ oder ‚Einpassung‘ von Objekten. Auch das Szenario, aus dem in Kapitel neun diskutierten Projektbericht, buchstabiert ein Innovationsszenario aus. Hier wird gezielt versucht, das Szenario einer Innovation zu erzeugen, lange bevor von einer Innovation die Rede sein kann – das dieses Szenario für den Designprozess von Bedeutung ist, ist offensichtlich. Das kreative Handeln ist von antizipativen Bezügen und Orientierungen an Innovationen nicht zu trennen, diese Untersuchung zeigt, dass die Innovation in einer spezifischen Form durchaus in der Herstellung von Neuheit relevant ist. Insbesondere das Entwerfen, das Szenario im Projektbericht, aber auch viele andere Momente des Designs legen die Vermutung nahe, dass neben der Vergangenheit, die Zukunft in der Gegenwart des Designs hoch relevant ist, oft in Form einer antizipierten künftigen Nutzung. Die Trennung und Rekombination von Zwecken und Mitteln kommt nicht umhin Zwecke und Mittel in einen spezifischen Bezug zum Künftigen zu positionieren. Eine wichtige Quelle von Ungewissheit im Entwurf ist gerade diese antizipative Eingliederung in soziale Zusammenhänge, in anderen Worten: Auch vollkommen unfertige Designobjekte finden sich bereits in vielfältigen soziomateriellen Zusammenhängen. Pikanterweise spielt, so meine These, die Frage der Innovation in der Entstehung von Neuheit eben doch eine zentrale Rolle und zwar aufgrund der stets handelnd auszurichtenden Relation von Zwecken und Mitteln. Design arbeitet mit der Ungewissheit, die aus dem Verhältnis von Zweck und Mittel entsteht, ihre Bearbeitung braucht den Bezug auf das Künftige. Diese Antizipation, die Vorstellung einer Verwendung und Verbreitung der rekombinierten Zweck-Mittel Relationen, gibt dem Designprozess gegenüber relevanten Feldern Bedeutung (siehe Kapitel neun), sie orientiert aber auch das Handeln der Designerinnen selbst. Die Suche nach Neuheit, so meine These, kommt nicht umhin, Innovationen antizipativ oder auch als schriftliches Szenario vorwegzunehmen. Im designerischen Produzieren von Neuheit ist die Innovation antizipativ immer schon vorhanden und durchaus handlungsrelevant.
Perspektiven und Grenzen einer Soziologie des Designs | 275
11.2 IDEALISMUS ODER SENSIBILITÄT ALS PRINZIPIEN DES UMGANGS MIT DEM UNBESTÄNDIGEN VERHÄLTNIS VON ZWECKEN UND MITTELN Falls Design durch Trennung und Rekombination des stets wandelbaren Verhältnisses von Mitteln und Zwecken generell charakterisiert werden kann, dann sollten auch die in Kapitel zwei diskutierten Designmethoden Hinweise auf die Prekarität dieser Relation geben. Ich prüfe diese Annahme zunächst für das Partizipative Design: Das Partizipative Design ist schon gut vier Jahrzehnte alt und hat in dieser Zeit seine Relevanz gemehrt, gleichzeitig hat es sich stets weiter entwickelt und ist so aktuell geblieben. Der Ursprung des Partizipativen Design liegt darin, die Nutzer in den Designprozess zu integrieren. Diejenigen, für die das Design relevant ist, weil sie mit den Designobjekten arbeiten, sie verkaufen, reparieren oder auf welche Art und Weise auch immer mit ihnen umgehen, werden in den Designprozess einbezogen. Pelle Ehn, einem Pionier des partizipativen Designs zu Folge gibt es für diesen Einbezug zwei gute Gründe, erstens, das demokratische Prinzip, diejenigen in den Prozess zu integrieren, die von ihm betroffen sind (vgl. Bjögvinsson, Ehn, Hillgren 2012: 103). Zweitens, das spezifische ‚tacit Knowledge‘ derjenigen, die praktisch mit den Designobjekten umgehen soll zugänglich und integrierbar werden (vgl. Bjögvinsson, Ehn, Hillgren 2012: 103). Hiervon profitiert die Qualität des Designs, so Ehn (vgl. Ehn 2012: 85). Das Partizipative Design ist