Soziologie der Wirtschaft: Eine Einführung 9783486714241, 9783486598353

Die Wirtschaftssoziologie ist in den letzten Jahren auch in Deutschland wieder zu einem wichtigen Arbeits- und Forschung

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Soziologie der Wirtschaft: Eine Einführung
 9783486714241, 9783486598353

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Soziologie der Wirtschaft Eine Einführung von

Prof. Dr. Maria Funder Universität Marburg

Oldenbourg Verlag München

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Christiane Engel-Haas Herstellung: Constanze Müller Titelbild: thinkstockphotos.de Einbandgestaltung: hauser lacour Gesamtherstellung: Grafik + Druck GmbH, München Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-486-59835-3

Vorwort Die Wirtschaftssoziologie ist in den letzten Jahren auch in Deutschland wieder zu einem wichtigen Arbeits- und Forschungsgebiet der Soziologie geworden. Von der Wirtschaftssoziologie wird erwartet, dass sie sich mit der zunehmenden Relevanz von Finanzmärkten, dem Wandel von Unternehmen, Netzwerken und Innovationsprozessen sowie mit Fragen des Konsums und der Entwicklungsdynamik der (transnationalen) Wirtschaft und ihren Konsequenzen auseinandersetzt. Dieses wachsende Interesse an soziologischen Erklärungen und Analysen wirtschaftlicher Entwicklungen, Strukturen und Beziehungen war auch Anstoß für dieses Buch, das über Entwicklungslinien, Strukturmerkmale, theoretische Ansätze und aktuelle Debatten informieren will. Diese Einführung kann nur einen Einstieg in ausgewählte Themenfelder der Wirtschaftssoziologie geben. Es zielt in erster Linie darauf ab, Studierende der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften neugierig auf ein spannendes Forschungsfeld zu machen. Ein Vorwort bietet die Möglichkeit all jenen zu danken, ohne deren tatkräftige Unterstützung, kreative Denkanstöße, konstruktive Kritik und Aufmunterungen ein solches Projekt gar nicht realisiert werden kann. Namentlich danken möchte ich Ina Drescher-Bonny, Steffen Dörhöfer, Kamil Lasota und Nina Schumacher. Bedanken möchte ich mich auch bei Regine Bürger, die selbst die x-te Fassung des Buches mit allergrößter Sorgfalt bearbeitet hat. Für den Inhalt und alle noch vorhandenen Fehler bin ich allein verantwortlich. Mein Dank gilt auch dem Verlag, vor allem Kristin Beck und Christiane Engel-Haas, die mich bei der Erstellung des Buches sehr unterstützt haben.

Marburg, im Mai 2011

Maria Funder

Inhalt Vorwort

V

1

Einführung und Aufbau

1

2

Die moderne Wirtschaft: Entwicklungslinien und erste Begriffsklärungen

9

2.1

Von der Bedarfs- zur kapitalistischen Erwerbswirtschaft .......................................... 9

2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4

Erste begriffliche Annäherungen .............................................................................. 19 Wirtschaft ................................................................................................................. 19 Geld .......................................................................................................................... 22 Tauschformen ........................................................................................................... 27 Arbeit........................................................................................................................ 35

3

Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

3.1

Die Rationalität der Wirtschaft ................................................................................. 43

3.2

Koordinationsformen der Wirtschaft ........................................................................ 57

3.3

Die Dynamik der Wirtschaft .................................................................................... 76

3.4

Die Selbstreferenz der Wirtschaft ............................................................................ 85

3.5

Die soziale Einbettung der Wirtschaft .................................................................... 101

3.6

Zum Verständnis der Wirtschaft aus soziologischer Sicht ..................................... 113

4

Produktion und Konsumtion

4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6

Produktion .............................................................................................................. 118 Die Entstehung der organisationsförmigen Produktion .......................................... 118 Vom Taylorismus zum Fordismus ......................................................................... 123 Die Vielfalt von Produktionskonzepten – Abschied vom „one best way“ ............. 129 Erweiterung des Blickfeldes: Tertiarisierung der Wirtschaft ................................. 135 Entwicklungstrends der Reorganisation ................................................................. 138 Gibt es einen neuen Geist des Kapitalismus? ......................................................... 142

4.2 4.2.1 4.2.2

Konsumtion ............................................................................................................ 146 Massenkonsum ....................................................................................................... 147 Wie lässt sich Konsum erklären? ........................................................................... 151

43

117

VIII

Inhalt

5

Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaft

161

5.1

Haushalt und Geschlecht ........................................................................................ 161

5.2

Erwerbsarbeit und Geschlecht ................................................................................ 171

5.3

Aspekte einer gendersensiblen Wirtschaftssoziologie ........................................... 179

6

Wirtschaft: Varietät und Wandel

6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3

Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft .............................................................. 183 Leitbilder: „freie“ und „soziale“ Marktwirtschaft .................................................. 185 Varianten des Wohlfahrtskapitalismus................................................................... 192 „Varieties-of-Capitalism“ ...................................................................................... 199

6.2 6.2.1 6.2.2

Wandel: Triebkraft Globalisierung ........................................................................ 209 Was ist Globalisierung? ......................................................................................... 210 Globale Finanzmärkte ............................................................................................ 222

7

Wirtschaft(ssoziologie) in ungewissen Zeiten – ein Ausblick

231

8

Literatur

239

9

Bilder- und Abbildungsverzeichnis

287

10

Stichwortregister

289

183

1

Einführung und Aufbau

Die Wirtschaftssoziologie erlebt nach einer Phase der Lethargie und des „jahrzehntelangen Schlummers“ (Baecker 2006) seit einiger Zeit eine nicht mehr zu übersehende Renaissance. Diese ist in Anbetracht der Krise auf den Finanzmärkten, den Herausforderungen durch die Globalisierung, der tief greifenden Restrukturierung von Unternehmensorganisationen sowie der Beharrungskraft der ungleichen Verteilung von Arbeit und Einkommen längst überfällig. Swedberg zufolge könnte sie sogar zu einem „Hauptanwärter für die Analyse ökonomischer Sachverhalte im 21. Jahrhundert werden“ (Swedberg 2009: 29). Ein solches Selbstbewusstsein hatte sie schon lange nicht mehr, vielmehr wurde vor einigen Jahren noch darüber diskutiert, ob die Wirtschaftssoziologie überhaupt ein eigenständiges Fachgebiet darstellt, das in der Lage ist, theoretische Konzepte zur Analyse wirtschaftlicher Phänomene zu entwickeln. Als zuständig für die Wirtschaft galt in erster Linie die Ökonomie, der hier weitaus mehr zugetraut wurde als der Soziologie. Heute hingegen gilt als unstrittig, dass wirtschaftssoziologische Forschungsarbeiten aufschlussreiche Befunde über die Entstehung, Struktur und Entwicklung von Märkten, Netzwerken und Wirtschaftsorganisationen sowie die kulturelle und soziale Einbettung wirtschaftlichen Handelns hervorgebracht haben.1 Wirtschaftssoziologie – ein Rückblick auf ihre Entstehung Versucht man die Geschichte der Wirtschaftssoziologie mit Blick auf Deutschland zu rekonstruieren, spricht einiges dafür, ihre Geburtsstunde in den Jahren zwischen 1890 und 1920 zu datieren. In dieser Zeit entstanden bedeutende soziologische Grundlagenwerke, wie Durkheims „Über die Teilung der sozialen Arbeit. Studie über die Organisation entwickelter Gesellschaften“ (1893/1977), Webers „Wirtschaft und Gesellschaft“ (1922/1980), Simmels „Philosophie des Geldes“ (1900/1989) und Sombarts Studie „Der moderne Kapitalismus“ (1916/1987). Einen nachhaltigen Einfluss auf die Genese des Fachs hatten selbstverständlich auch die zum Teil schon zu einem früheren Zeitpunkt entstandenen Werke von Karl Marx. Von Relevanz waren aber nicht nur die soziologischen Klassiker, zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die deutsche historische Schule (Schmoller, Brentano, Knies) sowie der US-amerikanische historische Institutionalismus, insbesondere Thorstein Veblens Studie über die „Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen“ (1899/1958).

1

Aufschluss über wirtschaftssoziologische Arbeiten gibt eine Vielzahl jüngst erschienener Sammelbände (z.B. Beckert/Diaz-Bone/Ganßmann 2007; Beckert/Deutschmann 2010; Maurer 2008a, 2010).

2

1 Einführung und Aufbau

Es waren in erster Linie die tief greifenden gesellschaftlichen Umwälzungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die den Anstoß für diese Studien lieferten. Ob Tönnies, Durkheim, Simmel, Weber, Sombart oder Marx, eines zeichnet sie alle aus, eine intensive Beschäftigung mit der Industrialisierung und dem kulturellen, institutionellen und sozio-ökonomischen Wandel der Gesellschaft. Sie markieren mit ihren Arbeiten den Beginn der Suche nach einer genuin soziologischen Betrachtung der Wirtschaft. Nach der ersten klassischen Phase der Wirtschaftssoziologie ist zunächst eine lange Zeit des Stillstands zu verzeichnen, die – vor allem in Deutschland – im Prinzip bis in die 1980er Jahre hineinreicht. Zwar erschienen auch in dieser Zeit einige wichtige Arbeiten, wie etwa Joseph Schumpeters „Capitalism, Socialism and Democracy“ (1942/1972), Karl Polanyis „The Great Transformation“ (1944/1997) sowie Talcott Parsons’ und Neil Smelsers „Economy and Society“ (1956), zu einer wirklichen Wiederbelebung der Wirtschaftssoziologie trug aber wohl erst die zunehmende Kritik an der Neoklassik (insbesondere der Gleichgewichtstheorie) und die parallel hierzu an Einfluss gewinnende „neue Wirtschaftssoziologie“ bei (Granovetter, Abolafia, Biggart, Swedberg, White, Fligstein u.a.), die ausgehend von den Vereinigten Staaten in Europa rasch Verbreitung fand; in Deutschland allerdings erst in den 1990er Jahren. So ist es noch nicht allzu lange her, dass in Deutschland darüber gestritten wurde, ob es sich bei der Wirtschaftssoziologie überhaupt um eine eigenständige „spezielle Soziologie“ mit einer eigenen Geschichte handelt. Während Hillmann (1988) sowie auch Buß (1995) ihr durchaus den Status einer „speziellen Soziologie“ und damit ein hohes Maß an Eigenständigkeit zugestanden, bestritt Heinemann (1987) noch Ende der 1980er Jahre, dass es sich bei der Wirtschaftssoziologie um ein in sich abgeschlossenes soziologisches Forschungsgebiet handelt, da weder ihr Gegenstand im wissenschaftlichen Verständnis eindeutig festgelegt sei noch über ihre Themen Konsens bestehe. Ungeklärt sei zudem „ihre Abgrenzung zu anderen speziellen Soziologien – vor allem der Industrie- und Betriebssoziologie, der Arbeitssoziologie und der Organisationssoziologie – ebenso zu anderen Disziplinen – insbesondere zu den Wirtschaftswissenschaften und zur (neuen) politischen Ökonomie“ (Heinemann 1987: 7). Es gibt – so sein Argument – zwar eine Reihe klassischer Studien, die sich aus einer soziologischen Perspektive mit wirtschaftlichen Entwicklungen befasst haben, hieraus ließe sich aber noch keine frühe Profilierung zu einer eigenständigen Fachdisziplin mit einem spezifisch soziologischen Blick auf die Wirtschaft ableiten. Vielmehr kam es im 19. Jahrhundert zu einer Ausdifferenzierung der Wissenschaften und einer folgenreichen Arbeitsteilung zwischen Soziologie und Wirtschaftswissenschaften, die zu einer klaren Trennung von Arbeitsgebieten führte und die Entstehung eines wirtschaftssoziologischen Forschungsprogramms lange Zeit blockierte. Als ein Beispiel hierfür gelten seines Erachtens die Arbeiten von Vilfredo Pareto (1842–1924), bei dem zwar „Nationalökonomie und Soziologie ebenso wie mathematisch-theoretisches und historisch-soziologisches Denken eng miteinander verbunden“ sind, dem es aber dennoch „kaum gelungen (sei, M.F.), Ökonomisches und Soziologisches in einem (wirtschaftssoziologischen) Konzept zusammenzubinden“ (Heinemann 1987: 9). So wirkt – wie auch Deutschmann hervorhebt – die von ihm getroffene „Unterscheidung zwischen ‘logischen’ Handlungen als Arbeitsgebiet der Ökonomie und ‘nichtlogischen’ Handlungen“, mit denen sich die Soziologie befasst, im Prinzip bis heute nach (Deutschmann 2008: 9). Die Soziologie habe diese Arbeitsteilung lange Zeit akzeptiert

1 Einführung und Aufbau

3

und den Wirtschaftswissenschaften das Feld überlassen. Saurwein (1994) zufolge hat sich die Wirtschaftssoziologie in der Vergangenheit vornehmlich auf zwei Rollen kapriziert: • Erstens übernahm sie (freiwillig) „die Rolle einer Theaterkritikerin, die am ökonomischen Drehbuch, den Darstellern und dem Bühnenbild herummäkelte“ (Saurwein 1994: 47), wobei es sich, etwa im Fall von Karl Marx, wohl nicht nur um ein Herummäkeln, sondern um Systemkritik gehandelt hat. Die Wirtschaftssoziologie hat es demnach als ihre vordringlichste Aufgabe angesehen, die soziokulturellen Folgen der kapitalistischen Marktwirtschaft aufzuzeigen. Hieraus entwickelte sich eine geradezu „ewige“ Kontroverse zwischen Ökonomie und Soziologie mit am Ende – so Saurwein – mageren Resultaten und geringem Erkenntnisgewinn, die eher die Abgrenzung zwischen beiden Disziplinen verfestigt hat, als dass sie zu einem wissenschaftlichen Austausch beitrug. • Zweitens konzentrierte sich die Wirtschaftssoziologie bereitwillig – wie Saurwein betont – auf die Rolle einer „Resteverwerterin“. Folglich befasst sie sich in erster Linie mit den vermeintlich „weichen Themen“, z.B. der Bedeutung sozialer Beziehungen und Netzwerke, der prägenden Kraft von traditionalen und religiösen Wertvorstellungen sowie dem Einfluss von Normen auf ökonomische Denk- und Handlungsmuster. Dies ist sicherlich eine etwas überzeichnete Sichtweise, die aber recht treffend die Arbeitsteilung zwischen beiden Fächern beschreibt. Während die Wirtschaftswissenschaften demnach für die Analyse wirtschaftlicher Prozesse zuständig sind, kommt der Soziologie primär die Aufgabe zu, institutionelle und soziokulturelle Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns zu untersuchen sowie Probleme und Folgen wirtschaftlicher Entwicklungen aufzuzeigen. Heinemann verwendet hierfür die Bezeichnung „Wirtschaft und Gesellschaft-Paradigma“ (Heinemann 1987). Selbst die Arbeiten der US-amerikanischen Soziologen Talcott Parsons und Neil Smelser (insbesondere „Economy and Society“, 1956) haben diese Kluft nicht gänzlich überwinden können und auch nicht überwinden wollen. Erkennbar ist zwar der Versuch, zu einer systematischen Weiterentwicklung des Verhältnisses zwischen Soziologie und Ökonomie zu gelangen und den Graben zwischen den Disziplinen zu überbrücken, gleichwohl wurde aber nicht in Frage gestellt, dass es letztendlich die ökonomische Theorie ist, die wirtschaftliche Kernprozesse am besten erklären kann. Parsons und Smelser ging es ohnehin nicht darum, Ökonomisches analysieren zu wollen, vielmehr zielten ihre Überlegungen darauf ab, einen meta-theoretischen Rahmen für ihre allgemeine soziologische Theorie zu konzipieren, in die alle gesellschaftlichen Phänomene – auch die Wirtschaft – einbezogen werden können (vgl. Parsons/Smelser 1956: 6). Dennoch hat Hartmann sicherlich Recht, wenn er behauptet, dass hier zumindest der Versuch unternommen wurde, zu einem spezifisch soziologischen Erklärungskonzept zu gelangen, das sich auch auf die Wirtschaft erstreckt und in der Lage ist, Wechselwirkungen zwischen ökonomischen und nicht-ökonomischen Aspekten der Gesellschaft zu erfassen. Aus einer solchen systemtheoretischen Perspektive stellt die Wirtschaft ein soziales Subsystem der Gesellschaft neben anderen dar (etwa dem politischen oder kulturellen Subsystem), das eine nur diesem Subsystem zugeschriebene Funktion erfüllt, nämlich für die Bereitstellung von Ressourcen, mit denen die materiellen Bedürfnisse der Gesellschaft befriedigt werden können, zu sorgen. Dabei steht außer Frage, dass die Wirtschaft selbst wiederum abhängig von den Leistungen anderer Subsysteme ist, wie etwa dem politischen oder sozio-kulturellen Subsystem. Schließlich kommt die Wirtschaft nicht ohne schulisch vorgebildete Arbeitskräfte, institutionalisierte Werte und Normen, die z.B.

4

1 Einführung und Aufbau

zur Einhaltung von Verträgen beitragen, sowie politische und rechtliche Rahmenbedingungen aus. Wenngleich dieser allgemeine Theorieansatz auch zu einer neuen soziologischen Sicht der Wirtschaft beitrug, änderte dies aber nur wenig daran, dass die Analyse wirtschaftlicher Prozesse letztendlich weiterhin der ökonomischen Theorie überlassen wurde. Zwischenzeitlich sah sich die Soziologie sogar mit der Frage konfrontiert, ob sie ihre fachlichen Kompetenzen nicht überschreitet, wenn sie sich mit Themenfeldern der Ökonomie auseinandersetzt (vgl. Deutschmann 2002: 52). So gab es Ökonomen, die, wie z.B. Gary S. Becker, für sich in Anspruch nahmen, über die überzeugenderen Theoriekonzepte zu verfügen, um wirtschaftliche und sogar soziale Phänomene verstehen und erklären zu können. Ausgehend vom Rationalmodell des Handelns lieferten sie Erklärungen für die verschiedensten sozialen Phänomene, angefangen von der familialen Arbeitsteilung bis hin zur Entwicklung von Geburtenraten, was in der Soziologie sogar die Befürchtung eines „ökonomischen Imperialismus“ weckte. Letztendlich hat die Soziologie ihren Anspruch, Wirtschaftsprozesse aufschlüsseln und interpretieren zu können, dennoch zu keiner Zeit gänzlich aufgegeben. Den Versuch, zu einem ebenbürtigen Partner im Hinblick auf die Erklärung wirtschaftlicher Prozesse zu werden, unternahm – wie bereits erwähnt – in den 1970/80er Jahren die so genannte „neue Wirtschaftssoziologie“. Ihr gelang es, deutlich zu machen, dass wirtschaftliches Handeln nicht losgelöst von sozialen Beziehungen und Strukturen verstanden werden kann, da es stets in soziale Strukturen „eingebettet“ ist (vgl. u.a. Granovetter 1985; Swedberg 2009). Selbst die Preisbildung stellt nicht einfach ein Resultat von Nachfrage und Angebot dar, sondern wirft eine Reihe von Fragen auf, die auf soziales Handeln verweisen, etwa nach der Relevanz von Konventionen, Vertrauen, Macht und Interessen. Heute wird kaum noch bezweifelt, dass die Wirtschaftssoziologie in der Lage ist, wirtschaftliche Phänomene in ihrer ganzen Komplexität und nicht nur ihre sozialen und kulturellen Folgen erklären zu können. Kurzum, die Vorstellung, es sei möglich, eine strikte Trennung zwischen ökonomischem, sozialem und kulturellem Handeln vorzunehmen und jeweils einer Disziplin zuzuordnen, gilt längst nicht mehr als selbstverständlich. Selbst Ökonomen stellen die klassische Arbeitsteilung mittlerweile in Frage und befassen sich mit sozialen Normen und Institutionen. So wird die Unversöhnlichkeit zwischen den Positionen zunehmend hinterfragt und es gibt schon recht beachtliche Versuche, integrative Theorieansätze zu entwickeln (vgl. u.a. Maurer 2008a: 78 f.). Auszumachen ist somit eine allmähliche Erosion des „Wirtschaft und Gesellschaft-Paradigmas“ (vgl. Beckert/Deutschmann 2010: 10), das nicht erst von der „neuen Wirtschaftssoziologie“ in Frage gestellt wurde. Bereits Niklas Luhmann lehnte jegliche „Gegenüberstellung von wirtschaftlichen und sozialen Aspekten à la ‘Wirtschaft und Gesellschaft’“ ab und hielt Unterscheidungen zwischen wirtschaftlich, sozial und kulturell für „irreführend“ (Luhmann 1994: 8). Letztendlich ist „alles wirtschaftliche Handeln (…) soziales Handeln, daher ist alle Wirtschaft immer auch Vollzug von Gesellschaft“ (ebd.), was schon der Buchtitel „Die Wirtschaft der Gesellschaft“ zum Ausdruck bringt. Sein Ziel ist es, die Wirtschaft ausschließlich aus einer soziologischen Perspektive (als ein Anwendungsgebiet seines theoretischen Ansatzes) zu begreifen und dabei nicht mehr auf die Grundbegriffe und theoretischen Konzepte der Ökonomie angewiesen zu sein.

1 Einführung und Aufbau

5

Seitdem hat es eigentlich keinen so radikalen und weitreichenden Versuch mehr gegeben, das Phänomen der Wirtschaft aus der Perspektive einer soziologischen Theorie zu erfassen. Erst die Arbeit von Dirk Baecker (2006) beansprucht für sich, einen neuen Anlauf zur Konzeption eines geschlossenen (wirtschafts)soziologischen Theorierahmens unternommen zu haben. Sie basiert auf einer einzigen Annahme, „nämlich der, dass die Wirtschaft in der Gesellschaft die Funktion der Knappheitskommunikation erfüllt“ (ebd.: 6). „Erprobt“ wird sie „am Medium des Geldes, an den Netzwerken der Märkte und an einer Gesellschaftstheorie der Wirtschaft“ (ebd.), womit Baecker der in der Wirtschaftssoziologie seines Erachtens vorherrschenden „Enthaltsamkeit gegenüber soziologischer Theoriearbeit“ (ebd.: 5) entgegenwirken will. Ob und inwieweit es der Wirtschaftssoziologie vor, mit und nach Luhmann gelungen ist, eigene theoretische Erklärungsansätze zu entwickeln und damit eine spezifisch soziologische Sicht auf wirtschaftliche Prozesse zu gewinnen, ist auch Gegenstand dieses Buches. Da trifft es sich gut, dass die Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Phänomenen in jüngster Zeit Konjunktur hat und eine Vielzahl neuer Studien zu Märkten, Geld, Netzwerken, Moral und Vertrauen vorliegt, auf die Bezug genommen werden kann. So sieht es die Wirtschaftssoziologie, die sich erst 1989 in Form einer eigenständigen Sektion innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Soziologie institutionell verankert hat, als ihre Aufgabe an, die Entstehung, Struktur und Dynamik der Wirtschaft zum Thema eigener Untersuchungen und theoretischer Konzepte zu machen und den komplexen Wirkungszusammenhang zwischen ökonomischen, politischen und soziokulturellen Phänomenen zu erforschen. Es wird davon ausgegangen, dass zur Erklärung wirtschaftlicher Sachverhalte, wie etwa tief greifender wirtschaftlicher Umbrüche, eine soziologische Herangehensweise dringend geboten ist, denn wirtschaftliches Handeln stellt sich in der Tat immer auch als soziales Handeln dar. Gefragt wird u.a. danach, wie es zur Entstehung der modernen Wirtschaft gekommen ist, ob und inwieweit sie sozial eingebettet ist, nach welchen Prinzipien produziert und konsumiert wird, welche Wandlungsprozesse und Krisen die Wirtschaft mittlerweile durchlaufen hat und welche Folgen hiermit verbunden sind. Um diese drängenden Fragen der Moderne wird es in diesem Buch gehen, das einen Überblick über wirtschaftssoziologische Sichtweisen, Problemstellungen und Befunde einschlägiger Studien geben will. Zum Aufbau des Buches Im Anschluss an diesen kurzen historischen Abriss zur Entwicklung des Fachs, soll im Folgenden der inhaltliche Aufbau des Buches skizziert werden.2 Kapitel 2 befasst sich mit dem Wandel von Motiven, Formen und Zielen des Wirtschaftens. Erklärt wird, wie aus Bedarfs- Erwerbswirtschaften wurden und welche Auswirkungen dieser Transformationsprozess hatte. Bereits in diesem Zusammenhang wird von Wirtschaft, Markt(-Tausch), Geld und (Erwerbs-)Arbeit gesprochen, folglich bedarf es erster Erläuterungen dieser Begriffe.

2

Aus Gründen der sprachlichen Einfachheit wird zumeist auf eine sprachliche Differenzierung zwischen Männern und Frauen verzichtet, auch wenn oftmals gleichermaßen Frauen und Männer gemeint sind.

6

1 Einführung und Aufbau

Im Zentrum von Kapitel 3 stehen theoretische Sichtweisen. Nun ist es nicht möglich, alle theoretischen Anstrengungen, die darauf abzielen, die Wirtschaft der Gesellschaft erklären zu wollen, im Rahmen eines einführenden Lehrbuches darzustellen. Stattdessen werden jeweils spezifische, den Mainstream prägende Erklärungskonzepte herangezogen, die Auskunft über die Rationalität der Wirtschaft, Koordinationsformen wirtschaftlicher Aktivitäten, ihre Dynamik und Selbstreferenz sowie die soziale Einbettung der Wirtschaft geben. Folgt man einschlägigen Definitionen, gehören zur Wirtschaft all jene Prozesse und Institutionen, die mit der Produktion, Verteilung und Konsumtion beschränkt verfügbarer (also knapper) Güter und Dienstleistungen zu tun haben. Kapitel 4 setzt sich daher zunächst mit der Organisation der Produktion auseinander, insbesondere mit der Entstehung und dem Wandel von Produktionskonzepten, angefangen vom Taylorismus über den Fordismus bis hin zu aktuellen Prozessen der Reorganisation, wie z.B. mit Pendelbewegungen zwischen De- und Rezentralisierung, Tendenzen der Vermarktlichung und der Entgrenzung von Arbeit. Um eine Berücksichtigung arbeits- und industriesoziologischer Befunde kommt man in diesem Zusammenhang gar nicht herum. In Anbetracht des Bedeutungszuwachses der Dienstleistungsarbeit, geht es selbstverständlich auch um Tertiarisierungsprozesse der Wirtschaft. Am Ende stellt sich die Frage, ob all diese Restrukturierungsprozesse eine neue Form der Legitimation erfordern, es also eines neuen Geistes des Kapitalismus bedarf, um ein Mitmachen zu gewährleisten. Eine Wirtschaft ohne Konsumtion ist eigentlich nicht denkbar. Güter und Dienstleistungen werden schließlich für den Konsum erzeugt. Mithin wird die Konsumnachfrage als ein entscheidender Wachstumsfaktor angesehen. Folglich kann die Wirtschaftssoziologie die Konsumtion nicht einfach ignorieren, sondern muss sich mit der Welt des Konsums – dem Zwang zum „Leben als Konsum“ (Bauman 2009) – befassen, was Aufgabe des zweiten Teils von Kapitel 4 ist. Gefragt wird u.a. danach: Wie ist es zum Massenkonsum gekommen? Wer konsumiert wie und aus welchen Gründen? Wie werden immer neue Konsumbedürfnisse erzeugt? Werden Menschen selbst zu Konsumgütern? Gibt es konsumkritische Bewegungen? Bei diesen Themenfeldern liegt es auf der Hand, dass es direkte Verknüpfungen zur Lebensstil- und Konsumforschung gibt, die nicht ausgeblendet werden können und sollen. Lange Zeit wurde die Geschlechterproblematik von der Wirtschaftssoziologie ignoriert, obwohl nicht zu übersehen ist, dass es immer noch eine Vielzahl von „Schieflagen“ (Maier/Fiedler 2008) bzw. Geschlechterasymmetrien gibt, etwa im Hinblick auf die Verteilung von Arbeit (Produktions- wie Reproduktionsarbeit bzw. Berufs- und Hausarbeit im weitesten Sinne), Karriereverläufen und Einkommen. In Anbetracht der anhaltenden Wirkungsmacht, die dem Geschlecht in modernen Gesellschaften offenbar noch zukommt, darf eine Analyse der Beharrungskraft wie auch der Erosion von Geschlechterdifferenzierungen in der Wirtschaft in einem Einführungsbuch nicht fehlen (Kapitel 5). Ziel von Kapitel 6 ist es, Varianten und Wandlungsprozesse der kapitalistischen Marktwirtschaft aufzuzeigen. Da es die kapitalistische Marktwirtschaft nicht gibt, gilt es, unterschiedliche Modelle voneinander zu unterscheiden und genauer zu bestimmen. Vorgestellt und diskutiert werden, zum einen das Modell der liberalen Marktwirtschaft und zum anderen das Modell der sozialen Marktwirtschaft. Beide Modelle spielen in den Debatten über Spielarten des Kapitalismus eine große Rolle und sind Gegenstand der weiteren Ausführungen, in

1 Einführung und Aufbau

7

denen es zum einen um Varianten des „Welfare-Capitalism“ und zum anderen um das „Varieties-of-Capitalism“-Konzept geht. Die Befunde der vergleichenden Kapitalismusforschung sind mittlerweile auch ins Blickfeld der Wirtschaftssoziologie gerückt, die ein zunehmendes Interesse an diesem noch recht jungen Forschungszweig entwickelt hat. Schließlich treibt vor allem die Wirtschaftssoziologie die Frage um, welche tief greifenden Wandlungsprozesse die Wirtschaft durchläuft, ob sich z.B. koordinierte (soziale) in liberale Marktökonomien verwandeln und das Bild einer entgrenzten, transnationalen Wirtschaft bereits realitätsmächtig geworden ist. Da als treibende Kräfte auf diesen Transformationsprozess die Globalisierung und der (globale) Finanzmarkt ausgemacht werden, müssen diese Entwicklungen ebenfalls aufgegriffen und diskutiert werden. Im abschließenden Kapitel 7 wird ein Resümee gezogen und auf die Frage eingegangen, ob dem Kapitalismus Fesseln angelegt werden können. Prominente Stimmen, wie die des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt, dem nicht nachgesagt werden kann, dass er die kapitalistische Marktwirtschaft grundsätzlich ablehnt, sind skeptisch und warnen schon seit einigen Jahren vor der Entstehung eines „Raubtierkapitalismus“, der in Anbetracht der Zerstörung von Gemeinsinn und Moral durch eine hemmungslose Renditeorientierung der Wirtschaft, die sich im Zuge der Finanzkrise noch zugespitzt hat, an Konturen gewinnt.

2

Die moderne Wirtschaft: Entwicklungslinien und erste Begriffsklärungen

2.1

Von der Bedarfs- zur kapitalistischen Erwerbswirtschaft

Das Fach Soziologie und damit auch die Wirtschaftssoziologie sind – wie einleitend bereits ausgeführt – eng mit der Entstehung von Industriegesellschaften verknüpft. Vor allem die Gründerväter des Faches, wie Emile Durkheim, Georg Simmel, Werner Sombart und Max Weber, haben sich – nicht selten Bezug nehmend auf und/oder in Abgrenzung von den Thesen Karl Marx’ – mit der Dynamik und Funktionsweise der Wirtschaft, insbesondere mit der Logik und den sozialen Folgen der kapitalistischen Marktwirtschaft auseinandergesetzt. So haben die Klassiker zweifelsohne viel dazu beigetragen, die Entwicklungslinien von der Bedarfs- zur Erwerbswirtschaft zu beschreiben und den Übergang von der vormodernen in die moderne Gesellschaft zu untersuchen. Ziel der weiteren Ausführungen ist es, den Prozess der „Great Transformation“ – wie Polanyi (1997) ihn so treffend bezeichnet hat – aufzuzeigen und zentrale Charakteristika des Wandels herauszuarbeiten. Facetten des Wandels von der Bedarfs- zur Erwerbswirtschaft Wirtschaftliches Handeln ist keine Erfindung der Neuzeit. Bereits in der frühen Menschheitsgeschichte war man darauf angewiesen, mit knappen Gütern zu haushalten und dafür Sorge zu tragen, dass der Clan, die Sippe oder die Mitglieder der Hausgemeinschaft ihre Grundbedürfnisse befriedigen konnten. Was sich jedoch im Laufe der Zeit verändert hat, ist die Art und Weise des Wirtschaftens. So herrschte lange Zeit eine Natural- bzw. Bedarfsdeckungswirtschaft vor, die primär auf die Befriedigung von Alltagsbedürfnissen, also auf die Deckung des eigenen wie des Bedarfs der Gemeinschaft ausgerichtet war. Charakteristisch für sie war die Identität von Haushalt und Produktion (Werkstatt und Kontor), was nicht nur für die Hausgemeinschaft des Mittelalters typisch war, sondern bereits den Haushalt (Oikos) bzw. die Haushaltung und damit die Wirtschaft des Altertums (etwa im antiken Griechenland) prägte. Wenn von „Oikos“ die Rede ist, dann ist nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Haushaltsgemeinschaft gemeint. Vielfach handelt es sich um einen von einem Fürsten, Grundherrn oder Patrizier autoritär geleiteten Großhaushalt, der in erster Linie der „organisierten Bedarfsdeckung“ und „Vermögensnutzung“, nicht aber der „Kapitalverwer-

10

2 Die moderne Wirtschaft: Entwicklungslinien und erste Begriffsklärungen

tung“ diente (Weber 1980: 230). Hieran ändert auch der Sachverhalt wenig, dass der „Oikos“ mitunter (Tausch-)Handel trieb und nur im Idealfall wirklich „autark“ war, d.h. als tauschlose Eigenwirtschaft bezeichnet werden kann. Das Leitmotiv ist in diesem Fall nicht der kapitalistische Gelderwerb, sondern die organisierte Bedarfsdeckung. Im Zentrum steht die Herstellung und Konsumtion von Produkten und persönlichen Dienstleistungen zur Befriedigung von Alltagsbedürfnissen. Es geht um die „Deckung eines gegebenen eigenen Bedarfs“ (ebd.: 199), genauer den Bedarf des „Herrn“ (und seiner Gefolgschaft), dessen Autorität sich auf alle Mitglieder der häuslichen Gemeinschaft erstreckte und auf den patriarchalen Charakter dieser Wirtschaftsform verweist (vgl. ebd.: 581). Der Übergang von der Bedarfs- zur Erwerbswirtschaft hatte viele Ursachen. Mithin handelt es sich um einen Prozess, der bis ins 18. und frühe 19. Jahrhundert hineinreicht. Er setzte mit der allmählichen Auflösung der Bindung an die Hausgemeinschaft sowie der Einheit von Haushalt, Werkstatt und Kontor ein. Gründe für die Zersetzung der Haushaltsgemeinschaft sind auf die Teilung von Grundbesitz im Erbfall sowie die Entwicklung des individuellen Erwerbs zurückzuführen. Max Weber spricht in diesem Zusammenhang von einer Vervielfältigung von Lebensmöglichkeiten und einer Zunahme individueller Lebensgestaltung, die dazu beitrug, dass der Einzelne immer weniger Anlass sah, sich dem großen Haushalt zu fügen und der Hausgewalt des „Herrn“ zu beugen. Die Angewiesenheit auf den großen Haushalt und die Bindung an die Hausgemeinschaft nahm folglich immer weiter ab. Zu beobachten ist eine sukzessive Aufhebung der engen Verzahnung zwischen Haushalt und Produktion, die spätestens mit der Entstehung erster Manufakturen im frühen 19. Jahrhundert auch örtlich bzw. räumlich voneinander getrennt wurden. Kurzum: Der Haushalt ist „nicht mehr Stätte gemeinsamer Produktion“, sondern nur noch „Ort gemeinsamen Konsums“ (ebd.: 226). Zu konstatieren ist somit ein allmählicher Übergang von der „alteuropäischen“ Bedarfsdeckungswirtschaft zur Erwerbswirtschaft (vgl. Luhmann 1997). Diese Neuausrichtung betrifft vor allem den Markt, der vormals noch stark durch Traditionen und Zunftordnungen reglementiert war. Weber beschreibt diesen Wandel wie folgt: „Typische Schranken des Marktes sind durch sakrale Tabuisierungen oder durch ständisch monopolistische Vergesellschaftungen, welche den Gütertausch nach außen unmöglich machen, gegeben. Gegen diese Schranken brandet nun unausgesetzt die Marktgemeinschaft an“ (Weber 1980: 384). Wirtschaftliches Handeln zeichnet sich fortan nicht nur durch einen Gegenwarts-, sondern auch durch einen Zukunftsbezug aus, indem Mittel für investive Zwecke zurückgehalten und damit sowohl zur Erhaltung als auch zur Erweiterung von Ressourcen (Wachstumsaspekt) genutzt werden können. Überschüsse werden nicht mehr als Opfergaben verwendet oder als Nothilfe aufbewahrt, verschenkt oder unverzüglich konsumiert. Wirtschaftliche Tätigkeiten sind folglich nicht mehr zugleich soziale Tätigkeiten, die für die Gemeinschaft erbracht werden. Damit setzt sich eine ökonomische Orientierung durch, der zufolge die Verwendung knapper, begehrter Güter zur Erzielung eigener Gewinne eingesetzt wird. Parallel hierzu entstanden spezielle Institutionen, wie Verbände, Betriebe und Unternehmen. Hervorzuheben ist der Bedeutungszuwachs von („freien“) Märkten, die produktive und/oder distributive (verteilende) Funktionen wahrnehmen. Zwar hat es schon sehr früh Märkte gegeben (Frühformen finden sich schon in Mesopotamien 3.500 v. Chr.) – ja ihre Zahl nahm im Mittelalter sogar sprunghaft zu –, aber die Vorstellung eines sich selbst regulierenden

2.1 Von der Bedarfs- zur kapitalistischen Erwerbswirtschaft

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Marktes, einer weitgehenden Loslösung der Wirtschaft von der Befehlsgewalt des Staates sowie der Gemeinschaft, fehlte bis zu diesem Zeitpunkt völlig (vgl. Polanyi 1997: 87). Stattdessen war das wirtschaftliche Geschehen „in die allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse eingebettet“ (ebd.: 101). Könige und Fürsten, aber auch Zünfte, Städte und Provinzen regelten das Marktgeschehen nach Brauch und Tradition und der „selbstgenügsame Haushalt des für seinen Lebensunterhalt schwer arbeitenden Bauern blieb weiterhin die Grundlage des Wirtschaftssystems“ (ebd.: 101). Hieran änderte der aufkommende Merkantilismus (erste Spuren dieses Systems finden sich in England bereits 1381) wenig, obwohl er darauf abzielte, den Protektionismus der Städte und lokalen Fürsten abzuschaffen, da angenommen wurde, dass es hierdurch möglich sei, zu einer besseren Entfaltung nationaler (Güter-)Märkte zu gelangen. Im Vordergrund stand das Interesse des Staates, das wirtschaftliche Geschehen zu reglementieren und zu kontrollieren. Hierzu heißt es bei Polanyi: „der Gedanke einer Selbstregelung des wirtschaftlichen Lebens lag jenseits der Vorstellungskraft der Zeit“ (ebd.: 105). Vielmehr befasste sich der Merkantilist in erster Linie „mit der Entwicklung der wirtschaftlichen Ressourcen des Landes, einschließlich der Vollbeschäftigung durch Handel und Geschäft; die traditionelle Organisation von Boden und Arbeit nahm er als gegeben hin“ (ebd.). Von einer Kommerzialisierung von Arbeit und Boden kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesprochen werden. Der Siegeszug der Erwerbs- bzw. Marktwirtschaft ging von Großbritannien aus, breitete sich dann zunächst auf dem europäischen Kontinent aus, bevor er die USA erfasste. In Europa setzte dieser Wandel mit der Erosion der feudalistischen Produktionsweise ein. Privat- und Eigentumsrechte gewinnen in dieser Zeitphase an Bedeutung. Boden und Arbeit(skraft) werden käuflich und es kommt zu einer zunehmenden Kommodifizierung bzw. Vermarktlichung dieser (fiktiven) Waren. So wurde die traditionelle Landwirtschaft, die vielfach den Charakter einer der Bedarfsdeckung dienenden Subsistenzwirtschaft hatte, durch die im 18. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung allmählich zurückgedrängt. Damit verloren viele Menschen ihre zentrale Lebensgrundlage und Einkommensquelle und die aufkommende Industrie wird für immer mehr Menschen zum Hauptarbeitgeber. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es in Europa unterschiedliche regionale Entwicklungen gab. Von einem gleichförmigen, überall die gleichen Strukturen aufweisenden Industrialisierungsprozess sowie einer flächendeckenden Durchsetzung einer kapitalistischen Produktionsweise kann keine Rede sein. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein gab es Regionen, in denen weder Industrialisierungsprozesse noch die Geldwirtschaft eine Rolle spielten, während es in anderen Ländern – allen voran in England – schon früh zu einem tief greifenden Wandel und einer folgenreichen Verbreitung der Logik der kapitalistischen Marktwirtschaft kam. Polanyi beschreibt den sich hier abzeichnenden strukturellen gesellschaftlichen Veränderungsprozess als „Great Transformation“ und meint damit den Übergang von „integrierten“ Gesellschaften, die sich durch eine weitreichende Einbettung allen wirtschaftlichen Handelns in einen übergreifenden sozialen und kulturellen Zusammenhang auszeichnen, zu „nicht integrierten“ Gesellschaften, in denen sich die Wirtschaft eines Großteils ihrer früheren sozialen, kulturellen und normativen Bindungen entledigte. So ging die Auflösung der Hausgemeinschaft und Bedarfswirtschaft mit der Erosion traditionaler Orientierungen – etwa an Gebräuchen und Zunftordnungen – einher und führte zu einer grundlegenden Veränderung des Wirtschaftens, die sich fortan nicht mehr mit einer Bedarfsdeckung zufrieden gab. Der im

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19. Jahrhundert aufkommende Utilitarismus3 trug seinen Teil dazu bei, rechtfertigte er doch die Verfolgung von Eigeninteressen wie die individuelle Bereicherung, ohne die – so die Argumentation – es nicht zu wirtschaftlichem Wachstum und folglich auch nicht zum „Wohlstand der Nationen“ (Smith) kommen kann. Dass zwischen vorindustrieller und industrieller Gesellschaft eine – wie Peter Laslett in seinem Buch „Verlorene Lebenswelten“ (1988) hervorhebt – scharfe Grenze gezogen werden kann, zeigt ein Blick auf das vorindustrielle Arbeitsverständnis. In Anlehnung an Überlegungen von van Dülmen (2000a/b) lassen sich sechs Charakteristika anführen, die als typisch für vormoderne Gesellschaften anzusehen sind und einen Eindruck von der frühneuzeitlichen Arbeit und ihrer Organisation vermitteln. 1. Arbeit war nicht gleichmäßig verteilt. Zwar gab es Gesinde- und Gesellenordnungen, in denen ein 12- bis 15stündiger Arbeitstag vorgesehen war, aber dieser war keineswegs gleichförmig. Auszumachen sind Wechsel zwischen intensiven Arbeitsphasen und geruhsamen Perioden. Sie waren jeweils in hohem Maße abhängig von der Jahreszeit, vom Wetter, aber auch von Familienereignissen und regionalen Marktgegebenheiten. Vorherrschend war ein zyklisches Zeit- und Arbeitsverständnis. 2. In der frühneuzeitlichen Gesellschaft bestand ein lockerer Wechsel von Arbeit und Fest (heute würden wir von Freizeit sprechen). Eine Verknüpfung zwischen beiden war nichts Ungewöhnliches, durch sie konstituierte sich das Gemeinschaftsleben. 3. Arbeit war keineswegs gleichförmig und erst recht nicht messbar. Es gab auch nicht den Versuch, sie zu standardisieren und Vergleichbarkeit herzustellen. Erst mit dem Aufkommen der (großen) Fabrik und der Herstellung höherer Stückzahlen, wie etwa in der Tuch- und Metallindustrie, wurde die Frage der Leistungsstandards und Zeitmessung akut. 4. Typisch für die frühe Neuzeit war die bereits beschriebene Dominanz der Subsistenzproduktion bzw. der Hauswirtschaft. Diese zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass es keine klare Grenzziehung zwischen Produktions- und Reproduktionsbereich bzw. Berufsund Haushaltsarbeit (bzw. Familiensphäre) gab. Alle Haushaltsmitglieder trugen ihren Teil zur Erhaltung der Hauswirtschaft bei. Eine rigide Trennung zwischen Frauen- und Männerwelten wurde folglich nicht vorgenommen. Unabhängig davon herrschte jedoch ein Patriarchalismus vor. Es waren in der Regel Männer, die den Vorstand der Hauswirtschaft innehatten und Macht über alle im Haushalt lebenden Personen ausübten. Charakteristisch für die Hauswirtschaft ist, dass sie nicht primär auf die Vermehrung von Vermögen und die Erzielung von Gewinn ausgerichtet war. Ein Indiz hierfür liefert etwa die Wertschätzung der Hausehre, die für wesentlich wichtiger erachtet wurde als die Maximierung des Vermögens.

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Mit Utilitarismus ist die sich im 19. Jahrhundert verbreitende Auffassung vom Anrecht aller Individuen auf „Glück“ gemeint. Eingefordert wird „das größte Glück der größten Zahl“ (Bentham), das zur Legitimation der Verfolgung von Eigeninteressen diente, die durchaus mit der Erzielung von Gemeinwohl kompatibel sei. Der Utilitarismus lieferte den Anstoß für die Entwicklung ökonomischer Konzepte (z.B. das Gesetz des Grenznutzens und das Modell des Homo Oeconomicus).

2.1 Von der Bedarfs- zur kapitalistischen Erwerbswirtschaft

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5. Zwar strebten die Söhne nicht selten den Beruf des Vaters an, aber es gab auch eine nicht geringe Zahl von Personen, die wechselnden Beschäftigungen nachging. Hierzu gehörten Transportdienste, Festungsbauten, Hausiererei etc. 6. Der Stolz der Bauern leitete sich weniger aus der individuellen Arbeit als von dem ererbten Besitz ab. Die Arbeit an sich trug nicht zur sozialen Identitätsbildung bei. Etwas anders war dies in den so genannten protoindustriellen Gewerben auf dem Lande, wo der erarbeitete Gewinn und die Abhängigkeit vom Markt größer waren. Dagegen war der Handwerker auf ein auskömmliches, standesgemäßes Leben aus. Der Übergang von der Bedarfs- zur Erwerbswirtschaft ist eng verknüpft mit der Ablösung des traditionalen Lebens- und Arbeitsverständnisses (vgl. hierzu auch Thompson 1976). Von großer Relevanz für diesen Transformationsprozess erwies sich die protestantische Arbeitsethik, die als eine Art ideeller Antriebsriemen des Kapitalismus bezeichnet werden kann. Danach ist eine rationale Lebensführung, die weder Muße noch Verschwendung kennt, das zentrale Lebensziel. Besonders anschaulich sind hierzu die Aussagen von Benjamin Franklin, auf die sich Max Weber bezieht, zumal dieser geradezu den Prototypen eines Menschen darstellt, der schon früh eine rationale Lebensführung und eine hohe Erwerbs- bzw. Berufsorientierung aufwies: „Das sittlich wirklich Verwerfliche ist nämlich das Ausruhen auf dem Besitz, der Genuß des Reichtums mit seiner Konsequenz von Müßiggang und Fleischeslust. (...) Nicht Muße und Genuß, sondern nur Handeln dient nach dem unzweideutig geoffenbarten Willen Gottes zur Mehrung seines Ruhms. Zeitvergeudung ist also die erste und prinzipiell schwerste aller Sünden. (...) Wertlos und eventuell direkt verwerflich ist daher auch untätige Kontemplation, mindestens wenn sie auf Kosten der Berufsarbeit erfolgt“ (Weber 1979: 167 f.). Das nüchterne Effizienz- und Gewinnstreben – insbesondere der Berufserfolg – erfuhr somit eine religiöse Rechtfertigung und wurde als ein Zeichen göttlicher Auslese betrachtet. Die Dogmatik des asketischen Protestantismus – zu nennen ist vor allem der Calvinismus – stellt demnach einen wichtigen, nicht zu vernachlässigenden Motor für den Wandel dar. Es dauerte allerdings einige Jahrzehnte bis sich die neue Arbeitsmoral in den Köpfen der Menschen verfestigte und Erwerbsarbeit zu einem zentralen Bezugspunkt des Lebens wurde.4 Die in dieser Phase einsetzenden tief greifenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungsprozesse wären aber wohl kaum möglich gewesen, wenn es nicht zu der bereits er4

Die neue Ethik des Gewinnstrebens sowie die starke Fixierung auf die Berufs- bzw. Erwerbsarbeit haben ihre Wirkungsmacht bis heute nicht verloren. Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn man an Unternehmen aus der Kultur- und Medienindustrie oder der Informations- und Telekommunikationsindustrie denkt. Hier findet sich vielfach eine Arbeitskultur, die Beschäftigten ein hohes Maß an Flexibilität abverlangt, so dass Grenzziehungen zwischen (Erwerbs)Arbeits- und Lebenswelt nicht immer einfach sind. In der modernen Arbeitswelt werden offenbar zunehmend Fähigkeiten zur Selbstrationalisierung, -kontrolle und -ökonomisierung erwartet. Arbeitsund IndustriesoziologInnen sehen hierin Indizien für das Aufkommen eines neuen Beschäftigtentypus. Sie nennen ihn „selbständigen Unselbständigen“ bzw. „Arbeitskraftunternehmer“ (Voß/Pongratz 1998). Beschrieben wird hier ein Idealtypus, ob und inwieweit sich hieraus auch ein Realtypus entwickelt, darüber kann nur die empirische Forschung Auskunft geben. Studien haben zwar erste Hinweise auf einen Wandel geliefert, ein klares Bild ist aber noch nicht zu erkennen (vgl. u.a. Pongratz/Voß 2003; Voß 2007).

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2 Die moderne Wirtschaft: Entwicklungslinien und erste Begriffsklärungen

wähnten Kommerzialisierung von Arbeit und Boden gekommen wäre. So konnte bis zum 18. Jahrhundert schon eine Vielzahl von Gütern und Diensten, selbst „Freunde, Frauen, Seelenheil und politischer Einfluss“ (Luhmann 1999) gekauft werden, nicht aber die zur Produktion notwendigen „(fiktiven) Waren“: Arbeit und Boden. Märkte an sich sind zwar uralt; das eigentlich Neue der kapitalistischen Wirtschaftsordnung ist – so Polanyi (1997) – aber die Schaffung von Arbeitsmärkten und mithin die Lohnarbeit („formell freie Arbeit“). Lohnarbeit war in der Vergangenheit – abgesehen vom bezahlten Söldnertum – eher eine Ausnahme (Bergbau, Bauwirtschaft, landwirtschaftliche Saisonarbeit) und besaß allenfalls den Charakter eines Nebenverdienstes, insbesondere für die landwirtschaftliche Bevölkerung (vgl. Deutschmann 2002: 62). Dies änderte sich mit dem Übergang von der Bedarfs- zur Erwerbswirtschaft grundlegend. Am Beispiel Englands lässt sich dieser Wandel gut zeigen: Auslösende Momente waren hier zum einen die Aufhebung des Elisabethanischen Armenrechtsgesetzes (1834), der traditionellen Fürsorgepflicht gegenüber den Armen, die nur noch die Wahl zwischen Arbeitshaus und der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses in den neu entstandenen Fabriken hatten, sowie zum anderen das Speenhamland-Gesetz. Danach wurde all jenen ein Zuschuss zum Lohn gewährt, die einer Beschäftigung nachgingen, die unterhalb des Tarifs lag (garantiertes Minimaleinkommen). Mit der Abschaffung des „Rechts auf Lebensunterhalt“ war der Weg frei für einen wettbewerbsbestimmten Arbeitsmarkt. Folgt man Polanyi, so kann behauptet werden, dass die Abschaffung des traditionellen Armenrechts im Jahre 1834 sich als ein Meilenstein im Hinblick auf die Entfaltung der neuen Logik des Marktsystems erwiesen hat (Polanyi 1997: 121). Nicht zu vernachlässigen ist auch die Kommerzialisierung des Bodens, die sowohl durch Zwang und Gewalt erreicht wurde als auch durch legislative Maßnahmen, insbesondere durch die Liberalisierung des Bodenrechts und die Aufhebung von Gewohnheitsrechten, wie die Nutzung von Gemeindeland für die Viehbewirtschaftung. Marx verbindet hiermit die Frühgeschichte des Kapitalismus und widmet dem Thema der Landvertreibung, die u.a. einherging mit dem Verlust von Gemeindeland und der Einzäunung großer Landflächen durch britische Großgrundbesitzer, sein berühmtes 24. Kapitel über die so genannte „ursprüngliche Akkumulation“ (vgl. Marx 1975: 741 ff.). Bis ins 19. Jahrhundert hinein war es nicht üblich, den Boden als eine frei verkäufliche Ware zu behandeln. Dies änderte sich erst im Zuge der Französischen Revolution und der in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts vorangetriebenen Bodenreformen. Wegbereiter waren die seinerzeit bereits als Vordenker des Liberalismus geltenden Utilitaristen, zu denen z.B. Jeremy Bentham (1748–1832) gehörte. Sie gingen davon aus, dass es für die weitere Entwicklung der Landwirtschaft von Vorteil ist, wenn es keine Erblehen, kein Gemeindeland usw. geben würde, die die Freiheit im Umgang mit dem Besitz einschränken (vgl. Polanyi 1997: 246). Dementsprechend wurde in England in den Jahren 1830 bis 1860 die Vertragsfreiheit ausgeweitet und Grund und Boden eine käufliche Ware (ebd.: 248). All diese Maßnahmen der Deregulierung, angefangen von der Änderung der Armenrechtsgesetze bis hin zur „Bauernbefreiung“ und der damit einhergehenden Landvertreibung, trugen dazu bei, dass die nunmehr „Besitzlosen“ nur noch über ihre Arbeitskraft als Einnahmequelle verfügten. So boten die neu entstandenen Manufakturen wie frühen Fabriken den in die Städte strömenden, Arbeit suchenden Tagelöhnern die einzige Möglichkeit, zu einem Verdienst zu gelangen und ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (vgl. u.a. Polanyi 1997).

2.1 Von der Bedarfs- zur kapitalistischen Erwerbswirtschaft

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Bild 1: Essen – Industriestadt (Fotograf: Gerhard Kerff)

© Museum für Kunst und Gewerbe

Die frühen Unternehmer-Kapitalisten hatten – so Müller-Jentsch (1997) – in dieser Phase vor allem mit drei Gruppen von Arbeitsanbietern zu tun: 1. jenen, die unter Zwang in die Fabrik gebracht wurden (ehemalige Gefangene, Menschen aus Arbeits- und Waisenhäusern); 2. jenen, die meist in einer zweiten Phase der Arbeitsrekrutierung als pauperisierte Heimarbeiter, Kleinbauern und Handwerker zwar formell freiwillig, aber unter dem „stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse“ in die Fabriken kamen; und schließlich 3. jenen, die handwerkliche Qualifikationen erworben hatten und für die neuen qualifizierten Aufgaben gebraucht wurden. Sie alle stammen aus dem großen Heer der „Besitzlosen“, die, wie es bei Marx heißt, einzig und allein über ihre Arbeitskraft verfügen, die sie verkaufen können, ja müssen, um ihr Überleben zu sichern. Die Rede ist von der Entstehung eines industriellen Proletariats, das sich im 18. und 19. Jahrhundert zur Arbeiterklasse5 formierte. Lohnarbeit stellte seitdem 5

Heute wird nicht nur über den Gegensatz von Kapital und Arbeit gestritten, sondern auch über den Klassenbegriff wie die Existenz von Klassen und die damit einhergehende Vorstellung eindeutiger Klassenlagen. Mithin ist es eigentlich kaum noch möglich, von einer gemeinsamen „Klassenidentität“ zu sprechen. In Anbetracht der Auflösung traditioneller (proletarischer) Arbeits- und Lebensmilieus, wie sie etwa in früheren Industriegebieten (z.B. Stahl- und Bergarbeitersiedlungen) vorherrschten, ist die Vorstellung von einer gemeinsamen Klassenlage verloren gegangen. So lassen sich vielfältige Unterschiede und Abgrenzungen zwischen LohnarbeiterInnen ausmachen, die zeigen, dass die Klassenstruktur in der Gegenwartsgesellschaft wesentlich pluraler bzw. heterogener geworden ist. Zudem werden Klassen durch weitere Strukturkategorien (Geschlecht, Ethnie, Körper) überlagert, die zu komplexen Überkreuzungen und neuen Formen sozialer Ungleichheit führen (siehe hierzu die Debatte über Intersektionalität; vgl. u.a. Klinger/Knapp 2008; Acker 2010; Winker/Degele 2009).

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2 Die moderne Wirtschaft: Entwicklungslinien und erste Begriffsklärungen

für immer mehr Menschen die einzige Möglichkeit dar, Einkommen zu erwerben. Um 1900 gehörte die Arbeiterschaft bereits zur stärksten Berufsgruppe (vgl. Mikl-Horke 2000: 42). In diese Phase fällt auch die Entstehung des Arbeitsmarktes, der in kapitalistischen Marktwirtschaften zur Zentralinstitution der Allokation gesellschaftlicher Arbeit wird. Die Wirtschaftswissenschaft definiert ihn als den Ort, an dem die Nachfrage nach Arbeitskräften mit dem Selbstangebot von Arbeitskräften zusammentrifft. Bis heute gelten Arbeitsmärkte in kapitalistischen Marktwirtschaften als die „institutionelle Lösung eines doppelten Allokationsproblems“ (Offe/Hinrichs 1977: 48), nämlich einerseits das Produktionssystem (Unternehmen) mit Arbeitskräften zu versorgen und diese andererseits mit monetären Mitteln (Einkommen) sowie sozialem Status zu versehen (ebd.). Es kommt zum Abschluss von Arbeitsverträgen, in denen die Austauschbedingungen von Arbeit und Kapital festgelegt werden. Im Unterschied zu anderen Kaufverträgen, die sich etwa auf den Kauf von Rohstoffen oder Maschinen beziehen, zeichnen sich Arbeitsverträge jedoch durch einige Besonderheiten aus, was darauf zurückzuführen ist, dass die Ware Arbeitskraft eben keine anderen Tauschgütern vergleichbare Ware oder Sache ist, da die Person des Arbeitenden nicht von der Ware Arbeitskraft abgelöst werden kann. Im Arbeitsvertrag können im Grunde nur grobe Umrisse und Arbeitsbeschreibungen festgelegt werden; d.h. es bleibt ein gewisses Maß an „Unbestimmtheit“. Wie das Arbeitsverhältnis letztlich ausbuchstabiert wird und ob es gelingt, „Arbeitsvermögen in wirkliche Arbeit umzusetzen“ (Berger/Offe 1982: 351) – was auch als „Transformationsproblem“ bezeichnet wird –, hängt am Ende von vielerlei Faktoren ab; angefangen vom historischen Stand der Technik und Arbeitsorganisation über das Managementwissen bis hin zum Verhältnis zwischen Management und Beschäftigten. Betrachtet man die Arbeitsbeziehungen in der frühen Phase der Industrialisierung, so fällt auf, dass es im Hinblick auf die Organisation des Fabriksystems zu diesem Zeitpunkt noch keine direkten Vorbilder gab, an denen sich Fabrikbesitzer im Hinblick auf Fragen des Managements orientieren konnten (vgl. hierzu u.a. Müller-Jentsch 1997). Ihr Hauptproblem bestand wohl darin, wie es Braverman ausdrückt, zu einer „Kontrolle von widerspenstigen Massen“ (Braverman 1977: 61) zu gelangen und diese an die Fabrikdisziplin sowie an den neuen Zeitrhythmus zu gewöhnen. Vorherrschend waren ein Anreizsystem aus „Zuckerbrot und Peitsche“ und eine massive Kampagne zur Disziplinierung, um den Widerstand gegen das neue Arbeitsethos zu brechen. Die Managementmethoden waren seinerzeit größtenteils geprägt durch die aus dem Militär und der Feudalzeit bekannten autoritären Führungsstile. Sie umfassten neben Lohnabzügen auch körperliche Strafen. Unternehmer verstanden sich vielfach sogar als selbständige „Gerichtsherren“, die nahezu uneingeschränkt über ihre Beschäftigten bestimmen dürfen. Dieser Paternalismus war in der frühen Phase der Industrialisierung weit verbreitet. Krupp z.B. sah sich als „Schutzherr, Erzieher und Zuchtmeister“ seiner Belegschaft samt ihrer Familien (vgl. Mikl-Horke 2000: 36). Dies änderte sich erst mit der Verabschiedung von Arbeiterschutzgesetzen.6

6

Etwas anders ging man seinerzeit mit qualifizierten Arbeitskräften um, da eine direkte Kontrolle der handwerklich qualifizierten Fachkräfte nicht möglich war. So wiesen die frühen Unternehmer ihnen Aufgaben zu – heute würde man auch von Projekten sprechen – und überließen es ihnen selbst, die Art und Zeit der Ausführung zu bestimmen, wobei man es ihnen frei stellte, für die Ausführung der Arbeit noch ungelernte Arbeiter zu beschäftigen. Wir haben es hier mit einem internen Kontraktsystem zu tun, das zur Zeit der Frühindustrialisierung rela-

2.1 Von der Bedarfs- zur kapitalistischen Erwerbswirtschaft

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Eng verknüpft mit der Kommerzialisierung von Arbeit und Boden ist der Bedeutungszuwachs des Geldes, das allmählich den Rang eines universellen Tausch- bzw. Zahlungsmittels erhielt und im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur international anerkannten Währungsform wurde, die den Naturaltausch nahezu vollständig ablöste. Soziologisch betrachtet symbolisiert Geld ein Versprechen, nämlich für Geld eine gewünschte Leistung zu erhalten (vgl. u.a. Kellermann 2008). So wurde Geld gesellschaftlich institutionalisiert und zu einem akzeptierten Medium, das in der Lage ist, komplexe Tauschprozesse zu vereinfachen. Aus Geld wurde schließlich Kapital, ohne das die „Great Transformation“ nicht möglich gewesen wäre. Deutschmann (2002) zufolge stand damit ein Medium zur Verfügung, das nicht nur eine effizientere Abwicklung von Tauschoperationen ermöglichte, vielmehr ging seine Bedeutung weit über rein funktionale Vorteile, nämlich ein bequemes und praktisches Tauschmittel zu sein, hinaus. Es handelte sich von Beginn an immer auch um ein Macht- und Herrschaftsmittel sowie um eine Quelle sozialer Ungleichheit, worauf an anderer Stelle noch näher einzugehen sein wird (Teil 3.1.2). Abbildung 1: Wirtschaftsformen

Bedarfswirtschaft

Erwerbswirtschaft

Verhältnis von Haushalt und Produktion

keine Trennung, traditional: Haus- gleich Wirtschaftsgemeinschaft (ausgeprägter Patriarchalismus)

räumliche Trennung zwischen Haushalt und Betrieb, Entkopplung von Produktion und Reproduktion

Zeithorizont

Gegenwartsbezug

Zukunftsbezug

Verwertungslogik

Bedarfsdeckung / Erhalt der Gemeinschaft

Erwerbsorientierung / Akkumulation (Wachstumsaspekt)

Einbettung wirtschaftlichen Handelns

Dominanz traditionaler, sozialer Bindungen

marktreguliert, entpersonalisierte Tauschbeziehungen

Am Ende dieses langen und konfliktreichen Prozesses steht die Entwicklung der Wirtschaft zu einem eigenständigen, primär auf sich selbst bezogenen Teilsystem der Gesellschaft, das nach systemimmanenten Prinzipien funktioniert und seine Angelegenheiten im Prinzip unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten regelt. Nicht mehr „der Feudalherr (...), nicht der Fürst als Obereigentümer kontrolliert die Wirtschaft, sondern die Entscheidungen werden an Hand von unternehmensspezifischen Gewinn- und Verlustrechnungen getroffen, und diese steuern die Produktion absatzorientiert, also marktorientiert. (...) Letztlich entscheiden jetzt die Märkte (...) über den Erfolg“, so Niklas Luhmann (1997: 727).

tiv weit verbreitet war. Insgesamt gesehen kann in dieser Phase jedoch noch nicht von einem systematischen Management der Arbeit gesprochen werden (vgl. hierzu auch Müller-Jentsch 1997).

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2 Die moderne Wirtschaft: Entwicklungslinien und erste Begriffsklärungen

Selbstverständlich kann die Wirtschaft nicht mit dem Markt gleichgesetzt werden7, allerdings ist er zu einem zentralen Element des gegenwärtigen Wirtschaftssystems geworden. Die Institution des Marktes, wie insbesondere seine soziale Konstruktion, Reproduktion und Wirkungsmacht, aus einer soziologischen Sicht zu entschlüsseln, steht daher bis heute auf der Agenda der wirtschaftssoziologischen Forschung. Ein Thema hat sich dabei besonders in den Vordergrund geschoben, nämlich die Frage nach den Formen der kulturellen und sozialen Ein- und Entbettung von Märkten. Für Polanyi war die Antwort eindeutig: „Wenn man den Marktmechanismus als ausschließlichen Lenker des Schicksals der Menschen und ihrer natürlichen Umwelt, oder auch nur des Umfangs und der Anwendung der Kaufkraft zuließe, dann würde dies zur Zerstörung der Gesellschaft führen“ (Polanyi 1997: 108). Polanyis Befürchtung, dass es im Zuge großer Transformationen zu einer zunehmenden sozialen Entbettung des Marktes kommt, die am Ende zu einer entfesselten (kapitalistischen) Marktwirtschaft mit starken gesellschaftlich desintegrierenden Kräften führt, ist immer noch aktuell, wenngleich seine Sicht auf Entbettungsprozesse durch die „neue Wirtschaftssoziologie“ auch eine Reihe von Korrekturen erfahren hat. Nach wie vor wird darüber diskutiert, welche Konsequenzen mit einer weitreichenden Marktliberalisierung verbunden sind und ob es am Ende nicht doch zu einer Regulierung von Märkten kommen muss, um Prozesse der sozialen Desintegration – Durkheim würde von „Anomie“ sprechen – zu verhindern. Kurzum, die Analyse von Transformationsprozessen und die damit einhergehenden Integrations- und Desintegrationstendenzen, Ent- und Einbettungsprozesse von Märkten, ist ein spannendes Forschungsfeld der Wirtschaftssoziologie geblieben. Halten wir fest: Die Dynamik der Industrialisierung war eng verknüpft mit einer Kommerzialisierung von Arbeit, Kapital und Boden. Sie trug dazu bei, dass die traditionelle Bedarfswirtschaft sukzessive an Bedeutung verlor. Mit der Entstehung des Fabriksystems kommt es zur Trennung von Haushalt und Arbeitsplatz, von Konsumtion und Produktion. Die Kluft zwischen Arbeits- und Lebenssphäre wird zunehmend größer, abhängige Lohnarbeit für einen Großteil der Bevölkerung zur einzigen Erwerbsquelle. Hierbei handelt es sich um das Resultat eines ökonomischen und sozialen Entwurzelungsprozesses großer Bevölkerungsteile, ausgelöst durch den Niedergang traditioneller Einkommensquellen, wie etwa der ländlichen Subsistenzwirtschaft. Den augenfälligsten Beleg für diesen Veränderungsprozess liefert die Orientierung der Wirtschaft und der Arbeit am rationalen wirtschaftlichen Erwerb, an Rentabilität. Es geht um die Verfolgung eigener Interessen und nicht mehr in erster Linie um Gemeinschaftsorientierungen (vgl. Weber 1980: 119). Grundlegend ist das ständige Streben nach Einkommen und Gewinn (die Logik der Kapitalakkumulation). Hierin liegt – so bereits Weber – die unvermeidlich „letzte Triebfeder alles wirtschaftlichen Handelns“ (ebd.: 120). Charakteristisch für sie ist eine Ausrichtung an der Zukunft. Es entsteht die moderne Wirtschaft, die als ein eigenständiges Teilsystem der Gesellschaft operiert.

7

Trotz der zunehmenden Ausbreitung des Marktmechanismus werden nach wie vor nicht alle Entscheidungen über die Verteilung von Gütern über den Markt gesteuert (siehe z.B. Erbschaften, Schenkungen) (vgl. Beckert 2004).

2.2 Erste begriffliche Annäherungen

2.2

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Erste begriffliche Annäherungen

Wie jedes andere Fachgebiet versucht auch die Wirtschaftssoziologie ihren Forschungsgegenstand – die Wirtschaft – näher zu beschreiben. Die Festlegung von Grundbegriffen und Strukturmerkmalen spielt dabei eine wichtige Rolle. Beginnen wollen wir mit der Frage, was gemeint ist, wenn von Wirtschaft gesprochen wird.

2.2.1

Wirtschaft

Welche Rolle spielt die Wirtschaft in der Gesellschaft, was versteht man unter Wirtschaften und wie kann die Wirtschaft der Gesellschaft erklärt werden? Zu all diesen Fragen liegen nicht nur in der Soziologie, sondern auch in den Wirtschaftswissenschaften zum Teil recht unterschiedliche Auffassungen vor. So macht es einen Unterschied, ob die Wirtschaft aus einer marxistischen, systemtheoretischen oder neo-institutionalistischen Perspektive – um nur einige Theorierichtungen zu nennen – betrachtet wird. Zunächst zur Wortbedeutung: Das Wort Wirtschaft stammt aus dem Griechischen (Oikonomia), womit die Führung eines Haushalts gemeint ist, der für die Bedarfsdeckung seiner Mitglieder im Hinblick auf Güter und Dienste verantwortlich ist. Folglich haben wir es hier mit einer Form des Wirtschaftens zu tun, die – wie Max Weber es formulierte – darauf ausgerichtet ist, zur „kontinuierliche(n) Verwendung und Beschaffung (sei es durch Produktion oder Tausch) von Gütern zum Zweck 1. der eigenen Versorgung oder 2. zur Erzielung von selbst verwendeten anderen Gütern“ (Weber 1980: 46) beizutragen. Wer so handelt, handelt wirtschaftlich: „Wirtschaftlich ‘orientiert’ soll ein Handeln insoweit heißen, als es seinem gemeinten Sinn nach an der Fürsorge für einen Begehr nach Nutzleistungen orientiert ist“ (ebd.: 31). Aber Weber fügt auch hinzu, dass zwischen der frühen Bedarfs- und der modernen Erwerbswirtschaft ein Unterschied besteht. Zwar ist auch letztere für die Bedürfnisbefriedigung der Gesellschaft zuständig, aber dies ist nicht mehr der einzige Zweck der Wirtschaft. Sie zielt – für eine Reihe von AutorInnen sogar in erster Linie – auf die Erwirtschaftung von Gewinn ab. Die Wirtschaft der Moderne ist demnach immer zugleich Geld- und Erwerbswirtschaft, „denn befriedigt wird ja immer nur der zahlungsfähige Bedarf, der mit dem tatsächlichen Bedarf keineswegs notwendigerweise deckungsgleich ist“ (Deutschmann 2001: 52). Demnach ist ein Wirtschaften für den tatsächlichen Bedarf keineswegs identisch mit dem auf Gewinn ausgerichteten Wirtschaften. Im Allgemeinen umfasst die Wirtschaft moderner Gesellschaften „Strukturen und Prozesse der Produktion, Verteilung und Konsumtion beschränkt verfügbarer (‘knapper’) Güter und Dienstleistungen“ (Schäfers 1995: 400). Soziologische und wirtschaftswissenschaftliche Definitionen unterscheiden sich hier kaum. Dem klassischen Lehrbuch von Samuelson und Nordhaus (1998) ist z.B. zu entnehmen, dass es in der Wirtschaft um den Einsatz knapper Ressourcen zur Produktion von Wirtschaftsgütern und die Verteilung dieser Güter an die Mitglieder einer Gesellschaft geht. Mit dieser Definition ist jedoch noch nicht allzu viel gewonnen, sie wirft vielmehr eine Reihe von Fragen auf, die im Grunde bis heute Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher wie soziologischer Debatten sind. Es bleibt z.B. offen, nach welchen Prinzipien wirtschaftliches Handeln überhaupt erfolgt, an welchen Regeln es sich

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2 Die moderne Wirtschaft: Entwicklungslinien und erste Begriffsklärungen

orientiert, unter welchen Bedingungen die (Re-)Produktion materieller Güter und die Bereitstellung von Leistungen stattfindet und nach welchen Kriterien die Verteilung von Gütern sowie Leistungen vorgenommen wird. Um die Wirtschaft aus einer soziologischen Sicht erschließen zu können, benötigen wir folglich ein tiefer gehendes Verständnis ihrer Konstruktionsprinzipien und Reproduktionsmechanismen. Ein möglicher Blickwinkel auf die Wirtschaft kann dadurch gewonnen werden, „Knappheit“ als das zentrale Charakteristikum zu betrachten. Dirk Baecker sieht hierin sogar den eigentlichen Modus Vivendi einer modernen Wirtschaft, denn gäbe es Güter und Leistungen im Überfluss, wäre es leicht, ihrer habhaft zu werden und es müsste nicht mehr mit knappen Gütern „gewirtschaftet“ werden. Zwar fielen die gebratenen Tauben und Äpfel dann immer noch nicht vom Himmel, da auch sie – anders als im Schlaraffenland – erst einmal zubereitet werden müssten, bevor sie auf den Tisch gelangen und konsumiert werden können, aber gleichwohl wären die Chancen groß, etwas abzubekommen. Bild 2: Schlaraffenland (Maler: Pieter Bruegel (der Ältere))

© Bildarchiv Foto Marburg

Geht man jedoch von der Vorstellung aus, dass die Wirtschaft es mit knappen Ressourcen zu tun hat, kann hieraus eine Rechtfertigung dafür abgeleitet werden, dass diese sorgsam und kalkuliert einzusetzen sind. Wirtschaftliches Handeln erfolgt dann nach der Devise, ein vorgegebenes Ziel mit einem begrenzten Mitteleinsatz erreichen zu wollen. Das bedeutet nicht nur, ein vorgegebenes Ziel mit dem geringsten Mittelaufwand anzustreben, sondern auch mit

2.2 Erste begriffliche Annäherungen

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gegebenem, begrenztem Mitteleinsatz bzw. Budget einen möglichst maximalen Nutzen oder Gewinn zu verwirklichen. Demnach könnte man Knappheit bzw. den Umgang mit Knappheit durchaus als eine wichtige Funktion der Wirtschaft ansehen. Für Dirk Baecker (2006) handelt es sich hierbei sogar um die wichtigste, denn die Wirtschaft ist aus soziologischer Sicht der Teilbereich der Gesellschaft, in dem „Kommunikation über Knappheit“ stattfindet. Dies kann man sich so vorstellen, dass (1) A Dinge oder Leistungen haben möchte, die nicht in beliebig großer Zahl zur Verfügung stehen; (2) dass es A am Ende gelingt, diese Dinge und Leistungen in seinen Besitz zu bringen, womit sich sein Bestand an diesen Dingen/Leistungen vergrößert, während er sich für alle anderen verkleinert, sowie (3) dass eine Form des Austauschs gefunden wird, die dies (ohne moralische Appelle und erzieherische Maßnahmen etc.) ermöglicht (vgl. ebd.: 14). Wie unschwer erkennbar, handelt es sich hierbei um einen höchst voraussetzungsvollen Prozess, denn die Erzeugung von Knappheit läuft am Ende immer darauf hinaus, dass sich der Bestand an Gütern oder Leistungen für die einen vergrößert und für andere verringert. Folglich stellt sich die generelle Frage, wie dies überhaupt möglich ist und A die eigene Bedürfnisbefriedigung (Besitzvermehrung) durchsetzen kann, obwohl alle anderen hierdurch ganz offensichtlich das Nachsehen haben, dies aber dennoch – ohne dagegen zu rebellieren – hinnehmen. Mit den Worten Luhmanns: „Die Frage ist: Wie kann eine derartig unwahrscheinliche Lösung erreicht oder sogar erwartbar gemacht werden?“ (Luhmann 1994: 253). Während die Wirtschaftswissenschaften die Entstehung und Durchsetzung von Knappheit nicht weiter hinterfragen und davon ausgehen, dass es sich um ein Charakteristikum ihres Gegenstandes handelt, interessiert sich die Wirtschaftssoziologie genau für diesen eigentlich doch recht erstaunlichen Vorgang, der – bei Licht betrachtet – nicht gerade auf der Hand liegt (vgl. Baecker 2006). Es stellt sich zunächst ganz grundsätzlich die Frage, wie es überhaupt zur Knappheit von Gütern/Leistungen kommt, zumal nicht alle Ressourcen von Natur aus knapp sind. Der Wirtschaftssoziologie kommt die Aufgabe zu, Knappheit zu erklären und danach zu fragen, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn nahezu alle Güter und Dienstleistungen zum Gegenstand der Wirtschaft werden und damit dem Knappheitskalkül unterliegen. In diesem Zusammenhang warnt Baecker zu Recht davor, dass „nicht alles, was für die einen möglicherweise knapp ist, (...) in der Gesellschaft als knapp gelten (darf, M.F.), wie jahrhundertelange Konflikte um den Kauf von Seelenheil, von politischen Ämtern, von Liebe und heute von Ersatzorganen für den eigenen Körper zeigen“ (ebd.: 16). Knappheit, aber auch Überfluss, ist offenbar kein naturgegebener Sachverhalt, sondern das Ergebnis gesellschaftlichen Handelns, „eine von der Wirtschaft im Kontext von Gesellschaft erst gemachte und immer wieder neu bestätigte soziale Konstruktion“ (ebd.: 12). Knappheit ist folglich das Ergebnis sozialen Handelns. Die Funktion der Wirtschaft besteht darin, Knappheit zu einem Faktum zu machen und die Bereitschaft dafür zu erzeugen, dass für das, was als knapp gilt, entsprechend bezahlt wird.8 Mit anderen Worten: Dinge, die nicht als knapp gelten, wird niemand kaufen, da er sie auch umsonst haben kann. Die Wirtschaft trägt dem-

8

Hieraus folgt keineswegs, dass jeder in der Lage ist für alles, was er begehrt, auch bezahlen kann, gleichwohl aber akzeptiert, dass Bezahlen eine Grundvoraussetzung des Erwerbs knapper Güter darstellt.

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nach – was auf den ersten Blick paradox zu sein scheint – nicht nur zur Erzeugung von Knappheit bei, sondern gleichzeitig auch zu ihrer Bewältigung. Die Wirtschaft aus einer solchen Perspektive zu beschreiben bedeutet – greift man den Vorschlag von Baecker auf –, die Entstehung von Knappheit zum Ausgangspunkt zu machen und zu untersuchen, wie in der Wirtschaft über Knappheit kommuniziert wird. Damit gelangt man quasi automatisch zum Thema Geld, dem zentralen (Kommunikations-)Medium der Wirtschaft, sowie zum Markt, dem Ort an dem Entscheidungen über die Produktion von Leistungen, über Konsum oder Sparen – und damit den Umgang mit Knappheit – getroffen werden. Zwar ließen sich an dieser Stelle auch noch ganz andere Fokussierungen als die der Knappheit ausmachen.9 Hierauf soll an dieser Stelle jedoch noch nicht weiter eingegangen werden. Vorerst genügt uns der Gedanke, dass es gute Gründe dafür gibt, im Rahmen einer Auflistung zentraler Grundbegriffe der Wirtschaft, nicht auf eine Auseinandersetzung mit Geld und Märkten zu verzichten.

2.2.2

Geld

Geld stellt zweifellos eine der folgenreichsten sozialen Erfindungen der Menschheit dar. Ohne Geld wäre die Wirtschaft – darin sind sich Soziologie und Ökonomie weitgehend einig – wohl kaum über das Niveau einer Gabentauschökonomie (siehe hierzu 3.1.3) hinaus gekommen. Kulturgeschichtlich betrachtet war Geld ursprünglich ein Opfergut, also kein Resultat praktischer Überlegungen, um den Tausch zwischen Menschen zu vereinfachen, sondern Mittler zwischen Göttern und Menschen. Im antiken Griechenland wurden beispielsweise Rinder geopfert, um die Götter gnädig zu stimmen. Im Laufe der Zeit traten dann „Gottesdienst und profane Geldwirtschaft auseinander“ (Deutschmann 2001: 82). Die Geldfunktion wurde zunächst Naturalien zugemessen, wobei unterschiedliche Naturalgeldkonventionen zu nennen sind: a) Schmuckgeld wie Ring-, Feder- oder Steingeld, b) Nutzgeld, etwa Pelze, Nahrungs- und Genussmittel. Schon früh tauchte Metallgeld auf. Im Perserreich wurden gestempelte Metallscheiben als Münzen verwendet und aus der griechischen und römischen Geschichte sind Silber- und Goldmünzen sowie Legierungen bekannt. Im Mittelalter tauchen dann Groschen, Kreuzer und Schillinge und im 15. Jahrhundert auch silberne Taler als Zahlungsmittel auf. Später sind es „Scheine“, etwa Wechsel- und Schuldscheine, auf denen personenbezogene Leistungsansprüche dokumentiert wurden (vgl. Herder-Dornreich 1965: 44 f.). Um Vertretern der Gläubiger die Einziehung von Schulden zu ermöglichen, wurde dann auf die Eintragung von Namen verzichtet. Fortan wurden Blankopapiere ausgestellt. Banknoten waren demnach – wie Luhmann (1997) ausführt – zunächst nichts anderes als (übertragbare) Schuldscheine, die ein Gläubiger-Schuldnerverhältnis zum Ausdruck brachten. Aus diesen Scheinen wurden schließlich Geldscheine, die sich als universell geltendes Zahlungsmittel durchsetzten. 9

Jens Beckert (1996) rückt die Problematik der „Ungewissheit“ und nicht „Knappheit“ ins Zentrum seiner Sicht auf die Ökonomie und lenkt damit den Schwerpunkt auf die Analyse von Erwartungsstrukturen (soziale Ordnungen, Normen bis hin zu sozialen Netzwerken), die als Mechanismen der Absorption von Ungewissheit in Frage kommen.

2.2 Erste begriffliche Annäherungen

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Bild 3: Der Geldwechsler und seine Frau (Maler: Marinus van Reymerswaele)

© Bildarchiv Preussischer Kulturbesitz

Die Form des Geldes ist im Verlauf der Zeit immer abstrakter geworden und existiert heute oftmals bloß noch ideell; man denke etwa an den bargeldlosen Zahlungsverkehr und die Verbreitung von Schecks und Kreditkarten.10 Allerdings kann man nie ganz sicher sein, ob die auf Banknoten, Schecks, Wechsel oder die auf einem Konto dokumentierten Leistungsversprechen ihren Wert behalten werden. So liefern nicht nur die in der Vergangenheit bereits gescheiterten Versuche, Stabilität in der Geldpolitik herzustellen (siehe die Aufgabe des Systems von Bretton Woods11 1973), anschauliche Belege für die Krisenanfälligkeit des (Welt-)Finanzsystems. Finanzkrisen haben den Kapitalismus von Anfang an begleitet. Ihre Häufigkeit und die Nachhaltigkeit ihrer Wirkungseffekte haben in Anbetracht der internationalen Verflechtungen sogar noch zugenommen. Beispiele hierfür bilden die Pleite des Hedge Fonds LTCM, der sogar als „Jahrhundert-Gau“ bezeichnet wurde (vgl. Paul 2004: 210), die tief greifenderen Finanzkrisen von Mexiko (1994/95) und Asien (1997/98) (vgl. Huffschmid 2002), der Absturz der New Economy Anfang 2000 und die jüngste globale Finanzkrise, die 10

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Eine Besonderheit stellt hier die Entstehung privater Netzgelder dar (elektronisches, digitales, virtuelles Geld oder Cybermoney), die bislang aber noch keine allzu große Verbreitung gefunden haben (vgl. u.a. Bühl 1998). Die nach dem zweiten Weltkrieg von den westlichen Industriestaaten vereinbarte Erklärung von Bretton Woods (1944) sollte zu stabilen Wechselkursparitäten führen (siehe hierzu auch 6.2).

