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German Pages XI, 251 [256] Year 2020
Marc Hannappel Fabian Fries Hrsg.
Die Freunde der italienischen Oper Eine kleine Soziologie der Festschrift
Die Freunde der italienischen Oper
Marc Hannappel · Fabian Fries (Hrsg.)
Die Freunde der italienischen Oper Eine kleine Soziologie der Festschrift
Hrsg. Marc Hannappel Institut für Soziologie Universität Koblenz-Landau Koblenz, Deutschland
Fabian Fries Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie Universität Bonn Koblenz, Deutschland
ISBN 978-3-658-30529-1 (eBook) ISBN 978-3-658-30528-4 https://doi.org/10.1007/978-3-658-30529-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Für Winfried Gebhardt
Inhalt
Die Freunde der italienischen Oper. Einleitende Gedanken über eine Soziologie der Festschrift ............................................... 1 Marc Hannappel und Fabian Fries Die Festschrift als wissenschaftliches Tributsystem. Überlegungen zur Soziologie der Festschrift aus der Perspektive einer Theorie der Gabe...................................... 19 Oliver Dimbath Gravitationszentren der deutschen Soziologie. Eine explorative Studie über das Potential von Festschriften als soziologiegeschichtliche Quelle .................................................... 55 Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries Vom Eigensinn akademischer Festschriften im Kontext der Gestaltung von Übergängen. Überlegungen im Anschluss an „Les Rites de Passage“ .......................................................... 117 Nicole Hoffmann Entlassungsurkunden, Festschriften, Emeritizimmer – Ein Streifzug durch die Welt der professoralen Ruheständler*innen ................................................................... 151 Julia Reuter
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Inhalt
Die Festschrift. Überlegungen zur Selbstdarstellung auf Umwegen .................................................................................... 173 Werner Moskopp und Elias Schmitt Festschriften. Über das Persönliche an seinem Ort .................. 197 Arnold Zingerle Über den Unsinn, Festschriftbeiträge zu verfassen ................... 221 Clemens Albrecht Die Rede zur Festschrift: Eine universelle Handreichung ........ 241 Manfred Prisching
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Albrecht, Clemens ist Professor für Kultursoziologie am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn. Seine Forschungs- und Interessensgebiete sind Kultursoziologie, Politische Soziologie, Intellektuellengeschichte und Sozioprudenz. Dimbath, Oliver ist Professor am Institut für Soziologie an der Universität Koblenz-Landau. Forschungsund Interessengebiete sind Wissen(schaft)ssoziologie, soziologische Theorie, Gedächtnissoziologie, Filmsoziologie, Soziologie des Jugendreisens und Methoden der qualitativen Sozialforschung Dreßler, Arne ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie an der Universität Koblenz-Landau. Forschungs- und Interessengebiete sind Wissenssoziologie, Soziologie der Moral, Wirtschaftssoziologie, soziologische Theorie, qualitative Methoden und Soziologiegeschichte Fries, Fabian ist Akademischer Rat am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn. Seine Forschungs- und Interessensschwerpunkte liegen im Bereich der Wissens- und Wissenschaftssoziologie, Kultursoziologie sowie der Soziologiegeschichte.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Hannappel, Marc ist Akademischer Oberrat am Institut für Soziologie an der Universität Koblenz-Landau. Forschungs- und Interessengebiete sind Mikrosimulation, Comutational Social Science, Methoden der empirischen Sozialforschung, demographische Familienforschung, Bildungssoziologie und Stadtsoziologie. Hoffmann, Nicole ist Professorin für Weiterbildung und Genderforschung am Institut für Pädagogik an der Universität in Koblenz. Forschungs- und Interessengebiete sind Geschichte der Erwachsenenbildung, Medien und Methoden der Vermittlung, Gender und Heterogenität, Raumbezüge der Weiterbildung sowie Methoden der Dokumentenanalyse. Moskopp, Werner ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Philosophie der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz. Forschungsgebiete sind Moralphilosophie, transzendentaler Idealismus, Methodologie, Dialogisches Prinzip, Anarchismus und Mystik Prisching, Manfred ist pensionierter Universitätsprofessor des Instituts für Soziologie an der Universität Graz. Forschungs- und Interessengebiete sind Ideengeschichte und soziologische Theorie, Wirtschaftssoziologie, Zeitdiagnostik. Reuter, Julia ist Professorin für Erziehungs- und Kultursoziologie am Department für Erziehungs- und Sozialwissenschaften der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Forschungsund Interessensgebiete sind Allgemeine (Kultur-)Soziologie und Postcolonial Studies, Wissenschafts- und Hochschulforschung, Migrationssoziologie und Bildungssoziologie.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Schmitt, Elias studiert Kulturwissenschaften im Master an der Universität Koblenz-Landau. Forschungsund Interessengebiete sind Religionslinguistik, religiöser Sprachgebrauch im Allgemeinen, Religionssoziologie sowie der Peirce’sche Pragmatismus. Zingerle, Arnold ist Professor für Allgemeine Soziologie an der Universität Bayreuth (i. R. seit 2007). Arbeits- und Forschungsgebiete: Kultursoziologie, Religionssoziologie, historische Soziologie. Schwerpunkte: Studien im Anschluss an die deutschen Klassiker 1880 – 1920 (insbesondere Max Weber und Georg Simmel); Untersuchungen zum Wandel kulturgeprägter Verhaltensformen und -einstellungen; Arbeiten zur interkulturellen Hermeneutik begrifflicher Grundlagen der Soziologie in der fachlichen Kommunikation innerhalb des europäischen Sprachraums.
Die Freunde der italienischen Oper. Einleitende
Gedanken
über
eine
Soziologie
der
Festschrift Marc Hannappel und Fabian Fries
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Einleitung
In dem Spielfilm „Manche mögen’s heiß” von Billy Wilder aus dem Jahr 1959 fungieren „Die Freunde der italienischen Oper“ als Tarnname für die Mafia. Dieser Titel erweist sich aus gleich mehreren Gründen für unser Vorhaben als passend: Zum einen fungiert er hier (1) ebenfalls als Tarnname. Der vorliegende Sammelband ist zwar keine Festschrift, er ist aber aus dem gleichen Anlass, der der Organisation einer Festschriften in der Regel vorausgeht, entstanden und auch ähnlich aufgebaut. Darüber hinaus deutet der Titel (2) auf einen sehr exklusiven Kreis hin. Richtet sich eine freundschaftliche Beziehung auf eine hochkulturelle Kunstform, wie die der italienischen Oper, und mündet diese auch noch in eine wie auch immer institutionalisierte Zusammenkunft, dann bildet dieses Kulturpublikum sicherlich keinen Querschnitt der Bevölkerung (Reuband 2018), sondern ist auf sozialer und sozialstruktureller Ebene in hohem Maße selektiv. Auch hier zeigen sich Parallelen. Denn die Exklusivität akademischer Festschriften ist zum einen dadurch gekennzeichnet, dass © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Hannappel und F. Fries (Hrsg.), Die Freunde der italienischen Oper, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30529-1_1
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Marc Hannappel und Fabian Fries
nicht jeder Persönlichkeit im Hochschulbereich eine Festschrift gewidmet wird – uns ist zum Beispiel keine Festschrift für eine langjährige Hilfskraft bekannt, ebenso wenig Festschriften für Mitarbeiter*innen des nichtwissenschaftlichen Personals an Universitäten, um nur zwei (zumindest tarifrechtlich fixierte) Hierarchieebenen zu benennen. Gleichsam sind auch die in einer Festschrift versammelten Autorinnen und Autoren das Ergebnis einer strengen Auslese. Schließlich sehen wir (3) auch einige Parallelen zwischen dem Festschriftenwesen und der im oben angeführten Film benannten Organisatoren der besagten Zusammenkunft: der Mafia. Denn zum einen sind die in Festschriften gewürdigten Personen auch so etwas wie „Uomini d’onore“1 (Raith 1993. S. 16). Zum anderen lässt sich die Mafia – zumindest im Kontext cineastischer Darstellungen – etwas verkürzt auch als ein Netzwerk von Gefälligkeiten, Abhängigkeiten und Verbindlichkeiten beschreiben. Solche Reziprozitätsstrukturen kommen auch in einer Festschrift zum Ausdruck. Rückblickend können Festschriften Spuren von anfänglichen Gefälligkeiten entnommen werden, wenn in ihnen zum Beispiel jene Kollegen zu Wort kommen, die als Wegbereiter die anfänglichen akademischen Schritte des zu Ehrenden begleitet oder überhaupt erst ermöglicht haben und vice versa. Hierin kommen dann zugleich mehr oder minder langjährige Abhängigkeitsverhältnisse, mitunter Seilschaften zum Ausdruck, denen der zu Ehrende in Form von Zitations- und Publikationsregimen anhing. Schließlich lassen sich auch Verbindlichkeitsstrukturen nachweisen, bspw. dann, wenn Freunde, Wegbegleiter und Kollegen des zu Ehrenden gebeten werden, sich an einer Festschrift zu beteiligen, und diese Gefahr laufen würden, als unkollegial, unsolidarisch oder sogar unehrenhaft zu gelten, schlügen sie diese Bitte aus. Bei der Genese einer Festschrift 1
Es gibt leider keine etablierte Bezeichnung, die auch Frauen beinhaltet, daher müsste man wohl eher die Bezeichnung „Uomini e donne d’onore wählen.
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handelt es sich somit keineswegs um eine „Trivialität“ (Luhmann), sondern sie ist ein wissenschaftliches Zeugnis sui generis, ein fait social, der als solcher der soziologischen Klärung bedarf.
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Zur Genese der Festschrift
Der Begriff ,Festschrift‘ im Titel einer solchen wird gerade im Bereich der Rechtswissenschaften häufig lateinisch mit ,liber amicorum‘ übersetzt. Diese Wendung verweist also darauf, dass es sich bei Festschriften um Dokumente von Freunden bzw. Schriftstücke handelt, welches freundschaftliche Beziehungen zum Ausdruck bringen sollen. Nun zeigt die Praxis aber, dass Festschriften an unterschiedliche Adressaten gerichtet sind und zu unterschiedlichen Anlässen verfasst werden. So finden sich Festschriften zum Zeichen der Ehrung von Personen, Organisationen oder Institutionen. Die Bandbreite der Anlässe ist nicht minder groß und reicht von Ehrungen zur Gründung oder zu Jubiläen wichtiger Institutionen, wie beispielsweise die „Festschrift aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof“ (Geiß et al. 2000), über Geburtstage oder Emeritierung/Pensionierung bekannter Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft oder Gesellschaft bis hin zu regionalen Institutionen, wie die anlässlich des 70jährigen Bestehens der Vorstadtkirmes in Koblenz. Die erste Festschrift hingegen galt weder einer Person noch einer Institution, sondern einer technologischen Innovation: Dem Buchdruck. Sie wurde 1640 von Gregor Ritsch mit dem Titel „JUBILÆUM YPOGRAPHORUM L I P S I E N S I U M : Oder
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Marc Hannappel und Fabian Fries
Zweyhundert-Jaͤ hriges Buchdrucker Jubel Feſt“ herausgegeben (siehe dazu auch den Beitrag von Clemens Albrecht in diesem Band). Die Diskrepanz zwischen lateinischer Übersetzung und Genese der Festschrift legt daher die Vermutung nahe, dass Festschriften im deutschen Wortsinn ursprünglich weiter gefasst und für festliche Anlässe verfasst wurden, während liber amicorum eine retrospektive Bezeichnung für eine sich erst später entwickelnde spezifische Gattung der Festschrift ist, nämlich der Ehrung von Persönlichkeiten. Wir wollen uns daher im Folgenden der Deskription derjenigen Festschriftgattung zuwenden, die im Allgemeinen innerhalb des akademischen Feldes am häufigsten vorzufinden ist: die Festschrift zu Ehren eines Wissenschaftlers bzw. einer Wissenschaftlerin, also der liber amicorum. Nach Wardenga und Wirth (1998, S. 2) vollzog sich die Institutionalisierung des akademischen Festschriftenwesens im 19. Jahrhundert im Zuge ritualisierter Formen der Selbstvergewisserung und -legitmierung deutscher Universitäten. Diese Festakte, die zunächst auf „die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden“ gerichtet waren, wandelte sich sukzessive aufgrund einer stärker werdenden „Betonung ichzentrierter Selbstverwirklichung gegenüber sozialen und institutionellen Bedingungen“ zu Festakten, in denen nun „einzelne Wissenschaftler im Mittelpunkt von akademischen Feiern stehen“ (ebd.). Die Festschrift als ritualisierte Form einer schriftlichen Ehrung ist damit das Resultat eines „Wandels von Feierlichkeiten, in denen sich Universitäten oder ihre Teile als Institutionen selbst darstellen zur immer stärker individualisierten Feier von Wissenschaftlern als Personen“ (Schulze-Fielitz 1996, S. 569). Das Festschriftenwesen entfaltete sich vor allem seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Geographen Wardenga und Wirth zählen für ihre Fachdisziplin 16 Festschriften, die zwischen 1909 und 1918 publiziert
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wurden, 38 Festschriften für die Jahre 1919-1928, zwischen 1929 und 1939 wurden knapp 30 Festschriften publiziert, 26 Festschriften in den 1950er Jahren und 33 in den 1960 Jahren (Wardenga und Wirth 1998, S. 4 und S.14). Für die Soziologie haben wir einen Datensatz zusammengestellt, der insgesamt 217 Festschriften von 1924 bis 2019 enthält. Es existiert unseres Wissens nach kein Archiv und auch keine Datenbank, welche Festschriften für deutsche Soziologinnen und Soziologen systematisch erfasst hat. Unser Datensatz ist daher das Ergebnis ‚manueller’ Recherchen und vermag keinen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Ebenso gehen wir davon aus, dass gerade ältere Festschriften in unseren Daten unterrepräsentiert sind (für eine detailliertere Beschreibung des Datensatzes siehe den Beitrag von Fries und Hannappel in diesem Band). Gleichwohl weisen die von Lüschen (1979, S. 5) zusammengetragenen Daten über die Entwicklung der Ordinarien an deutschen Universitäten mit soziologischen Lehrstühlen durchaus auf die Plausibilität unserer Ergebnisse hin. So recherchierte er in den Statistischen Jahrbüchern zwischen 1954 und 1974 einen Zuwachs von soziologischen Ordinarien von 10 Professoren im Wintersemester 1952/53 auf 131 im WS 1971/72. Daher glauben wir, dass der Datensatz eine hinreichend gute Datenbasis liefert, um die Entwicklung von soziologischen Festschriften skizzieren zu können. Abbildung 1 ist die Entwicklung der publizierten Festschriften für sieben Dekaden zu entnehmen. Auffällig sind vor allem die Jahrgänge von 1991 bis 2010, in denen zusammen mehr Festschriften publiziert wurden als in der Summe der Jahre davor und danach.
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Marc Hannappel und Fabian Fries
Abbildung 1: Entwicklung der Anzahl der Festschriften pro Dekade Quelle: Eigene Berechnung
Eine jahresgenaue Auflistung zeigt darüber hinaus große Schwankungen zwischen den einzelnen Erscheinungsjahren (Abbildung 2). Die Entwicklung der Festschriften, so wie wir sie mit unseren Daten abbilden können, folgt daher keinem linearen Verlauf, vielmehr scheint sich gegenwärtig eine Trendumkehr anzudeuten. Schließen wir mal hypothetisch eine systematische Verzerrung unserer Daten aus, dann ließe sich die Entwicklung zunächst auf zwei Ebenen interpretieren. Hintergrund dieser Entwicklung könnte beispielsweise eine Reaktion auf die Festschriftenexpansion der 1990er und 2000er Jahre sein, verbunden mit einer Einstellungsänderung, die der Festschrift als wissenschaftliche Publikation für das persönliche Renommee des Autors einen schlechten Stellenwert zuweist (siehe auch dazu den Beitrag von Clemens Albrecht in diesem Band). Mit anderen Worten: Ein Festschriftenbeitrag ist für die persönliche Reputation im akademischen Feld eher dysfunktional, da seine Abfertigung in der Regel nennenswerte zeitliche Ressourcen
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beansprucht, er aber im wissenschaftlichen Diskurs in der Regel kaum zur Kenntnis genommen und somit auch nicht zitiert wird. >A >? >= E C A ? >F?A >F?E >F@? >F@C >FA= >FAA >FAE >FB? >FBC >FC= >FCA >FCE >FD? >FDC >FE= >FEA >FEF >FF@ >FFD ?==> ?==B ?==F ?=>@ ?=>D
=
Abbildung 2: Entwicklung der Anzahl der Festschriften nach Erscheinungsjahr
Die Entwicklung könnte aber auch einen anderen, sehr einfachen Grund haben, der mit der Einstellungspraxis und einer Expansion von soziologischen Lehrstühlen zusammenhängt. Der Anstieg der publizierten Festschriften wäre dann auf die zunehmende Zahl an Soziologinnen und Soziologen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert zurückzuführen, die den Pool potenziell zu ehrender Personen hat massiv anwachsen lassen. Just um die Jahrtausendwende hatten diese Fachvertreter dann ein Alter erreicht, in dem spezifische Ehrungen oder der Passageritus der Emeritierung/Pensionierung (vgl. hierzu die Beiträge von Nicole Hoffmann und Julia Reuter) virulent wurden. Die Trendwende schließlich wäre dann lediglich ein Abbild des Endes einer Pensionierungs- bzw. Jubiläumswelle, die mit bestimmten Geburtskohorten deutscher Soziologinnen und Soziologen korreliert. Unterstützt wird diese
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Vermutung u.a. durch die Arbeiten von Mau und Huschka (2010), die in diesem Zusammenhang tatsächlich von einer „Pensionierungswelle“ (ebd., S. 762) der Inhaber soziologischer Professuren seit den 2000er Jahren schreiben. Diese führen sie auf den Ausbau und die Neugründungen von Universitäten zu Beginn der 1970er Jahre und den damit einhergehenden Bedarf gerade auch an soziologischen Professorinnen und Professoren zurück. Diese Einschätzung spiegelt sich in dem sprunghaften Anstieg von Festschriften in den Dekaden 1994-2003 sowie 2004-2013 wider (vgl. Abbildung 1). Unterstützt wird unsere Argumentation auch durch eine Vorausberechnung von Steffen Hillmert aus dem Jahr 2003, der prognostizierte, dass zwischen 20003/04 und 2009/10 ca. 53 % soziologischer Professuren vakant würden. Folglich wäre dann in einigen Jahren erst wieder mit einem weiteren Anstieg an Festschriften zu rechnen, nämlich dann, wenn die durch die in den 2000er Jahren frei gewordenen und durch jüngere Soziologinnen und Soziologen besetzten Lehrstühle altersbedingt erneut frei werden und diese Pensionierungswelle durch eine Festschriftenflut begleitet wird. Beide Interpretationen, die gesinnungsethische wie die demographische, schließen sich jedoch nicht aus und könnten Ausgangspunkt weiterer Forschungsprojekte sein.