auch aktuell noch treffend durch den Rekurs auf die Expertise der Nutzer und seine demokratischen Prinzipien zu beschreiben, allerdings wurden diese Prinzipien weiterentwickelt. Das Objektverständnis, von gegenständlichen, abgeschlossen und finalisierten Designobjekten, ist einem Objektverständnis aus der ANT gewichen. Dinge werden heute im Partizipativen Design als Kollektive aus Menschen und Nicht-Menschen verstanden (vgl. Bjögvinsson, Ehn, Hillgren 2012: 102). Mit dieser Verschiebung und theoretischen Fundierung verändert sich auch die Designmethode selbst. So zielt Partizipatives Design auf das ‚Staging‘ ab. Darunter ist die Einbindung und Verbindung von Kollektiven 142 in bestehende Kollektive zu verstehen, die Verbindung gerät in den Fokus, obschon ehemals die Konstruktion von Objekten im Fokus stand (vgl. Bjögvinsson, Ehn, Hillgren 2012: 104). In der Konsequenz wird auch die Idee des Designprojektes mit Anfang und Ende aufgelöst, unter den Stichworten ‚Design after Design‘ betonen Bjögvinsson, Ehn und Hillgren, dass Partizipatives Design heute ‚Infra-
142 Als Kollektiv sind hier Akteursnetzwerke zu verstehen.
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structuring‘ zum Zielt hat. ‚Infrastructuring‘ ist eine konsequente Weiterentwicklung von Partizipation, denn so soll erreicht werden, dass den Nutzern die nötigen Infrastrukturen zu Verfügung stehen, damit Design immer weiter und weiter laufen kann, ihre Beteiligung und Ermächtigung soll so auf Dauer gestellt werden (vgl. Bjögvinsson, Ehn, Hillgren 2012: 108f.). Mitbestimmung und Nutzerexpertise, heute stärker Einbindung und verstetigtes ‚Empowerment‘ bringen das Vorgehen des Partizipativen Designs auf den Punkt. Das Partizipative Design unternimmt sowohl durch Einbezug, als auch durch ihr ‚Empowerment‘ und die Einebnung der zeitlichen Grenzen von Design einen spezifischen Zugriff auf die stets prekäre Zweck-Mittel Relation. Die Differenz zwischen Designer und Nutzer wird verwischt. Design wurde als Bearbeitung des stets der Situativität und Temporalität des Handelns unterliegenden Zweck-Mittel Relation erkennbar, das Partizipative Design zeigt einen durchaus originellen Umgang mit diesem fundamentalen Problem des Designs: Das Partizipative Design verfährt mit der stets fraglichen Fixierung von ZweckMittel Relationen, indem es ihre Bearbeitung ebenfalls zu einem dauerhaften Prozess erklärt und die Differenz zwischen Designer und Nutzer erodiert. Statt auf Differenz zwischen Designprozess und Nutzer und zwischen Designer und Nutzung zu bestehen rückt im Partizipativen Design Kooperation in den Vordergrund. Kirsten und Nora haben ein anderes Vorgehen gewählt und sich auf sich selbst verlassen, um die Zweck-Mittel Relationen ihres neuen Objektes zu definieren. Wie gehen andere Designmethoden mit dem Verhältnis von Mitteln und Zwecken, vor allem mit der Veränderbarkeit und Instabilität dieses Verhältnisses um? Obschon hier nur ein kurzer Einblick in verschiedene Designmethoden möglich ist, finden sich doch interessante Differenzen im Umgang mit der Prekarität von Zweck-Mittel Relationen. Im Bauhaus ist es der Meister, der dem funktionalen und klaren Design seine Form gibt. Er rückt Mittel und Zwecke in ein spezifisches Verhältnis, dieses Verhältnis wird offenbar als fixierbar verstanden. Er ist handwerklich, künstlerisch und intellektuell ausgebildet und entscheidet über die Gestalt, allerdings anhand von allgemeingültigen Prinzipien wie Objektivität und Rationalität (vgl. Bayazit 2004: 17). Sicher spielt dabei Charisma und eine gewisse Reputation auch eine Rolle. Das ‚Design Methods Movement‘ definiert die Probleme und Aufgaben des Designs nicht mehr selbst, es nimmt sich gesellschaftliche Probleme zum Gegenstand. Auch entscheidet hier nicht ein Meister, das ‚Design Methods Movement‘ geht analytisch und rational vor. Ziel ist es, die relevanten Faktoren
