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German Pages 324 Year 2015
Tatjana Zimenkova Die Praxis der Soziologie: Ausbildung, Wissenschaft, Beratung
Tatjana Zimenkova (Dr. phil.) arbeitet am Zentrum für Deutschland- und Europastudien (Fakultät für Soziologie, Universität Bielefeld). Außer der Wissenschaftssoziologie beschäftigt sie sich mit Citizenship Education und Konzeptionen der Bürgerschaft.
Tatjana Zimenkova
Die Praxis der Soziologie: Ausbildung, Wissenschaft, Beratung Eine professionstheoretische Untersuchung
Dieser Band wurde mit Unterstützung des vom DAAD geförderten Zentrums für Deutschland- und Europastudien (ZDES) gedruckt (Projektverantwortlicher: Prof. Dr. Reinhold Hedtke).
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Ingrid Furchner Satz: Tatjana Zimenkova Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-519-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt Danksagung
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Einleitung
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1 Soziologie ist... Das Besondere am soziologischen Gegenstand 1.1 Einleitung 1.2 Soziologie ist... Darstellung des Gegenstands der Soziologie in der soziologischen Literatur 1.2.1 Definitionen aus soziologischen Einführungsbüchern 1.2.2 Innersoziologischer Diskurs über den Gegenstand der Soziologie 1.3 Soziologie ist... Darstellung des Gegenstandes der Soziologie in den Interviewdaten 1.3.1 Soziologie als Außenbeobachtung des Alltags im Alltag 1.3.2 Soziologie als wissenschaftlicher Ausdruck der Moderne 1.3.3 Soziologie als wissenschaftlicher Umgang mit schlecht definierten Problemen: Die Abgrenzung zum Alltagsverstand 1.3.4 Soziologie als gesellschaftliche Kritik 1.3.5 Soziologie als hartes wissenschaftliches Wissen über die Ursachen bekannter gesellschaftlicher Erscheinungen 1.3.6 Zusammenfassung: Interviewsequenzen 1.4 Gegenstand der Soziologie: abschließende Bemerkungen
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2 2.1 2.2
2.3
2.4
2.5
Soziologie zwischen Disziplin und Profession: Konstitutionsprobleme 71 Einleitung 71 Soziologische Ausbildung und soziologische Profession 80 2.2.1 Ausbildung zu einer professionellen Tätigkeit? 80 2.2.2 Betrachtung der Ausbildung zur professionellen Tätigkeit in den Interviewdaten 102 2.2.3 „Beratung“ als Dachbegriff für die beruflichen soziologischen Tätigkeiten 107 Professionalisierung der Soziologie als wissenschaftliche Disziplin: Defizite vs. Besonderheiten 116 2.3.1 Analyse des innersoziologischen Diskurses 116 2.3.2 Professionalisierung der Soziologie zu den beiden wissenschaftlichen Berufen in den Interviewdaten 132 2.3.3 Professionalisierung der Soziologie zum inneren und äußeren wissenschaftlichen Beruf: Zusammenfassung 152 Professionalisierung der Soziologie zum außerwissenschaftlichen Beruf 156 2.4.1 Professionalisierungsmechanismen im außerwissenschaftlichen Beruf: Defizite, Besonderheiten, Probleme 156 2.4.2 Wechselbeziehungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem außerwissenschaftlichen Beruf in der Soziologie. Selbstwahrnehmung der wissenschaftlichen Soziologen 177 2.4.3 Wechselbeziehungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem außerwissenschaftlichen Beruf in der Soziologie. Wissenschaftliche Soziologie als Referenz für außerwissenschaftliche Soziologen. Perspektive der außerwissenschaftlichen Soziologen 195 Schlussbemerkungen zur Professionalisierung der Soziologie 214
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Das soziologische Sprachproblem: Identitätsstiftung, Exklusivitätsbehauptung, Professionalitätsdokumentierung 3.1 Einleitung 3.2 Beschreibung des Sprachproblems im innersoziologischen Diskurs 3.3 Das Sprachproblem in den Interviewdaten 3.3.1 Das Sprachproblem in der Wahrnehmung der akademischen Interviewpartner 3.3.2 Das Sprachproblem in der Wahrnehmung der externen Interviewpartner
221 221 223 230 231 255
3.4 Interviewdaten. Lösungen des Sprachproblems? 3.4.1 Die erste Stufe der Sprachproblemlösung. „Lösung“ des Problems durch die Reputation u.a. und die Pflege des Sprachproblemdiskurses 3.4.2 Die zweite Stufe der Sprachproblemlösung. Sachdimension: eine „technische“ Lösung des Sprachproblems 3.4.3 Möglichkeit der Sprachproblemlösung, Lösungsbegriff und soziologische Identität: Zusammenfassung 3.5 Abschließende Bemerkungen
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278 285 287
Schlusswort
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Literaturverzeichnis Anhang 1 Anhang 2
305 321 322
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Danksagung
Ich danke all denen, die das Entstehen dieses Buches ermöglicht haben. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Wolfgang Krohn für Unterstützung in jeder Hinsicht und für fruchtbare Diskussionen. Prof. Dr. Alfons Bora danke ich für die Übernahme des zweiten Gutachtens. Meinen Interviewpartnerinnen und -partnern danke ich für ihre Zeit und die Unterstützung meines Vorhabens. Ein DAAD-Stipendium hat mir die Datenerhebung ermöglicht. Dem Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT) der Universität Bielefeld danke ich dafür, dass ich dem Graduiertenkolleg „Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft“ assoziiert sein konnte. Dem Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Bielefeld bin ich für die finanzielle Unterstützung dieser Publikation dankbar. Meinen Kolleginnen und Kollegen vom EU-Forschungsprojekt PARADYS (IWT) danke ich für ein einzigartiges Arbeitsklima. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Zentrums für Deutschlandund Europastudien, insbesondere Herrn Prof. Dr. Reinhold Hedtke, danke ich für ihre Unterstützung und Rücksichtnahme.
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
Dr. Peter Münte danke ich für seine Hilfe bei der Ausarbeitung der Professionalisierungsproblematik und wesentliche Kritik in der Endphase der Arbeit. Dr. Ingrid Furchner danke ich für die außerordentliche Hilfe und ihr Engagement bei der Fertigstellung des Manuskripts. Herrn Gero Wierichs und Alexander Masch, sowie allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des transcript Verlages danke ich für die rücksichtsvolle und geduldige Betreuung dieses Buches. Meinen Eltern, Viktor Zimenkov und Olga Zimenkova, bin ich für ihren Optimismus hinsichtlich des Erfolgs dieses Buchvorhabens dankbar. Igor Ossipov, Boris Ender, Cornelis Menke, Susan Kerfien, Maike Lippelt und Carolin Schneider sowie all den Freunden hier und in der Ferne danke ich von ganzem Herzen fürs da sein.
Bielefeld, März 2007 Tatjana Zimenkova
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Einleitung
Diese Studie geht der Frage nach, wie die Professionalisierung der Soziologie in Deutschland derzeit verläuft, welche Besonderheiten sie aufweist und welche Chancen und Perspektiven die Soziologie – als ausbildende Einheit, Wissenschaft und Berufspraxis – für die Entwicklung der soziologischen Profession sieht. Weiterhin wird untersucht, worauf die Ausbildung in der Soziologie ausgerichtet ist, mit welchen Berufsbildern in der Soziologie operiert wird und in welchem Verhältnis die wissenschaftliche Disziplin und die Berufspraxis zueinander stehen. Es wird gezeigt, welche Identitätskonflikte in Disziplin und Beruf aus diesem (Spannungs)Verhältnis entstehen und dass diese Spannungen sich möglicherweise durch eine Umgestaltung der Ausbildungspraxis auflösen lassen. Weiterhin wird darauf eingegangen, welche Rolle die Beratung bei der Berufsvorbereitung und -ausübung von Soziologen spielt und inwiefern das Berufsbild des Beraters einen Ausweg aus der derzeitigen Professionalisierungssituation der Soziologie bietet. Die Analyse des Gegenstandes und der Professionalisierung der Soziologie legt eine neue Deutung der Funktionalität der soziologischen Fachsprache in der Kommunikation mit Nicht-Soziologen nahe. Somit entsteht am Ende dieser Studie ein komplexes Bild von der Soziologie, das die soziologische Professionalisierung im Kontext des Gegenstandes der Soziologie, die Herausbildung einer beratenden Rolle der Soziologie und die Schwierigkeiten der Vermittlung von soziologischem Wissen beschreibt und die Perspektiven der weiteren Professionalisierung der Soziologie skizziert sowie Vorschläge zur Umorientie-
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
rung der soziologischen Ausbildung im Hinblick auf eine Berufsausübung außerhalb des Wissenschaftsbetriebs macht.
Hintergrund der Untersuchung Zu Beginn meines Studiums hatte ich recht diffuse Vorstellungen davon, was Soziologie ist und wozu sie nützlich sein kann: Ich war sicher, dass Soziologie anwendbar ist, dachte an Social Engineering und wollte die Welt durch Wissenschaft verbessern. Dann erfolgte die Einsozialisation in die Soziologie; Anwendung wurde zum Tabuthema, und an die Stelle der zuvor angestrebten Beschäftigung trat die primäre Orientierung auf die Wissenschaft. Auf die Frage, was man mit dem Studium anfangen könne, lautete meine Antwort nun, ich wolle im Wissenschaftsbetrieb bleiben. Einmal ergab sich im Zug ein Gespräch mit Mitreisenden. Als diese hörten, dass ich Soziologie studiere, nickten sie wissend und sagten: „Ach ja, die Soziologen sind doch die Leute, die die Umfragen zu den Schäden des Rauchens machen.“ Zum ersten Mal war ich mit einer Außenwahrnehmung der Soziologie konfrontiert. Ich hätte das einfach unter der Rubrik „Vorstellung von Laien“ abspeichern können, die nie begreifen werden, was Soziologen1 eigentlich tun. Tatsächlich stellte ich mir aber die Frage, ob und wie man den Leuten dies erklären könnte. Und ich begann darüber nachzudenken, was Soziologen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs tatsächlich tun könnten. Die spätere Sozialisation in einem anderen Wissenschaftssystem, die eine gewisse Distanzierung vom deutschen Wissenschaftsbetrieb erlaubte, und einige zunächst verwunderliche Beobachtungen innerhalb der deutschen Soziologie brachten mich auf die Idee zu dieser Studie. Vor allem wollte ich untersuchen, welche Kontakte nach außen die Soziologie als wissenschaftliche Disziplin pflegt, worauf sie ihre Absolventen vorbereitet und wie sie sich in Bezug auf ihre Professionalisierung wahrnimmt. Vor allem in Bezug auf die Professionalisierung außerhalb des Wissenschaftsbetriebs schien es sinnvoll, sich zunächst einmal mit der Anwendungsproblematik der Soziologie zu beschäftigen. Dabei stellte sich heraus, dass zum einen der Anwendungsbegriff als solcher unklar ist (Kühl/Tacke 2003, van de Vall 1993, Schneider 1985, Lumm 1985, Beck 1982, Derschka/Stöber 1978 u.a.), zum anderen die Anwendung soziologischen Wissens seitens der wissenschaftlichen Community kei1 Ich verwende die männliche Form zugunsten der Lesbarkeit. Natürlich sind damit immer Soziologen und Soziologinnen, Forscher und Forscherinnen usw. gemeint.
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EINLEITUNG
nesfalls einheitlich bewertet wird. U.a. wird im inneren soziologischen Diskurs die Frage diskutiert, ob das soziologische Wissen bei seiner Anwendung in der Praxis einem grundlegenden Wandel unterworfen ist und ob man das, was Soziologen in den außerwissenschaftlichen Bereichen machen, überhaupt Soziologie nennen kann. Aus den soziologischen Diskursen geht nicht hervor, was die soziologische Praxis ist, ob es eine solche überhaupt gibt und ggf. welche die Professionen der Soziologie sind. Zudem wurde in der soziologischen Reflexion des Anwendungsproblems ein Aspekt thematisiert, der mir aus den Studien bekannt ist, den ich am Beispiel der russischen soziologischen Community untersucht hatte (Zimenkova 2000), nämlich sprachliche Schwierigkeiten (Derschka/Stoeber 1978, Bergmann 1982, Beck/Lau 1982a, Bruder 1980, Scheuch 2000 u.a.). Ich habe dieses Phänomen als soziologisches „Sprachproblem“ bezeichnet, das darin besteht, dass die Soziologie durch die komplizierte Sprache, die sie in ihren inneren Diskursen verwendet und in der sie ihr Wissen auch nach außen transportiert, für Nicht-Soziologen nicht verständlich ist. Die Verwendung dieser Sprache beeinträchtigt die Kommunikation zwischen Soziologen und NichtSoziologen und die Anschlussfähigkeit der Soziologie nach außen. Daraufhin habe ich das Sprachproblem zu einem der Themen in den Interviews gemacht. Im Zuge der Interviewanalysen stellte sich allerdings heraus, dass die Sprachproblematik keinesfalls im Zentrum der Schwierigkeiten steht, die für das Verhältnis der Soziologie zur Praxis kennzeichnend sind. Vielmehr bilden die in Praxiskontexten auftretenden Kommunikationsprobleme nur die Oberfläche einer Reihe tiefer liegender Probleme, die mit der Professionalisierung der Soziologie und ihrer Abgrenzung von anderen Professionen zusammenhängen. Somit ist das Sprachproblem in der Soziologie eher als Begleiterscheinung einer spezifischen Professionalisierungsproblematik zu betrachten. Die Auseinandersetzung mit dem Sprachproblem und der Professionalisierungsproblematik führte schließlich zu einer eingehenderen Untersuchung der Gegenstandsproblematik. Es wurde nämlich deutlich, dass der Sprachproblemdiskurs dazu dient, das soziologische Wissen als exklusives auszuweisen und die Professionalität der Soziologie herzustellen. Damit stellte sich die Frage, ob die Bedeutung des Sprachproblemdiskurses womöglich damit zusammenhängt, dass die Soziologie ihre Professionalität oder Exklusivität nicht wie andere Disziplinen mit Bezug auf ihren Gegenstand behaupten kann. Erst vor dem Hintergrund der komplexen Zusammenhänge zwischen der Professionalisierung und
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
dem soziologischen Gegenstand erklärt sich die Bedeutung und Funktionalität des Sprachproblems für die Soziologie.
Methode und Feldzugang Feldzugang Da es in dieser Studie um Fragen der soziologischen Identität, der soziologischen Ausbildung und der Praxisarbeit sowie um die Wahrnehmung dieser Arbeit durch die wissenschaftliche Community geht, wurden für die Interviews zwei Gruppen von Gesprächspartnern ausgewählt: zum einen akademische Soziologen, zum anderen Soziologen, die in außerwissenschaftlichen Bereichen tätig sind. Die Interviewpartner aus dem akademischen Bereich gehören zur Bielefelder Fakultät für Soziologie, die als größte und einzige selbstständige Fakultät für Soziologie in Deutschland ein besonders geeignetes Forschungsfeld ist. Interviews mit dieser Gruppe sind im Hinblick darauf wichtig, dass die Hochschullehrer durch die Gestaltung des Ausbildungsprozesses die Orientierung der Studierenden auf die beruflichen Tätigkeiten beeinflussen. Anhand dieser Interviews wollte ich unter anderem die Wahrnehmungen der Praxisarbeit seitens der etablierten akademischen Soziologen rekonstruieren. Die zweite Gruppe von Interviewpartnern stammt aus außerwissenschaftlichen Einrichtungen: der Marktforschung, Transferstellen, wirtschaftlichen Institutionen usw. Die ausgewählten Personen machte nicht nur ihre abgeschlossene soziologische Ausbildung (ggf. eine Promotion in Soziologie) zu geeigneten Interviewpartnern; ich habe außerwissenschaftliche Soziologen ausgewählt, die im Berufsverband deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS) aktiv sind, weil vor dem Hintergrund meiner Fragestellung essenziell war, dass die Interviewpartner sich selbst als Soziologen und ihre (außerwissenschaftliche) Tätigkeit als soziologische wahrnehmen.
Interviews Die Daten für diese Studie wurden durch halbstrukturierte Interviews erhoben (Rubin/Rubin 1995: 196), die als „guided interviews“ (Gorden 1969: 51) und nicht als „scheduled interviews“ (ibid.: 38) durchgeführt wurden, also mit einem Schema von bestimmten Fragen, aber ohne eine festgelegte Reihenfolge. Der Verzicht auf eine vorab definierte Abfolge der Fragen („low topic control“, ibid.: 49) sollte ermöglichen, dass im Gespräch auch Themen angesprochen werden, die nicht im Leitfaden 14
EINLEITUNG
vorgesehen sind. Das Interview wurde also nicht unterbrochen, Fragen der Interviewerin erfolgten nur nach einer erkennbaren Pause im Gespräch. Die thematischen Übergänge wurden demzufolge überwiegend von den Interviewpartnern bestimmt. (Der Leitfaden befindet sich in Anhang 1.)2 In den Interviews wurde von den Interviewpartnern und Interviewerin mehrfach die Frage der Vertraulichkeit thematisiert. Den Interviewpartnern wurde zugesichert, dass die Interviewdaten nur anonym (Schütze 1977: 12) verwendet werden. Die Interviews wurden kodiert, die Namen und diejenigen Informationen, die die Anonymität möglicherweise gefährden könnten, wurden maskiert. Da die persönlichen Werdegänge, die in den Interviews ausführlich beschrieben sind, keine Anonymisierung zulassen, ist es nicht möglich, die vollständigen Transkriptionen diesem Buch beizufügen. Die Interviewpartner werden im Rahmen der Studie nur mit Kodiernummern bezeichnet. [Int] weist auf einen internen (akademischen), [Ext] auf einen externen (außerhalb des Wissenschaftsbetriebs tätigen) Interviewpartner hin. Die Nummerierung erfolgte willkürlich.
Analyse Obwohl die (akademischen) Interviewpartner überwiegend Soziologieprofessoren sind, wurden die Interviews nicht als Experteninterviews aufgebaut und analysiert. Die Analyse erfolgte im Hinblick auf die Selbstwahrnehmung und die soziologische Identität der Gesprächspartner; sie betrifft damit Aspekte, für die die Interviewpartner im Unterschied zu soziologischen Inhalten nicht als Experten gelten können. Nachdem die Interviews erfasst und kodiert waren, wurden sie mit Hilfe des Programms WinMax™ systematisiert. Zur Auswertung der Daten wurden verschiedene qualitative Methoden kombiniert. Das Analyseverfahren war vom Verfahren der Rekonstruktion latenter Sinnstrukturen (des Interviewprotokolls) (Oevermann 1979, 1993; Wernet 2000)3 inspiriert, das aber undogmatisch gehandhabt wurde, da in dieser Studie keine vollständigen Fallanalysen dargestellt werden. Weiterhin haben die Verfahren der Konversationsanalyse 2
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Die Interviews wurden auf Tonband aufgenommen und anschließend vollständig transkribiert; dabei wurden Pausen, Selbstkorrekturen, Versprecher und Emotionen (z.B. ) erfasst. Siehe die Transkriptionskonventionen in Anhang 2. Zur allgemeinen Problematik dieses Verfahrens und seiner Kompatibilität mit den anderen Verfahren und mit den Grundsätzen der Sozialwissenschaften siehe z.B. Bora (1997) und zusammenfassend Sutter (1997).
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(vgl. Heritage 1995; Bergmann 1991, 1981 u.a.) sowie die Grounded Theory (Strauss/Glaser 1998, Strübling 2004) das Analyseverfahren beeinflusst. Das Datenmaterial wird verwendet, um die im Rahmen der Studie aufgestellten Thesen exemplarisch zu belegen. Es muss dennoch betont werden, dass jedes Interview als ein Einzelfall betrachtet und zunächst als solcher analysiert wurde; die Segmentierung der Analyseergebnissen erfolgte erst im Nachhinein im Hinblick auf eine nach einzelnen Aspekten strukturierte Darstellung. Die aus den Analysen des theoretischen Diskurses und die aus den Analysen der Interviews gewonnenen Erkenntnisse wurden zusammengeführt zu einer umfassenden Darstellung der soziologischen Gegenstandsproblematik und der soziologischen Professionalisierung. Neben den Interviews und dem schriftlichen soziologischen Diskurs wurden in der Studie auch Satzungstexte der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) und des Berufsverbandes deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS) analysiert, um die Datenanalysen zu ergänzen.
Aufbau der Studie Diese Studie besteht aus drei Kapiteln. Das 1. Kapitel behandelt die Problematik des soziologischen Gegenstandes mit dem Ziel, die Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung zu beschreiben, die durch die Spezifik des soziologischen Gegenstands bedingt sind. Es geht also vor allem um die Bestimmung der Eigentümlichkeiten der Soziologie als wissenschaftlicher Disziplin und darum, wie ihr Gegenstand ihre Entwicklung als wissenschaftliche Disziplin beeinflusst. Zunächst wird anhand der Literatur und der einschlägigen Lehrbücher untersucht, wie der Gegenstand der Soziologie in der Selbstbeschreibung der Disziplin dargestellt und den „Novizen“4 dieser Disziplin vermittelt wird. Es geht hierbei insbesondere darum, wie im inneren soziologischen Diskurs (Giese 1989, Imbusch 1999, Luhmann 1997, Funken 2000, Balog/Esser 1999, König 1949, Gouldner 1970 u.a.) und in Einführungsbüchern (Giddens 2004, Smelser 1994, Gukenbiehl 2001 u.a.) die Exklusivität des Gegenstandes bzw. die Besonderheiten der soziologischen Beschäftigung mit diesem Gegenstand dargestellt werden. 4
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Dieser Begriff wird in der Studie für die Soziologen verwendet, die in der (wissenschaftlichen) Community noch nicht etabliert sind. Das sind sowohl Soziologiestudenten, die mit der Soziologie noch nicht vertraut sind, als auch Absolventen und Nachwuchswissenschaftler, die in der Community noch keine große Reputation besitzen.
EINLEITUNG
Ergänzend werden die Interviewdaten herangezogen, um die innersoziologischen Beschreibungen des Gegenstandes zu vervollständigen. Im Anschluss an die Frage, wie die Exklusivität des soziologischen Gegenstandes im soziologischen Fachdiskurs hergestellt wird, wird die Frage der Abgrenzung der Soziologie von anderen wissenschaftlichen Disziplinen und vom Alltagswissen erörtert, die mit der Soziologie um ihren Gegenstand konkurrieren. Es geht vor allem darum, inwiefern das Fehlen eines exklusiven Gegenstandes die Selbstwahrnehmung der Soziologie beeinflusst und sie zu spezifischen Abgrenzungsversuchen veranlasst. Abschließend wird gefragt, worin die professionelle Identität der Soziologie besteht und wie es angesichts der Besonderheiten ihres Gegenstands möglich ist, eine solche Identität aufzubauen. Dadurch wird die Gegenstandsproblematik der Soziologie mit ihrer Professionalisierungsproblematik verbunden. Im 2. Kapitel dieser Studie, das der Professionalisierung der Soziologie gewidmet ist, werden zunächst die Besonderheiten der soziologischen Ausbildung angesprochen und der Frage nachgegangen, zu welchen beruflichen Tätigkeiten Soziologen ausgebildet werden (können). Weiterhin wird der Versuch beschrieben, einen außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf unter dem Dachbegriff der „Beratung“ (Blättel-Mink/Katz 2004) zu etablieren. Die Besonderheiten eines auf die Beratung orientierten Berufs werden mit denen des soziologischen Gegenstandes in Verbindung gebracht. Vor allem wird erörtert, ob das Beratungskonzept das Etablieren eines exklusiven außerwissenschaftlichen Berufs trotz oder gerade wegen des fehlenden exklusiven Gegenstandes erlaubt. Mit Hilfe des Beratungskonzepts wird – von Seiten wissenschaftlicher, aber auch außerwissenschaftlicher Soziologen – versucht, die Exklusivität des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs durch die Anbindung an die in der soziologischen Ausbildung vermittelten Kompetenzen herzustellen. Ferner wird die Bedeutung eines solchen die außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten systematisierenden Dachbegriffs für die professionelle Identität der Soziologie erörtert. Danach werden Fragen der Disziplinbildung bzw. der Herausbildung der akademischen Profession in der Soziologie behandelt. Anhand der soziologischen Professionalisierungstheorien von Stichweh (1994) und Oevermann (1996) wird gezeigt, inwieweit die anerkannten Mittel der Disziplinbildung und der Zugehörigkeitsherstellung, die in anderen Disziplinen funktionieren, in der Soziologie funktionieren bzw. nicht funktionieren. Es wird vor allem gezeigt, dass die Soziologie als wissenschaftliche Profession trotz des Fehlens bestimmter Professionalisierungsmerkmale funktioniert. Daraus ergibt sich die Frage, ob im Falle der Soziologie mit dem Konzept von Professionalisierungsdefiziten oder 17
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Professionalisierungsbesonderheiten gearbeitet werden sollte. Die Analysen sprechen für das Konzept der Professionalisierungsbesonderheiten. Anhand dieses Ergebnisses wird gezeigt, dass die soziologischen Professionalisierungstheorien möglicherweise modifiziert werden müssen, um auf die Professionalisierung der Soziologie anwendbar zu sein. Abschließend werden in diesem Kapitel Bezüge zwischen der soziologischen Ausbildung, der wissenschaftlichen soziologischen Community und den außerwissenschaftlichen beruflichen soziologischen Tätigkeiten hergestellt. Es wird auf die Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung zum wissenschaftlichen und zum außerwissenschaftlichen Beruf im Vergleich zu anderen Disziplinen5 eingegangen. Dabei wird die Selbstwahrnehmung der Soziologen in Bezug auf ihre Herkunftsdisziplin behandelt. Die Selbstwahrnehmung der Soziologie als eine wissenschaftliche Disziplin und die primäre Orientierung der soziologischen Ausbildung auf die wissenschaftliche Profession werden zum einen im Zusammenhang mit den Versuchen, einen außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf zu etablieren, zum anderen mit der Selbstwahrnehmung der außerwissenschaftlichen Soziologen analysiert. Die Notwendigkeit der Herausbildung einer soziologischen Identität im außerwissenschaftlichen Beruf – die die eigene Exklusivität und dadurch auch die eigene Professionalität garantiert – erklärt, dass und warum die außerwissenschaftlichen Soziologen versuchen, sich der wissenschaftlichen Soziologie hinzuzurechnen. In diesem Kontext wird auch der Frage der Außenlegitimität der Soziologie nachgegangen. Die Verbindungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem außerwissenschaftlichen Beruf werden mit der Geschichte der deutschen Soziologie und mit ihrem Gegenstand in Verbindung gebracht. Vor allem wird die Frage gestellt, wie –angesichts der Heterogenität der Soziologie, des Fehlens einer unifizierten Ausbildung und eines exklusiven Gegenstandes – die Exklusivität der professionellen soziologischen Dienstleistungen im außerwissenschaftlichen Beruf etabliert werden kann. Im 3. Kapitel wird gezeigt, warum die Fachsprache in der Soziologie als ein Wissenschaftlichkeitskriterium gilt und eine identitätsstiftende Rolle spielt. Es wird darauf eingegangen, dass die Sprache in der Soziologie enger an die Identität des Faches gebunden ist, als dies in anderen Disziplinen üblich ist. Vor allem wird gezeigt, dass die Kommunikationsschwierigkeiten, die durch den Gebrauch der soziologischen Sprache in der Kommunikation mit Nicht-Soziologen entstehen – also das Sprachproblem – in der Soziologie u.a. eine identitätsstiftende Funktion haben (Lachenmeyer 1971, Derschka/Stoeber 1978, Bergmann 1982, 5
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Vgl. Krohn/Rammert (1985), Abbott (1988) u.a.
EINLEITUNG
Beck/Rosenmayr 1982, Beck/Lau 1982a, Bruder 1980, Gollin 1983, Scheuch 2000) und – aufgrund fehlender anderer Möglichkeiten – dazu dient, die eigene Professionalität und die Exklusivität des soziologischen Wissens zu dokumentieren. Am Beispiel des soziologischen Sprachproblems werden so die herausgestellten Besonderheiten des soziologischen Gegenstandes und der soziologischen Professionalisierung bestätigt.
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1 Soziologie ist... Das Besondere am soziologischen Gegenstand
„Soziologie ist kein schwaches Fach, sie ist unersetzbar. [...] Ihr Gegenstand ist die Gesellschaft, und keiner außer Soziologie will diesen Gegenstand haben.“ Hartmund Esser, aus: „Zum Selbstverständnis der Soziologie als Wissenschaft“, Podiumsdiskussion mit Hartmut Esser und Ulrich Oevermann auf dem Münchener Kongress der DGS, 05.10.2004. [Mitschrift der Diskussion, TZ] „Many persons are unfamiliar with what the science of sociology is all about. If one of your friends should ask you what the science of sociology is concerned with, how would you respond? Sociology is the scientific study of human interaction, and in particular the study of the behaviour of human groups.“ (Cohen 1979: 5)
1.1 Einleitung Schon zu Anfang meiner Beschäftigung mit dem soziologischen Sprachproblem führte diese zu der Vermutung, dass die Soziologen sich mittels des soziologischen Jargons von den benachbarten anderen Disziplinen und Professionen abzugrenzen und die spezifischen soziologischen Kompetenzen und die Wissenschaftlichkeit des eigenen Wissens darzustellen versuchen. Es wurde aber bald deutlich, dass das Sprach-
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problem nur ein Oberflächen-Merkmal darstellt, das auf zwei grundlegendere Probleme der Soziologie hinweist: zum einen die Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung und zum anderen die Abgrenzung des Gegenstandes der Soziologie gegenüber den benachbarten Disziplinen und dem Alltagsverstand. Es fällt der Soziologie in wissenschaftlichen wie auch in außerwissenschaftlichen Bereichen schwer, die eigene Exklusivität und Autonomie1 durch Expertenwissen und Dienstleistungen nachzuweisen. Selbst der Beweis eines exklusiv ihnen vorbehaltenen Gegenstandes fällt der Soziologie schwer. In diesem Kapitel geht es um die Besonderheiten des soziologischen Gegenstandes mit Blick auf die wahrgenommene Notwendigkeit, die Soziologie von ihrer Umwelt2 abzugrenzen. Es scheint sinnvoll, diese Studie mit Überlegungen zu der Gegenstandsproblematik zu beginnen, vor allem weil diese mit den Fragen der Professionalisierung der Soziologie eng verknüpft ist, wie es etwa Davis zum Ausdruck bringt: „[...] we [sociologists] have to be able to do something that somebody wants and do it better than our competitors. The obvious candidate is a subject matter. Alas, we share it with all the social sciences. Every topic we study is also studied by economists, psychologists and political scientists, plus a few anthropologists and historians. Indeed, our competitors have virtually driven us out of important areas such as urban ecology, attitude studies, and demography, while our classic turfs, family and poverty, are hotly contested.
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Zur Autonomisierung (sei es die Herausbildung der Autonomie des Gegenstandsgebietes oder die der Wissenschaft im Institutionsgefüge der akademischen Forschung und Lehre) als dem „Kern des Überganges zu einem wissenschaftlichen Denken von Gesellschaften“ siehe Elias (1971: 62). Die Behauptung der Exklusivität bzw. der Autonomie der Wissenschaft ist essentiell für die Selbst- und Fremdwahrnehmung einer Wissenschaft als solche, und zwar insbesondere bei der Kommunizierung einer wissenschaftlichen Disziplin nach außen, in der Kommunikation mit dem Laienpublikum sowie innerhalb des Wissenschaftsbetriebes (Davis 1994: 181). Eine bedeutende Rolle spielte die Frage der (gegenstands- bzw. methodenbezogenen) Autonomie der Soziologie in der langjährigen Debatte über die Wissenschaftlichkeit der Soziologie (siehe z.B. Kuhn 1970: 160 f.). Zusammenfassend zu dieser Debatte siehe z.B. Collins (1989). Mir geht es in diesem Kapitel um die spezifisch soziologischen Besonderheiten dieser Abgrenzungsprozesse bzw. -mechanismen. Ohne Zweifel spielen solche Abgrenzungsmechanismen auch in jeder anderen wissenschaftlichen Disziplin eine bedeutende Rolle. Für die zusammenfassende Darstellung der Geschichte und der Bedeutung der Abgrenzung zwischen den Wissenschaften und Nicht-Wissenschaften (u.a. im Kontext der Etablierung der Autorität und der Autonomie der Wissenschaften) siehe z.B. Gieryn (1983 und 1995).
SOZIOLOGIE IST… DAS BESONDERE AM SOZIOLOGISCHEN GEGENSTAND
Alternatively, we might consider ourselves specialists in social research methods. That, actually, is what we are best at. Perhaps, but I’m doubtful. We use methods but we seldom invent them. Our methods are almost entirely derivative and our undergraduate bread and butter audience is not gorged with young people attached by the opportunity to learn about research methods. [...] I’m afraid there is no unique substantive turf for sociology; we must do something unique and valuable with the raw materials available to all the social science disciplines.“ (Davis 1994: 181 f.)
Die Diskussionen über den Gegenstand der Soziologie bilden (mit Comte (1974) beginnend und durchgehend in der Geschichte der Soziologie als Disziplin) einen wichtigen Teil ihres Konstituierungsprozesses, was für eine relativ spät entstandene und von ihrer Grundhaltung her auf (Selbst-)Reflexion angelegte wissenschaftliche Disziplin nicht überraschend ist. Diese Diskussionen werden hier nur kurz referiert. Die Fragen, die im Rahmen dieses Kapitels gestellt werden, sind: — Was sind die Eigentümlichkeiten der Soziologie als einer wissenschaftlichen Disziplin und wie lassen sie sich auf den soziologischen Gegenstand zurückführen? — Was ist das Besondere am Interesse der Soziologie, ihren Gegenstand von dem anderer Disziplinen und Professionen abzugrenzen? — Gibt es einen besonderen Zwang zur Abgrenzung gegenüber dem Alltagsverstand? — Worin besteht die professionelle Identität der Soziologie? Es soll im Rahmen dieses Kapitels nicht um eine erschöpfende, sondern um eine exemplarische Darstellung der Gegenstandsbeschreibungen in den soziologischen Einführungsbüchern gehen.
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
1.2 Soziologie ist... Darstellung des Gegenstands der Soziologie in der soziologischen Literatur 1.2.1 Definitionen aus soziologischen Einführungsbüchern Die Erforschung der Lehr- und Text- bzw. Einführungsbücher hat eine lange Geschichte in der Wissenschaftssoziologie.3 Diesen wird im Kontext der Selbstwahrnehmung und Selbstkonstruktion der Disziplin eine zentrale Funktion zugewiesen. Ihr Inhalt repräsentiert das, was die Disziplin als ihre eigenen Grundlagen auffasst; der disziplinäre Reproduktionsprozess beruht auf der Internalisierung des durch die Einführungsbücher weitergegebenen Wissens: „[Textbooks] are part of a stable, highly standardized, widely disseminated disciplinary pedagogy. As such, they are intrinsically important to the construction and the maintenance of discipline.“ (Lynch/Bogen 1997: 482)4 In diesem Zitat wird neben der Konstitution der Disziplin durch die Einführungsbücher der Aspekt der Standardisierung angesprochen. Diese ist zwar im Falle der Soziologie umstritten, weil sich in dieser Disziplin kein „Kern“ vorfinden lässt (ibid.: 484), der als solcher in den Einführungsbüchern gepflegt werden könnte. Dennoch ist eine solche Standardisierung auch im Falle der soziologischen Einführungsbücher unumgänglich, weil diese zu einem einflussreichen Instrument bei der Entwicklung der Curricula werden (ibid.: 485). Den Analysen der Einführungsbücher zufolge geschieht an dieser Stelle eine künstliche Vereinheitlichung um der Selbstdarstellung willen.
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Schon Fleck (1993: 146 f.) hat auf die systematisierende Funktion der Lehrbücher für das Denkkollektiv, d.h. u.a. auf ihre Bedeutung für die Selbst- und auch Fremdwahrnehmung einer Wissenschaft hingewiesen, gefolgt von weiteren Autoren wie z.B. Kuhn (1970:137 f.). Mich interessieren Lehrbücher als ein Mittel der Grenzziehung zwischen der Disziplin und ihrer Umwelt, und zwar der gegenstandsbezogenen Grenzziehung. Deswegen konzentriere ich mich hier auf die Einführungsbücher, die den Novizen mitteilen sollen, womit sich die Disziplin beschäftigt. Zu den Lehrbüchern als einem Teil der Reproduktion der wissenschaftlichen Disziplin und zu der Grenzziehung in den sozialwissenschaftlichen Einführungsbüchern siehe z.B. Smyth (2001), für eine spezielle Studie zu den soziologischen Lehrbüchern siehe Lynch/Bogen (1997). Der Standardisierungsaspekt der Lehrbücher ist im Falle der Soziologie umso wichtiger, als sich zumindest in der deutschen soziologischen Ausbildung kaum allgemeingültige Standards finden lassen.
SOZIOLOGIE IST… DAS BESONDERE AM SOZIOLOGISCHEN GEGENSTAND
Für eine akademische Disziplin ist es essentiell, den eigenen Gegenstand konkret definieren zu können, um eine sichere Grundlage für die Ausbildung und Sozialisation zu schaffen.5 Die Frage, die im Rahmen dieses Abschnittes gestellt wird, ist, wie der Gegenstand der Soziologie in den Einführungsbüchern dargestellt wird bzw. wie den Nachwuchssoziologen vermittelt wird, womit sie sich als Soziologen beschäftigen werden. Mich interessieren dementsprechend insbesondere die einführenden Sequenzen der Einführungsbücher, die Einleitungen, aber auch die zusammenfassenden Kapitel. In den einführenden Sequenzen muss den Novizen (d.h. den soziologischen Laien, demzufolge in einer vergleichsweise einfachen Sprache) vermittelt werden, wovon das Buch und auch die Soziologie als solche handelt. Es geht vor allem um die Sequenzen, die als nicht kontextualisierungsbedürftige Fakten oder als Teil des allgemeinsoziologischen Konsenses über den Gegenstand der Soziologie dargestellt werden.6 Ich werde im Folgenden kurz die wichtigsten Punkte darstellen, die die Konstruktion des soziologischen Gegenstandes in vielen Einführungsbüchern ausmachen (für eine ausführlichere Analyse der soziologischen Einführungsbücher siehe Lynch/Bogen 1997). Diese Punkte werden dann exemplarisch anhand eines ausgewählten Lehrbuches (Giddens 2001) expliziert.7
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Vgl. dazu Stinchcombe (1994: 288). Hier ist das gemeint, was Smyth mit Hinweis auf die Überlegungen von Latour/Woolgar (2. Aufl. 1986) „autonomous fact statements“ (Smyth 2001: 390) nennt. Interessant ist vor allem der (implizite) Hinweis auf einen soziologischen Konsens in Bezug auf den Gegenstand in dem Sinne, dass es kaum einen Konsens geben kann. Mit Lynch/Bogen gesprochen: „The very idea sociology has a ‚core‘ has become doubtful [...]. In the face of the variety of schools and perspectives that currently claim a place in the discipline, it has become increasingly implausible to assert the existence of a ‚core‘ or ‚mainstream sociology‘.“ (Lynch/Bogen 1997: 484) Bei der Auswahl dieses Buches als Basisdatenmaterial für dieses Kapitel spielte die Empfehlung der Hochschuldozenten der Bielefelder Fakultät für Soziologie eine wichtige Rolle, da ich mich in meinen (internen, d.h. akademischen) Interviews auf Soziologen aus der Bielefelder Universität beschränkt habe. Demzufolge erschien es mir logisch, mich mit einem Einführungsbuch auseinanderzusetzen, das an dieser Fakultät den Studierenden empfohlen wird. Andererseits haben auch Lynch/Bogen (1997: 485) in ihrer Herausgeberbefragung festgestellt, dass dieses Einführungsbuch zu den besonders einflussreichen gehört.
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Die wichtigsten Merkmale der Gegenstandskonstitution: Die Distanzierung Die Distanzierung zum Gegenstand wird in vielen soziologischen Einführungsbüchern (darunter auch Giddens 2001) als eine Voraussetzung für das Soziologensein aufgeführt. Elias führt diese Distanzierung am Anfang seines Buches „Was ist Soziologie?“ (1971) ein, und zwar als Voraussetzung dafür, zu begreifen, was die Soziologie ist: „Wenn man verstehen will, worum es in der Soziologie geht, dann muss man in der Lage sein, in Gedanken sich selbst gegenüberzutreten und seiner selbst als eines Menschen unter anderen gewahr zu werden.“ (Elias 1971: 8) Um also überhaupt verstehen zu können, was die Soziologie ist, muss man über Reflexionsvermögen verfügen und in der Lage sein, sich von seiner eigenen (sozialen) Natur zu distanzieren. Die Distanzierung von sich selbst, die Reflexion über sich selbst als ein soziales Wesen bzw. Teil der Gesellschaft wird zu der wichtigsten Voraussetzung für das Betreiben der Soziologie und sogar für das Verstehen dessen, was die Soziologie ist. Der zu betreibende Distanzierungsaufwand grenzt die Soziologie auf eine besondere Art und Weise von den Nicht-Soziologen ab.
Die wichtigsten Merkmale der Gegenstandskonstitution: Das Besondere an der soziologischen Denkweise Ein weiterer Punkt, der in vielen Einführungsbüchern zu finden ist, ist die Charakterisierung der Besonderheiten der soziologischen Denkweise. Die Definition der Soziologie wird von den besonderen soziologischen Fähigkeiten hergeleitet, die in einer Re-Strukturierung der nichtsoziologischen mentalen Fähigkeiten bestehen. Das drückt sich zum Teil schon in den Titeln der Einführungsbücher aus, man denke z.B. an „The Sociological Imagination“ von Wright Mills (1959) oder „Thinking Sociologically“ (Goldenberg 1997).8 Die Soziologie wird also nicht (nur) 8
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Diese Tradition wird allerdings auch in einer anderen Form fortgesetzt. Die Konzeptualisierung der Soziologie und ihrer Methoden als ein Sonderwissen lässt sich in Titeln wie „Qualitative Sociology: a Method to the Madness“ von Jacobs/Schwartz (1979) wiederfinden. „Madness“ – ein abnormaler Zustand – wird in diesem Titel als Wunschzustand konstruiert, den man erreichen muss, um ein qualitativer Soziologe zu werden. Für mich als Soziologienovizen spielte das Buch seinerzeit eine sehr bedeutende Rolle, nicht zuletzt weil es die Soziologen als eine besondere Gruppe von Menschen konzipierte, die unter demselben Wahn leiden, u.a. weil sie die Alltäglichkeit nicht nur zu ihrem Gegenstand machen, sondern auch mit Hilfe tiefgreifender Analyse auseinanderzunehmen und zu systematisieren versuchen. Das hat mich – und sicherlich auch andere Leser
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als eine wissenschaftliche Disziplin mit zu erlernenden Methoden dargestellt, sondern auch als eine Art der besonderen Realitätswahrnehmung, die es zu internalisieren gilt. Zwar gibt es sicherlich in der Soziologie Methoden, die erlernt werden können und müssen. Allerdings ist die wesentliche Eigenschaft, die die Soziologen (auch in ihren methodischen Vorgehensweisen) ausmacht – nämlich eine besondere Wahrnehmung des Sozialen – kein hartes Wissen, sondern eher eine Sensibilität: „Methodological sensitivity is not turned on and off. Once accrued, it is permanent.“ (Goldenberg 1997: 49) Wenn man also zum Soziologen geworden ist, kann man das nicht mehr rückgängig machen.
Die wichtigsten Merkmale der Gegenstandskonstitution: Die Unfähigkeit der Laien, den Gegenstand der Soziologie zu begreifen Die Distanzierung zum Gegenstand der Soziologie, d.h. der Gesellschaft und dem eigenen Alltag, wird als die notwendige Basis für das Verständnis dessen, was die Soziologie ist und womit sie sich befasst, vorausgesetzt (Giddens 2001; Elias 1971 u.a.). Wie oben schon erwähnt, wäre das Begreifen des soziologischen Gegenstandes demzufolge für Nicht-Soziologen mit erheblichem Aufwand verbunden. Doch die Konstruktion des soziologischen Gegenstandes geht in einigen Einführungsbüchern noch weiter, bis hin zu der Behauptung, der Gegenstand der Soziologie könne den Nicht-Eingeweihten nicht kommuniziert bzw. von diesen nicht verstanden werden, wie z.B. bei Goldenberg (1997): „I can’t tell you the number of times I’ve been asked at parties what sociologists do or what sociology is. You may have experienced the same thing. If not, you will no doubt soon be asked if you continue to study sociology. Unfortunately there is no simple answer to this question, and most people at parties are not prepared to listen to the complex answer. They ask only as a matter of form, so you can tell them that sociology is the study of human behaviour as this is affected by the relationship among people. If your questioner shows real interest you can go on to the kind of treatment provided here, if you find it persuasive.“ (Goldenberg 1997: 2)
Der Leser wird also zu einem Eingeweihten gemacht, der zwar weiß (oder demnächst wissen wird), was die Soziologie ist, aber genauso wie der Autor des Buches kaum in der Lage sein wird, den Laien den Gegenstand der Soziologie zu erklären. Die Leserschaft des Buches wird explizit belehrt, dass die meisten Leute sich nicht wirklich dafür interesdieses Buches – zu Adepten einer Sekte namens „Soziologie“ gemacht, obwohl wir nicht genau wussten, was die Soziologie ist (die Frage ist sicherlich, ob man das genau wissen kann).
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sierten und es somit ausreichend sei, ihnen eine formale Antwort zu geben, die eigentlich nichts erklärt. Um eine wirkliche Antwort verstehen zu können, müsse der Fragende vorbereitet sein. Eine solche Positionierung des eigentlichen Gegenstandes unterstellt ein besonderes Verhältnis zur Gesellschaft. Eine der Selbstpositionierungen der Soziologie ist die einer Reflexion über die Gesellschaft in der Gesellschaft. Die Notwendigkeit der Reflexion und der Vorgang des Reflektierens kann jemandem, der als Objekt dieser Reflexion dient und nicht beabsichtigt, ihr Subjekt zu werden, nicht erklärt werden. Die Tatsache, dass ein Soziologe danach gefragt wird, was die Soziologie sei, wird von Goldenberg als ein Normalfall betrachtet – es wird also unterstellt, dass alle, die sich lange genug mit Soziologie beschäftigen, irgendwann mit einer solchen Frage konfrontiert werden und dass diese nicht leicht zu beantworten sein wird. Hinter dieser Aussage steckt mehr als die bloße Erwähnung der Tatsache, die Wissenschaft sei Laien generell nicht in zwei Worten zu erklären.9 Hier wird eine Besonderheit der Soziologie angesprochen. Der Autor schlägt zwar eine Antwort auf die Frage nach dem Gegenstand der Soziologie vor, meint aber, diese Antwort würde als solche dem Fragenden nichts erklären. Der soziologische Gegenstand erschließt sich aber nur einem Soziologen. Das Verständnis des Gegenstandes erfordert eine soziologische Vorbereitung (im Laufe des Buches wird der Leser mit den soziologischen Methoden, dem Verhältnis der Soziologie zu den anderen Sozialwissenschaften, theoretischen soziologischen Perspektiven usw. vertraut gemacht, die ihn im Endeffekt befähigen zu verstehen, was die Soziologie ist).10 Man muss demzufolge zu einem Soziologen werden, um zu wissen, was die Soziologie eigentlich ist. Die Soziologie wird der Leserschaft dieses Buches – den soziologischen Novizen – vorerst als ein komplexes Phänomen, als ein Prozess der unendlichen Reflexion und der methodologi9
Sicherlich kann man auch die Grundsätze der Chemophysik einem Laien auf einer Party schlecht erklären. Dennoch ist die Unterstellung hier eine andere, nämlich dass das formelle Benennen des Gegenstandes eigentlich überhaupt falsch ist und den Fragenden nicht weiterbringen kann. Das wäre im Falle einer Disziplin mit einem klar definierten Gegenstand anders, denn man könnte nicht behaupten, dass solch eine formelle Gegenstandsbenennung überhaupt nicht aussagekräftig ist. 10 Bei einem solchen Ansatz ist man schnell bei der von vielen Soziologen kritisierten Aussage „Soziologie ist das, was Soziologen tun“, die keinen besonderen Erkenntniswert hat. Wie Mills (1959: 19) formuliert: „At any given moment, of cause, ‚social science‘ consists of what duly recognized social scientists are doing – but all of them are by no means doing the same thing, in fact not even the same sort of thing. Social science is also what social scientists in the past have done – but different students choose to construct and to recall different traditions in their discipline“.
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schen Sensibilität vorgeführt. Erst danach werden die unterschiedlichen Ansätze erklärt, mit denen die Soziologie konkret zu tun hat bzw. zu tun haben kann; es wird – genauso wie in den anderen Einführungsbüchern – darauf hingewiesen, dass die Soziologie keine Einheit darstellt. Auch das Postulieren des soziologischen Interesses an der Erforschung sowohl der Mikro- als auch der Makroebene des Sozialen scheint den Autoren vieler Einführungsbücher sehr wichtig zu sein als ein Hinweis darauf, dass die Soziologie sich nicht auf eine der beiden Ebenen sozialer Realität beschränkt.
Die wichtigsten Merkmale der Gegenstandskonstitution: Implikation eines allgemeinen soziologischen Konsenses über den Gegenstand der Soziologie Was sich außerdem in vielen Einführungsbüchern vorfinden lässt, ist ein Hinweis auf das Vorhandensein eines allgemeinen soziologischen Konsenses11 darüber, was der Gegenstand der Soziologie ist. Dieser Hinweis dient dazu, bei den Novizen das Bild einer (zumindest in Fragen der Konzipierung des eigenen Gegenstandes) einigermaßen einheitlichen Disziplin zu erzeugen (Lynch/Bogen 1997: 484). Um einen Hinweis auf einen solchen Konsens zu ermöglichen, wird der Gegenstand der Soziologie sehr breit gefasst. Dies ist der Intention geschuldet, eine Definition zu finden, die bei den meisten Repräsentanten der unterschiedlichsten soziologischen Schulen nicht von vornherein auf Ablehnung stößt. Zum Beispiel schreibt Gukenbiehl (2001, 1992), unter Soziologen sei man sich darüber einig, „1. dass sich Soziologie mit der sozialen Wirklichkeit zu befassen habe, einer Wirklichkeit, die sich im Zusammenleben der Menschen ausdrückt und die durch dieses Zusammenleben geschaffen, verändert und immer wieder neu gestaltet wird. Dieses Zusammenleben und Zusammenhandeln sowie deren Ergebnisse und Effekte sind also der Forschungsgegenstand der Soziologie. 2. dass Soziologie als Erfahrungswissenschaft, als empirisch-rationale Wissenschaft zu betreiben sei. [...]“ (Gukenbiehl 2001: 7)
Erst nach der Einführung dieses Quasi-Konsenses wird darauf hingewiesen, dass sich unter Soziologen sehr schwer ein Konsens darüber finden lässt, was unter der sozialen Wirklichkeit in jedem konkreten Fall verstanden wird. Das Bild des soziologischen Gegenstandes, das durch derartige Überlegungen erzeugt wird, ist, dass die Soziologie sich mit sozialen Zusammenhängen beschäftigt, es aber schwierig ist, diese präzise 11 Allerdings gibt es keinen Hinweis auf eine Einheitlichkeit der Disziplin.
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zu definieren.12 Auch in diesem Buch (Gukenbiehl, 2001) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Gegenstand der Soziologie sehr breit gefasst ist und sich weder auf die Makro- noch auf die Meso- oder die Mikroebene beschränkt.
Die wichtigsten Merkmale der Gegenstandskonstitution am Beispiel der Einführung „Sociology“ von Giddens (2001) Um die oben eingeführten Stichpunkte zur Konstruktion des Gegenstandes der Soziologie in Einführungsbüchern zu explizieren, soll nun eine detailliertere Analyse eines Lehrbuches vorgenommen werden. Laut Berichten von Studierenden der Bielefelder Fakultät für Soziologie weisen die Hochschuldozenten in den Einführungsveranstaltungen auf ein spezielles Buch hin, das als eine der besten soziologischen Einführungen gilt: „Sociology“ von Anthony Giddens (2001). Mit welchen Soziologenbildern die Leser dieses Buches konfrontiert werden, mit welchen Konzeptionen des „guten Soziologen“ gearbeitet und wie der Gegenstand der Soziologie definiert wird, macht das folgende Zitat deutlich: „Sociology is the study of human social life, groups and societies. It is a dazzling and compelling enterprise, as its subject matter is our own behaviour as social beings. The scope of sociological study is extremely wide, ranging from analyses of passing encounters between individuals in the street to the investigation of global social processes“. (Giddens 2001: 2)
Die Definition des Gegenstandes erfolgt durch die recht breit gefasste und nicht in spezifisch soziologische Termini gekleidete „study of human social life, groups and societies“ (anders ausgedrückt: das Erforschen des Sozialen). Die Definition des Gegenstandes in soziologischen Termini wäre in solch einem Kontext natürlich kaum möglich, da eine solche von der intendierten Leserschaft nicht verstanden werden könnte. Dementsprechend wird das Besondere des soziologischen Gegenstandes eher durch die Aufgaben und Fähigkeiten der Soziologen als direkt durch die Beschreibung des soziologischen Gegenstandes erklärt. Zunächst jedoch wird die Soziologie als verwirrendes, aber auch zwingendes Unternehmen beschrieben. Interessant ist nicht nur die Erwähnung der Unentbehrlichkeit (hier: „compelling“) der Soziologie und der Verwirrung der und durch die Soziologie; diese beiden Eigenschaf12 Im Buch wird allerdings weiter erläutert, was die Repräsentanten verschiedener Theorierichtungen in der Soziologie als Gegenstand der Soziologie – nämlich die soziale Wirklichkeit (Gukenbiehl 2001: 43-53) – verstanden haben.
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ten der Disziplin lassen sich daraus ableiten, dass Menschen als soziale Wesen es schwer haben mögen, die eigenen sozialen Verhaltensweisen zu erforschen, andererseits aber aufgrund ihrer reflexiven Fähigkeiten dazu notwendigerweise neigen. Interessant ist vor allem, dass die Soziologie weder als Lehrfach noch als Disziplin oder Wissenschaft bezeichnet wird, sondern als ein (intellektuelles) Unternehmen. Das Wort „enterprise“ (an einer anderen Stelle der Einführung heißt es auch „endeavour“) verweist mehr auf einen Prozess,13 eine ständig betriebene Arbeit, als auf eine institutionelle Zusammensetzung von festen Regeln, Forschungsmethoden, Theorien u.a.. Der Gegenstand der Soziologie wird von Anfang an als eine Herausforderung angesprochen. Erst dann kommt Giddens zu einer Beschreibung des soziologischen Gegenstandes, und zwar indem er den Gegenstand und den Forschungsspielraum der Soziologie als ein sehr weites Feld darstellt. Er nennt zwei Extreme der soziologischen Forschungsinteressen und zeigt damit, dass die Soziologie sich weder auf die Makronoch auf die Mikroebene beschränkt. Das eine Extrem („analyses of passing encounters between individuals in the street“) deutet darauf hin, dass die Soziologie sich mit dem Alltag im weitesten Sinne des Wortes beschäftigt, aber auch darauf, dass sie damit wissenschaftlich umgeht. Es könnte nämlich kaum den Alltagsmenschen in den Sinn kommen, „passing encounters between individuals in the street“ zu untersuchen, da solche normalerweise nicht als untersuchenswert angesehen werden. Das Besondere und das Wissenschaftliche an der Soziologie wird dadurch konstruiert, dass die Soziologie etwas Alltägliches zu ihrem Gegenstand macht, das die anderen14 nicht unbedingt als ein zu erforschendes Phänomen wahrnehmen können. So wird die Konstitution des soziologischen Gegenstandes vollzogen. Das andere Extrem („the investigation of global social processes“) zeigt das wissenschaftliche Arbeiten auf der Makroebene – die globalen sozialen Prozesse sind so offensichtlich von (wissenschaftlichem) Interesse, dass es nicht überraschend ist, dass eine wissenschaftliche Disziplin sie zu ihrem Forschungsgegenstand macht, da den Alltagsmenschen zwar diese Phänomene in ihrer Bedeutung, nicht aber ihre Ursachen bzw. die möglichen Konsequenzen bekannt sind. Der soziologische Gegenstand wird als Gesellschaft allgemein bzw. als die Zusammensetzung aller sozialen Phänomene dargestellt. 13 Zur Wahrnehmung der Soziologie als eine Forschungsdisziplin, die sich im Entstehungsprozess befindet, siehe z.B. Heckmann/Kröll (1984). 14 Allerdings kann durch solches Postulieren der Wissenschaftlichkeit die Soziologie vom Alltagsverstand, nicht aber von den anderen Gesellschafts- und Sozialwissenschaften abgegrenzt werden.
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Im weiteren Verlauf des Einführungskapitels erklärt Giddens den soziologischen Novizen, dass ihre Entscheidung, Soziologie zu studieren, mit dem Komplex sozialer Systeme und Beziehungen eng zusammenhängt, in die die sozilogischen Novizen eingebunden sind; damit wird gezeigt, dass der Gegenstand der Soziologie alle sozialen Phänomene umfasst und selbst die Soziologen durch Soziologie erforscht werden können (die Soziologie lässt nicht unberücksichtigt, was mit dem Sozialen zusammenhängt). Um diesen Gedanken zu unterstützen, stellt er Fragen, die die Leser für sich beantworten müssen, um herauszufinden, wie sich die Soziologiestudenten – und damit die Leser selbst – nach ihrer Studiumsmotivation soziologisch systematisieren lassen. Es wird u.a. eine – aus der Sicht der Soziologen allgemeine Wahrnehmung der Soziologie durch die Nicht-Soziologen angesprochen: „Do you not know really what sociology is but think it has something to do with how people behave in groups?“ (Giddens, ibid.: 5) Giddens unterstellt also, dass von Außen betrachtet die Soziologen diejenigen seien, die mit dem Verhalten von Menschen in Gruppen sich befassten. Die Definition des Gegenstandes bzw. das Postulieren der Exklusivität des soziologischen Gegenstandes wird durch die Abgrenzung zum Alltäglichen vorangetrieben. Wie schon in der oben zitierten Stelle eingeführt wurde, beschäftigen sich Soziologen zum Teil mit Phänomenen, die für die Nicht-Soziologen nicht sichtbar bzw. als zu erforschendes Segment der sozialen Realität nicht fassbar sind. Die Soziologen müssen dementsprechend irgendwelche besonderen Kompetenzen haben, um den Alltag zum wissenschaftlichen Gegenstand machen zu können: „A sociologist is someone who is able to break free from the immediacy of personal circumstances and put things in a wider context. Sociological work depends on what the American writer C. Wright Mills, in a famous phrase, called the sociological imagination (Mills, 1970).“ (Giddens 2001: 3, Hervorhebung im Original)
Die Abgrenzung vom Alltäglichen in der Soziologie spielt in Giddens’ Einführung eine bedeutende Rolle. Das Wichtigste, was Soziologie – und vor allem Soziologen – ausmacht, ist die Distanz zu ihrem Gegenstand. Zwar geht es auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen darum, ein distanziertes Verhältnis zum Gegenstand einzurichten, d.h. ihn nicht so zu sehen, wie er in der Praxis gesehen wird. In der Soziologie scheint dies aber besonders schwer – und besonders essentiell – zu sein. Es wird hier vor allem dadurch erschwert, dass es eine Distanzierung zum eigenen Alltagsleben bedeutet. Der Gegenstand der Soziologie wäre als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung nicht wahrnehmbar,
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wenn die Soziologen keine Distanz zu ihrem eigenen Alltagsleben entwickeln könnten, und zwar zu allen Facetten ihres Soziallebens. Dadurch wird die Distanzierung umfassender als in den anderen Geistesund Sozialwissenschaften. Diese Distanzierung macht die Wissenschaftlichkeit der Soziologie aus. Die gegenstandsbezogene Exklusivität der Soziologie besteht demzufolge in einer besonderen Betrachtungsweise des Sozialen.15 An einer anderen Stelle wird die Soziologie zum „different kind of science“ erklärt, zu einer Wissenschaft von „humans studying humans“ (ibid.: 641). Auch der Entstehungsprozess der Soziologie wird als ein wichtiger Punkt für die Selbstkonzeptualisierung der Disziplin aufgeführt, der von einem anderen Standpunkt aus die Notwendigkeit der Distanzierung zum Gegenstand begründet. Giddens beschreibt Soziologie (in der historischen Perspektive) als einen intellektuellen Prozess, der sich zumindest ursprünglich auf das Erforschen der modernen Gesellschaften bezieht. Das Interesse an anderen Gesellschaftsformen sei ein später entwickeltes oder zusätzlich hinzugekommenes – daher die Distanzierung vom Gegenstand als die wichtigste Voraussetzung des Soziologenseins. Eine solche Distanzierung ist viel essentieller für die Erforschung der eigenen Gesellschaft als für die Erforschung anderer Gesellschaftsformen. Die Kompetenzen, die einen zum Soziologen machen, leiten sich direkt vom Gegenstand der Soziologie ab – oder wirken bei der Herausbildung dieses Gegenstandes mit: „All sociologists agree that sociology is a discipline in which we set aside our personal view of the world to look more carefully at the influences that shape our lives and those of others. Sociology emerged as a distinct intellectual endeavour with the development of modern societies, and the study of such societies remains its principal concern. But sociologists are also preoccupied with a broad range of issues about the nature of social interaction and human societies in general. Sociology isn’t just an abstract intellectual field but has major practical implications for people’s life. Learning to become a sociologist shouldn’t be a dull academic endeavour! The best way to make sure it doesn’t become so is to approach the subject in an imaginative way and to relate sociological ideas and findings to situations in your own life.“ (Giddens 2001: 18)
15 Zwar könnte man behaupten, dass diese Überlegungen auch auf die Psychologie zutreffen (siehe z.B. Goldenberg (1997), der die Trennung zwischen den Gegenständen unterschiedlicher Sozialwissenschaften als eine künstliche betrachtet); allerdings ist der Fall der Soziologie viel extremer, weil der Gegenstand besonders breit gefasst ist – als Soziologe kann man alles erforschen, was sozial ist.
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Der Bezug auf die moderne Gesellschaft als Gegenstand der Soziologie und auch als Grund ihrer Entstehung kommt auch in den Interviewdaten zum Ausdruck und scheint generell eine wichtige Rolle für die soziologische Identität zu spielen. Dieser Bezug begründet u.a. die Notwendigkeit des Entstehens der Soziologie, da der Zwang zur Selbstreflexion als ein wichtiges Merkmal der modernen Gesellschaft konstruiert wird. Der Hinweis, dass das Soziologe-Werden nicht zu einer „dull“ (hier wohl im Sinne einer stumpfen, aber auch langweiligen) akademischen Tätigkeit werden darf, deutet (abgesehen von den anwendungsbezogenen Implikationen dieses Zitats) auf die Möglichkeit hin, dass durch die gegebene Beschreibung die Soziologie als eine abstrakte intellektuelle Beschäftigung wahrgenommen wird. Dann folgt ein etwas unverständlicher Vorschlag, wie zu vermeiden sei, dass Soziologie (bzw. das Soziologie-Studium) zu einer abstrakten intellektuellen Beschäftigung wird. Das solle mit Hilfe der Implikationen soziologischer Ideen und Befunde für das eigene Leben, also praktisch durch die Überbrückung der gewonnenen Distanz zum Gegenstand,16 bzw. durch die Wiederherstellung des Bezuges zum Gegenstand erreicht werden. Inwiefern das Wiederherstellen eines solchen Bezuges möglich ist, wird im Professionalisierungskapitel dieser Studie (s. u. Kapitel 2) ausführlicher beschrieben. An dieser Stelle soll nur darauf hingewiesen werden, dass Giddens eine Notwendigkeit sieht, die Distanzierung vom Gegenstand so zu konzipieren, dass der Anwendungsbezug ermöglicht wird. Im zuletzt angeführten Zitat wird eine soziologische Community impliziert, auf die man z.B. bei der Definition der Kompetenzen der Soziologen zurückgreifen kann. Das Bild der Disziplin bzw. ihres Gegenstandes, das in Giddens’ Einführungsbuch gezeichnet wird und demzufolge zur Sozialisation der Novizen in der Soziologie beiträgt, lässt sich wie folgt zusammenfassen: — Soziologie war zumindest ursprünglich ein intellektueller Prozess (der gesellschaftlichen Selbstreflexion), der sich primär auf die modernen Gesellschaften bezog. — Der Gegenstand der Soziologie ist das Soziale17 (das soziale Leben der Menschen, die sozialen Gruppen und die Gesellschaften), das aus der Distanz beobachtet wird.
16 Eine solche Art von Überbrückung dieser Distanz beschreiben Kühl/Tacke (2003: 6) mit ihrem Begriff der „Ent-Soziologisierung der Soziologie“. 17 Siehe dazu auch Homans „Was ist Sozialwissenschaft?“ (1972) bzw. das Vorwort von Peter Atteslander zu diesem Buch, wo gesagt wird, die Sozialwissenschaftler hätten „Soziales zu erklären“ (1972: 5).
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— Da der soziologische Gegenstand den Soziologen als Menschen vertraut ist, muss angenommen werden, dass Soziologie nicht das einzige „Unternehmen“ ist, das sich mit diesem Gegenstand beschäftigt. Das Exklusive der Soziologie besteht darin, dass sie sich mit ihrem Gegenstand bewusst, explizit, wissenschaftlich, distanziert und in seiner Ganzheit beschäftigt. — Die Definition des Gegenstandes kann also nicht einfach durch die Benennung der zu erforschenden Phänomene erfolgen. — Die besondere Kompetenz des Soziologen besteht darin, sich vom eigenen sozialen Alltag distanzieren zu können; diese Distanzierung ist u.a. notwendig, um den Gegenstand der Soziologie überhaupt wahrnehmen zu können. Der (fast bis zur Bedeutungslosigkeit) breit gefasste Gegenstand wird zu einem Gegenstand der wissenschaftlichen Disziplin nur durch die – stets genannte, jedoch nicht ausführlich erklärte – Distanzierung zu ihm. Diese Darstellung des soziologischen Gegenstandes weist darauf hin, dass dessen Exklusivität relativ schwer zu definieren (und in einer nichtsoziologischen Sprache zu beschreiben) ist.
Zusammenfassung: Die wichtigsten Merkmale der Gegenstandskonstruktion in den Einführungsbüchern Ergänzt man diese Analyse um die aus der Untersuchung anderer Einführungsbücher gewonnenen Erkenntnisse, so sieht die Liste der in den soziologischen Einführungsbüchern angeführten Merkmale der Gegenstandskonstruktion folgendermaßen aus: — Der Gegenstand der Soziologie lässt sich nur sehr grob so verallgemeinern, dass er in jedes soziologische Einführungsbuch passen würde, etwa so: „Defined most simply, sociology is the scientific study of social relations, institutions, and societies.“ (Smelser 1994: 3) Die Soziologie ist somit die wissenschaftliche Erforschung des Sozialen. Der Hinweis auf die Wissenschaftlichkeit der soziologischen Vorgehensweise spielt in den soziologischen Einführungsbüchern eine wichtige Rolle.18 18 Tatsächlich wird in vielen Einführungsbüchern explizit auf die Wissenschaftlichkeit der Soziologie hingewiesen, als ob die Gefahr bestünde, dass diese von der Leserschaft des jeweiligen Buches bezweifelt wird (was u.a. auf die innersoziologischen Diskussionen über die Wissenschaftlichkeit der Soziologie zurückzuführen ist). Allerdings sind solche Hinweise in einem Buch, das die Novizen in eine wissenschaftliche Disziplin einführen soll, eine Besonderheit der Soziologie. Siehe z.B. Cohen: „Because
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— Die Exklusivität der Soziologie als einer wissenschaftlichen Disziplin wird zwar durch ihren Gegenstand postuliert, es wird aber gleichzeitig deutlich gemacht, dass dieser Gegenstand (die Gesellschaft oder das Soziale) einer wissenschaftlichen Disziplin an sich keine Exklusivität garantieren kann. Das, was die Exklusivität der Soziologie auch gegenüber den anderen Gesellschaftswissenschaften und der alltäglichen Beschäftigung mit dem Sozialen ausmacht, ist ihre Beschäftigung mit diesem Gegenstand in dessen Ganzheit.19 Die besondere soziologische Betrachtungsweise wird als Insiderwissen dargestellt, das alle Soziologen teilen, das zu einem Teil der Persönlichkeit eines Soziologen wird und nicht verlernt werden kann. Distanz zum Alltäglichen wird als eine der wichtigsten Voraussetzungen des Soziologenseins und Soziologe-Werdens thematisiert. In dieser Distanz und in der besonderen Beschäftigung mit dem Gegenstand in dessen Ganzheit (in Form einer distanzierten reflexiven Erforschung) liegt die Exklusivität der Soziologie. Die Verlegung soziologischer Fähigkeiten in den Bereich des zu Internalisierenden (die besondere soziologische Denkweise, „Madness“ etc.), die parallel zur Darstellung der Soziologie als einer Erfahrungswissenschaft mit exklusiven und zu erlernenden Methoden erfolgt, dient der Abgrenzung der Soziologie von anderen Disziplinen in den Fällen, in denen keine gethe terms sociology and sociologist are often misused, it might be a good idea to mention here something that sociology is not. Sociology as a field is not a social philosophy, a system of values meant to tell people, how they ought to organize themselves and otherwise behave. Rather, sociologists attempt to describe and explain as throughoutly and objectively as possible (as scientifically as possible) how and why people interact in groups.“ (Cohen 1979: 1, Hervorhebungen im Original) Die Wissenschaftlichkeit wird an die Objektivität geknüpft, und eine Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Intervention wird vollzogen. Die Beobachtung, die Smyth am Beispiel der psychologischen Textbücher macht, könnte auch auf die soziologischen Textbücher übertragen werden: „Psychology, however, behaves in textbooks as if there are grounds for not trusting its statements, and warrants generalizations even when there is no disagreement within psychology. Instead of inviting us to say ‚Why should I doubt? ‘, it invites us to ask for evidence.“ (Smyth 2001: 392) Smyth behauptet, dass die Psychologie in ihren Textbüchern „the certainty of science“ leugne. Das heißt, sie macht keine autonomen Statements und positioniert sich selbst dadurch als etwas, was nicht an sich als nicht-zubezweifelnde Wissenschaft wahrnehmbar ist (ibid.: 409). Was die soziologischen Textbücher angeht, versuchen diese, wie die Analyse zeigt, die Soziologie als eine Wissenschaft zu positionieren. Dadurch, dass dies explizit gemacht wird, wird der Leserschaft aber eine Möglichkeit angeboten, dies zu bezweifeln. 19 Zur Wichtigkeit der Abgrenzung gegenüber dem Alltäglichen in den soziologischen Einführungsbüchern siehe Lynch/Bogen (1997: 486).
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genstandsbezogene Abgrenzung möglich ist. Das Besondere am Gegenstand der Soziologie erschließt sich nur Soziologen.20 Eine derartige Behauptung gewinnt im Falle der Soziologie besonders an Relevanz, da es in der Soziologie keinen Konsens bezüglich des eigenen Gegenstandes gibt. Die Soziologie wird als eine Kombination aus dem zu Erlernenden und dem zu Internalisierenden dargestellt. Die Soziologie als Wissenschaft könnte es nicht geben, wenn es keine Leute gäbe, die in der Lage sind, sich ständig von ihrem eigenen Alltag zu distanzieren.21 Die permanente Distanzierung vom Alltag – und zwar nicht nur von den Pathologien des Alltags oder von einem einzelnen (wenn auch größeren) Segment des Alltags, wie es in anderen Sozialwissenschaften der Fall ist, sondern vom Sozialen im Allgemeinen – macht die Soziologie aus. — In den Einführungsbüchern wird explizit auf die soziologischen Methoden hingewiesen, die parallel zu den zu internalisierenden soziologischen Fähigkeiten den Kern des Soziologenseins bilden. Das Wichtigste in der Beschreibung der soziologischen Methoden ist für die meisten Autoren ihre Wissenschaftlichkeit. Es wird auf die unterschiedlichen methodischen Verfahren in der Soziologie hingewiesen, jedoch spielen die methodischen Differenzen in der Soziologie für deren Darstellung in den Einführungsbüchern keine zentrale Rolle.22 Es geht lediglich darum zu zeigen, dass die Soziologie über solide wissenschaftliche Methoden verfügt, was für die Darstellung der Exklusivität der Soziologie als einer wissenschaftlichen Disziplin essentiell ist. Sicherlich definiert sie sich als Wissenschaft auch dadurch, dass sie mit einem Gegenstand, der ein Objekt der alltäglichen
20 Allerdings ist solch eine Konstruktion des Gegenstandes als etwas sich nur dem Angehörigen der jeweiligen Disziplin Erschließendes auch für die anderen wissenschaftlichen Disziplinen nicht unüblich. Zur Konstruktion des Gegenstandes der Physik in populärwissenschaftlichen Büchern siehe Mellor (2003: 531), zum Vergleich der Gegenstandskonstruktion bei den unterschiedlichen Naturwissenschaften in der populärwissenschaftlichen Literatur siehe Christidou/Dimopoulos/Koulaidis (2004). 21 Sicherlich könnte man argumentieren, dass es auch die Geschichtswissenschaft nicht ohne Historiker gäbe und die Physik nicht ohne Physiker. Hier ist aber gemeint, dass die Soziologie in den Lehrbüchern so präsentiert wird, als würde das Soziologensein fast zu einer Pathologie, ohne die man das Soziale nicht erforschen könne. Und das macht das Besondere an der Soziologie aus. 22 Lynch/Bogen (1997: 482) argumentieren sogar, dass in den soziologischen Textbüchern eine asoziologische Konzeption der soziologischen Methode herrscht; asoziologisch in dem Sinne, dass Soziologie als eine Wissenschaft mit „rigorous scientific methodology“ (ibid.: 491) konstruiert wird.
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Betrachtung und auch der Betrachtung anderer Disziplinen ist, auf eine besondere soziologische wissenschaftliche Weise umgeht. — In den Einführungsbüchern wird zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Soziologie sich weder auf die Mikro- noch auf die Makroebene beschränkt. — Außerdem wird die Vielfältigkeit der soziologischen Ansätze (auch zum Gegenstand der Soziologie) angesprochen.23 Autoren der Einführungsbücher vermeiden es, bei der Leserschaft den Eindruck zu erzeugen, Soziologie sei eine homogene Community,24 obwohl sie sich wiederum Mühe geben, dem Gegenstand der Soziologie eine generalisierbare (und dementsprechend diffuse) Beschreibung zu geben, die bei möglichst wenig Soziologen auf Ablehnung stoßen würde.
1.2.2 Innersoziologischer Diskurs über den Gegenstand der Soziologie Nach der im vorigen Abschnitt erfolgten Beschreibung der Gegenstandsdarstellung in soziologischen Einführungsbüchern möchte ich nun auf die Besonderheiten des innersoziologischen Gegenstandsdiskurses eingehen. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil dieser Diskurs von besonderer Relevanz für die disziplinäre Selbstbehauptung ist. Die Betrachtung des innersoziologischen Diskurses vervollständigt die Selbstbeschreibung der Disziplin in den Einführungsbüchern insofern, als im inneren soziologischen Diskurs die Diffusität der Wahrnehmung des eigenen Gegenstandes im Unterschied zu den Einführungsbüchern (in denen die entsprechenden Probleme zugunsten der Außendarstellung entschärft werden) deutlich zum Ausdruck kommen.
23 Siehe z.B. Price (1969: iii ff.), der meint, soziologische Textbücher seien darauf ausgerichtet, eine soziologische Perspektive zu liefern, und das sei angesichts der Vielfältigkeit der Soziologie schon eine recht anspruchsvolle Aufgabe. Den Textbüchern fehle es, so Price, an der Darstellung des Faktenwissens, das er in seinem Handbuch zu ergänzen versuche. Als Davis (1994) 15 Jahre nach dem Erscheinen des Price’schen Buches dieses analysiert hatte, meinte er, es hätte sich in den soziologischen Textbüchern kaum etwas verändert. 10 Jahre nach der Davis’schen Analyse kann man dasselbe behaupten. 24 Chambliss und Ryther (1975) haben einen expliziten Versuch unternommen, den Studierenden die Soziologie mit all ihren inneren Konflikten und Kontroversen zu präsentieren. Solch ein Versuch, auf die Konflikte hinzuweisen, ist jedoch als eine Ausnahme zu betrachten; die meisten Autoren tendieren dazu, eine harmonische Koexistenz der verschiedenen soziologischen Schulen und Methoden zu behaupten (Lynch/Bogen 1997: 486).
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Die Gegenstandsdebatten in der Soziologie sind immer noch aktuell; weder über den Gegenstandsbereich noch über die Grundbegriffe herrscht ein Konsens (vgl. Balog/Esser 1999). Im Fokus der Betrachtung dieser Problematik steht die Frage, wie bzw. ob es den Soziologen gelingt, angesichts ihres schwer zu definierenden Gegenstandsbereiches die Exklusivität der Disziplin (nach außen) zu behaupten. Zwar lassen sich in der Literatur Überlegungen vorfinden, die es ermöglichen, trotz der Schwierigkeit seiner Definition das Exklusive am soziologischen Gegenstand zu beschreiben. Es wird ein „Eigensinn“ der Soziologie (Funken 2000) postuliert und aus der Undefiniertheit des Gegenstandes heraus erklärt; diese wiederum wird begründet mit der z.B. Pluralität der Ansätze, die die Besonderheit dieser an die Moderne angebundenen Wissenschaft ausmache (vgl. Rehberg 2000: 45), der Unmöglichkeit, diese Disziplin zu dogmatisieren, weil sie als wissenschaftliche Disziplin ein Ausdruck der Vielfalt sei (Wagner 2000: 73), oder dem Hinweis auf die Soziologie als „Krisenwissenschaft“ (Giese 1989; Imbusch 1999; Luhmann 1997; Funken 2000). Die Frage ist dennoch, inwiefern es angesichts des so definierten Eigensinns der Soziologie möglich ist, die Exklusivität der soziologischen Dienstleistungen außerhalb des Wissenschaftsbereichs zu begründen, die Soziologie nach außen zu legitimieren oder wiederum einen Kern der soziologischen Ausbildung und eine Basis der Abgrenzung von der Umwelt herauszubilden. Die Undefiniertheit des Gegenstandes drückt sich also darin aus, wie die Soziologie sich von ihrer Umwelt abzugrenzen versucht, und auch in den Besonderheiten der Professionalisierung der Soziologie.25 Diesen Fragen wird im 2. Kapitel nachgegangen. Die Undefiniertheit des Gegenstandes führt dazu, dass die Soziologie anders als die Disziplinen, deren Gegenstand ihnen Außenlegitimität verleiht, versucht, sich von ihrer Umwelt abzugrenzen, ihre Wissenschaftlichkeit zu beweisen und ihre Autonomie zu verdeutlichen. Einer dieser Versuche wird unten in Kapitel 3 am Beispiel des soziologischen Sprachproblems dargestellt.
Betrachtung des innersoziologischen Gegenstandsdiskurses: Soziologischer Eigensinn Anhand der Analyse anderer (König 1949, Comte 1974, Beck 1982, Lumm 1985, usw. siehe die Analyse im nächsten Paragraph) Quellen 25 Der Grund hierfür ist, dass die Möglichkeit der Standardisierung der Soziologieausbildung angesichts des undefinierbaren Gegenstandes fragwürdig wird. Außerdem müssten dann die von der Soziologie zu erbringenden Leistungen, die Sicherung ihres Arbeitsfeldes, die Etablierung ihrer Autorität gegenüber den Nicht-Soziologen usw. anders begründet werden als bei den Disziplinen mit einem klar definierbaren Gegenstand.
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bin ich bezüglich der Selbstbeschreibung der Soziologie als Selbstreflexion der Gesellschaft in der Gesellschaft zu Ergebnissen gekommen, die mit denen von Christiane Funken (siehe auch den diesen Fragen gewidmeten Band „Soziologischer Eigensinn. Zur Disziplinierung der Sozialwissenschaften“, Funken 2000), durchaus vergleichbar sind. Durch die Analyse der Soziologiewahrnehmungen von Autoren wie Luhmann (1997), Habermas (1981, 1992), Alexander (1998) und Giddens (1984) kommt Funken (2000) zu dem Schluss, dass die Soziologie, obwohl ihr Gegenstandsbereich nicht greifbar ist und sie keine allgemeingültigen Methoden vorweisen kann, dennoch ihr eigenes Revier abzugrenzen vermag. Funken schreibt: „Hält man sich diese Beispiele der soziologischen Selbstbehauptung vor Augen, so wird zweierlei deutlich: Das Fach verteidigt hier mehr oder weniger geschickt, mehr oder weniger rabiat ein ihm – und nur ihm – zustehendes Revier. Es leistet dies aber nicht – jedenfalls nicht in erster Linie – durch die Explikation eines besonderen Forschungsgegenstandes, für den allein die Soziologie zuständig ist, und auch nicht primär durch den Ausweis einer exakt bestimmten Methode, deren Anwendung die Soziologie kennzeichnet und von allen anderen Disziplinen abhebt. Vielmehr präsentiert sich das Fach in den diskursiven Konkurrenzkämpfen, in denen seine Eigenart, seine Leistungsfähigkeit und seine Begrenztheit zur Debatte stehen, als ‚eine Disziplin der Metabeobachtung‘, als ‚ein Reflexionsfach‘.“ (Funken 2000: 20)
Funken wirft mit Hinweis auf Rehberg (2000) die Frage auf, ob die Selbstbehauptung der Soziologie als eines Reflexionsfaches als ein Versuch zu verstehen sei, mit der Tatsache zurechtzukommen, dass man den Gegenstand der Soziologie nicht definitiv abgrenzen26 und auch keine exklusiven und als hinreichend ergiebig erwiesenen Methoden vorweisen könne. Eine solche Selbstbeschreibung könnte als Ausdruck des „doppelten Defizits“ (Funken 2000: 21) des Faches interpretiert werden. Alternativ könne man, so Funken, die Positionierung der Soziologie als ein Reflexionsfach auch als Stärke des Faches ausweisen und damit dessen Unersetzlichkeit für die Weiterentwicklung der Gesellschaft postulieren. Ich stimme Funkens Analyse der Motivation derartiger soziologischer Selbstbeschreibungen zu, denn sie erklärt, wie die Soziologen es trotz des undefinierbaren Gegenstandes und trotz des fehlenden Methodenkonsenses und der damit verbundenen eigentümlichen Professionali-
26 Funken verweist z.B. auf Eßbach (1996), kritisiert jedoch, dass dieser die Situation als Besonderheit der Soziologie im Vergleich zu anderen Geisteswissenschaften, u.a. auch der Philosophie, nennt (Funken 2000: 21).
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sierungsvorgänge fertigbringen, eine gemeinsame Identität herauszubilden. Meine Analysen zeigen – so weit geht jedoch Funken nicht – dass nur die Soziologie durch ihre Selbstpositionierung als eine Reflexionstheorie der Gesellschaft, die Selbstbeobachtung der Gesellschaft in der Gesellschaft (Luhmann 1997) u.Ä. ein Mittel erhält, sich trotz aller vorhandenen Schwierigkeiten als eine wissenschaftliche Disziplin zu postulieren, die zwar kein exklusives Forschungsobjekt hat, jedoch als die einzig mögliche wissenschaftliche Selbstreflexion (Reflexionstheorie) der Gesellschaft exklusiv ist. Während eine solche Selbstbeschreibung eine ausreichende Basis für die Legitimation der Soziologie ist, die für die meisten Soziologen einleuchtend sein dürfte, reicht sie nicht unbedingt für eine Außenlegitimation der Soziologie aus. Denn die Notwendigkeit der gesellschaftlichen (Selbst-)Reflexion erschließt sich zwar unmittelbar den Soziologen, jedoch nicht unbedingt der Gesellschaft. Dafür müsste – in nicht-soziologischen Termini – die Frage beantwortet werden, wozu so eine Reflexion erforderlich ist. Das heißt: Die Frage der Abgrenzung zwischen der Soziologie und ihrer Umwelt und die Erschließung der soziologischen Arbeitsfelder lässt sich mit der Behauptung der soziologischen Exklusivität als einer Disziplin der Metabeobachtung nicht vollständig beantworten. Vielmehr würde sich daraus unmittelbar die Frage ergeben, wie eine Reflexionstheorie der Gesellschaft (im außerwissenschaftlichen Bereich) professionalisiert werden kann. Mit anderen Worten: Wie kann die Soziologie als Metabeobachtung die von ihr zu vollbringenden Leistungen so konzipieren, dass diese außerhalb des Wissenschaftsbetriebs verstanden und nachgefragt würden? Dieser Frage wird im 3. Abschnitt dieses Kapitels auf der Basis der Datenanalyse nachgegangen. Auch der im Vergleich zu den anderen Geistes- und Sozialwissenschaften besonders starke Wunsch der Soziologen, sich durch „untypische“ Merkmale (also nicht durch ihren Gegenstand oder die exklusiven Forschungsmethoden, sondern z.B. durch eine künstlich verkomplizierte Sprache)27 von ihrer Umwelt abzugrenzen, beruht darauf, dass sie, als Disziplin der Metareflexion, sich von den in allen gesellschaftlichen Sphären erfolgenden nicht-soziologischen (Sub-)Reflexionen abgrenzen muss.
27 Funken (2000: 23). Zur soziologischen Sprache s. ausführlich Kap. 3.
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Die wichtigsten Aspekte des innersoziologischen Gegenstandsdiskurses Obwohl die Analyse von Funken (2000) umfassend und tief greifend ist, lassen sich noch weitere, aus ihrer Analyse nicht hervorgehende, jedoch mit ihr durchaus kompatible Aspekte der Darstellung des soziologischen Gegenstandes im innersoziologischen Diskurs feststellen. Der Gegenstand der Soziologie wird im innersoziologischen Diskurs als ein sehr diffuser dargestellt; es wird demzufolge auf die unterschiedliche Mittel zugegriffen, um die Exklusivität und Wissenschaftlichkeit der Soziologie trotz der Diffusität ihres Gegenstandes zu behaupten. Darüber hinaus muss darauf hingewiesen werden, dass die eingeführten Exklusivitätsmerkmale zwar möglicherweise für den innersoziologischen Diskurs ausreichend sind, für die Sicherung der Außenlegitimität dieses Faches aber kaum ausreichend sein können. Der in der Soziologie geführte Diskurs bezüglich des soziologischen Gegenstandes wird seit Comte (1974) konsequent fortgeführt. Die Wahrnehmung des eigenen Gegenstandes hat seit der Gründung der Disziplin zahlreiche Wendepunkte erlebt (vgl. König 1949).28 Schon im Jahre 1949 meinte König, man könne den Gegenstand der Soziologie nicht so definieren, wie es in den anderen Wissenschaften gang und gäbe sei. Die Soziologie beschäftige sich mit der Gegenwart: „Ausgeschaltet werden muss [zusammen mit der Anwendung der naturwissenschaftlichen Methoden in der Soziologie - T.Z.] aber auch die Frage nach der genauen Umschreibung des Gegenstandes der Soziologie im Sinne einer konstant bleibenden Lebensdimension, da es einen Gegenstand in diesem Sinne gar nicht gibt, so wahr jede Gegenwart ihre virtuelle Fortführung in der Zukunft hat, die immer Neues und absolut Unvoraussehbares mit sich bringt. In paradoxer Wendung könnte man sagen: Die einzige Bestimmung, die man unter dieser Voraussetzung vom ‚Gegenstand‘ der Soziologie geben kann, ist der Charakter einer wesenhaften Unbestimmtheit, die immer nur wenige Momente zu erhellen ist, während diese Entwicklungsstöße sofort neue Dunkelheiten schaffen.“ (König 1949: 12)
Der Begriff der Gegenwart als Gegenstand der Soziologie löst die verschiedensten Probleme der soziologischen Selbstdefinition. Bei einer 28 Eine zusammenfassende Darstellung des innersoziologischen Diskurses über den soziologischen Gegenstand gibt z.B. Grieswelle (1974), der beschreibt, wie sich die Wahrnehmung des soziologischen Gegenstandes vom Standpunkt des sozialen Handelns (also von Weber) her weiter (bis in den Interaktionismus und darüber hinaus) entwickelte. Zur Geschichte der Disziplin im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Gegenstandsauffassungen siehe auch Heckmann/Kröll (1984) und Lepenies (1981).
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derartigen Wahrnehmung des soziologischen Gegenstandes lässt sich explizit behaupten, dieser könne nicht definiert werden, da er sich ständig wandle. Das Besondere an der Soziologie als einer wissenschaftlichen Disziplin liegt also laut König ohne Zweifel in ihrem Gegenstand. Interessant ist jedoch, dass es nicht der Gegenstand selbst ist, der die Exklusivität der Soziologie ausmacht, sondern seine wesenhafte Unbestimmtheit. Dadurch wird aber nicht die Frage beantwortet, ob man sich mit solch einer Auffassung vom eigenen Gegenstand nach außen erfolgreich präsentieren kann. Die Frage, ob eine Präsentation nach außen in der Soziologie notwendig ist, spielt zwar im Rahmen dieser Studie nur eine untergeordnete Rolle. Dieses Thema, zu dem es einen etablierten innersoziologischen Diskurs gibt,29 ist als solches für mich nicht von zentraler Bedeutung. Da aber die Frage der Außendarstellung sehr eng an die Professionalisierung der Soziologie geknüpft ist (die gegenstandsbezogene Definition der disziplinären Grenzen und dementsprechend das Postulieren der Exklusivität eigener Zuständigkeitsbereiche ist essentiell für die Professionalisierung einer Disziplin)30 und schließlich auch zur Entstehung des soziologischen Sprachproblems31 beiträgt, muss hier darüber reflektiert werden, welche Möglichkeiten der Außendarstellung die soziologischen Auffassungen des eigenen Gegenstandes zulassen. Die Analysen der soziologischen Definitionen des eigenen Gegenstandes weisen darauf hin, dass dieser nicht in nicht-soziologischen Termini so beschrieben werden kann, dass er sich Laien oder Soziologienovizen erschließen würde (z.B. Heckmann/Kröll 1984). Das erklärt u.a. auch die Besonderheiten der Gegenstandsbeschreibung in den soziologischen Einführungsbüchern, da die Leserschaft dieser Bücher einerseits Laien, andererseits aber angehende Soziologen sind. Daher wird der Gegenstand zwar benannt, dabei aber auf eine besondere, Internalisierungsleistung hingewiesen, die für das Begreifen dieses Gegenstandes notwendig sei. Der Unterschied zwischen der Behandlung der Gegenstandsfrage in den Einführungsbüchern und der im innersoziologischen Diskurs besteht 29 Derschka/Stöber (1978a), Shore/Scott (1979), Beck (1982), Lumm (1985); siehe auch Imbusch (1999) u.a. Zur PUS-Problematik siehe Yearley (1994), Petkova/Boyadjieva (1994). Die American Sociological Association verleiht jährlich einen Preis für „public understanding of sociology“; siehe unter http://www.asanet.org/page.ww?section =Committees&name= Public+Understanding+of+Sociology+Award vom 28.10.2006. 30 Siehe z.B. Merton (1979), Abbot (1988). Die Frage der Exklusivität des soziologischen Wissens im Kontext der Professionalisierung wird im nächsten Kapitel ausführlich behandelt. 31 Siehe das Kap. 3.
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demzufolge darin, dass im ersten eine Benennung des Gegenstandes erfolgen muss, weil man nur so die Identität der Disziplin den Novizen gegenüber begründen kann, im innersoziologischen Diskurs hingegen explizit darauf hingewiesen wird, dass der soziologische Gegenstand undefinierbar ist. Durch den Hinweis auf diese Undefinierbarkeit konstruiert sich die Disziplin. Die Unmöglichkeit, den Gegenstand der Soziologie zu definieren, kann auch anders dargestellt werden, nämlich dadurch, dass jeder solche Versuch eine unzulässige Reduktion des eigentlichen Gegenstandsbereichs bedeuten würde. Gouldner schreibt z.B.: „Die heutige Erklärung [dessen, wer und was ein Soziologe ist - T. Z.] besagt, daß der Soziologe jemand ist, der Gruppenverhalten erforscht, das Verhältnis Mensch und Gesellschaft studiert und menschliche Beziehungen untersucht. Diese Definition erscheint kaum ausreichend. Es verhält sich damit etwa genauso wie mit der Aussage eines Polizisten, der zur Charakterisierung seiner Tätigkeit sagen würde, er verfolge Verbrecher [...] oder der eines Pfarrers, der sagen würde, er lese Messen [...]. Keine dieser Aussagen ist in sich falsch; sie verraten aber alle eine zu enge Sicht der eigenen Tätigkeit.“ (Gouldner 1974: 35)
Gouldner meint weiter, man könne den Gegenstand der Soziologie nicht mit einer technizistischen Präzision definieren, weil die wichtigsten Inhalte dabei verloren gingen, sondern man müsse durch die soziologische Selbstreflexion dazu kommen, was die Soziologie sei. Demzufolge kann in der Soziologie nicht nach einer Definition des Gegenstandes verlangt werden. Die Undefinierbarkeit des Gegenstandes führt in der Soziologie zwingend zur Entwicklung besonderer Methoden der Abgrenzung von der Umwelt, da es normalerweise der Gegenstand der jeweiligen Disziplin ist, der die Basis solcher Abgrenzung bildet. Außerdem führt die Undefiniertheit des Gegenstandes zur Suche nach einer besonderen Identitätsbasis der Disziplin. Eine solche Identitätsbasis muss etwas anderes sein als das Vorhandensein eines definierten exklusiven gemeinsamen Gegenstandes. Wie ließe sich aber die Exklusivität des (undefinierbaren) soziologischen Gegenstandes behaupten? In der Einleitung zum Band „Klassiker des soziologischen Denkens“ (1976) und auch in einer viel späteren Einleitung zur Ausgabe der „Klassiker der Soziologie“ (1999) versucht Käsler diese Frage durch den Rückgriff auf die Geschichte der Disziplin zu beantworten. Käsler argumentiert, man könne anhand der Geschichte der Disziplin ihr Untersuchungsobjekt erschließen. Die Komplexität und die Sensibilität ihres Objektbereiches könnten dazu führen, dass die Soziologie ins Alltägli44
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che stürze (Käsler 1976: 11). Das sei allerdings dadurch zu vermeiden, dass man die wissenschaftliche Identität der Soziologen durch die Etablierung einer historischen Kontinuität der Disziplin fördere. Diese historische Kontinuität könne nämlich der hinsichtlich der Wahrnehmung des eigenen Gegenstandes gespaltenen Soziologie eine gemeinsame (Identitäts-)Basis verschaffen und eine „Richtschnur und Richtlatte“ für den Weiterbau des gegenwärtigen und des zukünftigen Hauses der Soziologie bereitstellen (vgl. Käsler 1999: 13). Eine solche Identitätsbasis sei essentiell angesichts der Gefahr, dass die Soziologie mit der Zeit „ihre Identität als Disziplin verlieren und sich in der Mannigfaltigkeit ihrer ‚Ansätze‘ auflösen könnte“ (ibid.).32 Käsler ist der Meinung, die Soziologie habe keine allgemeine Basis – weder in Bezug auf den Gegenstand (diese werde mit der Entwicklung verschiedener Bindestrichsoziologien immer diffuser)33 noch in Bezug auf die Methoden. Käsler ist der Auffassung, das Besondere am soziologischen Gegenstand bestünde in seiner Nähe zum Alltäglichen. Angesichts der Undefinierbarkeit des soziologischen Gegenstandes müsse, so Käsler, die Abgrenzung zum Alltäglichen durch die Etablierung einer historisch bezogenen wissenschaftlichen Identität der Disziplin geschaffen werden. Die Undefiniertheit des Gegenstandes kommt u.a. durch den Hinweis auf dessen Komplexität und Sensibilität zum Ausdruck. Die Sensibilität des soziologischen Untersuchungsobjektes ergibt sich aus dessen Nähe zu den Objekten, die in den „allgemeinen Konzepten der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ (so wird der Alltagsverstand bei Käsler (1999: 22) definiert) betrachtet werden. Die Schwierigkeit der wissenschaftlichen Beschäftigung mit einem Objekt, das auch vom Alltagsverstand (und das heißt: auch von Soziologen in ihren alltäglichen Aktivitäten) beobachtet bzw. betrachtet wird, besteht in der Gefahr des „Rückfalls“ ins Alltägliche (1976). Käslers Darstellung lässt sich also so interpretieren, dass selbst für die Mitglieder der Disziplin durch den historischen Bezug künstlich eine Grenze zum Alltäglichen konstruiert werden muss, als ob diese ständig daran erinnert werden müssten, wie sie sich mit diesem Gegenstand beschäftigen. Das würde aber bedeuten, dass die Exklusivität der Soziologie nicht einmal für Soziologen selbst ausschließlich auf der Basis ihres Gegenstandes behauptet werden kann. 32 Für eine interessante Darstellung der soziologischen Gespaltenheit und Überlegungen zu ihrer Überwindung im Bereich der Ungleichheitstheorien siehe Thomas Schwinn (2004). 33 Imbusch (1999: 672) geht z.B. so weit, von der „Ausdifferenzierung des soziologischen Wissenschaftssystems“ (und zwar in Form einer normalen Entwicklung der Soziologie) zu sprechen.
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Nach Käslers Konzeption ist die Abgrenzung des sozialwissenschaftlichen Wissens von den allgemeinen Konzepten der gesellschaftlichen Wirklichkeit gerade deshalb wichtig – und auch schwierig –, weil die Soziologie einerseits Konzepte über die Phänomene entwickelt, über die auch nicht-soziologische Konzepte gebildet werden. Der Alltagsverstand, d.h. die Laien entwickeln ihre eigenen Konzepte und können dementsprechend nicht unbedingt die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen Phänomenen einsehen. Der soziologische Gegenstand verleiht der Disziplin also in keiner Weise Außenlegitimität. Andererseits ist die Abgrenzung des sozialwissenschaftlichen Wissens von den allgemeinen Konzepten der gesellschaftlichen Wirklichkeit wichtig, weil nach Käsler in der Behauptung der voneinander unabhängigen Konstruktion solcher Konzepte in gewisser Weise anwendungsbezogene Implikationen der soziologischen Aktivitäten liegen. Denn er sieht in dieser beidseitigen Beschäftigung mit Konzepten der gesellschaftlichen Wirklichkeit die Möglichkeit (und Notwendigkeit), die gemeinsame Konstruktion der sozialen Wirklichkeit voranzutreiben. Er postuliert Soziologie als die Wissenschaft von der Gesellschaft (ibid.: 23), aber auch als die wissenschaftliche Mitgestaltung der Wirklichkeit. Der soziologische Gegenstand bildet komplexe Beziehungen zum Alltagsverstand heraus, denn einerseits muss er von diesem abgegrenzt werden, was aufgrund der Nähe des Gegenstandes zum Alltäglichen und der Tatsache, dass Soziologen auch Menschen sind, nicht unproblematisch ist.34 Andererseits muss aber die Soziologie mit den alltäglichen Konzepten der gesellschaftlichen Wirklichkeit arbeiten und diese untersuchen und zusammen mit dem Alltagsverstand an der Konstruktion dieser Wirklichkeit mitwirken. So wird die besondere Dienstleistung der Soziologie gegenstandsbezogen behauptet und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass nicht nur der Gegenstand, sondern dementsprechend auch die soziologische Dienstleistung eine sehr globale sei, was wiederum die Frage der Außenlegitimität bzw. der Nachfrage nach der soziologischen Dienstleistung aufwirft. Soziologie wird schließlich von Käsler als „kollektive Einrichtung zur wissenschaftlichen Selbstbeschreibung der Gesellschaften“ (1999: 24) bezeichnet; der Gegenstand der Soziologie ist somit die Gesellschaft oder die gesellschaftliche Wirklichkeit. Die im innersoziologischen Diskurs erfolgende Beschreibung der Soziologie als Selbstbeschreibung der Gesellschaft macht die Disziplin
34 Siehe dazu die oben eingeführte Distanz zum Alltäglichen als Grundvoraussetzung des Soziologenseins, u.a. Rehberg (2000: 47).
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einerseits zu einem notwendigen funktionalen System der Gesellschaft.35 Andererseits entlastet eine solche Wahrnehmung sie von dem Zwang, den eigenen Gegenstand genauer zu definieren, weil dieser so gesehen exklusiv ist, da es nur eine wissenschaftliche Selbstbeschreibung der Gesellschaft in diesem Umfang geben kann. Offenbar ist die Konzeption der Soziologie als Selbstbeschreibung der Gesellschaft für Käsler unumgänglich, weil er nur so die Exklusivität der Soziologie postulieren kann; damit bleibt ihm die Definition des Gegenstandes in gewisser Weise erspart.36 Der historische Bezug der Disziplin könnte in diese Konzeptualisierung (als Selbstbeschreibung der Gesellschaft) dadurch eingebettet werden, dass die Soziologie als ein die Entwicklung der modernen Gesellschaft begleitender Prozess beschrieben wird. In den Beschreibungen der Gegenstandsproblematik durch unterschiedliche Autoren lassen sich bestimmte Gemeinsamkeiten herausstellen. Dazu gehört, dass der Gegenstand der Soziologie schwer zu definieren ist und dass die Definition des Gegenstandes für die Herausbildung einer disziplinären Identität und für die Abgrenzung der Disziplin von ihrer Umwelt essentiell ist. Bei der Definition des Gegenstandes müssen die Integrationsleistung (die Herausbildung der disziplinären Identität) und die Abgrenzungsleistung simultan erfolgen. Das Problem dabei ist jedoch, dass eine Gegenstandsdefinition, die beides simultan leisten würde, in der Soziologie unmöglich ist. Denn der Gegenstand der Soziologie kann nicht so definiert werden, dass er für Laien begreiflich wäre, ihnen die Exklusivität der Soziologie als einer wissenschaftlichen Disziplin verdeutlichen könnte und gleichzeitig den soziologischen Wahrnehmungen des eigenen Gegenstandes gerecht würde. Wenn man den soziologischen Gegenstand für Laien beschreibt, muss man (u.a. aufgrund der soziologischen Diffusität und der breiten Palette der Bindestrich-Soziologien, die sich mit unterschiedlichsten Phänomenen beschäftigen) auf ganz allgemeine Begriffe zugreifen und den Gegenstand als „Gesellschaft“ oder „Verhalten der Menschen in Gruppen“ definieren. Das allein vermag allerdings der Soziologie keine Exklusivität zu verleihen, da auch andere Disziplinen und der Alltagsverstand sich mit diesen Phänomenen auseinander35 Zur Soziologie als (Selbst-)Beobachtung zweiter Ordnung siehe Luhmann (1997). 36 Die Frage, die sich bei einer solchen Wahrnehmung der Soziologie dennoch stellen könnte, ist, ob die Auffassung der Soziologie als Selbstbeschreibung der Gesellschaft sie als wissenschaftliche Disziplin auszuweisen vermag. Denn dazu müsste man auf (einheitliche) wissenschaftliche Methoden solcher Selbstbeschreibung hinweisen können, was nach Käsler schwierig sein dürfte (siehe dazu auch Grieswelle 1974: 89 f. und Diekmann 2000).
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setzen. Man bräuchte also etwas, das die soziologische Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen von anderen Auseinandersetzungen damit abgrenzt. Das könnte der Hinweis auf besondere soziologische Methoden für die Beschäftigung mit dem Gegenstand sein. Dies ist aber nicht möglich, da es in der Soziologie keine gemeinsame methodische Basis gibt. Es müsste demzufolge auf andere Mittel zugegriffen werden, um die Soziologie in der Konkurrenz zu den anderen Sozialwissenschaften und dem Alltagsverstand37 trotz ihres nicht exklusiven Gegenstandes als eine exklusive wissenschaftliche Disziplin zu positionieren. Was die Definition des soziologischen Gegenstandes für die Herausbildung der disziplinären Identität angeht, reicht die Bezeichnung des Gegenstandes als „Gesellschaft“ für diese Zwecke offensichtlich nicht aus. Die Definition der Soziologie als Wissenschaft von der Gesellschaft muss durch einen reflexiven Bezug erweitert werden, um die Notwendigkeit, die Exklusivität, aber auch die Unersetzlichkeit der Soziologie für die Soziologen selbst zu behaupten. Zwar wird der Gegenstand der Soziologie nicht definiert, wenn man die Soziologie als (Selbst-)Beobachtung zweiter Ordnung (Luhmann 1997), als kollektive Einrichtung zur wissenschaftlichen Selbstbeschreibung der Gesellschaften (Käsler 1999), als Selbstbeschreibung der Moderne u.Ä. auffasst. Aber darin kommen die Unersetzlichkeit und auch die Aufgaben der Soziologie zum Ausdruck. Damit wird eine Basis für die disziplinäre Identität geschaffen, eine gemeinsame Erkenntnisperspektive ersetzt ein genuines Forschungsobjekt der Disziplin (Fleck 2000: 64). Die Exklusivität der Soziologie wird ohne Bezug auf die besonderen soziologischen Methoden behauptet. Die Diffusität des Gegenstandes wird nicht als ein Mangel, sondern als ein genuines Merkmal der Disziplin umgedeutet (Rehberg 2000: 45; Wagner 2000: 73). Die Soziologie hat also ein Selbstkonzept entwickelt, das allerdings nicht auf einem klar definierbaren Gegenstand basiert. Die Soziologie als wissenschaftliche Disziplin hat angesichts ihres undefinierbaren Gegenstandes in der Herausbildung einer disziplinären Identität bzw. einer gegenstandsbezogenen Identitätsbasis mehr Erfolg, wenn sie sich dem Zwang der Formulierung einer greifbaren Gegenstandsdefinition ge-
37 Die Abgrenzung zum Alltagsverstand ist auch in allen anderen Sozialwissenschaften von großer Bedeutung, siehe z.B. Smyth (2001: 391). Sie ist aber in den Sozialwissenschaften, die eine höhere Professionalisierungsstufe erreicht haben, einfacher als in der Soziologie.