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Ein Gegenentwurf: Die Anti-Festschrift
Plausibel wird der erste Erklärungsansatz vor dem Hintergrund einer überwiegend negativen Bewertung der Festschriftenpraxis. Wenngleich das Phänomen der Festschrift noch nicht auf dem Radar soziologischer
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Forschung ist, so finden sich doch einige Auseinandersetzungen mit dem Phänomen innerhalb der Geographie, der Jurisprudenz oder der Bibliothekswissenschaften (siehe dazu auch den Beitrag von Oliver Dimbath in diesem Band). Wardenga und Wirth bezeichnen die Entwicklung der Festschriften als „Festschriften-Flut“ bzw. „Festschriften-Überflutung“ und sprechen sogar von einer „FestschriftenInflation“ (Wardenga und Wirth 1998, S. 2). Schulze-Fielitz vermutet hinter der Entwicklung innerhalb der Staatsrechtslehre nichts weniger als eine Abkehr von einer „Selbstbescheidung in der unmittelbaren Nachkriegsgeneration“ hin zu einer „Freude an selbstbewußter, hierarchisch-demonstrative[n] [...] Prachtentfaltung“ (Schulze-Fielitz 1996, S. 568). Auch Clemens Albrechts Beitrag in diesem Sammelband ist eher als ein Plädoyer gegen das Verfassen von Festschriften zu lesen. Er rät an Stelle von Festschriftenbeiträgen lieber Forschungsanträge zu schreiben. Wir möchten an dieser Stelle eine Gegenposition zur Diskussion stellen und ein Plädoyer für eine grundlegende Neukonzeption der akademischen Festschriften formulieren: Betrachtet man die Kritik genauer, dann werden vor allem solche Festschriftenformate kritisiert, die tatsächlich eine Art Artikelfriedhof darstellen: Sie enthalten Beiträge von Autorinnen und Autoren, die zwar eine inhaltliche Schnittmenge mit den Werken der zu ehrenden Person haben, die aber letztlich eher den Charakter eines leicht überarbeiteten Manuskriptes haben, das bereits andernorts veröffentlicht worden ist. So bezeichnet von Münch Festschriften als „Recycling-Anlage („Aus alt mach‘ neu“)“ (von Münch 2000, S. 3255) und konstatiert, dass „in einer Festschrift [...] noch jeder Autor ein Asyl [findet]“ (ebd.). Derartige Sammelbände sind daher sowohl für die Autorinnen und Autoren als auch für die Rezipienten ein Ärgernis. Letztere erfahren in den Beiträgen nichts Neues über das Forschungsgebiet und erstere sind über die Verpflichtung,
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die sie mit dem Zugeständnis eingegangen sind verärgert (Stiefel 2000, S. 614), da das Verfassen eines solchen Beitrages – allem „Recycling“ zum Trotz – einiges an Zeit abverlangt. Diese Zeit könnte für die Beantragung von Drittmitteln ggfs. effizienter verwendet werden (wie es Clemens Albrecht empfiehlt) oder aber auch für Publikationen mit einem höheren Impact Factor. Gleichzeitig mehren sich im Wissenschaftsbetrieb aber auch Stimmen, die die allgemeine Artikelflut jenseits von Festschriften kritisch bewerten (Albrecht 2014)2. So kommen Bornmann und Mutz (2014) auf Basis von Daten der Max Planck Gesellschaft (die wiederum auf der Datenbank des Web of Science basieren) zu dem Ergebnis, dass sich die Zahl der Publikationen drastischer erhöht hat als in allen vorgängigen Wachstumsphasen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts. „In our analysis we identified three growth phases in the development of science, which each led to growth rates tripling in comparison with the previous phase: from less than 1% up to the middle of the 18th century, to 2 to 3% up to the period between the two world wars and 8 to 9% to 2012“ (Bornmann und Mutz 2014, S. 12)3. Auch in Tageszeitungen wird immer mehr die „Studien-Flut“4 beklagt. Die Frage ist nun, ob der Festschrift im Zeitalter des akademischen Kapitalismus (Münch 2011) nicht sogar eine spezifische Funktion der Entschleunigung zukommen kann (siehe dazu auch den Beitrag von Nicole Hoffmann und Arnold Zingerle in diesem Band). Eine Möglichkeit bestünde darin, sie im Sinne eines organisiert-skeptischen Diskurses zu gestalten und dadurch qualitativ aufzuwerten. In solchen AntiFestschriften würden Autorinnen und Autoren zu Wort kommen, die sich kritisch mit dem „Lebenswerk“ der zu ehrenden Person 2
Man beachte auch bitte die Diskussion unterhalb des Blogbeitrages. Onlinezugriff: https://arxiv.org/pdf/1402.4578.pdf (Stand: 25.11.2019) 4 https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/publikationsflut-forscher-veroeffentlichen -zu-viel-a-1022970.html (Stand: 25.11.2019) 3
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auseinandersetzen, Kernthesen und Themen kommentieren und ggfs. Gegenthesen hierzu formulieren5. Der Jubilar hätte in einem solchen Format auch die Gelegenheit Stellung zu beziehen, auf die kritischen Anmerkungen zu reagieren, ihnen zu entgegnen oder sie in die eigenen Überlegungen zu implementieren. Eine solche Konzeption hätte aus unserer Sicht mehrere Vorteile: So würden (1) nur solche Personen gewürdigt, denen die Schaffung einer Art „Gesamtwerk“ zugeschrieben wird, das einer solchen kritischen Reflexion überhaupt zugänglich ist6. Somit würde die Gefahr einer Festschriftenflut schon dadurch gemindert, dass nur wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für eine solche Ehrung in Frage kämen. Eine solche Festschrift würde (2) zentrale Bestandteile eines wissenschaftlichen Diskurses abbilden und sie böte (3) die Chance, Originalität nicht nur oberflächlich zu inszenieren, sondern tatsächlich hervorzubringen, nämlich dann, wenn die zu ehrende Person, angehalten durch die gebündelte kritische Reflexion, diese Gedanken zur Weiterentwicklung des eigenen Werkes nutzt. Schließlich würde (4) eine solche Festschrift die an ihr mitwirkenden Autorinnen und Autoren zwingen, sich intensiv mit dem Gedankengebilde, den Argumentationen und empirischen „Beweisführungen“ der zu ehrenden Personen auseinanderzusetzen. Anstelle der Publikation von Neuauflagen bereits abgelehnter Papiere stünde eine fundierte kritische Reflexion. Die Festschrift könnte somit zum Ort des kritischen Diskurses, zur Agora eines Faches werden.
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Beispielhaft sei hier auf die Festschrift für Hartmut Esser verwiesen, in der eine ähnliche Konzeption verfolgt wurde (siehe dazu Hill et al. 2009). 6 Uns ist die Naivität dieses Vorschlags durchaus bewusst, da sich nahezu jedes Schaffen retrospektiv zu einem mehr oder weniger einheitlichen Theoriegebäude konstruieren lässt. Gleichwohl müsste eine solche Konstruktionsleistung erst einmal hergestellt werden, die umso schwieriger wird, je weniger weitreichend das wissenschaftliche „Gesamtwerk“ des zu Ehrenden sein mag.
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Zum Aufbau des Bandes
Eine solche Festschrift bietet zwar das Potential, das Fach inhaltlich zu bereichern, sie verliert damit aber den Charme des aktuellen Festschriftenwesens als Forschungsgegenstand für eine soziologische Betrachtung. Sowohl die Funktion einer solchen Festschrift wäre nun mehr oder weniger festgelegt und auch die an der Festschrift beteiligten Akteure würden vielmehr aufgrund der fachlichen Nähe und Distanz ausgewählt und weniger aufgrund sozialer Beziehungen, die viel schwieriger einzusehen sind und noch einmal einen ganz anderen Blick auf die zu ehrende Person zulassen. Dieser soziale Tatbestand war es letztlich, der uns zu der Überlegung geführt hat, nicht noch eine Festschrift zu organisieren, sondern den Blick auf das Festschriftenwesen selbst zu richten7. Obwohl dieses, wie die oben skizzierte Entwicklung zeigt, mittlerweile zu einem etablierten (wenn auch nicht immer geliebten) Ritual einer akademischen Ehrung in der Soziologie zählt, so waren wir doch überrascht, dass diesem fait sociale aus der Soziologie bislang keine Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Dieser Sammelband stellt daher eine erste Annäherung an ein interessantes Feld an Ehrungen, Verbindlichkeiten, Abhängigkeitsverhältnissen, kurz, an reziproken Strukturen, dar. Die hier versammelten Betrachtungen sind sicherlich nicht erschöpfend, sondern sind als Anregung für weitere Betrachtungen zu verstehen. Die Breite der Beiträge reicht von empirischen Analysen der Beziehungsstrukturen zwischen Herausgebern und zu ehrender Persönlichkeit über die Analyse komplexer Netzwerkstrukturen bis hin zu
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Der Gedanke zu einer Anti-Festschrift entwickelte sich erst im Zuge der Arbeiten an diesem Sammelband.
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Plädoyers gegen Festschriften und soziologisch-satirischen Konzeptionen von Übergabezeremonien von Festschriften. Im ersten Beitrag „Die Festschrift als wissenschaftliches Tributsystem. Überlegungen zur Soziologie der Festschrift aus der Perspektive einer Theorie der Gabe“ gibt Oliver Dimbath zunächst einen Überblick über den Diskurs über Festschriften und zeigt damit die Ambivalenzen auf, die in den zahlreichen Bewertungen des Festschriftenwesens zu finden sind. Unter Rekurs auf die Theorie der Gabe reflektiert er dann die Beziehung zwischen den zu ehrenden Personen (den Meister(inne)n) und den Organisatoren von Festschriften (häufig die Schüler(innen)). Ausgehend von diesen Betrachtungen entwickelt Dimbath mit Hilfe einer qualitativen Analyse der Vorworte und Einleitungen von Festschriften eine explorierend-vorschlagartige Typologie von Festschriften. Einen empirischen Ansatz verfolgen auch Fabian Fries und Marc Hannappel in ihrem Beitrag „Gravitationszentren der deutschen Soziologie. Eine explorative Studie über die Bedeutung von Festschriften als fachgeschichtliche Quelle“. Im Zentrum ihres Beitrages steht die Analyse von Netzwerkstrukturen zwischen Autorinnen und Autoren von 130 soziologischen Festschriften seit der Wiedervereinigung. Ihre Ergebnisse zeigen deutliche Anzeichen von Clusterbildungen bzw. Subnetzwerkstrukturen innerhalb des soziologischen Festschriftenwesens. Sie schlagen daher vor, die Reziprozitätsstrukturen, die in Festschriften zum Ausdruck kommen, mehr zum Gegenstand soziologischer Betrachtungen zu machen und regen dazu an, eine bundesweite Datenbank für soziologische Festschriften anzulegen. Der Beitrag von Nicole Hoffmann „Vom Eigensinn akademischer Festschriften im Kontext der Gestaltung von Übergängen. Überlegungen im Anschluss an ,Les Rites de Passage‘“ widmet sich der sozialen Funktion von Festschriften innerhalb der Wissenschaft. Ausgehend von
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Arnold van Genneps Überlegungen zur zeremoniellen Seite biographischer Übergänge, die er in seinem Werk „Les Rites de Passage“ (1909) ausführt, ordnet Hoffmann die Festschrift, vor allem zu Anlässen der Emeritierung oder Pensionierung, einer spezifischen Formation von Übergangsriten zu. Entlang der strukturellen Verlaufsstruktur von „Ablösungsphase“, „Zwischenphase“ und „(Re)Integrationsphase“ sucht Hoffmann nach Parallelen zwischen dieser Konzeption des Übergangs und den vielfältigen rituellen Praktiken, die mit Entstehung und Überreichung von Festschriften verbunden sind. Unter dieser Perspektive erweist es sich als zu kurz gegriffen, Festschriften einzig an ihrem inhaltlichen Beitrag zu einschlägigen Fachdebatten zu messen oder nur als inzwischen überkommene, bedeutungsentleerte Routineverpflichtung abzutun. Einen inhaltlichen Exkurs stellt der Beitrag von Julia Reuter „Entlassungsurkunden, Festschriften, Emeritizimmer – Ein Streifzug durch die Welt der professoralen Ruheständler*innen“ dar. Auch für Reuter markiert die Übergabe einer Festschrift den Übergang in eine neue Statuspassage. Im Gegensatz zu Nicole Hoffmann lenkt sie aber den soziologischen Blick auf die akademische Lebensphase, die erst nach der Überreichung einer Festschrift zur Emeritierung bzw. Pensionierung beginnt. Mittels Verweis auf ihre eigenen Erfahrungen und eigenen empirischen Studien zur Phase des Ruhestandes kann Reuter die Heterogenität dieser (Übergangs-)Phase aufzeigen, die sowohl die föderal bedingten juristischen Regelungen des professoralen Ruhestandes betreffen, als auch den individuell durchaus unterschiedlich gestalteten Umgang mit dieser Lebensphase. Gemein ist aber den pensionierten oder emeritierten Professorinnen und Professoren, dass sich unter ihnen, so zeigen es die bisherigen Ergebnisse von Julia Reuter, keine „Ruheständler“, sondern ausschließlich nach wie vor aktive
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Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder, wie sie die Autorin nennt, „Unruheständler“, finden lassen. Werner Moskopp und Elias Schmitt lösen in ihrem sprachphilosophisch grundierten Beitrag „Überlegungen zur Selbstdarstellung auf Umwegen“ den Autor, als Produzent von (wissenschaftlichen) Texten, mit Rekurs auf Jakobson und Peirce zunächst auf, um ihn schließlich mit Foucault gänzlich zu Grabe zu tragen. Wenn nun aber eine Festschrift einer Person gewidmet ist, die sich als glanzvoller Autor viel beachteter Schriften ausgezeichnet hat, es diesen aber nach der Dekonstruktion von Moskopp und Schmitt gar nicht geben kann, dann können auch Festschriften nicht einem bekannten Subjekt gewidmet sein, sondern sich selbst reproduzierenden Textzusammenhängen; oder kurz, (wissenschaftlichen) Diskursen. Festschriften sind daher, so die These der beiden Autoren, die sich durch ihre Dekonstruktionsarbeit von Autor und Text selbst geschickt aus der Affäre ziehen, überspitzt formuliert, ein begleiteter Suizid des Jubilars, sozusagen sein letztes Abendmahl. Nun sei uns an dieser Stelle ein kurzes Weiterdenken dieses Bildes gestattet: Wenn die Festschrift das letzte Abendmahl ist, dann stellen die in ihnen versammelten, sich selbst auflösenden, Autoren die Jüngerschaft dar (übertragen: die Schüler des Meisters – dies gilt sicherlich nur für einen bestimmten Festschriftentypus). Unter ihnen befindet sich bekanntlich ein Verräter. Interpretiert man die Beziehung zwischen den Herausgebern von Festschriften und dem Jubilar als eine, die sich durch besondere Ehrerbietung auszeichnet, dann sind die Herausgeber einer Festschrift, um im Bild zu bleiben, die Verräter, die mit der Publikation den Kuss des Judas vollziehen. Im Beitrag von Arnold Zingerle „Festschriften. Über das Persönliche an seinem Ort“ rücken wieder die persönlichen Beziehungen, die in
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Festschriften zum Ausdruck kommen, in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Dabei setzt er, ähnlich wie auch Nicole Hoffmann, das Festschriftenwesen, welches durch persönliche Beziehungen gekennzeichnet ist, den rationalen und entpersonalisierten Verhältnissen einer „Massenuniversität“ entgegen. Festschriften, wie auch Antritts- oder Abschiedsvorlesungen oder Rektoratsübergaben misst Zingerle daher eine sinnstiftende Funktion zu, die das Verhältnis zwischen den Personen sowie zwischen Person und Universität stärken. Sie bilden daher ein Kontrastprogramm zum universitären Alltag modernen Typs. Nahezu konträr dazu richtet Clemens Albrecht seine Argumentation in seinem Beitrag „Über den Unsinn, Festschriftbeiträge zu verfassen“ aus. Der Text enthält keine Spur mehr von Ambivalenzen des Festschriftenwesens, die eine Diskussion über Vor- und Nachteile erlauben würden. Das Festschriftenwesen, so die Argumentation, gilt als überholt und sei somit auch abzuschaffen. Da die erste Festschrift dem Buchdruck gewidmet war, sei es nun auch Konsequent, mit dessen Untergang auch das Ende des Festschriftenwesens einzuläuten. Ein kleines Hintertürchen lässt er dann schließlich doch offen und räumt ein, dass zumindest neue Formen für Festschriften zu finden seien, sollte man sie nicht gänzlich abschaffen wollen. Der Sammelband schließt mit einer universellen Handreichung für das Verfassen einer Festschriftenrede. Nimmt man nun die Erkenntnisse aus den Beiträgen von Zingerle und Hoffmann, die gerade in solchen Akten eine letzte Chance für die Aufrechterhaltung persönlicher Beziehungen in einem durchrationalisierten Universitätsalltag sehen, dann nimmt Prisching diesem Moment, durch seine Standardisierung der Festschriftenrede, auch noch das letzte Fünkchen der Ehrung. Denn zumindest für – wie er selbst schreibt – mittelmäßige Veranstaltungen gereicht der modulare, und somit in seiner Chronologie flexible, Aufbau
Die Freunde der italienischen Oper.
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der Rede zur „Ehrung“ eines Wissenschaftlers besonderen Typs. Dem soziologisch geschulten Rezipienten wird beim Lesen der Lektüre nicht nur der satirische Subtext auffallen, sondern gleichsam der hinter der Rede „versteckte“ Typus der Uomini d’onore, der mit dieser Rede bedacht wird. Das Ziel des Sammelbandes liegt zunächst darin, das Festschriftenwesen als sozialen Tatbestand, der einer soziologischen Betrachtung bedarf, zu charakterisieren. Mit den hier gesammelten Perspektiven möchten wir auf die Vielfalt an theoretischen und empirischen Möglichkeiten hinweisen, wie sich diesem fait sociale angenähert werden kann. Was nach wie vor fehlt ist aber eine systematische Betrachtung eines zugleich geliebt und gehassten akademischen Rituals. Für alle diejenigen Leserinnen und Leser, die anstelle einer soziologischen Analyse des Festschriftenwesens weiterhin lieber eine Festschrift verfassen möchten, denen sei lediglich folgender Hinweis mit auf den Weg gegeben: In Demut nehme ich an der heiligen Gesellschaft teil. Sprecht mir nach: ,Ich schwöre, alles abzustreiten. Bis zur siebten Generation.
Literatur Albrecht, C. (2014). Nachhaltiges Publizieren. https://blog.soziologie.de/2014/03/nachhaltiges-publizieren/ Zugegriffen: 13. November 2019. Bornmann, L., Mutz, R. (2014): Growth rates of modern science: A bibliometric analysis based on the number of publications and cited references. Journal of the Association for Information Science & Technology, 66(11), 2215-2222.
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Marc Hannappel und Fabian Fries
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Die Festschrift als wissenschaftliches Tributsystem Überlegungen zur Soziologie der Festschrift aus der Perspektive einer Theorie der Gabe Oliver Dimbath Schenke groß oder klein, Aber immer gediegen. Wenn die Bedachten Die Gaben wiegen, Sei dein Gewissen rein. (J. Ringelnatz)
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Einleitung
Es ist vermutlich eine deutsche Tradition, bestimmte Jahrestage einer Institution oder Organisation mit einer Festschrift zu feiern, in der sich verdiente Personen lobend über die sozialintegrative beziehungsweise (sozial)politische Bedeutung der geehrten Einrichtung äußern. Seit dem 19. Jahrhundert verbreitet sich diese Praxis auch in der Wissenschaft. Vom deutschsprachigen Raum ausgehend erhalten vorwiegend in der westlichmodernen Wissenschaftswelt nun aber nicht nur Seminare, Institute, Universitäten oder Fachverbände, sondern vor allem renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine solche Ehrung. Es lässt sich trefflich darüber spekulieren, ob dieses wissenschaftskulturelle Phänomen nun auf eine Überhöhung der in der Wissenschaft erfolgreich tätigen Person zu einer Institution oder auf Traditionen einer © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Hannappel und F. Fries (Hrsg.), Die Freunde der italienischen Oper, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30529-1_2
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aristokratischen Gesellschaftsordnung, die ihre Würdenträger zu ehren weiß, zurückgeht. Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass das Phänomen der Festschrift oder Festgabe eine gewisse Verbreitung erfahren hat und zugleich seit geraumer Zeit innerwissenschaftlich kritisch beobachtet wird. Dies spiegelt sich vor allem in kraftvollen Metaphern wider, mit denen die Festschrift als wissenschaftliche Publikationsform bedacht wird: freundlich als Garten, ansonsten aber überwiegend kritisch als auszumerzendes Unkraut, Massengrab und Artikelfriedhof, akademisches Einhorn, publizistischer Albatros, Minotaurus oder bibliographisches Gespenst. Betrachtet man sich die immerhin seit 90 Jahren gelegentlich vorgelegten Analysen und Kommentare wird einerseits deutlich, dass einige gewichtige Einwände früherer Zeiten durch den informationswissenschaftlichen Fortschritt obsolet geworden sind. Andererseits bleibt die drastisch negative Metaphorik, die teils mit einer brüsken Ablehnung der Festschrift zusammenhängt, erhalten. Diese Beobachtung leitet zu dem Verdacht, dass das wissenschaftliche Kulturphänomen der Festschrift Motiven unterliegt, die noch nicht vollends reflektiert werden und dass sein Fortbestehen beziehungsweise sogar die wachsende Popularität dieser Praxis aus wissenskultureller Perspektive zu betrachten ist. Um dieser Spur nachzugehen, wird in einem ersten Schritt die Entwicklung der Diskussion über personalisierte Festschriften in der Wissenschaft nachgezeichnet. Unter Bezug auf die Theorie der Gabe erfolgt eine theoretisch-tentative Interpretation des Festschriftenwesens, die dann im Rahmen einer kleinen ad-hoc-Empirie mit einer Sichtung aktueller Reflexionsmuster im Hinblick auf die Erstellung einer Festschrift verknüpft wird. Ein Fazit gibt dann einen Ausblick auf Anschlussfragestellungen und empirische Ansatzpunkte
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vermittels derer eine weitere Analyse des Phänomens der Festschrift vorgenommen werden kann.