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zu identifizieren, zu analysieren und so die Lösung des Problems zu finden. Sein Vorgehen ist wissenschafts-positivistisch (vgl. Bayazit 2004: 20f.). Beide Designmethoden erscheinen heute durchaus idealistisch. Mit Horst Rittel wich dieser Idealismus einer wachsenden Sensibilität für die Komplexität der Welt. Die Welt und ihre stets im Wandel befindlichen Problemlagen wurden fortan als ‚Wicked Problems‘ thematisiert (vgl. Rittel, Webber 1973). Die Bösartigkeit oder Verschlagenheit besteht unter anderem darin, dass kein objektiver Standpunkt auf die Designprobleme, keine idealen, sondern nur gute oder schlechte Lösungen erreichbar sind und dass jeweils nur ein Versuch zur Lösung von Designproblemen zu Verfügung steht (vgl. Rittel, Webber 1973: 161ff.). Neueren Designmethoden sieht man diese, durch Rittel und Herbert Simon eingeleitete Wende des Designs zur Sensibilität durchaus an (vgl. Simon 1969). Wie oben beschrieben sucht das Partizipative Design durch Rekurs auf die Nutzer mit der ‚Wickedness‘ zu verfahren. ‚Anthropologisches Design‘ und auch das Feld der ‚Computer Supported Cooperative Work‘ (CSCW), bedient sich anthropologischer und ethnografischer Methoden, um so Regelmäßigkeiten zu identifizieren und das Design entsprechend zu informieren (vgl. Suchman, Blomberg, Orr, Trigg 1999). Neuere Ansätze, wie das Nicht-Intentionale Design oder ‚Design by Use‘ radikalisieren das Momentum der ‚Wickedness‘, oder in anderen Worten, die Wandelbarkeit der Zweck-Mittel Relationen. Hier liegt die Annahme zu Grunde, dass Design die Verhältnisse von Zwecken und Mitteln nicht letztgültig definieren kann, sondern dass die künftige Nutzung selbst die Verhältnisse von Zwecken und Mitteln, wie sie von den Designerinnen angelegt wurden, reproduzieren oder verwandeln. Design und Redesign findet immer wieder neu und situativ statt – jedoch nicht nur durch professionelle Gestalter. Einerseits könnte die Radikalisierung der ‚Wickedness‘ als Anlass zu Auflösung des Designs verstanden werden, Brandes schreibt jedoch: „Es wird höchste Zeit, die alltäglichen und doch spannenden Neuerfindungen der Objekte in aller Welt zur Kenntnis zu nehmen“ (Brandes, Erlhoff 2006: 4) und formuliert doch eine weitere Aufforderung sensibel zu sein und aus der Beobachtung der Gegenwart für das Design des Künftigen zu profitieren. Spezifische Umgangsformen mit der Prekarität des Designs sind, damit begann dieser Abschnitt, also durchaus in verschiedenen Designmethoden zu finden. Selbstverständlich bleiben die zeitliche Gebundenheit und die Kontingenz designerischer Gestaltung ein zentrales Problem jedweder Gestaltung. Dennoch deutet dieser knappe Überblick an, dass eine genaue Prüfung der Historie und des durchaus unterschiedlichen Umgangs mit diesem Problems spannend wäre – gerade aus historischer Perspektive. Weder die Designmethoden, noch die sehr genaue Analyse des Designprozesses geben Hinweise auf eine Auflösung dieses
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Grundproblems der Gestaltung. Umso lohnender erscheint zum Ende ein erneuter Rekurs auf die Zeitdiagnosen rund um Design und Gestaltung, schließlich betonen gerade sie die Relevanz und Verantwortung des Designs. Wie also können wir Menschen als Schöpfer unserer eigenen Welt verantwortlich und richtig handeln, wenn doch die von uns angelegten und in Form gebrachten ZweckMittel Relationen nicht zwingend stabil und dauerhaft sind?