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schickt entzieht, als mit einer gegenstandsbezogenen Abgrenzung von ihrer Umwelt38 oder der Schaffung einer Außenlegitimität. Aus dem Vergleich der Gegenstandsbeschreibungen in den soziologischen Einführungsbüchern mit denen im innersoziologischen Diskurs gehen zwei Muster der Gegenstandsbeschreibung hervor. Das eine Muster kombiniert die auf Laien der Soziologie zugeschnittene vereinfachte Darstellung des Gegenstandes mit einer Hervorhebung der zu internalisierenden soziologischen Fähigkeiten zur Distanzierung vom Alltag und d.h. vom eigenen alltäglichen Dasein. Das zweite, sich im innersoziologischen Diskurs herausbildende Muster besteht in der reflexiven Anbindung der Soziologie an die Gesellschaft als eins ihrer unersetzlichen Funktionssysteme nämlich als eine kollektive Einrichtung zur wissenschaftlichen Selbstbeschreibung der Gesellschaft. Das ermöglicht es, die Exklusivität und Notwendigkeit der Soziologie Unter Umgehung einer Definition ihres Gegenstandes zu postulieren – zumindest für die Soziologen selbst (siehe auch Esser, im Epigraph zu diesem Kapitel); es kann jedoch keine Außenlegitimation der Disziplin leisten. Die Versuche, die Außenlegitimität der Soziologie zu behaupten, die von ihr zu vollbringenden Leistungen und auch ihre Exklusivität zum Ausdruck zu bringen, erfolgen dadurch, dass die Undefiniertheit des Gegenstandes zur Stärke des Faches gemacht wird: Damit wird die Soziologie zu der einzigen Disziplin, die in der Lage ist, die Gesellschaft in ihrer ganzen Komplexität zu begreifen. Diese Stärke versetzt die Soziologie in die Lage, für die anderen wissenschaftlichen Disziplinen (die sich von dem Sozialen nicht distanzieren können) exklusive Leistungen zu erbringen (ausführlicher zu diesen Fragen im nächsten Abschnitt und in Kap. 2). Die Frage der Identitätsbildung und damit auch der Gegenstandsbeschreibung ist eine subtile Angelegenheit. Um der Selbsterhaltung willen wird jede Disziplin versuchen, die in diesen Bereichen entstehenden Konflikte nicht in vollem Umfang nach Außen zu tragen. Darum muss an dieser Stelle eine kurze Darstellung dessen vorgenommen werden, welche Muster des Umganges mit dem soziologischen Gegenstand in den Interviews vorhanden sind. Diese sollen mit den Mustern verglichen werden, die aus den Analysen der Einführungsbücher und des innersoziologischen Diskurses über den Soziologiegegenstand gewonnen wurden.
38 Das ist jedoch durch die Hervorhebung der zu internalisierenden genuin soziologischen Fähigkeit der Distanzierung vom Gegenstand möglich.
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1.3
Soziologie ist… Darstellung des soziologischen Gegenstandes in den Interviewdaten
In den Interviews wurde der Gegenstand der Soziologie als solcher (normalerweise) nicht durch die Interviewerin thematisiert. Die Interviews basieren auf einer implizierten gemeinsamen Identitätsbasis von Interviewten und Interviewerin.
1.3.1 Soziologie als Außenbeobachtung des Alltags im Alltag Zu Beginn der Analysen soll eine Sequenz aus dem Interview mit [Int01] vorgestellt werden. In dieser Interviewsequenz wird der Gegenstand der Soziologie mit dem Alltagsbegriff eng verknüpft. Durch diesen Alltagsbezug wird einerseits die Abgrenzung der Soziologie von den anderen wissenschaftlichen Disziplinen und die Leistung, die die Soziologie diesen Disziplinen anbieten kann, konstruiert, andererseits auf die Schwierigkeiten einer soziologischen Vorgehensweise hingewiesen.39 ich arbeite (.) und ich habe immer Einblick in (.) wie man es nennt (.) den Alltag (.) und ein kluger Soziologe hat mal vor einiger Zeit in einer Zeitschrift gesagt (.) der Alltag war lange Zeit nicht würdig genug (.) von der Wissenschaft wahrgenommen zu werden (.) ich hab den Namen des Soziologen vergessen (.) und er hat mir aus der Seele gesprochen (.) wir müssen auf den Alltag gucken (.) wir schauen immer wenn wir uns [z.B.] im Recht orientieren (.) nach irgendwelchen Werten (.) die am Himmel sind (.) oder so (...) idealen Dingen (...) hier unten sind die Werte (.) und das (ist uns) nur sehr schwierig da in Alltag hineinzukommen (.) weil man ihn schwer systematisieren kann (.) es passiert vieles zwischenmenschlich (.) das können Sie kaum in eine wissenschaftliche Kategorie fassen (.) das ist so (.) das ist spontan, das ist aber nicht unüberlegt (.) da steckt Vernunft drin (.) und dies alles macht ein anderer Philosoph (.) den ich schätze (.) Bernhard Waldenfels in Bochum (.) der hat sich diesen Netzen der Lebenswelt zugewandt (.) um die Lebenswelt zu erschließen (.) und da können Soziologen so viel geben allen anderen Wissenschaften (.) der Medizin (.) dem Recht (.) der Wirtschaft [...] [Int01]
Mit „Alltag“ wird in dieser Sequenz nicht explizit der soziologische Gegenstand benannt, sondern die Auseinandersetzung mit dem „Alltag“ wird als eine der Leistungen angeführt, die [Int01] in seiner soziologi39 Zur Erklärung der in den Transkriptionen verwendeten Zeichen siehe Anhang 2. „I“ verweist auf Äußerungen des Informanten, „Z“ auf Äußerungen der Interviewerin (Wiedergabe kursiv).
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schen Arbeit vollbringt. Er hat „immer Einblick in den Alltag“. Diese Formulierung impliziert einerseits eine beobachterische Perspektive, konstruiert die soziologische Leistung also als eine Außenbeobachtung des Alltags. Andererseits wird aber diese Leistung als eine freie Entscheidung des Soziologen, eine Tätigkeit, die parallel zu der anderen soziologischen Arbeit erfolgt. Der Terminus „Alltag“ wird umgehend durch den Hinweis relativiert, dass das Wort „Alltag“ selbst ein alltägliches Wort ist bzw. nicht eindeutig auf ein etabliertes wissenschaftliches Konzept verweist („wie man es nennt“), auch wenn [Int01] es nicht als weiter definitionsbedürftig behandelt. Es wird also angedeutet, dass der Alltag, den die Soziologen beobachten, keinen klar definierten und abgrenzbaren Gegenstand darstellt, sondern eher komplex und diffus ist. „Alltag“ kann, insbesondere in der alltäglichen Bedeutung dieses Wortes, alles bedeuten. Die Problematik der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Alltag kommt also nicht erst in der vom Informanten zitierten Aussage zum Ausdruck, sondern schon am Anfang dieser Interviewsequenz, durch den Hinweis auf die Undefiniertheit des Begriffes. Durch die zitierte Aussage („der Alltag war lange Zeit nicht würdig genug (.) von der Wissenschaft wahrgenommen zu werden“) wird also ein Gegenstand der Soziologie benannt und dann durch drei Merkmale umrissen: Alltag ist diffus, Alltag ist es wert, wissenschaftlich erforscht zu werden, und Alltag ist als Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung ein Novum. Damit ist einerseits eine gegenstandsbezogene Abgrenzung der Soziologie von den anderen wissenschaftlichen Disziplinen geleistet; diese wird vor allem durch das Ansprechen der Leistungen, die die Soziologie zugunsten der anderen Disziplinen vollbringen kann, sichtbar. Andererseits wird hier aber auch Abgrenzungsbedarf impliziert, denn obwohl sich die Wissenschaft mit diesem Gegenstand früher nicht beschäftigt hat, wird es möglicherweise andere Institutionen gegeben haben, die dies in irgendeiner Form getan haben. Eine (möglicherweise die wichtigste) solche Institution ist der Alltagsverstand, der en Alltag zu einem gewissen Grad versteht und Konzepte darüber entwickelt. Der Abgrenzungsbedarf gegenüber dem Alltagsverstand wird allerdings nicht weiter expliziert. Er kommt dadurch zum Ausdruck, dass im weiteren Verlauf der Sequenz zwischen dem Alltag und der Wissenschaft unterschieden wird, die Schwierigkeit des wissenschaftlichen Eingehens auf den Alltag angesprochen und dem Alltag eine besondere Form von Vernunft, eine besondere Logik also, zugeschrieben wird. Die angesprochene Schwierigkeit, „in Alltag hineinzukommen“, kann nur durch den Abgrenzungsbedarf gegenüber dem Alltag gedeutet werden, weil dieses Hineinkommen mehr impliziert, als dass der Alltag 51
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wissenschaftlich schwer zu systematisieren ist. Die Soziologen als Menschen befinden sich schon im Alltag; die Schwierigkeit liegt darin, das, was man aus dem eigenen Alltag kennt, wissenschaftlich zu behandeln. Dafür muss man im Alltag anders sein als ein normaler Alltagsmensch: Man muss ein Beobachter sein, in den Alltag hineinkommen, und das bedeutet: sich zuerst vom Alltag distanziert haben. Die Distanzierung ist erforderlich, um den durchaus vernünftigen, aber auch bekannten Vollzug der alltäglichen Geschehnisse als einen möglichen Forschungsgegenstand wahrnehmen zu können. Ein Soziologe muss also aus der Diffusität der alltäglichen Geschehnisse, die sich aus unterschiedlichen alltäglichen Kommunikationen ergibt, ein systematisches Bild entwickeln bzw. die Systematik, die Eigenlogik der alltäglichen Geschehnisse aus der Distanz heraus verstehen und in wissenschaftliche Begriffe fassen. Die Aufgabe der Soziologie besteht mit anderen Worten darin, sich als Außenbeobachter mit dem Alltag wissenschaftlich zu beschäftigen. Das unterstellt wiederum, dass die Soziologie die Eigenlogik der Alltagsgeschehnisse, die sich den Alltagsmenschen nicht in ihrer ganzen Systematik erschließt, aus den diffusen Ereignissen rekonstruieren muss. Die Schwierigkeit der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Alltag besteht einerseits in der Diffusität des Forschungsgegenstandes, in dessen Spontaneität und Nicht-Systematisierbarkeit, andererseits in der Notwendigkeit der Distanzierung vom Gegenstand. Als Ziel der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Alltag könnte z.B. das Überprüfen der Fundiertheit wissenschaftlicher, rechtlicher usw. Konzepte über die Realität genannt werden. Dies wird am Beispiel der Rechtswissenschaft deutlich, in der man ohne soziologische Erkenntnisse Gefahr läuft, mit idealen, abstrakten Werten zu operieren, die im Alltag nicht eingesetzt werden können und die die im Alltag selbst funktionierenden Werte ignorieren. Es wird also ein Gegensatz zwischen dem Alltagswissen und dem wissenschaftlichen Wissen aufgebaut. Die Soziologie wird als eine wissenschaftliche Disziplin positioniert, die es vermag, diese beiden Wissensformen gleichzeitig als relevant zu betrachten (nicht das Alltagswissen als eine Form des Wissens anzusehen, der jegliche Vernünftigkeit und jeder Eigenwert abgesprochen wird, und dem wissenschaftlichen Wissen absoluten Vorrang und ausschließliche Legitimität zuzuschreiben) und eine Brücke zwischen den beiden Wissensformen zu schlagen, was die anderen Wissenschaften nicht können. Soziologie wird aufgrund ihres besonderen Gegenstandes zu einer Art Tandem-Wissenschaft40 aufgebaut – vor allem was die Außenlegitimation und die Leistungen der Soziologie für die anderen Disziplinen be40 Ich danke Wolfgang Krohn für diesen Terminus.
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trifft. Eine solche Konzeption einer „Tandem-Wissenschaft“ oder „Tandem-Disziplin“ lässt sich auch in vielen anderen Interviewsequenzen vor allem im thematischen Kontext der Professionalisierung der Soziologie vorfinden. „Tandem“ meint, dass die externe Legitimität der Soziologie und die von ihr zu erbringenden Leistungen eine zwangsläufige Anbindung an die anderen Disziplinen unterstellt. Die Leistung der Soziologie besteht in der Distanzierung und Reflexion, und durch diese Distanzierung und Reflexion können die anderen Disziplinen – und Professionen – ihre eigenen Leistungen optimieren und den sich ständig verändernden gesellschaftlichen Anforderungen anpassen. Die Aufgabe der Soziologie besteht demzufolge darin, die Lebenswelt den Repräsentanten der anderen Disziplinen zu erschließen, also eine Brücke zu bauen. Der Verweis auf die von der Soziologie zu erbringenden Leistungen erfolgt u.a., um die am Anfang der Sequenz implizierte Frage zu beantworten, ob eine Wissenschaft, deren Untersuchungsgegenstand von den anderen wissenschaftlichen Disziplinen „lange Zeit“ für „nicht würdig genug“ befunden wurde, von diesen anderen wissenschaftlichen Disziplinen anerkannt wird. Die Soziologie wird also in dieser Interviewsequenz als eine Disziplin positioniert, die sich mit dem Alltag beschäftigt, der trotz seiner Relevanz von den anderen Disziplinen nicht wissenschaftlich betrachtet werden kann. Der Soziologe wird demzufolge zu einem Außenbeobachter der Gesellschaft in der Gesellschaft gemacht, der sich vom Alltag im Alltag distanzieren muss. Soziologie wird in ihrer Außendarstellung zu einer Tandem- bzw. Brückendisziplin, die (abgesehen vom Eigenwert ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse, der allerdings nicht expliziert wird) dazu dient, den anderen wissenschaftlichen Disziplinen den Alltag und die Lebenswelt zu erschließen. Die Exklusivität der Disziplin wird über ihren Gegenstand – den Alltag – postuliert, der allerdings nicht expliziert wird und der Disziplin nicht unbedingt Autonomie verleiht, sondern sie fest an die anderen Disziplinen bindet. Damit wird allerdings ein Versuch unternommen, die Außenlegitimität der Disziplin zu etablieren.
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1.3.2 Soziologie als wissenschaftlicher Ausdruck der Moderne In der folgenden Interviewsequenz kommt der u.a. in der Literatur beschriebene Bezug der Soziologie zur Moderne zum Ausdruck. Durch diesen Bezug erfolgt eine Präzisierung des soziologischen Gegenstandes: die Soziologie ist entstanden mit der Moderne = die Soziologie ist quasi das: (.) der wissenschaftliche Ausdruck (.) der Moderne (.) und (.) sie hat (.) eigentlich von/ (.) von Anfang an (.) sich genau mit dieser Frage beschäftigt ähm was ist das Moderne an der modernen Gesellschaft (.) wo kommt es her = deswegen haben wir auch immer sozusagen einen historischen Aspekt in der Soziologie drin (.) und ( ) (.) wie geht Gesellschaft (.) in dieser Situation in der sie sich heute befindet mit sich selbst um (.) und dass das heutzutage Weltgesellschaft ist dass das globale Dimensionen hat das haben glaube ich die meisten (.) Theorien inzwischen (.) auch gesehen und das ist (.) Bestandteil (.) der/ der/ ähm (.) auch der sozio(.)logischen Selbstbeschreibungen (.) und von daher ähm (.) sehe ich nicht wie man einen anderen Anspruch haben (.) könnte in der Soziologie = ob man ihn dann einlöst (.) das sagte ich schon (.) wenn man gut ist ja = also wenn die Soziologie gut ist tut sie das ähm (.) dort wo sie: (.) wo sie eher Kramladenwissenschaft ist ähm (.) verfehlt sie diesen Anspruch [Int10]
[Int10] präzisiert den historischen Bezug des soziologischen Gegenstandes dadurch, dass er die Entstehung der Soziologie auf die Moderne zurückführt und darüber hinaus die Soziologie zum „wissenschaftliche(n) Ausdruck der Moderne“ macht. Diese Definition vermag nicht nur den Gegenstand der Soziologie – nämlich die Moderne und die moderne Gesellschaft (die möglicherweise nicht ganz synonym verwendet werden) – zu erläutern, sondern die zwangsläufige Anbindung der Soziologie an die moderne Gesellschaft und den historischen Bezug der Soziologie zu etablieren. Indem die Entstehung der Soziologie als eine sekundäre Erscheinung der Moderne angesprochen wird, wird die Soziologie von der Existenz der Moderne abhängig gemacht. Außerdem weist das Ansprechen der Moderne als Gegenstand der Soziologie darauf hin, dass dieser Gegenstand sich ständig wandelt. Aus dieser Interviewsequenz geht hervor, dass die Moderne sich auf unterschiedliche Weisen ausdrückt. Der Selbstausdruck der Moderne im Wissenschaftsbereich ist Soziologie. Die Soziologie wird also als die wissenschaftliche Selbstbeobachtung der modernen Gesellschaft konstituiert, was dieser Wissenschaft gleichzeitig Exklusivität verleiht. Die Soziologie in ihrer Funktion als Selbstbeobachtung der modernen Gesellschaft dient dazu, eine Unterscheidung zwischen der Moderne 54
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und der Vor-Moderne zu treffen. Dazu braucht sie eine historische Perspektive, durch die der Bezug auf heute etabliert wird. Die Besonderheit der modernen Gesellschaft wird von [Int10] in theoretischen Begriffen gefasst, und zwar durch die Benennung der Theorie der Weltgesellschaft. Es wird ein zwingender Bezug zwischen dieser Gesellschaftskonzeption – mit ihren globalen Ansprüchen – und der Soziologie aufgebaut. Die Theorie der Weltgesellschaft sei, so [Int10], nicht nur ein Gesellschaftskonzept, mit dem gute Soziologie zu arbeiten habe, sondern auch die Basis für eine soziologische Identität (als Bestandteil der soziologischen Selbstbeschreibung wird diese Theorie zwingend zu einem wichtigen Element ihrer Identitätsbasis). Es wird also behauptet, die Soziologie sei dafür da, die moderne Gesellschaft zu beobachten und zu erläutern, welches ihre Eigenschaften sind und wodurch sie sich von anderen Gesellschaftsformen unterscheidet. Dabei ist [Int10] der Meinung, dass die Soziologie in dieser Tätigkeit globale Ansprüche haben müsse und nur eine solche Soziologie „gut“ sei, die nach diesem globalen Anspruch – die moderne Gesellschaft als Ganzes zu beobachten und zu beschreiben – arbeite. Durch die Einführung eines normativen Kriteriums für „gute“ wird diese Disziplin eindeutig auf einer generellen Ebene der Selbstbeobachtung moderner Gesellschaft angesiedelt. Der Gegenstand der Soziologie ist also für [Int10] die Moderne und die moderne Gesellschaft als Ganzes. Die Soziologie wird zu einem funktionalen System der Gesellschaft aufgebaut, welches dazu dient, die wissenschaftliche Selbstbeobachtung der modernen Gesellschaft auf einer generellen Ebene vorzunehmen, d.h. die Besonderheiten der modernen Gesellschaft, ihre Dynamiken und ihre Entwicklung zu beschreiben, die Moderne von der Vor-Moderne zu unterscheiden und den Umgang der Gesellschaft mit sich selbst zu beobachten. Der Bezug auf das Entstehen der Soziologie mit der Moderne ist als Hinweis auf ihre Exklusivität zu sehen. Der Frage nach der Außenlegitimität der Soziologie wird durch die Beschreibung ihres zwangsläufigen Entstehens als einer Begleiterscheinung der Moderne die Relevanz entzogen.
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1.3.3 Soziologie als wissenschaftlicher Umgang mit schlecht definierten Problemen: Die Abgrenzung zum Alltagsverstand In der folgenden Interviewsequenz wird auf die Wahrnehmung der Soziologie als Selbstbeschreibung der Gesellschaft in der Gesellschaft eingegangen: I: (...) aber Soziologen sind auch Menschen (.) Z: ja(.) natürlich (.) aber Soziologie möchte auch bisschen höher stehen (.) als einfach ein normaler Menschenvernunft (.) Soziologie beschreibt sich immer wieder als eine generelle [Selbst]Reflexion der Gesellschaft (...) I: Das hat sie auch dringend nötig (.) weil gerade der Umstand (.) dass eben die Soziologen auch Menschen wie alle anderen sind (...) und deshalb auch sehr viele Laien den Soziologen sagen (.) was ihr sagt (.) das habe ich mir auch schon überlegen können (...) dadurch wird man ja permanent frustriert (.) dass also (.) eigentlich die Wissenschaftlichkeit unseres Tuns dem Laien sehr schwer vermittelbar ist (...) ein Mediziner ist eigentlich viel weniger Wissenschaftler (.) als wir (.) aber dass ein Mediziner Wissenschaft verwendet (.) das akzeptiert jeder (.) in jedem Medikament stecken also Tausende von Stunden wissenschaftlicher Arbeit (.) sozusagen (.) das glauben alle (.) das sei Wissenschaft (.) dagegen (.) was wir tun (.) man könnte fast sagen (.) es ist am vollkommensten (.) wenn man den Wissenschaftscharakter nicht mehr ansieht (.) wenn wir (...) das ist meine Auffassung (.) zunächst dann muss (sich) der Soziologe sich von seinem Gegenstand deshalb gerade so angestrengt distanzieren (.) weil er Teil von ihm ist (.) nur dadurch (.) dass er durch irgendwelche Tricks versucht (.) den Abstand zu gewinnen (.) kann er eben mehr sehen (.) als der Laie (.) deshalb sage ich normalerweise einem (.) um ein guter Soziologe zu werden (.) muss man irgendwelche biographische Brüche gehabt haben (.) also entweder biographische Brüche in dem Sinne (.) dass man ein schwieriges Elternhaus gehabt hat (.) oder dass man (.) zum Beispiel den Beruf gewechselt hat (.) oder was vor allem grade für größere Phänomene sicher sinnvoll ist (.) dass man in einer anderen Kultur (.) anderer Gesellschaft gelebt hat [Int02]
Die in dieser Interviewsequenz vorgenommene Unterscheidung zwischen dem normalen Menschenverstand und der wissenschaftlichen Selbstreflexion der Gesellschaft wurde von der Interviewerin thematisiert und von [Int02] aufgegriffen. In dieser Sequenz wird die Positionierung der Soziologie als Selbstbeschreibung der Gesellschaft in der Gesellschaft als Mittel benutzt, um die Wissenschaftlichkeit der Soziologie zu postulieren. Als Gegenstand der Soziologie (der als nicht thematisierungsbedürftig behandelt wird) wird in dieser Interviewsequenz implizit die Gesellschaft und der Alltag dargestellt. Die Wahrnehmung des eige56
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nen Gegenstandes reicht also eindeutig für die innere Legitimation der soziologischen Tätigkeit, jedoch nicht für die Außenlegitimation. Das wird vor allem daran deutlich, dass, obwohl der Eigenwert der soziologischen Tätigkeit in dieser Sequenz nicht expliziert wird, auf die fehlende Wahrnehmung der Wissenschaftlichkeit der Soziologie (und demzufolge auch ihrer Funktion als eines der Selbstbeschreibung der Gesellschaft in der Gesellschaft dienenden gesellschaftlichen Systems) seitens der Laien hingewiesen wird. Dass diese fehlende Wahrnehmung seitens der Laien als ein Missverständnis konstruiert ist, welches auf LaienUnwissen zurückzuführen ist, impliziert, dass für die Soziologen kein Zweifel an der eigenen Wissenschaftlichkeit besteht. Die Notwendigkeit, soziologische Wissenschaftlichkeit zu explizieren, wird mit der permanenten Frustration in Verbindung gebracht, die aus der Unmöglichkeit resultiert, die eigene Wissenschaftlichkeit dem Laien zu vermitteln. Das erklärt, warum die Soziologie in den inneren Diskursen die eigene Wissenschaftlichkeit immer wieder hervorheben muss – weil diese ständig von außen in Frage gestellt wird. Dies führt zu einem Paradox – die Soziologie, die von sich aus nicht an der eigenen Wissenschaftlichkeit zweifelt, ist gezwungen, den innersoziologischen Wissenschaftlichkeitsdiskurse forciert zu pflegen,41 nicht nur weil sie auf Ablehnung seitens der Laien stößt, sondern auch weil diese von sich behaupten, ihren Gegenstand verstehen zu können, ohne Soziologie anwenden zu müssen. Daher muss die eigene Wissenschaftlichkeit für die Soziologie selbst als Basis ihrer Identität permanent bestätigt werden Die Soziologie muss sich in der Abgrenzung zum Alltagsverstand konstituieren, um als wissenschaftliche Disziplin funktionieren zu können – obwohl diese Abgrenzung möglicherweise von außen nie relevant sein wird. Die Besonderheit der Soziologie wird durch den Hinweis auf eine spezifische Form der Wissenschaftlichkeit konstruiert, die für diese Disziplin relevant ist. Diese besteht in der Nähe zum Alltäglichen, die durch die Distanzierung vom Alltäglichen ermöglicht wird. Da aber diese Distanzierung von außen nicht nachvollzogen werden kann, kann sie auch nicht als eine Garantie der Wissenschaftlichkeit für Laien dienen. Der Frust der nicht anerkannten Wissenschaftlichkeit (und damit auch der nicht anerkannten Exklusivität) der Soziologie gehört demzufolge zum Soziologensein. Die Fähigkeit zur Distanzierung vom Alltäglichen trotz der Tatsache, dass Soziologen „auch Menschen“ sind, wird nach dem Muster inszeniert, das auch in den soziologischen Einführungsbüchern zu finden 41 Die Wissenschaftlichkeit nach außen zu postulieren scheint noch schwieriger zu sein.
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ist. Das Verdienst der Soziologie (die als wissenschaftliche Selbstbeschreibung der Gesellschaft bzw. des Alltags definiert wird) besteht darin, dass die Soziologen, die sich mit denselben Phänomenen beschäftigen, über die auch Laien ihr Urteil fällen, in diesen Phänomenen „mehr sehen als der Laie“. Diese unspezifische Definition bezieht sich auf die in der Soziologie zu gewinnenden wissenschaftlichen Ergebnisse. Das Interessante in dieser Interviewsequenz besteht vor allem darin, wie das Gewinnen der Distanz zum Alltäglichen beschrieben wird: nicht mit wissenschaftlichen Methoden, sondern durch „irgendwelche Tricks“. Dies verweist auf eine gewisse Geschicklichkeit, auf Talent, aber auch darauf, dass diese Tricks möglicherweise nicht im formellen Ausbildungsprozess vermittelt werden können. Tatsächlich führt [Int02] die Fähigkeit zur Distanzierung auf besondere Ereignisse im Leben eines Soziologen zurück, nämlich auf „biographische Brüche“. Damit stellt sich die Frage, ob es nach einer solchen Auffassung von den soziologischen Fähigkeiten möglich ist, ausschließlich durch die Ausbildung zu einem guten Soziologen zu werden. Mit einem spezifischen Gegenstand, der die Außenstehenden ständig an der Legitimität der Soziologie zweifeln lässt, und einer besonderen soziologischen Form der Wissenschaftlichkeit, die ihr keine Außenlegitimität verleihen kann, wird die Soziologie zu einer Disziplin gemacht, die sich ständig durch die Abgrenzung zum Alltagsverstand bestätigen muss. Diese Abgrenzung ist vor allem für die Herausbildung einer soziologischen Identität wichtig. Sie wird durch eine besondere Distanzierung zum Alltag im Alltag vollzogen, die nicht im Ausbildungsprozess erlernt werden kann. Die Exklusivität des soziologischen Gegenstandes kann nur im innersoziologischen Diskurs behauptet werden, denn für die Außenstehenden steht soziologisches Wissen in Konkurrenz zum normalen Menschenverstand. Einen Versuch, der Soziologie Außenlegitimität zu verleihen, unternimmt [Int02] in einer anderen Interviewsequenz: und ich habe gelegentlich Soziologen (.) die in der Praxis sind (.) zum Beispiel in den Unternehmensberatungsfirmen tätig sind (.) gefragt (.) sie sind in der Unternehmensberatungsfirma (.) sie konkurrieren dort mit Betriebswirten (.) mit Volkswirten (.) mit Psychologen und=und=und (.) was (haben Sie dann) das Gefühl (.) was sie besser können (.) als die anderen (.) eine Antwort (.) die ich mehrfach bekommen habe (.) und die mir sehr einleuchtend war (.) wir können besser mit schlecht definierten Problemen umgehen (.) also (.) der Ökonom (.) wenn er sein Problem einmal eindeutig definiert hat (.) dass er anfangen kann zu rechnen (.) dann rechnet er viel besser (.) als wir (.) aber diese eben Diagnose (.) zuerst mal erkennen (.) worum es sich dabei überhaupt handelt (.) und in der sozialen Wirklichkeit handelt es sich sehr häufig um Dinge
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(.) die nicht eindeutig (definierbar) sind (...) und sich dann darauf noch einen Reim zu machen (.) das scheint etwas zu sein (.) was diese undisziplinierte Disziplin (.) wie man die Soziologie ja auch schon genannt hat (.) besser kann (.) als die stärker paradigmatisch verfestigten Disziplinen (.) Rechtswissenschaft (.) Ökonomie und so weiter (.) [Int02]
Die Exklusivität des soziologischen Wissens bzw. der besonderen soziologischen Fähigkeiten, die [Int02] in dieser Interviewsequenz aufbaut, dient dazu, die Außenlegitimität der Disziplin zu begründen und die für die Soziologie in Frage kommenden Berufsfelder anzusprechen. Der Kontext, in dem dies geschieht, nämlich das Beispiel der Unternehmensberatung, ist deshalb bemerkenswert, weil Beratung sowohl in der soziologischen Literatur als auch in den Daten als die etablierte bzw. als etablierteste oder zu etablierende berufliche soziologische Tätigkeit angesprochen wird (dazu mehr im 2. Kapitel). Die Beschreibung der soziologischen Exklusivität erfolgt durch das Ansprechen der Konkurrenz zwischen der Soziologie auf der einen Seite und Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Psychologie usw. auf der anderen Seite im Kontext von Unternehmensberatung. Die Beschreibung der soziologischen Exklusivität erfolgt zwar in Form eines Zitats, doch macht [Int02] deutlich, dass dieses auch seine Meinung zum Ausdruck bringt. Ferner erhält diese Exklusivitätsbehauptung durch die Zitatform eine größere Aussagekraft, da damit eine in der Praxis bewährte und nicht nur aus der Universitätssoziologie heraus gedachte Exklusivität inszeniert wird. Die Erklärung, Soziologie könne „besser mit schlecht definierten Problemen umgehen“, vermag zwar die Exklusivität der Soziologie zu behaupten, wirft aber gleichzeitig die Frage auf, welche Arbeitsfelder für sie in Frage kommen. Weitere Fragen wären beispielsweise, wie der Bedarf an der Soziologie artikuliert werden kann oder wie der Bedarf an soziologischen Dienstleistungen der potentiellen Klientel deutlich werden soll und auch wie man für den Umgang mit „schlecht definierten Problemen“ ausgebildet werden kann. Mit anderen Worten: Diese Leistung der Soziologie mag für die Soziologen einleuchtend sein, die Frage der Außenlegitimität der Soziologie kann damit jedoch nicht (ausreichend) beantwortet werden. Soziologie wird hier zu einer Art Tandem-Wissenschaft aufgebaut, deren Aufgabe darin besteht, die Probleme, mit denen andere Disziplinen/Professionen sich beschäftigen in einen anderen Kontext zu stellen, sie dadurch einen im Vorfeld zu definieren bzw. zu diagnostizieren und dann Lösung der Probleme an andere Professionelle zu delegieren. Die unzureichende paradigmatische Gefestigtheit, die als ein Defizit der Soziologie wahrgenommen werden könnte, das die Festlegung eines
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konkreten Berufsfeldes für die Soziologie nicht zulässt, wird zur Eigentümlichkeit der Soziologie gemacht. Die Soziologie kann ihre besondere Leistung nur aufgrund dieser Eigentümlichkeit, d.h. ihrer „Undiszipliniertheit“ vollbringen. Da die Soziologie paradigmatisch nicht so festgelegt ist wie viele andere Disziplinen, kann sie auch kein begrenztes, exklusives Problemfeld bzw. Tätigkeitsfeld haben. Die beruflichen Aktivitäten der Soziologie sind also an kein exklusives Feld gebunden, die Soziologie ist für alle Felder, die mit der Gesellschaft verbunden sind und die von den anderen Disziplinen professionell behandelt werden, offen und kann demzufolge im Vorfeld der anderen Disziplinen tätig werden und die Basis für deren professionelles Handeln liefern. Das würde auch die oben gestellte Frage nach der Außenlegitimität der Soziologie auf eine besondere, nur auf die Soziologie bezogene Weise beantworten. Die Eigentümlichkeit der Soziologie bestünde dann nämlich in der Fähigkeit, in unterschiedlichen, nicht exklusiv für sie reservierten Arbeitsfeldern tätig zu sein. Ihre Unersetzlichkeit für die anderen Disziplinen wäre damit zu begründen, dass sie in deren Arbeitsfeldern auf einer Ebene tätig wird, auf der diese Disziplinen selber nicht tätig sein können, da sie nicht die notwendige Distanz zur Gesellschaft gewinnen können. Die soziale Wirklichkeit wird als der exklusive Forschungsgegenstand der Soziologie postuliert, die Exklusivität der soziologischen Beschäftigung mit diesem schwer zu definierenden Gegenstand wird an den „Disziplinierungsgrad“ der Disziplin gekoppelt. Die Exklusivität der Beschäftigung mit der sozialen Wirklichkeit entspricht der Exklusivität der beruflichen soziologischen Tätigkeit, da die Soziologie sich mit Problemen beschäftigt, mit denen sich alle anderen – paradigmatisch gefestigten – Disziplinen aufgrund ihrer Disziplinierung nicht beschäftigen können. Für [Int02] ist die Soziologie also eine undisziplinierte Disziplin, die sich mit einem definierbaren Gegenstand bzw. schwer definierbaren Problemen, die in der sozialen Wirklichkeit entstehen, beschäftigt. Ihre Wissenschaftlichkeit wird seitens der Alltagsmenschen ständig angezweifelt, was dazu führt, dass die Soziologie sie permanent bestätigen muss, vor allem durch die Abgrenzung zum Alltäglichen. Die soziologischen Leistungen (nach außen) beziehen sich darauf, dass die (nicht paradigmatisch festgelegte) Soziologie mit den Erscheinungen sozialer Wirklichkeit wissenschaftlich besser umgehen kann als die Disziplinen, die pragmatisch festgelegt sind, und daher den sich permanent verändernden Gegenstand der Soziologie (das Soziale) nicht so erfassen können, wie die Soziologie es tut; dass die Soziologie u.a. Probleme definieren kann, die die Disziplinen mit festgelegten Arbeitsfeldern und Para60
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digmen nicht definieren können. Die Soziologie wird zu einer exklusiven Tandem-Wissenschaft aufgebaut, die mit anderen Disziplinen in der Praxis nicht konkurriert, sondern im Vorfeld die Basis für das professionelle Handeln anderer Disziplinen und Professionen vorbereitet.
1.3.4 Soziologie als gesellschaftliche Kritik [Int12] leitet in der folgenden Interviewsequenz den Gegenstand der Soziologie von deren gesellschaftlicher Aufgabe ab: I: ich persönlich halte das (.) für eine ganz tragfähige Basis soziologischer Funktionsbestimmung dass Soziologie Kritik (.) gesellschaftlicher Verhältnisse ist (.) äh und diese Kritik muss kon/ konkret und (.) empirisch belegt und insofern praktisch sein (.) also nicht einfach (.) äh nur das (.) das Pathos der Kritik (.) aber das kann die Universität oder die Soziologie an der Universität natürlich aus sich heraus (.) nur dann leisten wenn sie gesellschaftlich (.) unter dieser Anforderung steht (.) die kritische Wissenschaft zu sein (.) wenn diese gesellschaftliche Anforderung von ihr selbst (.) äh nicht mehr vertreten wird (.) und von der Gesellschaft an sie auch nicht mehr herangetragen wird wie das ja immer in Phasen der Soziologieentwicklung der Fall war und ist (.) […] ich glaube schon dass die Soziologie (.) als Kritik eben äh am fruchtbarsten ist wenn sie (.) auf der Basis theoretischer (.) Begründungen (.) Zusammenhänge aufdeckt die nicht zutage liegen die man nicht unmittelbar erfassen kann (.) wie ein Journalist (.) der ja auch (.) Kritik der Gesellschaft (.) leistet (.) also ich glaube schon dass die Soziologie als kritische Wissenschaft (.) n sehr praktischen Bezug haben kann (.) und ich glaube auch dass praktische: Forschung (.) angewandte Forschung äh (.) wesentlich auch Kritik sein kann […] vielfach wird glaube ich angewandte Soziologie (.) zwar nicht in ihren Anwendungsbezügen dann rezipiert aber in ihrem kritischen Gehalt dann eben doch wahrgenommen (.) ne (.) zum Beispiel die außerordentlich: (.) umfangreiche (.) Integrationsforschung mit ausländischen Migranten die in Deutschland (.) Bibliotheken füllt (.) ist in ihren Integrationsforderungen als angewandte Soziologie natürlich nur begrenzt umgesetzt worden aus (.) politischen (.) Widerständen oder (.) aus Finanz(.)schwierigkeiten heraus (.) aber der kritische (.) Anspruch (.) dass die (.) die/ die soziale mh: (.) Mitgliedschaft in/ in/ (.) im Nationalstaat und im Sozialstaat (.) die zentrale Basis jeder (.) psychokulturellen Integration ist ist eben doch übergekommen und bestimmt jetzt (.) (etwa) die gegenwärtige politische Diskussion (.) äh (.) das ist natürlich nicht nur wissenschaftliche Erfahrung (.) das ist öffentliche Erfahrung (.) aber die ist auch wissenschaftlich untermauert (.) obwohl die angewandten Forscher die das immer (.) sozusagen in bestimmte Handlungs(.)perspektiven (.) Sprachkurse Integrationskurse kulturelle Assimilations(.)maßnahmen (.) gebracht haben in ihren Forschungsergebnissen (.) möglicherweise mit diesen Ergebnissen erfolglos waren so waren sie mit ihrer Kritik die dahinter stand (.) dass sie überhaupt sol-
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che Vorschläge machten (.) dann nicht vielleicht doch letztlich erfolgreich (also) halte ich die kritische Funktion der Soziologie für eine ganz praktische Angelegenheit [Int12]
Die Soziologie wird in dieser Interviewsequenz als die „Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse“ angesprochen. In dieses Kritikkonzept werden die verschiedenen Tätigkeiten der Soziologie eingebaut, Abgrenzungen zwischen Soziologie und Nicht-Soziologie gezogen und die Erfolge soziologischer Aktivitäten in der Praxis angeführt. Am Anfang der Sequenz weist [Int12] darauf hin, dass die Soziologie in dieser Kritikfunktion keinesfalls autonom wirken kann, indem er diese Kritik explizit an die gesellschaftlichen Anforderungen knüpft. Die Soziologie ist also die kritische Selbstbeschreibung der Gesellschaft, die von der Gesellschaft selbst motiviert wird, d.h. ein gesellschaftliches Funktionssystem. Zudem wird explizit auf den Unterschied zwischen der soziologischen und anderweitiger (möglicherweise philosophischer) Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse hingewiesen, und zwar indem im Falle der Soziologie die Notwendigkeit des empirischen Belegs von Kritik angesprochen und einem allgemeinen „Pathos der Kritik“ gegenübergestellt. Diese empirische Fundierung führt, so [Int12], dazu, dass die soziologische Kritik „praktisch“ wird. Die Interviewsequenz macht deutlich, dass das Kritikkonzept für [Int12] eher diffus ist, und dass es ihm in erster Linie um einen „Regenschirmbegriff“ für die Soziologie geht, nämlich Soziologie als (innere) Gesellschaftskritik. Anschließend werden verschiedene Aspekte dieser kritischen Funktion thematisiert. Die Soziologie wird in dieser Sequenz als kritische wissenschaftliche Selbstbeschreibung der Gesellschaft thematisiert, wobei offensichtlich ist, dass auch andere gesellschaftliche Systeme (Alltagsverstand, die Massenmedien) zum Teil die Funktion gesellschaftlicher Selbstkritik erfüllen. Durch den Vergleich der soziologischen Gesellschaftskritik mit der des Journalismus wird eine Abgrenzung zwischen soziologischer und nicht-soziologischer Kritik vollzogen. Die Abgrenzung zur medialen Gesellschaftskritik erfolgt durch den Hinweis auf die Wissenschaftlichkeit der Soziologie. Es wird also behauptet, es gebe gesellschaftliche Zusammenhänge in der sozialen Wirklichkeit, die nicht nur von Soziologen, sondern auch von Journalisten entdeckt und kritisiert werden könnten, auch solche, die sich nur mit Hilfe theoretischer soziologischer Überlegungen erschließen lassen. Die Wissenschaftlichkeit, die die Abgrenzung zwischen der soziologischen und der nicht-soziologischen Gesellschaftskritik ausmacht, wird jedoch nur benannt, nicht expliziert. An 62
SOZIOLOGIE IST… DAS BESONDERE AM SOZIOLOGISCHEN GEGENSTAND
einer anderen Stelle in dieser Sequenz wird die Konkurrenz zwischen der Soziologie und dem Alltagsverstand wieder aufgenommen – und die Abgrenzung dadurch vollzogen, dass die soziologischen Ergebnisse als wissenschaftliche Untermauerung der öffentlichen Erfahrung angesprochen werden. Das soziologische Wissen wird also nicht komplett vom Alltagsverstand abgekoppelt, sondern es wird angedeutet, dass die Soziologie mit den gleichen Erfahrungen und Phänomenen, die auch den Gegenstand der gesellschaftlichen Kritik seitens des Alltagsverstandes bilden, wissenschaftlich umgeht. Weiterhin wird die Tatsache angesprochen, dass nicht nur die soziologische Theorie, sondern auch die anwendungsorientierten Forschungen, die eigentlich nicht als Kritik, sondern als Handlung gedacht sind, diese Kritikfunktion erfüllen. Die Umsetzung der aufgedeckten Kritikpunkte in Handlungsprogramme wird jedoch nicht als das Wichtigste genannt. Die wichtigste Funktion der Soziologie liegt in der gesellschaftlichen Kritik, selbst wenn die Forschung als solche eine ganz andere Zielsetzung hat. Die Wahrnehmung der Soziologie als Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse beeinflusst nicht nur die Interpretation der Zielsetzung in der anwendungsbezogenen Forschung, sondern auch die Kategorien des Erfolgs und des Scheiterns der (anwendungsbezogenen) soziologischen Aktivitäten. [Int12] ist klar, dass nicht alle handlungsbezogenen soziologischen Empfehlungen umgesetzt werden (können). Dies ist jedoch nicht das Entscheidende – selbst wenn eine Forschung nicht zu den empfohlenen Handlungen führt, ist sie nicht als gescheitert zu betrachten, wenn sie z.B. in die politische Diskussion eingegangen ist. Der Einfluss auf die politische Diskussion wird als viel wichtiger eingeschätzt als die Umsetzung konkreter Handlungsempfehlungen, weil die Kritik im Endeffekt viel ergiebiger ist als zeitlich begrenzte Maßnahmen. Demzufolge ist Soziologie für [Int12] die kritische Selbstbeschreibung der Gesellschaft in der Gesellschaft. Konkretes Handeln wird der Kritik untergeordnet. Der Begriff des Praktischen wird im Falle der Soziologie nicht auf das Handeln bezogen, sondern auf die Möglichkeit, die soziale Wirklichkeit kritisch mitzugestalten. Der Gegenstand der Soziologie ist somit die Gesellschaft, die (aus der Gesellschaft heraus) wissenschaftlich beobachtet wird. Die Frage, die sich nach der Betrachtung dieser Interviewsequenz stellt, ist, welche Außenlegitimität Soziologie besitzt, wenn z.B. ihre Erfolge nicht an dem praktisch Umgesetzten, nicht an „Handlungsperspektiven“ gemessen werden – wobei ihre direkten Handlungsempfehlungen „natürlich nur begrenzt“ umgesetzt werden können –, sondern an ihrem Einfluss auf die gesamtpolitische Diskussion. 63
DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
1.3.5 Soziologie als hartes wissenschaftliches Wissen über die Ursachen bekannter gesellschaftlicher Erscheinungen [Int03] bezieht in der folgenden Interviewsequenz die Soziologie auf die harte wissenschaftliche Erforschung der aus dem Alltag bekannten Phänomene: es gibt (.) klare (.) Forschungsaufträge (.) an Soziologen (.) aus der Öffentlichkeit aus der Politik aus der Wirtschaft (.) und es gibt ein allgemeines Interesse daran Vermutungen über bestimmte (.) Zusammenhänge soziologisch empirisch prüfen zu lassen (.) also die Soziologie (.) kann nicht diese Nachfrage die es von Institutionen Verbänden (.) in der Öffentlichkeit gibt (.) ignorieren (.) also das ist ein ein elementares (.) Faktum (.) so wie die (.) wenn man jetzt eine Parallelgeschichte nimmt (.) die Disziplin Psychologie (.) war (.) spätestens dann (.) gesellschaftlich anerkannt (.) wo die (.) Offiziere der (.) verschiedenen Armeen nicht mehr glaubten sich zutrauen zu können wie man einen (.) normalen handlungsbereiten Soldaten (.) von einem (.) oder auch einsetzbaren Soldaten von einem (.) psychisch kranken (.) sozusagen wehruntauglichen unterscheidet = die Wehrpsychologie die (.) Psychologie im Zusammenhang (.) der Kriegführung machte (.) harte Auskünfte notwendig = in Deutschland ist das Diplom Psychologie im Jahr 1940 eingeführt und seitdem äh unangetastet geblieben und der Bedarfskontext war einwandfrei (.) der Einsatz der Psychologie für die: (.) Wehrmacht (.) entsprechend ist die Soziologie aus der Beobachtung des Wählerverhaltens der politischen Einstellungen (.) der Konsumenteneinstellungen der Einstellungen zu Gewalt in äh manchen Zusammenhängen (.) überhaupt nicht wegzudenken wir wollen immer gleich wissen (.) wenn eine bestimmte neue Erscheinung gesellschaftlich auftritt (.) wo sind die Träger wo äh sind (.) sogenannte Ursachen (.) und fragen dann äh Soziologen (.) solange es Werbung und solange es Wahlkampf gibt wird es in äh (.) (in) den Gesellschaften auf diesem Planeten auch Soziologen geben [Int03]
In dieser Interviewsequenz wird die Soziologie durch einen Vergleich mit der Psychologie als hartes wissenschaftliches Wissen über gesellschaftliche Phänomene präsentiert. Die Sequenz ist deutlich darauf ausgerichtet, die Außenlegitimität der Soziologie zu postulieren. Durch den Hinweis auf die Psychologie wird gezeigt, wie die Sozialwissenschaften ihre Anerkennung in der Gesellschaft finden – nämlich „spätestens“ wenn die Akteure im Alltag mit den bekannten Phänomenen ohne Expertenwissen nicht mehr umgehen können, weil die Ursachen dieser Phänomene (die sich dem Alltagsverstand nicht erschließen) sich verändert haben. Die Soziologie wird als wissenschaftliche Erklärung der Hintergründe gesellschaftlicher Erscheinungen aufgebaut, ihre Anerkennung 64
SOZIOLOGIE IST… DAS BESONDERE AM SOZIOLOGISCHEN GEGENSTAND
(im Falle der Soziologie möglicherweise auch ihr Entstehen) ist dem Interesse der Gesellschaft an sich selbst geschuldet, weil die Gesellschaft bzw. ihre Systeme in bestimmten Bereichen nicht weiter funktionieren können, ohne zu wissen, warum bestimmte Phänomene auftreten. Der Gegenstand der Soziologie ist für [Int03] also die soziale Wirklichkeit, und zwar die Phänomene, die dem Alltagsverstand durchaus bewusst sind. Die Funktion der Soziologie schließt nach dieser Beschreibung nicht nur die Konkurrenz zum Alltagsverstand aus – denn die Soziologie setzt an den Stellen an, wo der Alltagsverstand bestimmte Erscheinungen nicht verstehen kann –, sondern sie verleiht der Soziologie eine absolute Exklusivität und Notwendigkeit für die Gesellschaft. Die Soziologie wird explizit an das wirtschaftliche und politische System der Gesellschaft angekoppelt. Da sie als eine Dienstleistung positioniert wird, stellt sich die Frage ihrer Außenlegitimität nicht. Das Erlangen einer Außenlegitimität wird am Beispiel der Psychologie erläutert, indem gezeigt wird, wie die gesellschaftlichen Anforderungen zur Anerkennung einer Disziplin (und damit zur Konstitution einer professionellen Tätigkeit aus dieser Disziplin heraus) führen.
1.3.6 Zusammenfassung: Interviewsequenzen Führt man die aus den Interviewanalysen gewonnenen Wahrnehmungen des soziologischen Gegenstandes zusammen, so lassen sich folgende gemeinsame Punkte feststellen: — Der Gegenstand der Soziologie bezieht sich auf das Soziale im weitesten Sinne des Wortes, auf die Moderne oder die moderne Gesellschaft, auf den Alltag, gesellschaftliche Verhaltensweisen usw. Soziologie wird als Selbstbeobachtung der Gesellschaft (Reflexionstheorie der Gesellschaft) aufgebaut, als allgemeine gesellschaftliche Selbstbeschreibung auf einer wissenschaftlichen Ebene. Sie wird, auch durch einen historischen Bezug zur Moderne, an die moderne Gesellschaft als eines ihrer funktionalen Systeme angebunden. So wird aufgrund ihrer Funktion der wissenschaftlichen Selbstbeobachtung der Gesellschaft, der inneren gesellschaftlichen Kritik usw. einerseits die Unersetzlichkeit der Soziologie für die Weiterentwicklung der Gesellschaft postuliert. Andererseits wird ihre Abhängigkeit, ihre feste Bindung an die vorhandene Gesellschaftsform zum Ausdruck gebracht. — Die Definition des soziologischen Gegenstandes wird in vielen Interviews durch eine Abgrenzung zu den anderen Disziplinen oder dem normalen Menschenverstand vollzogen, wobei deutlich wird, dass die Soziologie über keinen exklusiven Gegenstand verfügt, sondern 65
DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
bei der Betrachtung ihres Gegenstandes mit den anderen Disziplinen oder dem Alltagsverstand konkurriert. Die Abgrenzung zum Alltagsverstand erfolgt durch die forcierte Darstellung der soziologischen Wissenschaftlichkeit. Die Konkurrenz zu den anderen wissenschaftlichen Disziplinen wird zum Teil in die besondere Funktion der Soziologie als eine Brücken- oder Tandem-Wissenschaft umgedeutet, indem die Soziologie in einer Art Dienstleistungsposition dargestellt wird. In dieser Eigenschaft erschließt sie den anderen Disziplinen gesellschaftliche Phänomene oder diagnostiziert diffuse Probleme, um deren Lösung dann an die anderen Professionellen zu delegieren. So wird die Exklusivität der Soziologie trotz des nicht-exklusiven Gegenstandes postuliert. — Die Beschreibungen des soziologischen Gegenstandes umfassen sowohl die Aufgaben der Soziologie als auch die Besonderheiten des Soziologenseins. Da die Soziologie als Selbstbeobachtung der Gesellschaft in der Gesellschaft beschrieben wird, wird die Fähigkeit zur Distanzierung vom eigenen Gegenstand zur wichtigsten soziologischen Kompetenz der Soziologie und gleichzeitig zur Basis ihrer Exklusivität aufgebaut. Unklar ist, inwiefern diese zu internalisierende Kompetenz erlernt werden kann und ob sie mehr als eines Studiums bedarf. — Die Behauptung der soziologischen Exklusivität erfolgt demzufolge gegenstandsbezogen. Ein Problem, das sich jedoch aufgrund des besonderen soziologischen Gegenstandes schwer lösen lässt, ist das der Außenlegitimität der Soziologie. Dieses Problem drückt sich z.B. in der Notwendigkeit aus, die eigene Wissenschaftlichkeit unter Beweis zu stellen. Die Soziologie wird hinsichtlich ihres besonderen Gegenstandes zu einer Wissenschaft und Profession aufgebaut, die ganz andere Erfolgskriterien hat als Disziplinen mit klarerem Gegenstandsbezug und fortgeschrittener Disziplinierung bzw. Professionalisierung. Durch den Bezug auf ihren sich ständig wandelnden, schwer definierbaren Gegenstand wird gezeigt, dass die Soziologie eine besondere Art von Professionalität besitzt und auch einen besonderen Bezug zu ihren Arbeitsfeldern. Diese müssen nämlich nicht in sich geschlossen sein. Im Gegenteil: Die Soziologie wird zu einer Tandem-Wissenschaft aufgebaut, die im Vorfeld, und d.h. innerhalb der Arbeitsfelder anderer Disziplinen tätig wird; sie diagnostiziert und definiert die Probleme, so dass diese anschließend von den Angehörigen anderer Disziplinen gelöst werden können. So kann ihre Außenlegitimität begründet werden. — Insgesamt lässt sich feststellen, dass in den Interviewdaten die Frage der Abgrenzung zum Alltagsverstand bzw. zu den anderen Diszipli66
SOZIOLOGIE IST… DAS BESONDERE AM SOZIOLOGISCHEN GEGENSTAND
nen viel detaillierter behandelt wird als in den Einführungsbüchern. Zum Teil wird der Konkurrenzgedanke abgebaut und durch die Funktionalität der Soziologie (für die anderen) ersetzt. Die Frage der Exklusivität wird nicht direkt auf exklusive Arbeitsfelder bezogen. Trotz der Umdeutung der Konkurrenzsituation als Basis soziologischer Dienstleistungen wird deutlich, dass die Abgrenzung – vor allem die vom Alltagsverstand – für die soziologische Identität eine sehr wichtige Rolle spielt. Die Frage der Außenlegitimität der Soziologie wird in den Interviewsequenzen expliziter aufgeworfen als im schriftlichen Diskurs. Außerdem kommt die Kopplung der Soziologie an eine bestimmte Gesellschaftsform in den Interviewdaten viel stärker zum Ausdruck.
1.4
Gegenstand der Soziologie: abschließende Bemerkungen
Bei der Behandlung der soziologischen Gegenstandsproblematik spielten die Überlegungen zur gegenstandsbezogenen Abgrenzung der Soziologie von den anderen wissenschaftlichen Disziplinen bzw. vom Alltagsverstand eine zentrale Rolle. Auch die Behauptung der Exklusivität der Soziologie ist an die Definition des Gegenstandes bzw. des wissenschaftlichen Umgangs mit dem Gegenstand gebunden. In den analysierten Diskursen wird im Kontext der Gegenstandsbeschreibungen auf die Eigentümlichkeiten der Soziologie verwiesen, die zu den besonderen soziologischen Problemen der Professionalisierung, der Behauptung der eigenen Exklusivität oder der Außenlegitimation und demzufolge zur forcierten Behauptung der eigenen Wissenschaftlichkeit und zur Inszenierung besonderer, kaum zu erlernender soziologischer Fähigkeiten führen. Die Definition eines eigenen Gegenstandes ist essentiell für das Etablieren einer gemeinsamen Identitätsbasis der Disziplin42. Da die Soziologie als solche aber aus mehreren Soziologien mit unterschiedlichen Forschungsfokussen und aus einer Vielzahl unterschiedlichster Ansätze besteht, können kaum präzise Gegenstandsdefinitionen gefunden werden, denen eine überwiegende Mehrheit der Soziologen zustimmen würde. Die Formulierung des Gegenstandes erfordert also eine besondere Generalisierungsleistung. Daher kommen nur sehr generelle und in gewisser Weise diffuse Beschreibungen des Gegenstandes in Frage, wie 42 Wie Davis es formuliert: „[U]ntil we know who we are we can’t tell who we aren’t.“ (Davis 1994: 188)
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
die „Gesellschaft“, die „soziale Wirklichkeit“ etc. Es ist jedoch offensichtlich, dass sich bei einer solchen Gegenstandsformulierung die Konkurrenz mit dem Alltagsverstand und den anderen Disziplinen nicht vermeiden lässt, da diese sich auf die eine oder andere Art und Weise auch mit diesen Phänomenen beschäftigen. Insofern muss eine Abgrenzung zwischen der Soziologie und den anderen sich mit der Gesellschaft beschäftigenden Disziplinen sowie dem Alltagsverstand erfolgen und die Exklusivität der soziologischen Beschäftigung mit ihrem Gegenstand behauptet werden. Die gegenstandsbezogene Exklusivität der Soziologie wird (im innersoziologischen Diskurs) mit unterschiedlichen Mitteln etabliert. Dies geschieht zum einen durch die Behauptung, dass die Soziologie, im Unterschied zu den anderen Disziplinen, sich mit der Gesellschaft in ihrer ganzen Komplexität beschäftigt, und zum anderen durch den Bezug auf die Funktion der Soziologie in der Gesellschaft und ihre Positionierung als Selbstbeschreibung der Gesellschaft in der Gesellschaft bzw. als Reflexionstheorie der Gesellschaft. Bei der Positionierung der Soziologie als Selbstbeschreibung der Gesellschaft in der Gesellschaft, Selbstreflexion oder innere Kritik der Gesellschaft handelt es sich ohne Zweifel um eine Art der Funktionsbeschreibung, die nicht vom Gegenstand als solchem ausgeht, sondern von der auf ihn bezogenen soziologischen Leistung. Die gegenstandsanhängige Eigentümlichkeit der Soziologie, die als eine Schwäche der Soziologie betrachtet werden könnte, wird so zur Stärke dieser Disziplin gemacht (siehe z.B. Esser im Epigraph zu diesem Kapitel). Die Stärke der Soziologie als wissenschaftliche Disziplin besteht bei einer solchen Betrachtung darin, dass die Soziologie zu einem funktionalen System der Gesellschaft aufgebaut wird, das für die weitere Entwicklung der Gesellschaft essentiell ist. Im Zuge der Positionierung als Selbstbeschreibung der Gesellschaft wird der Versuch unternommen, die Soziologie auf die Moderne zu beziehen. Als Selbstbeschreibung der Moderne wird die Soziologie fest an eine bestimmte Gesellschaftsform, nämlich die moderne Gesellschaft, gebunden. Was die Außenlegitimität der Soziologie angeht, ist nicht klar, ob diese sich durch dieselben Mechanismen ausreichend etablieren lässt wie die Exklusivität der Soziologie. Bei der Definition der Soziologie als Beobachtung der Gesellschaft in der Gesellschaft handelt es sich um die innersoziologische Definition, die die Exklusivität der Soziologie und ihre Abgrenzung zu den anderen Disziplinen und dem Alltagsverstand für die Soziologie selbst ausreichend etablieren und eine gemeinsame soziologische Identitätsbasisschaffen kann. Doch von den Soziologen wahrgenommene Notwendigkeit der gesellschaftlichen Selbstreflexion 68
SOZIOLOGIE IST… DAS BESONDERE AM SOZIOLOGISCHEN GEGENSTAND
wird nicht unbedingt auch von der Gesellschaft selbst wahrgenommen. Es ist mit anderen Worten nicht klar, ob die Nicht-Soziologen die soziologischen Gedanken über die Notwendigkeit der Soziologie für die Gesellschaft teilen. Auch für die Exklusivität der Soziologie gilt, dass diese zwar für die Soziologen selbst zweifellos etabliert ist, nicht aber unbedingt für die Außenstehenden. Entsprechend werden auf vielfältigen Wegen Versuche unternommen, die soziologische Exklusivität nach außen zu behaupten und die Außenlegitimität der Soziologie zu etablieren. Was die Behauptung der Exklusivität soziologischer Beschäftigung mit der Gesellschaft gegenüber den Alltagsmenschen betrifft, steht die Soziologie ständig unter dem Zwang, die eigene Wissenschaftlichkeit zu beweisen. Es wird also – vor allem im Einführungsbücherdiskurs, aber auch in den Interviewdaten – ständig darauf verwiesen, dass die Auseinandersetzung der Soziologie mit der Gesellschaft mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden erfolgt (diese werden als solche jedoch in den gegenstandsbezogenen Diskursen kaum expliziert). Die soziologischen Fähigkeiten, die die wissenschaftliche Betrachtung des eigenen Gegenstandes ermöglichen, werden zum Teil als besondere, möglicherweise nicht zu erlernende Fähigkeiten dargestellt. Als Basis des Soziologenseins wird die Fähigkeit zur Distanzierung vom eigenen Alltag beschrieben. Dennoch ist deutlich: Diese Fähigkeit kann kaum erlernt – und verlernt – werden. Sie wird internalisiert. Die Behauptung der eigenen Exklusivität gegenüber den anderen wissenschaftlichen Disziplinen erfolgt durch das Beanspruchen einer spezifisch soziologischen Fähigkeit, den unsystematischen Gegenstand so zu diagnostizieren oder zu systematisieren, dass die anderen Disziplinen mit den für sie relevanten Phänomenen des Alltags weiterarbeiten können (was sie wegen der Unsystematisierbarkeit des Alltags oder ihrer fehlenden Distanz zum Alltag nicht ohne soziologische Vorarbeit können). Soziologie wird also zu einer Tandem-Disziplin aufgebaut, die die Basis für die Tätigkeit anderer Disziplinen und Professionen schafft. Es fragt sich, welche exklusiven Berufsfelder eine Disziplin bzw. Profession haben kann, deren Gegenstand so diffus ist, dass er allein der Disziplin keine Exklusivität garantieren kann. Anders ausgedrückt: Kann eine Professionalisierung ohne ein exklusives Tätigkeitsfeld erfolgen? Wird die Soziologie also aufgrund ihrer Besonderheiten (die ihren Ursprung im Gegenstand haben) anders professionalisiert als andere wissenschaftliche Disziplinen? Ist es möglich, dass eine Disziplin sich durch ihre Tandem-Funktion professionalisiert? Wird die Professionalisierung der Soziologie womöglich nicht durch das Erschließen abgegrenzter Berufsfelder vollzogen, sondern durch die exklusiven Dienstleistungen, zu denen die Soziologie aufgrund ihres besonderen Gegen69
DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
standes fähig ist? Welche Leistungen könnte sie vollbringen, die exklusiv und notwendig wären (z.B. Soziologie als Tandem-Wissenschaft, als Irritationsleistung, als innergesellschaftliche Kritik etc.)? Könnte es sein, dass die für die Soziologie charakteristischen Probleme und Spannungen, wie z.B. das im 3. Kapitel dieser Studie beschriebene Sprachproblem, zum Normalzustand der Soziologie gehören, weil die Soziologie sich in ihrem Gegenstandsbezug und ihrer Professionalisierung bzw. Disziplinbildung anders entwickelt als andere Disziplinen? Die Auswirkungen des schwer definierbaren Gegenstandes auf die Professionalisierung der Soziologie und auch auf die Besonderheiten der soziologischen Professionalität werden im folgenden Kapitel behandelt.
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2 Soziologie zwischen Disziplin und Profession: Konstitutionsprobleme
„Oh wie schön wäre es, Mitglied einer Profession zu sein, endlich allein im Karpfenteich. Nur ist eine solche Entwicklung äußerst unwahrscheinlich, wenn man an die akademische Zerstrittenheit und Fragmentierung der Soziologie denkt, die sich in der Beratungsforschung eins-zu-eins reproduziert [...].“ (Guggenheim 2003: 295) „To say a profession exists is to make it one. Yet at the same time it is unclear whether we should identify professions by the group claims (and the social structure supporting them) or by their functional realities.“ (Abbott 1988: 81)
2.1 Einleitung Aufbau des Kapitels Die Überlegungen im ersten Kapitel machen deutlich, dass die gegenstandsbezogene Behauptung der Exklusivität der Soziologie in verschiedener Hinsicht problematisch ist, vor allem aber im Kontext ihrer Außenlegitimität. Die Frage der Außenlegitimität ist, wie oben schon erwähnt, eng an die der soziologischen Professionalisierung geknüpft. Angesichts der Problematik der Außenlegitimität ist es notwendig, den gegenstandsbezogenen Exklusivitätsanspruch der Soziologie durch einen Professionsbezug zu ergänzen.
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
Die Analyse der Gegenstandskonstitution im innersoziologischen Diskurs und in den Interviewdaten führte u.a. zu der Frage danach, wie die Soziologie professionalisiert wird, welche allgemeinen Professionalisierungskriterien in dieser Disziplin funktionieren bzw. nicht funktionieren, ob es möglich ist, exklusive Berufsfelder der Soziologie zu etablieren und wie diese konzipiert werden sollten. Es wurde die Frage nach den Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung aufgeworfen und danach, welche dieser Besonderheiten mit der möglichen Tandem-Funktion dieser Disziplin verbunden sein könnten, welche exklusiven Leistungen die Soziologie vollbringen könnte und ob man im Rahmen des Studiums zu einem Soziologen ausgebildet werden kann. Diesen Fragen wird in diesem Kapitel nachgegangen. Es wird erörtert, welche Besonderheiten die Professionalisierung der Soziologie im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen aufweist und womit sie zusammenhängen. Unter anderem wird gezeigt, dass die Soziologen zum Teil die Professionalisierung der Soziologie an der anderer Disziplinen, die gegenstandsmäßig und paradigmatisch anders festgelegt sind, messen und im Hinblick auf die Professionalisierung der Soziologie mit Defizitkonzepten arbeiten, anstatt über ihre Eigentümlichkeit zu reflektieren. Die Betrachtung der Eigentümlichkeiten der soziologischen Professionalisierung ist wie folgt strukturiert: a) Zunächst werden die Besonderheiten der soziologischen Ausbildung im Hinblick auf einen soziologischen Beruf angesprochen und auf die Frage einer etablierten beruflichen Praxis bezogen. Am Beispiel der Beratung wird ein Versuch beschrieben, einen exklusiven außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf (bzw. einen Dachbegriff für berufliche soziologische Tätigkeiten) zu etablieren. Die Beratung als berufliche Tätigkeit wird mit dem im Soziologiestudium vermittelten Wissen in Verbindung gebracht. Es wird ein Bezug zwischen dem Beratungskonzept und der im ersten Kapitel behandelten Frage nach exklusiven Dienstleistungen der Soziologie hergestellt. Ferner wird der Frage nachgegangen, warum ein Dachbegriff, der die beruflichen soziologischen Tätigkeiten zu systematisieren vermag, für die professionelle Identität der Soziologie von so großer Bedeutung ist. b) Danach werden anhand des soziologischen Diskurses die Fragen der Disziplinbildung bzw. der Herausbildung der akademischen Profession in der Soziologie beschrieben. Es wird vor allem der Frage nachgegangen, ob die in der Professionalisierungstheorie (Stichweh 1994; Oevermann 1996) anerkannten und auf andere wissenschaftliche Disziplinen anwendbaren Mittel der Disziplinbildung und der 72
SOZIOLOGIE ZWISCHEN DISZIPLIN UND PROFESSION
Herstellung von Zugehörigkeit in der Soziologie funktionieren. Dabei werden u.a. die Zugehörigkeitsmerkmale, Zertifikate, die Möglichkeiten der Aussortierung von Dilettanten und die informellen bzw. formellen Kriterien der Anerkennung in der Soziologie beschrieben. c) Abschließend werden erneut die Bezüge zwischen der soziologischen Ausbildung, den im Studium vermittelten soziologischen Kompetenzen, der wissenschaftlichen soziologischen Community und den außerwissenschaftlichen beruflichen soziologischen Tätigkeiten hergestellt. Die Frage der soziologischen Außenlegitimität wird aus der Perspektive der wissenschaftlichen und der außerwissenschaftlichen Soziologie thematisiert. Ferner wird den Fragen der Selbstwahrnehmung der Soziologie in Professionalisierungsbegriffen nachgegangen und diskutiert, inwiefern das Aufgeben einer durch das Studium etablierten soziologischen Identität in den außerwissenschaftlichen Bereichen notwendig und möglich ist. Durch die Notwendigkeit der Herausbildung einer – die eigene Exklusivität und dadurch auch die eigene Professionalität garantierenden – soziologischen Identität im außerwissenschaftlichen Beruf wird erklärt, inwiefern und warum die außerwissenschaftlichen Soziologen versuchen, sich der wissenschaftlichen Soziologie hinzuzurechnen. Es wird über die Bedeutung der für den inneren wissenschaftlichen Beruf essenziellen Kategorie der Wissenschaftlichkeit für den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf reflektiert. Das Verhältnis zwischen dem wissenschaftlichen und dem außerwissenschaftlichen Beruf wird darüber hinaus durch die Geschichte der deutschen Soziologie (primäre Professionalisierung zum wissenschaftlichen Beruf) und die Besonderheiten ihres Gegenstandes erklärt. Vor allem wird die Frage gestellt, wie –angesichts der Heterogenität der Soziologie, des Fehlens einer einheitlichen Ausbildung und eines exklusives Gegenstandes – die Exklusivität der professionellen soziologischen Dienstleistungen im außerwissenschaftlichen Beruf etabliert werden kann. Im Zentrum dieses Kapitels steht die Frage, inwiefern die Soziologie nach den beiden für diese Studie relevanten Professionalisierungskonzepten (die Auswahl der Konzeptionen von Stichweh 19941 vs. Oe1
In dieser Studie lehne ich an Stichwehs Theorie von 1994 an und nicht an seine Anpassung der Professionalisierungstheorie an die Wissensgesellschaft (Stichweh 2000, 2005). Dies hat zwei Gründe: Erstens ist die Ausdifferenzierung der Professionalisierung im akademischen vs. außerakademischen Bereich essenziell für die vorliegende Analyse. Um diese Aus-
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
vermann 1996 wird unten begründet) professionalisiert ist, welche Besonderheiten, Probleme und Defizite bei der Professionalisierung der Soziologie festzustellen sind und wie die vorhandenen Professionalisierungskonzepte rekonzipiert werden müssten, um die Beschreibung soziologischer Professionalisierung zu ermöglichen. Ferner wird der Frage nachgegangen, inwieweit sich ein außerwissenschaftlicher soziologischer Beruf mittlerweile etabliert hat. Im Kontext der Beschreibung der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten wird vor allem die Kluft zwischen dem professionellen Selbstverständnis der akademischen und dem der praktisch tätigen Soziologen aufgezeigt und anhand der Besonderheiten soziologischer Professionalisierung erklärt.
Professions- und Professionalisierungsbegriffe Die Anwendung von Professions- und Professionalisierungsbegriffen auf die Soziologie scheint kompliziert zu sein. Wie im Falle vieler anderer wissenschaftlicher Disziplinen lässt der Begriff der Professionalisierung zwei Deutungen zu, die im Endeffekt auf die Frage „angewandte Profession oder professionalisierte Disziplin?“ (Parsons 1959, Hughes 1958, Dewe 1991 u.a.) hinauslaufen, wobei die Beziehungen zwischen diesen Begrifflichkeiten je nach deren Deutung unterschiedlich stark sind. Für wissenschaftliche Disziplinen existieren in der Professionalisierungstheorie zwei gängige Professionsbegriffe: a) die Organisation einer akademischen Disziplin (im Sinne einer einheitlich organisierten Ausbildung und der Unterscheidung von Professionellen und Dilettanten)2 und
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differenzierung erfassen zu können, lässt es sich am besten mit der Stichweh’schen Theorie von 1994 arbeiten. Auserdem sehe ich, wie im Laufe dieses Kapitels deutlich werden wird, die Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung nicht in der Veränderung der Professionalisierungsvorgänge in der Wissensgesellschaft, sondern primär in dem besonderen Gegenstand der Soziologie sowie in der Geschichte dieser Disziplin. Zweitens lässt sich zeigen, dass die Community mit einem normativen Konzept einer monopolistischen bzw. monopolisierungsfähigen Profession arbeitet, darum auch das Arbeiten mit dem Konzept von 1994, das die Beschreibung eines monopolistischen Arbeitsbildes ermöglicht. Also Professionalisierung ohne einen Anwendungsbezug, Vgl. z.B. Janowitz’ Idee, dass „sociology will remain a basically staff-oriented profession rooted in academic and educational settings“ (1973: 130, meine Hervorhebung, TZ) – er knüpft diese akademische Profession der Soziologie aber an die Idee der soziologischen Aufklärung. Siehe auch Parsons (1968), für den eine Profession als solche dadurch definiert ist, dass sie über institutionelle Mittel verfügt, mit deren Hilfe ihre Kompetenzen „will be put to socially responsible uses“ (1968: 536), dieses „use“ dennoch so konzipiert ist, dass auch für die nicht anwendbaren Disziplinen eine Pro-
SOZIOLOGIE ZWISCHEN DISZIPLIN UND PROFESSION
b) die Ausbildung eines (einer akademischen Disziplin3 korrespondierenden) Anwendungsbezugs, wobei die Bearbeitung der Probleme eines Klienten4 im Zentrum steht5. Die Prozesse, die sich mit diesen beiden Professionalisierungsbegriffen beschreiben lassen, gehen bei den meisten Disziplinen Hand in Hand6 und sind in das Selbstverständnis ihrer Vertreter integrierbar7. In der deutschen8 Soziologie hingegen9 – und das ist ein Indikator für den Son-
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fession herausgebildet sein kann. Er sagt: „The skills of teaching and of research in the ‚pure‘ intellectual disciplines are also cases of such use“. Parsons‘ Sicht auf die Professionen vereint also die beiden Ansätze. Das lässt sich auch in seinen Kommentaren zur Soziologie als Profession lesen (Parsons 1959), wo er postuliert, dass Soziologie keine „predominantly applied profession“ – und deshalb das Kommunizieren soziologischen Wissens an Nicht-Soziologen eine ihrer Sekundäraufgaben als Profession – sei, sondern primär „dedicated to the advancement and transmission of empirical knowledge in its field“ (ibid.: 547). Zu dieser Auffassung von Professionalisierung im Kontext der Soziologie siehe auch Klima (1976, insb. 77), der die Institutionalisierung der soziologischen Profession in Westdeutschland durch die Etablierung des Faches an den Universitäten beschreibt. Zu Wissenschaft als nicht-klientenbezogener Profession siehe Oevermann (2003). Diese wird durch die Abwesenheit von Interaktionen mit außerwissenschaftlichen Leistungsabnehmern charakterisiert (Stichweh, 1994:135). Z.B. Stichweh (1994:317), Kühler (2003). Moldaschl/Holtgrewe (2003), z.T. auch Abbott (1988), Bledstein (1976) u.a. Die Autoren, die die Professionalisierung so sehen, vertreten zwei Standpunkte: Die einen glauben, Soziologie könne in diesem Sinne professionalisiert werden (oder werde derzeit in diesem Sinne professionalisiert), die anderen sehen dies als unmöglich an – z.B. weil Professionalisierung das Vorhandensein eines Klienten erfordere (vgl. dazu Kühler 2003). Generelle Bemerkungen zur Entwicklung der Professionen siehe bei Parsons (1968), Abbott (1988), Krohn/Rammert (1985). Zum Vergleich siehe die Geschichte der Entstehung von Professionen in Amerika im 19. Jahrhundert bei Bledstein (1976). Es lässt sich klar definieren, wofür das akademische Wissen bzw. die akademische Disziplin in der außerwissenschaftlichen Profession nützlich ist und auf welchen Stufen der Professionalisierung sich das Akademische in der Profession vorfinden lässt; siehe z.B. die Stufen der Professionalisierung bei Abbott (1988: 193): „examinations, licensing and registration, disciplinary committees, accreditation, ethic codes“; vgl. auch Weingart (1983), Huges (1958). Zur Situation dieser zwei Professionen (der wissenschaftlichen und der außerakademischen) in den USA siehe z.B. Schneider (1985:148). Zwar hat z.B. Hughes (1958:144) mit seiner Behauptung, diese Besonderheiten weise auch die Psychologie (und wahrscheinlich auch andere Sozialwissenschaften) auf, nicht ganz Unrecht. Doch hat sich die Psychologie im Sinne der Ausdifferenzierung einer außerwissenschaftlichen Profession
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
derstatus der Soziologie als einer wissenschaftlichen Disziplin – scheinen diese beiden Prozesse zu einer unüberbrückbaren Kluft im Selbstverständnis der akademischen und der praktisch tätigen Soziologen und wechselseitiger Ablehnung zu führen. Diese Kluft ließe sich z.B. dadurch beschreiben, dass der außerwissenschaftliche soziologische Beruf von einigen akademischen Soziologen als ein Weg in die De-Soziologisierung der Soziologie wahrgenommen wird10 oder zumindest als ein Weg der Entsoziologisierung der Soziologie in dem Sinne, dass das im Studium erworbene soziologische Fachwissen in der Praxis notwendig aufgegeben werden muss zugunsten der Aneignung „bequem aufbereiteten, folienfähigen Wissens aus anderen, anwendungsnahen Fächern“ (Kühl/Tacke; 2003:6).11 Diejenigen hingegen, die die Professionalisierung als einen Prozess der Entwicklung einer beruflichen Soziologie sehen (darunter auch viele praktizierende Soziologen12), sprechen die Notwendigkeit an, Soziologie als eine außerakademische Profession zu etablieren,13 und können sich
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viel erfolgreicher professionalisiert als die Soziologie. Ich beziehe diese Besonderheiten im Rahmen dieser Studie auf die Soziologie. Z.B. Klima (1976: 85 ff.), vgl. dazu auch Kühl (2004) mit seinen Gedanken zur möglichen Trivialisierung soziologischer Wissensbestände in der Praxis. Man müsse das Wissen reinterpretieren, seine eins-zu-einsNutzung in der Praxis sei unmöglich. Zwar meint Kühl nicht wie etwa Klima, dass die Soziologie dadurch tatsächlich de-soziologisiert sei, er weist aber auf ernsthafte Probleme bei dem Versuchen, die wissenschaftliche Soziologie umzusetzen, hin. Abbott (1988) hingegen betrachtet diesen Prozess als Normalzustand der Professionalisierung, da er glaubt, theoretisches Wissen, das im Studium erlernt wird, spiele in der Praxis eher eine legitimierende Rolle. Durch ein abgeschlossenes Studium ist man in der Lage nachzuweisen, dass man über bestimmte Qualifikationen verfügt. Das Wissen, das in der Praxis verwendet wird, kann generell auch on the job gelernt werden; dennoch wird man als Nicht-Studierter nicht als professionell betrachtet, selbst wenn man de facto über dieselben Kompetenzen verfügt. Siehe auch die Unterscheidung zwischen handwerklichen Berufen und Professionen bei Bledstein (1976: 88). Als ein Beispiel für die Wahrnehmung der Professionalisierung aus der soziologischen Praxis siehe etwa Springer (2004), der meint, die Entfernung der akademischen Soziologie von der Gesellschaftsgestaltung hätte zu einer „Déformation Professionelle des Faches geführt“ (ibid.: 5), und den Begriff der Professionalisierung als Gestaltung der akademischen Tätigkeiten durch den (abwertenden) Begriff der Akademisierung ersetzt, die für ihn eine Abweichung der Soziologie von ihren ursprünglichen Aufgaben bedeutet. Es wird auch argumentiert, Soziologie könne wie auch einige andere Geisteswissenschaften „in Zeiten anhaltender Rezension und der Schließung der Lehrstühle“ (Behrendt 2004: 4) nicht mehr ausschließlich als eine akademische Disziplin konzipiert werden; sie brauche eine Existenzberechti-
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dementsprechend nicht mit dem Gedanken anfreunden, Soziologie sei allein dadurch eine Profession, dass sie akademisch organisiert ist. Außerakademische Soziologen können also die wissenschaftliche soziologische Profession nicht als eine Profession wahrnehmen. Beck (1985) vertritt zwar die Meinung, Soziologie befinde sich seit einiger Zeit im Übergang von einer gelehrten zu einer beratenden Profession, doch hat sich diese Vorstellung in der Soziologie nicht generell etablieren können. Im Prinzip läuft die Frage nach der Anpassung des Professionsbegriffs an die Soziologie auf die ältere Diskussion14 über die Anwendung der Soziologie hinaus. Das deutet wiederum darauf hin, dass es im Falle der Soziologie nicht um zwei unterschiedliche Professionalisierungsbegriffe geht, die einander ausschließen, sondern eher um zwei ganz unterschiedliche Selbstwahrnehmungen der Soziologie als Profession. Die beiden Professionalisierungsbegriffe sind mit unterschiedlichen Konzepten der Professionalisierung verbunden, die in der soziologischen Diskussion anzutreffen sind: — Professionalisierung als Institutionalisierung bzw. Organisationsbildung der akademischen Disziplin (Klima 1976; Oevermann 2003 und 1996), d.h. die Entwicklung von Zertifikaten, Ethikkodizes, Qualitätskriterien, Curricula, die helfen, die Mitglieder der Disziplin von denen anderer Disziplinen und von Laien zu unterscheiden, die dem disziplinären Wissen Exklusivität verleihen, die sicherstellen, dass alle Professionellen über die gleichen Qualifikationen verfügen usw. Dieses Professionalisierungskonzept unterstellt nicht zwingend, dass es zu einer professionalisierten Disziplin auch eine damit korrespondierende anwendungsbezogene Tätigkeit geben muss (Parsons 1968), die auf die Bearbeitung der Probleme eines Klienten ausgerichtet ist. Bei dieser Auffassung von Professionalisierung weist die Soziologie bestimmte Besonderheiten auf, die als Defizite dieser Disziplin wahrgenommen werden können. Dazu zählt z.B., dass es kaum davon ausgegangen werden kann, dass alle, die Soziologie studiert haben, die gleichen Kompetenzen nachweisen können und überhaupt das Gleiche studiert haben15, dass sich die Curricula nicht gung, die durch die Herausbildung der Soziologie als eine Gestaltungswissenschaft zu erreichen sei. 14 Siehe zu dieser Debatte etwa Beck (Hg.) (1982), Shore/Scott (1979), Freeman et al. (1983), zur Zusammenfassung der Debatte etwa Dewe (1991). Zu einer globaleren Anwendungsdiskussion in der Wissenschaften allgemein siehe z.B. Böhme et al. (1983). Zur Popularisierung als einem basalen Moment der wissenschaftlichen Kommunikation siehe Stichweh (2003a: 212 f.) 15 Nicht zufällig forderte der BDS bereits im Jahre 1985 eine Standardisierung des Studiums in der Soziologie („Grundsätze und Empfehlungen des
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unbedingt angleichen lassen (Grühn/Schneider 1985; Link 1985), dass es kaum von allen Soziologen anerkannten Qualitätskriterien in der Soziologie gibt, sowie die Mechanismen, die Soziologen aus der professionellen Community auszuschließen, usw. (Geggenheim 2003). — Hinsichtlich der Professionalisierung als Prozess der Herausbildung eines (zur akademischen Disziplin korrespondierenden) Anwendungsbezugs, bei dem die Bearbeitung der Probleme eines Klienten im Zentrum steht (Stichweh 1994), ist festzustellen, dass die Soziologie nach dieser Definition noch weniger professionalisiert erscheint als nach der ersten. Die beiden Definitionen von Professionalisierung lassen sich, wie bereits erwähnt, im Falle anderer Disziplinen vereinen bzw. als ein einziger konsequenter Professionalisierungsprozess ansehen (Abbott 1988, Krohn/Rammert 1985). In der Soziologie ist dies dagegen unmöglich. Angesichts der beiden Professionalisierungs- bzw. Professionsbegriffe ist es notwendig, zwischen der wissenschaftlichen und der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeit zu unterscheiden. Nur so kann festgestellt werden, inwiefern die beiden Begriffe die Professionalisierung der Soziologie zu beschreiben vermögen, welcher Begriff sich auf die Soziologie besser anwenden lässt und wo genau die Defizite/Besonderheiten der Professionalisierung in der Soziologie je nach Begriff liegen. Ich benutze demzufolge im Rahmen dieses Kapitels die Begriffe der wissenschaftlichen Profession bzw. des wissenschaftlichen Berufs und des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs. Der Terminus wissenschaftliche Profession umfasst hier die beiden wissenschaftlichen soziologischen Berufe (den inneren – ausschließlich auf die forscherischen bzw. wissenschaftlichen Tätigkeiten orientierten – und den äußeren – karrieremäßig innerhalb des Sozialsystems Wissenschaft strukturierter – Beruf, nach Oevermann 1996 und 2003), die nicht mit der Lösung der Probleme eines konkreten Klienten verbunden sind. Die anwendungsbezogene Soziologie, die das wissenschaftliche soziologische Wissen in einer Praxis mit Klientenbezug anwendet, wird mit dem Begriff des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs (alternativ: als Berufssoziologie) beschrieben. Von den beiden Professionalisierungsbegriffen wird hier die Oevermann’sche Beschreibung der professionalisierten Praxis als Übertragung Berufsverbandes Deutscher Soziologen e. V. zur Studienreform in den Sozialwissenschaften“, 1985), die auf eine Anpassung an die außeruniversitäre soziologische Berufstätigkeit abzielte.
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von durch Laien selbst nicht zu lösenden Problemen auf Experten, deren Aufgabe demzufolge eine stellvertretende Krisenbewältigung ist (Oevermann 1996), bevorzugt. Die Profession wird in diesem Konzept nicht wie bei Stichweh (1994) durch Klientenbezug definiert, sondern als „eine stellvertretende Krisenbewältigung auf der Basis von routinisiertem Wissen“ (Oevermann 1996). Bei der professionellen Tätigkeit geht es nach Oevermann (ibid.) um die Wiederherstellung der beschädigten Autonomie der Praxis. Dieser Professionalisierungsbegriff ist im Rahmen dieser Studie wichtig, weil er die Beschreibung beider Arten der soziologischen Tätigkeit (die wissenschaftliche und die außerwissenschaftliche) als professionelle Tätigkeit ermöglicht (da wissenschaftliche Tätigkeit nach Oevermann auch als professionelle Tätigkeit zu beschreiben ist).16 Am Ende dieses Kapitels werden die Wechselwirkungen zwischen den wissenschaftlichen und den außerwissenschaftlichen soziologischen Berufen beschrieben. Es wird gezeigt, dass die wissenschaftliche Community die Herausbildung einer außerwissenschaftlichen soziologischen Profession nicht fördert. Zwar ist die Selbstwahrnehmung der akademischen Community17 nur einer der Gründe dafür, dass es bis jetzt keinen 16 In den wissenschaftlichen und wissenschaftsbasierten Professionen handelt es sich nach Oevermann (1996) darum, dass die Experten eine wissensförmige Routine entwickeln, aufgrund derer sie intervenieren können. Die wissenschaftlichen Professionen bearbeiten nicht nur die bereits vorhandenen Krisen, sondern beschäftigen sich mit der Bewältigung möglicher zukünftiger Krisen, selbst wenn ein entsprechender Bedarf seitens der Laien (noch) nicht besteht (Oevermann 2003). Wissenschaft kann sich als innerer und äußerer wissenschaftlicher Beruf professionalisieren (mehr dazu unten). Durch die akademische Ausbildung können sich aber auch außerakademische (auch klinische) Professionen herausbilden, die außerhalb des Wissenschaftsbetriebs auf der Basis des wissenschaftlich erworbenen Wissens mit Bezug auf konkrete Klienten stellvertretende Krisenbewältigung praktizieren. 17 Es muss darauf hingewiesen werden, dass „die akademischen Disziplin“ oder „die akademische Community“ eher imaginäre Einheiten darstellen. Sie sind lediglich als Konstrukt der Selbstwahrnehmung zu sehen, wenn nicht sogar als ein Sprachkonstrukt – den Plural „die Soziologien“ gibt es erst seit kurzer Zeit, und er bezieht sich eher auf die BindestrichSoziologien, die in ihrer Gesamtheit „die Soziologie“ bilden (vgl. dazu etwa Hirsch-Kreinsen (2003: 260), Esser (1993:13), Guggenheim (2003: 286), Stinchcombe (1994: 284), Davis (1994: 179 ff.) u.a.). Zwar ist die Disziplin mittlerweile einigermaßen integriert (vgl. dazu den Zustand der Disziplin in den 80er Jahren, z.B. Klima (1976: insb. 80, 94)), dennoch bleibt sie als Einheit eher ein Konstrukt, auf das man sich in Fragen der Identität beziehen kann. Möglicherweise ist aber die weitere Ausdifferenzierung ein Normalzustand jeder wissenschaftlicher Disziplin in der Wissensgesellschaft (vgl. dazu Stichweh 2003).
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etablierten außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf gibt, aber zweifellos hat es mit dem Selbstverständnis der akademischen Soziologie zu tun, dass die wissenschaftliche Profession dazu tendiert, eine Ausdifferenzierung des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs zu unterbinden bzw. einen außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf als eine Subdisziplin zu etablieren.
2.2 Soziologische Ausbildung und soziologische Profession 2.2.1 Ausbildung zu einer professionellen Tätigkeit? Ich leite meine Überlegungen zur Professionalisierung der Soziologie als einer akademischen und auch einer außerakademischen beruflichen Tätigkeit mit Fragen zur soziologischen Ausbildung ein – vor allem weil (oder obwohl) die soziologische Ausbildung, wie gezeigt wird, eine disziplinär bestimmte Ausbildung ist, nicht aber eine Ausbildung für einen außerwissenschaftlichen Beruf (siehe dazu Stichweh 1994 und 1987, insb. V). In der Beschäftigung mit der soziologischen Ausbildung wird schnell deutlich, dass Diskussionen um die Anwendung der Soziologie18 die Frage, ob man als Soziologe für außerwissenschaftliche Tätigkeiten/Praxis19 ausgebildet wird bzw. überhaupt ausgebildet werden kann, bis jetzt nicht in den Vordergrund gestellt haben. Im Zusammenhang mit Frage, ob man im Rahmen des Soziologiestudiums nur auf die wissenschaftliche oder auch auf eine außerwissenschaftliche Tätigkeit vorbereitet wird, muss als erstes geklärt werden, was (in wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Kontexten) unter dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf verstanden wird. Wenn es einen solchen Beruf überhaupt in einer konkreten, systematisierbaren Form gibt, stellt sich die Frage, ob man dafür im Soziologiestudium ausgebildet wird. Falls es einen solchen Beruf in dieser Form aber nicht gibt, ist zu fragen, warum dem so ist bzw. ob dies ein Problem der Disziplin/Profession oder eines ihrer Beschreibung ist.
18 Ich fasse diesen Begriff hier so weit, dass er alle möglichen außerakademischen soziologischen Tätigkeiten umfasst, also Anwendung im Sinne eines außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs. 19 Eine für diesen Kontext passende Definition von Praxis wäre etwa „Lernen aus den Erkenntnissen und Anwendung der Erkenntnisse“ (Franz/ Howaldt/Jakobsen/Kopp, 2003:9).
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Überlegungen aus der theoretischen Selbstreflexion des Faches Über den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf gibt es in der Selbstreflexion des Faches keinen Konsens. Dewe schreibt z.B.: „Im Unterschied zu anderen Humanwissenschaften, wie der Medizin, der Psychologie, der Jurisprudenz und – mit Einschränkungen – der Pädagogik, hat die Soziologie bislang nur in Rudimenten ein institutionelles Muster gefunden, in dem sie ihr Wissen durch Professionsinhaber unmittelbar an die mit lebenspraktischen Handlungsproblemen konfrontierten Laien oder andere Professionen weitergeben kann.“ (Dewe 1991: 99)
Dewe unterstellt also, dass die Soziologie über ein Wissen verfügt, das in außeruniversitären Kontexten zugunsten Dritter (eines Klienten) eingesetzt werden kann. Gleichzeitig weist er aber darauf hin, dass die Soziologie nicht in der Lage ist, dieses Wissen (dem Klienten) zu vermitteln. Es ist also nicht klar, wie die Soziologen als Professionelle im außerwissenschaftlichen Betrieb handlungsbezogen agieren können. Für die Ausbildung bedeutet dies vor allem, dass eine Orientierung auf außerwissenschaftliche soziologische Tätigkeiten dadurch schwierig wird, dass sich diese Tätigkeiten (zumindest auf der Basis existierender Professionalisierungskonzepte) nicht ausreichend systematisieren lassen, um in den Curricula berücksichtigt zu werden. Die Diffusität der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten resultiert m.E. daraus, dass Soziologen in ihrer Reflexion vom Idealbild einer wissenschaftlichen Disziplin ausgehen, die außerhalb der Wissenschaft über exklusive abgeschlossene Berufsfelder verfügt (wie etwa die Medizin), was in der Soziologie aufgrund ihres Gegenstandes ausgeschlossen ist. Aus solchen Idealbildern resultiert möglicherweise der fehlende Konsens über den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf. Inwiefern dies zutrifft, wird sich im Folgenden herausstellen. An dieser Stelle kann jedoch bereits festgestellt werden, dass eine Ausbildung zum Berufssoziologen nicht erfolgen kann, ehe in der Disziplin ein Konsens über mögliche Tätigkeitsfelder20 bzw. Aufgaben bzw. exklusive Dienstleistungen des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs hergestellt wurde. Oevermann, der die Soziologie in ihrem heutigen Zustand als „sich selbst reproduzierende erfahrungswissenschaftliche Disziplin ohne korrespondierende institutionalisierte Berufspraxis“ (1990:3) beschreibt, kritisiert die fehlende Möglichkeit, sich im Studium gezielt auf eine au20 Siehe z.B. den von SFS Dortmund herausgegebenen Band „Forschen-Lernen-Beraten“ (2003) und auch SuB 1-2/2002.
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ßerwissenschaftliche berufliche Tätigkeit als Soziologe vorzubereiten, als fehlende „berufspraktische Rechtfertigung“ des Soziologiediploms:21 „Die bisherige Soziologie hat zwar unbedingt ein Diplom als Abschluß eines Hauptstudienganges „Soziologie“ in der Nachkriegs-Universität durchsetzen wollen und auch erfolgreich durchgesetzt. Aber die berufspraktische Rechtfertigung eines solchen Diploms steht bisher noch aus. Ein Diplom-Abschluß macht letztlich nur einen Sinn, wenn auf eine institutionalisierbare, gesellschaftlich nachgefragte Berufstätigkeit oder Berufspraxis hin ausgebildet werden kann oder muß. Das setzt natürlich voraus, daß eine solche Berufspraxis zum einen einer realen, regelmäßig wiederkehrenden praktischen Problemstellung korrespondiert und zum anderen das professionalisierende wissenschaftliche Fach von seinen spezifischen Erkenntnismöglichkeiten her ein bedeutsames, von anderen Disziplinen nicht wahrnehmbares Problemlösungspotential bereithält und ausgebildet hat. Das Fach Soziologie hat nun aber bisher diese beiden allgemeinen Bedingungen nicht erfüllen können. Das lag nicht an seinem geringen Entwicklungsund Reifestand, sondern hat systematische Gründe. Die Soziologie als allgemeine Gesellschaftswissenschaft hat keinen spezifischen Klienten, es sei denn die Gesellschaft selbst, und diese ist per se kein konkreter Klient [...]. Vieles spricht tatsächlich dafür, daß – legt man die bisherige Entwicklung der Soziologie zugrunde – dieses Fach systematisch keine Berufspraxis begründen und keinen entsprechenden Studiengang institutionalisieren kann, weil seine praxisbezogenen Problemlösungen sofort in andere institutionalisierte Studiengänge als Ausbildungsstoff einwandern, wie überhaupt ja [...] sukzessive ein zu einem früheren Zeitpunkt im Zentrum der Soziologie stehendes Wissen und Fertigkeitsmuster später an die Peripherie des Faches wandert, und zwar in dem Maße, in dem sich andere Studiengänge dieser Materie annehmen und sich einverleiben.“ (Oevermann 1990:2)
Oevermann spricht dabei die Problematik der fehlenden „berufspraktischen Rechtfertigung“ der Soziologieausbildung von zwei Standpunkten aus an. Einerseits kritisiert Oevermann die Inkonsistenz der Soziologie als Lehrfach, die darin besteht, dass dem Diplomabschluss keine Berufstätigkeit entspricht. Andererseits behauptet er, dass dieses Problem systematische Gründe habe, da Soziologie als Gesellschaftswissenschaft keinen spezifischen Klienten habe, weil die Gesellschaft nicht als konkreter Klient betrachtet werden könne. Diese Ausführungen lassen sich aber auch so lesen, dass für das Scheitern der Soziologie als Berufsvorbereitung nicht nur systematische,
21 Inwiefern sich die Situation mit der Einführung der BA/MA-Studiengänge ändern wird, wird sich im Laufe der Jahre zeigen. Zu pessimistischen Erwartungen in dieser Hinsicht siehe Liebermann/Loer (2006: 1215 f.).
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sondern auch interne Motivationsgründe verantwortlich sind.22 Sie erwecken den Eindruck, dass die Soziologie als Fach und ausbildende Einheit nicht an der Ausdifferenzierung einer soziologischen außerwissenschaftlichen Berufspraxis interessiert sei. Soziologie wird als nur an der Produktion wissenschaftlichen Wissens interessiert dargestellt; was an praxisorientiertem Wissen produziert wird, sei eher dem Zufall geschuldet und für die wissenschaftliche Soziologie selbst nicht von Bedeutung. Praxisbezogene Problemlösungen werden als Begleiterscheinungen der wissenschaftlichen Produktion gesehen und entsprechend gering bewertet. Das praktisch Relevante am soziologischen Wissen, das die Basis für einen außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf bilden könnte, verschwindet in der „Peripherie des Faches“ bzw. wird kampflos anderen Fächern überlassen. Dies weist darauf hin, dass der Lehrkörper Soziologiestudenten lediglich als künftige Wissenschaftler wahrnimmt, d.h. die Soziologie als Lehrfach (als wissenschaftliche Profession) sieht die Sicherung der professionellen außerakademischen Exklusivität für ihre Absolventen nicht als ihre Aufgabe. Kurz: Sie sieht ihre Absolventen nicht als Berufssoziologen (außerhalb des Wissenschaftsbetriebs). Die Ausbildung in der Soziologie bietet also kaum die Möglichkeit, sich auf den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf vorzubereiten (vgl. Liebermann/Loer 2006: 1213 f.). Damit diese Möglichkeit aber vorgesehen wird, muss im Falle der Soziologie zuerst geklärt werden, was der außerwissenschaftliche soziologische Beruf überhaupt ist, da die Möglichkeit der Ausbildung zum Berufssoziologen eine Re-Konzeptualisierung (bzw. Ausdifferenzierung) der soziologischen Lehre erfordert.23 Die Frage ist, ob die soziologische Ausbildung klar definieren kann, welchen Tätigkeiten Absolventen im außerwissenschaftlichen Bereich 22 Das schließt allerdings nicht aus, dass die fehlende Selbstwahrnehmung in Kategorien des Konkurrenzkampfes zwischen unterschiedlichen Professionen mit dem Fehlen eines konkreten Klienten zusammenhängt. 23 Hughes (1958) stellt die Ausdifferenzierung des Ausbildungsprozesses im Fall der Medizin dar. Er beschreibt das Ausbildungssystem der Medizin als ein System, das die Ausbildung sowohl für eine wissenschaftliche als auch für eine außerwissenschaftliche Tätigkeit ermöglicht. Hughes vergleicht das Ausbildungssystem der Medizin mit dem der Psychologie – Hughes’ Überlegungen zur Psychologie in diesem Kontext passen m.E. auch auf alle anderen Sozialwissenschaften – und meint, die Psychologie (die sich eher als eine wissenschaftliche Disziplin sieht), habe ein Problem damit, wahrzunehmen, dass die Ausbildung für eine wissenschaftliche Tätigkeit nicht dieselbe ist wie für eine außerwissenschaftliche Tätigkeit: „Training in scientific research [in der Medizin; TZ] comes later, for the few who want it. I do not know whether psychology could institutionalize its conflict in such a way.“ (Hughes 1958: 144)
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nachgehen können und ob das Ausbildungssystem zur Strukturierung des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs beitragen kann. Bisher erweckt der Ausbildungsprozess in der Soziologie allerdings den Anschein, dass alle Studierenden für das Ausüben akademischer Tätigkeiten ausgebildet werden,24 nicht nur die kleine Gruppe, die de facto im Wissenschaftsbetrieb bleibt. Mit Sicherheit hat Oevermann nicht Unrecht, wenn er sagt, die primäre Ausbildung zur Profession – sei es die außerwissenschaftliche oder die wissenschaftliche – müsse die Ausbildung des forscherischen Habitus beinhalten und die primäre Sozialisation müsse die in den wissenschaftlichen Diskurs sein (Oevermann 1996: 98). Dagegen ist nichts einzuwenden; die Frage ist eher, ob die soziologische Ausbildung so ausgerichtet ist, dass sie auch die „doppelte Professionalisierung“ (ebd.: 124), also die Erweiterung der forscherischen Sozialisation durch eine Professionalisierung zum außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf zulässt. Es gab zwar explizite Versuche, die beiden Konzepte zu integrieren25 – so wurde z.B. im Bielefelder Curriculum mit Praxisschwerpunkten eine explizite Orientierung auf die Praxis eingeführt – diese schlugen jedoch fehl:26 „Wo an Universitäten, wie etwa in Bielefeld, versucht wurde, berufspraxisbezogene Schwerpunkte und Ausbildungsgänge zu institutionalisieren, sind die Erwartungen enttäuscht worden. Zwar ist es durchaus gelungen, solche Schwerpunkte zu füllen, aber die Korrelation zwischen Schwerpunktbildung 24 Wie man bei der Lektüre von Zeitschriften praktizierender Soziologen (siehe z.B. das von SFS Dortmund herausgegebene Journal Praxis und auch die Ausgaben der BDS-Zeitschrift „Sozialwissenschaften und Berufspraxis“ seit 1995 (SuB Stuttgart: Lucius+Lucius, http://www.bdssoz.de/index.php?option=com_content&task=view&id=16&Itemid=28 vom 2.12.2006) mit Erstaunen feststellt, haben die außerwissenschaftlichen Soziologen die Tatsache, dass „der standardisierte Kanon soziologischen Wissens an den sozialwissenschaftlichen Fakultäten eine praktische Gestaltung gar nicht vorsieht“ (Springer 2004: 5), als einen Normalzustand des Lehrfaches Soziologie hingenommen und überlegen sich selbst Auswege aus dieser Situation. Diese zielen darauf ab, mit Hilfe einiger motivierter Lehrender eine Umgestaltung des Studiums in die Wege zu leiten, damit „neben dem kanonischen soziologischen Orientierungswissen nicht-kanonisches Gestaltungswissen“ vermittelt wird (ibid.). 25 Eine solche Integration würde in Oevermann’schen Termini „doppelte Professionalisierung“ (1996) heißen oder „sekundäre Professionalisierung“ nach Stichweh (1994). 26 Darüber berichten u.a. die „Grundsätze und Empfehlungen des Berufsverbandes Deutscher Soziologen e. V. zur Studienreform in den Sozialwissenschaften“ (1985: 216), auch Grühn/Schneider (1985: 191).