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Festschriften
und
Festschriftenbeiträge
als
wissenschaftliche Textgattung Eine frühe Untersuchung zum Thema Festschriften in der Wissenschaft wurde von dem amerikanischen Romanisten S. Griswold Morley in der Zeitschrift Philological Quarterly des Jahres 1929 veröffentlicht. Morley leitet seine Arbeit mit einer Irritationsanekdote ein, in der er sich wundert, zur Beteiligung an einer Festschrift eingeladen worden zu sein, deren Empfänger er noch nie begegnet sei und dessen fachliche Interessen mit den seinen kaum Berührungspunkte hätten. Seine Überlegungen führen Morley zu vier Aspekten, die für Festschriften charakteristisch seien: die unterschiedliche Verteilung von Festschriften über Nationalitäten und Disziplinen, die rapide Zunahme dieser wissenschaftlichen Modeerscheinung, die Art und Eigenschaften von Herausgebenden und Beitragenden sowie schließlich die der Person der oder des Geehrten beziehungsweise der Anlass dieser Ehrung. Nach der Durchsicht von 130 in seiner Universitätsbibliothek aufgefundenen Festschriften innerhalb des von ihm überblickten sprachwissenschaftlichen Themenspektrums gelangt er zu der Einsicht, dass die Praxis der Festschrift nicht nur von Deutschland und Österreich ausgehe, sondern dort auch überproportional anzutreffen sei. Aber auch in Frankreich und den Vereinigten Staaten sei ein stetes Wachstum festzustellen – weniger dagegen in Großbritannien. Den Untertiteln, Vorworten und Einleitungen entnimmt er, dass die Festschriften in erster Linie von Freunden, Schülern und
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wissenschaftlichen Kollegen herausgegeben werden. Eine Festschrift, die von einer übergeordneten Instanz oder einem Komitee organisiert wurde, kann er nicht entdecken. Anlässe der Ehrung sind in der Regel Geburtstage – meist der 60. oder 70. – sowie Dienst- oder Doktoratsjubiläen und Emeritierungen. Nach dieser Ad-hoc-Exploration entwickelt Morley drei Einwände, die gegen die Praxis der Festschrift hervorgebracht werden können. Erstens bestehe bei Anlässen, die unschwer zu erreichen seien, die Gefahr, dass auch unwürdige Fachvertreter geehrt würden – diesen Punkt verwirft Morley etwas später. Zweitens handelte es sich um ein unspezifisches Publikationsformat, das aufgrund von geringen Auflagen und schlechter bibliographischer Erfassung dazu neige, wertvolle Beiträge zu „beerdigen“ (ebd. 65). Und drittens beinhalten Festschriften mitunter auch schwache Texte.1 Der zweite und dritte Kritikpunkt ist triftig, wobei Morley konstatiert, dass die Gefahr mangelnder Sichtbarkeit zu beheben wäre, indem man die Festschrift in eine Buchreihe einstellte oder als Sonderheft einer Zeitschrift herausgäbe. Dass der eine oder andere unangemessene Beitrag in Festschriften abgedruckt würde, hält Morley für unproblematisch, da dies auch für andere Publikationsorte gelte. In seinem Fazit kommt er schließlich zu der Einschätzung, dass das Wissenschaftssystem – insbesondere im Bereich der Grundlagenforschung – wenig Anerkennung erfahre. Es sei somit nur recht und billig, verdienstvollen und über lange Jahre wirkenden Gelehrten zumindest eine Ehrung durch ihre Schüler und Kollegen zuzugestehen. Die Festschrift liege auf dem Schreibtisch wie ein Blumenbouquet und sei immer noch angemessener als vergleichbare
1Auf diesen Punkt reagiert – im selben Jahrgang der Zeitschrift – der amerikanischdeutsche Philologe Alfred Gudeman (1929) mit dem Hinweis, dass es nicht einfach sei, eingeladene Festschriftenbeiträge zurückzuweisen.
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Jubliläumsgeschenke wie eine Taschenuhr, ein ornamentierter Dolch oder ein Scheck über 1.000 Dollar. In den 1950er Jahren nehmen die amerikanischen Altertumswissenschaftler Dorothy Rounds und Sterling Dow (1954) die von Morley angestoßene Diskussion wieder auf. Hintergrund ihrer viel beachteten Arbeit ist die Problematik des schlechten Zugangs zu – mitunter hochgradig forschungsrelevanten – Festschriftenbeiträgen. Die Festschrift als Artikelfriedhof2 wird aufgrund ihrer geringen Auflagenstärke und ihrer oft weiten inhaltlichen Streuung von Bibliothekskatalogen nur ungenügend erfasst, was die Gefahr mit sich bringt, dass Beiträge in Vergessenheit geraten beziehungsweise, wie Morley es ausdrückte, „beerdigt“ würden. Abhilfe könne die bibliothekarische Indexierung von Festschriften sowie die statistische Erfassung und Analyse ihrer Inhalte schaffen.3 Rounds und Dow, selbst mit der Erstellung eines Festschriftenindexes beschäftigt, zählen weit über 2.000 Festschriften aus dem (erweiterten) Bereich der Altertumswissenschaften, von denen am Ende des Projekts 1.148 bibliographisch erfasst sein werden. Dabei gelangen sie zu ähnlichen Befunden wie Morley was die Verbreitung der Festschriftenpraxis in unterschiedlichen Ländern angeht. Sie weisen zudem eindringlich auf Probleme dieser Praxis hin, die in den hohen Kosten und dem erheblichen Produktionsaufwand, in der geringen Attraktivität wegen oft unklarer thematischer Fokussierung, im aufgrund verlagsökonomischer Argumente begrenzten Umfang der Beiträge, fehlender Werbung und vor allem auch in dem erheblichen Lektüreaufwand der Rezipient(inn)en
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Vermutlich geht diese viel gebrauchte Metapher auf eine Rezension der Festschrift für den Altertumswissenschaftler Gilbert Norwood zurück (Alexander 1953). 3 Eine frühe Forderung nach einer besonderen bibliographischen Behandlung finden Alice P. Kenney und Leslie Workman (1974) bereits in einer Anmerkung Paul Meyers in der französischen Zeitschrift Romania aus dem Jahr 1908.
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bestehen. Wenngleich sie die Kritik sowie die Forderung nach Abschaffung von Festschriften wieder aufnehmen, können auch sie der Grundmotivation einer Ehrung für die ohnehin karge Anerkennung für Forschende etwas abgewinnen. Zugleich wird Morleys Wunsch nach Korrekturen der Praxis durch die Feststellung verschärft, dass es ein schwacher Lohn wäre, wenn die viele Arbeit, die in Festschriftenbeiträgen stecke, durch mangelhafte Verbreitung und Information vernichtet würde. Über die Indexierung hinaus schlagen Rounds und Dow vor, Festschriften intensiver zu rezensieren und ihre Sichtbarkeit und Zugänglichkeit beispielsweise durch Microfiche sowie durch die Aufnahme in Buchreihen zu verbessern. In den 1960er Jahren weist Dow in kürzeren Publikationen auf das nun abgeschlossene Index-Projekt sowie darauf hin, dass Festschriften noch immer schlecht auffindbar und vor allem inhaltlich unspezifisch beziehungsweise zu breit gestreut seien. Erneut empfiehlt er, sich um eine höhere inhaltliche Stringenz zu bemühen (Dow 1962; 1963). Zu Beginn des Jahrzehnts wird die Festschriftenproblematik von den Rechtswissenschaften entdeckt. Auch dort gibt es eine in der Mitte des 19. Jahrhunderts gründende Tradition. In ihrem ebenfalls an Indexierung interessierten Artikel berichtet die Rechtsbibliographin Lilly Melchior Roberts (1962) vom starken Anwachsen des Festschriftenaufkommens und einer zunehmenden thematischen Stringenz der in Festschriften versammelten Beiträge. Als Hauptproblem identifiziert auch sie, dass Festschriften dennoch vergleichsweise unspezifisch und daher schlecht bibliographisch erfassbar seien. Dies führe zu einer mangelhaften Recherchier- und Erreichbarkeit der Beiträge, was aber durch aktuelle Indexierungsinitiativen bald behoben sein könne. Das Beerdigen wichtiger Forschungsbeiträge auf einem „Friedhof der Gelehrsamkeit“
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(ebd. S. 410) – auch hier findet sich diese Metaphorik – könne dadurch wirksam vermieden werden. Anfang der 1970er Jahre meldet sich der amerikanische Romanist Yakov Malkiel (1973) mit einigen Gedanken darüber zu Wort, unter welchen Umständen – im Bereich der Philologie – einer verdienten Gelehrtenpersönlichkeit keine Festschrift zugekommen sei. Die Sammlung möglicher Gründe ist unsystematisch und umfasst schicksalhafte Umstände wie den verfrühten Tod, mitunter durch Ermordung oder Suizid, den beispielsweise durch Exilierung bedingten Zusammenbruch des erforderlichen Netzwerks oder persönliche Ablehnung aufgrund von Bescheidenheit oder auch Eitelkeit. Den Überlegungen liegt die Einschätzung zugrunde, dass es sich bei Festschriften um ein sich epidemisch verbreitendes Genre der Gelehrsamkeit handele, welches keinesfalls übergangen werden dürfe. Keine Festschrift erhalten zu haben wird in dieser Zeit offenbar wenn nicht zum Makel der Gelehrtenbiographie, so doch zu einem begründungspflichtigen Thema. Im Jahr 1974 erscheint ein Überblicksartikel, der die bisherige Diskussion zusammenfasst und sich gegen die Verwendung des Begriffs Festschrift richtet. Das Wort sei für englischsprachige Menschen schlecht auszusprechen, wirke antiquiert und sei ungenügend anglifiziert, was sich an dem unkorrekten Plural Festschrifts oder der Wendung to be festschriftet erweise. Auch die Formel presented to… oder der französische Begriff mélange seien problematisch, weshalb zur Einführung des Begriffs Homage Volumes geraten wird. Neu ist der von Alice P. Kenney und Leslie J. Workman (1974)4 entdeckte Befund, dass es offenbar die amerikanischen Bibliograph(inn)en waren, die nach dem 4
Häufig zitiert wird auch eine revidierte Fassung dieses Aufsatzes, der 1980 in der Zeitschrift Journal of Scholarly Publishing erschienen ist.
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Zweiten Weltkrieg die fachspezifische Bibliographierung von Festschriften vorangetrieben haben.5 Umso irritierter zeigen sich die beiden, dass bislang keine entsprechende Aktivität im Bereich der amerikanischen Geschichts- und Literaturwissenschaft festzustellen sei. Nach einem Vergleich von vier Festschriften aus dem Gebiet der American Studies, von dem sie sich auch Einsichten über der Praxis der Festschrift im Allgemeinen versprechen, kommen die beiden zu dem Schluss, dass Festschriften ein Relikt aus einer Zeit seien, in der die Wissenschaft noch klein war und man sich selbst nicht sehr ernst genommen habe. Den akademischen Feiern, denen die Tradition der Festschrift als eines ihrer Bestandteile entsprungen ist, seien karnevaleske Ereignisse mit öffentlicher Teilhabe gewesen – undenkbar im gegenwärtigen (amerikanischen) Wissenschaftsalltag. Nun aber habe sich das Medium von der (alten) Botschaft in unangemessener Weise gelöst. Amerikanische Festschriften seien keineswegs nur Angelegenheiten der Wertschätzung vergangener Leistungen, sondern dokumentierten die Weitergabe des Wissens von den Lehrenden an die Lernenden. In einer Zeit, in der die Jugend allzu unbeschwert das von älteren Generationen bewahrte Stammeswissen vergesse, könne die Festschrift einen Beitrag dazu leisten, bestimmte Vergangenheitsbezüge wach zu halten und zu reflektieren. Sie sei ebenso wie das Ritual, dessen Teil sie ist, ein Lehrstück für Forschende, die keine Gelegenheit bekommen hätten, an akademischen Feiern teilzuhaben. Der Beitrag der deutschen Bibliothekarin Annelies Krause (1977) nimmt das Festschriftenthema disziplinübergreifend auf, verweist auf die bekannten Probleme der Heterogenität der Beiträge sowie der
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Hierzu zitieren sie den Aufsatz von R. Pick aus dem Jahr 1959, dem bereits Hinweise auf den enormen bibliographischen Tatendrang US-amerikanischer Forscherinnen und Forscher – auch mit Blick auf statistisch-bibliometrische Analysen – zu entnehmen sind.
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umständlichen Bibliographierbarkeit von Festschriften und begrüßt die Initiative der ersten Internationalen Festschriftenbibliographie von Otto Leistner, der Verdienste um die Lösung vielfacher Schwierigkeiten wie der mitunter schlecht identifizierbaren Beitrags- und Sammelwerkstitel zukommen. Am Ende ihrer Ausführungen listet auch Krause eine Reihe von Punkten auf, wie Festschriften – aus bibliothekarischer Sicht – besser gestaltet werden könnten. Dazu gehört erstens die Forderung nach einer strengeren Redaktion, welche Zweitverwertungen und Schubladenveröffentlichungen abscheide und auf aussagekräftige Beitragstitel achte. Zweitens wird auch hier wieder die Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Reihe oder als Zeitschriftensonderband gefordert. Drittens sollten die Nationalbibliotheken möglichst einheitlich alle Festschriften erfassen und viertens wird auch hier wieder eine stärkere Berücksichtigung in Rezensionen sowie mehr Engagement in der Erstellung von Fachbibliographien gefordert. Der Aufsatz des Bibliothekswissenschaftlers Edwin S. Gleaves aus dem Jahr 1985 beleuchtet ebenfalls den Forschungsstand und diskutiert die bekannten Probleme des Genres. Allerdings kann er mittlerweile auf zwei große Index-Initiativen verweisen, die sich auch um die bibliographische Erfassung von Festschriften bemühen – erwähnenswert ist das deshalb, weil er die Friedhofsmetapher weiterführt: Die bibliographischen Programme seien in der Lage, Festschriften zu exhumieren und zum Leben zu erwecken. Zu Beginn der 1990er Jahre meldet sich der Kommunikationssoziologe Irving L. Horowitz (1991) mit einem Kommentar zur Festschriftenpraxis zu Wort. Ohne näher auf die zu dieser Zeit vorliegende Literatur einzugehen findet er neue abwertende Metaphern wie zum Beispiel das intellektuelle Einhorn, den Minotaurus oder den publizistischen Albatros (ebd. S. 234). Das entsprechende Kapitel seines Buches über
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wissenschaftliche Publikationspolitiken geht schnell über Geschichte, Anlässe, Beitragende und Herausgebende von Festschriften hinweg und diagnostiziert eine galoppierende Inflation von Festschriften. Bemerkenswert ist seine funktionale Analyse der Festschrift. Eine Festschrift sei – ähnlich wie das auch Kenney und Workman festgestellt haben – nicht nur Denkmal einer zu ehrenden Persönlichkeit, sondern stelle einen Vergangenheitsbezug zwischen älteren und jüngeren her. Dies erfolge in Form eines zweifachen Prozesses: durch die Institutionalisierung des Alten und zugleich der Zuweisung einer besonderen Stellung der Beitragenden bei der Entwicklung von etwas Neuem. Man kann das auch als einen über Bezüge, Verweise und Linien hergestellten kulturellen Transmissionsriemen zwischen Beitragenden und der geehrten Persönlichkeit begreifen. Aber diese funktionalen oder strukturanalytischen Überlegungen stellt Horowitz wieder hintan, wenn er sich im Weiteren mit den – bekannten – Problemen von Festschriften beschäftigt. Diese ergänzend fokussiert er auf die Frage, ob geehrt werde, wem Ehre gebühre. Festschriften seien nicht zuletzt oft auch wissenschaftlich fragwürdig, weil sie mitunter Personen zugeeignet würden, deren wissenschaftliche Leistung längst überholt oder denen die Ehrung aufgrund von Seniorität und Rechtschaffenheit, weniger jedoch aufgrund ihrer wissenschaftlichen Verdienste zuteil geworden sei. Überlegungen dieser Art führen Horowitz zu der Frage, warum das Genre der Festschrift fortbestehe und sogar wachse. Seine Antwort ist, dass Festschriften nicht rückblickend, sondern zukunftsorientiert wirkten. Die Festschrift sei eine Aufforderung den durch sie gezeichneten Weg fortzusetzen. Jede Person, die eine Festschrift herausgebe oder zu ihr beitrage, schaffe zugleich die Erwartung, später einmal selbst eine Festschrift zu erhalten (ebd. S. 237) – ein Selbstläufer und zugleich ein wechselseitiges Verpflichtungsverhältnis des Gebens und Nehmens (ebd.
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S. 239). Trotz der überwiegend negativen Einschätzung bietet Horowitz noch eine Liste von Regeln an, die bei der Erstellung einer Festschrift zu befolgen seien.6 Am Ende seiner Ausführungen gelangt er zu der Einschätzung, das Engagement in Festschriften sei ein intellektueller Altruismus, ein pietistischer Akt zur Ehre eines anderen und zugleich die Möglichkeit, sich selbst einen Platz im Pantheon zu sichern, der zum Bestandteil einer allgemeinen Kultur werde. Mitte der 1990er Jahre wendet sich dann die akademische Geographie einer Analyse ihrer Festschriftenpraxis zu. Ute Wardenga untersucht Festschriften ihres Faches aus historischer Perspektive (Wardenga und Wirth, 1995). Neben einer Typologie der Herausgabeformen – sie unterscheidet die Engagements von Schüler(inne)n, Schüler(inne)n und Freund(inn)en sowie Schüler(inne)n, Freund(inn)en und Kolleg(inn)en mit jeweils unterschiedlichen Funktionen – entnimmt sie einer Analyse von Festschriftvorworten, die sie als zunehmend eigenständige Beiträge identifiziert, Informationen über Karriereverläufe und Persönlichkeitseigenschaften der Geehrten. Flankiert werden diese empirisch fundierten Überlegungen von theorieinteressierten Kommentaren ihres Fachkollegen Eugen Wirth. Er stellt Festschriften in den Zusammenhang mit akademischen Feiern und konstatiert eine Entwicklung, die zunehmend Persönlichkeiten in den Mittelpunkt rücke. Vor dem Hintergrund einer individualisierten Ehrung gerate die Festschrift zum Statussymbol, was letztlich zu einer „Festschriften-Flut“ und „Festschriften-Inflation“ führe (ebd. S. 2). Dies sei allerdings auch darauf zurückzuführen, dass die Zahl der Kolleg(inn)en ständig wachse, die ins Festschriftenalter vorrückten. Es sei also – und hier erinnert Wirth an eine Diskussion innerhalb des Verbandes Deutscher Hochschullehrer 6
Da es sich im Wesentlichen um Vorschläge handelt, die aus den bekannten Kritikpunkten abgeleitet sind, wird die Liste hier nicht eigens aufgeführt.
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der Geographie – zu überlegen, ob jüngere Kolleg(inn)en nicht freiwillig auf eine Festschrift verzichten sollten. Am Ende seiner Ausführungen kommt Wirth noch einmal auf den Zusammenhang von Feier und Ritual zu sprechen. Unter Bezug auf die Theatermetaphorik bei Erving Goffman äußert er die Vermutung, dass das Festschriftenritual einen „klar bestimmbaren Stellenwert beim Miteinander-Umgehen von Wissenschaftlern, bei der Pflege des Zusammengehörigkeitsgefühls von Forscher-Teams und beim Bemühen um ein positives Image gegenüber Betrachtern von außerhalb“ habe (ebd. S. 16). Dieses wissenschaftssoziologische Argument lässt sich dergestalt ausbauen, dass Forschungshandeln nicht immer unmittelbar mit Forschung verbunden sein müsse, sondern überwiegend auch in sozialem Handeln Forschender untereinander bestehe. Die Festschrift sei eine zunächst aus einer nach innen gerichteten Selbstorganisationspraxis erwachsene und sich später zunehmend als Außendarstellung von Forschungsgruppen etablierende Institution – ein nicht fachwissenschaftlich, sondern wissenschaftssoziologisch zu verstehendes Gruppenphänomen oder ein Stammesritus.7 Der Staatsrechtler Helmuth Schulze-Fielitz (1996) erschließt im Rahmen einer Sammelbesprechung von Festschriften das Thema für sein
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Die Referenzen, mit denen Wirth diese Einsicht fundiert sind wissenschaftssoziologische Arbeiten einerseits von Wolfgang Krohn und Günter Küppers (1989) sowie von Donald T. Campbell (1985). Nur am Rande erwähnt sei hier die ebenfalls im Jahr 1995 in der JuristenZeitung erschienene Glosse von Ernst C. Stiefel, die sich über den Produktionsprozess von Festschriften und einige kleinteilige Folgeprobleme verbreitet. So sei in der Phase der ‚Lust‘ durch die Ehre gekennzeichnet, zu einem Festschriftenbeitrag eingeladen zu werden. Die Phase der ‚Last‘ erweise sich in der später folgenden Einsicht, einen aufgrund von Inflation irrelevanten Beitrag zu leisten. Daran schließe sich der ‚Ärger‘ an, der sich einstellt, wenn das Verfertigen des Beitrags unter Abgabedruck erfolge. Der ‚Glanz‘ entstehe dann auf der Feier mit der Übergabe der Festschrift, gefolgt vom ‚Nachgeschmack‘ vieler kleinerer Probleme wie der Verteilung von Freiexemplaren, Verteilungspannen, der Antizipation typischer Festschriftennutzungen, der Widmungen etc.