11.3 CHANCEN DES DESIGNS ZWISCHEN IDEALISTISCHEM WELTENTWERFEN UND ‚TECHNOLOGISCHEN MONSTERN‘ Die analytische Leistung dieser Arbeit besteht darin, Design als spezifische Trennungs- und Rekombinationsarbeit von Wirk- und Bedeutungszusammenhängen erkennbar zu machen. So erfolgreich diese Rekombinationen auch sind – darin besteht die zweite wichtige Erkenntnis – sie bleiben stets ans Handeln gebunden, wodurch ihre künftige Wirkung und Bedeutung nicht definitiv stabilisierbar ist. In diesem Dilemma findet sich Design, mit diesem Paradox muss das Design umgehen, darin liegt seine zentrale Herausforderung. Mit dieser niemals auszuräumenden Quelle von Ungewissheit ist das Design immer konfrontiert, gleichzeitig bietet dieses Paradox dem Design auch eine niemals versiegende Quelle von Problemlagen, die ja die Voraussetzung für Design ist. Wenn wir Mead Glauben schenken und die Vergangenheit mit all ihren Eigenschaften in der Gegenwart liegt, dann wird das Künftige, als zentraler Bezugspunkt des Designs, ebenso wie die Vergangenheit an das Hier und Jetzt gebunden bleiben müssen (vgl. Mead 1969: 255). Eingangs, im ersten Kapitel, wurde die vage Hoffnung genährt, dass die durchgeführte ethnografische Analyse von Design einen Beitrag zu den gegenwärtig recht populären Zeit- und Gesellschaftsanalysen rund um das Design leisten kann. Zu Erinnerung, der gemeinsame Ausgangspunkt verschiedener Zeitdiagnosen liegt darin, im Menschen die zentrale schöpferische Kraft zu verorten. Folgt man dieser These und sieht den Menschen und nicht mehr Gott als zentrale schöpferische Instanz, so vervielfachen sich seine Möglichkeiten und seine Verantwortung. Das Anthropozän trägt nicht nur die Spuren des Menschen, der Mensch steigt auf zur zentralen Gestaltungsmacht. Latour, der bekannteste Export der Wissenschafts- und Technikforschung in die Philosophie und Feuilletons, attestiert dem Design seinen Geltungsbereich drastisch erweitert zu haben. Waren einst Fragen der Gestaltung von Alltagsobjekten sein Gegenstand, so wird heute an das Design herangetragen, dass Städte, Landschaften,
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Nationen, Kulturen, Körper, Gene und sogar die Natur selbst eines Redesigns bedürfen (vgl. Latour 2008: 2). Die hier durchgeführte kleinteilige Analyse des Designs und die großen Thesen der Entzauberung der Welt stehen in einem enormen Widerspruch zueinander. Einerseits folgt für den Menschen im entzauberten Anthropozän eine Verantwortung für die Welt und ihre Bewohner, ihr Klima und sogar für die Menschen, die in Zukunft auf ihr leben könnten; gleichzeitig steht die Verantwortung in einem nicht zu überwindenden Widerspruch mit dem zentralen Problem des Designs und vielleicht sogar des Handelns ganz allgemein. Design ist möglich, wie es gemacht wird zeigt diese Studie recht genau, Design stabilisiert Zwecke und Mittel und damit Bedeutung und Wirkung, ob diese rekombinierten Stabilisierungen jedoch die Gegenwart überdauern, ist nicht sicher abzuschätzen. Die Gegenüberstellung der kleinteiligen und genauen Untersuchungen von Design und den Zeitdiagnosen rund um Design führt geradewegs zum zentralen Dilemma des Designs: Versteht man den Menschen als zentrale schöpferische Instanz in der Welt, so wird daraus die enorme Relevanz und Verantwortung des Designs direkt ableitbar, gleichzeitig sind die Folgen intendierten designerischen Handelns ungewiss. Die ungewissen Folgen intentionalen Handelns sind nicht allein im Design ein Problem, Robert K. Merton formulierte dazu bereits in den 1930er Jahren eine weithin anerkannte soziologische Annahme. Sicher sollte das Design die Verantwortung wahrnehmen, die ihm in jüngster Zeit zugeschrieben wird, es sollte aber