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im Studium und inhaltlich komplementärer Berufstätigkeit ist nur gering.“ (Oevermann 1990: 9)
Das Soziologiestudium impliziert zwar (allein schon dadurch, dass man es mit einem Diplom oder Bachelor27 abschließen kann) die Möglichkeit der Ausbildung für einen außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf, diese ist aber de facto kaum vorhanden. Man wird im Studium für akademische Tätigkeiten ausgebildet mit dem Hinweis, man könne das im Studium erworbene Wissen auch im außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf anwenden. Da aber bisher keine Systematisierung der außerwissenschaftlichen soziologischen beruflichen Tätigkeiten erfolgt ist, wird in der Soziologie nur die Ausbildung zum akademischen Soziologen praktiziert. Denn schließlich ist die Ausbildung für eine außerwissenschaftliche berufliche Tätigkeit die „Sozialisation in eine Berufsgruppe, die ein Quasi-Monopol für ein Tätigkeitsgebiet besitzt“ (Stichweh 1987: 141)28 – und wie kann man jemanden in eine Berufsgruppe sozialisieren, deren Tätigkeitsbereiche nicht eindeutig definiert werden können? Ein Konsens über solche Tätigkeitsbereiche in der ausbildenden Einheit der Soziologie wäre essenziell für die Umgestaltung des Studiums (im Sinne einer möglichen Ausbildung zum Berufssoziologen). Das Fehlen eines solchen Konsenses besagt freilich nicht, dass es keine außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten gäbe – es gibt durchaus Soziologen, die sich als solche definieren und in außerwissenschaftlichen Feldern tätig sind. Das Problem ist eher, dass es zumindest bisher nicht möglich ist diese Tätigkeiten so zu systematisieren, dass auch die wissenschaftlichen Soziologen die Gemeinsamkeiten mit der außerwissenschaftlichen Soziologie anerkennen würden, was notwendig wäre, die Anforderungen der außerwissenschaftlichen Soziologie in die Curricula einzubetten. Die außerwissenschaftlichen Soziologen wissen zwar, was man im Studium hätte lernen müssen, um im Beruf erfolgreich zu sein, sie können dies den Lehrenden in der Soziologie jedoch nicht mitteilen. Die 27 Die BA/MA-Debatte wird in dieser Studie nur am Rande erwähnt. Ich bin jedoch der Meinung, dass der Übergang der Soziologie zu einer anderen Studienordnung die in diesem Kapitel beschriebenen Besonderheiten der soziologischen Ausbildung nur noch deutlicher macht. 28 Dies ist der Idealfall, auf den sich, wie die empirischen Daten zeigen, sowohl die die Lehrenden als auch die außerwissenschaftliche Soziologie orientieren. Dass eine derartige Monopolisierung in der Wissensgesellschaft immer mehr zurückgeht (vgl. dazu Stichweh 2000, 2005), wird in den soziologischen Diskursen über die Professionalisierung der Soziologie kaum berücksichtigt.
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akademischen Soziologen, die die Mehrheit der Lehrkräfte bilden, haben ihrerseits bestimmte (zum Teil unzutreffende) Vorstellungen davon, welche Kenntnisse und Fähigkeiten im außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf gebraucht werden. Auch sind sie zum Teil durchaus motiviert, die Studierenden auf außerwissenschaftliche berufliche Tätigkeiten vorzubereiten. Dennoch entwickeln sie die auf die Berufsausbildung fokussierenden Elemente im Studium, ohne auf Empfehlungen bzw. Erfahrungen außerwissenschaftlicher Soziologen zurückzugreifen. Dies liegt darin begründet, dass sie den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf in seiner derzeit existierenden Form nicht als solchen wahrnehmen können, möglicherweise weil sie von den Standardbildern der Berufsfelder anderer wissenschaftlicher Disziplinen ausgehen, über die die Soziologie nicht verfügt und aufgrund ihrer Eigentümlichkeiten nicht verfügen kann. Man könnte jedoch eine Systematik des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs finden, die in die Curricula eingebettet werden könnte, wenn man bereit wäre zu akzeptieren, dass sich der außerwissenschaftliche soziologische Beruf nicht in Bezug auf abgeschlossene Berufsfelder strukturiert, sondern durch die anderen Disziplinen/Professionen und in deren Arbeitsfeldern zu erbringende Dienstleistungen. Diese Dienstleistungen müssten definiert und systematisiert, die dafür notwendigen Kompetenzen beschrieben und die Ausbildung anschließend re-konzipiert werden. An die Frage, wie eine Systematisierung der außerwissenschaftlichen beruflichen soziologischen Tätigkeiten möglich wäre, knüpft der im Folgenden rekonstruierte Versuch an, einen Dachbegriff für den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf zu etablieren, nämlich die Beratung29 (Blättel-Mink/Katz (Hrsg.) 2004). Eine entsprechende Konzeption der Beratung es, die Eigentümlichkeit der Soziologie zu einem Berufsbild umzuinterpretieren. Bevor aber das Beratungskonzept beschrieben wird, müssen noch weitere Gründe dafür erörtert werden, dass die soziologische Ausbildung primär als Vorbereitung auf wissenschaftliche Tätigkeiten konzipiert ist.
29 Damit wird nicht behauptet, dass Beratung die einzig mögliche außerwissenschaftliche soziologische Beschäftigung sei, sondern es geht darum, die unterschiedlichsten Beschäftigungen unter einem Dachbegriff zu versammeln und mindestens eine weit gefasste Beschreibung der außerakademischen soziologischen Berufe zu geben. Die Beratung lässt sich einigen Autoren zufolge breit genug konzeptualisieren, dass sie für eine solche eine Generalisierung in Frage kommt.
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Historische Hintergründe der primär wissenschaftlichen Ausrichtung der soziologischen Ausbildung Zur Erklärung des fehlenden Konsenses über den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf, der mangelnden Erfahrung vieler Lehrender mit diesem Beruf und ihrer fehlenden Bereitschaft, die Curricula auf die Berufsvorbereitung auszurichten, sind einige Einblicke in die Geschichte der (west)deutschen Soziologie notwendig. Von Friedeburg (2000: 27) argumentiert damit, dass es der Soziologie in den Nachkriegszeiten (beim Wiederaufbau des Faches) an Nachwuchswissenschaftlern gefehlt habe. Die akademische Wissenschaft musste sich reproduzieren bzw. produzieren. Die Ausbildung zielte also primär darauf, wissenschaftliche Soziologen auszubilden;30 daher wurden die Studierenden zunächst so ausgebildet, als wollten bzw. könnten sie ausschließlich eine akademische Karriere anstreben. Der Disziplin ging es also vor allem um die eigene (Re)Produktion; die möglichen außerwissenschaftlichen Tätigkeiten waren von sekundärer Bedeutung – nicht zuletzt weil es hinreichend Möglichkeiten gab, die Absolventen an den Hochschulen zu beschäftigen.31 Später veränderte sich die Stellensituation32 – wie es in den „Grundsätzen und Empfehlungen des Berufsverbandes Deutscher Soziologen e. V. zur Studienreform in den Sozialwissenschaften“ formuliert wird, wurde „mit steigenden Absolventenzahlen der Soziologie und deutlich rückläufigen Beschäftigungschancen im Hochschulbereich [...] die Phase der akademischen Selbstrekrutierung [...] weitgehend beendet“ (1985:215). Die Ausrichtung der Ausbildung veränderte sich jedoch nicht entsprechend. Sie hatte sich bereits gefestigt, nicht zuletzt in der Selbstwahrnehmung der Soziologie, die es sich einige Jahre lang (auch rein ökonomisch) leisten konnte, auf Praxisbezüge im Sinne der außerakademischen Berufsorientierung zu verzichten. Selbst als durch die veränderte Stellensituation, steigende Absolventenzahlen usw. klar wurde, dass nicht alle in der Soziologie ausgebildeten Absolventen im Wissenschaftsbetrieb bzw. an der Hochschule blei30 Zur Geschichte der Professionalisierung der Disziplin als universitäres Lehrfach siehe Klima (1976); siehe auch Lepsius (2000: 14 f.) dazu sowie für einen kurzen Exkurs in die Geschichte der deutschen Soziologie in der Nachkriegszeit und Einblicke in die Amerikanisierung der deutschen Soziologie und die Selbstwahrnehmung der Soziologie als Selbstbeschreibung der deutschen Gesellschaft. 31 Zu dieser Entwicklung siehe Klima (1976: 78), von Friedeburg (2000: 28), Viehoff (1985: 52 ff.). Zu einer vergleichbaren Entwicklung der Soziologie in Italien (die später stattfand als in Deutschland, Mitte der 60er bis Mitte der 70er Jahre) siehe Balbo/Chiaretti (1976: 103). 32 Vgl. dazu Blättel-Mink/Katz (2004: 17).
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ben konnten, wurde eine Umgestaltung der Ausbildung im Sinne einer Hinwendung zu außerwissenschaftlichen Beschäftigungsmöglichkeiten nicht angedacht. Im Gegenteil wurde z.B. erwogen, die Zahl der Studierenden so zu reduzieren, dass die Ausbildung sich ausschließlich auf die Studierenden konzentrieren könnte, die auf die „reine Wissenschaft“ orientiert wären (Klima 1976: 85). Es muss allerdings bedacht werden, dass eine Restrukturierung der Ausbildung nicht einfach ein technischer Prozess ist, sondern auch Veränderungen in der Selbstwahrnehmung der ausbildenden (akademischen) Community erfordert – nicht zuletzt weil der Übergang von der disziplinär bestimmten Ausbildung zur Ausbildung für einen außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf u.a. mit der Angst verbunden ist, bis zu einem gewissen Grad die akademische Freiheit33 aufgeben zu müssen. Man könnte das auch so sehen, dass gerade die Etablierung eines außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs die Autonomie der wissenschaftlichen Soziologie gewährleisten könnte (durch eine klare Trennung von wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Beschäftigungen). Die Frage ist jedoch auf jeden Fall, ob die für die Restrukturierung der Ausbildung zuständigen Hochschullehrer (also wissenschaftliche Soziologen) bereit sind, eine solche Etablierung zu fördern, d.h. ob sie in der Lage sind, den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf als solchen anzuerkennen. Diese historischen Hintergründe erklären zum Teil die fehlende Motivation der Hochschullehrer, ihre Studierenden im Soziologiestudium auf die außerwissenschaftlichen beruflichen Tätigkeiten vorzubereiten. Ein Konsens über das Feld der außerakademischen Tätigkeiten für Soziologen wäre aber die wichtigste Voraussetzung für eine Re-Konzipierung der soziologischen Ausbildung. Ein solcher Konsens fehlt allerdings nicht nur im akademischen Kontext.34 Die Berufssoziologen wissen zwar, welches Wissen und welche Kompetenzen sie brauchen und welche Dienstleistungen sie für andere Disziplinen bzw. die Klientel erbringen können, dennoch ist dieses Wissen nicht ausreichend, um eine Basis für eine systematische Erfassung der beruflichen soziologischen Tätigkeiten zu finden.
33 Diese stellt seit dem Mittelalter einen der zentralen Werte der Akademie dar. Siehe dazu Stichweh (1987: insb. 138 ff. und 1994). 34 Zu diesem Konsens siehe auch die Analyse von Interviewdaten unten in diesem Kapitel.
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Die Selbstbeschreibung der Berufssoziologen mit dem Berufsbegriff Selbst der Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen e.V. – die Organisation der außerwissenschaftlich tätigen Soziologen – kann nicht von sich behaupten, er sei auf der Basis eines soziologischen Berufs organisiert. Auf seiner Internet-Seite war noch im Jahre 200535 folgende Selbstdarstellung zu finden: „Der ‚Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen e.V.‘ (BDS) ist die berufspolitische Vereinigung der Soziologinnen und Soziologen in der Bundesrepublik Deutschland. Er vertritt deren berufliche und berufspraktische Interessen und Belange. [...] Im Unterschied zur eher akademisch orientierten Deutschen Gesellschaft für Soziologie schließt der BDS insbesondere auch die außeruniversitär tätigen Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler ein. Der Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen fördert das Image der Soziologie als Profession und das der Soziologinnen und Soziologen als Fachwissenschaftler und Experten durch Öffentlichkeitsarbeit und durch professionelle Expertise. Der Berufsverband informiert über die Berufsarbeit von Soziologinnen und Soziologen und über deren vielfältige Wirkungsgebiete und Tätigkeiten. Er fördert dadurch eine realistische Wahrnehmung der Rolle und der Leistungsfähigkeit der Soziologie in der Gesellschaft und trägt zum Abbau von eventuell noch bestehenden Vorurteilen bei.“ (http://userpage.fu-berlin.de/%7eifs/bds/ziele.html vom 10.11.2005)
Dem Zitat lässt sich entnehmen, dass es Berufssoziologen gibt (die Interessen der letzten werden durch den Verband vertreten). Außerdem möchte der Verband das Image der Soziologie als Profession fördern. In diesem Zusammenhang wird von möglichen Vorurteilen gesprochen. Die Inhalte und Formen der beruflichen soziologischen Tätigkeit kommen in dieser Darstellung jedoch eher diffus zum Ausdruck. Die gemeinsame Identitätsbasis der Berufssoziologen scheint ihre akademische Ausbildung zu sein; der Vorsitzende des Berufsverbandes stellt dies als eine Selbstverständlichkeit dar: „Unser Berufsverband, der eine große Heterogenität ausgeübter Berufe vertritt, hat seine gemeinsame Identität in der Ausbildung und die wiederum sehr stark durch bestimmte Theoriebezüge.“ (Behrendt 2003: 332) Der Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen präsentierte sich also bis vor kurzem als eine Organisation, die sich zwar an 35 Diese Selbstwahrnehmung oder zumindest ihre Definition auf der Webseite ist inzwischen anders. Die hier angegebene Referenz ist immer noch zu finden, etwa unter der Beschreibung der soziologischen Organisationen auf der Seite des Instituts für Soziologie der RWTH Aachen (http://www. soziologie.rwth-aachen.de/Institutionen.htm vom 2.12.2006).
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beruflichen Tätigkeiten orientiert, aber primär durch die gemeinsame Ausbildung und Theoriebezüge geeint wird. Da es aber in der Ausbildung keine Komponenten gibt, die für den BDS als alleinige Identitätsbasis in Frage kommen, ist die Notwendigkeit, sich von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) abzugrenzen, verständlich. Durch die Formulierung „Im Unterschied zur eher akademisch orientierten Deutschen Gesellschaft für Soziologie schließt der BDS insbesondere auch die außeruniversitär tätigen Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler ein“ wird eine Unterscheidung zwischen den beiden Organisationen getroffen, die auf das Spezifikum des BDS verweist. Dieses definiert der BDS allerdings durch die Referenz auf diese andere, ältere und im gewissen Sinne konkurrierende Organisation, und zwar unter Verweis auf das gemeinsame Mitgliederprofil beider Organisationen. Das Problem ist eben, dass keine Möglichkeit besteht, das Mitgliederprofil des BDS eindeutig zu spezifizieren. Das Spezifische am BDS im Vergleich zur DGS besteht also nach dieser Definition darin, dass diese Organisation Soziologen einschließt, die nicht an der Hochschule ansässig sind, sich aber aufgrund der gemeinsamen Identität, die in der Ausbildung und in bestimmten Theoriebezügen wurzelt, vereinen wollen. Das macht einerseits deutlich, dass die Berufsfelder für Soziologen so diffus sind,36 dass sie keine Basis für eine gemeinsame Identität bieten, und die Berufsoziologen keine andere gemeinsame Grundlage finden können als den akademischen Hintergrund. Andererseits zeigt es, wie stark die Bezüge der in der Praxis tätigen Soziologen zu ihrer Hintergrunddisziplin sind (vgl. Behrendt 2003: 332). Anstatt sich mit den anderen im jeweils selben Bereich tätigen Professionellen zusammenzuschließen, wollen Berufssoziologen sich zumindest auch mit „den anderen“ Soziologen vereinen, mit denen sie möglicherweise außer der Basisausbildung wenig gemeinsam haben (die allerdings in Deutschland nicht so homogen ist, dass man von der soziologischen Ausbildung sprechen könnte). Die wenigen Gemeinsamkeiten, die sie eventuell haben, lassen sich darüber hinaus mit den vorhandenen Professionalisierungsbegriffen nicht beschreiben. Man könnte es aber auch so sehen, dass die Motivation, sich professionell zu organisieren und dadurch der eigenen Profession eine Exklusivität gegenüber anderen Professionellen zu sichern, bei den Soziologen desto größer wird, je größer die Heterogenität der ausgeübten Berufe wird.
36 Dies trifft auch auf den akademischen Bereich zu, dort ist aber die Identitätsstiftung nicht so problematisch: Formelle Qualifikationen und die Zugehörigkeit zu einer Fakultät, einem Institut oder Lehrstuhl tragen dazu bei.
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Derzeit findet man auf der Internetseite des BDS folgende Selbstbeschreibung: „Der BDS vertritt die beruflichen und berufspolitischen Interessen der Absolventinnen und Absolventen soziologischer und verwandter Studiengänge. Mitglieder des Verbandes sind in vielen verschiedenen Arbeitsfeldern und -positionen tätig. Sie arbeiten in Hochschule und Forschung/Lehre ebenso wie in öffentlichen Verwaltungen und in Unternehmen der Privatwirtschaft; sie sind als gewerbliche Unternehmer oder Freiberufler in der Beratung und angewandter Forschung tätig. Gemeinsam ist ihnen die Identität der sozialwissenschaftlichen Ausbildung, ihrer theoretischen Basis und Fachmethodik.“ (http://www.bds-soz.de/index. php?option=com_content&task=view&id=17&Itemid=29 vom 2.12.2006)
Unter den Zielen und Aufgaben des Vereins steht: „Sozialwissenschaftliche Kompetenz hat ein vielfältiges Anwendungspotential in der Arbeitswelt: In Organisationsentwicklung, systemischer Beratung, Personalentwicklung, Marketing, Politikberatung, PR, Markt- und Sozialforschung, in der Gesundheitsvorsorge u.v.m. finden sich heute relevante professionelle Anwendungsfelder soziologischer Theorien und Methoden. Ziel ist es, die spezifischen Qualifikationen der Mitglieder und des Verbandes gegenüber der Öffentlichkeit herauszustellen, den Austausch zwischen der akademischen Soziologie und der Praxis zu intensivieren und gesellschaftliche Innovationen zu fördern. Der BDS versteht sich als Organisator von kooperativen Netzwerken und setzt sich für eine praxisorientierte Aus- und Weiterbildung ein, so kooperiert er z.B. mit dem Studiengang „Praktische Sozialwissenschaft“ in Essen und ist Initiator eines Traineeprogramms „Neue Medien“ für post-graduates. Gemeinsam mit der DGS – der Deutschen Gesellschaft für Soziologie – hat der BDS Standards zu Forschung, Respekt vor den Untersuchten, zum Publikationsverhalten und zum Verhalten zu Mitarbeitern, Studenten und Kollegen gesetzt (‚Ethikcodex‘). Für die Einhaltung des Ethikcodex ist eine gemeinsame Kommission zuständig.“ (http://www.bds-soz.de/index.php?option =com_ content&task=view&id=45&Itemid=61 vom 2.12.2006)
In der Selbstpräsentation ist also gegenüber der früheren Version eine Verschiebung in Richtung einer Autonomisierung der außerwissenschaftlichen Soziologie festzustellen. Dennoch ist der Selbstbezug auf die wissenschaftliche akademische Vereinigung weiterhin sehr stark. Die Autonomisierung erfolgt nicht dadurch, dass die Ziele und Aufgaben sowie die Selbstdefinition der außerwissenschaftlichen Soziologen von denen der wissenschaftlichen Soziologie abgesetzt werden, sondern eher dadurch, dass die BDS sich selbst als einen gleichberechtigten, an91
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erkannten Partner in der Gewährleistung der Qualität des soziologischen Wissens, Setzung des Ethikkodexes usw. und als Kooperationspartner in Ausbildungsfragen zu positionieren sucht. Auch erfolgt die soziologische Identitätsbildung der Mitglieder nach wie vor durch den Bezug zur wissenschaftlichen Soziologie, zur „sozialwissenschaftlichen Ausbildung, ihrer theoretischen Basis und Fachmethodik“. Die besonderen soziologischen Kompetenzen werden nicht aufgeschlüsselt, sondern nur als „sozialwissenschaftliche Kompetenz“ zusammengefasst und als die Fähigkeit generalisiert, „soziologische Theorien und Methoden“ anzuwenden, was wiederum keine Autonomisierung von der wissenschaftlichen Soziologie erlaubt.
Zur Notwendigkeit der Re-Konzipierung der Soziologieausbildung Als eine wichtige Voraussetzung für die Lösung des Identitäts- und Ausbildungsproblems (zumindest in Bezug auf eine gemeinsame Identitätsbasis und die Restrukturierung der Curricula) sehe ich eine Modifizierung der auf die Soziologie angewendeten Berufs-, Professions- und Professionalisierungsbegriffe. Eine solche Modifizierung wäre vor allem für die Selbstwahrnehmung der beruflichen Soziologen – und die Wahrnehmung der beruflichen seitens der akademischen Soziologie – essenziell. Sie sollte es ermöglichen, die außerwissenschaftliche berufliche soziologische Tätigkeit von der Idealvorstellung von geschlossenen Arbeitsfeldern zu entkoppeln, Das Exklusive an der außerwissenschaftlichen Soziologie wäre dann von den exklusiven soziologischen Dienstleistungen abzuleiten, die wiederum auf die Eigentümlichkeit des Gegenstandes der Soziologie zurückzuführen sind. Eine Re-Konzipierung des Soziologiestudiums in der Weise, dass es die Ausbildung für außerwissenschaftliche berufliche Tätigkeiten ermöglicht, wäre demzufolge nicht rein technisch umzusetzen. Es ginge dabei nicht primär darum, den Soziologiestudenten beispielsweise zusätzliche methodische Kompetenzen zu vermitteln, sondern darum, ihnen deutlich zu machen, was genau ihre exklusiven Kenntnisse sind, wie sie umgesetzt werden können und wie Soziologen sich in außerwissenschaftlichen Bereichen etablieren können. Kurz gesagt ginge es darum, die Kategorie der so genannten Soft Skills37 zu operationalisieren. 37 Z.B. Behrendt (2003), siehe auch die Weiterbildungsangebote für Soziologen, etwa unter http://publizistik-in-berlin.de/index.php/2005/06/09/ vom 2.12.2006 und weitere Angebote unter http://www.bds-soz.de/ index. php?optin=com_content&task=view&id=122&Itemid=141 vom 2.12.2006 oder Tipps für die Berufsqualifikation, etwa das Studienangebot zur „Praktischen Sozialwissenschaft“ an der Universität Duisburg/Essen, das vom BDS unterstützt wird (http://www.uni-duisburg-essen.de/studienan
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Eine modifizierte Konzeption des soziologischen Berufs erfordert eine Modifizierung der auf die Soziologie bezogenen Professionalisierungskonzepte. Sie macht zudem deutlich, warum – nämlich wegen der Orientierung auf die Notwendigkeit der in der Soziologie nicht vorhandenen geschlossenen Berufsfeldern – eine Ausbildung für einen außerwissenschaftlichen Beruf in der Soziologie bisher nicht möglich war/ immer noch ist. Eine Re-Konzipierung der Ausbildung ist unvermeidlich, denn selbst wenn man in der Soziologie unter der Ausbildung für die Berufstätigkeit nicht primär den Erwerb technischer Kompetenzen versteht, gibt es für den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf bestimmte Grundprinzipien, die sich von denen der wissenschaftlichen Soziologie unterscheiden und die in das Studium integriert werden müssen. Dabei spreche ich in erster Linie von Qualitätskriterien und -garantien und der Berufsethik38 (vgl. dazu Liebermann/Loer 2006). Die Vermittlung der Grundprinzipien der außerwissenschaftlichen beruflichen soziologischen Tätigkeiten im Studium, und insbesondere das Hervorheben der Unterschiede zwischen den beiden soziologischen Berufen hinsichtlich der Kriterien für Wissenschaftlichkeit, Qualität usw. wäre ein essenzieller Bestandteil einer Re-Konzeptualisierung des Studiums. Eine solche Re-Konzeptualisierung erfordert allerdings einen Konsens (unter den Lehrenden) über den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf. Die Möglichkeit der Ausbildung zur außerwissenschaftlichen Tätigkeit ist für die Identität der außerakademischen Soziologen und auch für die Selbstwahrnehmung der Disziplin von zentraler Bedeutung. Es stellt sich vor allem die Frage, ob bzw. inwiefern die Diskrepanz zwischen der akademischen Ausrichtung der Ausbildung und der Existenz außerwissenschaftlicher soziologischer Tätigkeiten für die Soziologie als Disziplin und als außerwissenschaftlicher Beruf problematisch ist. Die gemeinsame Ausbildung scheint für die Identitätsbasis der außerwissenschaftlichen Soziologen von großer Bedeutung zu sein, trotz gebote/studienangebote_alt_07368.shtml vom 05.12.2006) sowie das Trainee-Programm „Neue Medien“ an der Technischen Akademie Wuppertal (http://www.taw.de/taw/absolvent_cms.nsf/index/CMS4735335D3 78C852BC1256EB40033BA64 vom 2.12.2006). Einer der wenigen Konsenspunkte, die es zwischen akademischen und außerakademischen Soziologen hinsichtlich der beruflichen soziologischen Kompetenzen gibt, besteht darin, dass es bestimmte Soft Skills gibt, über die Soziologen eher verfügen als Repräsentanten anderer Studienfächer. 38 Zwar vertreten BDS und DSG eine gemeinsame Auffassung von Berufsethik (siehe unter http://www.soziologie.de/dgs/ethik-kodex.htm vom 2.12.2006), doch ist diese kaum auf die außerwissenschaftliche Tätigkeit zugeschnitten.
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der Tatsache, dass die meisten von ihnen im Laufe des Studiums nicht für ihre eigentlichen beruflichen Tätigkeiten ausgebildet wurden. Meine externen Interviewpartner haben sich z.B. große Mühe gegeben zu formulieren, welche der im Studium erworbenen Fähigkeiten oder welches soziologische Wissen sie in ihrem beruflichen Alltag nutzen können. Bemerkenswert ist ihre häufige Berufung auf „soziologische Methoden“, obwohl dieser Begriff alles andere als eindeutig ist. Im Übrigen berufen sie sich eher auf Soft Skills, also auf die Kompetenzen, die man zwar durch das Studium der Soziologie als Nebeneffekt erworben haben mag, die aber nicht den Kern des Studiums darstellen (zu den empirischen Ergebnissen weiter unten in diesem Kapitel).
Relevantes Wissen für den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf aus der Sicht der ausbildenden Einheit Methodenkenntnisse (vgl. Kühl 2003, 2004) werden, wie oben bereits erwähnt, relativ häufig als der Kern des im Studium erlernten und in der beruflichen Praxis nützlichen Wissens thematisiert. Das in der beruflichen Praxis zu nutzende soziologische Wissen wird nicht nur bezüglich seiner praktischen Nutzbarkeit evaluiert, sondern auch im Hinblick darauf, inwiefern es auf die fachliche Exklusivität39 der Soziologen hinweist und sie damit in der Praxis als „unersetzbar“ positioniert. Dennoch ist die Vorstellung, Soziologie könne ihre Exklusivität durch Methodenkenntnisse behaupten, kein Konsens. Z.B. äußern Kühl/ Tacke diesbezüglich Bedenken: „Und selbst das technische und statistische Instrumentarium der Methoden der empirischen Sozialforschung, das als ein solcher Bestand [ein exklusiver Bestand des besonderen soziologischen Wissens - T.Z.] am ehesten gelten könnte, ist faktisch kein exklusives Instrumentarium des Soziologen. Man denke nur an die Wahl- oder Marktforschung.“ (Kühl/Tacke, 2003:10)
Diese Autoren argumentieren also, selbst das (technische) Wissen, das man im Studium erwirbt und in der Praxis nutzen kann, stelle nichts exklusiv Soziologisches dar. Für sie verweist Exklusivität auf etwas, das Nicht-Soziologen nicht könnten. Das Problem an dieser Argumentation liegt m. E. darin, dass hier versucht wird, das exklusiv Soziologische an einer falschen Stelle zu suchen. Die Frage wäre im Falle der Soziologie nicht, ob die anderen Disziplinen/Professionen über die gleichen Methoden verfügen, sondern ob die Soziologie z.B. in der Lage ist, mit diesen Methoden etwas herauszufinden, was die anderen Professionen nicht he39 Das wäre nicht nur in Bezug auf die Konkurrenz zu anderen Professionen in den außerwissenschaftlichen beruflichen Tätigkeiten relevant, sondern auch für die interdisziplinäre Arbeit (vgl. Merton 1979).
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rausfinden können, oder diese Methoden auf einen Gegenstand anwenden kann, den die anderen Disziplinen mit denselben Methoden nicht erfassen könnten, u.a. weil sie sich von ihm nicht genügend distanzieren können. Das oben eingeführte Zitat von Kühl/Tacke (2003) impliziert jedenfalls, dass es eine Ansicht gibt, der „das technische und statistische Instrumentarium der Methoden der empirischen Sozialforschung“ als das Exklusive und gleichzeitig das praktisch Nützliche an der soziologischen Ausbildung ausmacht – und dass dieser Diskurs inkorrekt ist. Dieser von Kühl/Tacke in Frage gestellte Diskurs ist in den Reflexionen akademischer Soziologen über den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf besonders präsent (s. die Analysen von Interviewsequenzen unten in diesem Kapitel). Die hier zu stellende Frage lautet, ob diese Ansicht auch unter den außerwissenschaftlichen Soziologen verbreitet ist bzw. wie diese dazu stehen und inwiefern die Exklusivität der Soziologie für sie (die Berufssoziologen) mit Methodenkenntnissen zusammenhängt.
Relevantes Wissen für den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf aus der Sicht der außerwissenschaftlichen Soziologen Der Vorsitzende des BDS Erich Behrendt argumentiert in seinem Artikel „Theorielose Praxis – praxislose Theorie: die Zukunft der Soziologieausbildung“ (Behrendt 2003) vom Standpunkt eines Praktikers aus gegen die These, dass Methodenkenntnisse das Exklusive und das für die berufliche Praxis Nützlichste der soziologischen Ausbildung seien. Er geht davon aus, dass Hochschullehrende unter dieser Vorannahme ihre Lehre gestalten. Das sieht er in zweierlei Hinsicht als problematisch. Zum einen sei dieses Wissen nicht exklusiv genug, um den Soziologen festgelegte Arbeitsfelder in der Praxis zu sichern. Methoden, die Sozialwissenschaftlerverwenden und mit denen sie ihre Exklusivität herzustellen hoffen, so Behrendt, werden zum Teil auch von Ökonomen und Psychologenangewendet. Außerdem vermittle eine Ausrichtung auf Methodenkenntnisse als das für die berufliche Tätigkeit relevante Wissen den Studierenden ein falsches Bild dieser Tätigkeit: „Im letzten Sommer fand eine Sommerkonferenz mit der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (der akademischen soziologischen Standesgesellschaft) und anderen statt. Da hatte man den Eindruck, dass die anwesenden Methoden- und Statistikhochschullehrer meinten, die Absolventen würden hinterher überwiegend in der Markt- und Sozialforschung arbeiten. Das entspricht nicht der Realität. Die Lehrkräfte meinten auch, komplexere Verfahren der statistischen Analyse wären für diese Arbeitsfelder wichtig. Die Marktforschungsin-
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stitute haben ihnen jedoch klargemacht, dass Häufigkeitszahlungen, vielleicht Kreuztabellierungen für die Praxis ausreichen.“ (Behrendt 2003: 336)
Behrendt kritisiert, dass die Hochschullehrer ein falsches Bild vom außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf und auch eine veraltete Vorstellung vom Arbeitsmarkt der Soziologieabsolventen hätten. In den Fällen aber, in denen sie mit ihren Annahmen Recht hätten und Statistikund Methodenkenntnisse tatsächlich den Kern einer Tätigkeit darstellten, wie z.B. in der Marktforschung, könnten die Hochschullehrer den benötigten Umfang an Statistikwissen nicht einschätzen, weil sie sich den Alltag des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs nicht vorstellen könnten. Wenn diese Kritik zutrifft, wird Soziologieabsolventen eine falsche Vorstellung von dem vermittelt, was sie in ihrer außerwissenschaftlichen beruflichen Tätigkeit brauchen werden. Die Studenten und Absolventen entwickeln also zum einen falsche Berufsbilder, zum anderen orientieren sie sich auf den Erwerb bestimmter technischer Kompetenzen, deren Beherrschung für die tatsächlichen beruflichen Aufgaben nicht so relevant sind. Da es den außerwissenschaftlich tätigen Soziologen nicht gelingt, den Lehrenden mitzuteilen, welche Kompetenzen in den außerwissenschaftlichen beruflichen soziologischen Tätigkeiten gefragt sind, operieren die Hochschullehrer weiterhin mit Bildern der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten, die sich mit der Praxis nicht decken. Da der Arbeitsmarkt für Soziologen nicht ausschließlich in der Markt- und Sozialforschung liegt, wären neben dem Verweis auf Methodenkenntnisse andere Mittel notwendig, um eine Exklusivität soziologischer Kompetenzen postulieren zu können. Vor allem – und hier scheint eine der wichtigsten Lücken der Soziologieausbildung zu sein – müsste man die Erfahrungen der außerwissenschaftlichen Soziologen bezüglich der in der Praxis nachgefragten Kompetenzen bei der Ausbildung berücksichtigen. Behrendt (2003) z.B. sieht die Soziologen als Gestalter und Entscheider und meint, es sollten entsprechende zusätzliche Kompetenzen in die soziologische Ausbildung integriert werden, u.a. Verfahren der Entscheidungsfindung und auch gestalterische Komponenten. Behrendt greift noch einen weiteren Aspekt auf, der in der Disziplin neben Methodenkenntnissen als ein anerkanntes Spezifikum des soziologischen Wissens bzw. der soziologischen Fähigkeiten gilt: „die Selbstreflexion als ein elementarer Bestandteil der Arbeit bei (organisationeller oder prozessorientierter) Beratung“ (2003: 327). Darunter versteht er „z.B. Anwendung soziologischer Theorien auch in meiner eigenen und
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auf meine eigene Situation“ (ibid.). Es stellt sich die Frage, ob und wie diese Selbstreflexion zu erlernen ist. Weiter beschreibt Behrendt Fähigkeiten, über die Sozialwissenschaftler verfügen müssen, die eher als Skills zu fassen sind: „Die wichtigsten Fähigkeiten des Soziologen bestehen darin, Theorien zu bilden und sein Handeln danach auszurichten“ (Behrendt 3002: 329). Er stellt also einen Bezug zwischen der für alle Soziologen zwingend erforderlichen universellen Fähigkeit der theoretischen Reflexion und der außerwissenschaftlichen beruflichen Tätigkeit eines Soziologen her. Es geht ihm darum, dass die Soziologen in der beruflichen Praxis in der Lage sein müssen, komplexe soziale Strukturen zu erfassen und abzugrenzen und in ihrer beruflichen Praxis Theorien zu bilden. Um den Bezug zwischen der akademischen/theoretischen und der außerwissenschaftlichen beruflichen soziologischen Tätigkeit herzustellen, verwendet Behrendt den Begriff der „zweckmäßigen soziologischen Theorie“ (ibid.: 333), der nicht nur eine Theoriekompetenz des Praktikers, sondern auch eine Feldkompetenz des Theoretikers unterstellt. Das Postulieren der Fähigkeit zur theoretischen Systematisierung von (in der beruflichen Praxis) erhobenen Daten als eine wichtige soziologische Kompetenz ist einerseits durchaus einleuchtend. Andererseits weist das Rekurrieren auf die Notwendigkeit theoretischer Kompetenzen auf eine besondere Selbstpositionierung des Praktikers hin, nämlich den Selbstbezug zur wissenschaftlichen Profession (dazu mehr im dritten Teil dieses Kapitels). Auf jeden Fall stellt der Begriff der zweckmäßigen soziologischen Theorie einen eindeutigen Bezug zwischen dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf und der soziologischen Ausbildung her. Es wird klar, inwiefern die soziologische Ausbildung für die spätere außerwissenschaftliche berufliche Tätigkeit wichtig ist und dass das, was Berufssoziologen internalisieren müssen, nicht in erster Linie technisches Wissen ist, sondern die Fähigkeit zur theoretischen Systematisierung, die für beide soziologische Professionen universell und essenziell ist.40 Die außerwissenschaftlich tätigen Soziologen nehmen also die Notwenigkeit wahr, einen Bezug zu ihrer Herkunftsdisziplin zu etablieren. Das bedeutet jedoch, dass sie auch in der Lage sein müssen zu definieren, was von dem im Studium erworbenen Wissen sie in ihrer beruflichen Tätigkeit anwenden. Die Vorstellungen der Hochschullehrer und die der außerwissenschaftlich tätigen Soziologen davon, welches Wissen den künftigen beruflichen Soziologen vermittelt werden sollte bzw. was 40 Hier könnte man wiederum auf die Vorstellung von Oevermann (2003) verweisen, dass der primäre Bestandteil der Ausbildung zur Profession der Forschungshabitus ist.
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von dem bereits in den Curricula enthaltenen Wissen im außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf verwendet wird, liegen weit auseinander. Die Hochschullehrer setzen auf Methoden als das in der Praxis nachgefragte und exklusive soziologische Wissen. Die außerwissenschaftlich tätigen Soziologen hingegen meinen, Methodenkenntnisse seien nicht die wichtigste Grundlage des Arbeitens in den außerwissenschaftlichen Bereichen; die Methodenkenntnisse, die dort benötigt werden, seien nicht so umfangreich, wie die Hochschullehrer unterstellen. Zukünftigen beruflichen Soziologen wird im Studium also einerseits etwas Essenzielles für ihre berufliche Tätigkeit vermittelt – z.B. die Fähigkeit zur theoretischen Analyse selbst erhobener Daten oder Methoden der Datenerhebung. Andererseits aber werden ihnen andere, in der Praxis ebenfalls nachgefragte Fähigkeiten nicht vermittelt (z.B. Verfahren der Entscheidungsfindung), weil die die Curricula erstellende Ausbildungseinheit keinen Überblick darüber hat, was die für Berufssoziologen relevanten Kompetenzen sind. Es existiert also offensichtlich eine Kluft zwischen den beiden soziologischen Professionen, die die außerwissenschaftlich beruflich tätigen Soziologen daran hindert, ihre Kenntnis bezüglich der nachgefragten beruflichen Kompetenzen der ausbildenden Einheit mitzuteilen, bzw. die Hochschullehrer daran hindert, die entsprechende Kenntnis der außerwissenschaftlichen Soziologen in die Curricula zu integrieren.
Kluft zwischen der soziologischen Ausbildung und dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf: Ursachen Eine mögliche Erklärung für diese Kluft zwischen den beiden soziologischen Professionen ist, dass der außerwissenschaftliche soziologische Beruf so desintegriert ist bzw. seine Institutionalisierung noch nicht so weit vorangetrieben ist, dass er keine Einheit darstellte, die auf die Gestaltung der soziologischen Curricula einwirken könnte. Dies ist sicherlich ein wichtiger Teil des Problems. Es gibt jedoch durchaus eine formelle Organisation der Berufssoziologen (BDS), die u. a. auch Fragen der soziologischen Ausbildung diskutiert. Zwar sind die BDSVorschläge zur Re-Konzipierung der Soziologieausbildung nicht auf einer allgemeinen Ebene angesiedelt und wahrscheinlich auch nicht systematisiert genug, dennoch gibt es die. Sie geben die kollektive Meinung einer integrierten Gruppe wieder, die durch die Hochschullehrer zumindest berücksichtigt werden könnte. Dies geschieht bis jetzt nicht. Eine andere Erklärung für das Auseinanderklaffen der beiden Professionen ist, dass die ausbildende Einheit nicht motiviert ist, die Erfahrungen der außerwissenschaftlich tätigen Soziologen in die Curricula zu integrieren (und dementsprechend nicht bereit, die Meinung außerwis98
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senschaftlich tätiger Soziologen als für die Gestaltung der Curricula relevant zu betrachten). Ein Teil der Lehrenden ist offenbar nicht bereit, den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf überhaupt als einen soziologischen Beruf anzuerkennen. Selbst die Möglichkeit, jemanden im Soziologiestudium für die außerakademische Tätigkeit auszubilden, wird angezweifelt. Dies hängt in erster Linie mit den verzerrten Bildern zahlreicher akademischer Soziologen von den außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten zusammen. Für einen Teil der ausbildenden Einheit bleibt die Soziologie eine ausschließlich wissenschaftliche Disziplin, die durch einen Anwendungsbezug entsoziologisiert würde. Eine solche Wahrnehmung kommt in den Begriffen der „Entsoziologisierung der Soziologie“ von Kühl (2004) bzw. der „Als-ob-Professionalisierung“ der Soziologie von Kühl/Tacke (2003) zum Ausdruck. Diese Begriffe beruhen auf der Ansicht, dass Soziologen in ihren außerwissenschaftlichen beruflichen Tätigkeiten das im Studium erworbene Wissen aufgeben und Charakteristika anderer Berufe übernehmen, dass sie sich also nur Soziologen nennen, ohne soziologisch zu denken oder zu handeln.41 Mit Hilfe dieser Begriffe wird versucht, die im Wissenschaftsbetrieb geltenden Standards der Wissenschaftlichkeit auf den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf anzuwenden, obwohl es sicherlich Handlungstypen, Motivationen usw. gibt, die zwar im Wissenschaftsbetrieb undenkbar sind, in der außerwissenschaftlichen beruflichen Tätigkeit jedoch den Normalfall darstellen. Dieses Problem würde sich nicht stellen, wenn man zwischen zwei soziologischen Professionen, einer wissenschaftlichen und einer außerwissenschaftlichen, unterscheiden würde.42 Denn die Tendenzen der Deprofessionalisierung, etwa der Verlust an Autonomie der Wissenschaft durch Praxisbezug (Oevermann 1996: 106), sind nur problematisch, wenn sie in der wissenschaftlichen Profession auftreten. D.h. das Problem, das Kühl und Tacke (2003) sehen, beruht darauf, dass diese Autoren nur eine Möglichkeit der soziologischen Sozialisation – die zum wissenschaftlichen Beruf – wahrnehmen und die Anerkennung ei-
41 Hier stellt sich die Frage, ob Soziologensein eine Frage der Selbst- oder der Fremddefinition (Dewe 1991) ist, anders ausgedrückt: ob von jemandem, der sich selbst als Soziologe versteht und von seiner Umgebung als solcher wahrgenommen wird, gesagt werden kann, dass er „kein Soziologe“ ist. Hinzu kommt, dass es keine Institution in der Soziologie gibt, die solche Urteile fällen kann. Es gibt also keine Sanktionsmechanismen, die hier greifen könnten. 42 Zu dieser Unterscheidung mit Bezug auf die Wissenschaft allgemein siehe Oevermann (1996: 124).
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nes autonomen außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs nicht in Betracht ziehen.43 Damit stellt sich die Frage, warum manche akademische Soziologen dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf das Recht absprechen, überhaupt als Soziologie zu gelten. Ich führe dies auf die Konzeption des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs durch Soziologen zurück, die die wissenschaftlichen Soziologen haben. Da die Suche nach abgeschlossenen, exklusiven Tätigkeitsfeldern des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs bis jetzt erfolglos geblieben ist, wird der Schluss gezogen, die Soziologie könne in der Praxis nicht autonom sein und würde immer von anderen Professionen abhängen, in deren Tätigkeitsfeldern und mit deren Methoden arbeiten usw. Einige akademische Soziologen befürchten also, die Soziologie würde in der Praxis von anderen Professionen assimiliert, daher seien die in der Praxis tätigen Soziologen auch keine „wahren“ Soziologen. Würde man aber von der Suche nach abgeschlossenen, exklusiven Tätigkeitsfeldern abrücken und die Exklusivität der Soziologie an die von ihr zu erbringenden Leistungen binden, könnte das Assimilationskonzept vernachlässigt werden. Es könnte eingesehen werden, dass die Autonomie der Soziologie von der partiellen Aneignung des Wissens anderer Disziplinen nicht beeinträchtigt wird. Diese Überlegungen führen erneut zu dem Punkt, dass für die ReKonzipierung der Ausbildung bzw. deren Ausrichtung auf die berufliche Tätigkeit ein Konsens in der akademischen Soziologie über den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf essenziell ist. Andernfalls kann nicht garantiert werden, dass Soziologiestudenten für außerwissenschaftliche Tätigkeiten überhaupt ausgebildet werden. Die erwünschte Restrukturierung der Ausbildung besteht demzufolge nicht primär in der Einführung neuer methodischer Kenntnisse in die Curricula, sondern in der Umorientierung der Lehrenden auf die Idee der Berufssoziologie als einer Profession, die möglicherweise als Dienstleisterin agiert und mit anderen Disziplinen und Professionen ein Tandem bildet, um zur Lösung der Probleme beizutragen, vor denen diese Professionen stehen. Es muss ferner darauf hingewiesen werden, dass die soziologischen Tätigkeiten durch die Nachfrage nach den besonderen soziologischen Fähigkeiten im Umgang mit undefinierten sozialen Situationen etabliert werden. Weiterhin müssen identitätsfördernde Merkmale für den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf vermittelt werden, z.B. besondere 43 Zum Versuch, den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf als eine wissenschaftsbasierte Subdisziplin der Soziologie zu etablieren, s.u. Kap. 2.4.2.1 und 2.4.2.2
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soziologische Qualitätskriterien, professionelle Ethik etc. So bleibt die durch den Bezug auf die Ausbildung erfolgende Anbindung an die Herkunftsdisziplin erhalten, gleichzeitig wird eine Ausdifferenzierung des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs mit eigenen Kontrollmechanismen, Qualitätskriterien usw., d.h. auch mit einer eigenen Identitätsbasis, gefördert. Zwar entwickelt sich der außerwissenschaftliche soziologische Beruf – so diffus er auch sein mag – ohne Lizenz und ohne Anerkennung seitens der akademischen Profession aus der Nachfrage der potenziellen Klientel heraus, jedoch hat er sich bis jetzt nicht so professionalisiert bzw. institutionalisiert, dass er auch von der ausbildenden Einheit und von der wissenschaftlichen Profession anerkannt wäre. Nur durch diese Anerkennung hätte er eine Chance, die Curricula mitzugestalten. Eine Restrukturierung der Ausbildung könnte möglicherweise die Institutionalisierung des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs fördern und dazu beitragen, die Kluft zwischen dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf und der soziologischen Ausbildung zu schließen. Die wissenschaftliche Soziologie steht unter einem Kosten- und Legitimationszwang (hier spielt auch die Verantwortung gegenüber den von Arbeitslosigkeit bedrohten Absolventen eine wichtige Rolle). Insofern wäre eine Re-Konzipierung der Ausbildung wie oben beschrieben durchaus in ihrem Sinne. Da die wissenschaftliche Profession aber bis jetzt die Autonomie und Exklusivität des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs nicht anerkennen kann, kann sie auch das außerwissenschaftliche soziologische Berufsfeld in seiner jetzigen Form nicht akzeptieren bzw. seine Ausdifferenzierung durch die Ausbildung unterstützen. Sie ist eher dazu bereit, die Etablierung des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs eng an die wissenschaftliche Profession zu knüpfen, insbesondere an die im Wissenschaftsbetrieb relevanten Kriterien der Wissenschaftlichkeit und Qualität, die im außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf häufig nicht eingehalten werden können.
Reflexionen über die soziologische Ausbildung: Zusammenfassung des Selbstbeschreibungsdiskurses Die wichtigsten bisherigen Beobachtungen zur Selbstreflexion der Soziologie über die soziologische Ausbildung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Soziologie kann auf zwei unterschiedliche Arten professionalisiert werden, nämlich als wissenschaftliche Profession und als außerwissenschaftlicher soziologischer Beruf. Die soziologische Ausbildung sieht jedoch nur die Ausbildung zur wissenschaftlichen Profession vor. Zwar wird durch den Diplom- und neuerdings den Bachelor/Master101
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Studiengang impliziert, dass Soziologen auch außerwissenschaftlichen beruflichen Tätigkeiten nachgehen können (Oevermann 1996); da es aber in der ausbildenden Einheit der Soziologie keinen Konsens darüber gibt, welche Tätigkeiten zu den außerwissenschaftlich soziologischen zu zählen sind, wird man als Soziologe de facto nur für die Ausübung akademischer Tätigkeiten ausgebildet. Da die wissenschaftliche Soziologie den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf nicht als einen institutionalisierten soziologischen Beruf wahrnimmt, wird dieser zur Mitgestaltung der soziologischen Ausbildung nicht herangezogen.
2.2.2 Betrachtung der Ausbildung zur professionellen Tätigkeit in den Interviewdaten Um die aus den schriftlichen Selbstdarstellungsdiskursen zu konkretisieren, werden nun die Ergebnisse einer Analyse von Interviewdaten zur soziologischen Ausbildung dargestellt.
Ausbildung zur akademischen Tätigkeit Gegenstand der ersten zitierten Sequenz aus dem Interview mit [Int22] ist die Betrachtung des Soziologiestudiums als Vorbereitung auf eine akademische Tätigkeit. Ich beschränke mich auf ein wesentliches Segment dieser Sequenz: ja ich kann Studierenden eigentlich wenig (.) Konkretes mitgeben für (.) für das (.) was sie dann später tun also (.) vor allem (.) dann wenn das was sie später tun außerhalb der: der Wissenschaft und außerhalb der Hochschule ist [...] ich lehre eigentlich immer nur Soziologie (.) und äh bin froh solange Soziologie (.) nicht ausschließt dass äh diese (.) Verknüpfungen zur beruflichen Wirklichkeit kontinuiert werden und (wieder) intensiviert werden und dann zu Berufstätigkeit führen [Int22]
In dieser Interviewsequenz wird die Soziologie als eine Disziplin dargestellt, die keinerlei Bezug zu einem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf aufweist. Es gibt für diesen Interviewpartner nur eine Soziologie. Die Möglichkeit, dass sich der außerwissenschaftliche soziologische Beruf so ausdifferenziert, dass er auch im Studium berücksichtigt werden kann, ist hier nicht impliziert. Die erwähnte „Berufstätigkeit“ wird nicht als soziologische Berufstätigkeit verstanden. Das „Lehren der Soziologie“ entspricht hier einer Vorbereitung auf die Ausübung akademischer Tätigkeiten. Dies sieht [Int22] – ein Hochschullehrer – als seine Aufgabe gegenüber den Studierenden. Er inszeniert dies als eine große Aufgabe, vor allem durch die Reduktion der
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„Soziologie“ mit Hilfe des eher ironisch gemeinten Adverbs „nur“ Es teilt sich unmittelbar mit, dass dies eine bedeutende Aufgabe ist; von Hochschullehrern kann also nicht verlangt werden, parallel dazu noch „Verknüpfungen zur beruflichen Wirklichkeit“ herzustellen. Es wird impliziert, Soziologie als solche könne keine berufliche Wirklichkeit sein, sondern (wenn überhaupt) nur an die existierende berufliche Wirklichkeit angeknüpft sein. Als Hochschullehrer darf [Int22] offen äußern, dass er den Studierenden nichts Konkretes für ihre berufliche Tätlichkeit mitgeben kann – dies bedarf keiner Rechtfertigung. Die Art und Weise dieser Deklaration suggeriert, dass dies der Normalfall ist,. Es wird sogar impliziert, dass das Studium der Soziologie den „Verknüpfungen zur beruflichen Wirklichkeit“ im Wege stehen könnte: [Int22] weist darauf hin, dass er als Lehrender „froh“ sein könne, „solange Soziologie (.) nicht ausschließt dass äh diese (.) Verknüpfungen zur beruflichen Wirklichkeit kontinuiert werden und (wieder) intensiviert werden und dann zu Berufstätigkeit führen“, und hebt seine Freude über die „Verknüpfungen zur beruflichen Wirklichkeit“ besonders hervor. Daraus ist zu schließen, dass die Möglichkeit zur außerakademischen Nutzung des im Studium erworbenen soziologischen Wissens keine Selbstverständlichkeit ist. Vor allem aber geht aus dieser Interviewsequenz hervor, dass die Hochschule für [Int22] von der nicht als Soziologie wahrgenommenen beruflichen Soziologie vollkommen abgekoppelt ist. Das Studium der Soziologie impliziert nicht den Erwerb von konkretem, im außerwissenschaftlichen Beruf einsetzbarem Wissen.
Der fehlende Konsens über die soziologischen Berufsfelder aus der Sicht eines außerwissenschaftlich tätigen Soziologen Wie oben argumentiert wurde, muss eine Restrukturierung der soziologischen Ausbildung u.a. die Vermittlung von Information über mögliche berufliche soziologische Tätigkeiten beinhalten, damit die Studierenden erfahren, an welchen Stellen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs Soziologie ansetzen kann. Die primäre Ausrichtung der Ausbildung auf die wissenschaftliche Karriere beeinflusst das Selbstverständnis der Soziologie als Disziplin, und zwar das beider soziologischer Professionen. In der folgenden Interviewsequenz wird die akademische Ausrichtung der Ausbildung vom Standpunkt eines Praktikers betrachtet: I: aber äh (.) ich hab den Eindruck dass die meisten sich eher doch an die Wissenschaftler äh (?halten?) dass die meisten die Sozialwissenschaft studieren (.) ähm (.) sich [...] so wie ich damals auch mit der Praxis (gern) beschäftigen
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sondern eher mit/ mit der Wissenschaft (.) ich will das auch nicht beurteilen [...] Z: aber es kann doch nicht sein dass alle da bleiben wollen I: doch viele ich hab den Eindruck dass viele die Sozialwissenschaft studieren auch sozialwissenschaftlich äh (.) forschend (.) tätig sein wollen weil die meisten auch gar nicht wissen dass es die sozialwissenschaftliche Praxis ist also ich glaub wir haben da sehr viel Mühe immer noch als Verband [BDS - TZ] deutlich zu machen dass es wirklich eine aus/(.) eine entwickelte und auch sehr vielschichtige Praxis der (Soziologie) gibt = also es sind Tausende von Berufsfeldern [Ext04]
Als ein außerhalb der wissenschaftlichen Forschung tätiger Soziologe reflektiert [Ext04] darüber, dass eine große Zahl der Studierenden der Sozialwissenschaften im Wissenschaftsbetrieb bleiben wollen. Obwohl er selbst im außerakademischen Bereich tätig ist, will er diesen Wunsch der Studierenden nicht „beurteilen“ – als Soziologe, der denselben Ausbildungsweg gegangen ist, kennt er die Ausbildung und ihre primäre Orientierung auf den Wissenschaftsbetrieb. Doch kommt in dem Verb „beurteilen“ noch mehr zum Ausdruck. Es unterstellt implizit die Möglichkeit, dass die Interviewerin seine Worte als Beurteilung auffasse. Dies will [Ext04] vermeiden. Er möchte nicht als ein beruflicher Soziologe verstanden werden, der für seine Profession wirbt und diejenigen, die sich für die wissenschaftliche Profession entscheiden, gering schätzt, weil sie den anderen (einfacheren?) Weg gewählt haben. Das Problem der soziologischen Ausbildung liegt für [Ext04] darin, dass den Studierenden nicht vermittelt wird, welchen Tätigkeiten außer der Wissenschaft sie als Soziologen nachgehen könnten. Er unterstellt also nicht, dass alle Soziologen primär im Wissenschaftsbetrieb beschäftigt sein möchten,44 sondern dass sie sich nichts anderes vorstellen können, weil sie nichts anderes kennen. Das heißt: Denjenigen, die nicht im Wissenschaftsbetrieb bleiben wollen/können, müsste geholfen werden, indem ihnen vermittelt wird, was sie außerhalb der wissenschaftlichen Soziologie erwartet. Interessant ist jedoch, dass [Ext04] nicht den Hochschullehrenden die Schuld an der einseitigen Ausbildung gibt. Als aktives Mitglied des BDS nimmt er die Verantwortung für die Aufklärung der Studentenschaft auf sich, d.h. den Verband, und entlastet die Hochschule von dieser Aufgabe. [Ext04] argumentiert, man müsse den Studierenden erklä44 Einige andere berufliche Soziologen äußern jedoch im Interview, dass sie gerne im Wissenschaftsbetrieb tätig wären; da sie aber keine Stelle hätten finden können, seien sie gezwungen gewesen, zu einem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf zu wechseln. Sie sprechen die berufliche Tätigkeit also explizit als zweite Wahl an.
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ren können, dass es „eine entwickelte und auch sehr vielschichtige Praxis der (Soziologie)“ außerhalb des Wissenschaftsbetriebs gibt, um ihre Einstellungen bezüglich der künftigen Tätigkeit zu ändern. In diesem Kontext stellt sich die Frage, warum [Ext04] dies als eine Aufgabe des BDS beschreibt. Er sieht zwar, dass während des Studiums etwas Wichtiges nicht vermittelt wird, nämlich die potenziellen Berufsbilder der außerwissenschaftlichen Soziologie, doch sieht er dies nicht als Defizit der Ausbildung. Die Information über die außeruniversitären Tätigkeiten von Soziologen muss ihm zufolge vielmehr von der außerakademischen soziologischen Organisation – dem BDS – geleistet werden. In seiner Reflexion über die „entwickelte“ Praxis der Soziologie spricht [Ext04] ferner an, dass diese Praxis eine „vielschichtige“ ist, die „Tausende von Berufsfeldern“ umfasst. Wie sollte eine Vorbereitung auf diese zahlreichen Tätigkeitsfelder im Studium aussehen? Diese Vielschichtigkeit ist m. E. einer der Gründe, warum die soziologische Ausbildung die Ausübung akademischer Tätigkeiten fokussiert. Hochschullehrer gehen von der normativen Vorstellung einheitlicher Berufsfelder aus. Solange solche nicht vorhanden sind, wird die soziologische Ausbildung eine Vorbereitung auf die akademische Tätigkeit bleiben. Damit wird die Information über die „entwickelte“, „vielschichtige“ Praxis der Soziologie eine Aufgabe derjenigen Soziologen bleiben, die Erfahrungen mit dieser Praxis gemacht haben. Die Tatsache, dass es „Tausende von Berufsfeldern“ für die Soziologie gibt, steht für [Ext04] in keinem Widerspruch zu der Behauptung, es gebe eine Berufspraxis der Soziologen, auf die man vorbereitet werden könne. Das bedeutet, dass für [Ext04] ein außerwissenschaftlicher soziologischer Beruf nicht durch ein abgeschlossenes Berufsfeld definiert wird, sondern durch die besonderen soziologischen Kompetenzen und Fähigkeiten, die in zahlreichen Arbeitsfeldern eingesetzt werden können.
Zusammenhang zwischen der soziologischen Ausbildung und dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf: Zusammenfassung In den Interviewsequenzen werden einige Aspekte deutlich, die im schriftlichen Diskurs nicht zum Ausdruck. In der zuerst analysierten Interviewsequenz ([Int22]) kommt sehr deutlich zum Ausdruck, dass die außerakademische Nutzung des im Studium erworbenen soziologischen Wissens für die ausbildende Einheit in der Soziologie keine Selbstverständlichkeit darstellt und dass die Hochschule vom außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf voll105
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kommen abgekoppelt ist. Die durch die Ausbildung verstärkte Kluft zwischen der wissenschaftlichen und der außerwissenschaftlichen Soziologie wird mit großer Selbstverständlichkeit dargestellt. Die Soziologie wird eindeutig als ausschließlich wissenschaftliche Disziplin verstanden. Das Herstellen von Praxisbezügen innerhalb der Soziologie ist sekundär und keine Aufgabe der Hochschule. Außerdem wurde deutlich, dass eine solche Ausrichtung des Studiums auch von den außerwissenschaftlichen Soziologen als normal wahrgenommen wird. Die Hochschule wird für diese Ausbildung nicht kritisiert. Eine Umorientierung der Soziologiestudenten bzw. Absolventen auf die Ausübung außerwissenschaftlicher Tätigkeiten muss demzufolge außerhalb der ausbildenden Einheit erfolgen. Ein weiterer wichtiger Punkt, der in den Interviews deutlich wird, ist die Vorstellung der außerwissenschaftlich tätigen Soziologen, dass der außerwissenschaftliche soziologische Beruf nicht durch exklusive, geschlossene Berufsfelder definiert werden kann, sondern nur durch bestimmte soziologische Schlüsselkompetenzen, die in unterschiedlichen Berufsfeldern eingesetzt werden können. Die Heterogenität des Arbeitsfeldes kommt deutlich zum Ausdruck, wobei die Vielfältigkeit dieser Felder unter dem Gesichtspunkt der vielfältigen Möglichkeiten betrachtet wird, die Soziologen im außerwissenschaftlichen Bereich haben. Diese Vielfältigkeit wird also als eine positive Eigenschaft der Soziologie dargestellt. Die soziologische Ausbildung wird in den Interviewdaten also folgendermaßen strukturiert: Die soziologische Ausbildung an der Hochschule ist vollkommen auf eine wissenschaftliche Tätigkeit ausgerichtet. Die außerwissenschaftlich tätigen Soziologen wissen jedoch, dass nicht alle Soziologiestudierenden einen wissenschaftlichen Arbeitsplatz im universitären Bereich finden können und wollen. Darum sehen sie es als ihre Aufgabe, den Studierenden/Absolventen aufzuzeigen, welche anderen Arbeitsmöglichkeiten sie als Soziologen haben. Weder die wissenschaftlichen noch die außerwissenschaftlichen Soziologen sehen die Möglichkeit, diese Vermittlung im Rahmen des Studiums zu leisten. Die Ergebnisse aus der Analyse der Interviewdaten lassen sich an die Beobachtungen zur Selbstwahrnehmung der Soziologie im theoretischen Diskurs insofern anknüpfen, als sie Kluft zwischen der Ausbildung und der dieser Ausbildung entsprechenden außerwissenschaftlichen Tätigkeit hier ebenfalls festzustellen ist. Außerdem wird die Unmöglichkeit deutlich, den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf durch geschlossene Tätigkeitsfelder zu definieren.
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2.2.3 „Beratung“ als Dachbegriff für die beruflichen soziologischen Tätigkeiten Die Benennung der Kluft zwischen den beiden soziologischen Berufen und vor allem die Reflexion darüber, dass den Soziologiestudierenden bereits im Studium ein Bild davon vermittelt werden sollte, welche außerwissenschaftlichen beruflichen Tätigkeiten für sie in Frage kommen, wirft erneut die Frage der Re-Konzipierung der soziologischen Ausbildung auf. Wenn man sich also mit der Frage einer soziologischen Ausbildung für den außerwissenschaftlichen Beruf und mit der soziologischen Identität in den außerwissenschaftlichen Feldern beschäftigt, wird schnell klar, dass – trotz der in den Interviewdaten thematisierten Vielfältigkeit der Berufsfelder – eine Integrationsleistung notwendig ist: Die Ausarbeitung eines (breit angelegten) Dachbegriffs für die außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten, der als Basis für die Umstrukturierung der Ausbildung und für eine außerwissenschaftliche soziologische Identität dienen kann, wäre also sehr erwünscht. In diesem Abschnitt („Beratung“) wird ein Diskurs nachgezeichnet, der sich in der wissenschaftlichen und auch außerwissenschaftlichen Soziologie immer stärker etabliert: der Diskurs über „Beratung“ als einen solchen Dachbegriff für die Beschreibung des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs und der besonderen soziologischen Kompetenzen in unterschiedlichen Berufsfeldern. In diesem Diskurs scheint ein Konsens darüber zu bestehen, dass der Begriff Beratung als gemeinsamer Nenner der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten gelten kann und insofern als Dachbegriff besonders geeignet ist. Die Konzeptualisierung des Dachbegriffs als Beratung unterstellt dabei keineswegs, dass sich alle diese Tätigkeiten mit diesem Begriff beschreiben lassen. Es bedeutet lediglich, dass die Beratung, wenn man diesen Begriff weit fasst, die derzeit bestmögliche Generalisierung der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten erlaubt. Vor allem lässt sich die oben thematisierte Tandemfunktion der Soziologie mit dem Beratungsbegriff systematisch beschreiben. Die Versuche, einen solchen Dachbegriff zu etablieren, sind für die Selbstbeschreibung der Soziologie essenziell. Sie sind u.a. von der Verantwortung gegenüber den Studierenden motiviert, die in der Soziologie ausgebildet werden. Darüber hinaus ist ein solcher Dachbegriff auch für die Fremdwahrnehmung der Soziologie wichtig. Der Beratungsbegriff wird für zweierlei gebraucht: Zum einen dient er dazu, auf die prinzipielle Möglichkeit einer außerwissenschaftlichen Soziologie hinzuweisen (Blättel-Mink/Katz (Hrsg.) 2004; Moldaschl/ Holtgrewe 2003: 232; Schneider 1985 u. a.). Damit wird nicht unter107
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stellt, dass Soziologie in der Praxis nur eine Beratungsfunktion haben könne. Es wird jedoch stets auf diese Funktion als eine schon existierende – und daher die Möglichkeit anderer soziologischer Berufe beweisende – hingewiesen. Zum anderen wird die Beratung mit besonderen soziologischen Kompetenzen in Verbindung gebracht, die in unterschiedlichen Berufsfeldern eingesetzt werden können, (Barthel 2004). Der Bezug zu diesen Kompetenzen macht die Beratung zu einem Dachbegriff, der die Mehrheit der beruflichen soziologischen Tätigkeiten vereint. Am deutlichsten kann die Notwendigkeit, einen Dachbegriff für den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf zu etablieren, anhand der Politik des Berufsverbandes beobachtet werden. Der Beratungsbegriff spielt im Selbstverständnis des BDS eine sehr wichtige Rolle, was nicht überraschend ist, da eine etablierte berufliche Tätigkeit für die Identitätsbasis eines Berufsverbandes essenziell ist. Wie oben beschrieben, versteht sich der Berufsverband deutscher Soziologinnen und Soziologen selbst als eine Organisation, die nicht Personen vereint, die denselben Beruf ausüben, sondern solche, die die gleiche akademische Ausbildung genossen haben. Unter der Selbstdarstellung des BDS auf der Webseite steht: „Der BDS vertritt die beruflichen und berufspolitischen Interessen der Absolventinnen und Absolventen soziologischer und verwandter Studiengänge. Mitglieder des Verbandes sind in vielen verschiedenen Arbeitsfeldern und -positionen tätig. Sie arbeiten in Hochschule und Forschung/Lehre ebenso wie in öffentlichen Verwaltungen und in Unternehmen der Privatwirtschaft; sie sind als gewerbliche Unternehmer oder Freiberufler in der Beratung und angewandter Forschung tätig. Gemeinsam ist ihnen die Identität der sozialwissenschaftlichen Ausbildung, ihrer theoretischen Basis und Fachmethodik.“ (http://www.bds-soz.de/index. php?option=com_content&task=view&id=17&Itemid=29 vom 2.12.2006)
Der einzige hier benannte Tätigkeit, der (durch den Handlungsbezug) auf eine ausschließlich außerwissenschaftliche, aber dennoch soziologische Tätigkeit hinweist, ist die Beratung. Alle anderen aufgelisteten Tätigkeiten stammen entweder aus dem akademischen Bereich, wie die Tätigkeit an Hochschulen oder in der (angewandten) Forschung,45 oder bezeichnen praktische Tätigkeiten, die auch von Nicht-Soziologen ausgeübt werden, wie z.B. führende Positionen in der öffentlichen Verwaltung und in Unternehmen der Privatwirtschaft. Wie oben bereits erwähnt, 45 Die angewandte Forschung ist kaum als eine ausschließlich außerwissenschaftliche Tätigkeit zu sehen.
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vertritt der Verband seinem jetzigen Vorsitzenden Erich Behrendt zufolge „eine große Heterogenität ausgeübter Berufe“ (Behrendt 2003: 332). Wenn man von der Vorstellung ausgeht, dass das Exklusive an einem Beruf nur durch exklusive Berufsfelder zu sichern ist, ist das Fehlen gerade solcher Berufsfelder als ein Defizit der Soziologie zu sehen. Ebenso könnte jedoch der Versuch unternommen werden, diese Exklusivität auf anderen Wege herzustellen. Dazu müsste ein Dachbegriff für die beruflichen soziologischen Tätigkeiten gefunden werden, der nicht an konkrete Tätigkeitsfelder gebunden ist, sondern den Einsatz besonderer soziologischer Kompetenzen in den unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern unterstellt. Hierdurch könnte darüber hinaus ein neues Tätigkeitsfeld entstehen, etwa das der Beratung auf der Grundlage soziologischen Wissens. Dieses Feld könnte allerdings nicht – wie die Tätigkeitsfelder anderer Professionen – exklusiv von der Soziologie in Anspruch genommen werden. Die Phänomene, mit denen die Repräsentanten dieses Feldes arbeiten, würden auch von Repräsentanten anderer Berufe und Professionen behandelt. Um die Arbeit der Soziologen in außerwissenschaftlichen Feldern sowie die Heterogenität außerwissenschaftlicher, nicht auf exklusiven Arbeitsfeldern beruhender soziologischer Tätigkeiten zu beschreiben, eignet sich die beratungsbezogene Konzeptualisierung des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs besonders gut. Die für die vorliegende Studie relevante Definition von Beratung ist folgende: Beratung ist eine berufliche Expertentätigkeit, die sich nicht auf exklusive Berufsfelder bezieht, sondern auf den Einsatz besonderer soziologischer Kompetenzen in unterschiedlichen Bereichen des Alltags und in den Berufsfeldern anderer Professionen. Soziologen als Berater sind als Helfer bei der Definition und Lösung von Problemen, aber nicht unbedingt als Mitgestalter (von Problemlösungen) tätig. Beratung setzt keine (notwendige) Einmischung in die Lebenspraxis bzw. die Berufspraxis anderer Professionen voraus; sie ist als eine primär auf Ratschläge bzw. Problemdiagnose gerichtete Tätigkeit konzipiert. Soziologische Beratung unterstellt also die Anwendung soziologischen Wissens zur Weiterentwicklung des Wissens ihrer Klientel. Die Soziologie als Beratung hilft, Probleme vorzudefinieren, eher sich die anderen Professionen mit diesen Problemen beschäftigen (können), und delegiert gegebenenfalls deren Lösung an die für jedes Berufsfeld verantwortlichen Professionellen. Beratung beansprucht demzufolge kein Monopol auf ein bestimmtes Berufsfeld, sondern pos109
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tuliert exklusives Wissen, das die Soziologie zur Kooperation mit anderen Professionen (und Disziplinen) befähigt (TandemFunktion).
Beratungskonzepte, die diese Beratungsdefinition unterstützen Für eine solche Konzeption von Beratung eignen sich die Beratungskonzepte von Beck (1985), Oevermann (2003) und Dewe (1991). Die von diesen Autoren beschriebenen Eigenschaften von Beratung machen diese als Dachbegriff des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs besonders geeignet: Dieser Begriff vermag für die Soziologen in der Praxis klare Aufgaben zu definieren, diese an das im Studium erworbene Wissen und vor allem an den Gegenstand der Soziologie anzuknüpfen und damit die Basis für eine soziologische Identität zu schaffen. Durch den Beratungsbezug wird der außerwissenschaftliche soziologische Beruf handlungsbezogen, aber nicht zwingend gestaltungsbezogen definiert. Mit anderen Worten: Die außerwissenschaftlich tätigen Soziologen werden als Experten dargestellt, die die Lebenspraxis direkt mit ihren Handlungen verändern, aber nicht durch eine Einmischung in die Lebenspraxis, sondern indem sie den in der Praxis handelnden Akteuren eine Grundlage für eigene Entscheidungen geben (Dewe 1991: 66).46 Durch den Beratungsbezug wäre der außerwissenschaftliche soziologische Beruf demzufolge von der Notwendigkeit einer direkten, eigenwilligen, manipulativen Einmischung47 entlastet. Wenn man Beratung so auffasst (vgl. dazu auch Oevermann 2003: 12; Dewe 1991: 137), geht es nicht um eine Einmischung, sondern um stellvertretende Krisenbewältigung in den Fällen, in denen die Klienten das Vorliegen einer Problemsituation erkennen, ihre Ursachen aber aufgrund der fehlenden Distanz zur eigenen Lebenspraxis bzw. (wenn die Klienten andere Professionen sind) aufgrund der sozialbedingten Diffusität der eigenen Arbeitsfelder nicht definieren können. Ein ausgebildeter Soziologe ist – und das ist der Kern seiner Kompetenzen – in der Lage, über die Routinen des Klienten hinauszublicken (Oevermann 1996) und dadurch dessen Krise stellvertretend zu bewältigen. Diese Fähigkeit entspricht den im ersten Kapitel dieser Studie beschriebenen Besonderheiten der Sozio46 Mit Beck könnte man sagen: „Selbst dort, wo soziologisches Handlungswissen praktisch wird, kommt der Soziologe nicht als Träger, sondern nur als Berater dieses Prozesses in Frage.“ (Beck 1985: 121) 47 Dies wäre für den Anwendungsdiskurs in der Soziologie von großer Relevanz, da ein Teil der akademischen Soziologen dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf wegen der ihm unterstellten zwingenden Normativität jegliche Legitimität abspricht. Zur Geschichte des Begriffs der Beratung als „legitimer Form nicht-konfrontativen Einflusses“ seit der Frühneuzeit siehe Stichweh (1994: 178).
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logie im Hinblick auf ihren Gegenstand. Die Fähigkeit zur Distanzierung vom Gegenstand ist die notwendige Basis für eine so aufgefasste Beratungstätigkeit. In den drei Beratungskonzepten von Beck, Dewe und Oevermann wird demzufolge nicht unterstellt, dass die Soziologie ihr Wissen über Machtstrukturen einsetzt und verbreitet. Die Beratung setzt vielmehr die freiwillige Teilnahme der Klienten sowie einen Konsens über die Beratung (siehe dazu Beck 1985). Die oben bereits eingeführte Auffassung von der Soziologie als Tandem-Disziplin lässt sich gut auf ein solches Beratungskonzept beziehen. Die Tandem-Funktion basiert auf besonderen soziologischen Fähigkeiten wie Reflexion und Distanzierung. Sie unterstellt die Zusammenarbeit mit anderen Professionellen, das Vordefinieren/Kontextualisieren der Probleme, mit denen die anderen Professionellen konfrontiert werden, und das im Sinne einer beraterischen Expertentätigkeit, die anderen Professionellen zur Lösung ihrer beruflichen Aufgaben verhilft. Als Tandem-Disziplin ist die außerwissenschaftliche berufliche Soziologie in verschiedenen Arbeitsfedern tätig, in denen sie mit anderen Professionen kooperiert. Ihr Ansatzpunkt muss sein, die anderen Professionen über die sozialen Gründe der von ihnen behandelten Phänomene/Probleme aufzuklären. Eine solche Aufklärung oder Problemdiagnose ist notwendig, damit die Angehörigen der anderen Professionen die Arbeit in ihren eigenen Tätigkeitsfeldern fortsetzen können. Die besondere Leistung der Soziologie als Tandem-Disziplin besteht nicht in einer Problemlösungskompetenz – über diese sollten ihre „TandemPartner“ verfügen – sondern in der Fähigkeit zur (konstruktiven) Komplexitätssteigerung.48 Durch ihre spezifische Fähigkeit zur Distanzierung von ihrem Gegenstand und zum Arbeiten mit diesem Gegenstand, kann sie die von den anderen Disziplinen/Professionellen behandelten Probleme in einem größeren Kontext betrachten und dadurch die Zuständigen beraten, die so ihre Sicht auf den Gegenstand erweitern können.49 Die Arbeitsteilung zwischen der Soziologie als Tandem-Disziplin und ihren Tandem-Partnern beruht infolgedessen auf der Unterscheidung zwischen der Kompetenz zur Komplexitätssteigerung und der zur Problemlösung. Die Zuschreibung einer Tandem-Funktion ermöglicht es der Soziologie (wie noch zu zeigen sein wird) in ihren außerwissenschaftlichen Beschäftigungen die Besonderheiten des soziologischen Gegens-
48 Für ein Beispiel solcher Komplexitätssteigerung durch Soziologen siehe Fuhr (1999). 49 In ihrer internen Selbstbeschreibung unterscheidet sich die Soziologie von den anderen Disziplinen u.a. dadurch, dass sie ihren Gegenstand als Ganzes und nicht nur ausgewählte Segmente davon zu erfassen sucht.
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tandes mit der Professionalisierung der Soziologie außerhalb des Wissenschaftsbetriebs zusammenzubringen. Das so aufgefasste Beratungsmodell unterstellt eine Art ExpertenKlienten-Beziehung, allerdings in einer „weichen“ Form, da die Experten ihr Wissen nicht als einzig wahres, sondern als alternativ wahres darstellen. Dieses Konzept entspricht auch dem von Stichweh (2000, 2005) vorgeschlagenen Modell der Professionalisierung in der Wissensgesellschaft. Die Experten-Klienten-Kommunikation beruht diesem Modell zufolge auf einer wechselseitigen Wissenserzeugung und unter Umständen auch -anwendung.50 Im Falle des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs lässt sich nicht mit einem Modell der ExpertenKlienten-Kommunikation arbeiten, das den Experten als Produzenten des einzig wahren Wissens und als Träger der Entscheidungen konzipiert (Beck 1985). Die Anwendung soziologischen Wissens setzt, so Beck (1985: 138), „mindestens eine Dreiecksbeziehung“ voraus (Experten – Abnehmer – Betroffene), „unter Umständen sogar gesamtgesellschaftliche Verwirklichungen (Öffentlichkeit, Massenmedien, Gewerkschaften, politische Parteien, usw.)“. Diese von Beck formulierte Dreiecksbeziehung kann in die Positionierung der Soziologie als TandemDisziplin umformuliert werden.
Andere Beratungskonzepte Nach diesen Beratungskonzepten von Beck (1985), Oevermann (2003) und Dewe (1991) sollen im Folgenden zwei andere Beratungskonzepte kurz vorgestellt werden, die die Beratung auf eine Art und Weise auffassen, die ungeeignet ist, um die „Beratung“ als einen Dachbegriff für außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten zu benutzen. Ich beginne mit dem Beratungskonzept von Fricke (2003: 170 ff.), das m. E. als Konzeptualisierung des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs fragwürdig ist, weil es keine Wissensproduktion durch Soziologen unterstellt. Fricke postuliert zwar ebenfalls, die beraterische Position befinde sich zwischen Wissenschaft und Praxis. Was aber sein Konzept vom Beck’schen (1985) Beratungskonzept unterscheidet, ist, dass der Berater selbst kein Wissen produziert. So wird eine große Distanz zum Wissenschaftsbetrieb (und damit auch zur soziologischen Ausbildung) aufgebaut. Die Beratung wird weder mit der Praxis noch mit der Wissenschaft gleichgestellt. Die Praktiker werden aus dem Prozess der Wissensproduktion ausgeschlossen. Die Rollen der Wissens50 Der Klient wird also auf jeden Fall als selbst Handelnder wahrgenommen, der sein Problem erkennt, allerdings nicht selbst lösen kann. Siehe dazu auch Stichweh (1994: 301).
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produktion, Wissensvermittlung und Wissenswahrnehmung sind klar definiert. Das durch die Beratung zu vermittelnde, durch die Wissenschaft erarbeitete Wissen wird als das „wahre“ Wissen bzw. als Expertenwissen im strengen Sinne des Wortes gesehen. Das Wissen der Praktiker wird nicht als alternative Wissensart behandelt, sondern es wird zwischen fehlerhaftem und „wahrem“ Wissen unterschieden. Damit werden nicht nur die Praktiker aus der Wissensproduktion ausgeschlossen, sondern auch der Berater. Eine solche Auffassung der Beratungstätigkeit ist hinsichtlich der Ausbildung für den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf und der Selbstwahrnehmung der Soziologie fragwürdig. Schließlich werden Soziologen, wie oben schon beschrieben, als Forscher ausgebildet, mit einer Orientierung auf Wissensgenerierung, auch wenn sie sich nicht auf eine akademische Karriere orientieren. Eine derartige Beratungstätigkeit impliziert aber kein Forschungshabitus. Sollte man die außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten als eine derartige Beratung sehen, so würde die Kluft zwischen dem wissenschaftlichen und dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf künstlich vergrößert, und die Herausbildung einer soziologischen Identität für die in der Beratung tätigen Soziologen wäre kaum möglich. Es würde sich ferner die Frage stellen, wieso man überhaupt Soziologie studieren muss, um dieser Tätigkeit nachzugehen. Eine mittlere Position in der Wahrnehmung der soziologischen Beratung vertritt Howaldt (2003). Für ihn handelt es sich bei der beraterischen Tätigkeit „nicht um einen Transfer von Wissen aus den Forschungsinstituten in die Unternehmen etc.“, vielmehr wird man „mit einem komplexen Prozess der gemeinsamen Problemdefinition, des gemeinsamen Problemlösens, der gemeinsamen Wissensproduktion und Wissensanwendung konfrontiert“ (Howaldt 2003: 243). Ebenso wie Oevermann (1990) unterstellt Howaldt (2003), dass das wissenschaftliche Wissen nur eine mögliche Wissensform ist, die mit anderen Wissensformen zusammengeführt werden kann, um die Entwicklung praktischer Lösungen in einer konkreten Situation zu ermöglichen. Der Berater wird explizit als jemand dargestellt, der nicht nur Wissen erzeugen kann, sondern auch in der Lage ist, darüber zu reflektieren, dass das von ihm generierte Wissen nicht das einzig mögliche ist. Als Experte ist der Berater nur eine an der Problemlösung beteiligte Partei, die dank ihrer Distanz zum Problem, z.B. aufgrund ihrer Beobachterposition, über Wissen verfügt, über das andere Beteiligte nicht verfügen können. Diese Beratungskonzeption ist zwar durchaus einleuchtend, weist jedoch ein entscheidendes Defizit auf: Beratung wird zwingend als Anwendung von Wissen dargestellt. Soziologische Beratung kann aber m. 113
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E. durchaus darin bestehen, soziologisches Wissen an andere Professionen weiterzugeben, um Problemlösungen an diese zu delegieren.
Beratungskonzept: Zusammenfassung In der Soziologie gibt es Bestrebungen, einen Dachbegriff für den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf zu etablieren; als ein solcher Dachbegriff wird häufig die Beratung gewählt.51 Ein solcher Dachbegriff ist für die soziologische Identität außerwissenschaftlicher Soziologen von essenzieller Bedeutung. Von den hier dargestellten Beratungskonzepten lassen sich die von Oevermann, Dewe und Beck auf die in dieser Studie angenommene Konzeptualisierung der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeit am besten anwenden. Der Versuch, Beratung als Dachbegriff zu etablieren, ermöglicht m. E. eine neue Dimension der Anwendung des soziologischen Professionalisierungsbegriffs auf die Soziologie. Indem Beratung als systematisierungsfähige außerakademische soziologische Tätigkeit deklariert wird, wird anerkannt, dass die Professionalisierung im Falle der Soziologie auf andere Weise sich vollzieht als z.B. in anderen Humanwissenschaften. Der Begriff der Beratung ermöglicht es, die Tätigkeiten, denen Soziologen in außerwissenschaftlichen Bereichen nachgehen, zu systematisieren und das Fehlen definierter exklusiver Tätigkeitsfelder als Eigentümlichkeit der Soziologie anzusehen, die der Existenz eines soziologischen Berufs jedoch nicht widerspricht, sondern diesen ermöglicht. Zwar wurde auf der theoretischen Ebene bis jetzt nicht versucht, den auf die Soziologie bezogenen Professionalisierungsbegriff (im Kontext der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten) mit Hilfe des Beratungsbegriffs neu zu re-konzipieren. Das Etablieren von Beratung als Dachbegriff für außerwissenschaftliche berufliche soziologische Tätigkeiten erfolgte bisher eher durch die Systematisierung empirischer Beobachtungen zum Berufsalltag von Soziologen. Jedoch könnte es eine solche Re-Konzipierung bewirken, da die Beratung die Professionalisierung vom zwingenden Bezug auf ein exklusives Berufsfeld befreit, an die besonderen soziologischen Kompetenzen anknüpft und es demzufolge ermöglicht, die Professionalisierung in einer Tandem-Funktion als Professionalisierung zu betrachten. Diese Möglichkeit sehe ich z.B. in der Anwendung der Professionalisierungstheorie in der Wissensgesellschaft (Stichweh 2000, 2005) auf die soziologische Beratungstätigkeit (einige Gedanken dazu am Ende des Kapitels unter 2.5)
51 Siehe vor allem den von der SFS Dortmund herausgegebenen Band „Forschen – lernen – beraten: der Wandel von Wissensproduktion und -transfer in den Sozialwissenschaften / Franz (Hrsg.) 2003.
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Durch Beratung als Dachbegriff wird Soziologie als eine berufliche Expertentätigkeitausgewiesen, die mit anderen Professionen nicht konkurriert, sondern diese bei der Diagnose unterschiedlicher Problemsituationen durch soziologisches Wissen und die Fähigkeit zur distanzierten Beobachtung unterstützt und die Lösung dieser Probleme gegebenenfalls an die zuständigen Professionellen delegiert. Mit Hilfe des Beratungsbegriffs können dementsprechend die in unterschiedlichen Berufsfeldern ausgeübten beruflichen soziologischen Tätigkeiten systematisiert werden. Zudem kann ein Bezug zwischen dem soziologischen Gegenstand, der soziologischen Ausbildung und dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf in der Weise etabliert werden, dass das Herausbilden einer soziologischen Identität für Berufssoziologen ermöglicht wird. Es wurde in diesem Abschnitt also gezeigt, — dass es eine Kluft zwischen der soziologischen Ausbildung und dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf gibt und — dass es trotz des Fehlens exklusiver Tätigkeitsfelder möglich ist, von einem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf zu sprechen. Nach dieser Schilderung der aktuellen Situation hinsichtlich Ausbildung und Selbstdefinition in der Soziologie sowie der Bestrebungen der Soziologen, für die außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten zumindest einen Dachbegriff zu etablieren, muss nun auf die vorhandenen soziologischen Professionalisierungstheorien zugegriffen werden, um zu erörtern, inwiefern diese in der Lage sind, diese aktuelle Situation in der Soziologie zu beschreiben. Es muss vor allem geklärt werden, inwiefern sich durch diese Theorien die Kluft zwischen den beiden soziologischen Professionen erklären lässt, wie danach die besondere Ausbildungssituation gedeutet werden kann, inwiefern nach diesen Theorien eine Professionalisierung der Soziologie zu einem außerwissenschaftlichen Beruf möglich ist bzw. ob sie als fortgeschritten gelten kann, welche Besonderheiten/Defizite die Soziologie nach diesen Konzepten aufweist und wie sich diese auf ihre Professionalisierung und auf ihre – vor allem außerwissenschaftlichen – Tätigkeiten auswirken. Ferner muss der Frage nachgegangen werden, inwiefern eine Beratungskonzeption im Falle der Soziologie tatsächlich zu einer Modifizierung der existierenden Professionalisierungsbegriffe führen würde und ob sich mit ihrer Hilfe die Professionalisierung der Soziologie zu einem außerwissenschaftlichen Beruf besser erklären lässt. Dieselbe Frage gilt auch für die Tandem-Funktion der Soziologie.
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2.3 Professionalisierung der Soziologie als wissenschaftliche Disziplin: Defizite vs. Besonderheiten 2.3.1 Analyse des innersoziologischen Diskurses In den folgenden beiden Abschnitten wird der Versuch unternommen, die Professionalisierung der Soziologie zum wissenschaftlichen und zum außerwissenschaftlichen Beruf mit Hilfe der existierenden soziologischen Professionalisierungstheorien zu beschreiben, um zum einen die Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung darzustellen, zum anderen die Anwendbarkeit dieser Theorien auf die Professionalisierung in der Soziologie zu prüfen. In diesem Abschnitt geht es zunächst um die Soziologie als wissenschaftliche Profession. Es soll der Frage nachgegangen werden, ob die Professionalisierung der Soziologie als wissenschaftliche Profession, wenn man sie im Rahmen der verfügbaren Professionalisierungstheorien betrachtet, Defizite bzw. Besonderheiten zeigt. Wenn diese Theorien auf die Soziologie anwendbar sind, dann müsste nachzuweisen sein, dass die Soziologie durchaus wie andere wissenschaftliche Disziplinen als wissenschaftliche Profession52 professionalisiert sein kann. Sollte sich aber herausstellen, dass die Soziologie nach den existierenden Professionalisierungstheorien zwar nicht alle erforderlichen Merkmale einer Professionalisierung aufweist, sich die Besonderheiten ihrer Professionalisierung aber nicht als Defizite auffassen lassen, zeigt dies die Notwendigkeit einer Re-Konzeptualisierung der Professionalisierungstheorien. Die Frage der soziologischen Professionalisierung zu einer wissenschaftlichen Profession wird in der Literatur selten und zudem eher unterschwellig angesprochen, wie zum Beispiel bei Crawford und Rokkan, die in der Einleitung zu dem Band „Sociological praxis: Current roles and settings“ (1976) erklären, welche „disturbing developments“ in der Soziologie als wissenschaftlicher Profession (Disziplin bei diesen Autoren) zur Entstehung dieses Buches geführt haben: „[...] we felt the need for a deepening of our perspective on the current crisis of identity: Was 52 Ich habe mich entschlossen, den Prozess der Disziplinbildung als „Professionalisierung zur wissenschaftlichen Profession“ zu bezeichnen. Wie ich bereits am Anfang dieses Kapitels deutlich gemacht habe, ist mir bewusst, dass eine solche Deutung des Professionalisierungsbegriffs von einigen Autoren kritisiert würde (z.B. Stichweh 1994). Jedoch gehe ich in meinem Professionsbegriff nicht von einem unmittelbaren Klientenbezug aus, sondern bin der Meinung, dass auch die Ausübung rein akademischer Tätigkeiten als Profession bezeichnet werden kann.
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there ever a fully professionalized discipline of sociology or should we rather look for variations in degrees of distinctive professionalization?“ (Crawford/Rokkan (1976: 6); Hervorhebung im Original) Die Autoren postulieren also, dass es keine professionalisierte soziologische Disziplin gibt. Sie sprechen die soziologische Identitätskrise an und beziehen sie auf die Heterogenität der soziologischen Ausbildung, der koexistierenden Theorien usw. Sie weisen darauf hin, dass die in der zweiten Hälfte der 70er Jahre herrschende Identitätskrise der Soziologie möglicherweise einen Zustand darstellt, der für diese Disziplin schon immer charakteristisch war, über den aber erst seit kurzer Zeit reflektiert wird („Was there ever a fully professionalized discipline of sociology?“). Weiter schreiben sie: „There were indeed many indicators of a crisis of identity in the discipline: many of the young recruits to sociology rejected the inherited paradigms and looked for alternatives in existentialist philosophy, in marxism, in phenomenology. The very notion of sociological profession was at issue: was there in any country, at any university, enough agreement on the core of knowledge, experience and skill required to make it possible to identify a distinctive profession of sociologists?“ (Crawford/Rokkan 1976: 5; Hervorhebung im Original)
Aus diesem Zitat geht deutlich hervor, dass für diese Autoren – wie auch für viele meiner Interviewpartner – die Professionalisierung einer akademischen Disziplin (die Professionalisierung zur wissenschaftlichen Profession) nicht von der Ausbildung getrennt zu denken ist. Ohne ein klar definierbares Basiswissen, ohne eine Beschreibung der für das Soziologensein erforderlichen Fähigkeiten, Kompetenzen und Erfahrungen kann es die Soziologie als eine wissenschaftliche Profession nicht geben. Dieses Basiswissen muss im Laufe des Studiums erworben werden; man muss klar definieren können, welches Wissen diejenigen erworben haben müssen, die ein Soziologiestudium absolviert haben – diese Einheitlichkeit gibt es jedoch nicht53. Das wird auch von vielen Interviewpartnern in der einen oder anderen Form angesprochen: Der Soziologie fehle es an institutionellen Mitteln der Zugehörigkeitsherstellung – man könne nicht von einer Theorie, Methodenkenntnissen, definierten Erfahrungen usw. sprechen, die einen Soziologen eindeutig als solchen definierten bzw. die es erlaubten, Dilettanten auszusortieren.54 53 Die Autoren beziehen dies auf die USA Ende der 70er Jahre; ich würde aber behaupten, dass es für Deutschland heutzutage ebenso gilt. 54 Ich spreche hier nicht von einer klaren Abgrenzung der Dilettanten bzw. Nicht-Professionellen in den wissenschaftlichen Professionen – eine solche kann, so Stichweh (1994: 328) nicht erwartet werden – sondern viel-
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Dem obigen Zitat lässt sich zudem Folgendes entnehmen: Soziologen beobachten die eigene Community und stellen eine unzureichende Institutionalisierung der Soziologie fest. Zwar existiert die Disziplin – mit ihren Defiziten, die wahrscheinlich immer ein Teil ihrer Entwicklung gewesen sind. Die Reflexion über diese Defizite verweist jedoch auf ein normatives Bild dessen, wie die Institutionalisierung einer Disziplin zu erfolgen hat. Diesem Bild entspricht die Soziologie offensichtlich nicht. Crawford/Rokkan (1976) bringen dies mit der Identitätskrise der Soziologie in Verbindung; die Merkmale dieser Identitätskrise sind gleichzeitig die Defizite, die die Soziologie in ihrem Institutionalisierungsprozess aufweist. Es ist darum interessant, was das Bild einer institutionalisierten Disziplin bzw. einer professionalisierten wissenschaftlichen Profession ausmacht und inwiefern seine Institutionalisierungs- bzw. Professionalisierungskriterien in der Soziologie (nicht) erfüllt sind. Dies erfordert eine Systematisierung der diffus angesprochenen Institutionalisierungsmerkmale, deren Fehlen als Professionalisierungsdefizit der Soziologie aufgefasst wird. Dazu müssen zuerst die beiden für diese Studie wichtigsten Professionalisierungskonzepte eingeführt und die nach diesen Konzepten relevanten Professionalisierungsmerkmale mit der Professionalisierung der Soziologie zur wissenschaftlichen Profession in Verbindung gebracht werden.
Zwei Konzepte der Professionalisierung zur wissenschaftlichen Profession: Die Konzeption von Stichweh (1994) Die Unterschiede zwischen verschiedenen Begriffen einer Professionalisierung zu einer wissenschaftlichen Profession können anhand der Konzepte von Stichweh (1994) und Oevermann (1996, 2003) deutlich gemacht werden. Diese beiden Konzepte wurden für diese Studie ausgesucht, weil sie sich einhergehend mit der Professionalisierung innerhalbund außerhalb de Wissenschaftsbetriebes beschäftigen, und zwar von zwei Standpunkten ausgehend, die für die Professionalisierung der Soziologie m.E. von besonderen Bedeutung ist, weil eben die Ausdifferenzierung der Professionalisierung – auf den wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Beruf – in der Soziologie besonders problematisch ist. Vorab muss kurz erläutert werden, warum den vorliegenden theoretischen Überlegungen die Version der Stichweh’schen Professionalisierungstheorie von 1994 zugrunde gelegt wird und nicht seine Anpassung der Professionalisierungstheorie an die Wissensgesellschaft (Stichweh mehr von Kompetenzen, die eine eindeutige Zurechnung zur Soziologie erlauben.
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2000, 2005). Zu einem spielt für die vorliegende Studie die Unterscheidung zwischen der Professionalisierung innerhalb und außerhalb des Wissenschaftssystems eine entscheidende Rolle. Um darauf im Detail eingehen zu können, ist der Rückgriff auf die Theorie von 1994 unumgänglich, in der Revision der Theorie (2000, 2005) wird darauf kaum eingegangen. Zum anderen arbeiten – wie aus den Analysen der empirischen Daten in diesem Kapitel ersichtlich werden wird – sowohl meine wissenschaftlichen als auch meine außerwissenschaftlichen Gesprächspartner mit der normativen Vorstellung einer monopolfähigen Profession (außer im Fall der Beratungskonzeption, wo der Monopolisierungsaspekt weniger wichtig ist bzw. weniger beleuchtet wird). Um das monopolistische Professionsbild zu beschreiben benötigt man der Theorie von 1994. Das Aufgeben des monopolistischen Berufsbildes im Zuge der Entwicklung von Wissensgesellschaft (Stichweh, 2000, 2005) entspricht m.E. derzeit nicht den Professionalisierungsvorstellungen der soziologischen Community, mit denen im innersoziologischen Diskurs sowie in der Soziologieausbildung gearbeitet wird. Die Konzepte von Stichweh (1994) und Oevermann (1996, 2003) werden zunächst skizziert, um zu zeigen, dass das Oevermann‘sche Konzept zur Betrachtung des wissenschaftlichen soziologischen Berufs besser geeignet ist. Anschließend werden die Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung anhand der Interviewdaten eingegangen beschrieben. Stichweh fasst die Unterschiede zwischen Profession und Disziplin folgendermaßen: „Der Prozeß der Entstehung der modernen Professionen lässt sich beschreiben als ein Prozeß der Institutionalisierung von Rollenbeziehungen zwischen ihnen und ihrer gesellschaftlichen Umwelt. [...] Disziplinen sind relativ selbstgenügsame soziale Systeme, die mit internen Operationen befaßt sind und im übrigen ihre innerwissenschaftliche Umwelt beobachten.“ (Stichweh 1994: 310)
Profession ist für Stichweh durch einen Klientenbezug charakterisiert, den die wissenschaftliche Disziplin nicht hat, nicht haben kann und nicht haben muss.55 D.h. die Institutionalisierung einer Disziplin innerhalb des 55 Zu diesem Standpunkt siehe auch Hughes (1958), der ebenfalls eine solche Unterscheidung zwischen der Wissenschaft (einem auf sich selbst orientierten System) und der Profession (mit der Orientierung auf einen Klienten) trifft: „Scientists, in the purest case, do not have clients. They discover, systematize and communicate knowledge about some order of phenomena. They may be guided by a faith that society at large and in the long run will benefit from continued increase of knowledge about nature; but the various actions of the scientist, qua scientist, are undertaken be-
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Wissenschaftsbetriebes würde Stichweh nicht als Professionalisierung bezeichnen. In seinen Termini heißt dieser Prozess Disziplinbildung.56 Zum Bild einer akademischen Disziplin gehört ihm zufolge 1) ein hinreichend homogener Kommunikationszusammenhang von Forschern, den er als „scientific community“ bezeichnet (1994: 17), 2) ein in den Lehrbüchern repräsentiertes Korpus wissenschaftlichen Wissens, das sich durch Kodifikation, konsentierte Akzeptanz und prinzipielle Lehrbarkeit auszeichnet, 3) eine Mehrzahl der jeweils aktuellen problematischen Fragestellungen, 4) ein Set von Forschungsmethoden und pragmatischen Problemlösungen, 5) eine disziplinspezifische Karrierestruktur und institutionalisierte Sozialisationsprozesse (ibid.). Bezieht man diese fünf Merkmale auf die Soziologie, lassen sich in deren Aufbau als akademische Disziplin bestimmte Defizite/Besonderheiten beobachten: 1) + 2) Wenn man die Heterogenität der akademischen Community an dieser Stelle nicht berücksichtigt und sich auf die eher „technischen“ Seiten der Disziplinbildung konzentriert, wird deutlich, dass alle diese Merkmale zwar in der Soziologie vorhanden sind, aber nicht in einer vollständigen Form. Nicht nur in den Interviews, sondern auch in der soziologischen Literatur gibt es Hinweise darauf, dass das in den Lehrbüchern abgebildete Wissen nicht unbedingt dem heutigen Wissensstand der Soziologie entspricht. Außerdem gibt es in der Community – angenommen, es gäbe eine Community – keinen klaren) Konsens darüber, was ein Soziologe gelernt haben muss, um als solcher anerkannt zu werden (siehe Kapitel 1 dieser Arbeit). 3) „Eine Mehrzahl je gegenwärtig problematischer Fragestellungen“ (1994: 17) lässt sich zwar vorfinden, allerdings sind diese ziemlich diffus. Ein Konsens über die „jeweils aktuellen Fragestellungen“ in der akademischen Community ist nicht sicher. 4) Das „Set von Forschungsmethoden und pragmatischen Problemlösungen“ evoziert unmittelbar die Methodendiskussion vor Au-
cause they add to knowledge, not because of any immediate benefit to any individual or group which may be considered his client. The test of scientists‘ work lies in convincing communication of it to colleagues, communication so full and so precise that any of them can undertake to test the validity of claimed findings by following the same procedures. [...] Informal controls are sufficient.“ (Hughes 1958: 139-140) 56 Da ich mich aber Oevermann’s Termini anschließe, bezeichne ich diesen Prozess als Professionalisierung. Um ihn von der Professionalisierung im Stichweh’schen Sinne zu unterscheiden, spreche ich von der Professionalisierung zum wissenschaftlichen und zum außerwissenschaftlichen Beruf.
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gen, die in der Soziologie in unterschiedlichen Formen geführt wird.57 Die Frage nach institutionalisierten Sozialisationsprozessen lässt sich ebenfalls nicht eindeutig beantworten: Wie die Interviews zeigen (siehe dazu 2.3.3), wird der Ausbildungsprozess nur als eine der soziologischen Sozialisationsstellen gesehen. Darüber hinaus wird behauptet, man könne nur im Nachhinein feststellen, ob die Sozialisation zum Soziologen erfolgreich war, was auf eine unzureichende Institutionalisierung der Sozialisationsprozesse hindeutet. Eine disziplinenspezifischen Karrierestruktur58 lässt sich dagegen in der akademischen Soziologie vorfinden. Beispielsweise spielt das Publizieren in der Soziologie, auch für außerwissenschaftlich tätige Soziologen, eine bedeutende Rolle.
Nach dem Stichweh’schen Konzept kann man zwar von Soziologie als einer institutionalisierten Disziplin sprechen, jedoch weist sie in dieser Hinsicht bestimmte Defizite auf, die darauf hinweisen, dass der Prozess der Disziplinbildung entweder noch nicht abgeschlossen ist oder dass es in der Professionalisierung der Soziologie bestimmte gegenstandsspezifische Besonderheiten gibt.
Zwei Konzepte der Professionalisierung zur wissenschaftlichen Profession: Konzeption von Oevermann (1996, 2003) Im Unterschied zu Stichweh impliziert der Begriff der Professionalisierung für Oevermann (2003) nicht zwingend einen Klientenbezug, daher kann man auch von einer Professionalisierung der Wissenschaft sprechen.59 Im Falle einer wissenschaftlichen Disziplin unterstellt Oevermann (1996: 124) die Möglichkeit der doppelten Professionalisierung. Es gibt zum einen die Professionalisierung „hinsichtlich der Einübung in den wissenschaftlichen Diskurs“ (ibid.). Zum anderen sagt er: „Sobald nun die Anwendung dieser erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnisbasis und des damit verbundenen erfahrungswissenschaftlichen professionalisierten Habitus auf die Lösung der Probleme einer konkreten Praxis [...] an57 Siehe z.B. Oevermann (2002), der die Methodendiskussion vor dem Hintergrund der Methode der objektiven Hermeneutik wiederbelebt und u.a. die Methoden der Datenerhebung und der Datenanalyse zu trennen sucht. 58 Nach Stichweh (1994: 70) wird die zum Beruf gewordene Wissenschaft durch publikationsabhängige Karrieren strukturiert. 59 Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Wissenschaft keinesfalls einen Klienten hätte, sondern lediglich, dass der Klient der Wissenschaft die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit ist, weshalb von einem direkten Klientenbezug nicht die Rede sein kann.
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steht, ist eine zweite, nochmalige Professionalisierung notwendig, die sich wiederum auf das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis bezieht, aber diesmal in der konkreten, zugleich professionalisierten Beziehung zum Klienten bzw. Patienten. Der strukturelle Ort dieser in sich praktischen – und nicht wie im wissenschaftlichen Diskurs, unpraktischen – Vermittlung von Theorie und Praxis ist [...] das Arbeitsbündnis.“ (Oevermann 1996: 124)
Dies bedeutet, dass die Wissenschaft und damit auch die Soziologie sowohl in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit als auch in ihrer beruflichen (z.B. klinischen60) Tätigkeit professionalisiert werden kann. Die professionalisierte Praxis, wie Oevermann sie definiert, ist „grundlegend eine stellvertretende Krisenbewältigung auf der Basis von routinisiertem Wissen“ (Oevermann 2003: 11). Das Fehlen eines Klientenbezugs vermag die Autonomie der Wissenschaft61 zu gewährleisten und damit ihr Funktionieren zu ermöglichen. Die Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, das in Frage zu stellen, „wovon die Praxis problemlos überzeugt ist und was sie wie selbstverständlich für geltendes Erfahrungswissen hält. Wissenschaft beginnt also autonome und systematische Wissenschaft erst dann zu sein, wenn sie wie selbstverständlich gewissermaßen künstlich in Zweifel zieht, was der Praxis nicht fraglich ist.“ (Oevermann 2003: 16) Trotz des Fehlens eines konkreten Klienten lässt sich Wissenschaft als stellvertretende Krisenbewältigung (d.h. als Profession im Oevermann‘schen Sinne) sehen. Die durch die Wissenschaft bewältigten Krisen sind die der zukünftigen Menschheit und nicht die einer konkret umschriebenen Gemeinschaft oder gesellschaftlichen Praxis. D.h. die Wis60 Oevermann selbst entwickelte ein Konzept des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs, das er als „klinische Soziologie“ bezeichnet (Oevermann 1990). Seine Konzeption der klinischen Soziologie stellt einerseits einen ausgearbeiteten und zusammenhängenden Entwurf einer außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeit mit durch den Methodenbezug klar abgrenzbaren und exklusiven Dienstleitungen dar. Die Exklusivität der Dienstleitungen und die methodische und sprachliche Rückbindung an die Disziplin werden jedoch zwingend auf die Methodologie der objektiven Hermeneutik bezogen. Dies kann kaum als eine Konzeption der beruflichen soziologischen Tätigkeit aufgefasst werden. Diese Konzeption ermöglicht es zwar, die Exklusivität der Soziologie durch die besonderen soziologischen Kompetenzen herzustellen, jedoch bindet sie diese Exklusivität an eine bestimmte methodische Richtung. Das Problem des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs als solches kann also durch dieses Konzept nicht generell gelöst werden, obwohl dieses eine generalisierbare Lösung für alle unterschiedlichen soziologischen Schulen bieten sollte. 61 Zur Geschichte der universitären Autonomie und der akademischen Freiheit siehe auch Stichweh (1987).