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Fach und bietet neue Anregungen zur Interpretation ihrer Sinnbeziehungsweise Zwecksetzung sowie zur weiteren Erforschung dieses Themas. Neben einer fachkulturellen Einschätzung des Ehrungsalters – zum 65. Geburtstag früh, zum 70. eher üblich – zeigt er, dass Ehrungen in der Wissenschaft eine lange mündliche Tradition aufweisen, die vergleichsweise spät auf das Segment der Schriftlichkeit ausgedehnt wurde. Mit Blick auf Herausgebende hält er fest, dass sie sich typischerweise unterschiedlich darstellen: So ordneten die in der Regel habilitierten Schüler(innen) der oder des Geehrten sich in alphabetischer oder hierarchischer Folge, oder sie setzen sich, sofern sie als alleinige Herausgebende auftreten, als Primus inter pares ein. Gelegentlich falle die Herausgabe einer Festschrift auch den jüngst berufenen Kolleginnen oder Kollegen zu. Neben dem Hinweis auf den Stil der Beziehungsdarstellung zwischen Herausgebenden und Geehrten entfaltet Schulze-Fielitz sodann eine Reihe kritischer Punkte als „Folgen dieses Bedürfnisses nach öffentlicher (Selbst-)Darstellung“ (ebd., S. 567), zu denen die geringe Auflagenhöhe, der hohe Publikationspreis, die schlechte internationale Sichtbarkeit, die durch knappe Zeichenzahlenvorgaben erzwungene Kürze der Argumente sowie die jedes Bibliotheksbudget parasitär beschädigende Anschaffung als „künstliche Barrieren für die wissenschaftliche Rezeption der Beiträge“ (ebd. S. 567) zählen. Dies betreffe vor allem inhaltlich disparate und beliebig zusammengestellte „Gemischtwarenläden“, nicht aber themengebundene Werke. Kritisch beobachtet er im Bereich des Staatsrechts einen „Dammbruch“ (ebd. S. 568) sowie eine seit den 1950er Jahren einsetzende „Festschrifteninflation“ (ebd. S. 569), die einer Individualisierung innerhalb der Wissenschaft geschuldet sei und in einer Ausweitung der Notwendigkeit des personalen „Marketings“ zum Ausdruck komme. Vor diesem Hintergrund entstehe dann geradewegs ein
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Festschriften-Wettbewerb, in dem die Vielzahl von Ehrungen zum Distinktionsmoment gerate – eine „Horrorvision eines institutionalisierten Byzantinismus“ (ebd. 570). Im Jahr darauf erscheint in der Zeitschrift Antike Welt eine Pro- und Contra-Diskussion zwischen dem Philologen Kurt Otten (1997) und Wirth. Otten, der für eine Kultivierung von Festschriften eintritt, sieht in ihnen eine Chance der Profilierung von Wissenschaftsdisziplinen, die durch andere Fachkulturen zunehmend – nicht zuletzt aufgrund eines Verfalls alter wissenschaftlicher Traditionen – bedroht seien. Wirth hält, ähnlich wie auch Schulze-Fielitz, dagegen, dass eine zunehmende Individualisierung und Personalisierung auch der akademischen Feier die Kantsche Forderung de nobis ipsis silemus unterlaufe. Dem sei Einhalt zu gebieten – am besten durch einen expliziten Verzicht auf das Empfangen von Festschriften. Eine Betrachtung des Festschriftenwesens im Bereich der Rechtswissenschaften, vorgelegt von Michael Taggart (2002) widmet sich der Frage, ob man es eher mit Gärten oder mit Friedhöfen der Gelehrsamkeit zu tun habe. Der Jurist entfaltet einen ausführlichen Literaturüberblick, der die bisher diskutierten Probleme mit dem Genre der Festschriften aufgreift. Unter anderem vergleicht er die Festschrift mit Sammelbänden, die das Schicksal der mangelnden Sichtbarkeit teilten und verweist auf die Anti-Festschrift als eine ebenfalls einer Person gewidmete Sammlung, deren Beiträge sich jedoch kritisch mit dem Werk des ‚Geehrten‘ auseinandersetzt. Das Dilemma des gesamten Genres bestehe darin, dass die Ansprüche sowohl an die Herausgeberarbeit als auch an die Beiträge – nicht zuletzt aufgrund ihrer Widmung an eine zu ehrende Person hohen Ranges – extrem hoch seien. Demgegenüber sei die Sichtbarkeit aufgrund der kleinen Auflagen, der schlechten bibliographischen Erfassung und des hohen Preises gering. So könne man
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die Festschrift als Garten der Gelehrsamkeit betrachten, sofern sie sehr gut organisiert sei. In der Realität komme sie jedoch aus den genannten Gründen eher einem Friedhof gleich, weil die in ihr versammelten Beiträge nicht gut sichtbar seien und bald dem Vergessen anheimfielen. Gleichwohl konstatiert auch Taggart ein rasantes Anwachsen des Festschriftenaufkommens in seiner Disziplin und erklärt es sich durch einen wachsenden Publikations- und Darstellungsdruck. Abhilfe schaffen könne auch hier eine besser organisierte bibliographische Erfassung. Dass sich die Herausgabe einer Festschrift nicht durch einfache Motivanalysen erklären lässt, zeigt der Beitrag der französischen Historikerin Françoise Waquet (2006). Auch hier findet sich ein umfassendes Literaturreferat zum Thema, an das sich Ergebnisse der Sichtung von 1.000 Festschriften aus den Geistes- und Sozialwissenschaften anschließen. Aus historischer Perspektive untersucht sie zunächst das Aufkommen des Festschriftenwesens von seinen Anfängen an. Grundlage ist die Auswertung von Umfang, Textstrukturen, Paratexten (Buch- und Beitragstitel, Überschriften, Gratulantenlisten, Vorwortinhalten) und Beiträgerinformationen. Neben einer stark an Einzelbeispielen orientierten Rekonstruktion der Variationsbreite typischer Festschriftenmerkmale erkennt Waquet, dass die Gabe einer Festschrift als Tribut zu verstehen sei, welchen nicht einzelne Personen an andere entrichteten, sondern eine klar identifizierbare akademische Gemeinschaft, die unterschiedliche Beziehungsarten – akademische Freunde und Freundinnen, Kollegen und Kolleginnen, Schüler und Schülerinnen, Weggefährtinnen und Weggefährten und so weiter – enthalte. Auf diese Weise könne eine Festschrift das Netzwerk des akademischen Einflusses einer geehrten Persönlichkeit abbilden. Festschriften spiegelten die akademische und wissenschaftliche Macht sowie das Prestige und die intellektuelle
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Bekanntheit des homo academicus. Sie seien als Gabe beziehungsweise als Gegengabe im akademischen Feld zu verstehen, die in manchen Zusammenhängen gar die Form des Potlatsch annehme. Da im immer stärker ökonomisierten akademischen Bereich nicht alles einen quantifizierbaren Gegenwert habe, sei die Festschrift eine Möglichkeit der Äußerung von Dankbarkeit für Formen der Zuwendung und Aufmerksamkeit – die Gemeinschaft danke einem ihrer Mitglieder für die vielen Tipps, informellen Gespräche, Reflexionen und so fort. Zum Schluss ihrer Analysen fragt sich Waquet, ob die Festschrift nun die adäquate Form der Äußerung von Dankbarkeit und Anerkennung sei. Nach einer Durchsicht anderer Geschenke, die in der Geschichte der Academia zum Zwecke der Ehrung überreicht wurden (Uhren, Schwerter oder Geld) stellt sie fest, dass die Wertschätzung in der Wissenschaft nun einmal aus Publikationen erwachse. Insofern sei ein eigens gewidmetes Buch eine adäquate Möglichkeit, jemandem eine große Ehre zuteilwerden zu lassen. Als beredte Gabe zeuge die Festschrift von einer umfassenderen Feier, die von einem Kollektiv gestaltet wird, welches sich um eine Wissenschaftlerpersönlichkeit konstituiert. De facto aber ist die Überreichung des Buches nur der – wenn auch materialisierte – Teil eines größeren Ritualzusammenhangs. Es komme dabei gar nicht so sehr auf die Qualität seiner Inhalte an, sondern darauf, dass es sich bei der Festschrift um ein schönes, präsentables Exemplar handle. Setzt man die chronologische Sichtung von Arbeiten und Kommentaren zu Genre und Praxis der Festschriften fort, findet sich ferner in einem Lehrbuch zum wissenschaftlichen Publizieren eine kurze Diskussion von Festschriften und Sammelbänden, wobei die Festschrift – neben einer kritischen Einschätzung ihres wissenschaftlichen Ertrags – als Publikation bestimmt wird, die weniger an primären Forschungsinteressen der Beitragenden orientiert sei als vielmehr an den Planungen der
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Herausgebenden. Hierbei sei besonderes Fingerspitzengefühl angebracht: Auch Festschriftenbeiträge erforderten eine gewisse Mühe, da schlechte Qualität den oder die zu Ehrende(n) beleidigen, den oder die Verfasser(in) beschädigen und die Rezipient(inn)en beschämen würde (Seiler 2010). Im Jahr 2012 schließlich erscheint eine an die Untersuchungen von Wardenga anschließende empirische Studie über Festschriften in den Sprachwissenschaften, die eine tiefergehende theoretische Reflexion des Gegenstands vornimmt. Auf der Grundlage einer explorativen OnlineBefragung unter Wissenschaftler(inne)n – sowohl Festschriftenherausgebende als auch Personen aus festschriftenarmen Wissenschaftskulturen – sowie einer Dokumentenauswertung, die in eine Diskursanalyse über das Festschriftenwesen münden, weisen Andrea Ender und Bernhard Wälchli (2012) auf unaufhebbare Inkonsistenzen dieses Geschehens hin. Mithilfe des bei Goffman (1986) entlehnten Ritualkonzepts wird es möglich, ein Verhalten zu verstehen, das aus Sicht der Beteiligten nicht unmittelbar sinnhaft sein muss. Die Teilnahme an Ritualen folgt mithin anderen Motiven. Mit Blick auf die Herausgabe von Festschriften wird festgehalten, dass diese nur selten durch Zwang motiviert sei. Zudem gebe es keine klaren Regeln, wem die Ehre einer Festschrift zukommt. Ender und Wälchli stellen fest, dass eine entsprechende Praxis zwischen unterschiedlichen Fächerkulturen ebenso variiert wie zwischen Hochschulstandorten. Wo Festschriften eingesetzt werden, ist auch weiterhin mit der Verleihung solcher Werke zu rechnen – ein geradezu epidemiologisches Problem. Das Ritualkonzept eigne sich besonders, weil ein beobachtbares Verhalten für einen bestimmten, davon auf den ersten Blick unabhängigen Inhalt steht. Mit Goffman könne von einem positiven Ritual gesprochen werden, das die gute Beziehung zwischen der oder dem Gebenden und der oder dem Bedachten fortführt und unterstützt. Selten ist die Gabe von Festschriften instrumentell oder
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strategisch weshalb Ender und Wälchli vermuten, dass sie – in bestimmten Fachkulturen – den Passageritus des Übergangs in den Ruhestand symbolisieren (siehe dazu auch den Beitrag von Nicole Hoffmann in diesem Band): Das Ritual soll zeigen, dass der Geist eines aus dem aktiven akademischen Betrieb ausscheidenden Gelehrten auf andere, die an anderer Stelle noch über Machtressourcen verfügen, übergegangen ist; die ursprüngliche Kraft geht indes nicht verloren. Außerdem gehört es zu den Charakteristika von Ritualen, dass sie fortdauern. Teilnehmende eines Rituals haben wahrscheinlich schon öfter teilgenommen – nicht unbedingt als Herausgeberinnen oder Herausgeber mehrerer Festschriften, wohl aber als Beitragende, die auf diesem Weg das dem Ritual zugrunde liegende Modell – als eine akademische Tatsache – verinnerlicht haben. Besonders im akademischen Bereich, in dem letztlich nur Reputation und wissenschaftliche Exzellenz zählten, seien Interaktionsrituale zur Pflege einer lebendigen Gemeinschaft naheliegend. Der bis hier dargestellte Literaturüberblick zeigt eine spezifische Entwicklung des Verständnisses von Festschriften. Anfangs ist die Diskussion überwiegend von irritiertem Kopfschütteln über die Festschriftenpraxis bestimmt. Sie gilt als Verschwendung wissenschaftlicher Ressourcen und wird bestenfalls auf affektuellemotionaler Ebene gerechtfertigt. Im Laufe der Jahre wandelt sich dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer fortdauernden interdisziplinären und internationalen Ausbreitung des Festschriftenwesens. In jüngeren Untersuchungen ist zwar noch immer die Irritation verbreitet, allerdings weicht die normativ-utilitaristische Kritik nun dem Versuch funktionalen Verstehens. Ein solches erscheint erst aufgrund der Einsicht als möglich, dass die Wissenschaft als soziales System eigene Formen und Mechanismen der Konstruktion und Erhaltung von Solidarität ausbildet. Die Festschrift ist die Materialisierung eines solchen Ausdrucks von
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Gruppenbeziehungen. Sie erscheint als beständige Form flüchtiger Dankbarkeit; dabei ist sie in der Regel kein Denkmal, sondern eher Gabe, mit der eine Gruppe einem gegenwärtig als bedeutend empfundenen Mitglied Tribut zollt.8
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Festschriften und Festschriftenbeiträge als Gabe der Ehrerbietung
Dass wissenschaftliches Handeln beziehungsweise die wissenschaftliche Praxis bei der Produktion objektiven Wissens durchwegs den rationalistischen Regeln des Wissenschaftsbetriebs folge, wurde vielfach und aus unterschiedlichen wissen(schaft)ssoziologischen Perspektiven bezweifelt.9 Wirths Hinweis auf Donald T. Campbells Provokation, nach der auch die moderne Wissenschaft im Grunde archaischen Regeln der Stammesgemeinschaft folge, stellt dabei nur eine Lesart dar, die im Zusammenhang mit Festschriften jedoch eine gewisse Plausibilität erlangen könnte. Campbells Grundannahme ist, dass wissenschaftliche Gemeinschaften als soziales System zu begreifen seien, das die
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Der Begriff Tribut erscheint hier besonders naheliegend. Ursprünglich bezeichnet er die direkte Steuer im antiken Rom – im landläufigen Sprachgebrauch wird er allerdings verwendet, wenn von Opfer oder Beitrag beziehungsweise von schuldiger Verehrung oder Hochachtung die Rede ist (Duden 1990, S. 792). 9 Die Tradition solcher Einwände ist lang und reichhaltig. Man kann sie mit Ludwik Flecks (1980) Überlegungen zu den Konstitutionsbedingungen wissenschaftlicher Tatsachen beginnen lassen. Ferner reicht sie über Thomas Kuhns (1976) Rekonstruktion wissenschaftlicher Revolutionen, den Laborkonstruktivismus von Bruno Latour und Steven Woolgar (1979) sowie Karin Knorr-Cetina (1984) bis hin zu Niklas Luhmanns (1992) Thesen zur Nebencodierung in der Wissenschaft.