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2 Die moderne Wirtschaft: Entwicklungslinien und erste Begriffsklärungen

im Jahr 2008 durch Finanzmarktspekulationen auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt ausgelöst wurde (siehe Teil 6.2). Aber wie ist es eigentlich zu dieser Bedeutungszunahme des Geldes und damit auch von Finanzmärkten gekommen? Geld erlangte im Grunde erst mit der Entstehung der modernen Wirtschaft seinen einzigartigen Stellenwert als anerkanntes Zahlungsmittel und wirtschaftlicher Bewertungsmaßstab der Preise von Gütern und Leistungen. In der Wirtschaftstheorie wird seine außerordentliche Bedeutung für die Wirtschaft im Prinzip auf drei klassische Funktionen zurückgeführt, nämlich: 1. eine Rechnungseinheit, 2. ein (allgemeines) Tausch- und Zahlungsmittel und 3. ein Wertaufbewahrungsmittel darzustellen (vgl. Menger 1909). Dabei wird von der Vorstellung ausgegangen, dass beim „realen“ Tausch von Gütern ein Gleichgewicht hergestellt wird, das sich in Form eines allgemeinen Mediums – „Geld“ – abbilden lässt. Geld drückt in Form von Preisen – so die Sichtweise der neoklassischen Orthodoxie – folglich nichts anderes aus als eine Tauschrelation zwischen Gütern und bildet damit einen „Spiegel der Werte“ (Paul 2004: 89). Es ist aus dieser Sicht nichts anderes als ein „Schleier“ und hat keine realwirtschaftliche Relevanz, folglich auch keinen Einfluss auf den Wirtschaftsprozess. Mit anderen Worten, es sorgt für eine effiziente Abwicklung von Tauschoperationen und wird daher in der klassischen ökonomischen Theorie als ein „neutrales“ Medium angesehen, das den Tausch erleichtert. Tatsächlich kann es aber auch selbst zur Ware werden und einen Preis haben. Bereits Carl Menger unterscheidet in seiner Abhandlung über „Geld“ (Menger 1909) zwischen einem äußeren und inneren Tauschwert: Während sich der äußere Tauschwert auf die Kaufkraft des Geldes bezieht, also das Maß an Waren, das mithilfe einer bestimmten Geldsumme erworben werden kann, ist mit dem inneren Tauschwert der Preis für die Geldware selbst gemeint, der wie alle Preise nach den Gesetzen des Marktes schwanken kann (siehe etwa das Problem schwankender, flexibler Wechselkurse). Auch der englische Ökonom John Maynard Keynes vertritt einen konträren Standpunkt zur Klassik, indem er davon ausgeht, dass Geld in der Ökonomie eine herausragende Rolle spielt. Seines Erachtens ist es vor allem der sich auf dem Geldmarkt herausbildende Zins, der Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen – insbesondere die Investitionen – hat und sich in letzter Konsequenz sowohl auf die Gesamtnachfrage, die Produktion und die Beschäftigung auswirkt (vgl. Keynes 2000). Mit der Einführung des allgemeinen Tauschmittels Geld wird aus dem direkten ein indirekter Tausch. Seine Relevanz gilt als unstrittig, denn eine hoch spezialisierte, arbeitsteilige Gesellschaft kommt nicht ohne ein Tauschmittel aus, das den wirtschaftlichen Handel – über (räumliche und zeitliche) Distanzen hinweg – ermöglicht. Simmel bezeichnet es sogar als das „reinste Symbol“ der modernen Gesellschaft, dem er die Funktion eines generalisierenden Interaktionsmediums zumisst (vgl. Simmel 1989). Geld ermöglicht zweifelsohne „eine sachlich/zeitlich/soziale Generalisierung von Tauschmöglichkeiten. Es erweitert in all diesen Hinsichten die Tauschmöglichkeiten und vergrößert damit den Auswahlbereich (…) der konkreten Tauschoperationen“ (Luhmann 1994: 15). Kurzum, ein modernes Wirtschaftssystem kommt ohne das Tauschmedium Geld nicht aus. Luhmann bringt die Vorteile folgendermaßen auf den Punkt: „Man kann durch Annahme von Geld Tauschmöglichkeiten eintauschen, Tauschentscheidungen vertagen, Tauschpartner mit nichtkomplementären Interessen verknüpfen und aus all diesen Gründen die Art der Güter, die getauscht werden können, erheblich erweitern“ (ebd.: 230). Die Tauschtheorie wartet demnach mit einer durchaus leicht nachvollziehbaren Argumentation auf. Aber lässt sich Geld wirklich nur als ein neutrales

2.2 Erste begriffliche Annäherungen

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Tauschmedium betrachten? Wird seine gesellschaftliche Bedeutung – so auch die Frage von Luhmann – hierdurch angemessen erfasst? Eine soziologische Betrachtung des Geldes kann sich mit einer rein funktionalen Sichtweise sicherlich nicht zufrieden geben. Es stellt sich die Frage, ob Geld nicht mehr ist als nur ein unentbehrliches Tauschmittel und bequemes Tauschmedium. Dementsprechend fand in der Soziologie stets auch seine soziale, kulturelle Dimension große Beachtung. Simmel haben wir z.B. die Erkenntnis zu verdanken, dass es sich nicht nur um ein harmloses, neutrales Tauschmittel handelt und folglich nicht nur als Symbol für „Kaufkraft“ zu betrachten ist. Eine Bewertung der Bedeutung des Geldes lässt sich nur mit Blick auf seine gesellschaftlichen und subjektbezogenen Wirkungen erfassen; etwa auf das „Lebensgefühl der Individuen“, den „Stil des Lebens“ und natürlich „die allgemeine Kultur“ (Simmel 1989). Mithin war es Simmel, der Geld als eine für moderne Gesellschaft immens wichtige Erfindung ansah, die es ihr ermöglicht, sich weiter auszudifferenzieren (ohne zu zersplittern). Gleichzeitig trug es zur Zerstörung vormoderner Sozialformen und traditioneller Tauschformen bei (vgl. Simmel 1989; Paul 2004: 44 f.). Geld galt somit von Beginn an nicht nur als ein bequemes Tauschmedium, sondern war immer auch „Objekt der Begierde und des Bereicherungstriebes“ sowie „Darstellungsmittel von Macht und Prestige“ (Deutschmann 2002: 9). Dies setzt allerdings voraus, dass es als ein nicht leicht zu gewinnendes, knappes Gut gelten muss, denn nur unter dieser Bedingung erscheint es als so erstrebens- und begehrenswert. Hieraus folgt, dass, selbst wenn man genügend Geld besitzt, es immer noch das Geld des anderen gibt, in dessen Besitz man gelangen möchte (vgl. ebd.). Simmel spricht in seiner Analyse u.a. von der „Gier“ nach Besitztümern; ein Phänomen das bis heute nicht an Aktualität verloren hat. Kellermann schreibt dem Medium Geld daher zwei Merkmale zu, die früher primär mit Gold verbunden wurden, nämlich „vergöttert zu werden und Objekt von Habgier zu sein“ (Kellermann 2008: 321). Dennoch: Weder der Verweis auf das immens hohe Interesse einzelner Subjekte an immer größeren Geldsummen bringt uns einer Erklärung der Bedeutung des Geldes näher, noch hilft die in der Wirtschaftstheorie vorherrschende funktionale Betrachtung von Geld als ein Medium des Tausches und Wertspeichers weiter. Diese ist zwar von großer Evidenz, aber nur eine recht verkürzte Sichtweise. Folgt man Marx, so wird der „wahre“ Sachverhalt hier sogar verdreht. Schließlich sind in der kapitalistischen Wirtschaft – im Unterschied zur Bedarfswirtschaft – nicht die Waren selbst von Relevanz, sondern das Geld (bzw. die Geldvermehrung), denn der Zweck des Wirtschaftens besteht in der Akkumulation von Kapital. Genauso wenig wie sich die Sonne um die Erde dreht, dreht sich das Geld um die Güter, stattdessen – so Marx – verhält es sich genau andersherum. Wie heißt es doch so treffend in einem Song aus dem Musical Cabaret: „Money makes the world go round!“. Die allgemeine Kapitalformel bei Marx lautet dementsprechend auch nicht: Ware-Geld-Ware (W-G-W), sondern „G-W-G´“, wobei am Ende (mit G´) ein Zustand erreicht wird, in dem Geld zu mehr Geld, zu Kapital geworden ist. Es geht also nicht mehr um den einfachen Warentausch und die bloße Befriedigung von Bedürfnissen mittels eines bequemen Tauschmediums, sondern um eine neue Perspektive auf die Ökonomie, in deren Zentrum das Kapital und seine Vermehrung stehen. Dies erklärt auch, warum Geld – so der Marx-Interpret Ganßmann – „über weite Strecken im Mittelpunkt der Marxschen Theorie“ gerückt ist, denn aus Geld wird Ka-

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pital und in dieser Rolle wird „Geld zum Herrschaftsmittel“ (1996: 156). Dies bleibt nicht folgenlos: Werden die Beziehungen zwischen Menschen auf ein „reines Geldverhältnis“ reduziert, so setzen unweigerlich „Entfremdungsprozesse“ ein (vgl. Marx 1983). Geld kann demnach nicht nur als eine technische Größe begriffen werden, die wirtschaftliche Austauschprozesse vereinfacht, es hat – als „Medium und Vehikel von Macht“ – eine „gesellschaftliche Eigenbedeutung“. Hierauf verweisen bereits die Analysen von Simmel, der im Geldbesitz ein „Superadditum“ des Reichtums sieht und Geld quasi als ein „metaphysisches Wesen“ begreift, „das absolute Mittel“, das „die Möglichkeit aller Werte als den Wert aller Möglichkeiten zur Geltung bringt“ (Simmel 1989: 281). Dieser Aspekt wird auch in aktuellen Arbeiten hervorgehoben (vgl. u.a. Deutschmann 2002: 10; Kellermann 2008). So verschafft Geld seinem Besitzer nicht nur die Verfügung „über ein bestimmtes Gut, sondern – gleich einem Zaubertrank – eine a priori unbestimmte Fähigkeit. Die mit Geldreichtum verknüpfte Freiheit des Wählen- und Zugreifenkönnens selbst ist es, die dem Geld einen inneren Wert verleiht, der höher steht als der Nutzen von Äpfeln, Anzügen oder Büromöbeln“ (Deutschmann 2001: 21). Im Geld nur eine reine Nutzenfunktion zu sehen, greift daher zu kurz, denn was hier stets mitschwingt, ist etwas nur schwer zu Beobachtendes: Es bietet eben nicht nur „‘Liquidität’ im Sinne einer zeitlich erweiterten Dispositionschance der Wirtschaftssubjekte über eine gegebene Menge von Gütern“ (ebd.: 53). Es geht um weitaus mehr, nämlich um ein „Vermögen“, nicht im Sinne eines materiellen Vermögens, sondern einer Handlungsfähigkeit, die uns in die Lage versetzt, uns jederzeit Wünsche erfüllen zu können. Deutschmann spricht hier von einer „imaginären“ Dimension des Handelns, die den Besitz von Geld als unglaublich erstrebenswert erscheinen lässt, so dass ihm ein nahezu religiöser Charakter zukommt. Diese Auffassung wird nicht von allen SoziologInnen geteilt. Hierzu heißt es bei Baecker: „Denn man irrt, wenn man glaubt, das Geld sei eine Art Instrument der Herrschaft der Wirtschaft über die Gesellschaft“ (Baecker 2006: 67). Bereits Parsons vermochte in ihm nicht mehr aber auch nicht weniger als ein allgemeines Tauschmittel sehen, dessen Funktion darin besteht „generalisierte Kaufkraft“ über wirtschaftliche Güter und Leistungen zu sein (Parsons 1951: 124); ein symbolisch generalisiertes „Kommunikationsmedium“, das allein in der Wirtschaft Geltung findet. Es stellt eine Art „Spezialsprache“ dar, die nur in der Wirtschaft gesprochen wird, nicht aber – wie Luhmann später noch präziser herausarbeitet – in der Politik, der Wissenschaft, der Erziehung. So hat sich die Wirtschaft ihr eigenes Kommunikationsmedium geschaffen: Geld. Für Güter und Leistungen muss gezahlt werden. Wer nicht zahlt, der hat demgemäß keinen Anspruch auf sie. Zahlungen bilden die Basiseinheit des Wirtschaftssystems: Zahlen oder Nichtzahlen, das ist die entscheidende Frage. Aus einer solchen Perspektive kommt ihm keine imaginäre Kraft zu. Stattdessen wird Geld hier primär auf seine Funktion als Tausch- und Zahlungsmittel reduziert und ausschließlich als ein Kommunikationsmedium der Wirtschaft verstanden. Eine solche Sichtweise vernachlässigt jedoch – wie Deutschmann hervorhebt – die „Vermögenseigenschaft des Geldes, d.h. das in ihm angelegte generalisierte, über das Wirtschaftssystem hinausgehende Potential sozialer Macht“ (Deutschmann 2001: 44). Geld stellt keineswegs ein (harmloses) „Kommunikationsmedium“ dar, das ausschließlich in der Wirtschaft anzutreffen ist, auch die Politik, die Wissenschaft oder das Erziehungssystem benöti-

2.2 Erste begriffliche Annäherungen

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gen Geld. Denn um politische Ziele zu erreichen, Lehre und Forschung oder Kindergärten betreiben zu können, kommt man nicht ohne Geld aus. Gleichwohl hat es in diesen Teilsystemen durchaus noch eine andere Funktion als die, die ihm in der Wirtschaft zukommt. So ist es nicht möglich, für Geld gute Noten zu kaufen; allerdings kann man damit z.B. Nachhilfeunterricht bezahlen und so die Ausgangssituation zur Erzielung guter Noten erheblich verbessern. Gleich welcher Position man zuneigt, dies ändert – so lässt sich resümieren – nichts daran, dass faktisch im Verlauf der Moderne eine zunehmende Orientierung am Geldprinzip stattgefunden hat. Geld ist zu einem Hauptobjekt des Interesses von Wirtschaftsakteuren und damit zum Endzweck wirtschaftlichen Handelns geworden. Bereits bei Simmel findet sich die Annahme, dass der Markttausch von Gütern lediglich als ein funktionales Zwischenspiel betrachtet werden kann und es im Kern eigentlich nur noch um die Vermehrung von Geld geht. Anschaulich wird diese These, wenn man die Strukturen internationaler Finanzmärkte näher betrachtet, auf denen ausschließlich monetäre Interessen im Vordergrund stehen, was eine zunehmende Abkopplung von der Realwirtschaft zur Folge hat (vgl. Deutschmann 2002: 10, 2008; siehe auch Teil 6.2).

2.2.3

Tauschformen

Der Tausch gilt als eines der wichtigsten ökonomischen Strukturprinzipien der Wirtschaft. Max Weber definiert ihn als einen „Interessenkompromiß“ zwischen Tauschpartnern, bei dem „Güter oder Chancen als gegenseitiges Entgelt hingegeben werden“ (Weber 1980: 36). Der Tausch ist ein uraltes, weit verbreitetes Phänomen, das in allen Gesellschaftssystemen existiert. Weber unterscheidet zwei Formen des Tausches: 1. den traditionalen oder konventionalen, wirtschaftlich nicht rationalen Tausch, und grenzt hiervon 2. den wirtschaftlich rational orientierten Tausch ab, in dessen Zentrum der Preiskampf und Methoden des Unter- und Überbietens stehen (ebd.). Eine vergleichbar differenzierte Betrachtung findet sich bei Polanyi (1997), der drei Formen des Tauschs voneinander unterscheidet: (1) den Gabentausch bzw. Reziprozität, (2) die Redistribution und (3) den Markttausch. Hierbei handelt es sich seines Erachtens um die drei zentralen Integrationsformen einer Wirtschaft („forms of integration“), die jeweils auf eine spezifische Art und Weise zur Verteilung bzw. zum Austausch von Gütern/Dienstleistungen beitragen. Darüber hinaus geben sie Auskunft über die Beziehungen zwischen wirtschaftlichen Aktivitäten und anderen Bereichen des sozialen Lebens. 1. Gabentausch (Reziprozität) Der Gabentausch bzw. reziproke Tausch ist die direkteste Form und findet zwischen „Einheiten derselben Art“ (Polanyi 1997), wie z.B. Individuen, Haushalten, Verwandtschaftsgruppen, Clans und Stämmen, statt, also zumeist in homogenen Gesellschaften. Diese Form des Tausches dient nicht dem Gewinn, sondern der Erhaltung der gemeinschaftlichen Ordnung. Sie basiert auf dem Grundsatz, „dass eine Person eine andere begünstigt, und obwohl man

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allgemein eine Gegenleistung in der Zukunft erwartet, ist deren genaue Art nicht definitiv im voraus vereinbart“ (Blau 1964: 93). Vorherrschend ist das Prinzip des Gebens und Nehmens auf der Basis einer wechselseitigen Verpflichtung (vgl. Heinemann 1987: 323). Insofern ist diese Art des Tausches an Vertrauen und Moral gebunden. Der Schenkende geht legitimerweise davon aus, dass er eines Tages ein Gegengeschenk erhält. Oder anders ausgedrückt: Das Verschenken einer Gabe erzeugt eine Art Geschenkschuld, deren Begleichung eine moralische Verpflichtung darstellt. Als ein Beispiel für diese Wirtschaftsform führt Polanyi die Trobriandinseln in Papua-Neuguinea an, die schon früh von den Anthropologen Malinowski (1922) und Thurnwald (1932) untersucht worden sind und auf deren Ergebnisse er sich hauptsächlich bezieht. Zum reziproken Tausch heißt es bei Polanyi: „die Erhaltung der Familie – der Frauen und Kinder – ist Pflicht der Verwandten in weiblicher Linie. Der Mann, der seine Schwester und deren Familie versorgt, indem er ihnen von seinen besten Früchten gibt, erwirbt sich damit hauptsächlich die gebührende Anerkennung für gutes Verhalten, erntet aber dafür kaum einen direkten materiellen Vorteil. Ist er jedoch nachlässig, dann leidet zuerst und vor allem sein Ruf. Das Prinzip der Reziprozität wirkt somit zugunsten seiner Frau und ihrer Kinder und belohnt ihn damit ökonomisch für sein sittliches Verhalten. Die zeremonielle Zurschaustellung von Nahrungsmitteln, sowohl im eigenen Garten als auch vor der Vorratshütte der Empfänger, stellt sicher, daß die hohe Qualität seiner Gartenarbeit allgemein bekannt wird. Es ist somit offensichtlich, daß die Garten- und Haushaltsökonomie hier einen Teil der Sozialbeziehungen darstellt, die mit guter Haushaltsführung und vorbildlichem Sozialverhalten verbunden sind. Das Prinzip der Reziprozität dient somit im weitesten Sinne der Sicherung sowohl der Produktion als auch der Familienerhaltung“ (Polanyi 1997: 77). Wie relevant der zeremonielle Gabentausch ist, um ein System wirtschaftlichen Austausches aufzubauen, bei dem es eben nicht um Aspekte des Sparens, Berechnens und Kalkulierens geht, sondern um moralische (Selbst-)Verpflichtungen, Großzügigkeit und soziale Anerkennung, wurde bereits von Marcel Mauss (1989) herausgearbeitet, der sich ebenfalls auf die Studien von Bronislaw Malinowski und seine Darstellung des Kula-Tausches auf den Trobriandinseln stützt. Hierbei handelt es sich um eine Form des Tauschs, die auf eine regionale Umverteilung von Gaben bzw. Geschenken abzielt, die nach bestimmten zeremoniellen Regeln erfolgt und dafür Sorge trägt, dass eine Anzahl von Stämmen verschiedener Inseln in einem wechselseitigen Austausch bleiben. Dieser Austausch von Geschenken erfolgt ganz ohne Tauschhandel und wird nur durch „Etiquette und Magie“ geregelt (Polanyi 1997: 80). Hier ist weder ein Schachern noch ein Feilschen im Spiel, erst recht kein Profit. Der Tausch dient in erster Linie dem Erwerb von Prestige, Status und der Bildung von Gemeinsamkeiten, der „Reziprozität sozialen Verhaltens“ (ebd.: 81). Dieser streng ritualisierte Gabentausch bietet für die beteiligten Tauschpartner gleichzeitig einen Rahmen zum Austausch von Gebrauchsgegenständen und schafft so eine Gelegenheit zum ökonomischen Tausch, der ohne den Kula-Tausch nicht denkbar wäre. Das Prinzip der Reziprozität findet sich bis heute im Kontext von Familien-, Verwandtschafts- und Nachbarschaftsbeziehungen. In der Wirtschaft hat diese Form des Tausches nur noch eine marginale Bedeutung. Gleichwohl hat sie ihre Attraktivität nicht gänzlich eingebüßt. Als moderne Varianten dieses Systems können z.B. Tauschringe bezeichnet werden.

2.2 Erste begriffliche Annäherungen

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Ihre Wurzeln gehen zurück auf Silvio Gesell (1862–1930), Robert Owen (1771–1858) und Pierre Joseph Proudhon (1809–1865), die sich bereits zu Beginn der Industrialisierung Gedanken über alternative Wirtschafts- und Gesellschaftskonzepte gemacht haben. Diese frühen Versuche, die oft utopisch und zum Teil auch naiv anmuten, zielten darauf ab, lokal begrenzte Tauschkreisläufe zu etablieren. In England und Frankreich haben solche Bemühungen etwa in der Zeit zwischen 1830 und 1850 stattgefunden. Tauschringe existieren aber auch noch heute. Im Kern ging und geht es bei all diesen Experimenten darum, ein System gegenseitiger Hilfeleistungen zu schaffen, das einen „überhaushaltlichen Austausch von Leistungen“ (Heinze 1998: 256) gewährleisten soll. Die Basis bildet zumeist eine „Zeitwährung“, in der die für eine Dienstleistung benötigte Zeit als Recheneinheit Verwendung findet. Das Ziel von Tausch- bzw. Kooperationsringen heißt also nicht Profitmaximierung, sondern Aufbau nichtmonetärer Transaktionen von Dienstleistungen und Gütern, wobei der Selbsthilfeaspekt im Mittelpunkt steht (vgl. Kuhn 2002; Heinze 1998). Tauschringe spielen in der modernen Wirtschaft nur eine marginale Rolle (in Deutschland gibt es z.B. gerade einmal 200–250 Tauschringe). 2. Redistribution (Umverteilung) Das Prinzip der Redistribution zielt auf eine Umverteilung von Gütern und Leistungen durch eine zentrale Instanz ab. In traditionalen Gesellschaften erfolgt die Redistribution von Gaben, die freiwillig abgegeben werden, durch das Oberhaupt des Clans oder Stamms im Rahmen von Zeremonien. Auch hier gilt das Prinzip der Reziprozität, das ergänzt wird durch eine Form der Distribution, die von einer von allen Beteiligten anerkannten Person wahrgenommen wird. So werden die Ernte wie auch alle anderen Produkte an den Häuptling übergeben, der für ihre Umverteilung zuständig ist. Hierzu heißt es: „Mittelpunkt aller gemeinsamen Aktivitäten sind Festschmaus, Tanz und andere Gelegenheiten, bei denen die Inselbewohner einander sowie Nachbarn von anderen Inseln bewirten. Bei diesen Gelegenheiten werden die durch Tauschhandel mit fernen Gegenden erworbenen Güter verteilt, Gaben werden nach genauen Etiquettevorschriften überreicht und erwidert, und der Häuptling verteilt an alle die üblichen Geschenke. Damit wird die überwältigende Bedeutung der Vorratshaltung deutlich“ (Polanyi 1997: 78). Als ein Beispiel für das Prinzip der Redistribution führt er den „Potlatsch“ der Kwakiutl-Indianer an, bei dem der Häuptling an Ehre gewinnt, wenn er möglichst viele Produkte (z.B. Früchte oder Häute) verteilen kann, wobei die Empfänger sich ihrerseits wiederum zu Abgaben verpflichtet fühlen. Charakteristisch für den redistributiven wie für den reziproken Tausch ist das Fehlen einer rationalen Zweck-Mittel-Kalkulation. Zwar ist nicht zu übersehen, dass bei beiden Tauschformen Elemente eines Systems der Arbeitsteilung, des Außenhandels sowie der Besteuerung für Zwecke der Allgemeinheit zum Tragen kommen, jedoch werden „diese Funktionen eines echten volkswirtschaftlichen Systems völlig überlagert von den starken und einprägsamen Gemeinschaftserlebnissen, die für jede im Rahmen des Sozialgefüges vollbrachte Handlung eine Überfülle nichtökonomischer Motivationen bieten“ (ebd.: 78). Bevor vom Marktaustausch die Rede sein soll, sind noch zwei Prinzipien zu nennen, die Polanyi im Kontext seiner Abhandlung von Reziprozität und Redistribution diskutiert, nämlich Symmetrie und Zentrizität: Sie tragen dazu bei, dass Reziprozität und Redistribution in ökonomischen Systemen ohne schriftliche Aufzeichnungen und ausgeklügelte Verwaltung über-

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haupt erst funktionieren. So wird das Prinzip der Reziprozität durch die institutionelle Berücksichtigung der Symmetrie „enorm erleichtert“ (ebd.). Ein anschauliches Beispiel hierfür ist der bereits erwähnte Kula-Handel, bei dem jedes Individuum über einen (Tausch-) Partner auf einer anderen Insel verfügt. Bezogen auf das System der Redistribution erwies es sich auf Dauer als recht vorteilhaft, wenn die Verteilung zentral erfolgte, also Mitglieder eines Jägerstammes das erlegte Wild dem Häuptling zur Verteilung übergaben. Je größer das Territorium und je differenzierter die erzeugten Güter, desto eher wurde die Redistribution in Kombination mit einer institutionalisierten Zentrizität vorgenommen, „da sie mithilft, die geographisch getrennten Gruppen der Produzenten miteinander zu verbinden“ (ebd.: 79). 3. Markttausch Orte, an denen ein organisierter Handel mit Waren stattfindet, werden als Märkte bezeichnet (gr. agora, womit ursprünglich ein Versammlungsort bezeichnet wurde, röm. mercatum, arab. souk). So ist der Markt ein „Treffpunkt zum Zweck von Tausch, Kauf und Verkauf“ (Polanyi 1997: 87 f.). Zwar gab es lange vor dem 16. Jahrhundert Märkte (Frühformen finden sich bereits 3500 v. Chr.), sie wurden aber erst im merkantilistischen System zahlreich und wichtig (vgl. u.a. Swedberg 2003: 140 ff.). Kulturgeschichtlich betrachtet gelten Märkte als das begründende Element der Stadtbildung schlechthin. Max Weber hat sie in seiner großen Abhandlung über die Stadt zu einem zentralen Gegenstand gemacht (Weber 1980: 727 ff.). Von einer „Stadt“ im ökonomischen Sinn kann seines Erachtens erst die Rede sein, wenn die „ortsansässige Bevölkerung einen ökonomisch wesentlichen Teil ihres Alltagsbedarfs auf dem örtlichen Markt befriedigt“ (ebd.: 728). In einer Studie von Hans P. Bahrdt mit dem Titel „Die moderne Großstadt“ (1969) wird der Markt als eine der frühesten Formen der Öffentlichkeit bezeichnet. Auf die Ursachen der Verbreitung von Märkten12 für Arbeit, Kapital und Boden und die damit einhergehende Umstellung auf eine marktorientierte Steuerung der Wirtschaft in westlichen Industriegesellschaften wurde bereits eingegangen. Wir erinnern uns: Polanyi (1997) zufolge war einzig und allein der Tausch in der Lage, die spezifische Institution des Marktes hervorzubringen. So hat im Zuge der aufkommenden Industriegesellschaft eine Herauslösung der Wirtschaft aus sozialen Beziehungen stattgefunden. Dieser von Polanyi als „große Transformation“ gekennzeichnete, historisch folgenreiche Trennungs- und Ablösungsprozess bedeutet, dass die in früheren Gesellschaftsformationen vorherrschende Einbettung der wirtschaftlichen Funktionen in soziale und normative Bindungen der traditionalen Gesellschaft aufgelöst, die Wirtschaft quasi „freigesetzt“ wurde und sich zu einem eigenständigen Teilsystem der Gesellschaft entwickelte. Dieser Prozess setzte in dem Moment ein, als sich der

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Wenn von Märkten die Rede ist, sind zwar in der Regel Gütermärkte gemeint, darüber hinaus gibt es aber noch weitere wichtige Märkte, wie etwa den Arbeits- oder den Finanzmarkt. Differenziert werden kann zwischen verschiedenen Marktvarianten, angefangen von ortsgebundenen Formen (z.B. Trödel- und Wochenmärkte) bis hin zu nicht-lokalisierbaren Einrichtungen wie Rohstoff-, Arbeits-, Kapital- und Warenmärkten auf nationaler und internationaler Ebene. Zudem gewinnen elektronische Märkte an Bedeutung. Entstanden sind sie mit der Verbreitung des Internets; so wurden virtuelle Plattformen zum Markttausch geschaffen (z.B. Ebay). Nicht zu vernachlässigen sind darüber hinaus illegale Märkte, etwa Schwarzmärkte, die sich in wirtschaftlichen Krisenzeiten verbreiten.

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Bild 4: Markt in Berlin (Fotografin: Helga Schmidt-Glassner)

© Bildarchiv Foto Marburg

Markt in ein „selbstregulierendes System mit ungeheurer Machtfülle“ (ebd.: 89) verwandelte. Dem Markt wird dabei unterstellt, dass er einen besonders geeigneten Mechanismus zur „effizienten Ressourcenallokation“ (Swedberg 2007: 12) darstellt und sich genau aus diesem Grunde auch durchsetzen konnte. Der Markt ist demnach zu einem kaum noch wegzudenkenden Verteilungsmechanismus der modernen Gesellschaft geworden. Weber charakterisiert ihn wie folgt: „Von einem Markt soll gesprochen werden, sobald auch nur auf einer Seite eine Mehrheit von Tauschreflektanten um Tauschchancen konkurrieren“ (1980: 382). Von einem Markt kann demzufolge im Grunde erst dann gesprochen werden, wenn das Moment des Wettbewerbs hinzukommt, es also mindestens zwei Anbieter und einen Nachfrager gibt. Zum Markttausch wird man in der Regel nicht gezwungen, er basiert idealtypisch auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und stellt eine „spezifisch friedliche Form der Gewinnung ökonomischer Macht“ (Weber 1980: 285) dar. Im Kern geht es um das Zusammentreffen von Käufer und Verkäufer (z.B. Konsumenten und Produzenten), die jeweils ihre eigenen Interessen verfolgen. Während Verkäufer möglichst viel Geld für ihr angebotenes Gut erhalten wollen, sind Käufer bestrebt, möglichst wenig zu bezahlen. Angebot und Nachfrage stehen

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sich gegenüber und lösen – so Weber (1980) – „Preiskämpfe“ aus. Dabei dreht sich alles um die Bewertung von Gütern und die Festlegung eines Preises, was Weber als Kampf um einen Kompromiss versteht. Im Unterschied zu den Tauschformen Reziprozität und Redistribution handelt es sich beim Markttausch um eine Form des rationalisierten Tausches. Er unterliegt keinen bestimmten Riten oder Traditionen, sondern „dem Kalkül ökonomischer Rationalität“ bzw. dem Streben nach einer Erhöhung des individuellen Nutzens, wie Smelser in seiner Abhandlung über die Soziologie der Wirtschaft herausstellt (vgl. Smelser 1968: 149). Für Weber steht außer Frage, dass der Markt der (Arche-)Typus rationalen Gesellschaftshandelns ist: „Soziologisch betrachtet, stellt der Markt ein Mit- und Nacheinander rationaler Vergesellschaftung dar“ (Weber 1980: 382). Es handelt sich um „die unpersönlichste praktische Lebensbeziehung, in welche Menschen treten können (…). Wo der Markt seiner Eigengesetzlichkeit überlassen ist, kennt er nur Ansehen der Sache, kein Ansehen der Person, keine Brüderlichkeits- und Pietätspflichten, keine der urwüchsigen, von den persönlichen Gemeinschaften getragenen menschlichen Beziehungen“ (ebd.: 383). Der Markttausch gilt daher als eine besonders geeignete Organisationsform für anonyme Großgruppen, in denen – wie Streißler (1980) es ausdrückt – „mit der Verdünnung des gegenseitigen Bekanntheitsgrades eine Verdünnung des Solidaritätsgefühls Hand in Hand geht und daher mit geringer Kooperationswilligkeit zu rechnen ist“. Die Marktwirtschaft ist – so seine Schlussfolgerung – „selbst unter Teufeln funktionsfähig“ (ebd.: 4). Kurzum, der Markttausch wird als ein äußerst effizienter Verteilungsmechanismus für arbeitsteilige Gesellschaften wahrgenommen, der auf dem Prinzip des Wettbewerbs basiert. Hierzu heißt es bei Luhmann: „Das Prinzip der Marktwirtschaft ist der Wettbewerb“ (1994: 101). Prägend ist folglich das Moment der Konkurrenz13 im Sinne eines „geregelten Wettbewerbs“ (Schäfers 1995: 166), um ein von mehreren, mindestens aber zwei Interessenten erstrebtes knappes Gut. Auf den ersten Blick handelt es sich hier offenbar um eine inkompatible Handlungskonfiguration, erforderlich ist somit ein Modus Vivendi der Konfliktlösung, der von Ökonomen in erster Linie im Preismechanismus und von Soziologen in der Verankerung „institutionalisierter“ Spielregeln gesehen wird, denn auch Märkte erfordern, um Stabilität zu gewinnen, soziale oder rechtliche Regelungen bzw. ein Mindestmaß an Vertragsmoral. Hieraus abzuleiten, dass Kriterien sozialer Gerechtigkeit beim Markttausch eine Rolle spielen, geht aber wohl zu weit. Machtasymmetrien und ihre Reproduktion sind beim Markttausch keineswegs ausgeschlossen, was sich nicht nur, aber besonders deutlich am Beispiel des Arbeitsmarktes zeigen lässt, für den eine grundsätzliche Asymmetrie zwischen den Vertragspartnern charakteristisch ist. 13

Erwähnt werden sollte, dass im Hinblick auf die Frage, ob zwischen Konkurrenz und Konflikt zu differenzieren ist, ganz unterschiedliche Positionen auszumachen sind. Luhmann nimmt an, dass Konkurrenz nicht mit Konflikt gleichzusetzen ist. Bei Konkurrenz handelt es sich demnach auch nicht um einen limitierten und regulierten Konflikt, denn „die Beteiligten haben überhaupt nichts miteinander zu tun (...) Konkurrenz erspart (nicht: regelt!) Konflikte, die andernfalls auftreten würden. Sie gibt die Möglichkeit, das Einwirken anderer auf das Erreichen eigener Ziele angesichts knapper Ressourcen einzuschätzen, ohne daß dazu Kontakt aufgenommen werden müßte. (...) Man rechnet zwar mit dem Konkurrenten, hat aber wenig Anlaß, sich ihm zuzuwenden und mit ihm zu kommunizieren“ (Luhmann 1994: 102). Während Konflikte offenbar Kommunikation erfordern, kann Konkurrenz auch recht anonym erfolgen (vgl. u.a. Werron 2010).

2.2 Erste begriffliche Annäherungen

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Konkurrenz ist keineswegs nur auf Märkten anzutreffen, gleichwohl ist sie gerade im Bereich der Wirtschaft besonders ausgeprägt. Hierzu heißt es bei Buß: „Marktpreis und Produktleistungen anderer wirken für ein Unternehmen wie ein objektiver sozialer Druck. Jedes Unternehmen sieht sich genötigt, sein Handeln in einem permanenten Prozess den sich laufend wandelnden Konkurrenzbedingungen anzupassen. Wettbewerb steuert das wirtschaftliche Verhalten, beeinflusst die Handlungskriterien und kontrolliert den Erfolg. Unter diesen Umständen avanciert Wettbewerb zu einem gigantischen sozialen Kontrollmechanismus moderner Märkte. Jeder einzelne steht unter dem Druck des Erfolges anderer. Und umgekehrt steuert jeder mit seinem Erfolg das Verhalten seiner Konkurrenten. Insofern ist Konkurrenz ein durchgehendes, tiefgreifendes Strukturprinzip moderner ökonomischer Systeme“ (Buß 1995: 82). Wettbewerb und Markt werden somit als nahezu unverzichtbare Elemente der modernen Wirtschaft angesehen. Ob der Markt aber tatsächlich einen für moderne Gesellschaften alternativlosen Verteilungsmechanismus darstellt, der letztendlich auch für den „Wohlstand der Nationen“ (Smith) – ja sogar für eine friedfertige soziale Ordnung – Sorge trägt, ist eine bis heute strittige Frage: Während der Markttausch auf der einen Seite für einen effizienten Verteilungsmechanismus gehalten wird, dessen Ergebnisse – wie Hayek (1981) meint – nicht mit moralischen Dimensionen in Verbindung gebracht werden sollten (auch nicht mit Kategorien sozialer Gerechtigkeit)14, wird auf der anderen Seite der destruktive Aspekt des Marktes in den Vordergrund gestellt, da er sich rücksichtslos gegenüber allem Sozialen verhalte, wenn ihm der Spielraum hierzu gewährt wird. Die Logik des ökonomischen Systems bzw. der kapitalistischen Marktwirtschaft stelle demnach eine massive Bedrohung für die Gesellschaft und die Subjekte dar (vgl. Dux 2008). Selbst Adam Smith hat nicht ausblenden können, dass dem Markt auch zerstörerische Kräfte inne wohnen und es z.B. des „ehrlichen Kaufmannes“, also ethischer Grundorientierungen bedarf, damit er nicht aus dem Lot gerät (vgl. Smith 1986). Unabhängig davon, welche Position man auch immer für richtig erachtet, zu berücksichtigen ist in jedem Fall, dass sich die Sichtweisen auf den Markttausch in Abhängigkeit von der jeweils favorisierten theoretischen Position erheblich voneinander unterscheiden. Während die neoklassische Tauschtheorie mit ihrem Modell des „perfekten Marktes“, im Markt primär einen „flexiblen Preismechanismus“15 sieht, der für eine effiziente Verteilung von Gütern/ Dienstleistungen zuständig ist, interessiert sich die neue Wirtschaftssoziologie in erster Linie für die soziale, institutionelle und kulturelle Einbettung von Märkten (vgl. u.a. Aspers/ Beckert 2008: 234 ff.). Märkte werden hier in erster Linie als sozial konstruierte Netzwerke (z.B. White, Granovetter) oder Institutionen (z.B. Fligstein) wahrgenommen. Gefragt wird folglich nach der Bewältigung von Kooperationsproblemen, wie z.B. nach der Relevanz von

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Hierzu heißt es bei Hayek: „Sie (die Gerechtigkeit, M.F.) hat offensichtlich keine Anwendung auf die Weise, wie der unpersönliche Prozeß des Marktes bestimmten Personen Herrschaft über Güter und Dienstleistungen zuteilt: dies kann weder gerecht noch ungerecht sein, weil die Ergebnisse nicht beabsichtigt und vorhergesehen sind und von einer Vielzahl von Umständen abhängen, die in ihrer Gesamtheit niemandem bekannt sind“ (Hayek 1981: 102). Der Preismechanismus trägt dazu bei, dass Angebot und Nachfrage den Preis eines Gutes bestimmen und es so zu einer effizienten Verteilung kommt. Walras führt hierfür das Beispiel einer Auktion an, auf der die Preise für angebotene Güter flexibel sind und von Angebot und Nachfrage bestimmt werden (vgl. Walras 1954).

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2 Die moderne Wirtschaft: Entwicklungslinien und erste Begriffsklärungen

Vertrauen zwischen Tauschpartnern (vgl. Beckert 1997: 35 ff.), nach Statusgewinnen/verlusten und der Ausbildung von Statushierarchien (vgl. u.a. Podolny 2005) und damit auch ganz generell nach der Reduktion von Ungewissheit durch die Schaffung einer sozialen Ordnung des Marktes. Märkte entwickeln sich schließlich nicht unabhängig von institutionellen, rechtlichen Regeln, im Gegenteil, rechtlichen Regelungen (Steuerrecht, Unternehmensrecht, Arbeitsrecht usw.) kommt eine große Relevanz im Hinblick auf die Strukturierung des Wettbewerbs zu (vgl. z.B. Fligstein). Wirkungsmacht ist zudem informellen Regeln, wie kulturellen, religiösen Vorstellungen, zuzuschreiben, die das Marktverhalten von Akteuren ebenfalls in hohem Maße prägen können und damit auf die kulturelle Einbettung der Ökonomie verweisen (vgl. u.a. Zelizer 1978). Kurzum, weder der Preismechanismus noch Effizienzannahmen stehen im Zentrum wirtschaftssoziologischer Analysen, sondern die Struktur der sozialen Beziehungen zwischen Marktakteuren und ihre Einbettung in institutionelle, kulturelle und soziale Kontexte. Betrachtet man abschließend noch einmal die drei genannten Tauschformen, so lassen sich – folgt man Buß (1995) – durchaus Zuweisungen zu bestimmten Gesellschaftsformationen erkennen: Während der Gabentausch bzw. Reziprozität als die typische Austauschform in archaischen Jäger- und Sammlergesellschaften bezeichnet wird, gilt die Redistribution als eine Tauschform, die unter Hirten und Bauern, also in traditionalen Wirtschaftsordnungen, praktiziert wird. Reziprozität und Redistribution gelten aber nicht nur als typisch für archaische und traditionale Gesellschaften, sondern auch für sozialistische Wirtschaftssysteme. Demgegenüber ist der Markttausch in kapitalistischen Ökonomien vorherrschend. Hieraus folgt allerdings nicht, dass es in der kapitalistischen Marktwirtschaft nur diese eine Form des Tausches gibt. Reziprozität spielt bei Erbschaften und Schenkungen eine große Rolle und Redistribution findet in jedem Wohlfahrtsstaat statt, indem Steuern erhoben und in Form von öffentlichen Gütern/Dienstleistungen rückverteilt werden. Gleichwohl ist die Dominanz des Markttauschs auch hier nicht zu übersehen. Der Markt gilt heute geradezu als alternativlos, wenn es um die Distribution von Gütern und Dienstleistungen geht. Abbildung 2: Tauschformen

Reziprozität

Redistribution

Markttausch

Form

traditionaler, ritualisierter Gabentausch (Symmetrie)

Umverteilung freiwilliger Abgaben durch ein anerkanntes Oberhaupt / eine zentrale Instanz (Zentrizität)

Konkurrenz um Tauschchancen, Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage

Basis

gegenseitige Erwartungshaltungen, hohe Selbstverpflichtung

(Selbst)Verpflichtung zur Abgabe an die Gemeinschaft

Eigennutz, KostenNutzen-Kalküle, Preismechanismus, vertragliche Regelungen

Ziele

Anerkennung, Erhalt der Gemeinschaft

Prestige, Umverteilung, Erhalt der Gemeinschaft

Preisbildung, Allokation von Gütern/ Dienstleistungen, individueller Nutzen

2.2 Erste begriffliche Annäherungen

35

Auf das Für und Wider des Marktes, insbesondere die bereits von Polanyi aufgeworfene Frage der Entbettung von Märkten und ihre (staatliche) Zähmung, wird an anderer Stelle noch näher einzugehen sein (Teil 6). Im Weiteren steht aber zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Arbeit“ – insbesondere die Ausweitung des Marktmodus auf die Arbeit, die Verbreitung von Erwerbsarbeit und ihre Konsequenzen – auf der Agenda.

2.2.4

Arbeit

Soziologisch interessant ist Arbeit nicht als physikalische Leistung und Verausgabung von Kraft und Energie. Im Zentrum soziologischer Betrachtungen stehen stattdessen die gesellschaftlichen Bedingungen und kulturellen Bedeutungen von Arbeit und Arbeitsverhältnissen. Dabei zeigt sich, dass das Verständnis von Arbeit im Verlauf der Menschheitsgeschichte nicht gleich geblieben ist. Deutschmann (2008) spricht im Hinblick auf Arbeit von einem „moving target“, das sich von Epoche zu Epoche gewandelt hat. Werfen wir also einen Blick zurück, um zu verstehen, dass sich das, was wir heute mit Arbeit verbinden, Resultat eines komplexen sozialstrukturellen, kulturellen und politischen Entwicklungsprozesses ist, der sich über viele Jahrzehnte erstreckte. Zum Wandel des Verständnisses von Arbeit Arbeit stellt ein historisch und kulturell wandelbares gesellschaftliches Konstrukt dar, dessen gesellschaftliche Wahrnehmung und Bewertung sich – angefangen von der Antike bis in die jüngste Gegenwart – grundlegend verändert hat. Wenngleich es auch schwierig ist, das Arbeitsverständnis der Antike zu rekonstruieren, herrscht doch weitgehend Einigkeit darüber, dass in dieser Zeit – wie schon Weber hervorhebt – „jede ethische Verklärung der Erwerbsarbeit“ fehlte. Eine „religiös motivierte ‘Berufsethik’“ (Weber 1988: 33) herrschte in dieser Zeit noch nicht vor. Die Bezeichnungen „pónos“ oder „labor“, die für den Begriff der Arbeit verwendet wurden, geben erste Anhaltspunkte über das seinerzeit vorherrschende Verständnis: Arbeit wurde gleichgesetzt mit Mühsal und Plage, denn sie wurde in erster Linie mit der Ausübung körperlich anstrengender Tätigkeiten verbunden.16 Eine hohe Wertschätzung kam ihr daher nicht zu. Selbst die Tätigkeiten von Handwerkern und Kaufleuten galten als „banausisch“, da sie nicht die „Muße“ zuließen, die für anspruchsvolle geistige Tätigkeiten, die Pflege sozialer Beziehungen oder eine Mitgestaltung des Gemeinwesens erforderlich sind (vgl. Nippel 2000: 55). Aufschlussreich sind Texte von Aristoteles, der die in seiner Zeit vorherrschende Abwertung von Arbeit deutlich zum Ausdruck bringt. Demnach lässt sich das „tätige Leben“, die „vita activa“, in drei Kategorien – „Arbeit“, „Poiesis“ und „Praxis“ – unterteilen (vgl. hierzu auch Liessmann 2000): 1. Die erste Kategorie – „Arbeit“ – wird als notwendig charakterisiert. Sie gilt als körperlich anstrengend und muss verrichtet werden, um das Überleben zu sichern. In der Antike 16

Begriffsgeschichtlich geht Arbeit auf laborare mit der Nebenbedeutung molestia (schwere körperliche Arbeit) und operare oder facere zurück. Im Althochdeutschen schrieb es sich arapeit, im mittelhochdeutschen arebeit und meinte Lebensmühe, Not, Plage. Arbeit wurde somit gleichgesetzt mit Mühe und galt als „thätige Werksamkeit“ (Brüder Grimm 1854: 138 ff.).

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2 Die moderne Wirtschaft: Entwicklungslinien und erste Begriffsklärungen

stellt die Arbeit keine menschenwürdige Tätigkeit dar, dementsprechend wurde sie Sklaven aufgebürdet. Menschsein im Sinne Aristoteles bedeutet schließlich, frei zu sein von der Notwendigkeit und dem Zwang zu arbeiten. 2. Die zweite Form der Tätigkeit definiert Aristoteles als „Poiesis“ (Herstellen). Sie ist nicht gleichzusetzen mit Arbeit, denn der Prozess des Herstellens enthält bereits Elemente der Freiheit. Wer etwas herstellt, dem geht es um das bewusste Hervorbringen eines Produktes, Werkzeuges oder Gegenstandes, wofür eine bestimmte Technik angewendet und eine gewisse Kunstfertigkeit aufgebracht werden muss. Handwerker sind demnach ihrem Wesen nach herstellende Menschen. Hierzu gehören auch Künstler und Poeten. Die künstlerische Tätigkeit gilt im Grunde bis heute als der Inbegriff einer selbst bestimmten Tätigkeit. Auch hat sich die Vorstellung gehalten, künstlerische und handwerkliche Tätigkeiten mit einem Herstellungsprozess und Selbstbestimmung in Verbindung zu bringen. 3. Die eigentliche Dimension, in der die Freiheit des Menschen zum Ausdruck kommt, ist für Aristoteles jedoch die „Praxis“. Im Kern geht es dabei um die Organisation des Gemeinwesens, um Politik im ursprünglichen Sinn als Regelung der Beziehungen zwischen Menschen. Dies setzt natürlich die Sicherung von Grundbedürfnissen (Arbeit) voraus, denn erst wenn diese gewährleistet ist, kann politisches Handeln stattfinden. Diesen drei Dimensionen der „vita activa“ – „Arbeit“, „Poiesis“ und „Praxis“ – stellt Aristoteles eine vierte gegenüber, die „vita contemplativa“, bei der es sich um eine den anderen drei Tätigkeitsformen entgegen gesetzte Daseinsmöglichkeit handelt. Höchste Wertschätzung kommt nicht dem tätigen Sein, sondern dem „anschauenden“, theoretischen Sein zu. Dieser „bíos theoreticós“ steht im Zentrum der Aristotelesschen Beschreibungen eines „guten Lebens“. Diesen Zustand zu erreichen bedeutet, „die höchste und damit gelungenste, glücklichste Daseinsweise“ (Liessmann 2000: 94) zu erzielen. Danach muss der Mensch nicht mehr handeln, sondern kann sich ganz darauf konzentrieren, theoretisch zu denken, also dem Urbild jeder philosophischen Existenz zu entsprechen, denn „theoría“ meinte einmal genau diese „Form der Anschauung“, nämlich Dinge zu betrachten, sie zu verstehen und anderen mitzuteilen (vgl. ebd.). Arbeit – vor allem körperliche Arbeit – wurde daher über viele Jahrhunderte hinweg als entehrend wahrgenommen. Diese negative Bewertung durchzieht – von Ausnahmen abgesehen – nahezu die gesamte Zeit der Antike. Erst mit dem Aufkommen des Christentums und erster christlicher Gemeinden wird Arbeit nicht mehr nur als Mühsal, sondern allmählich auch als Lebenspflicht verstanden: „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen“ (2. Thessaloniker Brief 3, 10). Und im Buch Moses findet sich der Ausspruch: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verzehren, bis du zum Ackerboden wiederkehrst, von dem du genommen bist, denn Staub bist du und zu Staub sollst du heimkehren“ (1 Moses 3, 19). Arbeit galt als eine von Gott auferlegte Notwendigkeit, die geleistet werden muss, um Essen und Trinken zu können, da die Natur diese Leistungen nicht freiwillig hergibt. Der Leitspruch „Ora et Labora“ der frühen Benediktiner spiegelt diese doppelte Ausrichtung wider: Arbeit ist zum einen ein struktureller Zwang, zum anderen aber auch ein Bekenntnis zu Gott und stellt damit einen „göttlichen Auftrag“ dar. Zu einer grundsätzlich neuen Bewertung, der zufolge Arbeit zur Lebenspflicht wurde, die sich auch außerhalb von Klostermauern zu einem normativen Leitbild entwickelte, kam es

2.2 Erste begriffliche Annäherungen

37

erst im Zuge der Reformation und der Verbreitung der protestantischen (Arbeits-)Ethik. Die damit einhergehende Aufwertung der Arbeit ist eng verknüpft mit der zunehmenden Wertschätzung des Berufs und nicht zu trennen von der Idee der Pflichterfüllung sowie eines „gottgefälligen Lebens“. So hat die religiös-idealistisch geprägte Idee des Berufs als göttliche „Berufung“ einen wichtigen Beitrag zur positiven Bestimmung von Arbeit geleistet. Die Ausübung von Berufsarbeit galt nunmehr als ein Indikator für eine christliche Lebensführung. „Rastlose Berufsarbeit“ wurde zum Synonym für Pflichterfüllung und zu einem Mittel zur Erlangung des Gnadenstandes, demzufolge man nur durch Arbeit Zugang zu Gott (bzw. zum Paradies) findet (Prädestinationslehre). Kurzum, Arbeit wurde zu einer Form der Askese, zum „heiligen Werk“. Eine Vorstellung, die sukzessive verinnerlicht wurde und am Ende Fremd- in Selbstdisziplinierung transformierte. Es bildete sich somit allmählich eine Form der Arbeitsethik heraus, die am Ende sogar einer Legitimation der Gewinnmaximierung diente. Besonders die calvinistische Ethik leistete dieser Neuorientierung Vorschub, denn sie besagt, dass die Erträge der Arbeit nicht verschwendet werden dürfen, sondern vermehrt werden müssen. Folgt man Weber, so stellt der Protestantismus – und hier vor allem der Calvinismus – einen wichtigen Transmissionsriemen zur Herausbildung der kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft dar, die durch eine neue Arbeitsmoral bestimmt ist. Mit dem „Geist des Kapitalismus“ ist – wie Deutschmann herausstellt – eine Verknüpfung von Verantwortungsethik und nüchternem Effizienzstreben gefunden worden, bei dem Gewinnstreben und Berufserfolg nicht als verwerflich, sondern als Zeichen der göttlichen Auslese gedeutet werden (vgl. Deutschmann 2002). Die neue Wertschätzung der Arbeit durchzieht aber nicht nur die protestantische Reformation und die moraltheologische Debatte. Auch in einschlägigen philosophischen Werken fand eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeit statt. Zu nennen ist hier vor allem Hegel (1770–1831), für den Arbeit das zentrale Produktionsprinzip der bürgerlichen Gesellschaft darstellt (philosophische Anthropologie). Er war es auch, der als erster „die Arbeit als Vergegenständlichung des Menschen in einem Objekt, in einem Werk, in einer selbst produzierten Welt definiert hat“ (Liessmann 2000: 97). So verstand er Arbeit als ein Mittel der Selbstbewusstwerdung des Menschen. Damit wurde letztlich die Zentralität von Arbeit für die bürgerliche Gesellschaft begründet, die nach Auffassung von Althistorikern im vorindustriellen Europa noch nicht zu erkennen war. Ihre Aufwertung spiegelt sich in den frühen ökonomischen Theoriediskursen wider, z.B. in der Arbeitswertlehre (insbesondere bei Smith und Ricardo), die im Wert der Arbeit den einzigen und wichtigsten Faktor zur Erzeugung von Wohlstand sieht. Einen wichtigen Beitrag zu dieser Debatte hat zweifelsohne Karl Marx geleistet, der bekanntlich den Begriff der Arbeit zum Grundstein seines Theoriegebäudes gemacht hat. Zu unterscheiden ist dabei zwischen einer anthropologischen Bestimmung von Arbeit und den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie stattfindet. So definiert Marx Arbeit – in Anlehnung an Hegel – zunächst als typisch menschliche Tätigkeit, in der der Mensch sein Wesen verwirklicht. Demnach ist die Natur des Menschen zum einen biologisch determiniert, zum anderen aber wird sie historisch, gesellschaftlich bestimmt. Der Mensch ist Teil der Natur und setzt sich mit dieser aktiv auseinander. Anders ausgedrückt: Arbeit ist ein Prozess, „worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert“ (Marx 1975: 192). Arbeit ist ein Prozess, in dem Menschen be-

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2 Die moderne Wirtschaft: Entwicklungslinien und erste Begriffsklärungen

ginnen, sich von den Tieren zu unterscheiden, indem sie selbst damit beginnen, ihre Lebensmittel zu produzieren und sich die (natürliche) Welt anzueignen. Marx zufolge handelt es sich bei der gesamten Menschheitsgeschichte um nichts anderes als um die Erzeugung des Menschen durch die menschliche Arbeit. Der Mensch ist demnach ein soziales, gesellschaftliches Wesen, das mittels Arbeit anderen Menschen gegenübertritt. Für ihn stellt Arbeit das Wesen des Menschen dar: Was der Mensch ist, wird er durch Arbeit. Er unterscheidet sich vom Tier durch seine Fähigkeit zur planvollen Tätigkeit (Arbeit). Das berühmte Beispiel vom planvollen Handeln eines Baumeisters und dem instinktiven Tun einer Biene beim Wabenbau macht diesen Unterschied deutlich: „Was aber den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie im Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war“ (Marx 1975: 193). Arbeit wird noch heute vielfach als „zielgerichtete, planmäßige und bewusste menschliche Tätigkeit, die unter Einsatz physischer, psychischer und mentaler (geistiger) Fähigkeiten und Fertigkeiten erfolgt“ (Schäfers 1995: 24), definiert. Vorherrschend ist die Vorstellung, dass Arbeit instrumentell-gegenstandsbezogenes Handeln ist, das dazu beiträgt, Menschen dazu zu verhelfen, ihre Überlebensprobleme zu lösen, was in der Regel mit Anstrengung und Mühe verbunden ist, zumal man sich häufig erst einmal dazu überwinden muss, sie zu tun. Nur das Spiel scheint im Grunde frei davon zu sein, da es sich um kein auf einen äußeren Zweck hin ausgerichtetes Tun zu handeln scheint. Aber schon hier zeigt sich, wie schwierig eine eindeutige Bestimmung des Arbeitsbegriffs ist. So sind die Grenzen zwischen Spiel und Arbeit mitunter recht fließend; man denke nur an bezahlte ProfifußballerInnen. Ist es also am Ende die Bezahlung, die den Unterschied macht? Wird nur das als Arbeit gewertet, was Geld einbringt? Kurzum, es stellen sich viele Fragen, angefangen von der Abgrenzungsproblematik (z.B. zur Freizeit) über ihre Widersprüchlichkeit (destruktiv/konstruktiv) bis hin zu ihrer gesellschaftlichen Anerkennung und Bewertung, die bis heute den Diskurs über Arbeit bestimmen. Eng damit verknüpft ist die Vorstellung, dass Arbeit nach wie vor ein zentraler Vergesellschaftungsmodus ist, durch den Menschen miteinander in Beziehung treten, der ihre Einstellungen und ihr Handeln prägt sowie grundsätzlich erst die Basis für ihr materielles Überleben liefert (vgl. u.a. Kocka/Offe 2000). Arbeiten wir oder arbeiten wir nicht? Diese Frage stellt sich demnach eigentlich gar nicht. Zu untersuchen ist vielmehr, unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen gearbeitet werden muss. Bereits Marx lenkte daher in seiner Auseinandersetzung mit dem Arbeitsbegriff den Blick von der anthropologischen Gattungsgeschichte auf die gesellschaftstheoretischen Fragen. Aufgegriffen werden sie vor allem in seinem Schlüsselwerk „Das Kapital“, in dessen Zentrum eine systemkritische Analyse der kapitalistischen Produktionsweise vorgenommen wird. Im Fokus der Kritik stehen Prozesse der Entfremdung und Ausbeutung von Arbeitskräften, deren Arbeitsvermögen mangels alternativer Subsistenzmittel zur Ware geworden ist. Letztendlich gilt nur noch die Arbeit als „produktiv“, die zur Produktion und Vermehrung von Kapital beiträgt. Arbeit im Kapitalismus ist – so die Marxsche Position – gleichbedeutend mit ihrer „formellen Subsumtion (…) unter das Kapital“ und besteht in dem „Zwang“ zur Mehrwertproduktion und „Surplusarbeit“ (Marx 1974: 366). Marx spricht hier

2.2 Erste begriffliche Annäherungen

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von Ausbeutung, weil es um die unentgeltliche Aneignung von Mehrarbeit durch die Besitzer von Produktionsmitteln geht. Eng damit verknüpft ist eine strukturelle Entfremdung der Arbeiter vom Produkt sowie vom Prozess der Arbeit, da er über diesen letztendlich nicht selbst bestimmen kann. Lange Zeit war es das Bild des körperlich schwer arbeitenden Industriearbeiters, das die Vorstellungen von der Erwerbsarbeit in der Industriegesellschaft prägte und mit dazu beitrug, dass alle anderen Formen von Arbeit – insbesondere die Reproduktionsarbeit – weitgehend unterbelichtet blieb. Bild 5: Metallarbeiter am Schmelzofen (Fotograf: Alfred Tritschler)

© Museum für Kunst und Gewerbe

Arbeit heute – das Problem eines verengten Arbeitsbegriffs Die Fixierung auf Lohn- bzw. Erwerbsarbeit (als der eigentlich produktiven Arbeit) hat sich im Grunde bis heute gehalten, zumal sich Lohnarbeit als die „gesellschaftlich dominante Form der Organisation von Arbeit durchgesetzt“ (Jäger/Röttgers 2008: 7) hat. Dementsprechend wird das vorherrschende Bild der Arbeit immer noch maßgeblich durch die marktvermittelte, berufliche Erwerbsarbeit bestimmt, die möglichst die Form eines Normalarbeitsverhältnisses aufweisen sollte. Hierbei handelt es sich um ein lebenslanges, sozial und tariflich abgesichertes Vollzeitbeschäftigungsverhältnis, das zu einem wirkungsmächtigen gesell-

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schaftlichen Leitbild stilisiert wurde und lange Zeit mit dem Modell des männlichen Familienernährers und der sich um den Haushalt und die Kinder kümmernden Ehefrau verbunden wurde. Damit wurde nicht nur jede andere Form von Erwerbsarbeit (z.B. Teilzeitarbeit), sondern auch eine Vielzahl anderer Formen der Arbeit und nützlicher Tätigkeiten – wie etwa die Subsistenzarbeit, die Sorgearbeit oder ehrenamtliche Arbeit – als eher randständig, nichtproduktiv usw. betrachtet. Erwerbsarbeit stellte in der westlich geprägten Moderne offenbar eine normativ favorisierte „Normallage“ dar (vgl. Kocka/Offe 2000: 10). Dies spiegelt sich im Grunde bis heute noch im Alltag wider. So lautet eine häufig gestellte Frage, wenn sich zwei Fremde begegnen und ins Gespräch kommen: „Was machen Sie beruflich?“ Erwartet wird dann eine kurze Beschreibung der beruflichen (Vollzeit-)Tätigkeit, die Angaben über die hierarchische Position umfasst und nicht selten zu einer ersten Einordnung des gesellschaftlichen Status des Gegenübers führt. Für Kocka und Offe (2000) steht fest, dass es in der westlich geprägten Moderne nur schwer möglich ist, ohne (Erwerbs-)Arbeit „materielle Sicherheit“ sowie eine „sinnvolle Daseinsgestaltung und gesellschaftliche Anerkennung“ zu gewinnen. In Anbetracht der zunehmenden Unsicherheit und Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen kommt dies sogar noch deutlicher zum Tragen, denn die gesellschaftlich erzeugte Knappheit bezahlter Arbeit macht sie zu einem begehrten Gut, so dass die Devise vielfach „Hauptsache Arbeit“ lautet. Die Frage nach den Folgen einer zunehmenden Kommodifizierung von Arbeit bleibt damit hochaktuell. Fehlen Steuerungsmechanismen, die den Einfluss des Marktregimes begrenzen (vgl. u.a. Dux 2008), wirkt sich dies nicht nur auf die (noch) Arbeitsplatzbesitzer aus, die sich zwar in der als sicher wahrgenommenen „Zone der Integration“ befinden, sich aber mit „dem Leistungs- und Tempodruck einer immer schärfer mobil machenden Produktion“ (Pankoke 2008a: 25) auseinandersetzen müssen, sondern auch auf die prekär Beschäftigten („Zone der Prekarität“), deren materielle Existenz zunehmend bedroht ist, sowie auch auf die Ausgegrenzten aus der „Zone der Entkopplung“, die schon längst in vielerlei Hinsicht auf eine soziale Teilhabe an der Gesellschaft verzichten müssen (vgl. u.a. Dörre 2007). Gegenwärtig schlägt das Pendel verstärkt in Richtung einer Zunahme von Unsicherheit und eines Anstiegs der Prekarisierung, was zu einer Debatte darüber geführt hat, ob wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts – wie schon einmal in der ersten Phase der Industrialisierung – mit einer neuen sozialen Frage konfrontiert werden (vgl. hierzu u.a. Castel/Dörre 2009). Arbeit – genau genommen Erwerbsarbeit – hat offenbar im Laufe der Geschichte eine Art „Tellerwäscherkarriere“ erfahren und ist zur „unersetzbaren Sinnmitte der Gesellschaft aufgestiegen“ (Beck 2000: 35). In der Antike – so Christian Meier (2000) – hätte der Mangel an Arbeit nicht gestört, heute hingegen ist ihr Mangel ein Makel. In westlichen Industriegesellschaften hat sich ein „Paradigma der (Erwerbs-)Arbeit“ herausgebildet, das im Prinzip bis heute eine große Wirkungskraft und – wie Schmidt (1999) herausarbeitet – eine Identität stiftende Funktion für einen Großteil der abhängig Beschäftigten hat. Schmidt führt in diesem Zusammenhang folgende Aspekte an: • Arbeit – und hiermit ist in erster Linie Erwerbsarbeit gemeint – erzeugt „kognitive Identität“: „Man weiß, was man tut – und die anderen wissen es auch“. Sie weist dem Arbeitenden seinen Platz zu und stattet ihn mit Identität aus. Erwerbsarbeit ist damit nicht nur rechtlich und quantitativ, also über den Umfang der abgeleisteten Arbeitsstunden, be-

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stimmt, sondern auch kulturell-symbolisch. Durch sie gewinnt man Sozialprestige und Anerkennung. • Arbeit ist sozial eingebettet und trägt insofern zu „sozialer Identität“ bei. So strukturiert sie die Modi der Kommunikation mit anderen; beispielsweise werden in Arbeitsverträgen Regeln festgelegt, in welcher Form Arbeitshandeln vollzogen werden soll und welche Leistungen dafür in Anspruch genommen werden können. Einer Arbeit nachzugehen bedeutete lange Zeit, in gesellschaftliche Sicherungssysteme einbezogen zu sein. Hierzu gehören u.a. das Arbeitsrecht sowie die Sozial- und Rentenversicherungssysteme. Nicht oder nur prekär erwerbstätig zu sein, ist bis heute mit einem Verlust an gesellschaftlichen Mitgliedschaftsmöglichkeiten wie auch selbst erworbenem Einkommen verbunden. • Die Ausgestaltung von Arbeit ist historisch gewachsen und besitzt folglich auch eine „historische Identität“. Diese spiegelt sich in der Gesetzgebung zum Arbeitsschutz, in anhaltenden Kämpfen um Arbeitszeitregelungen und in Ausbildungsverordnungen wider. So galt das Lohnarbeitsverhältnis als ein zentrales Charakteristikum für Industriegesellschaften und stellte den Fixpunkt für die Ausrichtung bestimmter Parteiprogramme, die Organisation von Gewerkschaften und spezifischer Instanzen der Arbeiterwohlfahrt dar. Dementsprechend ist es nicht erstaunlich, dass der Verlust der Erwerbsarbeit mit einschneidenden negativen sozialen, ökonomischen und kulturellen Auswirkungen verbunden ist, von denen Marie Jahoda und Paul Lazarsfeld u.a. in ihrer schon zu den Klassikern der Soziologie gehörenden Studie über die Arbeitslosen von Marienthal detailliert berichten (vgl. Lazarsfeld et al. 1933). Arbeit wird bis heute eng verknüpft mit bezahlter Arbeit. Hierzu heißt es bei Beck etwas polemisch: „Alles, was wir tun, drängt ins allein seligmachende, Anerkennung spendende Wertezentrum der bezahlten Arbeit – oder gilt als Nichts. Wer für seine Tätigkeit Geld erhält, auch wenn das, was er tut, höchst zweifelhaft ist, ‘arbeitet’ selbstverständlich: Er oder sie mag die Umwelt verschmutzen oder die Weltereignisse soziologisch deuten, seine Kunstfertigkeit darauf verwenden, die Menschen zum Kauf von Gegenständen zu verführen, für die sie keinen Gebrauch haben oder die Städte mit dummdreisten Wahlplakaten bepflastern – er oder sie ist ohne weitere Prüfung in den Ehrenkreis der Arbeitenden aufgenommen, wenn er dafür bezahlt wird“ (Beck 2000: 34 f.). Offenbar zählt nach wie vor in erster Linie das, was Geld einbringt, während anderen Formen von Arbeit, insbesondere Haus- und Sorgearbeit, bis heute eine geringere Wertschätzung entgegengebracht wird. Diese Erwerbszentriertheit spiegelt sich auch in jenen Konzepten der Soziologie wider, die in der Analyse von Arbeit ihren zentralen Forschungsgegenstand sehen (insbesondere die Arbeits- und Industriesoziologie). Seit den 1980er Jahren stößt die hier auszumachende Engfassung des Arbeitsbegriffs auf Erwerbsarbeit jedoch auf immer weniger Akzeptanz. Die schärfste Kritik formulierte die feministische Arbeits- und Geschlechterforschung, die auf die gesellschaftliche Relevanz weiblicher Reproduktionsarbeit (Haushalts-, Familien-, Fürsorgearbeit) als unverzichtbare Arbeit der Gesellschaft hinwies. Erst wenn die Verknüpfung von Produktions- und Reproduktionsarbeit, die Komplexität der Vergesellschaftung durch Arbeit, die Interdependenzen und Widersprüche in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und Arbeitsformen in den Blick geraten und untersucht werden, ist es möglich, Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen Prozessen und der Geschlechterordnung einer Gesellschaft zu erkennen (vgl. u.a. Aulenbacher et al. 2007; Becker-Schmidt 2007; Kurz-Scherf 2007, Funder et al. 2008a: 8). Angesichts der Tatsache, dass sich Arbeits- und Beschäfti-

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2 Die moderne Wirtschaft: Entwicklungslinien und erste Begriffsklärungen

gungsverhältnisse in einem tief greifenden Umbruch befinden, ist es ohnehin an der Zeit, das Thema Arbeit wieder auf die Agenda der Wirtschaftssoziologie zu setzen und aktuelle Veränderungsprozesse aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive – welche die Geschlechterverhältnisse berücksichtigt – näher zu untersuchen (vgl. hierzu auch Kapitel 5). Vorschläge, Arbeit weiter zu fassen, gibt es mittlerweile einige. Pries beispielsweise versteht selbst unter Erwerbsarbeit nicht nur tauschorientierte, sondern auch bedarfswirtschaftliche Arbeit. Denn in beiden Fällen handelt es sich um Tätigkeiten, „die zielorientiert vollzogen werden und dazu dienen, Einkommen und Güter zur materiellen Daseinsvorsorge zu generieren“ (Pries 2010a: 26). Während tauschwirtschaftliche Formen von Arbeit der Erzielung von Geldeinkommen dienen, werden bedarfswirtschaftlich ausgerichtete Tätigkeiten einzig und allein zur materiellen Daseinsvorsorge verrichtet. Davon abzugrenzen ist die „Nichterwerbsarbeit zur gesellschaftlichen Daseinsvorsorge“, Eigenarbeit (z.B. selbstorientierte, kreativkünstlerische Entäußerungsarbeit) und Anerkennungsarbeit bzw. bürgerschaftliches Engagement. Klare Trennungen zwischen diesen Formen von Arbeit sind mitunter recht schwierig zu ziehen, denn schließlich spielt Selbstverwirklichung und Anerkennung auch im Hinblick auf Erwerbsarbeit eine große Rolle (vgl. ebd.: 27). Kurzum, gleich welche Idealtypen von Arbeit auch unterschieden werden, Probleme der Abgrenzung weisen sie alle auf. Der Arbeitsbegriff entzieht sich demnach offenbar bis heute einer klaren Definition. Voß macht aus dieser Not eine Tugend und schlägt vor, einen „Apparat von Aspekten zu entwickeln, die man relational aus philosophischen oder historischen Gründen mit Arbeit verbinden möchte. Diese können analytisch flexibel vor dem Hintergrund der jeweiligen gesellschaftlichen Konstellationen Aktivitäten zugeordnet werden, um diese zu beurteilen. Dann geht es nicht mehr um die Frage ‘Was ist Arbeit?’ (und was nicht), sondern darum, in welchem Ausmaß und hinsichtlich welcher Aspekte unterschiedlichste Aktivitäten verschiedenartiger Akteure in der Gesellschaft ‘Arbeits-Charakter’ haben, warum das so ist, wie es sich ändert und was daraus folgt, etwa für eine Diagnose über den Zustand der Gesellschaft“ (Voß 2010: 65). Halten wir fest, von einem Ende der Arbeitsgesellschaft kann nicht die Rede sein. Arbeit – und zwar nicht nur Erwerbsarbeit – stellt nach wie vor ein zentrales Medium der Vergesellschaftung dar. Allerdings ist noch weitgehend offen, wie es um die Zukunft der Arbeit bestellt ist und wie die zukünftige Verteilung, Anerkennung und Ausgestaltung von (bezahlter wie unbezahlter) Arbeit aussehen wird. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Form der Regulierung bzw. institutionellen Einbettung von Arbeit, also nicht nur die „Regulierung von Erwerbsarbeit“ (Pries 2010a), sondern ganz generell die Regulierung von Arbeit. So reicht es nicht aus nur die Ausgestaltung von Tarifregelungen, die Formen des Kündigungsschutzes, die Regelung von Ausbildung und Qualifizierung, Arbeitszeiten und Gesundheitsschutz sowie die Chancen der Partizipation zu betrachten, vielmehr kommt es immer auch zugleich darauf an, die geschlechtliche Zuweisung von Tätigkeiten, die Bewertung und Anerkennung von Haus- und Fürsorgearbeit sowie die Chancen auf „Eigenzeit“ (Nowotny 1993) zu untersuchen. Dass es diesbezüglich erhebliche Unterschiede gibt, zeigt ein Blick auf die verschiedenen Varianten kapitalistischer Marktwirtschaften, in denen jeweils unterschiedliche Regime der Erwerbsregulierung eingelagert sind (vgl. Pries 2010a) und die darüber hinaus ganz unterschiedliche Modi des Umgangs mit Haus- und Sorgearbeit aufweisen, auf die noch näher einzugehen sein wird (vgl. Kapitel 6).

3

Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

Nachdem aufgezeigt wurde, wie es zur Ablösung der Bedarfswirtschaft und zur Entstehung der kapitalistischen Marktwirtschaft gekommen ist, stehen im Weiteren theoretische Sichtweisen zu ausgewählten Strukturmerkmalen der Wirtschaft im Zentrum. Um dem Vorwurf eines kriterienlosen Eklektizismus zu begegnen, muss eine begründete Auswahl der in Frage kommenden Theoriekonzepte und Strukturmerkmale vorgenommen und eine entsprechende Form der Präsentation gefunden werden. In Anbetracht der Vielzahl theoretischer Erklärungsmodelle, die hierfür herangezogen werden könnte, handelt es sich um kein leichtes Unterfangen. Schließlich gibt es kaum einen soziologischen Ansatz, der sich nicht auch mit wirtschaftlichen Aspekten befasst. Dies gilt insbesondere für die Arbeiten der Gründerväter der Soziologie. Will man also nicht alle relevanten soziologischen Theoriekonzepte zur Erklärung der Wirtschaft durchdeklinieren – was den Rahmen eines Einführungsbuches ohnehin sprengen würde –, dann müssen Schwerpunktsetzungen vorgenommen werden. Hierzu bietet es sich an, einige besonders markante Merkmale, Strukturen und Institutionen herauszugreifen, die einen Beitrag zum besseren Verständnis der Wirtschaft leisten können, und diese aus der Perspektive spezifischer theoretischer Ansätze näher zu beleuchten. Für eine solche Betrachtung der Wirtschaft kommen in Frage: Der Aspekt der Rationalität (3.1), die Modi der Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten (3.2), die Dynamik der Wirtschaft (3.3) sowie ihre Selbstreferenz (3.4), aber auch die soziale, kulturelle und institutionelle Einbettung wirtschaftlichen Handelns (3.5).

3.1

Die Rationalität der Wirtschaft

Während das Verhalten von Individuen in sozialen Beziehungen, wie etwa in Familien, Freundschaften und Lebensgemeinschaften, in erster Linie als von Gefühlen und Traditionen bestimmt beschrieben wird, besteht im Hinblick auf die Wirtschaft vielfach noch die Vorstellung, dass wirtschaftliches Handeln ausschließlich (zweck-)rational und eigennutzenorientiert erfolgt. Rationales Handeln ist zwar nicht nur in der Wirtschaft anzutreffen, gilt aber gerade hier als dominant. Eng verknüpft mit der Rationalitätsannahme ist das Modell des Homo Oeconomicus, dem ein Menschenbild zugrunde liegt, das von rationalen Egoisten ausgeht. Auf diese zentralen Prämissen soll im Weiteren näher eingegangen werden.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

Rationalitätsannahme und Homo Oeconomicus Im Grunde genommen besagt die Rationalitätshypothese nichts anderes, als dass Akteure unter den Bedingungen knapper Ressourcen immer bestrebt sind, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Sie setzen alles daran, zu einer Nutzenmaximierung zu gelangen. Menschen sind demnach – wie Siegwart Lindenberg, einer der führenden Vertreter des RationalChoice-Ansatzes17, es formuliert – „maximizing men“ (Lindenberg 1985: 100 ff.). Zu einem Grundmerkmal wirtschaftlichen Verhaltens gehört folglich die Annahme, dass rational handelnde Akteure in Anbetracht knapper Ressourcen vorgegebene Ziele mit geringstem (oder begrenztem) Mittelaufwand anstreben und dabei einen höchstmöglichen Nutzen bzw. Gewinn realisieren wollen. Akteure treffen stets Entscheidungen, die darauf ausgerichtet sind, zu einer Optimierung ihres Nutzens beizutragen.18 In der Wirtschaftstheorie wird daher vom Rationalitätsprinzip bzw. Rationalmodell des Handels gesprochen, das zu den zentralen Axiomen der sich im späten achtzehnten Jahrhundert herausbildenden Wirtschaftswissenschaften gehört. Im Zentrum steht das handlungstheoretische Modell des Homo Oeconomicus. Zu den Ausgangsannahmen gehören knappe Ressourcen und das Ziel der Nutzenmaximierung. D.h. Menschen verhalten sich rational, wägen Kosten und Nutzen ab und lassen sich hierbei nur von eigennützigen Motiven leiten (utilitaristische Handlungsperspektive). Angenommen wird, dass Akteure • aus einer überschaubaren Menge von Entscheidungsalternativen eine Auswahl auf der Basis der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen (Einkommen, Zeit etc.) unter Berücksichtigung von Restriktionen treffen, • über eine stabile Präferenzordnung (gemäß ihren Wertvorstellungen) verfügen und genau kalkulierend vorgehen, um die ihren Präferenzen am ehesten entsprechenden Handlungsmöglichkeiten auszuwählen (Modell der rationalen Wahl) sowie • vollständig informiert sind (vgl. u.a. Kirchgässner 2000; Frank 1997). Akteure sind diesen Annahmen zufolge in der Lage, diejenigen Alternativen auszuwählen, die in Anbetracht ihrer Präferenzen und der vorherrschenden Restriktionen (wie ihrer möglichen Konsequenzen) am besten zur Nutzenmaximierung beitragen.

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Dem Ansatz liegt das Modell individuellen, strategischen, eigennutzorientierten Handelns zugrunde, das nicht nur in der modernen ökonomischen Theorie zu finden ist, sondern auch Gegenstand einer Reihe soziologischer Ansätze ist, die dem methodologischen Individualismus zugeordnet werden können. So haben insbesondere George C. Homans (1961) und später James S. Coleman (1990) maßgeblich dazu beigetragen, den Homo Oeconomicus in die Soziologie einzuführen und eine individualistisch orientierte Soziologie zu begründen. In Deutschland waren es vor allem Karl-Dieter Opp, Günter Büschges, Erich Weede und Hartmut Esser, die diesen Ansatz weiterentwickelt haben. Dass „Menschen versuchen, ihre egoistischen Interessen durchzusetzen“ (Coleman 1964: 166), wurde zum Ausgangspunkt einer Reihe theoretischer Konzepte. Hervorzuheben ist das Modell des rationalen, strategischen Verhaltens, das im Zentrum von Rational-Choice-Ansätzen steht (vgl. u.a. Opp 1983; Elster 1986, 1987; Axelrod 1984; Lindenberg 1985). Das Konzept des rationalen Egoisten, der strategisch und interessengeleitet handelt, ist die Ausgangsannahme, die keineswegs nur Aufschluss über wirtschaftliches Handeln gibt, sondern auch auf viele andere Handlungssituationen übertragen werden kann, z.B. soziales und politisches Handeln (vgl. u.a. Esser 1999). Dies geht sogar so weit, dass behauptet wird, dass sich nahezu alle Handlungen – angefangen von Verbrechen über die Heirat bis zum Eingehen von Freundschaften – mittels ökonomischer Analysen erklären lassen, da es sich auch dabei letztendlich immer um Wahlentscheidungen handelt, bei denen von einem Maximierungsverhalten auszugehen ist (vgl. Becker 1976).

3.1 Die Rationalität der Wirtschaft

45

Das Axiom des rational handelnden Akteurs war – wie auch das Marktmodell – von Beginn an Gegenstand kontrovers geführter Auseinandersetzungen. Das Spektrum reicht – quer durch alle Disziplinen – von emphatischer Befürwortung bis zu heftiger Ablehnung.19 Diese Debatte füllt mittlerweile eine Vielzahl von Büchern und hat zu einer Reihe von Modifikationen und Weiterentwicklungen des ökonomischen Verhaltensmodells geführt. Die meisten Einwände konzentrieren sich auf den Spezialfall des „Paleo-Homo Oeconomicus“ (Doucouliagos 1994), der immer noch als der Urtypus des Homo Oeconomicus in mikroökonomischen Lehrbüchern beschrieben wird; aber auch in der Soziologie, z.B. bei Coleman (1991: 178), zu finden ist. Diesem klassischen Modell zufolge handelt es sich beim Homo Oeconomicus um einen vollständig informierten, zweckrational und eigennutzorientiert handelnden Menschen, der in der Lage ist, sich immer für die Handlungen zu entscheiden, die einen maximalen Nutzen erbringen. Ralf Dahrendorf bringt seine Kritik20 an diesem Modell wie folgt zum Ausdruck: „Die Sozialwissenschaft hat uns bisher zwei neue, höchst problematische Menschen21 beschert, denen wir in der Wirklichkeit unserer Alltagserfahrung kaum je begegnen dürften. Der eine ist der viel umstrittene homo oeconomicus der neuen Wirtschaftswissenschaft, der Verbraucher, der vor jedem Einkauf Nutzen und Kosten sorgsam abwägt und Hunderte von Preisen vergleicht, bevor er seine Entscheidung trifft; der Unternehmer, der alle Märkte und Börsen in seinem Kopf vereinigt und sämtliche Entschlüsse an diesem Wissen orientiert; der vollständig informierte, durch und durch ‘rationale’ Mensch. Für unser naives Erleben ist dies eine seltsame Kreatur“ (Dahrendorf 1958: 129). Nun ist es in der Tat ein Leichtes, dieses Bild des Homo Oeconomicus, der vollständig über alles informiert ist und aus allen ihm zur Verfügung stehenden Alternativen schnell die für ihn Beste herausfiltert, für unrealistisch zu halten und ihn als einen „Rational-Clown“ zu karikieren (vgl. Sen 1977). Dieses Handlungsmodell aber einfach auszusortieren und als einen gescheiterten Versuch zu bewerten, Aufschluss über wirtschaftliches Handeln zu gewinnen, das wiederum eine Basis für empirische Analysen und konsistente theoretische Modelle bilden kann22, wäre jedoch etwas vorschnell. So darf nicht übersehen werden, dass es sich hier lediglich um ein frühes Modell – den „Paleo-Homo Oeconomicus“ – handelt, das schon längst eine Vielzahl von Weiterentwicklungen erfahren hat. Sowohl in der modernen mikro19

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Vgl. hierzu u.a. Albert 1967; Etzioni 1988; Gorz 1989; Polanyi 1997; Sen 1977; Berger 2001; Beckert 1997, 2001, um nur einige wenige zu nennen. Vor ihm hat bereits Thorstein Veblen eine pointierte Kritik an diesem traditionellen Konzept des Homo Oeconomicus formuliert, der hierbei nicht gerade gut abschneidet (1898: 389 f.) Gemeint ist hiermit das Gegenmodell des Homo Oeconomicus, der Homo Sociologicus. Dieses, von Dahrendorf (1956) entwickelte Modell beschreibt einen Menschen, der sein Handeln primär an den von der Gesellschaft vorgegebenen Normen ausrichtet und die an ihn gestellten Erwartungen erfüllt, zumal abweichendes Verhalten mit Sanktionen geahndet wird. Bereits Max Weber wies in seinen Studien explizit auf die Relevanz von Handlungsmodellen hin, die nicht eins-zu-eins in der Realität zu finden sind, aber als ein heuristisches Instrumentarium für die Theoriebildung dienen können. Eine Zuspitzung findet sich bei Milton Friedman (1953), der die Wirklichkeitsnähe grundlegender Annahmen nicht als so entscheidend erachtet, solange die Theorie dazu dient, brauchbare Aussagen machen zu können. Dies vorausgesetzt, ist es vollkommen ausreichend, davon auszugehen, dass Menschen rational handeln.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

ökonomischen Theorie23 als auch in der individualistisch orientierten Soziologie wird längst von einem neuen, komplexeren Typus des Homo Oeconomicus ausgegangen, der – allerdings unter Beibehaltung seines Modellcharakters – als wesentlich realitätsnäher gilt. Berücksichtigung fand dabei eine Reihe von Kritikpunkten am traditionellen Modell, wie etwa die Annahme vollständiger Information, die Rationalitätsannahme der Maximierung oder die Dominanz materieller Orientierungen, was einer Ausblendung normativer wie moralischer Handlungsorientierungen gleichkommt, auf die hier nur kursorisch eingegangen werden kann. Unvollständige Information und eingeschränkte Rationalität: Da Individuen nun einmal keine wandelnden Computer und daher nicht dazu imstande sind, sich immer schnell für die beste aller Möglichkeiten zu entscheiden, müssen Unsicherheit und Informationskosten einbezogen werden. Mithin ist der neue Homo Oeconomicus keineswegs „immer und überall ein ‘Optimierer’“ (Kirchgässner 2000: 31). Große Beachtung hat in diesem Zusammenhang das Konzept der „begrenzten Rationalität“ (bounded rationality) von Herbert A. Simon (1955a/b) erfahren, demzufolge Akteure sich auch als „Satisficer“ verhalten können. Er arbeitet heraus, dass es Akteuren aufgrund ihrer begrenzten kognitiven Kapazitäten im Grunde nicht möglich ist, optimale Handlungsresultate zu erzielen; zumindest handelt es sich dabei um einen sehr unwahrscheinlichen Fall. Stattdessen wird angenommen, dass sie sich mit befriedigenden Alternativen arrangieren können, also in der Lage sind, ihr Anspruchsniveau zu senken und im Sinne ihres eigenen relativen Vorteils zu handeln. Mit anderen Worten: An die Stelle des allwissenden Homo Oeconomicus tritt der kognitiv schlechter (beschränkte Rationalität) und motivational komplexer (kalkulierter Opportunismus) ausgestattete Akteur – wobei das Maximierungsparadigma der ökonomischen Theorie aber nicht aufgegeben wird. Orientierung an Regeln und Normen: Ob und inwieweit Akteure ihr Anspruchsniveau senken können und wollen, hängt letztendlich nicht nur von ökonomischen Erwägungen ab, sondern auch von nicht-ökonomischen Einflüssen, wie z.B. Lebenseinstellungen, kulturellen Überzeugungen und Traditionen. Damit ist ein weiterer Schwerpunkt der Kritik am klassischen Modell angesprochen, nämlich der Vorwurf der Ausblendung norm-orientierten, insbesondere altruistischen, moralischen Verhaltens. Es wird behauptet, dass das Konzept vollkommen unberücksichtigt lässt, „dass das Verhalten von Individuen (...) in der Realität weniger von rationalen (oder eingeschränkt rationalen) Entscheidungen als vielmehr durch das Befolgen von (sozialen) Normen gekennzeichnet ist“ (Kirchgässner 2000: 33). Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob nicht auch der Homo Oeconomicus – wie der Homo Sociologicus – Normen berücksichtigt, um z.B. Sanktionen zu vermeiden. „Schon hier wird deutlich“ – wie Esser betont – „daß die Trennung der beiden Modelle nicht ganz eindeutig ist“ (Esser 1993: 236). Auch Ökonomen bezweifeln nicht, dass sich der Homo Oeconomicus an Regeln orientiert, „denn in einer Welt beschränkter Information und beschränkter Ressourcen ist es rational, sich zumindest in ‘Standardsituationen’ an Regeln zu orientieren“ (Kirchgässner 2000: 33). Mit anderen Worten: Rationale Individuen werden sich „selbstverständlich“ an gesellschaftlich anerkannte Regeln und Normen halten; allerdings nur dann, wenn sie sich hierdurch 23

Vgl. hierzu u.a. Alchian/Allen 1964; Akerlof 1970; Stigler 1962; Arrow 1963, 1985.