nicht übersehen, dass die unvorhergesehenen Folgen absichtsvollen Handelns eines der grundlegendsten und verlässlichsten Prinzipien ist, das die Soziologie hervorgebracht hat (vgl. Merton 1936). Aufgrund der schieren zeitlichen Logik ist die Annahme, dass unsere vergangenen Erfahrungen auch die gültigen Kategorien des künftigen Handelns umfasst für Merton strittig. Er argumentiert, dass das Erwartete von dem Eintreffenden verschieden sein wird (vgl. Merton 1936: 899). Die unklaren Folgen absichtsvollen Handelns sind nicht allein ein Problem im untersuchten Designprozess oder im Design allgemein – das hat der vorliegende Abschnitt 11.2 unmissverständlich gezeigt – sie sind ein generelles Problem des Handelns. Zwei Zusammenhänge kennzeichnen Design besonders treffend: seine enorme Relevanz und Verantwortung, gefördert durch wissenschaftliche und technische Fortschritte auf der einen Seite und die Prekarität und Ungewissheit seiner Produkte auf der anderen Seite. Design befindet sich offenkundig in einer problematischen Situation, seine Verantwortung und sein Geltungsbereich wachsen, seine tatsächliche Wirkmacht Zusammenhänge stabil zu gestalten ist weiterhin strittig. Im Lichte dieser Problematik lohnt sich erneut
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eine kurze Referenz zur Literatur und die Frage, ob dort Hinweise und tragfähige Ideen zu finden sind, wie Design aus diesem Dilemma entkommen kann? Aus dem Design selbst kommen flammende Appelle an die Verantwortung der Designer. In seinem Buch ‚Weltentwerfen‘ beginnt Borries seine Argumentation zunächst kapitalismuskritisch und beschreibt Entwerfen als den Ausweg aus der Unterworfenheit (vgl. Borries 2016: 11-15). Weiter heißt es, Design sei immer politisch, da es in die Welt interveniere, folglich brauche Design stets eine politische Haltung (vgl. Borries 2016: 30-37). Schließlich endet der kurze Band mit der bereits zitierten These, dass gutes Design die Welt entwirft (vgl. Borries 2016: 137). Das Argument, der sozio-technischen Bedingtheit von allem und jedem, gepaart mit dem Szenario des Menschen, als Schöpfer im Anthropozän fällt folgerichtig auf das Design als Disziplin der Gestaltung zurück, aber damit nicht genug: Wenn Soziales und Technisches nicht zu trennen sind, dann ist Design nicht auf bestimmte Objekte begrenzt. Die Möglichkeiten von Design wären dann frei von jeder Begrenzung ebenso unbegrenzt wie die Verantwortung der Designer. Dass Design jedoch auf die Rekombination von Zweck-Mittel Relationen angewiesen ist und deren Stabilisierung und Fixierung niemals vollständig und umfassend ist beschneidet die Möglichkeiten des Designs drastisch. Borries scheint in seinem Gestaltungsoptimismus dieses Dilemma vollständig zu übersehen. Sein Plädoyer andressiert zwar zu Recht die Verantwortung der Designer, einen Ausweg aus seiner Prekarität bietet Borries jedoch nicht an. Im Gegenteil, für ihn scheint es keine Differenz zwischen Gestaltungsabsicht und Gestaltungsfolgen zu geben. Er argumentiert damit leider an der zentralen Herausforderung des Designs vorbei. In der Wissenschafts- und Technikforschung findet sich eine weniger optimistische, dafür differenzierte Perspektive. In der programmatischen Einführung dem Sammelbandes ‚A Sociology of Monsters: Essays on Power, Technology and Domination‘ werden auf recht unterschiedliche Art und Weise die ‚Monstrositäten‘ unserer sozio-technischen Welt thematisiert (vgl. Law 1991). Die Begrifflichkeit des Monsters wird hier gewählt, weil sie die Einzigartigkeit, die sozio-materielle Heterogenität, die Verbundenheit, vor allem aber die Größe der uns umgebenden und uns einschließenden sozio-technischen Netzwerke wiederspiegelt und nicht zuletzt unsere individuelle Machtlosigkeit. Wir alle sind Teil der Monster, weil wir stets sozial und technisch sind, weil wir machtvoll und strukturierend sind und weil wir, verstanden als sozio-technische Netzwerke, durchaus angsteinflößend sind (vgl. Law 1991: 18). Jedem, der versucht seine Interessen gegen die riesigen, stabilen und wie Tatsachen erscheinenden soziotechnischen Netze zu behaupten, liegt der Gedanke an ein Monster nicht fern. Gerade, wenn man von der Macht betroffen ist, gerade dann, wenn man einen