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Bedingungen zum Selbsterhalt geschaffen haben muss. Nur so können sie als Trägersysteme des Wissens fortbestehen. „Eine wissenschaftliche Gemeinschaft muß die Rekrutierung der neuen Mitglieder und die Belohnung der alten Mitglieder so gut betreiben, daß junge Mitglieder Interesse daran finden, eine lebenslange Bindung an diesen Bereich einzugehen; damit erscheinen zugleich Plackerei und schmerzvolle Initiationsriten als gerechtfertigt. (…) Für den Zusammenhalt der Gruppe bedarf es sozial engagierter Förderer, die für ihre Rolle belohnt werden müssen, selbst wenn das bedeuten sollte, daß ihnen wissenschaftliche Anerkennung zuteil wird, die sie aufgrund ihrer kognitiven Beiträge nicht verdienen“ (Campbell 1985, S. 260 f.). Außerdem, so lässt sich weiterhin bei Campbell lesen, liefen in wissenschaftlichen Gemeinschaften soziale Distinktionsprozesse der Ablehnung konkurrierender Positionen ab – im Sinne von Loyalitäten gegenüber der eigenen Gruppe und Abstoßungsreaktionen gegenüber Fremdgruppen. Während sich Wissenschaft in vielen Punkten von Stammesgesellschaften unterscheide, sei die Altershierarchie eine zentrale Gemeinsamkeit. Die Etablierten vergeben Karrierechancen und Anerkennung nach eigenem Gutdünken an die Nachwachsenden, von denen Demut und Zurückhaltung erwartet wird. Eine von einem oder einer Nachwuchswissenschaftler(in) eingebrachte Innovation kommt – gleichgültig wie bahnbrechend sie auch immer sein mag – nur mit Schwierigkeiten an den Platzhirschen vorbei. Campbell weist darauf hin, dass Karrieren mitunter beendet werden, weil sich die junge Person – völlig unabhängig von ihrer vielleicht genialen Idee – nicht durchzusetzen vermag. Es ist die Beziehung zwischen Meister(inne)n und Schüler(inne)n, die ein gewisses Spektrum von Ritualen der Ehrerbietung mit sich bringt. Die Festschrift gehört zu diesen Ritualen, wenngleich sie, wie die bisherige
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Diskussion gezeigt hat, fachkulturell unterschiedlich bewertet und durchaus kritisch gesehen werden kann. Sie bleibt ein Thema im Konzert der wissenschaftlichen Ehrengaben. Folgt man dieser Spur weiter, gelangt man zu der von Marcel Mauss in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts formulierten Theorie der Gabe (Mauss 1990). Mit ihrer Hilfe lassen sich dem Phänomen der Festschrift im Zusammenhang mit stammesgesellschaftlichen Ritualen noch weitere Bedeutungsfacetten abgewinnen. So umreißt Mauss das Prinzip der Gabe wie folgt: „Das Ding, das als Gabe bekommen wurde, das erworbene Ding im Allgemeinen verbindet den Geber und den Erwerber magisch, religiös, moralisch, juristisch miteinander. Es kommt von einem, der es fabriziert oder sich angeeignet hat, es ist von ihm, es gibt ihm die Macht über den anderen, der es annimmt“ (Mauss 2006, S. 15). Die Gabe erzeugt eine soziale Beziehung im Sinne eines Verpflichtungsverhältnisses. Im Fall der Festschrift erscheint dies auf den ersten Blick als unzutreffend, da sie der oder die Bedachte eher im Sinne einer Huldigung entgegennimmt. Der Umstand der Ehrerbietung beziehungsweise des Tributs verweist darauf, dass eine Festschrift im Grunde eine Gegengabe, ein Zeichen der Dankbarkeit sein muss. Die vorausgegangene Gabe kann nur in der im stammesgesellschaftlichen Verständnis der Wissenschaft verborgenen Förderung der sich nun zur Festschriftgabe veranlasst sehenden jüngeren durch eine(n) Etablierte(n) bestanden haben. Würde die Festschrift ohne dieses altershierarchische Beziehungssystem verstanden werden, müsste es anderweitig institutionalisierte Beauftragungen oder Rollen geben. Hinzu kommt der ebenfalls von Mauss vorgebrachte Hinweis, dass in der germanischdeutschen Tradition, aus der auch die Festschrift hervorgeht, das Geschenk etwas ist, das genossen wird. Offenkundig ist die Vergabe von Karrierechancen, ‚paternalistischer‘ Anerkennung oder fachlicher
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Orientierung keine Leistung, welche im System der Wissenschaft strukturell zu erwidern wäre. Insofern erscheint die Festschrift als eine abstrakte Institution, die die Funktion eines aufgrund der wissenschaftsspezifischen Ausblendung der Belange der Person nicht artikulierbaren sozialen Abhängigkeitsverhältnisses und der aus diesem erwachsenden Vergeltungserwartung hat. Wenn sich nun potentielle oder faktische Festschriftennehmer(innen) in Bezug auf diese Gabe peinlich berührt fühlen, kann dies auf die fehlende Reflexion dieses Ehrerbietungsbezugs zurückgehen – man empfindet sich als zu Unrecht beschenkt, da die Festschrift keine unmittelbare Gegengabe vorsieht. Sie muss ihrerseits als Gegengabe verstanden und an- beziehungsweise hingenommen werden. Mit dieser Interpretation des Phänomens der Festschrift tritt seine funktionale Bestimmung als fachwissenschaftliches Genre oder akademische Kommunikationsgattung weit in den Hintergrund. Sowohl die Vorbereitung und Herausgabe einer Festschrift zu Ehren einer älteren und irgendwie verdienten Person als auch die Gabe eines Beitrags müssen als Genuss-Geschenk, als Gegengabe verstanden werden. Probleme mit der Disparität und Qualität der Beiträge entstehen dann nicht im Sinne einer Evaluation wissenschaftlich-inhaltlicher Kommunikation, sondern eher in der Beziehung zwischen Gebenden und Bedachten sowie deren Beobachter(inne)n. Zwar schaut man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul, aber es ist doch ehrenrührig, wenn die Gabe für zu leicht befunden wird. So betrachtet kann der Festschriftenbeitrag sowie die Herausgabe einer Festschrift nicht in der Reputationslogik wissenschaftlichen Publizierens begriffen werden. Die Frage, ob es sich um einen Artikelfriedhof handelt stellt sich ebenso wenig wie der Festschriftenbeitrag per se als eigenständiges wissenschaftliches Argument zu begreifen wäre. Als Geschenk symbolisiert er ein Opfer, das
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zu Ehren einer Kollegin oder eines Kollegen erbracht wird. Dieses Opfer kann in der aufgewandten Gedankenanstrengung und Zeit, es kann darüber hinaus in der expliziten Würdigung einer Theorie oder eines Werkes bestehen und dient erstrangig dem Genuss – in welcher Form auch immer. Dass es dabei zur Veröffentlichung genuin neuer Ideen oder Weiterentwicklungen kommen kann, ist als Spezialfall oder Nebenwirkung von Festschriften zu betrachten, der ihre Indexierung rechtfertigen mag. Hinzu kommt die nicht nur bei Kenney und Workman (1974, S. 480 f.), sondern auch als Kritik an einer reinen Stammesanalogie bei Campbell vertretene Einsicht, dass (amerikanische) Wissenschaft im Gegensatz zu an Mythen orientierten Gruppen epistemologisch auf die Zukunft gerichtet sei. Festschriften weisen dagegen einen starken Vergangenheitsbezug auf – sowohl als Gabe als auch inhaltlich, weil erstrangig auf vergangene Beziehungen oder kommentierend auf bereits Festgestelltes referiert wird. Sie bewahren damit – ganz im Sinne traditionaler Gemeinschaften – als in ein Ehrungsritual eingebettete Erinnerungsträgerinnen den Rückbezug, die Bodenhaftung, die Demut und das Wissen darum, dass nichts von nichts kommen kann. Die Gabe der Festschrift schafft in der modernen Wissenschaft einen Gedächtnisort (Schwarz 2010), der die am Ritual im weitesten Sinne Beteiligten daran erinnert, dass sie das Wissen, mit dem sie umgehen, nicht selbst geschaffen haben. Festschriften ‚materialisieren‘ Bahnungen der Wissensgenese und dokumentieren generationenüberspannende Netzwerke in einzelnen Disziplinen, vulgo: Stammeskulturen. Folgt man der Gabentheorie weiter, lässt sich die Festschrift ebenso wie die in ihr versammelten Beiträge als Vernichtung von Reichtum – also an Zeit und Ressourcen – begreifen, wie er in der ethnologischen Forschung vielfach als Potlatsch beschrieben wurde (vgl. auch Mauss
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1990). Insbesondere als nicht erwiderungsfähige Gegengabe wird sie zu einem Musterbeispiel des Antiutilitarismus (vgl. hierzu Caillé 2006), da ihr – zumindest zunächst – jedes Nutzenkalkül abzusprechen ist. Dass dies in der Praxis vom Wissenschaftssystem rückgängig gemacht wird, ist als nachgelagerte Re-Interpretation beziehungsweise Um-Kontextualisierung zu verstehen. Und dass manche Festschrift dann den Qualitätsansprüchen nicht genügt, an denen wissenschaftliche Publikationen gemessen werden, erklärt sich aus dieser ursprünglichen Funktion. Daran werden auch die Checklisten zur Verbesserung von Festschriften und die mittlerweile technisch unproblematische Indexierung von Festschriftenbeiträgen nicht viel ändern. Dass die Festschriftenpraxis als soziales Phänomen gefasst werden kann, welches zu erforschen sich lohnt, bleibt davon unberührt. Man richtet den Blick dann jedoch auf anderes als beispielsweise bibliometrische Wirkungsanalysen.
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Die Unselbstverständlichkeit des Festschriftlichen im Spiegel ihrer Legitimierungssemantik
Folgt man diesen Überlegungen, ist zunächst aufschlussreich, wie moderne Gelehrte, die eine Festschrift organisieren, ihr Tun begründen. Die eingangs erwähnten Kritikmetaphern zeigen, dass die Gabe einer Festschrift in der modernen Wissenschaft ganz offensichtlich erklärungsbedürftig ist. Freilich wird es hier disziplinkulturelle Unterschiede geben. Die Festschrift in der Soziologie wird hier – wie so oft – zwischen den Stühlen sitzen. Das Fach, das von mindestens zwei Kulturen geprägt ist (Lepenies 2006), könnte eine größere Bandbreite an
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Legitimierungssemantiken bieten, die von Ehrungsliturgie über modernistische Problematisierung bis hin zur Selbstironie reichen. Im Folgenden werden daher die Stellen zu Rate gezogen, an denen sich Festschriftgebende erklären: Vorworte und Einleitungen.10 Dabei geht es nicht um eine vollständige Analyse, sondern lediglich um eine tentative Auslotung von Begründungsmustern, die für ein Verständnis der Festschrift in der soziologischen Fachkultur aufschlussreich sein können. Vorauszuschicken ist, dass Äußerungen, die das Festschriftenwesen kritisch beleuchten, kaum vorkommen. Bestenfalls wird ein kritischer Standpunkt aufgenommen, um sich an ihm abzuarbeiten. Das ist auch kaum verwunderlich, da die kritische Reflexion der Festschriftenpraxis 10
Gelegentlich finden sich solche Reflexionen auch in Festschriftenbeiträgen, die hier jedoch unberücksichtigt bleiben. Die hier zusammengetragenen Informationen reichen weder an statistische noch an konzeptuelle Repräsentativität heran und sind – aufgrund fehlender Ressourcen – zunächst nur ein erster Orientierungsschritt. Mithilfe einer qualitativen Datenanalysesoftware wurden insgesamt 16 über Suchmaschinen leicht zugängliche Dokumente gemäß der Kodierschritte der Grounded Theory kodiert (vgl. Strauss 1998). Aufgrund dieser nur explorierend-vorschlagsartigen Typenbildung werden auch keine illustrativen Textausschnitte aus den Vorworten angegeben. Zur Nachvollziehbarkeit sei lediglich auf die verwendeten Quellen verwiesen – nicht im Literaturverzeichnis dieser Arbeit und nur nach Buchtiteln: Die deutsche Gesellschaft in vergleichender Perspektive. Festschrift für Erwin K. Scheuch; Eigenwilligkeit und Rationalität sozialer Prozesse. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friedhelm Neidhardt; Soziologie in weltbürgerlicher Absicht. Festschrift für René König zum 75. Geburtstag; Skepsis und Engagement. Festschrift für Hermann Korte; Soziologische Ausflüge. Festschrift für Hans Jürgen Krysmanski zum 60. Geburtstag; Soziale Konstruktion und historische Perspektive. Festschrift für M. Rainer Lepsius; Kritische Empirie. Lebenschancen in den Sozialwissenschaften. Festschrift für Rainer Geißler; Integrierte Soziologie. Perspektiven zwischen Ökonomie und Soziologie, Praxis und Wissenschaft. Festschrift zum 70. Geburtstag von Hansjörg Weitbrecht; Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung. Reformfähigkeit und die Möglichkeit rationaler Politik. Festschrift für Helmut Wiesenthal; Jugend – Migration – Sozialisation – Bildung. Festschrift zum 65. Geburtstag von Hartmut M. Griese; Macht und Recht. Festschrift für Heinrich Popitz zum 65. Geburtstag; Generatives Verhalten und Generationenbeziehungen. Festschrift für Bernhard Nauck zum 60. Geburtstag; Verstehen und Kritik. Soziologische Suchbewegungen nach dem Ende der Gewissheiten. Festschrift für Rolf Eickelpasch; Transformationen des Kapitalismus. Festschrift für Wolfgang Streeck zum sechzigsten Geburtstag; Empirische Kultursoziologie. Festschrift für Jürgen Gerhards zum 60. Geburtstag.
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eher in Rezensionen oder eigenständigen Aufsätzen vorgenommen wird. Die dort vorwiegend anzutreffende utilitaristische Interpretation findet sich kaum in den in Vorworten und Einleitungen angegebenen Selbstlegitimierungen der jeweiligen Festschrifteninitiative. Allein dieser Umstand legt es nahe, der neueren Diskussion zu folgen und Festschriften im Kontext von Gabe und Ritual als eine soziokulturelle Praxis zu verstehen. Entsprechend ist an dieser Stelle auch nicht von Interesse, wer die Herausgebenden der jeweiligen Festschrift sind und zu welchem Anlass – es sind in der Regel Geburtstage, oft in Verbindung mit dem Passageritus der Versetzung in den Ruhestand – sie überreicht werden. Auch die Auswahl der Beitragenden und Gratulierenden – meist Schüler(innen), Mitarbeiter(innen), Kolleg(inn)en, wissenschaftliche Weggefährt(inn)en und Freund(inn)en – soll nicht weiter berücksichtigt werden. Von Interesse sind vielmehr die mit der Person der oder des zu Ehrenden verbundenen Begründungen. Es geht um Fragen nach den Beziehungsaspekten zwischen Gebenden und Geehrten sowie um die Form der ritualisierten Kommunikation im Kontext der Festschrift als Gegengabe. Mit anderen Worten ist es nicht damit getan, eine Festschrift mit dem Umstand der Emeritierung zu begründen, sondern damit, dass dieser jemand für den oder die Gebende(n) eine besondere Bedeutung hat. Weniger in Dankesbekundungen gegenüber der zu ehrenden Person als in der Charakterisierung der Beziehung sowie der Momente von Ehrerbietung und Bewunderung stecken Hinweise auf Begründungen des Tributs als Gegengabe. So wird auch in der soziologischen Fachkultur einer Vaterfigur beziehungsweise eines Meisters gehuldigt.11 Das Vorbildliche spiegelt sich in der Art und Weise, in der die geehrte Person ihre ‚Nachkommen‘ in die akademische Kultur sowie eine spezifisch11
Weibliche Varianten wie beispielsweise die Mutter, die Patin oder die Amme springen hierbei (noch) nicht ins Auge.
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fachliche Haltung eingeführt hat. Da unter den Ehrenden bisweilen auch akademische Freunde – also Peers aus derselben Generation – erscheinen, liegt der Schluss nahe, dass der oder dem Bedachten das Attribut der Vorbildlichkeit auch auf Augenhöhe zugestanden werden kann. Ansonsten geben ehemalige Studierende, Doktorand(inn)en, Habilitand(inn)en und Mitarbeiter(innen) gerne zu, von der oder dem zu Ehrenden akademisch sozialisiert worden zu sein. Der Typus der Väterlichkeit umfasst allerdings noch eine weitere Dimension: Prägend ist nicht nur die schützende Hand oder die strenge und zugleich partnerschaftliche Navigation durch unterschiedliche Qualifizierungsphasen, sondern auch das Bekenntnis, auf den Schultern nicht irgendeines, sondern eines speziellen Riesen zu sitzen, dessen Denkungsart ‚abgefärbt‘ hat (Merton 1983). Aus den ‚warmen Worten‘ geht hervor, dass sich die Festschriftenherausgeber(innen) sowie die Beitragenden in positiver Weise mit der oder dem Bedachten identifizieren. Und in der Tat finden sich hier Belege für die Vermutung, dass das Festschriftenritual aus mikrosoziologischer Sicht eine Generationsbeziehung manifestiert, indem die Nachkommen den scheidenden Häuptlingen ein Denkmal setzen. Kurzum: Es geht hier um die Huldigung eines Oberhaupts in mannigfacher Hinsicht. Der andere Typus, welcher sich – deutlich schwächer – aus dem vorliegenden Material gewinnen lässt, entbehrt einer starken affektiven Bindung. Das Meisterhafte ist zwar nicht minder vorbildlich, wird aber ehrfurchtsvoller und zugleich distanzierter geehrt. Dabei steht nicht die Beziehung im Vordergrund, sondern die Huldigung der Schaffenskraft, der wissenschaftlichen Leistungen sowie des Lebenswerks. So wird der
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Meister beziehungsweise im akademischen Feld der Nestor12 nicht als ‚älterer Bruder‘ oder ‚Vater‘, sondern vorrangig als Autorität gezeichnet. Während der Väterlichkeit eine umfassend sozialisierende Wirkung zuzukommen scheint, erwächst die Bedeutung des Meisters der fachlichen Orientierung, Inspiration sowie der werkstatthaften Vorbildlichkeit seiner Arbeitsweise. Entsprechend scheint auch die Herausgabe der Festschrift ein distanzierteres und zugleich respektvolleres Verhältnis anzuzeigen. Die Funktion des Rituals entspricht dabei nicht mehr überwiegend einem Generationenverhältnis ‚auf Sicht‘, sondern der Beziehung des Faches, also des Kollektivs zu einem lebenden Klassiker. Herausgebende sind somit auch keine engen Schüler(innen) oder Kolleg(inn)en, sondern Personen, die renommiert genug sind, um einem ‚Schwergewicht‘ huldigen zu dürfen. Betrachtet man nun die Begründungen, welche im Hinblick auf die thematische Konvergenz einer Festschrift angeführt werden, entsteht der Eindruck, dass im Kontext der Väterlichkeit eher offene Arrangements gewählt würden. Diese beginnen bei einer Suche nach thematischen Zusammenhängen aus der Sichtung willkürlich gesammelter Beiträge über die in Beiträgen vorgenommene Retrospektive auf vergangene Diskussionen im Umfeld der oder des zu Ehrenden bis hin zur bereits nach thematischen Schwerpunkten seines oder ihres Schaffens vorgenommenen Auswahl. Bei der Ehrung der Meisterlichkeit stehen Verdienste und Lebenswerk längst fest. Entsprechend richtet sich die Selektivität der Beiträge entweder auf Weiterführungen der Themen durch ‚Erben‘ und ‚Nachfolger‘ oder auf Kommentare anderer Größen des Faches in der Form eines Symposions.
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Als Nestor – ursprünglich ein besonders langlebiger und redegewandter Held der Ilias und Odyssee – wird der älteste oder ein besonders anerkannter Vertreter eines akademischen oder künstlerischen Faches bezeichnet (Duden 1990, S. 530).
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Ein letzter hier anzuführender und die Beziehung zwischen Festschriftinitiator(inn)en und Geehrten charakterisierender Aspekt in Vorworten besteht in Aussagen über Charaktereigenschaften der bedachten Person. Hierbei fallen drei Themenschwerpunkte ins Auge: Erstens gibt es Beschreibungen der Lehrpersönlichkeit, die in der Nennung von Charakterzügen bestehen, über welche sich das asymmetrische Verhältnis zwischen den Herausgebenden und der geehrten Person in der professionell-akademischen Interaktion beschreiben lässt. Zweitens wird die zu ehrende Person in ihrer Beziehung zur Fachkultur – als Fachpersönlichkeit – ausgewiesen. Und drittens werden Charaktereigenschaften benannt, die einen eher informellen oder privaten Ausblick auf die Gesamtpersönlichkeit dieser Bezugsperson ‚als Mitmensch‘ geben. Die Charakterisierung der Lehrpersönlichkeit lässt sich ihrerseits wieder in drei typische Ausprägungen differenzieren, deren erste als disziplinierend beschrieben werden kann. Gemeint sind damit Zuschreibungen wie, dass die zu ehrende Person immer auf eine streng wissenschaftliche Vorgehensweise Wert gelegt oder stets zur kritischen Reflexion jedweder Aussage gemahnt habe. Eine weitere Ausprägung lässt sich als distinguiert bezeichnen. Hier wird beispielsweise der Gewohnheit Anerkennung gezollt, Studierende als Zaungäste bei der Entstehung von Ideen zusehen zu lassen oder soziale Phänomene immer wieder in Bezug auf literarische Klassiker zu illustrieren, wodurch ein umfassendes Allgemeinwissen zur Schau getragen wird. Der dritte Subtypus der Lehrpersönlichkeit bezeichnet ein integratives Verhalten. Er markiert das Gegenteil des Distinguierten, indem er darauf verzichtet, sich durch die Zurschaustellung kulturellen Kapitals abzuheben. Der integrative Typ gilt als kollegial, mitreißend und überzeugend.