3.1 Die Rationalität der Wirtschaft

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Vorteile versprechen. Normen werden demnach lediglich als eine weitere Restriktion des Handelns wahrgenommen und widersprechen damit nicht dem Prinzip des eigennutzorientierten Handelns. Ausgeblendet werden dabei – so die Kritik – jedoch nach wie vor nichtutilitaristische Motive des Handelns, die ein Eintreten für das Gemeinwohl, wie karitative Zwecke, begründen. Kurzum: Altruismus wird häufig allein mit dem Argument, dass er in der Wirtschaft äußerst selten vorkommt, ausgeblendet. Kirchgässner (2000) weist darauf hin, dass Altruisten zur Realisierung ihrer Ziele, ebenfalls ausgesprochen ziel- und zweckorientiert vorgehen. Aus einer solchen Sicht war selbst Mutter Theresa eine rationale Egoistin. An dieser Stelle taucht eine Reihe weiterer Fragen auf, die klassische ökonomische Ansätze in der Regel nicht beantworten können. So muss z.B. ganz grundlegend danach gefragt werden, ob die Präferenzen des Handelns wirklich immer stabil und geordnet sind. Handelt nicht auch der Homo Oeconomicus gelegentlich irrational und unberechenbar? Völlig ausgeblendet werden zudem Fragen nach der Entstehung von Präferenzen. Aus einer soziologischen Sicht sind insbesondere der wechselseitige Zusammenhang zwischen den Handlungsmotiven und -zielen und die Eingebundenheit des Handelns in soziale, kulturelle und institutionelle Strukturen von großer Relevanz24, die vor allem die neue Wirtschaftssoziologie zu ihrem Thema gemacht hat (siehe Teil 3.5). Ausblendung von intuitivem, emotionalem Entscheidungsverhalten: Die in der neoklassischen Ökonomie immer noch vorherrschenden Annahmen über den Homo Oeconomicus gehen von einem Menschenbild aus, das intuitives, emotionales – häufig auch als irrational bezeichnetes – Verhalten entweder gleich ganz ausklammert oder als nicht wesentlich erachtet. Betrachtet man jedoch das Handeln von Akteuren in wirtschaftlichen Kontexten, so etwa in Entscheidungsprozessen, dann wird schnell deutlich, dass Gefühle wie Emotionen durchaus eine Rolle spielen, aber in den Modellannahmen nur selten anzutreffen sind. Dennoch dominiert – von Ausnahmen einmal abgesehen (z.B. Frank 1988; Hirschman 1980) – das Rationalitätsparadigma bis heute den Mainstream der Ökonomie wie auch die Rational-ChoiceTheorie25 und die Entscheidungsforschung. Erst in den letzten Jahren wird wieder verstärkt darüber nachgedacht, welche Relevanz emotionales Verhalten in der Wirtschaft – vor allem in Organisationen – hat und ob es nicht neuer Konzepte bedarf, um wirtschaftliches Handeln zu erklären (vgl. u.a. Nippa 2001; Fineman 1996; Ortmann 2001).26 Im Grunde lassen sich in diesem Zusammenhang bis heute drei Positionen voneinander unterscheiden (vgl. hierzu Fineman 1996): (1) Während der common sense zum einen nach wie vor davon ausgeht, dass

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Vorschläge, um zu einer stärkeren Berücksichtung sozialer Strukturen zu gelangen, stellen etwa die von Esser entwickelten Framing-Modelle dar (vgl. u.a. Esser 1991). Hier wird davon ausgegangen, dass Akteure grundsätzlich über eine begrenzte kognitive Leistungsfähigkeit verfügen. Folglich handeln Akteure immer unter spezifischen Handlungsbedingungen, die sich durch eine spezifische Situation stellen und welche sie in ihr Kalkül mit einbeziehen. Als besonders „hartleibig“ hat sich dabei – so Ortmann (2001) – Coleman erwiesen, der selbst Vertrauen als ein Resultat purer Berechnung behandelt und emotionale Orientierungen vollkommen ausblendet. Siehe hierzu auch die aufstrebende Verhaltensökonomik (beispielsweise Arbeiten von Robert Shiller und Reinhard Selten), die davon ausgeht, dass Menschen auch Gefühle und Neigungen haben und nicht allein von der Ratio bestimmt sind. So gibt es neben dem Streben nach Eigennutz selbstverständlich auch andere Motive des Handelns, wie Altruismus, Fairness und Gerechtigkeit.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

Emotionen Rationalität stören, wird (2) zum anderen behauptet, Rationalität sei nur ein Mythos; was allerdings zur Folge hat, nicht mehr zwischen zweckrationalem und affektuellem Handeln unterscheiden zu können. Damit würde man jedoch – so Ortmann (2001) – das Kind mit dem Bade ausschütten und sich der Möglichkeit berauben, zwischen „Hitzköpfen und kühlen Strategien, zwischen Aufwallungen des Zorns und kalkulierender Vernunft“ differenzieren zu können, und wäre nicht mehr in der Lage, zu einer „Identifikation von Zweckrationalität als spezifischer Stärke und Schwäche moderner Gesellschaften und nicht zuletzt Organisationen“ (Ortmann 2001: 294) zu gelangen. (3) Demgegenüber lautet eine dritte Position: Emotionen stören nicht nur, vielmehr dienen sie der Rationalität. Sie werden quasi als „Supplément der Rationalität wirksam“ (ebd.: 298), indem sie „Rationalitätslücken“ füllen; gemeint ist etwa die Notwendigkeit eines „Fingerspitzengefühls“ bzw. „des richtigen Augenmaßes“ (vgl. ebd.). Zieht man den Kreis weiter und richtet den Blick auf die moderne Arbeitswelt, lässt sich zudem erkennen, dass Emotionen – genauer die Arbeit an Gefühlen (Emotions- bzw. Gefühlsarbeit) – nicht mehr nur im Bereich personenbezogener Dienstleistungen (im Umgang mit KundInnen, PatientInnen, Gästen) gefragt sind. Zunehmend wird auch in vielen anderen Arbeitsfeldern ein „Einbringen der ganzen Person“ – ein Dabei sein „mit dem ganzen Herzen“ – erwartet.27 So gibt es mittlerweile eine Reihe betrieblicher Strategien, um zu einem Management der Gefühlsarbeit zu gelangen (vgl. u.a. Hochschild 1983; Rastetter 2001; Sieben 2007). Sie sollen dazu beitragen, Emotionen so zu kanalisieren, dass lediglich die für das Unternehmen gewünschten Gefühle hervorgerufen werden, z.B. Freundlichkeit im Umgang mit Kunden aufbringen, Ängste schüren und Druck erzeugen, um säumige Zahler einzuschüchtern sowie Engagement und Motivation für Projektarbeit an den Tag legen. Gleichwohl ist der Vorstellung einer problemlosen Indienstnahme von Emotionen mit Skepsis zu begegnen; Ortmann bringt es auf den Punkt: „Jedwede Funktionalisierung der Gefühle (…) impliziert die Gefahr ihrer Missachtung und der Unterminierung ihrer motivierenden Kraft“ (Ortmann 2001: 306). Anders ausgedrückt: „Can’t buy me love“, wie bereits die Beatles sangen (vgl. Ortmann 2001; siehe auch Funder 2008b). Die Durchsetzung von Rationalität – oder: Der Prozess der gesellschaftlichen Rationalisierung Um Aufschluss über die Verbreitung des Prinzips der Rationalität zu gewinnen, kommt man nicht umhin, einen Blick auf den Prozess der gesellschaftlichen Rationalisierung28 zu werfen, der sich keineswegs nur im ökonomischen Bereich abspielte, sondern auch andere gesellschaftliche Bereiche, wie etwa die Wissenschaft oder die Politik, erfasste. Einen wesentlichen Beitrag zur Erklärung hat Max Weber mit seiner historischen und komparativ angeleg27

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Siehe hierzu vor allem die in der Arbeits- und Industriesoziologie geführte Debatte über Prozesse der Subjektivierung (Moldaschl/Voß 2002; Böhle/Bolte 2002; Böhle et al. 2008). Zu unterscheiden ist zwischen einem engeren und einem weiteren Verständnis von Rationalisierung: Der engere Begriff von Rationalisierung bezieht sich primär auf den Bereich der Produktion und der Dienstleistungserstellung. Im Zentrum stehen die mittels neuer Technologien oder neuer Organisationskonzepte zu erzielenden Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen. Mit dem weiten Begriff ist der Prozess der gesellschaftlichen Rationalisierung gemeint.

3.1 Die Rationalität der Wirtschaft

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ten Analyse der okzidentalen bzw. abendländischen Rationalisierung und ihrer universalgeschichtlichen Bedeutung geleistet. Weber begreift die Entstehung des rationalen bürgerlichen Kapitalismus29 als Resultat eines umfassenden Rationalisierungsprozesses, der nicht nur zur Verdrängung mythischer Weltbilder, einer Neuausrichtung des wirtschaftlichen Handelns (Ablösung der Bedarfs- durch eine Erwerbs- bzw. Verkehrswirtschaft) führte, sondern auch und gerade zu einem Wandel der Lebensführung der Menschen. Im Zuge dieses Prozesses hat sich ein Handlungstypus verbreitet, der nicht als ritual-, brauchtums- oder traditionsgebunden charakterisiert werden kann, sondern als überlegt, genau kalkulierend und strategisch. Die Rede ist von der Entstehung formaler Rationalität, der eine „Bewusstheit der Ziele, der Mittel und der Ziel-Mittel-Relationen“ (Maurer 2004: 49; Breuer 1991) zugrunde liegt. Sie hat den Prozess der Rationalisierung des Abendlandes (Okzidents) maßgeblich bestimmt und bildet daher den Schlüsselbegriff in Webers universalhistorischer Erklärung der Entstehung des modernen Industriekapitalismus. So hatten seine zahlreichen Studien vor allem das Ziel, die historischen, wirtschaftlichen sowie kulturellen Bedingungen der Entfaltung des rational-bürgerlichen Kapitalismus offen zu legen. Drei Fragestellungen standen dabei im Zentrum (vgl. hierzu Kaesler 1999: 199): • Warum konnte es nur im Okzident zu einem Rationalisierungsprozess kommen, der zur Ausbildung formaler Zweck-Mittel-Rationalität und einer „rationalen Kultur“ führte, gesellschaftliche Institutionen, Weltbilder sowie auch die individuelle Lebensführung maßgeblich prägte und von universalhistorischer Tragweite war? Oder anders gefragt: Warum fand dieser Prozess nicht in den Ländern des Orients (etwa Asiens) statt, obwohl doch gerade hier viel ältere Kulturen auszumachen sind? • Warum entstand gerade in westlichen Ländern eine formal legale Herrschaftsform, der rationale Industriekapitalismus, basierend auf einem bürokratischen Verwaltungsapparat, dem ein Höchstmaß an Berechenbarkeit und Effizienz zugeschrieben wird? Wie ist es zu erklären, dass sich nur hier eine rationale Wissenschaft und Technik entwickelte? • Mit welchen – positiven wie negativen – Konsequenzen ist dieser Rationalisierungsprozess für die Gesellschaft und die Individuen verbunden? Wohin führen die Ausbreitung bürokratischer Herrschaft und die zunehmende Rationalisierung aller Bereiche, einschließlich der Lebensführung? In zahlreichen Untersuchungen ist Weber diesen Fragen nachgegangen und ergründete so die Voraussetzungen des modernen, westlichen Kapitalismus. Zu seiner berühmtesten Studie gehört „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, in der er seine Auffassung von der Entstehungsgeschichte des modernen Kapitalismus darlegt. So ist für ihn unstrittig, dass es nicht allein die Existenz eines Strebens nach hohen Geldgewinnen sein kann, die den abendländischen Kapitalismus auszeichnet; ein solches Verhaltensmuster hat es schon immer und in allen Kulturen gegeben. Hierzu heißt es bei Weber: „Das Streben (nach einem möglichst hohen Geldgewinn, M.F.) fand und findet sich bei Kellnern, Ärzten, Kutschern, Künstlern, Koketten, bestechlichen Beamten, Soldaten, 29

Die Bezeichnungen industrieller Kapitalismus, Industriekapitalismus, rationaler bürgerlicher Kapitalismus, rationaler Betriebskapitalismus werden hier synonym verwandt und meinen den von Weber beschriebenen westlichen Typ des Industriekapitalismus.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen Räubern, Kreuzfahrern, Spielhöllenbesuchern, Bettlern – man kann sagen: ‘by all sorts and conditions of men’, zu allen Epochen aller Länder der Erde, wo die objektive Möglichkeit dafür irgendwie gegeben war und ist. (...) Schrankenloseste Erwerbsgier ist nicht im mindestens gleich Kapitalismus, noch weniger gleich dessen Geist“ (Weber 1979: 12).

Was zeichnet aber dann den westlichen Kapitalismus als eine besondere Wirtschaftsform aus? Die Antwort steckt in Webers berühmter Protestantismusthese. Sie besagt, dass erst die Entwicklung des asketischen Protestantismus die sozialen, psychologischen und kulturellen Voraussetzungen für die Entstehung des spezifisch westlichen Kapitalismus als eines modernen, rational bürgerlichen Kapitalismus geschaffen hat. So ging der gesellschaftlichen Rationalisierung – dem „Siegeszug des okzidentalen, rationalen Betriebs-Kapitalismus“ (Kaesler 1999: 197) – ein kultureller Wandel voraus, der die menschliche Lebensführung radikal veränderte (siehe hierzu auch Teil 2). Den Ausgangspunkt für diese These bildeten seine religionssoziologischen Studien. Weber erkennt in den christlichen wie jüdischen Religionen Rationalitätspotentiale, die der Herausbildung rationaler Weltbilder und moderner Bewusstseinsstrukturen förderlich waren. Sie lieferten erste Anstöße zur „Entzauberung der Welt“. Aber erst die protestantische Ethik trug dazu bei, dass sich eine „innerweltliche“, um den Beruf zentrierte Askese herausbilden konnte, die der okzidentalen Rationalisierung zu ihrem Durchbruch verhalf. Weber hebt hier vor allem die Bedeutung spezifischer pietistischer Strömungen im Protestantismus hervor, insbesondere den Calvinismus, der sich durch das Dogma der Gnadenwahl, die sogenannte Prädestinationslehre, auszeichnet, der zufolge die Lebensführung eines Menschen Gott gefällig sein muss, um in den Kreis der „Erwählten“ zu gelangen. Während in der katholischen Glaubenslehre des Mittelalters eine „außerweltliche Askese“ vorherrschte und ein Christ durch Gottes Gnade die ewige Seligkeit erfuhr (Sünden werden durch die Sakramente vergeben), geht der asketische Protestantismus (Calvinismus, Pietismus und Methodismus) von anderen Prämissen aus. Calvinisten haben beispielsweise die Chance, selbst Gewissheit zu erlangen, was jedoch eine gottgewollte Lebensführung voraussetzt, die durch rastloses Tun, Fleiß und Strebsamkeit bestimmt ist und zur Grundlage ihrer Arbeitsethik wird. Zwar war es Luther, der als erster den Begriff des Berufes im modernen Sinn verwendet hat, aber der Calvinismus ging noch weit darüber hinaus, indem er die rationale Seite des neuen Berufsbzw. Arbeitsethos betonte und nicht schon in der Berufspflicht als solcher das Ziel sah, sondern das Streben nach maximalem beruflichen Erfolg und einem bestmöglichen Arbeitsergebnis. Fortan galten Müßiggang, das Ausruhen auf Besitz usw. als ein Verstoß gegen die Führung eines „heiligen“ Lebens. Damit entwickelte sich schon in der traditionalen Gesellschaft ein Verhaltenspotential, das eine Ausrichtung des Handelns an Prämissen rationaler Zweck-Mittel-Kalkulationen vorsah, dem eine große Ausstrahlungskraft auf den Prozess der Rationalisierung zukam und das den gesellschaftlichen Modernisierungsprozess voran brachte. Denn erst mit der Entfaltung dieser neuen Arbeitsethik konnte sich der westliche, rational bürgerliche Kapitalismus durchsetzen. Es waren in erster Linie diese sozialen, ethischkulturellen Wandlungsprozesse, die den „Geist des Kapitalismus“ entstehen ließen und zur Entfesselung eines intensiven rationalen Erwerbsstrebens beitrugen. Hierdurch angestoßen entwickelte sich eine Form des kapitalistischen Unternehmertums, die sich sowohl einer ständigen Kapitalbindung als auch Reinvestitionen von Gewinnen verpflichtet fühlte.

3.1 Die Rationalität der Wirtschaft

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In zahlreichen Studien versuchte Weber seine zentrale These vom Protestantismus als Ursprung des Kapitalismus zu testen, gemäß der Prämisse: „Wo kein Protestantismus, dort kein Kapitalismus“. Hinweise fand er hierfür viele. Z.B. konnte Martin Offenbacher, einer seiner Schüler, feststellen, dass im Lande Baden im Jahre 1900 nach Berechnung der Steuerbehörden auf je 1.000 evangelische Einwohner 954.900 Mark Kapital entfielen. Dagegen verfügten Katholiken nur über 589.800 Mark (vgl. Weber 1979: 78). Daraus schloss er, dass „in diesen Fällen (...) zweifellos das Kausalverhältnis so (beschaffen ist, M.F.), daß die anerzogene geistige Eigenart, und zwar hier die durch die religiöse Atmosphäre der Heimat und des Elternhauses bedingte Richtung der Erziehung, die Berufswahl und die weiteren beruflichen Schicksale bestimmt hat“ (Weber 1979: 32). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass – wie jüngste Archivstudien belegen – insbesondere dem Bildungsaspekt eine große Relevanz zuzumessen ist. Offenbar waren es vor allem Protestanten, die sich durch ein höheres Bildungsniveau auszeichneten und vielleicht gerade deshalb einen ökonomischen Vorsprung erzielen konnten. Becker und Wößmann stellen heraus, dass es sogar in erster Linie die höhere Bildung war, die den wirtschaftlichen Vorsprung von Protestanten erklärt (vgl. Becker/Wößmann 2007). Aber auch hier greift im Prinzip die These Webers, denn schließlich waren es zunächst protestantische Gebiete, in denen der Alphabetisierungsgrad anstieg. Letztendlich laufen Webers Überlegungen darauf hinaus, eine Begründung für den sich in der westlichen Welt abzeichnenden Prozess der Rationalisierung zu finden und auf seine universalhistorische Tragweite aufmerksam zu machen. Dies impliziert eine sukzessive Verselbständigung protestantischer Verhaltensmuster, die alle Lebensbereiche erfasst. Dieser fortschreitende Rationalisierungsprozess, der die gesamte Gesellschaft durchdringt, erscheint ihm nicht mehr umkehrbar, ja geradezu schicksalhaft, unausweichlich und unentrinnbar zu sein. Zu den wichtigsten Aspekten seines Erklärungskonzepts gehören: • Der kulturelle Wandel: Es kommt zur Auflösung mythischer Weltbilder. Insbesondere mit dem Aufkommen des asketischen Protestantismus erfolgt eine Besinnung auf das Diesseits, die mit einem nachhaltigen Wandel der Lebensführung verbunden ist. • Der Wandel der Lebensführung: Auszumachen ist eine Neuausrichtung der Sozial- und Berufsethik, die zu einer rationalen und methodischen Arbeits- und Lebensauffassung beiträgt. • Der institutionelle Wandel: In allen Kernbereichen der Gesellschaft findet ein tief greifender Prozess der Rationalisierung statt (Ausbreitung formaler Rationalität): – Wirtschaft: rationale Erwerbsbetriebe, rationale Organisation der Arbeit (Entstehung „freier“ Arbeitskräfte, Trennung von Haushalt und Betrieb, Herausbildung einer rationalen Buchführung bzw. Kapitalrechnung) – Politik: rationale Staatsverwaltung mit bürokratischen Verwaltungsorganisationen – Recht: formales Recht, systematische Rechtslehre, Bürgerrechte (u.a. relevante Basis zum Abschluss von (Arbeits-)Verträgen) – Wissenschaft: rationale Wissenschaft und Technik (Einsatz naturwissenschaftlicher Methoden und einer Systematisierung der Erkenntnisse) • Der sozialstrukturelle Wandel: Er wird u.a. ausgelöst durch die Bildung neuzeitlicher Städte und die zunehmende Anonymisierung der sozialen Beziehungen sowie auch durch die Entstehung von Erwerbsklassen.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

Abbildung 3: Der Prozess der Rationalisierung nach Weber

Protestantismus

Rationalisierung der Lebensführung Erwerbsstreben methodische Lebensführung

rastlose Berufsarbeit

Geist des Kapitalismus

Prozess der okzidentalen, universalen Rationalisierung

Wissenschaft

Politik

Wirtschaft

Recht

Rationalität ist demnach keineswegs nur im Bereich der Wirtschaft anzutreffen, vielmehr durchdringt sie nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche. Wenn Weber von Rationalisierung spricht, meint er also nicht nur die Entstehung der rationalen, kapitalistischen Wirtschaft, sondern einen komplexen wechselseitig miteinander verflochtenen gesellschaftlichen Rationalisierungsprozess. Der rationale (wohltemperierte) Betriebskapitalismus ist folglich ohne ein rationales Rechtssystems, wie etwa die Existenz von Privateigentum, Vertragsfreiheit und die Entstehung von Bürgerrechten, die Individuen in die Lage versetzen, Verträge (z.B. Arbeitsverträge) abzuschließen, nicht denkbar.

3.1 Die Rationalität der Wirtschaft

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Rationalität ist jedoch nicht gleich Rationalität, es gibt durchaus Abstufungen: Während für den Bereich der Lebensführung, selbst für die methodisch-rationale Lebensführung, eine praktische Rationalität kennzeichnend ist (eine Verknüpfung von zweckrationalem und wertrationalem Handeln), dominiert im Bereich der Wirtschaft zweckrationales, strategisches Handeln. Dieser Handlungstypus hat sich im Zuge des gesellschaftlichen Rationalisierungsprozesses – vor allem in der Wirtschaft – durchgesetzt und die traditionale Bedarfswirtschaft in der westlichen Sphäre weitgehend verdrängt. Im Kern geht es um die Durchsetzung „formaler Rationalität“, die allerdings – folgt man Weber (1980) – an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft ist. Hierzu gehören die Gütermarkt- und Unternehmerfreiheit, Arbeitsmarkt- und wirtschaftliche Vertragsfreiheit, die Entstehung der mechanisch rationalen Technik, eine formal rationale Verwaltung (rationale Buchführung), die Durchsetzung eines formal rationalen Rechtssystems, die Trennung von Betrieb und Haushalt sowie eine formal rationale Ordnung des Geldwesens. Vorherrschend im rationalen Betriebskapitalismus ist folglich eine Form der Wirtschaft, die auf der Basis formaler Rationalität Rentabilitätssteigerungen erzielen will. Hierzu noch einmal Weber: „Allerdings ist Kapitalismus identisch mit dem Streben nach Gewinn, im kontinuierlichen, rationalen kapitalistischen Betrieb: nach immer erneutem Gewinn: nach ‘Rentabilität’. Denn er muß es sein. Innerhalb einer kapitalistischen Ordnung der gesamten Wirtschaft würde ein kapitalistischer Einzelbetrieb, der sich nicht an der Chance der Erzielung von Rentabilität orientierte, zum Untergang verurteilt sein“ (Weber 1979: 12 f.). Konsequenzen der Rationalisierung Weber belässt es nicht dabei, die Ursachen der Rationalisierung aufzudecken, vielmehr befasst er sich auch mit den Folgen des Wandels. Er erkennt sowohl die Möglichkeiten der Effektivitätssteigerung als auch die Gefahren der „Entpersönlichung“, der „Versachlichung“ und „Entseelung“. Seine Skepsis gegenüber der Rationalisierung spiegelt sich besonders deutlich in seiner berühmten Formulierung vom „stahlharten Gehäuse der Hörigkeit“ wider. So verbindet er mit der Entstehung einer rationalen Wirtschaftsordnung, die eng verknüpft ist mit der Verbreitung rationaler Organisationen und einer bürokratischen Ordnung, den Verlust von Gestaltungsspielräumen. Es stellt sich die Frage, ob es in Anbetracht des unaufhaltsamen Vormarschs der Rationalisierung, insbesondere der Bürokratisierung, „überhaupt noch möglich ist, irgendwelche Reste einer in irgendeinem Sinn ‘individualistischen’ Bewegungsfreiheit zu retten“ (Weber 1980: 836). Bis heute ist strittig, ob die von ihm offerierte Lösung, an die Spitze von bürokratischen Organisationen eine charismatische Persönlichkeit bzw. einen „Leader“ zu setzen, dem aufgrund seiner persönlichen Ausstrahlungskraft gefolgt wird, tatsächlich dazu geeignet ist, die Nachteile moderner, rationaler Wirtschaftsorganisation einzuschränken (vgl. Weber 1980; Breuer 1991). Ein ebenfalls scharfer Kritiker der Folgen, die mit einer zu weitgehenden Rationalisierung einhergehen, ist Jürgen Habermas, der an die Analysen von Weber anknüpft. Wie schon im Hinblick auf Weber, so gilt selbstverständlich auch für eine Bezugnahme auf Habermas, dass es nicht darum gehen kann, sein komplexes Theoriekonzept einer differenzierten Betrachtung zu unterziehen. Es sollen lediglich einige wenige Grundlinien seines Werkes freigelegt werden, die sich mit der Rationalisierungsproblematik befassen.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

Habermas hat sich bereits in seinen früheren Arbeiten mit Fragen der Rationalisierung auseinandergesetzt. Er unternimmt in seiner Abhandlung „Dialektik der Rationalisierung“ (Habermas 1981c) den Versuch, die negativen Folgen des technischen Fortschritts, für den er seinerzeit noch den Begriff der technischen Rationalisierung verwendete, offen zu legen. Habermas erkennt, dass es im Verlauf der industriekapitalistischen Entwicklung durchaus zu einer Verbesserung des wirtschaftlichen Wohlstandes und damit der sozialen Lebenslage der Menschen gekommen ist. Von einer massiven Verelendung, die noch die Lage der Industriearbeiter im 19. Jahrhundert bestimmt hat, kann seines Erachtens deshalb nicht mehr gesprochen werden. Allerdings lässt sich eine neue Form der Verelendung erkennen, die nicht in der Einkommenshöhe zum Ausdruck kommt, sondern in Gestalt weitaus subtilerer Entfremdungserscheinungen. Habermas registriert eine zunehmende Distanz zu den „Dingen“ sowohl im Arbeitsprozess als auch im Bereich des Konsums. Der Massenkonsum bietet zwar die permanente Erzeugung immer neuer Bedürfnisse, aber keine Möglichkeit, zu einer „verweilenden Berührung“ mit den Objekten zu gelangen. Letztendlich führt diese fortschreitende technische wie die instrumentelle Rationalisierung dazu, dass „die Dingwelt als solche (...) aus dem Erfahrungshorizont des Menschen (verschwindet)“ (Honneth 1999: 235). Der Prozess der fortschreitenden Rationalisierung in der Arbeitswelt, der Wandel im Bereich des Konsums und die damit verknüpfte Orientierung am zweckrationalen Handeln haben demnach nachhaltige Konsequenzen; sie spiegeln sich vor allem als zunehmende Entfremdung in den sozialen Lebensverhältnissen wider. Während Habermas in seinen frühen Arbeiten noch von der Vorstellung ausging, Entfremdung resultiere aus dem Verlust der handwerklichen Erschließung der objektiven Dingwelt, wendet er sich in den 1980er Jahren komplexeren Erklärungskonzepten zu; insbesondere der Sprachphilosophie. Seitdem bestimmt die Vorstellung, „daß es die sprachlich vermittelte Interaktion zwischen den Subjekten ist, woran Beschädigungen innerhalb der sozialen Lebenswelt normativ bemessen werden müssen“ (Honneth 1999: 236), sein Denken. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, ist es wichtig, auf die Unterschiede zwischen System- und Lebenswelt einzugehen. Für Habermas’ Gesellschaftsanalyse sind im Grunde zwei Begriffe bedeutsam: Sozial- und Systemintegration. Anknüpfungspunkte hierfür findet er bei David Lockwood, aber auch in der Systemtheorie und nicht zuletzt der Phänomenologie.30 Während es bei der Systemintegration um den Prozess der Systemerhaltung geht, also um die materielle Reproduktion der Gesellschaft, ist mit Sozialintegration ein hierzu komplementärer Prozess gemeint, der die symbolische Reproduktion der Gesellschaft umfasst und sich mittels Verständigung vollzieht. Dieser methodische Dualismus von System- und Sozialintegration korrespondiert demnach mit dem faktischen Dualismus von System und Lebenswelt. Hieraus folgt, dass Gesellschaft gleichzeitig als System und Lebenswelt konzipiert werden muss. Zur Bestimmung 30

Die Phänomenologie, die Lehre von den Erscheinungen (Phänomenen), zielt im Unterschied zu den eher rationalen oder empirischen Erkenntniswissenschaften darauf ab, „die seiende Welt als Sinn- und Geltungsgebilde zu verstehen und auf diese Weise eine wesentlich neue Art der Wissenschaftlichkeit und der Philosophie auf die Bahn zu bringen“ (Husserl 1962: 102). Zu nennen ist hier vor allem Alfred Schütz, der Begründer der soziologischen Phänomenologie, der sich mit der Wirklichkeit der alltäglichen Lebenswelt, den Strukturen der Lebenswelt intensiv auseinandergesetzt hat (Schütz 1981).

3.1 Die Rationalität der Wirtschaft

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der sozialen Lebenswelt schlägt Habermas vor, hierunter all jene Normen und Werte zu verstehen, die sich durch sprachliche Verständigung in einer Gesellschaft herausgebildet und in spezifischen Institutionengefügen niedergeschlagen haben. Der sozialen Lebenswelt ordnet er den Begriff des auf Verständigung abzielenden kommunikativen Handelns zu. Dem System hingegen wird das instrumentelle und strategische Handeln als Komplementärkategorie zugewiesen. Ihm kommt die Aufgabe zu, Handlungssphären auszubilden, also Subsysteme, in denen im Wesentlichen zweckrationale Gesichtspunkte Bedeutung erlangen und institutionalisiert werden. Ein solches System ist die Wirtschaft, ein anderes die politische Verwaltung der Gesellschaft; in beiden dominiert eine Orientierung an Zweckrationalität. Zweckrational organisierten Handlungssystemen wird zudem eine Erfolgsorientierung zugeschrieben. Demgegenüber ist in der Lebenswelt eine Verständigungsorientierung gefragt. Nur wer System und Lebenswelt unterscheidet – so Habermas – ist in der Lage, die Pathologien der Moderne zu erfassen. Hier gilt es festzuhalten, dass krisenhafte Tendenzen der Gegenwart nicht nur mit der bloßen Existenz von zweckrationalen Organisationsformen des sozialen Lebens erklärt werden, denn „eine weitgehend rationalisierte Lebenswelt (gehört, M.F.) zu den Ausgangsbedingungen von Modernisierungsprozessen“ (Habermas 1981b: 564). Pathologien entstehen erst dann, wenn ein Übermaß an Rationalisierung – vor allem instrumentelle und strategische Kommunikationsformen – in jene Binnenbereiche der Gesellschaft – also in die Lebenswelt (die Privatsphäre und die gesellschaftliche Öffentlichkeit) – eindringt, die auf Prozesse der kommunikativen Verständigung angewiesen sind. Grundsätzlich gehört auch die Rationalisierung der Lebenswelt zum Modernisierungsprozess, denn erst hierdurch kommt es zur Systembildung, problematisch wird es aber dann, wenn zweckrationale Handlungsorientierungen kommunikative Beziehungen immer weiter zurückdrängen und diese am Ende nur noch vorgetäuscht werden, wenn es also zur „Vorspiegelung kommunikativer Beziehungen“ (ebd.: 567) kommt. Dieser Prozess kann am Ende dazu führen, dass die Rationalisierung der Lebenswelt „eine Steigerung der Systemkomplexität (ermöglicht, M.F.), die so hypertrophiert, dass die losgelassenen Systemimperative die Fassungskraft der Lebenswelt, die von ihnen instrumentalisiert wird, sprengen“ (ebd.: 232 f.). Dieses Phänomen bezeichnet Habermas als „Kolonialisierung der Lebenswelt“. Gemeint ist das Vordringen der Medien „Geld“ und „Macht“, die im Bereich der Wirtschaft sowie im Staat vorherrschen, in die Privatsphäre und in die Sphäre der Öffentlichkeit. Dieser Prozess ist nicht folgenlos und kommt „primär in Erscheinungen des Sinnverlustes, der Anomie und der Persönlichkeitsstörungen“ (Habermas 1984: 565) zum Ausdruck. Ein Beispiel hierfür stellt die „Therapeutokratie“ dar: Therapien, die eigentlich die Selbständigkeit der Klienten fördern sollen, können aufgrund administrativer Verordnungen am Ende in ihr Gegenteil umschlagen. Ein anderes Beispiel stellen öffentliche Medien dar, die im Zuge einer weitreichenden Ausrichtung am Prinzip der Gewinnmaximierung ihre politischen und kulturellen Ansprüche nicht mehr aufrechterhalten können. Mithin stellt sich die Frage, welche Konsequenzen es hat, wenn die in der Wirtschaft vorherrschenden Formen der Interaktion in der Lebenswelt zunehmend an Einfluss gewinnen und vieles nur noch mittels Geld geregelt wird. Habermas gelangt letztendlich keineswegs zu einer resignativen und grundsätzlich pessimistischen Sicht. Er hält bis heute daran fest, dass es Möglichkeiten gibt, diesem Prozess zu begegnen, also (Lebenswelt-)Pathologien der Moderne zu erkennen und ihnen ent-

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

gegenzuwirken. Im Kern geht es darum, „Lebensbereiche, die funktional notwendig auf eine soziale Integration über Werte, Normen und Verständigungsprozesse angewiesen sind, davor zu bewahren, den Systemimperativen der eigendynamisch wachsenden Subsysteme Wirtschaft und Verwaltung zu verfallen und über das Steuerungsmedium Recht auf ein Prinzip der Vergesellschaftung umgestellt zu werden, das für sie dysfunktional ist“ (Habermas 1981b: 547). Dabei setzt er vor allem auf die Wirkungsmacht „kommunikativer Rationalität“ (1981a), die „konsensstiftende Kraft argumentativer Rede, in der verschiedene Teilnehmer ihre zunächst subjektiven Auffassungen überwinden und sich dank der Gemeinsamkeit vernünftig motivierter Überzeugungen gleichzeitig der Einheit der objektiven Welt und der Intersubjektivität ihres Lebenszusammenhangs vergewissern“ (Habermas 1981a: 28). Um die Fliehkräfte komplexer Gesellschaften zu verringern, ist präventives Handeln erforderlich, das die zunehmenden Gefährdungslagen zum Ausgangspunkt demokratischer Lösungen macht. Habermas setzt große Hoffnungen auf die Sphäre der Politik und noch mehr auf die des Rechts31, der er die „Hauptlast der sozialen Integration“ (Habermas 1995: 78) in modernen Gesellschaften zuweist. Viel hängt dabei von der Entstehung eines Modells „deliberativer Politik“ (Habermas 1994) ab, das eine enge Verzahnung zwischen rechtsstaatlich normierten politischen Verfahren und Prozessen der Entscheidungsfindung, einer freien, demokratischen Meinungs- und Willensbildung sowie einer autonomen Öffentlichkeit vorsieht. Ein solches Zusammenspiel von Politik, Recht und Öffentlichkeit könnte der zunehmenden Kolonialisierung einen Riegel vorschieben. Die Aussicht darauf, dass sich in Gegenwartsgesellschaften kommunikative Rationalität rasch verbreiten wird, ist jedoch in Anbetracht der Verselbständigung und Ausbreitung zweckrationaler Handlungsorientierungen denkbar gering. So ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass kommunikatives Handeln die Oberhand gewinnt und es zu einer „idealen Sprechsituation“ kommt, in der der „Markt zivilisiert und die Zivilgesellschaft (…) an ihre Ressourcenabhängigkeit erinnert (wird, M.F.)“ (Hessinger/Wagner 2008: 17). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich seit der Institutionalisierung der Soziologie als Wissenschaft verschiedenste einflussreiche Soziologen mit den Entwicklungen und Implikationen der Rationalisierung beschäftigt und dafür diverse Erklärungsansätze gefunden haben. So hat Max Weber die Rationalisierung als einen unaufhaltsamen Prozess verstanden, der letztendlich sämtliche Lebensbereiche durchdringen wird und Individuen eine – im Prinzip sogar selbst gewollte – rationale Lebensführung auferlegt. Der Prozess der Rationalisierung erstreckt sich nicht nur auf die Wirtschaft, sondern auch auf die Politik, die Wissenschaft usw. Insbesondere mit der Ausbreitung bürokratischer Herrschaftsverbände geraten die Menschen in ein „Gehäuse der Hörigkeit“, dem sie eigentlich nicht mehr entrinnen können und das ihre Individualität verkümmern lässt. Jürgen Habermas kommt in seiner Konzeption einer Dialektik der Rationalisierung im Grunde zu keiner wesentlich optimistischeren Einschätzung. Wenngleich die Rationalisierung der Lebenswelt auch nicht zwangsläufig zu Pathologien führen muss und eine ratio31

In seiner rechtssoziologischen Studie „Faktizität und Geltung“ zeigt er auf, dass der „Sinn der Rechtsgeltung“ zum einen eng verbunden ist mit der sozialen und faktischen Geltung von Rechtsnormen und zum anderen mit der „Legitimität und Gültigkeit“ von Rechtsnormen, die auf einem einlösbaren normativen Geltungsanspruch beruhen (vgl. Habermas 1994).

3.2 Koordinationsformen der Wirtschaft

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nalisierte Lebenswelt eine Grundvoraussetzung zur Ausdifferenzierung verselbständigter Subsysteme darstellt, ohne die eine moderne Gesellschaft gar nicht denkbar ist, zeichnet sich Habermas durch eine dezidiert kritische Sicht auf die Moderne aus. So ist für ihn unübersehbar, dass „die Imperative der verselbständigten Subsysteme (…) von außen in die Lebenswelt – wie Kolonialherren in eine Stammesgesellschaft – ein(dringen, M.F.) und (…) die Assimilation (erzwingen, M.F.)“ (Habermas 1981b: 522). Damit droht die strategisch-instrumentelle Ausrichtung des kapitalistischen Erwerbsstrebens immer weiter in die auf kommunikatives Handeln angewiesene lebensweltliche Sphäre vorzudringen und diese zu vereinnahmen. Folglich ist gegenwärtig wohl eher von einer Zu- denn von einer Abnahme pathologischer Entwicklungen, wie einem zunehmenden Übergriff der Ökonomie auf die Lebenswelt, auszugehen.

3.2

Koordinationsformen der Wirtschaft

Von Beginn an hat sich die Soziologie dafür interessiert, wie es möglich ist, in einer an Komplexität zunehmenden Gesellschaft zu einer sozialen Ordnung zu gelangen. Eine der klassischen Fragen der Gesellschaftstheorie lautet dementsprechend: Wie kann ein geordnetes Zusammenwirken von Individuen, Gruppen bis hin zu Nationen in Anbetracht der Vielzahl heterogener Interessenlagen, unterschiedlichster Zielsetzungen, nicht vorhersehbarer Einflussfaktoren und weltweiter Verflechtungen zu Stande kommen? Ist es überhaupt möglich von koordiniertem Handeln bzw. einer sozialen Ordnung angesichts der Existenz eigensinniger Akteure mit eigenständigen Zielen und Handlungsoptionen auszugehen? Was – so lautet die Fragestellung von zwei einschlägigen soziologischen Sammelbänden (Heitmeyer 1997; 2004) – hält eine Gesellschaft zusammen und was treibt sie auseinander? Diese Fragen stellen sich nicht nur im Hinblick auf das Zusammenleben von Menschen in der Gesellschaft, sie tauchen in abgewandelter Form auch in der Wirtschaft auf. Wie ist es möglich, wirtschaftliches Handeln aufeinander abzustimmen, angefangen von der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen bis hin zur Versorgung vieler Millionen Haushalte? In der einschlägigen Literatur findet sich in diesem Zusammenhang zumeist eine Unterscheidung von zwei, vielfach aber auch von drei Formen der Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten: Markt, Hierarchie (Unternehmen) und Netzwerk. Sie stehen im Mittelpunkt der weiteren Ausführungen. Zur Einstimmung zunächst eine fiktive Geschichte, in der es um die Sicht eines Außerirdischen geht, der die Erde umkreist und dabei einige Überlegungen zur Bedeutung von Märkten, Unternehmen und Netzwerken anstellt (vgl. Simon 1996).

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

Ein Raumschiff nähert sich der Erde und ein außerirdisches Wesen beobachtet über einen längeren Zeitraum mit einem Spezialteleskop die Welt. Auf dem Bildschirm erscheinen Unternehmen als grüne Bereiche, die schwache innere Konturen aufweisen, bei denen es sich – wie der Außerirdische erfährt – um einzelne Abteilungen, zum Teil auch um ProfitCenter handelt. Rote Linien, die häufig nur kurz aufleuchten und dann wieder verschwinden, werden als Marktbeziehungen beschrieben. Zudem gibt es auch noch blaue Linien zwischen einzelnen Grünzonen, die, wenn man etwas genauer hinschaut, ein Netzwerk bilden. Das ganze Bild ist zudem ständig in Bewegung. Grünzonen werden an einigen Stellen größer, an anderen kleiner und auch die roten Linien verändern sich mit der Zeit. Da der außerirdische Besucher den ganzen Globus überblickt, sieht er deutlich, dass, ganz unabhängig davon, ob er über kapitalistische oder die zu diesem Zeitpunkt noch existierenden staatssozialistischen Industrieländer fliegt, der größere Teil der Fläche, die unter ihm liegt, innerhalb der grünen Bereiche auftaucht. Offenbar, so seine Schlussfolgerung, sind ganz viele Menschen in irgendeiner Form von Unternehmen abhängig. An seine Heimatstation funkt er: „Dominanz von Hierarchien. Unternehmen beherrschen die Wirtschaft.“ Überrascht wäre er dann wohl, wenn er erführe, dass die grünen Flecken zwar Unternehmen sind, dass das Ganze aber weder Unternehmens- noch Organisationsgesellschaft, sondern Marktgesellschaft heißt, da die kurz aufblinkenden roten Linien als viel wichtiger angesehen werden. Gleichwohl bleibt sein Erstaunen, da er die Bezeichnung Organisationsgesellschaft in Anbetracht der relativ großen Beständigkeit der grünen Linien für wesentlich zutreffender erachtet. Charles Perrow würde ihm hier sicherlich Recht geben, zumal nicht nur die Wirtschaft, sondern die gesamte Gesellschaft ohne die Existenz von Organisationen – insbesondere von Unternehmen – gar nicht denkbar ist. Andere hingegen – wie etwa Castells oder Powell – würden ihn dann darauf aufmerksam machen, dass er nicht vorschnell dem Konzept der Organisationsgesellschaft zustimmen solle, denn es gibt auch viele blaue Linien, die Netzwerke darstellen, auf seinem Bildschirm. Folglich müsste er eigentlich die Bezeichnung Netzwerkgesellschaft präferieren. Ob wir nun Märkte, Unternehmensorganisationen oder Netzwerke als dominante Koordinationsform wirtschaftlicher Aktivitäten ansehen und von Markt-, Organisations- oder Netzwerkgesellschaft sprechen, hat offenbar viel mit der Wahl unserer (theoretischen) „Brille“ zu tun, die wir aufsetzen, um wirtschaftliche wie gesellschaftliche Strukturen und Handlungsweisen zu erkennen. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass in der Wirklichkeit alle Koordinationsformen – ob sie nun als marktförmig, hierarchisch oder netzwerkartig bezeichnet werden – stets gleichzeitig existieren. Um Erklärungen ihrer Genese und ihrer Wirkungseffekte soll es im Weiteren gehen. Da über alle drei Koordinationsformen schon viel geschrieben worden ist und es sehr unterschiedliche theoretische Sichtweisen gibt, muss eine Auswahl getroffen werden. Hierzu bietet es sich an, Erklärungsansätze zu berücksichtigen, die jeweils einer der einschlägigen Denktraditionen – zum einen der eher soziologisch geprägten kulturalistischen und zum anderen der ökonomisch orientierten rationalistischen Sichtweise (vgl. u.a. Miller 2005) – zugeordnet werden können. Ausgewählt wurden die neue institutionenökonomische Theorie

3.2 Koordinationsformen der Wirtschaft

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und der Neo-Institutionalismus32, deren Sicht auf wirtschaftliche Strukturen und Aktivitäten diametral voneinander abweichen: Während die eine Kosten-Nutzen-Aspekte betont, werden im soziologischen Neo-Institutionalismus gesellschaftliche Erwartungen und Institutionen hervorgehoben. Die Sicht der neuen institutionenökonomischen Theorie Die Vertreter der neuen institutionenökonomischen Theorie33 – allen voran Commons (1934) und Coase (1937) – erkannten schon früh, dass nicht nur die marktliche Koordination (Markt), sondern auch die hierarchische Koordination (Unternehmen), zum Gegenstand ökonomischer Analysen gemacht werden muss. Üblich war es bis zu diesem Zeitpunkt, die Analyse von Unternehmen (bzw. von Herrschaftsrelationen) der Soziologie zu überlassen und sich im Rahmen der Ökonomie auf die Analyse des Marktes (bzw. marktliche Austauschrelationen) zu konzentrieren. Dies änderte sich mit der neuen institutionenökonomischen Theorie und rechtfertigt es, im Rahmen eines wirtschaftssoziologischen Buches einen Blick in die Nachbardisziplin zu werfen. Entstehungskontext und Grundannahmen Bei der neuen institutionenökonomischen Theorie handelt es sich – um dies gleich vorweg zu nehmen – nicht um eine einzelne Theorie, sondern um eine „Theoriefamilie“ (Wolf 2003), die zwar auf gemeinsamen Grundannahmen beruht, jedoch unterschiedliche Verzweigungen bzw. Theorievarianten aufweist. Drei Varianten sind zu nennen: 1. der Transaktionskostenansatz („Transaction Cost Theory“), 2. die Theorie der Verfügungsrechte („Property Rights Theory“) und 3. die Agenturkostentheorie („Principal-Agency-Theorie“). Was sie verbindet, ist die kritische Auseinandersetzung mit der Neoklassik, insbesondere mit der bereits angesprochenen Fixierung auf das Marktmodell. Gemeinsam ist ihnen das Interesse an einer Erweiterung des Denkmodells der Neoklassik um die Analyse weiterer Institutionen (z.B. Verfügungsrechte, Verträge, Hierarchien und später auch Netzwerke), denn in der Wirtschaft finden schließlich nicht nur marktmäßig organisierte Aktivitäten statt. Ein Anliegen besteht darin, Entstehung, Struktur und Wandel von Institutionen zu erklären und zu Aussagen über ihre ökonomische Effizienz (Kosten) im Rahmen vergleichender Analysen zu gelangen. Wichtige Anstöße gingen von Ronald Coase aus, der mit seiner „Theorie der Firma“ (1937) zu den Wegbereitern der neuen institutionenökonomischen Theorie gehört. Coase eröffnet seinen Beitrag mit der hypothetischen Frage: „(…) why is there any organisation?“ Damit stellte er keine einfach zu beantwortende Frage, denn bislang stand in erster Linie der Markt im Zentrum der ökonomischen Theoriebildung. Der Markt galt geradezu als die ideale Koordinationsform für ökonomische Transaktionen. Wie es hingegen zur Entwicklung anderer In32

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Unberücksichtigt bleibt die sich in jüngster Zeit abzeichnende Suche nach Wechselwirkungen zwischen diesen beiden bislang eher als konträr geltenden Erklärungsmodellen (soziologischer versus ökonomischer Institutionalismus) (vgl. u.a. Beckert 2002; Schmid/Maurer 2003). Für die neue institutionenökonomische Theorie, die angelsächsischen Ursprungs ist („New Industrial Economics“ (NIE)), gibt es viele synonym verwendete Bezeichnungen, z.B. neue Institutionenökonomik, informationsökonomische Theorie oder ökonomischer Neo-Institutionalismus.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

stitutionen, wie etwa Unternehmen, gekommen ist, darüber konnte die Neoklassik keine befriedigende Auskunft geben. Coase war einer der ersten, der darauf aufmerksam machte, dass jede Institution Kosten verursacht, gleich ob die Geschäftsabwicklung markt- oder organisationsförmig erfolgt. Den Ausgangspunkt der Analyse bildet somit die Annahme, dass jede Koordinationsform spezifische „Transaktionskosten“ verursacht. Hiermit sind all jene Kosten gemeint, die im Zuge von Geschäftsabwicklungen erzeugt werden. Zu nennen sind z.B. Kosten, die zur Schließung und Sicherung von Verträgen aufgebracht werden müssen, für die Geschäftsanbahnung oder die Erfüllung von Verträgen. Coase’ Vorschlag läuft darauf hinaus, diese Transaktionskosten genauer zu untersuchen. Der Markt sowie das Unternehmen werden dabei – theoretisch – als „alternative Modelle der Koordination ökonomischer Transaktionen“ (Willke 1995: 38) betrachtet und im Hinblick auf ihre Effizienz bewertet. Coase’ Leistung besteht darin, dass er schon früh erkannt hat, dass für die Beantwortung der Frage „Markt“ oder „Hierarchie“ (heute könnte man auch noch das „Netzwerk“ hinzufügen) nicht nur Produktionskosten eine Rolle spielen, sondern auch die Höhe der Transaktionskosten zu beachten ist. Firmengründungen stellen demnach immer dann eine attraktive Alternative dar, wenn die marktmäßige Form der Abwicklung und Organisation von Geschäften mit höheren Kosten verbunden ist (vgl. Coase 1988: 38). Zu vergleichen sind somit nicht nur die jeweils anfallenden Produktions-, sondern auch die Transaktionskosten, die für bestimmte institutionelle Arrangements aufzubringen sind, um entscheiden zu können, ob der Markt oder das Unternehmen (bzw. die hierarchische Koordination) die effizienteste Form der Geschäftsabwicklung darstellt. Damit rückten Transaktionskosten erstmals in den Rang eines Entscheidungskriteriums auf, um die Effizienz institutioneller Arrangements vergleichen zu können. Die Wirtschaftswissenschaften haben am Ende mehr als drei Jahrzehnte gebraucht, um die Relevanz der Ideen von Coase, der 1991 für seinen Ansatz den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt, zu erkennen und aufzugreifen. Es war vor allem Oliver Williamson (1975, 1985, 1990), der zu Beginn der 1970er Jahre an die konzeptionellen Überlegungen von Coase anknüpfte und zur Transaktionskostentheorie ausgearbeitet hat. Andere haben Coase’ Konzeption genutzt, um eine Theorie der Verfügungsrechte zu begründen, wie z.B. Alchian und Demsetz (1972) oder Furubotn und Pejovich (1972); wieder andere entwickelten die Agenturkostentheorie (vgl. u.a. Jensen/Meckling 1976; Fama 1980; Laux 1990).34 Da es sich speziell bei der Transaktionskostentheorie nicht nur um den ältesten und bedeutendsten Zweig der neuen institutionenökonomischen Theorie handelt, sondern auch um den Ansatz, der sich besonders intensiv mit der Frage befasst hat, warum bestimmte Transaktionen in ganz bestimmten institutionellen Arrangements abgewickelt werden, soll auf diese Theorievariante etwas näher eingegangen werden. Transaktionskostentheorie Wie Coase, geht auch Williamson davon aus, dass Akteure ihre Entscheidung für eine bestimmte Koordinationsform davon abhängig machen, ob diese zu einer Reduktion von 34

Im deutschsprachigen Raum hat besonders die Forschergruppe um Picot (vgl. u.a. Picot 1982, 1991; Picot/Dietl/ Frank 1999) zur Weiterentwicklung der neuen institutionenökonomischen Theorie beigetragen.

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Transaktionskosten beiträgt. Wählen können sie dabei zwischen Markt und Unternehmen (Hierarchie) sowie einer dritten Form, dem Netzwerk (bzw. Hybrid), das Williamson erst später noch hinzufügt. Welche Form präferiert wird, ist nicht nur abhängig von Produktions-, sondern auch von Transaktionskosten. Williamson unterscheidet zwischen Ex-ante und Expost Transaktionskosten (vgl. Williamson 1985). Mit Ex-ante Kosten sind Geschäftskosten gemeint, die vor der Geschäftsabwicklung anfallen, z.B. Anbahnungskosten, die im Zuge der Informationssuche und -beschaffung über potentielle Transaktionspartner und deren Konditionen aufgewendet werden müssen, sowie Vereinbarungskosten, die im Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen, Vertragsformulierung und der Einigung entstehen. Bei Ex-post Transaktionskosten handelt es sich hingegen um Kosten, die erst nach dem Vertragsabschluss zum Tragen kommen. Hierzu gehören Kontrollkosten, die zur Sicherstellung der Einhaltung von Terminen und Produktqualität aufzubringen sind, sowie Anpassungskosten, die im Nachhinein erforderlich werden, um z.B. Termin-, Qualitäts-, Mengen- und Preisänderungen durchsetzen zu können, wenn sich die Geschäftsbedingungen während der Laufzeit der Vertragsvereinbarungen verändern (vgl. Williamson 1985; Picot 1982: 270). Folglich kommt es bei allen wirtschaftlichen Aktivitäten zu Transaktionskosten, die stets einkalkuliert werden müssen. Arrow bezeichnet Transaktionskosten daher auch recht treffend als „cost of running the economic system“ (Arrow 1969: 48). Die Transaktionskostentheorie betont vor allem die große Bedeutung von Ex-post Kosten, die beispielsweise durch Kontrollerfordernisse entstehen. Sie stehen im Zusammenhang mit Verhaltensannahmen, auf die Williamson zur Begründung von Transaktionskosten rekurriert. Zu nennen sind vor allem zwei: 1. Bei der ersten Verhaltensannahme handelt es sich um die „begrenzte Informationsverarbeitungskapazität“ von Akteuren. Sie basiert auf Simons Konzept der „begrenzten Rationalität“ und geht davon aus, dass Akteure zwar rational handeln, dabei aber gewissen Begrenzungen unterliegen, da sie nur über unvollkommene Informationen verfügen und ihre kognitive Informationsverarbeitungskapazität eingeschränkt ist. Folglich ist es nicht möglich, den Verlauf von Geschäftsabwicklungen genauestens zu planen und exakt zu kalkulieren. Transaktionskosten lassen sich demnach gar nicht vermeiden; Kontroll-, Überwachungs- und Anpassungskosten entstehen bei nahezu jeder Geschäftsbeziehung. 2. Die zweite Verhaltensannahme – Opportunismus – besagt, dass Individuen bei der Verfolgung ihrer Eigeninteressen zu opportunistischem Verhalten neigen. Es muss also stets mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass zur Zielerreichung auch das Mittel der List und Täuschung eingesetzt wird und Informationen zurückgehalten werden. Williamson zufolge ist nicht davon auszugehen, dass wirtschaftliche Akteure sich immer an feste Spielregeln halten, so dass ihr Handeln auch nicht berechenbar ist. Folglich ist Lug und Betrug nicht auszuschließen, was ebenfalls Ex-post Transaktionskosten verursacht. Die Devise lautet: „Organisiere Deine Transaktionen so, dass Dir aus Deiner begrenzten Rationalität möglichst geringe Kosten entstehen, und versuche gleichzeitig, Dich vor möglichem opportunistischem Verhalten Deines Vertragspartners zu schützen!“ (Ebers/Gotsch 2001: 227). Ziel der Transaktionskostentheorie ist es, zu Aussagen darüber zu gelangen, unter welchen Bedingungen bestimmte institutionelle Arrangements sich als effizienter erweisen können als andere. Williamson differenziert in diesem Zusammenhang zwischen vier verschiedenen Situationsvariablen, die Einfluss auf die Höhe der Kosten haben können. Zu berücksichtigen sind demnach:

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

1. Transaktionskostenspezifische Investitionen, die z.B. für Know-how aufzubringen sind, um die Leistungserbringung zu kontrollieren oder die Geheimhaltung einer Vereinbarung zu sichern. Die Rede ist von Faktorspezifität bzw. „asset specifity“, die verschiedene Varianten aufweisen kann (z.B. Anlagen-, Abnehmer-, Marken-, Termin- oder Humankapitalspezifität).35 Je höher die transaktionskostenspezifischen Investitionen ausfallen, desto größer ist häufig auch die Abhängigkeit, die zwischen Transaktionspartnern entsteht. Hat ein Zulieferer sich erst einmal an einen Hersteller gebunden, ist ein Wechsel oftmals schwierig und mit Kosten verbunden, da zumeist bestimmte Standortinvestitionen getätigt worden sind. 2. Unsicherheit („uncertainty“), die größtenteils aus der unzureichenden Informationslage bei Geschäftsverläufen resultiert. Vor allem bei komplexen Transaktionen ist die zukünftige Entwicklung zumeist nicht klar vorhersehbar. Unsicherheit entsteht auch, weil das Verhalten von Transaktionspartnern nicht bis ins Letzte voraussehbar ist. 3. Häufigkeit („frequency“), also wie oft bestimmte Transaktionen wiederholt werden. Es wird davon ausgegangen, dass mit steigender Häufigkeit von identischen Transaktionen die Möglichkeit besteht, Skalen- und Synergieeffekte zu erzielen. Anzunehmen ist, dass mit steigender Häufigkeit sowohl die Produktions- als auch die Transaktionskosten pro Transaktion sinken. 4. Transaktionskostenatmosphäre („atmosphere“), die Williamson erst später hinzugefügt hat. Danach macht es einen Unterschied, ob Transaktionen in einem Klima gegenseitigen Vertrauens durchgeführt werden oder ob Misstrauen vorherrscht, was u.a. Einfluss auf die Höhe der Kontrollkosten haben kann. Für welche der drei Basisformen der Koordination – Markt, Unternehmen, Netzwerk – sich Wirtschaftsakteure am Ende entscheiden, um ihre Geschäfte abzuwickeln, hängt letztendlich von der Höhe der mit ihnen verbundenen Transaktionskosten ab. Märkte, Unternehmen und Netzwerke lassen sich demnach nicht nur durch ihre unterschiedlichen vertragsrechtlichen Grundlagen voneinander unterscheiden (klassische, neoklassische und relationale Vertragsbeziehungen), sondern ebenso mit Blick auf die Kosten, die aufzubringen sind, um Informationsdefizite in den Griff zu bekommen und Opportunismus zu verhindern. Dies können bestimmte Anreize sein, die das Verhalten von Akteuren beeinflussen, oder spezifische Koordinations- und Kontrollmechanismen, die ebenfalls zur Verhaltenskontrolle beitragen. Entscheidend ist nicht zuletzt auch die Fähigkeit spezifischer institutioneller Arrangements, sich „an Störungen anzupassen“ (Williamson 1996: 167). Williamson versucht auf der Basis der ersten drei Situationsvariablen (Häufigkeit, Unsicherheit und transaktionskostenspezifische Investitionen) zu einer modellhaften Verknüpfung zwischen den verschiede-

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Williamson (1996) unterscheidet im Hinblick auf die transaktionskostenspezifischen Investitionen (Ressourcenspezialisierung) sechs Formen: 1. standortspezifische Investitionen (z.B. der Bau einer neuen Lagerhalle, um Transportkosten zu sparen); 2. anlagenspezifische Investitionen (z.B. die Anschaffung einer Spezialmaschine); 3. Investitionen in Humankapital (z.B. Weiterqualifizierungsmaßnahmen); 4. abnehmerspezifische Investitionen (z.B. kundenspezifische Serviceleistungen); 5. Investitionen in Reputation (z.B. durch die Teilnahme an Zertifizierungsverfahren) und 6. terminspezifische Investitionen (z.B. Aufwendungen für die Logistik) (vgl. auch Ebers/Gotsch 2001: 228).

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nen Formen institutioneller Arrangements (marktmäßig, hierarchisch, netzwerkförmig) und den jeweils spezifischen Transaktionskosten zu gelangen. • Markt: Eine Präferenz für die marktliche Koordinationsform ergibt sich aus dieser theoretischen Sicht immer dann, wenn die Umweltkomplexität wie -unsicherheit und die Transaktionshäufigkeit sowie die aufzuwendenden Investitionen gering bzw. nicht an bestimmte Transaktionen gebunden sind. Der Markt ist – folgt man Williamson – eigentlich nichts anderes als das Resultat eines „Hierarchieversagens“. Die hierarchische Koordination verliert immer dann ihre Vorzüge gegenüber dem Markt, wenn es sich um sichere Transaktionen mit geringer Komplexität handelt und eine große Anzahl möglicher Tauschpartner zur Verfügung steht. Marktliche Austauschbeziehungen basieren auf klassischen Vertragsbeziehungen, so dass Leistung und Gegenleistung monetär berechenbar sind und der Preismechanismus eine effiziente Ressourcenallokation garantiert. Aufwendige Kontrollsysteme, die in Unternehmen notwendig sind, um Opportunismus zu verhindern, sind nicht notwendig, denn die vertraglich vereinbarte Leistung ist relativ klar bestimmt. Kommt es zu „Marktversagen“, werden alternative institutionelle Arrangement wieder interessant, wie Unternehmen. • Hierarchie/Unternehmen: Die hierarchische Koordinationsform bietet sich immer dann an, wenn es um eine hohe Transaktionshäufigkeit, eine hohe Spezifität transaktionsabhängiger Investitionen sowie um hohe Unsicherheit geht (vgl. Williamson 1996). Anders ausgedrückt: Eine Präferenz für die Koordinationsform „Hierarchie“ bzw. den Aufbau eines eigenen Unternehmens kommt zustande, wenn die Häufigkeit von Transaktionen sowie die transaktionskostenspezifischen Investitionen zunehmen und Transaktionen in einem recht unsicheren Feld abzuwickeln sind, Verträge sich also zunehmend komplexer gestalten, so dass die Transaktionskosten für ihre Kontrolle steigen. Hieraus folgt selbstverständlich nicht, dass Unternehmen gar keine Transaktionskosten verursachen. Williamson weist u.a. auf bürokratische Kontroll- und Steuerungskosten hin sowie auf Kosten für spezifische Anreizsysteme, die opportunistisches Verhalten verhindern sollen. Unternehmen werden also immer dann gegründet, wenn sie sich – und hierzu besteht in einer zunehmend komplexeren Wirtschaft aus all den erwähnten Gründen häufig Anlass – als effizienter erweisen als der Markt, d.h. in der Lage sind, Produkte/Dienstleistungen kostengünstiger herzustellen als jedes andere institutionelle Arrangement. Unternehmen entstehen somit, wenn die Transaktionshäufigkeit und der Aufwand für transaktionsspezifische Investitionen sich erhöht und die Transaktionen selbst mit zunehmender Unsicherheit und Komplexität verbunden sind. • Netzwerk: Es handelt sich um eine dritte Koordinationsform, die zwischen den Polen, Markt und Hierarchie, einzuordnen ist. Williamson (1990, 1996) zufolge stellt das Netzwerk eine Hybridform dar, also eine Mischung aus den beiden bekannten Formen Markt und Hierarchie. Das Netzwerk kann verschiedene Formen annehmen, die auf einer gleitenden Skala zwischen den beiden Basisformen eingeordnet werden können. Williamson bezeichnet sie daher auch als Zwischen- bzw. Mischformen. Es kann sich um Langfristverträge im Rahmen von Zuliefererbeziehungen handeln, aus denen AbnehmerZulieferernetzwerke resultieren, um Konzessionsvergaben im Rahmen von Franchising, die den Aufbau von Franchising-Netzwerken zur Folge haben, möglich sind aber auch zeitlich begrenzte strategische Allianzen bzw. Partnerschaften oder Projektnetzwerke.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen Das Netzwerk bietet sich an, wenn Unternehmen zwar eine langfristige Zusammenarbeit bzw. Kooperation anstreben, aber weiterhin als rechtlich eigenständige Unternehmen agieren wollen. Die Akteursbeziehungen in Netzwerken weisen demnach weder die Form der klassischen Vertragsbeziehung auf, die auf Märkten vorzufinden ist, noch die Form relationaler Verträge, die in Unternehmen den Leistungsaustausch zwischen Organisationsmitgliedern auf der Basis von Hierarchien regeln. Vielmehr basieren sie auf neoklassischen Verträgen, die als besonders geeignet für die Ausgestaltung dieser Kooperationsform mit ihren interdependenten Beziehungen angesehen werden. Aus einer transaktionskostentheoretischen Sicht wird die Entstehung dieser Hybridform erwartungsgemäß mit der Reduktion von Transaktionskosten erklärt. Netzwerke weisen Vorteile gegenüber dem Markt auf, weil nicht ständig hohe Kosten zur Suche von Abnehmern oder Lieferanten aufgebracht werden müssen, ein besserer Informationsfluss und Wissensaustausch sowie eine unbürokratische Kontrolle der Wissensverwendung möglich ist. Gegenüber der Hierarchie ergeben sich ebenfalls Vorteile, weil auf aufwendige Steuerungs- und Kontrollsysteme verzichtet werden kann. Stattdessen ist eine Kombination hierarchischer Koordinationsinstrumente mit marktlichen Elementen möglich. Mithin kann eine größere Umweltsensibilisierung aufgrund des dezentral organisierten Gesamtsystems erzielt werden (weitere Vorteile siehe u.a. Sydow 1992: 143).

Die stark verkürzte Grundaussage des Transaktionskostenansatzes lautet: Je spezifischer (häufiger, unsicherer, komplexer und strategisch bedeutsamer) eine Leistung für einen Wirtschaftsakteur ist, desto eher wird er sie aus Effizienzgründen selbst bzw. im eigenen Unternehmen durchführen. Andernfalls wird die Leistung über den Markt bezogen. Im Grunde geht es um die Entscheidung zwischen Fremdbezug (buy) oder Eigenerstellung (make). Erklären lassen sich so Entscheidungen für Outsourcing-Maßnahmen, aber auch für den Bau eines eigenen Produktionswerkes. Was die Genese von Netzwerken anbetrifft, wie etwa von Zulieferernetzwerken in der Automobilindustrie oder Franchisingnetzwerken in der Gastronomie (siehe McDonald), ist anzumerken, dass Williamson sich erst relativ spät mit ihnen befasst hat. Netzwerke werden als Hybride bzw. Zwischenformen bezeichnet, die sowohl Elemente des Marktes als auch Hierarchie aufweisen. Williamson misst dem Netzwerk eine geringere Stabilität zu als den beiden anderen Basisformen. Zieht man Bilanz, ist zunächst hervorzuheben, dass der Transaktionskostenansatz durchaus zu einer aus ökonomischer Perspektive recht konsistenten Erklärung der Existenz von Unternehmen – wie auch anderer Koordinationsformen – beigetragen hat. Coase’ Frage, warum existieren Unternehmen, kann aus dieser theoretischen Sicht nunmehr damit beantwortet werden, dass in der Wirtschaft bestimmte Transaktionen sehr häufig in einem recht unsicheren und atmosphärisch nicht gerade einfachen Umfeld durchgeführt werden, die zudem sehr spezifische Investitionen erfordern. Es sind somit in erster Linie Effizienzkriterien, die erklären, warum nicht nur der Markt eine effiziente Koordinationsform darstellt, sondern auch andere institutionelle Arrangements (Unternehmen, Netzwerke) unter bestimmten Voraussetzungen Effizienzvorteile aufweisen. Auf Schwächen des Ansatzes und die vielfältige Kritik soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, nur soviel: Neben Messbarkeits- und Operationalisierungsproblemen, wird auch die Fokussierung auf Transaktionskosten kritisiert. Die Entstehung verschiedener

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Koordinationsformen primär mit Blick auf die Einsparung von Transaktionskosten zu erklären, ist zwar plausibel, vernachlässigt aber eine Vielzahl weiterer Faktoren. Unterbelichtet wird nicht nur die Bedeutung von Produktionskosten, sondern auch der Einfluss sozialer Zusammenhänge, wie Vertrauen und Macht und des gesellschaftlichen Umfeldes. Zudem sei der Ansatz – wie Kritiker hervorheben – nicht in der Lage, Folgen nicht intendierten Handelns zu berücksichtigen. Das Lager der radikalen Kritiker würde den Ansatz zweifellos am liebsten „in den Mülleimer werfen“ (vgl. u.a. Sydow 1999; Wolf 2003). Erhebliche Einwände gibt es gegen die Verhaltensannahmen, insbesondere die Opportunismusthese. Besonders pointiert ist die Kritik von Perrow (1986), der die Annahme des Opportunismus hinterfragt und das einseitige Menschenbild vom „faulen Arbeiter“, der streng überwacht werden muss, sogar für eine potentiell „gefährliche Erklärung“ hält. Das dem Ansatz zugrunde liegende Menschenbild wird ohnehin als eine „extreme Karikatur“ bezeichnet (Ghoshal/Moran 1996: 17; Sydow 1999: 168). Kritik entzündete sich aber auch daran, dass Williamson im Grunde von nur zwei Idealtypen der Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten – dem Markt und der Hierarchie – ausgeht und Hybride lediglich als ein Zwischenstadium bezeichnet. Mittlerweile gesteht er dem Netzwerk zwar eine „eigene Logik“ zu (vgl. Williamson 1996: 206), hält es aber nach wie vor für instabil. Dabei – so seine Kritiker – verkennt Williamson, dass sich Wirtschaftsorganisationen in einem tief greifenden Wandlungsprozess befinden und Formen neoklassischer Vertrags- und Tauschbeziehungen zunehmend an Bedeutung gewinnen. So ist zu beobachten, dass Unternehmen ihre etablierten Grenzen – wie Powell hervorhebt – zunehmend verwischen und sich in Kooperationsformen engagieren, „die weder die übliche Alternative intensiver Marktkontakte (arm’s length), noch das überkommene Ideal der vertikalen Integration darstellen“ (Powell 1996: 215). Mitunter wird bereits das Bild einer entgrenzten Wirtschaft gezeichnet, in denen das Überschreiten von Grenzen (Organisations- wie nationalsstaatliche Grenzen) schon längst die Realität bestimmt; gleichwohl ist aber auch eine Einbettung in kulturelle, institutionelle Ordnungen zu beobachten. Dementsprechend kommt auch die Ökonomie nicht umhin, Prozessen der Grenzüberschreitung – wie insbesondere dem Verhältnis von Entgrenzung und Einbettung – mehr Aufmerksamkeit zu widmen und dabei die Genese und Organisation – wie vor allem die Eigenständigkeit – von Netzwerken stärker in den Blick zu nehmen. Wenngleich die Kritik an der neuen institutionenökonomischen Theorie bis heute nicht verstummt ist, ist dennoch nicht zu übersehen, dass sich mittlerweile eine Reihe von ForscherInnen daran begeben hat, zu einer konzeptionellen Weiterentwicklung dieses Ansatzes zu gelangen, in denen Aspekte wie Vertrauen, Fairness, Treue usw. nicht mehr als „Sozialklimbim“ abgetan werden (vgl. u.a. Wolf 2003; Siebert 1999; Sydow 1995). Mitunter wird dieser Theoriezweig sogar als anschlussfähig für wirtschaftssoziologische Konzepte erachtet (z.B. White und Swedberg); auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

Die Sicht des soziologischen Neo-Institutionalismus Der Neo-Institutionalismus36 ist – wie die neue institutionenökonomische Theorie – ebenfalls ein weit verzweigtes Forschungsfeld mit einer Vielzahl von Spielarten, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann (vgl. u.a. Hasse/Krücken 2005, 2010). In der Wirtschaftssoziologie hat dieser kulturalistische Forschungszweig in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, da er sich – im Unterschied zur neuen institutionenökonomischen Theorie – von Beginn an nicht mit Effizienzannahmen und Kosten-Nutzen-Kalkülen zufrieden gegeben hat, um wirtschaftliches Handeln zu erklären.37 Kennzeichnend für den NeoInstitutionalismus38, insbesondere für den sich auf Berger und Luckmann (1967) berufenden soziologischen Neo-Institutionalismus, ist eine Distanzierung von individualistischen Erklärungsansätzen, in denen Entscheidungen ausschließlich als „rationale Wahl“ von Eigennutz maximierenden Akteuren betrachtet werden. Das Rationalitätsparadigma wird in neoinstitutionalistischen Konzepten somit grundsätzlich in Frage gestellt. Stattdessen steht die Wirkungsmacht von Institutionen bzw. gesellschaftlichen Erwartungsstrukturen im Zentrum des Interesses, von denen angenommen wird, dass sie „Handlungen gleichzeitig restringieren und ermöglichen“ (Müller 2010: 42). Da die Wirtschaft ein Gesellschaftsbereich wie jeder andere ist, spielen gesellschaftliche Erwartungen folglich auch hier eine überaus große Rolle. Sie kommen u.a. in Leitbildern, Regeln und institutionellen Vorgaben für wirtschaftliches Handeln zum Ausdruck. Der Neo-Institutionalismus interessiert sich insbesondere für Fragen der Legitimität von Institutionen. Dem Ansatz liegt ein sehr breites Institutionenverständnis39 zugrunde, das im Grunde alle Phänomene umfasst, die das Handeln von Akteuren beeinflussen können, angefangen von Routinen und Alltagspraktiken über soziale Regeln, Verfahren, Konventionen bis hin zu Leit- und Weltbildern. In der Soziologie werden Institutionen als eine Art „Vermittlungsinstanz“ betrachtet, die dafür Sorge trägt, dass Individuen sich an gesellschaftlichen Spielregeln bzw. normativen und kulturellen Regelsystemen orientieren. Strittig ist dabei, wie weitreichend der Autonomiespielraum von Akteuren noch sein kann, von denen angenommen wird, dass ihr Handeln vollständig von Institutionen bestimmt wird. Die überaus starke Gewichtung von gesellschaftlichen Erwartungen hat dem Ansatz daher schon früh den Vorwurf eingebracht, er gehe von einer „Übersozialisierung“ der Akteure aus und gestehe dem Ein-

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Institutionalistisches Denken ist in der Soziologie nicht neu. Bereits Durkheim hat die Bedeutung von Institutionen, also die Entwicklung und Wirkungsweise von Normen, Routinen, Gewohnheiten und institutionellen Vorgaben, zum zentralen Thema seiner Analysen gemacht. Für ihn stellt die Soziologie geradezu eine „Wissenschaft von den Institutionen“ (Durkheim 1980: 100) dar. Der Neo-Institutionalismus hat sich empirisch zunächst auf die Analyse von Non-Profit-Organisationen (z.B. Universitäten, Schulen) konzentriert. Der Neo-Institutionalismus hat in den letzten drei Jahrzehnten nicht nur in der Soziologie zunehmend an Aufmerksamkeit erfahren, sondern auch in der Politikwissenschaft und der Organisationsforschung. Der Begriff der Institutionen, ist nicht ganz einfach zu bestimmen. Im Allgemeinen werden hierunter „umfangreiche Muster oder Regelsysteme“ verstanden, „in die Akteure wie Individuen, Organisationen oder Nationalstaaten eingebettet sind“ (Hasse/Krücken 2005: 8). Begreift man Institutionen als dauerhafte, verbindliche regelhafte Handlungsmuster, so reicht das Spektrum von Glaubensvorstellungen, über Normen und Werte, bis hin zu Verträgen und Gesetzen und erstreckt sich sogar auf die „world polity“ (vgl. u.a. Meyer 1994; Drori/Meyer/Hwang 2006).

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zelnen – wie auch korporativen Akteuren (etwa Unternehmen) – keine Autonomie zu (vgl. Walgenbach 2001; zur Kritik siehe Mayntz/Scharpf 1995). Akteure als „Marionetten“ zu begreifen, die an den Fäden sozialer Makrostrukturen hängen, welche ihre Handlungen weitgehend determinieren, führt zweifelsohne zu einer eingeschränkten Sichtweise auf wirtschaftliches Handeln. Sicherlich ist dies auch ein Grund dafür, dass sich aktuelle Konzepte explizit von einem solchen Verständnis distanzieren. Das Handeln von Akteuren lässt sich schließlich nicht unmittelbar aus etablierten Regeln, Verfahren, Konventionen, Sichtweisen oder Weltbildern ableiten (vgl. u.a. Göhler/Kühn 1999: 27). Geht man davon aus, dass Akteure durch ihr Handeln selbst zur Reproduktion von Institutionen beitragen, folgt hieraus, dass institutionelle Kontexte wie soziale Normen, Werte und Regeln nicht – wie noch bei Durkheim oder Parsons – handlungsdeterminierend sein müssen. Institutionen lassen sich schließlich auch als „durch die Akteure interpretierte und interpretationsbedürftige soziale Tatbestände“ (Beckert/Diaz-Bone/Ganßmann 2007: 29) begreifen.40 Wenngleich Normen und Regeln, kognitive Skripts und Weltbilder nicht mehr als direkt handlungsbestimmend wahrgenommen werden, sind sie dennoch alles andere als unwichtig. Neo-Institutionalisten gehen davon aus, dass Organisationen gesellschaftlichen Erwartungen nachkommen und sich an den vorherrschenden Normen, Standards und Regeln orientieren, um Legitimität zu erzielen und Ungewissheit zu reduzieren. Vor allem wenn der Faktor Unsicherheit groß ist, greifen wirtschaftliche Akteure auf als erfolgreich geltende Verfahren oder Leitbilder zurück, die als entlastende Handlungsmuster bei der „jeweiligen Situationsdeutung“ wahrgenommen werden (vgl. Göhler/Kühn 1999: 28). Dieser Strang der Wirtschaftssoziologie sieht seine Stärke vor allem darin, in Anbetracht der gerade in der Wirtschaft vorherrschenden hohen „Ungewissheit“, schon früh die grundlegende Relevanz von Traditionen, Normen, Regeln und Leitbildern erkannt zu haben. Der Neo-Institutionalismus ist demnach wie kaum ein anderer Erklärungsansatz in der Lage, der gesellschaftlichen Kontextualisierung wirtschaftlichen Handelns Rechnung zu tragen (vgl. u.a. Beckert 2009; Hasse/Krücken 2010). Er interessiert sich schließlich – im Unterschied zur neuen institutionenökonomischen Theorie – nicht für die Höhe und Spezifität von Investitionen, die Häufigkeit von Transaktionen, die Berechnung der Effizienz von Kontroll- und Steuerungsverfahren oder gar für die Kosten von Marktstrategien und den Verlauf von Umsatzentwicklungen, sondern für Institutionalisierungsprozesse, wie die Verfestigung von Verhaltensweisen zu Regeln und Normen, sowie für Fragen der Legitimität. Organisationen tendieren aus dieser Sicht dazu, Leitbilder, Strukturen und Routinen aufzuweisen, die den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen, um Legitimität sowohl „nach innen“ als auch „nach außen“ zu gewinnen. Organisationen aus der Sicht des Neo-Institutionalismus Ausgegangen wird von Übernahmeprozessen gesellschaftlich anerkannter Strukturen und Praktiken, die als effizient und rational gelten, unabhängig davon, ob sie es auch wirklich sind, denn worauf es in erster Linie ankommt, ist die Erzielung von Legitimität. Legitimität 40

Siehe hierzu auch die Debatte über aktive Agentenschaft (vgl. u.a. Hasse/Krücken 2008).

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ist demnach das „Resultat der Zuschreibung von organisationalen Struktur- und Aktivitätsmerkmalen, die als korrekt oder angemessen erscheinen“ (Müller 2010: 42). Strukturen und Aktivitäten sind folglich nicht in erster Linie darauf zurückzuführen, dass sie effizient und effektiv Probleme lösen, sondern dass sie in der Lage sind, „Legitimität für vorhandene Problemlösungsstrategien zu erzeugen“ (ebd.). Auf diesen Zusammenhang haben schon früh Meyer/Rowan (1977) und DiMaggio/Powell (1983) in ihren Arbeiten hingewiesen, die zu den Meilensteinen des Neo-Institutionalismus gehören. Im Zentrum dieser klassischen Studien stand das Verhältnis von Organisation und Gesellschaft (in späteren Arbeiten ging es dann auch um Markt- und Netzwerkanalysen). Folgt man Meyer und Rowan (1977), so übernehmen Organisationen Strukturen, Regeln und Routinen, die ihnen Legitimität verschaffen, ohne die sie es sonst schwer hätten, sich in der Gesellschaft auf Dauer behaupten zu können. Hierbei kann es sich z.B. um die Orientierung an vorherrschenden Leitbildern handeln, wie etwa das Lean Managementkonzept, das lange Zeit als „best way“ galt, um zu einer effizienten Produktionsorganisation zu gelangen (vgl. Teil 4). Meyer und Rowan (1977) sprechen von „Rationalitätsmythen“. Damit ist gemeint, dass sich Mythen über das, was als modern, innovativ und effizient gilt, herausbilden, die von Organisationen aufgegriffen und kopiert werden. Der „Glaube“ an die Vorzüge dieser Leitbilder und Konzepte reicht häufig schon aus, um sie im eigenen Unternehmen einzuführen. Meyer und Rowan verweisen zur Veranschaulichung dieses Zusammenhangs auf die Zunahme von Unternehmensberatungen, die den Eindruck vermitteln, über Konzepte zur Effizienzverbesserung zu verfügen, so dass allein schon die Beschäftigung von BeraterInnen häufig als ein Ausweis moderner Unternehmensführung angesehen wird. Selbst die Überlebensfähigkeit von Unternehmen ist nicht an Effizienz gekoppelt. Die schon klassische Studie von Meyer und Zucker (1989) belegt diesen Zusammenhang eindrucksvoll. Anhand zahlreicher Beispiele können sie zeigen, dass ineffiziente Organisationen durchaus effektiv sein können und überlebensfähig sind, wenn es ihnen gelingt, eine besondere Unterstützung zu erfahren oder als förderungswürdig zu erscheinen, weil sie z.B. als gesellschaftlich unverzichtbar oder systemrelevant angesehen werden. DiMaggio folgert hieraus, dass Effizienz im Prinzip nur eine, und nicht notwendigerweise die entscheidende Determinante der Überlebensfähigkeit von Organisationen sei (vgl. DiMaggio 1989a: 9). Die Orientierung an gesellschaftlichen Erwartungen, wie die Übernahme von als innovativ und effizient geltenden (Formal-)Strukturen („Rationalitätsmythen“) als Mittel der Legitimitätsgewinnung, muss keineswegs mit den in Organisationen anzutreffenden, inneren (Aktivitäts-)Strukturen übereinstimmen. Meyer/Rowan (1977) gehen von einer Diskrepanz zwischen Formal- und Aktivitätsstrukturen aus und unterstellen Organisationen, dass sie zu einer Strategie der Entkopplung bzw. losen Kopplung fähig sind. So wird die nach außen hin sichtbare Formalstruktur, mit der sich Organisationen als den neuen Moden und Leitbildern gegenüber aufgeschlossen geben, von der inneren Aktivitätsstruktur, die zumeist recht unbeeindruckt einem „business as usual“ folgt, (weitgehend) entkoppelt. Aufgebaut werden „Rationalitätsfassaden“, die dem Ziel dienen, Strukturen als wohl überlegt und rational erscheinen zu lassen, um Legitimität in den für die Organisation relevanten Umwelten zu erzielen (z.B. im Hinblick auf Kunden, Auftraggeber, Aktionäre, Geldgeber). Unabhängig davon gibt es nach wie vor interne Praktiken, die ganz anderen Spielregeln unterliegen und zumeist einer anderen Logik folgen, die nicht unbedingt mit den nach außen vermittelten Selbstdar-

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stellungen kompatibel sein müssen (z.B. einer Orientierung an Sozialstandards oder Prinzipien nachhaltigen Wirtschaftens). Eine vergleichbare Unterscheidung findet sich bei Brunsson (1989), der zwischen „talk“ und „action“ differenziert und von einer nach außen gerichteten politischen Rhetorik („talk“) ausgeht, die der Herstellung von Legitimität dient, während die Kernaktivitäten („action“) davon relativ unberührt und abgeschottet bleiben. Eine solche Differenzierung zwischen „talk“ und „action“ – man könnte auch von Vorder- und Hinterbühne sprechen – kann recht weitgehend sein und sogar innerhalb einer Organisation auftreten. Ausgegangen wird somit von einem die Formalstruktur prägenden Anpassungsprozess an gesellschaftlich anerkannten Strukturmustern und Leitbildern. Dabei spielt eine große Rolle, dass Unternehmen nicht isoliert von anderen Unternehmen und wirtschaftlichen Akteuren betrachtet werden. Es waren vor allem DiMaggio und Powell (1983), die – ausgehend von den Überlegungen von Meyer und Rowan – diesen Gedanken aufgegriffen und die Frage der Gewinnung von Legitimität durch Nachahmung zum Ausgangspunkt weitergehender konzeptioneller Erwägungen gemacht haben. Angenommen wird, dass Organisationen in „organisationalen Feldern“ agieren und sich an den hier jeweils vorherrschenden Regeln, Strukturmustern und Leitbildern orientieren. Organisationelle Felder umfassen all jene Organisationen, „die gemeinsam einen abgegrenzten Bereich des institutionellen Lebens konstituieren: die wichtigsten Zuliefererfirmen, Konsumenten von Ressourcen und Produkten, Regulierungsbehörden sowie andere Organisationen, die ähnliche Produkte oder Dienstleistungen anbieten“ (DiMaggio/Powell 2000: 149). Vor allem die enge Kopplung zwischen den Akteuren, die für viele organisationale Felder typisch ist, tragen zu Angleichungsprozessen zwischen einzelnen Unternehmen bei, die sich hierdurch immer ähnlicher werden. DiMaggio und Powell bezeichnen diesen Prozess als „institutionelle Isomorphie“, die durch drei Mechanismen erfolgen kann: (1) Zwang („coercive isomorphism“), (2) Imitation („mimetic isomorphism“) sowie normativem Druck („normative isomorphism“). 1. Zwang bzw. erzwungener Isomorphismus wird durch staatliche Vorgaben, Normen, Vorschriften usw. erzeugt und löst einen starken Konformitätsdruck im Feld aus. Organisationen können sich rechtlichen und politischen Regelungen, wie etwa bindenden Rechtsvorschriften, schließlich nicht so ohne weiteres entziehen. Ein Beispiel hierfür sind rechtliche Vorgaben, die Unternehmen dazu verpflichten, Steuern abzuführen, bestimmte technische Normen und arbeitsrechtliche Standards zu erfüllen. Hieraus ergeben sich u.a. die Notwendigkeit der Buchführung, die Berücksichtigung vorgeschriebener Methoden des Rechnungswesens oder regelmäßige Kontrollen der Arbeitssicherheit, wodurch am Ende organisationale Strukturangleichungen bewirkt werden. 2. Imitation bzw. mimetischer Isomorphismus zielt auf die Nachahmung von als bewährt geltenden Strukturen, Praktiken und Verhaltensmustern anderer Organisationen ab. Sie wird auf die generelle Unsicherheit, mit der sich Organisationen konfrontiert sehen, zurückgeführt. Besonders bei hoher Unsicherheit tendieren Organisationen dazu, als erfolgreich wahrgenommene Modelle zu kopieren, um ihre eigene Legitimität zu erhöhen. Ein Beispiel stellt die Übernahme von als „best-management-practices“ geltenden Konzepten dar, wie etwa das bereits erwähnte Lean Management, das in den 1990er Jahren zu einem Leitmodell der Organisationsgestaltung avancierte. Vergleichbare Übernahmeprozesse sind im Bereich der Personalauswahl zu beobachten, so haben sich Assessment-CenterKonzepte rasch verbreitet. Ein nicht zu unterschätzender Faktor, der die Nachahmung

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spezifischer, als erfolgreich wahrgenommener Personalführungs- und Managementmodelle vorangetrieben hat, stellt die Zunahme von Beratungsorganisationen dar, denn sie haben in hohem Maße zur Verbreitung aktueller, in der Beratungsbranche als innovativ geltender Personal- und Managementkonzepte beigetragen. Sie werden daher auch als „Diffusionsagenten“ (Hasse/Krücken 2005) bezeichnet. 3. Normativer Druck bzw. normativer Isomorphismus führt ebenfalls zu organisationalen Angleichungsprozessen. Verursacht wird er durch berufsständische Organisationen bzw. Professionen, die Organisationen bestimmte Formen der Professionalisierung auferlegen. So sehen sich Organisationen verpflichtet, professionsübliche Standards erfüllen oder Professionalisierungsprozesse verfolgen zu müssen, was die Einstellung von ExpertInnen nach sich ziehen kann, etwa von JuristInnen, die aufgrund ihrer Professionszugehörigkeit als Fachleute für Vertragsformulierungen gelten, so dass bereits ihre Beteiligung an Vertragsverhandlungen Legitimität verspricht. Diese drei Mechanismen – Zwang, Imitation und normativer Druck – können in der Praxis nicht immer eindeutig voneinander unterschieden werden; z.B. können Zwang und normativer Druck mitunter auch gemeinsam auftreten. Organisationen, die im Gesundheitswesen tätig sind, kommen in der Regel gar nicht umhin, bestimmte Professionsstandards zu berücksichtigen und unterliegen gleichzeitig oftmals staatlichen Vorgaben. Der Grundgedanke des Isomorphismus, der – wie Müller hervorhebt – zu einer „Art Markenzeichen des Neo-Institutionalismus geworden ist“ (Müller 2010: 44), besteht somit darin, dass zwischen Organisationen Nachahmungs- wie Angleichungsprozesse erfolgen, die für sie durchaus vorteilhaft sein können, da sie zur Bewältigung von Unsicherheit und zur Erzielung von Legitimität im Feld beitragen. DiMaggio und Powell (1983) gehen sogar – im Unterschied zu Meyer/Rowan (1977) – davon aus, dass die Adaption bewährter Strategien, Strukturen und Konzepte, die in organisationalen Feldern vorherrschen, nicht nur zur Homogenität von Formalstrukturen führt, sondern auch auf die Aktivitätsstrukturen durchschlägt. Auf die Vielzahl der überaus spannenden Studien (vgl. u.a. Meyer/Zucker 1989; Fligstein 1990, 1996, 2009; Scott/Meyer 1994), die im Bereich der Wirtschaft im Anschluss an die frühen Arbeiten von Meyer/Rowan (1977) und DiMaggio/Powell (1983) durchgeführt wurden, kann hier zwar nicht weiter eingegangen werden, hervorzuheben ist aber dennoch, dass sie alle für eine Abkehr vom Rationalitätsparadigma plädieren. Sie können zeigen, dass wirtschaftliches Handeln keineswegs das Resultat rationaler Entscheidungsprozesse ist, das primär von Kosten-Nutzen-Kalkülen bestimmt wird. Vielmehr kommt gesellschaftlichen Erwartungen, staatlichen Vorgaben und Prozessen mimetischer Isomorphie eine große Relevanz zu. Märkte aus der Sicht des Neo-Institutionalismus Was für Organisationen gilt, trifft im Grunde auch auf Märkte zu, wie eine Reihe neoinstitutionalistischer Studien über die Markt- und Wettbewerbsstrukturen in der Wirtschaft zeigt (vgl. u.a. Fligstein 1996, 2009; Lant/Baum 1995). Märkte stellen aus neo-institutionalistischer Sicht weitaus mehr als einen Preisfeststellungsmechanismus dar. Es handelt sich um anspruchsvolle soziale Konstrukte, die von Menschen erfunden wurden und im Laufe der Geschichte zunehmend Verbreitung fanden. So erwiesen sich Märkte, wie auch andere

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Technologien zur Organisation des Sozialen (wie etwa Unternehmen oder Netzwerke), offenbar als geeignet, bestimmte kollektive Zwecke erreichen zu können. Definiert werden Märkte zunächst einmal durch den Austausch von Produkten oder Dienstleistungen, der selten bis häufig stattfinden kann. Märkte sind folglich „gesellschaftliche Arenen für die Produktion und den Austausch von Gütern oder Dienstleistungen“ (Fligstein 2009: 42). Auf Märkten findet zumeist ein „strukturierter Austausch“ statt, was darauf zurückzuführen ist, dass Akteure damit rechnen – und vielfach auch ein großes Interesse daran haben –, wiederholt Produkte miteinander auszutauschen. Hierzu benötigen sie „Regeln und soziale Strukturen zur Steuerung und Strukturierung des Austauschs“ (ebd.), denn ohne sie ist es nicht möglich, zu stabilen Marktbeziehungen bzw. stabilen Marktfeldern, die aus der Sicht von Produzenten höchst erstrebenswert sind, zu gelangen. Märkte sind folglich keineswegs norm- und regelfrei. Fligstein betont ausdrücklich, dass die Entstehung von Kapital-, Arbeits- und Produktmärkten nicht möglich gewesen wäre, wenn Regierungen nicht „allgemeine institutionelle Arrangements (sowohl Gesetze als auch informelle Regeln) zu den Eigentumsrechten, Governance-Strukturen und Austauschregeln“ (Fligstein 2009: 39) geschaffen hätten. Die Beziehungen zwischen Tauschreflektanten bzw. Marktakteuren (Anbietern auf der einen und Kunden sowie Arbeitnehmern auf der anderen Seite) wurde im Laufe der Zeit durch historisch recht spezifische, kulturelle Regeln und Praktiken geprägt, die sich zu jeweils spezifischen „conceptions of control“ (Kontrollkonzeptionen) verdichtet haben (vgl. auch 3.5). Fligstein hat sich eingehend mit dem Wandel solcher Kontrollkonzeptionen befasst. Seine historischen Analysen belegen, dass sich die in Marktfeldern vorherrschenden Eigentumsund Organisationsformen sowie die geltenden Leitbilder von Unternehmen in den letzten hundert Jahren in der US-amerikanischen Wirtschaft tief greifend verändert haben. Allerdings erfolgt dieser Wandel nicht in kurzen Zeitabständen, vielmehr weisen Kontrollkonzeptionen ein relativ hohes Maß an Beharrungskraft auf. „Seit 1880 hat es nur vier verschiedene Kontrollkonzepte gegeben, die von den Führern der größten amerikanischen Unternehmen verfolgt wurden: direkte Kontrolle der Konkurrenten, Kontrolle der Zuliefererbeziehungen, Vertriebs- und Marketingkontrolle und Finanzkontrolle“ (Fligstein 1990: 12). Um die in bestimmten Phasen dominierenden Kontrollkonzeption besser verstehen zu können, soll hier kurz auf das Zusammenspiel von Kontrollform und Organisationsstruktur eingegangen werden: • „Direkte Kontrolle“: In der Phase der „ownership control“, die Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts in US-amerikanischen Unternehmen dominierte, wurde die Unternehmenskontrolle noch primär durch Eigentümer und Banken (Stakeholder-Orientierung) ausgeübt. In dieser Zeit herrschte in den Unternehmen größtenteils das Prinzip der vertikalen Integration vor, d.h. die gesamte Wertschöpfungskette wurde weitgehend in Eigenregie betrieben. • „Zuliefererkontrolle“: Mit dem Übergang zur Kontrolle der Zuliefererbeziehungen in den 1920er/30er Jahren setzte sich das Prinzip der Divisionalisierung durch, das bereits eine Profit-Center-Struktur einzelner Geschäftsbereiche vorsieht. Seitdem ist eine Reihe weiterer Reorganisationsprozesse erfolgt, in denen es stets um die Suche nach einer adäquaten Organisationsform großer, zunehmend international operierender Unternehmungen ging.