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Wandel, eine Veränderung anstrebt, läuft man Gefahr an diesen monströsen Netzwerken schier zu verzweifeln. Aber, auch darauf weist Law hin, die ungeheuerlichen sozio-technischen Netze werden von uns gewoben, sie sind zwar wie sie sind, sie könnten aber auch anders sein, denn sie sind das Produkt unseres Handelns, auch wenn seine Folgen nicht klar kalkulierbar sind (vgl. Law 1991: 18). Wer diese Netze verändern möchte, der sollte sich selbst als ein Teil von ihnen verstehen. Hier möchte ich anschließen und Law erweitern: Wir sind alle Teil der sozio-technischen Monstrositäten, sie stehen uns wie Fakten gegenüber, aber sie könnten auch anderes sein. Möchten wir unserer Verantwortung nachkommen, dann sollten wir die Designerinnen ernst nehmen, denn es sind die Designerinnen, die am Knüpfen der Netze maßgeblich beteiligt sind! Sie knüpfen die sozio-technischen Netze in denen wir uns alle befinden. Wir Soziologen können den Designern dabei auf besondere Art und Weise helfen: Einerseits, indem wir sie ihren naiven Träumen der totalen Designbarkeit der Welt entreißen, sei es durch ethnografische Studien, durch Rekurs auf Merton oder auf andere Art und Weise. Wir Soziologen können ihnen behilflich dabei sein, die komplizierten, machtvollen und undurchsichtigen sozio-technischen Netze, aus denen unsere Gesellschaft besteht, zu erkennen, zu analysieren, zu verstehen und so einen Zugang zu ihrer Veränderung zu schaffen. Wir verfügen über die Theorien und Methoden, um treffende Analysen durchzuführen. Design ist letztlich eine spezifische Form des Handelns, sozio-materiell bedingt, in seinen Absichten klar umrissen, in seinen Folgen unabsehbar. Die Soziologie ist auf dem Weg von der Wissenschaft des sozialen Handelns zur Wissenschaft der sozio-materiellen Bedingtheit des Handelns, wir Soziologen sollten die Designerinnen ermutigen sich nicht von seiner Undurchsichtigkeit bremsen zu lassen. Wir sollten uns gegenseitig behilflich sein, zwar ist das Design eher manipulativ, es unternimmt eine Synthese. Die Soziologie eher beobachtent, ihr zentrales Ziel ist stets die Analyse, doch unsere Interessen und unsere guten Absichten gelten ein und demselben Gegenstand. Das Design sollte sich seiner doppelten Kompetenz stärker bedienen. Design sollte erstens, auch mit Hilfe der Soziologie, ein differenziertes Verständnis der relevanten sozio-materiellen Verhältnisse gewinnen, so wie es mit den sensiblen Designmethoden rund um Partizipation und Analyse bereits unternommen wird. Wenn diese Sensibilität und Neugier des Designs nun aber statt mit Anpassung und Einpassung in bestehende Verhältnisse mit Idealen, Leitbildern und politischen Positionen agiert – so wie es im Design früher stärker unternommen wurde – gewänne das Design doppelt: Seine analytische Sensibilität könnte dafür sorgen, dass seine Objekte Teil der monströsen Netze werden und Relevanz erlangen, ohne einfach vom Monster geschluckt zu werden. Seine Ideale und
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Positionen könnten dafür sorgen, dass wir Menschen wieder mehr Anteil gewinnen an der Gestalt der von uns geschaffenen technischen Monstrositäten.