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senschaft konstruiert gedankenexperimentell Krisen: Sie bringt die „in der Praxis lieb gewordenen Überzeugungen“ in die „Krise der Fraglichkeit und des Zweifelns“ (ebd.). Dies geschieht durch die wissenschaftliche Forschung. Daher erfüllt die „Wissenschaft diese Funktion der stellvertretenden Krisenbewältigung selbstverständlich nur als Forschung [...]. Professionalisierungsbedürftig ist das wissenschaftliche Handeln also in ihrem Kern als Forschung, der die Lehre nachgeordnet ist“ (Oevermann 2003:17). Die Forschung und die persönlichen wissenschaftlichen Handlungen jedes konkreten Wissenschaftlers werden von Oevermann als „innerer Beruf der Wissenschaft“ beschrieben. Daraus folgt, dass „das Forschen das Zentrum von Wissenschaft als Beruf darstellt, aus dem aber gerade wegen seiner nicht-standardisierbaren Anteile wie selbstverständlich die Verpflichtung zur Lehre sich ergibt im Sinne der Einsozialisation bzw. Professionalisierung der Novizen in den inneren Beruf. Daraus erwächst zwingend die Anforderung der Einheit von Forschung und Lehre, in der gleichwohl die Logik der Forschung das führende Prinzip ist.“ (Oevermann 2003: 22)
Weiterhin spielt die Nicht-Standardisierbarkeit der professionalisierungsbedürftigen Expertise in der Oevermann’schen Konzeption des inneren wissenschaftlichen Berufs eine zentrale Rolle. Diese NichtStandardisierbarkeit macht die Einheit von Forschung und Lehre notwendig, was die Professionalisierung von Novizen in der Wissenschaft als innerem Beruf zu einer ebenso nicht-standardisierbaren Aufgabe macht. Der innere wissenschaftliche Beruf ist also durch einen inhaltlichen Bezug zur Forschung bzw. durch forscherische Fähigkeiten definiert. Zum äußeren Beruf der Wissenschaft gehören nach Oevermann institutionalisierte Karrieremuster, d.h. ein institutionalisierter Weg der Sozialisation zum Wissenschaftler, der Professionalisierung des zukünftigen wissenschaftlichen Kollegen. Wendet man die Theorie von Oevermann auf die Professionalisierung der Soziologie zum inneren und äußeren wissenschaftlichen Berufen an, so lässt sich Folgendes behaupten: — Im Sinne des inneren wissenschaftlichen Berufs ist Soziologie stärker professionalisiert als im Sinne des äußeren. Zumindest ist sie autonom genug, um Forschung so zu betreiben, dass Krisen an Stellen erzeugt werden können, an denen die Praxis keine Krisen sieht bzw. routinisiert handelt. Außerdem kann von einer Sozialisierung der Novizen in den inneren wissenschaftlichen Beruf gesprochen wer-
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den, die nicht nur im Studium erfolgt, sondern auch durch privatisierte Ausbildungspraktiken der Hochschullehrer. Z.B. wird die Mitarbeit studentischer Hilfskräfte in Forschungsprojekten genutzt, um „gute Leute“ zu finden, deren Existenzgrundlage zu sichern, sie wissenschaftlich an die Person des Projektleiters zu binden und für die weitere Arbeit, oftmals in engen Forschungs- bzw. Tätigkeitsfeldern, vorzubereiten. So wird der engere Forscherkreis durch den wissenschaftlichen Nachwuchs unterstützt.62 Aus der Interviewanalyse geht u. a. hervor, dass Novizen in den inneren wissenschaftlichen Beruf erfolgreich einsozialisiert werden. Es fragt sich jedoch, inwiefern diese Art der Einsozialisation mit der institutionalisierten Soziologieausbildung zusammenhängt bzw. inwiefern eine standardisierbare Ausbildung eine Voraussetzung dafür ist. Die Einsozialisation in den inneren wissenschaftlichen Beruf könnte relativ unabhängig von einer institutionalisierten Soziologieausbildung verlaufen, da sie durch nicht-standardisierbare privatisierte Ausbildungspraktiken der Hochschullehrer und durch autodidaktische Prozesse erfolgt. Die bis zu einem gewissen Grad gelungene Professionalisierung der Soziologie zum inneren wissenschaftlichen Beruf lässt sich daran beobachten, dass in der Soziologie feste Forschungsvorgänge mit definierten Schritten vorgesehen sind. Außerdem lassen sich in der Soziologie etablierte, an die forscherischen Tätigkeiten geknüpfte Muster des Reputationserwerbs vorfinden, was ebenfalls die hinreichende Professionalisierung der Soziologie zum inneren wissenschaftlichen Beruf bestätigt. — Die Professionalisierung der Soziologie im Sinne des äußeren wissenschaftlichen Berufs ist dagegen viel weniger weit fortgeschritten. Betrachtet man die Soziologie im Rahmen des Oevermann’schen Konzepts der Professionalisierung zum äußeren wissenschaftlichen Beruf, weist diese Disziplin bestimmte Defizite auf. Zwar berichten die Soziologen in der Selbstbeschreibung der Disziplin und in den hier analysierten Interviewdaten über institutionalisierte Karrieremuster in der Soziologie. Viele erwarten bzw. hoffen, dass die in einem Forscherkreis ausgebildeten Novizen im Wissenschaftsbetrieb bleiben werden. Als Idealfall wird eine Professorenstelle gesehen.63 62 Hier ist nur von der Einsozialisation in den inneren wissenschaftlichen Beruf die Rede. Eine solche Einsozialisation von Novizen impliziert jedoch nicht zwingend Karriere in dem Wissenschaftsbetrieb. 63 Siehe dazu Oevermann: „Der Übergang vom Studium zum forschenden Lehren wird als innerer in gewisser Weise fließend, nur als äußerer durch Riten des Übergangs markiert. Am Ende dieses Ganges in der Ausbildung zum äußeren Beruf steht der Status des Professors, dem in der Gemeinschaft mit seinen Kollegen die Aufrechterhaltung der Einheit von For-
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Die befristeten Stellen in Forschungsprojekten werden als eine institutionalisierte und realistische Perspektive gesehen.64 Interessant ist aber, dass den Hochschullehrern klar ist, dass viele ihrer für die Ausübung akademischer Tätigkeiten ausgebildeten Studenten keine Möglichkeit haben werden, in den Wissenschaftsbetrieb einzusteigen. Die Hochschullehrer können lediglich ihre eigenen Forschungsinteressen und ihren Bedarf an Mitarbeitern einschätzen und dementsprechend Soziologen für den inneren wissenschaftlichen Beruf ausbilden. Den institutionellen Bedarf an Soziologen können sie jedoch nicht beurteilen. — Das andere Defizit der Professionalisierung der Soziologie zum äußeren wissenschaftlichen Beruf hängt mit den von Oevermann genannten „Etappen der Initiierung“ (Oevermann 2003: 27) zusammen und kann u. a. am Beispiel der Examensleistungen in der Soziologie beobachtet werden. Selbstredend sind solche Etappen in der Soziologie als Disziplin formell vorhanden. Die Frage ist aber, ob sie so institutionalisiert sind, dass man sich auf die Qualifikation derer verlassen kann, die sie durchlaufen haben. Anders formuliert: Kann man nur aufgrund der Tatsache, dass jemand einen Abschluss in Soziologie erlangt hat, über die von ihm erworbene Qualifikation urteilen bzw. von einem definierten Basiswissen, methodischen Kompetenzen usw. ausgehen? Zumindest die Ergebnisse der Interviewanalysenzeigen, dass dem nicht so ist. Meine Interviewpartner behaupten u. a., man könne nur im Nachhinein durch die Beobachtung des Handelns einer Person feststellen, ob diese erfolgreich in die Soziologie einsozialisiert wurde. Der Weg der Sozialisation zum Wissenschaftler ist demnach in der Soziologie nicht ausreichend institutionalisiert.
schung und Lehre und der Autonomie der Grundlagenforschung obliegt.“ (Oevermann 2003: 28) 64 Man könnte an dieser Stelle sicherlich die Frage stellen, ob befristete Projektstellen mit sinkenden Aussichten auf eine feste Anstellung an der Universität oder in universitären Forschungseinrichtungen anzustrebende Karrierenmuster sind. Da dies aber ein Spezifikum des (deutschen) Wissenschaftsbetriebs und nicht der Soziologie ist, wird dieser Frage hier nicht nachgegangen.
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Anwendbarkeit der beiden Konzepte auf die Professionalisierung der Soziologie Unabhängig davon, ob man die Situation in der Soziologie nach dem Stichweh‘schen Konzept der Disziplinbildung oder nach dem Oevermann’schen Konzept der Professionalisierung analysiert, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Professionalisierung der Soziologie im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen bestimmte Defizite aufweist. Oevermanns Konzept der Professionalisierung zum inneren bzw. äußeren wissenschaftlichen Beruf vermag jedoch besser zu erklären, wodurch diese Defizite verursacht werden und warum die Soziologie trotzdem als Wissenschaft funktionieren kann. Ihm zufolge ist die Soziologie im Sinne der Forschung und der Sozialisierung der Novizen in die engen Forscherkreise professionalisiert; die formellen Kriterien der Ausbildung bzw. die Stufen der Initiierung sind jedoch nicht ausreichend institutionalisiert. Die Vorteile des Oevermann’schen Konzeptes für die Betrachtung der soziologischen Professionalisierung liegen also auf zwei Ebenen: Zum einen ist die Möglichkeit, die nicht auf einen konkreten Klienten bezogene wissenschaftliche Tätigkeit als Profession zu bezeichnen, für das Selbstverständnis der Soziologie wichtig. Viele Soziologen verstehen unter der soziologischen Profession ihre akademischen Tätigkeiten (siehe die Analyse der empirischen Daten weiter unten). Das Oevermann’sche Professionalisierungskonzept erlaubt, eine solche Selbstwahrnehmung der Soziologie in das Bild der soziologischen Profession zu integrieren. Zum anderen ermöglicht Oevermanns Konzept die Professionalisierung der Soziologie nicht nur als defizitär oder nichtdefizitär zu beschreiben, sondern zwischen zwei Ebenen der Professionalisierung zur wissenschaftlichen Profession zu unterscheiden. Es ist also möglich, zur Beschreibung der Soziologie als wissenschaftliche Profession die Professionalisierungsbegriffe so zu belassen, wie sie sind. Aus den mit Oevermanns Konzept beschriebenen Defiziten der soziologischen Professionalisierung folgt nicht, dass die Soziologie als wissenschaftliche Profession nicht professionalisiert ist. Im Unterschied zur Professionalisierung der Soziologie zum außerwissenschaftlichen Beruf sind die Defizite der Professionalisierung zu einer wissenschaftlichen Profession nicht in erster Linie durch den besonderen soziologischen Gegenstand zu erklären. Es versteht sich von selbst, dass man nicht behaupten kann, die gegenstandsbezogene Eigentümlichkeit der Soziologie spiele bei ihrer Professionalisierung zum äußeren wissenschaftlichen Beruf keine Rolle. Z.B. funktionieren in der Soziologie bestimmte für die inneren wissenschaftlichen Berufe charakteristische Mechanismen nicht so wie in anderen inneren wissenschaftli126
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chen Berufen. Dass sie aufgrund der Komplexität ihres Gegenstandes keine Einheit darstellt, sondern eher eine Zusammenstellung von Bindestrich-Soziologien,65 ist dem Erwerb einer allgemein anerkannten Reputation und einer Standardisierung der Ausbildung sicher nicht förderlich. Dennoch können diese Defizite, wenn überhaupt, nur zum Teil durch die Gegenstandsspezifika der Soziologie erklärt werden. Ein wichtiger Grund für die mangelhafte Professionalisierung zur äußeren wissenschaftlichen Profession liegt in den oben beschriebenen Besonderheiten der Soziologiegeschichte (siehe Abschnitt 2.2). Die Soziologie als Disziplin hat sich – auch in den formellen, institutionalisierungsbedürftigen Sphären ihrer Existenz wie der Ausbildung – primär auf die Professionalisierung zum inneren wissenschaftlichen Beruf und die Ausbildung von Forschern konzentriert. Die Einbettung der ausgebildeten Forscher in formelle Karrierestrukturen hatte zunächst keine vorrangige Bedeutung, da es in den 50er und 60er Jahren in Deutschland weniger Soziologen als Stellen gab. Die Soziologie musste sich also in der Phase ihres Wiederaufbaus als Lehrfach weder um die allgemeingültigen standardisierten Curricula noch um die Institutionalisierung von Karrieremustern oder um Zertifikate kümmern, da solche Formalia für die Ausbildung zum inneren wissenschaftlichen Beruf wenig relevant sind. Daher verlief in der Soziologie die Professionalisierung zum inneren wissenschaftlichen Beruf erfolgreicher, während die zum äußeren wissenschaftlichen Beruf eher vernachlässigt wurde. Die primäre Orientierung auf die Ausbildung neuer Forscher erforderte keine Entwicklung von Selektionsmechanismen und formell zu überprüfenden Zugehörigkeitskriterien. Für den inneren wissenschaftlichen Beruf entsteht Zugehörigkeit durch die Anerkennung innerhalb informell organisierter Kollegenkreise. Durch die zunächst große Zahl zur Verfügung stehender Stellen entwickelte sich nie ein normaler Wettbewerb unter den Absolventen, obwohl sich diese Zahl zusehends verringerte. Die Strukturierung des Arbeitsmarktes für Soziologen im Wissenschaftsbetrieb erfolgte nach den Kriterien des inneren, nicht des äußeren wissenschaftlichen Berufs (einige Einblicke hierzu geben die Interviewanalysen). Hinsichtlich der bereits angesprochenen Besonderheiten der Professionalisierung, die nicht nur der Geschichte der Disziplin geschuldet sind, sind z.B. der schnelle Wandel und die Komplexität des Gegenstandes zu nennen, wodurch die Entwicklung bestimmter Zugehörigkeitskri65 Eine derartige Ausdifferenzierung, die für die Soziologie seit ihrer Entstehung charakteristisch war, entwickelt sich jedoch nach Stichweh (2003, 2003a) in der Wissensgesellschaft auch in den anderen Disziplinen immer mehr.
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terien – z.B. fester Qualitätskriterien –, aber auch die Festlegung der Themenbereiche, die für die Soziologie am wichtigsten sind, erschwert wird. Auf der Grundlage des Oevermann’schen Konzepts der Professionalisierung lässt sich also behaupten, dass die Soziologie sich trotz einiger Defizite, die sie im Bereich der formellen Professionalisierungskriterien (d.h. in ihrer Professionalisierung zum äußeren wissenschaftlichen Beruf) aufweisen mag, ausreichend zum inneren wissenschaftlichen Beruf professionalisieren kann und sich trotz aller geschichtlichen und gegenstandsbezogenen Spezifika auch (zumindest im Vergleich zu anderen Dimensionen der Professionalisierung) erfolgreich professionalisiert hat. Die Defizite, die die Soziologie in der Professionalisierung, vor allem zum äußeren wissenschaftlichen Beruf, aufweist, sind z.B. folgende: — das Fehlen eines unifizierten Bildungsweges; — keine hinreichend etablierten Karrieremuster bzw. eine Orientierung der Soziologienovizen auf kaum zu erreichende Karriereschritte; — die Unmöglichkeit, die Zugehörigkeit zur Soziologie als wissenschaftlicher Profession ausreichend mit institutionellen Mitteln herzustellen bzw. zu beweisen; — das Fehlen festgelegter Mechanismen zur Dilettantenaussortierung. Die Möglichkeit des Aussortierens von Dilettanten und der Definition von Zugehörigkeitsgrenzen ist für den äußeren wissenschaftlichen Beruf von Bedeutung, weil sie für die Autorität der Wissenschaft, d.h. für ihre Präsentation nach außen und ihre Außenlegitimation, essenziell ist. Definierte Zugehörigkeitsgrenzen und eine klare Unterscheidung zwischen Dilettanten und Professionellen sind zudem für die Herausbildung einer disziplinären Identität unumgänglich. Außerdem kann ohne diese Merkmale66 die Exklusivität einer Profession kaum behauptet werden. Die Unmöglichkeit, die Grenzen der Disziplin eindeutig zu definieren, und die fehlenden Mittel zur Dilettantenaussortierung sind u. a. in dem Sinne problematisch, dass es keine Möglichkeit gibt, denjenigen, die den Qualitätskriterien der Profession nicht entsprechen, die Zugehörigkeit zur Profession zu entziehen. Das beeinträchtigt die Autorität der Profession bei den Nicht-Professionellen. Außerdem führt das Fehlen formeller Prozeduren des Zugehörigkeitsentzugs dazu, dass hierfür auf informelle Mechanismen zugegriffen werden muss, die im inneren wis66 Die in den soziologischen Professionalisierungstheorien beschriebenen notwendigen Professionalisierungsmerkmale beziehen sich üblicherweise auf die außerwissenschaftliche Profession. Sie werden unten im Abschnitt zur Professionalisierung der außerwissenschaftlichen Soziologie ausführlicher dargestellt.
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senschaftlichen Beruf vorhanden sind und dort ursprünglich eine andere Funktion haben. Diese Funktion wird durch die Nutzung zum Zugehörigkeitsentzug gefährdet. Ein solcher Mechanismus, der für das Funktionieren des inneren wissenschaftlichen Berufs essenziell ist und in der Soziologie wegen der mangelhaften Professionalisierung zum äußeren wissenschaftlichen Beruf umfunktioniert wird, ist die Reputation in der wissenschaftlichen Community, die u. a. durch Binnenkritik begründet wird (Oevermann 2003). Die Reputation kann zwar effektiv zur Definition der Zugehörigkeit zur wissenschaftlichen Profession genutzt werden, sie muss allerdings durch klare Bedingungen des Zugehörigkeitsentzugs ergänzt werden. Obwohl die Binnenkritik, aus der die Reputation entsteht, auch für den Entzug der Zugehörigkeit entscheidend ist, kann sie nicht der einzige Mechanismus dafür sein. Denn wenn sie es ist, stellt sich die Frage, ob in der entsprechenden wissenschaftlichen Profession dann noch wissenschaftlich effektiv kritisiert werden kann, da es möglich sein muss, zwischen konstruktiver innerwissenschaftlicher Kritik und Kritik mit dem Ziel des Zugehörigkeitsentzugs zu unterscheiden. Oevermann argumentiert: „Die aus der Binnenkritik sich ergebende Reputation setzt sich aus zwei Dimensionen zusammen, deren Unterscheidung sehr wichtig ist: Zum einen geht es grundsätzlich darum, abzugrenzen, wer überhaupt dazugehört und wer nicht, wer also den Zutritt zur Vergemeinschaftung der Professionalisierten erworben hat. Entsprechend streng muss darüber gewacht werden, unter welchen Bedingungen diese Zugehörigkeit verloren geht. Davon ist grundsätzlich zu trennen die Einschätzung der individuellen wissenschaftlichen Leistung innerhalb der Zugehörigkeit. Damit sie festgestellt werden kann und festgestellt wird, müssen die Grenzen der Zugehörigkeit stabil und sicher sein. Nur dann kann ein bedingungsloses internes kritisches Urteil über eine Leistung geäußert werden, weil nur dann auch gesichert ist, dass damit die Zugehörigkeit zur Profession als solche noch nicht in Frage gestellt ist.“ (Oevermann 2003: 38)
Im inneren wissenschaftlichen Beruf bildet die Binnenkritik die einzige Möglichkeit der Qualitätskontrolle. Im Falle solcher Kritik geht es allerdings nicht darum, die Zugehörigkeit zur Disziplin/Profession formell zu entziehen, sondern darum, die Reputation innerhalb der Profession zu etablieren und den wissenschaftlichen Fortschritt zu sichern. Interne Kritik findet in der Soziologie zwar statt; in einer Disziplin ohne stabile Zugehörigkeitskriterien besteht jedoch die Gefahr, dass sie zusätzlich als ein Mechanismus des Zugehörigkeitsentzugs im äußeren wissenschaftlichen Beruf benutzt wird, und zwar ohne die erforderlichen Zusatzmechanismen (z.B. klare Bedingungen des Zugehörigkeitsverlus129
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tes). Das Problem dabei ist, dass interne Kritik zu einem Mechanismus der Entscheidung über die Zugehörigkeit zur Disziplin/Community wird, weil es keine formalisierten Mechanismen des Zugehörigkeitsentzugs gibt. Dementsprechend wird Kritik anders geübt als in den Disziplinen, in denen es stabile Zugehörigkeitskriterien gibt und die Binnenkritik in erster Linie eine konstruktive, den wissenschaftlichen Fortschritt fördernde Kritik ist. Binnenkritik kann nur dann frei geübt werden, wenn nicht die Gefahr besteht, dass sie allein schon zum Zugehörigkeitsentzug führt. Daraus folgt, dass in der Soziologie unter Umständen vorsichtiger mit Kritik umgegangen wird. An bestimmten Stellen wird weniger kritisiert als erforderlich, an anderen Stellen mehr. Die Binnenkritik, so Oevermann, darf nur dann als Mechanismus des Zugehörigkeitsentzugs genutzt werden, „wenn sie erstens auf einer verbindlichen Professionsethik aufruht, die sich ihrerseits in universalistischen Prinzipien begründen läßt, und sich zweitens aus diesen Prinzipien eine je verbindliche Methodologie begründen läßt, die zugleich die unerschütterlichen Qualitätsstandards der wissenschaftlichen Arbeit abgibt“. (Oevermann 1996: 103)
In der Soziologie können diese Kriterien nach Oevermann jedoch nicht erfüllt werden, da nicht klar ist, ob die soziologische Professionsethik die erforderliche Basis für Binnenkritik darstellen kann. Das Fehlen einer verbindlichen Methodologie in der Soziologie ist ein weiterer Grund dafür, dass es so schwierig ist, die Qualitätsstandards so zu definieren, dass sie eine Grundlage für den Zugehörigkeitsentzug bieten würden. Was die etablierte Professionsethik angeht, steht in der Präambel des Ethik-Kodexes der DGS und des BDS u. a. Folgendes: „Der Ethik-Kodex lebt von seiner ständigen Diskussion und seiner Anwendung durch die Angehörigen der soziologischen Profession. Er soll dazu beitragen, die Soziologie in Deutschland weiter zu professionalisieren. Der Kodex formuliert einen Konsens über ethisches Handeln innerhalb der professionellen und organisierten Soziologie in Deutschland. Er benennt die Grundlagen, auf denen die Arbeit der Ethik-Kommission beruht. Dieser Kodex soll dazu dienen, Soziologinnen und Soziologen für ethische Probleme ihrer Arbeit zu sensibilisieren und sie zu ermutigen, ihr eigenes berufliches Handeln kritisch zu prüfen. Insbesondere sind die universitär tätigen Soziologinnen und Soziologen aufgefordert, dem wissenschaftlichen Nachwuchs und den Studierenden die Elemente berufsethischen Handelns zu vermitteln und sie zu einer entsprechenden Praxis anzuhalten.“ (http://www.soziologie.de/dgs/ethik-kodex.htm vom 2.12.2006; meine Hervorhebung, T.Z.)
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Hier wird erstens explizit darauf hingewiesen, dass sich der EthikKodex ständig im Prozess der Entwicklung befindet, d.h. nicht endgültig festgelegt ist. Zweitens wird der Kodex mit der weiter voranzutreibenden Professionalisierung der Soziologie in Verbindung gebracht. Die Soziologie ist demnach noch nicht ausreichend professionalisiert und muss weiter professionalisiert werden, und dazu dient der auch weiterzuentwickelnde Ethik-Kodex.67 Drittens wird die Weitergabe des EthikKodexes nicht als selbstverständlich unterstellt; die Lehrenden müssen erst dazu aufgefordert werden, dem wissenschaftlichen Nachwuchs die ethischen Grundlagen des soziologischen Handelns beizubringen. Viertens müssen Soziologen für die ethische Seite ihrer Arbeit erst sensibilisiert werden. Eine professionelle Ethik, für die die Angehörigen dieser Profession erst sensibilisiert werden müssen, kann kaum eine Grundlage für den Zugehörigkeitsentzug darstellen. Die professionelle soziologische Ethik befindet sich, wie dem eingeführten Zitat zu entnehmen ist, in der Herausbildungsphase, was wiederum auf ein Defizit der Professionalisierung der Soziologie zum äußeren wissenschaftlichen Beruf hinweist. Wie gezeigt werden konnte, weist die Professionalisierung der Soziologie zum äußeren wissenschaftlichen Beruf in verschiedener Hinsicht Defizite auf. Diese führen dazu, dass die Soziologie zum Teil auf ursprünglich für die innere Profession relevante Mechanismen zurückgreift und diese für die Herstellung von Zugehörigkeit verwendet. Die Mechanismen der Herstellung und des Entzugs von Zugehörigkeit funktionieren in der Soziologie (wenn überhaupt) eher auf der Ebene des Informellen. Am deutlichsten gehen die Unterschiede in der Professionalisierung zu den beiden wissenschaftlichen Berufen, ebenso wie der Rückgriff auf informelle Methoden der Zugehörigkeitsherstellung, aus den Analysen der Interviewdaten hervor. Das Ansprechen der Defizite bzw. Besonderheiten der Professionalisierung zur wissenschaftlichen Profession ist in der Selbstwahrnehmung der Soziologie viel problematischer als das Ansprechen der Defizite der Professionalisierung zur beruflichen (außerwissenschaftlichen) Soziologie. Deshalb werden Erstere im innersoziologischen Diskurs wenn überhaupt, dann sehr dezent beschrieben und kommen eher in den Interviewdaten zum Ausdruck. Im folgenden Abschnitt werden daher die in der Soziologie vorhandenen Kriterien der Professionalisierung zu den beiden wissenschaftlichen Berufen mit dem Fokus auf die Mittel der Zugehörigkeitsherstellung, die Funktionen der
67 Den unklaren Professionalisierungsbegriff in diesem Zitat möchte ich an dieser Stelle nicht kommentieren.
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
internen Kritik und Selektionsmechanismen auf der Basis der Interviewanalysen beschrieben.
2.3.2 Professionalisierung der Soziologie zu den beiden wissenschaftlichen Berufen in den Interviewdaten Die Herausbildung allgemeingültiger Qualitätskriterien: Möglichkeiten des Zugehörigkeitsentzugs In der folgenden Interviewsequenz äußert sich [Int05] zum Thema Heterogenität der Soziologie und bringt sie in Verbindung mit der Herausbildung von Qualitätskriterien und den Möglichkeiten, unzureichende Professionalisierung festzustellen und die unzureichend Professionalisierten auszusortieren: Z: womit identifizieren sich Soziologen? I: ja das/ der Punkt ist (.) wir haben hier ich weiß nicht wie viele Professoren achtundzwanzig oder irgendwas zwischen fünfundzwanzig und dreißig (.) da werden Sie achtundzwanzig verschiedene Meinungen kriegen (.) und das sagt ja auch was über die Soziologie aus (.) dass sozusagen die Soziologie: (.) ne sehr heterogene Angelegenheit ist (.) das hat nen Vorteil (.) das hat den Vorteil dass man also hier (.) wenn man gut ist ja (.) wirklich interessante Sachen machen kann ohne sich auf (.) irgendwelche Standards (.) äh (.) auf (normal science) einstellen/ einlassen zu müssen ne (.) es hat aber auch den Nachteil (.) dass jeder (.) ich sag mal Idiot (.) ja (.) dass jeder Idiot sagen kann was er will (.) und das als/ als Wissenschaft sozusagen (apostrophieren) kann (.) ne (.) und das ist sozusagen (.) die Kehrseite dieser Medaille (.) also einmal diese Freiheit (.) sozusagen nicht gebunden und nicht eingeengt zu sein durch ein Paradigma ja (.) denken Sie an der Ökonomie (.) wo dort (.) der Mainstream ist (.) ja (.) ne bestimmte Art von Ökonomie […] ich mein (.) ne spezifische Art von Ökonomie (.) da ist es sehr schwierig sozusagen (.) etwas anderes zu machen (.) nicht sozusagen in diesem Strom mitzuschwimmen (.) weil man dann sofort die Anerkennung verliert und/ und (.) als nicht professionell gilt und (.) und (.) nicht beachtet wird (.) auch wenn man gute Sachen bringt (.) auch wenn es/ wenn es sozusagen neue Erkenntnisse (gehabt) hat (.) in der So/ eher umgekehrt sozusagen in der Soziologie hat man das/ (dieses) Konzert der (.) (ich mein) es ist ja kein Konzert es ist ja eher: (.) es ist ja eher: (.) ein Missklang (.) der verschiedenen (.) der verschiedenen Positionen und Stimmungen und Sichtweisen und (.) und Perspektiven (.) äh (.) ich muss sagen mir ist das egal (.) ich nehme bestimmte Sachen (einfach) nicht ernst (.) genauso wie ich von anderen Leuten nicht ernst genommen werde (.) [...] solange es ein paar Leute gibt die sich dafür interessieren was ich mache (.) bin ich ganz zufrieden [Int05]
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Die Soziologie wird als eine „heterogene Angelegenheit“ bezeichnet. Zunächst werden die positiven Seiten dieser soziologischen Besonderheit angesprochen: Es gibt in der Soziologie, so [Int05], keine Standards, die dem wissenschaftlichen Progress im Wege stehen, man kann selbst wählen, welchen Standards man entsprechen möchte. Aus dieser Interviewsequenz geht jedoch auch hervor, dass diese fehlenden Standards dann vorteilhaft sind, wenn man eine Garantie hinsichtlich der Kompetenzen von Soziologen haben will. Standards sind also für „gute“ Wissenschaftler eher störend. Sie erfüllen zwar die Funktion der Qualitätskontrolle (die bei „guten“ Wissenschaftlern überflüssig ist), gefährden aber den wissenschaftlichen Fortschritt dadurch, dass versucht wird, neues Wissen an die alten Regeln anzupassen. [Int05] weist aber darauf hin, dass man in der Soziologie keine Garantie für die soziologischen Kompetenzen der Professionellen hat. D.h. nicht nur Neues und Progressives kann in der Soziologie im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen einfacher den Weg in die Wissenschaft finden, sondern auch Wissen, das unter dem erforderlichen Niveau liegt. Der Ärger über die Möglichkeit, dass „jeder Idiot sagen kann was er will (.) und das als/ als Wissenschaft sozusagen (apostrophieren) kann“, macht deutlich, dass [Int05] von bestimmten Kriterien der / für Wissenschaftlichkeit ausgeht. Er ärgert sich darüber, dass die wissenschaftlichen Standards, obwohl solche in der Soziologie existieren,68 nicht allgemeingültig bzw. nicht so etabliert sind, dass ihr Befolgen effizient kontrolliert werden könnte. [Int05] vergleicht an dieser Stelle die Soziologie mit der Ökonomie, in der es einen klar definierten Mainstream gibt, der es erlaubt, diejenigen Ökonomen auszusortieren, die den allgemein anerkannten Standards nicht entsprechen. Und obwohl er über die Gefahr reflektiert, dass bei solchen allgemeingültigen Standards jemand, der „neue Erkenntnisse“ hat, trotzdem als „nicht professionell“ gilt, bedauert er, dass es in der Soziologie keinen solchen Mainstream gibt. Die Situation in der Soziologie wird also nicht nur als kreative, die Wissenschaft fördernde Freiheit, sondern auch als „ein Missklang (.) der verschiedenen (...) Positionen und Stimmungen und Sichtweisen und (.) und Perspektiven“ thematisiert. Dadurch ist es nicht möglich, die nicht ausreichend professionalisierten Soziologen auszusortieren. Man kann als Soziologe die Kritik der Community ignorieren: „ich muss sagen mir ist das egal (.) ich nehme bestimmte Sachen (einfach) nicht ernst (.) genauso wie ich von anderen Leuten nicht ernst genommen werde“.69 68 Zumindest sind sie in seiner Aussage impliziert. 69 So eine Immunisierung gegenüber der Kritik der Community erfolgt auf unterschiedlichen Wegen. Die folgende Interviewsequenz gibt ein Beispiel für die Immunisierung gegen Binnenkritik durch die Reputation, die es ei-
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Das wirft die Frage auf, wie in der Soziologie mit Binnenkritik umgegangen wird und inwiefern von einer allgemeingültigen Reputation ausgegangen werden kann. In der Analyse des innersoziologischen Diskurses zum Thema habe ich die These aufgestellt, die Soziologie sei als innerer wissenschaftlicher Beruf ausreichend professionalisiert – so stellt sie sich jedenfalls im innersoziologischen Diskurs dar, was m. E. für das Herausbilden ihrer Identitätsbasis essenziell ist. In der hier analysierten Interviewsequenz kommt jedoch etwas anderes zum Ausdruck; hier werden die Merkmale der Professionalisierung zum inneren wissenschaftlichen Beruf in Frage gestellt. Die Tatsache, dass man in seinen wissenschaftlichen Tätigkeiten von einigen Kollegen nicht ernst genommen wird, wird nicht problematisiert, sondern als ein Normalzustand der Soziologie beschrieben. Schließlich ist es angesichts der Heterogenität der Soziologie und ihrer unzureichenden Professionalisierung zum äußeren wissenschaftlichen Beruf kaum möglich, dass jemand von der ganzen Community nicht ernst genommen wird. Man muss also nur sicherstellen, dass „es ein paar Leute gibt, die sich dafür interessieren“, was man macht. Das reicht aus, um sich in der Soziologie etabliert zu fühlen und „zufrieden“ zu sein. [Int05] beschreibt darüber hinaus, wie er mit der Situation der fehlenden Kontrolle und der Diffusität der Soziologie umgeht. Er versucht, diese Situation konstruktiv umzudeuten. Dazu zählen auch die Haltung, dass die fehlenden Standards in der Soziologie den Weg für das Neue und Kreative frei räumen können, sowie der Hinweis darauf, dass [Int05] selbst wählen kann, welche Kritik er ernst nimmt und welche nicht. Sein Umgang mit der Situation, den er hier darstellt, weist aber m. E. auf etwas allgemeingültiges Globales hin. [Int05] beschreibt hier den Mechanismus der Kontrolle und Anerkennung in der Soziologie. Die Aussortierung von Dilettanten erfolgt also nicht auf einer generellen Ebene, sondern auf der Ebene kleiner Gruppen von gleich gesinnten Soziologen. Diese Gruppen etablieren besondere, in der jeweiligen Gruppe nem Soziologen erlaubt, sich nicht an ein Kriterium der Wissenschaftlichkeit zu halten, an das sich alle Soziologen mit weniger Reputation zu halten haben, nämlich den (im 3. Kapitel dieser Studie beschriebenen) Umgang mit dem Sprachproblem: „I: also ich glaube das Problem der soziologischen Sprache wird (.) äh immer geringer je älter man wird (.) aus einem ganz einfachen Grund äh (.) wenn man jung ist muss man sich: äh gegenüber der Zunft äh beweisen dass man wissenschaftlich genug ist (.) also benutzt man den Jargon und wenn man älter wird dann: (.) muss man: diesen Beweis nicht mehr führen und dann (.) kann es interessanter werden sich (.) einer Öffentlichkeit gegenüber verständlich zu machen“ [Int 18].
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geltende Standards. Die gegenseitige Anerkennung innerhalb solcher kleinen, für die akademische Community nicht repräsentativen Gruppen70 ersetzt in der Soziologie allgemeineren die internen Kontrollen, bzw. wird zu der einzig möglichen Form derartiger Kontrollen. Wenn allgemeingültige Mechanismen der Aussortierung von Dilettanten fehlen (wobei unter Dilettanten auch nicht genug professionalisierte Soziologen zu verstehen sind, also mit den Worten von [Int05] „jeder Idiot“), gilt das, was „ein paar“ Kollegen für soziologisch tauglich befunden haben. Innerhalb solcher Kollegengruppen könnte Binnenkritik beide Funktionen erfüllen – inhaltliche Kontrolle und Zugehörigkeitsentzug – auf der allgemeinen Ebene aber keine, da sie einfach ignoriert werden kann. Zusammenfassend kann folgendes behautet werden: Zwar impliziert [Int05], dass es Standards gibt, nach denen ein Soziologe als nichtprofessionalisiert eingeschätzt werden kann. Er weist aber auch darauf hin, dass diese Standards in der Soziologie nicht so etabliert sind, dass sie eine entsprechende Qualitätskontrolle zulassen. Der Hinweis auf kleine Kollegengruppen, die mit ihren eigenen Anerkennungsmechanismen und Standards von Wissenschaftlichkeit operieren, zeigt, dass es weder allgemeingültige, eindeutige Kriterien dafür gibt, was als soziologisch tauglich zu definieren ist, noch allgemeingültige Mechanismen der Qualitätskontrolle. Die Heterogenität der Soziologie drückt sich in erster Linie darin aus, dass sie keine Institution ist, die die eigenen Zugehörigkeitsgrenzen kontrollieren kann. Aufgrund dieser Heterogenität kann man keine soziologischen Kernkompetenzen eindeutig definieren. Aus der Analyse dieser Interviewsequenz geht außerdem hervor, dass einige für die Professionalisierung zum inneren wissenschaftlichen Beruf zentrale Mechanismen (wie die Möglichkeit der internen inhaltlichen Kontrolle, die Aussortierung von Dilettanten, allgemeingültige Reputation etc.) in der Soziologie nicht vorhanden bzw. nicht allgemeingültig sind. Das deutet darauf hin, dass entweder auch die Professionalisierung der Soziologie zum inneren wissenschaftlichen Beruf Defizite aufweist oder in der Soziologie ganz andere Mechanismen der Zugehörigkeitsherstellung relevant sind. Das Fehlen bestimmter Mechanismen der Zugehörigkeitsherstellung kann jedoch, so [Int05], nicht eindeutig als Defizit gesehen werden, da es u. a. auch Kreativität bzw. den wissenschaftlichen Fortschritt fördert. Während also die Analyse des soziologischen Diskurses darauf hindeutet, dass man die Professionalisierung der Soziologie im Wissen70 Die Größe der Gruppen kann variieren; das Entscheidende hier ist, dass diese Gruppen für die akademische soziologische Community nicht repräsentativ sind.
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schaftsbetrieb mit den vorhandenen Professionalisierungskonzepten erfassen kann, weisen die Interviewdaten auf bestimmte Defizite der vorhandenen Professionalisierungskonzepte hin. Es bedarf also einer Anpassung dieser Konzepte an den Fall „Soziologie“. Der Grund hierfür ist, dass die Soziologie bestimmten, in den Professionalisierungstheorien beschriebenen Kriterien aufgrund ihrer durch den Gegenstand verursachten Heterogenität nicht entsprechen kann. Soziologie ist eher als ein Dachbegriff zu verstehen denn als eine als Einheit zu professionalisierende Disziplin. Ihre Professionalisierung ist eher im Rahmen der einzelnen Bindestrich-Soziologien möglich, zumindest was das Etablieren formeller Zugehörigkeitskriterien angeht. Diese Überlegungen gehen wie bereits angemerkt in Richtung von Stichwehs Analyse der Professionalisierung in der Wissensgesellschaft (2000, 2005). In seiner Betrachtungsweise würde die Professionalisierung der Soziologie mit ihren Besonderheiten eher als ein Normalfall erscheinen. Jedoch verläuft die Professionalisierung der Soziologie nicht nur aufgrund der Entwicklung der Gesellschaft in Richtung einer Wissensgesellschaft in dieser besonderen Weise, sondern u. a. aufgrund des besondern soziologischen Gegenstandes (darauf wird weiter unten in diesem Kapitel ausführlicher eingegangen). Außerdem bleibt die Frage nach der Etablierung formalisierter oder zumindest formalisierbarer Zugehörigkeitskriterien unbeantwortet. Weitere Besonderheiten der Professionalisierung sind durch den ständigen Wandel des Gegenstandes zu erklären. Dadurch können allgemeingültige Standards der Gegenstandserfassung kaum etabliert werden. Darüber hinaus könnten solche Standards angesichts des dramatisch schnellen Gegenstandswandels den wissenschaftlichen Fortschritt gefährden. Entsprechend ist auch keine allgemeingültige Qualitätskontrolle bzw. keine Einrichtung einer Community möglich, die einen Überblick über die Entwicklungen in der Soziologie hätte. Demzufolge müssen die Professionalisierungskonzepte zur Erfassung der Professionalisierung in der Soziologie an die Besonderheiten dieser Disziplin angepasst werden, damit deren Professionalisierungserfolge vor dem Hintergrund ihrer Gegenstandssituation definiert werden können (dazu mehr in der Zusammenfassung dieses Abschnitts).
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Die soziologischen Kernkompetenzen und die Aussortierung von Dilettanten bzw. Nicht-Professionellen: Formelle und informelle Kriterien der Zugehörigkeitsherstellung In der im Folgenden analysierten Interviewsequenz spricht [Int22] die soziologischen Kernkompetenzen an, zieht Grenzen zwischen der Soziologie und ihren Nachbardisziplinen bzw. dem Alltagsverstand und schlägt eine Basis für die Einschätzung der Sozialisationserfolge eines Soziologen vor: I: ich denke (.) eine der auffälligsten (.) Fähigkeiten wenn/ wenn ich das Wort verwenden will (.) die den Soziologen und die Soziologin auszeichnet ist (.) das ist natürlich etwas was wiederum auch (.) mit Systemtheorie zu tun hat aber wo ich denke das muss man darüber hinaus (.) generalisieren ist äh Problemsituationen (.) so zu verstehen und zu analysieren dass man nicht auf Personen und deren (.) Absichten (.) psychische Dispositionen etc. zurechnet sondern tatsächlich (.) etwas als: (.) als Sozialstruktur als soziales System zu verstehen und äh (.) den/ gewissermaßen den psychologischen Fehlschluss zu vermeiden das ist (.) also das ist etwas woran ich (.) immer den Eindruck hab daran kann man ganz gut (.) Sozialisationserfolg (.) oder -misserfolg feststellen weil (.) […] es geht nicht um die Psychologie als wissenschaftliche Disziplin das ist eine andere Welt da/ (.) sondern ich/ ich denke (.) sozusagen (.) es gibt so ein Alltags(.)verständnis des Sozialen das meinem Eindruck nach immer psychologisch ausgeflaggt ist man (.) man versucht sich äh (.) man versucht sich die Absichten und die Intentionen zu vergegenwärtigen und aus denen heraus erklärt man also und zwar den Beteiligten was geschieht (.) und (.) das zu vermeiden (.) und tatsächlich äh (.) Geschehnisse Zusammenhänge Probleme Konflikte (.) äh (.) glückliche oder unglückliche Verläufe (.) Diskontinuitäten aus/ aus sozialen Strukturen und Prozessen zu erklären das/ (.) also und/ und psychologische/ (.) Psychologismen zu vermeiden das ist irgendwie glaube ich eine der Sachen an denen man am klarsten Sozialisationserfolge in (.) in Soziologie beobachten kann [Int22]
Als [Int22] die Kernfähigkeit anspricht, die einen Soziologen von einem Nicht-Soziologen unterscheidet, wird klar, dass nicht alle Soziologen über diese Fähigkeit verfügen. Dies wird vor allem dadurch deutlich, dass [Int22] in dieser Sequenz mit der Kategorie „Sozialisation(serfolg)“ – nicht der Ausbildung – arbeitet. Sozialisation ist ein weiterer Begriff als Ausbildung – man kann zwar die Ausbildung abgeschlossen haben, aber trotzdem nicht erfolgreich in der Soziologie sozialisiert sein. Sozialisationserfolg lässt sich durch die Betrachtung der Vorgehensweise eines Soziologen „feststellen“. Der Ausdruck „feststellen“ deutet darauf hin, dass man erst im Nachhinein, also wenn jemand angefangen hat, als Soziologe zu arbeiten, feststellen kann, ob er wirklich erfolgreich als
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Soziologe sozialisiert wurde. Hinsichtlich der Professionalisierungsmechanismen weist die Soziologie also folgende Lücken auf: — Die Feststellung erfolgreicher Sozialisation erst im Nachhinein deutet auf ein Versagen der Zeugnisvergabe als Initiierungsstufe hin. Es ist prinzipiell möglich, dass jemand, der über ein Diplom bzw. ein BA/MA-Zeugnis verfügt und sich damit gegenüber Nicht-Soziologen als Soziologe ausweisen kann, dennoch nicht erfolgreich in der Soziologie sozialisiert ist und die von Soziologen zu erbringenden Leistungen nicht erbringen kann. Um Soziologe zu werden, reicht es nicht aus, das formell angelegte Studium zu absolvieren. Man muss zusätzlich auf eine bestimmte Weise sozialisiert werden. — Bei den soziologischen Kernkompetenzen nach [Int22] handelt es sich nicht (nur) um die zu erlernenden Hard Skills, sondern eher um Soft Skills. Es geht darum, „Problemsituationen zu verstehen“. Man bekommt also keine direkten Handlungsanweisungen von der Disziplin, was die Einschätzung der soziologischen Kompetenzen erschwert. — Als Soziologe muss man „Geschehnisse Zusammenhänge Probleme Konflikte (.) äh (.) glückliche oder unglückliche Verläufe (.) Diskontinuitäten aus/ aus sozialen Strukturen und Prozessen [...] erklären“. Dies ist eine der Kompetenzen, an denen man „am klarsten Sozialisationserfolge in (.) in Soziologie beobachten“ kann. Das Verb „beobachten“ hebt nochmals hervor, dass die „Sozialisationserfolge“ nicht formell geprüft werden können. Erst nach Beginn der Professionsausübung in der Ausübung der Profession wird deutlich, ob jemand die soziologischen Kernfähigkeiten tatsächlich erworben hat. Dieses Hervorheben der Sozialisationskategorie ist besonders angesichts der Tatsache wichtig, dass man, wie die Analysen zeigen, im Falle der Soziologie nicht von einer unifizierten, den Erwerb bestimmter Kompetenzen zertifizierenden Ausbildung sprechen kann. Dies verleiht dem Sozialisationserfolg einen besonderen Status. Obwohl man vergleichsweise zum Beispiel in der Medizin ebensowenig sicher sein kann, dass ein ausgebildeter Arzt ein guter Arzt werden wird, kann man dank der unifizierten Ausbildung bei Beginn der Berufsausübung zumindest davon ausgehen, dass alle, die Medizin mit einer bestimmten Spezialisierung studiert haben, die Möglichkeit zum Erwerb derselben Kompetenzen hatten. Das ist in der Soziologie anders. Dementsprechend weist die Kategorie des Sozialisationserfolgs im Falle der Soziologie auf den Erfolg der jeweiligen soziologischen Ausbildung, die ein Soziologe durchlaufen hat, und die Kompatibilität dieser Ausbildung mit den von Soziologen zu erbringenden Leistungen. 138
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Um zu zeigen, wie in dieser Interviewsequenz die institutionellen Mittel der Zugehörigkeitsherstellung abgebildet werden bzw. deren Institutionalisierbarkeit hergestellt wird, müssen zwei Aspekte in Betracht gezogen werden. Zum einen gibt es [Int22] zufolge Kernfähigkeiten, die einen in der Disziplin erfolgreich sozialisierten Soziologen auszeichnen. Darüber hinaus gibt es Kriterien – ob allgemeingültig oder nicht – nach denen die Arbeit eines Soziologen evaluiert werden kann. Diese Kriterien hängen mit der soziologischen Kernkompetenz zusammen, „Geschehnisse Zusammenhänge Probleme Konflikte (.) äh (.) glückliche oder unglückliche Verläufe (.) Diskontinuitäten aus/ aus sozialen Strukturen und Prozessen zu erklären das/ (.) also und/ und psychologische/ (.) Psychologismen zu vermeiden“. Zum anderen sind diese Kernkompetenzen, die die Zugehörigkeit zur Disziplin bestätigen sollen, aber nicht zwangsläufig erlernbar und basieren nicht auf der institutionalisierten Ausbildung zum Soziologen.
Zugehörigkeit und Zugehörigkeitsentzug: inhaltliche vs. formelle Relevanzkriterien Die folgende Interviewsequenz stellt einen Zusammenhang her zwischen der fehlenden Instanz für eine allgemeingültige inhaltliche Kontrolle in der Soziologie und der Etablierung formeller, nicht-inhaltlicher Kriterien, die diese Kontrollfunktion erfüllen sollen. Allerdings zeigt diese Sequenz auch, dass die hier erwähnten formalisierten Kriterien der Kontrolle ebenfalls nicht allgemeingültig sind, sondern eher intern kritisch wirken: Z: werden Sie wirklich so schräg angeschaut von den Kollegen? I: ja natürlich was meine prak/ (.) praktische Tätigkeit so weit sie überhaupt das wissen (was ich gar nicht weiß was mich auch nicht interessiert) (.) das schon klar (.) natürlich = allein zum Beispiel das Thema Anwesenheit (.) natürlich bin ich nicht jeden Tag hier und sitze herum weil ich meine […] Arbeit nicht als: als: Zeit(.)vertreib hier sehe oder weil ich meine Leistung nicht darin sehe eben bestimmte Zeiten hier zu sitzen also meine Leistung sehe ich in anderen Dingen (.) viele Kollegen erwarten dass ich einfach hier bin (.) was für mich absurd ist aber sie erwarten/ Z: physisch präsent? I: physisch präsent egal was ich tue = ich muss einfach präsent sein (.) und das merke ich schon hier Z: würden Sie sagen dass Sie das auch an (.) an den Einstellungen von den Kollegen zu Ihren (.) ähm (.) Büchern also zu Ihren wissenschaftlichen Produkten sehen? I: nein = nein (.) nein das (überhaupt) nicht (.) aber ich muss eben zweigleisig fahren ne (.) (ich muss) sozusagen (.) ich (.) ich erwerbe mir (.) eine gewisse
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Stellung über meine theoretischen Bücher so dass ich nicht angreifbar bin = aber wenn ich das nicht täte dann würde es mir schlecht gehen Z: wie schaffen Sie das zeitlich denn (.) beides zu machen? Man hört immer wieder (.) diejenigen die in der Praxis sind haben natürlich keine Zeit mehr um (.) um in der Wissenschaft zu sein aber/ oder um (.) dermaßen in der Wissenschaft zu sein I: also (.) das glaube ich nicht = man muss eben äh tatsächlich ähm (.) auf beiden Seiten (.) erstens effektiv und effizient arbeiten = man muss sich auf beiden Seiten begrenzen = das heißt ich kann auch natürlich in der Praxis nicht alles das machen (.) was ich machen möchte (.) sondern (.) ich setze eine eindeutige klare Priorität (.) äh dahin dass ich forsche (.) Projekte mache (.) und Bücher schreibe (.) und was mir an (.) Praxiskontakten und konkreter Beratung und Kontakten zu Organisationen und zu Institutionen (.) dazu hilft (.) äh (.) meine Bücher und meine Forschungen besser praxisnäher (.) äh: reflektierter zu machen das tue ich aber andere Dinge tue ich nicht [Int23]
Die einleitende Frage ist eine Präzisierungsfrage, nachdem der [Int23] erzählt hat, er würde von Kollegen wegen seiner praktischen Tätigkeiten „schräg angeschaut“. Als er gebeten wird, mehr darüber zu erzählen, erklärt er zuerst, wie es dazu kommt. Er wählt einen formellen Punkt des Tagesverlaufs eines akademischen Wissenschaftlers, der zwar für seine Kollegen wichtig zu sein scheint, jedoch nicht viel mit wissenschaftlicher Arbeit zu tun hat. [Int23] führt al ein formelles Kriterium ein, das zwar dazu dienen soll zu prüfen, ob sich ein akademischer Soziologe an einen bestimmten Tagesplan hält, die zum Teil aber auch als Kriterien der inhaltlichen Qualitätskontrolle in der Community zu dienen scheinen. Da es – so meine Hypothese – keine Kontrollmechanismen in der Disziplin gibt, die eine zuverlässige und vor allem allgemeingültige Qualitätskontrolle der soziologischen Kompetenzen gewährleisten könnten, kontrolliert die Community, dass ein akademischer Soziologe seinen Alltag so organisiert, wie es im Wissenschaftsbetrieb üblich ist. Die einzig denkbare Funktion dieses Vorgehens ist, eine für die wissenschaftliche Tätigkeit erforderliche Umgebung zu kreieren; es vermag allerdings nicht zu bestimmen, ob in dieser Umgebung tatsächlich eine entsprechende wissenschaftliche Leistung erbracht wird. Die Kontrolle solcher Formalia würde jedoch anders gehandhabt, wenn es eine Möglichkeit der inhaltlichen Qualitätskontrolle gäbe. Die Stellung der Kontrolle solcher Formalia in der Community bzw. ihre möglichen Konsequenzen bedürfen also einer weiteren Deutung. [Int23] führt die Kontrolle formeller Aspekte ad absurdum und plädiert für inhaltliche Kontrollen. Diese Interviewsequenz weist jedoch inhaltliche Inkonsistenzen auf, die geklärt werden müssen. 140
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Besonders fällt auf, dass die Haltung von [Int23] in dieser Interviewsequenz „unkollegial“ erscheint. [Int23] stellt den Alltag akademischer Soziologen als sinnlos dar: Sie sind jeden Tag in der Universität und „sitzen herum“; seinem Eindruck nach sehen sie im „Zeitvertreib(en)“ an der Universität ihre Pflicht und Leistung. Das wird in der Auseinandersetzungdeutlich, die er beschreibt: Er wird von diesen Kollegen schräg angeschaut, weil er seine Leistung in etwas anderem sieht als darin, „[bestimmte] Zeiten hier zu sitzen“. Von der wissenschaftlichen Arbeit, die die Kollegen in dieser Zeit erledigen, wird nicht geredet. Das „Zeitvertreib(en)“ an der Universität ist nach der Beschreibung von [Int23] eine normative Erwartung an den Alltag des akademischen Soziologen. Das Nichtbefolgen dieser Erwartung ruft eine Sanktionsmaßnahme hervor – man wird „schräg angeschaut“. Die Tatsache, dass [Int23] auf die Frage, ob er von den Kollegen in seiner wissenschaftlichen Leistung anerkannt ist, keine Empörung zeigt, sondern eine ganz normale Erklärung gibt, zeigt, dass er diese Sanktionsmaßnahme als solche erkennt. Er bezieht sie auf seine Ausübung praktischer, d.h. anwendungsbezogener außerakademischer Tätigkeiten. Dem muss er eine Behauptung seines wissenschaftlichen Erfolgs entgegensetzen. Die Aussage von [Int23], dass die Kollegen an seinen wissenschaftlichen Kompetenzen nicht zweifeln, unterstellt jedoch zugleich, dass dies der Fall sein könnte, was auch die betreffende Frage der Interviewerin impliziert. Diese Implikation versucht [Int23] abzuwehren, indem er zeigt, dass das Befolgen der formalen Regeln durch andere Soziologen nichts über deren wissenschaftliche Leistungen aussagt. Es fragt sich, welche negativen Konsequenzen das „schräg“-angeschaut-Werden durch Kollegen für einen wissenschaftlichen Soziologen haben kann. Eine naheliegende Deutung ist, dass angesichts der fehlenden inhaltlichen Qualitätskontrollen und auf solche Kontrollen bezogenen formellen Sanktionsmaßnahmen informelle Kontrollen an deren Stelle treten. Das „schräg“-Anschauen ist jedoch dann problematisch, wenn die in der Soziologie einzig denkbare Sanktionsmaßnahme in scharfer Kritik seitens eines relevanten Kollegenkreises besteht bzw. darin, aus diesem Kollegenkreis ausgeschlossen zu werden. [Int23] schildert in dieser Interviewsequenz einen ganz normalen Ablauf des Wissenschaftlerseins – wenn er keine inhaltlichen Leistungen erbracht hätte, würden die Kollegen an seinen wissenschaftlichen Fähigkeiten zweifeln. Wenn man aber wissenschaftlich etwas leisten kann, das die Kollegen akzeptieren, wird man von ihnen auch als Wissenschaftler bewertet. Der Zusammenhang zwischen der Bewertung seiner wissenschaftlichen Leistungen durch die Kollegen und seiner (Nicht-)Befolgung der 141
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Anwesenheitspflicht weist aber auf eine Besonderheit der Soziologie hin. Unterstellt man, dass für [Int23] das Erbringen wissenschaftlicher Leistungen noch wichtiger ist als für seine nicht anwendungsbezogen tätigen Kollegen, weil er sich innerhalb einer Institution nicht entsprechend den allgemeingültigen Regeln verhält, so bedeutet dies, dass eine Person erst dann angreifbar ist, wenn sie zusätzlich zum NichtErbringen wissenschaftlicher Leistungen auch noch in der Praxis tätig ist. Andererseits ist jemand, der sich seine Zeit an der Universität „vertreibt“ – die abwertende Konnotation dieses Verbs weist möglicherweise darauf hin, dass sich diese Aktivität nicht in einem wissenschaftlichen Ertrag niederschlägt – nicht angreifbar, weil er sich an Formalia hält. Dies deutet wiederum darauf hin, dass aufgrund der fehlenden inhaltlichen Kontrollen Formalia die Kontrollfunktion übernehmen. Die Community würde mit anderen Worten davon ausgehen, dass allein die Tatsache, dass jemand an der Hochschule ansässig ist, eine Garantie für seine soziologische Qualifikation ist. Dies würde allerdings allgemeingültige Prüfkriterien bei der Anstellung unterstellen, die einen von jeglicher nachfolgenden Kontrolle entbinden. Die Besonderheit der Soziologie besteht somit in Folgendem: In anderen Disziplinen geht es bei der Anwesenheit oder anderen Formalia nicht um die Reproduktion der Disziplin/Profession – dies geschieht vielmehr über Inhalte –, sondern um die Verpflichtung gegenüber dem Staat, die eine Person in einer Fakultät übernimmt. In der Soziologie hingegen wird versucht, diese Verpflichtung an die Reproduktion der Disziplin zu knüpfen bzw. die Formalia zu einem Merkmal zu machen, an dem man die Zugehörigkeit zur wissenschaftlichen Disziplin – und auch die Wissenschaftlichkeit – messen kann.
Aussortierung von Dilettanten, Qualitätskontrolle im Studium, Kontrolle des Zugangs zum Arbeitsfeld In der folgenden Interviewsequenz berichtet [Int19] von den in den Ausbildungsprozess eingebauten Mechanismen der Qualitätskontrolle und der Möglichkeit der Aussortierung ungeeigneter Studierender während des Studiums. In diesem Kontext wird auch die Frage des Zugangs zum Arbeitsfeld thematisiert. Zwischen der Professionalisierung zum wissenschaftlichen bzw. zum außerwissenschaftlichen Beruf wird nicht unterschieden. Der Fokus liegt auf den durch die Ausbildung garantierten und geprüften soziologischen Qualifikationen. Es wird beschrieben, dass das Ablegen eines Examens in der Soziologie den Erwerb bestimmter Qualifikationen nicht garantieren kann,71 was die Frage aufwirft, ob 71 Der Bezug auf die Diplomprüfung-/Diplomstudiengang ist dem Zeitpunkt geschuldet, zu dem das Interview stattfand (2002); damals waren die BA/
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ein Examen in der Soziologie als Initiierungsstufe betrachtet werden kann: leider ist es so dass häufig unsere Studenten nicht gut genug sind dass man sie gut empfehlen könnte (.) weil sie nicht genug gelernt haben aus meiner Sicht (.) und äh das wirklich schwierig ist jemandem (.) einen Absolventen zu empfehlen (.) von dem man meint der hat nicht gut genug gelernt hier (.) der kriegt (zwar sozusagen) (.) hier irgendwie sein Examen (.) aber er ist im Grunde kein guter Student (.) und von der Sorte haben wir viele (.) muss ich leider sagen ne wir haben (.) aus meiner Sicht (.) sicher ein Drittel der Studierenden die besser nicht studiert hätten (.) jedenfalls nicht Soziologie studiert hätten (.) das ist leider so und äh (.) die quälen sich hier durch und ich versuche dann auch mit/ aus/ mit denen das möglichst Beste rauszukriegen (.) aber ich tue es eigentlich mit schlechtem Gewissen weil ich sage äh (.) nech (.) Sie hätten vielleicht besser daran getan frühzeitig aufzuhören damit mit dem Studium (.) etwas anderes zu machen (.) man muss ja nicht unbedingt Soziologe werden oder Soziologin (.) es gibt andere sinnvolle und vielleicht sinnvollere Berufe (.) und äh (.) gut wenn sie nicht wollen kann man ihnen nicht helfen und dann müssen sie’s (.) zu Ende bringen (.) ich versuche es mit ihnen auch mit den schwächeren Studenten intensiv zu arbeiten (.) dass sie nicht (.) wenigstens am Ende nach sieben acht neun Jahren (.) Studium manche sind ja sehr alt ne (.) dann einfach nichts in der Hand zu haben und zu sagen gut das war nix ne (.) dass irgendwas noch dabei rauskommt (.) äh aber (.) das ist Vergeudung von Ressourcen ne (.) von Lebenszeit bei den Studierenden und äh von Zeit die ich investiere und von (.) meinen Mitarbeitern her (.) weil sie eigentlich für das Studium in der Form nicht geeignet sind (.) und wir haben ja (.) das sehen Sie wenn Sie die Bielefelder Verhältnisse kennen = wir haben ja kaum (.) Instrumente (.) den Studierenden deutlich zu sagen das war nicht gut genug (.) ne (.) […] wir sind ja sehr liberal (.) äh: zu liberal (.) nicht weil ich also Leute jetzt quälen will sondern weil ich ihnen ne Chance geben will zu prüfen (.) nech (.) bin ich wirklich (.). derjenige der (das) studieren kann (.) oder (.) sollte ich nicht jetzt die Entscheidung treffen relativ früh (.) Soziologie ist für mich nix (.) und (.) das/ da gibt’s keine harten äh (.) Schnitte (.) die Prüfungen = die Vorprüfungen = dieses Vordiplom (.) das kriegt man irgendwie schon hin (.) mehr schlecht als recht = irgendwie (.) wenn man nicht total dumm ist sag ich mal ne kriegt man das hin (.) und (.) das ist kein Selektionsinstrument da äh: (.) das machen 90% der Leute (.) die sich dem (.) der Prüfung stellen = es fällt da fast keiner MA-Studiengänge noch nicht so weit etabliert wie heute. Die Befragung der Lehrenden zeigt aber, dass auch im neuen System die Selektionsmechanismen offenbar nicht viel besser funktionieren. Durch die zeitliche Belastung und die höheren Studierendenzahlen ist eine effektive Selektionspolitik nicht möglich. Haben die (nicht ausreichend fachlich qualifizierten) Studierenden Durchhaltevermögen, werden sie ihren Abschluss erreichen. Ich sehe also nicht, dass durch den Übergang zu anderen Studienformen die Professionalisierung der Soziologie vorangetrieben wurde.
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durch (.) und (.) das finde ich falsch (.) nicht weil ich den Leuten (.) die Enttäuschung bereiten möchte sondern weil ich ihnen ersparen will (.) noch viele Jahre in ne Ausbildung zu investieren (.) die dann vielleicht (.) doch in die Arbeitslosigkeit führt ne denn (.) jemand der n ganz schlechtes Examen macht (.) angesichts des Arbeitsmarktes für Soziologen = der ist ja nicht so toll (.) nech da findet man dann auch keinen Job (.) wobei ich immer Angebote habe (.) von Kollegen (.) die mich anrufen und sagen hast du nicht irgend jemandem der bei mir arbeiten kann (.) den du mir vermitteln kannst = ich hab Projekte (.) und suche jetzt ne Soziologin = n Soziologen (.) mit äh:/ für ein Projekt ne (.) begrenzt meistens für zwei drei Jahre aber (.) immerhin nech (.) und ich kann ganz häufig den Leuten keinen benennen (.) (weil) ich sagen kann der könnte das ne (.) /TZ: unglaublich/ das ist aber so ne das is äh (.) wobei es insbesondere an der Frage (.) Empirie Statistik (.) hängt (.) ne das sind (.) da sind bei ganz vielen Leuten die Schwachstellen wo sie auch (.) Abneigungen haben gegen alles was empirische Forschung (.) quantitativer Art ist (.) und (.) viele/ das ist im Grunde so’n Arbeitsmarkt (.) gerade da ist ein Arbeitsmarkt und (.) das wollen manche Studierenden einfach nicht einsehen (.) dass es (.) für sie wichtig wäre sich dort einmal durchzubeißen (.) und äh (.) sich die Mühe zu geben da was zu lernen [Int19]
[Int19] ist, was die soziologische Ausbildung anbelangt, als Lehrender selbst- bzw. strukturkritisch. Er spricht die Tatsache an, dass das formell mit einem Diplomzeugnis abgeschlossene Studium der Soziologie nicht ausreichend ist, um einen Studierenden zu einem Soziologen zu machen, dessen Qualifikationen nach außen garantiert werden könnten. [Int19] thematisiert diese Tatsache zuerst nicht vom Standpunkt der Studierenden aus, die ihre Zeit mit dem Studium einer Disziplin vergeuden, für die sie nicht geeignet sind, sondern vom Standpunkt eines Arbeitgebers – aus dem wissenschaftlichen sowie dem außerwissenschaftlichen Betrieb – der mit [Int19] in Verbindung tritt, um einen guten Soziologen zu finden, dem man aber keinen gut ausgebildeten Soziologen vermitteln kann.72 Dann erfolgt eine Perspektivübernahme. [Int19] spricht die Tatsache an, dass es de facto keine Selektionsmechanismen gibt, um die Studierenden, die für diese Profession und dieses Studium nicht geeignet sind, während des Ausbildungsprozesses auszusortieren. Fast jeder, der Soziologie studieren und einen Abschluss machen will, wird dies auch er72 Diese Interviewsequenz ist möglicherweise u.a. durch die Motivation veranlasst, den Vorwurf, die Disziplin als solche würde ihre Absolventen nur arbeitslos machen, zu entkräften bzw. den Fokus dieses Vorwurfs umzudeuten in der Weise, dass die Disziplin nur insofern dafür verantwortlich ist, als sie die ungeeigneten Studierenden nicht aussortieren kann, als Profession aber durchaus nachgefragt ist.
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reichen können: Der Student kriegt „hier irgendwie sein Examen (.) aber er ist im Grunde kein guter Student“. Die Disziplin ist als äußerer wissenschaftlicher sowie außerwissenschaftlicher Beruf nicht professionalisiert genug, um funktionierende Selektionsmechanismen zu haben. Die in dieser Interviewsequenz formulierte Machtlosigkeit eines Hochschullehrers in seinem eigenen Beschäftigungsgebiet kommt auch in der Formulierung „und von der Sorte haben wir viele (.) muss ich leider sagen“ zum Ausdruck. Das Problem dabei ist, dass sich Absolventen, die aufgrund nicht ausreichender Leistungen in der Disziplin nicht anerkannt werden, nach außen dennoch als Soziologen präsentieren können, weil sich die potenziellen externen Arbeitgeber nur an formellen Kriterien wie Zeugnissen orientieren können. Diese sind erfüllt, da ein abgeschlossenes Soziologiestudium vorliegt. Solche Selektionsmechanismen haben im inneren wissenschaftlichen Beruf, zu dem die Soziologie eher erfolgreich professionalisiert ist, keinerlei Bedeutung. Im äußeren wissenschaftlichen (auf formalisierte Karrierestufen orientierten) wie auch im außerwissenschaftlichen Beruf könnte das Fehlen solcher Selektionsmechanismen aber durchaus problematisch sein. Diese Situation, gegen die er machtlos ist – dramatisiert [Int19] noch mit einer Angabe zum Anteil der Studierenden, die besser ein anderes Fach (oder überhaupt nicht) studiert hätten: „sicher ein Drittel der Studierenden die besser nicht studiert hätten (.) jedenfalls nicht Soziologie studiert hätten“, heißt es bei ihm. Wenn man bedenkt, dass auch diese Studierenden ihr Studium abschließen können, wirkt die Situation tatsächlich dramatisch. Die Aussage, diese Studierenden „quälen sich hier durch“, unterstellt wiederum zweierlei: dass ihnen das Studium der Soziologie zwar nicht leicht fällt, dass es ihnen aber trotzdem möglich ist. Noch einmal bekräftigt [Int19] seine Machtlosigkeit durch einen Ausdruck seines Bedauerns: „das ist leider so“. Daraufhin stellt er seine Strategie dar, mit den ungeeigneten Studierenden umzugehen. Er versucht nicht, sie auszusortieren – das kann er nicht – sondern ihnen dazu zu verhelfen, dass sie möglichst gut werden („aus/ mit denen das möglichst Beste rauszukriegen“). Das tut er allerdings „mit schlechtem Gewissen“. Es fragt sich, wem gegenüber [Int19] ein schlechtes Gewissen hat: gegenüber seinem Fach, da er Personen dazu verhilft, Soziologen zu werden, die keine werden sollten, und damit unter Umständen die Reputation der Disziplin beschädigt? Oder gegenüber den Studierenden, die er für etwas ausbildet, was sie im Grunde nicht können, und die deswegen geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben werden? Wenn man die These vertritt, dass es sich im Falle der Soziologie um eine zum wissenschaftlichen und nicht zum außerwissenschaftlichen Beruf professionalisierte Disziplin handelt, sollte man annehmen, dass es [Int19] um die 145
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Studierenden Leid tut. Diese werden zwar ein Zeugnis überreicht bekommen, aber trotzdem auf dem nach den Kriterien des inneren wissenschaftlichen Berufs strukturierten Arbeitsmarkt kaum Chancen haben. [Int19] selbst sagt, es tue ihm Leid für die Studierenden, die ihre Zeit verschwendeten, weil er sie nicht dazu bringen konnte, das Soziologiestudium abzubrechen. Aufgrund der fehlenden institutionellen Mittel dafür bleiben ihm nur Überzeugungsmittel aus dem Alltagsverstand, etwa das Argument „man muss ja nicht unbedingt Soziologe werden“, das in eine Relativierung der Bedeutung der Soziologie mündet: „es gibt andere sinnvolle und vielleicht auch sinnvollere Berufe“ – ein weiterer Ausdruck seiner Verzweiflung angesichts der fehlenden institutionellen Mittel der Selektion. Was das Argument der „Vergeudung von Ressourcen“ betrifft, muss angemerkt werden, dass die Disziplin selbst die Schuld daran trägt, da sie nicht in der Lage ist, die schwächeren Studierenden auszusortieren. Diese müssen also ihr Studium zu Ende bringen, wodurch die Soziologie Zeit verliert, die nützlicher eingesetzt werden könnte.73 An dieser Stelle kommt [Int19] explizit darauf zu sprechen, dass es keine Instrumente gibt, „den Studierenden deutlich zu sagen das war nicht gut genug“. Interessant ist, dass er in diesem Kontext nicht von der Soziologie als akademischer Disziplin spricht, sondern von der Bielefelder Universität. Dadurch wird das Problem in gewisser Weise entschärft, da keine Generalisierung vorgenommen wird. [Int19] plädiert an keiner Stelle explizit für stärkere Ausschlussmechanismen in der Soziologie. Die einzelnen vorgesehenen Selektionsmechanismen erfüllen diese Funktion nicht bzw. sind nicht empfindlich genug: „die Prüfungen = die Vorprüfungen = dieses Vordiplom (.) das kriegt man irgendwie schon hin (.) mehr schlecht als recht = irgendwie (.) wenn man nicht total dumm ist sag ich mal ne kriegt man das hin (.) und (.) das ist kein Selektionsinstrument“. Der Refrain „das kriegt man irgendwie schon hin“ weist auf die zu niedrige Selektionsschwelle hin, die Präzisierung „wenn man nicht total dumm ist“ hebt die Wirkungslosigkeit der vorhandenen Selektionsmechanismen deutlich hervor. Zum zweiten Mal greift [Int19] auf statistische Mittel zurück, um die Dramatik der Situation zu verschärfen: „das machen 90% der Leute (.) die sich dem (.) der Prüfung stellen = es fällt da fast keiner durch“. Erst danach wird das Kriterium des Qualifikationsnachweises genannt, der für die Praktiker gilt. Dies ist zwar kein Selektionsinstrument, aber ein Mittel, mit dem Arbeitgeber diejenigen, die trotz geringerer 73 Die Zeitvergeudung kommt dadurch zustande, dass man die Studierenden in einer Weise betreuen muss, die diese Form des Studiums eigentlich nicht vorsieht.
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Qualifizierung ihren Abschluss gemacht haben, aussortieren können. Erst an dieser Stelle wird die Benotung mit der möglichen Arbeitslosigkeit in Verbindung gebracht. Ein „ganz schlechtes Examen“ könnte dazu führen, dass ein Absolvent trotz des abgeschlossenen Studiums auf dem Arbeitsmarkt aussortiert wird. Die Benotung ist also ein Kriterium des Qualifikationsnachweises, an dem sich Praktiker orientieren können – die einzige Stelle, an der die Bewertung des Absolventen durch Hochschullehrer dem künftigen Arbeitgeber übermittelt werden kann. Dieser Aspekt hätte im Falle einer zum äußeren wissenschaftlichen und zum außerakademischen Beruf erfolgreicher professionalisierten Disziplin vielleicht im Zentrum der Überlegungen gestanden, wird aber von [Int19] nur am Rande erwähnt. Außerdem funktioniert dieser Mechanismus laut [Int19] nur dann, wenn das Examen „ganz schlecht“ ist – nur „schlecht“ reicht also nicht aus. Der Hinweis auf diesen Mechanismus wird nicht zur Beschreibung einer funktionierenden Selektion am Arbeitsmarkt eingesetzt, sondern eher als Drohung: Die Studierenden wissen, dass sie ihren Abschluss erreichen werden, und wollen deshalb ihr Studium nicht abbrechen; sie wissen aber nicht, dass es eventuell nicht ausreicht, ihr Examen „irgendwie“ zu bestehen, sondern die Examensnote durchaus zählen könnte. Nebenbei erwähnt [Int19], der Arbeitsmarkt für Soziologen sei „ja nicht so toll“. Das erklärt vor allem, warum die oben erwähnte Drohung nicht im Zentrum seiner Überlegungen steht; sie scheint nur die ohnehin schlechte Situation auf dem Arbeitsmarkt zu verschärfen. Was eigentlich zählt, sind die direkten Empfehlungen der Hochschullehrer. Daher wird das „ganz schlechte“ Examen als Selektionsmechanismus nur am Rande erwähnt; es ist ohnehin kaum möglich, ohne Empfehlung einen Job zu bekommen. Dies kommt vor allem dadurch zum Ausdruck, dass die Überlegungen zum schlechten Arbeitsmarkt der Soziologen unmittelbar auf die Erwähnung der schlechten Examensnoten folgen. [Int19] konstruiert mit der Abgrenzung zwischen dem normalen Arbeitsmarkt, auf dem man landet, wenn man das Studium absolviert und keine Empfehlungen hat, und dem eher geschlossenen Arbeitsmarkt für die erfolgreichen Studierenden ein Netzwerk aus Hochschullehrern und Arbeitgebern, die Vertrauen zu Ersteren haben und ihre künftigen Mitarbeiter über deren Empfehlungen anwerben. Die ausbildende Einheit scheint jedoch mehr Einfluss auf die berufliche Karriere von Soziologen auszuüben, als [Int19] mit seinem Machtlosigkeitsduktus erst vermittelt. Sie kann die Berufsausübung von Soziologen dadurch beeinflussen, dass sie am Anfang von deren Karriere ansetzt und im Prinzip nur diejenigen Absolventen auf dem Arbeitsmarkt zulässt, die dessen Anforderungen gerecht werden. [Int19] zufolge gibt 147
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es einen Arbeitsmarkt, auf dem die Nachfrage das Angebot übersteigt. Dieser wird durch die Empfehlungen von Hochschullehrern vorstrukturiert, weil nur die von den Hochschullehrern als „gut“ bewerteten Absolventen Zugang dazu bekommen. Soziologie als eine zur Profession ausbildende Disziplin unterscheidet sich also von anderen Disziplinen dadurch, dass für sie die einzig wirksame Möglichkeit, zur Qualität ihrer eigenen Produktion (ihrer Absolventen) Stellung zu nehmen, auf der informellen Ebene liegt. D.h. im Unterschied zu anderen für die professionelle Tätigkeit ausbildenden Disziplinen muss die Soziologie zusätzlich zu den vergebenen Zeugnissen Wege finden, um die Kompetenz bzw. Inkompetenz ihrer Absolventen nach außen zu kommunizieren. So etwas ist in zwei Fällen nicht ungewöhnlich: wenn es sich entweder um eine sehr kleine Zahl von Absolventen handelt, die Träger einer sehr spezifischen Kompetenz sind und demzufolge nicht auf dem großen Arbeitsmarkt landen, oder wenn es um die Besetzung einer sehr kleinen Anzahl höchstspezifischer und höchstbegehrter Stellen geht, die nicht durch normale Ausschreibungen besetzt werden. Die Regelmäßigkeit dieses Vorgehens geht jedoch in dieser Interviewsequenz vor allem daraus hervor, dass ein formalisierter Selektionsmechanismus, die Examensnote, nicht als etwas Zentrales, sondern als etwas Zusätzliches angesprochen wird. Dies kann letztlich nur damit erklärt werden, dass die Soziologie nur zum inneren wissenschaftlichen Beruf professionalisiert ist, denn eine solche Professionalisierung erfordert keine anderen formalisierten Mechanismen der Qualitätskontrolle/Qualifikationsüberprüfung als die Kontrolle der wissenschaftlichen Fähigkeiten durch die Community. Die Soziologie unterscheidet sich in ihrer Professionalisierung und Ausbildung zum äußeren wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Beruf von anderen Disziplinen vor allem dadurch, dass sie aufgrund ihrer unterentwickelten Selektionsmechanismen Absolventen auf dem Arbeitsmarkt zulassen muss, die sie unter Umständen für unqualifiziert hält, und deshalb eine Vor-Strukturierung des Arbeitsmarktes anstrebt. In dieser Interviewsequenz unterscheidet [Int19] nicht deutlich zwischen dem wissenschaftlichen und dem außerwissenschaftlichen Arbeitsmarkt. Es wird klar, dass die Voraussetzungen, die die Absolventen erfüllen müssen, in den beiden soziologischen Berufen vergleichbar sind. Eine Form der Ausbildung, die die Kompetenzen der Ausgebildeten nicht durch formelle Kriterien garantieren kann und sich auf Empfehlungen von Lehrenden verlässt, kann jedoch nur durch die primäre Professionalisierung in Richtung der inneren wissenschaftlichen Profession erklärt werden. Dies wird u.a. dadurch bestätigt, dass die Schuld für die 148
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misslungenen Karrieren zum Teil den Studierenden selbst gegeben wird, die, so [Int19], nicht „einsehen“ wollen, dass sie sich gerade mit der „Frage (.) Empirie Statistik“ beschäftigen sollten, um „sich dort einmal durchzubeißen (.) und äh (.) sich die Mühe zu geben da was zu lernen“. Die Hochschullehrer scheinen eine Vorstellung davon zu haben, welche Kenntnisse für den (außerakademischen) soziologischen Beruf relevant sind – ob sie zutreffend ist, ist an dieser Stelle nicht zu klären.74 Es bleibt aber den Studierenden selbst überlassen, einzuschätzen, welche Anforderungen der (außerwissenschaftliche) Beruf an sie stellen wird. Die Soziologie professionalisiert sich demzufolge zum inneren wissenschaftlichen Beruf und entwickelt Kontrollmechanismen, die für die Zulassung zu diesem Berufsfeld (Forschung innerhalb des Wissenschaftsbetriebs) ausreichend sind. Obwohl ihre professionelle Orientierung auf die beiden wissenschaftlichen Berufe (den inneren und den äußeren) viel stärker zu sein scheint, kann jedoch nicht behauptet werden, dass die formellen Kriterien der Professionalisierung im äußeren wissenschaftlichen Beruf vollkommen funktionsfähig sind. Schließlich spielen auch bei der Anstellung in Forschungsprojekten meist Empfehlungen eine Rolle. Das ist u. a. dadurch zu erklären, dass die Etappen der Initiierung nicht so funktionieren wie in einer zum äußeren wissenschaftlichen Beruf vollkommen professionalisierten Disziplin. Anhand einer letzten Sequenz, die ebenfalls aus dem Interview mit [Int19] stammt, können die Defizite der soziologischen Professionalisierung zum äußeren wissenschaftlichen Beruf noch einmal verdeutlicht werden.
Andere Funktionalität der Binnenkritik [Int19] beschreibt in der im Folgenden zitierten Interviewsequenz ein Spezifikum der Sozialwissenschaften, nämlich die Besonderheit der Kritik. Wie im theoretischen Teil dieses Abschnittes und auch in den Analysen der Interviews bereits dargelegt wurde, hat die innerwissenschaftliche Kritik in der Soziologie eine andere Funktionalität als in den stärker professionalisierten wissenschaftlichen Disziplinen. Oben wurde behauptet, dass die Binnenkritik in der Soziologie nicht wie in anderen wissenschaftlichen Disziplinen allein dem wissenschaftlichen Fortschritt dient, sondern dass sie angesichts fehlender formalisierter Mechanismen des Zugehörigkeitsentzugs zu solch einem Mechanismus werden kann, was ihre Funktionalität als innerwissenschaftliche Kritik in Frage stellt. Diese Interviewsequenz zeigt jedoch, dass Kritik in dieser Funktion in 74 Wie oben bereits angesprochen wurde, kritisieren einige außerwissenschaftliche Soziologen (Behrendt 2003) die fehlerhaften Vorstellungen der Hochschullehrer in dieser Hinsicht.
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der Soziologie nie allgemeingültig werden könnte und demzufolge nicht zum Entzug der Zugehörigkeit führen kann. Sie kann aber, wie aus dieser Interviewsequenz hervorgeht, ebensowenig einen allgemeingültigen Mechanismus der Qualitätskontrolle darstellen: Interpretationsfragen (in den) Sozialwissenschaften sind ja viel (.) komplizierter als bei den Naturwissenschaften würde ich mal behaupten (.) auch da gibt’s sicher (.) kann man einen Sachverhalt so und so deuten (.) aber dann hat man statistische Kriterien (was) wenn ich (.) Forschung mache in Naturwissenschaften (.) und sage da habe ich Sicherheitsgrade und kann also Wahrscheinlichkeiten berechnen (.) sehr genau eigentlich mathematisch argumentieren (.) was richtig und was falsch ist kann ich da sagen (.) bei Sozialwissenschaften (.) bei vielen Studien hat man Kriterien dieser Art nicht zur Hand (.) und dann ist die Möglichkeit zu sagen gut ich habe meine Ergebnisse anders gesehen (.) als der Kollege das jetzt/ der andere der das liest (.) man kann dann nie so sagen ich hab Recht (.) und der hat Unrecht (.) bei (.) physikalischen (.) biologischen Untersuchungen ist das glaube ich eindeutiger ne (.) und äh: von daher (.) kann man also auch äh (.) muss man irgendwie akzeptieren als Soziologe dass die Ergebnisse die man erzielt hat (.) unterschiedlich interpretiert werden [Int19]
Ähnlich wie die anderen Interviewpartner argumentiert [Int19] hier, dass es in der Soziologie keine genügend starken inneren Kontrollmechanismen geben kann, die es erlauben, von Soziologen produziertes Wissen für unwahr zu erklären. Er vergleicht die Soziologie mit den Naturwissenschaften – ein Vergleich, bei dem die Geistes- und Sozialwissenschaften stets als unpräziser erscheinen dürften; jedoch enthält diese Sequenz mehr als die bloße Behauptung, Sozialwissenschaften würden nie den Präzisionsgrad der Naturwissenschaften erreichen. Als erstes wird beispielsweise angesprochen, dass es in der Soziologie möglich ist, dieselben Sachverhalte und Forschungsergebnisse unterschiedlich zu deuten. Dies wird nicht nur als Tatsache eingeführt, sondern als ein natürlicher Zustand der Soziologie behandelt: „da gibts/sicher (.) kann man einen Sachverhalt so und so deuten“. Um diese Aussage abzuschwächen, wird darauf hingewiesen, dass diese Möglichkeit unterschiedlicher Deutungen nicht darauf zurückzuführen ist, dass man in der Soziologie auf der methodischen Ebene keine allgemeine Qualität der Forschung garantieren kann. Vom Standpunkt der Methodenanwendung kann die Qualität der soziologischen Forschung kontrolliert werden, und es können zumindest diejenigen Daten aus dem Interpretationsprozess ausgeschlossen werden, die methodisch nicht sauber erhoben wurden. Methodisch richtig erworbenes Wissen wird aber in der Soziologie, im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, nicht allein durch kor-
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rekte Erhebung zu allgemeingültigem Wissen, das nur auf eine Art interpretiert werden kann. Man kann also in der Soziologie nicht mit Sicherheit sagen, „was richtig und was falsch ist“. In den Sozialwissenschaften, so [Int19], gibt es dafür keine Kriterien. Das weist aber nicht unbedingt auf einen Mangel, sondern eher auf ein Spezifikum der Sozialwissenschaften hin. Die Erhebung der Daten wird vom Prozess ihrer Interpretation abgetrennt gesehen. In den Naturwissenschaften geht es in erster Linie darum, Daten zu erheben; dies ist der komplizierteste Teil des Forschungsprozesses. Dann werden die Daten nach festen und allgemein anerkannten Mustern und Regelmäßigkeiten analysiert. In der Soziologie setzen hingegen Komplikationen bzw. Zweideutigkeiten auf der Ebene der Interpretation ein, selbst wenn die Daten nach allgemein anerkannten Vorgehensweisen75 erworben wurden. Daraus, dass man nie sagen kann, „ich hab Recht (.) und der hat Unrecht“, zieht [Int19] aber den Schluss, man müsse als Soziologe akzeptieren, „dass die Ergebnisse die man erzielt hat (.) unterschiedlich interpretiert werden“. Man kann also als Soziologe nur zusichern und zeigen, dass man methodisch angemessen vorgeht und die eigenen Ergebnisse vertreten kann. Was aus diesen im soziologischen Diskurs wird, kann man jedoch nie voraussagen. Das heißt auch, dass man nie sagen kann, jemand hätte bestimmte soziologische Ergebnisse falsch interpretiert, sondern nur, die Ergebnisse seien anders interpretiert worden. Das heißt also, dass in der Soziologie, der es an formellen Mechanismen der Anerkennung, der Qualitätskontrolle und des Zugehörigkeitsentzugs fehlt, auch auf der informellen Ebene keine Qualitätskontrolle möglich ist. Die Anerkennung von wissenschaftlichen Leistungen bleibt dann eine Frage der Interpretation und ist möglicherweise auf kleinere Gruppen von Soziologen beschränkt. Man ist dann in einer Gruppe, an einer Fakultät oder in einer DGS-Sektion anerkannt und wird als qualifiziert angesehen. In anderen Gruppen trifft dies möglicherweise nicht zu. Das muss für einen Soziologen jedoch nicht zwangsläufig professionelle Konsequenzen haben. Der Binnenkritik die Allgemeingültigkeit abzusprechen stellt einen Schutzmechanismus dar, der den Zugehörigkeitsentzug mittels Binnenkritik nicht zulässt.
75 Nur am Rande soll bemerkt werden, dass es in der Soziologie ein solches Vorgehen kaum geben kann.
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2.3.3 Professionalisierung der Soziologie zum inneren und äußeren wissenschaftlichen Beruf: Zusammenfassung Die Analysen der Professionalisierung der Soziologie zum wissenschaftlichen Beruf zeigen, dass das Oevermann’sche Professionalisierungskonzept für deren Betrachtung am besten geeignet ist. Nur mit Hilfe dieses Konzeptes lassen sich die zwei Dimensionen der Professionalisierung zum wissenschaftlichen Beruf in der Soziologie getrennt voneinander behandeln, so dass die Erfolge und Misserfolge dieser Professionalisierung gleichzeitig analysiert werden können und nicht zu widersprüchlichen Deutungen führen. Z.B. lässt sich zeigen, dass mit Hilfe der Kategorie des Sozialisationserfolgs und der dieser Kategorie entsprechenden Kriterien der Arbeitsmarktzulassung das Funktionieren des inneren wissenschaftlichen Berufs trotz der Unstrukturiertheit der soziologischen Ausbildung gesichert wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Oevermann’sche Konzept für eine Anwendung auf die Professionalisierung der Soziologie nicht modifiziert werden muss. Z.B. ist in der Soziologie aufgrund ihrer Heterogenität und methodischen Zerstrittenheit der Erwerb einer allgemeingültigen Reputation und auch die Entwicklung allgemeingültiger soziologischer Kriterien der Qualitätsüberprüfung, wie sie das Oevermann’sche Konzept vorsieht, nicht möglich.76 Trotzdem funktioniert die Soziologie als innerer wissenschaftlicher Beruf. Um dies theoretisch erklären zu können, ist eine Modifizierung des Konzeptes notwendig. Aufgrund der Datenanalysen kann behauptet werden, dass im Falle der Soziologie das Konzept der Professionalisierungsbesonderheiten angemessener ist als das der Professionalisierungsdefizite, insbesondere hinsichtlich der Professionalisierung zum inneren wissenschaftlichen Beruf. Die Besonderheiten der Professionalisierung lassen sich sowohl durch den Gegenstand der Soziologie als auch durch die Geschichte bzw. Struktur der Disziplin und des derzeitigen soziologischen Arbeitsmarktes erklären. Das Konzept der Professionalisierungsbesonderheiten ermöglicht eine Unterscheidung zwischen den Defiziten, die ausgeglichen werden können, und den aus dem Gegenstand der Soziologie, ihrer Geschichte etc. resultierenden Besonderheiten, die weder ausgeglichen werden können noch müssen und die zum Teil sogar essenziell sind, um die professionelle soziologische Tätigkeit überhaupt zu ermöglichen. Solche Be76 Möglich wäre nur die Einrichtung allgemein anerkannter, auf bestimmte Bindestrich-Soziologien bezogener Institutionen der Qualitätskontrolle, die miteinander in ständigem Kontakt stehen.
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sonderheiten der soziologischen Professionalisierung erfordern eine Modifizierung der auf die Soziologie angewendeten Professionalisierungstheorien. Die nicht als Defizite zu betrachtenden Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung beziehen sich zum Großteil auf die zum inneren wissenschaftlichen Beruf. Die Professionalisierung zum äußeren wissenschaftlichen Beruf ist viel weniger fortgeschritten. Einerseits ist klar, dass in einer Disziplin, die aufgrund ihres Gegenstandes über keine allgemeingültigen, spezifisch soziologischen Qualitätskriterien77 verfügen und keine allgemein anerkannte Reputation ermöglichen kann, sondern in der die Anerkennung durch kleine Kollegengruppen erfolgt, keine unifizierte Ausbildung möglich ist. Andererseits ist aber von einer zwar heterogenen, jedoch zum äußeren wissenschaftlichen Beruf professionalisierten Disziplin zu erwarten, dass sie (u. a. hinsichtlich ihrer Ausbildung) zumindest im Rahmen der Bindestrich-Soziologien institutionalisiert ist.78 Die soziologische Ausbildung ist zudem durch eine gewisse Diffusität gekennzeichnet. Es kann nicht behauptet werden, dass ihre Struktur einem bestimmten Muster folgt, etwa den einzelnen BindestrichSoziologien, den methodischen Schulen etc. In diesem Zusammenhang fragt sich auch, ob es überhaupt eine etablierte, vollständige Aufzeichnung der Bindestrich-Soziologien gibt. Nimmt man als Muster hierfür z.B. die Auflistung der Sektionen der DGS, wird man jedenfalls feststellen können, dass die Ausbildung keinesfalls dieser Struktur entspricht. In diesem Sinne kann behauptet werden, dass die auf die Soziologie angewendeten Professionalisierungskonzepte zwar modifiziert werden müssen, aber selbst eine Modifizierung nicht dazu führen kann, die vollkommene Professionalisierung zum äußeren wissenschaftlichen Beruf – oder gar zum außerwissenschaftlichen Beruf – zu behaupten. Im Hinblick auf die Besonderheiten der Professionalisierung, die als Defizite erscheinen, kann über die oben angesprochene Diffusität hinaus z.B. eine Ausbildungspraxis genannt werden, die keine Aussortierung ungeeigneter Studierender zulässt, die auch durch Zeugnisse nach außen keine Kompetenzen garantieren kann und die informelle Wege sucht, um die ungeeigneten Soziologieabsolventen nicht auf dem Arbeitsmarkt zuzulassen. Einer der Ursprünge dieser Defizite liegt, wie oben dargestellt, in der Geschichte der deutschen Soziologie in der Nachkriegszeit. Zuerst gab es im wissenschaftlichen Bereich, auf den sich die Soziologie in ihrer 77 Außer allgemeinwissenschaftlichen Qualitätskriterien wie der Kohärenz der Argumentation usw. 78 Wie es z. B. im Falle der Physik ist.
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Professionalisierung orientierte, zu viele Stellen, da die Disziplin nach dem Krieg erst wieder aufgebaut werden musste. Es ging den Lehrenden also darum, die Qualität des eigenen Nachwuchses zu sichern, um die Stellen an der eigenen Universität zu besetzen. Als die Zahl der freie Stellen und damit der Stellenangebote aber rapide sank,79 wurde bei der Anstellung eher nach Empfehlungen entschieden als nach rein formellen Kriterien, die ohnehin von allen Absolventen erfüllt wurden. In der Wiederaufbauphase der Disziplin war eine Professionalisierung und demzufolge auch eine Orientierung der Ausbildung auf die Ausübung außerwissenschaftlicher Berufe allein aufgrund der günstigen Stellensituation nicht notwendig. Eine Umorientierung der Ausbildung mit der Entwicklung entsprechender formalisierter Mechanismen der Zugehörigkeitsherstellung bzw. des Zugehörigkeitsentzugs fand nicht statt, zum Teil weil die Veränderung der Situation viel zu spät erkannt wurde, zum Teil aber auch, weil die Entwicklung solcher allgemeingültigen Qualitätskriterien in der Soziologie nicht möglich ist. Der Arbeitsmarkt für Soziologen hat sich nie zu einem von funktionierenden Initiierungsetappen abhängigen Arbeitsmarkt entwickelt.80 Wie oben gezeigt wurde, unterscheidet in der Soziologie ein Abschlusszeugnis nicht zwingend Professionelle von Dilettanten – u. a. weil als die besonderen soziologischen Kompetenzen solche gelten, die internalisiert – und nicht erlernt – werden müssen. Außerdem verfügt die Soziologie nicht über Mechanismen der Aussortierung ungeeigneter Studierender. Deshalb müssen sich informelle Kriterien dafür herausbilden, was bzw. wer als guter oder als erfolgreich einsozialisierter Soziologe gilt.81 Zwar ist es nicht ungewöhnlich, die eigenen Kollegen oder Nachwuchswissenschaftler in Kategorien wie „gute“ oder „schlechte“ Soziologen (Physiker, Mediziner usw.) zu beschreiben. Die Besonderheit – und ein Defizit – der Soziologie besteht aber darin, dass diese Kategorien an die Stelle formeller Anerkennungsmechanismen treten. Die primäre Orientierung auf die Professionalisierung zum inneren wissenschaftlichen Beruf führt also dazu, dass die Soziologie a) eine 79 Zur Dynamik der Erwerbssituation in der Soziologie siehe etwa „Arbeitsmarkt-Informationen Soziologinnen und Soziologen“ (2000: 10) und Knoll/Meyer/Stockmann (2000). 80 Darum funktioniert in der Soziologie die Vorstrukturierung des Arbeitsmarktes durch die Hochschullehrer. Grühn/Schneider (1985: insb. 192) führen sie beispielsweise zurück auf das Fehlen eines monopolisierten Berufsfeldes in der Soziologie und die Unfähigkeit der Soziologie, kollektive organisatorische Strategien zu entwickeln. 81 Siehe z.B. Stinchcombe (1994: 284), der „boring“ und „interesting“ als die wichtigsten Kategorien nennt, die im innersoziologischen Diskurs zur Evaluation von Soziologen verwendet werden.
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Ausbildung bietet, die die Kompetenzen der Ausgebildeten nicht durch formelle Kriterien garantieren kann, b) keine Mechanismen des Zugehörigkeitsentzugs, der Dilettantenaussortierung und der Qualitätskontrolle82 etabliert hat, c) keine ausreichenden formalisierten Kontrollmechanismen für die Zulassung zum Berufsfeld zur Verfügung hat. Anhand der Datenanalyse kann die Hypothese aufgestellt werden, dass aufgrund der derzeitigen Arbeitsmarktsituation in der Soziologie die im inneren wissenschaftlichen Beruf übliche Praxis den Zugang zum Berufsfeld durch informelle Anerkennungsmechanismen zu regulieren, auch im äußeren wissenschaftlichen und womöglich auch im außerwissenschaftlichen Beruf angewendet wird. Dies bedeutet, dass die für den inneren wissenschaftlichen Beruf charakteristischen Mechanismen83 der Reputationszuweisung und der Einschätzung der wissenschaftlichen Qualität auch im außerwissenschaftlichen Beruf eine wichtige Rolle spielen. Eine weitere Hypothese, die sich anhand der Datenanalyse aufstellen lässt, ist die, dass die wissenschaftliche Profession als strukturierende bzw. identitätsstiftende Referenz für den außerakademischen soziologischen Beruf dient bzw. sich als solche zu etablieren versucht. Dies erscheint umso sinnvoller, als das Abschlusszeugnis nicht als berufsqualifizierend betrachtet werden kann, da es (anders als bei Ärzten, Juristen etc.) nicht viel darüber aussagt, ob jemand bestimmte Tätigkeiten beherrscht. Deshalb sind potenzielle Arbeitgeber auf Empfehlungen angewiesen, wodurch der außerwissenschaftliche Beruf an die inneren wissenschaftlichen Qualitätskriterien angebunden werden könnte.
82 Die Möglichkeit der formellen Kontrolle der Berufsausübung gilt in der soziologischen Professionalisierungstheorie als ein wichtiges Merkmal der Profession/des Berufs. Siehe dazu z.B. Ben-David (1961), zusammenfassend Münte (2004: 17ff.). Abbott formuliert allgemeiner die Bedeutung solcher Kontrollen (auch für die Außenstellung der Profession): „In summary, the academic knowledge system of a profession generally accomplishes three tasks – legitimation, research and instruction – and in each it shapes the vulnerability of professional jurisdiction to outside reference.“ (Abbott 1988: 57) 83 Mehr zur Steuerungsfunktion der Reputation bei der Kontrolle der sachlichen Qualität bei Merton (1979), zur Akkumulation von symbolischem und sozialem Kapital bei Bourdieu (1992); für eine Übersicht siehe Moldaschl/Holtgrewe (2003).
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
2.4 Professionalisierung der Soziologie zum außerwissenschaftlichen Beruf Nachdem bisher die aktuelle Situation in der soziologischen Ausbildung und die Versuche, Soziologie zu einem außerwissenschaftlichen Beruf zu professionalisieren, dargestellt und die Schwierigkeiten, Defizite und Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung zum wissenschaftlichen Beruf beschrieben wurden, wird in diesem Abschnitt nun ausführlich auf die Professionalisierung der Soziologie zum außerwissenschaftlichen Beruf eingegangen.
2.4.1 Professionalisierungsmechanismen im außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf: Defizite, Besonderheiten, Probleme Oben wurden bereits einige für die soziologischen Professionalisierungstheorien zentrale Mechanismen der Professionalisierung angeführt. Es wurde darauf eingegangen, dass die Professionalisierung der Soziologie zum wissenschaftlichen Beruf eher in Richtung des inneren wissenschaftlichen Berufs geht; daher wurde bisher eher auf die Professionalisierungsmechanismen eingegangen, die vor allem für diesen von Bedeutung sind. Ferner wurde gezeigt, welche Professionalisierungsmerkmale dem äußeren wissenschaftlichen Beruf fehlen, und das Umfunktionieren einiger Professionalisierungsmerkmale beschrieben, das eine Verbindung zwischen den beiden wissenschaftlichen Berufen herstellt. Die im äußeren wissenschaftlichen Beruf fehlenden Professionalisierungsmerkmale können zum Teil durch die ersetzt werden, die im inneren wissenschaftlichen Beruf vorhanden sind. Schließlich orientiert sich der äußere wissenschaftliche Beruf an der akademischen Community. Was aber die außerwissenschaftlichen Tätigkeiten von Soziologen angeht, so kann eine informelle Kontrolle durch die wissenschaftliche Community in den unzähligen Tätigkeitsfeldern außerhalb des Wissenschaftsbetriebs nicht erfolgen. Deshalb wird in diesem Abschnitt ausführlich auf die für den außerwissenschaftlichen Beruf essentiellen formellen Mechanismen der Professionalisierung eingegangen. Zuerst werden die wichtigsten Professionalisierungsmerkmale bzw. -mechanismen aufgelistet. So lassen sich die Besonderheiten und gegebenenfalls die Defizite der soziologischen Professionalisierung zum außerwissenschaftlichen Beruf am deutlichsten zeigen.
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Die wichtigsten Komponenten, die in der Professionssoziologie seit Jahrzehnten zu den notwendigen Merkmalen der Profession zählen,84 sind: professionelle Autonomie,85 professionelle Selbstkontrolle, vor allem durch die professionellen Organisationen,86 die berufliche Sozialisation des Nachwuchses in Eigenregie,87 Ethikkodizes,88 ein hohes Maß an generalisiertem und systematischem Wissen,89 Orientierung auf die Community, ein ausgearbeitetes System von Preisen und Belohnungen,90 Kontrolle des Zugangs zur Berufsausübung.91 Anhand dieser Liste soll im Folgenden erörtert werden, an welchen Stellen die Professionalisierung der Soziologie zum außerwissenschaftlichen Beruf Besonderheiten oder Defizite aufweist. Ein Unterschied zwischen dem außerwissenschaftlichen und den beiden wissenschaftlichen Berufen besteht darin, dass im Falle des (insbesondere inneren) wissenschaftlichen Berufs auf einige wichtige Komponenten der Professionalisierung verzichtet werden könnte (Ben-David 1961), ohne dass das Funktionieren des Berufs gefährdet wäre, was im Falle des außerwissenschaftlichen Berufs kaum denkbar ist.92 Nun muss geklärt werden, ob die oben genannten Professionalisierungsmechanismen in der Professionalisierung der Soziologie zum außerwissenschaftlichen Beruf funktionieren.
Unifizierte Ausbildung – eine Komponente der professionalisierten Soziologie? Eine unifizierte Ausbildung ist für die außerwissenschaftliche Soziologie von besonderer Bedeutung, weil nur sie die Qualifikation von Soziologen nach außen garantieren und damit dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf Außenlegitimität und der wissenschaftlichen 84 Z.B. Barber (1963) u.a.; für eine Zusammenfassung siehe Münte (2004: 20 ff.) und auch Guggenheim (2003: 289). 85 Siehe Oevermann (1996, 2003), Barber (1963), Good (1972: 411) zur Notwendigkeit der Abgrenzung zwischen der Profession und der Öffentlichkeit. 86 Ben-David (1961: 113), Barber (1963), Hughes (1958), zu den kollegialen Kontrollen in wissenschaftlichen Berufen und auch in der klinischen Soziologie s. Oevermann (1990). 87 Parsons (1968). 88 Carr-Saunders/Wilson (1964), Hughes (1958), Weingart (1983: 236), Bledstein (1976), Stichweh (1994: 284), Oevermann (1991). Zu grundlegenden Überlegungen zur Bedeutung von ethischen Codes siehe auch Weber (1967). 89 Barber (1963: 672). 90 Barber (1963: 672). 91 Ben-David (1961), Oevermann (1990). 92 Zur Bedeutung solcher Mechanismen für den außerwissenschaftlichen Beruf s. am Beispiel der Zunftzugehörigkeit Good (1972a: 411).