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• „Vertriebs- und Marketingkontrolle“: Mit der Globalisierung und dem Aufbau (globaler) Wertschöpfungsketten gewinnt die Strukturform des Netzwerkes an Bedeutung. Parallel hierzu lässt sich spätestens seit den 1980er Jahren erkennen, dass die StakeholderOrientierung mehr und mehr durch eine Ausrichtung am Prinzip des „Shareholder-Value“ ersetzt wird und mit dem Übergang zum Konzept der Finanzkontrolle einhergeht. • „Finanzkontrolle“: Es sind nicht mehr die Stakeholder, sondern die Interessen der Shareholder (und damit die Aktienkurse), die das Handeln des Managements bestimmen. Für die USA kann Fligstein zeigen, dass seit den 1980er Jahren in den 100 größten Unternehmen, in denen vormals Herrschaftsverhältnisse im Sinne einer „Corporate Governance“ und „Corporate Control“ bestimmend waren, eine fundamentale Neuorientierung und Reorganisation der Managementtätigkeit im Sinne des Shareholder-ValueAnsatzes stattgefunden hat. Dieses neue Leitbild hat mittlerweile weit über die Unternehmen der USA hinaus Verbreitung gefunden. Um die Dynamik von Märkten und den Wandel von Kontrollkonzepten erklären zu können, ist eine genauere Betrachtung der Positionskämpfe erforderlich, die sich auf Märkten bzw. in den organisationalen Feldern abspielen. Hierzu ist zunächst zwischen Akteuren, die sich in einer dominierenden Position befinden („incumbents“), und Akteuren in herausfordernder Position („challengers“) zu unterscheiden. Während erstere daran interessiert sind, dass sich der Markt wenig dynamisch entwickelt, damit sie ihre dominante Position aufrechterhalten können, ist es das Bestreben letzterer, in eine dominierende Position vorzudringen. Ein Beispiel – auf das sich Fligstein bezieht – stellt die Stahlindustrie der Vereinigten Staaten dar, die das ganze zwanzigste Jahrhundert über als ein stabiler und homogener Markt galt, auf dem immer wieder dieselben Unternehmen auftauchten und Produkte austauschten. Die großen Unternehmen versuchten ihr Überleben vor allem dadurch zu sichern, dass sie Einfluss auf die Preisbildung nahmen und bestrebt waren, zu stabilen Preisen, selbst bei schwankender Nachfrage, zu gelangen. Da Trust- bzw. Monopolbildung in den USA schon seinerzeit verboten war, gab es, um potentielle Konkurrenz auszuschalten, eigentlich nur die Möglichkeit der Firmenintegration bzw. Fusionierung. Diese Strategie kennzeichnete vor allem das größte Unternehmen der Stahlbranche, U.S. Steel, dem es lange Zeit gelang, das Marktfeld zu dominieren. Erst Mitte der 1960er Jahre löste sich dieses stabile Marktfeld allmählich auf. Ursächlich hierfür sind u.a. die Diversifikation der Produkte und das gleichzeitige Aufkommen vieler neuer Unternehmen, die auf dem Stahlmarkt allmählich Fuß fassten. Am Ende wurde das einstige Marktfeld durch zwei neue Marktfelder (Grundprodukte, höherwertige Produkte) ersetzt (vgl. Fligstein 2009). Märkte können sich folglich verändern, indem neue Unternehmen bereits auf dem Markt dominierende Unternehmen aus der beherrschenden Marktposition verdrängen oder durch Innovationen neue Märkte erschließen und eine führende Position einnehmen. Grundsätzlich sind Produzenten also daran interessiert, direkte Konkurrenz zu vermeiden und Marktunsicherheiten zu reduzieren (vgl. Fligstein 1996: 662). Dies gelingt großen Unternehmen zumeist besser als kleinen, da sie eher in der Lage sind, Einfluss auf rechtliche und politische Regelungen zu nehmen, sich mit Konkurrenten abzustimmen und ihre Beziehung zu Zulieferern und Kunden mit zu gestalten (vgl. Hasse/Krücken 2005: 57). Märkte überschaubar zu halten und Eindringlinge („newcomer“) aus dem eigenen Feld bzw. „Quasi-Oligopol“ fernzuhalten, ist somit das nahe liegende Bestreben, was – wie das Beispiel des Stahlmarktes

3.2 Koordinationsformen der Wirtschaft

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sowie eine Vielzahl weiterer historischer Analyse zeigt – jedoch nicht auf Dauer gelingt. In der Herausbildung neuer Kontrollkonzepte spiegelt sich dieser Wandlungsprozess (siehe die vorgestellten vier Kontrollkonzepte), der sich nicht nur auf ökonomische, sondern auch auf politische und rechtliche Aspekte erstreckt und nicht von heute auf morgen erfolgt, wider. Kurzum, Märkte sind „soziale Konstruktionen“, in denen sich die historisch jeweils vorherrschenden gesellschaftlichen Lösungen widerspiegeln, die für die Ausgestaltung von Eigentumsrechten, Governance-Strukturen, Kontrollkonzepten und Austauschregeln gefunden wurden und zur Unsicherheitsreduktion beitragen sollen (Fligstein 2009: 108 f.). Sie lassen sich als das Ergebnis strategischen Handelns mächtiger Akteure in Arenen („Felder“) begreifen, denen es darum geht, stabile Marktbeziehungen aufzubauen und zu reproduzieren. Das ist möglich, weil sie in der Lage sind, formale Gesetze und kulturelle Standards wie institutionelle Vorgaben zu beeinflussen und hierdurch ihre Machtposition zu festigen. Märkte – vor allem stabile Märkte – stellen in der Regel recht „komplexe Interaktionsmuster“ dar, die sich nur aufrechterhalten lassen, wenn die Akteure gemeinsame kognitive Annahmen und Erwartungen aufweisen. Erforderlich hierfür sind Sozialisationsprozesse, die Ausbildung eines Minimums an Vertrauen und natürlich die Verankerung verpflichtender Regeln (Vorschriften, Gesetze). Märkte sind ohne Regeln und Gesetze gar nicht denkbar. Die Entwicklung solcher Regeln ist „kein harmloser oder interessenfreier Prozess. Regeln (…) sind Ausdruck eines Systems von Machtbeziehungen“ (Hasse/Krücken (2005: 40), die institutionalisiert werden müssen, um Märkten Stabilität zu verleihen. Überlässt man Märkte sich selbst, dann tendieren sie – so Hasse/Krücken (2005: 57) – zur Selbstauflösung. Marktstabilität zu gewinnen, ist daher ein vordringliches Ziel von Verkäufern bzw. Produzenten, die als die eigentlichen Initiatoren der Bildung von Märkten gelten, denn schließlich sind es ihre Unternehmen, „deren Überleben ohne Marktstabilisierung auf dem Spiel steht“ (ebd.: 43). Folglich haben sie zumeist ein hohes Interesse an festen Liefer- und Abnehmerbeziehungen, also an stabilen Märkten, die aus neo-institutionalistischer Sicht auch als „sich selbst reproduzierende Rollenstrukturen“ (White 1981) beschrieben werden. Ziel ist die Sicherung des Überlebens, also die Stabilisierung der eigenen Marktpositionen. Produzenten sind daher darum bemüht, zu dominierenden Akteuren im Feld zu werden, ihre Statushierarchie zu festigen und dauerhaft die Rolle der Marktführerschaft auszuüben. Ein Markt besteht schließlich nur „so lange, wie seine Statushierarchie und dementsprechend auch seine führenden Verkäuferfirmen sich von Periode zu Periode reproduzieren“ (Fligstein 2009: 43). Findet diese Reproduktion nicht mehr statt, löst sich das Marktfeld auf und wird gegebenenfalls durch ein neues ersetzt; ein solcher Wandel findet jedoch nicht sehr häufig statt, da – wie bereits erwähnt – Kontrollkonzeptionen eine relativ große Persistenz aufweisen. Die Chancen, in einen stabilen Markt vorzudringen und große Unternehmen zu verdrängen, sind schließlich nicht sehr groß, denn die dominanten Akteure sind stets bestrebt, die Spielregeln auf ihrem Marktfeld aufrecht zu erhalten und Stabilität herzustellen. Stabile Märkte sind folglich das Handlungsziel. Hierzu gehört auch die Suche nach Strategien zur Kontrolle der Rahmenbedingungen im Feld (z.B. durch den Aufbau intensiver Beziehungen zu wichtigen Lieferanten und Kunden). Große Unternehmen haben hierzu gute Voraussetzungen, da sie am ehesten in der Lage sind, politische Koalitionen zu schaffen, die Einfluss auf den Wettbewerb nehmen können. Auch die Strategie der Produktdifferenzierung in Verbindung mit der Suche nach einer Marktnische kann vor Preiswettbewerb schützen (Wettbewerbsvermeidung).

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

Im Kern geht es in den Studien von Fligstein, wie auch in anderen neo-institutionalistischen Untersuchungen, in erster Linie um die Analyse der Ausgestaltung sozialer Interaktionen zwischen Unternehmen und ihren Wettbewerbern, also um Prozesse der gegenseitigen Beobachtung des Wettbewerbsverhaltens und den Einfluss politischer, rechtlicher wie kultureller Rahmenbedingungen. Damit hat der Neo-Institutionalismus eine ganz spezifische Sicht auf Märkte entwickelt, der zufolge selbst das Wettbewerbsgeschehen nicht einfach mit Blick auf den Aspekt der Zweckrationalität erfasst werden kann, sondern die Berücksichtigung ihrer kognitiven, sozial-strukturellen, kulturellen und politischen Einbettung erfordert. Fligstein hebt dabei in seinen Analysen vor allem die Relevanz gesetzlicher und politischer Rahmenbedingungen hervor, die das wirtschaftliche Geschehen – die Entstehung, Stabilität und den Wandel von Märkten (Marktfeldern) – in hohem Maße prägen. Netzwerke aus der Sicht des Neo-Institutionalismus Auch Netzwerke lassen sich – wie Unternehmen und Märkte – aus der Sicht des NeoInstitutionalismus nicht verstehen, wenn man sie ausschließlich aus Effizienzgesichtspunkten betrachtet. Gegen diese ökonomische Zuspitzung hat der Neo-Institutionalismus grundlegende Bedenken. Einschlägig ist in diesem Zusammenhang eine frühe Arbeit von Powell aus den 1990er Jahren, die bis heute nicht an Aktualität verloren hat. Powell versteht unter Netzwerk – im Unterschied zu Williamson – mehr als nur eine Mischform bzw. hybridartige Zwischenformen zwischen Markt und Organisation. Powell (1996) vertritt vielmehr die Auffassung, dass Netzwerke eine eigenständige ökonomische Austauschform darstellen. Seines Erachtens führt ein Markt-Hierarchie-Kontinuum zur Fehlkonstruktion ökonomischer Entwicklungsmuster und verschleiert die Existenz einer dritten, eigenständigen Koordinationsform ökonomischer Aktivitäten, nämlich das Netzwerk. Folglich teilt er auch nicht die Auffassung vieler Autoren, „daß der Großteil ökonomischer Austauschbeziehungen sich bequem an den jeweiligen Enden des Markt-Hierarchie-Kontinuums einordnen“ lässt (Powell 1996: 216). Verkannt werden hier seines Erachtens die Besonderheiten des Netzwerkes, das eine deutlich abgrenzbare Koordinationsform ökonomischer Aktivitäten darstellt und sich durch eine eigene Binnenlogik auszeichnet. Für Powell steht fest, dass es sich um eine neue Koordinationsform handelt, die in der Lage ist, die jeweiligen Stärken der beiden anderen Koordinationsformen miteinander zu verknüpfen. Seine viel zitierte Aussage lautet: Netzwerke sind „weder Markt noch Hierarchie“ (Powell 1996). Powell zufolge kann die Entstehung von Netzwerken nicht allein auf Transaktionskostenreduzierungen zurückgeführt werden. Entscheidend sind andere Gründe, wie die Vorstellung, dass die netzwerkförmige Kooperation gegenüber anderen Koordinationsformen (Markt, Organisation) eine Reihe von Vorteilen aufweist, die zur Reduktion von Unsicherheit beitragen. Bedeutsam ist vor allem Vertrauen. Es ermöglicht den Akteuren den Zugang zu vertraulichen Kontextinformationen sowie auch einen schnelleren Zugang zu Informationen und Expertenwissen (vgl. Powell 1990, 1996). Netzwerke entstehen immer dann, wenn drei Faktoren zusammenkommen: (1) „Wissen“, (2) „Geschwindigkeit“ und (3) „Vertrauen“. 1. „Wissen“: Netzwerke sind angesichts der mit ihnen verbundenen Betonung von lateraler Kommunikation und gegenseitiger Verpflichtungen geradezu dafür prädestiniert, Knowhow aufzubauen und Wissen zu teilen.

3.2 Koordinationsformen der Wirtschaft

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2. „Geschwindigkeit“: Damit ist in erster Linie die Möglichkeit einer raschen Informationsverbreitung gemeint. So sieht Powell einen Hauptvorteil von Netzwerken in der relativ problemlosen Informationsweitergabe. 3. „Vertrauen“: Sozial dauerhafte Zusammenhänge, Kooperation, allgemeine Reziprozität, die Bedeutung von Ansehen bzw. Reputation; all dies sind Faktoren, die für die Vertrauensbildung förderlich und geradezu charakteristisch für erfolgreiche Netzwerke sind. Netzwerke sind – so Powell – immer dann erfolgreich, wenn sie auf Komplementarität beruhen und einen Interessenausgleich sicherstellen. Zu den grundlegenden Annahmen im Hinblick auf die Gestaltung der Netzwerkbeziehungen gehört, dass einzelne Akteure von den Ressourcen der anderen abhängig sind und die Vorstellung entsteht, dass durch die Kombination der unterschiedlichen Ressourcen und Informationen Vorteile erzielt werden können. In den Worten von Macneil (1985) heißt dies: Es existieren „verwobene Fäden“, die durch wechselseitige Abhängigkeiten hervorgerufen werden. Dabei spielen soziale Aspekte – von der Reputation bis hin zur Freundschaft – eine große Rolle, die – Powell zufolge – integrale Elemente von Netzwerkbeziehungen bilden. Reziprozität ist somit ein Kernelement von Netzwerken. Gleiches gilt für den Aspekt des Vertrauens. Es trägt zur Stabilität von Netzwerkbeziehungen bei und eignet sich eher zur Komplexitätsreduktion als Autorität und Verhandlung. Dennoch sieht Powell in Netzwerken nicht nur Eintracht und konfliktlose Zusammenarbeit. Er weist darauf hin, dass die Reziprozität der Zusammenarbeit nicht frei von Machtfragen erfolgt. Netzwerke gelten daher keineswegs als der „Königsweg“ der Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten. Sie befinden sich stets in Spannungsfeldern zwischen Abhängigkeit und Autonomie, Konkurrenz und Kooperation, Kontrolle und Vertrauen (vgl. u.a. Sydow 2001; Windeler 2001; Funder 2000). Netzwerke sind also äußerst ambivalent zu bewerten: Sie können zum einen wirtschaftsförderliche Effekte haben, wenn es gelingt, Vertrauensbeziehungen auf- und auszubauen, die sich wiederum vorteilhaft auf die Bildung von gemeinsamen „Wissenskulturen“ und „Innovationsmilieus“ auswirken. Zum anderen können sie aber auch wirtschaftshemmende Effekte nach sich ziehen, wenn sich etwa „Lock-in-Effekte“ durch eine zu große Nähe zwischen Netzwerkakteuren einstellen, die sich am Ende negativ auf Unternehmensneugründungen auswirken und sogar zu Innovationsblockaden führen (vgl. u.a. Grabher 1993; Saxenian 1994; Herrigel 1996). Kritisch zu hinterfragen sind daher sowohl die einseitig positiven wie auch die einseitig negativen Betrachtungen von Netzwerken. Grundsätzlich stellt sich die Frage, warum dem Netzwerk ein zunehmend größeres Interesse entgegengebracht und ihm sogar der Rang einer zukunftsweisenden Form der Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten eingeräumt wurde. Krücken und Meier (2003) bieten hierzu folgende Erklärung an: Ihres Erachtens ist das seit einigen Jahren gestiegene Interesse an netzwerkartigen Koordinationsformen allein auf die „Zuschreibung“ von Überlegenheit bzw. Effizienz zurückzuführen, die dieser Koordinationsform ein wachsendes Maß an Legitimität verliehen hat. Sie begreifen den Aufstieg des Netzwerks als Formalstruktur daher auch als das Ergebnis einer Mythenbildung, denn um „in der Innovationsgesellschaft als modern und legitime Akteure zu gelten, müssen Organisationen in übergreifende Kooperationsnetzwerke eingebettet sein“ (Krücken/Meier 2003: 72 f.). Netzwerkbildung stellt somit nichts anderes als einen Prozess „mimetischer Isomorphie“ dar. Wie weit dieser Prozess am Ende fortschreitet, ist jedoch eine noch weitgehend unbeantwortete Frage. D.h. Auskunft darüber zu

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

geben, ob es zukünftig zu einem strukturellen Wandel in Richtung einer zunehmenden Vernetzung kommen wird, die es rechtfertigt, Gegenwartsgesellschaften als Netzwerkgesellschaften zu beschreiben, obliegt der weiteren Forschung. Was den Neo-Institutionalismus – dies gilt es festzuhalten – auszeichnet, ist die Abkehr von der Vorstellung, dass die Präferenz für eine bestimmte Koordinationsform – Markt, Organisation, Netzwerk – ausschließlich das Resultat rationaler Kalküle ist. Weitaus entscheidender sind Orientierungen an handlungsprägenden Institutionen, die das Wirtschaftsleben bestimmen. Im Zentrum des Interesses stehen demnach die Einbettung wirtschaftlicher Akteure und ihrer Interaktionen in sozial-strukturelle, kulturelle und politische Kontexte sowie die Ausrichtung an gesellschaftlichen Erwartungen (Streben nach Legitimität), die jedoch nicht mehr als handlungsdeterminierend wahrgenommen, sondern einem aktiven Verarbeitungsprozess unterzogen werden. „Best-practice-Modelle“, Leitbilder und Moden sowie die schon angeführten Prozesse der Nachahmung bzw. „mimetischen Isomorphie“ von Strukturen spielen folglich eine weitaus größere Rolle als Effizienzaspekte und geben nicht nur Aufschluss über die Genese von marktförmigen und hierarchischen, sondern auch von netzwerkartigen Koordinationsformen.

3.3

Die Dynamik der Wirtschaft

Die moderne kapitalistische Gesellschaft zeichnet sich wie kaum eine andere durch ein hohes Maß an Ungewissheit und immer wiederkehrende Phasen höchster Instabilität bzw. Krisen aus, die nicht selten zu Transformationsprozessen führen. Die Wirtschaft erscheint folglich als dynamisch (vgl. Beckert 1997: 78; Deutschmann 2008). Im Zentrum steht das Streben nach Kapitalvermehrung bzw. -akkumulation. Wachstum ist zwar nicht „ihr Gesetz“, wohl aber „oberster Imperativ“ (Deutschmann 2002: 75). „Akkumuliert, akkumuliert!“, so heißt es bereits bei Marx (1975: 621). Fragt man nach den Einflussfaktoren, die diesen Prozess in Gang setzen und mithin auf das Wirtschaftswachstum41 einwirken können, wird seit einigen Jahren verstärkt auf die Innovationsfähigkeit von Volkswirtschaften hingewiesen.42 Innovationen sind zu einem Zauberwort geworden und werden geradezu als ein Zaubermittel angesehen, wenn es um die Erschließung von Zukunftsoptionen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Zeiten der Globalisierung geht. Wie zentral beispielsweise technologische Innovationen für die Entwicklungsdynamik der Wirtschaft sind, macht ein Blick auf die Phase der frühen Industrialisierung deutlich. Generell lässt sich die Wirtschaftsgeschichte als ein Prozess ständigen technischen „Fortschritts“ beschreiben; man denke etwa an die Entwicklung der Dampfmaschine, der Eisenbahn, des Automobils sowie an die Informations- und Kommunikationstechnologien. Diese sind selbstverständlich nicht folgenlos – insbesondere im Hinblick auf die Umwelt oder die sozialen und kulturellen Beziehungen – geblieben, was nicht nur eine Reihe von Debatten über den Preis des techni41

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Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem die Produktivität, das Angebot an Arbeitskräften sowie der technische Fortschritt (vgl. hierzu u.a. Bluestone/Harrison 2002: 61 ff.). Siehe hierzu etwa die Theorie des „Neuen Wachstums“, in der technologische Innovationen als primärer Motor des Wachstums bezeichnet werden (vgl. Romer 1986; Bluestone/Harrison 2002: 246 ff.)

3.3 Die Dynamik der Wirtschaft

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schen Fortschritts angestoßen, sondern auch die Bildung sozialer Bewegungen und NonGovernance Organisationen (von Robin Wood bis Greenpeace) ausgelöst hat. Neue Technologien haben nicht nur in der Phase des Übergangs zur kapitalistischen Gesellschaftsformation für Dynamik gesorgt; sie besitzen bis heute einen erheblichen Einfluss auf die weitere Reproduktion der kapitalistischen Produktionsweise. Der technologische Wandel stellt folglich eine „Hauptquelle wirtschaftlichen Wachstums in kapitalistischen Gesellschaften“ (Beckert 1997: 78) dar. Zu den Autoren, die sich schon früh mit Innovationen und technologischem Wandel befasst und hierin eine Antriebskraft der wirtschaftlichen wie sozialen Entwicklung gesehen haben, gehören Karl Marx und Joseph A. Schumpeter. Beide sahen im technischen Fortschritt einen Motor gesellschaftlicher Entwicklung und werden dementsprechend als die zwei „Hauptschlagadern“ der soziologischen Innovationsforschung bezeichnet (vgl. Braun-Thürmann 2005). Während sich Marx in erster Linie für Fragen des Wandels ganzer Gesellschaftsformationen interessierte, konzentrierte sich Schumpeter auf die Akteure, die Innovationsprozesse in Gang setzen; zumal Innovationen für ihn den eigentlichen Kern des Kapitalismus darstellen. Auf beide Autoren soll im Folgenden eingegangen werden. Es war Karl Marx, der „als erster mit der idealistischen Tradition der Geschichts- und Gesellschaftsbeschreibung brach und ein neues Programm, das den Namen einer Gesellschaftstheorie verdient, begründete“ (Rammert 1998: 11). Marx begreift die Geschichte der Gesellschaft als einen Prozess, in dem der Wandel der technischen Kräfte und Kompetenzen eng verknüpft ist mit den sozioökonomischen Strukturen und Beziehungen, die Menschen miteinander eingehen und die zudem die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmen. Im Zentrum seiner Überlegungen steht daher die Analyse der vielfältigen Interdependenzen, die zwischen der Entwicklung (sozio-)technischer Innovationen und den sozialen Strukturen bestehen und den Kern der Produktionsweise bzw. die ökonomische Struktur einer Gesellschaft ausmachen.43 Ursächlich für den Wandel von Gesellschaftsformationen sind die Spannungen zwischen Produktivkräften44 und Produktionsverhältnissen45. Marx zufolge ist es nicht der technologische Wandel an sich, der gesellschaftliche Veränderungen auslöst; es sind Inkongruenzen zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, die sich am Ende in sozialen Kämpfen entladen. Marx’ Geschichtsauffassung geht von einem dialektischen Verhältnis zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen aus. Die Geschichte lässt sich dementspre43

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45

Über die sich dann – so das Credo der bekannten Basis-Überbau These – ein juristischer und politischer Überbau erhebt. Demzufolge bedingt die Produktionsweise den „sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt“ (vgl. Marx 1964). Wenn von Produktivkräften die Rede ist, dann sind hiermit vor allem Produktionsgeräte bzw. technische Arbeitsmittel (Werkzeuge) sowie im weiteren Sinne die Technologien einer ganzen Epoche gemeint. In der Zeit der frühen Industrialisierung handelte es sich in erster Linie wohl um Webstühle und Dampfmaschinen. Hierzu gehören aber auch die Fähigkeiten und Qualifikationen, über die die Beschäftigten wie das Management verfügen, also das Organisationswissen einer Epoche. Mit Produktionsverhältnissen sind die jeweils bestehenden sozioökonomischen Strukturen gemeint, also in erster Linie die vorherrschenden Eigentumsverhältnisse, die festlegen, wer über welche Produktionsmittel verfügen darf. Hiervon hängt letztendlich die gesellschaftliche Organisation der Arbeit sowie die Distribution bzw. Verteilung der Ergebnisse der gesellschaftlichen Arbeit ab. Produktionsverhältnisse sind demnach nichts anderes als eine Bezeichnung für die gesellschaftlichen Beziehungen, in denen die vorherrschenden Herrschafts-, Klassen- bzw. Interessenstrukturen zum Ausdruck kommen.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

chend als eine gestufte Abfolge unterscheidbarer Produktionsweisen darstellen; angefangen von – den Urkommunismus, den Marx als früheste noch klassenlose Form menschlichen Zusammenlebens betrachtet, ausgenommen – der antiken Sklavenhaltergesellschaft über die feudalistische bis hin zur kapitalistischen Produktionsweise. Die Produktivkräfte bilden quasi den Motor der Veränderung, wobei die bestehenden Produktionsverhältnisse mit der Zeit zu einer Fessel für die sich stetig weiterentwickelnden Produktivkräfte werden. „Hier tritt“ – wie Dahrendorf herausstellt – „das eigentlich geniale Element der Marxschen Theorie des Wandels auf den Plan. Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse schweben nicht in der Luft, sie werden von sozialen Gruppen vertreten. Solche Gruppen nennt Marx Klassen“ (Dahrendorf 2003: 62). Der sich verschärfende Widerspruch zwischen den Klassen (z.B. zwischen Grundbesitzern und Leibeigenen) ist nichts anderes als das Resultat der Unvereinbarkeit von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. So konnte die kapitalistische Produktionsweise erst im Zuge der Entfesselung aus feudalen Zwängen entstehen, wobei Marx vor allem die Entmachtung der herrschenden Klasse – des Adels in der Französischen Revolution – vor Augen hatte. Im Grunde ist die kapitalistische Produktionsweise die einzige, anhand derer Marx das Zusammenspiel von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen einer genaueren Untersuchung unterzogen hat. Mithin war er Zeit seines Lebens darum bemüht, die Funktionsweise des kapitalistischen Produktionsprozesses zu erfassen. Er ging davon aus, dass sich mit der Entstehung von Lohnarbeit und Kapital, dessen Wachstum aus dem Mehrwert – der Differenz zwischen dem Wert der Arbeitskraft und dem von ihr erschaffenen Wert – resultiert, eine Gesellschaftsformation herausgebildet hat, die in hohem Maße durch soziale Ungleichheit und Ausbeutung, ja sogar eine Tendenz zur Verelendung, gekennzeichnet ist. Charakteristisch für sie ist ein permanenter Drang zur Vermehrung von Kapitalvermögen, der keinen Ruhepunkt kennt und erst recht nicht auf ein stabiles Gleichgewicht abzielt: „Das Kapital als sich selbst verwertender Wert umschließt nicht nur Klassenverhältnisse, einen bestimmten gesellschaftlichen Charakter, der auf dem Dasein der Arbeit als Lohnarbeit beruht. Es ist eine Bewegung, ein Kreislaufprozeß durch verschiedene Stadien, der selbst wieder (…) verschiedene Formen des Kreislaufprozesses einschließt. Er kann daher nur als Bewegung nicht als ruhendes Ding begriffen werden“ (Marx 1975: 621). Eine nicht zur Ruhe kommende Dynamik in Form von wirtschaftlichen „Aufs und Abs“, die sich auch zu strukturellen Krisen auswachsen können, zeichnet kapitalistische Gesellschaftsformationen im Grunde bis heute aus. Gleichwohl ist damit noch keineswegs bewiesen, dass das Wirtschaftssystem spezifischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt und – wie Marx behauptet – „die Keime seiner eigenen Zerstörung“ bereits in sich trägt. Es verhält sich wohl eher so, dass der Kapitalismus als die „‘revolutionäre’ Gesellschaft par excellence“ verstanden werden kann, der es offenbar gelungen ist, den gesellschaftlichen Strukturwandel auf Dauer zu stellen, was in „zyklischen Bewegungen der Strukturierung und Entstrukturierung der Gesellschaft“ (Deutschmann 2001: 135) zum Ausdruck kommt.

3.3 Die Dynamik der Wirtschaft

79

Nun ist hier nicht der Ort, die Inkonsistenzen, Widersprüche und Mängel der Marxschen Theorie aufzuzeigen, wie etwa den ökonomischen Struktur- und Technikdeterminismus.46 Nicht weiter führt auch eine Engführung der Komplexität des Wirtschaftsgeschehens auf den Widerspruch von Kapital und Arbeit. Deutschmann gibt zu bedenken, dass selbst die „höchste Ausbeutungsrate nichts (nützt, M.F.)“, wenn das Unternehmen am Markt vorbeiproduziert (Deutschmann 2002: 76). Dennoch lieferten Marx’ Erkenntnisse, etwa dass es im Kapitalismus um die Akkumulation von Kapitalvermögen geht und in technologischen Innovationen eine Triebkraft wirtschaftlichen wie sozialen Wandels zu sehen ist, durchaus Anknüpfungspunkte für Weiterentwicklungen. An dieser Stelle erweist sich ein Blick auf die Arbeiten von Schumpeter als instruktiv, der sich ebenfalls sehr intensiv mit der Dynamik und den Ursachen des Auf- und Abschwungs der Wirtschaft auseinandergesetzt hat. In seinem Hauptwerk „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ (1964, zuerst 1911) begibt er sich auf die Suche nach einem Schlüssel zum Verständnis der „allgemeinen Formen der wirtschaftlichen Dinge, nach Regelmäßigkeiten“ (Schumpeter 1964: 3). Diese sieht er in den die Wirtschaftsprozesse bestimmenden zyklischen Kreisläufen. Dabei nimmt auch er – wie seinerzeit der Mainstream der Wirtschaftswissenschaften – an, dass der Wirtschaft – zumindest theoretisch – eine Gleichgewichtstendenz inhärent ist; es also nach jedem „Abschweifen“ des Systems zu einem neuen Gleichgewichtszustand kommt. Zuerst ging Schumpeter noch von einem Zwei-Phasen-Modell aus (in Anlehnung an Juglar, den Begründer der Zyklentheorie), das aus einer Aufschwung- und Abschwungperiode bestand. Hierbei handelt es sich um ein einfaches Modell des konjunkturellen Zyklus. Der Aufschwung wird durch Innovationen (z.B. die Erfindung der Eisenbahn) bewirkt, der Abschwung erfolgt quasi schon in Reaktion auf den Aufschwung, der Neuanpassung der Wirtschaft, die wiederum eines neuen Innovationsschubes bedarf, wenn die Früchte der neuen Erfindungen aufgebraucht sind. Dieses Modell wird später um zwei Phasen erweitert. Demnach besteht ein Konjunkturzyklus nunmehr aus: 1. der Phase der Prosperität, also dem durch Innovationen ausgelösten eigentlichen Aufschwung, der – so Schumpeter – das Wirtschaftssystem von einem (theoretischen) Gleichgewichtszustand wegbewegt, 2. der Phase der Rezession (Abschwung), die zwar nicht in eine 3. Phase, die der Depression, übergehen muss, aber kann. Ob eine Depression eintritt, ist von vielerlei Umständen abhängig, wie etwa der „Mentalität“ und der „Stimmung der Geschäftswelt und der Öffentlichkeit“ sowie dem Vorherrschen des Prinzips, „schnell reich zu werden“ (vgl. Schumpeter 1961). Es folgt die 4. Phase der Erholung bzw. Wiederbelebung der Wirtschaft, die wiederum den Auftakt für einen neuen Konjunkturzyklus bildet. Was Schumpeters Arbeiten auszeichnet, ist die Hervorhebung der Relevanz von Schlüsselinnovationen als eigentliche Triebfedern gesellschaftlicher Entwicklung. Alles läuft darauf hinaus, dass im Rahmen von Wettbewerbskämpfen alte Produkte, Produktionsverfahren, Märkte oder Organisationsformen durch neue, als qualitativ besser und effektiver erachtete, ersetzt werden; die Pferdekutsche durch die Eisenbahn, die Manufaktur durch die Fabrik und – um ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte zu nennen – die Schreibmaschine durch den

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Er spiegelt sich vor allem in folgender Aussage wider: „Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten“ (Marx 1971: 498).

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

Personalcomputer. Innovationen umfassen aber nicht nur technische Veränderungen, es kann sich ebenso um neue Märkte und Organisationstechniken handeln. Schumpeter führt fünf Fälle an, in denen sich die Durchsetzung neuer Kombinationen widerspiegelt: 1. Herstellung eines neuen, dem Konsumentenkreis noch nicht vertrauten Gutes bzw. einer neuen Qualität eines Gutes, 2. Einführung neuer Produktionsverfahren, die dem betreffenden Industriezweig noch nicht bekannt waren, 3. Erschließung eines neuen Absatzmarktes, 4. Eroberung neuer Bezugsquellen von Rohstoffen oder Halbfabrikaten, also die Erschließung eines neuen Beschaffungsmarktes sowie 5. Prozesse der Reorganisation, Gewinnung einer Monopolstellung oder Durchbrechung eines Monopols (vgl. Schumpeter 1964: 100 ff.). Hieran knüpfen seine Überlegungen zur wirtschaftlichen Konjunkturentwicklung an, die – wie ausgeführt – maßgeblich durch Innovationen bestimmt wird. Zu unterscheiden sind kürzere Konjunktur- und Produktzyklen, die sich auf einen Zeitraum von vier bis sieben Jahren erstrecken, in denen z.B. Verbesserungen an neuen Produktionsverfahren vorgenommen werden, von langen Wellen der Konjunktur, in denen Basisinnovationen eine entscheidende Rolle spielen. So geht Schumpeter – unter Bezugnahme auf die Arbeiten des russischen Mathematikers Nikolai Kondratieff – davon aus, dass das Wirtschaftssystem aus seiner eigenen Logik heraus Wirtschaftszyklen von 50- bis 60jähriger Dauer erzeugt und die Geschichte des Kapitalismus sich als ein „Prozess der schöpferischen Zerstörung“ darstellen lässt. Ausgelöst werden können diese tief greifenden Wirtschaftsaufschwünge nur durch wirklich bahnbrechende Innovationen, wie z.B. die Entwicklung der Dampfmaschine oder die Entdeckung der Elektrizität, die selbst wiederum den Anstoß für weitere Innovationen (z.B. neue Organisations- und Managementkonzepte) gibt. Bekannt sind die von ihm und Kuznets (1953) herausgearbeiteten langen Zyklen, für die Schumpeter schon früh den Begriff der „KondratieffZyklen“ geprägt hat. Demnach lassen sich folgende Zyklen voneinander unterscheiden: 1. Der erste Zyklus setzt in den 1780er Jahren ein (Frühmechanisisierung) und wird durch Innovationen in der Baumwoll- und Textilindustrie (Dampfkraft) ausgelöst; erfasst aber auch die Eisenindustrie. 2. Der zweite Zyklus beginnt in den 1840er Jahren und wird durch drei große Basisinnovationen eingeleitet: Eisenbahn, Dampfschiffe und Stahlerzeugung (Bessemer-Stahl). 3. Der Beginn des dritten Zyklus lässt sich um 1890 datieren und wird durch die Erfindung der Elektrizität in Gang gesetzt, die wiederum zu grundlegenden Entwicklungen in der Elektrotechnik führten. Eine große Relevanz gewinnen auch die chemische Industrie und der Bereich der Schwermaschinen. 4. Ein vierter Zyklus beginnt in den 1940er Jahren und steht im Zusammenhang mit der Automation. Eine zentrale Rolle kommt der Automobilindustrie (Massenmobilität) zu. Anzuführen sind aber auch die Petrochemie und die Kernenergie. Die Konzeption dieses Zyklenmodells ist bis heute umstritten. So wird Schumpeters Periodisierungsversuch als zu mechanistisch kritisiert. Zudem wurden seine empirischen Nachweise in Zweifel gezogen. Gleichwohl hat sein Modell bis heute eine hohe Ausstrahlungskraft. So gab und gibt es immer wieder Versuche, Schumpeters Modell weiterzuentwickeln (vgl. u.a.

3.3 Die Dynamik der Wirtschaft

81

Freeman/Perez 1988) und um weitere Zyklen zu ergänzen; etwa um eine fünfte Phase, die in den 1970er/1980er Jahren beginnt und geprägt ist durch Basiserfindungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (Leitsektor: Mikroelektronik). Diskutiert wird seit einiger Zeit über einen sechsten Zyklus, der durch ganz unterschiedliche Entwicklungstrends forciert werden könnte, wie etwa Innovationen im Bereich der Nano-, Gen- und Biotechnologie, aber auch durch Umwelt- und Energietechnologien oder den Bereich Gesundheit und Bildung (vernetztes Wissen). Abbildung 4: Die Konjunkturzyklen der Wirtschaft

Dampfmaschine

Eisenbahn

Elektrizität

Automobil

Baumwoll- und Textilindustrie

Stahlindustrie

elektrotechnische, chemische Industrie

Automobilindustrie, Kernenergie

ab 1890

ab 1940

ab 1780

ab 1840

Informationstechnologien

Mikroelektronik

ab 1970

Schumpeter interpretiert den Verlauf des technologischen Wandels – im Unterschied zu Marx – nicht als eine strukturbedingte „Gesetzmäßigkeit“ der kapitalistischen Entwicklung. Was seine Analyse auszeichnet ist die Berücksichtigung von Akteuren. D.h. von großer Relevanz für den technologischen Wandel ist der schöpferische und innovative Unternehmer. Zwei Aspekte sind hier wesentlich: Erstens sind es in der Regel neue Wirtschaftsakteure, die neue Kombinationen voranbringen (der Postmeister für Pferdekutschen erfindet nicht die Eisenbahn), wobei es zu Phasen eines Nebeneinanders von alten und neuen Kombinationen kommt. Zweitens erfolgt die Durchsetzung neuer Kombinationen zumeist unter Nutzung bereits vorhandener Produktionsmittel. Es kommt auf die „Andersverwendung des Produktionsmittelvorrates einer Volkswirtschaft“ (Schumpeter 1972: 103) an. Dies setzt innovative Akteure mit den notwendigen Produktionsmitteln voraus. Hierbei handelt es sich Schumpeter zufolge primär um Unternehmer, da nur sie über Produktionsmittel und die entsprechende „Befehlsgewalt“ verfügen. Gleichwohl kann es sich auch um angestellte Manager handeln, wie Schumpeter betont: „Denn wir nennen Unternehmer erstens nicht bloß jene ‘selbständigen’ Wirtschaftssubjekte der Verkehrswirtschaft, die man so zu nennen pflegt, sondern alle, welche die für den Begriff konstitutive Funktion tatsächlich erfüllen, auch wenn sie (…) unselbständige Angestellte einer Aktiengesellschaft (…) sind“ (ebd.: 111). So unterscheidet er zwischen zwei Typen von Wirtschaftssubjekten: Unternehmer, die er als „Revolutionäre“ der Wirtschaft charakterisiert (ebd.: 130), und Nachahmer oder Arbitrage-Unternehmer: Wäh-

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

rend ersterer innovative Prozesse auslöst, zeichnet sich sein Gegentypus – der „Wirt“ – dadurch aus, dass er durch Nachahmung am Erfolg des Pionierunternehmers partizipieren will. Zur Begründung des Innovationsverhaltens von Pionierunternehmern findet sich bei Schumpeter eine Reihe von Aussagen: (1) „Da ist zunächst der Traum und der Wille, ein privates Reich zu gründen“, (2) „Da ist sodann der Siegerwille. Kämpfen wollen einerseits, Erfolg haben wollen des Erfolges als solchen wegen andererseits“, (3) „Freude am Gestalten ist schließlich eine dritte solche Motivfamilie“ (ebd.: 138). Die größte Schwierigkeit besteht im Grunde darin, eine Innovation gegen die Marktmacht der etablierten Konzerne durchzusetzen. Widerstände sind von all jenen zu erwarten, die durch die Innovation ihren Markt oder gar ihren Arbeitsplatz verlieren. Diese Zerstörung des Alten lässt sich jedoch, wie er betont, nicht verhindern, denn nur so kann Neues geschaffen werden. Schließlich handelt es sich bei diesem Prozess um „das für den Kapitalismus wesentliche Faktum“ (ebd.: 136 f.). Der Kapitalismus bringt kraft seines Funktionierens, angestoßen durch die von Pionierunternehmern ausgelösten Innovationsschübe, sowohl Hochkonjunkturen als auch – quasi im Zuge der Zerstörung alter Technologien – Phasen der Rezession und Depression hervor. Problematisch ist seines Erachtens der Trend zur Bürokratisierung. Sie entsteht, wenn aus erfolgreichen Unternehmen Großkonzerne werden. Damit besteht die Gefahr, dass innovative Einzelgänger nicht mehr zum Zuge kommen. Dass die von Schumpeter (1972) prognostizierte langfristige Planung – insbesondere die Form der Planwirtschaft – hier tatsächlich eine Lösung verheißt, dürfte sich mittlerweile als nicht mehr haltbar erwiesen haben. Was jedoch bis heute Bestand hat, ist die Aussage, dass innovative Prozesse von zentraler Bedeutung für die kapitalistische Dynamik sind. Damit hebt er sich deutlich vom Mainstream der klassischen Ökonomie ab, denn was einen innovativen Unternehmer umtreibt, sind nicht in erster Linie rationale Kalküle, sondern „die bloße Freude am Tun“ (Schumpeter 1964: 138), also der Wunsch kreativ zu sein. Innovationen sind somit nicht das Resultat eines Planungsprozesses, vielmehr bleiben sie immer ein Stück weit „unberechenbar“. Seitdem wurde eine Reihe neuer anspruchsvoller Modelle entwickelt, um der Frage der Innovationstätigkeit auf die Spur zu kommen und um Aufschluss darüber zu gewinnen, wie ein optimales Innovationsniveau erzielt werden kann. Dabei gilt als unstrittig, dass Innovationen letztendlich „paradoxe, zyklische und nicht-lineare evolutionäre Prozesse“ (Rammert 2008: 304) darstellen, die nur als dynamisch und rekursiv konzeptualisiert werden können (vgl. Braun-Thürmann 2005). Gleichgewichtsmodell oder Krisen als Normalität? Die Dynamik und den Wandel der Wirtschaft sowie damit einhergehende Krisen und Depressionen, insbesondere Massenarbeitslosigkeit, zum Ausgangspunkt des Nachdenkens über wirtschaftliche Zusammenhänge zu machen, war in der klassischen Wirtschaftstheorie lange Zeit nicht selbstverständlich. Die Wirtschaft – so die Lehrmeinung – strebt nach einem Gleichgewichtszustand, der – quasi hinter dem Rücken der Akteure (vorausgesetzt, es wird nicht in den Markt eingegriffen) – zu einer Ordnung führt, die auf dem Ausgleich von Interessen – von Angebot und Nachfrage – beruht.47 Selbst Schumpeter zweifelte nicht an diesem 47

Zu nennen ist hier das Saysche Theorem, demzufolge sich jedes Angebot seine Nachfrage schafft. Gilt dieser Satz, dann ist eine Tendenz zum Marktgleichgewicht gewährleistet. Begründet wird die Annahme damit, dass Güter auf Märkten nur deshalb angeboten werden, weil durch ihren Verkauf wieder andere Güter erworben

3.3 Die Dynamik der Wirtschaft

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Grundmodell, das er quasi als „theoretische Norm“ ansah, auch wenn sie noch so abstrakt und im Prinzip sogar „wirklichkeitsfremd“ ist (vgl. Schumpeter 1961). Genau diese Vorstellung – eines am Ende immer zu einem makroökonomischen Gleichgewicht tendierenden Marktmodells – stieß spätestens in der Phase der großen Depression der 1920er Jahre, selbst in den Wirtschaftswissenschaften, zunehmend auf Widerspruch. Es war vor allem John Maynard Keynes (1973), der sich die Frage stellte, ob das Dogma des allgemeinen Gleichgewichts nicht eine „Schön-Wetter-Theorie“ ist und daher nicht als der natürliche Zustand der Wirtschaft begriffen werden kann. Bis dahin dominierte die Grundannahme der Neoklassik, dass Wettbewerb und flexible Preise auf allen Märkten zu einer optimalen Ordnung führen; sogar zu Vollbeschäftigung (vgl. Willke 2002a: 31). Anhaltende Arbeitslosigkeit ist – aus der Sicht der Neoklassik – folglich nichts anderes als eine „Behinderung“ des Marktes, die durch Lohnanpassungen bewältigt werden kann. Gleichwohl war in den 1930er Jahren eigentlich nicht mehr zu übersehen, dass die Löhne so flexibel waren wie nie, aber dennoch nicht Vollbeschäftigung, sondern Massenarbeitslosigkeit vorherrschte, die nur noch Zyniker als „freiwillige“ Unterbeschäftigung definieren konnten. Keynes sah in der Massenarbeitslosigkeit einen „unerträglich(en) öffentlich(en) Skandal der Ressourcenvergeudung“ (Keynes 1973: 380 f.). Die auf Léon Walras (1954) zurückgehende Allgemeine Gleichgewichtstheorie des neoklassischen Theorieprogramms geriet in Anbetracht dieser Entwicklungen zunehmend in die Kritik. Sie bezog sich nicht nur auf die zunehmende Mathematisierung der ökonomischen Theorie und ihre Entfernung von der Wirklichkeit, sondern auch auf die Vorstellung von vollkommenen Märkten, die sich selbst durch Preis- und Mengenanpassungen regulieren. Für Keynes bestand kein Zweifel daran, dass das Marktsystem instabil und in hohem Maße durch Ungleichgewichte und Ungewissheit geprägt ist. Hieraus folgt beispielsweise, dass Investitionen nur dann getätigt werden, wenn von der Erwartung ausgegangen wird, dass diese sich am Ende rentieren. Da es hierfür keine zuverlässigen Berechnungen gibt, müssen Ertragsschätzungen vorgenommen werden, die jedoch immer ungewiss bleiben. Selbst zyklische Konjunkturschwankungen, die mit dem Ausmaß der erwartungsabhängigen Investitionen zusammenhängen, können angesichts unbeständiger Erträge stark schwanken und sind daher nicht so ohne weiteres zu prognostizieren. Auf sie wirken nicht nur Preise und Lagerhaltungskosten ein, vielmehr lassen sich – so die Annahme – Investoren von „Wellen“ des Optimismus und Pessimismus leiten, die wiederum ihre Erwartungen beeinflussen. Orientierung geben sollen z.B. Umfragen zum Wirtschaftsklima, wie etwa der periodisch erscheinende Geschäftsklimaindex, der Auskunft über die Erwartungen von Unternehmen über ihre zukünftige Geschäftsentwicklung liefert. Da die wirtschaftliche Entwicklung jedoch von vielerlei Faktoren abhängt, lässt sich ihr Verlauf bis heute nicht genau vorhersehen (siehe etwa die Voraussagen über das zukünftige Wirtschaftswachstum durch führende Wirtschaftsinstitute, die so genannten „Wirtschaftsweisen“). Keynes zufolge besteht die „Normalität kapitalistischer Marktökonomien“ geradezu aus Abweichungen vom Gleichgewicht, d.h. eine systeminhärente Tendenz zum Gleichgewicht – und mithin auch zur Vollbeschäftigung – kann er nicht erkennen. Normal ist vielmehr die

werden können. Niemand verkauft also Produkte, wenn er nicht auch die Absicht hat, diese zu konsumieren oder mit den Einnahmen wieder andere Güter zu kaufen.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

„Instabilität zyklischer Schwankungen“, was sich etwa in der „Unterauslastung des Arbeitskräftepotentials“ – also Arbeitslosigkeit – manifestiert (Willke 2002a: 148). Zu ihrer Bewältigung vertraute er auf „die ordnende Hand des Staates“, auf politisches Handeln, das seines Erachtens durchaus dazu in der Lage ist, etwas gegen die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen sowie Massenarbeitslosigkeit zu tun. Kromphardt fasst die Botschaft des Keynesianismus wie folgt zusammen: „Für mich besteht der Kern (…) darin, dass in einer kapitalistischen Marktwirtschaft mit dezentralen Investitionsentscheidungen die Koordinationsleistung der Märkte nicht ausreicht, um hohe Beschäftigung zu sichern, sondern dass der Staat in Situationen der Unter- oder Überbeschäftigung die Nachfrage durch Geldund Fiskalpolitik steuern muss, um die gesamtgesellschaftliche Nachfrage entweder zu erhöhen oder zu vermindern“ (Kromphardt 1987: 165). Kurzum, Keynes interessierte sich für die Probleme seiner Zeit – Depression, Massenarbeitslosigkeit und chronische Stagnation – und suchte nach Mitteln zu ihrer Bekämpfung, die er nicht im neoklassischen „Theoriekasten“ fand. Dabei setzte er bekanntermaßen auf staatliche Eingriffe: „Ich bringe den Staat ins Spiel; die laissez-faire-Doktrin gebe ich auf“ (Keynes 1971, Bd. IX: 228). Er war davon überzeugt, dass gesamtgesellschaftliche Steuerung möglich ist; eine Hoffnung, die sich bis heute nicht erfüllt hat, wenngleich es einige Bestrebungen in diese Richtung gab. Zu nennen sind die sowohl in den USA als auch in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg auszumachenden Versuche48, eine keynesianische Wirtschaftspolitik zu betreiben, von der jedoch im Zuge der in den 1970er Jahren einsetzenden Krise wieder abgerückt wurde, da sich die erwarteten Ziele – u.a. eine Senkung der Arbeitslosigkeit – nicht eingestellt haben und zudem eine Zunahme der Staatsverschuldung befürchtet wurde. Seitdem gilt der Keynesianismus „nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Theorie (…) als überholt“ (Deutschmann 2008: 175). Zu beobachten ist eine Umkehr in Richtung einer „Angebotspolitik“, deren Ziel es ist, die Staatsverschuldung und Kostenbelastungen der Unternehmen zu reduzieren und auf eine Senkung von Steuern und Sozialabgaben hinzuwirken. In diesen Kontext ist die Liberalisierung der Kapital- und Finanzmärkte einzuordnen und die sukzessive Transformation des Kapitalismus in Richtung eines „FinanzmarktKapitalismus“ (andere Begriffe lauten: „Casino-Kapitalismus“ oder „Shareholder-ValueKapitalismus“, vgl. hierzu auch Teil 6.2), der nunmehr endgültig der bis dahin noch „praktizierten keynesianischen Konjunktursteuerung den Boden (entzog, M.F.)“ (Deutschmann 2008: 182). Seit einigen Jahren – insbesondere in Anbetracht der Finanz- und Wirtschaftskrise – ist der Streit darüber neu entbrannt, ob krisenhaften Konjunktureinbrüchen nicht doch mittels des keynesianischen Instrumentariums – etwa der antizyklischen Haushaltspolitik (Willke 2002a: 168) – beizukommen ist und die Bereitschaft zur Verschuldung – von Staat, Unternehmen oder Haushalten – nicht sogar eine Voraussetzung zur Erzielung einer „effektiven Nachfrage“ darstellt, um die „Gefahr einer kumulativen Abwärtsspirale“ zu vermeiden (Deutschmann 2008: 188). Für die Anhänger einer Wiederbelebung des Keynesianismus gibt es 48

In der Bundesrepublik Deutschland wurde noch Anfang der 1970er Jahre eine Globalsteuerung praktiziert. Ziel der Wirtschaftspolitik war es, die Gesamtnachfrage zu steuern, um zu einer Sicherung der Beschäftigung zu gelangen (vgl. Schiller 1965). Mit der Ölpreiskrise – Mitte der 1970er Jahre – erfolgte auch in der Bundesrepublik Deutschland ein Kurswechsel der Wirtschaftspolitik in Richtung Neoliberalismus.

3.4 Die Selbstreferenz der Wirtschaft

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hierzu im Grunde keine Alternative. Paul Krugman, der im Jahre 2008 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurde, geht davon aus, dass Finanz- und Wirtschaftskrisen im 21. Jahrhundert eigentlich nur beizukommen ist, wenn es gelingt, wieder an die keynesianische Wirtschaftspolitik anzuknüpfen und die Wirtschaft unter staatliche Kontrolle zu bringen (vgl. Krugman 2009: 214). Er geht sogar soweit, eine „vollständige Verstaatlichung eines beträchtlichen Teils des Finanzsystems“ (ebd.: 217) zu fordern, denn „nichts könnte schlimmer sein, als das Notwendige zu unterlassen, nur weil man fürchtet, Aktionen zur Rettung des Finanzsystems könnten irgendwie ‘sozialistisch’ sein“ (ebd.). Ob dies ein Weg zur Bewältigung globaler Finanz- und Wirtschaftskrisen ist, ist bis heute ein strittiges Thema geblieben. In diesem Zusammenhang wird bereits darüber nachgedacht, ob sich gegenwärtig nicht vielleicht sogar ein grundlegender Wandel der Wirtschaft anbahnt. So nehmen die Stimmen zu, die davon ausgehen, dass gerade in Zeiten einer durch Marktversagen hervorgerufenen Krise die Chancen für eine Regulierung der Marktbeziehungen durch neue, handlungsleitende gesellschaftliche Normen steigen. Selbst eine Entwicklung hin zu einer „Moralisierung von Märkten“ ist danach kein Szenario eines Science Fiction Romans mehr, sondern schon längst ein „gegenwärtig ablaufender Prozess, der darauf verweist, dass wir in einer Zeit leben, in der sich immer mehr Marktakteure sehr wohl Gedanken darüber machen, welche ethischen Bedingungen und Folgen ihr Handeln hat – und andere mit solchen Motiven anstecken“ (Adolf/Stehr 2010: 35). Schließlich sind Märkte, wenngleich sie auch eine systemspezifische Logik aufweisen, niemals völlig entkoppelt von sozialen und kulturellen Normen und Regeln. Die Vorstellung einer „kulturfreien Welt des Wirtschaftens“ (ebd.) ist aus dieser Perspektive gar nicht denkbar. Die Wirtschaft ist in soziale und kulturelle Kontexte eingebettet und der Markt eine „soziale Arena“ (vgl. ebd., siehe auch Teil 6.2, 6.5). Folglich geht es gar nicht um eine „Auflösung oder Ablöse des Marktsystems, sondern um die Frage, ob und wie nicht-ökonomische, moralische Motive zu ökonomischen mutieren“ (ebd.: 36). Adolf und Stehr machen bereits eine Reihe von Indizien aus, die darauf hindeuten, dass nicht mehr nur die Eigeninteressen der Marktteilnehmer das Marktverhalten bestimmen und eine zunehmende „kulturelle Sensibilität der Märkte“ zu erkennen ist (vgl. ebd.: 36). Diese Position trifft nicht auf ungeteilte Zustimmung in der (Wirtschafts-)Soziologie, so gibt es zum Teil recht starke Vorbehalte gegen eine solche Sichtweise, um die auch Adolf und Stehr wissen: Als Niklas Luhmann um einen Beitrag zur Wirtschaftsethik gebeten wurde, war er – wie Adolf und Stehr schreiben – „einigermaßen ratlos, über was er da eigentlich Auskunft geben solle“ (Adolf/Stehr 2010: 17). Dass die Ursache dieser Ratlosigkeit in Anbetracht von Luhmanns spezifischer Sicht auf die Wirtschaft nachvollziehbar ist, wird das nächste Kapitel zeigen.

3.4

Die Selbstreferenz der Wirtschaft

Dass die Wirtschaft die Entwicklung moderner Gesellschaften nachhaltig bestimmt und ihr noch die Zentralität zukommt, die Karl Marx ihr zugedacht hat, wird heute keineswegs mehr von allen SozialwissenschaftlerInnen behauptet. Am deutlichsten hat sich die Systemtheorie

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

von der Sichtweise einer die gesamte Gesellschaft dominierenden Wirtschaft – man könnte auch von einem ökonomischen Determinismus sprechen – verabschiedet. Bei der Systemtheorie handelt es sich um einen noch relativ jungen Zweig der Wissenschaft, der sich erst in den 30er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt hat. In der Soziologie sind es Talcott Parsons und Niklas Luhmann, die der Systemtheorie zu ihrem Durchbruch verholfen haben. Wenn wir uns im Folgenden mit Parsons’ Strukturfunktionalismus und Luhmanns Systemtheorie befassen, so ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine Kategorie von Gesellschaftstheorie handelt, die nicht darauf abzielt, empirische Beobachtungen zu wirtschaftlichen Auf- und Abschwüngen, Entwicklungen auf den Weltmärkten oder zum Wandel des Konsumverhaltens abzubilden oder gar eine empirische Prüfung von Hypothesen vorzunehmen. Im Zentrum steht die Suche nach einer universalen Theorie, die in der Lage ist, „den gesamten Gegenstandsbereich der Soziologie mit Hilfe des Begriffsinstrumentariums der Theorie sozialer Systeme beschreibbar zu machen“ (Kneer/Nassehi 1993: 7). Hieraus folgt nicht, dass die Systemtheorie einen Absolutheitsanspruch – nämlich die einzig gültige Theorie zu sein – für sich beansprucht. Luhmann will seine Theorie – anders als Parsons – daher „nicht als eine Kritik an der wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung“ (Luhmann 1994: 8) verstanden wissen. Sein Bestreben ist es, „der Soziologie das Fundament einer disziplinweiten allgemeinen Theorie zu geben“ (Luhmann 1987a: 159) und die neueren Entwicklungen in der allgemeinen Systemtheorie für die Darstellung der Wirtschaft der Gesellschaft – wie auch für andere Teilsysteme – zu nutzen (vgl. Luhmann 1994: 8). Im Unterschied zu allen bereits besprochenen soziologischen Beiträgen zur Wirtschaft haben wir es hier mit einem gänzlich anderen Zugriff auf die Ökonomie zu tun, denn Parsons wie Luhmann lehnen jegliche Gegenüberstellungen von „wirtschaftlichen und sozialen Aspekten à la ‘Wirtschaft und Gesellschaft’“ (Luhmann 1994: 8) ab. Wirtschaft und Gesellschaft bilden keinen Gegensatz; auch das Wirtschaften ist eine – so Dirk Baecker – „gesellschaftliche Aktivität“, denn „wer sich für Reichtum interessiert, Geld hortet, Zinsen nimmt und bezahlt, Arbeiter ausbeutet, auf steigende Aktienpreise spekuliert oder feindliche Unternehmensübernahmen plant, handelt sozial, denn ohne das Mitspielen anderer, ohne die wie immer umstrittene, dann aber doch faktische Anerkennung entsprechender Handlungsmotive (…), und ohne die Aussicht darauf, entsprechend lange Handlungsketten überhaupt aufrechterhalten zu können, wäre dieses Handeln nicht möglich“ (Baecker 2008: 111). Die Wirtschaft hat sich als autonomes Teilsystem nicht „außerhalb“, sondern „in“ der Gesellschaft ausdifferenziert. Dementsprechend ist – wie bereits an anderer Stelle ausgeführt – „alles wirtschaftliche Handeln (...) soziales Handeln und daher ist alle Wirtschaft immer auch Vollzug von Gesellschaft“ (Luhmann 1994: 8). Die Ausdifferenzierung von Teilsystemen gehört zum Grundverständnis systemtheoretischen Denkens. Das Marxsche Verständnis von Basis und Überbau, demzufolge die Wirtschaft eine enorme Wirkungsmacht auf alle anderen gesellschaftlichen Bereiche ausübt, verbietet sich geradezu, wenn man den Gedanken der Ausdifferenzierung ernst nimmt. Hierzu heißt es bei Luhmann: „Wir gehen statt dessen von einem Gesellschaftsverständnis aus, von dem her gesehen Funktionssysteme für Politik und für Wirtschaft neben vielen anderen nur für spezifische Funktionen ausdifferenziert sind und daher weder Vorrang noch übergeordnete Bedeutung, ja (…) nicht einmal Repräsentations- und Steuerungsfunktionen der Gesellschaft in der Gesellschaft in Anspruch nehmen können“ (Luhmann 1994: 11). So ist die Vorstellung

3.4 Die Selbstreferenz der Wirtschaft

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vom Primat der Ökonomie in der Gesellschaft aus der Perspektive des Luhmannschen Theoriemodells als obsolet anzusehen. Hieraus folgt allerdings nicht, dass es keine gegenseitigen Abhängigkeiten gibt, im Gegenteil, „die Abhängigkeit der Gesellschaft vom Funktionieren dieser Funktionssysteme (ist, M.F.) sehr viel größer (…) als je zuvor“ (ebd.). Damit sind wir bei der Frage der strukturellen Kopplung von Teilsystemen angelangt. Bevor hierauf jedoch eingegangen werden kann, bedarf es zunächst eines Verständnisses systemtheoretischen Denkens. Hierzu bietet es sich an, einen Blick auf frühere Konzeptionen zu werfen, insbesondere auf die Sichtweise von Talcott Parsons. Strukturfunktionalismus und die Deutung der Wirtschaft als institutionalisierter Individualismus und Subsystem der Gesellschaft Die strukturell-funktionale Systemtheorie (Strukturfunktionalismus) ist ein äußerst komplexer und abstrakter Bezugsrahmen. Parsons war Zeit seines Lebens auf der Suche nach einem theoretischen System logisch zusammenhängender Begriffe, mit denen es möglich ist, alle relevanten gesellschaftlichen Phänomene zu erfassen. Sein Ziel war es, Aufschluss über die Mechanismen sozialer Ordnung in modernen Gesellschaften zu gewinnen. Nicht die Ideen des Utilitarismus, der Handeln als rationale Wahl (Maximierung von Eigeninteressen) versteht, standen dabei Pate, sondern die Vorstellung, dass es auf die von Thomas Hobbes aufgeworfene Frage, wie eine Gesellschaft zusammengehalten werden kann, noch andere, im Sozialen begründete (voluntaristische) Antworten geben muss. Er sieht sie in der Existenz einer von allen Gesellschaftsmitgliedern (freiwillig) geteilten normativen und kulturellen Ordnung, die in der Lage ist, gesellschaftliche Integration zu bewirken. Sein Bestreben war es, eine allgemeine soziologische Theorie zu entwerfen, die erklären kann, warum und wie eine bestimmte Handlung zur Stabilität eines Handlungssystems im Allgemeinen bzw. des gesellschaftlichen Systems im Besonderen beitragen kann. Gefragt wird also nach den funktionalen Leistungen, die erbracht werden müssen, um soziale Systeme zu erhalten. Parsons’ Leistung besteht darin, dass er – nach einer intensiven Phase der Auseinandersetzung mit klassischen sozialwissenschaftlichen Theorieansätzen (angefangen von Pareto über Marshall bis hin zu Durkheim und Weber) (vgl. Parsons 1937) – die von ihm entwickelte allgemeine Handlungstheorie auf eine systemtheoretische Basis gestellt hat (vgl. Parsons 1951, 1976). Parsons ließ sich nicht nur durch die Kleingruppenforschung und die Kulturanthropologie inspirieren, er griff auch auf Grundideen der Kybernetik zurück und übertrug diese auf die soziale Wirklichkeit; so etwa die Vorstellung, dass es Systemen möglich ist, auf Veränderungen in der Umwelt zu reagieren.49 Systeme werden demnach als umweltoffen betrachtet und sind in der Lage, variable Ziel(zuständ)e zu erreichen. Uns interessiert an dieser Stelle natürlich nicht der gesamte Theorieentwurf, stattdessen richtet sich der Blick auf Ausführungen zur Wirtschaft. Um verstehen zu können, welche Aufgabe Parsons ihr zuweist, ist es notwendig zu erkennen, dass er in der Ausdifferenzierung von Teilsystemen ein Charakteristikum der modernen Gesellschaft sieht. Sie haben jeweils spezifische funktionale Erfordernisse zur Reproduktion des Ganzen – der Gesellschaft – zu erfüllen. 49

Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das Heizungssystem, das in der Lage ist, sich auf Temperaturunterschiede einzustellen.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

Für die Antwort auf die Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit das allgemeine Handlungssystem sich dauerhaft reproduzieren kann, spielen vier Grundfunktionen eine große Rolle: Anpassung (Adaption), Zielerreichung (Goal-Attainment), Integration (Integration) und Latenz oder Wert- bzw. Strukturerhaltung (Latency bzw. Pattern Maintenance). Dabei handelt es sich um Parsons’ berühmtes AGIL-Schema, das er in Anlehnung an die von Robert F. Bales durchgeführten Kleingruppenexperimente gewonnen und auf soziale Systeme übertragen hat (vgl. Parsons/Bales 1953; Parsons/Smelser 1956: 46 ff.). Zentral ist die Annahme, dass das Handlungssystem aus vier Subsystemen besteht, nämlich dem Verhaltenssystem, dem Persönlichkeitssystem, dem sozialen und dem kulturellen System. Ihnen werden die oben genannten vier Funktionen zugewiesen: • Anpassung (Adaption): Für diese Funktion ist das organismische System bzw. Verhaltenssystem zuständig. Parsons zufolge muss sich jedes Handlungssystem an seine Umwelt anpassen, um vorgegebene Ziele erreichen zu können. Dies lässt sich am Beispiel von Kleingruppen zeigen. So müssen z.B. die Körper der Handelnden (also das organismische System) so funktionieren, dass Gruppenprozesse nicht gestört werden. Wenn beispielsweise einzelne Gruppenmitglieder einschlafen oder zu hungrig sind, um nachzudenken und mitzumachen, wird die soziale Ordnung und Zielerreichung einer Kleingruppe erheblich beeinträchtigt. Daraus folgt, dass den Bedürfnissen von Menschen als Lebewesen Rechnung zu tragen ist, um Systeme dauerhaft zu reproduzieren. • Zielerreichung (Goal Attainment): Sie obliegt dem personalen System bzw. Persönlichkeitssystem. Die Psyche der Handelnden, die in sozialen Systemen involviert sind, muss Parsons zufolge von der Art sein, dass diese „in angemessener Weise motiviert werden, in Übereinstimmung mit den Anforderungen (ihres) Rollensystems zu handeln“ (Parsons 1951: 27 f.). Nur wenn Motivation im Spiel ist, die dazu beiträgt, dass vom System gesetzte Ziele anvisiert und umgesetzt werden, ist eine Reproduktion des Handlungssystems möglich. • Integration (Integration): Ein Handlungssystem muss, um seine Ziele zu erreichen, zu einer internen Abstimmung von Interessen, Strukturen und Prozessen gelangen und dabei Konflikte vermeiden; eine Aufgabe, die das soziale System zu leisten hat. Die Beziehungsmuster zwischen den Handelnden müssen also so beschaffen sein, dass sozial koordiniertes Handeln möglich ist und es nicht zu tief greifenden Konflikten kommt, da diese eine dauerhafte Reproduktion des Handlungssystems nicht zulassen. • Strukturerhaltung bzw. Werterhaltung (Latency bzw. Pattern Maintenance): Ein Handlungssystem muss von allen akzeptierte – unhinterfragte – Spielregeln aufweisen, die zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung beitragen und diese reproduzieren. Diese Funktion kommt dem kulturellen System zu. Seine Aufgabe ist es, die Handelnden mit generalisierten sinnhaften Orientierungsmustern in Gestalt von Normen und Werten auszustatten. Nur wenn die Handelnden sich an diesen Mustern orientieren bzw. die Normen und Werte des Systems verinnerlicht haben, kann das Handlungssystem dauerhaft reproduziert werden. Das allgemeine Handlungssystem kann sich – dem AGIL-Schema entsprechend – nur dann dauerhaft reproduzieren, wenn seine vier Subsysteme die ihnen jeweils zukommende Funktion erfüllen. Mit anderen Worten: nur wenn „erstens die körperlichen Bedürfnisse der involvierten Handelnden sowie zweitens deren motivationale Antriebe befriedigt werden und dies drittens sozialen Koordinationserfordernissen sowie viertens übergreifenden kulturellen

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Orientierungsmustern gerecht wird“ (Schimank 1996: 97), ist die Bestandssicherung eines Systems gewährleistet. Aus einer soziologischen Sicht ist das soziale System im Grunde das Interessanteste, denn hier handelt es sich um ein ganz besonderes, nämlich das Gesellschaftssystem, welches mit keinem anderen vergleichbar ist. Parsons differenziert zwischen zwei Ebenen der Betrachtung: Zum einen gehört das soziale System zum allgemeinen Handlungssystem und erfüllt hier die Funktion der Integration, zum anderen handelt es sich um ein System, dass sich selbst wieder in vier Subsysteme untergliedert, deren Funktionen sich ebenfalls mit dem AGIL-Schema erklären lassen. Schimank bringt es auf den Punkt: „Gesellschaftstheorie ist demnach für Parsons die Beschäftigung mit einem Subsystem des allgemeinen Handlungssystems, nämlich einem sozialen System, und überdies mit einer speziellen Art von sozialem System: mit Gesellschaftssystemen als umfassendster Art von sozialen Systemen, die es gibt“ (Schimank 1996: 98). Grundsätzlich handelt es sich beim Gesellschaftssystem um das System, das „selbst in keinem größeren sozialen System mehr enthalten ist“ (ebd.). Im Kern stellt es „ein komplexes Netz differenzierter und miteinander verknüpfter sozialer Systeme“ (ebd.: 74) dar. So unterscheidet Parsons vier Subsysteme, die jeweils bestimmte Funktionen für das höchste soziale System, also die Gesellschaft, erfüllen (vgl. Parsons/Smelser 1956: 46 ff.; Parsons 1971, 1976). Zu nennen sind: • das Wirtschaftssystem (bzw. ökonomische System), dem die Funktion der Anpassung im Sinne der Erhaltung und Entwicklung des Sozialsystems zukommt und welches für die Versorgung der Gesellschaft mit Gütern und Dienstleistungen zuständig ist. Um im Wirtschaftssystem miteinander kommunizieren zu können, d.h. Güter und Dienstleistungen möglichst ohne große zeitraubende Aushandlungsprozesse auszutauschen, ist es Parsons zufolge erforderlich, über eigene Praktiken, Institutionen, Symbole, Ziele, Werte wie auch über eine Spezialsprache zu verfügen; im Fall der Wirtschaft handelt es sich um Geld; es avanciert zum generalisierten Austauschmedium dieses Subsystems. • das politische System, welches die Funktion der Zielerreichung zu erfüllen hat. Im politischen Handeln manifestiert sich die Festlegung gesellschaftlicher Ziele, welche mittels Macht und Herrschaft bzw. politischer Macht, die in diesem System das Medium des Austausches darstellt, umgesetzt und z.B. durch entsprechende Gesetze, die bindenden Charakter haben, auf den Weg gebracht werden. • das Gemeinschaftssystem, welchem die Funktion der Integration vorbehalten ist. Dieses Subsystem ist dafür zuständig, dass Normen eingehalten und Abweichungen von der sozialen, gemeinschaftlichen Ordnung sanktioniert werden. Zerstörerische Konflikte müssen verhindert werden, was eine Gemeinschafts- bzw. Rechtsordnung voraussetzt, die von allen akzeptiert wird. Dadurch ist es möglich, Solidarität und Loyalität herzustellen und integrativ auf die soziale Gemeinschaft zu wirken. Die Ausübung von Einfluss ist hier das vorherrschende Austauschmedium. • das Treuhandsystem (bzw. sozial-kulturelle Subsystem), das für die Funktion der Wertbzw. Strukturerhaltung verantwortlich ist und dazu beitragen soll, die innere Ordnung des Sozialsystems zu gewährleisten. Im Kern geht es darum, die bereits institutionalisierten kulturellen Orientierungsmuster, also die Normen und Werte einer Gesellschaft, an alle Mitglieder weiter zu geben (Wertbindungen). Diese Aufgabe kommt dem Erziehungsund Bildungssystem zu, wie etwa der Familie, der Schule, aber auch der Universität so-

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen wie der Kultur, dem Theater oder der Literatur. Sie sollen dazu beitragen, dass Ordnungsmuster erlernt und internalisiert werden, so dass Wertebeziehungen und -ordnungen entstehen und erhalten bleiben (Werterhaltungsfunktion). Austauschmedien sind folglich generalisierte Wertbindungen.

Das Wirtschaftssystem selbst lässt sich ebenfalls wieder in vier Subsysteme differenzieren, die jeweils ein spezifisches funktionales Erfordernis für die Aufrechterhaltung der Wirtschaft zu erfüllen haben. Hierbei handelt es sich um: • das Kapitalisierungssystem, es ist für die Funktion der Anpassung (Adaption) zuständig. Wie jedes andere Subsystem muss auch das Wirtschaftssystem in der Lage sein, sich an seine Umwelt anzupassen. Hierzu ist Kapital erforderlich, d.h. notwendig sind Investitionen bzw. die Verfügung über Finanzmittel, die es Unternehmen ermöglicht, Rohstoffe und Maschinen einzukaufen sowie Arbeitskräfte zu beschäftigen. Nur so ist es möglich, Güter und Dienstleistungen herzustellen und zu expandieren. • das Produktions- und Distributionssystem, das die Funktion der Zielerreichung (GoalAttainment) erfüllen soll. Das Wirtschaftssystem benötigt ein Subsystem, das in der Lage ist, für die Produktion und Verteilung von Dienstleistungen und Produkten Sorge zu tragen. • das Unternehmenssystem, ihm kommt die Funktion der Integration (Integration) zu. Auch das Wirtschaftssystem muss über ein Subsystem verfügen, das den Produktionsprozess koordiniert und für die eigentlichen unternehmerischen Aufgaben (Planung, Verwaltung, Management und Rationalisierung50) zuständig ist. • das Commitmentsystem, es soll die Funktion der Strukturerhaltung (Latent pattern maintenance) erfüllen. Ohne die Existenz von Verfügungsrechten, verbindliche Normen und Werte kann sich das Wirtschaftssystem nicht reproduzieren. Mithin bedarf es motivierter Akteure, die bereit sind im Sinne des Wirtschaftssystems zu handeln. Fragt man nach den Beziehungen, die zwischen den vier Subsystemen der Wirtschaft wie auch zwischen den Subsystemen des sozialen Systems vorherrschen, dann wird schnell deutlich, dass zwischen ihnen enge Wechselwirkungen bestehen. Die Rede ist von „boundary interchanges“. Danach bildet jedes Subsystem quasi die Umwelt für die anderen Subsysteme und wird selbst wiederum mit diesen konfrontiert bzw. ist von deren Leistungen abhängig. Betrachten wir das Wirtschaftssystem genauer, dann zeigt sich, dass ihm die Aufgabe eines „adaptiven“ Subsystems zukommt. Seine Funktion besteht darin, Nutzleistungen für die anderen gesellschaftlichen Subsysteme bereitzustellen. Hierzu heißt es bei Parsons und Smelser: „the economy can be regarded (…) as meeting the adaptive exigencies of the society as a whole by means of the production of utility“ (Parsons/Smelser 1956: 39 f., Hervor. i.O.). Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Reproduktion der Gesellschaft – wie ihrer Subsysteme – zu gewährleisten. Dies erscheint durchaus plausibel, denn wer will bestreiten, dass die Entwicklung von Wissenschaft, Bildung und kulturellen Einrichtungen bis hin zum staatlichen Machtapparat nicht vom Zufluss materieller Ressourcen abhängig ist. Die Wirtschaft steht 50

Vgl. hierzu die Ausführungen von Eschbach (1984), der die Teilsysteme des Unternehmenssystems genauer analysiert und auf die Bedingungen der Systemerhaltung mit Blick auf die Bedeutung von Unternehmensberatungen näher eingeht (vgl. hierzu auch Saam 2007).

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daher stets in Austauschbeziehungen zum politischen, gemeinschaftlichen und sozialkulturellen Subsystem der Gesellschaft. Die Wirtschaft stellt aber nicht nur eine relevante gesellschaftliche Umwelt für die jeweils anderen drei Subsysteme dar. Umgekehrt ist auch die Wirtschaft auf die Leistungen der anderen Subsysteme angewiesen. Hier sei daran erinnert, dass Parsons’ sie als offene Systeme versteht, die in „komplizierten Austauschprozessen mit Umweltsystemen“ verstrickt sind (vgl. Parsons 1961). Die Offenheit des ökonomischen Subsystems resultiert jedoch nicht unmittelbar aus der funktionalen Abhängigkeit von den Leistungen anderer Systeme, sie ergibt sich auch durch die internen Erfordernisse der Wirtschaft selbst. So setzt etwa die Einhaltung von Kaufverträgen und Arbeitsverträgen voraus, dass bestimmte Erwartungsmuster in Bezug auf die Bindungskraft von Verträgen existieren und dass bestimmte Rollen, Hierarchien und Machtpositionen akzeptiert werden. Diese Aufgabe leistet das Treuhandsystem, wobei das Gemeinschaftssystem, etwa durch die Verankerung einer Rechtsordnung, seinen Teil dazu beiträgt. Im Hinblick auf die Produktion und Nutzung von Gütern wird beispielsweise davon ausgegangen, dass gesetzliche Vorgaben (z.B. Arbeitsrechte, Umweltauflagen) sowie eigentumsrechtliche Regelungen, etwa Lizenzen oder Haftungsregelungen, der Wirtschaft Grenzen setzen können. Demnach stellen die anderen drei Subsysteme – Politik, gesellschaftliche Gemeinschaft und Kultur – relevante Umwelten für die Wirtschaft dar. Werte, Normen, Ziele und Rollen lassen sich als Erwartungsmuster beschreiben, deren Existenz für die Wirtschaft von Bedeutung ist. Selbst beim Gewinnmotiv, das ein institutionalisiertes Handlungsmuster des Subsystems Wirtschaft darstellt, handelt es sich – so Parsons – um eine Verknüpfung von Eigeninteressen am Erwerb materieller Ressourcen mit normativen Erwartungen. Damit bleibt er seiner Grundüberlegung treu, der zufolge selbst ökonomische Rationalität sich nicht allein als individuelles Kalkül begreifen lässt, sondern immer auch eine Bezugnahme auf gesellschaftliche Werte aufweist, nämlich eine Akzeptanz von Spielregeln bzw. Normen. Selbst die Institutionalisierung von Märkten mit freier Preisbildung setzt eine normative Bindung an das System voraus: „Andernfalls wäre nicht zu erklären, warum immer auftretende Fälle von Betrug, ungerechtfertigter Bereicherung, arglistiger Täuschung etc. nicht zum Zusammenbruch von Märkten führen“ (Saurwein 1994: 65), sie also nicht als Norm, sondern Ausnahme gelten und als Verstöße gegen die Spielregeln wahrgenommen werden. Parsons weist Normen und Werten eine zentrale Funktion zu, denn nur sie liefern die Basis zur Ausbildung einer sozialen Ordnung, die eine dauerhafte Handlungskoordination möglich macht. Gesellschaftliche Stabilität wird erzielt, wenn alle Subsysteme ihre Funktion erfüllen. Letztendlich stehen ökonomische Effizienz, politische Effektivität, gesellschaftliche Solidarität und kulturelle Identität nicht im Widerspruch zueinander, sondern bedingen sich gegenseitig. Auf die Kritik am Strukturfunktionalismus kann an dieser Stelle nicht im Einzelnen eingegangen werden, nur soviel: Problematisiert wird u.a. Parsons’ Fixierung auf die Bestandserhaltung sozialer Systeme. Hierin wird ein Festhalten am Status quo gesehen, was – so seine Kritiker – einem „heimlichen Konservatismus“ (Dahrendorf 1986: 213) gleichkommt und eine skeptische Deutung der Moderne analytisch nicht zulässt (vgl. u.a. Münch 1988, 1991). Dieser Vorwurf ist sicherlich nicht ganz unberechtigt, was u.a. Dahrendorf veranlasst hat, mit seiner Konflikttheorie einen Gegenentwurf auszuarbeiten. Parsons geht zwar nicht per se von einem harmonischen Grundmodell der Gesellschaft aus, da er die Gesellschaft als ein

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

„wahres Pulverfass im Streit liegender Kräfte“ begreift, so dass soziale Ordnung nur unter äußerster Anstrengung entstehen kann (vgl. hierzu auch Schimank 1996). Gleichwohl ist er aber der Auffassung, dass die moderne Gesellschaft im Vergleich zur Vormoderne weitaus besser abschneidet und die sich im Zuge der Evolution ausbildende Differenzierung in gesellschaftliche Teilsysteme, ohne die eine moderne Gesellschaft gar nicht denkbar wäre, Vorteile aufweist. Schwerer noch als der Konservatismusvorwurf wiegt aber wohl der Einwand, dass der Strukturfunktionalismus nicht danach fragt, warum soziale Systeme bestimmte Strukturen aufweisen; warum diese und keine anderen? Die Struktur wird als gegeben vorausgesetzt und die zentrale Frage dreht sich einzig und allein um die Bestandserhaltung des sozialen Systems (vgl. u.a. Schimank 1996: 132 ff.). Hier drängt sich geradezu ein Blick auf den Luhmannschen Theorieansatz auf, der genau diese Frage zum Ausgangspunkt macht. Neue Erkenntnisse der Systemtheorie und die Wahrnehmung der Wirtschaft als selbstreferenzielles Teilsystem Wie Parsons geht es auch Luhmann um die Entwicklung einer unabhängigen und umfassenden Theorie der Gesamtgesellschaft. Luhmanns Theorieansatz stellt allerdings eine Weiterentwicklung der Systemtheorie dar, wobei zwei Phasen voneinander zu unterscheiden sind: In der ersten Phase, die bis gegen Ende der 1970er Jahre anhält, orientierte sich Luhmann noch weitgehend an Parsons’ Grundgedanken, dass soziale Systeme umwelt-offene Systeme sind und aus Handlungen bestehen. Gleichwohl gibt es aber schon markante Unterschiede zwischen beiden Konzepten: Während Parsons vom Struktur-Begriff ausgeht, plädiert Luhmann dafür, den Begriff der Funktion dem der Struktur vorzuschalten. Mit anderen Worten: Setzt Parsons’ strukturell-funktionale Theorie soziale Systeme mit bestimmten Strukturen voraus und fragt dann nach den funktionalen Leistungen, die erbracht werden müssen, damit Systeme erhalten bleiben – soziale Handlungen sind dann entweder funktional oder dysfunktional für die Systemerhaltung –, stellt Luhmann dieses Verständnis grundsätzlich in Frage. Seines Erachtens nimmt sich der Strukturfunktionalismus damit „die Möglichkeit, Strukturen schlechthin zu problematisieren und nach dem Sinn von Strukturbildung wie von Systembildung überhaupt zu fragen“ (Luhmann 1971: 114). Luhmann setzt Parsons’ Strukturfunktionalismus einen funktional-strukturellen Ansatz entgegen, welcher „die vorgefundene soziale Wirklichkeit als Lösung eines Problems“ (Stichweh 1999: 208) versteht und richtet seinen Blick auf die Unterscheidung von System und Umwelt. So stellt sich etwa die Frage: Warum gibt es überhaupt soziale Systeme und warum haben sie ausgerechnet diese und keine anderen Strukturen? In den Fokus der Systemtheorie gerät damit vor allem die Fähigkeit von Systemen, Grenzen zu ziehen und sich von der Umwelt zu differenzieren. Der Sinn der Bildung von Systemen ist – wie Willke es formuliert – „darin zu sehen, dass ausgegrenzte Bereiche geschaffen werden, die es ermöglichen, die menschliche Aufnahmekapazität überwältigende Komplexität der Welt in spezifischer Weise zu erfassen und zu verarbeiten. Systeme stabilisieren mithin eine Differenz zwischen sich und der Umwelt, zwischen Innen und Außen; sie bilden ein sinnhaftes, symbolisch vermitteltes Regulativ zwischen anfallender und jeweils verarbeiteter Komplexität“ (Willke 1993: 7). Den Ausgangspunkt der Luhmannschen Systemtheorie bildet fol-

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gerichtig die Differenz System/Umwelt. Sie lieferte auch den Anstoß für alle Entwicklungen der neuen Systemtheorie. So wurde lange Zeit ein Defizit der strukturell-funktionalen Systemtheorie darin gesehen, dass sie sich primär mit Fragen des Bestandserhalts von Systemen befasst, dabei aber vernachlässigt, dass „komplexe Systeme für sich selbst ein Problem darstellen und sich mit sich selbst beschäftigen müssen“ (Willke 1993: 9). In der zweiten Phase der Weiterentwicklung der Systemtheorie rückt Luhmann daher die selbstreferenzielle Geschlossenheit systemischer Operationen ins Zentrum seiner Überlegungen, was auch als autopoietische Wende in seinem Lebenswerk bezeichnet wird. So beschäftigt er sich gegen Ende der 1970er Jahre mit dem – wie er es selbst nennt – „Explosivstoff Selbstreferenz“ (Luhmann 1984: 656). Das Ergebnis ist ein „Paradigmawechsel in der Systemtheorie“, der im Wesentlichen aus der Neuausrichtung der Theorie an der Idee der Selbstreferentialität besteht, die Luhmann in die Systemtheorie eingebracht hat. Er profitierte dabei von den Arbeiten der chilenischen Biologen Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela, die in den 1960er und 1970er Jahren mit ihren Studien zur Reproduktion von biologischen Zellen, die Grundlagen für ein Konzept der Autopoiesis lieferten. Luhmanns Verdienst ist es, dieses Konzept für die Soziologie nutzbar gemacht zu haben. „Autopoiesis“ ist ein Kunstwort51, abgeleitet aus den beiden altgriechischen Worten „autos“ (selbst oder allein) und „poietikos“ (etwas gestalten oder herstellen), mit dem soviel wie Selbsterzeugung bzw. Selbstherstellung gemeint ist. Maturana hat diesen Begriff benutzt, um ein allgemeingültiges Organisationsprinzip von Lebewesen zu beschreiben, nämlich ihre Fähigkeit, sich selbst herzustellen und am Leben zu erhalten, im Sinne einer „kontinuierlichen gegenwärtigen Selbsterzeugung des eigenen Systems“ (Willke 1993: 64). Beobachten wir eine Zelle oder einen Organismus, so bedeutet Autopoiesis nichts anderes, als dass diese sich in einem kontinuierlichen Prozess aus ihren eigenen Bestandteilen selbst erneuert: „Dies muß man sich derart vorstellen, daß die Komponenten in einem zirkulären Prozeß miteinander interagieren und daß dabei die Komponenten ständig erzeugt werden, die zur Erhaltung des Systems notwendig sind“ (Kneer/Nassehi 1993: 49). Aus diesem Prinzip schlossen Maturana und Varela auf die Fähigkeit der Selbststeuerung jedes lebenden Systems. Und dies ist – wie Willke (1993) hervorhebt – „das eigentlich Aufregende“: Entgegen dem systemtheoretischen Grundpostulat, das von der grundsätzlichen „Offenheit“ der Systeme und ihrer Abhängigkeit von der Umwelt ausgeht, steht nunmehr fest, dass lebende oder autopoietische Systeme eine innere Steuerungsstruktur aufweisen, die sie zu selbstreferenziellen, also geschlossenen Systemen macht.52 Ihre Tiefenstruktur ist „gänzlich unabhängig und unbeeinflußbar“ von ihrer Umwelt (ebd.: 65). Zu beachten ist hierbei, dass sich dieses Prinzip nur auf die Fähigkeit zur organisationalen Selbststeuerung bzw. Systemreproduktion bezieht, in anderer – materieller und energetischer – Hinsicht sind Systeme hingegen „offen“ und damit zur Energie- und Informationsaufnahme fähig. Anders ausgedrückt: Autonome Systeme, die über die Fähigkeit

51 52

Zur Begriffsfindung siehe die Ausführungen in Horster (1997: 61). Nicht-lebende Maschinen sind demgegenüber keine autopoietischen Systeme. Sie sind allopoietisch organisiert. Um dies zu verdeutlichen, denke man an den Motor eines Autos. Er kann über einen längeren Zeitraum reibungslos funktionieren, aber er ist wohl kaum in der Lage, sich permanent zu erneuern bzw. sich selbst zu erhalten. Diese Fähigkeit besitzen offensichtlich nur lebende Organismen.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

der autopoietischen Selbststeuerung verfügen, sind nicht autark. Sie sind aber insoweit als geschlossen zu betrachten, als dass sie im Hinblick auf ihre Kernoperationen bzw. Systemzustände nicht von Umwelteinflüssen determiniert werden; allenfalls können sie durch diese irritiert werden. Wenngleich die autopoietische Reproduktion auch nicht ohne die Umwelt erfolgen kann (ohne die es letztendlich ja auch keine Systeme gäbe), ist es aber dennoch das System, das die Unterscheidung System/Umwelt selbst erzeugen und sein Verhältnis zur Umwelt selbst gestalten muss. Mit der Bezugnahme auf das Autopoiesis-Konzept eröffneten sich neue Horizonte für die Systemtheorie. Während von Autopoiesis im biologischen Bereich ausschließlich im Hinblick auf lebende Systeme ausgegangen wird, kann Luhmann zufolge auch bezogen auf psychische53 und soziale Systeme von selbstreferenziellen, autopoietischen Systemen gesprochen werden, da in beiden Systemtypen fortwährend spezifische Operationen stattfinden, die nur in diesen Systemen und nirgendwo sonst erfolgen, Selbstreferenz erzeugen und zur Differenz von System und Umwelt führen. Im Falle psychischer Systeme sind es Gedanken, die nur im Bewusstseinssystem vorkommen. Im Falle sozialer Systeme handelt es sich um Kommunikationen, die nur innerhalb des Systems stattfinden und die operative Schließung des Systems bewirken. An dieser Stelle ist es wichtig hervorzuheben, dass Kommunikation in sozialen Systemen in der neuen Systemtheorie eine große Rolle spielt: Waren es vor der autopoietischen Wende noch Handlungen, die ein soziales System ausgemacht und die Grenze zur Umwelt bestimmt haben – gemäß der Frage: welche Handlung gehört zum System, welche nicht? –, ist es nunmehr Kommunikation. Luhmann zufolge bestehen alle sozialen Systeme aus Kommunikation und sind daher nicht mehr als Handlungs-, sondern nur noch als Kommunikationssysteme zu denken. Im Kern geht es um die Fähigkeit, fortlaufend Kommunikation aus Kommunikation zu erzeugen und sich durch eine systemeigene Strukturbildung (Sinn) von der Umwelt abzugrenzen (operative Schließung). Demnach beruhen soziale Systeme ausschließlich auf einer rekursiven Vernetzung von Kommunikation (und z.B. nicht von Gedanken). Gemeint ist hier nicht die Alltagskommunikation zwischen konkreten Personen, sondern die Fähigkeit eines Systems, eine eigene Form der Kommunikation hervorzubringen und sich so von anderen Systemen abzugrenzen. Ohne Kommunikation gibt es keine sozialen Systeme. Sie bildet den Baustoff, quasi das kleinste und wichtigste Element überhaupt, aus dem soziale Systeme bestehen, insbesondere die Gesellschaft als das umfassendste Sozialsystem, „das alle anderen sozialen Systeme in sich einschließt“ (Luhmann 1997: 78). D.h. kommuniziert wird nur in der Gesellschaft, nicht aber in psychischen oder lebenden Systemen. Kommunikation stellt die „basale Operation der Autopoiesis sozialer Systeme“ (Schimank 1996: 148) dar, mittels derer nur diese und keine anderen Systeme operieren, Grenzen zur Umwelt ziehen und aufrechterhalten. Kommunikation muss folglich „Anschlussfähigkeit“ (Luhmann 1984: 204) generieren und stets neue Kommunikation hervorbringen, um die selbstreferenzielle Reproduktion des sozialen Systems zu gewährleisten. Gelingende Kommunikation ist nicht einfach, denn sie setzt eine Synthese aus drei Selektionen voraus: Information, Mitteilung und Verstehen. Mitgeteilte Informationen müssen erst einmal verstanden werden, nur dann können sie zum Ausgangspunkt weiterer Kommunika53

Der Mensch ist kein soziales, sondern ein psychisches System und gehört folglich zur Umwelt sozialer Systeme.