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Mit Blick auf die Fachpersönlichkeit lassen sich andere Relevanzen erkennen. So können zunächst die Dimensionen einer Professionsorientierung und einer Erkenntnisorientierung unterschieden werden. Die Professionsorientierung, die sich auf die der Persönlichkeit beigemessene Praxis ihrer professionellen Beziehungs- oder Netzwerkarbeit bezieht, ist bestimmbar durch eine expansive Haltung, wenn der oder dem Geehrten eine offene Haltung gegenüber anderen Fachkollegen attestiert wird. Dies geht beispielsweise mit einer Sachorientierung einher, die gegenüber fach- oder themenstrategischer Abgrenzung bevorzugt wurde. Dazu gehört der sprichwörtliche Blick über den Tellerrand, der sich beispielsweise in dem mit Weltoffenheit assoziierten Begriff des Kosmopolitischen manifestiert. Sie ist demgegenüber auch durch eine konsolidierende Haltung bestimmbar, wenn die professionsspezifische Beziehungsarbeit eher auf die Binnenstrukturen einer konkreten Gruppe gerichtet ist, deren Arbeitsweise und Struktur gegen andere Gruppen abgegrenzt wird. Verdienste in dieser Richtung werden mit Schulenbildung und explizierter Schulenzugehörigkeit beschrieben. Formen der Erkenntnisorientierung können dagegen traditionsorientiert sein, wenn etwa auf die Orientierung an den Klassikern des Faches oder am Kanon besonderer Wert gelegt wird. Sie können auch diszipliniert sein, wobei das Bekenntnis und die Verpflichtung auf Stringenz, Genauigkeit und Nachvollziehbarkeit der Gedanken im Mittelpunkt steht. Schließlich kann Erkenntnis auch einstellungsorientiert sein, wenn die je eigene Idee von Fachlichkeit in jeder Konversation und Diskussion zum Ausdruck gebracht wird: Soziologie als wissensspezifische Grundeinstellung. Während die Lehrpersönlichkeit eine spezifisch akademische Wirkungsbeziehung zwischen einer oder einem Etablierten und einer Reihe von Adepten charakterisiert, sind Aussagen im Hinblick auf
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allgemeine Persönlichkeitseigenschaften oder die Gesamtpersönlichkeit – zumal im Kontext der Ehrung – anders nuanciert. Hier geht es um eine Perspektive auf ‚den Menschen‘, also darauf, wie die geehrte Person aus Sicht der ihr nun Huldigenden beschrieben werden kann. Auch diese Informationen sind aufschlussreich. Obwohl sie kaum ungünstig ausfallen, geben sie Auskunft über den Blick auf eine Person, die mit einer Festschrift zu ehren ist. Dahinter verbirgt sich die Frage, ob diese Form der Gabe nur bei bestimmten Persönlichkeitseigenschaften praktiziert wird. Im Vordergrund steht freilich nicht nur die Rekonstruktion eines Persönlichkeitstypus, sondern von Charaktereigenschaften, die in der jeweiligen Fachkultur zur Gabe zu veranlassen scheinen. Die im Untersuchungsmaterial vorfindliche Liste an Eigenschaften lässt sich auf eine Reihe von Merkmalen verdichten, von denen einige die zwei Seiten des Erhabenen zu repräsentieren scheinen: das Schöne und das Schreckliche. So lassen sich unter der Eigenschaft der Agilität sowohl Sportlichkeit als auch Rastlosigkeit rubrizieren. Das Unkonventionelle spannt sich auf zwischen dem Verspielten und der Spinnerei oder das Streitbare zwischen dem Dogmatischen und heilsamer Skepsis. Weitere Aspekte, die keine Licht- und Schattenseite aufweisen sind Perfektionismus, Unbeirrbarkeit, Besonnenheit und Offenheit für Neues. Diese Eigenschaften können als ehrungsrelevante Charakterzüge in der soziologischen Fachkultur auf zwei Grundlinien, nämlich Zielstrebigkeit (Agilität, Unbeirrbarkeit, Streitbarkeit, Perfektionismus und Besonnenheit) und Offenheit (Neugier und Unkonventionalität) verdichtet werden. Welche Muster bemühen also Festschriftengeber(innen) im Hinblick auf eine(n) durch eine Festschrift zu Ehrende(n) innerhalb der soziologischen Fachkultur? Infolge der hier angestellten Sichtung lassen sich zwei Grundmotive der Ehrung durch eine symbolisch-rituelle Gabe
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im Relevanzspektrum wissenschaftlicher Kommunikation unterscheiden. Beide Motive entsprechen der Dankbarkeit, wobei das eine die Dankbarkeit der ‚Familie‘, also des unmittelbaren, kollegialen Netzwerks charakterisiert, für das der oder die zu Ehrende eine besondere Bedeutung hat. Es geht hier um die Stammeskultur des Clans oder der kleinen Gruppe. Die Dankbarkeit der ‚Profession‘ ist demgegenüber distanzierter und ‚größer‘, da sie den Kreis der nächsten Beziehungen auf das gesamte Fach erweitert. Die Ehrung bezieht sich dann auf die unbestrittene Leistung des Nestors beziehungsweise der Nestorin für das gesamte Fach. Die Festschrift als Gegengabe dürfte im ersten Fall der Dankbarkeit häufiger auftreten als im zweiten. Bei Mehrfachgaben – zu späteren Jubiläen – mag es vorkommen, dass sich zum 65. Geburtstag die ‚Familie‘ bedankt und zum 70. oder 80. die Profession. Aus Sicht der mit der Herausgabe Beauftragten ändert sich damit die Form der Selektivität in Bezug auf die inhaltliche Ausrichtung – Kohärenz und Stringenz – der Festschrift ebenso wie mit Blick auf die anzufragenden Beiträge. Die in der Diskussion über Festschriften aufgeworfene Frage nach der Rechtfertigung von Mehrfachehrungen durch Festschriften erscheint vor diesem Hintergrund in einem völlig anderen Licht.
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Fazit: Die Festschrift als wissenschaftliches Tributsystem
Die These von der Festschrift als wissenschaftlichem Tributsystem orientiert sich an der Theorie der Gabe. Dass es sich gerade im Kontext moderner Wissenschaft um ein stammesgesellschaftliches Relikt handeln
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könnte, liegt dabei ebenso auf der Hand wie die Vermutung, dass es überall, wo soziale Beziehungen oder Relationen anzutreffen sind, Institutionen der Systemerhaltung bedarf. Im Gegensatz zur Autopoiesis eines sachbezogenen wissenschaftlichen Kommunikationssystems, dessen Operationen enden, sobald keine Anschlusskommunikation erfolgt, konstituiert sich Wissenschaft bekanntermaßen auch durch Gruppenstrukturen, die mit den fachspezifischen Inhalten nicht viel zu tun haben. Sieht man von der wissenschaftssoziologischen Perspektive ab, die sich mitunter solchen Phänomenen zuwendet, sind diese Praktiken und Institutionen ein blinder Fleck des Wissenschaftsbetriebs. Die anhaltende Irritation über die Festschrift und die beharrlichen Versuche, sie in den Wahrnehmungsbereich wissenschaftlicher Inhalte zu ziehen, zeugt von einem solchen Reflexionsdefizit. Es ist der Charakteristik der Gabe im Kontext von Academia geschuldet, dass das zunächst als Gegengabe und als solche zu genießende Dankbarkeitssymbol nicht als müßiges Opfer mit der Auflagenhöhe ‚eins‘ überreichte Werk als Bouquet zunächst ziert und dann verblüht. Die Festschrift erhält, indem sie als wissenschaftliche Publikation verteilt und rezipiert wird, eine zweite Bedeutung. Sie bleibt nicht die Gabe eines Kollektivs an eine Einzelperson, sondern wird, indem sie sich unter die Sammelbände einreiht, zu einer Leistung eines kleinen Kollektivs für die Scientific Community. Erst in der späteren Bewertung dieser Transformation mag sich dann erweisen, ob das Tributsystem zu einem Garten oder Friedhof der Gelehrsamkeit geführt hat. Aufschlussreich für die weitere Festschriftenforschung ist nunmehr der fachkulturelle Vergleich der Formen und Funktionen des Zustandekommens der Gabe. Ob sich diese Ehrung dann auch noch langfristig als Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion erweist, ist für das Verständnis dieses soziokulturellen Phänomens von nachgeordnetem Interesse.
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Die Festschrift als wissenschaftliches Tributsystem
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Gravitationszentren der deutschen Soziologie. Eine explorative Studie über das Potential von Festschriften als soziologiegeschichtliche Quelle Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries
1
Einleitung
Wissenschaft wird in überwiegenden Teilen der Wissenschaftsforschung nicht nur als ein epistemischer Wissensverbund, sondern vor allem auch als ein soziales Gefüge begriffen. Bereits Ludwik Fleck wies in seiner klassischen Studie darauf hin, dass die Zugehörigkeit zu einem Denkkollektiv und dem durch es repräsentierten Denkstil mit „Denkzwänge[n]“ (Fleck 2012, S. 131) einhergehe, die sich Wissenschaftler*innen im Zuge ihrer fachlichen Sozialisation aneignen und die letztlich Voraussetzung für ihre Initiation in das Kollektiv sind. Dies bedeutet, sich einer „spezifischen Kollektivstimmung zu fügen“ (ebd., S. 287), die als „Stimmungskameradschaft“ und mittels „Denksolidaritäten“ (ebd., S. 140) die Kohäsion des Kollektivs bewirkt. Dieser grundlegende Gedanke spielt auch in den meisten anderen Konzeptionen der Sozialformen von Wissenschaft eine zentrale Rolle, seien es wissenschaftliche Schulen (Szacki 1981; Tiryakian 1981) oder scientific communities (Kuhn 1976), Wissenskulturen (Knorr-Cetina © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Hannappel und F. Fries (Hrsg.), Die Freunde der italienischen Oper, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30529-1_3
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Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries
2002; Keller und Poferl 2018) oder epistemische Gemeinschaften (Haas 1992; Gieryn 1999), invisible colleges (Crane 1972) oder akademische Stämme (Becher 1989). Einer Vielzahl dieser Ansätze gemein ist ferner, dass sie Wissenschaft als einen Kommunikationszusammenhang begreifen, der nicht nur die Kanonisierung und intergenerationelle Weitervermittlung von Wissen – gerade auch hinsichtlich spezifischer Normen zu legitimen Forschungsgegenständen und -methoden oder den akademischen Spielregeln im Allgemeinen – sicherstellt, sondern der auch Reputation und Karrierewege reguliert. Ins Negative gewendet, wird hier nach unsichtbaren und informellen ‚Seilschaften’ in Form von Zitationskartellen, Gefälligkeitsgutachten oder ‚Vitamin B’ etwa bei Stellenbesetzungen gesucht, d.h. nach „scheinbar mafiösen Beziehungsnetzen“ (Klausnitzer 2014, S. 12) oder eben den titelgebenden „Freunde[n] der italienischen Oper“. Um sich diesem Gegenstand, der genuin sozialen Logik in der Wissenschaft, zu nähern, greift der herkömmliche Indikator für Beziehungen in der Wissenschaft, nämlich Ko-Autorenschaft (vgl. Heinze 2012, S. 192), zu kurz, ist er doch (noch) zu sehr mit der kognitiven Produktion von Wissenschaft verknüpft. Demgegenüber richten wir in diesem Beitrag unsere Aufmerksamkeit auf eine Datenquelle, die, wissenschaftlich gesehen, zwar wenig geneigt ist, Anerkennung anzuziehen, aber umso mehr über Beziehungsgefüge aussagen mag: die akademische Festschrift. Unabhängig davon, dass sie nur für einen äußerst limitierten Ausschnitt wissenschaftlicher Kommunikation steht, sind Festschriften dadurch interessant, dass sie etwas ganz anderes leisten: Sie versammeln nämlich Autor*innen, für welche die zu ehrende Person wissenschaftsbiographisch wichtig geworden ist. Damit symbolisieren Festschriften nicht nur soziale Beziehungen, die Beiträge sind sogar selbst ein Teil von deren Ökonomie (Mauss 1990; Dimbath in diesem Band).
Gravitationszentren der deutschen Soziologie.
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Vorausgesetzt, man sammelte alle erschienenen Festschriften einer Disziplin: Ließen sich dann die sozialen Bindungen in einem Fach empirisch erheben? Und ließe sich darüber vielleicht auch ihr Anteil an der Konstitution dieser Wissenschaft bestimmen? Im Folgenden werden wir für die deutsche Soziologie zeigen, dass Festschriften ein interessantes Potenzial zur Deskription und relationalen Analyse sozialer Formationen des Faches haben. Hierbei war unsere Analyse explorativ angelegt, d.h. sie verlief offen und hatte deshalb auch zunächst einmal ihren eigenen Weg zu sondieren (Kleining 2001). Dies schlägt sich im vorliegenden Beitrag darin nieder, dass er noch nicht an allgemeinen Theorieproblemen der Wissenschaftssoziologie orientiert sein kann. Vielmehr ist er zuerst an der Frage interessiert, wie man von Festschriften zu sozialen Strukturen kommt und wie diese dann interpretiert werden können. Auch wenn wir hierbei über unseren empirischen Gegenstand zu interessanten soziologiegeschichtlichen Einblicken gelangen, erheben wir aus noch zu erläuternden Gründen nicht den Anspruch, eine abschließende Analyse mit beständigen Ergebnissen vorzulegen. Stattdessen handelt es sich um einen ersten Vorstoß zur Etablierung von Festschriften als soziologiegeschichtlicher und darüber hinaus ebenso als wissenschaftssoziologischer Datenquelle. Wenn wir uns nun für soziale Formationen in der deutschen Soziologie interessieren (und damit zumindest am Horizont auch die Frage nach ihrer Formierungskraft aufscheint), dann schicken wir schon hier voraus, dass wir nicht erwarten, dass soziale und kognitive Strukturen zwingend ineinander aufgehen, dass sie also auf die eine oder andere Weise bruchlos aufeinander zurückführbar sind (Mische 2011). Diese Erwartung stützt bereits ein kursorischer Blick auf die Gattung Festschrift. So versammeln personengebundene Festschriften zwar Beiträge von Personen, die allesamt mit der geehrten Person in einer mehr oder minder intensiven
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Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries
Sozialbeziehung stehen. Es kann sich hierbei aber sowohl um Schüler*innen und Protegés, kollegiale Wegbereiter*innen und begleitende als auch um Konkurrent*innen und sogar Vertreter*innen anderer, einander negierender Denkstile handeln. Um den Wert von Festschriften zur Untersuchung von sozialen Bindungen in der deutschen Soziologie zu ermitteln, werden wir zunächst einige für die strukturelle Betrachtung notwendige Grundbegriffe und methodische Prinzipien rekapitulieren (2). Ausgehend von bestehenden bibliometrischen Verfahren entwickeln wir hier ein Vorgehen zur Übersetzung der Festschriften in eine Datenbank und ihre anschließende Verarbeitung im Rahmen einer Netzwerkanalyse. Danach folgt eine umfassende Darlegung der empirischen Ergebnisse (3). Dabei beschreiben wir zuerst das Gesamtnetzwerk, wie es sich in den erfassten Festschriften widerspiegelt. Danach widmen wir uns – darin durchaus der explorativen Intention dieses Beitrags folgend – einer Interpretation nicht aller, sondern nur ausgewählter Formationen. Der Text schließt mit einer Diskussion, in der sowohl grundsätzliche Ergebnisse auf die Fragestellung rückbezogen werden als auch das erprobte Vorgehen methodische Reflexion erfährt (4). Im Zuge dessen sprechen wir uns auch für die Verwendung von Festschriften als Quelle zur Untersuchung von fachgeschichtlichen Strukturen und Entwicklungen aus.
Gravitationszentren der deutschen Soziologie.
2
Methode
2.1
Bibliometrische Netzwerkanalyse
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Gegenstand bibliometrischer Analysen ist zunächst die Erforschung bestimmter Merkmale von Publikationen (Havemann und Scharnhorst 2010, S. 799). Ein einfaches Beispiel ist das Bücher-Bestsellerranking des SPIEGEL: Darin werden Bücher in Abhängigkeit ihrer Verkaufszahlen in eine hierarchische Ordnung gebracht. Das Ranking gibt daher zunächst nur die Information, welche Bücher innerhalb eines bestimmten Zeitraumes am häufigsten verkauft wurden. Kaufinteressierte neigen dazu, diese Maßzahl als Qualitätskriterium zu interpretieren. Die Vorstellung dahinter: Bücher, die viel gekauft wurden, werden auch viel gelesen und wahrscheinlich auch für hochwertig empfunden. Bibliometrische Analysen werden als szientometrisch bezeichnet, wenn sie ausschließlich wissenschaftliche Publikationen analysieren und das Ziel verfolgen, wissenschaftliche Forschungen bzw. deren Qualität quantitativ zu bewerten. Verschiedene Indizes, wie bspw. der Science Citation Index, sollen dabei helfen, die wissenschaftliche Reputation von Wissenschaftler*innen sichtbar zu machen, wobei die Operationalisierung entlang der Anzahl der auf sie verweisenden Zitationen erfolgt. Auch hier gilt die Maßzahl als Qualitätskriterium, da, so die Grundannahme, höchstwahrscheinlich nur solche Werke häufig zitiert werden, die von bestimmter wissenschaftlicher Relevanz sind. Sollte sich unter den vielzitierten Werken tatsächlich eines befinden, das massenhaft als schlechtes Beispiel für ein bestimmtes Forschungsgebiet angeführt wird, so könnten sich die Verfassenden trotzdem über einen hohen Indexwert freuen. Ergänzt man diese Analysen durch die Idee der Netzwerkanalyse, so verschiebt sich das Forschungsinteresse von den Merkmalen der
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Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries
Publikationen sukzessive zu den Verbindungen zwischen ihnen. Netzwerkanalysen interessieren sich daher für relationale Strukturen, wobei ein Zitationsindex auch bereits relationale Strukturelemente enthält, da er eine Verweisungsbeziehung zwischen Autor*in und zitiertem Werk/Autor*in/Autor*innenkollektiv anzeigt. Typische Fragen von Netzwerkanalysen sind daher solche, welche strukturellen Beziehungen zwischen den Entitäten eines Netzwerkes vorherrschen und wie einzelne Entitäten in ein Netzwerk eingebunden sind (Albrecht 2010, S. 125). Übertragen auf personenbezogene bibliometrische Netzwerkanalysen beziehen sich diese Fragen auf Autor*innen: Wie sind diese innerhalb eines Netzwerkes vernetzt und, damit zusammenhängend, welchen Einfluss haben bestimmte Autor*innen in einem wissenschaftlichen Feld? Diese Fragen werden bearbeitet, indem bestimmte Merkmale von Publikationen (Titel, Name des Urhebenden, Schlüsselbegriffe, etc.) ausgewertet werden. D. h. aber auch, dass die Datenquelle von bibliometrischen Netzwerkanalysen immer Publikationen sind, also Zeitschriftenaufsätze, Beiträge in Sammelbänden, Konferenzbeiträge etc. Mit der Auswertung alleine ist allerdings noch keine Netzwerkstruktur gegeben. Diese entsteht erst, wenn verschiedene Dokumente miteinander verknüpft werden. Die Dokumente können über verschiedene Merkmale miteinander verbunden sein. Werden Personennetzwerke in den Fokus gerückt, dann sind einzelne Dokumente über spezifische Personen miteinander verknüpft, d. h. sobald bspw. eine Ko-Autor*innenbeziehung vorliegt, besteht eine Verbindung zwischen zwei Personen. Publiziert ein*e Autor*in mehrere Beiträge mit unterschiedlichen Personen, so kann publikationsübergreifend ein persönliches Netzwerk hergestellt werden.
Gravitationszentren der deutschen Soziologie. 2.2
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Begriffe und Maßzahlen der Netzwerkanalyse
Netzwerkanalysen basieren auf graphentheoretischen Modellen (Holzer 2009: S. 345 ff., Brandes 2010). Daraus resultiert auch eine eigene Begrifflichkeit zur Beschreibung der Netzwerkstruktur sowie eigens für die Netzwerkanalyse entwickelte Maßzahlen.
Abbildung 3: Knoten und Kanten im Netzwerk Quelle: Hannappel und Canolli 2020, S. 64
Netzwerke bestehen aus Knoten (nodes oder auch vertices) und Kanten (edges oder auch tiles) (Brandes 2010). Was die Knoten innerhalb eines Netzwerkes repräsentieren, ist abhängig von der Forschungsfrage, d. h. Knoten können Personen, Firmen, Gemeinden, ganze Länder aber auch Schlüsselbegriffe von Zeitschriftenbeiträgen, Moleküle etc. repräsentieren. Sind die Knoten, wie in unserem Netzwerk, Autor*innen, dann stellen die Kanten die Verbindungen zwischen ihnen dar. Diese Verbindung ist in unserem Fall darauf zurückzuführen, dass ein*e Autor*in in einer Festschrift einen Aufsatz publiziert hat. Die Kanten sind daher als eine Verbindung zwischen eine*r Autor*in und der zu ehrenden Person zu verstehen. Erst wenn ein*e Autor*in in mehreren Festschriften Beiträge verfasst hat, findet eine Einbettung in ein größeres Netzwerk
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Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries
statt. Da sich das Datenmaterial im vorliegenden Fall aber ausschließlich aus Festschriften zusammensetzt, zeigt unser Netzwerk immer nur die Verbindung zwischen den Autor*innen und der zu ehrenden Person. Verbindungen zwischen Autor*innen existieren daher nur indirekt, d. h. über die zu ehrende Person. Das gesamte Netzwerk, die Summe von Knoten und deren Verbindungen, wird schließlich als Graph bezeichnet. „Social and other networks are conveniently described as a graph G = (V, E), where the set V of vertices represents actors, and the set E of edges represents links between actors.“ (Brandes 2001, S. 164) Die Netzwerke können nun darin unterschieden werden, ob es sich um symmetrische oder asymmetrische handelt. In symmetrischen Netzwerken erhält die Richtung der Beziehung keine Bedeutung. Es wird lediglich festgestellt, dass zwei Akteure miteinander verbunden sind. In asymmetrischen Netzwerken spielt die Richtung hingegen eine wichtige Rolle, d. h. zwischen zwei Akteuren besteht eine Sender-Empfänger-Beziehung. Das Autor*innennetzwerk der Festschriften ist demnach ein asymmetrisches Netzwerk. Es gibt erstens Autor*innen, die Festschriftbeiträge verfasst haben, zweitens solche, die Empfänger einer Festschrift waren, und drittens solche, die sowohl Empfangende einer Festschrift als auch Autor*innen eines Festschriftenbeitrags waren. In asymmetrischen Netzwerken kann daher zwischen dem sogenannten Out-Degree und dem In-Degree unterschieden werden (siehe Abbildung 2). Diese Maßzahlen geben Informationen über die Anzahl der Beziehungen eines Knotens in einem gerichteten Netzwerk (Mutschke 2010, S. 367). Während der In-Degree (Innengrad) die Anzahl der eingehenden Beziehungen misst, repräsentiert die Maßzahl Out-Degree (Außengrad) die Zahl der ausgehenden Beziehungen (siehe Abbildung 5). Die Summe beider Maßzahlen wird als Degree bezeichnet. Übertragen auf
Gravitationszentren der deutschen Soziologie.