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Community Autonomie verschaffen kann. Dewe beschreibt die Situation einer Profession, die – wie die Soziologie – keine unifizierte Ausbildung nachweisen kann: „[...] den Soziologen [wird] häufig eine ihre disziplinäre Identität stützende Außenlegitimität nicht in hinreichendem Maße als selbstverständlich zugestanden [...], sie [müssen] also die Angemessenheit ihres sozialwissenschaftlichen Wissens- und Methodenrepertoires für die Bearbeitung der anstehenden Handlungsprobleme jeweils in der Situation unter Beweis stellen.“ (Dewe 1991: 102)
Wenn es eine unifizierte Ausbildung und allgemeingültige Zeugnisse gibt, befreit dies die Professionellen zwar nicht von der Notwendigkeit, ihre Kompetenzen auf einem hohen Niveau zu erhalten, es erleichtert aber zum Teil die Kommunikation mit Nicht-Professionellen und ermöglicht den Einstieg in praktische Tätigkeiten. Die Außenlegitimität, die mit der Ausübung außerwissenschaftlicher Berufe sehr eng zusammenhängt, basiert also zum großen Teil auf einer unifizierten Ausbildung. Bis jetzt kann aber von einer einheitlichen soziologischen Ausbildung nicht die Rede sein. Im Gegenteil ist die Ausbildung abhängig von der methodischen und schwerpunktmäßigen Ausrichtung der jeweiligen Hochschule, die sich jedoch außenstehenden Arbeitgebern nicht erschließt. Die Vorstrukturierung des Arbeitsfeldes durch die Hochschullehrer wirft die Frage auf, ob die wissenschaftliche Profession versucht, sich selbst als Referenz für den außerwissenschaftlichen Beruf zu etablieren und damit die Bindung zwischen den beiden Berufen künstlich zu verstärken. Dies wäre dadurch machbar, dass versucht wird, während der Ausbildung die zukünftigen außerwissenschaftlichen Soziologen von Anfang an auf die im wissenschaftlichen Beruf gültigen Qualitätskriterien zu orientieren. Eine weitere Frage, die sich in diesem Kontext stellt, ist, ob die Versuche, eine solche Anbindung künstlich zu verstärken, mit der Selbstwahrnehmung der akademischen Soziologie zusammenhängen, die sich eine Professionalisierung der Soziologie zum außerwissenschaftlichen Beruf nur in Form einer Subdisziplin vorstellen kann.93 Mit 93 Um zu zeigen, dass diese Vorstellung möglicher Versuche, die außerwissenschaftlichen Tätigkeiten als Subdisziplin an das System Wissenschaft anzuschließen, nicht aus der Luft gegriffen sind, verweise ich auf vier Szenarien der Entwicklung von Beratungstätigkeiten, die Guggenheim (2003: 294) beschreibt. In einem dieser Szenarien, das er „Szenario Wissenschaft“ nennt, geht es genau um den Versuch, Beratungsforschung als neue soziologische Subdisziplin zu etablieren. Die Wortwahl ist auf-
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Subdisziplin ist gemeint, dass künstlich versucht wird, im außerwissenschaftlichen Beruf Wissenschaftlichkeitskriterien zu etablieren, die dort nicht einzuhalten sind.94 In diesem Zusammenhang ist auf die bereits getroffene Feststellung zu verweisen, dass die Vorstellungen der Hochschullehrer davon, welche Kompetenzen von Soziologen in den außerwissenschaftlichen Berufen verlangt werden, nicht unbedingt dem entsprechen, was die außerwissenschaftlichen Soziologen selber berichten.95 Ein weiteres Beispiel für eine wichtige Professionalisierungskomponente, auf die zwar im inneren wissenschaftlichen Beruf, jedoch kaum im außerwissenschaftlichen Beruf verzichtet werden kann, ist eine ausgearbeitete professionelle Ethik.
Professionelle Ethik – eine Komponente der professionalisierten Soziologie? Der Begriff der Ethik oder des Ethik-Kodexes wird im Kontext der Professionalisierung sehr stark an die Ausübung einer professionellen Kontrolle geknüpft; ein Bruch der professionellen Ethik stellt einen der Gründe für den Zugehörigkeitsentzug dar. Zu den wichtigsten Funktionen der professionellen Ethik gehört z.B. die Garantie, dass die Klienten, die die professionellen Leistungen wegen der Spezifität des professionellen Wissens nicht selbst einschätzen können, von den Professionellen nicht ausgebeutet werden (Good 1972a). Zur professionellen Ethik gehört auch eine Garantie der Wiederherstellung der Autonomie der Lebenspraxis (Oevermann 1996, 2003). Wie oben am Beispiel der Ethik-Kodizes der DGS und des BDS gezeigt wurde, befindet sich die professionelle Ethik in der Soziologie schlussreich: Der Begriff der Subdisziplin unterstellt ein Hierarchieverhältnis; die Beratungsforschung müsste sich demnach an wissenschaftlichen Kriterien orientieren. Im Gegenzug würde die Wissenschaft die Exklusivität des Beratungswissens garantieren und die Beratung als Profession vor Eingriffen aus anderen Disziplinen schützen. 94 Einige Autoren meinen, es gebe in der Soziologie keinen notwendigen Zusammenhang zwischen der wissenschaftlichen Qualität der Forschung und ihrem Praxiserfolg (Guggenheim 2003: 289), Lau 1989). D.h. das Sicherstellen der wissenschaftlichen Qualität der Soziologen, die in die Praxis gehen, vermag nicht zu garantieren, dass diese in der Praxis erfolgreich sein werden. 95 Z.B. kritisiert Behrendt (2003: 336-337), wie oben bereits erwähnt, die Hochschullehrer, die meinen, dass die Kenntnis von Methoden – und zwar der technisierten, statistischen Methoden der Soziologie – ein Wundermittel sei, das den studierten Soziologen in der Praxis ihr Brot sichert, als nicht den Realitäten der Praxis entsprechend. Diese Hochschullehrer hätten keinerlei Vorstellung von den tatsächlichen Anforderungen der Praxis an Soziologen.
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(und damit auch die Forschungsethik) in der Entwicklungsphase. In den Interviews werden Ethikfragen überhaupt nicht thematisiert. Dass kann daran liegen, dass solche Fragen nicht als relevant erachtet werden. Der Ethikdiskurs wird in der akademischen Soziologie kaum problematisiert; gelegentlich wird auf den Ethik-Kodex der DGS hingewiesen und unterstellt, als akademischer Soziologe handle man grundsätzlich dem Kodex entsprechend. Eine andere Erklärung könnte sein, dass Ethikfragen in der Soziologie routinisiert behandelt werden. Ethik ist implizit. Solch eine Implizitheit der Ethikproblematik führt zu zwei weiteren Fragen: erstens, wie eine implizierte Ethik in der Sozialisation zur Profession vermittelt wird, und zweitens, ob auf der Basis einer impliziten Ethik eine kollegiale Kontrolle erfolgen kann. Ethik, ethische Ausbildung und die Vermittlung ethischer Standards soll, so Barber (1963), durch die „university professional schools“ erfolgen, die sowohl für das explizite als auch das implizite „ethical training“ von Studierenden zuständig sind. Die Universitäten bezeichnet Barber als „moral watchdogs of the profession“ (ebd.: 675). Im Falle der deutschen Soziologie kann man jedoch nur von impliziten „ethical trainigs“ an den Hochschulen sprechen, und zwar in der Form, dass Lehrende den Studierenden soziologische Ethik vorleben. Weiter wird man in Fragen der Ethik womöglich on the job ausgebildet, was höchstwahrscheinlich nicht anhand des Ethik-Kodexes erfolgen wird. Die Tatsache, dass die Ethik in der Soziologie kaum formalisiert und nur implizit vorhanden ist, führt zu der weiteren Frage, ob die Kontrollfunktion in der Soziologie dadurch beeinträchtigt werden kann. Denn Ethik ist, wie oben erwähnt, eine der wichtigen Grundlagen für die Erfüllung der Kontrollfunktion in der Profession. Der Ethik-Kodex scheint also ein Professionalisierungsmechanismus zu sein, der in der Soziologie unterentwickelt ist.
Interne Kontrollmöglichkeiten – eine Komponente der professionalisierten Soziologie? In Abschnitt 2.3.3 wurde ausführlich auf die Frage der internen und der formalisierten Kontrollen in der Soziologie eingegangen. Es wurde deutlich, dass es in der Soziologie aufgrund ihrer Heterogenität, ihrer Geschichte und ihrer internen Organisation die Möglichkeit zu allgemeingültigen inhaltlichen Kontrollen, die eine Auswirkung auf die (wissenschaftliche) Karriere haben könnten, nicht gibt bzw. kaum geben kann. Es wurde auch gezeigt, dass die Soziologie so organisiert ist, dass das Fehlen allgemeingültiger Kontrollmechanismen das Funktionieren des inneren wissenschaftlichen Berufs nicht beeinträchtigt, da Soziologie als Dachbegriff zu verstehen ist und interne inhaltliche Kontrollen 160
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innerhalb kleiner Kollegengruppen bzw. der Bindestrich-Soziologien erfolgen. Das gilt allerdings nur für den inneren wissenschaftlichen Beruf, in dem es nicht darum geht, jemandem die Berufsausübung zu verweigern, sondern darum, die Qualität der wissenschaftlichen Produktion (wenn auch nur durch einen kleinen Kollegenkreis) zu evaluieren und die Ausübung der wissenschaftlichen Tätigkeit im Rahmen eines geschlossenen wissenschaftlichen Kreises zu ermöglichen. Hier muss nun geklärt werden, welche Probleme das Fehlen allgemeingültiger interner Kontrollen im außerwissenschaftlichen Beruf verursachen kann. Hughes schreibt: „Secrecy and institutional sanctions thus arise in the profession as they do not in the pure science.“ (Hughes 1958: 141) Interne Kontrollen gewährleisten die Autonomie der Profession, indem sie sie vor Eingriffen durch Nicht-Professionelle schützen und gleichzeitig ihre Autorität unter den Nicht-Professionellen fördern, so dass diese sich auf die Leistungen der Professionellen verlassen können. D.h. dadurch, dass ungenügend qualifizierten Professionellen mit Hilfe interner Kontrollen der Zugang zum Beruf verweigert wird, können Laien darauf vertrauen, dass sie gute professionelle Leistungen erhalten werden. Die Professionellen können ihrerseits sicher sein, dass die Autorität der Profession nicht durch ungenügend qualifizierte Professionelle gemindert wird: „[...] the professional [...] is protected from his own mistakes and from the allegation that he may have made one, by the fiction that all licensed professionals are competent and ethical until found otherwise by their peers.“ (Hughes 1958: 141) In der Soziologie ist es allerdings nicht möglich, durch den Hinweis auf interne Kontrollen die allgemeingültige Qualität der soziologischen Dienstleitungen zu versichern. Ebenso wenig kann bei allen, die über einen Soziologieabschluss verfügen und demzufolge formell dazu befähigt sind, Soziologie außerhalb des Wissenschaftsbetriebs zu betreiben, ein bestimmtes Qualifikationsniveau vorausgesetzt werden. Es fragt sich demzufolge, wie die Autorität der Profession (sowohl im äußeren wissenschaftlichen als auch im außerwissenschaftlichen Beruf) für NichtProfessionelle etabliert werden kann bzw. etabliert wird. Ist es überhaupt so, dass Soziologen sich auf die Autorität ihrer Profession berufen können, oder sind sie vor Eingriffen durch Laien nicht geschützt? Um auf diese Frage einzugehen, möchte ich die Analyse einer Interviewsequenz vorstellen, in der es um einen weiteren Professionalisierungsmechanismus geht, der für den inneren wissenschaftlichen Beruf im Gegensatz zum äußeren wissenschaftlichen und vor allem zum außerwissenschaftlichen irrelevant ist, nämlich die Behauptung der professionellen Autorität.
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Behauptung der professionellen Autorität – eine Komponente der professionalisierten Soziologie? [Int04] beschreibt eine Situation, in der die Teilnehmerinnen an einer Soziologie-basierten Weiterbildung von ihren Schwierigkeiten berichten, ihre Kompetenzen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs einsetzen, weil diese von Nicht-Professionellen angezweifelt werden. Um die professionelle Selbstwahrnehmung der Teilnehmerinnen zu unterstützen, erklärt [Int04] ihnen, dass es nicht mit ihrer ungenügenden Ausbildung zusammenhängt, wenn das Besondere der soziologischen Kompetenzen von der Außenseite nicht erkannt wird, sondern dass dies für Soziologen allgemein nichts Außergewöhnliches ist. Zweifel von NichtProfessionellen an ihren Kompetenzen hat [Int04] selbst erlebt, obwohl sie im inneren wissenschaftlichen Beruf etabliert, d.h. durch einen Kollegenkreis als qualifizierte Soziologin anerkannt ist, was aber für die Außenseite nicht zählt. Hier lässt sich beobachten, wie das Fehlen eines Professionalisierungsmerkmals – nämlich professioneller Autorität als zentraler Aspekt von Professionalisierung – für den inneren wissenschaftlichen Beruf nicht essenziell ist, in der Professionalisierung nach außen problematisch wird: ich habe vor einiger Zeit eine Weiterbildung für N* beauftragt (.) [...] die [Teilnehmerinnen, TZ] haben gesagt (.) „wir haben jetzt viel erreicht aber jetzt stoßen wir auf die neue Mauer die Abwehr“ (.) und da habe ich unter anderem aus [einer soziologisch etablierten, TZ] Debatte einiges referiert (.) also wie man Machtprozesse verstehen kann (.) wie die analytisch gefasst werden (.) worauf die hinsteuern (.) wie man die eingreifen kann und so (.) und das ist der Punkt (.) dass sie [die TeilnehmerInnen der Ausbildung, TZ] jetzt auf einen erbitterten Widerstand stoßen (.) ein sehr wichtiger Punkt ist (.) den man so und so und so beleuchten kann (.) also sich selbst in einen prozessualen Kontext zu setzen als Akteur oder Akteurin (.) und das ist (.) nach meiner Erfahrung (.) schon auch durchaus hilfreich (.) und diese Form (.) „das wissen wir alles schon“ das ist auch eine Form der Abwehr (.) die 3 Argumente (.) „das ist zu abstrakt“ „das wissen wir alles schon“ und das dritte ist „das ist methodisch nicht einwandfrei“ (.) das kommt auch (.) „ist es wissenschaftlich abgesichert das glaube ich nicht“ Z: und was sagen Sie dann? I: dann sage ich (.) nach dem (.) was in meiner Wissenschaft (?Grundsatz?) ist (.) ist es so abgesichert (.) wie es nur auch möglich ist (.) ich stelle mich als Autorität dar (.) oder stelle mich hinter die Autorität meiner Wissenschaft (.) und dann kann man nur sagen (.) „ich halte von Sozialwissenschaften überhaupt nichts (.) und besonders nicht von Soziologen (.) und ganz besonders nicht von [Schwerpunkt]“ (..) und da kann man sagen (.) „da unterscheiden wir uns (.) ich halte sehr viel davon“ (.) man muss wissen (.) in welche Konflikte man im Detail nicht einsteigt (.) das ist manchmal eine (? Frage der Macht?) in
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einer Situation (.) das braucht man nicht unbedingt mitmachen (.) das kann man beiseite schieben und kaltstellen [Int 04]
Die professionelle Autorität wird angesprochen hier als der Ausdruck des Strebens nach einer starke Hintergrundwissenschaft bzw. Wissenschaftsbasis, die es einem beruflichen Soziologen (also auch im außerakademischen Feld) erlaubt, sich „hinter die Autorität [der eigenen] Wissenschaft“ zu stellen. Das Verlangen nach der Autorität der Hintergrundwissenschaft im äußeren wissenschaftlichen und im außerwissenschaftlichen Beruf der Soziologie lässt sich in dieser Interviewsequenz nicht voneinander trennen, da hier beides angesprochen wird: Die Erfahrung, die die Teilnehmerinnen der Weiterbildung im außerwissenschaftlichen Beruf gemacht haben, bringt [Int04] mit ihrer eigenen Erfahrung im äußeren wissenschaftlichen Beruf in Verbindung. [Int04] berichtet zuerst, sie würde in solchen Fällen versuchen, sich selbst „als Autorität“ darzustellen. Dann erfolgt aber eine Selbstkorrektur, weil es hier nicht um ihre eigene wissenschaftliche Autorität gehen kann – über diese verfügen die Teilnehmerinnen nämlich nicht –, sondern darum, wie man grundsätzlich mit solchen Angriffen umgeht. [Int04] listet drei Argumente von Laien auf, die sie nicht als inhaltliche Argumente wahrnimmt, sondern als „eine Form der Abwehr“ – eine Form der Argumentation also, die von der Außenseite benutzt wird, um den soziologischen Ergebnissen bzw. dem soziologischen Wissen keinen Glauben schenken zu müssen. Diese Argumente sind: „das ist zu abstrakt“, „das wissen wir alles schon“ und „das ist methodisch nicht einwandfrei“ bzw. „ist es wissenschaftlich abgesichert das glaube ich nicht“. Die hier berichteten Erfahrungen machen deutlich, dass ein professioneller Soziologe nicht davon ausgehen kann, dass sein Wissen von Nicht-Professionellen als exklusives, abgesichertes Expertenwissen wahrgenommen wird.96 Wenn man die im ersten Kapitel dieser Studie dargestellte Diskussion über den Gegenstand der Soziologie aufgreift, lässt sich die mangelnde Autorität dieser Disziplin darauf zurückführen, dass die Soziologie aufgrund ihres Gegenstandes mit anderen – u. a. auch alltäglichen – Formen des Wissens über ihren Gegenstand konkurriert. Diese Konkurrenz lässt sich nicht vollständig auf die in der Soziologie beschriebenen neuen Formen der Wissenserzeugung zurückführen.97 Man kann am Beispiel der Physik, aber auch der Psychologie zei96 Siehe z.B. Kühl (2003: 10) zu den Versuchen von Praktikern, sich gegen Fremdbeschreibungen von Soziologen zu immunisieren. 97 Zu solchen neuen Foren der Wissenserzeugung siehe z.B. die „Mode 2“Konzeption bei Gibbons et al. (1994); zu der Wissenserzeugung in der Wissensgesellschaft siehe auch Stichweh (2000, 2005).
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gen, dass Zweifel an der Wissenschaftlichkeit in diesen Disziplinen nicht so alltäglich ist wie der von [Int04] dargestellte Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Soziologie. Überraschende Ergebnisse in der Physik werden von Laien mit geringerer Wahrscheinlichkeit als „unwissenschaftlich“ oder „falsch“ eingeordnet als überraschende Ergebnisse in der Soziologie. Der Unterschied liegt darin, dass Soziologie über keine ausreichende Außenlegitimität verfügt.98 Außerdem zielen die von der Soziologie zu erbringenden Leistungen insbesondere im außerwissenschaftlichen Beruf darauf, zu irritieren oder die Komplexität des Alltags zu steigern. An einer anderen Stelle nennt [Int04] die Soziologie eine „Irritationswissenschaft“. Angriffe oder Zweifel von Laien sowie Versuche, die Autorität der Soziologie in Frage zu stellen, sind deshalb in gewisser Weise vorprogrammiert. Wenn eine Profession – nicht nur als wissenschaftliche Profession, wo dies zumindest nach Oevermann (2003) der Normalfall ist, sondern auch als außerwissenschaftlicher Beruf – darauf abzielt, die Routine des Alltags in Frage zu stellen und eine Irritation bzw. eine (konstruktive) Komplexitätssteigerung zu bewirken, wird sie mit Zweifeln an ihrer Professionalität rechnen müssen, da die Praxis sich keine Irritationen wünscht. Gerade deshalb ist es so wichtig, in der Soziologie den Beweis führen zu können, dass die von Soziologen erzeugten Irritationen auf wissenschaftlich erzeugtem Wissen basieren, um sich vor Angriffen von Laien zu schützen und sie u. U. dazu zu bringen, die soziologischen Leistungen wahrzunehmen und anzuerkennen. Diese Möglichkeit fehlt der Soziologie in ihrer Professionalisierung. Dementsprechend muss die Professionalität und Exklusivität soziologischer Leistungen in der Praxis schrittweise, in jedem Einzelfall etabliert werden und diese im Einzelfall nachgewiesenen Leistungen anschließend unter einem Dachbegriff des soziologischen Berufs systematisiert werden. Dies dürfte der Grund sein, warum das Etablieren des Dachbegriffs Beratung für die außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten gerade von den nicht-akademischen Soziologen sehr stark vorangetrieben wird. Durch das Etablieren eines solchen Dachbegriffs würde eine Autoritätsstruktur institutionalisiert, zu der man sich im außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf bekennen könnte, um vor Angriffen durch 98 Siehe dazu z.B. Guggenheim: „[Es gibt] in der Soziologie keine allgemein gültigen Gütekriterien, außer extrem breit gefassten. Natürlich gelten im Wesentlichen wissenschaftliche Kriterien, also Kriterien wie Konsistenz, Neuheit, Originalität, Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Aber sobald wir danach fragen, wie diese in der Praxis operationalisiert werden, ist festzustellen, dass die Soziologie als Ganzes kaum über einen Konsens verfügt, was denn nun eigentlich als neu, originell oder nachvollziehbar zu gelten habe.“ (Guggenheim 2003: 285 ff.).
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Laien geschützt zu werden. Bis jetzt gibt es eine solche Struktur einer anerkannten, exklusiven außerwissenschaftlichen Profession nicht. Man kann sich als Soziologe auch nicht hinter die Autorität der Wissenschaft stellen, weil die Autorität der Soziologie, zumindest für die Außenseite, nicht genügend etabliert ist. Diese Situation wird noch dadurch erschwert, dass auch andere Professionalisierungsmechanismen (EthikKodizes, interne Kontrollmechanismen) in der Soziologie nicht funktionieren können wie in anderen außerwissenschaftlichen Professionen. Es fragt sich, wie angesichts dieser Situation die soziologische Professionalität gegenüber Nicht-Professionellen behauptet wird. Werden dafür andere, al in anderen Berufen, Mechanismen der Professionalisierung genutzt, und wenn ja, welche? Meine Prognose ist, dass sich im außerwissenschaftlichen Beruf weitere Professionalisierungsmechanismen entwickeln werden. Es werden beispielsweise Mechanismen aus dem inneren wissenschaftlichen Beruf aufgegriffen werden, die in anderen außerwissenschaftlichen Professionen nicht benutzt werden.
Der Bezug zu professionellen Organisationen in der soziologischen Professionalisierung Ein weiterer Mechanismus der Professionalisierung, der hier in Bezug auf den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf beschrieben wird, sind die professionellen Organisationen. Ihr Institutionalisierungsgrad hängt eng mit den internen Kontrollmechanismen zusammen. Für viele Autoren (u.a. Abbott 1988, Bledstein 1976) sind professionelle Organisationen der wichtigste Teil der sozialen Organisation von Professionen:99 „Professional organization, in particular the existence of a single, identifiable national association, is clearly a prerequisite of public or legal claims.“ (Abbott 1988: 83). In den professionalisierten Berufen erfüllen professionelle Organisationen (Bündnisse, Assoziationen, Vereine u. a.) die Funktion der inhaltlich bewährten internen Kontrolle. Es muss demzufolge geprüft werden, welche professionellen Organisationen in der Soziologie eine Kontrollfunktion erfüllen könnten, vor allem im außerwissenschaftlichen Beruf. Denkbar ist z.B, dass die akademischen Organisationen diese Aufgabe übernehmen: die Hochschule selbst und die DGS als die wissenschaftliche soziologische Organisation. Jedoch scheinen diese, wie im letzten Abschnitt gezeigt wurde, keine Kontrollfunktion im akademi99 Abbott (1988: 84) meint allerdings, man könne nicht von einer „fixed limit of structure“ sprechen, „towards which all professions tend“. M. E. gehört eine professionelle Organisation zu den Strukturmerkmalen, die für eine Profession notwendig sind.
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schen Bereich zu erfüllen und sind von der außerwissenschaftlichen Praxis zu weit entfernt, um darauf Einfluss nehmen zu können: „Die Soziologie als wissenschaftliche Disziplin [hat] keine Möglichkeit, die berufliche Praxis ihrer Absolventen nach dem Studium noch zu kontrollieren. Im Unterschied etwa zur Medizin, zur Psychologie oder zur Rechtswissenschaft hat sie keine starken Fachverbände, die Standards guten, professionellen Arbeitens über den Bereich der Ausbildung in Universitäten hinaus definieren“. (Kühl/Tacke 2003: 9)
In der Soziologie fehlt es also an „starken Fachverbänden“ die die Kontrollfunktion auf sich nehmen könnten, denn die Universitäten sind nicht in der Lage, diese im Vorfeld durch die Aussortierung ungeeigneter Studierender zu erfüllen. Es müssen Soziologen sein, die die Kontrollfunktion erfüllen, denn dies erfordert spezifisches Wissen (vgl. dazu Oevermann 1996 und 2003; Barber 1963). Die „Standards guten, professionellen Arbeitens“ gehen jedoch über die Kompetenzen der Hochschullehrer hinaus. Es bedarf Fachverbände – genauer: außerakademischer Fachverbände – um Standards guten, professionellen Arbeitens in der außerwissenschaftlichen Soziologie zu definieren und anschließend zu kontrollieren. Selbst wenn die akademischen Organisationen solche Kontrollkriterien ausgearbeitet hätten, sähen sich mit der Frage konfrontiert, über welche Sanktionsmaßnahmen sie verfügen, sie. Die innerhalb der akademischen Community geltenden, jedoch keinesfalls formalisierten Sanktionsmaßnahmen dürften für die außerwissenschaftlichen Berufe irrelevant sein. Das heißt allerdings nicht, dass die akademischen Organisationen nicht versuchen, solche Sanktionsmaßnahmen außerhalb des akademischen Bereiches einzuführen. Ein Beispiel dafür, wie die akademischen Organisationen versuchen, die in den Grenzbereichen zwischen Wissenschaft und Praxis arbeitenden Soziologen auf die innerdisziplinären Kriterien der Wissenschaftlichkeit zu verpflichten, gibt der folgende Bericht von Hirsch-Kreinsen (2003) dar. Es geht darin um eine Institution, die ausgeprägt anwendungsorientiert und problembezogen arbeitet. Seitens der wissenschaftlichen Soziologie wird der Versuch unternommen, diese Institution zur Erfüllung wissenschaftlicher Qualitätskriterien zu verpflichten. Solche Institutionen sind „häufig rückgebunden an etablierte akademische Einrichtungen und bemühen sich um entsprechende Reputation. Zudem stehen sie zunehmend unter laufendem Evaluierungsdruck, der in manchen Situationen noch stärker zu sein scheint als der auf traditionelle akademische Einrichtungen. Bekanntes (und gefürchtetes) Kriterium solcher Evaluierungen ist die Frage, inwieweit diese
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Institute in der etablierten und disziplinär verfassten akademischen Zunft verankert sind und in wie vielen möglichst international begutachteten Journalen sie in der letzten Zeit publiziert haben.“ (Hirsch-Kreinsen 2003: 266)
Es werden Kriterien angelegt, die eine anwendungsorientierte Einrichtung nicht erfüllen kann. Es fragt sich, warum solche Einrichtungen ihre Reputation über die Verankerung in Anbindung an der akademischen Zunft erwerben müssen. Man gewinnt den Eindruck, die Versuche der akademischen Soziologie, sich selbst als Referenz für berufliche Soziologen zu etablieren, zielten vor allem darauf ab, Kontrolle über die Berufspraxis ausüben zu können, wenn vielleicht nicht gleich im Sinne der Verweigerung des Berufsfeldzuganges, aber zumindest über die Beeinflussung der Reputation unter den akademischen sowie den außerakademischen Kollegen und dadurch vermutlich auch unter den möglichen Klienten. Solche Kriterien können aber nicht effektiv auferlegt werden. Wenn derartige Anbindungen an die im inneren wissenschaftlichen Beruf relevanten Professionalisierungsmechanismen überhaupt etabliert werden können, dann von nicht-akademischen Soziologen, und zwar nicht als Verpflichtung gegenüber den akademischen Institutionen, sondern als Selbstverpflichtung gegenüber der Wissenschaft, wissenschaftlich zu handeln. Eine weitere Funktion professioneller Organisationen ist, Professionellen Privilegien bei der Berufsausübung einräumen, sie gegenüber den Nicht-Professionellen zu privilegieren. Das ist eine der Gründe, weswegen die außerwissenschaftlichen Berufe sich auch ohne professionelle Organisationen nicht erfolgreich entwickeln könnten.100 Die Zugehörigkeit zu professionellen Organisationen in einem professionalisierten außerwissenschaftlichen Beruf fungiert als eine Garantie der Professionalität gegenüber Nicht-Professionellen und vor allem als eine Garantie für die von den Professionellen erbrachten Leistungen. In der Soziologie bleibt diese Funktion allerdings bis jetzt unerfüllt. Die akademische Organisation DGS, die sich bis vor kurzem explizit ausschließlich auf die akademischen Soziologen orientiert hat, versteht sich keinesfalls als ein Garantiegeber für außerakademische soziologische Leistungen versteht. Die berufliche Organisation BDS, die europaweit einzige Vereinigung, die nach ihrem Selbstverständnis „die beruflichen und berufspolitischen Interessen der Absolventinnen und Absolventen soziologischer und verwandter Studiengänge“101 vertritt, weist in ihrer Selbstbeschreibung 100 Diese Meinung vertritt z.B. Ben-David (1961: 114). 101 http://www.bds-soz.de/index.php?option=com_content&task=view& id=17&Itemid=29 vom 2.12.2006. Eine frühere Formulierung lautete
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explizit darauf hin, dass es keine Soziologie als einheitliche Profession bzw. einheitlichen Beruf gibt (Behrendt 2003: 332). In seiner Beschreibung der Funktionen von professionellen Organisationen unterscheidet Stichweh (1994) zwischen professionellen Assoziationen und disziplinären Gesellschaften. Diese Unterscheidung kann allerdings nicht ohne weiteres auf die (deutsche) Soziologie übertragen werden. Stichwehs Beschreibung macht die Besonderheiten solcher Organisationen in der Soziologie deutlich. Diese vermögen u. a. zu erklären, warum sich neben dem BDS in Europa keine weiteren soziologischen Berufsverbände gegründet haben, da deren Aufgaben eher undefiniert wären: „Professionelle Assoziationen sind typischerweise befasst mit der Überwachung der Grenze, die zwischen der Profession und ihrer gesellschaftlichen Umwelt liegt, und das heißt, dass sie vor allem auch an Fragen der Ausbildung des Nachwuchses orientiert sind. Disziplinäre Gesellschaften hingegen kontinuieren die relative Indifferenz gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt, wie sie auch disziplinären Gemeinschaften an ihrem organisationsunabhängigen Gegenstück eigen ist.“ (Stichweh 1994: 317)
Disziplinäre Gemeinschaften, argumentiert Stichweh weiter, sind damit befasst „mutual education of scientists“ (ibid.) voranzutreiben. Überträgt man die Stichweh‘schen Überlegungen auf die (deutsche) Soziologie, so wird deutlich, dass die Abgrenzung zur Umwelt in der Soziologie problematisch ist, wie schon im ersten Kapitel dieser Studie gezeigt wurde. Die Reflexion über diese Grenze ist bis jetzt eher Aufgabe der akademischen Soziologie als des BDS gewesen. Jedenfalls kann nicht behauptet werden, dass der BDS als eine seiner wichtigsten Aufgaben die „Überwachung der Grenze, die zwischen der Profession und ihrer gesellschaftlichen Umwelt liegt“, sieht. Was die „Ausbildung des Nachwuchses“ angeht, beschäftigt sich nicht nur die akademische Soziologie mit dieser Aufgabe, sondern auch der BDS, und zwar intensiv und in zweifacher Form. Einerseits wird in den BDS-Schriften102 immer wieder auf die Mängel der soziologischen Ausbildung bezüglich der Vorbereitung auf die spätere Berufsausübung hingewiesen. Andererseits wird die bestehende, auf die Vorbereitung auf wissenschaftliche Tätigkeiten orientierte Ausbildung eher als Normalfall für die Soziologie angesehen. Der BDS sieht demzufolge seine Aufgabe „berufspolitische Vereinigung der Soziologinnen und Soziologen in der Bundesrepublik Deutschland“ (noch zu finden unter http://www.soziolo gie.rwth-aachen.de/Institutionen.htm vom 2.9.2006). 102 Siehe Lumm (Hrsg.) (1985) und die Ausgaben der Zeitschrift „Sozialwissenschaften und Berufspraxis“ seit 1994.
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darin, Soziologen durch verschiedene Ausbildungsangebote für Absolventen, also gewissermaßen durch Umschulungen, auf die Ausübung ihres Berufs vorzubereiten.103 Auf seiner Webseite steht unter „Zielen und Aufgaben“: „Der BDS versteht sich als Organisator von kooperativen Netzwerken und setzt sich für eine praxisorientierte Aus- und Weiterbildung ein.“104 Beide Organisationen – BDS und DGS – beschäftigen sich demzufolge in irgendeiner Weise mit der Ausbildung des Nachwuchses (ausführlicher dazu später in der Datenanalyse) und keine der beiden mit der Überwachung der Grenzen oder mit Qualitätskontrollen. Die hier dargestellten Überlegungen zu professionellen Organisationen im außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf möchte ich mit der Analyse zweier Interviewsequenzen abschließen. Die erste stellt einen Bezug zwischen dem außerakademischen soziologischen Beruf und der akademischen soziologischen Organisation (DGS) her. In der zweiten geht es um die Funktionen des BDS als Ausbildungseinheit.
Professionelle Organisationen und außerakademischer soziologischer Beruf In der folgenden Interviewsequenz geht es um das Verhältnis zwischen dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf und der DGS. Sie macht einerseits deutlich, dass die Anbindung an die akademische bzw. wissenschaftliche Organisation stärker ist, als dies vermutlich bei anderen außerwissenschaftlichen Berufen der Fall ist. Andererseits zeigt sie, dass die Bindung nicht so stark ist, dass ernsthaft von irgendwelchen Kontrollmechanismen seitens der akademischen Soziologie die Rede sein könnte. Nachdem sie in einer etwas längeren Interviewsequenz die Sektionen des DGS gewürdigt hat, die viel zu ihrer eigenen soziologischen Arbeit beitragen, betrachtet [Ext08] die DGS als Organisation sowie ihre Tagungen vom Standpunkt einer nicht-wissenschaftlichen Soziologin:
103 Schon 1985 forderte der BDS von den Hochschulen, der ,,DGS und anderen in Frage kommenden Organisationen“ die Einführung von „gezielten post-graduierten Veranstaltungen berufsbegleitender Fortbildung für Sozialwissenschaftler“ („Grundsätze und Empfehlungen des Berufsverbandes Deutscher Soziologen e. V. zur Studienreform in den Sozialwissenschaften“ 1985: 230). Mittlerweile richtet der BDS solche Forderungen nicht mehr an andere Organisationen, sondern hat dies zu seiner eigenen Aufgabe gemacht – siehe z.B. die Weiterbildungsangebote auf den Seiten der Regionalgruppen des BDS (http://www.soziologie.uni-freiburg.de/bds/ vom 2.12.2006 u.a.). 104 http://www.bds-soz.de/index.php?option=com_content&task=view&id= 45&Itemid=61 vom 2.12.2006.
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I: ja ich bin Mitglied der DGS /Z: aha/ ich bin Mitglied der Biogra/ Sektion Biographieforschung in der DGS der Biogra/ der (.) Sektion Frauenforschung in der DGS (.) /Z: aha/ der Arbeitsgruppe qualitative Methoden in der DGS [...] Z: ja (.) und bringt es was (.) also (.) was/was bringt es für Sie I: also die äh (.) die Mitgliedschaft in den Sektionen bringt mir eine ganze Menge /Z: aha/ das finde ich also ich finde sowohl die Sektion Biographieforschung (.) alle drei = alle drei Sektionen die ich genannt habe bringen mir was [...] so hab ich zum Beispiel in: (.) den letzten Jahren (.) ähm stärker auch zum Beispiel die Fachöffentlichkeit der Biographieforschung nutzen können also da dann auch mal vortragen (.) zu den Tagungen auch hinfahren zu gucken was wird da debattiert (.) ich bin natürlich auch im Verteiler und kriege dann auch Call for Papers und sehe (.) wer arbeitet beispielsweise gerade zu welchen Geschlechterfragen [...] das bringt mir schon was [...] die DGS selbst (.) bringt mir überhaupt nichts (.) ich finde die Zeitschrift stinklangweilig (.) also (.) ich ärgere mich immer dass ich so viel Geld dafür ausgebe (.) und (ich) bin da auch nur aus: (.) tatsächlich aus den Gründen eingetreten dass alle Sektionen immer sagen (.) ihr müsst auch in die DGS eintreten sonst ähm (.) stärken wir das insgesamt nicht und (.) also finde ich auch richtig aber das ist so ein bisschen so (.) ähm (.) repräsentative Demokratie und (.) ich würde auch im Moment zum Beispiel mich (.) mich nicht freiwillig für so ein DGS-Gremium (.) also: (.) diese verschiedene Gremien die es da gibt interessieren (.) also schon eher für eine Sektion ne (.) [...] ich fand eine Zeitlang die standesbewusste DGS-Politik unmöglich (.) also (.) ich bin auch lange nicht in die DGS eingetreten (.) weil ich das nicht in Ordnung fand dass dort nicht Promovierte nicht Mitglied sein dürfen (.) also ich bin auch nach meiner Promotion erst mal nicht eingetreten aus Protest (.) ist natürlich Quatsch so ein individueller innerer Protest [...] genau das wollte ich sagen = was ich (.) gr/ ganz grauenvoll finde sind die Deutschen Soziologietage (.) ((lacht)) /Z: ((lacht)) das höre ich nicht das erste Mal das hat mir schon mal [...] gesagt ((lacht))/ ja das ist interessant ja (.) weil alle natürlich hinfahren (.) und es auch ganz wichtig ist dort einen Vortrag zu halten (.) vor man/ vorher stirbt man (.) fast äh (.) komplett weil nicht klar ist (.) wer wird dort sein um einen (.) zu zerreißen und (.) ähm (.) wird die Moderation vernünftig laufen und (.) das ist ja sowieso so (de/) (.) das ist ja mehr so wie sehen und gesehen werden also so ein großes Show-Business (.) und ähm (.) ich (.) ich wa/ ich war auch nicht (.) ich war (.) glaube ich zwei oder drei mal bei diesen European Sociological Assosiations und habe mich da wesentlich wohler gefühlt obwohl ich zum Beispiel das für mich viel anstrengender finde [...] war ich immer viel entspannter bei diesen: (.) Europäischen Zusammenhängen (.) als in dieser: Deutschen (.) Gesellschaft für Soziologie = irgendwas daran ist ähm (.) also läuft mir (.) zuwider [...] das [ESA] ist eben auch eine junge Organisation [...] also es werden ganz andere Diskurse dort auch öffentlich in den großen Zusammenhängen und in den Gremien verhandelt = auch die Debatte über die Sprache zum Beispiel = wa-
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rum Englisch nach wie vor (.) Konferenzsprache ist (.) das fand ich alles sehr sehr ähm spannend und auch sehr demokratisch und ich finde die DGS zum Teil (.) so (.) leblos und äh teilweise eben auch (.) ja so’n Stück eingefroren = undemokratisch kann man nicht sagen das ist eben ein großer Berufsverband (.) mit Gremien und das war’s (.) und äh (.) also: (.) es ist nicht so dass mein Engagement da: (.) sprüht ((lacht)) Z: fahren Sie hin? nach Leipzig? I: nein (.) ich mache gerade eine Fortbildung und genau in der Zeit ist eine meiner Fortbildungswochen insofern ha/ blieb mir diese Entscheidung (.) erspart ((lacht)) sonst wäre ich (einfach ...) hinfahren (.) sonst hätt ich (.) das ist klar (.) gehört eben dazu (.) damit habe ich mich mittlerweile abgefunden [Ext08]
Die Mitgliedschaft in der DGS wird operationalisiert, indem diese Interviewpartnerin [Ext08] darstellt, dass für sie nicht die repräsentative Seite der Mitgliedschaft zählt, sondern die praktische Relevanz für ihre eigene Arbeit. Sie positioniert sich durch ihre Mitgliedschaft in den Sektionen. Diese Mitgliedschaften bettet sie zwar explizit in den Kontext der DGS ein, dennoch macht sie deutlich, dass es hier nicht um die Mitgliedschaft in der DGS als einer einheitlichen Organisation geht. Auch die Frage der Interviewerin danach, was ihr die Mitgliedschaft bringt, unterteilt sie sofort in zwei Fragen, nämlich die nach der Mitgliedschaft in den Sektionen und die nach der Mitgliedschaft in der DGS. Das Positive an der Mitgliedschaft in den Sektionen wird vielseitig dargestellt. Es geht um die Einbettung in die Diskussion, die Information über Konferenzen etc., darum, auf dem Laufenden zu sein, und auch um die Möglichkeit, sich in den für sie relevanten Bereichen der Soziologie weiterzuentwickeln. Diesen positiven Output fasst sie mit dem Satz „bringt mir eine ganze Menge“ zusammen. Erst nachdem dieses Lob ausgesprochen ist, folgt eine Einschätzung der Mitgliedschaft in der DGS, die [Ext08] mit dem Satz „die DGS selbst (.) bringt mir überhaupt nichts (.)“ einleitet. Dann erläutert die Interviewpartnerin [Ext08], was für sie „die DGS“ ist, was also diese Organisation als integrative Einheit und nicht als eine Zusammensetzung aus verschiedenen Sektionen und AGs ausmacht. Als erstes wird das Publikationsorgan der DGS genannt und zur materiellen Bestätigung der Mitgliedschaft aufgebaut – im Vergleich zum Beispiel zu den Email-Verteilerlisten der AGs. Deswegen wird in diesem Kontext auch von Geld gesprochen, womit der Mitgliedsbeitrag gemeint ist, nicht der Preis der Zeitschrift. Offenbar kann [Ext08] keine andere bedeutsame Bestätigung der Mitgliedschaft nennen und wählt weshalb die als „stinklangweilig“ abgewertete Zeitschrift als Grundlage für ihre Kritik an der DGS (auch auf der finanziellen Ebene) aus. [Ext08] legitimiert
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ihren Eintritt in die DGS mit der Loyalität gegenüber den Sektionen. Die von den Sektionen ausgesprochene Aufforderung zum Eintritt in die DGS legitimiert sie damit, dass dies die Voraussetzung für einer „repräsentative Demokratie“ ist. Interessant daran ist, dass das Eintreten als solches überhaupt legitimiert werden muss. Andere mögliche Gründe für den Eintritt werden dadurch explizit negiert, dass [Ext08] die Möglichkeit, in den formellen Strukturen dieser Organisation eine Funktion zu übernehmen, von sich weist. Weiterhin kritisiert [Ext08] die interne Politik der DGS hinsichtlich der Beitrittskriterien. Sie erzählt, dass sie „aus Protest“ nach ihrer Promotion zunächst nicht eingetreten sei. Diese Aktion kommentiert sie sofort mit der Aussage „ist natürlich Quatsch so ein individueller innerer Protest“, weist also darauf hin, dass auch sie mit ihrem Protest nicht organisiert, sondern nur auf einer individuellen Ebene gehandelt hat. Dass es aber zu so einem „Protest“ gekommen ist, dass also das NichtEintreten nicht als Normalfall definiert wurde und mit dem Protestbegriff abgewickelt werden musste, impliziert, dass zumindest für die promovierten Soziologen das Nicht-Eintreten in die DGS die Ausnahme ist. Man fühlt sich also verpflichtet, dieser akademischen wissenschaftlichen Organisation zuzugehören, obwohl die promovierten Soziologen nicht zwangsläufig in den wissenschaftlichen Berufen tätig sind. Ich führe diese Verpflichtung auf die – insbesondere für die Angehörigen des außerwissenschaftlichen Berufs bestehende – Notwendigkeit zurück, eine soziologische Identität zu bewahren, die vor allem in der Konkurrenz mit anderen Professionellen von Bedeutung ist. Das würde allerdings darauf hindeuten, dass es keine alternative, genügend etablierte organisationelle Basis für die soziologische Identität gibt. In dieser Protesthaltung, die [Ext08] selbst als bedenklich anspricht, drückt sich ein Konflikt zweier Identitäten aus, der durch den Eintritt in die DGS nicht aufgelöst worden ist und mit den negativen Einschätzungen der DGS und deren Vergleich mit ESA weiter vorangetrieben wird. Die von [Ext08] selbst beschriebene Protesthaltung zusammen mit der Legitimation des Eintritts in die DGS weist auf einen Konflikt zwischen der während des Studiums erworbenen und der durch die außerakademische Arbeit entwickelten soziologischen Identität hin. Wogegen hat [Ext08] tatsächlich protestiert? Dagegen, dass die noch nicht promovierten Soziologen (Doktorandinnen und Doktoranden) und diejenigen, die keine akademische Karriere anstreben, nicht in die akademische Gesellschaft eintreten dürfen? Sie vertritt mit diesem Protest die Interessen ihrer Zunft, also der außerakademischen Soziologen. Die Frage ist hier aber, warum sie dafür plädiert, dass alle Soziologen, ob promoviert oder nicht, in diese Organisation eintreten können, wenn sie den Wert dieser 172
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Organisation eher gering schätzt. Ist die Wichtigkeit der Sektionen der alleinige Grund dafür? Oder ist das Eintreten aus einem anderen Grund wichtig? Ich sehe die Begründung hierfür in einer gespaltenen soziologischen Identität, die u. a. dadurch entstanden ist, dass es in der Soziologie lange Zeit keine andere Organisation gegeben hat – und damit keine, die den außerakademischen Soziologen eine Vereinigung auf der Basis ihrer Profession hätte anbieten können. Es geht [Ext08] mit anderen Worten darum, dass alle Soziologen eine formelle institutionalisierte Identitätsgrundlage brauchen. Dieser Konflikt der Legitimationen sowohl für das Eintreten als auch für das Nicht-Eintreten, der aus einem Konflikt der Identitäten bzw. aus dem Streben einer außerakademischen Soziologin nach einer organisatorisch institutionalisierten soziologischen Identität entstanden ist, wird mit dem Eintritt in die DGS nicht aus der Welt geschafft. [Ext08] versucht, in einer anderen Organisation die Grundlage für eine nicht vollkommen akademisierte soziologische Identität zu finden, und wählt dafür die Europäische Soziologische Assoziation (ESA), der sie besondere Eigenschaften zuschreibt, aufgrund derer diese Organisation den außerakademischen Soziologen näher steht.105 Sie baut eine Gegenüberstellung zwischen den beiden Organisationen auf, die darauf basiert, dass sie als deutsche Soziologin sich in einer internationalen soziologischen Organisation wohler fühlt. Die ESA wird mit Begriffen wie „junge Organisation“ beschrieben, die Kommunikation bei den Tagungen als „spannend und auch sehr demokratisch“. Im Umkehrschluss müsste man also annehmen, die DGS sei eine alte Organisation, bei der die Kommunikation eher langweilig („eingefroren“) ist und die Organisation an sich wahrscheinlich auch eine Tendenz zu „undemokratisch“ aufweist. Die Kritik von [Ext08] setzt auf einer organisationellen Ebene an. Es wird vermittelt, dass die DGS eine „leblos(e)“ Organisation ist, in die man lediglich aus Loyalität zu den Sektionen und auch aus der normativen Vorstellung heraus eintritt, dass man als Soziologe Mitglied einer soziologischen Organisation sein muss. [Ext08] macht die DGS zu einem „Berufsverband“; dies deutet möglicherweise auf ihre Erwartungen an diese Organisation hin, was zum Teil die Frage der Identität und der Kritik an der DGS erklären würde. [Ext08] freut sich offen darüber, dass sie an der nächsten DGSTagung nicht teilnehmen kann. Sie spricht zwar von einer Entscheidung, zu dieser Tagung zu fahren; es wird aber deutlich, dass man sich nicht 105 De facto handelt es sich bei der ESA um eine (primär) wissenschaftliche soziologische Organisation, die allerdings auch für außerwissenschaftliche Soziologen offen ist. (http://www.valt.helsinki.fi/esa/membership. htm vom 2.12.2006). Das ist aber für [Ext08] nicht entscheidend.
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ohne guten Grund dagegen entscheiden kann. [Ext08] berichtet, sie habe sich mittlerweile damit „abgefunden“, zu den DGS-Tagungen fahren zu müssen: „das ist klar (.) gehört eben dazu“. Es fragt sich, wozu es eigentlich gehört. Die Antwort muss m. E. lauten: Es gehört zum „SoziologeSein“. In dieser Interviewsequenz wird – wie weiter oben beobachtet wurde – das „Soziologische“ (die Kontrolle, die Mitgliedschaft in der soziologischen Organisation, der inhaltliche Austausch usw.) auf der Ebene der kleineren Gruppen verortet; das einzig Wichtige an dieser Vereinigung sind für [Ext08] die Sektionen. Die soziologische Vergemeinschaftung, die Herausbildung der soziologischen Identität und auch die Professionalisierung der Soziologie vollziehen sich in kleinen Gruppen von Soziologen, sie sich mit dem gleichen Thema beschäftigen oder mit gleichen Methoden arbeiten. Zwar implizieren die Aussagen von [Ext08] eine Verpflichtung gegenüber der DGS, es ist aber deutlich, dass diese Verpflichtung insofern eine freiwillige ist, als mögliche Sanktionen seitens dieser Organisation gegenüber den außerakademischen Soziologen überhaupt nicht thematisiert werden. Diese Organisation wird also nicht als diejenige wahrgenommen, die faktisch eine Kontrolle über die außerakademischen Soziologen ausüben könnte. In dieser Interviewsequenz wird deutlich, in welchem Spannungsverhältnis außerakademische Soziologen zur wissenschaftlichen Profession stehen. Die Notwendigkeit, sich mit der DGS abzufinden, und die gleichzeitige Reflexion darüber, dass man nicht dazugehört, der Wunsch, einer institutionalisierten soziologischen Community anzugehören, deren Grenzen nicht klar definierbar sind, und entsprechende Versuche, möglichst vielen wissenschaftlichen Qualitätskriterien zu entsprechen, um nicht an soziologischer Reputation zu verlieren und sich in jedem Kontext als Soziologe ausweisen zu können, das Streben der außerakademischen Soziologen, sich auch in akademischen Kontexten zu etablieren – all dies ist für dieses Spannungsverhältnis charakteristisch. Dieses Spannungsverhältnis kann in dem Bestreben der außerwissenschaftlichen Soziologen resultieren, den im inneren wissenschaftlichen Beruf etablierten Qualitätskriterien zu entsprechen. Es wird aber auch deutlich, dass die akademische Community, auch in Form der akademischen soziologischen Organisation DGS, keine Kontrolle über die Ausübung der außerwissenschaftlichen soziologischen Profession hat.
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Professionelle Organisationen und außerakademischer soziologischer Beruf In der zweiten Interviewsequenz geht es um die Aufgabenverteilung zwischen den beiden soziologischen Organisationen, die Grenzen zwischen den beiden Organisationen und die Funktionen, die diese Organisationen erfüllen bzw. nicht erfüllen können. All dies erschließt sich aus dem Ausbildungsprogramm des BDS. [Ext05] berichtet: I: Traineeprogramme gibt es an sich (.) überall das ist ne ganz normale Form = wir machen eben ein überbetriebliches Traineeprogramm weil eben (.) Akademiker auch der Ingenieurwissenschaften undsoweiter. für ihr Praxisfeld ja überhaupt nicht so gerüstet sind (.) das gilt ja nicht nur für die Sozialwissenschaftler (.) äh unsere Traineeprogramme sind im Prinzip so=ne Einstiegsfortbildung in diese Bereiche rein (.) das machen Firmen intern oder überbetrieblich deswegen ist es nichts Ungewöhnliches (.) es ist im Gegenteil so dass wir immer weniger arbeitsuchende Absolventen haben [Ext05]
Es wurde bereits angedeutet, dass die Form der soziologischen Ausbildung vom Berufsverband als Normalfall wahrgenommen wird. In dieser Interviewsequenz wird die Normalität dieser Situation explizit zum Ausdruck gebracht und durch den Verweis auf andere Studienfächer bestätigt. Es wird als selbstverständlich dargestellt, dass u. a. auch die Absolventen ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge nicht in der Lage sind, in außerakademischen Feldern zu arbeiten, ohne eine „Einstiegsfortbildung“ gemacht zu haben. Solche „Traineeprogramme“ sieht der BDS als seine Aufgabe und seine Verantwortung gegenüber den Soziologieabsolventen. Die „mutual education of scientists“ (Stichweh 1994: 317) ist also die einzige institutionalisierte Ausbildungsform in der Soziologie, mit der sich die akademische Community beschäftigt. Die professionelle Assoziation ist hingegen damit beschäftigt, den so ausgebildeten Nachwuchs auf die Anforderungen der außerwissenschaftlichen Tätigkeiten vorzubereiten. Die Rollen der beiden Organisationen scheinen zwar definiert zu sein, aber in einer besonderen Weise, wie z.B. die freiwillige Reparatur der mangelhaften soziologischen Ausbildung durch den BDS zeigt.
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Abschließende Bemerkungen zu den wichtigsten Professionalisierungsmechanismen im außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf Wenn man die zentralen Mechanismen der Professionalisierung auf den außerakademischen soziologischen Beruf bezieht, wird klar, dass sie entweder nicht so funktionieren wie in anderen außerwissenschaftlichen Berufen bzw. andere Funktionen haben oder überhaupt nicht vorhanden sind. So ist zum Beispiel nicht klar, — wie in der Soziologie die professionelle Selbstkontrolle gewährleistet werden kann, — welche Rolle die professionellen Organisationen dabei spielen können, — wie die berufliche Sozialisation des Nachwuchses vollzogen wird bzw. welche Organisationen für die Vorbereitung des Nachwuchses auf außerwissenschaftliche Tätigkeiten zuständig sind, — inwiefern sich die professionelle Soziologie nach außen als Autorität präsentieren kann und vor allem — ob eine solche Autoritätsdarstellung angesichts der Unmöglichkeit, den Zugang zur Berufsausübung zu kontrollieren und die Berufsausübung zu verweigern, überhaupt möglich ist, — ob es in der Soziologie einen funktionierenden Ethikkodex geben kann bzw. muss usw. Die Beobachtungen zeigen, dass die außerwissenschaftliche Soziologie auch angesichts ihrer Professionalisierungsproblematik danach streben muss, einen Dachbegriff für außerakademische soziologische Tätigkeiten zu etablieren. Dies ist wichtig, um den außerwissenschaftlichen Soziologen eine Basis für eine soziologische Identität zu bieten, um sich nach außen als Gruppe präsentieren zu können und vor allem um sich von anderen Professionellen unterscheiden zu können. Die Notwendigkeit solch einer Identitätsbasis erklärt vor allem die Bedeutung der Beratungsdebatte in der soziologischen Literatur. Nach diesen Überlegungen ist die wichtigste zu klärende Frage, wie die Exklusivität der professionellen Soziologie vor allem im außerwissenschaftlichen Beruf faktisch etabliert wird. Eine weitere Frage, die sich stellt, ist, welche Zusammenhänge zwischen den für den inneren wissenschaftlichen Beruf charakteristischen und den für den außerwissenschaftlichen Beruf relevanten Qualitätskriterien festzustellen sind, wie die Anbindungen zwischen diesen beiden Berufen sind und inwiefern diese mit der Notwendigkeit zusammenhängen, die Autorität bzw. Identität der außerwissenschaftlichen Soziologen zu etablieren.
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2.4.2 Wechselbeziehungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem außerwissenschaftlichen Beruf in der Soziologie. Selbstwahrnehmung der wissenschaftlichen Soziologen Es wurde oben gezeigt, dass es Interesse – seitens der außerwissenschaftlichen, aber auch wissenschaftlichen Soziologen – besteht, stärkere Anbindungen zwischen der wissenschaftlichen Profession und den außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten zu etablieren. In diesem Paragraph werden die Versuche der wissenschaftlichen Soziologie dargestellt, verstärkte Bindungen zwischen den wissenschaftlichen und den außerwissenschaftlichen Berufen aufzubauen. In Abschnitt 2.4.3 werden die Motivationen der außerwissenschaftlichen Soziologen beschrieben, diese Anbindungen ihrerseits zu verstärken.
2.4.2.1 Wechselbeziehungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem außerwissenschaftlichen Beruf in der Soziologie: Die Perspektive des innersoziologischen Diskurses Der Versuch der akademischen Soziologie, sich selbst als eine Referenz für den außerwissenschaftlichen Beruf zu etablieren, weist gewisse Ähnlichkeiten mit dem Phänomen der „sekundären Professionalisierung“ bzw. der „sekundären Disziplinbildung“ nach Stichweh (1994: 324) auf. „Sekundäre Professionalisierung“ und „sekundäre Disziplinbildung“ stellen eine Konstellation dar, in der die Profession (also der außerwissenschaftliche Beruf in der von mir übernommenen Terminologie) sich mit der Frage konfrontiert sieht, wie das disziplinäre Basiswissen in außerwissenschaftlichen Bereichen kontrolliert werden kann, und die Disziplin (die wissenschaftliche Profession) die Notwendigkeit sieht, Studierende für eine außerwissenschaftliche Tätigkeit auszubilden. Sobald eine Disziplin die Notwendigkeit wahrnimmt, gegenüber ihrer nichtwissenschaftlichen Umwelt Leistungen zu erbringen, versucht sie Stichweh zufolge, eine festgelegte Berufsrolle in ihr Beschäftigungssystem einzubringen. Es geht also nicht um die Entwicklung eines autonomen außerwissenschaftlichen Berufs, sondern nur um den Einbau neuer Berufsrollen in das bereits existierende akademische Beschäftigungssystem. Dies ist nach Oevermanns Konzept vollkommen unmöglich, weil es einen Handlungsdruck der Praxis in den Wissenschaftsbereich tragen würde. Oevermann sieht vor allem die Notwendigkeit, die Wissenschaft vom Handlungsdruck der Praxis zu entbinden: 177
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„Wir können also das wissenschaftliche Forschen in den Modus der ästhetischen Erfahrung einrücken bzw. es auf das Fundament dieses Erfahrungsmodus stellen. Dem entspricht die Entbindung vom unmittelbaren Handlungsdruck der Praxis, die die Forschung in Anspruch nehmen muss, um stellvertretende Krisenbewältigung betreiben zu können.“ (Oevermann 2003: 21)
Oevermann vertritt die Meinung, dass die Wissenschaft nur durch die Entbindung vom Handlungsdruck der Praxis jene Leistung vollbringen kann, die sie vollbringen muss – nämlich Krisen gedankenexperimentell zu erzeugen und zu bewältigen und damit die Bewältigung dieser Krisen in der Praxis zu antizipieren. Die Wissenschaft muss autonom bleiben, darf nicht von Außen evaluiert werden und darf sich auch nicht auf praktische Handlungszwänge einlassen.106 Es gibt zwei wichtige Punkte, in denen sich die beiden Konzepte von Oevermann und Stichweh überschneiden, und einen entscheidenden Unterschied. Die organisierten, d.h. überwiegend im akademischen Bereich tätigen Soziologen sehen die Notwendigkeit, einen außerwissenschaftlichen Beruf zu etablieren. Das geht auch aus den Darstellungen meiner Interviewpartner hervor. Die Etablierung eines solchen Berufs ist kaum ohne Beteiligung107 der wissenschaftlichen Profession möglich, z.B. weil ein solcher Beruf eine unifizierte Ausbildung und die Möglichkeit zu inhaltlichen Qualitätskontrollen voraussetzt. Es bleibt nur noch die Frage – und in diesem Punkt unterscheiden sich die Konzepte von Oevermann (2003) und Stichweh (1994) – wie autonom der zu etablierender außerwissenschaftlicher Beruf sein soll bzw. darf. Dies ist sehr eng an die Frage geknüpft, inwiefern und warum die wissenschaftliche Soziologie sich als Referenz für den außerwissenschaftlichen Beruf zu etablieren versucht und inwiefern sie die Autonomie des außerwissenschaftlichen Berufs beeinträchtigen (könnte). Der außerwissenschaftliche Beruf arbeitet mit dem in der Wissenschaft erworbenen (und während der Ausbildung internalisierten) Wissen und mit soziologischen Methoden, daher kann und will er die Kontakte zur wissenschaftlichen Profession nicht abbrechen. Dennoch müsste er von den internen Regeln der Wissenschaft hinreichend unabhängig bleiben, um in seinen außerwissenschaftlichen Tätigkeiten erfolgreich sein zu können.
106 Oevermann sieht aber auch die Notwendigkeit, einen außerwissenschaftlichen Beruf für die Soziologie zu etablieren, und entwickelt ein Projekt einer autonomen klinischen Profession in der Soziologie (Oevermann 1990). 107 Beteiligung bedeutet hier jedoch nicht, dass so ein Beruf allein aus der akademischen Disziplin heraus initiiert werden kann.
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Wie oben angedeutet wurde, funktionieren in der Soziologie viele Professionalisierungsmechanismen nicht, oder zumindest nicht ausrechend. Daher fehlt es dem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf u.A. an Mittel, die eigene Professionalität zu behaupten. Um die eigene Professionalität zu demonstrieren, bekennen sich die außerwissenschaftlichen Soziologen zu den Wissenschaftlichkeitskriterien – weil es keine andere etablierten Kriterien der soziologischen Professionalität gibt – und damit zur wissenschaftlichen Profession. Um die eigene Professionalität zu zeigen wird also zu der einzig etablierten – d.h. wissenschaftlichen – Soziologie zurückgegriffen, und sie wird zu der Referenzdisziplin für die außerwissenschaftlichen Soziologen. Das ist insofern problematisch, als es bei den Professionellen zu dem von Daheim (1977) beschriebenen „Loyalitätskonflikt“ führen kann, nämlich dem Dilemma eines Professionellen, entweder Berufskollegen oder eine Arbeitsorganisation als Bezugsgruppe wählen und sich damit auch für die jeweiligen Normen, Belohnungen usw. entscheiden zu müssen (Daheim 1977: 71). Ähnlich werden die außerwissenschaftlichen Soziologen vor die Wahl gestellt, entweder den Normen der akademischen Soziologie zu entsprechen – was sie allerdings parallel zu ihren beruflichen Aktivitäten kaum können108 – und dafür eine entsprechende Belohnung zu bekommen oder das Streben nach internen akademischen soziologischen Belohnungen109 gänzlich aufzugeben und sich vollkommen auf die internen Normen und Belohnungen des außerwissenschaftlichen Berufs zu orientieren. Da es aber in der Soziologie keinen etablierten einheitlichen außerwissenschaftlichen Beruf gibt und erst recht keine etablierten positiven Sanktionen zur Verfügung stehen, ist eine solche vollkommene Umorientierung allein schon wegen der drohenden Identitätskrise der Soziologen kaum möglich (wenn man sich als Soziologe versteht). Angesichts der Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung bleibt den außerwissenschaftlichen Soziologen also gar nichts anderes übrig, als einen Bezug zur wissenschaftlichen Hintergrunddisziplin aufzubauen, um sich in ihrer beruflichen Praxis als Soziologen positionieren zu können. Wenn man aber bedenkt, dass die außerwissenschaftlichen Soziologen mit einer primären Orientierung auf den wissenschaftlichen Beruf 108 Vgl. dazu auch Flecker (2003: 364-365 und insb. 367), der beschreibt, wie die Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens wegen der Ökonomisierung der Sozialwissenschaften zunehmend unter Druck geraten. 109 „Für die Konstituierung von Identität erscheinen die mit der Professionszugehörigkeit verbundenen Anerkennungsprämien und Legitimationsansprüche wichtiger als die von der Arbeitssoziologie betonten Momente der Klassenlage und Möglichkeiten arbeitsinhaltlicher Identifikation.“ (Moldaschl/Holtgrewe 2003: 210)
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ausgebildet werden, bedeutet das, dass sie die in der wissenschaftlichen Soziologie wenn auch nicht fest etablierten, so doch im inneren wissenschaftlichen Beruf geltenden und in der Ausbildung zum Forscherhabitus vermittelten Legitimationsansprüche, Regeln usw. internalisiert haben und sich mit der wissenschaftlichen Profession identifizieren. Solange sie keine andere Basis für eine soziologische Identität haben, werden sie sich an den wissenschaftlichen Berufen orientieren (vgl. die oben analysierte Sequenz aus dem Interview mit [Ext08]). Es fragt sich jedoch, welche Gründe wissenschaftliche Soziologen haben, um die Bezüge zwischen den beiden Professionen zu verstärken.110 Wie oben dargelegt, fürchten akademische Soziologen Sanktionen seitens der Community, wenn sie außerakademischen Tätigkeiten nachgehen. Durch die primäre Orientierung der soziologischen Ausbildung auf den Wissenschaftsbetrieb herrschte in der akademischen Soziologie lange Zeit – und herrscht teilweise bis heute – eine negative Einstellung zu außerakademischen soziologischen Beschäftigungen bzw. zu den akademischen Soziologen, die auch außerhalb des akademischen Bereichs tätig waren bzw. sind.111 Aufgrund der Geschichte der deutschen Soziologie stellten außerwissenschaftliche Beschäftigungen für Soziologen allenfalls eine Nebenbeschäftigung dar, die keinesfalls notwendig war und nie im Vordergrund des soziologischen Daseins stand.112 Zwar gab es studierte Soziologen, die außerhalb des Wissenschaftsbetriebs arbeiteten, doch wurden sie von den akademischen Soziologen nicht als ihresgleichen wahrgenommen (siehe unten in 2.4.2.2. die Interviewsequenz mit [Int02] zu diesem Thema). Das Etablieren eines außerwissenschaftlichen Berufs mit einem starken Bezug zur akademischen Sozio110 Damit soll nicht gesagt werden, dass die außerwissenschaftliche Profession durch die wissenschaftliche Community kreiert wird. Die wissenschaftliche Community verfügt als ausbildende Einheit aber über Mittel, um die entstehende außerwissenschaftliche Profession stärker an sich zu binden. 111 Siehe die (u.a. von Klima (1976: 93) beschriebene) Gegenüberstellung von „public reputation“ und „scientific reputation“ sowie die Bedenken darüber, ob diese beiden Reputationen überhaupt vereinbar sind. 112 Auch wenn solche Tätigkeiten als möglich angesehen wurden, wurden sie eindeutig als zweitrangig eingeschätzt. Nun ist die Frage, inwiefern die Soziologie als solche eine ausschließlich wissenschaftliche Profession ist: „In contrast to a predominantly applied profession like medicine, sociology is universally conceived as a scientific discipline which is clearly primarily dedicated to the advancement of empirical knowledge in its field and secondarily to the communication of such knowledge to nonmembers and its utilization in practical affairs.“ (Parsons 1959: 547, zitiert nach Klima 1976: 68)
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logie könnte solche Sanktionen bzw. die Notwendigkeit, die eigenen außerakademischen Tätigkeiten zu legitimieren, mindern.113 Aus diesem Grund muss der außerakademische Beruf an die wissenschaftliche Profession angebunden sein, da Angehörigen der wissenschaftlichen Profession sonst weiterhin Sanktionen der Community beim Ausüben der außerwissenschaftlichen Tätigkeiten fürchten müssten. Bei einer stärkeren Anbindung des außerwissenschaftlichen Berufs an die wissenschaftliche Soziologie können jedoch auch Probleme auftreten.114 Ist diese Anbindung zu stark, so kann dies dazu führen, dass die außerwissenschaftlichen Soziologen in ihren Tätigkeiten begrenzt werden, weil sie sich bestimmten Verpflichtungen des Wissenschaftsbetriebes unterwerfen, die mit ihrer Berufstätigkeit unvereinbar sind (vgl. nächster Abschnitt). Das wiederum würde dem Ruf der Soziologie – und
113 Siehe dazu z.B. Beck (1985), der behauptet, die Soziologie müsse und könne den Anforderungen und Regeln der Wissenschaft gerecht bleiben, ohne einen autonomen außerwissenschaftlichen Beruf zu etablieren. Im Gegenteil bräuchte sie eher eine nicht-soziologische Außenstelle, an die sie die Anwendung ihrer Ergebnisse/ihres Wissens delegieren könnte. So wird die Soziologie als eine „beratende Profession“ nicht zu einer autonomen außerwissenschaftlichen Profession und kann all die Probleme, die mit ihrer fehlenden Autonomisierung zusammenhängen, in gewissem Maße umgehen: „Eine Orientierung an praktischen Handlungsmöglichkeiten muß also keineswegs mit der Preisgabe von substantieller Soziologie bezahlt werden, eher im Gegenteil: Gerade für die Zwecke eines begrenzten, punktuellen, politisch kontrollierten sozialen Wandels zur Bewältigung von Situationen ist [...] ein Wissen erforderlich, das den Aktionsradius staatlichen und betrieblichen „Problemmanagements“ systematisch mißachtet und überschreitet und das Problem und die geplanten Maßnahmen in der ganzen Breite möglicher sozialer (allerdings auch ökonomischer, psychologischer, rechtlicher usw.) Verflechtungen, Voraussetzungen und Folgewirkungen thematisiert.“ (Beck 1985: 142) 114 Barber (1963: 676) beschreibt dieses Phänomen als „defects in the virtues“ der „professional university schools“. Die Hochschulen erbringen zwar zahlreiche erforderliche Leistungen für die Entwicklung der Professionen, übertreiben jedoch zum Teil mit ihren Anforderungen: „The functions of the university professional school lead to a certain amount of ‚structured strain‘ between it and the practicing professionals. The university professional is ever pressing, with increasing knowledge and higher moral standards, on the practicing professional, who has to meet other pressures, [...] from nonprofessional organizations in which he works, but also from other cultural and social interests. Those other pressures may have a legitimacy and a force that the practicing professional feels is equal to the legitimate pressure from his university colleagues. Even when he manages successfully to accommodate the opposed pressures, he is likely to feel a certain resentment against the ‚ivory-tower‘ university professionals whose relatively insulated situation and perspective have dysfunctions as well as functions for the men outside.“ (Barber 1963: 676)
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damit auch der wissenschaftlicher Soziologen, die zusätzlich außerhalb des Wissenschaftsbetriebes tätig sind – schaden.
2.4.2.2 Wechselbeziehungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem außerwissenschaftlichen Beruf in der Soziologie: Selbstwahrnehmung der wissenschaftlichen Soziologen in den Interviewdaten An dieser Stelle möchte ich die Analysen einiger Interviewsequenzen vorstellen, die wechselseitigen Anbindung von wissenschaftlichem und außerwissenschaftlichem soziologischen Beruf vom Standpunkt der akademischen Soziologen explizieren.
Einstellungen der wissenschaftlichen soziologischen Community zu außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten Oben wurde argumentiert, dass diejenigen akademischen Soziologen, die parallel zu ihren akademischen Tätigkeiten außerwissenschaftlich tätig sein wollen, unter einem starken Legitimationsdruck seitens der Gemeinschaft stehen und sogar mit Sanktionen seitens der Community rechnen müssen. Deshalb, so meine These, ist es für diese Soziologen vorteilhaft, wenn es in der Soziologie einen etablierten außerwissenschaftlichen Beruf gibt. Die soziologische Identität derer, die diesen Beruf ausüben wollen, sollte allerdings durch eine starke Anbindung an die Normen und Regeln des wissenschaftlichen Berufs gesichert sein. In der folgenden Interviewsequenz beschreibt [Int02], wie die akademische Gemeinschaft zu ihren Mitgliedern steht, die „viel zu viel“ außerwissenschaftlich (in Beiräten, in der Politikberatung etc.) tätig sind: aber für uns (.) Universitätswissenschaftler (.) ist eigentlich die Politikberatung im Regelfall nichts (.) was uns wissenschaftlich aufwertet (.) eher die (.) die das zu viel machen (.) bei denen muss man immer denken (.) ob die keine richtigen Wissenschaftler sind [...] „der macht zu viele Gutachten“ (.) der macht ja so viel (.) der verdient ja so viel Geld (...) das ist der Neid der Kollegen (.) der natürlich auch eine Rolle spielt (.) es ist gar nicht so (.) dass es immer der Fall ist (.) dass man viel Geld dafür kriegt (.) aber die sagen dann (.) oh der [...] der so viel in Beiräten ist (.) dass er ja gar keine Zeit fürs Forschen haben kann (.) es gibt Vorurteile (.) die Wissenschaftler (.) bei Soziologen gibt es viele (.) die auf diejenigen (.) die mit der Praxis kommunizieren (.) runterblicken (.) und sagen (.) „wir (.) die die Theorie machen (.) wir sind die wahren Soziologen“ (.) [Int02]
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Nach Wahrnehmung von [Int02] teilt die wissenschaftliche Community die Soziologen in zwei Kategorien ein: einerseits die „wahren Soziologen“, die wenig Kontakt zur Praxis pflegen und sich ausschließlich mit der Theorie befassen, und andererseits die anderen (unechten?) Soziologen, die mit der Praxis kommunizieren und daher keine Zeit für die Forschung haben. Die „wahren“ Soziologen sind demnach diejenigen, die im Wissenschaftsbetrieb bleiben und keine Zeit auf außerwissenschaftliche Aktivitäten „verschwenden“. Es geht also für einen Teil der wissenschaftlichen Community nicht um eine Stratifizierung der Soziologie,115 sondern darum zu erkennen, wer die „wahren“ Soziologen sind. Dies unterstellt, dass es für die wissenschaftliche Community nur eine Art von Soziologen geben kann. Diese Einstellung spiegelt sich sehr klar in den Interviews mit meinen externen Interviewpartnern, die (obwohl sie in der Praxis durchaus erfolgreich sind) es offenbar für natürlich und angebracht halten zu sagen, dass es wünschenswerter sei, an der Hochschule zu arbeiten.116 „Wahre“ Soziologen sind also im Wissenschaftsbetrieb tätig, und ihr Ziel ist der theoretische Fortschritt. [Int02] argumentiert in dieser Sequenz außerdem, dass innerhalb der wissenschaftlichen Profession nur die inneren Kriterien aufwertend wirken können. Beschäftigung und Erfolg in den nicht-wissenschaftlichen Bereichen vermögen die innerwissenschaftliche Reputation eines akademischen Soziologen also nicht positiv zu beeinflussen. Außerwissenschaftliche Tätigkeiten können die Reputation117 eines akademischen 115 Dabei könnte man die von Abbott beschriebene innere Stratifizierung einer Profession gut auf die Soziologie anwenden: „Professionals admire academics and consultants, who work with knowledge alone; the public admires practitioners who work with clients.“ (Abbott 1988: 119) 116 Siehe z.B. die folgende Interviewsequenz, in der die Entscheidung, in die Wirtschaft zu gehen, nur durch die höhere Gewalt des Arbeitsmarktes erklärt wird: „ach wenn man mir eine Stelle angeboten hätte (.) es gab keine Stellen = Anfang der 80er Jahre gab=s keine Stellen. /Z: Ja, klar, also die Zeit war [...]/ I: das war so=n äh (.) Boom an Absolventen da: (.) wenn mir da jemand noch (?ne)/ ich hab ja in [Stadt] das gemacht = ich hab ja zweieinhalb Jahre in [Stadt] an der Hochschule noch als (.) Wissenschaftler gearbeitet (.) und hätte man mir dort noch andere Jobs angeboten oder so dann hätte ich da sicherlich meine Dissertation gemacht und weiter gemacht (.) nur die gab’s nicht (.) also in dem Sinne äh ist es immer ne Frage was der Markt bietet“ [Ext 05] 117 Wichtig ist an dieser Stelle die grundsätzliche Möglichkeit, dass die professionelle Reputation aufgrund außerwissenschaftlicher Tätigkeiten leidet. Es soll nicht darauf eingegangen werden, dass die Verurteilung und auch die Reaktion darauf den Regeln des inneren wissenschaftlichen Berufs folgen, also nicht formalisiert sind. Es wird mit vagen Kategorien, etwa einer falschen Zeitaufteilung, gearbeitet, und die Anschuldigungen werden auf eine Art zurückgewiesen, die zeigt, dass sie nicht als allge-
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Soziologen aber durchaus negativ beeinflussen. Sie können dazu führen, dass die soziologische Gemeinschaft die Wissenschaftlichkeit der akademischen Arbeit des außerwissenschaftlich Tätigen anzweifelt. Zwar erfolgt die negative Kritik im von [Int02] geschilderten Fall über die Zeitaufteilung, die es angeblich nicht erlaubt, wissenschaftliche Leistungen zu erbringen. Im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen „wahren“ und „unechten (?)“ Soziologen wird jedoch klar, dass außerwissenschaftlichen Tätigkeiten von Anfang an die soziologische Relevanz abgesprochen wird. Die Selbstwahrnehmung der Soziologie scheint mit der Selbstwahrnehmung der akademischen Community gleichgestellt zu werden. Die Vagheit, Unformalisierbarkeit der Einschätzungskriterien – „zu viel“ „in Beiräten“ sein oder „zu viel“ Politikberatung machen – deuten darauf hin, dass dies nur eine Legitimation einer per se negativen Wahrnehmung ist. Im Prinzip geht es darum, dass die Community strikt trennt zwischen „Soziologe“ und „kein Soziologe“. Auf diejenigen, die sich nicht nur mit der Theoriebildung beschäftigen, wird „runtergeblickt“.
Etablierung eines außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs für die Sicherung des wissenschaftlichen Fortschrittes In der folgenden Sequenz aus dem Interview mit [Int24] wird ein Ansatzpunkt dafür umrissen, Praxisbezüge aus der wissenschaftlichen Soziologie heraus zu etablieren, und die vielfältigen Vorteile solcher Bezüge vor allem für die wissenschaftliche Profession diskutiert. Weiterhin wird auf die Frage der Praxisbezüge im Kontext der soziologischen Ausbildung und damit auf die Zukunftssicherung der Studierenden eingegangen: I: I: ich meine wenn/ zwischendurch können Sie ja dann also auch nach so was noch mal fragen ja (.) also (.) jetzt direkt zu (.) Ihrer Arbeit Ihrem Thema (.) also vor diesem Hintergrund was ich so (.) kurz nur an äh gedeutet hab (.) also hat mich natürlich von Anfang an hier (bewegt) (.) also zu versuchen (.) das hört sich erst mal abstrakt an (.) also Theorie und Praxis also zu/ miteinander zu verbinden aufeinander zu beziehen (.) und das (.) also in viel(.)fältiger Weise (.) was ich immer noch sehr (.) wichtig finde (.) diese (.) Soziologie (.) ist angetreten (.) unter anderem also hier in Bielefeld mit dem Grundsatz der aktiven Professionalisierung (.) viele kennen das nicht gar/ nicht mehr (.) und/ und (.) äh einige halten das irgendwie: nur für eine Vokabel = ich finde das was ganz Wichtiges (.) wenn man versucht (.) sich zu überlegen (.) wie man so was tagtäglich vor allen Dingen natürlich im Interesse der Studierenden (.) entwickelt (.) praktiziert (.) und ich meine da (.) äh: (.) ein paar weitere Stichworte meingültig wahrgenommen werden (z.B. ihre Erklärung mit dem „Neid“ der Kollegen).
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dazu um den Rahmen so anzudeuten (.) also das hieße (.) zum Beispiel so eins der Forschungs- Wissenschaftskonzepte (.) (ich weiß) ein bisschen hochgestochen (also) zu entwickeln (.) wo man jetzt Erkenntnisprozess (.) und Umsetzungsprozess (.) also Forschung (.) und Transfer (.) und Beratung versucht zu verzahnen und verzahnen in dem Sinne (.) das sind natürlich (.) also völlig unterschiedliche (.) was weiß ich Systeme mit völlig unterschiedlichen Arbeitsweisen und Anforderungen (.) also Praxis(.)betriebe (.) äh Organisationen und Wissenschaft (.) aber zum Beispiel (.) eine ganz wichtige Voraussetzung für Wissenschaftler grade also auch eben für Soziologen (.) ist wenn man das jetzt auf einen (.) Erkenntnisprozess bezieht (.) also (.) woher nehmen wir eigentlich (.) unsere Fragestellungen (.) woher wissen wir eigentlich was (.) relevant ist (.) ich meine wir können uns ja wirklich nicht (.) so sicher sein und nur uns darauf verlassen was in den Büchern schon steht (.) und in dem Sinne meine ich schon (.) auch (.) jetzt (.) bei der Definition (.) von Forschungsfragen (.) von Fragestellungen (.) ist es wichtig (.) das auch schon (.) jetzt (.) also in Auseinandersetzung (.) bewusster Auseinandersetzung auch mit der Praxis (.) äh zu tun (.) weil ich nämlich große Zweifel hab ob das überhaupt oder (.) zumindestens immer so stimmt wenn (.) Wissenschaft für sich in Anspruch nimmt eine Vorlauffunktion vor der Praxis zu haben (.) da bin ich mir nämlich nicht so sicher aber (.) in vielen (.) Fragen die auch grade (.) jetzt wissenschaftlich sehr relevant sind ist Praxis weiter [Int24]
Auffällig ist der metadiskursive Kommentar „das hört sich erst mal abstrakt an“, mit dem [Int24] die Formulierung „Theorie und Praxis also zu/ miteinander zu verbinden“ einleitet. Warum reflektiert [Int24] darüber, wie sie sich anhören mag? Warum verwendet er sie, wenn er sie für problematisch hält? [Int24] weiß, wie jemand, der it der internen soziologischen Debatte über die Anwendung soziologischen Wissens vertraut ist, auf die Formulierung „Theorie und Praxis miteinander verbinden“ reagiert, wie normativ und abstrakt sie klingt. Dennoch wählt er diesen Ausdruck, um seine Beweggründe in der Lehre zu formulieren. Obwohl es sich um eine gängige Formulierung handelt, zeigt [Int24] Unsicherheit darüber, welches Verb in diesem Zusammenhang angemessen ist: „miteinander zu verbinden“ oder „aufeinander zu beziehen“. Die „Verbindung“ der beiden Bereiche scheint ihm nicht auszureichen; die Art der Verbindung muss spezifiziert werden. Der Ausdruck „aufeinander zu beziehen“ verleiht dieser Tätigkeit mehr Inhalt, da er die Verbindung nicht als rein technische fasst, sondern wechselseitige Bezüge118 unterstellt. [Int24] behauptet, dass dieses Prozess „in vielfältiger Weise“ erfolgen soll und kann. Diese Deklaration von Vielfältigkeit, die nicht aufgeschlüsselt wird, ist eine Strategie, um das Abstrakte an die118 In einer anderen Interviewsequenz spricht [Int24] von „Praxisbezügen“; hier geht es entsprechend um Wissenschaftsbezüge?
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sem Konzept zu kaschieren. Der diesbezüglichen Politik der Bielefelder Soziologiefakultät wird der „Grundsatz der aktiven Professionalisierung“ zugeschrieben. Daraus lässt sich das Professionalisierungskonzept von [Int24] erschließen: Professionalisierung erfolgt durch die wechselseitige Anbindung von Wissenschaft und Praxis. Professionalisierung bedeutet für ihn allerdings nicht die Autonomisierung eines außerwissenschaftlichen Berufs, sondern eine Entwicklung der Forschungsprozesse in Richtung ihrer möglichen Umsetzung. Das wurde auch in der zuvor analysierten Interviewsequenz ausführlich dargestellt. Das Professionalisierungskonzept der Bielefelder Soziologiefakultät besteht nach [Int24] darin, „Theorie und Praxis“ aufeinander zu beziehen. Woraus lässt sich schließen, dass Professionalisierung die Erstellung von Praxisbezügen in der akademischen Profession erfordert? Zu welcher Profession soll nach einem solchen ein Konzept professionalisiert werden. [Int24] spricht zuerst seine eigene Motivation an, „Theorie und Praxis“ miteinander zu verbinden, dann erwähnt er das Konzept der Fakultät. Da man unter der Bielefelder Soziologiefakultät grundlegender die akademische Disziplin versteht, insbesondere wenn sie vom Grundsatz der „aktiven Professionalisierung“ bewegt wird, verbindet man „diese Soziologie“ in erster Linie mit der „Theorie“ aus dem ersten Ausdruck. Allerdings spricht [Int24] an dieser Stelle von einer Soziologie, die (noch) keine Profession ist, also von der akademischen Disziplin. Es geht nicht darum, zwei existierende Systeme miteinander zu verbinden, sondern durch den Aufeinanderbezug von Theorie und Praxis eine soziologische Profession erst zu etablieren. Jedoch kann von einer Autonomie dieser Profession, vor allem von einer eigenständigen Basis für eine soziologische Identität innerhalb dieser Profession, nicht die Rede sein. Dieses Konzept wird jedoch zögerlich dargestellt. [Int24] meint, dass viele Kollegen den angesprochenen ehemaligen Grundsatz der (Bielefelder?) Soziologie, die „aktive Professionalisierung“, heute nicht mehr „kennen“. Dabei bezieht er sich auf die Professionalisierung als Politik der Fakultät, nicht als prinzipielle Möglichkeit. Einige, die diese Idee kennen, nehmen sie nicht ernst, „halten das irgendwie: nur für eine Vokabel“. „Eine Vokabel“ ist etwas Ideologisches, etwas, das deklariert, aber nicht verwirklicht wird oder werden kann. Wenn man dieses Konzept als Ideologie versteht, könnte man annehmen, das Streben nach „aktiver Professionalisierung“ sei erklärt worden, um ein bestimmtes Bild der (Bielefelder) Soziologie zu erzeugen: eine Soziologie, die nicht im Elfenbeinturm eingeschlossen sein möchte, sondern nach Themen in der Praxis sucht, Anregungen aus der Praxis nicht abweist und auch die 186
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Möglichkeit der praktischen Anwendung des in der Soziologie erworbenen Wissens nicht ausschließt. Dies scheint heute jedoch, so [Int24], für einige Fakultätsmitglieder nicht mehr wichtig zu sein. „Aktive Professionalisierung“ ist jedoch keine grundlegende Bedingung für die Existenz der Soziologie, sonst würde [Int24] nicht so viel Wert darauf legen zu erklären, warum sie oder der Aufeinanderbezug von Theorie und Praxis „ganz wichtig“ ist. Obwohl – oder auch weil – dies so wichtig ist, beginnt [Int24] nicht direkt mit Vorschlägen zu seiner Verwirklichung. Er bemerkt, dass man „überlegen“ müsse, „wie man so was tagtäglich vor allen Dingen natürlich im Interesse der Studierenden“ entwickelt und praktiziert. Das Verb „überlegen“ deutet darauf hin, dass es kein etabliertes Verfahren für die routinierte Herstellung von Praxisbezügen gibt. Wenn 30 Jahre nach der Gründung einer Fakultät, die sich von Anfang an auf aktive Professionalisierung orientiert hat, immer noch „überlegt“ werden muss, wie dies „tatsächlich“ „praktiziert“ werden kann, muss man annehmen, dass die so verstandene Professionalisierung in der Disziplin (zumindest in dieser Fakultät) nicht vorangetrieben wurde. Als ein Beispiel für den Aufeinanderbezug von Theorie und Praxis nennt [Int24] eine „Forschung“, die so konzipiert werden muss, dass sie Praxisbezüge ermöglicht. Es müssen spezifische „Wissenschaftskonzepte“ entwickelt werden, die prinzipiell die Möglichkeit vorsehen, die wissenschaftlich erzeugten Ergebnisse der Soziologie auch in der außerwissenschaftlichen Praxis umzusetzen. Erst dadurch wird die Soziologie professionalisiert. In seinen weiteren Ausführungen ersetzt [Int24] den Ausdruck „Praxis“ aus der Formulierung „Theorie und Praxis [...] aufeinander zu beziehen“ durch den Begriff „Umsetzungsprozess“, „Theorie“ durch „Erkenntnisprozess“. Eine Verzahnung erfolgt dadurch, dass im Rahmen der forscherischen Aktivitäten Kommunikation mit der Praxis stattfindet. Die beiden Begriffe „Erkenntnisprozess“ und „Umsetzungsprozess“ werden dann synonym für „Forschung“ und „Transfer und Beratung“ verwendet und dadurch aufgeschlüsselt. So erschließt sich die Bedeutung dieser Begrifflichkeiten. „Transfer und Beratung“, die dem Konzept der Umsetzung von [Int24] entsprechen, sind also die Aufgaben, die eine neue, praxisorientierte Subdisziplin der Soziologie wahrnehmen sollte. Das Verb „verzahnen“ weist ferner darauf hin, dass es nicht nur wesentlich ist, wechselseitige Bezüge herzustellen (die auch lose sein könnten), sondern unterschiedliche „Systeme“ enger miteinander zu verbinden. Es werden drei Systeme genannt: „Praxisbetriebe Organisationen und Wissenschaft“. Man muss die „völlig unterschiedlichen Ar187
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beitsweisen und Anforderungen“ dieser Systeme zusammenbringen. Diese Integration gehört zu dem neuen Wissenschaftskonzept, das entwickelt werden muss. Das ist also eine Aufgabe der „aktiven Professionalisierung“. Wenn man die von [Int24] benutzten Begriffe auflistet, sieht die Arbeitskette, die die Soziologie repräsentiert, folgendermaßen aus: Theorie – Erkenntnisprozess – Forschung – Wissenschaft. Wenn man Praxisbezüge von der theoretischen Disziplin aus herstellt, wenn man den Erkenntnisprozess mit dem Umsetzungsprozess verbindet, wenn man die Forschung mit Transfer und Beratung verzahnt – gestaltet man aktive Professionalisierung. Die Notwendigkeit einer solchen Verzahnung wird dadurch motiviert, dass die wissenschaftliche Soziologie heutzutage Gefahr laufen könnte, die „relevant(en)“ „Fragestellungen“ zu verfehlen, wenn sie nicht in einem engen Kontakt mit der Praxis steht. Aus dem bereits erworbenen theoretischen Wissen kann die Soziologie, so [Int24], keine Anreize für weitere Forschungen beziehen. Dies sind die Motivationen eines akademischen Soziologen, einen Beitrag zur aktiven Professionalisierung der Soziologie, d.h. zur Herausbildung außerwissenschaftlicher, aber an die wissenschaftliche Profession angebundener soziologischer Berufe zu leisten. Durch die Bedeutung dieser Tätigkeiten für die Weiterentwicklung der Wissenschaft wird ein zwingender Bezug zur wissenschaftlichen Profession aufgebaut. Mit dem Ausbildungsbezug greift [Int24] einen weiteren Aspekt auf, der einem außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf nicht nur für die Weiterentwicklung der Wissenschaft, sondern auch für die Zukunftschancen der Soziologieabsolventen Bedeutung verleiht. Die Herstellung von Praxisbezügen der wissenschaftlichen Soziologie erfordert allerdings eine tiefgreifende Veränderung der Selbstwahrnehmung der Disziplin.
Außenlegitimität als Motiv für die Anbindung des außerwissenschaftlichen Berufes an die wissenschaftliche Soziologie Ein weiterer Grund für akademische Soziologen, die Etablierung eines außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs zu begrüßen, ist, wie die folgende Sequenz aus dem Interview mit dem selben Interviewpartner [Int24] zeigt, das Bedürfnis nach Außenlegitimität der wissenschaftlichen Soziologie, die durch einen Außenbezug gefördert würde. Im folgenden Interviewausschnitt werden Wechselwirkungen von Soziologie und Praxis sowie die Gewinne, die daraus für beide Seiten entstehen könnten, beschrieben:
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aber zum Beispiel (.) eine ganz wichtige Voraussetzung für Wissenschaftler grade also auch eben für Soziologen (.) ist wenn man das jetzt auf einen (.) Erkenntnisprozess bezieht (.) also (.) woher nehmen wir eigentlich (.) unsere Fragestellungen (.) woher wissen wir eigentlich was (.) relevant ist (.) ich meine wir können uns ja wirklich nicht (.) so sicher sein und nur uns darauf verlassen was in den Büchern schon steht (.) und in dem Sinne meine ich schon (.) auch (.) jetzt (.) bei der Definition (.) von Forschungsfragen (.) von Fragestellungen (.) ist es wichtig (.) das auch schon (.) jetzt (.) also in Auseinandersetzung (.) bewusster Auseinandersetzung auch mit der Praxis (.) äh zu tun (.) weil ich nämlich große Zweifel hab ob das überhaupt oder (.) zumindestens immer so stimmt wenn (.) Wissenschaft für sich in Anspruch nimmt eine Vorlauffunktion vor der Praxis zu haben (.) da bin ich mir nämlich nicht so sicher aber (.) in vielen (.) Fragen die auch grade (.) jetzt wissenschaftlich sehr relevant sind ist Praxis weiter (.) nicht in der Form (.) äh wie wir da rangehen aber äh (.) ja (.) und darum (.) find ich das diese (.) wechselseitigen Bezüge (.) ganz wichtig (.) und der nächste Schritt wäre dann schon (.) schon im Forschungsprozess (.) auch (.) Zwischenergebnisse (.) rückzukoppeln (.) nicht erst warten bis nach drei Jahren (.) dann irgendwann (.) n Forschungsbericht vorliegt der sowieso nicht für Praktiker (.) formuliert sein kann (.) aber (.) was oft eben dazu führt dass er eben also auch nur im Wissenschaftsbetrieb bleibt obwohl da vielleicht (.) öfter als einige meinen Erkenntnisse drin sind (.) die auch für (.) äh ja die sogenannten Praktiker wichtig sind aber so einfach nicht sich von selbst umsetzen (.) so also das ist so grob (.) also das Konzept das kann ich nachher noch n bisschen mehr erläutern und das letzte noch so (.) anzudeuten (.) das immer auch jetzt versucht (.) äh (.) auf die Lehre zu übertragen da lag mir (.) besonders dran (.) und das sind so Formen dass man sagt so (.) diese ganzen (.) das hängt natürlich mit meiner Biographie zusammen aber nicht nur = auch mit diesem Forschungsverständnis (.) mit dieser wechselseitigen Verzahnung (.) also: (.) äh (.) ich hatte genügend (.) Betriebskontakte (.) Betriebszugänge (.) das heißt (.) also (.) ich hab sehr viel Praktika vermittelt [Int24]
Der Bezug, den [Int24] zwischen der wissenschaftlichen Soziologie und der Praxis herstellt, zielt darauf zu zeigen, dass es der Soziologie ohne den praktischen Bezug nicht nur an empirischem Wissen fehlt, das sie in ihren theoretischen Überlegungen verwenden könnte, sondern sogar an der Erkenntnis, was es überhaupt zu erforschen gilt. Die Wissenschaft muss nach Ansicht des Interviewpartners die eigene Selbstwahrnehmung in Bezug auf die Praxis und auch ihre Einstellung zu den Praxiskontakten ihrer Angehörigen hinterfragen. Das wissenschaftliche Wissen über die Praxis muss als nur eine der möglichen Formen des Wissens wahrgenommen werden. Die Wissenschaft kann nicht für sich in Anspruch nehmen, „in vielen (.) Fragen die auch grade (.) jetzt wissenschaftlich sehr relevant sind“, ein umfassenderes Wissen
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zu haben als Praktiker. Im Gegenteil muss sie sich das fortgeschrittene und praktisch relevante Wissen durch Praxisbezüge aneignen. Es ist also nicht nur die Praxis, die vom Bezug zur Wissenschaft profitieren könnte; auch die Wissenschaft muss sich durch Praxisbezüge weiterentwickeln, so [Int24]. Zunächst spricht [Int24] von der Entwicklung neuer Wissenschaftskonzepte zur Verknüpfung von Erkenntnisprozess und Umsetzungsprozessen. Dann folgt in seiner Argumentation eine Reformation der Selbstwahrnehmung der Disziplin bezüglich des eigenen Wissens und dessen der Praktiker. Schließlich muss die Zeitplanung von wissenschaftlichen Forschungsprojekten reformiert werden. [Int24] spricht davon, Zwischenergebnisse an die Praxis rückzukoppeln, was den Verlauf wissenschaftlicher Forschungsprojekte restrukturiert. Wissenschaftler müssten also die Gewohnheit aufgeben, zuerst alle Ergebnisse zusammenzustellen, sie ruhen zu lassen und erst nach einiger Zeit einen Bericht zu formulieren, und sie müssten bedenken, dass Berichte, die im Wissenschaftsbetrieb formuliert werden, außerhalb des Wissenschaftsbetriebs möglicherweise nicht verstanden werden. Der Vorschlag, schon Zwischenergebnisse an die Praxis rückzukoppeln, zeigt, dass [Int24] nicht die eigentlich im Wissenschaftsbetrieb vorgesehenen Ergebnisse für die hält, die für die Praxis – vor allem zeitnah – relevant sein können. Der Hinweis, Nicht-Wissenschaftler seien häufig nicht in der Lage, einen Forschungsbericht zu verstehen, weil „der sowieso nicht für Praktiker (.) formuliert sein kann“ weist auf festgelegte Regeln des wissenschaftlichen Berichtschreibens hin, die befolgt werden müssen. Es ist also nicht so, dass Soziologen einfach nicht in der Lage oder nicht bereit sind, einen Bericht zu verfassen, den auch Praktiker verstehen. Vielmehr sind der Wissenschaftsbetrieb und die Forschung so organisiert, dass sie eine Möglichkeit zum Austausch mit der Praxis nur formell vorsehen. Das, was letztlich in Büchern veröffentlich wird, hat für die Praxis bereits an Aktualität verloren, was jedoch die wissenschaftliche Bedeutung dieser Ergebnisse nicht in Frage stellt. Die Praxis hat aus organisatorischen Gründen Vorsprung vor der Wissenschaft: Das Wissen der Praktiker muss nicht all die formellen Wege gehen wie die wissenschaftlichen Forschungserkenntnisse, um als bestätigtes Wissen öffentlich gemacht werden zu können. Was bei einer solchen Restrukturierung der Soziologie für die Wissenschaftler selbst problematisch sein könnte, ist das Konzept der „Zwischenergebnisse“. „Zwischenergebnisse“ unterstellen ein Wissen, das zwar wissenschaftlich erworben wurde, aber noch nicht bestätigt ist, zumindest nicht nach den geltenden Regeln der Wissenschaft. Dieses 190
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vom Standpunkt der Wissenschaft noch nicht ausgereifte Wissen stellt [Int24] als das einzig relevante Wissen dar, das der Öffentlichkeit frühzeitig präsentiert werden sollte, ehe das Interesse an einer bestimmten Forschung daran verloren geht. [Int24] hält es für wichtig, dass die soziologischen Ergebnisse in den außerwissenschaftlichen Kontexten anerkannt werden und für die Praktiker relevant sind. Man kann daraus schließen, es ginge dem [Int24] um die Außenlegitimität der Soziologie. Diese bedeutet für ihn jedoch nicht die Autonomisierung eines außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs mit eigenen Regeln der Zeiteinteilung, Berichterstattung usw., sondern eine institutionelle Eröffnung der Möglichkeit für akademische Soziologen, zugunsten der Praxisrelevanz von den etablierten akademischen Regeln abzuweichen. Wodurch ist das Bedürfnis nach Außenlegitimität zu erklären? [Int24] sieht die Tatsache, dass das für Praktiker relevante Wissen aus systemischen Gründen nicht-anschlussfähig bleibt, als problematisch. Die fehlende Außenlegitimität kommt in dieser Sequenz auf zwei Arten zum Ausdruck. Erstens wird hier unterstellt, dass nicht jeder Bericht für Praktiker relevantes Wissen enthält. Zweitens wird aber auch unterstellt, dass viele (Praktiker) der Ansicht sind, Soziologen könnten kaum etwas produzieren, was für „die so genannten Praktiker wichtig“ ist, und darum die Berichte nicht lesen. Diese Lage erfordert eine Reformierung. Die Frage ist aber: Warum müssen die Berichte, die einen praktischen Wert haben, überhaupt nach außen präsentiert werden? Die Antwort ist, dass das Nicht-Präsentieren dieses Wissens eine Vergeudung von Ressourcen darstellt, die nur dadurch zustande kommt, dass in der Selbstwahrnehmung der Soziologie die Anschlussfähigkeit nach außen keine Relevanz hat. [Int24] hält es für wichtig, zwecks rationeller Nutzung von Ressourcen die Selbstwahrnehmung der wissenschaftlichen Soziologie zu verändern, was zwangsläufig zu ihrer Außenlegitimität beiträgt. Deswegen werden die Bezüge zwischen dem wissenschaftlichen Beruf und der Praxis als essentiell dargestellt und nicht die Abkopplung der Berufssoziologie.
Wechselbeziehungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem außerwissenschaftlichen Beruf in der Soziologie: Selbstwahrnehmung der wissenschaftlichen Soziologen. Zusammenfassung Zum Begriff der identitätsstiftenden Referenz, der bisher nur am Rande beleuchtet wurde, sollen (abschließend) einige zusammenfassende Überlegungen eingeführt werden. Der Begriff bezieht sich auf die von einem Teil der akademischen Gemeinschaft geforderte enge Ver191
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bindung zwischen den wissenschaftlichen und den außerwissenschaftlichen soziologischen Berufen, die wissenschaftliche Soziologie mit ihren internen Regeln und Qualitätskriterien zur Referenz(-disziplin) für außerakademische Soziologen aufbaut. Die wissenschaftliche Soziologie erachtet es als notwendig, die Außenlegitimität der (wissenschaftlichen) Soziologie zu fördern, da sie aufgrund ihrer fehlenden Außenlegitimität einfacher als viele andere Disziplinen/Professionen von Nicht-Professionellen in Frage gestellt werden kann. Das ist u. a. dadurch bedingt, dass sie mit anderen Professionen und dem Alltagsverstand um ihren Gegenstand konkurriert. Aus ihrer thematischen Nähe zum Alltag resultiert eine Angreifbarkeit, die sich von der bei immer mehr Professionen in der Wissensgesellschaft auftretenden Angreifbarkeit durch Nicht-Professionelle (Stichweh 2005) unterscheidet. Ein weiterer Teil des Legitimationszwangs entsteht aus dem „Kostendruck [...] einer Öffentlichkeit“ (Hirsch-Kreinsen 2003: 262) dar,119 also der Notwendigkeit, die eigene Effizienz zu zeigen. Ein etablierter, gut funktionierender außerwissenschaftlicher Beruf, dessen Dienstleitungen anerkannt und nachgefragt werden, könnte der Soziologie diese Außenlegitimität verschaffen. Allerdings muss der außerwissenschaftliche Beruf, um zur Außenlegitimität der wissenschaftlichen Soziologie beizutragen, eng an diese angebunden sein. Außerdem lässt die Selbstwahrnehmung der wissenschaftlichen Community außerwissenschaftliche Tätigkeiten ihrer Mitglieder nur zögernd zu. Damit diejenigen, die außerwissenschaftlichen Tätigkeiten nachgehen, nicht mit Sanktionen120 seitens der Community rechnen zu 119 Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass es in der Community deutliche Stimmen gegen eine Anbindung der beiden Berufe gibt, weil man sich dem Kostendruck nicht aussetzen möchte mit der Begründung, dass die Orientierung auf den Wahrheitskode als Grundlage des wissenschaftlichen Arbeitens mit dem in den außerwissenschaftlichen bereichen existierenden Kostendruck nicht kompatibel sei. Siehe dazu auch das von Weingart skizzierte Konzept der De-Professionalisierung als AußerKraft-Setzen der autonomen, „Wahrheitserzeugung garantierenden Mechanismen“ durch die Politisierung der Wissenschaft (1983: 238); siehe dazu auch Daele/Krohn (1982: 421). Zum Arbeiten mit dem Wahrheitskode siehe z.B. Luhmann (1990), Dewe (1991: 42) u.a. 120 Derzeit wird in der Selbstwahrnehmung der Soziologie noch deutlich unterschieden zwischen der Soziologie als gelehrter und der Soziologie als beratender Profession (z.B. Beck 1985: 118). Die gelehrte Profession orientiert sich an den Kollegen. Wenn sich einer ihrer Repräsentanten mit praxisrelevanten Themen beschäftigt, ist ihm nach wie vor die Meinung der wissenschaftlichen Community über seine Arbeit am wichtigsten. Die „beratende“ Profession ist darauf ausgerichtet, für eine vielfältige Klientel praktische Dienste zu leisten. Zwischen den Grundprinzipien der beiden Professionen werden starke Spannungen vermutet. Beck schreibt:
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müssen, muss der außerwissenschaftliche Beruf so an die wissenschaftliche Tätigkeit angebunden ist, dass seine Ausübung die wissenschaftlichen Kompetenzen der professionellen Soziologen nicht in Frage stellt. Damit soll es möglich sein, auch bei der Ausübung außerwissenschaftlicher Tätigkeiten eine soziologische Identität zu bewahren. Einige wissenschaftliche Soziologen sehen es als ihre Pflicht, das soziologische Wissen nach außen zu kommunizieren. Sie sehen in der auf der Selbstwahrnehmung der wissenschaftlichen Soziologie beruhenden künstlichen Abschottung eine Verschwendung von Ressourcen, weil für die außerwissenschaftlichen Bereiche relevante soziologische Ergebnisse nicht nach außen kommuniziert werden, da dies nicht als Aufgabe der Soziologie gesehen wird. Eine weitere Motivation der wissenschaftlichen Soziologen dafür, soziologisches Wissen nach außen zu kommunizieren, besteht darin, die aufklärerische Funktion der Soziologie wahrzunehmen.121 Neben den genannten Gründen für die Etablierung eines außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs befürworten die akademischen Soziologen diese auch aus ihrer Position als Lehrende, um Verantwortung für die berufliche Zukunft ihrer Studierenden zu übernehmen. Soll aber die Soziologie nach Außen kommuniziert werden zw. sollen die Soziologen außerhalb des Wissenschaftsbetriebes arbeiten, so muss gewährleistet werden, dass die wissenschaftlichen Qualitätsstandards etc. in den außerwissenschaftlichen Tätigkeiten eingehalten werden. Die wissenschaftliche Soziologie wird zu einer Referenz für die außerwissenschaftliche Soziologie aufgebaut.122 Es stellt sich allerdings die Frage, ob akademische Soziologen überhaupt Einfluss auf die Herausbildung eines außerwissenschaftlichen Berufs nehmen können oder ob sich ein solcher Beruf nicht vielmehr aufgrund der Nachfrage aus der Praxis herausbildet und herausbilden sollte. Ein Beitrag der wissenschaftlichen Soziologie dazu kann nur darin bestehen, die vorhandenen außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten zu systematisieren und dafür eine soziologische Identität zu stif„Die Praxisorientierung, so wie sie bisher verstanden wurde, scheint in eine paradoxe Situation hineinzuführen, in der Anwendung von Soziologie nur unter Verzicht auf Soziologie möglich ist.“ (Beck 1985: 138) 121 Siehe dazu z.B. Janowitz (1973: 130), Beck (1985: 143). 122 In der wechselseitigen Anbindung der beiden Berufe sieht z.B. Nicolai die einzige Möglichkeit, die Wissenschaft von ihrem Gegenstand zu emanzipieren: „Auch anwendungsbezogenes Wissen muß anschlußfähig sein an das kommunikative Netzwerk der wissenschaftlichen Kommunikation. Nur so kann sich die Wissenschaft von ihrem Gegenstand emanzipieren und ihm andere Strukturen anbieten als die, die bisher benutzt worden sind.“ (Nicolai 2003: 128)
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ten. Dies kann geschehen vor allem im Ausbildungsprozess, wenn die Vermittlung möglicher Berufsbilder ins Zentrum des Interesses gestellt wird. Wie oben schon beschrieben, werden derzeit Versuche unternommen, einen Dachbegriff für die außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten zu entwickeln. Dabei geht es in erster Linie darum, die existierenden Tätigkeiten zu systematisieren, eine gemeinsame Identität und Qualitätskriterien zu schaffen sowie die Außenlegitimität und Exklusivität des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs zu etablieren. Derzeit scheint ein weitgehender Konsens zu bestehen, dass Beratung als Dachbegriff geeignet ist. Wie entsteht aber solch ein außerwissenschaftlicher Beruf? Ein solcher Beruf kann nicht allein durch den Willen einer akademischen Gemeinschaft etabliert werden. Auch können die außerwissenschaftlichen Soziologen nicht dazu gezwungen werden, die wissenschaftliche Soziologie als ihre Referenzgruppe anzuerkennen. Dazu müssen sie in einer (verstärkten) Anbindung an die wissenschaftliche Soziologie Vorteile sehen. Da es in der Soziologie keine anderen identitätsstiftenden Organisationen/Instanzen gibt als den inneren wissenschaftlichen Beruf, ist es möglich, dass die außerwissenschaftlichen Soziologen, um ihre Identität zu erhalten, von sich aus einen Bezug zu den Normen und Regeln des inneren wissenschaftlichen Berufs anstreben. Außerdem müssen außerwissenschaftliche Soziologen ihren Klienten die gesicherte Qualität der soziologischen Dienstleitungen nachweisen können, um ihren Beruf zu legitimieren. Da in der Soziologie derzeit nur die inneren wissenschaftlichen Mechanismen der Qualitätskontrolle funktionieren, könnte dies dazu führen, dass die außerwissenschaftlichen Soziologen sich verpflichtet fühlen, den internen wissenschaftlichen Qualitätskriterien zu entsprechen. Im nächsten Abschnitt wird darauf eingegangen, inwiefern und warum die außerwissenschaftlichen Soziologen vor allem im Hinblick auf Identitätsbildung die Anbindung an die wissenschaftliche Profession pflegen.