3.4 Die Selbstreferenz der Wirtschaft

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tion werden und die Reproduktion des sozialen Systems gewährleisten: „Kommunikation ist diejenige autopoietische Operation, die rekursiv auf sich selbst zurückgreift und vorgreift und dadurch soziale Systeme erzeugt. Kommunikation gibt es somit nur als soziale Systeme und nur in sozialen Systemen“ (Luhmann 2000: 59; 1984). Von zentraler Bedeutung für die Gesellschaftstheorie Luhmanns ist also nicht nur das Autopoiesis-Konzept, sondern auch der Begriff der Kommunikation (vgl. Luhmann 1997: 68). Wir können festhalten, dass soziale Systeme autopoietische Systeme sind, die sich in einem selbstreferenziellen Prozess durch fortlaufende Kommunikation reproduzieren. Die Fähigkeit des sozialen Systems zur Selbstreferenz macht es zwar unabhängig von seiner Umwelt, gleichwohl ist jedes System ein System in einer Umwelt und bleibt in gewisser Weise abhängig von seiner Umwelt „hinsichtlich der Konstellationen und Ereignisse, aus denen es Informationen und Bedeutungen ableiten kann, welche die Selbstbezüglichkeit seiner Operationen interpunktieren und anreichern“ (Willke 1993: 73). Systeme müssen folglich in der Lage sein, autonom Grenzziehungen zur Umwelt vorzunehmen und Unterscheidungen festzulegen, was zum System gehört und was nicht, um die System/Umwelt Differenz aufrechterhalten zu können. Die Fähigkeit zur operativen Schließung ist demnach immer zugleich auch Bedingung der Öffnung des Systems, nämlich Zustände und Ereignisse der Umwelt aufgrund eigener Unterscheidungen so zu behandeln, dass sie zu Informationen für das System werden. Betrachtet man das soziale System Gesellschaft, dann zeigt sich, dass es im Laufe der Zeit immer wieder zu neuen Formen der Differenzierung gekommen ist (Gesellschaftsdifferenzierung). Die Gesellschaft weist folglich nicht nur eine spezifische System/Umwelt Differenz auf, die sie von psychischen und lebenden Systemen unterscheidet, markant sind auch der Wandel von Differenzierungsformen und die damit einhergehende Ausdifferenzierung spezifischer Teilsysteme. Um diesen evolutionären Wandlungsprozess verstehen zu können, gilt es zwischen vier Differenzierungsformen zu unterscheiden: 1. segmentäre Differenzierung, 2. Zentrum/Peripherie Differenzierung, 3. stratifikatorische Differenzierung und 4. funktionale Differenzierung. Blickt man zurück, ist für archaische Gesellschaften das Prinzip der segmentären Differenzierung typisch. D.h. die Abstammung entscheidet über die Zugehörigkeit zu einem Teilsystem, also einem Stamm, einem Clan oder einer Familie. Diese Teilsysteme sind im Prinzip als gleichrangig zu bewerten. Im Zuge der weiteren historischen Entwicklung, insbesondere mit der Bildung von Städten, zerbricht schließlich die Norm der Gleichheit und es bildet sich eine neue Form der Differenzierung heraus, die nicht nur dem Prinzip der Verwandtschaft Rechnung trägt, sondern auch durch die Differenz Zentrum/Peripherie (Stadt/Land) gekennzeichnet ist. In den Zentren entwickelt sich zudem eine neue Differenzierungsform (stratifikatorische Differenzierung), die auf dem Prinzip der Hierarchie basiert. In Europa ist sie schon im Spätmittelalter zu beobachten, als es zur Herausbildung einer klaren Rangdifferenz zwischen Adel und Volk kam. Charakteristisch für die stratifikatorische Differenzierung ist die extrem große standesbezogene Ungleichheit zwischen Teilsystemen (König, Adel, Bauern); während innerhalb der einzelnen Stände (z.B. zwischen Adelsfamilien) Gleichheit besteht. Im 18. Jahrhundert erodiert dieses hierarchische Rangordnungsprinzip der Gesellschaft und es kommt zu tief greifenden Strukturveränderungen, die einer neuen Differenzierungsform den Weg bereitet, nämlich der funktionalen Differenzierung. Seitdem ist die Gesellschaft in autopoietische Teilsysteme differenziert, deren Verhältnis zueinander weder als gleichrangig (wie in der segmentären Gesellschaft) noch als

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

hierarchisch, rangorientiert (wie in der stratifizierten Gesellschaft) beschrieben werden kann, sondern vielmehr als ungleichartig. Da jedoch die von jedem Teilsystem geleisteten Funktionen gleichrangig sind, kann es im Prinzip auch nicht mehr zu einer Differenz von Zentrum/Peripherie kommen. Kurzum, in der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft bestimmt jedes Teilsystem seine eigene Identität selbst und erfüllt seine spezifische Funktion autonom. Es beobachtet dabei die Gesellschaft sowie auch alle anderen Teilsysteme aus der Perspektive der jeweils eigenen Funktion. Aus der Selbstreferenz der Teilsysteme folgt nicht, dass die Abhängigkeiten zwischen den Teilsystemen abnehmen, im Gegenteil, sie nehmen sogar noch zu, aber sie weisen die Form der Differenz von System und Umwelt auf und bestehen jetzt aus einer „allgemeinen und hochdifferenzierten Abhängigkeit von ständig wechselnden innergesellschaftlichen Umweltbedingungen“ (Luhmann 1997: 745). Zu den Teilsystemen, die sich seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet haben, gehören – neben der Politik, dem Recht, der Wissenschaft, dem Militär, der Kunst, der Massenkommunikation, der Erziehung, der Gesundheit, dem Sport, der Medizin, der Familie und den Intimbeziehungen – auch die Wirtschaft. Sie muss sich, legt man eine System-UmweltPerspektive an, wie alle anderen Teilsysteme, als autopoietischer Kommunikationszusammenhang begreifen und für selbstreferenzielle Geschlossenheit im Hinblick auf die mittlerweile recht komplexe Umwelt Sorge tragen. So muss auch die Wirtschaft eine eigene Form der Kommunikation finden, über eigene Kommunikationsmedien, Codes und Programme verfügen, um Sinngrenzen zur Umwelt zu erzeugen und sich selbst – in Abgrenzung von anderen Systemen (operative Schließung) – reproduzieren zu können. Die Wirtschaft als selbstreferentielles Teilsystem Betrachten wir die Wirtschaft etwas genauer, so setzt die Entstehung eines autonomen, selbstreferentiellen Wirtschaftssystems zunächst eine Ablösung vom früheren, stratifizierten Gesellschaftsaufbau (Ständegesellschaft) voraus; ein Prozess der in der Mitte des 19. Jahrhunderts (jedenfalls in Deutschland) schon recht weit fortgeschritten war (vgl. Luhmann 1997: 728). Zu beobachten ist in dieser Zeit eine sukzessive Ausdifferenzierung der Gesellschaft in eine Reihe von Teilsystemen, zu denen als eines der ersten das Wirtschaftssystem gehörte. So hat sich die Wirtschaft schon früh als ein spezifisches Funktionssystem herausgebildet, das autonom, wie ein Netzwerk von selbstproduzierten Ereignissen, operiert. Die Autonomie, die Luhmann Teilsystemen, wie der Wirtschaft, zumisst, beruht im Kern auf der Fähigkeit zur Selbstreferenz, nämlich eigene Grenzen zur Umwelt ausbilden zu können. Hierzu wird ein eigener „binärer Code“ benötigt, der es erlaubt, entscheiden zu können, was zum System gehört und was zur Umwelt. Im Fall der Wirtschaft handelt es sich um eine fortlaufende, zirkulär vernetzte Produktion und Reproduktion von Zahlungsfähigkeit und Zahlungsunfähigkeit. Im Zentrum stehen einzig und allein monetäre Prozesse bzw. Zahlungsvorgänge, die immer wieder neue Zahlungen hervorbringen. Die Operationen des Wirtschaftssystems bestehen somit ausschließlich aus Zahlungen. Es dreht sich demnach alles um das Kommunikationsmedium „Geld“; d.h. aber auch, dass alle Operationen, die mittels Geld geleistet werden, dem Wirtschaftssystem zuzuordnen sind. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit. Denn wer weiß nicht, dass man in der Wirtschaft selten mit Gebeten zu Krediten und mit der Entwicklung neuer mathematischer Formeln nicht zu einem Kilo

3.4 Die Selbstreferenz der Wirtschaft

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Kartoffeln kommt. Was in der Wirtschaft zählt, sind also nicht wissenschaftliche Erkenntnisse oder moralische Appelle. Entscheidend ist, ob Zahlungen erfolgen oder nicht, denn die Autopoiesis der Wirtschaft leistet die Zahlungsfähigkeit (bzw. Zahlungsunfähigkeit), die wiederum eine Art Doppelkreislauf entstehen lässt: Erfolgen Zahlungen, geht es in der einen Richtung um Zahlungsfähigkeit (Vermögen) und in der anderen Richtung um Zahlungsunfähigkeit (Schulden). Wer zahlungsunfähig ist, muss sich darum bemühen – sei es durch die Aufnahme von Krediten, sei es durch den Verkauf von Leistungen oder durch bereits erworbene Produkte – Zahlungsfähigkeit wieder herzustellen. Selbstreferenz wird durch das permanente Fließen von Zahlungen – die jedes Mal auch eine Differenz erzeugen (Haben/NichtHaben) – erzielt: „Der Zahlungsvorgang transportiert die Zahlungsfähigkeit und Zahlungsunfähigkeit des Systems. Er garantiert, daß im nächsten Moment wiederum Zahlungsfähigkeit und Geldbedarf gegeben sind – wenn auch in jeweils anderer Hand. Die Zahlung leistet insofern die Autopoiesis des Systems, die endlose Möglichkeit weiterer Operationen desselben Systems. Mit dem Medium Geld und den darin eingelassenen Formen (Preisen) verweist das System auf sich selbst“ (Luhmann 1992: 39). Was zur Wirtschaft gehört und was nicht, hängt demnach einzig und allein davon ab, ob monetäre Prozesse im Spiel sind. So ist es nur in der Wirtschaft möglich, mit Geld Güter zu erwerben, aber nicht über die Wahrheit/Unwahrheit von Theorien zu entscheiden; diese Fragen können nur im Teilsystem Wissenschaft entschieden werden. Die Wirtschaft kann daher im Prinzip nicht von außen – durch andere Teilsysteme oder gar die Gesellschaft – gesteuert werden, sondern allenfalls beeinflusst bzw. irritiert; aber auch dies nur nach Maßgaben, die im System selbst erzeugt werden. In der modernen Wirtschaft finden demnach, im Unterschied zur Vormoderne, keine systemexternen Begründungen – z.B. religiöser, moralischer oder naturrechtlicher Art – für die Regulierung von Preisen statt. Hier entscheidet ausschließlich die Chance auf Zahlungsgewinne. Reine Selbstreferenz liefe allerdings auf eine Perpetuierung des immer Gleichen hinaus (vgl. Willke 1993: 69). Ein soziales System muss also zugleich auf sich selbst und auf Fremdes, also auf Umwelt referieren. „Die andere Seite der Transaktion bewegt (somit) Sach- oder Dienstleistungen. Hier geht es um eine Befriedigung von Bedürfnissen; also um Fremdreferenz. Denn die Bedürfnisse sind außerhalb des Wirtschaftssystems verankert“ (Luhmann 1992: 39). Bedürfnisse stellen demnach die Fremdreferenz des Systems dar. So gilt Luhmanns Interesse zwar in erster Linie der Frage, wie im System kommuniziert wird und wie das System seine Grenzen zur Umwelt setzt, aber er verliert nicht aus dem Blick, dass die Wirtschaft auch auf Fremdreferenz angewiesen ist. Eigentumsordnungen oder Konsumbedürfnisse werden von der Wirtschaft jedoch in erster Linie als Turbulenzen wahrgenommen und bleiben solange wirkungslos, wie sie nicht in die Sprache der Ökonomie übersetzt werden. Der Preis entscheidet darüber, ob für Konsumbedürfnisse Zahlungen geleistet werden oder nicht; was nichts anderes heißt, als dass das spezifische Kommunikationsmedium der Ökonomie – Geld – verwendet werden muss. Dieses schematisiert letztendlich dann „alle Ereignisse danach, ob gezahlt wird oder nicht“ (Saurwein 1994: 76). Die Sprache der Preise erweist sich als äußerst selektiv, denn sämtliche Ereignisse werden nur dann als relevante Vorgänge des Teilsystems Wirtschaft behandelt, wenn sich daran Zahlungserwartungen knüpfen. Luhmann ist daher äußerst skeptisch, wenn es um Wirtschaftsethik oder Umweltpolitik geht. Durch die Wirtschaft erzeugte Umweltbelastungen abzubauen, kann z.B. nicht

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

mittels eines Appells an Unternehmen, Kriterien nachhaltigen Wirtschaftens zu beachten, erreicht werden. Letztendlich interessiert sich die Ökonomie nur dann für die Umwelt, wenn Preise im Spiel sind; aber nicht aus Gründen des Gemeinschaftswohles und der Vermeidung von Umweltzerstörungen. Das spezifische symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium Geld54, das als eine Art Spezialkommunikation funktioniert, sowie der spezifische binäre Code Zahlungsfähigkeit/Zahlungsunfähigkeit tragen demnach dazu bei, dass die Wirtschaft als Teilsystem rekursiv operieren kann. Wer Geld besitzt, verfügt über das codegeprägte Kommunikationsmedium, das den Erwerb von Waren und Dienstleistungen möglich macht. Zentral ist in diesem Zusammenhang der Sachverhalt, dass Güter/Dienstleistungen als knapp gelten, wären sie es nicht, stellt sich das Problem der Knappheit, das den zentralen Bezugspunkt der Wirtschaft bildet, auch nicht. Baecker (2006) spricht – wie bereits ausgeführt – daher von „Knappheitskommunikation“, die speziell in der Wirtschaft anzutreffen ist (vgl. Teil 2). Demnach trägt Geld dazu bei, über ein Medium zu verfügen, das für Wirtschaftsakteur A einen Zugriff auf knappe Güter und Leistungen ermöglicht, womit zwar seine Knappheit an Gütern und Dienstleistungen verringert, aber seine Knappheit an Geld vergrößert wird; während sich dies aus der Sicht von Akteur B genau umgekehrt verhält; woraus sich der bereits angeführte Doppelkreislauf ergibt. Knappheit bezieht sich somit nicht nur auf Güter/Dienstleistungen, sondern immer auch auf Geld. Hierdurch wird eine Paradoxie erzeugt, denn die Beseitigung von Knappheit für A, hat für B Knappheit zur Folge. Zum Ausdruck kommt sie in der Codierung des Eigentums, im Haben und Nicht-Haben. Luhmann betrachtet sie als ein Motiv zum Tausch sowie zur Zirkulation von Gütern/Dienstleistungen, denn niemand will im Zustand der Knappheit verbleiben. Dass ein Zustand der (zeitweisen) Knappheit akzeptiert und nicht gewaltsam gelöst wird, ist demnach ein Resultat funktionaler Differenzierung. Mit der Ausdifferenzierung des Teilsystems Wirtschaft, das sich von anderen Teilsystemen (Politik, Militär usw.) mittels seiner eigenen System/Umwelt-Differenz abgegrenzt hat, findet nicht nur eine Bezugnahme des Codes Geld auf die Unterscheidung Zahlen/Nicht-Zahlen statt, sondern immer auch auf die Unterscheidung Haben/Nicht-Haben, die folglich im System verankert ist. Die Dynamik der Wirtschaft entspringt dem Wunsch, wieder zu den Habenden gehören zu wollen. D.h. es müssen wirtschaftliche Operationen in Gang gesetzt werden, um den Zustand der Zahlungsfähigkeit (Eigentumsbesitz) wieder zu erreichen. Hierzu kann in der funktional differenzierten Gesellschaft im Grunde nur auf Mittel des Wirtschaftsystems zurückgegriffen werden, denn Zahlungsfähigkeit kann nur innerhalb und nicht außerhalb des Systems generiert werden. Jedes Teilsystem, also auch die Wirtschaft, flankiert seinen Code durch Erwartungsstrukturen (Programme). Denn „der Code ist (...) nur benutzbar mit Hilfe von Programmen, die anzeigen, ob es angebracht und richtig ist, zu zahlen oder nicht zu zahlen“ (Luhmann 1994: 249). Der Code als solcher liefert schließlich keine Handlungsanweisungen, hierzu bedarf es systemspezifischer Programme. Sie sind es, die die Bedingungen definieren, die vorliegen 54

In der Wissenschaft geht es darum, ob Theorien wahr oder unwahr sind; im Bereich des Rechts um Gesetze bzw. Recht und Unrecht; in der Politik um das Regieren, also die Frage der Machthabe oder Opposition. Liebe stellt das Medium des Systems der Intimbeziehungen dar: Wer geliebt wird, kann von seinem Partner vieles bekommen, was dieser für niemanden sonst täte.

3.4 Die Selbstreferenz der Wirtschaft

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müssen, damit Operationen überhaupt durchgeführt werden können. Wann es also z.B. angemessen und richtig ist Geld zu investieren und wann nicht, bestimmen Programme. In der Wirtschaft basieren solche Programme in erster Linie auf Preisen. Ob man zahlen soll oder nicht, hängt von der Höhe des Preises ab. Gezahlt wird, wenn der Preis mit den Erwartungen übereinstimmt und als angemessen bewertet wird. Aus einer systemtheoretischen Sicht kann es eine systemexterne Regulierung von Preisen nicht geben, vielmehr erfolgt die Preisfestlegung im System selbst (selbstregulativ). Hierzu hat die Wirtschaft mit dem Markt – der die innere Umwelt des Wirtschaftsystems darstellt – einen Ort geschaffen, der die Möglichkeit bietet, die Operationen des Systems zu beobachten. Gewonnen werden so wirtschaftliche Informationen über Preisveränderungen, die Teilnehmer des Wirtschaftssystems dazu veranlassen können, zu zahlen oder nicht zu zahlen, zu investieren oder nicht zu investieren. Von Relevanz sind daher auch Produzenten und Konsumenten, Wirtschaftsunternehmen wie Haushalte, da „in deren Rahmen Dispositionsmöglichkeiten und Verwendungssinn von erworbenen oder abgestoßenen Gütern kalkulierbar werden. Von Wirtschaftsunternehmen kann man sprechen, wenn die Zahlung unter der Annahme geleistet wird, daß sie direkt zum Wiedergewinn der entsprechenden Zahlungsfähigkeit (nach Möglichkeit mit Profit) führt. Von Haushalten kann man sprechen, wenn die Zahlung unter der Annahme geleistet wird, daß es möglich wird, die dadurch eintretende Zahlungsunfähigkeit abzuwälzen“ (ebd.: 249 f.). Halten wir fest: Das Teilsystem Wirtschaft verfügt über einen binären Code (zahlen/nicht zahlen), ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium (Geld) sowie über eine spezifische (Programm-)Struktur (z.B. hängt es von Preisen oder Investitionsprogrammen ab, ob gezahlt oder nicht gezahlt wird), die im Rahmen formaler Organisationen (z.B. Unternehmen) Berücksichtigung finden und durch die sie abgesichert werden. Sie tragen dazu bei, die Autopoiesis der teilsystemischen Kommunikationszusammenhänge zu bewahren, also ihre Reproduktion zu sichern. Insgesamt gesehen verschwindet mit der Ausbildung von Teilsystemen im Zuge funktionaler Differenzierung moderner Gesellschaften die Aussicht auf ein harmonisches, kohärentes Ganzes (vgl. Schimank 1996: 191); auf eine fassbare Identität der Gesellschaft. So hört ein genereller Orientierungskonsens an den Grenzen der Teilsysteme auf. Zwar gibt es in der Theorie Luhmanns Integrationsmechanismen, wie Sachzwänge oder strukturelle Kopplung zwischen Teilsystemen, aber diese tragen lediglich „zur Vermeidung des Umstandes (bei, M.F.), daß die Operationen eines Teilsystems in einem anderen Teilsystem zu unlösbaren Problemen führen“ (Luhmann 1977: 242). Sie bewirken, dass das Nebeneinander von Teilsystemen kein völliges Chaos erzeugt, denn sie „beschränken den Bereich möglicher Strukturen, mit denen ein System Autopoiesis durchführen kann. Sie setzen voraus, dass jedes autopoietische System als strukturdeterminiertes System operiert, also die eigenen Operationen nur durch eigene Strukturen determinieren kann“ (Luhmann 1997: 100). Etwas frei übersetzt hieße dies: Der Schuster bleibt bei seinen Leisten und die Wirtschaft operiert nach eigenen Regeln, die nur sie und kein anderes Teilsystem aufweist. Eine Intervention von außen ist daher ausgeschlossen. Anders ausgedrückt: Strukturelle Kopplung schließt aus, dass „Umweltgegebenheiten nach Maßgabe eigener Strukturen spezifizieren können, was im System geschieht“ (ebd.). Letztendlich kann es – aus einer solchen Perspektive – in einer funktional differenzierten Gesellschaft keine wirkungsvolle gesellschaftliche Steuerung ge-

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

ben, erst recht keine Ausrichtung an einer guten Gesellschaft. Gesellschaftliche Teilsysteme sind grundsätzlich amoralisch, denn Moral ist schließlich nicht ihr Code. Luhmann hat mit seiner Theoriekonzeption sozialer Systeme als autopoietische, selbstreferenzielle Systeme einen radikalen Bruch mit der gesamten philosophischen und soziologischen Tradition vollzogen. Kennzeichnend für Sozialwissenschaften, wie die Soziologie, war bis dahin, dass Menschen und ihre sozialen Beziehungen im Zentrum der Theoriebildung standen. Luhmann hingegen erklärt diese Auffassung für obsolet. Mit der Einführung des Autopoiesis-Konzepts verliert das Subjekt an Bedeutung und wird quasi durch ein empirisch beobachtbares, operativ geschlossenes, selbstreferenzielles System ersetzt (vgl. Luhmann 1991a: 73). Das Soziale – so Luhmann – besteht nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikation. „Menschen kommen, wenn von ihnen überhaupt die Rede ist, allenfalls in der Umwelt sozialer Systeme vor“ (Kneer/Nassehi 1993: 66). So sind es letztlich nicht Menschen, die kommunizieren, sondern soziale Systeme. Luhmann blendet, indem er soziale Systeme „zunächst einmal als Kommunikations- und erst davon abgeleitet als Handlungszusammenhänge ansieht“ (Schimank 1996: 201), die Akteursperspektive theoretisch aus. Das zentrale Paradigma der neueren Systemtheorie heißt „System und Umwelt“. Dies ist die alles entscheidende Differenz, auf der Luhmann seine Systemtheorie aufbaut (vgl. Luhmann 1994: 242). Nun ist dies nicht der Ort für eine umfassende Reflexion der Stärken und Schwächen systemtheoretischen Denkens, ebenso wenig für eine grundlegende Kritik. Dennoch – gleich wie man zu dieser theoretischen Konzeption auch steht – im Kern handelt es sich um eine soziologische Beobachterperspektive, die niemals schönfärbt, sondern die Dinge beim Namen nennt und selbst ihre eigenen theoretischen Positionen permanent mitreflektiert. Versteht man unter Kritik also bereits die Offenlegung der Logik von Teilsystemen, dann liefern systemtheoretische Beobachtungen durchaus reichlich Material, um den Zustand der Gesellschaft erfassen und Folgewirkungen aufzeigen zu können. Sichtbar wird so, dass in der Moderne – wie in keiner anderen Gesellschaft zuvor – „positive und negative Aspekte in einer unauflöslichen Weise verknüpft sind und durch ein und dieselben Strukturbedingungen reproduziert werden“ (Luhmann 1987b: 36). Ein Beispiel stellt der technische Fortschritt dar, der zu Umweltschäden führt, „die nur durch weiteren technischen Fortschritt mit einer immer stärkeren Technologieabhängigkeit der Gesellschaft abgeschwächt werden können“ (ebd.). Im Grunde erzeugt bereits „das rationale Funktionieren der Funktionssysteme, und gerade das rationale Ausnutzen kleinster Differenzen, Chancen (und, M.F.) Gelegenheiten (…) durch ‘Abweichungsverstärkung’ immense Ungleichheiten (zu produzieren, M.F.), für die keine Funktion angegeben werden kann. Das gilt für die Wirtschaft, also für die Verteilung von Reichtum und Arbeit, aber auch für die Erziehung und für die Chancen der Forschung“ (ebd.). Wer sich jedoch der Hoffnung hingibt, dass es sich bei diesen gesellschaftlichen Problemlagen nur um vorübergehende Krisenphänomene handelt, die sich korrigieren lassen, wird unweigerlich enttäuscht. Aus einer systemtheoretischen Perspektive sind z.B. ökologische Probleme nicht einfach nur das Resultat eines „profitsüchtigen Kapitalismus“, die unter „sozialistischen Bedingungen nicht auftreten würden“ (Luhmann 1991b: 147). Überhaupt erweist sich die Vorstellung, es gäbe eine „gute Gesellschaft“, die sich nur hinter der schlechten verbirgt, als verfehlt. Teilt man die Skepsis Luhmanns im Hinblick auf eine politische Gesellschaftssteuerung und die Idee der Systemimmanenz von Risiken und Gefahren, dann erfor-

3.5 Die soziale Einbettung der Wirtschaft

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dert dies eine „Gesellschaftstheorie, die die Krisenphänomene nicht mehr nur als vorübergehend behandeln, nicht mehr nur auf falsches Bewußtsein oder falsche Politik zurückführen kann, sondern sie als strukturelle Effekte der modernen Gesellschaft begreifen muß“ (ebd.). Demnach wäre es etwas voreilig, in Luhmann nur einen Sozialtechnokraten zu sehen, selbst wenn es ihm vor allem darauf ankommt, die Moderne zu beobachten (vgl. hierzu auch Kneer/Nassehi 1993). Schließlich plädiert er keineswegs dafür, „in eine apathische Hinnahme der gegebenen Zustände zu verfallen, (sondern, M.F.) die schon sichtbaren Probleme der modernen Gesellschaft und vor allem die sich abzeichnenden Diskrepanzen im Verhältnis der Funktionssysteme zueinander ernster zu nehmen als bisher“ (Luhmann 1997: 1088). Ihm geht es allerdings nicht um ein normatives Gesellschaftsideal, denn es ist „ebenso billig wie unverantwortlich, Ideale aufzustellen, denen die Verhältnisse nicht genügen, und dann Klage zu führen über die noch nicht eingelösten Versprechen der bürgerlichen Revolution. Ich sehe in dieser Attitude keine Theorie, geschweige denn kritische Theorie. Geht man stattdessen von der Unwahrscheinlichkeit dessen aus, was so gut wie normal funktioniert, kann man deutlicher und vor allem genauer erkennen, wo das System in bezug auf seine eigenen strukturellen Erfordernisse inkonsequent und selbstgefährdend operiert“ (Luhmann 1987b: 132). Nicht zu unterschätzen ist auch der Sachverhalt, dass die Wissenschaft zumindest über die Fähigkeit verfügt, „genug Rauschen“ und „genug Irritation“ zu erzeugen, „um die Semantik der Funktionssysteme auf bisher nicht genutzte eigene Möglichkeiten aufmerksam werden zu lassen“ (Luhmann 1986b: 46 f.). Was hieraus jedoch folgt, das ist eine ganz andere Frage, die das jeweils betroffene Teilsystem letztendlich nur selbst entscheiden kann.

3.5

Die soziale Einbettung der Wirtschaft

Schon früh haben WirtschaftssoziologInnen es sich zur Aufgabe gemacht, Erklärungsansätze auszuarbeiten, die sich als Alternativen zur Neoklassik, insbesondere zur Gleichgewichtstheorie und zum Konzept des rationalen Akteurs, verstehen. Eine große Relevanz kommt dabei der sich Mitte der 1980er Jahre in der US-amerikanischen Soziologie herausbildenden „New Economic Sociology“ bzw. „Neuen Wirtschaftssoziologie“55 zu, der Mark Granovetter, Mitchel Abolafia, Marc Mizruchi, Nicole Woolsey Biggart, Neil Fligstein, Paul J. DiMaggio, Walter W. Powell, Richard Swedberg, Michael Schwartz, Brian Uzzi, Harrison White und Viviana Zelizer – um nur einige zu nennen – zuzurechnen sind.56 Den Anstoß lieferte Mark Granovetter, der in seinem Aufsatz „Economic Action and Social Structure: The Problem of Embeddedness“ (1985) – beeinflusst durch Überlegungen aus der Netzwerktheo55

56

Der Begriff der New Economic Sociology wird mit Mark Granovetter verbunden, der ihn 1985 in einem Vortrag bei der American Sociological Association in Washington D.C. verwendet hat (vgl. Swedberg 2003: 34). Den Kern bildet das Konzept der „sozialen Einbettung“ von Polanyi, das von Granovetter weiterentwickelt wurde. Sieht man einmal davon ab, dass das Wort „neu“, das die US-amerikanische Wirtschaftssoziologie – und mittlerweile nicht nur diese – für sich in Anspruch nimmt, Anlass zu berechtigter Kritik gibt (vgl. Berger 2003: 73), hat die Diskussion über die soziale Einbettung wirtschaftlicher Aktivitäten dennoch dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit wieder auf die Stärken einer spezifisch soziologischen Sicht der Wirtschaft zu lenken. Diese Liste lässt sich problemlos erweitern, zumal es schließlich „keinen Rechtsanspruch darauf (gibt, M.F.), wer zur ‘Neuen Wirtschaftssoziologie’ zählen darf“ (Schmid 2008: 103).

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

rie, Kultursoziologie und Organisationstheorie – für eine Abkehr vom strikten Rationalitätskonzept plädierte und ins Zentrum seiner Analyse die soziale Einbettung wirtschaftlichen Handelns rückte. Granovetter entwickelte sein Konzept nicht nur in kritischer Distanz zu den orthodoxen ökonomischen Theorieansätzen („mainstream economics“) und den hier vorherrschenden Vorstellungen von einem „untersozialisierten“, frei von allen sozialen Beziehungen agierenden Kosten-Nutzenmaximierer, er grenzt sich auch vom klassischen soziologischen Institutionalismus und vom Strukturfunktionalismus Parsons’ ab, der sich seines Erachtens viel zu stark an der Konzeption eines „übersozialisierten“ Akteurs orientiert, dessen Handeln weitgehend „automatisch“ erfolgt, da die gesellschaftlichen Regeln und kulturellen Normen sein Tun nahezu vollständig bestimmen (vgl. Granovetter 1985: 486). Zwar verabschiedet er sich letztendlich nicht grundsätzlich vom Rationalmodell, geht aber von der Vorstellung aus, dass Akteure nicht isoliert (atomistisch) von anderen Akteuren agieren und „einsam“ Entscheidungen treffen (ebd.: 487). Stattdessen betont er die überaus große Bedeutung sozialer Netzwerke und richtet seinen Blick auf Prozesse der sozialstrukturellen Einbettung. Das Konzept der Einbettung („Embeddedness“) Im Unterschied zu Polanyi, demzufolge sich im Zuge der Herausbildung der kapitalistischen Marktwirtschaft ein Prozess der Entbettung vollzogen hat, ist Granovetter der Auffassung, dass in der modernen Gesellschaft ökonomisches Handeln – wie jedes Handeln – nicht nur sozial situiert, sondern immer auch in soziale Strukturen eingebettet ist. Die soziale Einbettung wirtschaftlicher Aktivitäten stellt demnach nicht nur ein Charakteristikum der vormodernen, sondern ebenso der modernen Wirtschaft dar. Damit trug Granovetter zu einem grundlegenden Wandel von einer eher schwachen zu einer „strong embeddedness position“ bei (Granovetter 1985: 482 ff.; Swedberg 2003: 36). Im Zentrum wirtschaftssoziologischer Analysen muss folglich die sozialstrukturelle Einbettung wirtschaftlichen Handelns stehen. Granovetter war nicht der erste, der davon ausgegangen ist, dass wirtschaftliche Aktivitäten nicht losgelöst von sozialen Beziehungen betrachtet werden können. Grundüberlegungen zu den kulturellen Voraussetzungen und zur sozialen Konstitution der Wirtschaft finden sich bereits in den Studien soziologischer Klassiker. Zu nennen sind hier insbesondere die Arbeiten von Max Weber, der schon früh aufgezeigt hat, wie relevant gesellschaftliche Werte, kulturelle Normen und Einstellungen für wirtschaftliches Handeln sind. Mithin sind soziale Netzwerke Gegenstand einer Reihe soziologischer Forschungsarbeiten gewesen. Unabhängig davon kann der erwähnte Aufsatz von Granovetter aus dem Jahre 1985 aber wohl dennoch mit Fug und Recht als ein Markstein der „neuen Wirtschaftssoziologie“ bezeichnet werden. So hat Granovetter zunächst der US-amerikanischen, später dann aber auch der europäischen Wirtschaftssoziologie einen neuen Schub verliehen und ihr mit seinem „Embeddedness“Konzept den Weg gewiesen, sich gegenüber dem aufkommenden ökonomischen Neoinstitutionalismus sowie dem zunehmendem „Imperialismus der Ökonomik“ behaupten zu können. Granovetter war davon überzeugt, dass das „Embeddedness“-Konzept der Wirtschaftssoziologie dazu verhelfen kann, auf dem Terrain der Ökonomie längst verloren gegangenen Boden wieder zu gewinnen und sogar „konkurrenzfähig mit den Wirtschaftswissenschaften“ (Berger 2003: 74) zu werden. Sein Verdienst besteht – wie Berger (2003) hervorhebt – vor allem darin, den ein wenig in Vergessenheit geratenen Grundgedanken der sozialen Einbettung wirtschaftlicher Aktivitäten wieder ins Zentrum der Wirtschaftssoziologie gerückt zu haben.

3.5 Die soziale Einbettung der Wirtschaft

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Menschen handeln eben nicht nur rational und kalkuliert. Betrachtet man z.B. das Verhalten von Managern, so verfolgen sie zum einen fraglos wirtschaftliche Ziele, zum anderen sind sie aber auch in „intrafirm networks“ eingebunden und schmieden „politische“ Koalitionen, in denen es um den Ausbau von Macht und Einfluss, aber auch um Reputation, Vertrauen und Soziabilität geht. Wirtschaftliches Handeln ist daher stets „embedded in concrete, ongoing systems of social relations“ (Granovetter 1985: 481). Selbst der Markt, die Kerninstitution der kapitalistischen Wirtschaft überhaupt, kann als eine Institution mit sozialen Regeln und Strukturen begriffen werden und ist nur dann zu verstehen, wenn die Einbettung von Akteuren in soziale bzw. informelle Beziehungsnetzwerke analysiert wird. Eine Stärke des Embeddedness-Konzepts besteht darin, dass es den Blick auf personelle Verflechtungen und soziale Beziehungen lenkt, die auch im Feld der Wirtschaft bedeutsam sind – insbesondere im Hinblick auf die Entstehung von Vertrauen: „The embeddedness argument stresses instead the role of concrete personal relations and structures (or ‘networks’) of social relations in generating trust and discouraging malfeasance“ (Granovetter 1985: 490). Aus sozialen Beziehungen kann Vertrauen resultieren, das notwendig ist, um komplexe wirtschaftliche Transaktionen durchzuführen. Vertrauen erweist sich besonders in Situation der Unsicherheit als bedeutsam: „Trust matters most in situations in which there is a great deal of uncertainty about the qualities of the product being exchanged“ (Fligstein/Dauter 2007: 6.10). In Anbetracht der Bedeutung sozialer Beziehungen, die den Aufbau von Vertrauen zwar nicht garantieren, aber hierfür eine notwendige Voraussetzung bilden, ist nachvollziehbar, dass Granovetter dafür plädiert, zur Erklärung ökonomischer Prozesse sozialen Dimensionen mehr Beachtung zu schenken. Seines Erachtens ist das gesamte Wirtschaftsleben letztendlich mehr oder weniger intensiv mit sozialen Beziehungen verwoben: „Networks of social relations penetrate irregularly and in different degrees in different sectors of economic life“ (Granovetter 1985: 487). Welche Bedeutung sozialen Beziehungen zuzumessen ist, ob eher starke oder eher schwache Beziehungen von Vorteil sind, wird offensichtlich, wenn man Granovetters frühe Untersuchung über die Stellensuche in Boston heranzieht. In seiner berühmten Studie „Getting a Job“ (Granovetter 1974) wird der Wirkungszusammenhang zwischen sozialen Beziehungen, sozialem Kapital und einem erfolgreichen Erwerbseinstieg herausgearbeitet. Während die Einen persönliche Kontakte bzw. soziale Netzwerke nutzten, machten Andere von Annoncen und (Initiativ-)Bewerbungen Gebrauch. Der Befund ist eindeutig: Die Mehrzahl fand eine Arbeitsstelle mittels persönlicher Kontakte und nicht durch formelle Suchstrategien. Dieses Ergebnis war durchaus zu erwarten, Erstaunen hervorgerufen hat jedoch der Sachverhalt, dass es sich in erster Linie nicht um Verwandte und gute Freunde handelte, die sich als hilfreich bei der Jobsuche erwiesen, sondern um lockere Beziehungen zu Bekannten, etwa ehemaligen Arbeitskollegen oder Schulfreunden. Es sind, so Granovetter, offenbar nicht die vermuteten „starken Beziehungen“ („strong ties“), die zum Erfolg führten, sondern die eher losen, „nützlichen Beziehungen“ („weak ties“). Die These von der „Stärke der schwachen Beziehungen“57 behauptet, dass es weit gestreute, informelle soziale Netze sind, die bei der

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Die Stärke einer Beziehung macht Granovetter an ihrer Dauer und Frequenz (Kontakthäufigkeit), der emotionalen Intensität und Reziprozität fest.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

Arbeitssuche und der Karriere von Nutzen sind. Soziale Beziehungen, die aus „weak ties“ hervorgehen, stellen daher soziales Kapital58 dar, ohne das eine erfolgreiche Positionierung auf dem Arbeitsmarkt weitaus schwieriger zu realisieren ist. Stellen, die auf der Basis von „weak ties“ gefunden wurden, wiesen zudem bessere Gehaltskonditionen auf als Arbeitsplätze, die Akteure durch „strong ties“ erhielten. Während Granovetter sich in seinen Studien noch in erster Linie auf die Eingebettetheit ökonomischen Handelns in interpersonale Beziehungen bzw. soziale Netzwerke, wie Freundschafts-, Verwandtschafts- oder sonstige Beziehungsnetzwerke, konzentriert, liegt mittlerweile eine Ausweitung des Konzepts auf weitere Typen sozialer Einbettung vor. Neben der sozialstrukturellen Einbettung gibt es – so Zukin und DiMaggio – noch weitere Formen der Einbettung: „We use ‘embeddedness’ broadly to refer to the contingent nature of economic action with respect to cognition, culture, social structure, and political institutions“ (Zukin/ DiMaggio 1990: 15). Einschlägig ist die von Scott (2001) im Anschluss an DiMaggio/Powell (1991) vorgenommene Differenzierung zwischen kognitiven, normativen und regulativen Institutionen der Einbettung. • Kognitive Einbettung: Sie zielt auf mentale Prozesse ab, denn die Art und Weise, wie Wirklichkeit erfahren wird, ist durchaus bedeutsam, um in der Welt – und damit auch in der Wirtschaft – zurechtzukommen. Im Zentrum steht dabei die Verfügung über Skripte59, in der sich die Beschaffenheit der Wirklichkeit widerspiegelt. Scott spricht von „wider belief systems“, „cultural frames“, „common beliefs“ und „meaning systems“ (Scott 2001: 58). Der Begriff des Skripts meint, dass Handlungen oftmals routinemäßig – quasi automatisch – erfolgen. Hierfür sind kognitive Institutionen verantwortlich, die nicht weiter hinterfragt werden müssen. Es handelt sich um geteilte Vorstellungen der sozialen Wirklichkeit, Glaubens- wie Bedeutungssysteme und Ideologien auf die Handelnde ganz selbstverständlich rekurrieren (vgl. u.a. Scott 2001; Senge 2006). In vielen Situationen wird auf solche Scripts bzw. Routinen zurückgegriffen, gemäß dem Motto: Menschen wissen schon was sie tun und was „gut oder schlecht“ für sie ist. Nicht viel anders verfahren Unternehmen, wenn sie sich an vorherrschenden technologischen Paradigmen und organisationalen Leitbildern orientieren.

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Der Begriff wird in den Sozialwissenschaften nicht immer in gleicher Weise benutzt. Hier ist in erster Linie die Fähigkeit gemeint, Beziehungen aufzubauen und – z.B. auf der Basis von Vertrauen oder Ansehen – Vorteile zu erzielen (siehe bereits Coleman 1988). Aufschlussreich ist auch die Arbeit von Lin (1999), der den Zusammenhang zwischen Netzwerk und sozialem Kapital analysiert; danach handelt es sich um ein „investment in social networks“. Anders Bourdieu (1983, 1987): Soziales Kapital stellt eine Form von Kapital dar, bei dem es sich – neben dem ökonomischen Kapital, dem kulturellen Kapital (Bildung) und dem symbolischen Kapital – um eine entscheidende strategische Ressource (potentielle Quelle von Macht) handelt, die für die Positionierung in sozialen Feldern (etwa der Wirtschaft) und mithin für die Entstehung sozialer Ungleichheit von großer Relevanz ist. Es basiert auf Beziehungsarbeit und besteht in sozialen Verpflichtungen sowie auch in sozialen Beziehungen, sozialen Kontakten, in der Zugehörigkeit zu einer Gruppe wie zu einem sozialen Netzwerk. Mit Skripten ist das Wissen über den Ablauf von sozialen Ereignissen gemeint, über die die meisten Menschen in modernen Gesellschaften verfügen. Z.B. wissen Akteure im Allgemeinen wie Kaufvorgänge ablaufen (Ware aussuchen, zur Kasse gehen und bezahlen). Dass in deutschen Discountern nicht über den Preis verhandelt werden kann, Feilschen in tunesischen Basaren hingegen dazugehört, muss zumeist auch nicht erklärt werden.

3.5 Die soziale Einbettung der Wirtschaft

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• Normative/kulturelle Einbettung: Wirtschaftliches Handeln ist nicht entkoppelt von normativen, kulturellen wie sozialen Institutionen. Sie bilden sich über einen längeren Zeitraum heraus und beeinflussen die Ausgestaltung ökonomischer Aktivitäten, wie z.B. Arbeits- und Geschäftsbeziehungen (siehe das Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“). Nach Scott gibt es zwei Gründe dafür, dass Akteure Normen und Werten folgen: Zum einen haben sie sie internalisiert, so dass sie zu ihren eigenen Werte bzw. Normen geworden sind. Zum anderen unterliegen Akteure einem Erwartungsdruck bzw. der Verpflichtung, ihr Verhalten den gesellschaftlichen Normen und Werten entsprechend auszurichten, da ihnen sonst (moralische) Sanktionen drohen und mit einem Reputationsverlust zu rechnen ist. Diesem Druck können sich auch wirtschaftlich handelnde Akteure nicht völlig entziehen, denn sie unterliegen ebenfalls einem gesellschaftlichen Erwartungsdruck, z.B. Fairnessregeln einzuhalten und sich an geltenden Konventionen (z.B. den ILO-Kernarbeitsnormen) zu orientieren. Gleichwohl handelt es sich bei der Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung und der Ausrichtung an Prinzipien nachhaltigen Wirtschaftens um eine Selbstverpflichtung von Unternehmen. Sie tauchen in Unternehmensleitbildern auf und finden sich in politischen Empfehlungen und Leitfäden für eine „best-practice“ wider, deren Umsetzung jedoch weder einem Monitoring unterliegt noch mittels wirkungsvoller Sanktionen eingefordert werden kann. Dennoch können öffentliche Kampagnen Unternehmen unter Druck setzen und zur Umsetzung von Sozialstandards veranlassen (siehe z.B. Clean Clothes Campaign, Kampagne gegen Kinderarbeit). • Regulative/politische Einbettung: Die regulative wie politische Eingebettetheit hebt auf das Wirkungsgeflecht zwischen Ökonomie und Politik, Regeln und Gesetzen ab. Hier geht es um Machtkämpfe und Auseinandersetzungen um staatliche Eingriffe, wie etwa die Verankerung von Arbeits-, Steuer- und Umweltgesetzen. Akteure folgen diesen Regeln, um Sanktionen zu vermeiden. Der Durchsetzungsmechanismus von Regeln ist somit in erster Linie Zwang (vgl. Scott 2001: 51 ff.). Für Swedberg steht außer Frage, dass das „Einbettungsprojekt“, das im letzten Jahrzehnt von Granovetter und vielen anderen vielfach erprobt, ergänzt und weiterentwickelt wurde, nach wie vor sehr erfolgreich ist (vgl. Swedberg 2008: 51). Es hat mit zur Etablierung der neuen Wirtschaftssoziologie beigetragen, deren Credo lautet: Wirtschaftliche Phänomene können nur verstanden werden, wenn die gesellschaftliche Einbettung wirtschaftlichen Handelns Berücksichtigung findet. Während die klassische Ökonomie lange Zeit weder etwas von der gesellschaftlichen Konstitution von Wirtschaftsinstitutionen noch von der generellen Wirkungsmacht außerökonomischer Institutionen – angefangen von Regeln und Gesetzen bis hin zu Normen und „common beliefs“ – wissen wollte, sieht die neue Wirtschaftssoziologie hierin geradezu ihren Forschungsschwerpunkt.60 Demnach wird man selbst dem Phänomen des Marktes nicht gerecht, wenn man ihn nur als einen Ort ökonomischer Transaktionen versteht, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen (Idealtypus des Preiswettbewerbs), vielmehr gilt es, die „black box“ zu öffnen, um verstehen zu können, wie wirtschaftliches durch

60

Ganz neu ist dieser Gedanke allerdings nicht; bereits die Historische Schule um Gustav Schmoller hat sich mit der Wirkungsweise von Institutionen befasst. Zu nennen sind auch die Arbeiten von Thorstein Veblen, der zu den wichtigsten Vertretern des frühen US-amerikanischen Institutionalismus zählt. Er geht davon aus, dass das Wirtschaftsleben auch von sozialen, politischen und rechtlichen Institutionen bestimmt wird.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

soziales Handeln beeinflusst und mitbestimmt wird. Märkte, gleich ob es sich um Arbeits-, Finanz- oder gar Gebrauchtwagenmärkte handelt, sind nicht völlig entkoppelt von sozialen und kulturellen Praktiken, Strukturen und Regeln. Damit rückt die Dimension des Sozialen ins Zentrum von Analysen, denn „social structures and networks matter“. Hieraus ergeben sich neue Herausforderungen. Es stellt sich die Frage, wie es zu sozialen Regeln, verbindlichen Handlungsmustern und mithin zu sozialen Institutionen in der Wirtschaft kommt. Was es bedeutet, wenn wirtschaftliches als soziales Handeln verstanden wird, das wiederum in soziale Kontexte eingebettet ist, bewegt auch die Netzwerkforschung, die daher in der neuen Wirtschaftssoziologie eine große Resonanz erfahren hat. So stellt die Netzwerkperspektive mittlerweile eine etablierte Sicht zur Erschließung wirtschaftlicher Zusammenhänge dar, da sie wie kaum eine andere dazu in der Lage ist, Antworten auf die Frage zu geben, wie ökonomisches in soziales Handeln eingebettet ist. Einbettung in Netzwerke: Netzwerke in der Wirtschaftssoziologie Netzwerke sind keine leicht zu erfassenden sozialen Phänomene. Ortmann hat sie einmal mit Mückenschwärmen verglichen, die – gleich ob es sich um ihre Struktur oder um ihre Grenzen handelt – nur schwer zu bestimmen sind. Netzwerke zu identifizieren und zu untersuchen ist folglich kein einfaches Unterfangen. Blickt man zurück, dann zeigt sich, dass in der Soziologie lange Zeit primär soziale Netzwerke, insbesondere persönliche Netzwerke zwischen Freunden oder Nachbarn, im Zentrum standen. Dabei ging es in erster Linie um Fragen der Einbettung von Individuen in soziale Beziehungsgeflechte, die Simmel (1908) so treffend als „Kreuzung sozialer Kreise“ beschrieben hat. Sein Interesse richtete sich vor allem auf die soziologisch spannende Frage der Vergesellschaftung durch soziale Netzwerke (vgl. auch von Wiese 1954). Die frühen empirischen Forschungsarbeiten zu sozialen Netzwerken konzentrierten sich noch auf soziale Gruppen, wie etwa die Hawthorne-Studien aus den 1930er Jahren, in denen es um die Strukturen (informeller) Arbeitsgruppen ging, oder auf kommunale Gemeinden, wie etwa die sozialanthropologische Studie von Barnes (1954), der die sozialen Beziehungen in einer norwegischen Gemeinde untersucht hat; wirtschaftliche Netzwerke rückten erst später ins Zentrum. Von Beginn an stellte sich die Frage, ob das Netzwerk mehr ist als eine Metapher oder gar ein Modebegriff, und welche Theorien und Methoden angemessen sind, um Genese, Strukturen und Wandlungsprozesse analysieren zu können. Eine Möglichkeit hierzu bietet die strukturelle Netzwerkanalyse, deren Wurzeln auf Simmel und Radcliffe-Brown zurückgehen. Ziel ist es, die Beziehungen zwischen Netzwerkakteuren (Personen, Organisationen und sogar Staaten) zu erfassen, um aus ihren Strukturmustern Rückschlüsse auf das Verhalten von Akteuren (Personen, Gruppen sowie auch Organisationen) ziehen zu können. Netzwerke werden hier verstanden als durch Graphen verbundene Knoten (Einheiten von individuellen oder korporativen Akteuren) zwischen denen Beziehungen (Mitgliedschaften, Informationsflüsse, Kapitalbeteiligungen etc.) auszumachen sind.61 So waren es zunächst britische Anthropolo-

61

Zum Thema Netzwerkforschung vgl. u.a. Holzer 2007: 38 ff.; Windeler 2001: 100 ff.; Jansen 2005. In den letzten Jahrzehnten wurde eine Reihe von Studien durchgeführt, die wirtschaftliche Zusammenhänge aus einer Netzwerkperspektive erklären.

3.5 Die soziale Einbettung der Wirtschaft

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gInnen (Barnes, Bott, Mitchell), die den Anstoß zur Entwicklung methodischer Verfahren zur Netzwerkanalyse gaben, um zu einer genaueren Erfassung interpersonaler Beziehungen bzw. sozialer Netzwerke zu gelangen. Auf das Für und Wider dieses empirischen Zweigs der Netzwerkforschung soll hier nicht weiter eingegangen werden. Hervorgebracht hat sie eine Vielzahl von Maßzahlen zur Berechnung der Zentralität von Netzwerkbeziehungen62, die Aufschluss über die wichtigsten Akteure in einem Netzwerk und die Dichte der Beziehungsstrukturen (Kohäsion) geben (vgl. u.a. Freeman 1979; Wasserman/Faust 1994; Scott 2000). Auskunft erhält man in diesen Studien u.a. über Homophilie und Heterogenität, Macht und strukturelle Löcher (vgl. u.a. Freeman 1979; Cook et al. 1983; Burt 1992). So fand Brass (1985) in einer Studie über Interaktionsnetzwerke in einem Presseunternehmen heraus, dass Frauen wie Männer zum Aufbau gleichgeschlechtlicher Netzwerke tendieren. Netzwerke sind demnach geschlechtlich segregiert. Es gibt einen Trend zur Homophilie, zum Aufbau von „same-sex-ties“. Da die Tendenz zu „same-sex-ties“ auch im Management vorherrscht, bleibt Homophilie nicht folgenlos. Sie führt zu einer Form sozialer Schließung, die es Frauen schwer macht, in männliche Netzwerke einzudringen und dort zentrale Positionen einzunehmen. Frauen sind – wie Ibarra (1992) zeigen kann – in den Unterstützungs- und Kommunikationsnetzwerken weniger zentral positioniert. Da bei Beförderungen der Aspekt der Zentralität im Netzwerk von großer Relevanz ist, Frauen jedoch nicht so hohe Zentralitätsmaße aufwiesen, wurden sie auch seltener befördert. Untersucht wurden aber nicht nur Geschlechtsunterschiede. Es stellte sich auch die Frage, ob es allein die von Granovetter untersuchte Beziehungsdichte ist, auf die es ankommt. Freeman gelangt zu dem Ergebnis, dass die Macht eines Netzwerkleaders auch von der Anzahl („degree“) und der effizienten Erreichbarkeit („closeness“) von Interaktionspartnern abhängt. Demgegenüber betonte Burt (1992), dass hiervon nicht generell ausgegangen werden kann. Seines Erachtens müssen zentrale Akteure nicht zugleich mächtige Netzwerkakteure sein, denn die Vielzahl der aufrecht zu erhaltenden Beziehungen kann sich auch als eine Ressourcenverschwendung erweisen. Burt selbst fand Anfang der 1990er Jahre heraus, dass es gar nicht so sehr auf die Stärke oder Schwäche sozialer Beziehungen ankommt, sondern ob es Akteuren gelingt, „strukturelle Löcher“ („structural holes“) zu überwinden, indem sie als Vermittler fungieren und Kontakte zwischen verschiedenen, selbst nicht miteinander bekannten Wirtschaftsakteuren aufbauen und damit eine Art „broker“-Funktion einnehmen. Was sie auszeichnet ist ihre Fähigkeit, unverbundene Netzwerke miteinander zu verbinden und so Lücken im Netz zum eigenen Nutzen überbrücken zu können. Im Rahmen seiner Studie über die soziale Struktur wirtschaftlichen Wettbewerbs und das Handeln des Unternehmertums („entrepreneurship“) geht er davon aus, dass Unternehmer genau diese spezifische Aufgabe wahrnehmen, indem sie Verkäufer und Käufer, die eigentlich nichts miteinander verbindet, zusammenbringen. Burt hat hier Simmels „tertium gaudens“ – den „lachenden Dritten“ – im Sinn, nämlich Akteure, die in der Lage sind, unterschiedliche Welten miteinander zu verknüpfen und hieraus für sich selbst einen (Wettbewerbs-)Vorteil zu ziehen. Burt sieht hierin eine Möglichkeit, soziales Kapital zu ge62

Um Zentralität zu erfassen, wird häufig auf drei Maßzahlen zurückgegriffen: (1) die Degree-Zentralität, welche die Zahl der Kontakte misst, die ein Akteur aufweist, (2) die Closeness-Zentralität, die Auskunft darüber gibt, wie eng die Akteure miteinander verbunden sind und (3) die Betweenness-Zentralität, derzufolge ein Akteur dann als zentral anzusehen ist, wenn er in der Lage ist, viele andere Akteure im Netzwerk miteinander in Kontakt zu bringen (vgl. u.a. Freeman 1979).

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

winnen, das notwendig ist, um auf (unvollständigen Wettbewerbs-)Märkten erfolgreich zu sein. Strukturelle Löcher erweisen sich demnach als ausgesprochen nützlich, um eine strategisch vorteilhafte Position in einem Gesamtnetzwerk einzunehmen. Burts Studie liefert einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis sozialer Strukturen wirtschaftlichen Wettbewerbs. Demnach stellt der Wettbewerb einen Prozess dar, der nur erklärt werden kann, wenn die sozio-ökonomischen Beziehungen zwischen Akteuren (z.B. zwischen Unternehmen und Kunden) zum Ausgangspunkt der Analyse gemacht wird. Mittlerweile liegt eine Vielzahl an Forschungsarbeiten, die dem Stellenwert von Netzwerken in der Wirtschaft auf der Basis quantitativer als auch qualitativer Methoden nachgegangen sind, vor. Dabei geht es nicht mehr nur um soziale, sondern auch um wirtschaftliche Netzwerke, die von einigen WirtschaftssoziologInnen (z.B. Powell) sogar als eine eigenständige Form der Handlungskoordination wirtschaftlicher Aktivitäten verstanden werden. So können Netzwerke die Form von interpersonalen Netzwerken (Ratgeber- und Freundschaftsnetzwerke) aufweisen, es kann sich aber auch um interorganisationale Netzwerke (wie Unternehmensnetzwerke) handeln; selbst Märkte (z.B. die Preisbildung an Börsen) lassen sich aus einer Netzwerkperspektive beschreiben (vgl. u.a. Baker 1984). Forschungsbefunde liefern Aufschluss über Beziehungsformen zwischen und in Unternehmen (u.a. Unternehmensallianzen, Joint Ventures und Abnehmer- und Zulieferernetzwerken, Franchisingsystemen), die Verflochtenheit von Aufsichtsratsmandaten, regionale wie überregionale Netzwerke, Forschungs- und Technologieallianzen sowie Transferfördernetzwerke zwischen Industrie und Wissenschaft (vgl. u.a. Windeler 2001; Sydow 2001; Krücken/Meier 2003). Die Liste ließe sich problemlos erweitern. Sie macht zudem deutlich, dass nicht nur zwischen sozialen und interorganisationalen Netzwerken zu unterscheiden ist, sondern dass es unterschiedlichste Spielarten bzw. Typen von Netzwerken gibt. Um ein wenig Ordnung hier hineinzubringen, was in Anbetracht des „Netzwerkdschungels“ (Kutschker 1998) nicht ganz einfach ist, bedarf es einer differenzierten Betrachtung. Vorschläge zur Systematisierung von Netzwerktypen gibt es recht viele, zumeist wird dabei auf folgende Analysedimensionen Bezug genommen: • Umfang des Netzwerkes (Anzahl der Beteiligten: in der Regel wird von drei Unternehmen ausgegangen, d.h. bei einem Netzwerk handelt es sich um mehr als nur um eine dyadische Beziehung) • Beziehungsinhalte bzw. Bereiche der Zusammenarbeit (z.B. Produktion, Güter- und Informationsaustausch, Forschung und Entwicklung, Vertrieb) • Zweck: explorativ (z.B. Generierung von neuem Wissen) oder exploitativ (Optimierung und Verbesserung von Produkten, Technologien etc.) • Stabilität (stabil/dynamisch) bzw. Dauerhaftigkeit (lang- oder kurzfristig) • örtliche Ausdehnung (regional/überregional, lokal/global, zentriert/dezentriert) • Eigentumsverhältnisse (z.B. Form der Kapitalverflechtungen) und • Formen der Steuerung bzw. Regulation (z.B. mit oder ohne strategische Führung; hierarchisch, d.h. hier dominiert ein Netzwerkakteur, oder heterarchisch: Netzwerkbeziehungen, bei denen die Partner weitgehend auf gleicher Augenhöhe zusammenarbeiten) (vgl. u.a. Windeler 2001: 39 ff.; Müller-Jentsch 2003: 123 f.; Sydow et al. 2003: 54 ff.). Allein aus der Kombination dieser Merkmale lässt sich bereits eine Vielzahl von Netzwerktypen gewinnen. Sydow et al. (2003), die auf der Basis einer umfassenden Literaturrecherche

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noch eine Reihe weiterer Analysedimensionen identifizieren, kommen am Ende auf über hundert Möglichkeiten, Netzwerke zu beschreiben. Da nicht alle aufgeführt werden können, wir aber dennoch eine erste Vorstellung von der Variantenvielfalt erhalten wollen, bietet es sich an, auf drei häufig genannte Netzwerkformen einzugehen. Hierbei handelt es sich um: • „Projektnetzwerke“, die sich nach der Abwicklung einer zeitlich befristeten Aufgabe wieder auflösen. Sie sind typisch für das Baugewerbe, man findet sie aber auch in der Film- und Werbeindustrie, z.B. bei der Produktion von Fernsehserien. Ob ein neues Projekt mit denselben Netzwerkakteuren durchgeführt wird, hängt auch von der Reputation ab, die sich die Akteure im Kontext des alten Projektnetzwerkes erworben haben (vgl. u.a. Windeler et al. 2001; Grabher 2001). • „Strategische Netzwerke“, in der es um eine zumeist auf einen längeren Zeitraum hin angelegte Kooperation zwischen Unternehmen geht, deren Regulation in der Netzwerkliteratur als hierarchisch beschrieben wird. Jarillo (1988) zufolge werden strategische Netzwerke durch fokale Unternehmen geführt, die eine zentrale Stellung in der Wertschöpfungskette einnehmen und die strategische Ausrichtung der Netzwerkaktivitäten vorgeben. Ein typisches Beispiel sind Abnehmer-Zuliefererbeziehungen, die in der Automobilindustrie sehr verbreitet sind, oder Franchisingnetzwerke, in denen ebenfalls hierarchische Strukturen vorherrschen und ein fokales Unternehmen die strategische Ausrichtung bestimmt (z.B. McDonalds). Strategische Netzwerke können aber auch eine kollegiale bzw. heterarchische Führung aufweisen, wie etwa im Fall strategischer Allianzen internationaler Konzerne oder von Joint Ventures (z.B. zwischen Luftverkehrsgesellschaften oder Elektronikkonzernen) (vgl. u.a. Sydow 1992; Windeler 2001). • „Regionale Netzwerke“, die z.B. in Baden-Württemberg (Herrigel 1996), der Emilia Romagna (Piore/Sabel 1985) oder im Silicon Valley (Saxenian 2001) anzutreffen sind. Das verbindende Merkmale zwischen ihnen ist nicht nur die Regionalität, vielmehr wird auch unterstellt, dass es sich um Netzwerke handelt, die „nicht durch eine zentrale Autorität geführt werden“ (Sydow 1992: 47). Verstanden wird unter einem regionalen Netzwerk somit zumeist die Kooperation räumlich konzentrierter kleiner und mittelständischer Unternehmen (etwa im Bereich der Textil-, Bekleidungs- und Keramik- oder Metallwarenindustrie), die sich hierdurch Vorteile – z.B. im Hinblick auf ihre Flexibilität, die Ressourcenbeschaffung, die Personalsuche, den Informations- und Wissensaustausch – versprechen. Die Verknüpfung zwischen Regionalität und nicht-strategischer Führung bzw. heterarchischer Regulation wird inzwischen kritisch hinterfragt. Windeler bezeichnet sie sogar als unzulässig, denn auch regionale Netzwerke können eine strategische Führung aufweisen (vgl. Windeler 2001: 40 f.). Zudem stellt sich die Frage, ob in regionalen Netzwerken, wie häufig behauptet, nur kleinere und mittelgroße Unternehmen involviert sind. Während dies im Fall der Emilia Romagna aus dem sogenannten „Dritten Italien“, womit die im Nordosten Italiens existierenden Wirtschaftsregionen gemeint sind, lange Zeit sicherlich der Fall war, sind im Silicon Valley auch große Unternehmen angesiedelt und Teil des Netzwerkes. Regionale Netzwerke sind oftmals das Ergebnis historisch gewachsener, kultureller und institutioneller Entwicklungen (vgl. u.a. Piore/Sabel 1985; Staber 2002). Gemeinsam ist ihnen eine spezifische Art und Weise der Zusammenarbeit, die sich durch eine enge interorganisationale Arbeitsteilung und Spezialisierung auf Qualitätsprodukte auszeichnet. Involviert sind hier, außer den Unternehmen selbst, Zulieferer, Händler, aber auch staatli-

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che Akteure und Dienstleistungszentren. Neben der räumlichen Nähe und der Spezialisierung wird die Einbettung der Unternehmen in ein sozio-kulturelles Umfeld, also die Existenz eines spezifischen sozialen Milieus63, als signifikant für ihren Erfolg bezeichnet (vgl. u.a. Piore/Sabel 1985; Bathelt/Glückler 2002). Gleichwohl gelten regionale Netzwerke bzw. industrielle Distrikte nicht als „Inseln der Glückseligkeit“ (Windeler 2001: 65). Sie sind nicht frei von Konflikten und müssen die Herausforderungen durch den internationalen Wettbewerb bewältigen, wobei offen ist, ob ihnen dies am Ende gelingt. Netzwerke lassen sich demnach durch eine Vielzahl von Merkmalen charakterisieren, deren Kombination jeweils eine andere Form ergibt. Waren es zu Beginn primär die sozialen, persönlichen Netzwerke, die im Zentrum des Interesses standen, sind es nunmehr recht unterschiedliche Varianten, angefangen von Projektnetzwerken über Unternehmungsnetzwerke bis hin zu regionalen Wirtschaftsnetzwerken. Auch wurde Granovetters Sicht auf soziale Beziehungen in den letzten Jahrzehnten modifiziert und erweitert, wobei den Schattenseiten sozialer Beziehungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde (etwa der Korruption und der Problematik von „Old Boy Networks“). Mithin zeigte sich, dass sowohl ein Zustand, der als „underembedded“ oder umgekehrt als „overembedded“ charakterisiert werden kann, als problematisch zu bewerten ist. „Strong ties“ können beispielsweise eine Einflussnahme von außen verhindern; was nicht in jedem Fall von Vorteil sein muss. So kann gerade aus der engen Zusammenarbeit in einem Netzwerk bei einer gleichzeitigen Abschottung nach außen ein Lock-in-Effekt resultieren, der bei Karrierenetzwerken vielleicht noch von Vorteil sein kann, bei Innovationsnetzwerken jedoch fatal ist. Wenn neue Impulse nicht aufgegriffen und Innovationen verhindert werden, kann dies beispielsweise für die Weiterentwicklung einer Region zum Verhängnis werden (vgl. u.a. Grabher 1993). Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass der Aufbau langfristiger Kooperationsbeziehungen die Überlebenschancen eines Unternehmens im Vergleich zu anderen Wettbewerbern erhöht (vgl. Uzzi 1996, 2001). Am Ende kommt es darauf an, ob eine Balance zwischen zu schwachen und zu starken Verbindungen in wirtschaftlichen Netzwerken hergestellt werden kann. Netzwerkforschung und Einbettungsperspektive Seit Granovetters Aufsatz zur sozialen Einbettung aus den 1980er Jahren hat sich offenbar viel getan. Wichtige Anstöße lieferte die Netzwerkforschung. Am Beispiel des Marktes lässt sich zeigen, welchen Erkenntnisgewinn eine solche Sichtweise einbringt. So war es Harrison C. White64 (2001), der nicht nur die strukturelle Netzwerkanalyse vorangetrieben, sondern mit seinen Arbeiten zu Märkten auch die Leistungsfähigkeit der Netzwerkanalyse unter Beweis gestellt hat. White fragt in einem seiner zentralen Texte: „Where do markets come from?“ (White 1981) und beantwortet diese Frage aus der Perspektive der Netzwerktheorie. Märkte lassen sich seines Erachtens nämlich als soziale Netzwerke begreifen. Für White besteht der typische (Produzenten-)Markt aus einer kleinen Zahl von Akteuren (etwa 10 bis 15 Anbieter), 63

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Marshall (1890), der schon früh die Konzentration spezialisierter Industrien an bestimmten Orten bzw. in industriellen Distrikten untersucht hat, prägte hierfür den Begriff der „industriellen Atmosphäre“. White, der Begründer der strukturalistischen Harvard-Schule der Netzwerkanalyse, hat gleich mehrere Generationen von NetzwerktheoretikerInnen geprägt; darunter auch Granovetter, DiMaggio, Eccles und Schwartz, von denen einige die neue Wirtschaftssoziologie vorangetrieben haben.

3.5 Die soziale Einbettung der Wirtschaft

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die durch wechselseitiges Signalisieren von Preisen und Mengen sowie gegenseitiges Beobachten und Reagieren mit der Zeit eine stabile Struktur herausbilden, nämlich den Markt: „Markets are tangible cliques of producers observing each other“ (White 1981: 543). Es sind also nicht die Konsumenten, auf die es ankommt, sondern die Produzenten. Für diese ist es sogar eher von Nachteil, sich am Nachfrageverhalten von Konsumenten zu orientieren. Weitaus erfolgversprechender ist es für Produzenten, erst einmal zu beobachten, wie sich ihre Konkurrenten verhalten, um Entscheidungen über Preise, Mengen und Qualität zu treffen. Mit ihren Entscheidungen signalisieren sie wiederum anderen Produzenten, welche Rolle sie als Produzent auf dem Markt spielen wollen. Für White stellen Märkte folglich eine „reproducible role structure“ (White 1981) dar. Gelingt es nicht, diese Rollenstrukturen zu reproduzieren, können sich keine stabilen Märkte herausbilden und Unternehmen scheitern (vgl. Fligstein/Dauter 2007). Ziel eines jeden Produzenten ist es, in eine Nische vorzudringen, die sie vor dem Preiswettbewerb bewahren soll, was auf eine „creation of new markets“ hinausläuft (vgl. White 1981). Zum Erfolg kann aber auch eine Imitation bzw. Nachahmung bereits erfolgreicher Produkte und Wettbewerbsstrategien führen. Begründet wird hier eine neue Sicht auf Märkte, die sich eben nicht auf der Grundlage von Angebot und Nachfrage bzw. des Wechselspiels zwischen Produzenten und Konsumenten heraus entwickeln – wie die Gleichgewichtstheorie behauptet –, sondern durch die wechselseitige Beobachtung von Anbietern. Während White die Netzwerkperspektive favorisiert und Märkte als wechselseitige Überwachungs- und Steuerungsprozesse einer „Clique von Produzenten“ begreift, die daran interessiert ist, ein einzigartiges Preis-Mengen-Verhältnis zu realisieren, das sie in die Lage versetzt, Marktnischen zu besetzen, rückt Fligstein die „institutionelle Einbettung“ von Marktakteuren ins Zentrum (vgl. u.a. Fligstein 1990, 2009). Er betrachtet Märkte als in hohem Maße durch Normen und Regeln strukturierte „Felder“. Wirkungsmacht entfalten zum einen gesetzliche Regelungen, zum anderen kommt es zur Herausbildung stabiler Erwartungsstrukturen, die die Akteure selbst generieren. Märkte entstehen ohnehin erst durch das Handeln von Akteuren, angefangen von individuellen Akteuren (Kunden, Anleger) bis hin zu korporativen Akteuren, wie Unternehmen und Finanzinstituten. Sie bestehen folglich aus einem komplexen Geflecht von Akteuren, die „ihre Aktivitäten wechselseitig aneinander orientieren“ (Fligstein 1996: 663), was jedoch nicht abgekoppelt von sozialen, kulturellen, politischen Rahmenbedingungen erfolgt. Fligstein geht daher von „institutioneller Einbettung“ aus. Im Kern handelt es sich bei Märkten um organisationale Felder, die sich aus der „wechselseitigen Anerkennung einer Interdependenz zwischen Akteuren in verschiedenen Firmen“ (Fligstein 1990: 5) entwickeln und im Laufe der Zeit ein hohes Maß an Stabilität erreichen. Fligstein spricht mit Blick auf Märkte sogar von relativ „stabilen Welten“. Kurzum: Märkte können als regelhafte, institutionell verankerte soziale Konstrukte wahrgenommen werden, die durch das Zusammenwirken verschiedener Akteure und einer Reihe von politischen, rechtlichen und kulturellen Bedingungen entstehen. Selbstverständlich sind nicht alle Märkte hinsichtlich ihrer Struktur und Kultur gleich. Es gibt nicht den einen übergreifenden Markt, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Märkte, die spezifische Ausprägungen von Rechts- und Eigentumsordnungen, Geschäftsbeziehungen bis hin zu spezifischen kulturellen Verhaltensmustern aufweisen und prägend für die Ausgestaltung von Marktbeziehungen sind. Märkte werden beeinflusst durch „property rights“,

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

„governance structures“, „rules of exchange“ und „conceptions of control“ (vgl. Fligstein 1990, 2009). Es sind also nicht nur Rechtsordnungen, die Einfluss auf das Marktgeschehen haben, sondern auch Vorstellungen von der Art und Weise, wie Geschäftsbeziehungen ausgestaltet und Kontrolle ausgeübt werden soll. So bildet sich ein Leitbild heraus, das einen gemeinsamen, verbindlichen Handlungsrahmen vorgibt, auf den sich alle Akteure beziehen. Märkte weisen folglich eine spezifische Struktur und Regelhaftigkeit auf und können sich durch eine besondere Form der „conception of control“ (Kontrollkonzeption) voneinander unterscheiden (siehe auch Teil 3.3). Fligstein – so lässt sich festhalten – ist davon überzeugt, dass Märkte nicht allein mittels einer Analyse rein ökonomischer Aspekte – wie Preise – zu erschließen sind. Vielmehr bedarf es zur Erfassung ihrer Stabilität und ihres Wandels der Berücksichtigung weiterer, nicht genuin ökonomischer Faktoren. Entscheidend sind insbesondere die bereits erwähnten gesetzlichen Regelungen sowie die „Corporate Governance“ – also die je spezifische Ausgestaltung der Eigentumsordnung, der Beziehungen zwischen Firma und Finanzmarkt sowie der Arbeitsbeziehungen –, die wiederum spezifische soziale und kulturelle Orientierungen hervorbringen (vgl. Fligstein/Choo 2005). Erst ihre Analyse trägt zum Verständnis von Märkten und ihrer Besonderheiten bei und gibt Aufschluss darüber, welche institutionellen Arrangements bzw. welches „set of best practices of corporate governance exists to produce greater economic growth“ (ebd.: 61). Dabei steht außer Frage, dass es letztendlich keinen „single set of best practice“ gibt, denn kapitalistische Systeme können sich in „multiple ways“ entwickeln. In jedem Fall spielen soziale und kulturelle Institutionen („stable institutions“) eine überaus große Rolle; Märkte sind – folgt man Fligstein (2009) – nun einmal keine norm- und regelfreien Arenen. Neben White und Fligstein hat sich eine Vielzahl weiterer WirtschaftssoziologInnen mit der Einbettung von Märkten befasst – und sie als Netzwerke oder Felder definiert. Zu den schon klassischen Studien gehört z.B. die Arbeit Viviana Zelizer (1978), deren Ergebnisse belegen, dass bei der Entstehung von Versicherungsmärkten religiöse Vorstellungen eine Rolle gespielt haben. Einschlägig ist auch die Studie von Mitchel Abolafia (1996), der amerikanische Finanzmärkte untersucht hat. Er fand heraus, dass das Marktverhalten von Händlern keineswegs abgekoppelt von regulativen Vorgaben der Finanzaufsichtsbehörden erfolgt, ja sogar durch institutionelle Vorgaben verändert werden kann. Was all diese Studien auszeichnet ist vor allem Eines, sie gehen davon aus, dass ökonomisches Handeln nicht ohne eine Bezugnahme auf Soziales erklärt werden kann. Mit anderen Worten, um wirtschaftliche Prozesse zu verstehen, bedarf es einer Analyse sozialer, kultureller und politischer Einbettungsprozesse. Der Appell Granovetters, eine Wiederbelebung der Wirtschaftssoziologie voranzutreiben und dabei die Bedeutung von Einbettungsprozessen nicht zu vernachlässigen, ist demnach in den letzten Jahrzehnten nicht ungehört geblieben. Die neue Wirtschaftssoziologie hat mittlerweile eine Reihe von Forschungsaktivitäten auf den Weg gebracht, die sich hierauf beziehen und eine produktive Verknüpfung mit der Netzwerkforschung, Kultursoziologie und der Organisationsforschung (speziell dem soziologischen Neo-Institutionalismus65) aufweisen.

65

Zwischen der neuen Wirtschaftssoziologie und dem soziologischen Neo-Institutionalismus lässt sich eine Reihe von Gemeinsamkeiten ausmachen, denn auch er geht davon aus, dass Organisationen nicht isoliert zu betrachten

3.6 Zum Verständnis der Wirtschaft aus soziologischer Sicht

3.6

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Zum Verständnis der Wirtschaft aus soziologischer Sicht

Es wurde immer wieder der Versuch unternommen, eine eigene theoretische Sichtweise auf die Wirtschaft zu formulieren; letztendlich hat sich aber keiner dieser Versuche als allein gültiger Königsweg entpuppt. Ein Theorienpluralismus – der aus der Soziologie nicht wegzudenken ist – bestimmt bis heute auch die Wirtschaftssoziologie. Der Vorzug theoretischer Vielfalt liegt auf der Hand: Die Wirtschaft kann aus ganz unterschiedlichen Perspektiven entschlüsselt werden. Gleichwohl gibt es seit einigen Jahren Versuche, herauszuarbeiten, worin denn nun die Besonderheit eines soziologischen Ansatzes zur Analyse wirtschaftlicher Strukturen und Prozesse besteht (vgl. Beckert 1996, 2009; Baecker 2006). Die hierzu bislang vorliegenden Überlegungen stellen zwar keine grundsätzliche Abkehr von klassischen soziologischen Theoriekonzeptionen dar, beschreiten aber dennoch neue Wege und beziehen sich dabei – mal mehr, mal weniger – auf soziologische Klassiker; angefangen von Max Weber, Emile Durkheim, Talcott Parsons bis hin zu Joseph A. Schumpeter und (auf den Wissenschaftler, nicht den Ideologen) Karl Marx. Ihr Anliegen ist es, zu einer eigenständigen, wirtschaftssoziologischen Betrachtung der Wirtschaft zu gelangen, die sich markant von wirtschaftswissenschaftlichen Herangehensweisen unterscheidet.66 Den jüngsten Versuch hat, worauf eingangs schon hingewiesen wurde, Dirk Baecker unternommen, der für sich in Anspruch nimmt, einen eigenen „geschlossenen Theorierahmen“ (Baecker 2006: 6) vorgelegt zu haben. Seine Ausführungen basieren im Kern auf einer einzigen Annahme, nämlich der, dass die Wirtschaft in der Gesellschaft die Aufgabe hat, „die Funktion der Knappheitskommunikation“ zu erfüllen. Ihr kommt folglich die Aufgabe zu, dafür Sorge zu tragen, dass kein Zweifel an der Knappheit bestimmter Güter und Leistungen aufkommt und sie daher dem „Kalkül der sparsamen Verwendung, des gewinnbringenden Tauschs und des einträglichen Geschäfts“ (ebd.: 21) unterliegen müssen. Während die wirtschaftswissenschaftliche Theorie seines Erachtens Knappheit als einen naturgegebenen Zustand begreift, zeichnet sich eine soziologische Sicht dadurch aus, Knappheit als eine gesellschaftliche Konstruktion zu begreifen. Die Wirtschaft ist keine „Schicksalsmacht“, die sich sind, sondern immer „embedded“, also von der Gesellschaft, insbesondere dem jeweiligen organisationalen Feld, beeinflusst sind (vgl. u.a. DiMaggio/Powell 1991; vgl. Teil 3.2.5). 66

Swedberg greift den Grundgedanken der Einbettung auf und gelangt – anknüpfend an Max Weber – zu einer spezifisch soziologischen Sicht auf die kapitalistische Wirtschaft, bei der der Begriff des „Interesses“ im Zentrum steht (vgl. Swedberg 2003: 1 ff.; 2005). Dieser scheint ihm besonders gut geeignet, um eine soziologische Sicht auf das Handeln von Akteuren als auch wirtschaftliche Strukturen zu gewinnen. Die Vorzüge seines Konzepts begründet er damit, dass sich erstens hierdurch die Gründe dafür erschließen lassen, warum so und nicht anders gehandelt wird: „What makes people go to work every day, and what drives each and every private corporation, is first and foremost economic interest“ (Swedberg 2003: 4). Zweitens kann erklärt werden, warum Akteure sich in bestimmten Situationen so und nicht anders entschieden haben. Von ökonomischen Interessen auszugehen bedeutet, menschlichen Bedürfnissen – „the biological side of human beings“ (ebd.: 4) – eine ihnen angemessene Bedeutung einzuräumen, dabei aber die Angewiesenheit auf die Umwelt nicht zu vernachlässigen: „Economic interests are ultimately rooted in the needs of the human organism and its dependence on the environment“ (ebd.). Interessen ins Zentrum wirtschaftssoziologischer Analyse zu rücken bedeutet somit: Zum einen Akteure nicht als isolierte Entscheider zu betrachten und zum anderen den Blick auf die Wirkungsmacht sozialer Strukturen zu lenken.