63
das vorliegende Netzwerk steht Out-Degree für die Zahl der Beiträge, die ein*e Autor*in in Festschriften verfasst hat und der Innengrad zeigt für eine zu ehrende Person (Knoten) die Zahl der Autor*innen (Kanten) an, die für sie einen Beitrag verfasst haben. Wichtig ist, dass der Out-Degree nicht zwingend die Zahl der Beiträge bezeichnet, da ein Beitrag auch von mehr als eine*r Autor*in verfasst werden kann, der dann beiden jeweils einmal zugerechnet wird.
Abbildung 4: In- Degree und Out-Degree
Eine Person kann in unserem Netzwerk zwei Rollen einnehmen. Sie kann zum einen als Autor*in einen Festschriftbeitrag (mit-)verfasst haben; dann liegt für sie nur ein Wert für den Out-Degree vor. Sie kann aber auch selbst Adressat*in einer Festschrift sein; in diesem Fall liegen für diese Person beide Maßzahlen vor (siehe Abbildung 3).
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Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries
Abbildung 5: Rollen im Netzwerk
Wir werden uns innerhalb der Netzwerkanalyse auf den Out-Degree konzentrieren. Er bietet sich für unser Forschungsinteresse deshalb an, da er die Anzahl der Beiträge misst, die ein*e Autor*in für Festschriften anderer Personen verfasst hat. Der In-Degree ist aus unserer Sicht weniger geeignet, da ein hoher In-Degree-Wert einer Person dadurch zustande kommt, dass in der ihr gewidmeten Festschrift besonders viele Autor*innen Beiträge verfasst haben, also letztlich vom Umfang der Festschrift abhängig ist. Da zudem der weit überwiegende Anteil der Autor*innen nur einen Festschriftenbeitrag verfasst, lässt sich der OutDegree als Gradmesser des persönlichen Gewichts interpretieren, den ein*e Autor*in im Festschriftenuniversum und vielleicht auch in der Soziologie insgesamt einnimmt. Nun lässt sich darüber streiten, ob die Tatsache, dass jemand mehrere Festschriftenbeiträge verfasst hat, schon zur Bestimmung der sozialen Etablierung dieser Person in der Soziologie ausreichen kann. Schließlich könnten hierfür noch andere Indikatoren wichtig sein, wie z.B. die Ausübung von Ämtern in Fachvereinigungen, Gutachtertätigkeit oder die Herausgeberschaft von Fachzeitschriften oder -buchreihen. Gleichzeitig muss bei der Zurechnung der Bedeutung in der
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Soziologie über den Out-Degree in Festschriftpublikationen die soziale Logik der Festschriftenentstehung mitbedacht werden. Da die Herstellung einer Festschrift zwangsläufig mit starker Exklusivität einhergeht, hierbei aber vornehmlich den Pfaden des egozentrischen Netzwerks um die zu ehrende Person herum als Auswahlkriterium gefolgt wird, muss nach unserem Dafürhalten für die Zurechnung von Bedeutung in der Disziplin als Ganzer zu eine*r Beitragenden die Mindestschwelle der Aggregation von Festschriftenbeiträgen überschritten sein. Deshalb halten wir es für sinnvoll, den Bedeutungsgrad von Beitragenden erst ab einer Maßzahl des Out-Degree von 2 beginnen zu lassen. Bedeutsam werden die Autor*innen im Netzwerk damit erst dann, wenn sie mehr als einen Festschriftbeitrag verfasst haben, während ihre Bedeutung im Netzwerk danach kumulativ mit der Zahl der Beiträge und der Zahl derjenigen, denen sie einen Beitrag gewidmet haben, steigt.1 Neben dem Out- und In-Degree bieten sich zur umfassenderen Beschreibung der Bedeutung einzelner Autor*innen in einem Netzwerk weitere Maßzahlen an. Mutschke (2010) unterscheidet hier zwischen Maßzahlen der Zentralität und des Prestiges. Drei weitere wichtige Zentralitätsmaße sind die Closeness Centrality, Betweenness Centrality und die Eigenvector Centrality. Erstere ist ein Maß für die Nähe zwischen Knoten (ebd., S. 367). Hohe Werte erhalten in unserem Netzwerk Autor*innen, die sich durch kurze Distanzen zwischen den verschiedenen Knoten auszeichnen. Betweenness Centrality quantifiziert dagegen die Einflussmöglichkeit eines Akteurs in einem Netzwerk. Die Maßzahl wird aus der Häufigkeit berechnet, in der ein Akteur innerhalb eines Netzwerkes eine intermediäre Rolle einnimmt, d. h. auf dem Weg 1
Dies spiegelt sich in unserer Analyse (siehe Abschnitt 3 Ergebnisse) insofern wider, als wir nach der Präsentation des Gesamtnetzwerks aus den Festschriften eine Darstellung als Grundlage der Interpretation nehmen, die nicht nur der Übersichtlichkeit wegen um jene Autor*innen reduziert ist, die nur einen Festschriftenbeitrag verfasst haben.
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Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries
zwischen zwei Akteuren liegt (vgl. Newman 2010, S. 185). Eigenvector Centrality berücksichtigt schließlich bei der Berechnung der Bedeutung eines Knotens die Relevanz der benachbarten Knoten. „[E]igenvector centrality gives each vertex a score proportional to the sum of the scores of its neighbors.“ (ebd., S. 171) Ein Knoten erhält somit einen umso höheren Wert, je größer der Wert des benachbarten Knotens ist (Lerner 2010, S. 364). Für unsere Analyse sind die wichtigsten Maßzahlen der Out-Degree und die Eigenvector Centrality. Über diese Maßzahlen erhalten wir die Informationen, wie stark die einzelnen Autoren in das Netzwerk der Festschriftenpublikationen eingebunden sind.
2.3
Der Datensatz
Unsere Datenerhebung zielte darauf ab, einen Datensatz zu erstellen, der möglichst viele Festschriften umfasst, welche einer Person der deutschsprachigen Soziologie zugeeignet wurden. Während andere wissenschaftliche Disziplinen Übersichten über jährlich veröffentlichte Festschriften pflegen, existieren für die deutschsprachige Soziologie keine derartigen Übersichtstabellen oder -publikationen. Daher musste eine entsprechende Liste erst durch eigene Recherche angelegt werden. Eine Hürde dabei war, dass nicht jede Festschrift auch diesen Begriff oder gleichsinnige wie „Beiträge zu Ehren von” oder “zum [...]. Geburtstag” im Titel bzw. Untertitel anführt. Abfragen der Datenbank des Karlsruher Virtuellen Katalogs ergaben zwar eine ganze Reihe von Treffern, viele Festschriften können so aber nicht recherchiert werden. Deshalb blieb vertieftes historisches Wissen um das Personal der deutschsprachigen Soziologie und die systematische Suche nach Festschriften von uns
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bekannten Personen, allen voran (ehemaligen) Inhaber*innen von soziologischen Lehrstühlen, unerlässlich. Über mehrere Monate hinweg konnten wir so Einträge für eine Datenbank zusammentragen. Die älteste Festschrift, die wir bisher recherchieren konnten, stammt aus dem Jahr 1924, die jüngste aus dem Jahr 2020. Unsere Datenbank erstreckt sich somit über einen Zeitraum von fast 100 Jahren. Sie enthält bisher 2772 identifizierte Festschriften und 47003 erfasste Personen. Wir glauben, dass dieses Material eine hinreichende Anzahl an Festschriften und Beitragenden enthält, auf deren Basis wir zumindest schon einmal einen ersten, aber einigermaßen gesicherten Blick auf das Bindungsgefüge der deutschsprachigen Soziologie werfen und dieses einer explorativen Analyse zuführen können. Unsere Datenbank kann aber noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, denn eine ganze Reihe von Festschriften fehlt uns noch. Stärkere Lücken verzeichnen wir aktuell noch besonders für die österreichische und schweizerische Soziologie sowie allgemein für Festschriften aus der Vorkriegszeit. Deshalb kann unsere Datenbank zum derzeitigen Stand hauptsächlich Auskunft über die deutschsprachige Soziologie geben, wobei der Schwerpunkt auf der bundesrepublikanischen liegt. War eine Festschrift erkannt, war es notwendig, die Namen der Festschrift-Beitragenden zu ermitteln. Dazu konnten in sehr vielen Fällen digitalisierte Inhaltsverzeichnisse aus den diversen Bibliothekskatalogen und Internetarchiven genutzt werden. Waren Inhaltsverzeichnisse nicht
2 Darunter befinden sich auch zwei Gedenkschriften. Im Fall Horst Reimanns machte dessen plötzlicher Tod die geplante Festschrift zur Gedenkschrift, im Fall Walter L. Bühls erschien sie zum ersten Jahrestag nach dem Tode und zeigt die gleichen Zeichen sozialer Verpflichtungsgefühle unter Schüler*innen, Kolleg*innen und Weggefährt*innen wie eine Festschrift. 3 Diese Zahl umfasst auch die zu ehrenden Personen, die nur Empfangende einer Festschrift sind, selbst aber keinen Beitrag für eine Festschrift verfasst haben, also einen In-Degree größer oder gleich 1 und einen Out-Degree von 0 aufweisen.
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Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries
abrufbar, suchten wir der Informationen habhaft zu werden, indem wir Magazinbestellungen aufgaben, Institutsbibliotheken aufsuchten, Herausgebende mit der Bitte um Zusendung des Inhaltsverzeichnisses anschrieben oder Fernleihwünsche aufgaben. Dieser Beschaffungsprozess ist jedoch durch die Schließung der Bibliotheken aufgrund der Covid-19Pandemie jäh zum Erliegen gekommen. In der Folge standen der Netzwerkanalyse zunächst 264 Festschriften, deren Beitragende vollständig erfasst sind, zur Verfügung. Für unsere Analyse haben wir nicht den vollständigen Datensatz verwendet, sondern auf einen Auszug der Jahre 1987 bis 2020 zurückgegriffen. Der Schnitt unterhalb des Jahres 1987 ergab sich infolge unserer explorativen Haltung zunächst auf empirischem Wege bei der Sondierung möglichst prononcierter Netzwerkstrukturen. D.h., die Berücksichtigung aller gefundenen Festschriften ergab ein nur unübersichtlicheres Bild ohne gleichzeitige Herausbildung neuer Strukturen mit gewissem Kondensierungsgrad. Aber auch in soziologiegeschichtlicher Hinsicht ist dieser Ausschnitt nicht unplausibel. Stellt man in Rechnung, dass Festschriften nicht vor dem Jubiläum des 60. und meistens erst ab dem 65. Lebensjahr anfallen, erfasst der gewählte Ausschnitt definitiv all jene zu ehrende Personen mit einem Geburtsjahr von 1927 und aufwärts. Damit wird nicht nur im Groben das Personal ab der zweiten Generation der bundesrepublikanischen Soziologie, sondern insbesondere auch der Ausbau der Soziologie an den deutschen Universitäten abgedeckt, der den relativ überschaubaren Kreis der Lehrstuhlinhabenden der Nachkriegszeit ebenso in der Personenzahl überwand und so die Voraussetzungen für eigene “[f]eldspezifische Dynamiken” (vgl. Moebius 2018, S. 255) in der Soziologie schaffte. Dieser Kohorteneffekt zeigte sich mit zu erwartender Verzögerung auch bei der Verteilung der Festschriften über die Erscheinungsjahre hinweg
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dahingehend, dass in dem von uns gewählten 33-jährigen Analyseausschnitt schon 191 von 264 Festschriften, also rund 72 Prozent aller analysierbaren Fälle, liegen (vgl. die Einleitung in diesem Band). Eine Begrenzung des Betrachtungszeitraumes von weniger als den rund 100 ermittelten Jahren soziologischen Festschriftenwesens mag schließlich noch vor dem Hintergrund üblicher, d.h. eben begrenzter, Lebens- und Schaffenszeiten sinnvoll sein, zumindest für die hier angestrebte beziehungssondierende Beschäftigung. Denn wohl schon aufgrund der Festlegungskraft der Biologie geborener und sterblicher Körper ist es schlechterdings unmöglich, dass z.B. Robert Michels und eine heutige Lehrstuhldoktorandin überhaupt eine Festschriftenbeziehung haben können, weswegen weder aus deren Absenz noch aus deren Präsenz irgendein interpretativer Mehrwert zu ziehen wäre. Um die Grundlage unserer nachfolgenden Analyse nachvollziehbar zu machen, stellen wir den verwendeten Datensatz online zur Verfügung4. Dort können alle recherchierten Daten eingesehen und bearbeitet werden. 2.4
Die Software
Um die Ergebnisse der Analysen besser nachvollziehen zu können und deren Replizierbarkeit für Interessierte zu ermöglichen, werden wir im Folgenden noch kurz die Software und wichtige Einstellungen dokumentieren. Wir haben für unsere Analysen das Programm Gephi5 verwendet. Die Stärke von Gephi liegt vor allem in der Visualisierung von Netzwerkdaten. Auch wenn die statistischen Kennziffern das entscheidende Kriterium zur Beschreibung der Netzwerkstruktur sind, hilft die Visualisierung, sowohl die einzelnen Netzwerkcluster als auch 4
Der Datensatz sowie die Programmdatei sind unter folgendem Link als Download verfügbar: https://marchannappel.de/gravitationszentren-der-deutschen-soziologie/ 5 https://gephi.org
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Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries
die Bedeutung einzelner Autor*innen innerhalb der Netzwerkcluster auch sichtbar zu machen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass bei der Visualisierung, wie bei allen anderen statistischen Visualisierungen, die Auswahl der Darstellungsmethode einen entscheidenden Einfluss auf die über die Visualisierung transportierten Informationen hat. Wir haben uns für eine Darstellungsmethode entschieden, die in Gephi über Algorithmen hergestellt wird, welche die Clusterbildung des Netzwerkes besonders deutlich hervorbringt. Die Ergebnisse der statistischen Maßzahlen werden dadurch aber nicht beeinflusst, sodass es hier lediglich um eine möglichst gute Darstellung der Netzwerkcluster im Sinne unseres Erkenntnisinteresses geht. Dafür haben wir in Gephi folgende Einstellungen vorgenommen: Zur Berechnung der Visualisierung haben wir uns für den Algorithmus Force Atlas entschieden. Es handelt sich dabei um einen Algorithmus, der für die Analyse räumlicher Strukturen eines Netzwerkes besonders geeignet ist. Die räumliche Beziehung der Knoten zueinander ist das Resultat von Anziehungs- und Abstoßungsprozessen (siehe Tabelle 1)6. Sie ziehen und schieben die Knoten gegeneinander ähnlich einer komplexen Gemengelage von Gravitationskräften. Je mehr Verbindungen ein Knoten hat, desto mehr zieht er andere Knoten an und umgekehrt. So werden verdichtete Beziehungsstrukturen schnell visuell erkennbar. Die der nachfolgenden Tabelle entnehmbaren Feineinstellungen sind das Resultat von vielen Versuchsläufen. Sie stellen unserer Ansicht nach vorläufig die beste Kombination für die Darstellung des Netzwerkes dar. Um die Bedeutung der Knoten im Netzwerk sichtbar zu machen, gibt es viele verschiedene Möglichkeiten. Diese orientieren sich an den statistischen Maßzahlen, die für jeden Knoten einen Wert ausgeben, der 6
Weitere Informationen zu Force https://gephi.wordpress.com/tag/force-atlas/
Atlas
finden
sich
unter:
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dessen Bedeutung für das gesamte Netzwerk zum Ausdruck bringt (siehe Anhang). Tabelle 1: Übersicht Einstellungen in Gephi Layout: Force Atlas Trägheit Stärke der Abstoßung Stärke der Anziehung Maximale Verdrängung Auto-Stabilisierungs-Funktion Auto-Stabilisierung Stärke Auto-Stabilisierung Sensibilität Anziehungskraft Anziehungs-Verteilung anhand Größe anpassen Geschwindigkeit Darstellung der Knoten und der Beschriftung: Ranking Partitionierung (Clustereinteilung) Modularität
0.1 200 40 10 Aktiviert 80 0.2 30 nicht aktiviert nicht aktiviert 60 Ausgangsgrad 5
Als Grundlage für das Ranking haben wir, wie im Abschnitt 2.2 beschrieben, den Out-Degree verwendet. Die Beitragende repräsentierenden Knoten werden im Netzwerk umso größer abgebildet, je mehr Beiträge die Autor*innen für Festschriften verfasst haben. Schließlich ist für die Clusterbildung entscheidend, welcher Modularitätswert im Programm eingestellt wird. Je größer der Wert ist, desto geringer wird die Clusterzahl. Ist der Wert zu gering gewählt, ergeben sich Dutzende Cluster, die dann wiederum nur schwierig zu interpretieren sind. Umgekehrt verhindert ein zu großer Wert eine genauere Binnendifferenzierung, d. h. es werden zu wenige Cluster gebildet. In unseren Analysen hat sich ein Wert von 5 als geeignet herausgestellt, um auf der einen Seite eine hinreichend genaue
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Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries
Binnendifferenzierung zu erzielen und gleichzeitig die Zahl der Cluster relativ klein zu halten.
3
Ergebnisse
3.1
Interpretation des Gesamtnetzwerks
Das Gesamtnetzwerk, das über die 191 Festschriften hinweg entsteht, besteht aus 3715 Personen (Knoten). Zwischen diesen Personen bestehen 4718 Verbindungen (Kanten). Hierbei weist das Verhältnis zwischen Knoten und Kanten bereits darauf hin, dass es viele Personen geben muss, die wenige Verbindungen zu anderen Personen besitzen. Immerhin weisen 3052 Personen lediglich eine einzige Verbindung (Degree = 1) im Netzwerk auf. Dies sind Autor*innen, die nur einen einzigen Festschriftenbeitrag verfasst haben. Der hohe Anteil dieser Personengruppe am Anteil der sich im Netzwerk befindlichen Personen zeigt sich auch im mittleren Grad (Quotient aus Knoten und Kanten) des Netzwerks. Er beträgt nur 1,27, d.h. jede Person hat im Durchschnitt 1,27 Verbindungen zu anderen. Misst man den Durchschnitt der Verbindungen, die benötigt werden, um im Netzwerk zwei Knoten miteinander zu verbinden, also die mittlere Pfadlänge, ergibt sich ein Wert von 5,6. Je höher dieser Wert ist, desto weniger sind die Personen im Netzwerk miteinander verbunden. Im Durchschnitt bedarf es also fast sechs Schritte über die bestehenden sozialen Beziehungen, um von einer Person zu einer zufällig ausgewählten anderen zu gelangen. Als Kleine Welt-Phänomen bezeichnet, ist dieser Umfang kein ungewöhnlicher Wert für Netzwerke (Watts 1999), mag aber vielleicht doch für die noch
Gravitationszentren der deutschen Soziologie.
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verhältnismäßig überschaubare bundesrepublikanische Soziologie (im Vergleich etwa mit der US-amerikanischen) überraschen. Denn angesichts eines festen Satzes an Fachzeitschriften, -buchreihen und verlagen sowie wiederkehrender Konferenzen, die allesamt für eine regelmäßige Konzentration von Personal und Beobachtungsgelegenheiten sorgen, deutet dieser Wert auf eine soziale Gliederung der Soziologie hin. Geht man dieser Frage weiter nach, ist der wichtigste Wert für die Interpretation der Partitionierung der Netzwerkstruktur die Modularität. Die Modularität, die in Gephi mittels der Louvain-Methode, einem iterativen Verfahren zur Clusterbildung (Blondel et al. 2008), berechnet wird, kann Werte zwischen -1 und 1 annehmen und „measures the density of links inside communities as compared to links between communities.“ (ebd., S. 454). Mit einem Wert von 0,755 zeigt sich hier ein relativ hohes Ausmaß an partieller Netzwerkverdichtung. Er bedeutet, dass sich das Gesamtnetzwerk sehr gut in kleinere Cluster unterteilen lässt, und liefert die Berechtigung dafür, diese Ausschnitte separat zu besprechen (siehe Abschnitt 3.2 Interpretation der Cluster). Der relativ hohe Grad an Clusterbildung sorgt bei der Visualisierung des Netzwerks dafür, dass eine Reihe von Teilen farblich unterschiedlich voneinander abgehoben sind. Die Darstellung des Gesamtnetzwerkes wird indes aufgrund der großen Anzahl an Autor*innen, aber mehr noch durch deren Anbindung an nur eine Person, nämlich die gehrte, schnell unübersichtlich, weil dies visuell jeweils kranzartige Umlagerungen, genannt Inselbildungen (siehe Abbildung 4), um die geehrte Verbindungsperson produziert und zu einer vielfachen Überlagerung von Namen führt, die dann das Netzwerk gleichsam mit einer Vielzahl von undefinierbaren schwarzen Wölkchen übersähen. Diese Tatsache hat uns dazu bewogen, eine gereinigte Darstellung des Gesamtnetzwerks vorzulegen (siehe Abbildung 5). Diese Entscheidung ist auch konsistent
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Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries
mit unserer Diskussion um die Messung von Bedeutsamkeit im Netzwerk (siehe Abschnitt 2.2). Dort haben wir uns dafür ausgesprochen, dass Netzwerkgewicht in der Festschriftenwelt erst ab einem Out-Degree von 2 angesetzt werden sollte. Entsprechend weist Abbildung 5 das Gesamtnetzwerk ohne jene Personen aus, die als Autor*innen weniger als zwei Beiträge verfasst haben.7
Abbildung 6: Inselbildung (zu ehrende Person und Festschriftautor*innen)
Abbildung 5 zeigt die Vernetzung der für die Struktur des Netzwerks bedeutenden Autor*innen mit den Geehrten. Zudem sind einige Namen größer geschrieben als andere, das Gleiche gilt für die Größe der Knoten. Grundlage der Darstellungsgrößen sind die unterschiedlichen OutDegree-Werte der Personen, d.h. die Anzahl der verfassten Beiträge. Bereits hier kann man die Personen mit den meisten Festschriftbeiträgen erkennen. Es handelt sich um Ronald Hitzler (14), Hans-Georg Soeffner (13), Hartmut Esser (13), Bernhard Schäfers (11) und Alois Hahn (11). Anhand der Farbcodierung erkennt man schließlich in der Netzwerkdarstellung 11 verschiedene Cluster. Sie sind unterschiedlich groß (siehe Abbildung 6) und wurden aufgrund der im vorherigen Abschnitt beschriebenen Einstellungen in Gephi berechnet.