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2.4.3 Wechselbeziehungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem außerwissenschaftlichen Beruf in der Soziologie. Wissenschaftliche Soziologie als Referenz für außerwissenschaftliche Soziologen. Perspektive der außerwissenschaftlichen Soziologen 2.4.3.1 Wissenschaftliche Soziologie als Referenz für außerwissenschaftliche Soziologen. Perspektive der außerwissenschaftlichen Soziologen. Schriftlicher Diskurs Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass es sich – zumindest nach der Selbstbeschreibung der Soziologie im inneren Diskurs – bei den außerwissenschaftlichen soziologischen Kompetenzen um Soft Skills handelt, die in den unterschiedlichsten Praxisbereichen eingesetzt werden. Der Beratungsbegriff deutet darauf hin, dass die Soziologie ihren Klienten, die einen Bedarf an zusätzlichem Wissen bzw. anderen Perspektiven anmelden, soziologisches Wissen anbietet, ohne sich zwangsläufig in ihre internen Angelegenheiten einzumischen. Im Zusammenhang mit der wechselseitigen Anbindung der beiden Professionen stellt sich die Frage, wie soziologisches Wissen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs gewonnen wird und inwiefern die Prozesse der Wissenserzeugung in den beiden soziologischen Berufen kompatibel sind. Behrendt (2003: 330) sieht als primäre Aufgabe aller Sozialwissenschaftler – ob im wissenschaftlichen oder im außerwissenschaftlichen Beruf – die Forschung.123 Was sich aber unterscheidet, ist, ob diese Forschung publik gemacht wird. Bei Marktforschung, Beratung usw. ist dies nicht immer möglich, z.B. aus Zeitmangel,124 oder aus Gründen der Geheimhaltung. Als entscheidenden Unterschied zwischen der wissenschaftlichen und der außerwissenschaftlichen Profession spricht Behrendt Folgendes an: „Der Praktiker muss ein Problem so lösen, dass alle
123 Behrendt unterscheidet nicht zwischen verschiedenen Forschungsarten oder -zielen. Ich greife hier auf die Definition des Forschungsbegriffs von Krohn/Rammert (1985: 413) zurück: Forschung als „die Ausdifferenzierung eines bestimmten, auf Erfindung, Entdeckung, Prognose und Konstruktion gerichteten Handlungstypus“. 124 Zur unterschiedlichen Zeitaufteilung in verschiedenen Forschungseinrichtungen und zum Zeitdruck und Zeitmangel am Beispiel der österreichischen Soziologie siehe Flecker (2003: 361).
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hinterher einigermaßen damit leben können; die Wissenschaft muss dies nicht.“ (Behrendt 2003: 333)125 Die wichtigsten Unterschiede liegen also nicht in der Wissenserzeugung, sondern in ethischen Fragen und in der Zielsetzung der Forschung. Das unterstellt eine Selbstwahrnehmung des außerwissenschaftlichen Soziologen, die sich von der des wissenschaftlichen Soziologen unterscheidet. Außerwissenschaftliche Soziologen müssen akzeptieren, dass die Ergebnisse ihrer Forschung dem Arbeitgeber gehören und u. U. nicht der Fachöffentlichkeit präsentiert werden dürfen. Außerdem ist in der professionellen Ethik die Verantwortung gegenüber den konkreten Klienten einbegriffen. Es ist unklar, ob sich die Grundsätze der forscherischen Aktivitäten in den beiden Berufen unterscheiden. Diese Frage wird im nächsten Abschnitt auf der Basis der Analyse von Interviewsequenzen ausführlich behandelt. Oevermann (1990) behauptet, die Vorgehensweisen der beiden soziologischer Berufe müssten nicht notwendig unterschiedlich sein. Der in seinem Konzept der klinischen Soziologie enthaltene Methodenbezug macht es z.B. möglich, die Unterscheidung zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung zu überwinden. Die Methode der objektiven Hermeneutik soll ermöglichen, auch in der angewandten, praxisorientierten Forschung methodisch so vorzugehen, dass sie für die Theoriebildung ausreichend ist: „Im übrigen zeigt sich von hierher auch, dass die klassische Differenz von Grundlagen- und Anwendungsforschung in der klinischen Soziologie zusammenbricht, denn auch die Grundlagenforschung einer hermeneutisch orientierten strukturalen Soziologie müßte sich in ihrer rekonstruktionslogischen Methodologie über Einzelfallrekonstruktionen empirisch ihres Gegenstandes versichern. Die methodologisch angeleitete Erschließung der Datenbasis unterscheidet sich also in der klinischen Soziologie nicht systematisch zwischen der Grundlagenforschungspraxis und der angewandten, praxisorientierten Forschung. Allenfalls kann es sich um Unterschiede in der Intensität und dem Zeitaufwand des strukturell identischen Vorgehens handeln. Daraus folgt auch, dass die Verbindungen und Austauschbeziehungen zwischen Grundlagen-forschung und angewandter Forschung in der hermeneutisch orientierten Soziologie naturgemäß sehr eng sein müssen und sind. Die praxisorientierte klinische Soziologie wird also zugleich als Operation der Grundlagenfor125 Vgl. dazu auch Peirce: „Die Praxis [...] braucht etwas, worauf sie gehen kann, für sie ist es kein Trost zu wissen, daß sie sich auf dem Pfad der objektiven Wahrheit befindet – sie braucht die aktuelle Wahrheit, oder, wenn sie keine Gewißheit erreichen kann, so braucht sie zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit, d.h. sie muß wissen, daß, wenn auch einige ihrer Unternehmungen fehlschlagen mögen, doch die große Masse derselben gelingen wird.“ (Peirce 1976: 58, zit. nach Dewe 1991: 42)
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schung für die Theoriebildung unmittelbar benutzt werden können.“ (Oevermann 1990: 9)
Oevermann zufolge unterscheiden sich die beiden Berufe dadurch, dass sie verschiedene Aufgaben haben und unterschiedlich institutionell eingebunden sein können. Einen strukturellen Unterschied ihres Wissens sieht er jedoch nicht.126 Die beiden Zitate von Behrendt und Oevermann weisen auf die Möglichkeit hin, dass die Vorgehensweise in den beiden soziologischen Berufen dieselbe bleibt, dass man also in beiden Berufen Forschung betreibt. Bei Oevermann wird auch vorausgesetzt, dass die in der klinischen Soziologie betriebene Forschung der Theoriebildung dienen kann. Somit wird eine wechselseitige Anbindung der beiden soziologischen Berufe vorausgesetzt. Die wechselseitige Anbindung kann allerdings nicht allein durch die forscherischen Vorgehensweisen erfolgen, sie muss auch in die Ausbildung integriert werden. Es gibt in der Soziologie nur eine ausbildende Einheit, und die Ausbildung ist für alle Soziologen die gleiche, unabhängig davon, welchem der beiden Berufe sie nachgehen wollen. Zunächst werden Soziologen in den wissenschaftlichen Beruf hinein sozialisiert. Falls sie einem außerwissenschaftlichen Beruf nachgehen möchten, müssen sie sich sie zusätzlichen erforderlichen Kenntnisse on the job aneignen. Ein Korpus der außerhalb des Wissenschaftsbetriebs benötigten Kompetenzen ließe sich derzeit aufgrund der Heterogenität der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten kaum definieren. Aufgrund der Heterogenität der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten müssten die benötigten Kompetenzen jeweils spezifisch definiert werden, was eine Unifizierung der Ausbildung weiter erschweren (oder unmöglich machen) würde.127 Im inneren soziologischen Diskurs wird häufig thematisiert, dass das Soziologiestudium zum einen dazu befähigen soll, theoretische Vorstellungen von der Gesellschaft zu internalisieren, zum anderen die Fähigkeit zur Reflexion vermitteln soll. Die für die jeweilige Tätigkeit notwendigen Hard Skills können auf der Basis der soziologischen Soft Skills situativ vermittelt werden.
126 In eine ähnliche Richtung geht die Übelegung von Rosenberg (1990: 169, zitiert nach Wingens 2003: 274), man könne aus der Motivation der Forscher und der institutionellen Einbettung der Forschung nicht erschließen, was für ein Wissen erzeugt wird. Deswegen mache die Unterscheidung von Grundlagen- und Anwendungsforschung keinen Sinn. 127 Klima (1976: 85 ff.).
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In diesem Zusammenhang spricht z.B. Oevermann vom „learningby-doing“ (1996: 129). Dies bedeutet für ihn, dass nach der Sozialisation in den wissenschaftlichen Diskurs eine doppelte Professionalisierung erfolgt, die u. a. die „Einübung in die Praxis des Arbeitsbündnisses“ (ibid.) beinhaltet und dementsprechend nur eine Etappe der Ausbildung ist. Diese Etappe hat nicht den Anspruch, die akademische Ausbildung zu ersetzen; diese macht im Gegenteil die doppelte Professionalisierung erst möglich.128 Die soziologische Ausbildung, die bisher auf die Ausübung der wissenschaftlichen Profession ausgerichtet ist, wird demzufolge als notwendige Basis für die Anwendung der Soziologie im außerwissenschaftlichen Betrieb gesehen. Außerdem vermag der Verweis auf die abgeschlossene soziologische Ausbildung den Soziologen eine gemeinsame Identität auch in den außerwissenschaftlichen Bereichen zu sichern. Ein Hinweis darauf, dass die außerwissenschaftlichen Soziologen die Notwendigkeit sehen, ihre soziologische und somit professionelle Identität nicht nur auf der Basis der abgeschlossenen soziologischen Ausbildung zu etablieren, findet sich z.B. darin, dass der außerwissenschaftlichen Forschung Standards gesetzt werden, die es erlauben, sie zur Theoriebildung zu nutzen. Dies vermag einerseits bestimmte Qualitätskriterien der Forschung im außerwissenschaftlichen Bereich zu etablieren. Andererseits bindet es die außerwissenschaftlichen Soziologen zu stark an die wissenschaftliche Profession, denn die Nutzung der Forschung für die Theoriebildung unterstellt, dass sie den wichtigsten Kriterien der Wissenschaftlichkeit entspricht, was allein aufgrund der unterschiedlichen Zeitaufteilung in der wissenschaftlichen und der außerwissenschaftlichen Profession problematisch sein könnte. Außerdem könnte eine Orientierung auf die Normen der Wissenschaft dazu führen, dass die außerhalb des Wissenschaftsbetriebs tätigen, aber zwangsläufig innerhalb des Wissenschaftsbetriebs und mit einer Orientierung auf diesen
128 Eine alternative Auffassung von on-the-job-Lernen besagt, dass die akademische soziologische Ausbildung mit den in der Praxis angeeigneten Kompetenzen inkompatibel und das Aneignen handwerklicher Fertigkeiten als De-Soziologisierung zu betrachten sei. Die in der Praxis erworbenen Kenntnisse könnten, so dieser Ansatz, auch ohne eine allgemeine soziologische Ausbildung angeeignet werden. Kuhl (2004: 8) beschreibt dieses Phänomen als „Doppelleben von Soziologen“: einerseits den Erwerb von in der Praxis nicht verwendbarem theoretischen Wissen und andererseits die selbstständige Aneignung von Praxiswissen, das mit der Soziologie in keinem Zusammenhang steht.
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sozialisierten Soziologen nie in der Lage sein werden, eine außerwissenschaftliche soziologische Identität zu entwickeln.129 Nun soll anhand der Interviewdaten geklärt werden, inwiefern die außerwissenschaftliche Soziologie an die internen Regeln des wissenschaftlichen Berufs gebunden ist, welche Anbindungen an den wissenschaftlichen Beruf sie selbst herstellen, welche davon identitätsstiftend und daher notwendig und welche für den außerwissenschaftlichen Beruf eher störend sind. Außerdem soll der Frage nachgegangen werden, ob die außerwissenschaftlichen Soziologen zugunsten einer eigenen Identität versuchen, Wissenschaftlichkeitskriterien und Regeln des wissenschaftlichen Berufs zu entsprechen, die ausschließlich identitätsfördernd, in Bezug auf ihre Tätigkeiten jedoch belanglos sind. Die Anschlussfähigkeit neu erworbenen Wissens an das kommunikative Netzwerk der wissenschaftlichen Kommunikation (Nicolai, 2003: 128) wird als eine Garantie der Qualität des Wissens, aber auch der funktionierenden wechselseitigen Anbindung der beiden soziologischen Berufe (Oevermann 1990) und damit als identitätsstiftende Grundlage für die außerwissenschaftlichen Soziologen gesehen. Daher muss diese Anschlussfähigkeit präzisiert und die mit der Forderung danach verbundenen Probleme definiert werden. Eine Anschlussfähigkeit erfordert, dass die Forscher auf dem neuesten Wissensstand bleiben und dass sie an ein kommunikatives Netzwerk angeschlossen sind, damit sie ihre eigenen Methoden und Schlüsse überprüfen und einer wissenschaftlichen Qualitätskontrolle unterziehen können. Die Garantie der Qualität und Exklusivität des Wissens ist nicht nur identitätsstiftend, sondern auch in der Kommunikaiton mit Klienten der Soziologie notwendig. Aber die Anschlussfähigkeit des neu erworbenen Wissens an das kommunikative Netzwerk der wissenschaftlichen Kommunikation bedeutet auch, dass das Wissen den Anforderungen des Wissenschaftssystems entsprechen muss. Es muss daher z.B. in der entsprechenden Fachsprache formuliert sein130 und die Kenntnis des Autors über die aktuelle theoretische Diskussion nachweisen. Dies kann nach Aussage meiner externen Interviewpartner aufgrund von Zeitmangel und fehlendem Nutzen dieser Informationen für die Auftraggeber zu einem ernsthaften Problem werden. Die Herstellung der Anschlussfähigkeit des neu erworbenen Wissens an 129 Siehe dazu z.B. Behrendt: „Das einzige Alleinstellungsmerkmal der Soziologie ist die Theorieleistung. Es gibt daneben kein wesentliches Alleinstellungsmerkmal, keine spezifischen Zugänge, die andere Disziplinen nicht zu bieten haben.“ (Behrendt 2003: 332). Siehe auch Kaufmann, der die „Aphorien soziologischen Praxisbezugs“ durch Rekurs auf ein genuin-soziologisches Selbstverständnis zu überwinden glaubt (Kaufmann 1984: 396, zitiert nach Schneider 1985: 155). 130 Zu dem daraus entstehenden Sprachproblem siehe Kap. 3 dieser Arbeit.
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das kommunikative Netzwerk der wissenschaftlichen Kommunikation könnte demnach u. U. dazu führen, dass dieses Wissen nicht mehr an die Praxis anschlussfähig ist.131 Falls die außerwissenschaftlichen Soziologen sich also zugunsten einer soziologischen Identität den Regeln des inneren wissenschaftlichen Berufs anpassen, könnte es passieren, dass ihre Arbeit mit ihrer professionellen Identität nicht kompatibel ist.
2.4.3.2 Wissenschaftliche Soziologie als Referenz für außerwissenschaftliche Soziologen. Perspektive der außerwissenschaftlichen Soziologen. Analyse der Interviewdaten Nun einige empirische Beobachtungen zu den Wechselanbindungen beider soziologischer Berufe.
Verpflichtung zur Veröffentlichung und außerwissenschaftliche Soziologie. Selbstzurechnung zur wissenschaftlichen Soziologie. Theoriebildung und außerwissenschaftliche Soziologie. In der folgenden Interviewsequenz kommen die wechselseitigen Anbindungen, aber auch das Spannungsverhältnis der beiden soziologischen Berufe zum Ausdruck. [Ext05] spricht von seinen im Rahmen einer außerwissenschaftlichen soziologischen Auftragsarbeit gewonnenen Daten. Er unterstellt nicht, dass diese Daten nur für den Arbeitgeber von Interesse sind. Da [Ext05] sich als Soziologe versteht, fühlt er sich verpflichtet, seine Ergebnisse der soziologischen Öffentlichkeit mitzuteilen. Der übliche Mechanismus dafür ist eine Publikation. Das weist darauf hin, dass er als Adressaten seiner Ergebnisse die wissenschaftlichen Soziologen sieht. Über die Publikation wird eine Verbindung zwischen den beiden soziologischen Berufen aufgebaut, vor allem durch die Unterstellung einer Relevanz der im außerwissenschaftlichen Beruf gewonnenen Ergebnisse für wissenschaftliche Soziologen. Damit artikuliert [Ext05] eine Selbstverpflichtung gegenüber der wissenschaftlichen Soziologie. Jedoch wird auch deutlich, dass er sich aufgrund seiner außerwissenschaftlichen Position nicht in der Lage sieht, seine Ergebnisse der wissenschaftlichen Community so zu kommunizieren, dass sie auch wahrgenommen werden. Er zweifelt also nicht daran, dass die Methode, mit der er sein Wissen erworben hat, eine soziologische ist. Sein Problem liegt darin, dass 131 Siehe dazu z.B. Bonß, der argumentiert, wissenschaftliches Wissen sei „vielmehr genau dann praktisch, wenn es als wissenschaftliches unsichtbar wird und im Zuge der Transformation eine andere Identität erhält“ (Bonß 2003: 43).
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er den formalen Regeln der wissenschaftlichen soziologischen Kommunikation nicht entsprechen kann, wenn er weiterhin die Anforderungen der Praxis erfüllen möchte. Darum erklärt er in dieser Interviewsequenz seinen Verzicht auf etwas, was er für wichtig hält, jedoch nicht leisten kann: ich würde mich schwer tun da in einer (.) klassischen deutschen ReviewZeitschrift da sehr viel Aufwand zu betreiben ich würde auch (.) mich zurückscheuen da irgendwo Literatur zu recherchieren (.) ja (.) und da weiß ich nicht ob so etwas akzeptiert würde dass man einfach mal einen kreativen Aufsatz schreibt (.) ohne irgendwie: Belegstellen zu finden die ja auch wissenschaftstheoretisch unsinnig sind denn in ner Welt wo permanent was veröffentlicht wird ist es nur ne Fleißaufgabe (.) irgendwo Belege für irgend etwas zu finden (.) äh das heißt also äh so ein Autor dokumentiert hier nur zwei Sachen dass er sehr fleißig sein kann (.) äh und zweitens dass er ein gewisses Sprachspiel beherrscht (.) meistens geht die Kreativität dieser (?genormten) Beiträge ja gleich gegen Null (.) da sind ja keine eigenständigen großartigen Ideen drin und darauf kann ich gerne verzichten [Ext05]
Die Beschreibung formeller Regeln, die eingehalten werden müssen, um in einer wissenschaftlichen soziologischen Zeitschrift veröffentlichen zu können, dient hier als Beleg dafür, dass diese die Publikation von für die wissenschaftliche soziologische Öffentlichkeit durchaus relevanten Ergebnissen verhindern. Daher weist [Ext05] die Möglichkeit einer solchen Veröffentlichung von sich. Andererseits hält er die Veröffentlichung in so einer Zeitschrift offenbar für durchaus wichtig. Die wissenschaftliche Soziologie scheint aber an den Ergebnissen der außerwissenschaftlichen Soziologen nicht interessiert zu sein. Eine aus der Praxisarbeit entstandene Veröffentlichung, die nur mit empirischem Wissen operiert und kaum Literatur zitiert, würde z.B. nie als wissenschaftliche Publikation wahrgenommen und entsprechend nicht als gleichberechtigt in das Netzwerk des wissenschaftlichen Wissens aufgenommen. In dieser Sequenz zeigt [Ext05] überdies seine Einstellung zu wissenschaftlichen Qualitätskriterien, denen er sich unterwerfen müsste, falls er sein in der Praxis der Soziologie erworbenes Wissen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit präsentieren wollte. Er weiß, dass z.B. die Einbettung von wissenschaftlichen Publikationen in die zeitgenössische theoretische Debatte für die wissenschaftlichen Publikationen wichtig ist und dass man die Forderung danach nicht einfach ignorieren kann. Es fragt sich also, warum [Ext05] diese interne Regel des Publizierens im wissenschaftlichen soziologischen Beruf kritisiert, anstatt über andere Publikationsorgane und Referenzgruppen zu berichten.
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Als außerwissenschaftlicher Soziologe arbeitet [Ext05] mit soziologischen Methoden in der Praxis und kommt zu Ergebnissen, die seiner Meinung nach mitteilungswürdig sind und dementsprechend der (wissenschaftlichen) Soziologie mitgeteilt werden sollten. Mit seiner Kritik an den Regeln des wissenschaftlichen Publizierens kritisiert [Ext05] die Grundlagen der Soziologie als Wissenschaft.132 Er führt eine Unterscheidung zwischen Kreativität und dem Befolgen der formellen Regeln der Wissenschaft ein.133 Beides gleichzeitig scheint für ihn unmöglich zu sein. Die Einbettung der eigenen wissenschaftlichen Arbeit in den zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurs wird als eine sinnlose, den Fortschritt nicht fördernde „Fleißaufgabe“ beschrieben, was unterstellt, dass man dafür keine Kreativität, kein Talent und auch keine Empirie braucht – Zeit und Fleiß reichen also aus, um in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit Anerkennung zu gewinnen. [Ext05] kritisiert an dieser Stelle das Wissenschaftlichkeitskriterium „Einbettung in die zeitgenössische Diskussion“ dadurch, dass er es ad absurdum führt. Da „permanent was veröffentlicht“ würde, könnte man mit genügend Zeit für alles Belege finden. Auch der Zeitfaktor spielt in der Kritik eine Rolle, da jemand, der außerhalb des Wissenschaftsbetriebs forscht, es bei seinem dichten Zeit- und Terminplan nicht leisten kann, sich einen umfassenden Überblick über den jeweils aktuellen Diskurs zu verschaffen. Im Umkehrschluss kann eine Person, die sich im modernen Diskurs „perfekt auskennt“, sich parallel dazu keine zeitaufwändigen empirischen Arbeiten leisten. Die Kritik von [Ext05] daran, die Kenntnis des zeitgenössischen Diskurses unter Beweis stellen zu müssen, hängt eng mit seinem Hinweis zusammen, dass der wissenschaftliche Fortschritt unter dem zu betreibenden Zeitaufwand leidet. Außerdem kann man die Einbettung in die zeitgenössische Diskussion nicht als Garantie für die Qualität eines soziologischen Textes betrachten, da dieses Kriterium die Produktion von Texten ohne Ideen oder Kreativität geradezu fordert, von dem Wissen also, das nach den für [Ext05] relevanten Kriterien von Wissenschaftlichkeit nicht tauglich ist. Der wichtigste Kritikpunkt von [Ext05] ist jedoch, dass das in der Praxis erzeugte Wissen wegen dieser Kriterien prinzipiell keinen Eingang in den innerwissenschaftlichen Diskursen findet (vgl. hierzu die nächste Interviewsequenz). Das deutet darauf hin, dass die außerwissenschaftliche Soziologie keine eigenen Strukturen hat, um den wissen132 Siehe dazu Stichweh (1994). 133 Diese Position von [Ext05] könnte als übertriebener Habitus „Kontrolle ist gut, Fortschritt ist besser“ (Krohn 1986: 68) interpretiert werden, da es schließlich um die Zeitaufteilung zwischen der Überprüfung von Ergebnissen anderer und eigenen wissenschaftlichen Aktivitäten geht.
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schaftlichen und auch den außerwissenschaftlichen Soziologen neu erworbenes Wissen zu präsentieren. Ebenso fehlen Strukturen, in denen sie ihre Kreativität im Aufstellen von Theorien entfalten könnte, ohne auf die Kriterien von Wissenschaftlichkeit achten zu müssen, die sie wegen ihres besonderen klientenorientierten Profils nicht erfüllen kann. Es scheint aber für außerwissenschaftliche Soziologen wichtig zu sein, Theoriebildung zu betreiben und ihre Ergebnisse einer breiteren – wissenschaftlichen wie außerwissenschaftlichen – soziologischen Öffentlichkeit präsentieren zu können. Die Kritik an den internen wissenschaftlichen Evaluationskriterien, kann als Legitimation der Unmöglichkeit verstanden werden, ihnen zu entsprechen. [Ext05] führt zwar ein eigenes Qualitätskriterium ein – die aus der Empirie sich ergebende Kreativität. Diese ist jedoch nicht operationalisierbar und daher als Qualitätskriterium kaum nutzbar.134 Außerdem deutet der implizite Wunsch, das eigene Wissen in eine allgemeine soziologische Diskussion einbauen zu können, ohne deren Qualitätskriterien entsprechen zu müssen, darauf hin, dass die wissenschaftliche Soziologie für [Ext05] eine Referenzgruppe darstellt, der er sich verpflichtet fühlt. Er sieht seine Pflicht darin, der soziologischen Öffentlichkeit und damit (in erster Linie) der Disziplin Wissen zur Verfügung zu stellen, das für sie relevant sein könnte, um so der Vergeudung von Ressourcen entgegenzuwirken. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass [Ext05] nicht in Betracht zieht, dass es vollkommen ausreichend sein könnte, das Wissen ausschließlich für seine Klienten zu erwerben, in seinem Beruf einzusetzen und nicht weiter zu verbreiten. Ein Wissenserwerb, dessen einziger Zweck in der Bearbeitung des Problems eines Klienten liegt, scheint für ihn nicht ausreichend zu sein. Das weist auf eine starke Bindung an den wissenschaftlichen Beruf hin. Diese steht jedoch zum Teil im Konflikt mit seinen beruflichen Tätigkeiten. Noch expliziter kommt dies in der folgenden Interviewsequenz zum Ausdruck: I: [...] wir machen das auch [Theorieentwicklung] wir machen das parallel zu unseren Forschungsprojekten im Bereich [XYZ] dass wir dort theoretische Modelle entwickeln (.) äh da diese aber nicht bezahlt werden (.) muss das ne134 Eine Selbstbeobachtung zeigt, dass es auch mir anfangs schwer fiel, die Beiträge außeruniversitärer Soziologen als wissenschaftlich bzw. zitierwürdig wahrzunehmen, weil sie nicht nach den internen Regeln des Wissenschaftsbetriebs verfasst wurden und auch in kein mir bekanntes soziologisches Relevanzsystem eingebettet waren, so dass man sie nicht als bewährtes und solides soziologisches Wissen wahrnehmen konnte. Sie entsprachen also nicht den etablierten – obwohl nirgendwo festgelegten – Wissenschaftlichkeitskriterien des inneren wissenschaftlichen Berufs.
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benbei herlaufen (.) deswegen ist das sehr viel Aufwand aber natürlich muss man diese theoretische Reflexion machen es geht um (.) soziologische Lerntheorien (.) und äh (.) da arbeiten wir dran aber das kann nur nebenbei erfolgen (.) wir schaffen uns (.) unsere eigene Theorie das stimmt Z: und so was wird nicht bezahlt jetzt? I: nein (.) nein also (.) die Auftraggeber in den Bereichen wollen weniger Theorien denn Lösungsvorschläge (.) und: da müsste man (.) wie klassischerweise auch äh DFG-Anträge oder so stellen (.) wobei aber das Stellen dieses Antrags schon so aufwendig ist dass sich das für ein privates Institut gar nicht lohnt (.) ja das rechnet sich nicht (.) also in dem Sinne (.) ist es sehr schwierig (.) und: äh es ist schade weil natürlich die Theorie das Entscheidende ist auch im Fortschritt (.) und wir da wenig Fortschritt sehen Z: und die theoretischen Modelle die Sie hier ausarbeiten die werden dann (.) nur intern gebraucht? I: ja (.) klar ich meine (.) sie wird irgendwann mal zu einer: zu einer (.) publizistischen Aktivität werden aber das zieht sich dann (.) das sind ja (.) Teilmodelle zu jeweiligen Projekten und das können Sie ja so kaum kommunizieren also müssen Sie dann da wiederum (.) aggregieren, nicht, in einem Aufsatz (.) und äh das ist eine Menge Arbeit wenn Sie das begrifflich auch präzise machen wollen mit dem entsprechenden Begriffsapparat (.) den Strukturen (.) wenn Sie dann wollen müssen Sie noch eine Anschlussfähigkeit herstellen zu aktuellen sozialwissenschaftlichen weltweiten Theoriediskursen vielleicht (.) oder Sie gehen einfach hin und machen das vollkommen losgelöst davon = aber das wäre dann auch ungewöhnlich (.) und ich weiß gar nicht ob die das akzeptieren würden (.) also eine: Zeitschrift (.) aber wär mal sicherlich spannend zu sehen wenn man da einen dreißigseitigen Aufsatz bringt (.) ein Theorieaufsatz ohne einzige Literaturquelle Z: das wäre nicht angenommen? I: ja das wäre ja mal spannend (.) ja (.) das könnte so sein aber äh wie gesagt wir ziehen unsere theoretische Modelle aus umfangreichen empirischen Arbeiten (.) und äh (.) ja (.) nicht aus irgendwelchen Büchern [Ext05]
[Ext05] postuliert Theorieentwicklung als eine seiner Tätigkeiten, markiert aber gleichzeitig, dass sie nicht zu seinen bezahlten beruflichen Aufgaben zählt. Die Selbstverständlichkeit, mit der er Theorieentwicklung betreibt, ist also nicht seiner bezahlten Arbeitsstelle, sondern seinem Soziologensein geschuldet. Darum schwankt er in seiner Einschätzung ihrer Bedeutung für seine berufliche Tätigkeit zwischen „natürlich“ und „nebenbei“. Wir haben es also mit einem Unternehmer ([Ext05] leitet eine eigene außeruniversitäre kommerzielle Einrichtung) zu tun, der es für „natürlich“ hält, sich mit Theorieentwicklung zu beschäftigen, obwohl dies für ihn finanzielle Nachteile hat. Die Möglichkeit, eine zusätzliche Finanzierung für Theorieentwicklung zu beantragen, lehnt er
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ab, weil er es sich als außeruniversitär Tätiger zeitlich und finanziell nicht erlauben kann, beispielsweise einen Antrag auf DFG-Forschungsförderung zu stellen. [Ext05] sieht die Theorieentwicklung ferner als eine seiner Aufgaben, die direkt aus seiner empirischen Arbeit folgt, woran erneut die Selbstverpflichtung gegenüber der Wissenschaft deutlich wird. Er reflektiert auch darüber, dass diese Tätigkeit seine Kunden nicht interessiert und nicht interessieren kann – trotzdem betreibt er sie, obwohl sie mit Zeit- und Geldverlusten verbunden ist. Die innere Verpflichtung, die Wissenschaft voranzutreiben, entspricht der Selbstwahrnehmung eines Wissenschaftlers. Mit dieser Selbstwahrnehmung und soziologischen Identität eines außerwissenschaftlichen Soziologen wird ein Bezug zur wissenschaftlichen Soziologie aufgebaut. [Ext05] äußert aber explizit, dass er Theoriebildung nicht so betreiben könne, wie es in der wissenschaftlichen Soziologie üblich ist. Die zeitlichen Abläufe seines soziologischen Alltags werden von denen eines wissenschaftlichen Soziologen strikt unterschieden. Er weist jedoch auch darauf hin, dass „Theorie das Entscheidende“ ist. Die sich anschließende Frage, wofür sie entscheidend ist, dürfte etwa mit für die soziologische Tätigkeit zu beantworten sein. [Ext05] verweist weiterhin darauf, dass er diese Tätigkeit trotz des finanziellen Verlustes betreiben „muss“. Die Muss-Modalität an dieser Stelle ist nicht ausschließlich damit zu erklären, dass Theoriebildung zur Selbstwahrnehmung eines Soziologen gehört, sondern auch damit, dass sie von denjenigen, deren Aufgabe sie wäre, nicht betrieben wird. Die akademischen Soziologen sorgen in den Augen von [Ext05] nicht für genügend Fortschritt. Dass die Kritik an der Theoriebildung durch die wissenschaftlichen Soziologie [Ext5] direkt dazu führt, diese Aufgabe selbst zu übernehmen, weist auf seine Selbstverpflichtung gegenüber der Disziplin bzw. der wissenschaftlichen Soziologie hin. [Ext5] beschreibt die Theoriebildung, die weder zu den bezahlten Aktivitäten eines außerakademischen Soziologen zählt noch dazu beiträgt, sein Ansehen bei seiner Klientel zu erhöhen, trotzdem als die wichtigste Aufgabe eines Soziologen und auch als seine wichtigste Aufgabe. Ich führe dies darauf zurück, dass die im außerwissenschaftlichen Beruf notwendige soziologische Identität derzeit nur so strukturiert werden kann, dass sie notwendigerweise an die wissenschaftliche Disziplin geknüpft wird, was zu einer Selbstverpflichtung gegenüber der Wissenschaft führt. Dafür spricht auch die von [Ext05] postulierte Notwendigkeit, seine theoretischen Leistungen der soziologischen Öffentlichkeit mitzuteilen. Er ist sich bewusst, dass er sein erworbenes Wissen der soziologischen 205
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Öffentlichkeit nicht in der Form präsentieren kann, in der es in seiner Institution benutzt wird. Es den Anforderungen der Community anzupassen erfordert „eine Menge Arbeit“. Zum Teil erkennt er an, dass das Wissen an bestimmte Standards der Wissenschaftlichkeit angepasst werden muss: durch Aggregation in einer knappen Form eines Aufsatzes, begriffliche Präzision, „dem entsprechenden Begriffsapparat den Strukturen“ angepasst. Es gibt jedoch noch eine andere Form der Anpassung an Wissenschaftlichkeitsstandards, die ihm zu weit führt: die Herstellung von „Anschlussfähigkeit“ an „aktuelle sozialwissenschaftliche weltweite Theoriediskurse“. [Ext05] unterscheidet demnach zwischen Standards für das Kommunizieren von Wissen an die Community. Die Bereitschaft, sich einigen Kriterien anzupassen, und die Kritik an anderen könnte dadurch erklärt werden, dass [Ext05] nach einer Möglichkeit sucht, seiner soziologischen Identität zu entsprechen, ohne sich allen Regeln des wissenschaftlichen Berufs unterwerfen zu müssen. Momentan kann [Ext05] sich eine Präsentation seiner Ergebnisse in einer nicht den internen Regeln der Wissenschaft entsprechenden Form nur als Krisenexperiment vorstellen: „aber wär mal sicherlich spannend zu sehen wenn man da einen dreißigseitigen Aufsatz bringt (.) ein Theorieaufsatz ohne einzige Literaturquelle“. Trotzdem zeigt er, dass er nicht bereit ist, sich gänzlich auf die im wissenschaftlichen Beruf etablierten Regeln umzustellen, weil er sein Wissen nicht als unterlegenes Wissen betrachtet; es verliert für ihn dadurch, dass es nicht in den aktuellen soziologischen Diskurs eingebettet ist, nicht an Qualität. Im Gegenteil weist er darauf hin, dass seine Vorgehensweise bei der Theoriebildung progressiver und ergiebiger sei, und setzt seinen Weg, theoretischer Modelle „aus umfangreichen empirischen Arbeiten“ zu gewinnen, dem „aus irgendwelchen Büchern“ entgegen. Dennoch unterstellt [Ext05], die Anschlussfähigkeit an die „aktuellen sozialwissenschaftlichen weltweiten Theoriediskurse“ sei für die soziologische Öffentlichkeit wichtig. Es fragt sich, welche soziologische Öffentlichkeit hier gemeint ist. Wären es die außeruniversitären Soziologen, die ihr theoretisches Wissen ähnlich wie [Ext05] aus der Empirie gewinnen und zeitlich so eingeschränkt sind, dass sie mit den „aktuellen sozialwissenschaftlichen weltweiten Theoriediskursen“ nicht genügend vertraut sein können, müsste er eine soziologische Präsentation ohne Theoriebezüge als angemessen betrachten. Da dies jedoch nicht zutrifft, muss man annehmen, dass es keine etablierte außerwissenschaftliche soziologische Öffentlichkeit oder einen entsprechenden Diskurs gibt, an dem sich außeruniversitäre Soziologen orientieren können und der auch den wissenschaftlichen Soziologen zumindest soweit bekannt wäre, dass sie Wissen und neue Erkenntnisse daraus beziehen würden. Darum 206
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kommen nur die wissenschaftlichen Publikationsorgane und demzufolge die wissenschaftlich orientierte Öffentlichkeit in Frage. Diese beiden Interviewsequenzen zeigen deutlich, dass die Orientierung der außerwissenschaftlichen Soziologen an die wissenschaftliche Soziologie daraus resultiert, dass die auerwissenschaftlichen Soziologen ihre eigene Identität als soziologische definieren. Diese Orientierung spiegelt sich vor allem darin, dass sich die außerwissenschaftlichen Soziologen der wissenschaftlichen Soziologie verpflichtet fühlen und bereit sind, einen Teil von deren Aufgaben, die Theoriebildung, auf sich zu nehmen. Das von ihnen erzeugte Wissen sehen sie nicht nur als ein zu verkaufendes Produkt, sondern als einen Teil des allgemeinen soziologischen Wissenskorpus, der für den weiteren Fortschritt der Wissenschaft genutzt werden kann und soll. In diesem Kontext wird anerkannt, dass das in außerwissenschaftlichen Bereichen erzeugte soziologische Wissen an einige Kriterien des Wissenschaftsbetriebs angepasst werden muss, um der breiten soziologischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden. Trotz ihrer Selbstzurechnung zur Soziologie und der Selbstverpflichtung gegenüber der Wissenschaft sind die außerwissenschaftlichen Soziologen aber nicht dazu bereit, sich an alle Regeln der wissenschaftlichen Soziologie anzupassen, da diese wegen ihrer beruflichen Tätigkeiten nicht zu erfüllen sind.
„Nimbus der Wissenschaft“ und die außerwissenschaftliche Soziologie In der folgenden Interviewsequenz kommt ein zwiespältiges Verhältnis eines außerwissenschaftlichen Soziologen zur wissenschaftlichen Soziologie zum Ausdruck. Der Selbstbezug auf die Normen und Regeln der wissenschaftlichen Soziologie und die Legitimation der Unmöglichkeit, diese Regeln zu befolgen, weisen darauf hin, dass die außerwissenschaftlichen Soziologen ihre soziologische Identität, die für ihre beruflichen Tätigkeiten essenziell ist, in der wissenschaftlichen Soziologie suchen: also erstmal kann man sich ja überhaupt fragen ob das was wir hier treiben Soziologie ist (.) also da hätt ich dann eher Bedenken anzumelden (.) also dann müsste man sich dann in der Tat nochmal fragen was man eigentlich unter Soziologie versteht (.) weil ich denke schon das was wir hier in diesen Projekten betreiben erstmal so von soziologischer Theorie relativ fern ist also wenn/ wir wir/ wir gehen nicht in Betriebe und erklären jetzt äh soziologische Theorien von Weber bis Parsons und zurück und erklären die Systemtheorie oder irgend so was (.) das ist eigentlich eher nicht der Fall und von daher hat man dieses Problem eigentlich nicht (.) und äh die Ergebnisse die wir zu präsentieren ha-
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ben (.) äh (.) also da: die/ die Sorge dass man den Leuten was erzählt was se eh schon wissen (.) die kann man zwar haben aber ich denk schon dass da der Nimbus der Wissenschaft einfach ein Stück weiter trägt (.) dass es eigentlich kein Problem ist wenn man den Leuten was erzählt was sie eh schon wissen (.) äh die nehmen das dann eher hin als äh: (.) eine Bestätigung (.) dass also auch die: die Wissenschaft zu keinen anderen Resultaten kommt und haben damit glaube ich relativ wenig Probleme [Ext02]
[Ext02] fragt sich, „ob das was wir hier treiben (überhaupt) Soziologie ist“. Er schwankt in der Beschreibung seiner eigenen Tätigkeit zwischen den Definitionen „keine Soziologie“ und „Wissenschaft“. Es fällt ihm schwer, seine eigene Tätigkeit als Soziologie zu beschreiben, weil diese für ihn offensichtlich nur wissenschaftliche Soziologie bedeutet. Abgesehen davon, dass das Verb „treiben“ abwertend ist und er damit die eigene Tätigkeit als weniger bedeutsam als echte soziologische Tätigkeiten darstellt, kommt in dieser Sequenz zum Ausdruck, dass der Interviewpartner die außerwissenschaftliche Soziologie mit ihren besonderen Aufgaben nicht als Soziologie wahrnehmen kann. Dann erklärt er, was echte Soziologie ist, indem er sie mit „soziologische Theorie“ gleichsetzt. Dies entfaltet er weiter mit einer absurden Inszenierung, als ob es prinzipiell möglich wäre, dass die Aufgabe der außerwissenschaftlichen Soziologie darin besteht, Nicht-Soziologen komplexe soziologische Theorien zu erklären. Die Theorievermittlung wird also als genuine Aufgabe der (wissenschaftlichen) soziologischen Profession gesehen. [Ext02] arbeitet in einer soziologisch ausgerichteten Institution und ist studierter Soziologe. Dennoch kann er sich selbst nicht als Soziologe definieren, da er seine Aufgaben nicht als soziologische wahrnehmen kann.135 Jedoch kommt in seiner Frage, ob er überhaupt Soziologie macht, zum Ausdruck, dass diese Annahme grundsätzlich nicht absurd ist. Er befindet sich offensichtlich in einer Identitätskrise; es fragt sich, warum. Ich sehe die Gründe dafür darin, dass er — im Rahmen der Ausbildung auf die wissenschaftliche Tätigkeit vorbereitet wurde, die Soziologie also als Theoriebildung versteht, — von der Amtsbezeichnung her Soziologe ist, obwohl er keine Theoriebildung betreibt, und — sich gegenüber Klienten als Wissenschaftler positionieren muss, obwohl er sich selbst nicht für einen hält.
135 Wohlgemerkt, alle meine externe Interviewpartner ([Ext]) kamen als solche in Frage, weil ihre Selbstbeschreibung (und nicht nur ihr Studienfach) die eines Soziologen war. Die meisten sind aktive BDS-Mitglieder.
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Für seine Kunden steht [Ext02] – so seine Annahme – hinter dem Schutz der Wissenschaft. Dies wird darin deutlich, dass ihm zufolge bei seiner Tätigkeit „der Nimbus der Wissenschaft einfach ein Stück weiter trägt“. Selbst wenn man Ergebnisse liefert, die nicht überraschend sind, kann er sich als außerwissenschaftlicher Soziologe hinter die Autorität der Wissenschaft stellen. Nach seinen Vorstellungen von der Soziologie, die [Ext02] hier zu erkennen gibt, können die außerwissenschaftlichen, nicht an die Theoriebildung gebundenen Beschäftigungen nicht als „Soziologie“ gelten. Andererseits wird ein außerwissenschaftlicher Soziologe von den Klienten als Wissenschaftler wahrgenommen. Diese Identität, die nach außen als Qualitätsgarantie dient, ist für außerwissenschaftliche Soziologen essenziell. Bezeichnend ist hier, dass die Exklusivität der professionellen Leistung durch den Bezug auf die wissenschaftliche Herkunftsdisziplin etabliert wird. Eine Selbstzurechnung zur wissenschaftlichen Soziologie kann in dieser Interviewsequenz jedoch nicht beobachtet werden. In der Kommunikation mit mir als Kollegin stellt [Ext02] den Bezug seiner beruflichen Tätigkeit zur echten Soziologie in Frage. Seine Klienten schreiben ihn jedoch zur Wissenschaft hinzu. [Ext02] weist diese Fremdpositionierung nicht zurück, da er eine professionelle Identität braucht, um seinen beruflichen Tätigkeiten nachgehen und gegenüber den Klienten eine professionelle Autorität in Anspruch nehmen zu können. Der Unterschied zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung führt zu einer Identitätskrise, die nicht aufgelöst wird. Das kann m. E. nur daran liegen, dass es keine anderen soziologische Identität stiftenden Quellen gibt.
Die Bedeutung der Theorie für die außerwissenschaftliche soziologische Arbeit Auch [Ext04], der im folgenden Interviewausschnitt zitiert wird, entwickelt ein zweigeteiltes Verhältnis zur wissenschaftlichen Soziologie. Er begründet die Bedeutung von wissenschaftlichen (soziologischen Erkenntnissen) für außerwissenschaftliche Soziologen. Seine Erklärungen sind eher auf Legitimation ausgerichtet. Man könnte annehmen, dass [Ext04] sich als Soziologe verpflichtet fühlt, die Produkte der wissenschaftlichen Soziologie in seinen beruflichen Aktivitäten einzusetzen: ich hab nicht die Haltung dass sozialwissenschaftliche: Aus/ Forschung und Ausbildung (.) weit weg von der Praxis ist [...] (.) ich brauche theoretische Bezüge und die liefern mir die Wissenschaftler [...] (.) die Theorien die kriegen wir dann [...] (.) die spannend sind also um (.) berufliches Alltagsleben bewäl-
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tigen zu können oder beschreiben zu können (.) oder als Berater soziologischer Berater tätig sein zu können […] (.) da hab ich/ (.) also da gibt es bestimmt sehr viel Streit wenn man da mal in ne Debatte eintreten würde (.) aber das äh (.) ist auch schwierig (.) ich hole mir immer mal wieder ein paar Ideen bei soziologischen Theoretikern oder genieße es wenn (.) wenn Beck ein Buch schreibt über irgendwas oder (.) oder n Artikel so was lese ich dann gerne (.) richtig bearbeiten kann ich es nicht da fehlt mir einfach die Zeit [Ext04]
Zuerst versucht [Ext04] seine Tätigkeit auf die wissenschaftliche Soziologie zu beziehen, indem er behauptet, sie sei nicht so weit von der „sozialwissenschaftliche:[n] Aus/Forschung und Ausbildung“ entfernt. Er differenziert also zwischen der wissenschaftlichen Profession, Forschung und Ausbildung (durch die Selbstkorrektur wird klar, dass Ausbildung in der Definition an erster Stelle steht) und der „Praxis“, d.h. den außerakademischen soziologischen Tätigkeiten. Das wird durch das Postulieren der Notwendigkeit, dass die Wissenschaftler [Ext04] die „theoretischen Bezüge“ liefern, noch weiter ausgeführt. Die Notwendigkeit solcher Bezüge sowie sein Interesse an der Wissenschaft und Theorie erklärt [Ext04] durch Emotionen: Die Theorien seien „spannend“, und er „genieße es wenn/ (.) wenn Beck ein Buch schreibt über irgendwas oder (.) oder n Artikel“; diese würde er „gerne“ lesen. Das Lesen soziologischer Bücher wird also zu einem Hobby aufgebaut, einem privaten Interesse an der Wissenschaft, obwohl die Sequenz mit der Behauptung anfängt, in seiner Tätigkeit sei er von der Wissenschaft nicht weit entfernt und brauche Theoriebezüge. Er sagt aber auch explizit, dass er allein aus zeitlichen Gründen, die seiner Tätigkeit geschuldet sind, nicht dazu in der Lage ist, die Theoriebezüge „richtig [zu] bearbeiten“ (es fragt sich, wie hier „richtig“ zu definieren ist). Das Interesse an soziologischen Theorien wird jedoch nicht als eines rein privater Natur beschrieben. Ich deute die Behauptung der Wichtigkeit soziologischer Theorien für seine beruflichen Aktivitäten als ein Zeichen dafür, dass [Ext04] seine soziologische Identität mit Bezug auf die wissenschaftliche Soziologie definiert. Es ist anzunehmen, dass er für seine Aktivitäten nicht wirklich Theorien braucht, sondern auf der Basis der allgemeinen soziologischen Ausbildung entwickelte Soft Skills. Dennoch hält er es für nötig zu erwähnen, dass die Theorien ihm wichtige Impulse für seine Arbeit liefern. Dies positioniert ihn als Soziologen. An einer anderen Stelle äußert sich [Ext04] wie folgt: das ist auf jeden Fall etwas was mich an dem Verband [BDS] (.) sehr interessiert (.) mehr als (.) die DGS (.) ich lese gerne soziologische Bücher oder sozialwissenschaftliche Bücher aber (ich müsste nicht unbedingt in der) (..) eher
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eine Diskussion (..) dass es die Menschen selbst beschäftigen könnte (.) als Referenten die wir einladen zu Tagungen (.) ja (.) aber nicht unbedingt äh jetzt in diese Community (rein) = also so Praxissoziologen haben kein/ haben ihr Netzwerk (.) aber keine: (.) scientific community [...] (.) die auch (...karrieresüchtig...) (.) der (.......) wir treffen uns ab und zu um (.) um uns auszutauschen (.) machen mal Tagungen und Workshops (.) und haben Spaß dabei [Ext04]
An dieser Stelle trennt [Ext04] deutlich zwischen den Praxissoziologen, die er als „Netzwerk“ bezeichnet, und der wissenschaftlichen Community/„scientific community“. Es stellt sich die Frage, ob die Tatsache, dass eine außerakademische Profession keine „scientific community“ hat, erklärungsbedürftig ist. Solange man dies als erklärungsbedürftig betrachtet, kann man nicht von einer Autonomisierung des außerwissenschaftlichen Berufs sprechen. Die Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen Netzwerk von außerwissenschaftlichen Soziologen und Vereinigung/Community der akademischen Soziologen ist jedoch nicht eindeutig. Aus dieser Unterscheidung folgt, dass die Basis einer Vereinigung im wissenschaftlichtheoretischen Austausch besteht, die der Netzwerke der außerakademischen Soziologen hingegen im Austausch auf der praktischen Ebene. Die Vereinigung von Praxissoziologen wird zwar als eigenständige präsentiert, ihre Definition beruht jedoch weniger auf ihren Eigenschaften als auf den Unterschieden zwischen den beiden soziologischen Organisationen. Hinzu kommt der emotionale Faktor „Spaß haben“ vs. „Karrieresucht“ bei der scientific community. Die Wissenschaft ist also für die außerwissenschaftlichen Soziologen eine Art Hobby, allerdings mit einer Pflichtkomponente. Allein die Tatsache, dass die Vereinigung der Praxissoziologen als „keine scientific community“ definiert wird, weist darauf hin, dass sie von der scientific community noch nicht genug emanzipiert ist. Die zitierten Interviewsequenzen zeigen deutlich, dass Bezüge der außerwissenschaftlichen Soziologie zur wissenschaftlichen Soziologie auf unterschiedliche Arten hergestellt werden. Sie scheinen für die Herstellung der Zugehörigkeit zur Soziologie, für die Herausbildung einer soziologischen Identität der außerwissenschaftlichen Soziologen und auch für die Garantie der Qualität ihrer Produkte nach außen wichtig zu sein. Es handelt sich jedoch nicht nur um Bezüge, die inhaltlich zur Erfüllung der beruflichen Aufgaben außerwissenschaftlicher Soziologen beitragen können (wie z.B. die Nutzung wissenschaftlicher Methoden oder
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die Ausbildung eines Forschungshabitus),136 also ein essenzielles Attribut aller wissenschaftsbasierten außerwissenschaftlichen Berufe sind. Es werden auch Bezüge zur wissenschaftlichen Soziologie aufgebaut, die mit dem Erfüllen den beruflichen Aufgaben außerwissenschaftlicher Soziologen nicht kompatibel sind.
Wissenschaftliche Soziologie als Referenz für außerwissenschaftliche Soziologen. Perspektive der außerwissenschaftlichen Soziologen. Zusammenfassung Wie anhand der Datenanalyse und der Analyse des inneren soziologischen Diskurses festzustellen ist, versuchen nicht nur die akademischen, sondern auch die außerakademisch tätigen Soziologen, die wissenschaftliche Soziologie als Referenz für den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf aufzubauen. Die Herstellung von Bezügen zur wissenschaftlichen Soziologie erfolgt seitens der außerwissenschaftlichen Soziologen zum Teil in Form der Selbstzusrechnung zur wissenschaftlichen Soziologie. Bemerkenswert ist, dass die Ausübung außerwissenschaftlicher soziologischer Tätigkeiten ohne einen Bezug zur wissenschaftlichen Diskussion auch für außerwissenschaftlich tätige Soziologen selbst nicht ausreichend zu sein scheint.137 Es wird unterstellt, dass in einem außerwissenschaftlichen Beruf erzielte Ergebnisse und Wissen nicht nur den Zielen der Klienten dienen, auf deren Auftrag hin sie gewonnen wurden. Es wird als eine soziologische Aufgabe gesehen, dieses Wissen einer breiten soziologischen Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und dadurch die Entwicklung weiterer soziologischer Theorien voranzutreiben. Dies ist mit Schwierigkeiten verbunden, da man dazu die Regeln des wissenschaftlichen Publizierens respektieren muss,138 was für außerwissenschaftliche Soziologen aufgrund ihrer berufsspezifischen Zeiteinteilung zum Teil unmöglich ist.
136 Vgl. dazu Oevermann: „Die außerhalb der wissenschaftlichen Forschung tätigen konkret klientenbezogenen Professionen benötigen einen Forschungshabitus grundsätzlich allein deshalb schon, weil sie in der Lage sein müssen, die jederzeit mögliche Krise in der Anwendung standardisierten Wissens und standardisierter Praktiken ihrer Expertise in ihrer in sich routinisierten Praxis der stellvertretenden Krisenbewältigung selbständig lösen zu können.“ (Oevermann 2003: 28) 137 Dies ist m. E. nicht nur der besonderen Interviewsituation geschuldet, in der die Interviewpartner sich als Soziologen definieren müssen. Schließlich erfolgte bereits die Interviewzusage aufgrund einer solchen Selbstdefinition. 138 Zu den zwei verschiedenen Leserschaften siehe Latniak (2003: 113). Möchte man also möglichst viele Soziologen erreichen, darf man nicht ausschließlich in außerwissenschaftlichen Kontexten publizieren.
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Diese Sicht auf die Aufgaben der Soziologie im außerwissenschaftlichen Beruf kann auch als eine Absicherung gegen das wirtschaftliche Scheitern gesehen werden: Wenn ein Beratungsprojekt wirtschaftlich scheitert, kann es immer noch wissenschaftlich erfolgreich sein.139 Ich sehe dies jedoch nicht als die zentrale Erklärung für die Anbindung der außerwissenschaftlichen Ergebnisse an die wissenschaftliche Soziologie. Vielmehr müssen außerwissenschaftliche Soziologen die Forschung ins Zentrum ihres Interesses stellen, um ihrer soziologischen Identität gerecht zu werden, da diese nur an die wissenschaftliche Soziologie gebunden sein kann. Das wird vor allem in den Interviewsequenzen expliziert, in denen die außerwissenschaftlich Tätigen im Kontext ihrer eigenen soziologischen Identität die Soziologie mit der Theoriebildung gleichsetzen. Eine Community, mit der sich alle Soziologen identifizieren können, wird also stets als wissenschaftlich-soziologische Community verstanden. Deshalb wird z.B. auch das Publizieren zu einem wichtigen Element der soziologischen Identität.140 139 Vgl. dazu Latniak: „Für uns war es in unseren Projekten immer wichtig, gerade bei ausschließlich unternehmensfinanzierten Projekten die Möglichkeit zu haben, die Ergebnisse und Erfahrungen auch für unsere wissenschaftliche Arbeit nutzen zu dürfen, was mit den Firmen explizit vereinbart wurde – insofern waren wir ‚etwas andere‘ Berater. Wir haben solche Projekte im Übrigen nie als Standarddienstleistung angeboten, sondern nur in ausgewählten, für uns interessanten Fällen gemacht. Was aus diesem Unterschied zu kommerziellen Beratern entstehen kann, ist aber eine berechtigte Skepsis der beratenen Organisation: Während ein kommerzieller Organisationsberater quasi zum Erfolg verdammt ist, könnte ein Wissenschaftler auch aus einem gescheiterten Beratungsprojekt, das die betrieblichen Ziele nicht erreicht hat, noch systematisch für bestimmte, nicht betriebliche, eben: wissenschaftliche Fragestellungen seinen Nutzen ziehen.“ (Latniak 2003: 109) In diesem Zitat wird die forscherische Freiheit inszeniert. Es fragt sich, warum eine solche Rechtfertigung notwendig ist. Die Frage, die hier entsteht, ist: was könnte eine außerwissenschaftliche soziologische Tätigkeit für die akademische Karriere leisten. Das Absurde daran ist, dass sie eigentlich nichts für die akademische Karriere leisten muss; schließlich ist es eine Tätigkeit, die außerhalb des Wissenschaftsbetriebs liegt. Da aber die soziologische Identität immer noch eine wissenschaftliche Identität unterstellt, wird versucht, auch für die beraterische Tätigkeit einen Platz oder zumindest eine Legitimation in der akademischen Karriere zu finden. 140 Zur Rolle der Publikation als grundlegendes Element von „self-identity“ und „self-diversity“ in der Wissenschaft siehe z.B. Stichweh (1994: 64). In der Wissenschaft wird, so Stichweh, nicht (mehr) zwischen wahr und unwahr unterschieden, sondern zwischen publiziert und nicht publiziert. Angesichts der Selbstzurechnung zur wissenschaftlichen Soziologie und der Tatsache, dass das, was nicht publiziert wird, nicht zur Wissenschaft gehören kann (Stichweh 1994: 68-69), wird der Wunsch der außerwissenschaftlichen Soziologen nach der Publikation ihrer Ergebnisse ver-
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Der Wunsch nach einer gemeinsamen soziologischen Identität ist in der außerwissenschaftlichen Soziologie dadurch bedingt, dass diese sich ihren Kunden gegenüber als professionelle Einheit positionieren muss, die über Zugehörigkeitskriterien und Qualitätskontrollen verfügt und dadurch die Exklusivität und Qualität ihrer Dienstleistungen behaupten kann. Problematisch an diesen Bezügen ist, dass sie zum Teil zu Konflikten zwischen zwei Identitäten führen können, da die Selbstzurechnung zur wissenschaftlichen Soziologie das Erfüllen bestimmter (Wissenschaftlichkeits-)Kriterien erfordert, was mit den Anforderungen und Bedingungen der außerwissenschaftlichen Arbeit nicht unbedingt kompatibel ist.
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Schlussbemerkungen zur Professionalisierung der Soziologie
Wie die Analysen der soziologischen Literatur und der Interviewsequenzen gezeigt haben, weist die Soziologie in ihrer Professionalisierung zu den beiden wissenschaftlichen Berufen wie auch zum außerwissenschaftlichen Beruf bestimmte Besonderheiten auf. Diese sind zum Teil auf den Gegenstand und die Geschichte der Soziologie zurückzuführen. Einigen soziologischen Professionalisierungstheorien zufolge sind diese Besonderheiten als Defizite der Professionalisierung zu sehen. Es lässt sich jedoch behaupten, dass sie im Falle der Soziologie nicht zwingend als solche gelten können, da sie die Professionalisierung der Soziologie nach außen zum Teil erst ermöglichen. Damit soll nicht gesagt werden, dass die Professionalisierung der Soziologie gar keine Defizite aufweist. Das Konzept der Professionalisierungsbesonderheiten erfordert allerdings eine gewisse Modifizierung der vorhandenen soziologischen Professionalisierungstheorien, um sie auf die Soziologie als Profession anwenden zu können. Eine entsprechende Modifizierung der Professionalisierungskonzepte wird aber im Rahmen dieser Studie nicht unternommen. Auch wenn man die theoretischen Betrachtungen der Professionalisierungsprozesse in der Wissensgesellschaft (vgl. Stichweh 2000, 2005) auf die Professionalisierung der Soziologie bezieht, lassen sich deren Besonderheiten nicht allein durch die Veränderungen der Professionalisierung als solcher in der Wissensgesellschaft erklären. Zu einem ist die Ausdifferenzierung der Soziologie gegenstandsbedingt zu deuten und ständlich. Zur Rolle der Veröffentlichungen in der Wissenschaft siehe auch Krohn/Küppers (1987: 52 ff.).
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nicht allein durch die Veränderung der Wissensstruktur in der modernen Gesellschaft. Zum anderen hängt die besondere Struktur ihrer Professionalisierungsmerkmale mit der Geschichte und dem Gegenstand der Disziplin zusammen. Außerdem zeigen die empirischen Daten, dass der Professionalisierungsvorstellung der soziologischen Community als solcher das Bild eines zwar nicht über einen exklusiven Feldbezug verfügenden, aber dennoch exklusiven und in gewisser Weise monopolistischen soziologischen Berufs zugrunde liegt. Die Analysen zeigten zudem, dass die Professionalisierung der Soziologie zu den verschiedenen Berufen unterschiedlich weit fortgeschritten ist. Von der (deutschen) Soziologie in ihrem heutigen Zustand kann man behaupten, dass sie besser zum inneren wissenschaftlichen Beruf professionalisiert ist als zum äußeren wissenschaftlichen und zum außerwissenschaftlichen Beruf. Um die Unterschiede im Professionalisierungsgrad der verschiedenen soziologischen Berufe sowie Defizite und Besonderheiten der Professionalisierung der Soziologie zu beschreiben und zu erklären, wie die Soziologie trotz dieser Defizite/Besonderheiten als Profession funktionieren kann, eignet sich das Professionalisierungskonzept von Ulrich Oevermann am besten (1990). Aufgrund ihrer Geschichte hat die deutsche Soziologie sich in der Ausbildung vor allem auf die Professionalisierung zum wissenschaftlichen und insbesondere zum inneren wissenschaftlichen Beruf konzentriert. Aus diesem Grund musste sie außer der Anerkennung innerhalb informell organisierter Kollegenkreise weder allgemeingültige Selektionsmechanismen noch andere Zugehörigkeitskriterien entwickeln. Aufgrund ihrer gegenstandsbedingten Heterogenität und der dadurch bedingten Ausdifferenzierung zu mehreren Bindestrich-Soziologien gibt es in der Soziologie keine allgemeingültige Reputation. Dies kann jedoch nicht als ein Defizit der Professionalisierung gesehen werden (das widerspricht allerdings dem Konzept von Oevermann [1990]). Die Professionalisierung der Soziologie erfolgt innerhalb der BindestrichSoziologien, in denen Reputations- und Zugehörigkeitsmechanismen etabliert sind. Angesichts des schnellen Wandels und der Komplexität des soziologischen Gegenstandes ist die Entwicklung fester, allgemeingültiger Qualitätskriterien schwierig. Das Fehlen solcher Professionalisierungsmechanismen ist jedoch für den äußeren wissenschaftlichen Beruf, der mehr Institutionalisierung unterstellt, und insbesondere für den außerwissenschaftlichen Beruf nicht unproblematisch. Außerdem sind diese beiden Berufe auf eine unifizierte Ausbildung angewiesen, die für den inneren soziologischen Beruf nicht von großer Bedeutung ist, da es hier um die Sozialisation neuer Forscher, meist in konkrete Forschungskontexte, geht. 215
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Durch die Analyse der Interviewdaten stellte sich heraus, dass sich die Hochschullehrer gegenüber den Studierenden verantwortlich fühlen, die (zwar) für den wissenschaftlichen Beruf ausgebildet werden, jedoch eher im außerwissenschaftlichen Beruf tätig sein werden. Die Hochschullehrer thematisieren, dass sie ungeeignete Studierende während der Ausbildung nicht aussortieren können und daher nach außen keine unifizierte, durch die soziologische Ausbildung bestätigte formalisierten Qualifikation ihrer Absolventen garantieren können. Daher versuchen sie, das Arbeitsfeld vorzustrukturieren, d.h. nur die Soziologieabsolventen zu außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten zuzulassen, die den im inneren wissenschaftlichen Beruf geltenden Qualitätskriterien entsprechen. Dies scheint zu funktionieren, solange es keinen institutionalisierten außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf gibt. Sobald aber ein solcher Beruf etabliert ist, wird die Soziologie auf funktionierende formalisierte allgemeingültige Initiierungsetappen nicht mehr verzichten können. Nun bemühen sich, wie die Daten zeigen, sowohl wissenschaftliche als auch außerwissenschaftliche Soziologen darum, einen institutionalisierten außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf zu etablieren oder zumindest die heterogenen außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten unter einem Dachbegriff zu systematisieren. Diese Versuche seitens der wissenschaftlichen Soziologie sind dadurch zu erklären, dass die Disziplin unter einem Kosten- und Legitimationsdruck steht und sich gegenüber ihren Absolventen, die nicht im wissenschaftlichen Beruf unterzubringen sind, verpflichtet fühlt. Außerwissenschaftliche Soziologen ihrerseits plädieren für eine Systematisierung der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten, weil sie als Professionelle nach einer Identität und nach einer Profession suchen, der sie sich zugehörig fühlen können, um gegenüber anderen Professionellen und Laien ihre Leistungen als professionell, gesichert und exklusiv ausweisen zu können. Wie bereits erwähnt, konzentrieren sich die Versuche der Institutionalisierung bzw. Systematisierung des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs darauf, einen Dachbegriff für die außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten zu etablieren. Im innersoziologischen Diskurs wird seit einiger Zeit die Systematisierung mittels des Beratungsbegriffs vorangetrieben. Die Institutionalisierungs- bzw. Systematisierungsversuche zielen also in erster Linie darauf, eine gemeinsame außerwissenschaftliche soziologische Identität zu entwickeln, die Exklusivität der soziologischen Leistungen herzustellen und eine professionelle Autorität aufzubauen, die außerwissenschaftliche Soziologen gegen Angriffe von Nicht-Professionellen immunisieren kann. Aufgrund des spezifischen Gegenstandes, um den die Soziologie mit anderen Professi216
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onen und dem Alltagsverstand konkurriert, kann die soziologische Exklusivität nicht allein durch den Gegenstand behauptet werden. Das Fehlen einer unifizierten Ausbildung macht es schwierig, die Exklusivität der soziologischen Dienstleistungen darüber herzustellen, dass alle Soziologen über spezifische Kompetenzen (Hard Skills) verfügen, die man nur durch das Soziologiestudium erwerben kann. Der Beratungsbegriff kommt den Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung entgegen, da Beratung eher Soft Skills voraussetzt, die durch die Einsozialisation in die soziologische Denkweise internalisiert werden können. Außerdem erlaubt er, die Exklusivität soziologischer Dienstleistungen mittels eines nicht-exklusiven Gegenstandes zu behaupten. Die Beratung kann als eine Tätigkeit beschrieben werden, die der (konstruktiven, d.h. eine Perspektive auf andere Problemdimensionen und Kontexte eröffnenden) Komplexitätssteigerung dient. Die Berater treten mit anderen Professionellen oder Laien in Kontakt, wenn diese Probleme in ihrem – mit der Soziologie geteilten – Feld nicht mehr lösen können, da sie bestimmte, sich Soziologen erschließende Dimensionen dieses Feldes nicht erfassen können. Soziologen, deren besondere Fähigkeit darin besteht, die Komplexität des Sozialen zu beobachten, steigern die Komplexität, indem sie das zu erklärende Phänomen in größeren Zusammenhängen betrachten. Dadurch tragen sie zur Problemlösung bei, die sie aber nicht notwendigerweise selbst übernehmen, sondern an die zuständigen Professionellen delegieren. Die Soziologie wird dadurch zu einer Tandem-Disziplin, die mit anderen Professionellen zusammenarbeitet. Diese Konzeption der Herausbildung eines außerwissenschaftlichen Berufs entspricht der Vorstellung von Professionalisierungsprozessen in der Wissensgesellschaft bei Stichweh (2000, 2005). Soziologische Beratung als professionelle Tätigkeit beansprucht weder das Monopol auf ein Feld noch das einzig wahre Wissen über ein bestimmtes Feld oder bestimmte Probleme. Sie beansprucht die Exklusivität einer bestimmten Perspektive, arbeitet also de facto mit dem Konzept komplementären Wissens von Klient und Berater. Exklusivitätsansprüche und Monopol werden durch Vertrauen und Kooperation ersetzt (vgl. dazu Stichweh 2000: 32). Damit macht sich der außerwissenschaftliche soziologische Beruf die Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung und ihres Gegenstandes (Komplexität, Heterogenität, kein exklusiver Gegenstand) zunutze. Da aber die Dienstleistung der Soziologie im außerwissenschaftlichen Beruf, zumindest in der Beratungsfunktion, darin besteht, Komplexität zu steigern oder Irritation zu erzeugen, sind Angriffe durch Laien und das Infragestellen der Kompetenzen der Soziologen vorprogrammiert. Eine Autorität der soziologischen Profession ist also notwendig. 217
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Das erfordert eine gemeinsame Identität der außerwissenschaftlichen Soziologen, die in der Lage sein müssen, sich als professionelle Gruppe zu präsentieren. Um diese Identität als eine soziologische aufbauen zu können, brauchen außerwissenschaftliche Soziologen die Beziehung zu einer soziologischen Organisation, da eine professionelle Identität und Autorität u.a. die Möglichkeit professioneller Kontrollen und des Zugehörigkeitsentzugs voraussetzt. Da es keinen institutionalisierten außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf gibt und die berufliche Vereinigung deutscher Soziologen (BDS) sich noch nicht als die Vereinigung außerwissenschaftlich tätiger Soziologen etablieren konnte, ist die Anbindung an die wissenschaftliche Soziologie die einzige Möglichkeit, um die Exklusivität und Professionalität des soziologischen Wissens zu garantieren. Das Etablieren eines solchen Bezuges wird von beiden Seiten, der wissenschaftlichen und der außerwissenschaftlichen, gefördert. Die wissenschaftliche Soziologie erkennt die Notwendigkeit einer Außenlegitimität der Soziologie. Ein etablierter, gut funktionierender, an die wissenschaftliche Soziologie angebundener außerwissenschaftlicher Beruf, dessen Dienstleistungen anerkannt und nachgefragt werden, könnte der Soziologie Außenlegitimität verschaffen. Solch eine Anbindung wäre vor allem für die Mitglieder der wissenschaftlichen Profession vorteilhaft, die auch außerwissenschaftlich tätig sind, da sie dann nicht mehr wegen ihrer außerwissenschaftlichen Tätigkeiten mit Sanktionen seitens der Community rechnen müssen. Sie würde auch die Aufgaben der Soziologie als ausbildender Einheit erleichtern. Die akademischen Soziologen können sicherlich keinen Einfluss auf die Herausbildung eines außerwissenschaftlichen Berufs nehmen. Ein Beitrag zur Systematisierung der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten ist jedoch möglich, vor allem im Hinblick auf die Stiftung einer soziologischen Identität durch die Ausbildung. Aus den Interviewdaten geht hervor, dass nicht nur die wissenschaftlichen, sondern auch die außerwissenschaftlichen Soziologen versuchen, die wissenschaftliche Soziologie als eine Referenz für den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf aufzubauen. Die außerwissenschaftlichen Soziologen tun dies oft durch die Selbstzurechnung zur wissenschaftlichen Soziologie. Dieses Phänomen ist dadurch zu erklären, dass die Notwendigkeit, eine außerwissenschaftliche soziologische Identität herauszubilden, auf die Vorstellung in der Ausbildung internalisierten Vorstellung trifft, die Soziologie als solche sei ausschließlich wissenschaftlich orientiert. Einigen außerwissenschaftlichen Soziologen scheinen ihre beruflichen Tätigkeiten allein nicht zu genügen, solange sie nicht zum wissen218
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schaftlichen Fortschritt beisteuern. Um der eigenen soziologischen Identität Rechnung zu tragen, muss ein Bezug zur wissenschaftlichen Herkunftsdisziplin aufgebaut werden. Demzufolge muss die Forschung im Zentrum der Tätigkeit stehen, und die Ergebnisse dieser Forschung müssen der soziologischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Soziologie wird in erster Linie als Theoriebildung verstanden. Diese Selbstzurechnung zur wissenschaftlichen Soziologie ist einerseits unumgänglich, da außerwissenschaftliche Soziologen eine gemeinsame soziologische Identität benötigen. Diese ist essenziell, um sich der Kundschaft gegenüber als eine professionelle Einheit positionieren zu können, die über Zugehörigkeitskriterien und Qualitätskontrollen verfügt und dadurch die Exklusivität und gesicherte Qualität ihrer Dienstleistungen behaupten kann. Andererseits könnte diese Selbstzurechnung zu Konflikten zwischen zwei Identitäten führen, da die Zuordnung zur wissenschaftlichen Soziologie das Erfüllen bestimmter (Wissenschaftlichkeits-)Kriterien erfordert, was mit den Anforderungen und Bedingungen der außerwissenschaftlichen Arbeit nicht immer kompatibel ist. Dieser mögliche Konflikt zwischen zwei Identitäten im außerakademischen soziologischen Beruf, der aus der Geschichte der deutschen Soziologie (primäre Professionalisierung zum wissenschaftlichen Beruf), ihrem Gegenstand (durch die Heterogenität des Gegenstandes bedingtes Fehlen formalisierbarer Qualitätskriterien und einer unifizierten Ausbildung) und anderen Professionalisierungsbesonderheiten abgeleitet werden kann, stellt das wichtigste Defizit der soziologischen Professionalisierung dar. Dieses Defizit ist jedoch vermutlich der Tatsache geschuldet, dass sich der außerwissenschaftliche soziologische Beruf noch im Entwicklungsprozess befindet. Falls dieser Prozess erfolgreich abgeschlossen werden kann, werden solche Identitätskonflikte nicht mehr relevant sein. Dafür müsste dieser Beruf aber vor allem von der wissenschaftlichen Soziologie anerkannt werden, damit im Studium andere Grundlagen für eine soziologische Identität vermittelt werden können. Das letzte Kapitel dieser Studie geht auf die soziologische Sprache ein und behandelt ein besonderes soziologisches Kommunikationsproblem, das ich als Sprachproblem bezeichne. Diesen Aspekt, der im innersoziologischen Diskurs als Problem thematisiert wird, sehe ich als einen Mechanismus, um die Soziologie von anderen Professionen/Disziplinen abzugrenzen. Der Hinweis auf einen besonderen soziologischen Jargon dient dazu, die eigene soziologische Identität – vor allem in den außerwissenschaftlichen Tätigkeiten – zu bestätigen. Das Sprachproblem ist ein sehr interessantes Beispiel dafür, wie eine Profession die Abgrenzung von ihrer Umwelt und die Identitätsbildung betreibt, wenn sie nicht 219
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über die üblichen Mechanismen der Identitätsbildung wie einen exklusiven Gegenstand, allgemeingültige exklusive Methoden oder eine unifizierte Ausbildung verfügt.
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3 Das soziologische Sprachproblem: Identitätsstiftung, Exklusivitätsbehauptung, Professionalitätsdokumentierung
„One measure of our trouble in defining what undergraduate instruction [in sociology] should be about is the great tendency for exams in the elementary courses [...] to be vocabulary test about sociological jargon. If the best we have to teach undergraduates is how sociologists use words, we should just give it up.“ (Stinchcombe 1994: 288)
3.1 Einleitung In diesem Kapitel wird gezeigt, warum die Fachsprache der Soziologie zu einem Wissenschaftlichkeitskriterium wird und eine identitätsstiftende Rolle in der Soziologie spielt. Es wird auf die besondere Funktion der Kommunikationsschwierigkeiten, die durch die Benutzung der soziologischen Sprache in der Kommunikation mit den Nicht-Soziologen zustande kommen, eingegangen. Die Analysen der Interviewdaten stellen den größten Teil dieses Kapitels dar. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen dem Sprachproblem und den Besonderheiten des soziologischen Gegenstandes und demzufolge auch der Professionalisierung der Soziologie, und vor allem aufgrund der engen Bindung zwischen dem Sprachproblem und der soziologischen Identität, können, so meine Annahme, wichtige Dimensionen des Sprachproblems im schriftlichen Diskurs nicht thematisiert wer221
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den. Um der Identitätsstiftungswillen sollen bestimmte Dimensionen des Sprachproblems verborgen bleiben. Sofern sich im schriftlichen Diskurs zu den aus den Interviewanalysen hervorgehenden vergleichbare Positionen finden, wird an den betreffenden Stellen darauf hingewiesen. Vor der Analyse von Interviewsequenzen im Hinblick auf das Problem der soziologischen Sprache sollen einige theoretische Begriffe geklärt und einige Einblicke in den theoretischen Diskurs über die soziologische Sprache gemacht werden. Zunächst wird das soziologische Sprachproblem mit den oben behandelten Besonderheiten des soziologischen Gegenstandes und der soziologischen Professionalisierung in Verbindung gebracht. Die Hypothese, die ich in diesem Kapitel entfalten werde, ist, dass das soziologische Sprachproblem ein identitätsbildendes Merkmal der Soziologie darstellt, dessen Funktion auf die Besonderheiten des soziologischen Gegenstandes und der Professionalisierung der Soziologie zurückzuführen ist. Es soll gezeigt werden, dass dieses Problem – obwohl es im innersoziologischen Diskurs als Problem beschrieben wird – nicht unbedingt als solches zu sehen ist, vor allem nicht als eines, das zu lösen ist. Aufgrund seiner identitätsstiftenden Funktion ist es unnötig, nach technischen „Lösungen“1 dafür zu suchen. Außerdem stellt das Sprachproblem trotz der Art und Weise, wie es im theoretischen Diskurs beschrieben wird, nicht unbedingt ein Hindernis in der Kommunikation mit Nicht-Soziologen dar. Es ist eher als eine Identitätsbasis zu sehen, die eine professionelle soziologische außerwissenschaftliche Tätigkeit – und darunter fällt auch das Kommunizieren nicht Nicht-Soziologen – erst ermöglicht. Um die identitätsstiftende Funktion des Sprachproblem zu beschreiben, wird eine umfassende Analyse von Interviewsequenzen vorgenommen. Vorab wird der schriftliche Sprachproblemdiskurs dargestellt. Dabei wird vor allem darauf eingegangen, welche Wahrnehmungen des Sprachproblems es gibt und hinsichtlich welcher Dimensionen des Sprachproblems weisen die soziologischen Beschreibungen des Sprachproblems (aufgrund der engen Verknüpfung mit Identitätsfragen) blinde Flecken2 auf. Anschließend werden anhand der Datenanalysen weitere Dimensionen des Sprachproblems aufgezeigt und eine Umdeutung dieses Phänomens im Hinblick auf die Identität der Soziologie versucht.
1
2
Dieser Begriff wird stets in Anführungszeichengesetzt, da meine Hypothese impliziert, dass es keine „Lösung“ des Sprachproblems im herkömmlichen Sinne des Wortes geben kann. Zum Begriff des blinden Flecks in der Beobachtung vgl. Luhmann (1997) u.a.
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3.2 Beschreibung des Sprachproblems im innersoziologischen Diskurs Anfang der 1970er Jahre3 wiesen Studien über angewandte Soziologie und die Handlungsmuster der Soziologen in der Praxis auf die komplizierte und höchst spezifische soziologische Sprache hin. Es wurde dargelegt, dass diese Sprache von soziologischen Begriffen und theoretischen Konnotationen gekennzeichnet ist und sich insofern wesentlich von der Alltagssprache unterscheidet, obwohl sie zum Teil dieselben Phänomene beschreibt. Solche Hinweise (aus der Soziologie selbst) auf eine spezifische Soziologiesprache wurden zu einem wesentlichen Charakteristikum der Selbstbeschreibung der Disziplin. Es zeigte sich außerdem, dass die Verwendung der soziologischen Sprache die Kommunikation zwischen Soziologen und Nicht-Soziologen behindern kann, da Nicht-Soziologen häufig nicht in der Lage sind, diese Sprache nachzuvollziehen4. So kann die Soziologiesprache dazu führen, dass die Soziologie ihre Anschlussfähigkeit an die außerakademische Welt verliert. Der sprachbedingte Verlust der Anschlussfähigkeit könnte zwei Ursachen haben: Entweder nehmen die Soziologen das Problem als solches nicht wahr, da die soziologische Sprache im Vergleich zu der der Naturwissenschaften alltäglich klingt, und gehen davon aus, dass jeder sie verstehen kann, oder sie scheitern an der Übersetzung der soziologischen Sprache in eine alltägliche, selbst wenn sie die Notwendigkeit einer solchen Übersetzung wahrnehmen. Das Sprachproblem besteht also darin, dass die Soziologie durch die komplizierte Sprache, die sie in ihrem inneren Diskurs verwendet und in der sie ihr Wissen (auch nach außen) transportiert, für Nicht-Soziologen nicht verständlich ist. Die Verwendung dieser Sprache in der Kommunikation zwischen Soziologen und Nicht-Soziologen beeinträchtigt die Kommunikation und die Anschlussfähigkeit der Soziologie nach außen. Die Möglichkeit, Soziologie nach außen zu kommunizieren, scheint jedoch für die Selbstwahrnehmung der Soziologie wichtig zu sein.5 In der Soziologie wurden verschiedene Dimensionen des Sprachproblems thematisiert und Erklärungen angeboten. Die Existenz einer 3
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Siehe unter anderem Lachenmeyer (1971), Derschka/Stoeber (1978), Bergmann (1982), Beck/Rosenmayr (1982), Beck/Lau (1982a), Bruder (1980). Siehe z. B. Lachenmeyer (1971), Rossi/Whyte (1983), Gollin (1983). Scheuch (2000: 66) macht eine Bemerkung zur abschreckenden Wirkung des soziologischen Jargons, der sich selbst diskreditiert. Zur Popularisierung als einem basalen Moment der wissenschaftlichen Kommunikation (im interdisziplinären sowie im außerwissenschaftlichen Bereich, u. a. in der Öffentlichkeitsarbeit) siehe Stichweh (2003a: 212 f.).
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spezifisch soziologischen Sprache vermag nicht nur eine plausible Erklärung für die Probleme in der Kommunikation zwischen Soziologen und Laien zu geben, auch in den Diskussionen über die Stellung der Soziologie, insbesondere der angewandten, in der Gesellschaft nahm das Sprachproblem einen bedeutenden Platz ein (Freeman 1983). Einige der Standpunkte zum Problem der soziologischen Sprache sind für die vorliegende Studie von besonderer Bedeutung. Einige Soziologen, die sich mit diesem Problem befassen, meinen, dass die soziologische Sprache zu kompliziert sei, um von Laien verstanden zu werden (Vogel 2001: 127, Giles-Sims/Tuchfield 1983: 38); andere sind der Ansicht, dass die soziologische Sprache mit der des Laienpublikums grundsätzlich inkompatibel sei (Schwartz/Jakobs 1979: 112-115); wieder andere sehen das Problem darin, dass sich die soziologische Sprache als solche nicht durch Präzision auszeichnet (Bulmer 1954, Bergmann 1956, Skinner 1957, Quine 1960 und insb. Scriven 1956). Es kommt in diesem Abschnitt, der der theoretischen Betrachtung des Sprachproblems gewidmet ist, nicht darauf an, die unterschiedlichen Standpunkte erschöpfend zu behandeln, sondern es soll in erster Linie gezeigt werden, dass es in der Soziologie zum einen keinen einheitlichen Diskurs über das Problem der soziologischen Sprache gibt und dass zum anderen der Sprachproblemdiskurs über Jahrzehnte hinweg ein wichtiges Merkmal der soziologischen Selbstbeschreibung war und bis heute ist.6 Die Sozialisation mehrerer Generationen von Soziologen wurde somit vom Diskurs über das soziologische Sprachproblem beeinflusst. Wie die Analysen der Interviewsequenzen, die später in diesem Kapitel dargelegt werden, zeigen, führte dieser Diskurs dazu, dass viele Mitglieder der Disziplin das Sprachproblem als ein selbstverständliches Merkmal der Disziplin betrachten. Das bedeutet in diesem Kontext7, dass die Soziologie als Disziplin über ein Merkmal verfügt, das unausweichlich (vorhanden) ist. Dieses Merkmal wird in der Kommunikation zwischen Soziologen und Nicht-Soziologen deutlich und findet seinen Ausdruck in Kommunikationsproblemen. In dem innersoziologischen Sprachprob6
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Siehe Lachenmeyer (1971: insb. Kap. 2) für eine Zusammenfassung der soziologischen (Selbst)Analysen, die in diese Richtung gehen, und die Analyse solcher Dimensionen des soziologischen Sprachproblems wie Doppelsinnigkeit, Verschwommenheit, Widersprüchlichkeit und Undurchsichtigkeit. Siehe auch die Anthologie „Applied sociology“ (Freeman (Hg.) 1983), darin insb. die Beiträge von Rossi/Whyte, GilesSims/Tuchfield und Gollin. Diese Unterscheidung findet sich sowohl im Korpus des theoretischen Wissens als auch in der intersubjektiven und informellen Selbstbeschreibung der Soziologen.
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lemdiskurs wird unterstellt, dass die Sprache der Soziologen in irgendeiner Form für diese Kommunikationsprobleme verantwortlich ist. Außerdem wird thematisiert, dass die soziologische Sprache eine besondere ist und dass es selbstverständlich ist, dass die Soziologen sie verwenden, da sie das Mittel ist, um die Soziologie – nach außen wie nach innen – zu kommunizieren. Soziologische Sprache wird also gleichzeitig als Quelle der Kommunikationsprobleme und als das Kommunikationsmittel der Soziologen verstanden. Inwieweit in dieser Hinsicht ein grundsätzlicher Unterschied zu anderen nicht-experimentellen Wissenschaften wie der Rechtswissenschaft oder der Sprachwissenschaft besteht, wird später in diesem Kapitel ausführlicher behandelt. Im Folgenden soll nun mittels einer Analyse des schriftlichen Diskurses dargestellt werden, inwiefern der Sprachproblemdiskurs tatsächlich zu einem Teil der soziologischen Selbstreflexion d.h. zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Dabei sollen auch die verschiedenen Wahrnehmungen des Sprachproblems im schriftlichen Diskurs kurz skizziert werden. Ich beginne mit einem Zitat von Ulrich Beck, der in der Einleitung zu dem Band „Soziologie und Praxis“ (1982) das Sprachproblem als ein allgemein wissenschaftliches anspricht und dabei hervorhebt, dass die Soziologie mit anderen, als die andern Wissenschaften, Maßstäben gemessen wird: „Die Sprache der Wissenschaftler ist eines der Grundärgernisse im Verhältnis zwischen Praxis – und insbesondere der Soziologie. Und manch einer, der diesen Band in die Hand nimmt und in ihn liest, mag sagen: es sei eine innerwissenschaftliche Diskussion ohne Zugangsmöglichkeiten für Praktiker in Gang gesetzt worden, und die Soziologen schlössen aufgrund ihrer Sprache den Nichtfachmann wieder aus. Technikern, Medizinern, Naturwissenschaftlern [...], aber selbst Archäologen und Musikwissenschaftlern wird großzügig und weitgehend jene Unverständlichkeit zugebilligt, die in der Regel Praktiker an den Sozialwissenschaftlern erbittert. Wer verlangt schon, dass die Relativitätstheorie an ‚Äpfel und Birnen‘ erläutert wird? – eine Erwartung, auf die der Soziologe angesichts der Alltagsnähe seiner Themen und den interessierten Eigendeutungen seines Untersuchungs‚gegenstandes‘ mit großer Selbstverständlichkeit immer trifft.“ (Beck 1982: XI) 8
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Dieser Band (Beck (Hg.) 1982) ist deshalb besonders relevant, weil er die Wahrnehmung der außerwissenschaftlichen Soziologie durch die wissenschaftliche Community repräsentiert. Daher ist auch die Erwähnung des Sprachproblems in der Einleitung zu diesem Band und die Art und Weise, wie es hier dargestellt wird, von besonderer Bedeutung.
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Mit der Trennung des das allgemein wissenschaftlichen vom soziologischen Sprachproblem in diesem Zitat wird eine wichtige Unterscheidung getroffen. Das soziologische Sprachproblem unterscheidet sich nach Beck von dem allgemein wissenschaftlichen nicht nur durch die Eigenschaften des soziologischen Gegenstandes, sondern auch durch die Wahrnehmung der Soziologie von außen. Dass eine Wissenschaftssprache ihnen unverständlich ist, ist für Laien nachvollziehbar und akzeptabel, solange es die anderen Wissenschaften betrifft. Wenn es aber um die Soziologie geht, erheben sie den Anspruch, deren Sprache verstehen zu können, da die behandelten Themen ihnen nahe stehen. Eine wichtige Implikation kommt darin zum Ausdruck, dass nicht gefragt wird, ob das Sprachproblem in der Soziologie überhaupt vorhanden ist: Seine Existenz wird selbstverständlich unterstellt. In seinen weiteren Ausführungen legt Beck seine Vorstellung von der Entstehung dieses Problems dar: Einerseits könnten die soziologischen Fachtermini das Genauigkeitsniveau naturwissenschaftlicher Termini nicht erreichen und blieben deswegen teilweise doppeldeutig. Andererseits argumentiert er, dass das Sprachproblem sowie die Möglichkeit seiner „Lösung“9 sehr stark vom Willen der Nicht-Soziologen (der Empfänger des soziologischen Wissens) abhänge, die Soziologen zu verstehen: „Die Erfahrung lehrt: Wo Interessen auf dem Spiel stehen, verstehen ihre Vertreter auch soziologische Forschungsberichte.“ (ibid.) Das eigentlich Problematische am Sprachproblem wird von der Nähe des soziologischen Wissens zum Alltagswissen und der soziologischen Gegenstände zu Alltagsthemen hergeleitet. Durch diese Nähe kann, je nach Interessenlage der Laien ein Sprachproblem entstehen oder auch nicht. Ulrich Beck ist nur einer der Autoren, die sich mit dem Sprachproblem befasst haben. Von Bedeutung für diese Studie ist aber die Art und Weise, wie in diesen Zitaten das Sprachproblem dargestellt wird: nämlich als eine Selbstverständlichkeit. Und genau so ist das Wissen über das das Sprachproblem meiner Ansicht nach in der Selbstwahrnehmung der Disziplin präsent. Das Sprachproblem wird als etwas selbstverständlich Auftretendes angesprochen, als etwas, das in der Einleitung kurz erwähnt werden muss, als ein Merkmal der Disziplin (bzw. der Außenwahrnehmung der Disziplin), mit dem man sich in den außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten befassen muss. Und damit wird
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Damit ist die Möglichkeit gemeint, dass die soziologische Sprache der Kommunikation der Soziologie mit der Außenwelt nicht im Wege steht.
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das Wissen über das Sprachproblem zu einem selbstverständlichen Teil der soziologischen Selbstwahrnehmung.10 Mit der gleichen Selbstverständlichkeit wird dieses Problem auch von anderen Autoren thematisiert – insbesondere von denen, die sich mit den Problemen anwendbarer Soziologie befassen. Da das Problem als ein zwangsläufig auftretendes wahrgenommen wird, wird seine Lösung in den Anwendungsdiskussionen als eine notwendige Voraussetzung für die Kommunikation mit Nicht-Soziologen betrachtet. Die Selbstverständlichkeit des Sprachproblems unterstellt, dass dieses Problem – mehr oder weniger ausgeprägt – bei allen Vertretern der Disziplin auftritt. Daher meinen einige Autoren, Soziologen müssten sich zusätzliche Kompetenzen aneignen, um ihr Wissen nach außen kommunizieren zu können. D.h. in der derzeitigen soziologischen Ausbildung werden Kompetenzen zur „Lösung“ des Sprachproblems nicht vermittelt (das ist allerdings auch nicht verwunderlich, wenn man berücksichtigt, dass sich die Ausbildung in der (deutschen11) Soziologie auf den wissenschaftlichen Beruf konzentriert). So empfehlen z.B. Rossi/Whyte (1983), dass die auf außerwissenschaftliche soziologische Tätigkeiten orientierten Studierenden zusätzliche Qualifikationen für die Kommunikation mit Nicht-Soziologen erwerben sollten12: „Communication with nonsociological audiences, no matter how well educated and intelligent, requires special speaking and writing skills, including the ability to translate technical sociological terms and concepts into language that can be easily understood and the ability to be concise and direct.“ (Rossi/Whyte 1983: 15)
Dieses Zitat impliziert, dass die soziologische Sprache in ihrer gegebenen Form dem Laienpublikum nicht verständlich ist. Die soziologischen Fachbegriffe werden als technische Termini beschrieben, was analog etwa zu den Ingenieur- oder Computerwissenschaften eine spezifische Fachsprache unterstellt, die dem Laien prinzipiell unzugänglich ist.
10 Das Sprachproblem wird in demselben Band von verschiedenen Autoren behandelt und es werden verschiedene Lösungsvorschläge dafür entwickelt; seine Existenz wird jedoch an keiner Stelle diskutiert oder in Frage gestellt. 11 Das angeführte Zitat von Rossi und Whyte (1983: 15) weist allerdings darauf hin, dass dieses Phänomen möglicherweise nicht nur in der deutschsprachigen Soziologie existiert. 12 Dieses Zitat ist ein Beispiel für den Diskurs, in dem die Reflexion über die Existenz des Sprachproblems ausgelassen wird und die „Lösung“ des Problems in den Vordergrund tritt.
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Ohne eine Übersetzung der soziologischen Sprache in die alltägliche ist die Kommunikation mit dem Laienpublikum problematisch. Die hier vorgeschlagene „Lösung“ des Sprachproblems ist also Übersetzung. Die Beschreibungen des Sprachproblems im literarischen Diskurs unterscheiden sich vor allem darin, als wie schwierig bzw. leicht seine „Lösung“ von den verschiedenen Autoren dargestellt wird. Diejenigen, denen das Sprachproblem als ein leicht zu „lösendes“ erscheint, schlagen als die naheliegende „Lösung“ das Übersetzen vor (vgl. dazu Habermas 1981; Beck 1982; Rossi/Whyte 1983: 15 u.a.). Die Übersetzung wird als ein notwendiger Schritt zwischen soziologischer Fachliteratur bzw. wissenschaftlicher Empirie und Praxis gesehen (Harrach (1995: 185) mit Bezug auf Endruweit (1991: 958) u.a.). Es wird davon ausgegangen, dass Soziologen über das Sprachproblem reflektieren sollten und dass dies automatisch die Motivation zu seiner „Lösung“ erzeugen wird. So schreibt z.B. Van de Vall mit Bezug auf die in Anwendungskontexten tätigen Soziologen: „Sozialforscher sind sich im allgemeinen darüber einig, dass Projekte, die abstrakte Theorien und Begriffe verwenden, niedrige Nutzungswerte erzielen.“ (van de Vall 1993: 87) Alle Sozialwissenschaftler seien sich dessen bewusst, dass abstrakte Begriffe in der Praxis nicht sinnvoll verwendet werden können. Es liege demzufolge nahe, dass die Soziologie, um außerhalb der Wissenschaft verständlich zu sein, auf eine vereinfachte Sprache bzw. die Alltagssprache umsteigen müsse. Damit wird eine Unterscheidung getroffen zwischen der Sprache, die Soziologen in wissenschaftlichen Kontexten verwenden, und der, die in der Kommunikation mit Nicht-Soziologen zu verwenden ist. Als „Lösung“ des Problems wird das Sprechen einer nicht-wissenschaftlichen Sprache impliziert. Bulmer (1986) beschreibt die Notwendigkeit der Übersetzung von soziologischen Texten in Alltagssprache folgendermaßen: „The penetrability of social science prose is not always very high, yet when communicating with policy-makers, clarity and simplicity of language are at premium [...] Social science knowledge is fallible, and social scientists are aware of this. Hence their policy recommendations (if any) are likely to be couched in highly conditional form, hedged around with reservations. [...] The production of social science knowledge, moreover, as well as tending to verbosity, is slow and costly. [...] To make research available effectively to policy-makers, faster and cheaper methods need to be used. There is also a premium on foresight in conducting research ahead of it being required by policymakers, and having the ability to synthesize results and present them in lay language when they need.“ (Bulmer 1986: 14; meine Hervorhebungen, T.Z.)
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Die mögliche „Lösung“ des Sprachproblems wird in diesem Zitat als ziemlich einfach dargestellt. Synthetisieren und in einer Laiensprache darstellen. Zwar muss man die Fähigkeit dazu haben, aber das Verfahren an sich scheint nicht schwer zu sein. Man muss wissen, worauf es den Praktikern ankommt. Einerseits wird in der soziologischen Literatur eine „Lösung“ des Sprachproblems vorgeschlagen, nämlich die Übersetzung (ausführlich dazu unter 3.4.2). Andererseits ist die Sprache in der Soziologie ein wichtiges Kriterium der Wissenschaftlichkeit. In dem Epigraph zu diesem Kapitel kritisiert Stinchcombe (1994: 288), dass Soziologietests im Grundstudium im Grunde (nur) die Kenntnis der Soziologiesprache prüfen. Das zeigt jedenfalls, dass die Fähigkeit, die soziologische Sprache zu sprechen, als Zeichen der erfolgreichen Einsozialisation in die Soziologie gesehen wird. Dies bestätigen auch die weiter unten in diesem Kapitel analysierten Interviewsequenzen. Außerdem wird deutlich, dass die Sprache dazu dient, die Soziologie von ihrer Umwelt abzugrenzen, und dadurch ihre Exklusivität zu bezeugen. Angesichts dessen erscheinen die Vorschläge, das Sprachproblem zu lösen, verwirrend. Da die soziologische Sprache ein Kriterium der Wissenschaftlichkeit13 ist und das Sprachproblem ein inhärentes Merkmal der soziologischen Sprache, bedeutet die „Lösung“ des Problems dann die Abschaffung der soziologische Sprache? Anhand der Interviewanalysen soll im Weiteren geklärt werden, inwiefern eine „Lösung“ des Sprachproblems möglich, notwendig oder schwierig sein kann. Wegen der engen Bindung der Sprach- und der Identitätsproblematik können – so, wie bereits erwähnt, meine These – bestimmte Dimensionen des Sprachproblems nicht in dem schriftlichen Diskurs thematisiert werden. Sie kommen nur in den persönlichen Gesprächen zum Ausdruck. Und nur anhand der Interviewanalysen kann geklärt werden, ob das Sprachproblem überhaupt ein zu lösendes Problem ist, ob also eine Notwendigkeit der Sprachproblemlösung besteht, oder ob sich hinter dem Sprachproblem andere Phänomene verbergen. Anhand der Interviewanalysen ist im Folgenden also zu klären, — inwiefern die Sprache bzw. das Sprachproblem als ein identitätsstiftender Mechanismus der Abgrenzung zwischen Soziologie und Nicht-Soziologie fungiert; — inwiefern das Sprechen der soziologischen Sprache als Wissenschaftlichkeitsbeweis gilt;
13 Die Verständlichkeit der Sprache wird von manchen Autoren als ein Merkmal ihrer Unwissenschaftlichkeit verstanden; siehe z. B. Lachenmeyer (1971: 49).
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— inwiefern das Sprachproblem den Soziologen den Zugang zu ihrer Umwelt versperrt; — inwieweit sich das soziologische Sprachproblem von dem anderer Disziplinen unterscheidet; — welche Wahrnehmungen des Sprachproblems meine Interviewpartner während ihrer Sozialisation in der Disziplin internalisiert haben — und schließlich: ob das Sprachproblem als zu lösendes Problem gilt oder als ein Identitätsmerkmal, das zwar als Problem thematisiert wird, aber für die Soziologie unentbehrlich und daher nicht zu lösen gilt.
3.3 Das Sprachproblem in den Interviewdaten In diesem Abschnitt werden die Darstellungen des Sprachproblems, die meine Gesprächspartner in den Interviews geben, nach verschiedenen Aspekten systematisch dargestellt. Das Sprachproblem wird von meinen Interviewpartner in zwei Modi angesprochen. Im ersten Modus gilt es, das Sprachproblem auf einer generellen Ebene zu verorten, es also nicht als ein spezifisch soziologisches Problem, sondern als ein Merkmal aller (Geistes-)Wissenschaften einzuordnen.14 Im zweiten Modus behandeln meine Interviewpartner das Sprachproblem als ein spezifisch soziologisches Problem. 14 Das allgemein wissenschaftliche Sprachproblem ist sicherlich ein wichtiges und spannendes Thema, das angeknüpft ist an einen wissenschaftssoziologischen Diskurs (siehe z.B. Barnes/Bloor/Henry (1996: insb. 140-168 zur Grenzziehung zwischen der wissenschaftlichen und der nichtwissenschaftlichen Sprache), Markovits 1980: insb. 129-141; Kuhn 1977; Knorr-Cetina 1981 u.a.) bzw. an einen wissenschaftsphilosophischen Diskurs (siehe z.B. Wittgenstein 1968 zum allgemeinen Sprachdiskurs in der Philosophie und der Soziologie sowie zu Fragen der Übersetzung), Apel 1976: insb. 104-107 zur Sprachpragmatik und Philosophie, Feyerabend 1978: 16-20 zur wechselseitigen Beeinflussung von wissenschaftlichen Theorien und (Alltags-)Sprache, ibid: 294 f. zum Sprachproblem als einem internen Problem der Wissenschaft, ibid: 364 explizit zum Unterschied zwischen der wissenschaftlichen und der nicht-wissenschaftlichen Sprache), Gadamer 1967, Mulkay 1985 usw.). Da ich mich aber im Rahmen dieser Studie für die besonderen soziologischen Dimensionen des Sprachproblems interessierte, gehe ich auf diesen Diskurs nicht näher ein. Das bedeutet allerdings nicht, dass ich die Existenz eines Sprachproblems in der einen oder anderen Form in den anderen Wissenschaften abstreiten möchte. Ich betrachte aber das Sprachproblem in der Soziologie als ein für diese Disziplin sehr spezifisches identitätsstiftendes Merkmal, das nicht – vor allem nicht in erster Linie – die Kommunikation nach außen verhin-
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3.3.1 Das Sprachproblem in der Wahrnehmung der akademischen Interviewpartner Das Sprachproblem als allgemein wissenschaftliches vs. (spezifisch) soziologisches Problem Die Interviewpartner, die das Sprachproblem als allgemein wissenschaftliches Problem behandeln, re-fokussieren entweder das Sprachproblem von einem besonderen soziologischen auf ein allgemein wissenschaftliches Sprachproblem oder bereiten das Ansprechen der soziologischen Besonderheiten des Sprachproblems durch die Thematisierung des allgemein wissenschaftlichen Sprachproblems vor. Die Thematisierung des Sprachproblems als ein allgemein wissenschaftliches Problem folgt zwei unterschiedlichen Mustern. Das erste Muster des Ansprechens des allgemein wissenschaftlichen Sprachproblems kann als eine Re-Fokussierung des Problems auf einer allgemeinen Ebene beschrieben werden. Die betreffenden Interviewpartner weisen den Gedanken, die Soziologie als Disziplin und Profession könne in der Kommunikation nach außen spezifische sprachbedingte Probleme haben, zurück.15 Das zweite Muster dient dazu, eine Beschreibung der spezifisch soziologischen Dimensionen des Sprachproblems vorzubereiten. Dieses Muster kann als ein Versuch verstanden werden, das soziologische Sprachproblem damit zu entschärfen, dass, selbst wenn bestimmte Dimensionen dieses Problems nur bei der Soziologie vorkommen bzw. vorkommen können, sie trotzdem nur eine der Disziplinen ist, die unter dem Sprachproblem leiden. In den Interviewsequenzen, in denen es um das soziologische Sprachproblem ging, waren meine Interviewpartner damit konfrontiert, dass das Problem, um das es ging, ein wichtiges Merkmal der Identität der Disziplin darstellt. Da sie (zum Teil durch die direkte (Präzisions-) Frage der Interviewerin) sich gegenüber einer identitätsstiftenden Komponente des Soziologenseins positionieren mussten, sahen viele der Interviewpartner die Notwendigkeit, den Einstieg in die spezifisch soziologische Sprachproblematik durch einen breiteren Sprachproblemkontext vorzubereiten. dert, sondern eine für die Identität der Profession und den Vollzug ihrer außerwissenschaftlichen Aufgaben notwendige Abgrenzung zur Umwelt leistet. 15 Dies würde der These, dass es ein spezifisch soziologisches Sprachproblem gibt, erst einmal widersprechen. Ich erkläre jedoch im Laufe des Kapitels, warum dies für mich in keinem Widerspruch steht, weil ich die Versuche, die Existenz eines genuin soziologischen Sprachproblems abzulehnen, als eine Strategie zum Schutz der Identität sehe.