Danksagung
Den zwei Designerinnen aus dem ‚Design Research Lab‘ der Universität der Künste möchte ich zuerst danken, ihre Offenheit und Neugierde hat meine Forschung möglich gemacht. Meine Betreuer Werner Rammert und Ignacio Farias haben mich stets mit Ungewissheit, Problemen und Fragen versorgt und damit eine zentrale Grundlage für kreatives Forschen und Schreiben geschaffen, dafür danke ich ihnen. Besonders danken möchte ich auch Katharina Bullerdieck, sie hat meine Fotografien in sehr ansprechende Darstellungen verwandelt. Besonderer Dank gilt auch den vielen Menschen, die wie ich, mit dem Institut für Soziologie der Technischen Universität Berlin verbunden sind. Stets findet der Suchende dort interessante, hilfreiche und bereichernde Gesprächspartnerinnen. Insbesondere gilt mein Dank hier Robert Jungmann, Cornelius Schubert, Jörg Potthast, Gustav Roßler, Martin Meister, Jochen Gläser, Arnold Windeler und Silke Kirchhof. Gleichermaßen wichtig für die Entwicklung dieser Promotionsarbeit, wie auch für meine persönliche wissenschaftliche Entwicklung, war das Forschungskolloquium zur Technik- und Innovationsforschung der Technischen Universität Berlin, dort finden sich zahlreiche Kommentatoren zusammen und formulieren stets gründliche und meist konstruktive Kritik. Ich danke Hilmar Schäfer für eine hilfreiche Kommentierung einer frühen Version dieser Arbeit im Rahmen des Kolloquiums. Auch den Mitarbeitern von Ignacio Farias an der Technischen Universität München und Jan-Hendrik Passoth danke ich für eine konstruktive Diskussion früher Versionen dieser Arbeit. Auch bei Astrid KochDabbert möchte ich mich für ihre Auseinandersetzung mit meinen zahllosen Schachtelsätzen bedanken – ein aussichtsloser Kampf, den sie stets mit erhobenem Haupt geführt hat. Ebenso bedanken möchte ich mich für die vielen interessanten und anregenden Diskussionen mit den Studierenden der Soziologie technikwissenschaftlicher Richtung der Technischen Universität Berlin. Die Gespräche in, vor und nach den Seminaren waren immer ein Bereicherung. Annahmen, Fragestellungen,
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Texte, Thesen, Tafelbilder – all das wird von den Studierenden mit Lust und Eifer zerlegt und in Frage gestellt. Der größte Dank gilt Lena, für ihre emotionale Teilhabe an der aufreibenden Unternehmung diesen Text zu schreiben.
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Die Gesellschaft der Nachhaltigkeit Umrisse eines Forschungsprogramms Januar 2018, 150 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-4194-3 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-4194-7 EPUB: ISBN 978-3-7328-4194-3
Sabine Hark, Paula-Irene Villa
Unterscheiden und herrschen Ein Essay zu den ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart 2017, 176 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3653-6 E-Book PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3653-0 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3653-6
Anna Henkel (Hg.)
10 Minuten Soziologie: Materialität Juni 2018, 122 S., kart. 15,99 € (DE), 978-3-8376-4073-1 E-Book: 13,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4073-5
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Soziologie Robert Seyfert, Jonathan Roberge (Hg.)
Algorithmuskulturen Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit 2017, 242 S., kart., Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3800-4 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-3800-8 EPUB: ISBN 978-3-7328-3800-4
Andreas Reckwitz
Kreativität und soziale Praxis Studien zur Sozial- und Gesellschaftstheorie 2016, 314 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3345-0 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3345-4
Ilker Ataç, Gerda Heck, Sabine Hess, Zeynep Kasli, Philipp Ratfisch, Cavidan Soykan, Bediz Yilmaz (eds.)
movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Vol. 3, Issue 2/2017: Turkey’s Changing Migration Regime and its Global and Regional Dynamics 2017, 230 p., pb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3719-9
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