7
Die vollständige Darstellung kann jedoch, wie auch alle hier folgenden, ebenfalls auf der oben angegebenen Internetseite betrachtet werden, zudem in größerer Auflösung.
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Gravitationszentren der deutschen Soziologie. Stefan Immerfall
Alf Mintzel
Gerhard Bosch
Max Haller
Ulrich Planck
Heide Inhetveen Joachim Ziche Franz Kromka
Peter Sinkwitz Ludwig Liegle
Gerd Vonderach
Dieter Voigt
Werner Nienhüser
Helmut Kuzmics
Lothar Krappmann Heinz Lampert
Ute Scheuch
Klaus Dörre Matthias Grundmann
Kurt Hammerich
Friedrich Heckmann
Dieter Senghaas
Ulrich Menzel
Sabine Gries
Peter R. Gleichmann
Andreas Diekmann
Hans-Dieter Evers
Thomas Hinz Monika Jungbauer-Gans Peter Preisendörfer
Anton Sterbling
Max Wingen
Josef Brüderl
Roland Eckert
Karl Friedrich Bohler
Gudrun Lachenmann
Uwe H. Bittlingmayer
Lühr, Volker
Eva-Marie von Harrach
Paul Windolf Jürgen
Gerhard Hauck
Günter Best
Beyer
Charlotte Höhn Heinrich Oberreuter Mackensen Martin Diewald Paul Kellermann Jürgen Kohl
Rolf G. Heinze
Du-YulWasmus Song Henning
Klaus Plake Wolfgang Merkel Jörg Bogumil Karl Hinrichs Markus Herbert Kitschelt
Hans-Erich Bremes Klaus Kraemer Sven Papcke
Walter Georg Hans-Jürgen KrysmanskiWalther Müller-Jentsch
Uta Klein
Arndt Sorge
Christian Giordano
Roland Habich Jürgen
Heinz Hartmann
Rainer Dombois
Dankwart Danckwerts
Eugen Buß EberhardKlaus Hüppe Lenk Rainer
Klaus P. Japp
Schützeichel
Rainer Helmut Kromrey
Paris
Friedhelm Horst Baier
Michael Th. Greven
Ilse Lenz Theodor Geiger
Arnold Zingerle Cornelius Bickel
Christoph Lau
Tilman Allert
Theresa Wobbe
Ernst August Jüres
Dieter Grunow Patrick Watier
Gerwulf Singer
Helmut Willke Peter JörgIttermann Abel
Michael Bochow
Konrad Thomas
Rudolf Stichweh
Gerhard Wagner
Trutz von Trotha
Susanne Karstedt
Claudia Honegger
SighardHitzler Neckel Ronald
Axel Groenemeyer Michael Vester
Wolfgang Manfred Suppan Gabriel
Thomas Luckmann
Bernd Ternes Frithjof Hager
Wolfgang Eßbach Michael Makropoulos
Susanne Lüdemann
Hermann Schwengel BrockSigrid Metz-Göckel Angelika PoferlWolfgangBazon Ludwig Schneider Andrea Maurer Hannelore Bublitz Heinz-Jürgen NiedenzuPrisching ScottManfred Lash Lena Weber Dierk SpreenDietmar Kamper Regine R. Müller Luis Borges AndreasMichael Hepp Herbrik SilkeJorge Steets Ronald Kurt Becker-Schmidt Regina
Nicole Burzan
Hermann Schnwengel
AchimBernt Brosziewski Norbert Schröer Schnettler Reiner Keller Thomas Macho Dirk Baecker Hubert Knoblauch Ulrike Froschauer Thomas S. Eberle Birgit Riegraf Nina Baur Hans Joas Michael Meuser Silvia M. Wilz Jo Reichertz Michaela Pfadenhauer
Hans-Dieter Bahr Stefanie Wenner Elisabeth von Samsonow Gerburg Treusch-Dieter
Michael Hutter
Felizitas Sagebiel
Reiner Niketta
Maeder Angela Keppler BrigitteChristoph Aulenbacher Per Linell
Thomas Klatetzki
Christian Meyer
Hubert Treiber
Fritz Sack
Renate Wald
Ulrich Wenzel Mechthild Bereswill
Jan Wehrheim Michael Schetsche
Joachim Kersten
Hartmut Hirsch-Kreinsen
Wolf Heydebrand
Arnulf Deppermann
HassanHans-Uwe Givsan Cornelius Klaus Neumann-Braun Otto Ursula Müller
Schubert
Werner Rammert
Ulrich Oevermann Aaron V. Cicourel
Martin Kronauer Stephan Wolff
Stefan Müller-Doohm
Jörg R. Bergmann
Hartmut Rosa
Susanne ReinhardKrasmann Kreissl Konrad Köstlin
Peter Schallberger Jürgen Habermas
Gesa Lindemann
Helge Peters Christoph Menke
Christina Möller
Tomke König Hauke Brunkhorst
Gerhardt Kapner
Heiko Waller
Gabriela B. ChristmannBernhard Waldenfels Manfred Lueger
Günter Dux
Peter Fuchs
Lutz Wingert
Breunung KeebetLeonie von Benda-Beckmann Jürgen Brand
Hans Peter Dreitzel
Rolf Lindner
Susanne Frank Dominik Schrage
Jörg Strübing
Joachim Bergmann Bernd Dollinger
Walter R. Heinz
Hubert Christian Ehalt Rüdiger Lautmann
Nina Degele
Martina Löw Johann August Schülein
Georg Stanitzek
Heinrich Popitz
Gabriele Winkler Alfons Bora RenéPhilippe Levy Robert
Ralf RogowskiBlankenburg Erhard
Peter L.
Darius Zifonun
Rudolf Wimmer
Baldo Hans PaulBlinkert Bahrdt Johannes Siegrist Jakob Rösel Gerd Spittler
Volker Ronge
Ayla Neusel Christiane Rittgerott Heike Kahlert
Marianne Willems Monika Wohlrab-Sahr Richard Faber Peter Strohschneider Joachim Fischer Heiner Keupp Dirk Tänzler Ulf Matthiesen Jürgen Link Berger Richard Grathoff
Berking Hans-GeorgHelmuth Soeffner
Mario Krämer
Eisermann
Karl-Michael Brunner
Clemens Albrecht
Hansfried Kellner
Ilja Srubar
Jürgen Raab
Maren Lehmann
Hans-Günter Thien
Gottfried Sebastian Herkommer
Carol Hagemann-White
Zygmunt Baumann
Jan Assmann Aleida Assmann Armin Nassehi Heinz Bude Cornelia Bohn
Ulrich Beck Hans Ulrich Gumbrecht André Kieserling
Daniela ThorstenKlimke Benkel
Paula-Irene Villa
Dirk Kaesler
Gabriele Klein Peter Gross
Walter Siebel Bernhard Giesen Herbert Willems Michael N. Ebertz
Kurt Blaukopf Gertrud Nunner-Winkler Peter Waldmann Siegfried Lamnek JürgenTenorth Markowitz Heinz-Elmar
Günter Burkart
Alois Hahn Michael Schmid Karl-Siegbert Rehberg
Christian Lahusen Dietrich Schwanitz
Niklas Luhmann
Günther Albrecht
Guy Oakes Karl-Heinz Ladeur
Carlo Mongardini
Urs Jaeggi Claus Leggewie
Stephan Moebius
Thorsten Bonacker Gert Schmidt
Gunther Teubner
Helga Krüger
Hartmann Tyrell
Doris Lucke
Urs Stäheli
Peter Meyer Ulrich Teichler
Stefan Hornbostel Hermann Lübbe Thomas Krämer-Badoni Dieter Läpple
Robert Reichardt
Hans Joachim Giegel
Lothar Peter
HaraldClaudia Künemund Gather
Shmuel N. Eisenstadt
Birgitta Nedelmann Beate Kortendiek Siegfried Jäger Horst Reimann
Karl F. Schumann
Ludwig Huber
Claus Mühlfeld
Richard Münch
Dieter GoetzeKlaus Eder
Jan Philipp Reemtsma
Manfred Weiss
Manfred Rehbinder
Holger Lengfeld
Alois Martin Herlth Kohli
Justin Stagl Georg Vobruba
Ralf Risser Jürgen Hans Manfred BockKrüger
Reinhard Kreckel Ingrid N. Sommerkorn-Abrahams
Jutta Allmendinger Norbert Gestring
Heiner Ganßmann Marianne Rodenstein Cornelia Klinger
Peter Atteslander
René König
Volker Kirchberg
Marc Szydlik Yvonne Schütze
Annette Treibel
Johannes Weiß
Lenz Ottmann Roland Girtler ChristophHenning Deutschmann Wolfgang Lipp Karl Thomas A. Herz
Otthein Rammstedt
Karl Martin Bolte Karl-Heinrich Bette
Neidhardt Jochen Roose
Claudine Attias-Donfut
Gerhard Naegele Burkart Lutz Christian Fleck Rainer Winter Christian Stegbauer Georg Elwert Wolfdietrich Schmied-Kowarzik
Klaus LichtblauKaufmann Franz-Xaver
Michael Schröter
Alphons Silbermann
Hermann Korte
Christine Hannemann
Uwe Schimank Eckart Pankoke
Franz Kolland Gert Lang Josef Hörl Rosenmayer Anton Amann Christoph Reinprecht Leopold
Peter-Ulrich Merz-Benz
Gerlind Weber
Erhard Roy Wiehn
Hartmut Esser
Edeltraud Roller Dieter Fuchs Gert G. Wagner
Dieter Rucht Hans-Joachim Schulze Stephan Lessenich Karl-Heinz OrtwinReuband Renn Jürgen Gerhards
Jens Beckert
Wolfgang Clemens
Paul B. Hill
Jens S. Dangschat
Rainer Münz Ulla Terlinden
Bernhard Badura Maurizio Bach Uta Gerhardt Wolfgang Slesina
Hans Oswald BrunoVoelzkow Hildenbrand Christiane Bender Helmut Robert Hettlage
Klein
Johannes Stauder Oliver Arránz Becker Jan Eckhard Ingmar Rapp Daniel Lois
Rainer Schnell
Karl Ulrich Mayer
Ostner
Nico Stehr
Vera Sparschuh Johannes Chr. Papalekas Stephan Leibfried
Ursula Lehr Daniel Bell
Rainer Geißler
Horst Pöttker
Kurt Beck
Ilona Karl Gabriel
Jürgen Cromm
Carsten Keller
Heribert Schatz Dieter Oelschlägel
Heiner Minssen
Werner Fuchs-Heinritz
Roger Häußling
HeinzHartmut SahnerLüdtke Jost Reinecke Gabriele Sturm
Ralf Dahrendorf
M. Rainer Lepsius
Fritz Rudolph
Wolfgang Schulz
Lars Clausen
Heinz Abels
Paul Trappe
Renate Mayntz
Bernhard Nauck
Michael Wagner Corinna Onnen-Isemann Johannes Huinink Johannes Kopp Hans BertramJana Suckow
Dirk Sander Harald Rost Laszlo A. Vaskovics Norbert F. Schneider
Hans Wilhelm Hetzler
Endre Kiss Bálint Balla
Pohlmann
Claus Offe
Thomas Anja Steinbach
Jürgen Friedrichs
Heinrich Best
Schupp
Wolfgang Glatzer
Katrin Zapf Jens Alber
Bernhard Schäfers Rosemarie Nave-Herz
Hartmut HäußermannFriedrich Landwehrmann Faruk Sen Wolfgang Streeck Raymond Werner Boudon Georg
Jürgen Kriz
Leo Kißler
Hanns Wienold
Frank Benseler
Wolfgang Zapf Stefan Hradil Hansgert Peisert
Helmut Klages
Klaus Fischer
Karlheinz Messelken Fritz W. Scharpf Matthias Maring Philippe C. Schmitter
Maria Funder Dieter Hoffmeister
Bernhard Hülsmann Wieland Jäger
Trommsdorff Bernd Hamm Gisela Andreas Kruse Ursula Hoffmann-Lange
ClausBienfait Wendt Steffen Sigmund Agathe Frederic Fredersdorf
Dieter Claessens Petra Hartmann
Helmut Wiesenthal
Ute Luig
Erwin K. Scheuch Max Kaase Heiner Meulemann
WolfgangIrene Schluchter Rainer Raehlmann
Friedrich Harald Fürstenberg Gert Albert Mateusz Stachura Bodenschatz
Hellmut Wollmann
Viktor Voronkov
Christian Sigrist
Renate Rott
Walter Bien
Hans Lenk
Manfred Wannöffel Axel Hauser-Ditz
Arno Klönne
Reinhart Kößler Heide Mertens Soussan Sarkhosh
Berndt Keller
Hans-Ulrich Derlien Christel Hopf
Ludger Pries Dieter Neubert
Gabriele Zdunnek
Günther Lüschen
Werner Raub
Siegwart M. Lindenberg
Dieter Urban Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
Hans Albert
Ulrich Jürgens
Karin Fiege Bernhard Bernhard vonGlaeser der Haar
Axel Franzen
Karl-Dieter Opp
Thomas Voss
Christa Lindner-Braun
Hans-Dieter Klingemann Franz Urban Pappi
Georg W. Oesterdiekhoff
Peter Schmidt
Klaus A. Schneewind
Günter Büschges
Walter Müller Michael Windzio
Hermann Strasser
Hansjörg Weitbrecht
Tilman Schiel
Steffen Kühnel Anja Mays
Dieter Holtmann
Richard Hauser Kurt Lüscher Kai Brauer
Josef Schmid
Jürgen Reulecke
Wolfgang Heinz Ulrich K. Preuß
Günter Endruweit Manfred Schulz
Emerich K. Francis
Norman Braun Wolfgang Sodeur
Theodor Harder
Dieter Sadowski Eva Senghaas-Knobloch
Gerhard Streminger
Rolf Eickelpasch
Rolf Ziegler
Hans-Jürgen Andreß
Olaf Groh-Samberg
Horst Bosetzky Horst Herrmann
Karin Priester
Ingo Richter Hans J. Hummel Anatol Rapoport Peter Kappelhoff
Lorenz Böllinger Reimut Reiche
Sebastian Scheerer
Charles Taylor Thomas McCarthy Ursula Wolf Stefan Gosepath Georg Lohmann
Fritz Schütze
Burkhard Müller
Axel Honneth Klaus Günther Rainer Forst
Stephan Quensel Alfred Smudits
Heinz Steinert CraigSchmidt-Semisch Reinarman James Jacobs Henning DavidB.Garland
Alf Trojan
Martin Saar Andreas Kuhlmann Rahel Jaeggi Martin Seel Martin Dornes Bernd Dewe
Wolfgang Bonß
Ludwig von Friedeburg
Manfred Teschner
Henner Hess
Volkmar Sigusch
Rafael ArnoBehr Pilgram Christine Resch
Helga Cremer-Schäfer
Heidrun Kaupen-Haas Klaus Dörner
Michael Hartmann
Helmut Dahmer
Jürgen Ritsert
Rudi Schmiede
Hans-Ulrich Deppe
Joachim Hirsch
Hans-Georg Backhaus Christian Schneider
Nadja Rakowitz
Gunzelin Schmid Noerr
Werner Bohleber
Helmuth Reichelt
Alfred Lorenzer
Abbildung 7: Auf Bedeutsamkeit fokussiertes Netzwerk der Festschriften
Sortiert nach der Anzahl der Personen, zählen zu den großen Formationen die Cluster 1 (860), 3 (732) und 7 (644). Die mittleren Formationen umfassen die Cluster 6 (427), 4 (339), 5 (329), 2 (226) und 8 (93). Zu den kleinen Formationen gehören die Cluster 10 (24), 9 (18) und 11 (18). Bei den letzten drei Clustern, die deutlich kleiner als alle übrigen sind, handelt es sich um einzelne Festschriften, bei denen weder die geehrte Person noch die Autor*innen weitere Verbindungen zu anderen Personen außerhalb dieser Festschriften aufweisen und somit als einsame Sterne im Festschriftenuniversum existieren. Weil sie strukturell
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Marc Hannappel, Arne Dreßler und Fabian Fries
keinen Beitrag zum Gesamtnetzwerk leisten und der Algorithmus sie, bedingt durch die Gravitationseinstellungen, sehr weit vom Netzwerkzentrum entfernt platziert, haben wir auch diese Cluster aus der Abbildung 5 entfernt.
Abbildung 8: Anzahl der Cluster des Netzwerkes, sortiert nach der Zahl der Knoten
An dieser Stelle ist es sinnvoll, den Blick von der Gesamtdarstellung des Netzwerks auf die einzelnen Cluster zu schwenken. Grundlage hierfür ist der Modularitätswert des Netzwerks von 0,755. Er weist darauf hin, dass die nun zu betrachtenden Cluster sich insoweit durch eine relativ starke Binnenstruktur auszeichnen, als zwischen den Knoten innerhalb der Cluster mehr Verbindungen bestehen als zwischen den Knoten aus verschiedenen Clustern. Je zahlreicher die Binnenverbindungen die Außenverbindungen übersteigen, desto stärker ist ein Cluster als solches konstituiert. Um die Interpretation von Clustern exemplarisch vorzuführen, haben wir uns entschieden, nur die zwei größten Cluster (C1 und C3) sowie das größte der mittleren Cluster (C6) einer
Gravitationszentren der deutschen Soziologie.
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clusterspezifischen Betrachtung zu unterziehen. Für eine schnelle, eigene Exploration der Cluster über die erfolgte Zuordnung von Personen zu Clustern bieten wir im Anhang eine tabellarische Auflistung. Diese Auflistung entspricht den Exklusionskriterien, die der Abbildung 5 zugrunde liegen.8 3.2
Interpretation einzelner Cluster
Cluster 1: Cluster 1 (Abbildung 7) stellt mit 860 Knoten nicht nur die größte Formation im Gesamtnetzwerk dar. Es enthält auch drei Personen aus den Top 5 der beitragsstärksten Autor*innen: die Nr. 1 Ronald Hitzler (14), die Nr. 2 Hans-Georg Soeffner (13) und die Nr. 49 Alois Hahn (11). Visuell auffällig ist zudem, dass Hitzler und Soeffner beide sehr nah zueinander und fast auf einer horizontalen Linie angeordnet sind, während Hahn mit nur relativ wenig Abstand nördlich davon liegt. Gemeinsam bilden die drei Personen den Schwerpunkt von Cluster 1, das mit Hitzler als Mundanphänomenologen, Soeffner als Begründer der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik und Hahn als ausgewiesenem Kultursoziologen auch inhaltlich hohe Kompatibilität aufweist.
8
Eine vollständige Liste findet sich ebenfalls in dem genannten Online-Repositorium. Diesen Platz teilt sich Hahn mit Bernhard Schäfers, der ebenfalls 11 Festschriftenbeiträge verfasst hat. 9
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