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3.3.1.1 Einstieg in die Sprachproblematik: Sprachproblem als ein allgemeinwissenschaftliches Problem Besonderheiten des soziologischen Sprachproblems im Vergleich zu dem allgemein wissenschaftlichen Sprachproblem Wie bereits erwähnt, beleuchten manche meiner Gesprächspartner in den Interviews zunächst das allgemeine Sprachproblem im wissenschaftlichen Kontext, um das Ansprechen des spezifisch soziologischen Sprachproblems vorzubereiten. [Int16] beispielsweise kontextualisiert das Sprachproblem zuerst durch Bezug auf andere Disziplinen/Berufe und bringt es dann mit der Professionalisierung der Soziologie in Verbindung: es sind ja nicht nur die Fachbegriffe die schwierig sind sondern (.) (die ......) (.) äh (.) da kann ich (.) ein juristisch-wissenschaftlichen Text = auch einen medizinisch-wissenschaftlichen Text äh häufiger (.) ganz gut verstehen (.) ähm (.) aber die professionellen (.) Texte das ist ein Problem und eigentlich ist es ja wiederum so dass die: (.) gerade die Juristen und Mediziner (.) mh: (.) beratende (.) oder auch beratende Berufe sind äh die: (.) äh mit (.) viel mehr als das Soziologen normalerweise tun äh mit eben Nicht-Juristen und NichtMedizinern (.) zu tun haben in einer beratenden Form (.) und da verstellt sich die Sprache (.) [...] die Sprache zwischen (.) äh (.) (Kommunikanten) (.) und das (.) find ich schon problematisch /Z: aber die Ärzte müssen das irgendwie können (.) ich meine/ I: ja sie sprechen dann: mh: (.) zwei Sprachen (.) sie sprechen ne professionelle Sprache untereinander (.) und ne andere mit den: (.) Patienten aber (.) ähm (.) sie haben auch Probleme (.) umzusteigen = und sie haben Probleme in der Alltagssprache (.) zu erklären äh (.) was sie: (.) medizinisch eigentlich denken Z: mmh (.) würden Sie sagen dass Soziologie auch diese zwei Sch/ zwei A/ äh also (.) wissenschaftliche und professionelle Sprache hat? I: nein äh weil es keine soziologische: (.) Profession in diesem engeren Sinne gibt (.) also es gibt die Soziologie als Wissenschaft (.) das ist ja eben hier (.) aber es gibt keinen: (.) speziellen Beruf äh (.) für Soziologen in der Gesellschaft [Int16]
Die anderen von [Int16] erwähnten Disziplinen sind „beratende Berufe“, daher sind sie viel motivierter, das Sprachproblem zu lösen, da ihre Existenz als beratende Berufe wesentlich davon abhängt. [Int16] hebt aber hervor, dass es selbst für die beratenden Berufe (hier: Medizin und Jura) schwierig ist, „in der Alltagssprache zu erklären“, was sie „medizinisch eigentlich denken“. Die Soziologie dagegen ist, so [Int16], kein beratender Beruf. Er versucht, das soziologische Sprachproblem als ein strukturelles zu beschreiben. Er stellt dar, dass das Sprachproblem in der akademischen Disziplin nicht gelöst werden kann. Das Problem ist (bis 232
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jetzt) vorhanden, weil es immer noch keine soziologische Profession gibt, und die gibt es nicht, weil es keinen „speziellen Beruf für Soziologen in der Gesellschaft“ gibt. Die Motivation zur Entwicklung einer verständlicher Sprache wird mit der Institutionalisierung eines außerwissenschaftlichen Berufs in Verbindung gebracht. Hier wird also deutlich, dass die Institutionalisierung eines solchen Berufs (Beratung) für das erfolgreiche Kommunizieren der Soziologie mit der Außenwelt essenziell ist. Dabei geht es aber auch darum, dass die Entwicklung einer gesellschaftlichen Nachfrage nach soziologischen Dienstleistungen die Selbstwahrnehmung der Soziologie verändern wird. Eine Selbstwahrnehmung der Soziologie als beratender Beruf wäre der Entwicklung einer für Nicht-Soziologen verständlichen Sprache förderlich. Derzeit verfügt die Soziologie ausschließlich über eine wissenschaftliche Sprache; sie hat noch keine Sprache ausbilden können bzw. müssen, die zwar professionell ist (und damit der Abgrenzung dient), aber dennoch für Laien verständlich. Diese Situation wird sich also möglicherweise ändern, wenn die Soziologen Beratungstätigkeiten nachgehen bzw. sich als Berater verstehen würden. Mit der weiteren Professionalisierung der Soziologie zum außerwissenschaftlichen Beruf wird sich das Sprachproblem auflösen.
Zurückgreifen auf die Erfahrung prominenter Soziologen mit dem Sprachproblem Einige Interviewpartner greifen, bevor sie ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Sprachproblem beschreiben, auf die Erfahrungen anderer – prominenter16 – Soziologen damit zurück. Dies dient vor allem dazu, die Allgemeingültigkeit und den Ernst dieses Problems darzustellen und deutlich zu machen, dass es kein persönliches Defizit eines Soziologen ist. In der folgenden Interviewsequenz beschreibt [Int06] das Sprachproblem am Beispiel eines prominenten Soziologen. Dieser Einstieg lässt sich so deuten, dass sie an diesem Beispiel eine erfolgreiche Strategie der Sprachproblemlösung zeigen will. Ihre Beschreibung der Konsequenzen dieser Problemlösung macht jedoch die Verknüpfung des Sprachproblems mit der soziologischen Identität deutlich. Vor allem zeigt sich, dass die „Lösung“ des Sprachproblems als solche keine technische „Lösung“ ist, sondern in der – stets persönlich zu beantwortenden – Frage besteht, inwiefern man bereit ist, die eigene wissenschaftliche Identität zu gefährden, um in der außerwissenschaftlichen soziologi16 Es ist sicherlich interessant zu beobachten, welche Soziologen für prominent genug gehalten werden, um in einem solchen Kontext angeführt zu werden.
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schen Praxis verstanden zu werden, und wer sich eine solche Gefährdung der Identität leisten kann. [Int06] zeigt, welche Gründe Soziologen haben können, dieses Problem aufrechtzuerhalten. Sie führt die Position von Anthony Giddens als ein positives Beispiel dafür an, wie mit dem Sprachproblem in der Kommunikation mit der Außenwelt umgegangen werden kann. In dieser Sequenz kommt jedoch eine weitere Dimension des Sprachproblems zur Sprache, die damit zusammenhängt, wie Anthony Giddens’ Problemlösungsversuche seitens der Disziplin behandelt wurden. Die „Lösung“ des Sprachproblems bzw. die Entscheidung, verständlich zu sprechen, kollidiert mit den Vorstellungen der Disziplin von Wissenschaftlichkeit (ausführlicher dazu unter 3.4.1): Z: could you please tell a bit more about the change of the terminology =‘cause I think it is a very interesting problem = cause the sociologists do understand that if they speak the language they use to speak being with their colleagues (.) they will never be understood (.) but if they really try to simplify the language as much as possible (.) then they will be speaking the everyday language (.) if you (.) as a sociologist (.) come and try to explain the journalist the new research results you=ve just gained (.) and you will try to be simple (.) then they will say (.) “Ok. But we know it“ (.) I: yes (.) and I guess these things do happen to the sociologists [...] when I think of Anthony Giddens (.) he was the head of London School of Economics (.) and he took a certain turning in his carrier (.) and he said (.) “Ok (.) I’m going to write things that people can understand about their lives“ [...] And he simplified his language into some books (.) which people would buy in the airports (.) and I think he was certainly criticized by the sociologists (.) because he simplified things quite a bit (.) and when his work was used in the political circles, by Tony Bleer (.) and the work was much more used and much more read (.) and he maintained a much bigger audience (.) for writing simpler [...] and who he was criticized by (.) he was criticized by sociologists (.) for being not only too abstract but also simplifying things too much (.) [Int06]
[Int06] reagiert auf die Suggestion, Soziologen könnten in die Situation geraten, dass sie wegen ihrer vereinfachten Sprache von NichtSoziologen nicht ernst genommen werden, deutet jedoch die suggerierte Problematik um. Sie führt ein Beispiel eines Soziologen an, der durchaus erfolgreich seine Ergebnisse in eine vereinfachte Sprache übertragen hat und vom nicht-soziologischen Publikum verstanden wird; seine Ergebnisse werden von Nicht-Soziologen für relevant gehalten. [Int06] entwirft (hier) also ein dem eingangs (von der Interviewerin) skizzierten widersprechendes Szenario dessen, wie die Dinge sich entwickeln können, wenn das Sprachproblem „gelöst“ wird, und zeigt auf, dass die So234
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ziologie durchaus verständlich nach außen transportiert werden kann. Gleichzeitig weist sie jedoch darauf hin, dass die „Lösung“ des Sprachproblems für ihren Träger durchaus weitere Probleme aufwerfen kann, und zwar Sanktionen seitens der wissenschaftlichen Community. Es kann also sein, dass die betreffende Person von der wissenschaftlichen Community – und es gibt keine andere Community, die einen dafür belohnen könnte – für ihre einfache Sprache scharf kritisiert wird. Dies kann selbst einem prominenten Kollegen passieren (nicht unwichtig ist hier die Hervorhebung von Giddens’ Position in der soziologischen Hierarchie „he was the head of London School of Economics“). Wenn man berücksichtigt, dass [Int06] unter den Interviewpartnern die jüngste ist und die niedrigste Position in der akademischen Hierarchie hat, wird verständlich, dass sie als Soziologin Bedenken hat, wenn es um die „Lösung“ des Sprachproblems geht. Indirekt kommt in dieser Interviewsequenz die Bedeutung der soziologischen Sprache für die Identität der Disziplin zum Ausdruck. Das soziologische Wissen, das von einem durchaus angesehenen Soziologen wissenschaftlich produziert wurde, verliert nach Einschätzung der Community an wissenschaftlichem Gehalt, wenn es in einer einfachen Sprache ausgedrückt wird. Es scheint, dass die soziologische Community von ihrer Sprache stärker abhängt, als andere wissenschaftliche Disziplinen. Sicherlich kann soziologisches Wissen, das nach außen transportiert wird und in die politische Debatte einfließen bzw. den Menschen im Alltag vermittelt werden soll, nicht in der Form ausgedrückt werden, die innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses üblich ist. Die Kritik der Community setzt bei der Vereinfachung ein. Das würde bedeuten, dass die Community als das einzig wahre soziologische Wissen wissenschaftliches Wissen sieht. Dass [Int06] diese Kritik mit der Sprache verbindet, weist aber darauf hin, dass der Gebrauch der soziologischen Sprache sehr eng an die soziologische Konzeption von Wissenschaftlichkeit gebunden ist. Giddens hat, um seine Soziologie erfolgreich nach außen zu transportieren, eine Vereinfachung der Sprache vorgenommen; von anderen Veränderungen, etwa hinsichtlich der Essenz des soziologischen Wissens, spricht [Int06] nicht Er wurde aber inhaltlich kritisiert (die Bücher seien zu abstrakt, zu einfach). [Int06] sagt, Giddens hätte seine Sprache simplifiziert, und gleich wird aber „he simplified things“ eingeführt, was die (automatische und auch von [Int06] nicht thematisierte) Gleichsetzung der sprachlichen und der inhaltlichen Vereinfachung deutlicher. Es wird also unterstellt, dass durch die Übersetzung das Wissen an soziologischer Substanz verliert. Durch die Sprache unterscheidet sich also Soziologie von Nicht-Soziologie.
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3.3.1.2 Das Sprachproblem als ein Merkmal der Disziplin Vorab muss erläutert werden, warum von der Bedeutung des Sprachproblems und nicht nur der Sprache für die Identität der Disziplin gesprochen wird. In vielen Interviews wird das Sprachproblem als ein (selbstverständliches und identitätsstiftendes) Merkmal der Disziplin betrachtet. Diese Wahrnehmung setzt voraus, dass das Sprachproblem (in unterschiedlichem Ausmaß) bei allen Vertretern der Disziplin auftritt. Das Sprachproblem wird zu einem wichtigen Bestandteil der Selbstwahrnehmung der (wissenschaftlichen) Soziologie und der Soziologen. Die Wahrnehmung des Sprachproblems als ein selbstverständliches Merkmal der Disziplin folgt verschiedenen Mustern, die alle unterstellen, dass das Sprachproblem in die Identität der Disziplin eingebettet ist. — Das erste Muster beschreibt die Vorteile, die mit dem Sprachproblem für einen Soziologen verbunden sind, und erklärt damit den festen Platz, den dieses Problem in der Selbstbeschreibung der Disziplin einnimmt. — Das zweite Muster verbindet das Sprachproblem mit der Professionalisierungsproblematik in der Soziologie und bestätigt seine Wahrnehmung als ein identitätsstiftendes Merkmal der Soziologie. — Das dritte Muster beschreibt das Sprachproblem als eine Folge der Ähnlichkeit zwischen der soziologischen und der alltäglichen Sprache. Das selbstverständliche Auftreten des Sprachproblems, das in diesem Abschnitt beschrieben wird, wird meist im Hinblick auf die Frage erörtert, inwiefern das Sprachproblem als instrumentalisiert wird, um eine Abgrenzung zur Außenwelt (insbesondere im außerwissenschaftlichen Beruf) zu dokumentieren und dadurch die Etablierung einer soziologischen Identität außerhalb des Wissenschaftsbetriebes zu ermöglichen.
Vor- und Nachteile der soziologischen Sprache Die Interviewpartner, die die Vorteile der sprachliche Abgrenzung der Soziologie von ihrer Umwelt für Soziologen beschreiben, sehen das Sprachproblem nicht als unlösbar und seinen Ursprung nicht in der Sprache als solcher. Vielmehr sehen sie ein anderes grundlegendes Problem, das im Sprachproblem seinen Ausdruck findet. Die komplizierte Sprache wird als ein Merkmal gesehen, das mit dem Funktionieren der Disziplin als solcher zusammenhängt. In der ersten im Folgenden analysierten Interviewsequenz führt [Int12] aus, dass nicht alle Soziologen verstehen würden, dass einen Un236
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terschied geben muss zwischen der Sprache innerhalb der Soziologie (als Wissenschaft) und der Sprache, in der die Soziologie nach außen transportiert wird. Dies sei die Ursache des Sprachproblems. [Int12] verbindet das soziologische Sprachproblem mit der Geschichte der Disziplin. Der Ursprung des Sprachproblems liegt seiner Meinung nach in der Art und Weise, wie die Soziologie in den 1970er Jahren mit dem Laienpublikum kommuniziert hat. Die Disziplin selbst hat dafür gesorgt, dass das Laienpublikum jegliche Motivation zur Kommunikation mit ihr verloren hat. [Int12] ordnet das Sprachproblem als ein disziplinäres ein, indem er sagt, dass „der inner(.)professionelle Diskurs natürlich“ darauf, dass die Soziologen eine den Nicht-Soziologen unverständliche Sprache sprechen „keine Rücksicht nehmen muss“. Es wird also deutlich, dass das Problem in der Disziplin liegt, und zwar in deren Selbstwahrnehmung, weil sie offensichtlich die Kommunikation mit dem Laienpublikum nicht für wichtig genug hält, um sie auf der disziplinären Ebene zu erleichtern: die Soziologie hat ja in den 70er Jahren durch (.) die Übernahme des (.) Sprachgebrauchs der: (.) des(halb) Soziologenjargons hier den Anschluss [zum breiten Publikum] bis heute wohl (.) sich verdorben denn sie steht unter dem Verdacht dass sie sich nicht verständlich äußern kann (.) ein Verdacht der dann ja den (.) größeren Verdacht nach sich zieht dass sie auch gar nicht verständlich (.) denkt (.) und dass sie eben (.) sich eigentlich gar nicht (.) äh gesellschaftlich (.) beteiligen kann weil ihre Denkweise (.) der Gesellschaft nicht vermittelt (.) werden kann weil die Soziologie (.) die Gesellschaft als solche nur in ihren Kategorien wahrnimmt und nicht (.) in einheimischen Kategorien (.) und da ist sicher (.) für a/ (.) (aber ein/) ein Chemophysiker käme ja auch nicht auf den Gedanken in (.) chemophysikalischen Formeln die Bedeutung seiner Forschung darzulegen (.) da hat die Soziologie sicher: immer noch ein: (.) ein Defizit (.) bis in die Gegenwart (.) weil die/ der inner(.)professionelle Diskurs natürlich darauf keine Rücksicht nehmen muss [Int12]
Offen bleibt die Frage, warum [Int12] das Übernehmen des Soziologenjargons auf die 1970er Jahre bezieht. Wie aus dem Kapitel 2 dieser Studie hervorgeht, hängen einige Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung und Identitätsbildung mit der Geschichte der Disziplin zusammen. Der Hinweis auf die 1970er Jahre ist als ein Hinweis auf die Selbstpositionierung der Disziplin gegenüber der Außenwelt zu lesen, für die in dem angedeuteten historischen Kontext besonders die Ablehnung einer direkten Anwendung der soziologischen Ergebnisse vor allem durch die politischen Mächte (1970er Jahre), aber auch durch die Wirtschaft kennzeichnend war. [Int12] knüpft hier also an die in der So-
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ziologie jahrzehntelang geführte Anwendungsdiskussion17 an und damit letztlich an die Unterscheidung Wissenschaft/Anwendung und die Normativitätsdebatte. Ist die Anwendung unerwünscht (um die wissenschaftliche Autonomie zu erhalten), so besteht keine Notwendigkeit, die Sprache an die Anforderungen der Praxis anzupassen. Somit tritt hier die Funktionalität der Sprache für den inneren wissenschaftlichen Beruf in den Vordergrund. Sprache dient nicht nur dazu, zu kommunizieren, sondern auch dazu, die Soziologie (die keine Einheit ist, sondern ein Bündel von Bindestrich-Soziologien) zu strukturieren:18 da hat die Soziologie sicher: immer noch ein: (.) ein Defizit (.) bis in die Gegenwart (.) weil die/ der inner(.)professionelle Diskurs natürlich darauf keine Rücksicht nehmen muss = da kann man durch den Jargon (.) sich durchaus profilieren ja sogar (.) sogar Bereiche der Zuständigkeit abgrenzen durch die Sprache (.) zu der man dann eben entweder gehört oder nicht gehört (.) das ist für das allgemeine Fernseh- und Medienpublikum ja völlig irrelevant (.) die halten jeden der sich Soziologe nennt für den Vertreter der Soziologie für eine/ eine/ eine (.) eine noch zu entwickelnde (.) politische (.) gesellschaftliche Funktion (in) der Soziologie und (.) da wäre es natürlich wichtig dass auch die empirischen Forscher (.) äh sich zu Wort melden und nicht nur die (.) Deuter der Gegenwart die das aus allgemeinen Kategorien heraus: interpretieren was sich vollzieht [Int12]
Die Funktionen der Sprache sind für die Soziologie, die sich als wissenschaftliche Profession versteht, vielfältig und sehr bedeutsam: Die Sprache grenzt die Soziologie von ihrer Außenwelt ab, sie ist für die wissenschaftliche Kommunikation essenziell und sie dient der Strukturierung der wissenschaftlichen Soziologie. Die Möglichkeit, die Soziologie nach außen verständlich zu machen, wird es nur dann geben, wenn Kommunikation nach außen in Form einer „politischen“ bzw. „gesellschaftlichen Funktion“ institutionalisiert wird. Hier kollidiert also nicht nur die innere Funktionalität der Sprache (die die Soziologen zum Gebrauch dieser Sprache auch außerhalb des Wissenschaftsbetriebs verpflichtet, wodurch das Sprachproblem entsteht) mit dem Wunsch nach Anschlussfähigkeit nach außen. Vor allem kollidiert hier die Selbstwahrnehmung der Soziologie als eine wissenschaftliche Profession, die die Pflege der Soziologiesprache als eine Ba17 Siehe etwa Beck et al. (1982), Shore/Scott (1979), Freeman et al. (1983), Dewe (1991), Kühl/Tacke (2003) usw. 18 Hier rekurriert [Int12] vermutlich auf den Gedanken von Norbert Elias über die Abgrenzung der Bindestrich-Soziologien voneinander u.a. durch die Entwicklung eigener Fachausdrücke (1970: 51). Ausführlicher dazu Bögenhold (1995: 298).
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sis für die interne Strukturierung sieht, mit der Aufklärungsfunktion der Soziologie. Der soziologischen Sprache wird eine wichtige interne Funktion in der Disziplin zugeschrieben: Diese Selbstzuschreibung zur relevanten Bindestrich-Soziologie wird durch die Sprache vollzogen. Die Soziologen nehmen, so [Int12], nicht wahr dass es für die Außenseite nur eine Soziologie gibt und nicht mehrere, denn „die halten jeden der sich Soziologe nennt für den Vertreter der Soziologie“. Das bedeutet wiederum, dass die Soziologen die interne Unterteilung der Disziplin auch in der Kommunikation mit dem Laienpublikum erhalten wollen bzw. nicht bereit sind, sich nach außen als eine Einheit zu präsentieren. Dies ist sicherlich ein Strukturproblem und auch ein Problem der soziologischen Professionalisierung. Für die Erfüllung aufklärerischer und politischer Funktionen in der Soziologie wäre eine Modifizierung der soziologischen Selbstwahrnehmung (u.a. durch im Studium vermittelte Berufsbilder) notwendig. Die in der Öffentlichkeit tätigen Soziologen müssten sich nicht zu einer Bindestrich-Soziologie, sondern zu der Soziologie bekennen können, um von Nicht-Soziologen als Experten wahrgenommen zu werden. Sie müssten demzufolge auch Verantwortung für die anderen Soziologen übernehmen. Dies ist allerdings schwierig, zumindest wenn man an die Ergebnisse der im 2. Kapitel durchgeführten Analysen denkt: Diese zeigen, dass die Soziologie (zum wissenschaftlichen Beruf) de facto innerhalb kleinerer Kollegengruppen (höchstens innerhalb der Bindestrich-Soziologien) professionalisiert ist. Diese Strukturbesonderheiten der Soziologie können – und müssen – allerdings nicht nach außen deutlich gemacht werden. [Int12] unterteilt in dieser Interviewsequenz die soziologische Community in die empirischen Forscher, die sich nicht an der Öffentlichkeitsarbeit beteiligen, und die „Deuter der Gegenwart“, denen es an einer empirischen Basis fehlt. Die „Deuter der Gegenwart“ sind wahrscheinlich diejenigen, die für die Reproduktion des Sprachproblems sorgen, da sie es sind, die die Öffentlichkeitsarbeit leisten bzw. allgemeiner die Soziologie dem Laienpublikum nahe bringen. Das Sprachproblem wird von [Int12] als doppelseitiges betrachtet: Einerseits ist die Sprache für die Verfolgung der inneren disziplinären Ziele essenziell. Sprache vermag interne Zuständigkeitsbereiche innerhalb der wissenschaftlichen Soziologie abzugrenzen. Ihre besondere Funktionalität in der Soziologie ist durch deren Heterogenität als wissenschaftliche Profession zu erklären. Die Soziologen reflektieren jedoch nicht darüber, dass diese interne Unterteilung nicht nach außen getragen werden kann und dass bei der Vermittlung der Soziologie nach außen vor allem darauf geachtet werden muss, dass die Sprache ver239
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ständlich wird. D.h. die (vereinfachte) Sprache, die in der Kommunikation der Soziologie mit der Außenwelt zu verwenden wäre, müsste die – durchaus funktionale – innersoziologische Sprache ersetzen. Die Soziologie versteht sich aber als eine wissenschaftliche Profession und sieht keine Notwendigkeit, eine vereinfachte Sprache zu entwickeln, um außerwissenschaftlichen Tätigkeiten nachgehen zu können. Das Sprachproblem resultiert also daraus, dass die Soziologie nicht motiviert ist, ihr Wissen nach außen zu transportieren bzw. dass die Angst, die interne Aufteilung durch die Aufnahme außerwissenschaftlicher Tätigkeiten zu gefährden, größer ist als eine derartige Motivation. Daraus resultiert das Sprachproblem. Andererseits resultiert das Sprachproblem aus dem Image der Soziologie, das das Laienpublikum in den 1970er Jahren internalisiert hat. Durch die generelle Annahme, Soziologen könnten nicht verständlich sprechen, ist das Laienpublikum demotiviert, sich überhaupt Mühe zu geben, um die Soziologen zu verstehen.19 Eine weitere, hier etwas subtiler kommunizierte Dimension des Sprachproblems hängt mit der Frage zusammen, wer die Soziologie nach außen transportiert. Nach Auffassung von [Int12] sind dies überwiegend Soziologen, die nicht empirisch arbeiten, sondern eher auf eine allgemeine, breit angelegte Aufklärung abzielen. Dies bedeutet zum einen, dass die Vermittlung der Soziologie nach außen in Form einer Gegenwartsdeutung erfolgt. Soziologie wird Nicht-Soziologen nicht als ein auf die Lösung eines konkreten Problems orientiertes Expertenwissen präsentiert, sondern als allgemeine abgehobene Gegenwartsdeutung, womöglich im Modus wahren Wissens. Es geht der (wissenschaftlichen) Soziologie also in der Öffentlichkeitsarbeit (wenn sie solche überhaupt betreibt) darum, den Nicht-Soziologen auf einer allgemeinen Ebene zu erklären, was sich in der Gegenwart vollzieht. Solches in Form allgemeiner wissenschaftlicher Wahrheit präsentiertes Wissen wird sicherlich nicht in einer einfachen Sprache ausgedrückt werden, schließlich gehört zur Gegenwartsdeutung auch eine komplizierte Sprache, die die Wissenschaftlichkeit und Exklusivität dieser Deutung stützt. Zum anderen ist die Präsentation solcher Gegenwartsdeutungen in einer komplizierten Sprache insofern notwendig, als sie nicht durch empirische Ergebnisse gestützt werden können. Die Sprache als Beweis der Exklusivität und Wissenschaftlichkeit (bzw. Professionalität) des nach außen kommunizierten Wissens ersetzt in diesem Fall die fehlenden empirischen Belege.
19 Beck ist, wie bereits erwähnt, der Ansicht, dass die „Lösung“ des Sprachproblems einer beiderseitigen Motivation der Soziologen und des Publikums bedarf (Beck 1982: XI).
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Aus der Interviewsequenz geht also hervor, dass die Soziologie das Sprachproblem in sich trägt. Ob als Mittel zur internen Differenzierung der Disziplin, als Mittel der Außendarstellung der „Deuter der Gegenwart“ oder als fester Bestandteil des Außenimages der Soziologie, die komplizierte soziologische Sprache und das damit verbundene Sprachproblem sind ein selbstverständliches Merkmal der Soziologie. Auch [Int18] beschreibt die Produktion bzw. die Reproduktion des Sprachproblems in der Soziologie und bindet seine Existenz an das Funktionieren der Soziologe an. Die „Lösung“ dieses eher externen Problems (es tritt nur in der Kommunikation mit der Außenseite auf) wird als eine schwierige Entscheidung dargestellt, die Nachwuchswissenschaftler kaum treffen können, weil sie dadurch weitere und für sie ernstere Probleme in der wissenschaftlichen Community bekommen könnten. Die „Lösung“ des Sprachproblems ist kein technisches Problem – sie ist vielmehr relativ einfach –, sondern sie ist aus Identitätsgründen schwierig: I: also ich glaube das Problem der soziologischen Sprache wird (.) äh immer geringer je älter man wird (.) aus einem ganz einfachen Grund äh (.) wenn man jung ist muss man sich: äh gegenüber der Zunft äh beweisen dass man wissenschaftlich genug ist (.) also benutzt man den Jargon und wenn man älter wird dann: (.) muss man: diesen Beweis nicht mehr führen und dann (.) kann es interessanter werden sich (.) einer Öffentlichkeit gegenüber verständlich zu machen [Int18]
Die jüngeren Wissenschaftler behalten also den Jargon bei, weil sie gegenüber der Community ihre Wissenschaftlichkeit beweisen wollen und müssen. Wenn dieser Beweis erst geliefert ist, kann man sich mit der Vermittlung der Soziologie nach außen befassen. Hier kann durchaus eingewendet werden, dass selbst junge Wissenschaftler eine Grenzziehung vornehmen und ihre Wissenschaftlichkeit nur im inneren disziplinären Diskurs durch die Sprache zum Ausdruck bringen könnten. [Int18] weist aber diese Möglichkeit gleich zurück, in dem er die Entwicklung des Sprachgebrauchs durch die Disziplinmitglieder als lineare darstellt: zunächst die Wissenschaftlichkeit in der Disziplin durch die Sprache beweisen und damit Reputation erwerben, erst dann Verständlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit entwickeln. Mit seiner Formulierung „dann (.) kann es interessanter werden sich (.) einer Öffentlichkeit gegenüber verständlich zu machen“ deutet [Int18] an, dass dies vorher nicht so interessant ist oder dass vorher andere Dinge interessanter bzw. wichtiger sind. Die erfolgreiche Kommunikation mit der Öffentlichkeit wird als etwas dargestellt, das erlaubt werden kann, wenn das Ringen um Aner241
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kennung in der Disziplin erfolgreich abgeschlossen ist. Dies zeigt einerseits, dass der Disziplin die Kommunikation mit der Außenseite nicht wichtig genug ist, um dafür den Nachwuchswissenschaftlern einen Teil der disziplinären Wissenschaftlichkeitsprüfung zu erlassen. Die Nachwuchswissenschaftler haben also Angst, sich an irgendeiner Stelle nicht hinreichend wissenschaftlich auszudrücken, und ihnen ist klar, dass ein Mangel an Wissenschaftlichkeit gegenüber der wissenschaftlichen Community nicht durch Öffentlichkeitsarbeit zu legitimieren ist. Andererseits klingt die Erklärung „wenn man älter wird“ in Verbindung mit „interessanter“ eher nach einer Freizeitbeschäftigung als nach einer ernsthaften professionellen Aufgabe. Damit ist nicht gemeint, dass [Int18] die Kommunikation mit der Öffentlichkeit nicht ernst nimmt. Es ist aber deutlich, dass Soziologen wissen, dass erfolgreiches Kommunizieren mit Laien für die Wahrnehmung eines Soziologen in der Community unwichtig (wenn nicht gar schädlich) ist. Für das Funktionieren der Soziologie (die als eine institutionalisierte Einheit nur in Form der wissenschaftlichen Community etabliert ist) ist ihr Kommunizieren nach außen nicht von Bedeutung. Die komplizierte soziologische Sprache ist ein notwendiges Mittel zum Beweis der Wissenschaftlichkeit. Das Sprachproblem wird zur Begleiterscheinung des Etablierens in der Disziplin. Mit diesen Überlegungen ist die sachliche Dimension des Sprachproblems – die Existenz einer für Nicht-Soziologen unverständlichen Soziologiesprache – sicherlich nicht abgeschafft. Doch liegt die diesem Zitat zu entnehmende Besonderheit des soziologischen Sprachproblems zweifellos nicht in der Sachdimension, sondern in der engen Anbindung der soziologischen Sprache an die Wissenschaftlichkeitskriterien der Soziologie. Diese besonders starke Anbindung ist, wie bereits erwähnt, wahrscheinlich durch die Heterogenität der Soziologie zu erklären, da es in dieser Disziplin/Profession besonders schwierig ist, allgemeingültige Mechanismen der Wissenschaftlichkeitsprüfung zu etablieren (siehe Kap. 2). Die soziologische Sprache wird auf dem Hintergrund dieser Heterogenität zu einem formalen Kriterium, anhand dessen zumindest der Grad der Einsozialisation eines Nachwuchswissenschaftlers in die Soziologie einigermaßen gemessen werden kann. Es ist auch verständlich, dass die Soziologie ihr Wissen nach außen als exklusives präsentieren möchte, so dass es von Nicht-Soziologen nicht angezweifelt werden kann (siehe das 2. Kapitel dieser Arbeit). Und da Soziologen keine anderen Mittel haben, um die Exklusivität ihres Wissens nach außen herzustellen, als auf die Autorität der wissenschaftlichen Soziologie zu verweisen, sind sie mehr oder weniger gezwungen, auch bei der Vermittlung der Soziologie nach außen, also außerhalb der 242
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wissenschaftlichen Community die in dieser Community anerkannten Regeln der Wissenschaftlichkeit zu befolgen – es sei denn, sie können (wie Giddens) mit ihrem Namen und ihrer Position in der Wissenschaft dafür bürgen, dass das nach außen transportierte Wissen, obwohl einfach und verständlich formuliert (also den internen Wissenschaftlichkeitskriterien der Disziplin nicht entsprechend), trotzdem wissenschaftlich erworben und daher exklusiv und professionell ist. Insofern reduziert sich das soziologische Sprachproblem mit steigendem Alter und wachsender Reputation in der wissenschaftlichen Community auf das allgemein wissenschaftliche Sprachproblem (also auf seine Sachdimension). Eine vergleichbare Wahrnehmung des Sprachproblems bringt auch [Int19] in der folgenden Interviewsequenz vor: und auch mit Politikern muss man das natürlich tun ne (.) Sie können Politikern nicht mit (.) mit dem ganzen (.) Soziologiekram kommen = dann müssen Sie=s auch runterkochen auf sehr (.) basale und einfache äh Aussagen und (.) ich denke das kann ich eigentlich ganz gut (.) vielleicht äh: ist es auch ne Frage des Alters (.) ich hab den Eindruck dass jüngere Leute das sehr viel schwerer können (.) die (.) glaub ich wollen ihre ganze Wissenschaftlichkeit (.) durch die Art wie sie sprechen dann auch (zum ...) Ausdruck bringen und das macht es für’n Leser nicht so schön (.) für’n Hörer auch nicht so gut ne (.) wenn sie dann sagen naja gut ich (.) hab’s nicht mehr nötig (.) mich als besonders äh (.) komplex denkender und also ganz äh: (.) hoch ausgewiesener (.) Akademiker zu präsentieren sondern sehe das eher locker (.) dann kann man glaub ich einfacher und klarer darüber [über soziologische Theorien und Befunde] reden als wenn man das (.) noch nicht so gelernt hat wie ein junger Mensch das (.) häufig eben (.) auch noch nicht kann nech oder (.) irgend (.) ja es nötig hat (.) ne aus Selbst äh (.) wegen des Selbstbildes des Images das man von sich selber hat (.) muss er (.) unbedingt kompliziert und äh [...] hochgestochen reden [Int19]
[Int19] sagt zwar nicht explizit, dass junge Wissenschaftler hochgestochen reden müssen, um sich in der soziologischen Community zu etablieren, jedoch wird deutlich, dass sie es nicht nur „wegen des Selbstbildes“ tun. Mit seiner Aussage, er hätte „es nicht mehr nötig (.) mich als besonders äh (.) komplex denkender und also ganz äh: hoch ausgewiesener (.) Akademiker zu präsentieren“, weist er darauf hin, dass dies früher durchaus der Fall war. Diese Notwendigkeit, die „ganze Wissenschaftlichkeit (.) durch die Art wie sie sprechen“ unter Beweis zu stellen, führt er auf die in der Disziplin geltenden Kriterien der Wissenschaftlichkeit zurück, denen entsprochen werden muss, um sich in der Disziplin etablieren zu können. 243
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In beiden angeführten Interviewsequenzen beschreiben [Int18] und [Int19] den Zwang, sich ausschließlich in der soziologischen Sprache auszudrücken, unter dem die Nachwuchswissenschaftler stehen. Aufgrund der Analyse dieser Interviewsequenzen muss angenommen werden, dass die soziologische Sprache einer der wichtigsten Indikatoren ist, anhand derer die soziologische Community die soziologische Qualifikation ihrer Mitglieder einschätzt. Das erklärt, warum das Sprachproblem nicht einfach gelöst werden kann. Das Sprachproblem ist eine Folgeerscheinung des Wissenschaftlichkeitsbeweisens, es ist aber auch notwendig, um die eigene Wissenschaftlichkeit zu dokumentieren. Dieses „Problem“ entsteht als Folge der Herstellung der eigenen Identität in der Soziologie. In dieser Hinsicht ist, obwohl dieses Phänomen in den innersoziologischen Diskursen als Sprachproblem thematisiert wird, der Lösungsbegriff eigentlich überflüssig. Die „Lösung“ des Problems – auf der Sachebene scheint (allerdings erst nach dem Erwerb einer Reputation in der Community) nicht schwierig zu sein, vor allem nicht schwieriger als bei anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Die soziologischen Besonderheiten des Sprachproblems liegen also nicht auf der Ebene der Sprache selbst, sondern auf der Ebene der Struktur der Disziplin. Aufgrund des besonderen Gegenstandes der Soziologie, ihrer gegenstandsbedingten Professionalisierung und ihrer Heterogenität wird der Gebrauch der soziologischen Sprache zu einem der wichtigsten identitätsstiftenden und identitätsbeweisenden Merkmale und Kriterien der Wissenschaftlichkeitsprüfung. Hinzu kommt, dass der Soziologie die Motivation, sich nach außen darzustellen, in zweifacher Hinsicht beeinträchtigt wird: zum einen weil sie sich nicht unbedingt als eine außerwissenschaftlich tätige Profession sehen kann, zum anderen weil sie aufgrund ihres Gegenstandes ihr Wissen über diesen Gegenstand als etwas Exklusives markieren muss. Angesichts der in der Disziplin gültigen Kriterien der Wissenschaftlichkeit ist es – ohne nachweisbare wissenschaftliche (professionelle) Reputation – kaum möglich, den Beweis der Exklusivität und Professionalität zu führen, ohne auf die soziologische Sprache zurückzugreifen. Daher ergibt sich das Sprachproblem zwangsläufig. Interessant ist allerdings die Frage, warum dieses selbstverständlich auftretende Merkmal der Disziplin trotzdem im innersoziologischen Diskurs als ein Problem thematisiert wird. Es dürfte deutlich geworden sein, dass dieses Problem keine Lösung erfordert. Zudem lässt die Formulierung als Problem auf ein Kommunikationsdefizit in der Soziologie schließen, insofern müsste sie als ungünstig für das Selbstbild der Soziologie und ihre Darstellung nach außen gesehen werden. Warum es also 244
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als Problem formulieren – und dann seine „Lösung“ auf die Zeit nach dem Erwerb einer Reputation verschieben? Oben wurde auf die (mögliche) identitätsstiftende Wirkung des Sprachproblems hingewiesen. Ich bin der Meinung, dass vielmehr die Kommunikation über dieses Problem identitätsstiftend ist: dass Hinweise auf dieses Problem der Abgrenzung dienen und erst diese Abgrenzung mittels des Sprachproblemdiskurses ermöglicht eine situative „Lösung“ des Problems (die Vermittlung der Soziologie in einer einfachen Sprache). Aber auch mit dieser Erklärung bleibt die Frage bestehen, warum dann in den inneren soziologischen Diskursen eine konkrete Lösungsmöglichkeit thematisiert wird (Übersetzung). Dieser Frage wird im letzten Abschnitt dieses Kapitels nachgegangen. Im Folgenden wird nun eine der Sachdimensionen des Sprachproblems beschrieben, nämlich die Entstehung des Kommunikationsproblems aus der oberflächlichen Ähnlichkeit der soziologischen mit der alltäglichen Sprache.
Soziologische Sprache vs. Alltagssprache: Ähnlichkeiten, Unterschiede, Kommunikationsprobleme [Int09] erklärt im folgenden Interviewausschnitt das Sprachproblem durch die Interdependenz zwischen der soziologischen und der Alltagssprache. Die Kommunikationsprobleme, auf die die Soziologen in der Kommunikation mit dem Laienpublikum stoßen, hängen damit zusammen, dass Soziologen alltagssprachliche Wörter in ihrer wissenschaftlichen Sprache benutzen und ihnen andere – wissenschaftliche – Bedeutungen zuschreiben. Das bringt Nicht-Soziologen in Verwirrung,20 weil diese zwar die Wörter kennen, aber ihre Bedeutung in dem jeweiligen Kontext sich ihnen nicht erschließt. Deswegen wird die soziologische Sprache insgesamt, obwohl sie der Alltagssprache sehr ähnlich klingt, dem Laienpublikum nicht verständlich. Hinter den alltäglichen, bekannten Wörtern, die von den Soziologen benutzt werden, stehen zum Teil ganze theoretische Konzepte, die ihre Bedeutung völlig verändern. Um mit dem Laienpublikum kommunizieren zu können, müssten Soziologen über die soziologische gegenüber der. alltäglichen Bedeutung der Wörter ständig reflektieren. Die Kompliziertheit der Sprache besteht nach [Int09] darin, dass die Sprache bei oberflächlicher Betrachtung einfach und alltäglich klingt. Damit wird in dieser Interviewsequenz – was ziemlich selten vorkommt – eine Sachdimension des Sprachproblem angesprochen. Es fragt sich, ob Kommunikation mit dem Laienpublikum möglich ist, wenn sie eine 20 Ausführlicher dazu siehe z. B. Mulkay (1985: 128).
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ständige Reflexion über die soziologische Sprache erfordert – die längst internalisiert ist, schließlich ist dies die Voraussetzung der Etablierung in der Community. [Int09] berichtet über diese Sachdimension des Sprachproblems: I: man stößt eigentlich immer auf das Problem (der soziologischen Sprache) (.) finde ich (.) also: man hat es immer damit zu tun dass: äh (.) dass die soziologische Sprache und die Alltagssprache (.) äh (.) sehr verwandt und zugleich sehr verschieden sind (.) mit/ mit/ mit sehr verwandt meine ich wir haben es ja (.) nicht (.) es ist ja nicht so (.) wie wenn ich mich (.) ich sag mal (.) mit einem technischen Fachmann unterhalte (.) ein technischer Fachmann der mir irgendwie den Computer erklärt (.) der würde als technischer Fachmann zu einem technischen Fachmann (.) in einer mir unverständlichen (.) Sprache von Bits und Bytes reden (.) die: (.) Soziologen reden aber eine Sprache die teils Alltagssprache teil verfremdete Fachsprache ist (.) ja (.) und für sie selber ist die Grenzziehung: niemals (.) ganz genau klar ja (.) so und insofern äh haben/ hat man es (.) glau/ also (.) spüre ich eigentlich ständig äh dass man: (.) mit einem (.) Übersetzungsproblem zu schaffen hat (.) ohne dass man es genau vorher (.) kennt (.) da muss man (.) in meinen Augen muss man da sensitiv sein Z: und dann klappt das? also Sie können es? I: ich traue mir das zu ja (.) aber (.) ich merke auch häufig (.) dass das was man eine Übersetzung ins Alltagssprachliche nennt (.) immer noch ähm (.) immer noch sozio-chinesisch ist Z: und was sagen dann die Menschen? „Ich versteh das nicht“ (.) oder sagen sie gar nichts und Sie spüren einfach dass die (.) I: ja man versch: man spürt ja so den: (.) den leeren Blick und äh (.) das etwas steife (was ist/) „um was geht es hier eigentlich?“-Verhalten (.) äh (.) und (.) muss n neuen Anlauf nehmen die: (.) Dinge noch einmal anders auszudrücken. [Int09]
[Int09] benennt explizit den Unterschied zwischen der soziologischen Fachsprache und technischen Fachsprachen. Die Termini einer technischen Fachsprache sind einem Laien allein vom Klang her unverständlich, die soziologische Fachsprache klingt dagegen ziemlich alltäglich, da sie eine Mischung aus Alltagssprache und „verfremdeter Fachsprache“ darstellt. Das Problem ist dabei, so [Int09], dass den Soziologen selber die „Grenzziehung“ zwischen „Alltagssprache“ und „verfremdeter Fachsprache“ „niemals ganz genau klar“ ist. Da Soziologen diese beiden Sprachen internalisiert haben – die eine während der primären Sozialisation, die andere in der Sozialisation zum Soziologen –, ist diese Grenzziehung schwierig. Das Sprachproblem könnte zwar gelöst werden, wenn über diese Grenze ständig reflektiert werden könnte. Wie ist dies jedoch zu erreichen? [Int09] expliziert die Schwierigkeit einer sol-
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chen Reflexion damit, dass man nie genau wissen kann, ob die Übersetzung in einem konkreten Fall notwendig ist und ob sie ausreichend war. Es kann nämlich passieren, dass ein Soziologe seiner Meinung nach eine Übersetzung geleistet hat, das Publikum ihn aber trotzdem nicht versteht, weil die „übersetzte“ Sprache immer noch viel zu wissenschaftlich ist. Selbst wenn ein Soziologe also weiß, dass er über die Sprache reflektieren und gelegentlich auch übersetzen muss, fällt es ihm möglicherweise schwer einzuschätzen, wann, was und wie zu übersetzen ist. Um übersetzen zu können, muss man „sensitiv“ sein, so [Int09]. Von einer rein technischen Aufgabe wird die Übersetzung zu einer kreativen Leistung, deren Erfolg oder Misserfolg nie vorhergesagt werden kann. Die unverständliche soziologische Sprache bezeichnet [Int09] als „sozio-chinesisch“. Der Begriff verweist auf die Situation, dass ein Kommunikationspartner (Soziologe) glaubt, etwas verständlich darzustellen, der andere ihn aber – aus sprachlichen Gründen – nicht verstehen kann. Allein die Tatsache, dass er über einen Begriff für dieses Phänomen verfügt, weist auf dessen Verbreitung und Bedeutung hin. Für die Lösung des so formulierten Sprachproblems hat [Int09] ebenfalls einen fest etablierten Begriff (nämlich die Übersetzung), was wiederum auf den Sprachproblemdiskurs in der Soziologie hinweist. Die Übersetzung wird tatsächlich zu einer kreativen Aufgabe. [Int09] sagt explizit, dass der Begriff der Übersetzung in der Disziplin nicht hinreichend definiert ist bzw. dass nicht immer klar ist, was darunter zu verstehen ist. Der Begriff der Übersetzung verweist auf die Vorstellung, dass das Sprachproblem gelöst werden kann. Die Vorstellungen von Übersetzung, die [Int09] vorbringt, sind relativ unscharf. Übersetzung bedeutet für ihn, „Dinge noch einmal anders auszudrücken“; was das jedoch bedeutet, wird nicht expliziert. Der Erfolg der Übersetzung kann nach [Int09] nur an der Reaktion des Publikums gemessen werden, d.h. während der Übersetzung kann ein Soziologe nie sicher sein, ob er das Richtige tut. Und wenn dies nicht der Fall ist, muss er erneut versuchen, „die Dinge noch mal anderes auszudrücken“. Die Übersetzung wird zu einer Kette von Formulierungsversuchen, zu einer ständigen Suche nach verständlichen Wörtern und Ausdrücken. Es wird also deutlich, dass es in der Disziplin kein etabliertes Verfahren für die „Lösung“ des Sprachproblems gibt, nur eine etablierte Bezeichnung dafür.
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Das Sprachproblem als ein (selbstverständliches) Merkmal der Disziplin. Zusammenfassung Die hier dargestellten Interviewsequenzen zeigen, dass das Sprachproblem von vielen Interviewpartnern als ein selbstverständliches Merkmal der Disziplin betrachtet wird. Dadurch wird es jedoch in der Selbstwahrnehmung der Soziologie nicht unbedingt zu einem zu lösenden Problem – nämlich weil durch das Auftreten dieses Problems die Wissenschaftlichkeit dokumentiert wird, und daher die Identitätsstiftung erfolgt. Trotzdem gibt es Vorstellungen darüber, wie dieses Problem „gelöst“ werden kann, nämlich durch Übersetzung. Um diese beiden Phänomene – Identitätsstiftung durch das Sprachproblem und „Lösung“ des Sprachproblems – zusammenzuführen, muss eine ein weiterer Aspekt berücksichtigt werden. Es zeigt sich, dass es zwei Dimensionen des Sprachproblems gibt, die unterschiedlich behandelt werden. Die eine ist die Sachdimension; diese Kategorie beschreibt tatsächlich auftretende, an die Sprache gebundene Hindernisse in der Kommunikation der Soziologie mit der Außenwelt. Diese können aber – durch Reflexion und durch Arbeiten an der Sprache – beseitigt werden. Die zweite – identitätsstiftende – Dimension des Sprachproblems besteht darin, dass das Sprachproblem und der Sprachproblemdiskurs für Soziologen notwendig sind, um die Wissenschaftlichkeit der Soziologie und dadurch ihre Exklusivität und Professionalität in außerwissenschaftlichen Bereichen zu dokumentieren. Die Existenz des Sprachproblems dient der Abgrenzung der Soziologie von anderen Professionen. Außerdem verfügt die Soziologie aufgrund der Besonderheiten ihrer Professionalisierung nicht über allgemeingültige Qualitäts- und Zugehörigkeitskriterien. Allgemeingültige Qualitätskontrolle und Mittel des Zugehörigkeitsentzugs sind jedoch (besonders) im äußeren wissenschaftlichen und im außerwissenschaftlichen Beruf von essenzieller Bedeutung. Die Fähigkeit, in der soziologischen Sprache zu kommunizieren, wird zu einem Zeichen der Wissenschaftlichkeit, zu einem Nachweis der erfolgreichen Einsozialisation in die Soziologie (was in einer am ehesten zum inneren wissenschaftlichen Beruf professionalisierten Disziplin nicht verwunderlich ist) – und damit auch im außerwissenschaftlichen Beruf zum essenziellen Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Profession, auf deren Autorität man sich berufen kann. Auch die wissenschaftliche Community fordert die Verwendung der soziologischen Sprache, weil die Community nur dadurch die Einsozialisation der Soziologen in die Soziologie (die wissenschaftliche Profession) feststellen kann. Diese Beobachtungen werden u.a. dadurch bestätigt, dass eine gewisse Reputation in der Disziplin davon entlastet, über Soziologie aus248
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schließlich in der soziologischen Sprache kommunizieren zu müssen. Für die Community müssen renommierte Soziologen die eigene soziologische Kompetenz nicht mehr unter Beweis stellen, und auch bei der Kommunikation mit der Außenwelt sind sie nicht mehr auf das Sprachproblem als Zeichen ihrer Professionalität angewiesen;21 sie können sich schließlich über ihre institutionelle Position als Professionelle darstellen. Dies ist jedoch weder Nachwuchswissenschaftlern noch außerwissenschaftlichen Soziologen möglich. Dies macht die Aufrechterhaltung des Sprachproblemsdiskurses für die Identität der Soziologen in den außerwissenschaftlichen Kontexten notwendig. Andererseits ist deutlich, dass die außerwissenschaftliche Soziologie es sich nicht leisten kann, ihren Klienten gegenüber unverständlich zu sein. Damit stellt sich die Frage, wie auf dem Hintergrund der identitätsstiftenden Funktion des Sprachproblems einer „Lösung“ in der Sachdimension möglich ist. Darauf geht der Abschnitt 3.4.2. ein.
3.3.1.3 „Es gibt kein Sprachproblem“ In manchen Interviews findet sich in Bezug auf das Sprachproblem die Haltung „kein Problem“. Dieser besagt nicht, dass die betreffenden Interviewpartner das Phänomen als solches nicht wahrnehmen, sondern dass es für sie keine Lösung erfordert. Zwar ist ihnen klar, dass die soziologische Sprache als solche den Laien nicht verständlich ist; dass veranlasst sie jedoch nicht dazu, nach einer Lösung zu suchen. Sie reflektieren zwar über den Sprachproblemdiskurs in der Soziologie, stellen aber die Problematik des Sprachproblems in Frage. Die Interviewpartner, die das Sprachproblem nicht als Hindernis in der Kommunikation mit Nicht-Soziologen sehen, versuchen zu erklären, wie der Problemdiskurs entsteht und welche Rolle er in der Selbstwahrnehmung der Soziologie spielt. Sie gehen vor allem darauf ein, was Soziologen dazu motivieren könnte, den Sprachproblemdiskurs zu erhalten oder ihre Sprache künstlich zu verkomplizieren. Die erste hier analysierte Sequenz stammt aus dem Interview mit [Int05]. [Int05] behauptet, dem Sprachproblem nie begegnet zu sein. Anschließend beschreibt er aber seinen Umgang mit dem Sprachproblem, was zeigt, dass er nicht die Existenz dieses Problems leugnet, sondern sein zwangsläufiges Auftreten. Auf die Frage, ob er ein weiteres Problem kennt, das nicht mit der Kompliziertheit, sondern mit der Vereinfachung der soziologischen Sprache zusammenhängt, trifft [Int05] 21 Das schließt allerdings eine Kritik seitens der Community nicht aus; diese ist lediglich nicht mehr so bedrohlich.
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eine Unterscheidung zwischen sich selbst und den Soziologen, die ein „Bedürfnis“ haben, „Dinge zu verschleiern (.) dadurch dass man sie in in: in komplizierte (.) Begriffe kleidet“, d.h. die das „Bedürfnis“ haben, eine (über)komplizierte soziologische Sprache zu verwenden. I: ich versuche die Sprache (.) (äh) ja die Fachsprache auch möglichst einfach zu halten (.) und immer wieder (.) klar zu machen (.) welche Bedeutung bestimmte Begriffe haben (.) Z: immer wieder erklären (.) was das ist? (.) äh (.) aber wenn man versucht das möglichst einfach zu schreiben (.) dann hat man/ also haben manche Leute das Problem (.) dass das Wissen ähm zu alltäglich aussieht (.) glauben Sie nicht (.) wenn man Wissensch/ also soziologisches Wissen äh möglichst einfach darzustellen versucht dann/ I. ja das/ das ist nicht mein Problem (oder) war noch nie mein Problem ne [...] je einfacher je besser (.) (also eh) (.) ich habe noch nie das Bedürfnis gehabt (.) sozusagen Dinge zu verschleiern (.) dadurch dass man sie in in: in komplizierte (.) Begriffe kleidet Z: Sie haben schon alles kompliziert genug und versuchen das zu vereinfachen? I: nö ich meine ich weiß dass äh dass es viele Leute gibt die die: (.) die äh geradezu (.) ne Kunst entwickeln (.) einfache Dinge kompliziert auszudrücken ja (.) aber ich mein (.) das is halt so (.) aber deswe/ deswegen versteht man nicht mehr deswegen (.) ist einem nicht/ weiß man nicht mehr ne das ist/ […] ne Selbstbeschäftigung ne (.) aber (.) das stört mich nicht (.) ne (.) ich (.) [Int05]
Wie aus dieser Interviewsequenz hervorgeht, ist [Int05] sich darüber im Klaren, dass seine Wahrnehmung der soziologischen Sprachproblematik nicht die einzig mögliche ist: Er verteidigt in dieser Interviewsequenz seine Position hinsichtlich der Kommunikation der Soziologie mit der Außenwelt und des Sprachproblems. Er leugnet nicht die prinzipielle Möglichkeit, dass die Soziologen aufgrund ihrer Sprache nicht verstanden werden. Was er jedoch ablehnt, ist das zwangsläufige Auftreten dieses Problems. Zwar muss er durchaus über die Sprache reflektieren und Begriffe erklären, aber wenn keine besonderen Gründe dafür vorliegen, bewusst eine unverständliche Sprache zu sprechen, kann das Sprachproblem leicht umgangen werden. [Int05] verortet also den Ursprung des Sprachproblems bei den Soziologen, die ein Motiv haben, ihre Sprache zu verkomplizieren. Er unterteilt die soziologische Community in zwei Teile. Der eine Teil hält das Sprechen einer komplizierten und unverständlichen Sprache für wichtig, und zwar aus Gründen der Selbstwahrnehmung der Soziologie und ihrer Selbstdarstellung nach außen. Das hat jedoch, so [Int05], 250
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nichts mit wissenschaftlichen Zielsetzungen zu tun; dadurch „versteht man nicht mehr [...] weiß man nicht mehr“. Die Frage ist, was die betreffenden Soziologen mit einer Verkomplizierung der Sprache erreichen wollen. Die Analyse dieser Interviewsequenz lässt zwei Deutungen zu. Die erste beruht auf dem Wort „verschleiern“. Es weist auf die Möglichkeit hin, dass die Ergebnisse der Forschung unverständlich gemacht werden, wenn es Gründe dafür gibt, dass Nicht-Soziologen sie nicht verstehen sollen: wenn z.B. die Forschung methodisch nicht ganz sauber ist, die Ergebnisse banal sind o.ä. Die zweite Deutung bezieht sich auf den Begriff der Selbstbeschäftigung, die [Int05] als eine Motivation von Soziologen sieht, die Sprache zu verkomplizieren. Dies besagt, dass Soziologen nichts Besseres zu tun haben, als ihre Sprache zu verkomplizieren. Das heißt aber in diesem Kontext, dass sie anstelle von etwas Besserem dies tun, obwohl es inhaltlich nicht nötig wäre. Trotzdem wird es einen Grund dafür geben; dieser geht jedoch aus der Interviewsequenz nicht hervor. Dass [Int05] diese „Selbstbeschäftigung“ offenbar nicht als skurril empfindet, sondern eher als ärgerlich, verweist auf eine gewisse Normalität solcher Verkomplizierungen in der Soziologie. Ich bringe dies mit der Selbstwahrnehmung der Soziologie zusammen, vor allem damit, dass das Konzept von Wissenschaftlichkeit mit der komplizierten Sprache zusammenhängt in der Weise, dass mit dem Auftreten eines Sprachproblems Wissenschaftlichkeit dokumentiert wird. Dies thematisiert auch [Int05], und zwar indem er die Kompliziertheit und die Wissenschaftlichkeit seiner Sprache darstellt und darauf hinweist, dass er ständig Begriffe erklärt. Dies impliziert, dass, würde er in der Sprache sprechen, die er im wissenschaftlichen Diskurs verwendet, ihn kein Laie verstehen könnte. Er sagt nicht, seine Sprache sei einfach; im Gegenteil weist er explizit darauf hin, dass sie kompliziert ist. Er sagt aber, er könne sie so vereinfachen, dass sie verständlich wird. [Int05] kommuniziert in dieser Interviewsequenz also, dass seine Sprache die Sprache eines qualifizierten Soziologen ist. Eine Wissenschaftlichkeitsprüfung ist nicht mehr nötig. Der andere Teil der soziologischen Community besteht aus denjenigen, die es wie [Int05] nicht nötig haben, „Dinge zu verschleiern (.) dadurch dass man sie in in: in komplizierte (.) Begriffe kleidet“. Diese Soziologen beschäftigen sich nicht damit, „einfache Dinge“ kompliziert auszudrücken. Sie beschäftigen sich also mit ernsthafteren Dingen, anstatt nach einer „Selbstbeschäftigung“ zu suchen. Zur Motivation dieses Teils der Community, die Sprache zu vereinfachen bzw. nicht zu verkomplizieren, sind ebenfalls zwei Deutungen möglich: Entweder wird die Sprache einfach gehalten, weil die Anforderungen der Disziplin an 251
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die Sprache als sinnlos erachtet werden, da sie inhaltlich nichts bringen. Oder aber diese Soziologen halten ihre eigenen Ideen für kompliziert und originell genug, dass ein Wissenschaftlichkeitsbeleg durch die Sprache unnötig ist. Das würde allerdings bedeuten, dass es andere Mittel als das Sprachproblem gibt, um die eigene Wissenschaftlichkeit zu dokumentieren. Dafür käme z.B. das Arbeiten mit komplizierten statistischen Verfahren in Frage. Dennoch wird deutlich, dass der Beweis von Wissenschaftlichkeit durch die Sprache auch für [Int05] von Bedeutung ist, sonst müsste er nicht darauf hinweisen, dass er seine eigene Sprache vereinfacht, und sie verständlich zu machen. Weiterhin deutet die Äußerung „ich habe noch nie das Bedürfnis gehabt [...] Dinge zu verschleiern“, nur darauf hin, dass [Int05] mit der Sprachproblematik vertraut ist, sondern auch darauf, dass seiner Meinung nach das Sprachproblem seitens der Community instrumentalisiert wird. Auf die mögliche Wahrnehmung des Sprachproblems, dass Soziologen befürchten könnten, in einer einfachen Sprache könnten ihre Ideen für Nicht-Soziologen viel zu einfach und nicht wissenschaftlich genug erscheinen, entgegnet [Int05], das sei „noch nie mein Problem“ gewesen. Er sieht also diese Abgrenzungsfunktion des Sprachproblems, ist aber der Meinung, dass die Abgrenzung auch anders vollzogen und die Professionalität der Soziologie nach außen anders kommuniziert werden kann. Einerseits weist [Int05] also in dieser Interviewsequenz darauf hin, dass der Beweis von Wissenschaftlichkeit und die Abgrenzung von anderen Professionen anders erfolgen können als durch eine künstliche Verkomplizierung der Sprache. Andererseits reflektiert er über die Instrumentalisierung des Sprachproblems in der Community und dokumentiert mit dem Hinweis auf seinen Umgang mit einem möglichen Sprachproblem seine eigene Wissenschaftlichkeit. Die Sachdimension des Sprachproblems, mit der er in seiner Kommunikation mit der Außenwelt konfrontiert wird und die durch die Erklärung aller Begriffe gelöst werden kann, , wird der identitätsstiftenden Dimension des Sprachproblems gegenübergestellt. Die identitätsstiftende Dimension meint eine künstliche Verkomplizierung der Sprache mit dem Ziel, die Wissenschaftlichkeit von Ergebnissen zu behaupten, die nicht wissenschaftlich genug sind, um in jeder Sprache für sich zu sprechen. Auch der im Folgenden zitierte [Int08] sieht nicht, dass das Sprachproblem bei den Soziologen zwangsläufig auftreten muss. Er erkennt die Sachdimension des Sprachproblems und beschreibt, wie man damit um-
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gehen kann. Für die identitätsstiftende Funktion des Sprachproblems scheint er andere Mechanismen zu haben. [Int08] unterteilt die Community mit Bezug zur Öffentlichkeitsarbeit in zwei Gruppen: I: das ist das Einfachste von der Welt [Nicht-Soziologen soziologische Ideen zu vermitteln] (.) der wissenschaftliche Verstand und der normale Menschenverstand unterscheiden sich nicht (.) der/ der einzige Unterschied besteht darin dass die Wissenschaftler systematisch denken und die: normalen Menschen nicht so systematisch (.) aber die Logik ist schon in beiden Fällen die gleiche da gibt’s keinen Unterschied (.) die Sprache unterscheidet sich (.) natürlich (.) aber ähm bei mei/ in meinem Fachgebiet ist es möglich die kompliziertesten Zusammenhänge (.) in der normalen Umgangssprache darzustellen plus Mathematik (.) nun in Zeitungen kann man keine mathematischen Formeln bringen da muss man sich dann anders ausdrücken (.) aber ich habe festgestellt dass es ohne Schwierigkeiten/ das heißt es macht Mühe (.) ohne Schwierigkeiten stimmt nicht es macht Mühe ähm (.) aber es geht (.) und (.) ich schreibe lieber ein/ ein/ ein Lehrbuch von 300 Seiten als ein schmales Bändchen von 120 Seiten (.) wo der Verlag mir verbietet irgendeinen Fach(.)begriff zu verwenden (.) äh (.) das ist also (.) leichter dicke Bücher zu schreiben als schmale Bände die äh allgemein verständlich sind (.) aber genau das muss man auch machen (.) sonst erreicht man die Öffentlichkeit nicht [Int08]
[Int08] berichtet zunächst seine Erfahrungen damit, „die kompliziertesten Zusammenhänge (.) in der normalen Umgangssprache darzustellen“: „ich habe festgestellt dass es ohne Schwierigkeiten (geht)“. Dann erfolgt eine Selbstreparatur, die zeigt, dass es doch nicht ganz so einfach ist: „das heißt es macht Mühe (.) ohne Schwierigkeiten stimmt nicht es macht Mühe“. Das Sprachproblem kann aber – wenn auch nicht ganz einfach – in der Sachdimension „gelöst“ werden. Man muss sich schon „Mühe“ geben, um wissenschaftliche Sachverhalte dem Laienpublikum nahe zu bringen. Jedoch adressiert [Int08] das Sprachproblem nicht als etwas selbstverständlich Auftretendes; vielmehr schwächt er das Problematische daran mit dem Hinweis ab, dass „der wissenschaftliche Verstand und der normale Menschenverstand“ sich nicht unterscheiden. Er gibt zwar zu, dass es Sprachunterschiede gibt, diese können jedoch umgangen werden, wenn man sich „Mühe“ gibt. Dieser Ausdruck verweist auf die Sachdimension des Sprachproblems. Es stellt sich die Frage, ob [Int08] auch über irgendwelche Mechanismen verfügt, um mit der identitätsstiftende Dimension des Sprachproblems umzugehen. Solche Mechanismen werden deutlich, als [Int08] über sein Fachgebiet spricht. Im Rahmen seines Fachgebiets ist 253
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es nämlich möglich, „die kompliziertesten Zusammenhänge (.) in der normalen Umgangssprache darzustellen plus Mathematik“. Die identitätsstiftende Funktion des Sprachproblems, das Postulieren der eigenen Wissenschaftlichkeit, wird dadurch erfüllt, dass er seine Befunde mathematisch (statistisch) darstellen kann, was seiner – einfachen – Sprache Exklusivität und Wissenschaftlichkeit verleiht. Interessant ist, dass die Selbstreparatur von „ohne Schwierigkeiten“ zu „es macht Mühe“ im Zusammenhang mit Publikationen bringt, die keine Verwendung mathematischer Termini erlauben. Dann ist nämlich eine Vereinfachung der Sprache schwieriger, weil die Funktion der Identitätsstiftung nicht gewährleistet ist. In diesem Kontext weist [Int08] darauf hin, dass er wissenschaftliche Bücher schreibt, und liefert damit einen Beweis seiner Wissenschaftlichkeit. Zudem setzt eine Publikation in der Zeitung eine gewisse soziologische Reputation voraus, daher verliert das Sprachproblem als Wissenschaftlichkeitsbeweis an Bedeutung. Um das Sprachproblem zu „lösen“, muss man sich Mühe geben, und das tut [Int8], obwohl er ungern auf bestimmte Begrifflichkeiten verzichtet. Er behauptet, dass es für ihn viel leichter sei, „dicke Bücher zu schreiben als schmale Bände die äh allgemein verständlich sind“; dies muss dennoch getan werden, „sonst erreicht man die Öffentlichkeit nicht“. Dieses Zitat ist äußerst wichtig. Warum muss [Int08] betonen, dass es für ihn einfach ist, dicke (wissenschaftliche) Bücher zu schreiben? Die nahe liegende Deutung wäre, dass auch für diesen Interviewpartner die Sprache ein wichtiges Zeichen für Wissenschaftlichkeit ist; dadurch wird erklärt, dass die Übersetzung für ihn durchaus schwierig ist. Nur weil er die aufklärerische Funktion der Soziologie ernst nimmt, nimmt er die Mühe auf sich, verständlich zu schreiben, obwohl das schwierig ist. Durch den Sprachbezug ordnet er sich selbst der wissenschaftlichen Soziologie zu. Dieser Interviewsequenz lässt sich entnehmen, dass es eine Sachdimension des Sprachproblems gibt, die zu lösen ist, und zwar indem die Begriffe erklärt werden. Das scheint machbar zu sein – Mühe und Motivation sind entscheidend, um die Soziologie nach außen verständlich darzustellen. Allerdings ist [Int08] nicht darauf angewiesen, die eigene Wissenschaftlichkeit durch das Sprachproblem zu dokumentieren, weil er seine Exklusivität und Professionalität durch die Verwendung mathematischer Formeln behaupten kann. Trotzdem hält er es für nötig, in der Interviewsituation darauf hinzuweisen, dass für ihn der Gebrauch der wissenschaftlichen soziologischen Sprache viel einfacher ist als die Verwendung einer vereinfachten Sprache. Durch die Sprache erfolgt eine Selbstzuschreibung zur wissenschaftlichen Soziologie. 254
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„Es gibt kein Sprachproblem“: Zusammenfassung In den in diesem Abschnitt analysierten Interviewsequenzen wird zwischen der Sachdimension und der identitätsstiftenden Dimension des Sprachproblems unterschieden. Diese Unterscheidung erlaubt u.a., die Instrumentalisierung des Sprachproblems seitens der soziologischen Community zu beobachten. Es zeigte sich, dass die Thematisierung des Sprachproblems als „kein Problem“ ausschließlich auf die Sachdimension des Sprachproblems abzielte, die durch die Klärung aller Begrifflichkeiten gelöst werden kann. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Interviewpartner, die die Sachdimension des Sprachproblems hervorheben, sich seiner identitätsstiftenden Dimension bewusst sind. Sie verfügen jedoch über andere – allerdings nicht allgemein anwendbare – Mechanismen, um ihre Wissenschaftlichkeit bzw. Professionalität und die Exklusivität ihres Wissens zu beweisen. Dadurch können sie sich den Zwängen des Sprachproblems entziehen, d.h. sie sind nicht vom Auftreten dieses Phänomens als Beweis ihrer Wissenschaftlichkeit abhängig. Dennoch verweisen auch diese Interviewpartner auf die komplizierte soziologische Sprache, zu deren Vereinfachung sie persönlich fähig sind, um ihre eigene Zugehörigkeit zum wissenschaftlichen Beruf herzustellen. D.h. selbst für Soziologen, die über andere, nicht an die Sprache gebundene Mechanismen für den Beweis ihrer Wissenschaftlichkeit verfügen, spielt die identitätsbildende Funktion der Sprache und des Sprachproblems eine Rolle. 3.3.2 Das Sprachproblem in der Wahrnehmung der externen Interviewpartner In diesem Abschnitt wird herausgearbeitet, wie die externen (nichtakademischen) Interviewpartner das Sprachproblem wahrnehmen. Dabei zeigen sich in einigen Punkten starke Ähnlichkeiten mit den Positionen der akademischen Interviewpartner, in anderen jedoch nicht. Die externen Interviewpartner sind in ihrer Wahrnehmung des Sprachproblems zwangsläufig durch ihre externe Position hinsichtlich des wissenschaftlichen Berufs beeinflusst.
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3.3.2.1 Das Sprachproblem als ein Merkmal der Disziplin Ebenso wie die akademischen Interviewpartner adressieren viele externe Interviewpartner das Sprachproblem ebenfalls als ein selbstverständliches Merkmal der Disziplin, mit dem alle Soziologen konfrontiert sind. Jedoch äußern sie viel expliziter und auch definitiver einen Handlungsbedarf angesichts des Sprachproblems. In vielen Interviewsequenzen wird zwischen zwei Dimensionen des Sprachproblems unterschieden: der Sachdimension und der soziologischen Sprache als Basis der Identitätsstiftung in der Soziologie. Im Folgenden wird versucht, die Unterschiede zwischen den beiden soziologischen Identitäten (im außerwissenschaftlichen und im wissenschaftlichen soziologischen Beruf) zu beschreiben.
Die Fähigkeit zur Lösung des Sprachproblems und die soziologische Identität [Ext01] nimmt die komplizierte Sprache als ein Merkmal der Soziologie wahr, das lediglich dem Wissenschaftsbereich angehört. Er unterscheidet demzufolge zwischen der soziologischen Sprache als (identitätsstiftendem) Merkmal der wissenschaftlichen Disziplin und als der Quelle der Kommunikationsprobleme in den Anwendungskontexten. Das Sprachproblem ist für ihn kein selbstverständliches Merkmal der Disziplin, die komplizierte soziologische Sprache hingegen schon. Die spezifische soziologische Sprache gehört zur Soziologie als einer wissenschaftlichen Disziplin, und in dieser ist sie nicht problematisch. Nur außerhalb des akademischen Bereichs kann ein Sprachproblem daraus entstehen, dass die Wissenschaftssprache in der Praxis verwendet wird, für die sie ungeeignet ist. [Ext01] betrachtet das Sprachproblem als eines, das nur (in der Praxisarbeit) unerfahrene Soziologen haben, denn das Wissen über dieses Problem führt zu einer Reflexion darüber und damit (zwangsläufig) zu seiner Lösung22. Hier wird also zunächst nur die Sachdimension des Sprachproblems thematisiert: I: ich hatte vorl/ ähm (.) letztes Jahr n Vortrag in (...) (.) vor Textilfachleuten (.) und äh (.) da sprach mich eine Frau später an und sagte (.) sie wusste gar nicht/ wäre gar nicht drauf gekommen dass Soziologen ((lacht)) so was machen und so praktisch (?redeten?) ((lacht)) (?Anwendungssoziologen?) weil ihr Vater war ein ehemaliger Direktor der [Name einer nichtakademischen soziologischen Institution] (.) [NAME] (.) den haben Sie vielleicht in der Biografie (.....) in den sechziger Jahren = nicht ihr Vater Großvater wohlgemerkt (.) 22 Hier ohne Anführungszeichen, da hier die Sachdimension des Sprachproblems aufgegriffen wird.
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ihr Großvater (.) und äh (.) der wäre (.) also den hätte sie nie verstanden und der hätte immer nur Furcht und Schrecken also: der Soziologie verbreitet und (.) äh (.) sie meinte also was ich gesagt hätte das fänd sie interessant und äh: sie wäre überrascht positiv überrascht gewesen wie sich Soziologen so anhören (.) das kann ich natürlich als Kompliment auffassen aber kann ich auch äh (.) eher umgekehrt als äh zu praxis ((lacht)) äh orientiert (.) verstehen (.) also: es besteht sicher das Problem (.) also ich krieg’s in Bekanntenkreisen in privaten Kreisen also äh (.) ja sagen wir mal äh (.) im familiären Bereich äh (.) Verwandte oder so mit denen habe ich Kommunikationsprobleme also äh (.) obwohl ich mich stark (.) bemühe also und das geht auch glaub ich (.) aber (.) sie: (.) na sagen wir mal (.) sie fühlen sich gehemmt oder so weil sie meinen dass man mehr weiß und äh das/ (.) aber ich kann mich auch ihnen gegenüber nicht verständ/ also ich: (.) finde da nicht den Ton oder die Sprache um mit ihnen wirklich zu reden [Ext01]
In dieser Sequenz spricht [Ext01] explizit die Existenz des Sprachproblems an und schwächt es zugleich durch eine zeitliche Referenz ab, indem er sagt, dass es früher – vor allem bei den akademischen Soziologen – ein Problem darstellte, dass aber heutzutage die Nicht-Soziologen manchmal darüber staunen, wie verständlich die außerwissenschaftlichen Soziologen sein können. Er liefert also einen impliziten Hinweis auf die Professionalisierung der Soziologie zum außerwissenschaftlichen Beruf, die in den letzten Jahren Fortschritte gemacht und dabei auch gelernt hat, verständlich zu kommunizieren. Interessant wird es aber, als [Ext01]beginnt, das Feedback aus dem Publikum zu analysieren. Er berichtet, dass eine relevante Person (die aufgrund ihrer familiären Verhältnisse als viel Nicht-Soziologin mit Soziologen kommuniziert hat) ihn als „praktisch“ sprechender „Anwendungssoziologen“ wahrgenommen und seine Ausführungen als „interessant“ eingeschätzt hat. Obwohl die Interviewerin seine erste Bewertung, dass man dies „als Kompliment“ wahrnehmen könne, unterstützt, weist [Ext01] darauf hin, dass diese Aussage auch anders interpretiert, nämlich „eher umgekehrt“ als „zu praxisorientiert“ verstanden werden kann. Dieser Hinweis ist gerade bei einem externen Interviewpartner sehr auffällig: Wie kann ein Praktiker „zu praxisorientiert“ sein? Obwohl die Zuhörerin ihn gut verstanden hat, weil er praxisorientiert redete, reflektiert [Ext01] selbst darüber, dass er als Soziologe eine solche Einschätzung nicht eindeutig als positiv werten kann. In dem geschilderten kommunikativen Kontext wird er mit seiner soziologischen Identität konfrontiert, da er sich durch seine Sprache als entweder zum wissenschaftlichen oder zum außerwissenschaftlichen Beruf zugehörig ausweist.
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Das Adverb in der Formulierung „zu praxisorientiert“ weist auf die Möglichkeit hin, dass Praxisorientierung negativ eingeschätzt wird (als übertrieben). In dieser Weise kann allerdings nur die Tätigkeit eines akademischen Soziologen evaluiert werden. Nachdem [Ext01] sowohl seinen eigenen Erfolg in der Kommunikation mit dem Laienpublikum dargestellt hat als auch das Gegenteil (nämlich wie akademische Soziologen sprechen), nimmt er den Sprachproblemdiskurs wieder auf und behauptet explizit: „also es besteht sicher das Problem“. Für ihn als außerwissenschaftlichen Soziologen ist es unabdingbar, mit Nicht-Soziologen kommunizieren zu können, und um seine außerwissenschaftliche Identität, sein Berufserfolg zu dokumentieren, gibt er die Meinung einer Nicht-Soziologin wieder, die seine Mitteilungen für verständlich und einleuchtend hielt. Wenn aber die am Anfang dieses Kapitels gestellte Hypothese richtig ist, müsste für [Ext01] als Soziologen aber das komplette Fehlen eines Sprachproblems problematisch sein, weil dessen Auftreten schließlich seine Professionalität dokumentiert. Und tatsächlich: Obwohl [Ext01] zu Beginn der Sequenz erklärt hat, er könne mit dem Sprachproblem in seiner beruflichen Tätigkeit umgehen, benennt er Kommunikationsprobleme, die er in seiner Verwandtschaft hat, weil er Soziologe ist. Es scheint, als ob [Ext01], nachdem er erklärt hat, das Sprachproblem stelle in seiner Berufstätigkeit kein Problem dar, seine soziologische Identität – und zwar die Abgrenzung von seiner Umwelt – durch einen Sprachbezug herstellen muss. Durch die Verlagerung der Kommunikationsprobleme in den privaten Bereich wird eine identitätsstiftende Abgrenzung von der Umwelt vollzogen, die allerdings keine Auswirkungen auf das Berufsleben hat.
Sprache der Soziologen und die Kommunikation mit dem Laienpublikum Auch [Ext07] thematisiert die soziologische Sprache in der Form, in der sie in der akademischen Disziplin gebraucht wird, und die Sprache, die sie selbst in der Praxis verwendet. Als sie über das Sprachproblem reflektiert, analysiert sie die Vorwürfe, die ihr (als Soziologin bzw. als Akademikerin) von Laien gemacht wurden: Z: als ich gefragt habe welche Hindernisse die Soziologen haben können (.) ich habe einfach das gemeint (.) man sagt oft ähm Soziologen sprechen immer diesen komischen: (.) Soziologenjargon den sowieso niemand verstehen kann (.) haben Sie irgendwann das Problem gehabt? I: mhm (.) nee das haben sie [die Laien] mir auch vorgeworfen (.) auch (?er?) ja (.) also inzwischen hat sich das bei mir mit Sicherheit etwas abgeschliffen
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(.) aber ähm das äh ist (.) immer auch (.) ein Thema gewesen (.) wenn man mit Arbeitern zum Beispiel geredet hat (.) erstmal dass man akademisch (.) sich ausdrückt (.) das war der erste Punkt (.) und häufig wurde (.) jedenfalls in den Bereichen akademisch a/ sich ausdrücken gleich mit soziologisch äh sich ausdrücken (.) also äh (?verankert?) [Ext07]
[Ext07] stellt zunächst das Sprachproblem als eines dar, dem man natürlicherweise begegnet, wenn man anfängt, mit Laien zu kommunizieren. Mit der Äußerung, dass sich der Soziologenjargon „inzwischen“ bei ihr „mit Sicherheit etwas abgeschliffen“ hat, wird impliziert, dass das Problem gegenüber früher kleiner geworden ist. Das Verb „abgeschliffen“ macht deutlich, wie das Problem „gelöst“ wird, nämlich einfach durch die Arbeit in praxisnahen Bereichen. [Ext07] reflektiert an dieser Stelle über die Vorwürfe, die ihr als Akademikerin in der Praxis gemacht wurden, und knüpft damit an Frage der Interviewerin an, indem sie die ihr bekannte Sprachprobleme der Akademiker an de Sprachprobleme der Soziologen bindet. Im Folgenden beschreibt sie die besonderen soziologischen Aspekte des Sprachproblems in der Sachdimension. Weiterhin führt [Ext07] aus: also zum Beispiel Gewerkschaftsschulungen wenn wir/ wir wollten ja diese ähm das auch (.) äh die Projektergebnisse wieder in Betriebe bringen und dann hatten wir es mit äh (.) äh Betriebsräten zu tun (und die) Schulungen (.) also man musste sich ganz stark anstrengen keine (.) ähm (.) Fremdworte zu benutzen (.) und man musste: was die Soziolo/ richtig Soziologen machen ist diese Substantivierung von äh (.) damals fingen wir jedenfalls damit an = inzwischen ist es in der Gesellschaft weit verbreitet (.) dass man Verben substantiviert und äh also nicht mehr von (.) die Dinge entwickeln sich sondern man spricht von der Entwicklung der Dinge ne (.) so (.) und das äh (.) ich glaube das ist bei den Soziologen geprägt worden dass man also dieses äh diese (.) also sich auch in der (.) in der Ausdrucksweise (.) äh von der Allgemeinsprache etwas abhob (.) /Z: mhm/ ganz zu schweigen natürlich von bestimmten Fachausdrücken ne (.) fällt mir jetzt einer ein? (.) der: (.) exemplarisch ist = weiß ich nicht aber mit Sicherheit hat man (.) bestimmte (.) Fachausdrücke gehabt die ä auffällig waren äh und dann diese Substantivierung (.) äh der Verben (.) worüber sich die äh äh normale: Bevölkerung dann auch aufregte und sagte könnt ihr euch denn nicht einfacher ausdrücken oder (.) oder euch nicht klarer ausdrücken (.) oder etwas was bei mir ein Problem ist was aber ich weiß auch von Soziologen (.) praktiziert wird ist diese Bandwurmsätze ne (.) es gibt ja so Menschen die (.) sprechen und schreiben vor allem auch Bandwurmsätze ne und das ist natürlich (.) und dann noch mit solchen äh substantivierten Begriffen und womöglich dann auch noch äh (.) mit n paar äh Fachbegriffen dann ist es natürlich/ also ich denke ja die Sprache äh (.) da musste man sich sehr stark selbst kontrollieren damit man von den anderen verstanden wird (.) oder man
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wurde als solches (.) sofort erkannt und (.) gesagt aha erstens Akademiker und dann zweitens Soziologe ne? [Ext07]
Als [Ext07] die sprachlichen Fehler von Soziologen in der Kommunikation mit Laien beschreibt, beruft sie sich einerseits auf ihre eigene Erfahrung mit dem Kommunikationsproblem und beschreibt die Unterschiede zwischen der alltäglichen und der soziologischen bzw. akademischen Sprache. Andererseits bezieht sie sich jedoch auf die von der Interviewerin formulierte Beschreibung des Sprachproblems als Sprechen eines „komischen Soziologenjargons“. Diese Definition des Sprachproblems ist für [Ext07] viel zu grob und oberflächlich. Es ist für sie selbstverständlich, dass der Soziologenjargon in der Kommunikation mit dem Laienpublikum nicht angemessen ist. Die eigentliche Sachdimension des Sprachproblems ist aber nach [Ext07] viel subtiler und die Unverständlichkeit der Sprache resultiert nicht nur aus der Verwendung von Fachausdrücken. Als [Ext07] über die Unterschiede zwischen der soziologischen Sprache und der Alltagssprache reflektiert, bezieht sie zwar meine Wahrnehmung des Sprachproblems mit ein, sagt aber gleichzeitig, dass das von mir beschriebene Problem nicht das schwierigste sei. Sie meint, dass Fremdwörter und substantivierte Verben gemieden werden sollen, „ganz zu schweigen natürlich von bestimmten Fachausdrücken“ – die Vermeidung der Fachausdrücken in der Kommunikation mit Laien ist für sie offenbar selbstverständlich und müsste nicht eigens erwähnt werden. [Ext07] versucht, ein Beispiel für Fachausdrücke zu finden, die Soziologen in der Kommunikation mit Laien benutzt haben könnten. Sie überlegt zunächst („fällt mir jetzt einer ein der exemplarisch ist“); als ihr kein Beispiel einfällt, fährt sie schnell (=) im Modus von Selbstverständlichkeit fort „weiß ich nicht aber mit Sicherheit hat man (.) bestimmte Fachausdrücke gehabt die ä auffällig waren“. Damit stellt sie dar, dass dieser Aspekt des Sprachproblems für sie nicht (mehr) relevant ist, weil sie bereits seit langer Zeit mit Laien kommuniziert und weil die von der Interviewerin thematisierte Sachdimension des Sprachproblems die oberflächlichste und nächstliegende ist, die am leichtesten bewältigt werden kann. Als erstes Merkmal der eigentlichen Sachdimension des Sprachproblems benennt [Ext07] die für die akademische bzw. soziologische Sprache charakteristische Verwendung von Fremdwörtern. Damit meint sie möglicherweise solche Fremdwörter, die für einen Akademiker alltäglich sind, was die Reflexion darüber schwieriger macht als die über Fachausdrücke.
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Andere von [Ext07] beschriebene Unterschiede betreffen grammatische Strukturen. [Ext07] spricht über die Substantivierung von Verben als eine Tendenz, die seinerzeit von Soziologen geprägt wurde, sich inzwischen aber auf die Alltagssprache übertragen hat.23 Aus dieser Interviewsequenz geht nicht hervor, ob die Verwendung von Fremdwörtern eine Besonderheit der akademischen oder der soziologischen Sprache darstellt. Die Substantivierung wird jedoch als eine soziologische Besonderheit dargestellt. [Ext07] spricht an, dass einige der von ihr beschriebenen Besonderheiten der soziologischen Sprache diese nicht unbedingt unverständlich machen. Auch sei die Unverständlichkeit der Sprache zwar das wichtigste Problem, es gebe jedoch noch eine weitere Folge des Sprachproblems. Diese Folge sei die Abneigung, mit der die Laien auf die Art und Weise reagieren, wie Soziologen sprechen. In ihrer Beschreibung der Konsequenzen, fehlender Reflexion über den eigenen Sprachgebrauch spricht [Ext07] zwei Aspekte an. Zunächst konstatiert sie, man müsse „sich sehr stark selbst kontrollieren damit man von den anderen verstanden wird“; hier geht es also um die Herstellung von Verständlichkeit. In der Fortsetzung – einleitet mit „oder“, was ein alternatives Resultat erwartbar macht – thematisiert [Int07] dann aber einen ganz anderen Aspekt, nämlich darum, dass man sich als Soziologe zu erkennen gibt: „oder man wurde als solches sofort erkannt und gesagt aha erstens Akademiker und dann zweitens Soziologe“. Die Möglichkeit, vom Laienpublikum als Soziologe erkannt zu werden, sieht [Ext07] offensichtlich nicht positiv. Man sollte also nicht nur vermeiden, unverständlich zu reden, sondern auch, sich als Soziologe zu erkennen zu geben. [Ext07] verweist damit auf das Image, das die Soziologie in der Gesellschaft hat. [Ext07] operiert auf beiden Ebenen des Sprachproblems. Einerseits thematisiert sie die Tatsache, dass die akademischen Soziologen sich in ihrer Sprache von der Alltagssprache „abheben“, um ihrem Wissen Exklusivität und Professionalität zu verleihen (hier: durch den Ausweis von Wissenschaftlichkeit). Andererseits spricht sie aber auch die Sachdimension des Sprachproblems an. Dafür schlägt sie eine detailliert ausgearbeitete Lösung vor, indem sie zahlreiche Eigenschaften der soziologischen Sprache auflistet, über die in der Praxis reflektiert werden muss. 23 Dass die Substantivierung von Verben sich inzwischen auch in der Alltagssprache etabliert hat und damit keine Besonderheit der Soziologiesprache mehr darstellt, heißt nicht, dass dieses Phänomen keine Dimension des Sprachproblems mehr ist. Diese Tatsache verlagert nämlich das Sprachproblem auf eine Ebene (Grammatik), die viel grundlegender ist als die von mir eingebrachte klassische Definition des Sprachproblems. Auch wenn substantivierte Verben von Laien verstanden werden, ist das Sprachproblem damit nicht aus der Welt geschafft.
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Das Sprachproblem kann nach [Ext07] einfach gelöst werden: Man muss nur seinen Sprachgebrauch kontrollieren (das impliziert auch ein Bewusstsein über das Sprachproblem an sich). Um seinen Sprachgebrauch kontrollieren zu können, muss man die Eigenschaften kennen, die die soziologische Sprache für Laien unverständlich machen. [Ext07] liefert eine recht präzise Beschreibung dieser Eigenschaften: „Substantivierung von Verben“, „Fachausdrücke“, „Bandwurmsätze“. Die Kontrolle des eigenen Sprachgebrauchs ist [Ext07] zufolge relativ einfach, selbst wenn nicht nur auf das Auffallendste („Fachausdrücke“) geachtet werden muss. In der zuerst angeführten Interviewsequenz weist sie explizit darauf hin, dass sich bei ihr das Sprachproblem mit zunehmender Praxiserfahrung reduziert hat („also inzwischen hat sich das bei mir mit Sicherheit etwas abgeschliffen“). Das würde bedeuten, dass ein Soziologieabsolvent ohne Praxiserfahrung nicht in der Lage sein kann, über seine Sprache im notwendigen Maße zu reflektieren. [Ext07] ist jedoch der Ansicht, dass Soziologen, die nicht in der Lage sind, „die Dinge [...] verständlich zu erklären“, „ein Kommunikationsproblem“ haben. Die Lösung des Sprachproblems sollte also kein Problem darstellen: Z: aber dann geht’s also ich meine da kann man sich anstrengen und doch (.) alle/ dieselben Sachverhalte einfacher: I: ja kann man auf jeden Fall Z: das ist nicht so dass/ dass etwa so Sachen verloren gehen wenn man (.) vom Inhalt I: nein (.) nein nein (.) das darf es nicht also äh wenn man äh (.) ich finde (.) wenn man als Wissenschaftler nicht in der Lage ist die Dinge auch so verständlich zu erklären (.) dann hat man ein Kommunikationsproblem (.) und das: sicherlich das gibt’s auch ne [Ext07]
Der Hinweis der Interviewerin darauf, dass die Lösung des Sprachproblems andere Probleme schaffen könnte, wird von [Ext07] zurückgewiesen, und zwar mit dreimaliger Verneinung. Sie weist die Implikation zurück, dass soziologische Ergebnisse durch ihre Präsentation in einer einfachen sprachlichen Form an Wissenschaftlichkeit verlieren könnten. Dagegen unterstellt sie die Fähigkeit, „Dinge verständlich zu erklären“, als normal und von einem Wissenschaftler (selbstverständlich) erwartbar. Das soziologische Sprachproblem wird dem allgemeinwissenschaftlichen gleichgestellt – zumindest in der Sachdimension. Die Lösung des soziologischen Sprachproblems in der Sachdimension wird als einfach und möglich dargestellt – genauso wie dies in den anderen Wissenschaften möglich ist. Es sei also durchaus möglich, die Sprache zu vereinfa-
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chen, es sei denn, ein Wissenschaftler möchte sich mittels der Sprache vom Alltagswissen abheben. Das deutet aber dann nicht auf ein Kommunikationsproblem, sondern auf eine andere Prioritätensetzung hin. Implizit wird anhand der Sprache eine Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen (und auf die innerwissenschaftliche Kommunikation orientierten) und außerwissenschaftlichen Soziologen vollzogen. Die identitätsstiftende Dimension des Sprachproblems wird dadurch umgangen, dass man sich in den außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten nicht mehr zur wissenschaftlichen Community bekennt: Man versucht, auf der Sprachebene keine soziologischen Eigenschaften aufzuweisen. Den Bezug zur soziologischen Identität stellt [Ext07] in diesen Interviewsequenzen mit dem Hinweis her, dass auch sie früher mit dem Sprachproblem konfrontiert war. Das verweist darauf, dass sie erfolgreich in die Soziologie einsozialisiert wurde. Durch den impliziten Bezug auf die soziologische Ausbildung (Internalisierung der Soziologiesprache) konstituiert sie ihre soziologische Identität. In der Praxis erfolgt dann die Einsozialisation in den Beruf und damit in eine andere – an die Anforderungen dieser Praxis angepasste – Sprache.
[Ext08]. Wissenschaftliche Soziologie und das Sprachproblem [Ext08] präsentiert das Sprachproblem im Kontext der Praxisorientierung soziologischer Texte: Z: aber das kann man? also es gibt auch welche die sagen (.) nee/ ich meine es gibt auch Soziologen ähm die sagen (.) diese Übersetzung ist dermaßen schwer (.) dass die Soziologie als Disziplin (.) was weiß ich die Soziologen als solche können diese Übersetzung nicht so wirklich durchführen oder (.) es fällt ihnen schwer: (.) die hochgestochenen Texte sozusagen praxisnah (.) naja: sozusagen zu (.) zu machen (.) das: I: ja (.) das stimmt ich glaube auch dass es stimmt = es fällt ihnen tatsächlich schwer es fällt vielen (.) vielen Leuten aus dem Wissenschaftsbetrieb sehr schwer (.) ihr Denken und auch ihr Schreiben (.) noch mal runterzubrechen und auch zielgruppenorientiert (.) ähm aufzubereiten weil sie teilweise damit auch überhaupt keine: Erfahrungen haben (.) und auch natürlich in der Fachöffentlichkeit auch in der praktischen Fachöffentlichkeit immer als die Experten oder Expertinnen behandelt werden (.) die auch nicht gefordert werden (.) was mal zu übersetzen (.) oder runterzubrechen (.) aber das geht natürlich ich würd/ (.) würde jetzt nicht wagen zu behaupten das geht für alle Felder der (.) äh Soziologie oder der Sozialwissenschaften aber das (.) ich glaube das geht sehr häufig [Ext08]
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[Ext08] zufolge fällt es vielen Soziologen „aus dem Wissenschaftsbetrieb sehr schwer (.) ihr Denken und auch ihr Schreiben (.) noch mal runterzubrechen und auch zielgruppenorientiert [...] aufzubereiten“. Das Ziel der Sprachvereinfachung wird in dieser Interviewsequenz klar definiert als erster Schritt der Orientierung an der Zielgruppe. Damit wird ein grundlegender Unterschied gegenüber dem wissenschaftlichen Bereich der Soziologie definiert: Es geht nicht nur um den wissenschaftlichen Wert des Wissens, sondern um seine Verständlichkeit für eine konkrete Klientel. Das Sprechen einer einfachen Sprache ist problematisch, weil die Soziologen „teilweise damit auch überhaupt keine: Erfahrungen haben“. Die „Lösung“ des Sprachproblems bringt [Ext08] genau wie [Ext07] mit Erfahrung in der Praxisarbeit in Verbindung. In dieser Interviewsequenz wird aber die „Lösung“ des Sprachproblems nicht nur mit der Reflexion über die Sprache verbunden, sondern mit einer veränderten Selbstwahrnehmung: Soziologen müssten ihre Expertenrolle aufgeben. Das Expertensein wird hier der Orientierung an der Zielgruppe, den konkreten Klienten entgegengesetzt. Unter Expertenrolle wird demzufolge die Verbreitung von Expertenwissen verstanden, die keine Rücksicht darauf nimmt, was mit diesem Wissen in der Praxis geschehen soll. Die Expertise wird hier als eine Position dargestellt, die über abgehobenes Wissen verfügt, aber offenbar nicht beratend tätig ist. Ein Teil der Verantwortung für die Kommunikationsprobleme wird der „praktischen Fachöffentlichkeit“ zugeschrieben, die die Experten nicht dazu aufordert, „was mal zu übersetzen“. D.h. auch die Abnehmer des soziologischen Wissens (die „praktische“, also nicht-wissenschaftliche Fachöffentlichkeit) erwarten und fordern nicht, dass Soziologen verständlich reden. Sie nehmen Soziologen nicht als gleichberechtigte Kommunikationspartner wahr, sondern schreiben ihnen eine abgehobene Expertenrolle zu.24 Daher fehlt den Soziologen die Motivation, zielgruppenorientiert zu arbeiten. Außerdem müssen sie, um sich als Experten zu positionieren, ihre Exklusivität und Professionalität nachweisen. Die wissenschaftlichen Soziologen – [Ext08] spricht von den „Leuten aus dem Wissenschaftsbetrieb“ – behaupten ihre Professionalität (Wissenschaftlichkeit) mittels der Sprache. Das Sprachproblem wird also explizit an den Wissenschaftsbetrieb gekoppelt. Die Einsozialisation in die praktischen Tätigkeiten – sofern 24 Hier stellt sich die Frage, inwiefern die so verstandene Expertise mit der Beratung korrespondiert. Ich sehe den grundsätzlichen Unterschied darin, dass die Beratung eine konsultative Profession ist, die ihr eigenes Wissen nicht als das einzig wahre sieht und dass sie sich prinzipiell an ihrer Klientel orientiert, mit der sie zusammenarbeitet.
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diese nicht aus einer Position abgehobenen Expertenseins heraus erfolgen – beinhaltet das Erlernen der Fähigkeit, „zu übersetzen“ und „runterzubrechen“. Die Essenz des Sprachproblems besteht darin, dass Soziologen sich auch in den außerwissenschaftlichen Bereichen als Träger exklusiven Wissens sehen und ihre Klienten als dankbare Abnehmer dieses Wissens, das zu verstehen ihre Aufgabe ist. Soziologen sehen keine Notwendigkeit, die Wissensvermittlung anders zu gestalten; vor allem sind sie nicht dazu bereit, mit Kommunikationsstrategien klientenbzw. zielgruppenorientiert zu arbeiten. Die Verweigerung der Klientenorientierung, die auf die wissenschaftliche Identität der Soziologen hinweist, manifestiert sich auf der Sprachebene.
Das Sprachproblem als ein (selbstverständliches) Merkmal der Disziplin. Zusammenfassung Wie den hier analysierten Interviewsequenzen zu entnehmen ist, sehen die externen Interviewpartner das Sprachproblem ebenso wie die akademischen Interviewpartner als ein Merkmal der Soziologie. Sie teilen jedoch nicht deren Ansichten der Selbstverständlichkeit dieses Problems. Das Sprachproblem wird explizit mit der wissenschaftlichen Soziologie in Verbindung gebracht. Aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeiten können sich die externen Interviewpartner eine Abgrenzung zu werden von ihren Klienten durch die Sprache bzw. mittels des Sprachproblems nicht leisten. So wird – viel deutlicher als bei den akademischen Interviewpartnern – zwischen zwei Dimensionen des Sprachproblems unterschieden. Die Sachdimension des Sprachproblems entsteht dadurch, dass Soziologen während ihrer Ausbildung die soziologische Sprache internalisieren, die Nicht-Soziologen unverständlich ist. Um verständlich sprechen zu können, müssen sie realisieren, dass sie in der außerwissenschaftlichen Kommunikation auf eine andere Sprache umsteigen müssen. Dies ist an sich nicht schwierig, erfordert aber eine Reflexion über die – spezifisch soziologischen, aber auch typisch wissenschaftlichen – Aspekte der Sprache. Die außerwissenschaftlich tätigen Soziologen müssen in das Sprechen einer einfacheren Sprache erst einsozialisiert werden. Mit dem Hinweis, dass sie zu Beginn ihrer Tätigkeit mit dem Sprachproblem konfrontiert waren, verweisen die externen Interviewpartner gleichzeitig sowohl auf ihre soziologische Sozialisation (Herstellung der Identität) als auch darauf, dass das Sprachproblem behebbar ist. Der Kern der beruflichen Tätigkeiten außerwissenschaftlicher Soziologen – nämlich die Kommunikation mit Nicht-Soziologen – wird dadurch zu einer Leistung. Diese Leistung wird durch die Verbindung von Sprache und Identität als 265
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eine solche hergestellt, nämlich als die Leistung, eine nicht an die soziologische Sprache gebundene soziologische Kommunikation zu erlernen. Sehr dezent wird der Sprachproblemdiskurs gepflegt, und zwar indem die sprachgebundenen Kommunikationsprobleme außerwissenschaftlich unerfahrener bzw. unmotivierter Soziologen angesprochen werden – oder auch eigene (durch das Soziologensein bedingte) Kommunikationsprobleme, die allerdings in den Privatbereich verlagert werden. Zwangsläufig kommt in den Interviews mit externen Interviewpartnern, die auf die Kommunikation mit den Nicht-Soziologen in ihren beruflichen Tätigkeiten angewiesen sind, die Lösbarkeit des Problems zum Ausdruck. Die Unfähigkeit, die Soziologie nach außen verständlich zu transportieren, wird der fehlenden Motivation zu solcher Kommunikation zugeschrieben. D.h. auf der Sachebene wird die Lösbarkeit des Sprachproblems postuliert und die Problematik auf die identitätsstiftende Ebene verlagert. Das Postulieren der Lösbarkeit des Sprachproblems auf der Sachebene ist besonders wichtig, denn sonst müsste es als ein Defizit der Soziologie angesehen werden, was das Ansehen des außerwissenschaftlichen Berufs schädigen könnte. Die identitätsstiftende Dimension des Sprachproblems wird der wissenschaftlichen Soziologie zugeschrieben, und so wird das Sprachproblem zum Zeichen des Unwillens der wissenschaftlichen Soziologie, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Dennoch gibt es in diesen Interviewsequenzen Hinweise darauf, dass die Sprache auch für außerwissenschaftliche Soziologen ein identitätsbildendes Merkmal darstellen könnte. Im Folgenden soll geprüft werden, inwiefern die identitätsstiftende Dimension des Sprachproblems für die außerwissenschaftlichen Soziologen tatsächlich relevant ist bzw. inwiefern die Pflege des Sprachproblemdiskurses der Identitätsstiftung auch in den außerwissenschaftlichen Bereichen dienen könnte.