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3 Strukturmerkmale und theoretische Sichtweisen

der „finstere(n) Gewinngier der Menschen bemächtigt hat, um mit ihrer Hilfe die Gesellschaft wie von außen auszubeuten“ (ebd.: 11); Ausbeutung findet in der Gesellschaft statt. Knappheit ist folglich eine soziale Konstruktion, anhand derer entschieden wird, was – angefangen von Wasser, Lebensmitteln und Maschinen bis hin zu Studienplätzen und menschlichen Organen – in den Einzugsbereich der Wirtschaft geraten soll und damit ihren Spielregeln unterliegt. Von diesem theoretischen Standpunkt ausgehend liegt es nahe, auch das Kommunikationsmedium der Wirtschaft „Geld“ sowie die Strukturen, in denen Knappheit kommuniziert wird, also „Märkte“, näher zu untersuchen. Last but not least wird damit der Zusammenhang von Wirtschaft und Gesellschaft offensichtlich: wirtschaftliche sind immer auch gesellschaftliche Entscheidungen. Baecker hat eine ausgesprochen komplexe theoretische Konzeption einer Wirtschaftssoziologie entworfen, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Der Kerngedanke, nämlich das Phänomen der Wirtschaft vom Prinzip der Knappheit aus zu denken, ist zunächst einmal einleuchtend. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Wirtschaft sich wirklich allein mittels der Kommunikation über Knappheit entschlüsseln lässt. Deutschmann bezweifelt dies generell und weist darauf hin, dass nahezu kein Bereich der Gesellschaft von dem Problem der Knappheit ausgespart ist. Knapp können schließlich nicht nur materielle Güter und Dienstleistungen sein, sondern auch Macht, soziale Chancen und Zeit (vgl. Deutschmann 2002a: 55). Nicht zu bezweifeln ist sicherlich zum einen, dass knappe materielle Ressourcen Einfluss auf die Chancen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis hin zur Partizipation an Bildungsangeboten haben. Zum anderen ist die „destruktive Wirkung der Durchsetzung von Knappheitskalkülen im Fall seiner Anwendung auf Grund und Boden, Arbeit und Geld (nicht) zu leugnen“ (ebd.), was bereits von Polanyi (1997) eindrucksvoll beschrieben wurde. Ein anderer Ansatz findet sich bei Autoren, die das Problem der „Ungewissheit“ ins Zentrum der Untersuchung wirtschaftlicher Prozesse rücken und genau hierin die Stärke wirtschaftssoziologischer Analysen sehen (vgl. u.a. Beckert 1996, 2009; Ganßmann 2007). Hierzu heißt es bei Jens Beckert: „Tatsächlich scheint die Wirtschaftssoziologie mit dem Problem der Ungewissheit einen theoretischen Ausgangspunkt identifiziert zu haben, der es ihr erlaubt, ein eigenständiges Forschungsprogramm zur Untersuchung wirtschaftlicher Phänomene zu entwickeln. Zwar ist bis heute daraus noch kein kohärentes Theoriesystem entstanden, doch gibt es Ansätze dazu“ (Beckert 2009: 5). Worum es hier gehen könnte, soll im Weiteren kurz skizziert werden. Den Ausgangspunkt bildet die Kritik am klassischen Grundmodell der Wirtschaftswissenschaften, insbesondere die Vorstellung von einem perfekten Markt und einem paretooptimalen Gleichgewicht, das sich quasi von ganz allein durch das Handeln eigennutzorientierter, rational handelnder Akteure einstellen wird. Rückt man von diesem Standardmodell – und hierfür gibt es gute Gründe – ab, taucht das Problem der Ungewissheit auf. Hierbei handelt es sich keineswegs um ein neues Thema. Bereits Parsons/Shils/Allport (1951) sowie Luhmann (1984) haben sich mit Fragen der Ungewissheit befasst und in diesem Zusammenhang den Begriff der „doppelten Kontingenz“ geprägt. Damit ist gemeint, dass Egos Handeln stets vom Handeln anderer beeinflusst wird, wie umgekehrt. Ego ist zudem nicht in der Lage, das Handeln von Alter ganz genau vorher zu sehen und in seine Entscheidungen einzubeziehen. Folglich stellt sich die Frage, wie wechselseitige Erwartungen ausgebildet werden kön-

3.6 Zum Verständnis der Wirtschaft aus soziologischer Sicht

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nen, um das Problem der Ungewissheit einzugrenzen; was gerade in der Wirtschaft dann von Belang ist, wenn es um Entscheidungsprozesse oder die Konstitution von Märkten geht. Zwar haben auch die Wirtschaftswissenschaften versucht, dieses Grundproblem theoretisch in den Griff zu bekommen, allerdings – so lässt sich Beckert interpretieren – erweisen sich ihre Antworten aus einer wirtschaftssoziologischen Perspektive nicht als zufriedenstellend. Obwohl also in der Ökonomie der Relevanz von Institutionen bzw. der Ausbildung institutioneller Regelungen durchaus mehr Aufmerksamkeit zugemessen wird, fällt doch auf, dass sie die Entstehung dieser Ordnungsrahmen primär funktionalistisch erklärt und nur über ein recht enges Verständnis von Institutionen verfügt. Demgegenüber ist die Wirtschaftssoziologie weitaus eher in der Lage zu erkennen und genauer zu untersuchen, wie das Handeln von Akteuren durch historisch gewachsene soziale, politische und kulturelle Kontexte bzw. soziale Makrostrukturen beeinflusst wird. Die Stärke einer solchen wirtschaftssoziologischen Analyseperspektive besteht darin, dass sie eben nicht nur die Handlungsmotive der Akteure berücksichtigt, wie es der Mainstream der auf individualistischem Programm basierenden Wirtschaftswissenschaften macht, sondern auch der Struktur der Handlungssituation Rechnung trägt: „Der unverkennbare soziologische Beitrag der Wirtschaftssoziologie läßt sich dann in der Analyse der Erwartungsstrukturen erkennen, auf die sich Akteure für die Reduktion von Ungewißheit in Entscheidungsprozessen beziehen“ (Beckert 1996: 141). Sicherlich kann man darüber streiten, ob die Problematik der Ungewissheit tatsächlich im Zentrum wirtschaftssoziologischer Konzepte stehen sollte. Lässt man sich jedoch auf eine solche Position ein, dann bietet sie Anknüpfungspunkte für weitere Überlegungen und liefert eine Ausgangsbasis zur Analyse wirtschaftlichen Handelns, das eben nicht – wie Beckert (2009) betont – vollständig abgekoppelt werden kann von der Gesellschaft, denn die Konstitution der wirtschaftlichen Ordnung ist immer zugleich Teil der gesellschaftlichen Ordnung. Der Vorzug dieses Erklärungskonzeptes liegt auf der Hand, wirtschaftliches Handeln kann nur unter Bezugnahme auf gesellschaftliche Strukturen, Macht und institutionelle Rahmenbedingungen untersucht werden. Betont wird in diesem Zusammenhang explizit, dass damit nicht gemeint ist, wirtschaftliches Handeln sei durch gesellschaftliche Institutionen vollständig determiniert (und folglich kalkulierbar). Zwar können soziale Makrostrukturen reziproke Handlungserwartungen schaffen und hierdurch Unsicherheit reduzieren, das Problem der Ungewissheit wird hierdurch jedoch nicht aus der Welt (bzw. der Wirtschaft) geschafft, es bleibt „im Handlungshorizont der Akteure immer erhalten“ (ebd.: 11). Dennoch ist der Charme eines solchen Ansatzes nicht zu übersehen, da hier – wie in kaum einem anderen Ansatz – die Stärken soziologischer Erklärungsfaktoren zum Verständnis der Wirtschaft ins Zentrum gerückt werden; angefangen von der Relevanz institutioneller, sozialstruktureller und kultureller Makrostrukturen, über die Bedeutung von Machtstrukturen und ökonomischen Machtverteilungen, bis hin zur Wahrnehmung wirtschaftlichen Handelns als soziales und politisches Handeln (vgl. Beckert 2009: 17). Der Ansatz stellt sich nicht nur mit Vehemenz einem ökonomischen Imperialismus entgegen, er zeigt auch, dass soziologische Erklärungen Aufschluss über wirtschaftliche Phänomene, wie etwa die Genese, die Regulation und den Wandel von Märkten, geben können.

4

Produktion und Konsumtion

Die Trennung von Haushalt und Erwerb und die damit einhergehende Unterscheidung zwischen einem geldlichen (monetären) und einem stofflichen Wirtschaftskreislauf gelten als charakteristisch für die Wirtschaft der modernen Gesellschaft. Haushalte tauchen in diesem Modell nicht als Produzenten67, sondern als Nachfrager (Konsumenten/Verbraucher) von Gütern und Dienstleistungen sowie als Empfänger von Einkommen auf. Sie werden zumeist mit Blick auf ihre Konsumtionsfunktion betrachtet; Unternehmen hingegen gelten in erster Linie als Anbieter geldlicher und stofflicher Leistungen (wie Güter und Dienstleistungen), gleichwohl sind auch sie Abnehmer von Produkten/Diensten anderer Unternehmen. Der Wirtschaftskreislauf, dessen Ergebnisse die Basis zur Berechnung der volkswirtschaftlichen Gesamtleistung (Bruttosozialprodukt68) bilden, erweist sich bei näherer Betrachtung als ein vielfältig ineinander verflochtenes Konstrukt, welches nicht einfach zu entschlüsseln ist. Ziel der weiteren Ausführungen ist es, zum einen die Sphäre der (4.1) Produktion und zum anderen die der (4.2) Konsumtion aus einer wirtschaftssoziologischen Perspektive näher zu betrachten. Beginnen wollen wir mit der Entstehung und Bedeutung von Unternehmen und dem Wandel der Organisation der Produktion.

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Nicht registriert werden in diesem Kreislaufmodell wirtschaftliche Eigenleistungen (z.B. Schwarzarbeit) und unentgeltliche Tätigkeiten (z.B. Nachbarschaftshilfe, ehrenamtliche Aktivitäten). Unberücksichtigt bleibt auch die immer noch zumeist von Frauen erbrachte unentgeltliche Hausarbeit, da „nur zählt was Geld einbringt“ (Kontos/Walser 1979) (vgl. hierzu Teil 5). Ausgeblendet werden in diesem Modell darüber hinaus ökologische Aspekte. D.h. die kostenfreie Nutzung der Umwelt und die damit einhergehenden Folgen, wie etwa die Klimakatastrophe oder das Artensterben, spielen im Wirtschaftskreislauf keine Rolle. Erst wenn die durch die Produktion und Konsumtion verursachten Schädigungen der Umwelt selbst zum Gegenstand wirtschaftlichen Handelns werden, werden sie zu einem Thema der Wirtschaft. Ein Beispiel hierfür stellt der Handel mit EmissionsZertifikaten dar. Unter Bruttosozialprodukt wird die Gesamtleistung einer Volkswirtschaft in einem Zeitabschnitt (zumeist ein Jahr) verstanden (Bruttoinlandsprodukt/BIP). Die Berechnung basiert auf dem Wert der in dieser Zeit produzierten Waren und Dienstleistungen. Werden die Abschreibungen des Anlagevermögens hiervon abgezogen, ergibt sich hieraus das Nettosozialprodukt bzw. Volkseinkommen (Summe aller Erwerbs- und Vermögenseinkommen). Erst in jüngster Zeit wird darüber nachgedacht, dem BIP einen weiteren Indikator zur Seite zu stellen, der Auskunft über die Qualität des Wachstums geben soll. Hierzu wurde im Jahre 2010 eine Enquete Kommission des deutschen Bundestages gebildet, deren Name „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ Programm ist. Sie soll innerhalb von zweieinhalb Jahren die Maßzahl des ökonomisch und quantitativ ausgerichteten BIP um ökologische, soziale und kulturelle Kriterien ergänzen.

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4 Produktion und Konsumtion

4.1

Produktion

4.1.1

Die Entstehung der organisationsförmigen Produktion

Sich die Wirtschaft ohne eine organisationsförmige Produktion vorzustellen, ist heute eigentlich kaum noch möglich. Das Unternehmen – oder je nach Sichtweise der Betrieb69 – gilt als der zentrale Ort, an dem Güter- und/oder sonstige Leistungen erzeugt werden. In der Betriebswirtschaft wird unter Betrieb (bzw. Arbeitsorganisation) nur die ‘reine’ Produktionsstätte verstanden, die Güter oder Dienstleistungen erstellt (z.B. MP3-Player oder Haushaltswaren). Es handelt sich um den Ort, an dem die drei Elementarfaktoren – Arbeitsleistung, Betriebsmittel und Werkstoffe – mittels ausführender (dispositiver) Arbeit kombiniert werden (vgl. Gutenberg 1983). Hiervon abgegrenzt wird das Unternehmen. Von einem Unternehmen wird gesprochen, wenn ein Betrieb eine Rechtsform aufweist, also z.B. als Kapitalgesellschaft (GmbH, Aktiengesellschaft etc.) firmiert. Ein Unternehmen stellt eine rechtlich, wirtschaftlich und finanziell selbständige Wirtschaftseinheit dar. Bereits bei Max Weber findet sich eine ähnliche Differenzierung: Mit Betrieb ist eine Form des wirtschaftlichen Handelns gemeint, insbesondere eine (arbeits-)technische Koordinationsleistung. Der Begriff des Unternehmens wird hingegen verwandt, um die Art der wirtschaftlichen Orientierung am Gewinn zum Ausdruck zu bringen (vgl. Weber 1980). Unternehmen als rechtlich, wirtschaftlich und finanziell selbständige Wirtschaftseinheiten haben sich – wie die meisten anderen Organisationen – erst im Zuge des Übergangs zur Moderne herausgebildet. Die Verbreitung moderner Unternehmen hat viele Ursachen, die noch längst nicht alle hinreichend geklärt sind (vgl. Maurer 2008b). Folgt man Weber (1980), entstanden Unternehmen im Kontext der Rationalisierung der westlichen Welt, also der Ausbreitung des modernen Betriebskapitalismus, dem die Auflösung feudaler Dorfgemeinschaften und ständischer Zünfte vorausging. Es kam zu einer räumlichen Trennung von Arbeits- und Lebenssphäre bzw. von Erwerbsarbeit/Arbeitsstätte und Familie/Haushalt (vgl. auch Teil 2). Während in den mittelalterlichen Körperschaften, ob Zunft oder Dorfgemeinschaft, Menschen quasi als „ganze Person“ involviert waren und ihr Platz in der Gemeinschaft vorherbestimmt war, lös-

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In der Arbeits- und Industriesoziologie werden die Begriffe Betrieb und Unternehmen nicht so scharf voneinander getrennt; zumal es ihr in erster Linie nicht um rechtliche oder rein wirtschaftliche Fragen geht. Von Interesse sind vielmehr die sozialen Prozesse und Strukturen, die mit der Organisation von Arbeit verbunden sind. Die Notwendigkeit der Unterscheidung stellte sich auch deshalb nicht, weil der betriebliche Produktionsprozess „in keinem Fall unabhängig vom unternehmerisch-wirtschaftlichen Kalkül gesehen“ wurde, sondern immer als „Einheit von Arbeits- und Verwertungsprozess“ (Littek/Rammert/Wachtler 1982: 112). In aktuellen Konzepten wird wieder für Differenzierungen zwischen Betrieb bzw. Arbeitsorganisation, dem in Anlehnung an Henry Mintzberg (1979) „operativen Kern“ komplexer Organisationen, und der Unternehmens- bzw. Wirtschaftsorganisation plädiert. Mit Blick auf das Funktionssystem der Wirtschaft unterscheidet z.B. Walther Müller-Jentsch zwischen vier relevanten Prototypen der Organisation: Arbeitsorganisation (der Betrieb), Unternehmensorganisation, Unternehmensnetzwerk und Interessenorganisation (Müller-Jentsch 2003). Während die Trennung zwischen Arbeitsorganisation und Unternehmensorganisation plausibel ist, erweist sich die Definition von Unternehmensnetzwerken als Organisation als strittig. So gibt es eine Reihe von OrganisationsforscherInnen, die in Netzwerken eine eigenständige Form der Koordination sehen, die weder mit dem Markt noch mit der Organisation vergleichbar ist (vgl. u.a. Powell 1996; siehe auch Teil 3.3). Im Text wird von beiden Bezeichnungen – Unternehmen und Betrieb – Gebrauch gemacht.

4.1 Produktion

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ten sich mit dem Zerfall der feudalen Strukturen die durch die Gemeinschaft vorgegebenen oder durch den Stand bedingten Zugehörigkeiten weitgehend auf. Es wurden Grundrechte festgeschrieben, so dass aus Leibeigenen Personen mit eigenen Rechten wurden. Fortan war es möglich, Verträge – also auch Arbeitsverträge – abzuschließen und z.B. vor Gericht als Rechtsperson behandelt zu werden. Im Unterschied zur Zunft oder gar zur Dorfgemeinschaft sind für moderne Organisationen – korporative Akteure, wie James S. Coleman (1979) sie nennt – freiwillige Ein- und Austrittsregelungen charakteristisch, womit bereits ein wesentliches Definitionskriterium70 benannt ist. Moderne Organisationen (insbesondere privatwirtschaftliche Unternehmen), Privateigentum und Vertragsfreiheit gelten bis heute als wesentliche Elemente kapitalistischer Marktwirtschaften. Letztendlich ist die Entstehung von Unternehmen auf das Zusammenwirken einer Vielzahl von Faktoren zurückzuführen. Hierzu gehören u.a. die zunehmende Urbanisierung und gesellschaftliche Arbeitsteilung, der technische Fortschritt und die Auflösung früherer Produktionsformen (Verlagswesen und Heimarbeit). All dies ging zunächst einher mit der flächendeckenden Ausbreitung von Manufakturen und später von Fabriken sowie Dienstleistungsunternehmen – angefangen von Warenhäusern bis hin zu Banken und Versicherungen. Mittlerweile wird ein Großteil der Produkte und Dienstleistungen organisationsförmig erbracht. Selbst klassische Reproduktionsaufgaben (wie Einkaufen und Essen kochen), finden nicht mehr ausschließlich im Haushalt statt, sondern in Kantinen, Fast-Food-Restaurants und Bistros. Im Zuge der voranschreitenden Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert haben vor allem große Organisationen – insbesondere in der Produktion, aber auch im Dienstleistungssektor (z.B. im Handel) – an Einfluss gewonnen. Hierbei handelt es sich um eine historisch neuartige Form der Organisation von Arbeit und Produktion. Die große Fabrik wird quasi zu einem Markenzeichen der Industrialisierung. Typisch für die organisationsförmige Produktion ist ein hohes Maß an Arbeitsteilung, eine hierarchisch-pyramidale Organisationsstruktur, eine Ökonomisierung der Zeit sowie eine Orientierung am Prinzip der Kosten-NutzenOptimierung. Eine häufig angeführte Erklärung ihrer Entstehung lautet: Unternehmen ermöglichen eine effektive Herstellung von Gütern und Dienstleistungen. Prägend für das Bild der modernen Wirtschaft ist daher das große, hierarchisch strukturierte Unternehmen, das als machtvoller und einflussreicher Akteur wahrgenommen wird. Begründet werden die Effektivitätsvorteile der modernen Organisation mit den Vorzügen einer rationalen, sachlich-formalen, in der Regel hoch arbeitsteiligen Organisationsstruktur. Coleman (1979) zufolge handelt es sich bei Organisationen – also auch bei Wirtschaftsorganisationen – in erster Linie um rationale Problemlösungsversuche von Menschen, die hierdurch Vorteile erzielen wollen. Dabei ignoriert er keineswegs die gerade in Wirtschaftsorganisationen vorherrschende Asymmetrie, nämlich dass bestimmte Akteure (Unternehmer) in 70

Es gibt eine Vielzahl von Organisationsbegriffen. Gleichwohl lassen sich durchaus einige Gemeinsamkeiten im Hinblick auf die Eigenschaften und Merkmale von Organisationen ausmachen. So stimmen viele Definitionen darin überein, dass Organisationen erstens keine flüchtigen Erscheinungen darstellen, sondern im Prinzip auf Dauer angelegt sind, zweitens über einen angebbaren Mitgliederkreis verfügen und damit von ihrer Umwelt abgrenzbar sind, jedoch prinzipiell freie Ein- und Austrittsmöglichkeiten aufweisen und drittens spezifische Zwecke und Ziele verfolgen sowie intern spezifische Strukturen und Prozesse herausbilden, die ihnen bei der Verwirklichung von Zielen dienen (vgl. u.a. Mayntz 1963; Türk 1978; Endruweit 2004).

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4 Produktion und Konsumtion

der Lage sind, andere für sich arbeiten zu lassen. Im Zentrum seiner Argumentation steht allerdings der Aspekt der Leistungssteigerung und Effektivität. Hierarchische Unternehmen sind demnach am besten in der Lage, Handlungen so zu koordinieren, dass Erträge erwirtschaftet werden können, von denen – wie Coleman meint – am Ende alle, Arbeitnehmer durch Löhne und Unternehmer durch Gewinne, profitieren. Aus einer solchen Perspektive geht es einzig und allein um die „effiziente Nutzung von Ressourcen“ (Maurer 2008b: 32). Coleman blendet damit jedoch – wie Maurer konstatiert – aus, dass „solche Austauschbeziehungen zu Ausbeutung, Entfremdung und stabilen, aber als ungerecht bzw. unvorteilhaft bewerteten Machtverhältnissen und Ungleichheitsstrukturen führen können“ (ebd.). Demgegenüber betonen andere – wie Karl Marx, aber auch Karl Polanyi, Charles Perrow und Neil Fligstein – an erster Stelle den Herrschafts-, Kontroll- und Ausbeutungscharakter des kapitalistischen Wirtschaftsbetriebes. Sie begreifen Unternehmen als „Ort von Macht und Konflikt“ (Maurer 2008b). Schließlich verfügt der in betrieblichen Organisationen bzw. Unternehmen tätige „freie“ Lohnarbeiter nur über eine (einzige) Ware, seine Arbeitskraft. Ihr Verkauf ist für ihn überlebenswichtig.71 Gerade betriebliche Organisationen sind folglich nicht nur Bereiche effizienter Kooperation, sondern immer auch Herrschaftsinstrumente. Entstanden sind so Orte „des kontrollierten legitimen Zugriffs auf Arbeit (…), Zentren der Ansammlung von Produktionsmitteln (materieller wie immaterieller Art) und disparitärer Verfügungsrechte über diese“ (Bruch/Türk 2005: 301). Was ihre Ausbreitung letztendlich wirklich vorangetrieben hat – ob es sich um die unschlagbare Effektivität der formal-hierarchischen Organisation handelt oder die Durchsetzung einer adäquaten Form der Machtausübung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft (vgl. u.a. Bruch/Türk 2005) – ist bis heute strittig und eine Frage des theoretischen Standpunktes. Generell stellt die Organisation, wenngleich ihre Grundlagen zum Teil schon im Mittelalter geschaffen wurden, „ein spätes Produkt sozialer Wandlungsprozesse“ (Gabriel 1979: 309) dar, das selbst Einfluss auf den gesellschaftlichen Wandel ausübt. Für Perrow (1996) handelt es sich um den zentralen Faktor, der die Gesellschaft nachhaltig verändert hat. Danach haben große arbeitgebende Organisationen den Großteil der Tätigkeiten, die früher von relativ autonomen, meist kleinen, informellen Gruppen (wie z.B. der Familie, Nachbarn usw.), Gemeinden oder dem Kleingewerbe ausgeführt wurden, übernommen (vgl. Perrow 1996: 77). Aus einer solchen Perspektive sind es in erster Linie Organisationen, die über das Wohl und Wehe einer Gesellschaft bestimmen, was sich in der Bezeichnung „Organisationsgesellschaft“ widerspiegelt. Die Organisation – und mithin die organisationsförmige Produktion – stellen demnach den Schlüssel zum Verständnis von Gegenwartsgesellschaften dar. Unternehmen waren und sind mehr als nur Orte der (effizienten) Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Sie sind immer auch ‘komplexe soziale Gebilde’, in denen nicht nur formelle, sondern auch informelle Strukturen, Macht und Konflikte eine große Rolle spielen. Hier werden Entscheidungen getroffen, die zum Teil weit über die betrieblichen Grenzen hi71

Das Ausmaß der Angewiesenheit auf den Arbeitsmarkt wie auch die Form der Dekommodifizierung von Arbeitskraft ist abhängig von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Gering ist der sozial- und arbeitsrechtliche Schutz in neoliberalistischen Marktgesellschaften, höher in Ländern mit einer aktiven wohlfahrtsstaatlichen Politik (vgl. Teil 6.2).

4.1 Produktion

121

naus erhebliche Ausstrahlungseffekte auf die Gesellschaft (andere Teilsysteme) haben können. Mithin sind es Organisationen, die einen entscheidenden Einfluss auf die Chancen der Teilhabe am Erwerbsleben (materielles Auskommen und Anerkennung), das Zusammenspiel von betrieblicher und außerbetrieblicher Lebenswelt, ja sogar die Aufhebung bzw. Reproduktion traditioneller Geschlechterordnungen haben (vgl. Teil 5). Gleich welche thematischen Schwerpunktsetzungen und theoretischen Sichtweisen bei der Erforschung der Organisation auch eingenommen werden, in einem Punkt herrscht ein hohes Maß an Übereinstimmung: Organisationen sind aus der modernen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. So findet die Herstellung von Produkten und Dienstleistungen ebenso wie die Ableistung von Erwerbsarbeit noch immer größtenteils im Rahmen von Unternehmen statt. Der „Siegeszug“ des Unternehmens ist offenbar – wie Maurer (2008b) konstatiert – „unaufhaltsam“ gewesen. Er hat uns die organisationsförmige Produktion von Gütern und Dienstleistungen bis hin zu Informationen und Wissen beschert. Das Resultat ist eine „weitgehende Durchsetzung privathierarchischer Regeln und Beziehungen im wirtschaftlichen Bereich, die auf das soziale Leben und die gesellschaftliche Koordination übergreifen“ (Maurer 2008b: 35). In Deutschland sind es nach wie vor große Organisationen, in denen die Mehrzahl der abhängig Beschäftigten (laut Berechnungen des Statistisches Bundesamtes fast 60 Prozent) tätig ist; wenngleich sie auch nicht die Mehrzahl der Unternehmen stellen. So gibt es nicht nur große Kapitalgesellschaften, sondern auch viele mittelständische und kleine Familienunternehmen. Geht man von der Definition der Europäischen Kommission aus, dann gehören nicht einmal ein Prozent der Unternehmen zu den Großen72; dennoch wird das Bild der modernen Wirtschaft maßgeblich durch sie bestimmt. Während in der Landwirtschaft die Zahl der Großbetriebe bis heute stetig zunimmt, sind im Dienstleistungsbereich eher kleine und mittelgroße Betriebe vorzufinden. In der Industrie lässt sich seit einigen Jahren eine Abnahme von Betrieben mit mehr als 1.000 Beschäftigten erkennen. Für diesen Prozess des „downsizing“ kann eine Vielzahl von Ursachen benannt werden, angefangen von klassischen Rationalisierungsmaßnahmen bis hin zu Reorganisationsprozessen, die darauf abzielen, ehemals unternehmenseigene Abteilungen im Rahmen von Outsourcing-Maßnahmen in eigenständige Cost- und Profit-Center umzuwandeln oder Produktionseinheiten gleich völlig an Subunternehmen auszulagern. In Anbetracht der Zentralität von Unternehmen, die das Erscheinungsbild moderner Gesellschaften nachhaltig prägen, kommt die Wirtschaftssoziologie nicht umhin, sich näher mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen und nach der Genese, Charakteristika, Strukturen und Widersprüchen der organisationsförmigen Produktion zu fragen. Einschlägig sind hier vor allem Arbeiten von Max Weber, der sich schon früh mit dem modernen kapitalistischen Wirtschaftsbetrieb auseinandergesetzt hat. Aufschlussreich zur Erlangung eines Grundverständnisses von Organisationen – und damit auch von Unternehmen – ist daher immer noch

72

Gemäß der Kommissions-Empfehlung wird ein Unternehmen als groß betrachtet, wenn es mehr als 249 Beschäftigte und mehr als 50 Millionen Euro Umsatz und/oder eine Bilanzsumme von mehr als 43 Millionen Euro hat (diese Definition gilt seit 2005).

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4 Produktion und Konsumtion

ein Blick auf sein Bürokratiemodell und die sich daran anschließenden kritischen Debatten wie auch Weiterentwicklungen (vgl. u.a. Swedberg 2009: 119 ff.; Maurer 2008b: 26 ff.). Unternehmensorganisationen: rational, hierarchisch, effizient? Betrachtet man Webers Idealtypus der Bürokratie, so lassen sich die Wesensmerkmale einer Organisation mit den Begriffen Zweckrationalität, Formalität und Unpersönlichkeit beschreiben. Das „Urmodell“ der modernen Organisation weist nicht nur eine klare Orientierung am Prinzip der Zweckrationalität auf, sondern auch eine streng hierarchische Formalstruktur, für die eine funktionale Arbeits- und Kompetenzverteilung charakteristisch ist. Dieser Idealtyp des koordinierten, berechenbaren Zweckhandelns galt lange Zeit als der Maßstab, an dem moderne Unternehmen sich ausrichten müssen, um im „rationalen Kapitalismus“ (Weber 1980) bestehen zu können. Vorherrschend war die Annahme, dass die Effizienz von Unternehmen um so eher sichergestellt werden kann, desto besser es gelingt, sie wie eine Art Maschine zu gestalten und zu steuern. Angestrebt werden muss ein Höchstmaß an Berechenbarkeit, da diese – so die Annahme – zu größtmöglicher Effizienz führt, was am ehesten erreicht werden kann, wenn es gelingt, „Liebe, Haß und alle (...) rein persönlichen, überhaupt alle irrationalen, dem Kalkül sich entziehenden, Empfindungselemente aus der Erledigung der Amtsgeschäfte“ auszuschalten (Weber 1980: 563). Hierzu erforderlich ist der „menschlich unbeteiligte (...), daher streng ‘sachliche (...)’ Fachmann“ (ebd.), der seinen Aufgaben mit kühlem Kopf, also „ohne ‘Liebe’ und ‘Enthusiasmus’“ (ebd.: 129), nachkommt. Weber betont in diesem Zusammenhang sogar ausdrücklich, dass das Streben nach Rationalität und „Berechenbarkeit“ ein zentrales Charakteristikum der modernen Kultur – wie des Kapitalismus generell – darstellt und am ehesten durch einen möglichst weitgehenden Prozess der „Entmenschlichung“ moderner Organisationen zu erzielen ist (vgl. ebd.: 563).73 Emotionen, Gefühle, wie überhaupt alles Soziale, einschließlich der Subjektivität der Beschäftigten, galten folglich als Gegenspieler der Rationalität, die einen Störfaktor in der Organisation darstellen und folglich zu eliminieren sind oder, sollte dies nicht gelingen, vom Management kontrolliert und kanalisiert werden müssen (vgl. u.a. Schreyögg/Sydow 2001). Diese Sicht auf Organisationen blieb nicht ohne Kritik. Schon früh gab es erste Studien, die belegen, dass z.B. Industrieunternehmen nicht nur aus formalen Strukturen, Regeln und hierarchischen Weisungskompetenzen bestehen, sondern ebenso informelle Strukturen aufweisen, die keineswegs nur durch rationales Handeln erzeugt werden (vgl. u.a. Münsterberg 1914; Mayo 1933; Roethlisberger/Dickson 1939). In jeder Organisation lassen sich demnach

73

An dieser Stelle sollte nicht ausgeblendet werden, dass, gleich ob es sich um Weber, Smith oder Taylor handelt, die Relevanz von Emotionen keineswegs vollends ignoriert worden ist. Auch Weber ist davon ausgegangen, dass in der modernen, rationalen, entzauberten Welt Leidenschaft und tief empfundene Emotionen wie charismatische Persönlichkeiten von entscheidender Bedeutung sind, um einen radikalen sozialen Wandel zu bewirken und nicht an bürokratischen Strukturen zu ersticken (vgl. Flam 2002: 112). Weber versteht unter Leidenschaft intensive, dauerhafte, zwingende und konstruktive Emotionen, die Individuen dazu verhelfen, Ziele zu erreichen und bezeichnet sie daher sogar als „Hebamme der Rationalität“. Emotionen stellen somit nicht nur ein „Rationalitätshindernis“ dar, sondern können auch genau den entscheidenden Impuls liefern, der notwendig ist, um überhaupt eine (rationale) Entscheidung treffen zu können (vgl. Ortmann 2001: 290). Dies ändert aber nur wenig an dem Sachverhalt, dass der kühl kalkulierte Rationalisierungsprozess der Moderne das Leitbild der rationalen Organisation hervorgebracht hat.

4.1 Produktion

123

informelle Formen der Kooperation, Normen und Konflikte sowie auch unterschiedlichste Emotionen ausmachen, die das Organisationsgeschehen beeinflussen. Organisationen sind folglich immer auch soziale Gebilde, „Kollektive, die sich in spontanen, ungelenkten Prozessen entwickeln“ (Scott 2006: 203). Diese Sicht setzte sich nur allmählich durch. Ganz verdrängt hat sie die Vorstellung von der Organisation als rationalem Apparat (Maschinenmodell) mit festgelegten Zielen, einer klaren Aufgabenverteilung und Hierarchien, die darauf abzielen, Unvorhersehbarkeiten weitgehend auszuschließen (Absorption von Unsicherheit), bis heute nicht. Diese Aufgabe wurde schon früh dem Management zugewiesen, das folglich nicht nur Koordinations-, sondern auch Kontrollaufgaben wahrzunehmen hatte, also dafür Sorge tragen sollte, dass Beschäftigte den formellen, standardisierten Arbeitsanweisungen Folge leisten, ihr Handeln berechenbar bleibt und nicht zur Störquelle wird. Man könnte die Geschichte der Organisation von Arbeit daher auch als einen Versuch interpretieren, zu immer aufwändigeren und intelligenteren Kontrollsystemen zu gelangen, um das so genannte „Transformationsproblem“74 zu lösen. Blickt man zurück, so waren es zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch recht einfache Managementkonzepte, die hierzu einen Beitrag leisten wollten und – aus heutiger Sicht – eine recht große Wirkungsmacht auf die Organisation der Arbeit und Produktion entfaltet haben. Zu nennen ist die von Frederick Winslow Taylor entwickelte wissenschaftliche Betriebsführung („scientific management“), die die Realgeschichte der Industrialisierung (ebenso wie der Fordismus) stark beeinflusst hat und bis heute einen Referenzpunkt für Debatten über effiziente Formen der Arbeitsorganisation darstellt (siehe auch die aktuelle Diskussion zum Thema Neo-Taylorismus). Angesichts der recht großen Ausstrahlungskraft dieses Konzepts soll hierauf im Weiteren etwas genauer eingegangen werden.

4.1.2

Vom Taylorismus zum Fordismus

Taylorismus Der Begriff des Taylorismus wurde in den 1920er Jahren zum Inbegriff der Rationalisierung von Arbeitsorganisationen. Taylor nannte seine Managementlehre ganz bewusst „wissenschaftliche Betriebsführung“, um sie von früheren Managementkonzepten deutlich abzugrenzen und um hervorzuheben, dass sein Konzept auf der Basis wissenschaftlicher Methoden (z.B. des Experiments) entwickelt wurde (vgl. Taylor 1913). Zu den wichtigsten Elementen gehören die systematisierende Beobachtung, Messung sowie eine auf Optimierung der Leistungsergebnisse bezogene Normierung und Standardisierung von Arbeitskraft, Arbeitsorganisation und Technik. Primäres Ziel der Taylorschen Konzeption war es, zu einer

74

Mit der Problematik der Transformation von Arbeitskraft in Arbeit ist gemeint, dass es betrieblichen Organisationen gelingen muss, Beschäftigte dazu zu bewegen, ihre Arbeitskraft im Sinne der betrieblichen Anforderungen zu verausgaben. Mit dem Abschluss von Arbeitsverträgen werden zwar Bedingungen des Kaufs bzw. Verkaufs von Arbeitskraft festgelegt, z.B. die Entlohnung oder die Dauer der Arbeitszeit, sie bleiben aber immer unvollständig. Kein Arbeitsvertrag ist genau spezifizierbar und in der Lage, „sämtliche Arbeitsleistungen im Vorhinein bis ins letzte Detail“ (Deutschmann 2002: 97) festzulegen. Aus dieser Offenheit des Arbeitsvertrages resultiert das Problem, „den Arbeiter als Subjekt der Arbeitskraft zu dieser Mitwirkung (an der betrieblichen Aufgabenerfüllung, M.F.) zu veranlassen“ (Berger/Offe 1982: 352). Hierbei handelt es sich stets um einen sozialen Prozess.

124

4 Produktion und Konsumtion

Steigerung der Arbeitsproduktivität durch die Vermeidung unökonomischer Arbeitsvollzüge bzw. zu einer optimalem Arbeitsgestaltung zu gelangen. Zentral war die Bekämpfung von Leistungszurückhaltung („loafing“). Hier ist es wichtig daran zu erinnern, dass das Wissen des Managements über Arbeitsabläufe seinerzeit noch recht gering war. Folglich war es auf das Erfahrungswissen der Arbeiter angewiesen, denn sie waren es, die Arbeitsläufe planten, Werkzeug auswählten und Maschinen bedienten. Taylor sah in der Kompetenz der Beschäftigten ein Grundübel, zumal sie seines Erachtens nur zur „Drückebergerei“ führt. Er war davon überzeugt, dass das Management über objektiviertes Wissen hinsichtlich des Ablaufs der Produktion verfügen muss, um Arbeitsanweisungen erteilen sowie eine quantitative und qualitative Verbesserung von Arbeitsleistungen gewährleisten zu können. Mit anderen Worten: Das Wissen um die beste Arbeitsdurchführung muss beim Management liegen und nicht bei den Arbeitern. Folglich müssen ihnen nach Möglichkeit alle Kontroll- und Entscheidungsmöglichkeiten über den Arbeitsablauf entzogen werden, da nur so „mangelnde Disziplin“, „Faulheit“ und „Arbeitsverweigerung“ verhindert werden können. Taylor war davon überzeugt, dass es auf Basis seines Systems sogar möglich ist, am Ende zu einer Aussöhnung zwischen den Interessen von Unternehmensleitung und Arbeitern zu gelangen, da die von ihm entwickelte wissenschaftliche Methode dazu beitrage, dass Arbeiter ihrer Leistungskraft entsprechend eingesetzt werden und dafür einen angemessen Lohn erhalten. Zu den zentralen Prinzipien des Taylorschen Konzeptes gehören: 1. Trennung von Planung und Ausführung bzw. Hand- und Kopfarbeit: Aufgabe des Managements ist es, das Wissen und die Erfahrungen der Arbeiter zu sammeln, zu sichten, zu tabellieren und sodann auf bestimmte Gesetze, Regeln und sogar mathematische Formeln zu reduzieren, um am Ende zu einem optimalen Arbeitsergebnis zu gelangen. Die Überführung von Faustregeln in arbeitsorganisatorische Regeln hat auf der Basis von Zeitstudien zu erfolgen.75 Sie sollten zu einer genauen Erfassung von Arbeitsabläufen und einer Festlegung genauer Arbeitsvorgaben führen, so dass das Wissensmonopol und damit die Kontrolle über den Arbeitsprozess ausschließlich beim Management liegen. Als notwendig hierzu wurde die Einrichtung eines Arbeitsbüros angesehen, dessen Aufgabe darin bestehen sollte, den Zeitaufwand für alle Arbeiten zu errechnen. Der klassische Meister, der als Generalist galt und für alles zuständig war, sollte durch ein differenziertes Funktionsmeistersystem ersetzt werden. Jedem Funktionsmeister kommt hierbei eine spezielle Aufgabe zu; der Zeitmeister ist 75

Zu Taylors bekanntesten Schülern zählten Frank B. und Lilien Gilbreth sowie H.L. Gantt, die den Zeit- Bewegungsstudien hinzufügten. Den Ausgangspunkt bildete eine Klassifizierung der Grundbewegungen des Körpers, die als Bausteine jeder Arbeitstätigkeit angesehen wurden. Hierbei handelt es sich etwa um Sitzen, Gehen, Bücken, Halten. Diese Bewegungsabläufe werden in Form von Symbolen, Farbcodes und 10.000tel Minuten genauen Zeitwerten erfasst. Man spricht auch in Umkehrung des Namens von Gilbreth von „therbligs“. Ziel ist es, alle Arbeiten in solche Elementarbewegungen zu unterteilen, die zweckmäßigsten Bewegungen zu ermitteln und alle überflüssigen Bewegungen auszuschalten. Jeder in dieser Art und Weise optimierten Bewegung wird eine Standardzeit zugeschrieben, aus der sich – unter Berücksichtigung einiger Zeitzuschläge für Pausen und betriebsbedingte Störungen usw. – die so genannte Normalarbeitszeit ergibt, die für die Ausführung einer Tätigkeit aufgewendet werden sollte. Die so berechnete Normalleistung stellt wiederum die Grundlage der Lohnbemessung dar. Es geht also um Bewegungsvereinfachungen, -verdichtungen und ihre -mechanisierung. Einen großen Bekanntheitsgrad erzielte das MTM-System (Methods-Time-Measurement) von M.T.M. Associations of Standards and Research, Ann Arbor, Michigan, das mit einem 100.000tel einer Stunde rechnet und Eingang in eine Reihe von Unternehmen fand.

4.1 Produktion

125

ausschließlich für die Zeitmessung zuständig, der Instandhaltungsmeister für die Wartung von Maschinen, der Materialmeister für die Beschaffung von Arbeitsmaterialien usw. Nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Meister und Vorarbeiter sollten Taylor zufolge von „aller geistiger und Schreibarbeit befreit“ werden (vgl. Taylor 1920). Im Kern zielte das System auf eine Form der Arbeitsausführung, die nach klaren Anweisungen erfolgen sollte („onebest-way“-Prinzip), was mit einer strikten Kontrolle der Beschäftigten einherging. 2. Pensum und Bonus: Ein „wissenschaftlich“ ermitteltes Leistungspensum bildet die Grundlage des Leistungslohnes, d.h. es besteht eine Bindung des Entgelts an die Arbeitsergebnisse. Die Vergabe einer Prämie bzw. eines Bonus soll dazu beitragen, dass die Arbeiter sich tatsächlich bemühen, die vorgegebene Tagesleistung zu erbringen. Werden die vorgeschriebenen Verfahren eingehalten und die vom Arbeitsbüro festgelegten Zeiten erfüllt (z.B. der errechnete Stückakkord), sind Lohnsteigerungen von 30 bis 100 Prozent möglich. Taylor war davon überzeugt, dass seine Methoden universell seien und keineswegs zu gesundheitlichen Schäden führen. Am Beispiel eines Roheisenverladers versuchte er zu beweisen, dass das Pensum-System zu höheren Leistungen ohne größere Anstrengungen beiträgt. So verlud der von ihm für ein Experiment ausgewählte Arbeiter anstatt 12,5 t Roheisen am Ende 47,5 t pro Tag. Diese Leistungssteigerung führt Taylor darauf zurück, dass entsprechend seiner Vorgaben gearbeitet wurde und dabei alle überflüssigen Bewegungen vermieden werden konnten. Taylors System ist verbunden mit hoher Disziplinierung und Überwachung der Arbeiter, Fremd- statt Selbstbestimmung und einer Verschärfung des Arbeitstempos. 3. Auswahl der Arbeiter: Taylor verfolgte das Ziel, einen erstklassigen „Arbeitsstamm“ zu schaffen. Hierzu wurden – gemäß dem Grundsatz: „der beste Mann am besten Platz“ – entsprechende Tests durchgeführt. Am Beispiel der Roheisenverladung wird das Prinzip der Bestenauslese deutlich. Hierzu heißt es bei Taylor: „So war unter 75 Roheisenarbeitern tatsächlich nur ein Mann von acht körperlich fähig, 47 1/5 t pro Tag zu verladen. Mit dem besten Willen konnten die anderen sieben nicht Schritt halten. (…) der achte (…) war mehr vom Schlag eines Stieres, (…) so einfältig, dass er für die meisten Arbeiten unbrauchbar war“ (Taylor 1913: 64 f.). Obgleich der Taylorismus Effizienz- und Produktivitätssteigerungen verhieß, war ihm kein schneller Erfolg beschieden. Hierfür sind verschiedene Gründe anzuführen: Zum einen wehrten sich die Arbeiter gegen das neue System, das ihnen ihre Autonomie nahm. Zum anderen – so der Historiker Jürgen Kocka – befürchteten speziell in Deutschland die EigentümerUnternehmer Machtverluste durch die Kompetenzzuwächse der „scientific manager“; hierbei handelte es sich in erster Linie um Ingenieure. Hinzu kam der Widerstand der Gewerkschaften. Selbst im Ursprungsland, den USA, war der Taylorismus lange umstritten. So fand 1912 ein Hearing im US-Kongress statt, das klären sollte, ob Taylors System ethisch überhaupt vertretbar sei. Taylor selbst war davon überzeugt, dass die Anwendung seines Systems zu einer Erhöhung des Wohlstandes führt, denn aufgrund des durch die Umstellung der Arbeitsorganisation zu erzielenden Produktivitätszuwachses waren auch Lohnzuwächse möglich. Mithin sei es sein Ziel, unternehmerische Willkür im Produktionssystem zu vermeiden und gesicherte Richtwerte für ein zumutbares Arbeitspensum einzuführen, also Objektivität herzustellen.

126

4 Produktion und Konsumtion

Wenngleich die Kritik am Taylorschen Arbeitssystem, die sich sowohl auf das methodische Vorgehen als auch das hohe Maß der Arbeitsteilung und Arbeitsverausgabung bezog, andauerte, konnten letztendlich doch einige Erfolge verbucht werden. Selbst unter Gewerkschaftern stieß Taylor nicht nur auf Ablehnung, zumal sein System eine Alternative zu der seinerzeit vielfach vorherrschenden „Meisterwillkür“ darstellte. So erfuhren ingenieurwissenschaftliche Methoden der Arbeitsorganisation à la Taylor allmählich an Akzeptanz. In Deutschland kam es 1924 zur Gründung des Reichsausschusses für Arbeitszeitermittlung (REFA; heute: Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung e.V.). Seine Aufgabe bestand darin, zur Weiterentwicklung der Zeit- und Bewegungsstudien beizutragen und Ingenieure auszubilden, die in der Lage sind, das Taylorsche System in der Arbeitspraxis anzuwenden. Fordismus Der eigentliche Durchbruch des Taylorismus erfolgte erst mit der Verbreitung der Massenproduktion.76 Große Relevanz kommt hier dem sogenannten „American System“ zu; der Fertigung großer Serien auf der Basis neuer arbeitsorganisatorischer Prinzipien. In den USA fand dieses System einer fabrikmäßigen industriellen Serienfertigung bereits in den 1840er Jahren in der Waffenproduktion, bei der serienmäßigen Herstellung von Nähmaschinen, landwirtschaftlichen Maschinen und Fahrrädern Anwendung; später dann in der Automobilindustrie, der Bekleidungsindustrie und der Elektroindustrie. Mithin stellt die aufkommende großindustrielle Massenproduktion das wohl bekannteste Anwendungsgebiet des „American Systems“ dar. Es zeigte sich, dass dort, wo der Arbeitsprozess eine Zerlegung in repetitive Teilarbeiten zulässt, sich auch die Einrichtung eines Arbeitsbüros rentiert und der Taylorismus konsequent anwendbar ist. So war das Taylorsche Modell eigentlich gar nicht für die Massenproduktion gedacht, sondern für die kostengünstige Herstellung kleiner und mittlerer Serien. Dennoch erwies sich eine gewinnbringende Anwendung letztendlich vor allem dort als vorteilhaft, wo die Losgrößen der Serien einen wirtschaftlichen Einsatz der Arbeitsvorbereitung erlaubten. Die Umsetzung von Taylors Prinzipien wird daher vielfach mit dem Fordismus in Verbindung gebracht, wenngleich dies auch nicht ganz korrekt ist: Während es im Taylorismus primär um die Optimierung der Organisation der Arbeit geht, zielt der Fordismus auf eine Reorganisation der gesamten Produktion ab, insbesondere auf ein hohes Maß der Standardisierung und Technisierung, und erstreckt sich zudem auf vor- und nachgelagerte Bereiche. Taylor schuf die arbeitsorganisatorische Grundlage der modernen Industriearbeit, Ford die technisch-organisatorische. So ist das 1913/14 in der Highland-Park-Fabrik in Detroit von Henry Ford eingeführte und weiterentwickelte Fließband als konsequente Fortsetzung der Taylorschen Methode verstanden worden. Damit wurde die Kombination von Taylorismus und Fordismus – das tayloristisch-fordistische Arbeits- und Produktionssystem – zu einem Leitbild für die aufkommende industrielle Massenproduktion.

76

Unter industrieller Massenproduktion wird in der Regel Folgendes verstanden: 1. die Herstellung standardisierter Produkte in großer Stückzahl zu günstigen Preisen (Prinzip der „economies of scale“), 2. eine Organisationsstruktur, die eine weitgehende Arbeitsteilung und den Einsatz von un- und angelernten Arbeitskräften ermöglicht, 3. Zeitökonomie, d.h. ein hohes Arbeitstempo und ein hohes Maß an Leistungsverausgabung, 4. eine Ausrichtung auf Massenmärkte.

4.1 Produktion

127

Abbildung 5: Tayloristisch-fordistisches Produktionssystem

Taylorismus

Fordismus

arbeitsorganisatorische Optimierung

technisch-organisatorische Reorganisation der Arbeit

Optimierung der Arbeitsabläufe mittels Zeit- und Bewegungsstudien

Trennung von Hand- und Kopfarbeit

Effizienzsteigerung (Pensum/Bonus)

hoher Technisierungsgrad

Massenproduktion

standardisierte, repetitive Teilarbeiten

tayloristisch-fordistisches Arbeits- und Produktionssystem

In Anbetracht der großen Ausstrahlungskraft dieses Produktionsmodells soll im Weiteren kurz auf Entstehungshintergründe und zentrale Charakteristika eingegangen werden. Wenn von Fordismus die Rede ist, so versteht man hierunter nicht nur eine spezifische Organisation der Arbeit wie der gesamten Produktion, sondern immer auch die Herstellung eines kostengünstigen Produkts für die „breite Masse“. Mit der Standardisierung, Mechanisierung und Fließbandfertigung war es möglich, die Produktionskosten zu senken und Produkte (Autos, Nähmaschinen, Waschmaschinen usw.) zum Massenkonsumgut zu machen. Ford gilt nicht nur als ein Vorreiter der Massenproduktion, sondern auch als einer der ersten Vertreter der Kaufkrafttheorie, der zufolge es nicht nur darauf ankommt Produkte herzustellen, sondern vielmehr auch eine Lohn- und Preispolitik zu betreiben, die dafür Sorge trägt, dass Produkte Käufer finden und Massenmärkte entstehen. Ford selbst war einer der ersten Automobilhersteller, der konsequent darauf hinarbeitete, für die Massen zu produzieren. So brach das in den Fordwerken im Jahre 1908 produzierte standardisierte Einheitsmodell eines Ford T (auch „Tin Lizzy“ genannt) schon bald alle bis dahin bekannten Verkaufsrekorde. Es war im Verhältnis zu anderen Automobilen preiswert (damals 850 US-Dollar, das Zweieinhalbfache des US Pro-Kopf-Einkommens im Jahr), reparaturfreundlich und robust. Der Erfolg auf dem Markt trug dazu bei, dass Ford über eine Verbesserung des Produktionssystems nachdenken musste, um noch höhere Stückzahlen produzieren zu können. Mittels einer weitgehenden Zerlegung des Arbeitsprozesses, einer hochgradigen Arbeitsteilung, einer genau festgelegten Arbeitsabfolge, des Einsatzes ungelernter Arbeitskräfte, der Nutzung von Spezialmaschinen sowie der späteren Einführung des Fließbandes gelang es ihm, die gewünschte Produktivitätssteigerung zu erzielen. So galt die Einführung des Fließbandes im Jahre 1913 als ein wichtiges Element, das die Entwicklung dieser neuen industriellen Fertigungsmethode der Massenproduktion vorangetrieben hat. Fortan gab das Fließband den Rhythmus der Arbeit

128

4 Produktion und Konsumtion

vor und wurde dazu verwand, einen eng getakteten Arbeitsablauf durchzusetzen. Die Produktion wurde hierzu in kleinste Schritte zerlegt, so dass die Arbeiter im Zyklus einer oder weniger Minuten die gleichen Handgriffe wiederholen mussten (repetitive Teilarbeit nach engen Taktvorgaben). Durch den Transport der Werkstücke per Fließband wurden überflüssige Wege (und Leerzeiten) vermieden; folglich erhöhte sich das Produktionstempo und es konnten Kosten eingespart werden. Charakteristika des Fordschen Produktionssystems: –

Herstellung preiswerter Standardprodukte für einen Massenmarkt



zentralisierte Produktionsorganisation: hoher Technisierungsgrad, hochgradige Arbeitsteilung, Standardisierung der Arbeitsaufgaben, geringe Taktzeiten, Einsatz des Fließbandes und angelernter Arbeiter („training on the job“), Zeitlohn



Prinzip der Vorwärts- und Rückwärtsintegration, d.h. Integration vor- und nachgelagerter Bereiche („visible hand“).

Bild 6: Fließbandproduktion in einer Fischfabrik (Fotograf: Gérard Blot)

© bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte

4.1 Produktion

129

Die Fordsche Produktionsorganisation führte, u.a. bedingt durch die Einengung von Arbeitsvollzügen auf wenige, immer gleiche Handgriffe, zu deren Ausführung nur eine kurze Unterweisung notwendig war, nicht nur zu einer weitgehenden Dequalifizierung der Beschäftigten, sondern auch zu einer Sinnentleerung der Arbeit. Die Arbeitsorganisation ließ nur wenig Identifikation mit der Arbeit aufkommen und trug nicht gerade zur Entstehung eines Qualitätsbewusstseins bei. Arbeitsunzufriedenheit, ein hoher Krankenstand, Absentismus und Fluktuation waren die Folgen. Die in den Fordwerken in Anbetracht dieser Probleme vorgenommene Verdoppelung des Lohnes auf den seinerzeit überdurchschnittlichen Betrag von fünf Dollar („five-dollar-day“) sowie die Verkürzung der Arbeitszeit auf 48 Stunden pro Woche bei sechs Arbeitstagen, trug zwar zur Verringerung der Fluktuation und des Absentismus von der Arbeit bei, verbesserte aber nicht den schlechten Ruf der Fließbandarbeit als „sinnentleerte Plackerei“. Was es für Menschen bedeutet, wenn sie sich dem Rhythmus des Fließbandes unterordnen müssen, hat Charles Chaplin in seinem Stummfilmklassiker „Modern Times“ eindrucksvoll gezeigt. Trotz der zum Teil recht massiven Kritik an den Arbeitsbedingungen fand die Fließbandproduktion nicht nur im Bereich der Automobilindustrie, sondern auch in vielen anderen Branchen, in denen es um die Herstellung großer Stückzahlen ging, rasch Verbreitung, wie etwa in der Textil- und Bekleidungsindustrie, Elektroindustrie und Lebensmittelproduktion.

4.1.3

Die Vielfalt von Produktionskonzepten – Abschied vom „one best way“

Wenngleich das Fordsche Produktionsmodell als das Leitbild der Massenproduktion angesehen wurde, zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass es parallel hierzu immer auch andere Konzepte zur Organisation der Produktion gegeben hat (vgl. u.a. Boyer/Freyssenet 2003). Selbst in der US-amerikanischen Automobilindustrie wurden alternative Entwicklungspfade beschritten. Zu nennen ist das Sloansche Modell, das sowohl auf eine Volumen- als auch eine Differenzierungsstrategie abzielte. Zwar finden sich dort ebenfalls mechanisierte Fertigungslinien, doch unterscheidet es sich vom Fordismus nicht nur aufgrund der größeren Produktvielfalt, sondern auch im Hinblick auf die Organisation der Arbeit, wie u.a. durch die Mehrfachspezialisierung und die den Beschäftigten abverlangten größeren fachlichen Kompetenzen. Hieraus folgt aber nicht, dass diese Form der Organisation der Arbeit keine Nachteile aufwies oder gar hohe Arbeitsstandards erfüllte, erst recht entpuppte es sich nicht – wie schon der Fordismus77 – als krisenresistentes Erfolgsmodell. Unabhängig davon bewahrte 77

Wirtschaftlich betrachtet erwies sich das Fordsche Produktionsmodell zunächst als eine Erfolgsgeschichte. 1926 bestand der Konzern bereits aus 88 Fabriken, in denen 600.000 Beschäftigte tätig waren, und erreichte ein Produktionsvolumen von 2 Mio. Autos pro Jahr. Allerdings zeichneten sich schon früh erste Krisensymptome ab. Bereits in den 1920er Jahren verringerten sich die Gewinne. Eine Ursache hierfür wird in der Präferenz der Steigerung des Produktionsvolumens und der Vernachlässigung einer Diversifizierungsstrategie (fehlende Produktvielfalt) gesehen. Das Fordsche Standardmodell wurde auf dem US-amerikanischen Automobilmarkt nicht mehr so stark nachgefragt und neue marktfähige Modellreihen standen erst viel zu spät zur Verfügung. Mit der Weltwirtschaftskrise verschärfte sich die Absatzkrise zusehends und die „‘Maschine Ford’ (geriet, M.F.) neun Jahre nach der Lancierung des Ford-T und weniger als drei Jahre nach dem allgemeinen Einsatz der Fließbänder und der Einführung des Fünf-Dollar-Tageslohnes aus dem Takt“ (Boyer/Freyssenet 2003: 79). Auch in den Folgejahren erwies sich die favorisierte Volumenstrategie à la Ford nicht mehr als erfolgreich, denn trotz der in

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4 Produktion und Konsumtion

das Fordsche Produktionsmodell lange Zeit seinen Ruf, der „one-best-way“ einer effizienten Produktionsorganisation zu sein. In Europa hat sich die Massenproduktion erst mit einem gewissen Time-lag verbreitet. So kam es in den 1950er Jahren zu einer steigenden Nachfrage nach industriell hergestellten Massenprodukten.78 Auch hier lässt sich am Beispiel der Automobilindustrie zeigen, dass längst nicht alle Automobilhersteller das Fordsche System einfach kopiert haben. Zwar fertigten, um nur ein Beispiel zu nennen, die Daimlerwerke den „Mercedes“ im Prinzip schon 1900 in Serie und stellten bereits 1911 circa 1.500 Autos pro Jahr her, aber diese Menge verteilte sich auf 18 Typen (vgl. Kugler 1987: 304 ff.). Mit anderen Worten: Die deutsche Automobilproduktion setzte – zumindest im höherwertigen Marktsegment79 – schon recht früh auf einen eigenen Weg. Daimler verfolgte keine klassische Volumenstrategie, sondern präferierte eine „differenzierte Qualitätsproduktion“, was den Einsatz qualifizierter Facharbeit notwendig machte, die zum Markenzeichen deutscher Qualitätsproduktion wurde. In der Automobilindustrie zeichnete sich somit schon früh ein Nebeneinander von differenzierter und standardisierter Massenproduktion ab, was jedoch nicht bedeutet, dass im Hinblick auf die Organisation der Arbeit auf Fließbandfertigung gänzlich verzichtet wurde (1928 wurden die ersten Bänder bei Daimler installiert). Am weitesten entfernte sich die Automobilproduktion in Schweden vom Fordschen Modell. Anfang der 1970er Jahre wurden, wie etwa bei Saab-Scania und Volvo, neue Formen der Arbeits- und Produktionsorganisation erprobt, die darauf abzielten „die Industrie vom Taylorismus zu befreien und die Arbeiter zu wirklichen Subjekten der Arbeitsorganisation, einschließlich der Aufgabenverteilung und Arbeitszeitgestaltung, zu machen“ (Gorz 1997: 49). Im Zentrum stand dabei das „Konzept der teilautonomen Gruppenarbeit“, bei der die Prinzipien „job rotation“, „job enrichment“ und „job enlargement“ eine große Rolle spielten.80 Die Orientierung der Fertigung am Prinzip der Gruppenarbeit wurde bereits in der Konzeptionsphase der Werke berücksichtigt. Im PKW-Montagewerk von Volvo in Kalmar gab es eine Reihe von Gruppen, die aus jeweils 15–20 Beschäftigten bestanden und weitgehend selbständig arbeiteten. Auf Fließbänder wurde verzichtet, stattdessen gab es stationäre Werkden 1950er und 1960er Jahren entwickelten neuen Modelle änderte sich im Kern nur wenig an der Präferenz des Konzerns für ein standardisiertes Fahrzeug, das jedoch immer weniger den sich differenzierenden Kundenwünschen entsprach. 78

79

80

Grundsätzlich ist der Erfolg der Massenproduktion und des Taylorismus nicht gleichzusetzen mit einer Verdrängung der Einzel- und Kleinserienfertigung; siehe hierzu das Beispiel der Elektroindustrie (Wittke 1996) oder den Werkzeugmaschinenbau. Anders sah die Entwicklung bei den Automobilherstellern VW und Opel aus. Opel war bereits 1912 der größte Automobilhersteller in Deutschland und favorisierte eine Großserienfertigung für die breite Masse. Sieht man von einer kurzen Phase der „Gruppenfabrikation“ ab, die es auch bei Daimler gab, ging Opel sofort nach Kriegsende zu einer fließenden Fertigung im Sinne des tayloristisch-fordistischen Systems über. 1924 besaß Opel die modernste Fabrik in Deutschland, dennoch war sie im Vergleich mit den amerikanischen Werken rückständig. Produziert wurde seinerzeit die Kopie eines günstigen Citroen-Autos in Großserie. Werden Arbeitern größere Entscheidungskompetenzen bei der Bewältigung von Arbeitsaufgaben zugestanden, dann spricht man von „job enlargement“. Werden einzelne Fertigungsschritte im Rotationsprinzip ausgeführt, so dass jeder Mitarbeiter die Fähigkeit aufweisen muss, verschiedene Arbeitschritte auszuführen, handelt es sich um „job rotation“. Wird zudem versucht, die Monotonie des Arbeitsablaufes durch umfassendere Arbeitsaufgaben zu vermindern, geht es um „job enrichment“.

4.1 Produktion

131

bänke („docks“), an denen jeweils größere Werkteile von mehreren Beschäftigten gemeinsam erstellt wurden. Obwohl die Einführung der Gruppenarbeit im Werk Kalmar durchaus als erfolgreich bewertet wurde, führte Volvo hier Mitte der 1980er Jahre wieder die traditionelle Fließbandfertigung ein. Erst in dem 1990 eröffneten neuen Volvo-Werk in Uddevalla erfolgte ein weiterer Versuch, Gruppenarbeit in die Praxis umzusetzen. Auf Fließbänder wurde dabei vollends verzichtet, es dominierte die auf dem Prinzip der Gruppenarbeit basierende Boxenfertigung. Die Arbeitsgruppen konnten selbst über ihr Arbeitstempo bestimmen, d.h. es bestanden Spielräume für eine „selbstbestimmte Flexibilität der Arbeitszeit“ (Gorz 1997: 50). Um sich gegenseitig zu unterstützen und die umfangreichen Arbeiten durchführen zu können, musste jedes Teammitglied mindestens ein Viertel aller Einzeltätigkeiten für die Endmontage beherrschen. Der Versuch, eine andere Form der Organisation der Arbeit zu etablieren, stand faktisch schon nach wenigen Jahren vor dem Aus. Nachdem in Kalmar die teilautonome Gruppenarbeit abgeschafft wurde, geschah dies wenig später auch in Uddevalla. Letztendlich wurden beide Werke zugunsten des Hauptwerkes in Torslanda geschlossen, in dem die traditionelle Fließbandproduktion vorherrschte. Für die Werksschließungen in Kalmar und Uddevalla gab es viele Gründe; angeführt wird aber vor allem die Absatzkrise von Volvo. Offenbar war es nicht die mangelnde Effizienz, die für die Schließung verantwortlich war, denn die Produktion in Uddevalla galt als wesentlich höher als im Hauptwerk in Torslanda. Anfang 1997 wurde das Werk in Uddevalla unter dem Namen Auto Nova wiedereröffnet, wobei einige Elemente des arbeitsorganisatorischen Konzepts beibehalten wurden. Letztendlich gilt das Konzept von Uddevalla aber bis heute als ein Avantgardemodell, das von keinem anderen Werk vollständig übernommen wurde. Zum Wandel von Produktionskonzepten: Das Beispiel Deutschland Obwohl das fordistisch-tayloristische Produktionskonzept keineswegs in allen Branchen und Unternehmen vorherrschend war, es also immer auch noch andere Varianten der Organisation von Arbeit gab, wie etwa die handwerklich qualifizierte, flexible klein- und mittelständische Produktionsweise (flexible Spezialisierung) (vgl. u.a. Piore/Sabel 1985), bestimmte die industrielle Massenproduktion dennoch lange Zeit das Leitbild der Industriearbeit; und herrschte auch in Teilen des Dienstleistungsbereichs vor (z.B. in der Telefonvermittlung). Es gab vor, wie die „richtige“ Form der Arbeits- und Produktionsorganisation und Rationalisierung auszusehen hat (vgl. u.a. Wittke 1996). Großen Anteil am Erfolg dieses Produktionsmodells hatte die starke Nachfrage nach industriell und serienmäßig hergestellten Konsumgütern nach dem Zweiten Weltkrieg. Ohne die Verzahnung zwischen Massenproduktion und Massenkonsum wäre der Erfolg dieses Produktionskonzepts kaum denkbar. Seine Hochzeit hatte der Fordismus in den 1950er und 60er Jahren, die von Hirsch und Roth ein wenig ironisch als die „goldenen Jahre des Kapitalismus“ (Hirsch/Roth 1986) bezeichnet werden. In Deuschland war dies die Zeit der so genannten „Wirtschaftswunderjahre“, die durch besonders hohe Wachstumsraten und eine geringe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet war. Der Traum von der „immerwährenden Prosperität“ (Lutz 1984) war jedoch von kurzer Dauer. Die sich Anfang der 1970er Jahre abzeichnende Krise führte nicht nur zu Turbulenzen auf den Finanzmärkten (vgl. Teil 6), sondern auch zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit

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4 Produktion und Konsumtion

und zu einer Sättigung der Märkte, die vor allem den Massenproduzenten erhebliche Probleme bereitete. Auf den Markt drängten neue Anbieter – insbesondere aus dem asiatischen Raum – die zu starken Konkurrenten wurden. In Anbetracht des steigenden Drucks zur Kostenreduktion, zu erhöhter Flexibilität, Variantenreichtum und Qualität geriet die klassische Form der Massenproduktion in eine Krise, die eine Reihe von Rationalisierungs- und Reorganisationsmaßnahmen auslöste. Um konkurrenzfähig zu sein und zu bleiben, wurde eine größere Produktvielfalt und höhere Produktqualität als notwendig erachtet. Allein auf Flexibilität und Qualität zu setzen, galt jedoch nicht als ausreichend, angestrebt werden sollte zugleich eine Kostensenkung. Dabei stellte sich grundsätzlich die Frage, wie diese unterschiedlichen Ziele – Qualitätssteigerung und Kostenreduktion – überhaupt erreicht werden können. Auszumachen ist eine Reihe von Reorganisationskonzepten, die Antworten auf die neuen Marktanforderungen versprach. In Deutschland lässt sich mit Beginn der 1980er Jahren eine Rationalisierungsstrategie beobachten, die in hohem Maße auf dem Einsatz neuer informationstechnischer Systeme basierte. Diese Phase der Rationalisierung wird aufgrund ihrer strategischen Orientierung, die eben nicht nur auf eine Optimierung einzelner Arbeitsabläufe, sondern gleichsam auf eine Vernetzung der gesamten Produktionsorganisation abzielte, auch als „systemische Rationalisierung“ bezeichnet (Altmann et al. 1986). Es ist die Phase, in der eine Vielzahl computergestützter Systeme in den Fabriken zum Einsatz kommt, etwa CNC-gesteuerte Bearbeitungsmaschinen81 in der Fertigung, neue Kontrollsysteme (insbesondere Produktions-, Planungs- und Steuerungssysteme (PPS)) sowie die Betriebsdatenerfassung (BDE). Damit einher ging die Vision einer vollautomatischen, computergesteuerten CIM-Fabrik (Computer Integrated Manufacturing), die intern hoch vernetzt ist und flexibel auf neue Anforderungen reagieren soll. Die Phase der „CIM-Euphorie“ ging relativ schnell vorüber, da der Traum von der vollkommen automatischen (menschenleeren) Fabrik sich nicht verwirklichen ließ. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass die Informatisierung und Vernetzung der Produktion weiter vorangetrieben wurde. Rationalisierungsmaßnahmen machen schon längst nicht mehr an den Betriebsgrenzen Halt. Sie erstrecken sich vielmehr auf die gesamte Wertschöpfungskette, was einen tief greifenden Wandel der Abnehmer- und Zuliefererbeziehungen zur Folge hatte. Bei dieser umfassenden Rationalisierungsstrategie blieben selbst die Verwaltungs- und Dienstleistungsprozesse nicht außen vor. Kurzum, der modernen Computertechnologie wurde die Fähigkeit zugeschrieben, für einen flexiblen Arbeits- und Produktionsablauf zu sorgen und dabei die Rationalisierungspotentiale des gesamten Wertschöpfungsprozesses, von der Planung, Konstruktion, Fertigung und Lagerwirtschaft bis hin zum Versand, aufzuspüren und bei der Optimierung der Produktionsorganisation auch die außerbetrieblichen Beziehungen zu berücksichtigen. Während die einen mit der zunehmenden Verbreitung der Mikroelektronik und neuer Informations- und Kommunikationstechnologien völlig neuartige Rationalisierungsmöglichkeiten verbanden, wiesen andere schon früh auf gegenläufige Trends hin und sprachen von der Entstehung „neuer Produktionskonzepte“, einer neuen Wertschätzung „lebendiger Arbeit“ (vgl. 81

Die Abkürzung CNC steht für Computer Numeric Control; gemeint sind computergesteuerte Produktionsmaschinen.

4.1 Produktion

133

Kern/Schumann 1984). Ins Zentrum rückten nunmehr auch die Problematik der unvollständigen Informationen, die zunehmenden – und nicht abnehmenden – Kommunikationserfordernisse sowie generell die rationalisierungsbedingten Paradoxien und das Moment des „Unvorhersehbaren“ (u.a. Wehrsig/Tacke 1992; Rammert 1992). Dementsprechend wurden für den Einsatz neuer Technologien und Verfahren qualifizierte Arbeitskräfte als notwendig angesehen. Die Wiedereinführung ganzheitlicher Einsatz- und Nutzungskonzepte von Arbeitskraft, wie eine Reprofessionalisierung der Arbeit, sei daher – so Kern und Schumann (1984) – nicht ausgeschlossen, denn die neuen Organisations- und Steuerungstechnologien erfordern geradezu einen Typus von Arbeitskraft, der fähig ist, flexibel auf Störungen zu reagieren und Probleme zu lösen. Herstellungsarbeit wird damit zur Gewährleistungsarbeit. Diese umfasst die Prozessvorbereitung und -regulierung, Qualitätssicherung, Instandhaltung und Optimierung sowie Planungstätigkeiten. Das Aufkommen dieses neuen Arbeitertypus, der als „Systemregulierer“ (Problemlöser) bezeichnet wird, wurde seinerzeit als „eine einschneidende Wende im bis dato durch den Trend zur Dequalifizierung bestimmten betrieblichen Rationalisierungsgeschehen: Reprofessionalisierung setzt sich durch“ (Schumann/Baethge-Kinsky/Kuhlmann 1994: 644) wahrgenommen. Diese optimistische Interpretation des Rationalisierungsgeschehens wurde Mitte der 1990er Jahre relativiert, denn die Ergebnisse einer Untersuchung zu diesem Thema ließ diese weitreichende Interpretation nicht zu: „Die große Mehrheit der Produktionsarbeiter verbleibt weiterhin im Status des ‘einfachen Handarbeiters’ oder ‘Lückenbüßers der Mechanisierung’ traditioneller Prägung“ (Schumann/Baethge-Kinsky/Kuhlmann 1994: 644). Dennoch blieben die ForscherInnen am Ende hinsichtlich der zukünftigen Verbreitung von Gewährleistungsarbeit optimistisch, da sie diese für unabdingbar erachteten, um weiterhin auf hohem Niveau fertigen zu können (high-road-Strategie). Zieht man ein erstes Resümee der in den 1980er Jahren auszumachenden Rationalisierungsstrategien, ist das Pendel offenbar weder in Richtung eines anthropozentrischen Entwicklungspfades ausgeschlagen, noch erwies sich die technozentrische Vision eines mittels moderner Organisations- und Steuerungstechnologien vollständig beherrschbaren Arbeits- und Produktionsprozesse als zutreffend (vgl. u.a. Brödner 1986). Wenngleich hier zu bedenken ist, dass Rationalisierungsprozesse nicht im Sinne eines linearen Entwicklungsmodells verlaufen, lassen sich verschiedene Phasen voneinander unterscheiden: Während die 1980er Jahre als „Inkubationszeit“ neuer Reorganisationskonzepte beschrieben werden, in der die Abkehr von tayloristisch-fordistischen Produktionsleitbildern allmählich Gestalt annimmt, erscheinen die 1990er Jahre bereits als „Umschlagphase“ der Reorganisation (vgl. u.a. Sauer/Boes/Kratzer 2005; Sauer 2006). In dieser Transformationsphase wurde vor allem einem Konzept eine große Bedeutung zugemessen, der so genannten schlanken Produktion bzw. „lean production“, in der – wie seinerzeit im Taylorismus-Fordismus – quasi ein neuer „one-best-way“ der Produktionsorganisation gesehen wurde. Worum ging es dabei? Erfolgsmodell „lean production“? Ihre große Popularität verdankt die „lean production“ der Veröffentlichung einer groß angelegten Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) über die Automobilindustrie (vgl. Womack/Jones/Roos 1991). Untersucht wurden 90 Montagewerke in 17 Ländern. Da-

134

4 Produktion und Konsumtion

bei erwies sich vor allem ein Produktionskonzept, das sie in den Toyota-Werken fanden und dem sie später den Namen „lean production“ gaben, als besonders erfolgreich. Die Grundprinzipien dieses Systems basieren – so die MIT-Forscher – auf einer Vermeidung jedweder Verschwendung („muda“) von Material, Zeit und Arbeitseinsatz. Im Zentrum des Modells stehen ein radikaler Abbau der Lagerhaltung, eine Null-Puffer- und Null-FehlerOrientierung, die zu einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) führen soll, wobei der teamorientierten Zusammenarbeit eine große Bedeutung zukommt. Es handelt sich keineswegs um eine Abkehr vom Fließband, vielmehr bedeutet „lean production“ ein neues Koordinationssystem. Hierzu gehören nicht nur die Neuorganisation der Abnehmer- und Zuliefererbeziehungen wie der gesamten zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung, der Abbau der Lagerhaltung und ein Just-in-time-Prinzip, sondern auch die Einführung von Gruppenarbeit, die eine Beteiligung der Beschäftigten an der Verbesserung der Arbeitsorganisation vorsah. Qualitätszirkel und Gruppenarbeit waren Teil einer neuen, partizipativen Managementstrategie. Dem Anspruch nach zielte das Konzept auf ein neues Denken im Management und bei den Beschäftigten. Letztendlich ging es um eine „Rationalisierung in Eigenregie“, denn Arbeitskräfte sollten zu aktiven Trägern kontinuierlicher Verbesserung und der Optimierung von Arbeitsabläufen werden. Das Ziel des „lean-managements“ bestand darin, zu einer kontinuierlichen Kostensenkung und einer gleichzeitigen Erhöhung der Flexibilität zu gelangen. Charakteristika der „lean production“: – –

– –



Produktpolitik, die für jedes Marktsegment ein Basismodell vorsieht, jedoch auf eine weitreichende Differenzierung verzichtet Produktionsorganisation, welche auf die Einführung eines ständigen Verbesserungssystems abzielt (Kaizen), um die Ursachen der Ressourcenverschwendung (Zeit, Material, Werkzeuge, Flächenbedarf) sofort korrigieren zu können Übertragung von Arbeitsverantwortung an Gruppen, die dazu beitragen sollen, die Arbeitsausführung zu verbessern und Zeitverluste zu vermeiden Kanban-System, das die Lagerhaltungskosten für Material und Teile verringern soll (eng gekoppelt an eine „Just-in-time-Produktion“: d.h. den Material- und Teilefluss so zu steuern, dass die entsprechenden Teile zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind) Verringerung der Fertigungstiefe und Auslagerung von Aufgaben an Zulieferer (vernetzte Produktion).

Die Botschaft „change or die“, die auf den Erfolgen der japanischen Automobilindustrie Anfang der 1990er Jahre basierte, trug zu einer raschen Verbreitung dieses Modells bei, das schon bald als neuer „one best way“ der Produktionsorganisation galt. Das neue Leitbild traf offenbar genau den Zeitgeist, dem sich kaum ein Unternehmen entziehen konnte, gleich ob es sich um Automobilhersteller, Lebensmittelproduzenten oder Gießereien handelte. Mithin sprang die Debatte schon bald auf andere Bereiche über und trug u.a. zu einer tief greifenden Reorganisation der öffentlichen Verwaltung (z.B. von Kommunalverwaltungen) bei. Im Verlauf der Umsetzung des Konzepts legte sich aber schon bald die anfängliche Euphorie und führte zu einer nüchternen Betrachtung der Stärken und Schwächen; wenngleich an dem ein-

4.1 Produktion

135

geschlagenen Weg in Richtung „lean management“ („schlanke“ Produktion/Verwaltung) vielfach festgehalten wurde. Zur Ernüchterung trugen nicht zuletzt auch Studien bei, die belegen, dass es sich selbst bei dem Ursprungskonzept, dem toyotistischen Modell, keineswegs um den von der MIT-Studie verkündeten Erfolgsgaranten handelt. Als problematisch erwies sich vor allem der Versuch, Flexibilität und Kostensenkungen miteinander zu vereinbaren. Auch kann von einer „winwin-Situation“ für die Beschäftigten (siehe Verkürzung der Vorgabezeiten, Arbeitsbelastungen und Rücknahme von Beschäftigungsgarantien) ebenso wenig die Rede sein wie für die Zulieferer (vgl. u.a. Boyer/Freyessnet 2003). Die Analysen zeigen, es gibt keinen „one-bestway“ der Produktion, sondern eine Reihe unterschiedlicher Produktionskonzepte82, deren Erfolge sich nicht vorhersehen lassen und die – in Anbetracht der Vielzahl unternehmensspezifischer Rationalisierungsstrategien – auch nicht als landesspezifische Modelle beschrieben werden können. Während Womack/Jones/Roos (1991) noch davon ausgingen, dass die Entwicklung der industriellen Produktion eine eindeutige historische Abfolge aufweist, an deren Beginn die handwerkliche Fertigung stand, die dann von der tayloristisch-fordistischen Massenproduktion abgelöst wurde und zuletzt in die „lean production“-Phase übergeht (ein Stufenmodell, das nicht nur für die Automobilproduktion gelten soll), wird hierin mittlerweile eine Art „Geschichtsklitterung“ gesehen (vgl. Boyer/Freyessnet 2003). Ausgeblendet wird die Vielfalt und Komplexität der Organisation von Arbeit und Produktion, die eher einem bunten Flickenteppich gleicht als einem Einheitsmuster. Um auch nur ein einigermaßen zutreffendes Bild hiervon zu erhalten, bedarf es mehr als nur eines Blicks auf den Wandel von Leitbildern („one-best-way“-Konzepten) und einer Analyse der etablierten industriellen Kernsektoren. Dabei darf auch nicht ausgeblendet werden, dass die Bedeutung der Dienstleistungs- und Wissensarbeit in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen und zu einer nicht mehr zu übersehenden Tertiarisierung der Wirtschaft beigetragen hat.

4.1.4

Erweiterung des Blickfeldes: Tertiarisierung der Wirtschaft

Spätestens seit den 1970er Jahren ist die wachsende Bedeutung von Dienstleistungen83 und mithin von Dienstleistungsarbeit für die wirtschaftliche Entwicklung nicht mehr zu überse-

82

83

Selbst in der japanischen Automobilindustrie lassen sich unterschiedliche Produktionskonzepte ausmachen. Neben der toyotistischen Organisation der Produktion gibt es beispielsweise eine hondaistische Variante, die nicht auf eine reine Kostensenkungsstrategie, sondern auf eine „Innovations- und Flexibilitätsstrategie“ setzt. Charakteristisch für dieses Konzept sind eine geringe Fertigungstiefe und ein hohes Maß an Flexibilität im Hinblick auf die Produktionsorganisation und den Personaleinsatz. Letztendlich geriet aber auch dieses Produktionsmodell immer wieder in eine Krise, die Anlass für Reorganisationsmaßnahmen war. Die Definition von Dienstleistungsarbeit ist nicht ganz einfach. Häußermann und Siebel sprechen sogar von einem „endlosen Kampf um die Definition“ (1995: 148). Lange Zeit wurden Dienstleistungen dadurch erklärt, was sie eigentlich nicht sind, nämlich materiell, dauerhaft, lagerfähig und transportierbar. Im Zentrum stand das „uno-actu-Prinzip“, dem zufolge eine Verquickung von Prozess und Produktion, eine Gleichzeitigkeit von Produktion und Konsumtion typisch für sie sei. Erst Berger und Offe (1984) haben versucht eine andere, politischökonomische Lesart von Dienstleistungsarbeit zu liefern, indem sie zwischen herstellenden und „formbeschützenden“ Funktionen, die beide zur Reproduktion der Formalstrukturen einer Gesellschaft notwendig

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4 Produktion und Konsumtion

hen. Auszumachen ist eine zunehmende Tertiarisierung der Wirtschaft84, d.h. der Dienstleistungssektor (tertiärer Sektor) hat sich ausgeweitet, während die Land- und Forstwirtschaft sowie die Fischerei (primärer Sektor) und das Produzierende Gewerbe, also die Industrie (sekundärer Sektor), an Bedeutung verloren haben. Gegenwartsgesellschaften werden daher auch als Dienstleistungsgesellschaften charakterisiert, um diesen Veränderungsprozess zum Ausdruck zu bringen (vgl. u.a. Häußermann/Siebel 1995). Die Gründe für diesen Strukturwandel sind vielfältig. Folgt man Hirsch-Kreinsen, so hängt die Ausweitung der Dienstleistungsökonomie erstens mit der Durchsetzung der fordistischen Massenproduktion und dem steigenden Bedarf an Technikern, Ingenieuren und Angestellten zusammen. Zweitens veränderten sich im Zuge des wachsenden Wohlstands die Konsumentenwünsche und es entstand eine zunehmende Nachfrage nach Dienstleistungen unterschiedlichster Art. Eng damit verknüpft ist drittens ein Ausbau staatlicher Leistungen sowie die Zunahme öffentlicher Dienstleistungen (Bildungs- und Gesundheitswesen) (vgl. HirschKreinsen 2009: 80). Der Prozess der Tertiarisierung ist keineswegs ein neues Thema der Wirtschaftssoziologie. Schon Max Weber hat auf die Relevanz von Dienstleistungen (Bürokratie) in seinen Studien über den Prozess der Rationalisierung aufmerksam gemacht. Tertiarisierungsprozesse lassen sich seines Erachtens als ein Resultat der fortschreitenden Rationalisierung der Wirtschaft begreifen. Große Aufmerksamkeit erfuhr die Drei-Sektoren-Hypothese, die Fourastié (1969) im Anschluss an Fisher (1939) und Clark (1940) entwickelte. Danach verändert sich die Wirtschaftsstruktur im Verlauf von drei Perioden ökonomischen Wachstums in Richtung des tertiären Sektors. Die Beschäftigung verlagert sich dabei vom primären (agrarischen), zum sekundären (industriellen) und schließlich zum tertiären Sektor (Dienstleistungen). Während Fisher und Clark in erster Linie eine Verschiebung von Konsumpräferenzen bzw. -bedürfnissen für den sektoralen Wandel verantwortlich machen, begründet Fourastié das allmähliche Anwachsen des tertiären Sektors mit der zunehmenden Arbeitsproduktivität infolge des technischen Fortschritts. Die Ausweitung des Dienstleistungssektors stellt für ihn geradezu „Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts“ – so der Buchtitel – dar. Seine Analyse zielte darauf ab, die Auswirkungen des technischen Fortschritts auf die Gesellschaft zu bestimmen. Fourastié ging davon aus, dass die Mechanisierung und Rationalisierung im primäsind, differenzieren. Demnach umfasst der Dienstleistungssektor „die Gesamtheit jener Funktionen im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß, die auf die Reproduktion der Formalstrukturen, Verkehrsformen und kulturellen Rahmenbedingungen gerichtet sind, unter denen die materielle Reproduktion stattfindet“ (Berger/Offe 1984: 235). Die Rede ist von Dienstleistungsarbeit als Gewährleistungsarbeit. Letztendlich ist Dienstleistungsarbeit damit stark auf die materielle Produktion fixiert, für deren Sicherung, Bewahrung, Verteidigung, Überwachung bzw. Gewährleistung sie Sorge zu tragen hat. Nicht ausgeblendet wird in dieser Definition der Aspekt der Effektivität, so dass auch Rationalisierungsprozesse in der Analyse Berücksichtigung finden; wie z.B. die Einführung der Selbstbedienung durch Bankautomaten. 84

In Deutschland ist der sektorale Wandel nicht mehr zu übersehen. Mehr als zwei Drittel des Bruttosozialprodukts werden mit Dienstleistungen erwirtschaftet und fast drei Viertel der Erwerbstätigen sind im tertiären Sektor tätig. Ein Blick auf die Berufsgruppen zeigt, dass fast zwei Drittel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Dienstleistungsberufen arbeiten. Nicht viel anders verhält es sich im Hinblick auf die schwerpunktmäßig ausgeübten Tätigkeiten. Während die Zahl der Erwerbstätigen, die überwiegend Tätigkeiten des primären und sekundären Sektors ausgeübt hat, insgesamt zurückgegangen sind, gab es bei Tätigkeiten, die schwerpunktmäßig im Tertiärsektor auftreten, Zuwächse, wie etwa im Bereich „Beraten, Informieren“ (vgl. Statistisches Bundesamt 2010).

4.1 Produktion

137

ren Sektor eine mittlere Produktivität und im sekundären Sektor eine hohe Produktivität zur Folge hat, während der tertiäre Sektor nicht in der Lage sei, die Produktivität zu steigern. Dienstleistungstätigkeiten sind – folgt man Fourastié – weitgehend rationalisierungsresistent. Als ein Beispiel wird die Arbeit eines Friseurs angeführt, der seine Produktivität nur unwesentlich erhöhen kann. Während es folglich möglich ist, die zunehmende Nachfrage nach Agrar- und Industrieprodukten zu erfüllen, kann der „Hunger nach Tertiärem“ im Prinzip nur durch eine Ausdehnung des tertiären Sektors gestillt werden (vgl. Fourastié 1969). Fourastié verband mit der Zunahme dieses Sektors die Hoffnung auf eine „tertiäre Zivilisation“. Sein Zukunftsszenario ist ausgesprochen optimistisch und geprägt durch die Vorstellung von einer „Höherentwicklung der menschlichen Lebensweise“, einer weitgehenden Befreiung von körperlich schwerer Arbeit und einer Bewältigung von Krisen, da der tertiäre Sektor zum Auffangbecken für freigesetzte Arbeitskräfte wird. Wenngleich sich Fourastiés Prognose einer zunehmenden Bedeutung des tertiären Sektors im zwanzigsten Jahrhundert durchaus als richtig erwiesen hat, sind viele andere Annahmen aus heutiger Sicht nicht mehr haltbar, wie etwa die These von der Rationalisierungsresistenz der Dienstleistungsarbeit und der Krisenfreiheit der „tertiären Zivilisation“. Fourastié war aber nicht der einzige Optimist. Auch Bell (1985, zuerst 1973), Gartner und Riessman (1978) verbanden mit der zunehmenden Tertiarisierung recht optimistische Zukunftsszenarien (vgl. hierzu auch Häußermann/ Siebel 1995). Bell geht in seinem Konzept der „nach- bzw. postindustriellen Gesellschaft“ ebenfalls von einer Melioration (Verbesserung), einem „qualitativen Sprung“ der Gesellschaft nach vorne aus. Charakteristisch für die nachindustrielle Gesellschaft ist das „Spiel zwischen Personen“. Was zählt ist nicht Muskelkraft, „das Spiel gegen die technisierte Natur“ (Bell 1985: 134), sondern theoretisches Wissen, das zum „axialen Prinzip“ der Gesellschaft wird. Die nachindustrielle Gesellschaft ist daher im Grunde eine Wissensgesellschaft: „einmal, weil Neuerungen mehr und mehr von Forschung und Entwicklung getragen werden (oder unmittelbarer gesagt, weil sich aufgrund der zentralen Stellung des theoretischen Wissens eine neue Beziehung zwischen Wissenschaft und Technologie herausgebildet hat); und zum anderen, weil die Gesellschaft – wie aus dem aufgewandten höheren Prozentsatz des Bruttosozialprodukts und dem steigenden Anteil der auf diesem Sektor Beschäftigten ersichtlich – immer mehr Gewicht auf das Gebiet des Wissens legt“ (Bell 1985: 219). Aus heutiger Sicht erwiesen sich viele der frühen Konzepte zur Dienstleistungsgesellschaft als zu optimistisch.85 Wenngleich sich auch die Voraussage einer quantitativen Zunahme des Dienstleistungssektors weitgehend als zutreffend erwiesen hat86, haben sich viele Prognosen nicht bewahrheitet. Selbst die Annahme einer radikalen De-Industrialisierung gilt bis heute als strittig, denn Dienstleistungstätigkeiten und zunehmend auch Wissensarbeit spielen in der industriellen Produktion eine immer größere Rolle. Dementsprechend werden Gegenwartsgesellschaften schon längst nicht mehr nur als Dienstleistungsgesellschaften, sondern auch 85

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Selbstverständlich gab es schon früh Kritiker, die keineswegs von einer raschen Ausbreitung der Dienstleistungsökonomie ausgingen. Hierzu gehören z.B. Gershuny (1981), der u.a. auf einen zunehmenden Trend in Richtung Do-it-yourself aufmerksam macht, sowie Baumol (1967), der die These von der „Kostenkrankheit“ öffentlicher und konsumorientierter Dienstleistungen aufgestellt hat. Fourastié ging davon aus, dass im 20. Jahrhundert 80 Prozent der Beschäftigten Dienstleistungstätigkeiten verrichten.

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4 Produktion und Konsumtion

als Wissens-, Informations- oder Netzwerkgesellschaften beschrieben. Eng damit verknüpft ist eine Charakterisierung der modernen Wirtschaft als Wissensökonomie. Es drängt sich allerdings die Frage auf, ob die vielfältigen Wandlungsprozesse von Wirtschaft und Arbeit hierdurch tatsächlich erfasst und auf einen Begriff gebracht werden können (vgl. hierzu u.a. Moldaschl/Stehr 2010). Hinzu kommt, dass es ohnehin recht schwierig ist, generelle Aussagen über wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven zu machen; was u.a. auf Forschungslücken über das aktuelle Rationalisierungsgeschehen zurückzuführen ist und mit der Heterogenität von Dienstleistungs- und Wissensarbeit zu tun hat. Entwicklungstrends für den Bereich der Finanzdienstleistungen sehen schließlich ganz anders aus als für den Handel oder das Gesundheitswesen. Während in einigen Tätigkeitsfeldern, etwa in der „Forschung und Entwicklung“, ein hohes Qualifikationsniveau und anspruchsvolle Team- und Projektarbeitskonzepte auszumachen sind, dominieren in anderen Bereichen (z.B. Reinigungsgewerbe, Gastgewerbe, Handel) geringqualifizierte Beschäftigte, wenig anspruchsvolle Arbeitskonzepte und atypische Beschäftigungsverhältnisse. Aber auch die qualifizierte (Wissens-)Arbeit zeichnet sich nicht nur durch qualitativ anspruchsvolle Tätigkeitsinhalte und attraktive Arbeitsbedingungen aus. Oftmals steht dem hohen Maß an Autonomie die Gefahr der Selbstausbeutung, Ungewissheit im Hinblick auf die Dauer von Beschäftigungsverhältnissen und hohe Arbeitsbelastungen gegenüber. Kurzum, Aussagen über die zukünftige Entwicklung von Dienstleistungs- und Industriearbeit zu machen ist kein einfaches Unterfangen. Unabdingbar ist hierfür eine tiefenscharfe Erhebung des Verlaufs von Rationalisierungsstrategien, ihrer intendierten und nicht-intendierten Folgen sowie paradoxen Effekte, die sich am Ende sicherlich immer noch nicht ohne weiteres zu einem konsistenten Bild zusammenfügen lassen. Dies erklärt, warum seit einiger Zeit von einer neuen „Unübersichtlichkeit“ (Schumann) die Rede ist, die eine Interpretation aktueller Entwicklungstrends der Reorganisation erschwert. Gleichwohl lassen sich erste Trends erkennen, die das Reorganisationsgeschehen bestimmen.

4.1.5

Entwicklungstrends der Reorganisation

Ein zentrales Thema aktueller Debatten sind die widersprüchlichen Trends einer De- und Rezentralisierung sowie Ent- und Begrenzung von Arbeit und Produktion. Selbst frühe Formen der Organisation von Arbeit und Produktion – zu nennen ist das Verlagssystem, die Heimarbeit oder das Sub-Contracting – scheinen heute eine Renaissance zu erleben. Gleichwohl handelt es sich bei Tele(heim)arbeit, Profit-Centern, Wertschöpfungspartnerschaften oder strategischen Netzwerken nicht nur um alten Wein in neuen Schläuchen, sondern um neue Formen der Organisation von Arbeit, die auf tief greifende Umbrüche der Produktion verweisen. Um einen ersten Eindruck über den Verlauf der seit den 1990er Jahren zu beobachtenden Reorganisationsstrategien zu erhalten, empfiehlt sich ein Blick auf aktuelle Befunde einschlägiger Forschungsarbeiten.87

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Siehe hierzu u.a. Latniak 2006; Holtgrewe 2006: 62 ff.; Kratzer et al. 2004; Sauer/Boes/Kratzer 2005; Sauer 2006; Kinkel et al. 2008 sowie auch Nickel/Hüning/Frey 2008.

4.1 Produktion

139

Auszumachen ist seit den 1990er Jahren eine neue Welle der Reorganisation, die mit folgenden Stichworten beschrieben wird: Dezentralisierung und Vermarktlichung, Flexibilisierung und Selbstorganisation, Informatisierung und Vernetzung sowie Entgrenzung und Subjektivierung (vgl. u.a. Sauer 2010; Funder 2010). Ein einheitliches Muster oder gar eine eindeutige Richtung des Wandels, wie etwa ein radikaler Abschied von tayloristischen Konzepten, ist nicht zu erkennen. Es überwiegt der Eindruck der Ungleichzeitigkeit, eines Hin und Her, was Reorganisationsprozesse wie eine „bricolage“ (Bastelei) erscheinen lässt (vgl. Ortmann 1995; Ortmann/Sydow/Windeler 1997). Auf Phasen einer weitgehenden Dezentralisierung folgen nicht selten in Anbetracht nicht-intendierter Folgen und Probleme wieder Schritte in Richtung Re-Zentralisierung, die allerdings unter neuen Vorzeichen erfolgen und am Ende zu neuen Strukturmustern bzw. Mixturen führen. Resümiert man den gegenwärtigen Stand, zielen Reorganisationsprozesse offenbar in erster Linie auf eine Rationalisierung der gesamten Organisations- und Produktionsstruktur, ihrer Kontrolle und Steuerung, und nicht mehr in erster Linie – wie dies noch bei Taylors „principles of scientific management“ der Fall war – auf die Arbeitsplatzebene ab (vgl. u.a. Kinkel et al. 2008). Seit den 1990er Jahren wird dieser Entwicklungstrend mit dem Schlagwort der Dezentralisierung verknüpft (vgl. u.a. Faust et al. 1994; Funder 1999, 2000; Hirsch-Kreinsen 1995). In diesem Zusammenhang gilt es – in Anlehnung an Faust et al. (1994) – zwischen „operativer“ und „strategischer“ Dezentralisierung zu unterscheiden: Während erstere primär die Ebene der Arbeitsorganisation berührt, meint letztere die Unternehmensebene. Bei der operativen Dezentralisierung handelt es sich vielfach um eine Folge der Verschlankung von Unternehmen. So lässt sich seit einigen Jahren ein Abbau mittlerer Managementebenen (Stichwort flache Hierarchien) und zentraler Bereiche beobachten, der wiederum mit einer Reorganisation von Abteilungsstrukturen und einer Segmentierung in dezentrale Einheiten einhergeht. Bezogen auf die Ebene der Arbeitsorganisation erfolgt eine Verantwortungsverlagerung nach unten, was aus einer betriebswirtschaftlichen Sicht als „bottom-up“-orientierte Rationalisierung bezeichnet wird. Teamwork und Arbeitsgruppen mit Budgetverantwortung gewinnen an Bedeutung, was auf einen Trend zu einer projektförmigen Betriebsorganisation und dezentraler Entscheidungsfindung auf der operativen Ebene – ohne Verzicht auf ein zentrales Controlling – schließen lässt (vgl. u.a. Latniak 2006: 52). Wenngleich es eine Zunahme von Gruppen-, Projekt- und Teamarbeit gibt, bedeutet dies nicht, dass es zu einer flächendeckenden Verbreitung avancierter Gruppenarbeitskonzepte gekommen ist (vgl. u.a. Pekruhl 2001; Kinkel et al. 2008). Es gilt vielmehr zwischen strukturinnovativen und -konservativen Formen der Gruppenarbeit zu differenzieren. Während in Bereichen anspruchsvoller Dienstleistungen Konzepte teilautonomer Gruppen sowie der lernenden Organisation gefragt sind, überwiegt in klassischen Massenproduktionsbereichen immer noch der tayloristische Organisationstypus. Gleichwohl kommt es selbst hier darauf an, Störungen zu beseitigen und mit nicht genau kalkulierbaren Arbeitssituationen, also mit Unsicherheit, umgehen zu können. Strategische Dezentralisierung: Sie steht für eine Neugestaltung interner und externer Grenzziehungen betrieblicher Organisationen. Rationalisierungsprozesse richten sich längst nicht mehr nur auf den einzelnen Betrieb, den einzelnen Arbeitsprozess oder Arbeitsplatz. Bereits das Konzept der „systemischen Rationalisierung“ (Altmann et al. 1986) machte diese neue Qualität der Rationalisierung zum Thema. Es hat seit einiger Zeit sogar eine Zuspitzung

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4 Produktion und Konsumtion

erfahren, wie die Debatte über die „Entgrenzung der Arbeit“ und globale Wertschöpfungsketten zeigt (vgl. u.a. Minssen 2000; Kratzer et al. 2004; Boes/Schwemmle 2005). Dieser Prozess ist eng verknüpft mit dem Leitbild der „Kundenintegration“, der Schaffung interner dezentraler Sub-Einheiten in Form von Cost- und Profit-Centern, der Neufassung von Abnehmer-Zuliefererbeziehungen, wie insbesondere eines Trends zu Off-Shoring und Outsourcing (einer Verlagerung von Aufgaben nach außen), bis hin zu neuen Formen der Arbeitskraftnutzung (z.B. Zeit- bzw. Leiharbeiter). Ziel all dieser Maßnahmen ist eine Erweiterung der eigenen Handlungsoptionen, was ein zum Teil recht anspruchsvolles „strategisches Grenzstellenmanagement“ erfordert (vgl. u.a. Sydow/Windeler 1994). Operative und strategische Dezentralisierungsprozesse finden zumeist gleichzeitig statt, wobei Gegenbewegungen keineswegs ausgeschlossen sind und haben vielfach mit wachsenden Steuerungs- und Koordinationsproblemen zu tun. Maßnahmen zur Dezentralisierung sind eng verbunden mit Prozessen der Vermarktlichung: So ist heute zweifelsohne eine größere Markt- und Kundenorientierung gefragt, die nicht nur zur Verankerung interner Konkurrenzmechanismen – einer „Internalisierung des Marktes“ – geführt hat, sondern auch mit einem Wandel der Leistungsanforderungen, bezogen auf eine zunehmende Ausrichtung an Ergebnissen statt am Arbeitsaufwand, einhergeht (vgl. u.a. Dröge/Marrs/Menz 2008). Da der Markt in der betrieblichen Organisation eine zunehmend größere Rolle spielt, müssen widersprüchliche Handlungslogiken in Einklang gebracht werden. Auf der einen Seite wird die Fähigkeit zur Selbstorganisation und Teamarbeit erwartet, auf der anderen Seite sollen innerorganisationale Konkurrenz- bzw. Wettkämpfe (Benchmarking) stattfinden. Hieraus ergeben sich neue Herausforderungen für die Koordination, die Steuerung und die interne Kommunikation, die als neue „Zumutungen der Selbstregulation“ (Minssen 1999) gedeutet werden. Formen indirekter Steuerung, die an die Stelle der klassischen direkten hierarchischen Kontrollformen treten, zielen darauf ab, die Beschäftigten selbst für die Erreichung von Zielen verantwortlich zu machen; allerdings erweisen sich die hierfür vorgesehenen (Zeit-)Ressourcen vielfach als äußerst knapp. Die im Zuge der Reorganisation entstandenen, zum Teil recht ambivalenten Anforderungen werden zumeist an die Akteure weitergegeben, die Strategien zu ihrer Bearbeitung finden müssen (z.B. Akzeptanz von Mehrarbeit). Sie werden quasi zum Puffer im Betriebsgeschehen bzw. zur flexiblen Ressource und tragen zur Absorption von Unsicherheit bei. Folglich muss mit einer Vielzahl neuer spezifischer Belastungskonstellationen umgegangen werden (vgl. u.a. Bolte/Neumer/Porschen 2008). Nicht selten werden die strukturellen Widersprüche postbürokratischer Organisationen als persönliche Dilemmata wahrgenommen. Mithin wird in zunehmendem Maße auf die Subjektivität der Beschäftigten zugegriffen, von denen erwartet wird, dass sie ihre gesamten Humanressourcen, ihre Kreativität, ihr implizites Wissen, ihre Intuition sowie ihre „prosozialen Werte“, in den Arbeitsprozess einbringen (vgl. u.a. Moldaschl 2005: 51; Moldaschl/Voß 2002). Kurzum: Der klassische Befehlsempfänger ist nicht mehr gefragt. An seine Stelle rückt – wenngleich er auch noch längst keine flächendeckende Verbreitung gefunden hat – der proaktive „Selbstflexibilisierer“, der „Selbstrationalisierer“, der „Arbeitskraftunternehmer“ (vgl. u.a. Voß/Pongratz 1998; Voß 2007). Ob die zunehmende Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die Entwicklung neuer (Wissens-)Mana-

4.1 Produktion

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gementkonzepte88 tatsächlich zur angestrebten optimalen Ausschöpfung immaterieller Ressourcen, insbesondere von Erfahrungswissen und sozialem Kapital, beitragen werden, ist jedoch die Frage. Letztendlich zeichnen sich auch hier mikropolitische Handlungskonstellationen ab, die einer reibungslosen Umsetzung von Wissensmanagementkonzepten entgegenstehen (vgl. u.a. Dörhöfer 2010). Das Bild der sich gegenwärtig abzeichnenden Reorganisation ist offenbar recht facettenreich. Im Trend liegen eine Verschlankung, ein Hierarchieabbau und die Auflösung zentraler Bereiche. Von einer kohärenten Dezentralisierung kann dennoch nicht gesprochen werden. Die Veränderungen weisen eher in Richtung „Hybridisierung“ (Latniak 2006), der zufolge alte und neue Formen eine – vielfach spannungsgeladene – Mischung eingehen. Je anspruchsvoller die Tätigkeiten sind, desto weiter entfernt sich die Organisationsstruktur von klassischen Konzepten. Dies lässt sich besonders gut in jenen Betrieben beobachten, die – quasi qua Branchenzugehörigkeit – zu den Vorreitern auf dem Gebiet der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und damit zur Wissensökonomie gehören. „Permanentes Reorganisieren“ stellt hier geradezu ein Charakteristikum des betrieblichen Alltags dar (vgl. Sauer 2006). Mit dem Abbau hierarchischer Strukturen und klar definierter Abteilungsgrenzen nehmen die Koordinations-, Kooperations- und Kommunikationsanforderungen allerdings zu und damit auch die Unsicherheitszonen. Innerbetriebliche Machtspiele gewinnen an Bedeutung. Erzeugt wird eine Reihe von Dilemmata, Widersprüchen und Paradoxien, die sich nicht einfach auflösen lassen (vgl. u.a. Funder 2000; Kratzer et al. 2004; Kühl 2005). Zu konstatieren ist eine partielle Abkehr von den klassischen Leitbildern einer rationalen, effizienten Organisationsgestaltung, die mit den Namen Weber, Taylor und Fayol verbunden sind. Parallel hierzu ist es zur Herausbildung eines neuen Leitbildes gekommen. Unternehmen gelten als modern, effizient und leistungsstark, wenn sie dezentral organisiert, flexibel, offen und lernbereit sind. Da die hierdurch angestoßenen Reorganisationskonzepte aber offenbar ihre Tücken haben und Leitbilder vielfach nur die Vorder-, nicht aber die Hinterbühne betrieblicher Organisationen bestimmen89, ergibt der Blick in die Organisationspraxis erwartungsgemäß kein einfach zu interpretierendes Muster.

88

89

Siehe hierzu auch die Debatte über die Informatisierung der Arbeit: Gemeint ist der Einsatz neuer Informationsund Kommunikationstechnologien, die ein Mehr an Flexibilität ermöglichen und den Aufbau inter- wie intraorganisationaler Vernetzungen erlauben sollen; vor allem den Aufbau betriebsübergreifender Wertschöpfungsketten (vgl. u.a. Baukrowitz/Boes/Schmiede 2001; Baukrowitz et al. (Hrsg.) 2006). Verbunden ist die Informatisierung der Arbeit mit der Entwicklung differenzierter Controllingsysteme, welche in der Lage sind, wert- und kostenbezogene Beiträge bis auf die Ebene des einzelnen Arbeitsplatzes zu erfassen (vgl. u.a. Sauer 2006). Diese Entwicklung spiegelt sich in der Ausbreitung von Internet- und Intranettechnologien, der zunehmenden Nutzung von Kommunikationsmedien sowie in der Neugestaltung der Schnittstellen zu Kunden (u.a. ECommerce bzw. Business-to-Customer/B2C) und Lieferanten (Business-to-Business/B2B) wider. Als Beispiele hierfür lassen sich das Telebanking oder das Online-Buchen von Reisen anführen. Der Neo-Institutionalismus spricht von talk und action, einer Entkopplung von Vorder- und Hinterbühne. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Leitbild und Praxis betrieblicher Organisationen sowie zwischen offizieller Formalstruktur und Organisationsalltag ist die frühere These der losen Kopplung jedoch angemessener (vgl. u.a. Meyer/Rowan 1977).

142

4 Produktion und Konsumtion

Noch ist der Forschungsstand zur Entwicklung der Reorganisation nicht umfassend genug, um zu einer abschließenden Bewertung zu gelangen. Während die einen schon eine Form der „digitalen Produktion“ (Sauer 2006) sowie eine Rationalisierung „hoch drei“90 ausmachen, die geradezu Orwellsche Ausmaße annehmen könnte, betonen andere, dass auch Rationalisierungsprozesse soziale und stets mit Ungewissheit verbundene Prozesse sind. Rationalisierungsstrategien sind schließlich immer mit unbeabsichtigten Folgen verbunden. Ambivalenzen, Paradoxien und Dilemmata sind daher charakteristisch für Reorganisationsprozesse. Zu rechnen ist dabei auch mit eigensinnigen Akteuren mit subversivem Handlungspotential; ihre Einflusschancen auf den Kurs der Rationalisierung dürften gegenwärtig aber wohl eher als gering einzuschätzen sein. Kurzum: Die Aussichten auf „gute Arbeit in einer postdemokratische Arbeitswelt“ (Pickshaus/Urban 2009) sind – wirft man einen Blick auf aktuelle Forschungsergebnisse (vgl. u.a. Kratzer et al. 2008) – nicht allzu groß.

4.1.6

Gibt es einen neuen Geist des Kapitalismus?

In Anbetracht des tief greifenden Wandels der Arbeitswelt stellt sich die Frage, wie es überhaupt gelingen konnte, Rationalisierungsprozesse umzusetzen, die offenbar nicht nur Vorteile für die Betroffenen mit sich gebracht haben. War es die Angst vor Entlassungen? Waren es finanzielle Anreize? War es die Hoffnung auf Partizipation? Antworten auf diese Frage sind von Analysen über das ideologische Rechtfertigungssystems des Kapitalismus zu erwarten. Einen wichtigen Beitrag hierzu liefert die Studie von Boltanski und Chiapello (2003) über den „Geist des neuen Kapitalismus“. Ihr Ziel ist es, Aufschluss darüber zu geben wie es dem Kapitalismus gelungen ist, Legitimation zu gewinnen und mit Kritik fertig zu werden. Gerade der Kapitalismus kommt nicht ohne Ideologie aus, da es sich – so die Sicht von Boltanski und Chiapello – um einen „amoralischen Prozess unbeschränkter Anhäufung von Kapital“ handelt, selbst wenn die hierzu verwendeten Mittel auch als „formell friedlich“ beschrieben werden (Boltanski/Chiapello 2001: 462). Die Analyse steht in der Tradition von Max Weber, d.h. leitend ist die Vorstellung, dass Herrschaft Legitimation erfordert. Hierzu bedarf es eines ideologischen Rechtfertigungssystems. Wie jedes Herrschaftssystem ist auch der Kapitalismus nicht ohne einen „Esprit“ bzw. „Geist des Kapitalismus“ vorstellbar. Gemeint ist damit eine „Ideologie, (…) die das Engagement für den Kapitalismus rechtfertigt“ (Boltanski/Chiapello 2003: 43). Ohne „Esprit“ kann der Kapitalismus – davon gehen die AutorInnen aus – seine Kernprobleme nicht lösen: Erstens müssen die Protagonisten (Kapitalisten und Arbeiter) nicht nur mitspielen, sondern auch ein gewisses Maß an Begeisterung aufbringen, denn sonst könnte das Anreiz- bzw. 90

Während Christoph Deutschmann (2002) noch von einer „Rationalisierung im Quadrat“ spricht und hiermit die (reflexive) Rationalisierung der Rationalisierungsfolgen vorgängiger tayloristischer Arbeits- und Organisationskonzepte vor Augen hat (Stichwort Dezentralisierung, die u.a. zum Abbau starrer Hierarchien beitragen und mehr Selbstorganisation, Flexibilität und Kundennähe schaffen soll), umfasst eine Rationalisierung „hoch drei“ (Schmierl/Pfeiffer 2005) auch die „bislang rationalisierenden Strukturen“ (Boes/Pfeiffer 2006: 39), wie etwa die „Managementprinzipien selbst und die Art und Weise von Unternehmensinteraktionen und -kooperationen“ (Boes/Pfeiffer 2006: 39). Der einst autonome Akteur und Gestalter Betrieb wird selbst zum Zielobjekt solcher Strategien. Er ist nunmehr „eingebunden in eine kollektive Strategie der Herrschaft über den Zirkulations- bzw. Verwertungsprozess und damit über die Mehrwertrealisierung“ (Boes/Pfeiffer 2006: 38).

4.1 Produktion

143

Transformationsproblem nicht gelöst werden. Zweitens muss es gelingen, für ein Minimum an Sicherheit zu sorgen und den Eindruck zu erwecken, dass alle Akteure materiellen Wohlstand erzielen können (Problem der Allgemeinwohlorientierung) und drittens muss der Vorwurf der Ungerechtigkeit des Systems entkräftet werden (Gerechtigkeitsaspekt). Der Kapitalismus ist demnach auf eine Rechtfertigungslogik, wie insbesondere die Herausbildung eines spezifischen Arbeitsethos, angewiesen, das ArbeitnehmerInnen dazu bringt, sich „freiwillig“ zu unterwerfen und eine den Zielen des Systems entsprechende Lebensauffassung (Erwerbsorientierung, Gewinnmaximierung) auszubilden. Notwendig ist eine solche Rechtfertigung schon deshalb, weil es sich beim Kapitalismus – so Boltanski und Chiapello (2001) – in vielerlei Hinsicht um ein „absurdes“ System handelt, das im Prinzip nicht von allein funktionsfähig ist. Aufgezeigt werden Rechtfertigungslogiken, die die Kritik am Kapitalismus zum Verstummen gebracht und die notwendige Begeisterung und Motivation erzeugt haben, die für seinen Erhalt unabdingbar sind. Gegenübergestellt werden die krisenhafte Phase des Kapitalismus um 1970 und die Phase des „Turbo-Kapitalismus“91 der 1990er Jahre. Ausgegangen wird von der These, dass es zu einem „neuen Geist des Kapitalismus“ gekommen ist, der die systemkritische Sicht der „Achtundsechziger“ – einschließlich ihrer emanzipatorischen Potentiale – neutralisiert hat. Boltanski und Chiapello zufolge ist es dem Kapitalismus gelungen, immer wieder neue Managementstrategien zur Kapitalakkumulation hervorzubringen, die in der Lage waren, Kritik zu vereinnahmen. Von großer Relevanz für die Herrschaftslegitimation ist die Orientierung an bestimmten Formen der Polis. Damit ist eine Ausrichtung an bestimmten Werten gemeint, die den normativen Bezugspunkt spezifischer Rechtfertigungsmuster bzw -ideologien bildet. Boltanski und Chiapello (2001) unterscheiden insgesamt sieben Polisformen: 1. „Erleuchtete Polis“, bei der es auf die Erleuchtung des „Heiligen“ oder auf das Ausmaß der geistigen, künstlerischen Inspiration ankommt 2. „Familienweltliche Polis“, Wertigkeit resultiert aus der hierarchischen Position in der familialen Gemeinschaft (der Größe des Ältesten, Hausvorstands, Vaters) 3. „Reputationspolis“ (Polis der Ehre), das Ausmaß der Wertigkeit hängt von der Reputation ab, die durch die Meinung anderer erzeugt wird 4. „Bürgerlich-politische Polis“ (bzw. Zivilpolis), Wertschätzung erfahren diejenigen, die Kollektivität und Allgemeinwillen zum Ausdruck bringen (z.B. politische Repräsentanten) 5. „Marktwirtschaftliche Polis“ (Marktpolis), Größe wird gemessen an der Fähigkeit (z.B. des Kaufmanns), auf einem Wettbewerbsmarkt begehrte Güter anzubieten und Marktchancen zu nutzen 6. „Industrielle Polis“, entscheidend ist Effizienz und die Ausstrahlung professioneller Kompetenz und 7. neue Variante der „projektbasierten Polis“, in der eine Orientierung an Werten wie Flexibilität, Mobilität, Kreativität und Eigenverantwortung im Fokus steht. 91

Die Bezeichnung Turbo-Kapitalismus verwendete zuerst Edward Luttwak (1999). Er versteht hierunter die Entstehung eines auf Kurzfristigkeit ausgerichteten Marktes, dem aber durchaus gewisse Beschränkungen auferlegt werden müssen (kontrollierter Kapitalismus).

144

4 Produktion und Konsumtion

Während die ersten sechs Polisformen weitgehend bekannte Muster der Herrschaftslegitimation beschreiben, gilt die siebte Polisform als eine neue Variante der Rechtfertigung. Ausgemacht wurde sie mittels einer vergleichenden Analyse von Texten aus der Managementliteratur aus zwei Untersuchungszeiträumen (1960er und 1990er Jahre).92 Die Auswertung zeigt, dass die „industrielle Polis“ Anfang der 1990er Jahre zwar noch ein großes Gewicht hat, aber in der jüngeren Managementliteratur ein Bedeutungszuwachs von Kreativität, Innovationsfähigkeit, Flexibilität, Autonomie und Selbstorganisation auszumachen ist, wobei vor allem die netzwerkförmig organisierte und projektbasierte Zusammenarbeit eine große Rolle spielt. In Anbetracht des Gewichts, die dem Prinzip der Netzwerklogik (Verdreifachung der Nennungen) in den Texten aus den 1990er Jahren zukam, schlossen sie auf die Entstehung einer neuen, „projektbasierten Polis“. Die Ergebnisse liefern deutliche Hinweise auf eine völlig neue Rechtfertigungslogik des Kapitalismus, die ihres Erachtens die Schlussfolgerung nahe legt, dass sich bereits ab den 1970er Jahren Konturen eines „neuen Geistes des Kapitalismus“ erkennen lassen. So unterscheiden sie in ihrer historisch angelegten Studie – neben einer Ursprungsform – insgesamt drei Etappen des kapitalistischen Geistes voneinander. Auf das von Weber in der Protestantischen Ethik beschriebene erste, ursprüngliche Muster eines Geistes des Kapitalismus, das durch rastloses Unternehmertum, Askese und Sparsamkeit als Leistungsorientierung geprägt ist, folgen somit drei weitere: • Der „erste Geist“ des Kapitalismus entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts. Es ist die Phase, in der kleine Familienbetriebe die Wirtschaft bestimmen, ein bürgerlich, patriarchales Unternehmertum vorherrscht (paternalistische Fürsorge, familienweltlicher Traditionalismus) und Grundgedanken der Marktwirtschaft (persönliches Eigentum) allmählich an Geltung gewinnen. Der Kapitalismus nimmt die Form eines Familien- bzw. Unternehmerkapitalismus an; seine Basis bildet die familiale und marktwirtschaftliche Polis. • Der „zweite Geist“ zeichnet sich ab den 1940er Jahren ab und basiert auf einer industriellen-bürgerweltlichen Polis. Es ist die Zeit der großen Industrieunternehmen, der Konzerne und der Massenproduktion bzw. des Fordismus (Konzernkapitalismus). Es kommt zu einer Vorherrschaft der Manager und der Ausrichtung an einer effizienzbestimmten Meritokratie. Es ist jedoch kein zügelloser Kapitalismus, sondern einer, der sich dem Leitbild der sozialen, regulierten Marktwirtschaft verpflichtet fühlt und Aspekte der Gerechtigkeit (Leistungs- und Lohnpolitik) und Sicherheit (Arbeitsplatzsicherheit, Sozialpolitik) als Rechtfertigungsstrategien geltend macht. • Der „neue Geist“ des Kapitalismus kristallisiert sich bereits in den 1970er Jahren heraus und leitet eine neue Phase ein, den „Projekt- oder Netzwerkkapitalismus“. Charakteristisch für ihn ist die Ausrichtung an der projektbasierten Polis. Geradezu prototypisch für die Vernetzung von Unternehmen sind Entwicklungen im Bereich der Informations- und Telekommunikationsindustrie sowie der Biotechnologie. Nicht mehr die bürokratischen Giganten bestimmen das Bild eines modernen Unternehmens, sondern die Metapher des Netzwerks, in dem Unternehmen sich auf Kernkompetenzen konzentrieren und mit einer 92

Die Studie basiert auf der inhaltsanalytischen Auswertung von Managementliteratur aus den 1960er und 1990er Jahren (ein Korpus von circa 50 Texten für jeden Untersuchungszeitraum).

4.1 Produktion

145

Vielzahl hoch flexibler Zulieferer bzw. Sub-Unternehmen zusammenarbeiten. Hoch im Kurs steht die projektförmige Organisation von Arbeit, Flexibilität und Mobilität, Kreativität und Selbststeuerung. Es handelt sich um ein neues Set von Wertigkeiten. Wer in der Lage ist, sich in der Projektpolis zurechtzufinden, gilt als „high potential“ und gehört zu den GewinnerInnen. Ursächlich für die historischen Veränderungen des „Esprits“ ist die Kritik am Kapitalismus, der stets neue Rechtfertigungsstrategien erforderlich macht. „Kritik fungiert“ – so Boltanski und Chiapello – „als Motor für die Veränderungen des kapitalistischen Geistes“ (Boltanski/ Chiapello 2003: 68). Der Wandel der Polisformen, angefangen von der Marktpolis über die industrielle Polis bis hin zur Projektpolis, spiegelt jeweils spezifische Rechtfertigungslogiken wider, die dazu beigetragen haben, die Kernstrukturen des Kapitalismus aufrecht zu erhalten. So werden die drei bereits angeführten allgemeinen Probleme des Kapitalismus – das Anreiz- bzw. Transformationsproblem, das Problem der Allgemeinwohlorientierung und das Problem der Gerechtigkeit – historisch jeweils auf eine spezifische Art und Weise bearbeitet, was in den unterschiedlichen Formen, die der Geist des Kapitalismus bislang angenommen hat, zum Ausdruck kommt. Die Transformation vom ersten zum zweiten Geist des Kapitalismus ist eng verknüpft mit der „Sozialkritik“ am Kapitalismus. Ausgelöst wurde sie durch die Arbeiterbewegung (Gewerkschaften). „Quellen der Empörung“ sind Tendenzen der Verelendung und Deprivation sowie der Ausbeutung. Damit einher gingen Forderungen nach Egalität und Gerechtigkeit, Partizipation und Mitbestimmung, besseren Arbeitsbedingungen und Statussicherheit. Im zweiten Geist des Kapitalismus findet sich eine Reihe von Rechtfertigungsstrategien, die darauf abzielen, diese Sozialkritik zu neutralisieren, um die Funktionsfähigkeit des Kapitalismus aufrechtzuerhalten. Eine andere Form der Kritik spielte hingegen bei der Transformation der zweiten in die dritte Phase des Kapitalismus eine Rolle. Es handelt sich – wie Boltanski und Chiapello ausführen – um so genannte „Künstlerkritik“. Im Zentrum stehen Forderungen nach Autonomie, Flexibilität und Selbstverwirklichung. Quelle der Empörung ist die fehlende Authentizität, die Unterdrückung von Kreativität und Autonomie, die Standardisierung und Uniformität, die Bürokratie und die Vermassung. Ausgegangen ist die Künstlerkritik von der 1968er Protestbewegung, die in Frankreich, dem Land, auf das sich die Analyse von Boltanski und Chiapello bezieht, weitere Bewegungen inspirierte; insbesondere die „autogestion-Bewegung“ der Gewerkschaften. Da sie sich – wie Hessinger (2008) zeigt – zu einer ernsthaften Gefahr für viele Unternehmen entwickelte, wurden einige Forderungen nach erhöhter Partizipation, mehr Selbstbestimmung am Arbeitsplatz aufgegriffen und umgesetzt. „Der Umzug der Künstlerkritik aus den ‘Kommunen’ in die Unternehmen wurde so in eine erfolgreiche Strategie umgemünzt“ (Hessinger/Wagner 2008: 30), die ein „sensibel und klug agierendes Management“ zu nutzen verstand und so auf die „hedonistische Kapitalismus-Kritik der 68er“ (Honneth 2002: 154) reagierte. Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass es soziale, oppositionelle Bewegungen waren, die Transformationsprozesse des Kapitalismus angetrieben und ihn damit wieder auf die Erfolgsspur gebracht haben. Dieses Argumentationsmuster lässt sich im Prinzip bis in die Gegenwart hinein verlängern: So zeichnet sich seit einigen Jahren in Anbetracht der immer offensichtlicher werdenden

146

4 Produktion und Konsumtion

Ambivalenz, die mit der „schönen neuen Arbeitswelt“ verbunden ist, wie der zunehmenden Prekarisierung und Existenzunsicherheit der Beschäftigten, die zur „neuen soziale Frage“ des 21. Jahrhunderts führen könnte (Castel/Dörre 2009), offenbar auch wieder eine Renaissance der Sozialkritik ab. Denn dass es sich bei der Absorption von Künstlerkritik durch neue Managementkonzepte um höchst ambivalente Entwicklungen handelt, machen die Analysen von Kocyba (2000), Voswinkel (2002), Honneth (2002) und anderen deutlich, die mit dem „neuen, kreativen Selbstunternehmertum“ und der „normativen Subjektivierung“ (Baethge 1991) nicht nur die Möglichkeit der Selbstorganisation und Autonomie, sondern auch Selbstausbeutungsrisiken verbinden. Der Preis der Autonomie für Projekt-ManagerInnen, NetzwerkerInnen und alle Arten von Quasi-Selbständigen ist schließlich nicht selten Einkommens- und soziale Unsicherheit. Boltanski und Chiapello zufolge müsste es dem Kapitalismus eigentlich auch diesmal gelingen, eine neue Rechtfertigungslogik auszubilden und einen neuen Geist des Kapitalismus zu generieren, der diese Kritik aufnimmt, um wieder an Legitimation zu gewinnen. Diese Fähigkeit des kapitalistischen Systems zur Vereinnahmung von Kritik und ihrer Funktionalisierung, die sich in der Herausbildung immer neuer Rechtfertigungslogiken und „Esprits“ widerspiegelt, aufzuzeigen, ist das Anliegen ihrer Studie. Nicht unproblematisch ist die teilweise etwas funktionalistische Argumentation, die hier durchscheint. So könnte man den Eindruck gewinnen, es werde von permanenten Rückkoppelungsschleifen ausgegangen, einem Zusammenspiel von Kritik, kapitalistischen Transformationsprozessen und neuen Legitimationsstrategien. Damit liefe jedwede Kritik aber stets Gefahr, „die Munition für die moralische Wiedergeburt des Kapitalismus zu liefern“ (Kocyba/ Voswinkel 2008: 57). Ob die Antwort auf dieses Risiko einer legitimatorischen Funktionalisierung der Verzicht auf Kritik heißen muss, ist die Frage. Zumindest steigen die Anforderungen an die Kritik selbst. Von einer kritischen Wirtschaftssoziologie ist zu erwarten, dass sie sich dieser Herausforderung stellt und offen legt, warum die Wirtschaft auch in absehbarer Zeit noch kapitalistisch geprägt sein wird und welche Konsequenzen hiermit verbunden sind. Dass sie dabei stets auch ihr eigenes Tun kritisch reflektieren muss, ist unabdingbar, denn ohne eine kritische Distanz gegenüber Machtdiskursen und dem „ideologischen Charakter“ des Kapitalismus – der „Illusio“ im Sinne von Bourdieu – kommt eine soziologische Analyse der Wirtschaft nicht aus.

4.2

Konsumtion

Das Thema Konsumtion93 wurde in der Wirtschaftssoziologie lange Zeit vernachlässigt, dabei findet sich bereits bei Adam Smith die Aussage: „Consumption is the sole end and purpose of all production“ (Smith 1950: 660). Für Smith stellt die Konsumtion einen wichtigen

93

Zur Konsumsoziologie siehe u.a. Wiswede 2000; Jäckel 2004. Im Zentrum standen u.a. die Erforschung des Konsumentenverhaltens, die Debatte über die „Konsumgesellschaft“ und der Wandel von Lebensweisen. Aufschlussreich sind auch die jüngsten Tendenzen zur Etablierung einer Markensoziologie (vgl. u.a. Hellmann 2003), die sich mit der Entstehung und Bedeutung von Marken aus einer soziologischen Perspektive auseinandersetzt (vgl. u.a. Hellmann/Pichler 2005).

4.2 Konsumtion

147

Indikator für das „Wohlergehen“ einer Wirtschaft dar. Auf den ersten Blick ist dies durchaus nachvollziehbar. Zieht man etwa den Konsumklima-Index94 heran, zeigt sich, dass die Neigung zum Konsum in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit zurückgeht. Verbessert sich die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und steigen zudem die Löhne und Gehälter, nimmt die Bereitschaft zum Konsum zu und es wird Geld für Autos, Fernseher, Reisen usw. ausgegeben, was sich auf das quantitative Wachstum einer Volkswirtschaft positiv auswirkt. Volkswirtschaften sind sogar – wie Stehr betont – immer abhängiger vom Konsum der privaten Haushalte geworden, denn in „vielen Wirtschaften der entwickelten Welt beläuft sich der Verbrauch der Privathaushalte auf mehr als 60 Prozent des BIP“ (Stehr 2007: 31). Die Zahl belegt eindrucksvoll, welche Bedeutung dem modernen Konsum in einer Volkswirtschaft mittlerweile zukommt. Allerdings hat dieser Anstieg der Konsumausgaben nicht nur positive Auswirkungen, wenn man etwa an die Umweltfolgen denkt (vgl. ebd.). Allein schon aus diesem Grund reicht es nicht aus, nur das quantitative wirtschaftliche Wachstum zum Maßstab zu machen. Konsum ausschließlich unter „dem Aspekt faktisch getätigter Zahlungsvorgänge“ (Schrage 2009: 12) sowie als „Chance für Produktion und für Investition“ (Luhmann 1997: 724) zu betrachten, lässt viele Fragen offen. Welche Rolle haben Konsumenten und welche Relevanz kommt dem Kauf von Konsumgütern in der Moderne wirklich zu? Mit Konsum ist offenbar nicht nur die Möglichkeit verbunden, über Dinge verfügen zu können, sondern auch soziale Prestigeordnungen, Distinktion und Lebensstile zum Ausdruck zu bringen. Demnach ist dem Konsum in der Moderne eine „besondere, auf die gesamte Gesellschaft ausstrahlende Bedeutung“ (Schrage 2009: 10) zuzumessen. Stehr geht sogar – wie schon der Wirtschaftspsychologe Katona (1962, 1965) – soweit, vom Konsum als „Motor der Moderne“ (Stehr 2007: 31) zu sprechen. Folglich ist es an der Zeit, dem Thema Konsum mehr Aufmerksamkeit zu widmen und sich mit seiner Entwicklung, Bedeutung und den Auswirkungen näher auseinanderzusetzen.

4.2.1

Massenkonsum

Konsum ist zunächst einmal ein „permanenter Bestandteil und eine unabdingbare Voraussetzung des Lebens“ (Bauman 2009: 37). Er spielt im Laufe der Zeit eine immer wichtigere Rolle in der Gesellschaft und gilt als ein zentrales Element der modernen Vergesellschaftung (vgl. u.a. Schrage 2009). Die Entstehung des modernen Konsums95 ist eng verflochten mit 94

95

Der Konsumklima-Index wird im Rahmen regelmäßig stattfindender Befragungen von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) erhoben und gibt Auskunft über die Anschaffungsneigung von Verbrauchern. Er geht zurück auf die Arbeiten von Katona und zielt darauf ab, all die Effekte, Meinungen, Stimmungen und Befürchtungen, die Konsumentscheidungen beeinflussen können, messbar zu machen. Gemessen wird: (1) die Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Situation und der erwarteten Veränderungen, (2) Erwartungen der Haushalte hinsichtlich der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, (3) Bewertungen der Entwicklung von Konsumgütermärkten, Qualitäts- und Preisniveaus (vgl. Strümpel/Katona 1983: 233). Unter Konsum werden ganz allgemein der Verbrauch und die Nutzung von Gütern bzw. Produkten wie Dienstleistungen verstanden, die vorwiegend durch Haushalte (als Wirtschaftseinheiten) in Anspruch genommen werden. Im Kern geht es um eine Verhaltensweise von Konsumenten, die auf eine spezifische Form der Einkommensverwendung (den Gegensatz zum Sparen) abzielt und sich zugleich durch einen Entscheidungsakt (Kauf) für eine bestimmte Ware auszeichnet. Ökonomisch betrachtet läuft Konsum auf eine „Marktentnahme“ von Gütern und Diensten – für den privaten Verbrauch – hinaus.

148

4 Produktion und Konsumtion

dem von Polanyi (1997) so anschaulich beschriebenen Prozess der „Great Transformation“ (vgl. Teil 2). Entscheidend waren die Entkopplung des Wirtschaftssystems von traditionsgebundenen Sozialbeziehungen, die Trennung von Produktion und Konsumtion sowie die im Zuge der Industrialisierung entstehenden Produktionsstätten, insbesondere die große Gütermengen produzierende Fabrik. Zu nennen ist aber auch die Verstädterung, die Entwicklung neuer Transport- und Verkehrssysteme sowie vor allem die Entstehung von Warenhäusern, die als „wahre Konsumtempel“ beschrieben werden. Wirtschaftliche Innovationen trugen zu enormen Produktivitätssteigerungen bei, die die Herstellung von Konsumgütern erst möglich gemacht haben. Galbraith verbindet hiermit die Entstehung einer „Überflussgesellschaft“, in der dem Konsum eine völlig neue gesellschaftliche Bedeutung zukommt (vgl. Galbraith 1968). Konsum dient demnach nicht mehr in erster Linie der Bedürfnisbefriedigung, sondern im Kern – wie Schrage hervorhebt – der „Aufrechterhaltung der sozialen Basis einer Wirtschaftsordnung, die sich durch die gesellschaftlich geteilte und begrüßte Erwartung eines permanenten Wachstums stabilisiert – einer Erwartung, die wiederum von der stetigen Weckung neuer Bedürfnisse abhängig ist“ (Schrage 2009: 217), die nie vollständig befriedigt werden und damit den Fortbestand eines massenproduzierenden Kapitalismus gewährleisten (vgl. ebd.). Faktisch setzte die Ausweitung des Konsums nach dem zweiten Weltkrieg in allen fortgeschrittenen Industrieländern mit der an Tempo gewinnenden Massenproduktion ein und trug zu einer wahrhaften „Konsumgüter-Revolution“ bei (vgl. u.a. Wittke 1996; Voß/Rieder 2005: 42 ff.).96 Die moderne Gesellschaft wird daher auch in vielen Konzepten als „Konsumgesellschaft“ bezeichnet (vgl. u.a. Brewer 1997). Als Vorreiter gilt die USA, in der schon in den 1920er Jahren typische Merkmale einer Konsumgesellschaft – wie das Aufkommen des Massenkonsums, die Verbreitung von Massenmedien und eines spezifischen „way of life“ – auszumachen sind (vgl. u.a. Schrage 2009). Hier bildete sich schon früh eine breite Mittelschicht mit relativ standardisierten Konsumgewohnheiten, entsprechenden kulturellen Präferenzen und Lebensstilen heraus. Beschreiben lässt sich diese Entwicklung mit den Stichworten „Massenwohlstand und Massenkonsum, Technisierung der privaten Lebenswelt und Freizeitkultur“ (Lutz 1984: 216). Ausschlaggebend hierfür war die sich ausbreitende tayloristisch-fordistische Massenproduktion, die eng verwoben ist mit dem Anstieg des Konsums privater Haushalte, insbesondere des Mittelstandes. Zur Massenware wurden nicht nur das Automobil, das „Leitprodukt“ des Fordismus, sondern auch Rundfunk- und Fernsehgeräte, Waschmaschinen und Kühlschränke. Riesman hat den Konsum standardisierter Massenprodukte der US-amerikanischen Mittelschicht bereits in den 1950er Jahren beschrieben und dabei ein „Standardpaket“ von Konsumgütern identifiziert: Es besteht aus „einem Sortiment von Gütern und Dienstleistungen, einschließlich Gegenständen des Hausrats wie Möbel, Radio, Fernsehapparat, Kühlschrank und (…) Standardmarken der Nahrung und Kleidung“, das sich durch eine „beträchtliche Gleichförmigkeit“ ausweist (Riesman 1973: 19). Letztlich erstreckte sich diese Entwicklung eines einheitlichen Konsummodells auch auf die Kultur und die Medien.

96

Erste Ansätze einer Konsumrevolution gab es schon im 18. und 19. Jahrhundert, als in England und Frankreich die ersten Warenhäuser entstanden (vgl. u.a. Stihler 1998; Schrage 2009).

4.2 Konsumtion

149

Bild 7: Menschen vor dem Kaufhaus (Fotograf: Otto Donath)

© Bundesarchiv

Wirft man einen Blick auf die Konsumentwicklung in der Bundesrepublik, ist deutlich zu erkennen, dass die Nachfrage nach Massenprodukten, insbesondere langlebigen Konsumgütern, in den späten 1950er und 1960er Jahren – den so genannten „Wirtschaftswunderjahren“ – stark anstieg. Tendenzen in Richtung Massenkonsumgesellschaft wie eine Orientierung an dem US-amerikanischen Leitmodell des Massenkonsums sind nicht zu übersehen. Auch in der Bundesrepublik wurden Güter, die ehemals als Luxusgüter galten, wie etwa Automobile, elektrische Haushaltsgeräte, Fernsehgeräte usw., für eine breite Masse erschwinglich und trugen zu einer Verschiebung der Ausgabenstruktur bei. So gab die deutsche Mittelschicht in den 1950er Jahren in zunehmendem Maße Geld für Automobile und Ferienreisen sowie mitunter auch für ein Eigenheim am Stadtrand aus (vgl. Schrage 2009: 228). Während die Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel bis heute relativ konstant geblieben sind, ist eine sukzessive Erhöhung der Ausgaben für Wohnungsmiete, Verkehr und Nachrichten, Bildung und Freizeit sowie für Gesundheit und Körperpflege auszumachen (vgl. u.a. Bögenhold/Fachinger 2007: 32). Lutz konstatiert: „In einem knappen Vierteljahrhundert setzte sich im Großteil der Industrienationen Europas unaufhaltsam eine Lebensweise durch, die in wesentlichen Zügen in der middle class der USA zwischen den beiden Kriegen entstanden war“ (Lutz 1984: 216).

150

4 Produktion und Konsumtion

Der Massenkonsum beeinflusste die gesellschaftliche Lebensweise in vielerlei Hinsicht nachhaltig (vgl. u.a. Kaelble 1997): „Automobile (veränderten, M.F.) das Mobilitätsverhalten, elektrische Haushaltsgeräte (Waschmaschine und Kühlschrank, Staubsauger und Bügeleisen, Küchenmaschine und Rasierapparat) die Reproduktion im Haushalt und Rundfunk und Fernsehen das Freizeitverhalten“ (Wittke 1996: 69). Vor allem die Orientierung am USamerikanischen standardisierten Massenkonsum wurde von Beginn an nicht nur positiv – etwa als ein Ausdruck der allmählichen Wohlstandssteigerung, die auch die Arbeiterklasse erreichte – bewertet. Bauman (2009) zufolge steht die Konsumgesellschaft generell für eine „echte Zeitenwende“, einen tief greifenden Wandel, der aus der „Gesellschaft der Produzenten“ eine „Gesellschaft der Konsumenten“ gemacht hat und mit einer „Neudefinition des Menschen“ verbunden ist, die nunmehr „primär in ihrer Eigenschaft als Konsumenten“ (Bauman 2009: 71) gefragt sind. Eine solche Gesellschaft „propagiert“, „fördert“ oder „erzwingt“ geradezu einen „konsumistischen Lebensstil“ und eine „konsumistische Lebensstrategie“, der sich niemand gänzlich entziehen kann (vgl. ebd.: 72). Mitglieder der Konsumgesellschaft werden selbst zu Konsumgütern und müssen sich ständig darum bemühen, ein „nachgefragtes Gut“ (ebd.: 77 ff.) zu sein. Bauman (2009) bringt diesen Wandel – in Anlehnung an Campbell (2004) – mit den Worten auf den Punkt: „Ich shoppe, also bin ich (…)“ und geht von einer umfassenden Kommodifizierung des Lebens aus, von einem Zwang zum „Leben als Konsum“. Kritisch hinterfragt wurde der Konsum, genauer der Trend zum „Konsumismus“, der den Konsum zum „eigentlichen Daseinszweck“ erhebt und zur Grundlage der Wirtschaft macht, nicht erst von Bauman (2009). Schon zuvor wurde vor allem mit der Ausbreitung der Massenmedien und Massenkultur die Befürchtung verbunden, dass es zu einer Standardisierung und Homogenisierung aller Lebensbereiche kommen wird, was am Ende eine „Verflachung“ und „Trivialisierung des Lebens“, ja eine „Selbstentfremdung“ von der „ureigensten Sinnsuche“ (Hamilton 2003: 53 ff.) bedeutet (vgl. Stehr 2007: 207 f.). Die moderne Gesellschaft sei – wie kulturskeptische Sichtweisen hervorheben – auf dem Weg, sich in eine Massenkonsumgesellschaft zu transformieren, die zur Uniformierung und Unmündigkeit führt und keinen Widerstand zulässt (vgl. u.a. Horkheimer/Adorno 1987). Vorherrschend ist das Bild eines passiven, durch die Medien manipulierten Konsumenten, der dem Prozess der Gleichschaltung und Standardisierung der Lebenswelt ausgeliefert ist. Bauman (2009) geht sogar noch weiter, indem er eine konsumistische Daseinsform beschreibt, die Menschen zu Gehetzten macht, die permanent der Befriedigung von Bedürfnissen im Hier und Jetzt hinterherjagen müssen, ohne sie jemals restlos befriedigen zu können. Letztendlich liefern sie sich sogar selbst den Marktgesetzen aus (vgl. Bauman 2009; Campbell 2004). Spätestens an dieser Stelle muss auch auf nicht ganz so skeptische Bewertungen des Konsums hingewiesen werden, die zum Teil sogar Gegenstand recht optimistischer Zeitdiagnosen sind. Den Ausgangspunkt dieser Szenarien bildet die Figur des aktiven, souveränen Konsumenten, der sich nicht von den falschen Versprechungen der Werbung verführen und manipulieren lässt. Neuerdings ist sogar die Rede von einer „Konsumguerilla“, die zwar keine Revolution anstrebt, der aber eine kritische Haltung gegenüber allgemeingültigen Leitbildern und Konformismus zugeschrieben wird (vgl. u.a. Richard/Ruhl/Wolff 2008). KonsumentInnen werden hier nicht als „entfremdete“, „nicht-wissende“ Akteure wahrgenommen, sondern als selbstbewusste, reflektierte VerbraucherInnen, die Einfluss auf das Marktgeschehen (am

4.2 Konsumtion

151

Ende sogar auf die Herstellungsbedingungen von Produkten und Dienstleistungen) ausüben können (vgl. u.a. Katona 1962, 1965; Stehr 2007). Bevor wir uns jedoch näher mit der Frage befassen, ob eher die pessimistische Sicht der Konsumgesellschaft Baumans oder die optimistische Perspektive Stehrs zutreffend ist, wollen wir zunächst Aufschluss darüber gewinnen, wie sich das Phänomen des Konsums und die Entstehung von Konsumbedürfnissen überhaupt erklären lassen.

4.2.2

Wie lässt sich Konsum erklären?

Sind es „günstige“ Preise, also reine Kosten-Nutzen-Abwägungen, die Menschen zum Kauf von Konsumgütern motivieren? Ist es das Streben nach Prestige, die Suggestion der Werbung und der Mode, die den Kauf von Markenartikeln bis hin zu teuren Autos und Designerkleidern erklärt? Erklärungskonzepte, die sich ausschließlich auf Nutzenabwägungen beziehen, greifen zu kurz (vgl. u.a. Schrage 2009).97 Kaufentscheidungen werden zwar auch mit dem Blick auf Preise und Haushaltseinkommen bzw. finanzielle Ressourcen getroffen, aber dies allein erklärt noch nicht, was Menschen bewegt, Dinge zu kaufen und „wie und warum immer wieder neue Bedürfnisse entstehen“ (Deutschmann 2006: 155). Unstrittig ist, dass Menschen konsumieren, um „elementare“ Bedürfnisse (Hunger, Durst, Sicherheit) zu befriedigen. Konsum ist daher ein wesentlicher Bestandteil des Lebens. Allerdings hat sich die Form des Konsums im Laufe der Menschheitsgeschichte tief greifend verändert. In der modernen Gesellschaft spielen „komplexere“ Bedürfnisse, die im Zusammenhang stehen mit der Gewinnung von Status und Prestige sowie sozialer und kultureller Teilhabe, eine zunehmend größere Rolle. Sucht man nach Erklärungen für den Wandel der Konsumbedürfnisse, dann bietet sich eine Reihe von Ansätzen an. Klassische Erklärungskonzepte gehen von einer stufenförmigen Abfolge von Bedürfnissen aus, wie etwa die „Vershofensche Nutzenleiter“, der zufolge zunächst eine Befriedigung „stofflich-technischer Grundnutzen“ erfolgt und dann erst „seelisch-geistige Zusatznutzen“ angestrebt werden, die sich wiederum in „soziale Geltungsnutzen“ und „persönliche Erbauungsnutzen“ untergliedern lassen. Derartige Bedürfnishierarchien gibt es viele. Einen großen Bekanntheitsgrad hat die Maslowsche Bedürfnis-Pyramide, die in fünf Kategorien untergliedert ist. Sie beginnt mit (1) physiologischen Bedürfnissen zur Aufrechterhaltung der Körperfunktionen, gefolgt von (2) Sicherheitsbedürfnissen, (3) Bedürfnissen nach Liebe und Zuwendung, (4) Wertbedürfnissen (Akzeptanz, Status, Anerkennung) und zuletzt (5) Bedürfnissen nach Selbsterfüllung (vgl. Maslow 1981). Maslows Bedürfnispyramide bildet selbstverständlich nicht die Wirklichkeit ab; es ist ein Modell, dem eine hierarchische Klassifizierung zugrunde liegt. Gleichwohl handelt es sich in zeitlicher Perspektive aber auch um ein „Konti97

Zu nennen ist hier die Nachfragetheorie der Haushalte (mikroökonomische Nachfragetheorie). Ihre Grundfrage lautet: Welche Güter werden im Hinblick auf den mit ihrem Kauf angestrebten Nutzen in Abhängigkeit von ihrem und dem Preis anderer Güter in welchen Mengen nachgefragt? Ausgegangen wird erstens vom Axiom der Preiselastizität, demzufolge die Höhe des Konsums abhängig ist von steigenden Einkommen oder sinkenden Preisen eines Gutes, und zweitens vom Axiom der Bedarfssättigung. Hier wird unterstellt, dass der Kauf eines Gutes ab einem bestimmten Punkt immer weniger Befriedigung mit sich bringt. Folglich werden Güter präferiert, die den jeweils höchsten subjektiven Nutzen liefern.

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4 Produktion und Konsumtion

nuum wechselnder Bedürfnisrelevanzen (…): Mal haben Defizitbedürfnisse den Vorrang, mal Selbstverwirklichungs- oder Wachstumsbedürfnisse“ (Jäckel 2008: 169). Tatsächliches Nachfrageverhalten folgt demnach weder strikt einer hierarchischen Bedürfnisabfolge noch vorgegebenen Sättigungsannahmen oder ökonomischen Kalkulationen. Wer beachtet beim Kauf von Lebensmitteln schon immer den Kalorienwert (und verzichtet z.B. auf Schokolade)? Wer kauft einen Hut, einen Mantel oder einen Schal nur unter dem Kriterium, ob diese Dinge im Winter ausreichend Schutz vor Kälte bieten? Nicht jeder Kaufakt basiert offenbar auf einem rationalen, kalkulierten Abwägungsprozess, demzufolge nur das gekauft wird, was notwendig ist, um den Organismus am Leben zu erhalten. Mithin erweist sich jede Differenzierung zwischen primären und sekundären Bedürfnissen, lebenserhaltenden und fremderzeugten Bedürfnissen am Ende als problematisch. Selbst das Wissen um die Einkommensverhältnisse von Konsumenten trägt nicht unbedingt dazu bei, das Konsumentenverhalten zu entschlüsseln und – in Anbetracht der mittlerweile auszumachenden Vielfalt von Möglichkeiten98 – Aufschluss über Konsumpräferenzen und -motive zu gewinnen. Weiter führen hier Erklärungen aus der Soziologie und Kulturanthropologie, die auf die symbolische Bedeutung des Konsums (u.a. Baudrillard 1988) oder den Einfluss soziokulturell vermittelter Werte und Normen verweisen. Wenngleich es durchaus „objektive“, messbare Einflussfaktoren gibt, wie etwa die Preisentwicklung oder der Konsumklima-Index, die Auskunft über die Entwicklung des Konsums geben, sind immer auch nicht unmittelbar zu beobachtende Faktoren zu berücksichtigen, wie etwa der Wertewandel, „der durch massenmediale Leitbilder vermittelt wird und die Präferenzstrukturen der Konsumenten moduliert“ (Bögenhold/Fachinger 2007: 37). Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt hier die Mode, die ebenfalls Präferenzen bestimmen und den Konsum stimulieren kann (siehe hierzu schon früh Simmel 1986). Wurde also zu Beginn der Industrialisierung noch „Enthaltsamkeit“ im Hinblick auf den Konsum gepriesen, zeigte sich spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie wichtig der Konsum für wirtschaftliches Wachstum ist, und dass dieser mittels häufiger Modewechsel gesteigert werden kann. Mode und Wirtschaft sind – wie Sombart (1986) schon früh erkennt – eng miteinander verknüpft. Designermode aus Paris kann sich die breite Masse zwar nicht erlauben, sie setzt aber Nachahmungsprozesse in Gang, so dass ein stetes Wechselspiel zu beobachten ist (vgl. Bögenhold/Fachinger 2007: 22). Von Relevanz ist hier letztendlich auch das Bestreben, sich von anderen zu unterscheiden und abzugrenzen. Hier hat die These des demonstrativen Konsums ihre Wurzeln (vgl. u.a. Veblen 1958; Simmel 1919). Eine der bekanntesten Abhandlungen zum prestigeorientierten bzw. demonstrativen Konsum stammt von Thorstein Veblen. Sie trägt den Titel „Theorie der feinen Leute“ (Veblen 1958, zuerst 1899). Veblen setzt sich mit dem gesellschaftlichen und kulturellen Wandel der USamerikanischen Gesellschaft kritisch auseinander und hinterfragt den bewussten, auf Prestige ausgerichteten Konsum. Er lässt an seiner Missbilligung des so genannten „Geltungskonsums“ keinen Zweifel aufkommen. Eine der Kernthesen lautet: „In jeder hoch industrialisier98

Schwartz (2004) zufolge leben wir gegenwärtig in einer Phase des Übergangs vom Zeitalter der Entbehrung zum Zeitalter des Überflusses. Der „notgedrungenen Übersichtlichkeit“ der „Entbehrungsphase“ ist offenbar eine „nicht-intendierte Verwirrtheit“ der Konsumenten („Consumer Confusion“) aufgrund der zunehmenden Produktvielfalt gefolgt (vgl. Jäckel 2008).

4.2 Konsumtion

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ten Gesellschaft beruht das Prestige letzten Endes auf der finanziellen Stärke und die Mittel, um diese in Erscheinung treten zu lassen, sind Muße und demonstrativer Konsum. Beide Methoden finden sich demgemäß bis fast ans Ende der sozialen Stufenleiter, wo sie größtenteils an Frau und Kinder delegiert werden. (…) Keine Klasse, nicht einmal die allerärmste, versagt sich jeglichen demonstrativen Verbrauch. (…) Unglaubliches Elend und unsagbare Entbehrungen werden erlitten, bevor der letzte Schmuck, der letzte Schein der Wohlanständigkeit weggegeben wird“ (Veblen 1958: 93). Es genügt daher nicht reich zu sein, um Ansehen zu erwerben, man muss seiner Umwelt diesen Reichtum demonstrieren. Dies kann am eindruckvollsten durch eine entsprechende Lebensweise und den Kauf von prestigehaltigen Gütern, wie durch den Besitz teurer Uhren, Autos oder Segelboote, erfolgen. Demnach gibt es einen Zusammenhang zwischen Privateigentum, Macht, Anerkennung bzw. sozialem Status. Mit anderen Worten: Besitztümer werden öffentlich zur Schau gestellt, weil hierdurch Macht demonstriert und Anerkennung gefestigt werden kann. Das Zur-Schau-Stellen teurer Produkte ist demnach ein Zeichen für Überlegenheit; das Unvermögen zu konsumieren für Unterlegenheit (vgl. Veblen 1958). Veblen kritisiert diese Form des Konsums scharf. Seines Erachtens hat mit fortschreitender Industrialisierung eine Entwicklung stattgefunden, der zufolge es in modernen Gesellschaften nicht mehr um die Wertschätzung produktiver und nützlicher Tätigkeiten geht (den „Werkinstinkt“), sondern um demonstrative Verschwendung, „die Vergeudung von Geld und Energie“ (ebd.).99 Der Prozess der Zivilisation stellt für Veblen ein Fortwirken des Konflikts zwischen „Werkinstinkt“ und dem aggressiven räuberischen Instinkt bzw. den egoistischen, individuellen Interessen dar, die auf ein bloßes Habenwollen ausgerichtet sind. So ähnelt der Räuberhäuptling des Feudalismus dem Industriekapitän des 19. Jahrhunderts. Die Industrialisierung führt folglich nicht zu einer Rückkehr der Wertschätzung nützlicher Arbeit, sie stellt stattdessen ein „System des abwesenden Eigentümers und der gemieteten Arbeitskraft“ dar, in dem die „räuberische Ausbeutung“ den „Werkinstinkt“ überlagert (vgl. ebd.). Nichtproduktive Beschäftigung wird nunmehr als etwas „Ehrenvolles“ betrachtet. Die „vornehme“ Klasse ist demnach „das Ergebnis einer Unterscheidung, der gemäß die einen Tätigkeiten wertvoll, die anderen unwürdig sind“ (ebd.: 26). Zum „neuen Helden“ in der „quasifriedvollen Epoche“ wird man jedoch nicht allein durch das Anhäufen von Reichtum, sondern erst durch die damit verbundenen Möglichkeiten, mittels des Konsums, Prestige zu erwerben und Macht zu festigen. Insgesamt sind es vier Phänomene, mit denen Veblen den Müßiggang der feinen Leute beschreibt, der wiederum Ausstrahlungseffekte auf mittlere und untere Klassen hat (Trickle-down-Effekt). Hierbei handelt es sich um: • demonstrativen Konsum (conspicious consumption): Im Zentrum steht die Anhäufung von Status-Symbolen (z.B. teure Autos, Häuser, Kunstwerke); ja, sogar eine Art „Protzverhalten“. • stellvertretenden Konsum (vicarious consumption): Dieser ist gleichzusetzen mit einer Delegation des Konsums an andere, vor allem an Frauen, deren Aufgabe – Veblen zufolge – darin besteht, „im Interesse des Herrn zu konsumieren“ (ebd.: 65). In modernen

99

Es kommt zu einem Konflikt zwischen Geschäft (business) und fleißiger Arbeit (industry), Händlergeist (salesmanship) und Ethos der Facharbeit (workmanship).

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4 Produktion und Konsumtion

Konsumgesellschaften übernimmt demnach, quasi in Fortführung patriarchalischer Gesellschaftsmuster, die Ehefrau die Rolle des „unfreiwilligen Dieners“; Frauen werden als „unfreie Konsumentinnen“ charakterisiert. Mithin lässt man auch Freunde (selbst Rivalen) am Reichtum teilhaben, indem man ihnen wertvolle Geschenke macht oder sie zu Festen einlädt. • demonstrativen Müßiggang (conspicious absentation from labour): Er zielt auf eine nicht als produktiv angesehene Form der Verwendung von Zeit ab. Veblen spricht in diesem Zusammenhang von einer Demonstration vornehmer Lebensart, die darin besteht, zu reisen, sich mit Kultur und Kunst zu befassen, Sport zu treiben usw., sowie • stellvertretenden Müßiggang (vicarious leisure): Dieser bezieht sich besonders auf die Dienerschaft; d.h. das Dienstpersonal muss sich der Lebensweise der Herrschaft entsprechend verhalten, „denn der Diener soll ja die Zahlungsfähigkeit seines Herrn demonstrieren“ (ebd.: 73). Veblens Buch stieß auf Kritik und Ablehnung. Es wurde ihm u.a. vorgeworfen, die Vergangenheit als „goldenes Zeitalter von Frieden und Glück“ zu verklären und ein allzu harmonisches Bild dieser Zeit zu zeichnen (vgl. u.a. Riesman 1973). Erst die Konsumforschung des 20. Jahrhunderts griff die These des demonstrativen Konsums sowie den „Trickle-downEffekt“ wieder auf. Dabei stellt sich allerdings die grundsätzliche Frage, ob Veblens Thesen auf das 20. wie 21. Jahrhundert übertragen werden können. Welche Relevanz kommt dem Geltungskonsum heute noch zu und welche Rolle spielt beim Konsumverhalten die soziale Einbettung in eine soziale Schicht bzw. Klasse? Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle die Lebensstilforschung100, die sich bereits in den 1960er Jahren – zuerst in den USA – entwickelt hat und zahlreiche Anknüpfungspunkte für die aktuelle Forschung zum Thema Individualität, Status und Prestige auf der einen Seite und die Bedeutung des Konsums auf der anderen Seite lieferte. Deutlich wurde dabei, wie unterschiedlich die generationenbezogenen Konsumpräferenzen und wie bedeutsam soziale Milieus sind. Mittlerweile liegt eine Vielzahl von Studien zu diesem Thema vor, die Ausgangspunkt unterschiedlichster Erklärungskonzepte und Theorien wurden (vgl. u.a. Rössel 2006; Featherstone 1987; Frenzen/Hirsch/Zerrillo 1994; Schulze 1992; Bourdieu 1987). Konsum: Mehr als eine Frage des persönlichen Geschmacks? Wer kauft welche Möbel? Wer bevorzugt welche Tee- oder Kaffeesorte? Wer fährt lieber einen Sportwagen, wer einen Kleinwagen? All dies sind Fragen, die – wie ausgeführt – nicht allein mit Blick auf die Höhe von Haushaltseinkommen beantwortet werden können. Grundorientierungen, Werthaltungen und Lebensstile gelten mehr und mehr als wichtige Bestimmungsfaktoren für Konsumgewohnheiten. So gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Unter100

Für die Ausbildung von Lebensstilen ist das Moment der Wiederholung von großer Bedeutung. Für die Stilbildung werden „habitualisierte und kohärente, also gewohnheitliche Verhaltensmuster (als zentral, M.F.) angesehen, die im Lebenslauf ‘relativ stabil’ bleiben“ (Papastefanou 2007: 238). Lebensstile sind unverwechselbare Strukturen der Organisation des Alltags im Rahmen eines „subjektiv sinnvollen, erprobten (…) Kontextes der Lebensorganisation (…) eines privaten Haushalts (…), den dieser mit einem Kollektiv teilt und dessen Mitglieder deswegen einander als sozial ähnlich wahrnehmen und bewerten“ (Lüdtke 1989: 40). Lebensstile gelten als Formgeber und Steuerungsprogramme für Konsumpräferenzen.

4.2 Konsumtion

155

nehmen, wie Werbeagenturen und Marktforschungsinstitute, die sich darauf spezialisiert haben, Konsumgewohnheiten zu erheben, Werbestrategien zu entwickeln und Marken zu etablieren (vgl. hierzu u.a. Hellmann 2003). Ein Beispiel hierfür stellt Sinus Sociovision dar, die auf der Basis regelmäßiger Erhebungen der sozialen Lage und Grundorientierungen der Bevölkerung Milieus voneinander abgrenzen. Gefragt wird nach der Alltagswelt, Lebensauffassungen und -weisen, die jeweils mit demografischen Eigenschaften (Bildung, Beruf, Einkommen) verbunden werden (vgl. u.a. Sinus 2000, 2007). Menschen mit vergleichbaren Werteorientierungen, Lebensweisen und Einstellungen zu Arbeit, Familie, Freizeit und Konsum werden zu jeweils einem spezifischen Sinus-Milieu zusammengefasst. Bildet man das Modell in einem Diagramm ab, so werden auf der senkrechten Achse die sozialen Schichten – von Ober- bis Unterschicht – abgebildet. Auf der horizontalen Achse sind es die Grundhaltungen und Lebenseinstellungen, differenziert nach bestimmten Grundorientierungen (konservativ, materiell, hedonistisch, postmaterialistisch und postmodernistisch). Auf der Grundlage dieses Modells wird eine Zuordnung der Bevölkerung vorgenommen; so ergeben sich Gruppen mit bestimmten soziodemographischen Charakteristika und Lebenseinstellungen. Sinus unterscheidet mit Blick auf Deutschland zwischen insgesamt 10 Milieus, die innerhalb der Bevölkerung jeweils einen bestimmten Prozentanteil ausmachen. Demnach gehören 15 Prozent der Bevölkerung im Jahre 2010 dem traditionellen Milieu an. Das konservativ-etablierte Milieu kommt auf 10 Prozent. Zählt man die konservative Mitte mit 14 Prozent noch hinzu, dann gewinnt man den Eindruck, dass das konservative, traditionelle, bürgerliche Milieu in Deutschland eine große Bedeutung hat. Nicht zu übersehen ist aber auch das prekäre Milieu mit 9 Prozent. Zudem fällt auf, dass der Anteil des hedonistischen Milieus immerhin 15 Prozent beträgt (zum Vergleich: 2009 waren es erst 11 Prozent). Eingesetzt wird dieses Modell vor allem in der Werbung, da die Erfassung der Sinus-Milieus die Möglichkeit bietet, Lebensstil-Typologien zu entwickeln und zielgruppenspezifische Werbestrategien zu verfolgen. Herausgefunden werden kann, welche Produkte (Kleider, Getränke, Shampoos etc.) wie beworben werden müssen, um von bestimmten Käufergruppen (Zielgruppen) nachgefragt zu werden. Ein Beispiel soll dies illustrieren: Nehmen wir etwa die Gruppe der Postmateriellen (sozialökologisches Milieu), die als hoch gebildet und kosmopolitisch orientiert beschrieben werden und eine liberale, individualistische, kritische Grundorientierung aufweisen. Ihnen wird ein Konsumverhalten zugeschrieben, das als kritisch reflektiert gilt und sich durch ein hohes Maß an Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein sowie eine Ausrichtung am Prinzip „weniger ist mehr“ auszeichnet. Produkte müssen dementsprechend als qualitativ hochwertig und umweltbewusst vermarktet werden. Weit davon entfernt, einen Beitrag zur Marktforschung leisten zu wollen, ist demgegenüber die soziologische Forschung zu sozialen Milieus, Geschmackspräferenzen und Konsummustern. Hier handelt es sich in erster Linie um Forschungen, die sich darauf konzentrieren, den Zusammenhang von Konsum auf der einen Seite und Lebensstilen, sozialer Distinktion sowie Klassenzugehörigkeiten und sozialer Ungleichheit auf der anderen Seite aufzuschlüsseln (vgl. u.a. Bourdieu 1987). Wer was und wie konsumiert, ist zwar auch eine Frage des persönlichen Geschmacks, es geht aber letztendlich um weitaus mehr. Im Konsum, also in Kaufent scheidungen und -verhalten, spiegeln sich sowohl kulturelle Präferenzen wider, die auf eine

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4 Produktion und Konsumtion

Abbildung 6: Sinus-Milieus in Deutschland 2010

© sinus Institut

Bestätigung der eigenen Identität abzielen (vgl. u.a. Schulze 1992), als auch Formen der sozialen Distinktion, die verbunden sind mit sozialen Platzierungen in der Gesellschaft. Einen Meilenstein zur Erfassung des Zusammenhangs von sozialer Lage und Lebenspraxis, wie insbesondere der Relevanz statusbezogenen Konsums, lieferte Pierre Bourdieu mit seiner Studie „Die feinen Unterschiede“ (Bourdieu 1987). Wenngleich sein theoretisches Erklärungskonzept hier auch nur angedeutet werden kann, darf es dennoch nicht fehlen. Schließlich lieferte Bourdieu wichtige Erkenntnisse zum Verständnis von Konsum – genau genommen von Geschmackspräferenzen –, um Klassenunterschiede erklären zu können. Ihm zufolge bilden sich Klassenunterschiede nicht nur aufgrund des Besitzes von ökonomischem Kapital (finanzielle Verhältnisse, Eigentumsrechte an materiellen Gütern) heraus, sondern auch durch soziales Kapital (soziale Beziehungen) und kulturelles Kapital (Bildung, Wissen). Klassen weisen jeweils einen spezifischen Geschmack auf: der Luxusgeschmack ist der herrschenden Klasse vorbehalten, einen prätentiösen Geschmack findet man in der Mittelklasse, während der Notwendigkeitsgeschmack sich nur in der unteren Klasse herausbildet. Wie Kunstwerke bewertet, welche Musik präferiert und welche Gerichte Menschen am liebsten essen, ist somit keineswegs beliebig, sondern eine Frage des Geschmacks, der eng ver-

4.2 Konsumtion

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knüpft ist mit dem jeweiligen (Klassen-)Habitus. Mit Habitus ist eine Art Vermittlungsinstanz zwischen Individuen und Gesellschaft gemeint, die Menschen die Prägung einer spezifischen Gruppe oder Klasse verleiht, der man sich nicht so ohne weiteres entziehen kann. Es besteht – wie Bourdieu es formuliert – ein Zusammenhang zwischen „der Position, die der einzelne innerhalb eines gesellschaftlichen Raumes einnimmt, und seinem Lebensstil (…). Aber dieser Zusammenhang ist kein mechanischer, diese Beziehung ist nicht direkt in dem Sinne, dass jemand, der weiß, wo ein anderer steht, auch bereits dessen Geschmack kennt. Als Vermittlungsglied zwischen der Position oder Stellen innerhalb des sozialen Raumes und spezifischen Praktiken, Vorlieben usw. fungiert das, was ich Habitus nenne, d.h. eine allgemeine Grundhaltung, eine Disposition gegenüber der Welt, die zu systematischen Stellungnahmen führt – die dabei aber, weil sie ein Niederschlag des bisherigen Lebenslaufs ist, relativ unabhängig von der im fraglichen Zeitraum eingenommenen Position sein kann. Es gibt mit anderen Worten tatsächlich (…) einen Zusammenhang zwischen höchst disparaten Dingen: wie einer spricht, tanzt, lacht, liest, was er liest, was er mag, welche Bekannte und Freunde er hat usw. All das ist eng miteinander verknüpft“ (Bourdieu 1989: 25). Folglich ist Geschmack nicht etwas rein Persönliches, sondern immer auch gesellschaftlich bedingt. Lebensstile lassen sich als Geschmackssysteme beschreiben, die Klassen formen und zur Reproduktion von Klassengesellschaften beitragen (vgl. Bourdieu 1987). Um die „feinen Unterschiede“ aufrechtzuerhalten ist „Distinktion“ erforderlich, die für eine permanente Abgrenzung des „guten Geschmacks“ vom „populären Geschmack“ Sorge trägt. Ungleichheit in kapitalistischen Marktgesellschaften ist daher nicht nur eine Frage des Einkommens (ökonomischen Kapitals), sondern auch der Distinktionspraktiken, die in der alltäglichen Lebenspraxis und dem geschmacksgesteuerten Konsum zum Ausdruck kommen. So wird der ökonomische Verteilungskampf durch einen symbolischen Klassenkampf überlagert, der sich in der Abgrenzung von Lebensstilen manifestiert. Damit haben Veblen und Bourdieu im Prinzip eines gemeinsam: Distinktion stellt ihres Erachtens ein zentrales Thema dar. Für Veblen wird der Kampf um Überlegenheit – wie ausgeführt – vor allem mittels des demonstrativen Konsums geführt. Juliet Schor (1999) knüpft hier an und nutzt den Begriff des „konkurrierenden Konsums“. Ihres Erachtens ist das Konsumverhalten bis heute noch in erster Linie dadurch geprägt, dass man seinen Nachbarn bzw. relevanten Bezugsgruppen nacheifert und diese einholen will. Bourdieus Erklärungskonzept geht weiter: Ungleichheiten in modernen Marktgesellschaften lassen sich nicht mehr nur an materiellen Verteilungskämpfen festmachen, sondern „an Distinktionspraktiken im Bereich der symbolischen, d.h. kulturellen Repräsentationsformen“ (Bögenhold/Fachinger 2007: 23). Halten wir fest: Konsum nur als einen ökonomischen Faktor zu betrachten, der Einfluss auf den wirtschaftlichen Zyklus hat und in erster Linie auf rationales Verhalten von Akteuren zurückzuführen ist, trägt nicht zu einer Lösung des „Rätsels“ Konsum bei (Jäckel 2008). Hierzu bedarf es wirtschaftssoziologischer Studien, die sich mit der Einbettung des Konsums in soziale Milieus befassen, nach der Relevanz von Klassen, Lebensstilen und Distinktionspraktiken fragen und sich kritisch mit der Problematik des „Konsums als Daseinsform“ (Bauman 2009; Campbell 2004) auseinandersetzen.

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4 Produktion und Konsumtion

Seit einiger Zeit konzentriert sich die Debatte wieder auf die Einflussmöglichkeiten von KonsumentInnen auf das Marktgeschehen; letztendlich auch auf das Wie und Was der Güterproduktion. Gefragt wird, ob ein neuer Konsumententypus – der souveräne, reflektierte Konsument bzw. Verbraucher – in modernen Marktgesellschaften an Bedeutung gewinnt und sich vielleicht sogar eine „moderne Konsumentenkultur“ herausbildet, die am Ende zu einer „Moralisierung“ von Märkten wie der gesamten Wirtschaft führen wird (vgl. Stehr 2007; Adolf/Stehr 2010). Damit erlebt die „alte“ Kontroverse über manipulierte versus souveräne Konsumenten offenbar eine Renaissance. Wir erinnern uns: Bereits in den 1950er und 1960er Jahren wurde der These des „entfremdeten Massenkonsums“ und „manipulierten Konsumenten“ der „mündige Konsument“ gegenübergestellt, der über „Handlungs- und Entscheidungsfreiheit“ verfügt (vgl. Katona 1962: 21). Konsumenten sind demnach nicht fremdbestimmt, sondern „voll von Eigensinn“ (Strümpel/Katona 1983: 225). Es war seinerzeit vor allem Katona (1965), der den (US-amerikanischen) Verbraucher weder als leichtgläubig noch unkritisch beschrieb. Dementsprechend lässt sich das Nachfrageverhalten nicht ohne weiteres – etwa durch geschickte Werbekampagnen – steuern, wenngleich die Macht der Werbung nicht zu ignorieren ist. Konsumbedürfnisse wie Konsumentscheidungen hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab, die sich weder allein auf Werbung zurückführen lassen noch auf Kaufkraft und Preise. Konsumenten verhalten sich nicht unbedingt dem Modell des Homo Oeconomicus entsprechend und sind keine durch die Werbung gänzlich manipulierbaren Marionetten oder Figuren eines Schachspiels. War es also lange Zeit „üblich (…), dem Verbraucher eine von Werbung und Marketing leicht zu beeinflussende Psyche zuzurechnen“ (Stehr 2007: 229), hat Katona mit dazu beigetragen, diese Sichtweise zu verändern. Seine Vorstellung vom Konsumenten ist zweifelsohne recht positiv, denn ausgegangen wird von einem souveränen Verbraucher, der über eine wachsende wirtschaftliche Macht verfügt. Allerdings wird diese auch nicht überschätzt, denn mit einem radikalen gesellschaftlichen Umdenken oder gar einem Konsumboykott wird nicht gerechnet. Grundsätzlich bezweifelt wird jedoch die Erklärungskraft der eindimensionalen Sichtweise des Konsums, die primär seinen manipulativen Charakter betont und die Schattenseiten des Massenkonsums hervorhebt, angefangen von drohenden Umweltschädigungen bis hin zur Vermassung der Subjekte und Trivialisierung des Geschmacks. Dieser Grundgedanke spielt in der aktuellen Debatte zum Thema Konsum wieder eine große Rolle. Ins Zentrum rückt das Bild einer „postmodernen Marktgesellschaft“, in der „souveräner Konsum (…) zur allgemeinen BürgerInnenpflicht (avanciert, M.F.)“ (Richard/Ruhl/ Wolff 2008: 9). Folgt man Stehr (2007), so könnten der „verantwortliche Konsument“ wie der „nachhaltige Konsum“ zu Antriebsmotoren für eine „Moralisierung von Märkten“ werden, denn das „Was“, „Wie“ und „Wo“ des Konsumierens und Produzierens wird hier nicht mehr als unwichtig abgetan, was wiederum einen Wandel der Produktion wie der Produkte bewirken könnte. Bleibt die Frage, wie es um die Handlungsspielräume und Widerständigkeit des Konsumenten bestellt ist. Ist er wirklich in der Lage, den Prozess und die Ressourcen, die zur Produktion einer Ware benötigt werden, zu beeinflussen? Für Stehr und Adolf (2008: 207 f.) ist ein solcher Wandel denkbar. Sie beobachten bereits eine Moralisierung (a) des Konsums: also eine Nachfrage nach Produkten, die mit den moralischen Prämissen der KäuferInnen in Einklang stehen; (b) der Konsumgüter, die sich auf die

4.2 Konsumtion

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Art und Konstitution angebotener Waren und Dienstleistungen bezieht, sowie (c) der Konsumgüterproduktion, die aufgrund veränderter Qualitätserwartungen, dem „Machthebel der Konsumenten“, reorganisiert werden muss, da KonsumentInnen hierdurch ihre Vorstellungen vom Produktionsprozess und der für sie relevanten Qualitätskriterien in den Wertschöpfungsketten durchsetzen. Keine Frage, hier handelt es sich um ein recht optimistisches Bild von der Veränderungsmacht des Konsums. VerbraucherInnen bzw. KonsumentInnen werden nicht als „unschuldige Opfer“ betrachtet, stattdessen werden ihnen Handlungs- und Gestaltungspotentiale zugeschrieben; die sie allerdings erst einmal zur Geltung bringen müssen. Stehr und Adolf distanzieren sich damit sowohl von der Position des eigennutzorientierten, „souveränen, kalkülgesteuerten Konsumenten“ als auch vom „verführten, entmündigten und außengeleiteten Menschen“ (ebd.: 211). Weitaus nüchterner fällt demgegenüber die Bewertung von Brand aus, der die Hoffnung auf den „politischen Verbraucher“ generell für „weit überzogen“ hält (Brand 2008: 89). Zwar gibt es seiner Meinung nach eine Reihe von Anhaltspunkten, die für eine Entwicklung in Richtung nachhaltigen Konsums sprechen, wie etwa „das wachsende Bewusstsein globaler Selbstgefährdung, periodisch auftretender Skandal- und Risikodiskurse sowie die normative Kraft des internationalen Nachhaltigkeitsprozesses“ (ebd.). Konterkariert werden sie aber durch eine Vielzahl gegenläufiger Trends, wie insbesondere den „Widerstand etablierter Interessengefüge“ (ebd.: 85), die alles andere als einen Motor der Förderung eines „Konsums nach Maß“ darstellen, der an Prinzipien der Nachhaltigkeit und einer „vorsorgenden, aktiv gestaltenden ‘Lebensqualitätspolitik’“ (ebd.: 72) ausgerichtet ist. Unstrittig ist sicherlich, dass die Vorstellung vom „mündigen, verantwortlichen Konsumenten“ zunehmend an Attraktivität gewonnen hat. Ob er zukünftig eine zentrale Rolle einnehmen wird, ist derzeit jedoch mehr als fraglich. Weitaus größere Chancen zu einem Leitmodell zu werden hat der „aktive Konsument“ (vgl. u.a. Voß/Rieder 2005). Nachhaltiger Konsum ist hier nicht das zentrale Thema. Im Zentrum steht vielmehr die Mitwirkung des Konsumenten an der Leistungserbringung. Dieser Prozess setzt im Grunde schon mit der Entwicklung der Selbstbedienung im Handel ein. Aus dem klassischen Käufer ist der „Prosumer“101 – ein Ko-Produzent – geworden, von dem eine aktive Beteiligung an der Erbringung von Gütern/Dienstleistungen erwartet wird. Voß und Rieder gehen sogar einen Schritt weiter und sprechen vom „arbeitenden Kunden“, vom Konsumenten als Arbeitskraft und Teil der betrieblichen Wertschöpfungskette (Voß/Rieder 2005: 185). Die Debatte über diesen neuen Typus des Konsumenten in der Soziologie hat erst begonnen. Ob es sich beim arbeitenden Kunden tatsächlich um ein qualitativ neues Moment des „Neo-Kapitalismus“ handelt, das mit einer tief greifenden Neugestaltung von Produktion und Konsumtion einhergehen wird, muss die weitere Entwicklung zeigen. Schon jetzt steht allerdings fest, dass diese Sichtweise weitaus eher mit den Thesen von Bauman (2009) kompatibel ist, der im „Konsumismus“ ein neues „Attribut“ der Gesellschaft sieht. Stattgefunden hat ein Prozess der „Kommodifizierung der Konsumenten“, der diese selbst zu Waren macht.

101

Der Begriff stellt eine Zusammensetzung der Worte „producer“ und „consumer“ dar.

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4 Produktion und Konsumtion

Männer wie Frauen werden im Rahmen dieses Szenarios in eine „konsumistische Daseinsform“ hineingeworfen, die ihr Wollen, Wünschen und Sehnen grundlegend verändert, ganz im Sinne der Devise „Leben als Konsum“ (vgl. ebd.).