3.3.2.2 Soziologenjargon. Postulieren der Zugehörigkeit zu der wissenschaftlichen Soziologie. In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob das Sprachproblem bzw. die Sprache auch für die außerwissenschaftlichen Soziologen ein Mittel darstellt, um ihre disziplinäre Zugehörigkeit nachzuweisen und dadurch ihre eigene professionelle Identität herzustellen. Die externen Interviewpartner, die die im Folgenden dargestellte Wahrnehmung des Sprachproblems teilen, sehen das Sprachproblem als ein selbstverständliches Merkmal der Disziplin. Sein Auftreten manifestiert die Zugehörigkeit zur Disziplin. Das Sprechen der soziologischen Sprache wird nicht als ein Problem wahrgenommen, sondern als eine 266
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Möglichkeit, die eigene Wissenschaftlichkeit zu beweisen und sich zu der wissenschaftlichen Soziologie hinzuzuschreiben. [Ext01] argumentiert in der oben bereits angeführten Interviewsequenz, dass die Bemerkung von Nicht-Soziologen, seine Sprache sei verständlich, nicht unbedingt als ein „Kompliment“ verstanden werden könne, da sie u. U. auch bedeuten könne, dass man „zu praxisorientiert“ ist. Er setzt seine Argumentation folgendermaßen fort: ja sagen wir mal so in Anträgen spielt das ne Rolle ja (.) also äh sie müssen schon (.) zumindestens in einer (.) Sprache formuliert sein meines Erachtens die (.) vielleicht (.) eine gewisse Kompetenz zum Ausdruck bringt das heißt also die/ (.) aber das (.) heißt natürlich nicht dass man jetzt (.) diese Sprache nun überstrapaziert = aber ich (.) (?will’s?) eher umgekehrt sagen also mich stört schon bei Kollegen die formulieren umgangssprachlich zum Teil (.) die jüngeren Kollegen (?sogar?) (.) und ich finde äh das ist äh (.) also dann äh (.) der wird der Sache nicht mehr gerecht finde ich also die (.) also sozusagen also in der/ […] wenn ich mich in der Umgangssprache also bei der Formulierung von Sachverhalten bewege (.) dann bewege ich mich auf der Oberfläche [Ext01]
[Ext01] ist sich darüber bewusst, dass die wissenschaftliche Sprache in der Form, in der sie in der akademischen Disziplin verwendet wird, für die Praxis nicht geeignet ist (s.o. 3.3.2.1.). Er sieht aber, dass die komplizierte soziologische Sprache in außerwissenschaftlichen Kontexten durchaus nützlich sein kann. Zunächst geht er darauf ein, dass die soziologische Sprache bei „Anträgen“ eine Rolle spielt. Er verweist auf die Instrumentalisierung der Sprache dadurch, dass sie benutzt wird, um „vielleicht eine gewisse Kompetenz zum Ausdruck“ zu bringen. Wenn die soziologische Sprache in außerwissenschaftlichen Kontexten als Mittel zum Kompetenzbeweis verwendet wird, sollte diese Instrumentalisierung reflektiert erfolgen; die Sprache darf nicht „überstrapaziert“ werden. Es muss also eine angemessene sprachliche Form gefunden werden, um soziologisches Wissen als exklusives professionelles Wissen zu positionieren und dennoch verständlich zu sein. Dann gibt [Ext01] dem Thema (aber) eine andere Wendung. Er geht darauf ein, dass die Vereinfachung der Sprache sich negativ auf die wissenschaftlichen Inhalte auswirken kann. Dieser Perspektivwechsel verweist darauf, dass die beschriebene Instrumentalisierung der Sprache für [Ext01] aufgrund der identitätsstiftenden Funktion der Sprache zu einem Konflikt zweier soziologischer Identitäten führt. [Ext01] präzisiert, dass die Sprache nicht beliebig vereinfacht werden darf, weil sie sonst „der Sache nicht mehr gerecht“ wird. Die Sprache wird damit eng an die so267
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ziologischen Inhalte gekoppelt: Wenn man die Sachverhalte „in der Umgangssprache“ formuliere, bewege man sich „auf der Oberfläche“. Bezeichnend ist, dass es [Ext01] nicht nur um das einfache Formulieren geht, sondern um eine Unterscheidung zwischen der soziologischen Sprache und der Umgangssprache. Für eine tiefgehende Behandlung (soziologischer Themen) ist die soziologische Sprache erforderlich. Damit wird die Sprache als eine essenzielle Komponente der Wissenschaftlichkeit definiert, die dazu dient, Soziologie und Alltagswissen zu unterscheiden. Die Empörung über die jüngeren Kollegen, die „umgangssprachlich“ formulieren, weist auch darauf hin, dass [Ext01] sich mit seiner Einschätzung der Sprache auf die internen Standards der akademischen Disziplin bezieht. Er sagt, dass „sogar“ die „jüngeren [hier: außerwissenschaftlichen] Kollegen“ sich erlauben, „umgangssprachlich“ zu formulieren. Dieses Adverb weist auf eine Konfrontation zweier soziologischer Identitäten hin: Jüngere Wissenschaftler, die sich im Wissenschaftsbetrieb etablieren müssen, würden sich nie erlauben, umgangssprachlich zu sprechen. Jüngere Soziologen, die mit Nicht-Soziologen zusammenarbeiten, verwenden die Umgangssprache, um verständlich zu sein. Damit verzichten sie auf ein für die Herausbildung einer soziologischen Identität essenzielles Instrument. [Ext01] erklärt selbst, dass dies rein technisch geschieht (die Sprache kann instrumentalisiert werden, und jeder Soziologe kann selbst entscheiden, ob er die Sprache „überstrapaziert“ oder nicht). Mit dem Hinweis auf die Beeinflussung der Inhalte durch die Sprache thematisiert er aber die identitätsstiftende Dimension des Sprachproblems. Er schreibt sich selbst zur wissenschaftlichen Soziologie hinzu – und zwar durch die Empörung darüber, dass jüngere Kollegen, die keine anderen Beweise der Zugehörigkeit zur Soziologie anführen können, es wagen, auf die soziologische Sprache zu verzichten. Obwohl deutlich ist, dass die Sprache der Herkunftsdisziplin nicht in der Kommunikation nach außen verwendet werden kann, stellt [Ext01] hier eine enge Bindung zwischen der Sprache und der nach außen postulierten Professionalität der Soziologie her (die schließlich – durch die Sprache – an die Wissenschaftlichkeit anknüpft) etabliert. Auch [Ext02] reflektiert über die soziologische Sprache und sieht sie als ein wichtiges und selbstverständliches Merkmal der Soziologie, das zu gewissen (positiven) Irritationen in der Kommunikation mit NichtSoziologen führen kann. Er sagt, dass man sich in der Kommunikation mit Nicht-Soziologen Gedanken darüber machen muss, „inwieweit einem das gelingt (also) wirklich eine Sprache zu finden (.) die dann also auch der Nichtakademikern oder den den den Betriebspraktikern ir268
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gendwas: (.) gibt“. Er erwartet also nicht nur, dass die Sprache verständlich ist, sondern auch, dass sie etwas (Positives) bewirkt, also etwas „gibt“. [Ext02] meint, dass selbst das Sprachproblem als solches – „gewisse Irritationen“, die in der Kommunikation zwischen Soziologen und Betriebspraktikern entstehen können – „für die Betroffenen also durchaus positiv sind“. Wenn die Nicht-Soziologen sich auf dieses „Spiel“ der Kommunikation in verschiedenen Sprachen einlassen, dann kann es positive Entwicklungen bewirken. Dem Sprachproblem werden also positive Effekte zugeschrieben, und dadurch wird es entdramatisiert: ich denk schon (.) äh (.) dass diese: diese Barrieren zwischen akademischem und nicht-akademischem äh Bereich (.) (das is so diese:) diese Begrenzung (.) dass man da schon (.) was so äh sprachliche (.) Gegebenheiten angeht schon: (.) gezwungen ist in unsern Fällen sich da stärker auf das einzulassen was im akademischen Bereich (.) äh einfach Standard ist (.) und dass das einfach (.) nicht nur (äh:) in der Form obwohl man’s da sehr schön sehen kann sondern auch (.) so auf der inhaltlichen (.) Art und Weise dass man sich da schon (.) versuchen muss Gedanken zu machen = inwieweit einem das gelingt (also) wirklich eine Sprache zu finden (.) die dann also auch den Nichtakademikern oder den den den Betriebspraktikern irgendwas: (.) gibt also das: denk ich schon dass es da erhebliche Defizite gibt dass das (.) (denk ich auch von: von) (.) Soziologe zu Soziologe von Wissenschaftler zu Wissenschaftler sehr versch/ verschieden gut funktioniert (.) aber dass es da natürlich keine eins-zueins-Entsprechung gibt das scheint mir klar zu sein aber ich denk auch nicht dass das unbedingt wünschenswert ist dass diese Unterschiede eingeebnet werden (.) sondern ich denke schon (.) dass es eben auch n Stück weit (.) ähm (.) naja der Anregungscharakter vielleicht der Soziologie ist der Sozialwissenschaftler die eben in so=n Betrieb reingehen (.) und sich eben nicht so die Sprache des Betriebspraktikers so eins zu eins zu eigen machen (.) dass die unter Umständen halt auch gewisse Irritationen auf der anderen Seite auslösen (.) können die auch für die Betroff/ also für die Betroffenen also durchaus positiv sind aber das setzt natürlich auch von deren Seite (.) äh voraus (.) sich da n Stück weit auf dieses Spiel einzulassen und im Grunde kann man das nicht so übermäßig oft voraussetzen das hängt aber auch wie gesagt von der anderen Seite ab mit wem man=s da zu tun hat (.) ob man=s also mit ner akademischen Klientel zu tun hat (.) was also in Großbetrieben dann eher der Fall ist oder wenn man=s eben mit kleinen und Kleinstbetrieben zu tun hat wo man nicht davon ausgehen kann (.) dass man=s da mit: mit Akademikern auf der anderen Seite zu tun hat äh (.) können diese Sprachunterschiede dann schon durchaus größer sein [Ext02]
Obwohl das Sprachproblem nicht als dramatisches Problem dargestellt wird, weist [Ext02] darauf hin, dass die positiven Auswirkungen der
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sprachbedingten Irritationen – selbst die Möglichkeit solcher positiver Auswirkungen – sehr von der soziologischen Klientel abhängt. Am fruchtbarsten ist Sprachspiel, so [Ext02], in der Kommunikation mit Betriebspraktikern mit akademischem Hintergrund. Das Sprachproblem wird in dieser Interviewsequenz recht differenziert behandelt: Es kann sich in der Kommunikation mit NichtSoziologen sowohl positiv als auch negativ auswirken. Die Möglichkeit, die Soziologiesprache einzusetzen, um positive Irritationen hervorzurufen, unterstellt allerdings eine Reflexion über die Sprache. Die Instrumentalisierung soll schließlich bewusst erfolgen; wie kompliziert die Sprachesein darf, hängt vom Hintergrund der Klientel ab. Allerdings ist eine „Eins-zu-Eins-Entsprechung“ zur Sprache der Klientel nicht „unbedingt wünschenswert“. Das Auslösen von Irritationen durch die Sprache – das Sprachproblem – wird als konstitutiver Teil des soziologischen Arbeitens im außerwissenschaftlichen Bereich präsentiert. Damit stellt [Ext02] das Sprachproblem nicht nur als ein selbstverständliches, sondern auch als ein unter gewissen Umständen positiv wirkendes Merkmal der Disziplin dar. Durch die Thematisierung der möglichen positiven Wirkung des Sprachproblems wird deutlich, dass das Sprachproblem nicht ganz gelöst werden, d.h. die soziologische Sprache in der Kommunikation mit Nicht-Soziologen nicht aufgegeben werden darf. Die Professionalität, die durch die Sprache deutlich gemacht wird, veranlasst manche Nicht-Soziologen, den soziologischen Ideen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Instrumentalisierung des Sprachproblems macht deutlich, dass die Vereinfachung der Sprache – also der Umgang mit dem Sprachproblem auf der Sachebene – nicht problematisch ist. Der „Anregungscharakter“ der Soziologie in den außerwissenschaftlichen Bereichen (in „Betrieben“) ist an die Sprache angebunden.
Die Wahrnehmungen des Sprachproblems seitens der externen Interviewpartner. Zusammenfassung Die Analysen zeigen, dass die Sprache auch für die außerwissenschaftlichen Soziologen ein identitätsbildendes Merkmal darstellt. Durch die Sprache wird ein Bezug zur primären soziologischen Sozialisation – der Ausbildung – hergestellt, sie ermöglicht die Darstellung der eigenen Leistung, die u.a. in der verständlichen Kommunikation mit der Außenwelt besteht, und durch die dezente Pflege des Sprachproblemdiskurses bleiben die Anbindungen an die Herkunftsdisziplin erhalten. Außerdem wird der Sprache – und dem Sprachproblem – eine Irritationsleistung zugeschrieben, auf die die außerwissenschaftlichen Soziologen nicht verzichten sollten. Diese Irritationsleistung ist gleichzeitig ein Beweis der Abgrenzung der Soziologie von anderen Professionen 270
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und Laien und auch ein Zeichen der Exklusivität der Soziologie. Die Sprache – und das Sprachproblem –wird instrumentalisiert. Die Vereinfachung bzw. die Verkomplizierung der Sprache dient dazu, eine positive Irritation zu bewirken, um soziologische Kompetenzen zum Ausdruck zu bringen und damit die Exklusivität und Professionalität des soziologischen Wissens zu postulieren. Dies entspricht einer in Kapitel 2 beschriebenen Vorstellung der soziologischen Professionalisierung zum außerwissenschaftlichen Beruf, dass sich im Zuge dieser Professionalisierung die für diesen Beruf notwendige Sprache von allein entwickelt. Bezeichnend ist jedoch, dass mit dieser für den außerwissenschaftlichen Beruf entwickelten Sprache eine Anbindung an die wissenschaftliche Soziologie hergestellt wird. Somit spielt die Sprache (und das Sprachproblem) auch im außerwissenschaftlichen soziologischen Diskurs eine nicht unerhebliche Rolle; und zwar bei der Stiftung der Identität und der Behauptung der Professionalität. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels wird der Begriff der Sprachproblemlösung anhand der Datenanalysen erörtert und an die beiden Dimensionen des Sprachproblems geknüpft.
3.4 Interviewdaten. Lösungen des Sprachproblems? Hier wird die Frage behandelt, ob das Sprachproblem – in ihrer Sachdimension – lösbar ist, und welche Lösungen des Sprachproblems in der Soziologie vorhanden sind. Die Besonderheiten des soziologischen Gegenstandes und die damit eng zusammenhängenden Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung tragen dazu bei, dass die Soziologie spezifische Abgrenzungsmechanismen ... (von den anderen Disziplinen und Professionen und dem Alltagsverstand) benötigt, die nicht gegenstandsabhängig sind und die Professionalität und Exklusivität der Soziologie nach außen belegen können. Aufgrund fehlender funktionierender Mechanismen der Qualitätsprüfung und der Herstellung von Zugehörigkeit in der Soziologie – die insbesondere für den äußeren wissenschaftlichen und den außerwissenschaftlichen Beruf wichtig wären, um Nicht-Professionellen die Qualität der professionellen Dienstleitungen zu garantieren – fällt die Aufgabe der Darstellung der Professionalität der Sprache zu. Die Fähigkeit, die soziologische Sprache zu sprechen, wird zum Zeichen der erfolgreichen Einsozialisation in die Soziologie, und das Auftreten des Sprachproblems dokumentiert diese erfolgreiche Einsozialisation und 271
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damit die Professionalität. Die Sprache dient also dazu, die Anbindung des Soziologen an die wissenschaftliche Soziologie – die derzeit einzige breit organisierte Gruppe von Soziologen – zu dokumentieren und ihnen damit professionelle Exklusivität zu verleihen. Dies macht das Sprachproblem zu einem selbstverständlichen Merkmal der Soziologie. Und damit sollte eine Lösung des Problems irrelevant werden – denn wie soll ein Problem gelöst werden, das gleichzeitig für die Identitätsstiftung elementar ist? Es stellt sich jedoch die Frage, wie die Soziologie nach außen transportiert werden kann, wenn das Sprachproblem nicht „gelöst“ bzw. nicht aus der Welt geschafft werden kann. Tatsache ist, dass sie nach außen vermittelt wird, zum einen durch Öffentlichkeitsarbeit, zum anderen durch die außerwissenschaftlichen Soziologen, die außerhalb des Wissenschaftsbetriebs soziologisch tätig sind. Außerdem wird in der Soziologie mit dem Lösungsbegriff operiert: Die Interviewpartner stellen ihren Umgang mit dem Sprachproblem dar, und im theoretischen soziologischen Diskurs wird eine „Lösung“ des Sprachproblems thematisiert, nämlich die „Übersetzung“ von der soziologischen in eine nichtsoziologische Sprache. Um zu erklären, dass die Soziologie nach außen transportiert werden kann, obwohl das Sprachproblem ein identitätsstiftendes Merkmal der Disziplin darstellt und ihre Abgrenzung nach außen dokumentiert, ist das Sprachproblem – wie oben schon dargestellt – als ein zweidimensionales zu betrachten. Die erste Dimension des Sprachproblems ist die identitätsstiftende Dimension, die zweite die Sachdimension. Die Sachdimension des Sprachproblems betrifft die tatsächlichen sprachlichen Hindernisse, die in der Kommunikation der Soziologie mit der Außenwelt auftreten und die ausgeräumt werden können. Dies ist jedoch nur möglich, wenn garantiert ist, dass durch die Vereinfachung der Sprache die Abgrenzung der Soziologie von ihrer Umwelt und damit der Ausweis ihrer Exklusivität und Professionalität nicht verloren gehen. Die „Lösung“ des Sprachproblems (die ermöglicht, dass die Soziologie nach außen transportiert wird) ist dementsprechend auch als zweistufige zu sehen. Die erste Stufe besteht darin, den Sprachproblemdiskurs zu pflegen. Dies ist erforderlich, um die Exklusivität der Soziologie (durch die Wissenschaftlichkeit) herzustellen und eine Selbstzuschreibung zur Soziologie zu erlauben. Die Darstellung der eigenen Professionalität kann auch mit anderen Mitteln erfolgen (z.B. Darstellung der Ergebnisse in mathematischen bzw. statistischen Formeln, Reputation innerhalb der wissenschaftlichen Community). Wenn solche anderen Mittel zur Verfügung stehen, verliert das Sprachproblem als Dokumentation der Profes272
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sionalität an Bedeutung. Doch auch dann wird der Sprachproblemdiskurs weiter gepflegt. So wird z.B. gezeigt, dass der einzelne Soziologe keine Probleme mit dem Sprachproblem hat, und die Gründe dafür genannt, (z.B. Alter, Reputation, Erfahrung). Damit wird das Sprachproblem als eines konstituiert, das alle Soziologen betrifft und das situativ gelöst werden kann (z.B. dadurch, dass seine identitätsstiftende Funktion durch die bereits erworbene wissenschaftliche Reputation weniger relevant wird). Die zweite Stufe der Lösung des Sprachproblems vollzieht sich auf der Sachebene. Sie besteht darin, in der Kommunikation der Soziologie nach außen die Verständlichkeit der soziologischen Sprache herzustellen. Dazu muss allerdings zum einen der Sprachproblemdiskurs weiterhin gepflegt werden. Zum anderen sind (die) Lösungen des Sprachproblems nicht als allgemeingültig (oder endgültig) angesehen werden in dem Sinne, dass sie zukünftig das Auftreten des Sprachproblems verhindern. Im folgenden Abschnitt werden die beiden Stufen der Sprachproblemlösung dargestellt.
3.4.1 Die erste Stufe der Sprachproblemlösung. „Lösung“ des Problems durch die Reputation u.a. und die Pflege des Sprachproblemdiskurses Die bereits beschriebene „Lösung“ des Sprachproblems, dass sich mit dem Erwerb einer gewissen Reputation die identitätsstiftende Rolle der Sprache reduziert, soll an dieser Stelle eingehender erörtert werden. Viele Interviewpartner heben hervor, dass das Sprechen einer komplizierten soziologischen Sprache für die Anerkennung in der wissenschaftlichen Community essenziell ist. Es wird unterstellt, dass nach der Anerkennung in der Disziplin die soziologische Sprache ihre identitätsstiftende Funktion erfüllt hat und demzufolge in bestimmten Situationen auf sie verzichtet werden kann, ohne dass dies die Reputation eines Soziologen in der akademischen Community gefährdet. Die in der soziologischen Community noch nicht etablierten Soziologen müssen, um eine Reputation zu erwerben, die soziologische Sprache (auch in der Kommunikation mit der Außenwelt) pflegen, da sie einen Beweis der Wissenschaftlichkeit darstellt. Es wird unterstellt, dass nach der Etablierung in der Disziplin die Sprache in der Kommunikation nach außen kein Hindernis mehr darstellen wird: I: also ich glaube das Problem [der soziologischen Sprache] wird (.) äh immer geringer je älter man wird (.) aus einem ganz einfachen Grund äh (.) wenn
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man jung ist muss man sich: äh gegenüber der Zunft äh beweisen dass man wissenschaftlich genug ist (.) also benutzt man den Jargon und wenn man älter wird dann: (.) muss man: diesen Beweis nicht mehr führen und dann (.) kann es interessanter werden sich (.) einer Öffentlichkeit gegenüber verständlich zu machen [Int18]
Die „Lösung“ des Sprachproblems wird als ein natürlich erfolgender Prozess dargestellt. Das Sprachproblem wird nicht eigentlich gelöst, sondern es wird „immer geringer je älter man wird“. Es ist also nicht notwendig, sich mit dem Sprachproblem und seiner Lösung zu beschäftigen. Das Sprachproblem entsteht im Zuge der Etablierung in der wissenschaftlichen Community, aber im Laufe der Zeit löst es sich von selbst (unter der Voraussetzung, dass man sich mit Öffentlichkeitsarbeit befasst). Der Erwerb einer Reputation in der Community ist also der erste Schritt der Sprachproblemlösung; der zweite setzt die Motivation voraus, Soziologie nach außen zu transportieren. Wenn diese Motivation vorhanden ist, ist die technische Lösung des Sprachproblems – auf der Sachebene – nicht schwierig. Die Motivation, die Soziologie nach außen zu transportieren, wird als eine lineare Entwicklung dargestellt: Sie entwickelt sich erst nach der Etablierung in der Community. Darin spiegelt sich die primäre Orientierung der wissenschaftlichen Soziologie auf den inneren soziologischen Diskurs wider,25 indem die aufklärerische Funktion der Soziologie und die Öffentlichkeitsarbeit als optional dargestellt werden. In der folgenden Sequenz aus dem Interview mit [Int19] findet sich eine vergleichbare Erklärung des Sprachproblems bzw. seiner Lösung: [..] und auch mit Politikern muss man das natürlich tun ne (.) Sie können Politikern nicht mit (.) mit dem ganzen (.) Soziologiekram kommen = dann müssen Sie=s auch runterkochen auf sehr (.) basale und einfache äh Aussagen und (.) ich denke das kann ich eigentlich ganz gut (.) vielleicht äh: ist es auch ne Frage des Alters (.) ich hab den Eindruck dass jüngere Leute das sehr viel schwerer können (.) die (.) glaub ich wollen ihre ganze Wissenschaftlichkeit (.) durch die Art wie sie sprechen dann auch (zum ...) Ausdruck bringen und das macht es für’n Leser nicht so schön (.) für’n Hörer auch nicht so gut ne (.) wenn sie dann sagen naja gut ich (.) hab’s nicht mehr nötig (.) mich als besonders äh (.) komplex denkender und also ganz äh: (.) hoch ausgewiesener (.) Akademiker zu präsentieren sondern sehe das eher locker (.) dann kann man glaub ich einfacher und klarer darüber [über soziologische Theorien und Befunde] reden als wenn man das (.) noch nicht so gelernt hat wie ein junger Mensch das (.) häufig eben (.) auch noch nicht kann nech oder (.) irgend (.) ja 25 Siehe dazu z. B. Fricke (1995: 282).
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DAS SOZIOLOGISCHE SPRACHPROBLEM
es nötig hat (.) ne aus Selbst äh (.) wegen des Selbstbildes des Images das man von sich selber hat (.) muss er (.) unbedingt kompliziert und äh (.) gestochen/ hochgestochen reden [Int19]
Die Sachdimension des Sprachproblems wird in dieser Interviewsequenz sehr knapp, aber präzise ausgedrückt. Man solle, wenn man die Soziologie nach außen transportiert, die Inhalte „runterkochen auf sehr (.) basale und einfache äh Aussagen“. Die Reflexion über die Nicht-Soziologen unverständliche Sprache wäre demzufolge ausreichend, um das Sprachproblem zu lösen. Das Sprachproblem entsteht, wenn versucht wird, die Wissenschaftlichkeit durch die Sprache zum Ausdruck zu bringen, und aus Identitätsgründen eine Sprache gesprochen wird, die die Abnehmer des Wissens nicht verstehen können. Die „jüngeren Leute“ können ihre Sprache nicht vereinfachen, da sie mit einer komplizierten Sprache ihre Wissenschaftlichkeit beweisen müssen. Diese Notwendigkeit stellt [Int19] zwar als selbst auferlegt dar, indem er unterstellt, dass junge Menschen „wegen des Selbstbildes“ kompliziert und hochgestochen reden. Dies mag ein Teil der Motivation sein, kompliziert zu reden – jedoch gäbe es dieses Phänomen nicht, wenn die akademische Community es nicht unterstützen würde. Tatsache ist, dass durch die Art des Sprechens in der Disziplin Ansehen erworben werden kann und dass die Sprache als ein wesentliches Indiz für einen „komplex denkenden“ und „ganz hoch ausgewiesenen“ Akademikers gilt. Auf der Sachebene scheint das Sprachproblem lösbar zu sein, aber auf der identitätsstiftenden Ebene wird die Sprache zu einem wichtigen Instrument erklärt, um der Community die eigene soziologische Identität zu beweisen. Was gescheht nun mit jungen Soziologen, die in der wissenschaftlichen Community noch nicht etabliert sind, aber durch ihre Einsozialisation in die Soziologie gelernt haben, dass Wissenschaftlichkeit durch die Sprache bewiesen werden muss? Und vor allem mit den außerwissenschaftlichen Soziologen, die keine Aussichten haben, sich in der Community zu etablieren? Können sie das Sprachproblem „lösen“? Wie wirkt sich die „Lösung“ des Sprachproblems auf der Ebene ihrer soziologischen Identität aus? Diese Soziologen bekommen möglicherweise ein Identitätsproblem, wie [Ext01] es beschreibt: also mich stört schon bei Kollegen die formulieren umgangssprachlich zum Teil (.) die jüngeren Kollegen (?sogar?) (.) und ich finde äh das ist äh (.) also dann äh (.) der wird der Sache nicht mehr gerecht finde ich also die (.) also sozusagen also in der/ wenn ich (.) mich nur/ wenn ich mich in der Umgangs-
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sprache also bei der Formulierung von Sachverhalten bewege (.) dann bewege ich mich auf der Oberfläche [Ext01]
Wie bereits in 3.3.2.2. im Zusammenhang mit dem Bezug auf die internen Standards der akademischen Disziplin gezeigt wurde, kollidiert hier offensichtlich die Vorstellung, die eigene Wissenschaftlichkeit, d.h. auch die Professionalität, müsse durch die Sprache bewiesen werden, mit den Anforderungen der außerwissenschaftlichen Arbeit. Das ist darauf zurückzuführen, dass versucht wird, mittels der Sprache die wissenschaftliche Identität in einer Umgebung zu bewahren, in der nicht wissenschaftlich kommuniziert wird. Die Möglichkeit der – auf die Sachdimension des Sprachproblems bezogenen – Sprachproblemlösung kollidiert mit den sprachgebundenen Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit. Wie bereits im Zusammenhang mit der Professionalisierung der Soziologie dargelegt wurde (s.o. 2.4.3.2.), erfordert der Beweis der Professionalität in der außerwissenschaftlichen Soziologie einen Bezug auf die Herkunftsdisziplin. Dieser kann u.a. durch den Hinweis auf die soziologische Ausbildung hergestellt werden, der es erlaubt, die eigene soziologische Identität zu bewahren, ohne mit dem Sprachproblem in der Gegenwart konfrontiert zu sein bzw. trotz der Fähigkeit, das Problem zu „lösen“. Der Hinweis auf die soziologische Ausbildung erfolgt allerdings ebenfalls über die Sprache: Durch den Verweis auf früheres Auftreten des Sprachproblems wird die erfolgreiche Einsozialisation in die Soziologie dargestellt. Diese wird mit der Entscheidung, sich den Anforderungen der Praxis hinsichtlich der Sprache anzupassen,26 in Verbindung gebracht. Die Professionalität wird durch die Ausbildung postuliert. In einer ebenfalls bereits analysierten Interviewsequenz konstatiert [Ext07]: Z: als ich gefragt habe welche Hindernisse die Soziologen haben können (.) ich habe einfach das gemeint (.) man sagt oft ähm Soziologen sprechen immer diesen komischen: (.) Soziologenjargon den sowieso niemand verstehen kann (.) haben Sie irgendwann das Problem gehabt? I: mhm (.) nee das haben sie [die Laien] mir auch vorgeworfen (.) auch (?er?) ja (.) also inzwischen hat sich das bei mir mit Sicherheit etwas abgeschliffen (.) aber ähm das äh ist (.) immer auch (.) ein Thema gewesen [Ext07]
26 Hier wird die „Wissenschaftlichkeit“ der Sprache mit „unpraktisch“ oder „unverständlich“ gleichgesetzt. Siehe dazu z.B. von Alemann (2002: 79 mit Bezug u.a. auf Bonß): „Die Praxis kann nur dann mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen etwas anfangen, wenn sie die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Identität entkleidet.“
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Die Sprache ist für die wissenschaftlichen, aber auch für die außerwissenschaftlichen Soziologen eines der identitätsstiftenden Merkmale der Soziologie. Daher wird der Diskurs über das Sprachproblem auch dann Fällen gepflegt, wenn das Sprachproblem in der Kommunikation mit der Außenwelt kein Hindernis darstellt. Selbst wenn Soziologen ihre Professionalität auf andere Art und Weise herstellen können, weisen sie die Existenz des Sprachproblems nicht zurück. Die Pflege des Sprachproblemdiskurses betrachte ich als eine vorbereitende Stufe für eine technische Lösung des Sprachproblems, d.h. für die Herstellung von Anschlussfähigkeit der Soziologie nach außen. Auch die Tatsache, dass das Sprachproblem in seiner Sachdimension nie dramatisch dargestellt wird, bestätigt die Hypothese, dass die Sprache als solche kein Hindernis für die Kommunikation der Soziologie mit der Außenwelt darstellt, sondern die Pflege des Sprachproblemsdiskurses der Abgrenzung der Soziologie von anderen Professionen dient und ihre Kommunikation nach außen erst ermöglicht. Diese Abgrenzung ist in erster Linie für Soziologen selbst, (für den inneren soziologischen Diskurs) essenziell und nicht für ihre Wahrnehmung von außen. Für die Außendarstellung ist dieser Diskurs eher ungünstig.27 Aber die Etablierung einer soziologischen Identität durch die gemeinsame Sprache ebenso wie die Dokumentation von Wissenschaftlichkeit durch das Sprachproblem ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass die Soziologie mit der Außenwelt kommunizieren kann. Damit wird eine Abgrenzung vollzogen, die sie als einheitliche Profession darstellt und die nicht davon bedroht ist, dass sich ihr Wissen mit konkurrierenden Wissensformen vermischt.28
27 Da aber die Lösung des Sprachproblems auf der Sachebene nicht dramatisch zu sein scheint, ist dessen negative Außenwirkung weniger relevant als seine positive Auswirkung auf die Identitätsbildung. 28 Manche Autoren sehen es das Erhalten und Fördern einer spezifischen Sprache, die mit einer nicht-wissenschaftlichen, vor allem aber politischen Sprache nicht verwechselt werden kann, als eine Notwendigkeit. Siehe dazu z.B. Hülsmann (1971: 159).
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3.4.2 Die zweite Stufe der Sprachproblemlösung. Sachdimension: eine „technische“ Lösung des Sprachproblems In diesem Abschnitt geht es um die „technische“ Lösung des Sprachproblems, d.h. um seine Bearbeitung auf der Sachebene.29 Zwei Fragen werden (ausführlicher) beantwortet. Eine Frage ist, wie im inneren soziologischen Diskurs, in dem der Sprachproblemdiskurs gepflegt wird, mit der Sachdimension des Sprachproblems umgegangen wird: ob das Problem als lösbar oder unlösbar dargestellt wird und ggf. welche „Lösungsvorschläge“ gemacht werden. Die zweite Frage lautet, welche konkreten auf der technischen Ebene machbaren Lösungsvorschläge sich den Interviewdaten entnehmen lassen.
3.4.2.1 Lösungsdiskurs. Übersetzung Im theoretischen Diskurs der Soziologie wird nicht nur über das Sprachproblem diskutiert, sondern es werden auch Lösungen des Sprachproblems vorgeschlagen. Der wichtigste Ansatz der theoretischen Soziologie zur Problemlösung besteht in der Leitidee der Übersetzung der soziologischen in eine alltägliche Sprache.30 Die „Übersetzung“ wird als ein selbstverständlicher Schritt zwischen der soziologischen Fachliteratur bzw. der wissenschaftlichen Empirie und der Praxis gesehen (vgl. Harrach 1995: 185, mit Referenz auf Endruweit 1991: 98, u.a.). „Übersetzung“ scheint jedoch eher ein Sammelbegriff für alle Vereinfachungsversuche zu sein, die unternommen werden, um die soziologische Sprache den Anforderungen der Praxis anzupassen; in der soziologischen Literatur finden sich keine konkreten Vorschläge oder Beschreibungen ihrer Übersetzung. Dies spiegelt sich in den Interviewsequenzen wider, in denen die „Übersetzung“ als Lösung des Sprachproblems angesprochen wird. In diesem Abschnitt wird deutlich werden, dass die Disziplin mit der Übersetzung parallel zur Pflege des Sprachproblemdiskurses operiert, um das Problem zu ent29 Die Überlegungen zur vergleichsweise einfachen Lösung des Sprachproblems auf der Sachdimension zielen jedoch nicht darauf ab, die Übersetzungsleistung zu entwerten. Die folgende Äußerung von [Int21] zeigt, dass auch die Sachebene des Sprachproblems ihre Schwierigkeiten bereithält, die die Soziologen wahrnehmen, wo durch sie die Leistung der Übersetzung anerkennen: „aber eben komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen halte ich eigentlich für eine Pflicht [...] und große Kunst (.) also ich bewundere eben meine Kollegen (.) die das schaffen“ [Int21] 30 Zur theoretischen Begründung dieses Lösungsvorschlags siehe Habermas (1981), Beck (1982), Rossi/Whyte (1983: 15) u.a.
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dramatisieren und die Soziologen zu ermutigen, trotzdem die Soziologie nach außen zu transportieren (und ggf. die Außenseite von ihrer Anschlussfähigkeit zu überzeugen). Die Übersetzungslösung wird sowohl für die Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit als auch für die interdisziplinäre Kommunikation vorgeschlagen. Die Übersetzungsebenen für diese beiden Zielgruppen sind zwar unterschiedlich, das Prinzip der Übersetzung bleibt jedoch dasselbe. Um das Sprachproblem lösen zu können, muss der Soziologe 1) verstehen, dass ein Kommunikationsproblem aufgetreten ist, das mit der Verwendung der soziologischen Sprache zusammenhängt, und 2) in der Lage sein, die eigene Sprache so zu übersetzen, dass sie dem Gegenüber verständlich wird. Als Beispiel für die Wahrnehmung der Übersetzungslösung als Sammelbegriff für eher unsystematische, an die konkrete Situation angepasste Lösungen des Sprachproblems sei hier die bereits analysierte Interviewsequenz aus dem Interview mit [Int09]: und insofern [...] spüre ich eigentlich ständig äh dass man: (.) mit einem (.) Übersetzungsproblem zu schaffen hat (.) ohne dass man es genau vorher (.) kennt (.) da muss man (.) in meinen Augen muss man da sensitiv sein Z: und dann klappt das? also Sie können es? I: ich traue mir das zu ja (.) aber (.) ich merke auch häufig (.) dass das was man eine Übersetzung ins Alltagssprachliche nennt (.) immer noch ähm (.) immer noch sozio-chinesisch ist Z: und was sagen dann die Menschen? „Ich versteh das nicht“ (.) oder sagen sie gar nichts und Sie spüren einfach, dass die (.) I: ja man versch: man spürt ja so den: (.) den leeren Blick und äh (.) das etwas steife (was ist/) „um was geht es hier eigentlich?“-Verhalten (.) äh (.) und (.) muss n neuen Anlauf nehmen die: (.) Dinge noch einmal anders auszudrücken. [Int09]
Wie oben bereits erwähnt, wird hier explizit dargestellt, dass der Übersetzungsbegriff in der Disziplin nicht klar genug definiert ist bzw. dass es keine etablierten Prozeduren für die Übersetzung gibt. Nach seinen eigenen Angaben merkt [Int09] post factum, ob die Übersetzung wirklich gelungen ist oder ob er „immer noch sozio-chinesisch“ spricht. Die Soziologie als Disziplin vermittelt die generelle Vorstellung, dass das Sprachproblem durch Übersetzung gelöst werden kann. [Int09] stellt die Übersetzung als eine Reihe von Vereinfachungsversuchen dar, als ständige Suche nach verständlichen Wörtern und Ausdrücken, bei der lediglich an der Reaktion des Publikums gemessen werden kann, ob man das
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Richtige getan wird. Wenn dies nicht der Fall ist, dann muss man erneut versuchen, „die Dinge noch einmal anders auszudrücken“. Auch einige externe Interviewpartner erwähnen die Übersetzung als die Lösung des Sprachproblems, die jedem geläufig ist. So spricht auch [Ext04] diese Lösung an, als ob keine weiteren Erklärungen nötig wären; indirekt reformuliert er „übersetzen“ mit „in ne einfachere Form bringen“: Z: Menschen die in der Praxis sind (.) sollten doch können äh (.) eben einfach zu sprechen (.) ich meine ohne Begriffe und so I: ja das müssen sie wohl das stimmt (.) denn sonst hört ihnen keiner zu = und da muss man irgendwann mal (.) übersetzen was man so: theoretisch äh (.) gelernt hat das muss man schon in ne einfachere Form bringen = die Erfahrung hab ich gemacht (.) ja sonst es hört einem keiner zu und ich glaub auch (.) dieses (vermittelte) Denken der Wissenschaft (.) äh: damit kann man draußen keinen Blumentopf gewinnen geschweige denn Geld verdienen oder so etwas (.) wenn ich ein Projekt akquiriere (.) dann muss ich äh will ich dem Gegenüber erklären können (.) und in seiner Sprache auch […] man muss eventuell letztendlich Wissenschaft abliefern = Studien oder so (.) Gutachten (.) äh also das mit wissenschaftlichen Methoden erarbeitet worden ist abliefern damit äh auch das Geld fließt und wirklich das Ergebnis (.) letztendlich auch vorgelegt und umgesetzt werden kann aber (.) äh (das setzt doch ....) einfache (.) bei Akquisition zumindest einfache Sprache voraus = oder Erklärung = das können nicht alle das (......) (.) aber jeder der in der Praxis arbeitet lernt das ja (.) [Ext04]
In der Frage der Interviewerin wird unterstellt, dass praktisch arbeitende Soziologen in der Lage sein sollten, „einfach zu sprechen“. [Ext04] bestätigt dies zunächst; im folgenden Satz meint er jedoch, dass dies nicht unbedingt der Fall ist. Er behauptet jedoch nicht, dass das Sprachproblem in der Praxis nicht besteht. Mit dem Übersetzungsbegriff, den er direkt an die soziologische Ausbildung anknüpft, was zur Herstellung der soziologischen Identität mit Bezug auf die Sprache beiträgt („muss man irgendwann mal (.) übersetzen was man so: theoretisch äh (.) gelernt hat das muss man schon in ne einfachere Form bringen“), weist [Ext04] explizit daraufhin, dass die in der Praxis arbeitenden Soziologen durchaus mit dem Sprachproblem konfrontiert sind. Durch den Hinweis auf wissenschaftliche Methoden wird eine professionelle Identität aufgebaut, die durch die einfache Sprache in Frage gestellt sein könnte. Wie gezeigt wurde, lassen sich in den Interviewsequenzen, die die Übersetzung als „Lösung“ des soziologischen Sprachproblems anführen, kaum Anweisungen finden, wie diese Lösung umzusetzen ist. Die Über280
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setzung ist ein Sammelbegriff, der vor allem die Möglichkeit dokumentiert, die Soziologie verständlich nach außen zu transportieren.
3.4.2.2 Konkrete Tipps zur Lösung des Sprachproblems Die Äußerungen meiner Interviewpartner – was die Sachdimension des Sprachproblems anbelangt – deuten daraufhin, dass das Sprachproblem relativ einfach „gelöst“ werden kann bzw. dass die soziologischen Sprache relativ einfach in eine Sprache überführt werden kann, die für NichtSoziologen verständlich wird. Das Sprachproblem muss immer gelöst werden im Hinblick auf das konkrete Auditorium, die beabsichtigte Irritation, die Motivation des Soziologen, sich nicht als solchen zu erkennen zu geben usw. Daher wäre der Versuch, die möglichen Lösungen verallgemeinernd zu systematisieren, nicht produktiv. Einige Ideen werden jedoch am Ende dieses Abschnitts zusammenfassend dargestellt. Hier sollen nun aus den Interviews einige Hinweise darauf wiedergegeben werden, wie die „Übersetzung“ in konkreten Fällen dargestellt wird und was dies impliziert. [Int03] benennt die Sprache, die in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit verwendet werden muss, und führt aus, wie sie zu gestalten ist. Die Beschreibung dieser Kommunikationssprache erfolgt durch Beispiele. Er bezeichnet diese Sprache als die der „avanciertesten Schriftsteller und Journalisten“: das allersicherste Mittel aber ist denke ich (.) dass man (.) im Bereich von (.) gesellschaftlich-kulturellen Phänomenen (.) versucht (.) auf eine besondere Theoriesprache (.) unabhängig von der gebildeten Umgangssprache ganz zu verzichten (.) sozusagen sich bemüht (.) so wenig wie möglich Terminologie einzuführen (.) und da wo es absolut unumgänglich ist Terminologie zu verwenden (.) dies dann sehr bewusst und entschieden und klar definiert zu tun (.) da man ohnehin nicht sicher ist (.) breit rezipiert und missverstanden zu werden (.) ist es besser dann gleich in der Sprache der (.) sagen wir mal avanciertesten Schriftsteller und Journalisten (.) sozusagen der Sprache der allgemeinen Öffentlichkeit (.) zu sprechen und (.) Kunstwörter terminologische Einführungen (.) auf das Allernotwendigste zu beschränken und dann wenn man (.) meint etwas gesehen zu haben was sich nicht gut umgangssprachlich beschreiben lässt (.) dann dieses Etwas auch sehr genau (.) zu umschreiben [Int03]
Hier wird die Entscheidung, die Sprache der Öffentlichkeit zu sprechen, den in den außerwissenschaftlichen Bereichen bzw. in der Öffentlichkeitsarbeit tätigen Soziologen abgenommen. Wenn man die wissenschaftliche Sprache spricht, hat man kein Einfluss darauf, wie man „re-
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zipiert“ wird oder ob man „missverstanden wird“. Das resignierte „ohnehin nicht sicher“ gibt einem Soziologen die Legitimation, die soziologische Sprache abzulegen und gar nicht erst zu versuchen, die eigene Wissenschaftlichkeit durch die Sprache zu beweisen. [Int03] gibt in dieser Interviewsequenz eine relativ präzise Beschreibung dessen, was in der Kommunikationssprache geändert werden muss, damit sie der Öffentlichkeit verständlich wird. Zunächst muss fachsprachliche Terminologie möglichst vermieden werden. [Int03] ist sich aber bewusst, dass nicht immer auf Fachtermini verzichtet werden kann. Für den Fall, dass dies nicht möglich ist, gilt die zweite Regel, nämlich die Terminologie „dann sehr bewusst und entschieden und klar definiert“ zu verwenden. D.h. die Vereinfachung der Sprache wird in zwei Schritten vollzogen: Zuerst muss entschieden werden, auf welche Termini verzichtet werden kann und auf welche nicht. Die verbliebenen Fachbegriffe müssen erklärt werden. [Int03] beschreibt auch, was nicht in die „Sprache der allgemeinen Öffentlichkeit“ gehört: „Kunstwörter“ und „terminologische Einführungen“. Wenn man anfängt, in der „Sprache der allgemeinen Öffentlichkeit“ zu kommunizieren, wird man vermutlich auf etwas stoßen, von dem man meint, dass es „sich nicht gut umgangssprachlich beschreiben lässt“. Man muss also bestimmte Begrifflichkeiten einführen, die dann zu erklären sind (solche Erklärungen dienen auch der Identitätsstiftung, da sie den Nicht-Soziologen anzeigen, dass sie es mit Soziologie zu tun haben). [Int02] berichtet folgendermaßen über die Lösung des Sprachproblems: Z: ja aber dazu [um sich einfach auszudrücken] muss man sich auch als Wissenschaftler positionieren (.) oder nicht (.) I: ja (.) also ich muss (.) natürlich [...] alles hat einen Sinn wenn ich eine Perspektive nenne (.) ich meine wissenschaftlich geformte Perspektive habe (.) die Gestalt dieser Form kann verschieden sein (.) aber die Form muss da sein [...] das genaue Denken (.) das können nur die großen Wissenschaftler (.) darin (.) in der Genauigkeit des Denkens unterscheidet sich die Qualität von Wissenschaft (.) und demzufolge würde ich natürlich sagen (.) diese Genauigkeit des Denkens darf man sich nicht nehmen lassen (.) wenn man mit Praktikern (.) oder mit außerwissenschaftlichen Kontexten zu tun hat (.) sonst wäre ich ja nur (....) sonst bin ich ja auch nicht besser (.) als die anderen (.) aber ich muss mir gelegentlich ungenaue Formulierungen erlauben (.) wenn ich es so genau formulieren will (.) wie ich jetzt so in wissenschaftlichen Publikationen formuliere (.) dann versteht mich der Praktiker nicht [...] also ich bleibe (.) sozusagen (.) genau in der Verwendung der Worte (.) und werde das auch natürlich
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soweit damit verbinden (.) was in dem Zusammenhang des betreffenden Praktikers wichtig ist (.) genau die Assoziationen (.) die ich mit dem Begriff verbinde (.) aber nach Möglichkeit in einer anschaulichen (.) für ihn wichtigen Weise (.) hineinbringen. (.) das schon (.) aber ich werde dies eben in einer bildhaften Sprache tun (.) und nicht in den analytischen Begriffen tun (.) die ich in den Büchlein entwickelt habe (.) Sprache der Praxis ist heute eine bildhafte Sprache (.) und wenn es Ihnen gelingt (.) irgend etwas wirklich dann schlagend zu sagen (.) dann kommen Sie viel besser an (.) als wenn Sie da irgendwelche Begriffe haben (.) aber jetzt ist die Frage (.) Ihre Verantwortung und Ihre Fähigkeit ist es (.) eine analytisch richtige Vorstellung so mit einem Bild zu verbinden (.) dass dort eine Assoziation entsteht (.) die Ihnen etwa mit Ihren analytischen Vorstellungen strukturgleich ist [Int02]
In dieser Interviewsequenz stellt [Int02] zunächst eine Verbindung her zwischen einer vereinfachten Sprache, die zu einer möglichen Form der Darstellung soziologischen Wissens wird, und der Wissenschaft. Diese Verbindung war schon in der suggestiven Frage der Interviewerin angelegt. Er nennt eine Besonderheit der Wissenschaft – nämlich die „Genauigkeit des Denkens“ – die auch in der Kommunikation der Wissenschaft mit der Außenwelt nicht verloren gehen darf. Die Genauigkeit des Denkens schafft eine Abgrenzung, die die eigene Wissenschaftlichkeit – und damit die Professionalität – trotz der einfachen und bildhaften Sprache zu beweisen vermag. Sie unterscheidet ggf. die soziologische von der alltäglichen Beschäftigung mit denselben Phänomenen. Ist die Wissenschaftlichkeit und somit die Exklusivität und Professionalität des Wissens durch die Genauigkeit des Denkens bewiesen, muss sie nicht mehr durch das Auftreten des Sprachproblems dokumentiert werden. Die Genauigkeit des Denkens kann insofern als Wissenschaftlichkeitsbeweis dienen, als sie als Fähigkeit der „großen Wissenschaftler“ dargestellt wird. An der „Genauigkeit des Denkens“ kann die „Qualität von Wissenschaft“ gemessen werden. Damit wird der Genauigkeit des Denkens die Funktion der Sprache zugeschrieben. Weiterhin werden mögliche Folgen von Ungenauigkeit dargelegt. [Int02] konstatiert: „sonst bin ich ja auch nicht besser als die anderen“. „Die anderen“ sind in diesem Kontext Nicht-Soziologen (Nicht-Wissenschaftler), also Nicht-Professionelle. Diesen würde man gleichen, wenn man sich die „Genauigkeit des Denkens“ nehmen ließe (selbst wenn man über wissenschaftlich bewährtes Wissen verfügt); man würde also an Professionalität verlieren. Allerdings müsste dazu die Genauigkeit des Denkens operationalisierbar sein. Anschließend schildert [Int02] eine Situation, in der man gezwungen ist, auf diese wissenschaftliche Eigenschaft doch („aber“) zu verzichten. [Int02] zeigt, dass er dies nicht ganz freiwillig tut und dass es ihm 283
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schwerfällt. Das Verb deutet hier auf einen inneren Konflikt hin: Es spricht viel dagegen, dass [Int02] „gelegentlich ungenaue Formulierungen“ verwendet, er muss es sich erst „erlauben“. Es ist nur dadurch legitimiert, dass „der Praktiker“ ihn sonst nicht versteht. Hier können die inneren disziplinären Konflikte, die mit der „Lösung“ des Sprachproblems verbunden sind, deutlich beobachtet werden: Wenn ein Soziologe außerhalb des Wissenschaftsbereichs verstanden werden will, muss er gegen die internen Kommunikationsregeln der Disziplin agieren und seine Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit (oder davon, wie die „großen Wissenschaftler“ Soziologie betreiben) aufgeben bzw. für sich neu definieren. Nachdem er diesen Konflikt dargestellt hat, bringt [Int02] seine Motivation zum Ausdruck, beides gleichzeitig zu erreichen: präzise zu bleiben und dennoch für Nicht-Soziologen verständlich zu sein. Um dies zu realisieren, schlägt er vor, „genau in der Verwendung der Worte“ zu bleiben, aber diese „in einer anschaulichen“, für den Praktiker „wichtigen Weise“ zu präsentieren. Die Kommunikation mit den Praktikern soll in „einer bildhaften Sprache“ stattfinden; in der neuen Sprache dürfen die „analytischen Begriffe“ in der neuen Sprache nicht vorhanden sein. Die Sprache der Praxis wird als eine „bildhafte Sprache“ definiert. Ein Soziologe nimmt eine „Verantwortung“ auf sich, wenn er sich für die Präsentation seiner Ergebnisse in einer „bildhaften“ und nicht in einer analytischen Sprache entscheidet. Die Bedeutung dieses Wortes in diesem Zusammenhang erschließt sich, wenn auch das Wort „Fähigkeit“ einbezogen wird, als die Verantwortung dafür, die eigene Fähigkeit abzuschätzen, der Wissenschaft auch in einer nicht-analytischen Sprache treu zu bleiben. Inwieweit dies erfolgreich wird, ist eine „Frage“. Um sicherzustellen, dass die Präsentation in der „bildhaften Sprache“ erfolgreich (das heißt u.a. wissenschaftlich genug und gleichzeitig verständlich) ist, muss man so formulieren, „dass dort eine Assoziation entsteht (.) die Ihnen etwa mit Ihren analytischen Vorstellungen strukturgleich ist“. Die Präsentation der Ergebnisse in einer einfachen Sprache wird zu einer anspruchsvollen und heiklen, wenn auch wichtigen Aufgabe, bei der jeder Soziologe für sich abwägen muss, ob er dazu bereit ist und in der Lage, sie zu meistern. Abschließend werden nun – mit dem Vorbehalt, dass es keine allgemeingültigen Regeln für die Gestaltung der Sprache geben kann, da diese immer an das jeweilige Auditorium angepasst werden muss – die wichtigsten Vorschläge und Hinweise für die Anpassung der soziologischer Sprache an die Anforderungen der außerwissenschaftlichen Praxis zusammengestellt:
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a) Die spezifische soziologische Sprache, die in der Kommunikation mit Nicht-Soziologen zu verwenden ist, beinhaltet das Sprechen mit und das Denken in Beispielen. b) Die Kommunikation mit dem Laienpublikum erfordert graphische Darstellungen und Zusammenfassungen. c) Soziologische Begriffe und Fachausdrücke sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Wenn sie sich nicht vermeiden lassen, müssen sie immer wieder expliziert und erklärt werden. Man muss in der Verwendung der Begriffe präzise sein und sich ihrer bewusst sein. d) Es muss eine bildhafte Sprache entwickelt werden; das Analytische soll nach Möglichkeit durch das Bildhafte, Assoziative ersetzt werden. Jedoch müssen die erzeugten Assoziationen den eigenen analytischen Vorstellungen strukturgleich sein. e) Es ist erforderlich, über die Elemente der Wissenschaftssprache zu reflektieren, die in der Alltagssprache nicht vorhanden sind. Dies sind nicht nur Fachausdrücke, sondern auch grammatische Strukturen wie die Substantivierung von Verben. Es muss nicht nur darauf geachtet werden, dass die Sprache verständlich ist, sondern ggf. auch vermieden werden, dass sie explizit auf den akademischen Hintergrund des Sprechers verweist in Situationen, in denen dies ungünstig wäre (z.B. vom Publikum als ein Versuch wahrgenommen werden könnte, sich von ihm abzuheben). f) Es muss zielgruppenorientiert und prozessorientiert gedacht und das Denken in globalen Zügen vermieden werden, da NichtSoziologen globale Kontexte nicht automatisch auf den für sie relevanten Kontext übertragen können.
3.4.3 Möglichkeit der Sprachproblemlösung, Lösungsbegriff und soziologische Identität: Zusammenfassung Anhand der „Lösungsvorschläge“ bzw. der Vorschläge zum Umgang mit dem Sprachproblem lässt sich die Hypothese über die identitätsstiftende Funktion der Sprache – und des Sprachproblems – auch für die außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten bestätigen. Aus den „Lösungen“ die sowohl die identitätsstiftende Dimension als auch die Sachdimension des Sprachproblems betreffen, wurde deutlich, wie die Soziologie trotz der identitätsstiftenden Funktion der Sprache (und der des Sprachproblems als Dokumentation der Wissenschaftlichkeit, d.h. der Professionalität) nach außen transportiert werden kann.
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Es zeigte sich, dass die Lösung des Sprachproblems in der Sachdimension, also die Anpassung der soziologischen Sprache an die Anforderungen der Praxis, durchaus möglich ist. Parallel zum Sprachproblemdiskurs gibt es in der Soziologie auch einen Diskurs über eine mögliche technische Lösung dieses Problems, nämlich die Übersetzung. Der Übersetzungsbegriff impliziert, dass die Sprache der Soziologie weiterhin erhalten bleibt und dass die Gefahr des Auftretens von Sprachproblemen immer gegeben ist. Mit dem Übersetzungsbegriff wird der Sprachproblemdiskurs weitergeführt und eine sprachbezogene Abgrenzung der Soziologie von ihrer Umwelt vollzogen. Die Möglichkeit, die Soziologie in ihrer Sprache verständlich nach außen zu transportieren, wird ausgeschlossen; ihre Sprache muss zunächst übersetzt werden. Die Einführung einer prinzipiellen Möglichkeit, das Sprachproblem auf der Sachebene zu „lösen“, in den soziologischen Diskurs scheint gerade aus dem Grund notwendig zu sein, dass das Sprachproblem für die (außerwissenschaftlichen) soziologischen Tätigkeiten als Verfahren der Identitätsstiftung fungiert. Dies ist fundamental, um das Problem zu entdramatisieren und die Soziologen zu ermutigen, trotz des Sprachproblemdiskurses die Soziologie nach außen zu transportieren. Schließlich zielt die Pflege des Sprachproblemdiskurses nicht darauf ab, die Kommunikation der Soziologie nach außen zu verhindern. Im Gegenteil wird diese Kommunikation durch die Pflege des Sprachproblemdiskurses erst ermöglicht, indem dieser die Professionalität der Soziologie im außerwissenschaftlichen Bereich etabliert und ihre Abgrenzung von der Umwelt gewährleistet. Die „Übersetzung“, die im inneren soziologischen Diskurs als die „Lösung“ des Sprachproblems thematisiert wird, stellte sich vor allem durch die Analyse von Interviewsequenzen als ein Sammelbegriff heraus, der an sich kaum operationalisiert werden kann. Es gibt keine institutionalisierten Prozeduren, die die Übersetzung zu einem funktionierenden formalisierten Mechanismus in der Soziologie machen würden. Die betreffenden Gesprächspartner thematisieren Übersetzung in den Interviews, um ihre eigenen Vorschläge für die Anpassung der soziologischen Sprache an die Anforderungen der Praxis zu benennen und zu verallgemeinern. Verallgemeinerung bedeutet in diesem Zusammenhang jedoch nicht, dass jemals eine allgemeingültige Lösung für das Sprachproblem ausgearbeitet werden kann. Die Pflege des Sprachproblemdiskurses und die breite Palette der in der Sachdimension auftretenden Phänomene erfordern stets eine situative, dem jeweiligen Publikum angepasste „Lösung“ des Sprachproblems. Die wichtigste Prozedur, die in den meisten Lösungsvorschlägen angesprochen wird, ist die Klärung der soziologischen Begriffe, auf die in 286
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der Kommunikation mit Nicht-Soziologen nicht verzichtet werden kann. Diese erklärt und vereinfacht nicht nur die soziologische Sprache für die Kommunikation mit Nicht-Soziologen, sondern bestätigt zugleich die Professionalität der Soziologie, da solch eine Klärung u. a. der impliziten Pflege des Sprachproblemdiskurses und damit auch der Identitätsstiftung (und der Führung des Wissenschaftlichkeitsbeweises) dient. Die Identität der Soziologie darf durch die „Lösung“ des Sprachproblems nicht gefährdet werden. Die identitätsstiftende Dimension des Sprachproblems steht seiner „Lösung“ auf der Sachebene im Wege. Es gibt verschiedene Mittel, um die Identitätsstiftung trotz der Lösung des Sprachproblems zu gewährleisten – dies ist eine Voraussetzung für die Lösung des Sprachproblems auf der Sachebene. Eines der wichtigsten Mittel stellt die Pflege des Sprachproblemdiskurses dar. Die Professionalität der Soziologie wird sprachbezogen bestätigt, indem die Anpassung der soziologischen Sprache an die Anforderungen der Praxis immer als eine Leistung dargestellt und das Sprachproblem immer situativ gelöst wird. Die Tatsache, dass die Sachdimension des Sprachproblems kaum als Hindernis in der Kommunikation der Soziologie mit der Außenwelt dargestellt wird, unterstützt die Hypothese, dass die Problematik auf einer anderen Ebene liegt, nämlich in der durch das Sprachproblem geleisteten Identitätsstiftung. Daher ist der Lösungsbegriff als solcher nur auf der Sachdimension des Sprachproblems relevant, denn in der identitätsstiftenden Dimension kann und muss es keine Lösung geben. Der Sprachproblemdiskurs muss zur Behauptung der soziologischen Professionalität weiterhin gepflegt werden.
3.5 Abschließende Bemerkungen In diesem Kapitel wurden Zusammenhänge zwischen der soziologischen Identität und dem Sprachproblem in der Soziologie hergestellt. Die Behandlung der soziologischen Gegenstandsproblematik und der Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung machte deutlich, dass die Soziologie spezifische Abgrenzungsmechanismen benötigt, die nicht gegenstandsabhängig sind, um ihre Professionalität und Exklusivität nach außen darzustellen. Nachdem in Kapitel 2 gezeigt wurde, dass die für andere außerwissenschaftliche Professionen üblichen allgemeingültigen Mechanismen der Zugehörigkeitsherstellung in der Soziologie nicht funktionieren können, wurde die Frage gestellt, ob die Sprache als ein solches Mittel der Zugehörigkeitsherstellung fungieren 287
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könnte in der Weise, dass der Gebrauch der soziologischen Sprache als Beweis der erfolgreichen Einsozialisation in die Soziologie dient. Weiterhin wurde gefragt, ob das Auftreten des Sprachproblems möglicherweise als ein Phänomen zu betrachten ist, das die erfolgreiche Einsozialisation in die Soziologie – und d.h. die Professionalität eines Soziologen – dokumentiert, und ob durch die Sprache eine gemeinsame Identität aufgebaut wird – die für den sich noch in der Entwicklung befindlichen außerwissenschaftlichen Beruf essentiell ist. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Sprache – und das Sprachproblem als Dokumentation der soziologischen Professionalität – in den außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten eine identitätsstiftende Funktion hat. Es ließ sich Folgendes feststellen: Das Wissen über das Sprachproblem scheint zum soziologischen Allgemeinwissen zu gehören. In der soziologischen Literatur, aber auch in der innersoziologischen Kommunikation wird ein Diskurs gepflegt, in dem das Sprachproblem als ein selbstverständliches Merkmal der Soziologie dargestellt wird. Die Verwendung der soziologischen Sprache ist ein – für die in der wissenschaftlichen Community noch nicht etablierten Soziologen essenzielles – Mittel des Wissenschaftlichkeitsbeweises, ein Kriterium, an dem – auf dem Hintergrund fehlender anderer Kriterien – die Zugehörigkeit zur Community und die Einsozialisation in die (wissenschaftliche) Soziologie gemessen werden kann. Dies wird u.a. dadurch bestätigt, dass der Erwerb einer gewissen Reputation in der Community es einem Soziologen erlaubt, die soziologische Sprache situativ (in außerwissenschaftlichen Kontexten) aufzugeben. Da an der Verwendung der Sprache die Zugehörigkeit zur Soziologie gemessen wird und das Sprechen dieser Sprache direkt an Wissenschaftlichkeit (was in der Soziologie auch Professionalität bedeutet) direkt geknüpft wird, kann die Sprache in keinem – auch nicht im außerwissenschaftlichen – Kontext aufgegeben werden, vor allem weil die Befolgung der Wissenschaftlichkeitsstandards einem Soziologen erst die soziologische Identität verleiht. Diese ist gerade für die außerwissenschaftlichen Tätigkeiten essenziell, weil nur dadurch die eigene Exklusivität und damit auch Professionalität dargestellt werden kann. Das betrifft insbesondere jüngere, in der Soziologie noch nicht etablierte (außerwissenschaftlichen) Soziologen, die keine anderen Mittel haben, um die eigene Professionalität zu beweisen. Da es bisher keinen etablierten außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf gibt, in Bezug auf den die Zugehörigkeit und die soziologische Identität eines außerwissenschaftlichen Soziologen (evtl. mit spezifischen Mitteln) hergestellt werden könnte, können die außerwissen288
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schaftlichen Soziologen nur auf die Mittel des inneren wissenschaftlichen Berufs zurückgreifen. Die Zugehörigkeit zu einer professionellen Gruppe ist nicht nur für die Selbstwahrnehmung eines außerwissenschaftlichen Soziologen essenziell, sondern auch für die Darstellung der eigenen Professionalität nach außen. Da die Zugehörigkeit zu einer professionellen soziologischen Gruppe nur durch die Anbindung an die Herkunftsdisziplin hergestellt werden kann, ist das Befolgen der inneren Regeln des wissenschaftlichen Berufs für die außerwissenschaftlichen Soziologen essenziell. Die Bedeutung der Sprache und die identitätsstiftende Wirkung des Sprachproblemdiskurses für außerwissenschaftliche Soziologen bestätigt sich dadurch, dass auch die externen Interviewpartner diesen Diskurs pflegen, obwohl er für ihre berufliche Tätigkeit eigentlich ungünstig ist. Die Funktionalität dieses Diskurses für die außerwissenschaftlichen Soziologen zeigt sich in der Herstellung eines gemeinsamen Bezugs zur Einsozialisation in die Soziologie (Ausbildung). Dieser Bezug spielt für die Herausbildung der professionellen Identität eine wichtige Rolle. Außerdem dient der Sprachproblemdiskurs dazu, das verständliche Kommunizieren mit der Außenwelt als eine Leistung darzustellen. Dies verweist darauf, dass die außerwissenschaftlichen Soziologen ihr Wissen in einer – während der akademischen Ausbildung angeeigneten – Sprache produzieren, die Nicht-Soziologen nicht verständlich ist und die sie für die Praxis erst übersetzen müssen. So wird ein Bezug zur Herkunftsdisziplin hergestellt. Es wird explizit darauf hingewiesen, dass die Sprache nur in dem Maße vereinfacht werden muss, wie es für den konkreten praktischen Zweck notwendig ist, dass somit ein wissenschaftlicher Anklang gewahrt bleibt, der auf die Professionalität und die exklusiven Inhalte des soziologischen Wissens verweist. Außerdem wird der Sprache – und dem Sprachproblem – eine für die außerwissenschaftlichen Tätigkeiten der Soziologen wichtige Irritationsleistung zugeschrieben, mit der gleichzeitig eine Abgrenzung der Soziologie vollzogen und ihre Exklusivität hergestellt wird. Somit dient die Sprache (und das Sprachproblem) auch im außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf der Stiftung der Identität und der Behauptung der Professionalität. Ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Sprache – für die wissenschaftlichen, aber auch für die außerwissenschaftlichen Soziologen – eine identitätsstiftende Rolle spielt, ist z.B. die Tatsache, dass der Sprachproblemdiskurs auch in den Fällen gepflegt wird, in denen das Sprachproblem in der Kommunikation der Soziologie mit der Außenwelt kein Hindernis darstellt (wenn z.B. die identitätsstiftende Dimension des Sprachproblems durch andere Mittel der Professionalitätsdarstellung wie Reputation oder Statistik an Bedeutung verliert). 289
DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
Weiterhin wurde die Frage diskutiert, inwiefern der Lösungsbegriff im Kontext des soziologischen Sprachproblems angesichts seiner Funktion der Identitätsstiftung überhaupt Sinn macht. In der Analyse stellte sich heraus, dass zwei Dimensionen des Sprachproblems unterschieden werden und dass der Lösungsbegriff in Bezug auf eine durchaus Sinn macht. Die Sachdimension des Sprachproblems betrifft die tatsächlich auftretenden sprachgebundenen Hindernisse in der Kommunikation der Soziologie mit der Außenwelt. Diese Dimension wird auch im theoretischen soziologischen Diskurs aufgegriffen und mit einem Sammelbegriff für Lösungsmöglichkeiten, nämlich „Übersetzung“, in Verbindung gebracht. Dieser Begriff verweist auf die Möglichkeit, die Soziologie nach außen zu transportieren, und dient der Entdramatisierung des Sprachproblems gegenüber den Nicht-Soziologen. Außerdem unterstützt er diejenigen Soziologen, die die Soziologie nach außen transportieren (wollen). Der Übersetzungsbegriff ist insofern mit der identitätsstiftenden Funktion des Sprachproblems kompatibel, als er unterstellt, dass die Sprache der Soziologie erhalten bleibt und dass die Gefahr des Auftretens von Sprachproblemen stets aktuell ist. Mit dem Übersetzungsbegriff wird der Sprachproblemdiskurs weitergeführt und eine sprachbezogene Abgrenzung der Soziologie von ihrer Umwelt vollzogen. Der Übersetzungsdiskurs wurde auch von den Interviewpartnern aufgegriffen, als Sammelbegriff für konkrete Vorschläge zur Anpassung der soziologischen Sprache an die Anforderungen der Praxis. Diese Anpassungsvorschläge umfassen eine breite Palette von Komponenten. Als wichtigster Aspekt der Anpassung der Sprache an die Anforderungen der Praxis wird angeführt, dass die soziologischen Begrifflichkeiten expliziert und erklärt werden sollen. Dies dient nicht nur der Verständlichkeit, sondern auch der Darstellung der soziologischen Professionalität, da die Erklärung der Begrifflichkeiten diese gleichzeitig hervorhebt und so die Soziologie als eine professionelle Gruppe mit exklusivem Wissen positioniert. Hinsichtlich der identitätsstiftenden Dimension ist logischerweise keine Lösung des Sprachproblems möglich. Das Sprachproblem muss erhalten bleiben, da es die Abgrenzung der Soziologie von ihrer Umwelt dokumentiert. Mit der (zunehmenden) Etablierung in der wissenschaftlichen Community sinkt die Bedeutung der Identitätsbildung bzw. -bewahrung durch die Sprache. Um das Sprachproblem auf der Sachebene „lösen“ zu können, muss sichergestellt sein, dass die Außendarstellung der soziologischen Professionalität durch die Anpassung der Sprache an die Anforderungen der 290
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Praxis keinen Schaden nimmt. Daher muss der Sprachproblemdiskurs gepflegt werden, um die beiden Dimensionen des Sprachproblems zusammenzuführen und die Anschlussfähigkeit der Soziologie nach außen zu gewährleisten. Durch die Pflege dieses Diskurses wird die Exklusivität und Professionalität der Soziologie nach außen – und vor allem nach innen – postuliert. Für die Soziologen bildet die durch den Sprachproblemdiskurs dokumentierte Abgrenzung von der Umwelt die Basis ihrer Identität, für die Außenseite dient sie als Beleg der soziologischen Professionalität. Durch die Pflege des Sprachproblemdiskurses und das gleichzeitige Postulieren der Möglichkeit einer „Übersetzung“ wird nach außen dargestellt, dass die Soziologie über exklusives Wissen verfügt, das für Nicht-Soziologen übersetzt werden kann – was allerdings eine besondere Leistung darstellt. Auch die erklärten, aber erhaltenen Begrifflichkeiten weisen auf die Übersetzungsleistung hin und stellen die Professionalität der Soziologie in außerwissenschaftlichen Bereichen her. Der Hinweis, dass die verständliche Vermittlung der Soziologie nach in einem konkreten Fall nichts über entsprechende Möglichkeiten in einem anderen Fall aussagt, macht die Übersetzung zu einer immer fallbezogenen Einzelleistung. Die Pflege des Diskurses über das mögliche Auftreten des Sprachproblems dient dem nachhaltigen Beweis der soziologischen Exklusivität. Unter der Voraussetzung, dass die Herstellung der soziologischen Identität gesichert ist und der Sprachproblemdiskurs gepflegt wird, kann das Sprachproblem auf der Sachebene „gelöst“ werden. Dies kostet den Interviewpartnern zufolge zwar Mühe, stellt aber in der Kommunikation der Soziologie nach außen kein wirkliches Hindernis dar, was wiederum die Hypothese bestätigt, dass der Kern des Sprachproblems in der Notwendigkeit des Sprachproblemdiskurses für die Herausbildung der soziologischen Identität in den außerwissenschaftlichen Bereichen liegt. Die abgrenzende Funktion des Sprachproblemdiskurses stellt eine Besonderheit der Soziologie dar, die sich mit Bezug auf ihren Gegenstand und ihre Professionalisierung erklären lässt. Der (noch) im Prozess der Entwicklung befindende außerwissenschaftliche soziologische Beruf ist auf die Herausbildung einer (außerwissenschaftlichen) soziologischen Identität angewiesen, die für die Abgrenzung einer Profession von ihrer Umwelt zentral ist. Eine solche Identität ist die grundlegende Voraussetzung dafür, die eigene Professionalität nach außen zu postulieren und den Kunden eine bestimmte, durch die professionelle Community garantierte Qualität der Dienstleistungen zuzusichern. Die Besonderheiten des soziologischen Gegenstandes, die auch für die Heterogenität der Soziologie verantwortlich sind, machen eine Ab291
DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
grenzung von der soziologischen Umwelt durch den Verweis auf einen exklusiven gemeinsamen Gegenstand unmöglich. Auch die Entwicklung allgemeiner inhaltlicher Qualitäts- und Zugehörigkeitskriterien ist aufgrund dieser Heterogenität nicht möglich. Außerdem professionalisiert sich die Soziologie zum außerwissenschaftlichen Beruf aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit den anderen Professionen zu einer „TandemDisziplin“, was die Abgrenzung noch wichtiger und noch schwieriger macht. Dies alles macht es notwendig, die soziologische Professionalität an die wissenschaftliche Herkunftsdisziplin und die in der Ausbildung angeeigneten Soft Skills anzubinden. Als Beweis der erfolgreichen Einsozialisation in die Soziologie fungiert die internalisierte soziologische Sprache. Diese wird zum Mittel des Wissenschaftlichkeits- und damit des Professionalitätsbeweises. Das Auftreten des Sprachproblems dokumentiert diese Anbindung an die Herkunftsdisziplin. Der Sprachproblemdiskurs muss demzufolge zwecks Behauptung der soziologischen Professionalität weiterhin gepflegt werden. In der Sachdimension ist das soziologische Sprachproblem mit dem anderer Disziplinen durchaus vergleichbar. Die identitätsstiftende Dimension dagegen ist eine Besonderheit der Soziologie, die eng an ihre Professionalisierung und ihren Gegenstand geknüpft ist.
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Die in dieser Studie vorgenommene Analyse des Gegenstandes der Soziologie, ihrer Professionalisierung sowie des in der Soziologie existierenden Sprachproblemdiskurses ergeben zusammen ein komplexes Bild, das diese Phänomene besser zu erklären vermag, als ihre isolierte Betrachtung und erlaubt, Perspektiven der Entwicklung der Soziologie – als Wissenschaft und als berufliche Praxis – zu skizzieren. Es hat sich gezeigt, dass das Sprachproblem der Soziologie, das in gewisser Weise der Anlass für diese Studie war, eine andere Funktionalität im Zusammenhang mit der soziologischen Professionalisierungsproblematik hat als ursprünglich angenommen. Andere Faktoren als die vermuteten haben sich für die Professionalisierungsproblematik als bedeutsam herausgestellt. Diese Faktoren konnten erst durch die Auseinandersetzung mit dem Sprachproblem definiert werden. Die Beschreibung des Sprachproblems dazu machte es erforderlich, die Besonderheiten des Gegenstandes der Soziologie und ihrer Professionalisierung zu analysieren. In diesem Zusammenhang stellte sich vor allem die Frage, wie die Soziologie gegenüber den Nicht-Soziologen ihre Exklusivität behaupten und wie sie sich von ihrer Umwelt (dem Alltagsverstand, aber auch den anderen Disziplinen) abgrenzen kann.
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
Gegenstand der Soziologie Im ersten Teil dieser Studie wurde auf die Eigentümlichkeiten der Soziologie eingegangen, die sich aus den Besonderheiten ihres Gegenstandes ergeben. Vor dem Hintergrund, dass die Soziologie sowohl mit anderen Disziplinen als auch mit dem Alltagswissen um ihren Gegenstand konkurriert, musste vor allem geklärt werden, wie die Soziologie sich abgrenzt, wenn ihr Gegenstand allein ihre Exklusivität nicht garantieren kann. Die Selbstdarstellung der Soziologie (im wissenschaftlichen Diskurs und in Lehrbüchern) deutet auf drei generelle Abgrenzungsstrategien hin. Die erste Strategie wird im innersoziologischen Diskurs angewendet und unterstützt die Identitätsbildung der Soziologie als wissenschaftliche Disziplin. Zwar wird die Identität der Soziologie in den innersoziologischen Diskursen durch einen Gegenstandsbezug konstruiert, die Definition des Gegenstandes spielt dabei aber nicht die zentrale Rolle. Die Definition des Gegenstandes erfordert angesichts der Heterogenität der Soziologie, die sich in der Unterscheidung verschiedener BindestrichSoziologien, theoretischer Schulen und methodischer Ausrichtungen widerspiegelt, eine besondere Generalisierungsleistung, die darin besteht, dass als Gegenstand das Soziale bzw. der Alltag definiert wird. Entscheidend für die Selbstdefinition der Soziologie als akademische Disziplin ist nicht ihr Gegenstand, sondern ihre Vorgehensweise, ihr Umgang mit dem Gegenstand oder ihr besonderer Bezug dazu. Die Vorgehensweise der Soziologie, die eine spezifische Distanzierung vom Gegenstand und damit vom Alltagsleben des Soziologen erfordert, wird in der Soziologie als eines der wichtigsten Merkmalen thematisiert, die die Soziologie als solche kennzeichnen. Es wird explizit darauf hingewiesen, dass der Gegenstand der Soziologie von Nicht-Soziologen nicht in derselben Weise erfasst werden kann wie von Soziologen. Soziologische Kompetenz wird explizit nicht nur als Gesamtheit der erlernten Fähigkeiten, Methoden und Theorien dargestellt, sondern als ein zu internalisierender Zustand des Bewusstseins. Damit wird die Exklusivität der Soziologie für den inneren Diskurs ausreichend gesichert; das Problem der Exklusivitätsbehauptung nach außen bleibt aber ungelöst. Die zweite Abgrenzungsstrategie der Soziologie ist die Behauptung ihrer Relevanz für die Gesellschaft. Diese besteht darin, dass die Soziologen für die Gesellschaft bestimmte exklusive Leistungen erbringen. In den inneren Selbstdarstellungsdiskursen wird die Soziologie als Reflexionstheorie der Gesellschaft dargestellt, die die Selbstbeschreibung und die innere Kritik der Gesellschaft in der Gesellschaft leistet. In einer Va294
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riante dieser Denkfigur erscheint sie als ein Produkt der Moderne, das die Selbstreflexion der Moderne leistet. Solche Selbstpräsentationsstrategien sind allerdings auch eher für den innersoziologischen Diskurs geeignet als für die Außendarstellung. Die dritte Abgrenzungsstrategie besteht darin, die Wissenschaftlichkeit des soziologischen Wissens gegenüber dem Alltagswissen und die Besonderheit der soziologischen Beschäftigung mit ihren Themen herzustellen und damit die die Beschäftigung der Soziologie mit dem Sozialen bzw. mit dem Alltag nach außen als exklusiv darzustellen. Da die Soziologie aber davon ausgeht, dass ihr Gegenstand den Laien nicht erklärt werden kann, bemüht sie sich darum, ihr Wissen nach außen hin wenigstens wissenschaftlich erscheinen zu lassen. Wenn die Laien auch nicht verstehen können, was das Besondere an der soziologischen Beschäftigung mit dem Alltag ist, können sie doch an der Präsentation des soziologischen Wissens erkennen, dass es sich um ein spezifisches, exklusives und damit professionelles Wissen handelt. Es gibt unterschiedliche Mittel, die Wissenschaftlichkeit bzw. die Professionalität des soziologischen Wissens nach außen hin zu demonstrieren, etwa den Hinweis auf besondere Methoden dadurch, dass die Ergebnisse in mathematischer bzw. statistischer Form dargestellt werden. Ein weiteres Mittel, um die Exklusivität soziologischer Beschäftigung mit den Phänomenen des Alltags hervorzuheben, ist die soziologische Sprache, die durch mit spezifischen Begrifflichkeiten und implizierten Theorien die Professionalität der Soziologie zum Ausdruck bringt. Die Funktion der Sprache in der Selbstwahrnehmung der Soziologie erschließt sich erst im Zusammenhang mit den Besonderheiten des soziologischen Gegenstandes. Zwar wird in den innersoziologischen Selbstbeschreibungsdiskursen die Exklusivität der soziologischen Beschäftigung mit diesem Gegenstand etwa durch die Methoden und die theoretischen Ansätze behauptet. Dies reicht aber nicht (immer) aus, um die Exklusivität (und damit die Abgrenzung) so zu etablieren, dass sie von außen wahrgenommen wird. Aber mit Hilfe einer Sprache, die die Wissenschaftlichkeit der Soziologie zum Ausdruck bringt, kann eine solche Abgrenzung nach außen kommuniziert werden. Die Selbstpositionierung als eine Einheit, als eine Wissenschaft und als ein für die Gesellschaft relevantes Wissen ist u.a. in der Kommunikation mit der Umwelt von Bedeutung, d.h. vor allem für den außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf. Eine auf Einheitlichkeit und Wissenschaftlichkeit (Exklusivität und Professionalität) basierende gemeinsame Identität der Soziologen kommt in den innersoziologischen Gegenstandsdiskursen notwendigerweise zum Ausdruck, allein schon deshalb, weil es um den soziologischen Gegenstand geht. Es muss – vor allem 295
DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
zugunsten der Außendarstellung – impliziert werden, dass es einen gemeinsamen soziologischen Gegenstand gibt. Es stellt sich die Frage, wie die Soziologie sich professionalisieren kann bzw. professionalisiert wird, wenn ihr Gegenstand allein nicht ausreicht, um ihre Exklusivität zu behaupten, sie von ihrer Umwelt abzugrenzen und sie nach außen (und nach innen) als eine Einheit zu positionieren.
Professionalisierung Zu Beginn dieser Studie stellte sich die Frage, was eine außerwissenschaftliche soziologische Praxis sein könnte. Im Anschluss an die Betrachtung des soziologischen Gegenstandes wurde gefragt, ob eine Professionalisierung der Soziologie zum außerwissenschaftlichen Beruf in der Weise, dass sie als eine von den anderen Professionen abgegrenzte, über exklusives professionelles Wissen verfügende Gruppe anerkannt werden kann, überhaupt möglich ist. Es stellte sich also die Frage, wie eine Disziplin ohne einen exklusiven Gegenstand sich (zum außerwissenschaftlichen Beruf) professionalisieren kann. Wenn man versucht, die Professionalisierung der Soziologie mit soziologischen Professionalisierungstheorien zu beschreiben, treten allerdings nicht nur hinsichtlich der Frage der Exklusivität Probleme auf. Es wird deutlich, dass viele wesentliche Professionalisierungsmerkmale (Zugehörigkeitskriterien, Aussortierung von Dilettanten, Qualitätssicherung) in der Soziologie nicht so funktionieren, wie dies in den soziologischen Professionalisierungstheorien beschrieben wird. Durch die Analyse von den Daten konnte festgestellt werden, dass der Grad der soziologischen Professionalisierung im außerwissenschaftlichen und im wissenschaftlichen Beruf unterschiedlich ist. Die Professionalisierung der deutschen Soziologie orientiert sich primär auf die Ausbildung zum (inneren) wissenschaftlichen Beruf. Dies ist zum Teil mit der Geschichte der Disziplin zu erklären, die sich in der Nachkriegszeit für ihren (Wieder)Aufbau auf die Reproduktion von Wissenschaftlern konzentrierte. Auch die politische Ausrichtung der Soziologie in den 60er und 70er Jahren (Ablehnung der direkten Anwendung ihrer Ergebnisse) wird dazu beigetragen haben, dass sie sich in den außerwissenschaftlichen Bereichen nicht fest etablieren konnte bzw. dass an ihrer Anschlussfähigkeit an die Außenwelt gezweifelt wurde. Dennoch lassen die Analysen den Schluss zu, dass dies nicht die wichtigsten Ursachen für die primäre Ausrichtung der soziologischen Professionalisierung auf den (inneren) wissenschaftlichen Beruf sind. Angesichts des fehlenden exklusiven Gegenstandes der Soziologie fällt 296
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es dieser Disziplin (und demzufolge auch der ausbildenden Einheit in der Soziologie) schwer, ein Bild außerwissenschaftlicher soziologischer Tätigkeiten zu entwickeln und den Ausbildungsprozess auf diese auszurichten. Der fehlende Konsens darüber, was die außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten sind, macht die Ausbildung dazu äußerst problematisch. Damit soll nicht gesagt werden, dass die akademische Disziplin zum Entstehen eines solchen Berufs beitragen kann, aber als ausbildende Einheit müsste sie den Studierenden ein Bild möglicher außerwissenschaftlicher Beschäftigungen und die dafür notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten vermitteln. Bis jetzt kann sich die akademische Disziplin jedoch nicht darauf einigen, wofür sie ausbilden muss, was die möglichen soziologischen beruflichen Tätigkeiten im außerwissenschaftlichen Bereich überhaupt sind. Der fehlende Konsens darüber ist nicht zuletzt dadurch zu erklären, dass die Soziologie als wissenschaftliche Disziplin mit Professionalisierungskonzepten arbeitet, die ihr als Forschungsobjekt nicht sonderlich angemessen sind. Sie sucht nach einer Profession, die es in der Soziologie nicht geben kann. Ihr Problem als ausbildende Einheit liegt vor allem darin, dass sie nicht bereit ist, sich auf einen außerwissenschaftlichen Beruf ohne ein exklusives Feld bzw. mit verschiedenen Feldern einzulassen. Sie ist nicht in der Lage, die Professionalität und Exklusivität der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten in Dienstleistungen zu sehen, die die Soziologie in Berufsfeldern für andere Disziplinen erbringt. Daher konzentriert sie sich auf die Ausbildung zum wissenschaftlichen Beruf, und zwar – aufgrund der Geschichte der Disziplin – vom allem zum inneren wissenschaftlichen Beruf. Dies erklärt zum Teil das Fehlen wichtiger Mechanismen der Professionalisierung wie gut funktionierender Initialisierungsstufen, Möglichkeiten der Dilettantenaussortierung, der Qualitätsprüfung und der Zugehörigkeitsherstellung im äußeren wissenschaftlichen und im außerwissenschaftlichen Beruf. Die Entwicklung solcher Mechanismen wird von der Soziologie selbst nicht forciert, da sie für den (inneren) wissenschaftlichen Beruf nicht wichtig sind. Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass die vorhandenen Professionalisierungstheorien für ihre Anwendung auf die Soziologie modifiziert werden müssten, vor allem im Hinblick darauf, dass die Soziologie ein Dachbegriff für die Bindestrich-Soziologien ist, was ihre Professionalisierung zum wissenschaftlichen Beruf beeinflusst und die Entwicklung allgemeingültiger Qualitäts- und Zugehörigkeitskriterien usw. nicht zulässt.1 Die Professionalisierung der Soziologie zum außer1 Als Ansatz einer solchen Modifizierung könnte man die Revidierung der Stichweh’schen Professionalisierungstheorie im Hinblick auf die Wissens-
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wissenschaftlichen Beruf muss vor dem Hintergrund der von der Soziologie zu erbringenden Dienstleistungen und nicht eines exklusiven Feldes beschrieben werden. Auch die Suche nach allgemeingültigen Qualitätskriterien oder einer Kontrollinstitution in der Soziologie ist angesichts der Heterogenität der Bindestrich-Soziologien nicht erfolgversprechend. Versuche, die Professionalisierung der Soziologie ohne einen Bezug auf ein exklusives Feld zu betreiben – und dies theoretisch zu begründen – lassen sich seit einigen Jahren beobachten. Es wird vor allem versucht, einen Dachbegriff für die außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten zu entwickeln; am weitesten verbreitet ist in diesem Kontext der Beratungsbegriff. Dieser ist nicht feld-, sondern leistungsgebunden. Die Undefiniertheit und die Heterogenität des soziologischen Gegenstandes werden im Zuge der Professionalisierung zusammen mit dem Fehlen eines exklusiven Gegenstandes zur Stärke der Soziologie und den von ihr zu erbringenden Leistungen gemacht. Ihre Heterogenität kommt der Soziologie im Kontext der Beratung insofern zugute, als die Beratung die Zusammenarbeit mit anderen Professionen in einer Expertenposition erfordert. Ihre Beschäftigung mit unterschiedlichsten Facetten des sozialen Lebens macht die Soziologen als Berater in verschiedenen professionellen Feldern geeignet. Das Konkurrieren mit anderen Professionen und dem Alltagswissen um den eigenen Gegenstand wird zur professionellen Orientierung der Soziologie umgedeutet. Sie konkurriert nicht mehr, sondern sie berät die anderen, die sich mit denselben Gegenstand beschäftigen, diesen aber aufgrund ihrer fehlenden Distanz dazu nicht so wahrnehmen und beschreiben können wie die Soziologie. Eine der wichtigsten Thesen dieser Studie besagt, dass das Fehlen eines exklusiven Gegenstandes und die ständige Konkurrenz um ihren Gegenstand die Professionalisierung der Soziologie nicht verhindert, sondern die Soziologie erst dadurch überhaupt zum außerwissenschaftlichen Beruf professionalisiert wird. Die nähere Betrachtung des Beratungsbegriffs, der in den innersoziologischen Diskursen immer häufiger als Dachbegriff für den außerakademischen soziologischen Beruf verwendet wird (da er bei einer weiten Auslegung viele der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeitsfelder zu beschreiben vermag), führte zu der Erkenntnis, dass die gesellschaft sehen (Stichweh 2000, 2005). Jedoch lassen sich die Besonderheiten der Professionalisierung der Soziologie nicht vollständig durch die Veränderungen der Professionalisierung in der Wissensgesellschaft erklären. Es wäre notwendig, die Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung stärker zu berücksichtigen.
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Soziologie als eine Art „Tandem-Disziplin“2 professionalisiert wird. Ihre besondere Kompetenz besteht darin, mit einem sich ständig wandelnden Gegenstand zu arbeiten und sich von diesem auf eine besondere Art und Weise zu distanzieren; dadurch ist sie in der Lage, Probleme zu diagnostizieren, die die anderen Disziplinen nicht beobachten können. Soziologie als Beratung ist eine berufliche Expertentätigkeit; sie ist im Vorfeld anderer Disziplinen bzw. Professionen tätig, leistet durch die Diagnose die „Vorarbeit“ und delegiert dann ggf. die Lösungen der Probleme an die zuständigen Professionen. Ihre besondere Fähigkeit besteht nicht in einer Problemlösung – über diese Kompetenz sollten nämlich ihre „Tandem-Partner“ verfügen –, sondern in konstruktiver Komplexitätssteigerung in dem Sinne, dass sie die von den anderen Disziplinen bzw. Professionen behandelten Probleme in einen größeren Zusammenhang stellt und dadurch die Perspektive der zuständigen Professionen auf ihren Gegenstand erweitern kann. (In ihrer internen Selbstbeschreibung unterscheidet sich die Soziologie von den anderen Disziplinen u.a. auch dadurch, dass sie ihren Gegenstand als Ganzes zu erfassen sucht und nicht nur ausgewählte Segmente davon). Die Arbeitsteilung beruht also auf der Unterscheidung zwischen der Kompetenz zur Komplexitätssteigerung und der zur Problemlösung. Somit besteht die Besonderheit der so aufgefassten soziologischen Profession in ihrem exklusiven Wissen über die mit anderen Disziplinen/Professionen geteilten Felder. Die Soziologie als Beratung erwirbt durch die gegenseitige Anerkennung des auf denselben Gegenstand bezogenen unterschiedlichen Wissens das Vertrauen des Klienten und konstituiert ihre Notwendigkeit als Lieferantin komplementären Wissens, das ihre Tätigkeit der konstruktiven Komplexitätssteigerung ermöglicht. Ihre beratende Position ist durch reduzierte Verantwortung bzw. Nicht-Einmischung in die Lebens- und Berufspraxis der anderen gekennzeichnet. Die Beschreibung der besonderen soziologischen Distanzierung vom Gegenstand ist zunächst für die Entwicklung eines Berufsbildes für die Soziologie selbst ausreichend. Es bleibt aber immer noch die Frage bestehen, wie außerwissenschaftliche Soziologen die Professionalität gegenüber ihren potenziellen Klienten herstellen können, vor allem in Situationen, in denen sie mit anderen Professionen eng zusammenarbeiten. Dafür wäre eine professionelle Identität, die den Professionellen ihre Autorität verleiht und ihren Klienten die Qualität und Exklusivität der zu 2
Dies beruht auf der Idee der Berufssoziologie als einer Profession, die als Dienstleisterin agiert und im Vorfeld anderer Disziplinen und Professionen mit diesen zusammenarbeitet, um ihnen zur Lösung ihrer Probleme zu verhelfen.
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erbringenden Dienstleistungen garantieren kann, essenziell. Es gibt derzeit aber nur eine etablierte soziologische Identität – nämlich die eines wissenschaftlichen Soziologen. Daher muss man, um in den außerwissenschaftlichen Kontexten die eigene Professionalität zu beweisen, paradoxerweise die Zugehörigkeit zur wissenschaftlichen Soziologie (bzw. die Anbindung an diese) beweisen. Dies ist allerdings nicht einfach, da es auch in der wissenschaftlichen Soziologie aufgrund ihrer Heterogenität und der primären Professionalisierung zum inneren wissenschaftlichen Beruf keine allgemeingültigen Kriterien der Qualitäts- und Zugehörigkeitsprüfung gibt. Wie kann nun die Wissenschaftlichkeit – und damit die Professionalität – dokumentiert werden? Insbesondere im Falle der Professionalisierung der Soziologie zu einer „Tandem-Disziplin“ müsste die Frage geklärt werden, wie die Soziologie mit anderen Disziplinen/Professionen zusammenarbeiten und sich gleichzeitig von ihnen so abgrenzen kann, dass diese die Exklusivität der soziologischen Leistungen wahrnehmen. Die Antwort darauf scheint zu sein, dass die Exklusivität der soziologischen Dienstleistungen (z.B. ihre Fähigkeit zur konstruktiven Komplexitätssteigerung) durch den Hinweis auf die Anbindung an die Herkunftsdisziplin demonstriert werden kann. Ein zentrales Mittel der Demonstration dieser Anbindung ist die Sprache bzw. das Sprachproblem.
Das Sprachproblem Die Bedeutung der Sprachproblematik für die Soziologie erschließt sich erst durch die Betrachtung der Gegenstandsproblematik und der Besonderheiten der Professionalisierung, die deutlich macht, dass die Soziologie spezifische Abgrenzungsmechanismen benötigt, um ihre Professionalität und Exklusivität nach außen zu demonstrieren. Vor allem wurde deutlich, wie dieses Problem am Anfang dieser Untersuchung ins Zentrum des Forschungsinteresses gelangte: nicht weil es im Zentrum der soziologischen Selbstwahrnehmung steht, sondern durch die ständige Pflege des Sprachproblemdiskurses, die für die Identitätsstiftung der Disziplin in den außerwissenschaftlichen Bereichen (und damit für ihre Professionalisierung) essenziell ist. Essenziell für den außerwissenschaftlichen Beruf sind neben der Herstellung einer soziologischen Identität auch allgemeingültige Mechanismen der Zugehörigkeitsherstellung und Qualitätsprüfung. Der Beweis der Zugehörigkeit zur außerwissenschaftlichen Soziologie ist allerdings schwierig, da diese sich noch im Institutionalisierungsprozess befindet. Darum müssen die außerwissenschaftlichen Soziologen ihre Professionalität durch ihre Anbindung an die Herkunftsdisziplin doku300
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mentieren. Das bedeutet, dass sie auf die im inneren wissenschaftlichen Beruf etablierten Mechanismen zum Beweis ihrer Professionalität zurückgreifen müssen. Das primäre Kriterium für eine Prüfung soziologischer Zugehörigkeit bzw. Qualität ist die Sprache. Anhand der Sprache lassen sich die Anbindung an die Herkunftsdisziplin, die Wissenschaftlichkeit und die Professionalität eines Soziologen insofern feststellen, als die Fähigkeit zum Gebrauch der soziologischen Sprache als Beweis der erfolgreichen Einsozialisation in der Soziologie gilt. Durch die Sprache können und müssen derzeit alle Nachwuchssoziologen – im wissenschaftlichen und im außerwissenschaftlichen Bereich – ihre Anbindung an die Soziologie und damit ihre Professionalität beweisen. Nur bereits etablierte Soziologen können es sich erlauben, Soziologie verständlich nach außen zu kommunizieren, ohne Sanktionen seitens der Community befürchten zu müssen. Der Sprachproblemdiskurs ist in dem Sinne funktional, dass er die Fähigkeit zum Gebrauch der soziologischen Sprache dokumentiert. Die Pflege des Sprachproblemdiskurses ist für die außerwissenschaftlichen Soziologen eine Möglichkeit, einen Bezug zu ihrer Einsozialisation in die Soziologie – also zur Ausbildung –herzustellen. Außerdem dient der Sprachproblemdiskurs außerwissenschaftlichen Soziologen dazu, ihre Darstellung des in einer professionellen Sprache produzierten soziologischen Wissens in einer für den Klienten verständlichen Weise als Leistung darzustellen. Somit dient die Sprache (und das Sprachproblem) im außerwissenschaftlichen soziologischen Diskurs der Stiftung einer soziologischen Identität und der Behauptung der Professionalität der Soziologie. Das Sprachproblem hat zwei Dimensionen: In der identitätsstiftenden Dimension ist das Erhalten des Sprachproblemdiskurses, der die Abgrenzung zwischen der Soziologie und ihrer Umwelt dokumentiert, wesentlich für ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung insbesondere in den außerwissenschaftlichen Bereichen. Durch die Pflege dieses Diskurses wird nach außen und nach innen die Exklusivität und Professionalität der Soziologie dokumentiert. Für die Soziologen bildet die damit dokumentierte Unterscheidung zwischen der Soziologie und ihrer Umwelt die Basis ihrer Identität, für die Nicht-Soziologen ist sie ein Zeichen soziologischer Professionalität. Das ermöglicht die Professionalisierung der Soziologie zum außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf. Das Aufrechterhalten des Sprachproblemdiskurses bedeutet nicht, dass soziologische Inhalte nicht nach außen kommuniziert werden können. Es bedeutet lediglich, dass die Lösung des Sprachproblems in der Sachdimension (d.h. der tatsächlich auftretenden sprachgebundenen 301
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Hindernisse in der Kommunikation der Soziologie nach außen) nur dann möglich ist, wenn die Exklusivität und Professionalität der Soziologie hergestellt wurde. Die Lösung des Sprachproblems in seiner Sachdimension, d.h. die Vereinfachung der Sprache mit dem Ziel, sie für Nicht-Soziologen verständlich zu machen, bleibt immer eine fallbezogene Einzelleistung. Als Sammelbegriff dafür dient in den soziologischen Diskursen der Begriff „Übersetzung“. Dieser Begriff impliziert die Existenz zweier Sprachen, die Leistung der Vermittlung der Soziologie nach außen und damit die Professionalität der Soziologen. Die derzeit vorangetriebene Professionalisierung der Soziologie zum außerwissenschaftlichen Beruf ist auf die Herausbildung einer gemeinsamen (außerwissenschaftlichen) soziologischen Identität angewiesen. Außerdem sind für eine solche Professionalisierung allgemeingültige Kriterien der Qualitäts- bzw. Zugehörigkeitsprüfung, die die professionelle Identität nach außen stärken, essenziell. Die Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung machen es notwendig, die Professionalität (auch im außerwissenschaftlichen soziologischen Bereich) durch die Anbindung an die wissenschaftliche Herkunftsdisziplin herzustellen, d.h. an die während der Ausbildung angeeigneten Soft Skills (Komplexitätssteigerung, Irritationsleistungen usw.) sowie allgemein an die wissenschaftliche Qualifikation des Soziologen anzuknüpfen. Als Beweis der erfolgreichen Einsozialisation in die Soziologie fungiert die internalisierte soziologische Sprache. Diese wird zum Mittel, um die eigene Wissenschaftlichkeit und damit Professionalität zu beweisen. Das Auftreten des Sprachproblems dokumentiert diese Anbindung an die Herkunftsdisziplin. Die an die Professionalisierung gebundene Notwendigkeit der Pflege des Sprachproblemdiskurses und dessen identitätsstiftende und abgrenzende Funktion sind eine Besonderheit der Soziologie, die die in dieser Studie beschriebenen Besonderheiten der soziologischen Professionalisierung und des soziologischen Gegenstandes untermauert. Die Bedeutung und die Schwierigkeit der Systematisierungsprozesse, die derzeit in der Soziologie im Hinblick auf die Etablierung (zumindest) eines Dachbegriffs für die außerwissenschaftlichen soziologischen Berufe zu beobachten sind, erschließen sich durch die Analyse der Daten: Es gibt in der Soziologie Selbstbeobachtungsdiskurse, die darauf abzielen, die Systematik der außerwissenschaftlichen soziologischen Tätigkeiten zu entdecken und zu beschreiben. Dies ist für eine Neuausrichtung der soziologischen Ausbildung auf außerwissenschaftliche Tätigkeiten, aber auch für die Herstellung einer Außenlegitimität der Soziologie notwendig. Derzeit ist die Ausbildung in der Soziologie nicht so 302
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gestaltet, wie es bei einer zum außerwissenschaftlichen Beruf professionalisierten Disziplin der Fall sein müsste; die Selbstwahrnehmung der Soziologie ist immer noch die einer wissenschaftlichen Soziologie, was bei den außerwissenschaftlich tätigen Soziologen zu Konflikten zwischen zwei soziologischen Identitäten führen kann. Die Systematisierungsversuche bezüglich des außerwissenschaftlichen soziologischen Berufs, die derzeit in der wissenschaftlichen sowie der außerwissenschaftlichen Soziologie betrieben werden, deuten aber auf eine Veränderung der soziologischen Selbstwahrnehmung hinsichtlich der Professionalisierung zum außerwissenschaftlichen soziologischen Beruf hin.
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Literaturverzeichnis
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, WISSENSCHAFT, BERATUNG
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ANHANG
Anhang 1 Themensegmente für die Interviews Die folgenden thematischen Segmente dienten lediglich der Orientierung der Interviewerin. Sie wurden nur eingesetzt, wenn im Gespräch eine eindeutige Pause entstand. Daher haben nicht alle Informanten sich zu allen diesen Themen geäußert. Auch waren ihre Ausführungen zu diesen (und anderen) Themen oder Problemen nicht immer durch Fragen der Interviewerin ausgelöst. 1. Die wichtigsten Stationen der eigenen Arbeit als Soziologe: an der Universität bzw. in der Wissenschaft, in Forschungsinstituten, in verschiedenen Gremien, Auftragsarbeiten. 2. Beschreibung einer „normalen“ soziologischen Laufbahn (wie eine soziologische Karriere am häufigsten verläuft). Beschreibung einer erwünschten soziologischen Karriere. 3. Professionelle Ziele und Aufgaben der Soziologie; Ausbildung hinsichtlich dieser Ziele. 4. Zusammenarbeit der Soziologie mit anderen Disziplinen: Möglichkeiten, Probleme, Perspektiven. Umgang mit dem zum Teil identischen Gegenstand. 5. Unterscheidung zwischen Anwendung und Beobachtung. Normativitätsdiskussion in der Soziologie. 6. Soziologische Anwendungsbereiche, soziologisches Wissen in außerwissenschaftlichen Bereichen. Eigenschaften des soziologischen Wissens in den Anwendungsbereichen; Unterschiede zum Wissen anderer Professionen/Disziplinen. Soziologisches vs. alltägliches Wissen über dieselben Phänomene: Umgang, Schwierigkeiten; sprachliche Probleme? 7. Koexistenz der wissenschaftlichen und der angewandten Sozialforschung: Möglichkeiten, Schwierigkeiten. Kompatibilität der beiden Relevanzsysteme? 8. Kriterien der Auswahl von soziologischen Mitarbeitern durch außerwissenschaftliche Institutionen/Arbeitgeber: Welche Kompetenzen sind für Außenstehende wichtig? 9. Soziologen in Beratungsgremien: Anteil (unter-/normal/überrepräsentiert). Gründe für diese Aufteilung. 10. Angewandte Soziologie (u. a. Beratungsarbeit) und Theoriebildung: Möglichkeiten, Anforderungen. Nutzung von Theorien in der anwendungsbezogenen/außerwissenschaftlichen Arbeit. 11. Selbstwahrnehmung der Soziologie: Globalitätsanspruch, Soziologie als „self-consciousness of modernity“.
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DIE PRAXIS DER SOZIOLOGIE: AUSBILDUNG, W ISSENSCHAFT, BERATUNG
An h a n g 2 Übersicht über die verwendeten Transkriptionszeichen Die in den Transkripten verwendeten Zeichen basieren auf den GATTranskriptionskonventionen.1 Da die Art und Weise des Transkribierens dem Forschungsvorhaben angepasst wurde, wurden keine Feintranskriptionen im Sinne von GAT angefertigt. Entsprechend wird das Inventar der GAT-Transkriptionszeichen hier reduziert wiedergegeben. Sequenzielle Struktur: = schneller, unmittelbarer Anschluss neuer Turns oder Einheiten Pausen: (.) Mikropause (..) längere Pausen, bei mehr als ca. 1 Sekunde Sonstige segmentale Konventionen: und=äh äh, öh, etc. hm, ja, nee hm=hm, ja=a
Verschleifungen innerhalb von Einheiten Verzögerungssignale, sog. „gefüllte Pausen“ einsilbige Rezeptionssignale zweisilbige Rezeptionssignale
Weitere Konventionen: () (?solche?) ((hustet))
[ ]
unverständliche Passage je nach Länge vermuteter Wortlaut para- und außersprachliche Handlungen und Ereignisse interpretierende Kommentare mit Angabe ihrer Reichweite Kommentare der Transkribentin, etwa Hinweis auf ein zuvor behandeltes Thema oder Auslassung
1 Vgl. dazu Selting et al. (1998).
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Science Studies Sabine Maasen Wissenssoziologie (2., komplett überarbeitete Auflage) Juli 2007, ca. 120 Seiten, kart., ca. 12,80 €, ISBN: 978-3-89942-421-8
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Tatjana Zimenkova Die Praxis der Soziologie: Ausbildung, Wissenschaft, Beratung Eine professionstheoretische Untersuchung April 2007, 324 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-519-2
Carsten von Wissel Hochschule als Organisationsproblem Neue Modi universitärer Selbstbeschreibung in Deutschland April 2007, 352 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-650-2
Jörg Potthast Die Bodenhaftung der Netzwerkgesellschaft Eine Ethnografie von Pannen an Großflughäfen März 2007, 230 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-649-6
Christine Hanke Zwischen Auflösung und Fixierung Zur Konstitution von ›Rasse‹ und ›Geschlecht‹ in der physischen Anthropologie um 1900 März 2007, 298 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-626-7
Reinhard Heil, Andreas Kaminski, Marcus Stippak, Alexander Unger, Marc Ziegler (Hg.) Tensions and Convergences Technological and Aesthetic Transformations of Society März 2007, 366 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-518-5
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Science Studies Sebastian Linke Darwins Erben in den Medien Eine wissenschafts- und mediensoziologische Fallstudie zur Renaissance der Soziobiologie Januar 2007, 262 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-542-0
Martin Voss, Birgit Peuker (Hg.) Verschwindet die Natur? Die Akteur-Netzwerk-Theorie in der umweltsoziologischen Diskussion 2006, 264 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-528-4
Wolf-Andreas Liebert, Marc-Denis Weitze (Hg.) Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft? Wissenskulturen in sprachlicher Interaktion 2006, 214 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-448-5
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Natàlia Cantó Milà A Sociological Theory of Value Georg Simmel’s Sociological Relationism 2005, 242 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-373-0
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Markus Buschhaus Über den Körper im Bilde sein Eine Medienarchäologie anatomischen Wissens 2005, 356 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-370-9
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