5

Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaft

Während feministische Wirtschaftswissenschaftlerinnen sich schon seit einigen Jahren mit den Geschlechterverhältnissen in der Wirtschaft befassen, stellt dieses Thema in der Wirtschaftssoziologie noch ein weitgehend unbearbeitetes Forschungsfeld dar. Zwar gehört eine Bezugnahme auf Geschlechterfragen auch in den Wirtschaftswissenschaften nicht zum Mainstream, so dass der Vorwurf der „Geschlechtsblindheit“ und des „Androzentrismus der ökonomischen Theorie“ (Regenhard/Maier/Carl 1994) bis heute seine Berechtigung hat, aber dennoch gelang es einer Reihe von Ökonominnen auf die Bedeutung der Genderproblematik aufmerksam zu machen (vgl. u.a. Maier/Fiedler (Hrsg.) 2002, 2008). Die Ausblendung der Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaft im ökonomischen wie wirtschaftssoziologischen Mainstream-Diskurs erstaunt, zumal es sich – folgt man etwa Swedberg, einem der wenigen Wirtschaftssoziologen, der dem Thema „Geschlecht und Wirtschaft“ ein eigenes Kapitel in seinem Lehrbuch „Principles of Economic Sociology“ (Swedberg 2003/2009) gewidmet hat –, um ein wichtiges Forschungsthema handelt. Swedberg geht davon aus, das die Geschlechterproblematik sich „zweifellos (…) in den nächsten Jahrzehnten zu einem der vielversprechendsten (Forschungsfelder, M.F.) in der Wirtschaftssoziologie“ (Swedberg 2009: 277) entwickeln wird. Ziel der weiteren Ausführungen ist es, diese von der Wirtschaftsssoziologie „vergessene Dimension“ sichtbar zu machen. Herangezogen werden im Weiteren vor allem Befunde aus der Geschlechterforschung, die Eingang in die Wirtschaftssoziologie finden sollten, da sie wichtige Erkenntnisse zum Thema Wirtschaft und Geschlecht liefern. Da es sich um ein umfangreiches Forschungsgebiet handelt, orientiere ich mich an dem Vorschlag von Swedberg, der sich vor allem auf zwei Themenbereiche konzentriert hat, die er als die für die Wirtschaftssoziologie zentralen „key topics“ betrachtet: zum einen „Haushalt und Geschlecht“ (5.1) und zum anderen „Erwerbsarbeit und Geschlecht“ (5.2).

5.1

Haushalt und Geschlecht

„Jede Diskussion über Geschlecht und Wirtschaft muss früher oder später auf das Konzept des Haushalts zu sprechen kommen, das aus einer Reihe von Gründen für die Wirtschaftssoziologie unentbehrlich ist“ (Swedberg 2009: 281). Diesem Statement von Swedberg ist nur zuzustimmen. Wirft man jedoch einen Blick auf die Auseinandersetzung mit dem Thema Haushalt, dann nimmt es im Grunde bis heute noch keinen prominenten Platz auf der Agenda

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5 Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaft

zentraler Forschungsfelder der Wirtschaftssoziologie ein. Ihr Interesse richtet sich in erster Linie auf die Entstehung, Strukturen und Spezifika von Märkten, Organisationen und Netzwerken, Prozesse der Globalisierung und Innovationen, nicht aber die Hausarbeit. Dabei sind Essen zubereiten, Kinder versorgen, das Haus in Ordnung halten usw. nicht nur zentrale Haushaltsaktivitäten, die der Existenzsicherung dienen, es handelt sich auch um elementare Bestandteile der Wirtschaft. Dass die Erstellung von Gütern und Dienstleistungen für die Bedarfsdeckung, bei der es sich primär um Arbeit handelt, die in privaten Haushalten geleistet wird, volkswirtschaftlich bedeutsam ist, wurde in der Ökonomie lange Zeit ignoriert. Besonders in den Wirtschaftswissenschaften dominierte die Vorstellung, dass sich der Wert einer Volkswirtschaft ausschließlich in den für Märkte produzierten Waren und Diensten widerspiegelt. Zwar setzte sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts allmählich „die Einsicht durch, dass auch die unbezahlte Erstellung von Gütern und Dienstleistungen Anteil an der Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft hat“ (Pinl 2004: 19), gleichwohl wird die Haushaltsproduktion aber nach wie vor lediglich als ein „Satellitensystem“ in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung betrachtet.102 Unabhängig davon, ob es zukünftig gelingen wird, den Haushalt – und mithin die Hausarbeit – stärker in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu verankern, kann man sich aus einer wirtschaftssoziologischen Sicht allein mit der Aufdeckung der ökonomischen Funktion des Haushalts nicht zufrieden geben. Erklärungsansätze, die den Haushalt nur als eine ökonomische Kategorie begreifen, werden ihm nicht gerecht. Selbst in Haushaltsdefinitionen, die der statistischen Erfassung zugrunde liegen, wird schließlich von einer „Lebensgemeinschaft“ gesprochen, die von denjenigen gebildet wird, die zusammen wohnen und wirtschaften. Haushalte gelten als die ältesten Institutionen, die Menschen dazu dienen, ihre Existenz zu sichern und eine gemeinsame Lebensführung zu organisieren. Ihre Konstitution wie innere soziale Ordnung ist eng verknüpft mit gesellschaftlichen Normen und kulturellen Werten. Diese spiegeln sich in den vorherrschenden Leitbildern über eine „gute Haushaltsführung“ und damit einhergehenden spezifischen Rollenzuweisungen und Erwartungen wider. Die Analyse des Haushaltes bietet folglich nicht nur Aufschluss über die Entwicklung, Wahrnehmung wie Bewertung von Hausarbeit, ihre Verteilung sowie die Praktiken der innerfamilialen Arbeitsteilung, sondern immer auch zugleich über die Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft. Dabei sollte von keinem allzu statischen Zusammenhang zwischen der Ausbildung von klassen- und milieuspezifischen Prägungen und der geschlechtlichen Arbeitsteilung sowie der Konstruktion von Geschlechtlichkeit ausgegangen werden. Anschaulich wird dies in der Studie von Koppetsch und Burkhart (1999), die den Titel „Die Illusion der Emanzipation“ trägt. Danach erfolgte selbst in jenen Paarbeziehungen keine reale Umsetzung von Gleichberechtigung bei der Organisation der Haushaltsführung und familia-

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In Deutschland werden hierzu seit den 1990er Jahren Zeitbudgeterhebungen durchgeführt, deren Daten eine wichtige Grundlage zur Erstellung des Satellitensystems Haushaltsproduktion bilden (vgl. Pinl 2004; Schäfer/Schwarz 1996). Weiter ist die Schweiz, die einen Pilotversuch unternommen hat. So wurde ein Satellitenkonto Haushaltsproduktion (SHHP) gebildet, das die unbezahlte Arbeit erstmals als volkswirtschaftliche Größe misst. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Die unbezahlt geleistete Arbeit, also die Haushaltsproduktion, macht gut 70 Prozent der Bruttowertschöpfung (BIP) aus. Knapp zwei Drittel der unbezahlten Arbeit wird von Frauen geleistet (vgl. hierzu Bundesamt für Statistik; Medienmitteilung Nr. 0350-0410-10, 1.11.2004, Nr. 20: Satellitenkonto Haushaltsproduktion: Pilotversuch in der Schweiz).

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len Arbeitsteilung, in denen die Lebenspartner fest davon überzeugt waren, dass sie sich von traditionellen Geschlechtsrollen verabschiedet haben und sich stattdessen einem egalitären Partnerschaftsmodell verpflichtet fühlen. Dies lässt auf eine relativ große Beharrungskraft traditioneller Muster der geschlechtlichen Arbeitsteilung in der privaten Lebenswelt schließen. Ob diesbezüglich in Anbetracht der rechtlichen Gleichstellung, der zunehmenden Erwerbsintegration von Frauen, ihrer Aufholjagd in Sachen Bildung sowie dem normativen Leitbild der Gleichberechtigung mittlerweile ein Wandel eingetreten, es also zu einer tief greifenden Abkehr von traditionellen Geschlechterarrangements gekommen ist, ist die Frage. Beginnen wollen wir mit der Suche nach Erklärungen für die offenbar recht große Persistenz der geschlechtlichen Arbeitsteilung im Bereich der Hausarbeit. Von der Hausgemeinschaft zum privaten Haushalt Die Trennung zwischen Haushalt und Erwerb, die für moderne Wirtschaften typisch ist, begann im Zuge der Industrialisierung und Autonomisierung der Wirtschaft und ist daher Teil der „Great Transformation“ (Polanyi 1997). Zuvor erfolgte die ökonomische Versorgung, wie die Herstellung und Verteilung von Gütern, im Rahmen von Hausgemeinschaften. Weber sieht hierin die urwüchsigste nach außen geschlossene Gemeinschaft, welche zwar nicht unbedingt ein Haus, jedoch „einen gewissen Grad planmäßiger Ackerfruchtgewinnung voraus(setzt, M.F.)“ (Weber 1980: 213). Diese Form der Wirtschaftsgemeinschaft zeichnet sich nicht nur durch ihr kontinuierliches und intensives Gemeinschaftshandeln aus, das durch Solidarität sowie enge persönliche Pietäts- bzw. Loyalitätsbeziehungen geprägt ist, sondern auch durch die Autorität des Haushaltsvorstandes (ebd.: 214). Soweit Weber sich im Hinblick auf diese frühe Form des Haushalts, der Hausgemeinschaft, überhaupt zu den Geschlechterbeziehungen äußert, finden sich vor allem Aussagen über genau diesen Aspekt. Hervorgehoben wird die Autorität, die Männer über Frauen und Kinder ausüben; sie erstreckt sich letztendlich auf alle Mitglieder einer häuslichen Gemeinschaft (vgl. Weber 1980: 581). Bereits in der Hausgemeinschaft ist eine Trennung zwischen männlichen und weiblichen Arbeits- und Lebensbereichen bzw. eine Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern auszumachen, die Weber als die „älteste typische Arbeitsteilung“ in der Geschichte bezeichnet (vgl. Weber 1980). Auch sind es in erster Linie Männer, die über Eigentum (Land) verfügen. Charakteristisch für die Hausgemeinschaft ist somit eine patriarchalische Struktur, der zufolge Männer Herrschaft über Frauen ausüben (Hausherrschaft). Mit der Auflösung der Hausgemeinschaft und der Trennung von Haus- und Erwerbsarbeit wie der Entstehung des privaten (Familien-)Haushaltes löste sich der für die Hausgemeinschaft charakteristische Patriarchalismus keineswegs auf. Zu beobachten ist vielmehr, dass mit der Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, Erwerbs- und Hausarbeit eine geschlechtshierarchische Arbeitsteilung einherging, die zu einem entscheidenden Mechanismus der „Ordnung der Geschlechter“ (Honegger 1991; Hausen 1976) in der modernen Industriegesellschaft wurde. So lautet denn auch „eine alte These der Frauen- und Geschlechterforschung“, dass die Art und Weise der strukturellen Verknüpfung von Produktions- und Reproduktionssphäre die Geschlechterordnung prägt (vgl. Beer 1990; Becker-Schmidt/Knapp 1995; Nickel 2009: 215). Vor allem für den „Industrialismus“ (Baethge 2001) wird eine klare geschlechtsspezifische Zuweisung von Verantwortung für die Produktions- bzw. Reproduktionsarbeit konstatiert, der zufolge Männer als Oberhaupt der Familie für den Erwerb,

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also die materielle Sicherung des Haushalts, zuständig sind („male breadwinner“), während Frauen in erster Linie für die Reproduktion Sorge zu tragen haben („female care“). Die Transformation der Feudal- und Ständegesellschaft zur kapitalistischen Industriegesellschaft hat demnach nicht zum Verschwinden des Patriarchalismus beigetragen. Arbeiten von Beer (1990) und Gerhard (1991) zeigen, dass es ein hohes Maß an Kontinuität im Hinblick auf die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung bzw. asymmetrische Geschlechterordnung gab, die durch gesellschaftliche Leitbilder und eine Vielzahl rechtlicher Regelungen auch institutionell abgesichert wurde: Zunächst war es das Familien-, Arbeits- und Gesinderecht, das zur Festigung der Geschlechterhierarchie führte, später das Arbeits-, Familien-, Sozial- und Steuerrecht. Beer spricht daher mit Blick auf den modernen Kapitalismus von einem „Sekundärpatriarchalismus“ (vgl. Beer 1990). Demnach ist die Strukturierung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern auf patriarchalische Machtstrukturen in der Politik, Kultur und Wirtschaft zurückzuführen, die längst vor dem Kapitalismus entstanden sind. Typisch – so Becker-Schmidt (1987, 2007) – ist eine „doppelte Vergesellschaftung“ der Frau, die durch ihre Doppelorientierung, Familie und Beruf miteinander verbinden zu wollen, in eine Zwickmühle gerät, da es keinen gesellschaftlichen Vermittlungsmechanismus gibt, der eine Balance zwischen Produktions- und Reproduktionssphäre gewährleistet. Das Gegenteil ist der Fall: Die Organisation der Produktion erfolgt im Grunde völlig abgekoppelt von den Erfordernissen, die mit der Organisation der Reproduktionsarbeit verbunden sind. Gleichwohl besteht eine wechselseitige Abhängigkeit: „Ohne Haushaltung keine Privatsphäre, ohne Privatsphäre kein lebendiges Arbeitsvermögen, ohne den Verkauf lebendiger Arbeit kein Lohn, ohne die Verwertung von Lohnarbeit keine Chance für das Erwerbssystem, Waren zu produzieren und Dienstleistungen zu erbringen“ (Becker-Schmidt 2007: 260). Dennoch ist es zu einer Hierarchisierung zwischen diesen beiden gesellschaftlichen Bereichen gekommen, die sich in der Geschlechterordnung widerspiegelt und im Prinzip bis heute das Verhältnis zwischen den Genus-Gruppen bestimmt. Zwar ist es – wie bereits ausgeführt – mit der Einführung bürgerlicher Rechte auch zu einer normativen Gleichstellung von Frauen und Männern gekommen („Gleichheitspostulat“), aber dennoch ist die Wirkungsmacht von „gender status beliefs“ (Ridgeway 2001) bis heute nicht verschwunden. (Ehe-)Frauen werden immer noch sehr häufig als geradezu prädestiniert dafür angesehen, sich um das Wohlergehen der Familie, die Versorgung des Mannes und die Kindererziehung zu kümmern, da ihnen quasi von Natur aus die Fähigkeit zur „fürsorglichen Praxis“ unterstellt wird (vgl. Nickel 2009: 216). So werden – wie Swedberg hervorhebt – mit dem „Frau- und Mutter-Sein“ hartnäckig bestimmte Eigenschaften assoziiert, wie „Wärme, Fürsorge, Altruismus und ein genereller Mangel an Konkurrenzdenken“ (Swedberg 2009: 281). Das Leitbild vom männlichen Familienernährer sowie die Vorstellung, dass Frauen, sobald sie verheiratet sind – spätestens aber nach der Geburt des ersten Kindes – Hausfrauen werden und allenfalls noch eine Teilzeitbeschäftigung ausüben sollten, hat sich vor allem in Westdeutschland – im Unterschied zu einer Reihe anderer Länder (z.B. Schweden, Finnland, Frankreich) – lange Zeit halten können und ist heute immer noch nicht ganz verblasst. Im Gegenteil, der Prozess der Re-Traditionalisierung partnerschaftlicher Geschlechterarrangements nimmt im Verlauf der Ehe zu. Nach sechs Ehejahren sinken partnerschaftliche Geschlechterarrangements von 43,6 Prozent auf 18,6 Prozent; während die stark traditionalen Geschlechterarrangements (Modell: männlicher Alleinernährer, weibliche Zuverdienerin)

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von 25,5 Prozent auf 55 Prozent ansteigen (vgl. Schulz/Blossfeld 2006). Dies hat nicht nur mit der erfolgreichen Durchsetzung von Ausschlussstrategien durch männliche Akteure sowie spezifischen rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen zu tun, sondern ebenfalls mit den kulturellen Orientierungen eines nicht unerheblichen Teils der Frauen, die daher nicht per se als (passive) „Opfer“ patriarchaler Machtverhältnisse bezeichnet werden können (vgl. Pfau-Effinger 2000, 2002). Folgt man Pfau-Effinger (2000), dann ist die Stabilität des Familienernährermodells vor allem in Westdeutschland auf die Wirkungsmacht eines durch Asymmetrie geprägten „Geschlechterarrangements“ zurückzuführen. In einem langen historischen Prozess haben sich spezifische Strukturen, Normen und Leitbilder, sozialpolitische Rahmensetzungen und rechtliche Regelungen herausgebildet, die großen Einfluss auf die Ausgestaltung der Geschlechterordnung hatten. Die Wirtschaftssoziologie kann hier mit ihrer Einbettungsthese ein interessantes Erklärungskonzept anbieten. Dabei sollte nicht ignoriert werden, dass Frauen wie Männer durch ihr Handeln Geschlechterarrangements reproduzieren, aber auch in der Lage sind, diese zu modifizieren und ggf. sogar zu verändern. In Anbetracht der Wirkungsmacht historisch gewachsener kultureller, politischer und wirtschaftlicher Institutionen erweisen sich strukturell verankerte geschlechtliche Ungleichheiten jedoch zumeist als recht langlebig. Bild 8: Zerreißproben zwischen Beruf und Familie (Illustrator: Frank Nikol)

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Zur Aufrechterhaltung asymmetrischer Geschlechterverhältnisse trugen strukturelle Benachteiligungen von Frauen im Wirtschafts- und Rechtssystem bei, die erst nach und nach abgeschafft wurden. Zu nennen ist etwa das so genannte „Beamtinnenzölibat“, das verheiratete Lehrerinnen zur Berufsaufgabe zwang, oder das Zulassungsverbot von Frauen zum Studium, das ihnen die Möglichkeit nahm, akademische Berufe auszuüben. In den entscheidenden Rechtssystemen – dem Eigentums-, Familien- und Arbeitsrecht – herrschten ebenfalls lange Zeit Regelungen vor, welche die patriarchalische Verfügungsgewalt festschrieben und die asymmetrische Geschlechterordnung stabilisierten. Aus einer rechtsgeschichtlichen Perspektive hatte die „private, direkte Herrschaft von Familienvätern über Frauen“ (Gerhard 1991) in Westdeutschland bis 1977 Bestand.103 Folglich ist es nicht weiter erstaunlich, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung in der Familie wie die damit einhergehende geschlechtsspezifische Organisation von Hausarbeit eine hohe Beharrungskraft entfalten konnte. Erst allmählich zeichnet sich ein Wandlungsprozess ab, der allerdings recht widersprüchlich ist: Auf der einen Seite sind die bereits angesprochenen Tendenzen einer Re-Traditionalisierung erkennbar, der zufolge sich junge Mütter aus dem Erwerbsleben zurückziehen und für ein Hausfrauendasein entscheiden, das sich vielfach als folgenreich erweist, da es zumeist zu einer Verstetigung des anfänglich nur für eine bestimmte Zeit vorgesehenen Ausstiegs aus dem Berufsleben führt. Dennoch sind – auf der anderen Seite – durchaus auch erste Auflösungserscheinungen traditioneller Leitbilder zu beobachten. So ist es längst nicht mehr selbstverständlich, dass der Mann in seiner Funktion als Haushaltsvorstand alle Entscheidungen trifft und Frau und Kinder sich diesen zu fügen haben (vgl. Weinbach 2004: 110). Aus dem traditionellen „Befehlshaushalt“ ist nach und nach ein „Verhandlungshaushalt“ geworden, wie Peukert (2002) es formuliert. Dieser Wandel ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Frauen zu eigenständigen Rechtspersonen geworden sind und eine Unterwerfung der Ehefrau unter die Autorität des Ehemannes nicht mehr ohne weiteres aufrechterhalten werden konnte (Legitimitationsproblem). Zu dieser Veränderung von Rollenbildern trug auch die Frauenbewegung bei, die die Emanzipation der Frau zu ihrem Thema machte und einen öffentlichen Diskurs über Gleichberechtigung entfachte von dem die Privatsphäre nicht unberührt geblieben ist. Mithin entwickelte sich – vor dem Hintergrund des zunehmend unter Druck geratenen Leitbilds des traditionell autoritären Ehemannes und Vaters – ein neues Männerbild, demzufolge Männer verständnisvoll, zärtlich, liebevoll und warmherzig sein sollen (vgl. u.a. Pfrang 1987). „Tradierte Männlichkeitskonstruktionen“ gerieten nicht zuletzt im Zuge der Krise der Arbeit in „Turbulenzen“ (vgl. Meuser 2009), etwa durch den Verlust des Familienernährerstatus in Phasen der Erwerbslosigkeit. Dennoch: ein tief greifender Wandel im Hinblick auf die geschlechtstypische Verteilung der Hausarbeit ist nicht zu erkennen. Aktuelle Studien kommen zwar zu dem Schluss, dass Männer mittlerweile auch ein wenig mehr im Haushalt (mit-)helfen und engagierte Väter sind, die Gesamtverantwortung wird in letzter Instanz aber immer noch von Frauen wahrgenommen (vgl. u.a. Behnke/Meuser 2003a/b; Jurczyk 2008). An der weitgehenden Alleinzuständigkeit von Frauen hinsichtlich der Haus- und Familienarbeit hat sich demnach noch nicht allzu viel verändert. Die Bereit103

Zu nennen ist hier das Eherecht, das bis zum ersten Eherechtsreformgesetz von 1977 am Modell der Hausfrauenehe orientiert war. D.h. nach Paragraph 1356 BGB alter Fassung führte die (Ehe)Frau den Haushalt und war nur dann berechtigt erwerbstätig zu sein, wenn dies mit ihren Pflichten in der Ehe und Familie vereinbar war.

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schaft von Männern, sich an den „klassisch weiblichen Arbeiten im Haushalt“ zu beteiligen, nimmt mit steigender Ehedauer ab; vor allem wenn kleinere Kinder zu versorgen sind (vgl. Schulz/Blossfeld 2006). Lediglich etwa gleich viel verdienende Paare weisen ein geringeres Traditionalisierungsrisiko auf (vgl. u.a. Grunow/Schulz/Blossfeld 2007). Männer zeichnen sich nach wie vor durch eine stärkere Berufs- und geringere Familienorientierung aus als Frauen, so dass – vor allem in den alten Bundesländern – die Abkehr von traditionellen Geschlechterarrangements nicht als sehr ausgeprägt bezeichnet werden kann. Ausnahmen bestätigen hier die Regel. Selbst wenn Männer für eine bestimmte Zeit die Rolle des Hausmanns übernehmen, verschwindet die „subversive Kraft der Geschlechterrolle“ (Weinbach 2004: 115) nicht vollends. Zeitbudgetstudien kommen regelmäßig zu dem Ergebnis, dass erwerbstätige Frauen im Unterschied zu Männern mehr Zeit für die Erledigung von Hausarbeit aufwenden. Frauen sind in der Regel für die typisch weiblichen Arbeiten zuständig, insbesondere Routinearbeiten (Einkaufen, Essenzubereiten, Saubermachen usw.) sowie die Sorgearbeit (Kinder- und Altenpflege), während Männer in stärkerem Maße Tätigkeiten übernehmen, die als klassisch „männliche“ Arbeitsfelder gelten. Hierbei handelt es sich um handwerkliche Arbeiten, wie Reparaturen, aber auch um die Autopflege, das Rasenmähen und Verwaltungsangelegenheiten. Unabhängig von der sich seit Beginn der 1980er Jahre abzeichnenden Modernisierung der männlichen Versorgerehe und der sich zumindest ansatzweise herausschälenden Orientierung an Partnerschaftskonzepten104, hat sich die geschlechtsspezifisch asymmetrische familiale Arbeitsteilung in den privaten Haushalten faktisch noch nicht grundlegend gewandelt. „Vielmehr scheint es so zu sein, dass sich die arbeitsteiligen Arrangements mit der Zeit einschleifen und verfestigen“ (Grunow/Schulz/Blossfeld 2007: 179). Ob dennoch ein Wandel möglich ist und partnerschaftliche Modelle sich durchsetzen werden, ist noch offen. Geschlechterarrangements können sich durchaus verändern, wenn Frauen erwerbstätig werden und einen wichtigen Beitrag zum Haushaltseinkommen leisten, ja sogar die Rolle der Familienernährerin wahrnehmen, zwangsläufig ist diese Entwicklung – wie aktuelle Befunde zeigen – jedoch nicht. Noch ist unklar, welche Veränderungen die gegenwärtige Erosion von Arbeits- und Beschäftigungsarrangements tatsächlich auf die Geschlechterverhältnisse haben. Zumindest wird in Anbetracht der zunehmenden Instabilität von Arbeitsmärkten sowie der partiellen Auflösungserscheinungen des Normalarbeitsverhältnisses ein zunehmender Druck auf das alte Familienmodell und das Leitbild der Hausfrauenehe ausgemacht. Anhaltspunkte für einen Wandel traditioneller Muster der Geschlechterbeziehungen sind bereits erkennbar (vgl. u.a. Völker 2007, 2009). Hieraus folgt aber nicht automatisch eine Neujustierung der Geschlechterordnung, die dafür Sorge trägt, dass die in der Vergangenheit so erfolgreiche „Privilegierung von Männern und Diskriminierung von Frauen“ (Kurz-Scherf 2005: 18) sich vollständig auflöst – erst recht nicht die asymmetrische geschlechtliche Arbeitsteilung im privaten Haushalt (vgl. hierzu u.a. Wetterer 2006; Nickel 2007, 2009; Aulenbacher et al. 2007). Kurzum: Ein Verschwinden der Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen ist (noch) nicht in Sicht, dennoch sind widersprüchliche Wand-

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Aufschlussreich sind hierzu Studien zu Doppelkarrierepaaren. Sie zeigen, dass es immer noch ein Balanceakt ist, zwei Karrieren in einer Partnerschaft zu integrieren und zu einem „Vereinbarkeitsmanagement“ zu gelangen. In der Regel sind es dann doch Frauen, die Konzessionen machen und ihre Karriereambitionen nicht konsequent verfolgen (vgl. u.a. Behnke/Meuser 2003b).

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lungsprozesse und neue Formen der Ungleichheit zu erkennen. Hieraus ergibt sich eine Reihe neuer Fragen: Wird es zukünftig eine zunehmende Kluft zwischen Frauen geben, die Hausarbeit leisten (müssen) und Frauen, die aufgrund ihrer finanziellen Situation diese Aufgaben weitgehend an andere Frauen delegieren können? Wer macht zukünftig die Hausarbeit? Die „Dienstbotendebatte“ Bei der Haushaltsproduktion handelt es sich – wie bereits deutlich geworden ist – um gesellschaftlich unverzichtbare Versorgungsleistungen. Allein die unbezahlten Arbeitsstunden im Haushalt übersteigen bei weitem die der bezahlten Erwerbsarbeit (vgl. Jurczyk 2008: 77). Zur Haushaltsproduktion im engeren Sinne gehören nicht nur das Einkaufen und Mahlzeiten zubereiten, sondern auch noch weitere Tätigkeiten, wie Wohnung sauber halten, Fenster putzen, Wäsche waschen, PKW-Reparatur, Wohnung tapezieren, Gebrauchsgegenstände herstellen, Hilfsbedürftige betreuen usw. (vgl. Glatzer/Berger-Schmidt 1986). Geissler verwendet für die Gesamtheit aller in privaten Haushalten verrichteten Aufgaben den Begriff der „Haushaltsarbeit“ und unterscheidet zwischen drei Bereichen: Erziehung, Hausarbeit und Pflege (vgl. Geissler 2008: 31). Sie stellen jeweils spezifische (Zeit-)Anforderungen an die Akteure, die mit der Größe des Haushalts, der geschlechtlichen Arbeitsteilung und den vorherrschenden Standards stark variieren: • Erziehungsarbeit: Betrachtet man den Zeitaufwand für Betreuungs- und Erziehungsarbeit, ist dieser vor allem von personen- und haushaltsspezifischen Merkmalen abhängig. Bei Eltern kleiner Kinder nimmt die geleistete Betreuungs- und Erziehungszeit einen großen Raum ein und ist zudem abhängig von den Erwerbsarbeitskonstellationen, Geschlechterarrangements und institutionellen Betreuungsangeboten. Letztendlich liegt die Hauptlast der Erziehungs- und Betreuungsarbeit immer noch bei den Frauen (vgl. u.a. Bothfeld et al. 2005; Jurczyk 2008). • Hausarbeit: Der Zeitaufwand von Frauen für hauswirtschaftliche Tätigkeiten hat sich zwar reduziert, sie leisten aber bis heute den Hauptanteil der Arbeit. Männer wenden demgegenüber nicht viel mehr Zeit für diese Tätigkeiten auf als Anfang der neunziger Jahre (vgl. u.a. Fuchs 2005: 417). Auszumachen ist eine „widersprüchliche Modernisierung“: Zum einen lassen sich Orientierungen in Richtung Partnerschaft und Egalität ausmachen, zum anderen finden sich auf der Ebene der konkreten Alltagsgestaltung und der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung traditionelle Muster der Aufgabenverteilung (vgl. u.a. Jurczyk 2008; Grunow/Schulz/Blossfeld 2007; Krüger 1993). • Pflege: Eine zunehmend größere Bedeutung kommt seit einiger Zeit der Pflege von hilfsbedürftigen Personen zu. Während die Zahlen im Zeitraum von 1984 bis 2001 noch einen relativ gleich bleibenden Anteil von Haushalten mit Pflegebedürftigen erkennen lassen (4–5 Prozent), wird angenommen, dass sich aufgrund der demographischen Entwicklung zukünftig ein deutlicher Anstieg abzeichnen wird (vgl. u.a. Heinecker/Kistler 2003). In privaten Haushalten werden somit Arbeiten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse oder der anderer Personen verrichtet. Hausarbeit wird zunehmend gegen Bezahlung, zum Teil auch erwerbsförmig, verrichtet. Der Forschungsstand hierzu ist bislang noch nicht sehr ausgewiesen. Dienstleistungsarbeit in Privathaushalten ist eine Art „terra incognita“, deren wissenschaftliche Erforschung erst gerade begonnen hat (vgl. u.a. Lutz 2007, 2008; Gather/Geissler/

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Rerrich 2008). Die Probleme beginnen bereits mit der Suche nach definitorischen Abgrenzungen und Angaben über die Verbreitung dieses Phänomens. Zieht man die Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) heran, handelt es sich bei Reproduktionsarbeit ausschließlich um unbezahlte Tätigkeiten für die Familie und den familiären Konsum. Dies trifft im Grunde auch auf die Eigenarbeit, z.B. die Unterstützung von Nachbarn beim Hausbau oder die Reparatur am eigenen Haus, und die hauswirtschaftliche Subsistenzproduktion105, also den Anbau eigener Lebensmittel, zu; denn auch hier wird in der Regel unbezahlte Arbeit verrichtet. Zwar ist es richtig, dass nach wie vor der Großteil der Haushaltsarbeit von Ehefrauen, Müttern und Großmüttern unentgeltlich übernommen wird, aber es gibt offenbar eine wachsende Zahl weiterer „dienstbarer Geister“, die nicht zur Familie gehören.106 Hierzu heißt es im siebten Familienbericht: „Der Privathaushalt ist der Beschäftigungssektor mit dem höchsten Anteil ungeschützter Arbeitsverhältnisse“ (BMFSFJ 2006: 159). Offenbar tut sich im Feld der Haushaltsproduktion eine Grauzone illegaler Beschäftigung auf, die von zumeist prekär, zum Teil auch illegal Beschäftigten, verrichtet wird. In Privathaushalten sind es vor allem Migrantinnen, die häufig ohne irgendeine Form der (arbeits-)rechtlichen Absicherung tätig sind. Exakte Zahlen hierzu liegen bislang nicht vor. Die Schätzungen für Deutschland schwanken – so Lutz (2004) – zwischen 2,4 Mio. und 4 Mio. Beschäftigten. Das sozioökonomische Panel geht für das Jahr 2005 davon aus, dass 10,3 Prozent aller BundesbürgerInnen Haushaltshilfen – regelmäßig oder unregelmäßig – beschäftigen (vgl. Lutz 2008: 212 f.).107 Angestoßen durch die zunehmende Zahl von Haushalts- und Putzhilfen sowie Pflegekräften in Privathaushalten hat eine „Dienstbotendebatte“ eingesetzt, in der auch die Globalisierung des Arbeitsmarktes eine große Rolle spielt (vgl. u.a. Anderson 2000; Ehrenreich/Hochschild 2003). Denn schließlich ist nicht zu übersehen, dass in deutschen Privathaushalten eine zunehmend größer werdende Zahl von Migrantinnen aus Osteuropa, Asien, Afrika und Lateinamerika tätig ist (vgl. u.a. Lutz 2008). Ehrenreich und Hochschild sehen hierin eine Tendenz zur Stabilisierung der Asymmetrie ökonomischer Ressourcen: „Es entsteht eine globale Beziehung, die in gewisser Hinsicht die traditionellen Geschlechterbeziehungen widerspiegelt. Die Erste Welt nimmt die Rolle des traditionellen Mannes in der Familie ein, verwöhnt, anspruchsberechtigt, unfähig zu kochen, zu putzen oder seine Socken zu finden. Arme Länder übernehmen die traditionelle Frauenrolle – geduldig, hegend und pflegend, sich selbst verleugnend“ (Ehrenreich/Hochschild 2003: 11 f.). Hochschild (2000) hat hierfür den Begriff der „globalen Versorgungskette“ (global-care-chain) geprägt. Damit ist nicht nur gemeint, 105

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Internationale Studien belegen eindrucksvoll die große Relevanz, die der Subsistenzproduktion in Entwicklungsländern für die gesellschaftliche Versorgung zukommt (vgl. u.a. Ekins/Max-Neef 1992). Demgegenüber hat sich die hauswirtschaftliche Subsistenzarbeit in den westlichen Industrieländern den letzten Jahren verringert und der Einsatz von Marktgütern ist gestiegen; z.B. wird Marmelade größtenteils nicht mehr selbst produziert, sondern im Supermarkt gekauft (vgl. Fuchs/Dörfler 2005: 416 f.). Wer bezahlte Hausarbeit (domestic work) verrichtet, gehört – laut einer ILO-Definition – zum informellen Sektor. Im Kern geht es um Beschäftigungen und Formen der Selbständigkeit, die dem Einkommenserwerb dienen sollen (angefangen vom Aufbau eines informellen Klein- oder Mikrounternehmens bis hin zur Heim- und Saisonarbeit). Siehe hierzu Lutz: goethe.de/cgi-bin; Goethe-Institut, online-redaktion; siehe auch Dossier in „Die Zeit“ (14.8.2004) über Deutschlands neue Dienstmädchen.

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dass es weltweit Haushaltsarbeiterinnen gibt, die zum Teil unter unmenschlichen Wohn- und Arbeitsbedingungen beschäftigt sind (vgl. Human Rights Watch 2006), sondern auch, dass ein Abzug von Versorgungsleistungen aus den Herkunftsländern stattfindet (vgl. u.a. Parrenas 2001). Die Bewertungen dieser Migrationsproblematik fallen weitgehend kritisch aus und konterkarieren die optimistische Sicht von Saskia Sassen (1998), die davon ausgeht, dass weibliche Migration dazu führen könnte, traditionelle Geschlechterordnungen in den Herkunftsländern der Migrantinnen durch die Entwicklungen auf dem globalen Arbeitsmarkt in Unordnung zu bringen. Denn indem Frauen aufgrund ihrer neuen Ernährerinnenrolle innerfamiliale Machtgewinne erfahren, wären sie auch in der Lage, patriarchalische Rollenmuster in Frage zu stellen. Zu beobachten ist stattdessen, dass Hausarbeit nach wie vor überwiegend von Frauen verrichtet wird. Dies ändert sich auch nicht in den Herkunftsländern der Frauen, denn zumeist übernehmen diese Aufgaben dann Großmütter und Töchter (vgl. Lutz 2008: 216). Die Debatte über die globale Haushaltsproduktion ist eng verwoben mit Fragen der sozialen Ungleichheit, ja mit neuen „Achsen der Differenz“, womit die Verschränkungen von Ungleichheitsstrukturen gemeint sind, die sich nicht mehr allein auf das Verhältnis von Klasse und Geschlecht beziehen, sondern auch die Frage der Ethnizität beinhalten. Zur Problematik der transnationalen Dienstleistungsarbeit im Haushalt hier noch einmal Helma Lutz: „Klar ist bereits jetzt, dass es sich in der Tat um die Entstehung neuer, globalisierter sozialer Ungleichheit handelt“ (Lutz 2008: 230). Soziale Differenzierungen verlaufen demnach zunehmend auch innerhalb der Genusgruppe der Frauen und spiegeln sich in neuen Formen der Ungleichheit wider. So lassen sich soziale Positionierungen und Lebenslagen von Frauen und Männern heute weder ausschließlich mit Blick auf die Kategorie Geschlecht beantworten, noch sind sie primär durch die Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit von Frauen und Männern bestimmt. Stattdessen gibt es vielfache „Überkreuzungen“, die entlang der Kategorien Geschlecht, Klasse, Ethnizität sowie Körper verlaufen und in der aktuellen Debatte über Intersektionalität eine große Rolle spielen (vgl. Klinger/Knapp 2008; Winker/Degele 2009). Um den neuen Achsen der Differenz sowie auch der hiervon nicht zu trennenden Vereinbarkeitsproblematik auf die Spur zu kommen, bedarf es eines genauen Blicks auf die Verzahnung zwischen privat organisierter und marktvermittelter Arbeit. Es stellt sich die Frage, ob mit dem zumindest partiell erkennbaren Schwinden der Ausstrahlungskraft des „Hausfrauenmodells“, das nur die Optionen der „Nur-Hausfrau“ oder „Hausfrau und Zuverdienerin“ vorsah, die Bühne frei wird für neue Arrangements bzw. eine Umverteilung von „Arbeit“ (Hausarbeit, care work, Erwerbsarbeit). Gibt es also eine Chance, zu einem „Geschlechterkontrakt“ zu gelangen, der auch eine Reorganisation des institutionellen Zusammenspiels von Staat (insbesondere der öffentlichen Daseinsvorsorge), Familie und Ökonomie vorsieht? Oder ist es nicht doch viel wahrscheinlicher, dass sich die sozialen Differenzen und Ungleichheiten eher noch vertiefen, wie Forschungen zur Intersektionalität – den neuen Achsen der Differenz – nahe legen? Spätestens an dieser Stelle bedarf es eines Blicks auf die Integration von Frauen in die Erwerbsarbeit, um Veränderungs- und Beharrungsprozesse ausfindig zu machen.

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Aus der Perspektive der Wirtschaft macht es keinen Unterschied, ob Güter/Dienstleistungen von Frauen oder Männern hergestellt, verkauft und gekauft werden. Dementsprechend gibt es keinen zwingenden Grund, warum in den Kerninstitutionen der Wirtschaft Geschlechterdifferenzierungen eine Rolle spielen sollten. Die Realität sieht freilich anders aus, was die Frage aufwirft, wie es dazu kommt, „dass die Geschlechterdifferenz sich immer wieder von Neuem in verschiedenen Systemen der modernen Gesellschaft (also auch in der Wirtschaft, M.F.) verankert und dies Folgen für die Inklusion von Männern und Frauen hat“ (Weinbach/Stichweh 2001: 35). Um hierauf eine Antwort zu finden, befassen wir uns im Weiteren zunächst mit Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. Arbeitsmarkt und Geschlecht Wirft man einen ersten, flüchtigen Blick auf die Arbeitsmarktsituation von Frauen, scheint sich in den letzten Jahren viel verändert zu haben. Besonders markant ist der Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Frauen, der voraussichtlich bis zum Jahre 2050 die 80 Prozent Marke108 überschreiten (vgl. Fuchs/Dörfler 2005) und bei den 30- bis 49-jährigen Frauen im Jahre 2025 94 Prozent betragen wird (vgl. Fuchs/Zika 2010). Vergleicht man die Arbeitslosenquoten von Frauen und Männern, sind Frauen seit 2009 weniger stark von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer.109 Schlüsselt man die Daten genauer auf, sieht die Arbeitsmarktbilanz von Frauen nicht mehr ganz so positiv aus: Deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen im Hinblick auf das Arbeitszeitvolumen (Frauen arbeiten häufiger Teilzeit), Beschäftigungsverhältnisse (Frauen weisen häufiger unsichere und prekäre Beschäftigungen auf), Einkommen (Frauen verdienen weniger) sowie Karrierechancen (Frauen erreichen selten Spitzenpositionen). Frauen weisen zudem eine (zumeist familienbedingte) kürzere Dauer des Erwerbslebens und mehr Erwerbsunterbrechungen auf, was sich nachteilig auf den Karriereverlauf auswirkt. Sie müssen – eher als Männer – eine Entscheidung zwischen beruflichem Erfolg oder Zeit für die Familie treffen, denn beides zusammen ist nur schwer zu realisieren (vgl. u.a. Klammer et al. 2011). Wir sind offenbar noch weit entfernt von der Umsetzung einer geschlechtergerechten, egalitären Erwerbs-, Familien- und Hausarbeitsverteilung, die es Männern wie Frauen ermöglicht: „Geldverdienen und Betreuen, den Einsatz für die Gemeinschaft, politische Mitwirkung und gesellschaftliches Engagement unter einen Hut zu bringen“ (Fraser 2001: 103).110 D.h. es gibt noch eine Vielzahl von kognitiven, kulturellen und

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Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass die Erwerbsquote der Frauen höher sein wird als die der Männer. Im Jahre 2009 lag die Arbeitslosenquote der Frauen bei 7,9 Prozent (Männer: 8,4 Prozent) und im Jahre 2010 nur noch bei 7,5 Prozent (Männer: 7,9 Prozent) (vgl. Statistisches Bundesamt/Bundesagentur für Arbeit 4.1.2011). Den Schlüssel zur Verwirklichung einer vollen Gleichheit der Geschlechter beschreibt Fraser in einem „postindustriellen Gedankenexperiment“, das – so der Kern ihres Konzepts einer „universellen Betreuungsarbeit“ – nicht nur auf eine Gleichstellung von Frauen und Männern in der Erwerbssphäre, sondern auch in der Betreuungsarbeit hinausläuft. Die Voraussetzung hierfür ist eine Dekonstruktion von Gender sowie eine aktive Gleichstellungspolitik (vgl. Fraser 2001). Geschlechtergerechtigkeit kann nicht nur durch Umverteilung von Arbeit und Anerkennung von Differenz erzielt werden, erforderlich ist hierzu auch eine soziale Teilhabe (Repräsentation). Eine solche dreidimensionale Politik, die auf eine geschlechtergerechte Umverteilung, Anerkennung und

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5 Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaft

strukturellen Barrieren, die hierzu erst überwunden werden müssen. Die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen ergeben sich folglich nicht aus der Natur der Sache und sind auch keine – wie Maruani konstatiert – „bloßen historischen Überbleibsel, keine unvermeidlichen Schlacken, die sich mit dem Fortschritt von selbst auflösen werden. Es gibt keinen natürlichen Trend zur Gleichheit“ (Maruani 2010: 637). Die Häufung von Nachteilen wird vielmehr „tagtäglich neu konstituiert und komponiert, vor unseren Augen“ (ebd.). Ein Problemfeld stellt der Arbeitsmarkt dar, der bis heute durch eine horizontale wie vertikale Segregation gekennzeichnet ist. • Horizontale Segregation: Frauen und Männer sind nach wie vor in unterschiedlichen Berufen tätig. Es existieren immer noch so genannte Frauen- und Männerberufe. So waren 2009 fast jeder zweite Mann und mehr als jede dritte Frau in einer Berufsgruppe tätig, in der die eigene Genusgruppe dominierte (80 Prozent) (vgl. Statistisches Bundesamt 2011). Während Bauberufe, Metall- und Anlagenbauberufe, Elektroberufe und der Beruf des Malers und Lackierer nahezu reine Männerberufe sind, gelten der Friseurberuf, der Beruf der Kosmetikerin, viele Gesundheitsdienstberufe sowie soziale Berufe als reine Frauendomänen (vgl. ebd.). Die Trennung zwischen Männer- und Frauenberufen hat sich über die Zeit als relativ stabil erwiesen. Annäherungen fallen ausgesprochen moderat aus. Während Männer sehr selten in typische Frauenberufe vordringen, sind Frauen diesbezüglich nicht ganz so verhalten und bereits in einige männlich geprägte Berufsfeld vorgestoßen, wie z.B. in Justizberufe und akademische Berufe. Ein Anstieg ist auch bei Ärzten auszumachen. Dennoch ist ein tief greifender Wandel, d.h. ein Trend der Angleichung der Geschlechteranteile in den meisten Berufsgruppen, nicht zu erkennen. Über die Hälfte der Mädchen und jungen Frauen konzentriert sich zudem bis heute auf nur zehn Dienstleistungsberufe und ist in Berufs- und Tätigkeitsfeldern beschäftigt, in denen oftmals nur geringe Einkommen erzielt werden. Überhaupt überwiegen in Berufen, in denen Frauen dominieren, Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse und niedrige Einkommen. Demgegenüber werden Berufe, die als zukunftssicher gelten (z.B. im Bereich der Ingenieurwissenschaften sowie der neuen Informations- und Telekommunikationsindustrie), weitaus häufiger von jungen Männern ergriffen (vgl. Gildemeister 2005: 65). Kurzum, die berufliche Segregation nach Geschlecht stellt nach wie vor ein Strukturmerkmal von Arbeitsmärkten dar (vgl. Klammer et al. 2011). • Vertikale Segregation: Frauen sind in höheren Managementpositionen sowie in Vorständen und Aufsichtsräten großer, umsatzstarker Unternehmen, speziell in Deutschland, eine seltene Ausnahme.111 In der ersten Führungsebene sind Frauen bis heute unterrepräsentiert

Repräsentation abzielt, zu entwickeln und umzusetzen ist jedoch – wie sie betont – kein einfaches Unterfangen (vgl. Fraser 2009). 111

Die Frauenanteile im Vorstand bzw. in der Geschäftsführung der 100 umsatzstärksten deutschen Unternehmen sind sehr gering (0,2 Prozent) (vgl. DIW 2007). In den Aufsichtsräten der 200 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland sieht es nicht viel anders aus, in über einem Drittel ist keine Frau vertreten, und nur wenige Frauen haben es bislang geschafft, die Rolle der Aufsichtsratsvorsitzenden einzunehmen (vgl. ebd.). An diesem Grundmuster hat sich bis heute nicht viel verändert. In den Spitzengremien großer Unternehmen herrscht immer noch ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen vor. So stagniert der Anteil von Frauen im Top-Management seit Jahren auf einem sehr geringen Niveau und auch in den Vorständen börsennotierter Unternehmen hat sich seit einigen Jahren fast nichts verändert (vgl. Holst/Wiemer 2010; Klammer et al. 2011).

5.2 Erwerbsarbeit und Geschlecht

173

(25 Prozent), wobei der Anteil mit der Größe des Unternehmens sinkt: In Betrieben mit 1–9 Beschäftigten liegt er bei 27 Prozent, während er in Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten nur noch 9 Prozent beträgt. Erst auf der zweiten Führungsebene erreichen Frauen einen höheren Anteil (35 Prozent). Hierzu ist jedoch anzumerken, dass nur 22 Prozent aller Betriebe überhaupt eine zweite Führungsebene aufweisen (vgl. Kohaut/Möller 2010). Eine aktuelle Studie kommt zu dem Ergebnis, dass mit „steigender Betriebsgröße (…) nicht nur der Frauenanteil an allen Beschäftigten (sinkt, M.F.). Auch der Anteil weiblicher Führungskräfte nimmt mit zunehmender Beschäftigtenzahl ab, und zwar überproportional“ (Kohaut/Möller 2010: 2). Obwohl die Zahlen eine recht eindeutige Geschlechterhierarchie erkennen lassen, sollte nicht übersehen werden, dass – unterscheidet man nach Branchen, Berufen und Organisationen – das Bild etwas facettenreicher ausfällt. So sind die Karrierechancen von Frauen beispielsweise in den Wirtschaftszweigen Erziehung und Unterricht, Gaststätten und Beherbergung, im Sektor Handel und Reparatur sowie in kleineren Dienstleistungsbetrieben, wie etwa Wäschereien, Reinigung, Friseur, Kosmetik, etwas größer als in Betrieben aus anderen Wirtschaftszweigen. An der generellen Schieflage ändert sich hierdurch aber nichts, sie ist in den letzten Jahren sogar sehr stabil geblieben. Selbst hohe Frauenanteile unter den Beschäftigten in einer Branche führen nicht zwangsläufig dazu, dass der Frauenanteil an den Führungspositionen steigt, wie etwa das Beispiel des Finanz- und Versicherungssektors zeigt (vgl. ebd.). Dort, wo es um Einfluss und wirtschaftliche Macht geht, sind Frauen ganz offensichtlich kaum zu finden (vgl. u.a. Holst/Wiemer 2010; Klammer et al. 2011). Als ursächlich für die Geschlechtersegregation auf dem Arbeitsmarkt galten lange Zeit primär angebotsseitige Faktoren, wie etwa Bildung und Ausbildung, Arbeitszeitpräferenzen und Erwerbsverhalten. Bei aller Plausibilität bleiben diese Ansätze spätestens dann eine Erklärung schuldig, wenn die angeführten Faktoren keine geschlechtlichen Differenzierungen erkennen lassen, Frauen z.B. genauso qualifizierte Abschlüsse vorweisen können wie Männer112, diese aber schon nach wenigen Berufsjahren einen Karrieresprung machen. Ist es am Ende doch die weibliche Geschlechtszugehörigkeit und die damit assoziierte potentielle Familienverpflichtung, die es als riskant erscheinen lässt, Frauen einzustellen und ihre Karriere zu fördern? Dass die Teilhabe am Arbeitsmarkt mit Blick auf soziale und ökonomische Lebenslagen sowie aufgrund der Orientierung an kulturellen Leitbildern variiert, ist wohl nicht zu übersehen. Von Relevanz sind hier die vorherrschenden Formen der geschlechtlichen Arbeitsteilung sowie institutionelle Rahmenbedingungen, wie finanzpolitische Maßnahmen zur Familienförderung und die Angebote zur öffentlichen Kinderbetreuung (u.a. Zahl, Kosten, Öffnungszeiten) (vgl. u.a. Klammer et al. 2011). Auszumachen sind, was die Chancen der Arbeitsmarktintegration anbetrifft, allerdings nicht nur Unterschiede zwischen den Geschlechtern, sondern – wie weiter oben bereits ausgeführt wurde – auch zwischen Frauen (Achsen der Differenz/Intersektionalität). Um die Vielzahl der möglichen Einflussfaktoren bestimmen und erklären zu können, bedarf es differenzierterer Analysekonzepte. Weder die klassischen differenztheoretischen Ansätze, die von einem grundsätzlich unterschiedlichen Arbeitsmarktverhalten von Männern

112

So haben Frauen hinsichtlich ihrer Bildung schon längst mit Männern gleichgezogen. Auch die Lebensläufe junger Männer und Frauen haben sich mittlerweile angeglichen.

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5 Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaft

und Frauen ausgehen113, noch strikte hierarchietheoretische Konzepte, die keinen Zweifel an der Aufrechterhaltung einer sich auch auf dem Arbeitsmarkt reproduzierenden hierarchischen Geschlechterordnung aufkommen lassen, bringen uns viel weiter. Wichtige Anknüpfungspunkte für konzeptionelle Weiterentwicklungen liefern hingegen Ansätze, die auch die Nachfrageseite des Arbeitsmarktes – das Arbeitgeberverhalten – berücksichtigen, oder sogar darüber hinaus gehen und zwischen nationalen „Genderregimen“ und „Geschlechterarrangements“ differenzieren (vgl. Pfau-Effinger 2000; Lewis/Ostner 1994; Leitner/Ostner/Schratzensteller 2004) sowie Verknüpfungen zwischen Wohlfahrts-, Geschlechter- und Migrationsregimen herstellen (vgl. u.a. Lutz 2008). Damit ist es möglich, einen differenzierten Blick auf spezifische Ausprägungen unterschiedlichster Dimensionen und Einflussfaktoren zu erhalten. Geht man etwa von Pfau-Effingers Konzept des Geschlechterarrangements aus, gilt es, die jeweils vorherrschenden, historisch gewachsenen wohlfahrtsstaatlichen Regelungen, also das Ausmaß der (De-)Regulierung von Arbeitsmärkten, Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsverhältnissen, die gesellschaftliche Organisation der Hausarbeit und Kindererziehung sowie die Versorgung Pflegebedürftiger (Organisation von carework) zu berücksichtigen. Nicht zu vernachlässigen ist dabei die soziale Bewertung und gesellschaftliche Anerkennung dieser Arbeiten sowie die kulturellen Konstruktionen von Vaterschaft, Mutterschaft und Kindheit, d.h. die „Geschlechterkultur“. Geschlechterarrangements sind schließlich das Resultat gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse – von Machtkämpfen und Kompromissbildungen –, in die eine Vielzahl von Akteuren involviert ist, angefangen von Gewerkschaften über Arbeitgeber bis hin zur Frauenbewegung. Sie spiegeln sich in nationalspezifischen Geschlechtermodellen114, aber auch ganz konkret in der Entwicklung von Frauenerwerbsquoten, -biographien und geschlechterpolitischen Maßnahmen, etwa zur Vereinbarung von Berufs- und Familienarbeit, wider (vgl. Gottschall 2000; PfauEffinger 2000; Leitner/Ostner/Schratzensteller 2004). Dieses Erklärungskonzept ist viel versprechend, stellt die Forschung aber aufgrund seiner Komplexität vor enorme Herausforderungen. Einbezogen werden müssen nicht nur Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen institutionellen und kulturellen Dimensionen, sondern neuerdings auch die zunehmend wichtiger werdende Dimension der internationalen Arbeitsmigration. Nicht unproblematisch ist die bislang recht defizitäre Berücksichtigung der Organisationsebene in diesem Konzept, zumal es sich hier um eine überaus wichtige Dimension handelt, die u.a. Aufschluss über die Entstehung und Beharrungskraft der Geschlechtersegregation, die Problematik der Bewertung und Anerkennung von Arbeit sowie über Chancen auf Gleichstellung geben kann.115

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115

Siehe hierzu etwa das Konzept des „weiblichen Arbeitsvermögens“ (Beck-Gernsheim/Ostner 1978). Siehe hierzu etwa das Konzept der Versorgerehe (male breadwinner/female home care), das lange Zeit für Deutschland typisch war, oder die modernisierte Versorgerehe (male breadwinner/female part-time work), die heute das vorherrschende Geschlechtermodell in Deutschland darstellt. Demgegenüber dominiert etwa in Schweden, Dänemark und Finnland das Doppelversorgermodell mit außerhäuslicher Kinderbetreuung (öffentliche Dienstleistungen) (dual breadwinner/state care). Hierzu liegt mittlerweile eine Vielzahl von Arbeiten vor (vgl. u.a. Müller 2005, 2010; Wilz 2002, 2005; Hofbauer 2010; Funder/Dörhöfer/Rauch 2006; Nickel/Hüning/Frey 2008).

5.2 Erwerbsarbeit und Geschlecht

175

Organisation und Geschlecht Organisationen übernehmen im Hinblick auf den Arbeitsmarkt zentrale Allokationsaufgaben. Sie sind es, die über Einstellungen und Entlassungen, Eingruppierungen und Verdiensthöhen, Beförderungen und Zulagen, Arbeitszeitstrukturen und Arbeitsbedingungen entscheiden. Ob sich Geschlechterungleichheit reproduziert (oder nicht) hängt demnach auch von Entscheidungen ab, die Organisationen treffen. Es ist also keineswegs ein Naturgesetz, dass aus der Geschlechterdifferenz zwangsläufig Geschlechtertrennungen (männliche und weibliche Arbeitsbereiche und Tätigkeitsfelder) sowie Geschlechterhierarchien (abnehmender Frauenanteil mit ansteigender Führungsebene) resultieren. Die Geschlechterungleichheit in Organisationen ist Resultat eines komplexen sozialen Prozesses, der historische, soziale und kulturelle Hintergründe hat und sich erst entschlüsseln lässt, wenn auch das Organisationsgeschehen, wie etwa das Handeln von Subjekten, die Struktur der horizontalen und vertikalen Arbeitsteilung sowie die vorherrschenden Leitbilder und Diskurse, in die Analyse eingehen. Darüber, ob und wie tief greifend Geschlechterdifferenzen und -asymmetrien in Organisationen verankert (embedded) sind, ist sich die Forschung nicht einig. Die Debatte war lange Zeit vor allem durch zwei Positionen geprägt (vgl. hierzu auch Funder 2008a): Organisationen sind geschlechtsneutral Die erste Sichtweise geht – in Anlehnung an Max Webers Verständnis von Organisation (als zweckrational, hierarchisch, sachlich-formal und unpersönlich) – davon aus, dass es sich bei Wirtschaftsunternehmen im Prinzip um geschlechtsneutrale soziale Gebilde handelt. Was zählt, um in einem Unternehmen eingestellt zu werden und Karriere zu machen, seien ausschließlich Fachkompetenzen und der Aspekt der zeitlichen Verfügbarkeit. Die Existenz von Geschlechterhierarchien in Wirtschaftsunternehmen ist daher nicht in erster Linie der Organisation anzulasten. Ein bis heute einflussreiches Erklärungskonzept lieferte Rosabeth Moss Kanter (Kanter 1977a, 1997b), die Geschlechterasymmetrien in Organisationen auf Machtdifferenzen zwischen den Geschlechtern zurückführt. Organisationen bestehen ihrer Ansicht nach aus einem Netzwerk informeller Machtbeziehungen, das entscheidend ist, wenn es um die Positionierung von Individuen in Organisationen geht. Solange Frauen einen Minoritätenstatus aufweisen, sind ihre Chancen, Macht auszuüben und hierarchisch höhere Positionen zu besetzen, gering, denn sie sind aufgrund ihrer Minderheitenposition „token women“116 und damit sozial „sichtbarer“ als Männer (visibility). Sie müssen daher stets unter Beweis stellen, besser als Männer zu sein; Fehler können sie sich eigentlich nicht erlauben. Konfrontiert werden sie mit stereotypen Wahrnehmungen und Erwartungen, wie sie sich als Frau zu verhalten haben. Ein „Zuviel“ an „Weiblichkeit“ kann genauso problematisch sein wie ein „Zuwenig“, woraus Kanter den Schluss zieht, dass Frauen in männerdominierten Organisationen nicht nur ihr organisationales, sondern auch ihr persönliches Verhalten managen müssen. Passen sie sich den stereotypen Weiblichkeitserwartungen an (assimilation), dann tragen sie sogar selbst dazu bei, dass weibliche Geschlechtsrollenstereotypen (gender status beliefs) weiter aufrechterhalten werden. Von Relevanz ist hier auch die von Kanter ausgemachte Spaltung zwischen Minderheit und Mehrheit (polarization), die mit einer Hervorhebung und 116

Als „tokens“ werden Personen bezeichnet, die sich aufgrund ihrer Anzahl und Verteilung in Bezug auf ihr Geschlecht (ihr Alter oder ihre Hautfarbe usw.) in der Minderheit befinden.

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5 Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaft

Festigung von Gruppengrenzen verbunden ist. Dies erklärt, warum z.B. bei Beförderungen Männer, die ähnliche Erfahrungshintergründe und eine vergleichbare soziale Herkunft wie die über Stellenbesetzungen entscheidenden Personalmanager aufweisen, präferiert werden. Männer wollen – wie auch Swedberg unter Bezug auf Kanter betont – „traditionell andere Männer um sich und ähnliche Männer in den Spitzenpositionen haben (soziale Reproduktion in Kanters Begrifflichkeit)“ (Swedberg 2009: 293). In diesem Zusammenhang ist die klassische Arbeitssituation von Managern bedeutsam, die durch ein hohes Maß an Unbestimmtheit, Ungewissheit und Komplexität geprägt ist. Dies erklärt – so Kanter – die beschriebene „homosoziale Schließung“ bzw. „homosocial reproduction“ (Kanter 1977b), die Frauen aus karriereförderlichen informellen Netzwerken ausgrenzt und ihre Karrierechancen minimiert. Kanters Argumentation ist heute noch in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. So belegen neuere Studien zur geschlechtsspezifischen Segregation in Organisationen, dass es eine „gläserne Decke“ (Phänomen des „glass ceiling“) gibt, die das Vordringen hoch qualifizierter Frauen in obere Managementpositionen erschwert, in vielen Fällen sogar verhindert (vgl. u.a. Hofbauer 2010). Kritische Einwände gegen Kanters Konzept konzentrieren sich vor allem auf die Annahme, dass die Überwindung des Minoritätsstatus117 zur Einebnung von Machtdifferenzen führen wird. Demnach müsste der Anstieg des Frauenanteils in Organisationen eigentlich zur Aufhebung von Geschlechterasymmetrien beitragen. Ganz so einfach ist es aber wohl nicht. Sicherlich macht es einen Unterschied, ob Frauen in Organisationen in der Minorität sind oder nicht, aber die Hartnäckigkeit der Geschlechterungleichheit ist nicht nur eine Frage des zahlenmäßigen Verhältnisses zwischen Frauen und Männern. So steigen zwar in Betrieben mit einem höheren Frauenanteil in der Regel auf der einen Seite die Chancen ins Management zu gelangen, auf der anderen Seite aber kommt es häufig zu einer Vertiefung der Geschlechtertrennung (glass walls) dergestalt, dass Frauen verstärkt in jenen Arbeitsbereichen und Abteilungen zu finden sind, die als weniger prestigeträchtig gelten (Resegregation). Auch zeigen Untersuchungen, dass mit ansteigendem Frauenanteil in einer Organisation innerhalb der gleichen Berufsgruppe die Bezahlung abnimmt, und zwar sowohl für Frauen als auch für Männer (vgl. u.a. Pfeffer/Davis-Blake 1987; Reskin/Roos 1990; Hinz/Gartner 2005). Die Feminisierung von Berufen und Tätigkeitsfeldern geht also mit Statusabwertungen und einer daraus resultierenden Absenkung des Gehaltsniveaus einher (vgl. u.a. Ridgeway 2001; Klammer et al. 2011). Ohlendieck (2003) sieht daher in „glass walls“ ein noch weitaus größeres Problem für die Überwindung von Geschlechterasymmetrien als im „glass ceiling“. Organisationen sind vergeschlechtlicht Die zweite Position vertritt genau die gegenteilige These: Das Geschlecht ist keineswegs außerhalb von organisationalen Strukturen anzusiedeln und Geschlechterasymmetrien sind 117

Kanter setzte die Grenze bei 15 Prozent an (vgl. Kanter 1977b). Wird dieser Wert erreicht bzw. überschritten, besteht die Chance, dass die Probleme von Minoritäten (tokens), negativen Stereotypisierungen ausgesetzt zu sein und nicht über Macht zu verfügen, überwunden werden. Einer Studie von Allmendinger und Hackman zufolge liegt die „kritische Masse“ allerdings erst bei 40 bis 50 Prozent, danach kehrt sich der Prozess wieder um (vgl. Allmendinger/Hackman 1993). Ein höherer Frauenanteil führt zu Abwehrreaktionen und verfestigt homosoziale Schließungsprozesse sogar noch (vgl. u.a. Hofbauer 2010).

5.2 Erwerbsarbeit und Geschlecht

177

nicht nur eine Frage der Höhe des Frauenanteils in Organisationen. Kurzum, Organisationen sind grundsätzlich nicht geschlechtsneutral. Rationale Organisationen sind ihrem Wesen nach „männlich“ und selbstverständlich geschlechtshierarchisch, d.h. in Organisationen spiegeln sich die patriarchalen Strukturen der Gesellschaft wider (vgl. Ferguson 1984). Um diese stark makrosoziologische Perspektive zu überwinden, konzentrierte sich die weitere Forschung auf die Frage, wie dieser Prozess der Vergeschlechtlichung von Organisationen erfolgt. Eine herausragende Bedeutung kommt dem Konzept von Joan Acker (Acker 1990) zu. Ihr Ausgangspunkt ist die asymmetrische Geschlechterstrukturierung der Gesellschaft (Trennung von Erwerbs- und Hausarbeit, Öffentlichkeit und Privatheit, Leitbild der normalen a-sexuellen Arbeitskraft), die sich in Organisationen eingeschrieben hat bzw. in diese „inkorporiert“ wurde. Mehr noch: Organisationen sind nicht nur Orte vergeschlechtlichter Strukturen und Prozesse, sie tragen als gesellschaftliche Institutionen selbst zur Produktion und Reproduktion von Geschlechterungleichheit bei. Allerdings ist die Geschlechterasymmetrie in Organisationen nicht gleich zu erkennen, da sich Organisationsstrukturen und -prozesse, Rollen und Leitbilder auf den ersten Blick als geschlechtsneutral bzw. geschlechtslos erweisen. Tatsächlich besitzen Organisationen jedoch – so Acker – stets eine vergeschlechtlichte Substruktur, die aber aufgrund des abstrakten und objektiv versachlichten Charakters von Organisationsstrukturen in der alltäglichen sozialen Praxis nicht nur verschleiert bzw. unkenntlich gemacht, sondern auch permanent (re-)produziert wird. Dementsprechend sind die Strukturen und Praktiken von Organisationen auf allen Ebenen durch ein „gendering“ geprägt. In Ackers „Theory of Gendered Organizations“ erfolgt dieser Prozess, der dafür Sorge trägt, dass aus der Geschlechterdifferenz eine Geschlechterhierarchie wird, auf vier analytisch zu unterscheidenden Ebenen: erstens auf der Ebene der Arbeitsorganisation (z.B. durch die Herausbildung von Geschlechtergrenzen zwischen Tätigkeitsfeldern), zweitens auf der symbolischen Ebene (z.B. durch Bilder, Symbole und Ideologien als Teil der Unternehmenskultur), drittens auf der Ebene von Handlungs- bzw. Interaktionsprozessen („doing gender while doing work“) und viertens auf der Subjektebene, der Konstruktion von Geschlecht durch die Subjekte (z.B. Selbstpräsentation durch Kleidung, Sprache usw.) (vgl. Acker 1990). Dabei kommt der Orientierung am Modell der Normalarbeitskraft, die als a-sexuell und rational beschrieben wird, eine zentrale Bedeutung zu. Während Männern zugestanden wird, weitgehend dem Leitbild des Homo Oeconomicus zu entsprechen, und z.B. ein kühl kalkulierender, sachlicher Manager, der Rund-um-die-Uhr einsatzfähig ist, zu sein, wird Frauen unterstellt, sie seien zu emotional für die Berufsarbeit und weisen eine Familienorientierung auf, was ihre Beförderung auf höhere Positionen wenig attraktiv erscheinen lässt. Diese Zuschreibungen erfolgen nicht offen, sondern weitgehend verdeckt. Rastetter (1994: 119) bringt es auf den Punkt, wenn sie moderne Organisationen als „historisch-gesellschaftlich spezifische Verkörperung männlicher Herrschaft“ beschreibt, deren „mystifizierte Asexualität und Rationalität (…) als Ausdruck hegemonialer Männlichkeit“ interpretiert werden kann. Acker zufolge haben sich Geschlechterdifferenzierungen tief in Organisationen eingeschrieben. Geschlechterdiskriminierung findet daher selten offen statt. Ihre Sicht auf Organisationen ist folglich geprägt von der Vorstellung vergeschlechtlichter Substrukturen („gendered substructures“). Damit ist es ihr gelungen, wie Müller (1999: 56) hervorhebt, den Blick für die „gendered substructure“ von Organisationen zu öffnen. Geschlechterasymmetrien in Organisationen sind eng verknüpft mit der gesellschaftlichen Geschlechterungleichheit und

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5 Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaft

spiegeln sich bis heute in ungleichen Löhnen, ungleichen Formen der Arbeitsteilung, ungleichem Zugang zu Führungspositionen usw. wider (vgl. Acker 2010). In Ackers Konzept der vergeschlechtlichten Organisation stellt das Geschlecht geradezu ein konstitutives Element sozialer Beziehungen in Organisationen dar und ist aus diesen nicht wegzudenken. Organisationen sind folglich immer vergeschlechtlicht. Die Reproduktionsmechanismen der „gendered substructures“ bleiben weitgehend im Verborgenen, schließlich gelten die Strukturen einer Organisation, wie etwa die Lohnstrukturen, Leistungsparameter und Aufstiegsregeln, als geschlechtsneutral, rational und legitim. Dementsprechend fällt ihr Fazit pessimistisch aus: „sowohl die Legitimität wie die Unsichtbarkeit tragen dazu bei, die Ungleichheiten zu perpetuieren und gleichzeitig behindern sie jede Politik und Praxis, die auf ein höheres Maß an Gleichstellung ausgerichtet sind“ (Acker 2010: 94). Geschlechtliche Ungleichheitsregime aufzulösen ist daher ein ausgesprochen schwieriges Unterfangen. Wenngleich eine Vielzahl der Argumente von Acker auch Zustimmung erfahren hat, ganz ohne Widerspruch blieb auch das Konzept der vergeschlechtlichten Organisation nicht. Angenommen wird, dass Organisationen durchaus in der Lage sind, die Geschlechterdifferenz zu übersehen und stets genau analysiert werden muss, wann und unter welchen Bedingungen von ihr Gebrauch gemacht wird (vgl. u.a. Funder 2004; Müller 1993, 2010; Wilz 2002, 2004; Hofbauer/Holtgrewe 2009). Geschlecht in Organisationen: Reproduktion und Erosion Diese beiden Positionen – Organisationen entweder als geschlechtsneutral oder vergeschlechtlicht zu betrachten – prägten lange Zeit die Debatte. In Anbetracht zunehmender Ambivalenzen, Widersprüche und Paradoxien, die sich im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse in Wirtschaftsorganisationen erkennen lassen, ist die Suche nach Erklärungskonzepten weitergegangen. Anknüpfungspunkte hierfür boten nicht nur die klassische feministische Organisationsforschung (insbesondere Acker, Kanter, Ferguson), sondern auch soziologische und organisationssoziologische Theorieansätze (u.a. Luhmann, Bourdieu, Giddens, Foucault sowie die Mikropolitik und der Neo-Institutionalismus). Damit rückte auch die Kontroverse über geschlechtsneutrale und vergeschlechtlichte Organisationen wieder ins Blickfeld der Forschung. Einigung zu erzielen ist in Anbetracht der unvereinbaren theoretischen Konzepte nur schwer möglich. Systemtheoretische Ansätze gehen von einem grundsätzlich anderen Organisationsbegriff aus (vgl. u.a. Weinbach 2004; Pasero 1995; Heintz 2007) als Konzepte, die Bourdieu (vgl. u.a. Hofbauer 2010) oder Giddens Strukturationsansatz (vgl. u.a. Wilz 2002) heranziehen. Unstrittig ist jedoch, dass es sowohl Anhaltspunkte für eine Reproduktion der herkömmlichen Geschlechterdifferenzierungen als auch Indizien für einen Abbau von Geschlechterhierarchien gibt und darüber hinaus für einen Formwandel der Differenz, ganz im Sinne des Leitspruchs: „Alter Wein in neuen Schläuchen“. Danach perlen an Organisationen – wie an einer Teflonschicht – radikale Wandlungsprozesse im Hinblick auf die Kategorie Geschlecht immer noch weitgehend ab. Unabhängig von den permanent stattfindenden Reorganisationsprozessen, hat sich die jederzeit aktivierbare Wirkungsmacht der Geschlechterdifferenz längst nicht verflüchtigt. Selbst moderne Organisationen, die den Anspruch erheben, Geschlechtersymmetrien verwirklichen zu wollen, machen hier selten eine Ausnahme. Ihnen gelingt es problemlos, Geschlechterdifferenzierungen zu legitimieren und strukturelle zu individuellen Ursachen umzuschreiben, etwa gemäß dem Motto: „Geschlecht

5.3 Aspekte einer gendersensiblen Wirtschaftssoziologie

179

spielt keine Rolle, nur Leistung zählt“. Entstanden ist ein „Egalitätsmythos“118, der sehr wirkungsmächtig ist und die Persistenz von Geschlechterasymmetrien erklärt. Allerdings ist nicht ganz auszuschließen, dass aus diesem Mythos der Geschlechteregalität eine sich selbst erfüllende Prophezeiung werden könnte, indem durch einen erhöhten gesellschaftlichen Druck und/oder durch Organisationsmitglieder eine Angleichung wie Aufhebung von Geschlechterunterschieden auf den Weg gebracht wird, die sich am Ende nicht als „rhetorische Modernisierung“ (Wetterer 2003) herausstellt. Noch ist allzu optimistischen Prognosen über die zukünftige Bedeutungslosigkeit der Geschlechterdifferenz (vgl. Pasero 2003; Weinbach 2006) jedoch mit großer Skepsis zu begegnen. Gegenwärtig ist eine widersprüchliche Parallelität von Beharrungs- und Wandlungsprozessen alter wie neuer Geschlechterdifferenzierungen auszumachen, so dass weder von einer „durchgängigen Marginalisierung und Abwertung von Frauen“ die Rede sein kann (Müller 2005: 231), aber auch nicht von einem grundlegenden Wandel (vgl. u.a. Kuhlmann et al. 2002; Wilz 2002; Müller et al. 2007; Funder/Dörhöfer/Rauch 2006). Die Geschlechterdifferenz ist nach wie vor auf unterschiedlichste Weise in Organisationen eingeschrieben. Zwar kann ihre Wirkungsmacht für eine Zeit stillgelegt werden, vielfach taucht sie dann aber wieder, oftmals in einem neuen Gewand, auf. Dies spricht für die These, dass es sich bei der Geschlechterdifferenz um „ein latent verfügbares Angebot für die Konstruktion von Hierarchien, von Asymmetrien in Aufgabenteilung und Bewertung sowie von ungleichen Chancen“ (Müller 2005: 232) handelt. Wilz (2002) argumentiert ähnlich und behauptet, dass sich auf allen Ebenen von Organisationen – sowohl in ihren Strukturen und Leitbildern als auch im Hinblick auf die Wahrnehmungen und das Handeln der Akteure – stets geschlechtsbasierte und geschlechtsneutrale Elemente finden lassen, die kontextabhängig zu jeweils spezifischen kontingenten Kopplungen führen, so dass die Geschlechtsdifferenz mal relevant gemacht wird und mal nicht. Aus der Strukturkategorie Geschlecht ist demnach eine Prozesskategorie geworden, wobei zunehmend komplexere, weitaus widersprüchlichere Geschlechterkonstellationen zu beobachten sind, zumal auch „Achsen der sozialen Differenz“ eine immer größere Rolle spielen (vgl. u.a. Lutz 2008; Winker/Degele 2009). Wie die Geschlechterdifferenz in Organisationen Wirkungsmacht entfaltet (oder nicht) bleibt ein spannendes Forschungsthema, zu dem auch die Konzepte der Wirtschaftssoziologie (insbesondere die Einbettungsund Netzwerkansätze) einen Beitrag leisten können.

5.3

Aspekte einer gendersensiblen Wirtschaftssoziologie

Gibt man sich nicht – wie Swedberg (2009) – damit zufrieden, eine Bezugnahme auf die Erkenntnisse der Geschlechterforschung bei der Behandlung wirtschaftssoziologischer Fragestellungen schon als ausreichend zu erachten, um Aufschluss über die Geschlechterverhält118

Zum Begriff „Egalitätsmythos“, der in Anlehnung an das neo-institutionalistische Konzept des Rationalitätsmythos entwickelt wird, siehe Funder (2005) sowie Funder/Dörhöfer/Rauch (2006).

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5 Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaft

nisse in der Wirtschaft zu gewinnen, muss nach einer spezifisch wirtschaftssoziologischen Sicht auf die Genderproblematik Ausschau gehalten werden. Die erste Schwierigkeit besteht darin, dass es nicht die Wirtschaftssoziologie gibt, sondern ein berechtigter Theorienpluralismus existiert. Um nicht gleich an dieser Hürde zu scheitern, bieten Erwägungen von Jens Beckert (1996) erste Anknüpfungspunkte für weitere konzeptionelle Überlegungen zum Thema Wirtschaft und Geschlecht. Dieser hat in einem Essay die provokante Frage gestellt, was denn soziologisch an der Wirtschaftssoziologie ist (vgl. Teil 3.2.6). Den Ausgangspunkt bildet die Feststellung, dass zumindest bei den seit den 1970er Jahren unter dem Etikett der „neuen Wirtschaftssoziologie“ firmierenden Ansätze ein gemeinsamer Nenner zu erkennen ist, nämlich die Missbilligung einiger zentraler Elemente, die die Wirtschaftswissenschaften zur Erklärung wirtschaftlicher Phänomene anführen, etwa die Fixierung auf Handlungsmotive wie Eigennutz und Kosten-Nutzen-Kalküle. Beckert zufolge werden hierdurch eine Reihe aufschlussreicher Aspekte ausgeblendet (vgl. Beckert 1996: 125). Diesen Fehler begeht die neue Wirtschaftssoziologie seines Erachtens nicht, denn zu ihren Stärken gehört, dass sie zum einen sozialen Beziehungen, Kognitionen und Normen sowie der Kultur ein großes Gewicht zur Erklärung wirtschaftlicher Prozesse zumisst. Zum anderen macht sie auf die Bedeutung von Strukturen, Macht und Institutionen „als erklärende Variablen für das Verständnis wirtschaftlicher Phänomene“ (ebd.) aufmerksam. Im Zentrum seiner Überlegungen steht der Vorschlag, von der „Ungewissheit“ ökonomischer Prozesse auszugehen. Aufgrund ihres breiteren Verständnisses vom Wirtschaftsgeschehen ist die neue Wirtschaftssoziologie in der Lage, dem Phänomen der Ungewissheit auf die Spur zu kommen. Dabei sollten nicht in erster Linie die Handlungsmotive der Akteure herangezogen werden, wie im Mainstream der Wirtschaftswissenschaften, aber auch in Teilen der Wirtschaftssoziologie. Den Ausgangspunkt sollte vielmehr die Struktur der Handlungssituation bilden. Sie erfordert eine Analyse von Erwartungsstrukturen, Macht und institutionellen Rahmenbedingungen, die von größter Relevanz sind, um Aufschluss über die Reduktion von Ungewissheit in Entscheidungsprozessen zu erhalten (vgl. Beckert 1996: 141). Beckert liefert hiermit eine nicht nur für die neue Wirtschaftssoziologie ausbaufähige Erklärungsperspektive, sondern bietet auch Anknüpfungspunkte für eine spezifisch wirtschaftssoziologische Sicht auf die Genderproblematik. Im Kern geht es darum, die auch in der Wirtschaft auszumachende soziale Konstruktion von Geschlecht und Zweigeschlechtlichkeit mit Ungewissheit in Verbindung zu bringen. Dem Erklärungskonzept entsprechend spielen sich Prozesse der Ungewissheitsabsorption nicht nur auf der Interaktionsebene ab. Zwar ist nicht zu übersehen, dass z.B. bei der Personalauswahl eine Orientierung an Geschlechterstereotypen (zugeschriebene Eigenschaften und Verhaltensmuster) den Ausschlag geben kann, indem Frauen beispielsweise als zukünftige Mütter wahrgenommen werden, die für eine Führungsposition nicht in Betracht kommen oder weil sie bereits Mütter sind, nicht als flexibel genug gelten. Die Reproduktion von Geschlechterasymmetrien aber ausschließlich auf der flüchtigen Interaktionsebene anzusiedeln, bleibt unbefriedigend. Stattdessen rückt das Konzept die Struktur der Handlungssituation ins Blickfeld und rekurriert auf Strukturen, Macht und institutionelle Rahmenbedingungen, jedoch nicht um den Preis eines vollständigen Verzichts auf die Akteursebene, denn schließlich sind es Akteure, die durch ihr Handeln Strukturen reproduzieren, modifizieren und verändern. Hieraus folgt aber auch, dass dieser Zugriff auf das Konzept der Zweigeschlechtlich-

5.3 Aspekte einer gendersensiblen Wirtschaftssoziologie

181

keit seine Wirkungsmacht verlieren kann, wenn Ungewissheit nicht mehr einseitig mit Frauen in Verbindung gebracht wird, sondern ebenso für Männer gilt und institutionelle Rahmenbedingungen (z.B. eine gut ausgebaute Kinderbetreuung, ein Abschied vom Anwesenheitskult und flexible Arbeitszeitmodelle) Kollisionen zwischen Produktions- und Reproduktionssphäre verringern. Allein mit der Erosion tradierter Männlichkeitskonstruktionen (vgl. Meuser 2009) ist es folglich nicht getan, wenn sich nicht gleichzeitig auch Leitbilder, Diskurse, Normen und Institutionen verändern. Bislang stellt die Geschlechterklassifikation noch ein im Denken und Handeln stark verankertes, recht wirkungsmächtiges soziales Konstrukt dar, das Erwartungsstrukturen festlegt, die wiederum im Rahmen eines wechselseitigen Verweisungszusammenhanges soziales Verhalten kanalisieren und Geschlechterordnungen stabilisieren. Folglich wird das soziale Konstrukt Geschlecht in organisationalen Entscheidungsprozessen sicherlich noch eine ganze Weile zur Reduktion von Ungewissheit und zur Durchsetzung von Interessen herangezogen. Dem Geschlecht ist also weiterhin eine hierarchisierende Wirkungsmacht zuzuschreiben, die aber im Prinzip nicht als omnirelevant zu charakterisieren ist. In Anlehnung an Müller (2005) ist die These nicht von der Hand zu weisen, dass das Geschlecht zwar noch vielfach als strukturbildend anzusehen ist – und damit der Ungewissheitsreduktion dient –, aber unter bestimmten Bedingungen – wie etwa einem Wandel von Leitbildern, einer Aufhebung der geschlechtlichen Arbeitsteilung, einer Abschaffung von Lohndiskriminierungen (Equal Pay) und einem strukturellen Umbau von Rahmenregelungen – an Bedeutung verlieren könnte. Noch ist – trotz der durchaus erkennbaren Fortschritte in Sachen Geschlechtergleichheit – kein tief greifender Transformationsprozess der Geschlechterordnung sowie eine Auflösung der Geschlechterdifferenz als einer „Kategorie sozialer Ordnung“ in Sicht (vgl. u.a. Wetterer 2006). Um die mittlerweile weitaus komplexeren und vielfach recht widersprüchlichen Geschlechterkonstellationen in der Moderne – wie insbesondere die neuen Leitbilder, Legitimationsmuster und Formen Arbeitsteilung (z.B. nach Ethnie), die zum Teil quer durch die Genusgruppen verlaufen und bereits zu einer „Umschrift der Differenz“ (Wetterer 1992) geführt haben – untersuchen zu können, ist ein Mehrebenenansatz erforderlich. In der Geschlechtersoziologie ist die Notwendigkeit einer solchen Perspektive schon längst erkannt worden (vgl. u.a. Wilz 2004, Winker/Degele 2009). Die Wirtschaftssoziologie kann und sollte hier anknüpfen, zumal die Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaft kein Nebenschauplatz sind, um den sich WirtschaftssoziologInnen nicht zu kümmern brauchen. Auch die wirtschaftssoziologische Forschung muss die Genese und Reproduktion sowie auch die Indizien für einen Abbau vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichender Erwartungsstrukturen analysieren, um zu verstehen, wie Unternehmen, Netzwerke und Märkte verfasst sind und welche Relevanz den Geschlechterverhältnissen dabei zukommt. Hierzu bedarf es – wiederum in Anlehnung an Beckert – einer vertiefenden Analyse der Wirkungsmacht der Geschlechterdifferenz im Hinblick auf: 1. Traditionen, Gewohnheiten und Routinen, 2. Normen, Institutionen und Konventionen, 3. strukturelle Prädispositionen von Entscheidungen, soziale Beziehungen, organisationale Strukturen und Pfadabhängigkeiten sowie 4. Prozesse der Machtbildung und Interessendurchsetzung. Mit dieser konzeptionellen Bezugnahme auf die Mikro-, Meso- und Makroebene ist es möglich, sowohl das Handeln von Akteuren, Prozesse des „(un)doing gender“, die Bedeutung organisationaler Kontexte als auch die kulturellen und institutionellen Reproduktionsmechanismen der Geschlechterordnung, das immer noch in hohem Maße

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5 Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaft

durch eine widersprüchliche Verschränkung von privatem Reproduktionsbereich und Erwerbsarbeit geprägt ist, in den Blick zu nehmen (vgl. hierzu auch Funder 2008a). Noch steht in der Wirtschaftssoziologie eine weitere Auseinandersetzung mit diesen handlungsleitenden und -koordinierenden Mechanismen, Diskursen und Strukturen aus, erst recht ein konsistentes Theorieprogramm mit einem angemessenen Platz für die Genderdimension.

6

Wirtschaft: Varietät und Wandel

6.1

Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

Bereits Max Weber hat eine Differenzierung verschiedener Idealtypen des Wirtschaftens vorgenommen, um zu einer ordnend-systematischen Analyse wirtschaftlichen Handelns zu gelangen. Er unterscheidet mit Blick auf die moderne Wirtschaft zwischen zwei konträren Grundmustern: Verkehrs- und Planwirtschaft. Ähnliche Typenbildungen finden sich bei anderen Autoren, die – wie z.B. Eucken – von Verkehrs- und Zentralverwaltungswirtschaft sprechen. Neben diesen idealtypischen Grundmustern gibt es noch die Unterscheidung zwischen „freier“ und „sozialer“ Marktwirtschaft auf der einen Seite sowie Zentralverwaltungsbzw. Planwirtschaft und Modellen des Dritten Weges (Selbstverwaltungsmodelle sozialistischer Länder) auf der anderen Seite (vgl. u.a. Hillmann 1988: 175 ff.). Mit dem Zerfall des Kommunismus und dem Niedergang des Jugoslawischen Selbstverwaltungsmodells verschwanden diese Gegenmodelle.119 Seitdem konzentriert sich die Forschung weitgehend auf die Analyse diverser Spielarten kapitalistischer Marktwirtschaften; mittlerweile auch auf den staatlich gelenkten kommunistischen Kapitalismus in China. Damit ist nicht nur der Begriff des Kapitalismus120 wieder salonfähig geworden, es hat sich auch ein neuer Forschungszweig herausgebildet, die komparative Kapitalismusanalyse. So wird mit der Bezeichnung Kapitalismus schon längst nicht mehr ein als verstaubt geltendes Konzept des Marxismus assoziiert, das als untauglich für die Beschreibung von Gegenwartsgesellschaften anzusehen ist. Schließlich bringt der Begriff – wie kein anderer – prägnant zum Ausdruck, was die innere Logik des in vielen Ländern dominierenden ökonomischen Systems eigentlich ausmacht, nämlich im Kern auf Kapitalakkumulation ausgerichtet zu sein (Dux 2008: 19). Damit ist bereits ein wesentlicher Aspekt genannt. Bevor wir uns näher mit Spielarten des Kapitalismus befassen, stellt sich die Frage, was denn eigentlich genau gemeint ist, wenn von Kapitalismus die Rede ist. Trotz der bis heute anhaltenden Auseinandersetzungen über die spezifische Logik, den Gestaltwandel (vgl. u.a. Sombart 1987; Maddison 1991; Windolf 2005; Deutsch119

120

Gleichwohl gibt es – jenseits des Mainstreams – nach wie vor Debatten darüber, wie ein anderes Verständnis von Wirtschaft aussehen kann (vgl. u.a. Etzioni 1996; Reese-Schäfer 2008; Pankoke 2008b). Die Verbreitung des Wortes Kapitalismus erfolgte erst recht spät. Bei Karl Marx taucht er Ende der 1870er Jahre auf. Letztendlich war es Werner Sombart, der mit seiner Studie über die Geschichte des Kapitalismus (den Früh-, Hoch- und Spätkapitalismus) dazu beigetragen hat, dass sich der Terminus des (modernen) Kapitalismus durchsetzen konnte. Sombart hebt mit Blick auf den Spätkapitalismus bereits hervor, dass es nicht nur um Gewinnstreben geht, sondern auch um die Durchsetzung normativer Ideen, insbesondere einen kapitalistischen (Unternehmer-)Geist (vgl. Sombart 1987, zuerst 1916). Damit betont auch Sombart, wie Weber (1980), dass es beim Kapitalismus keineswegs nur um schrankenloses Gewinnstreben geht.

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

mann 2008) und die Auswirkungen der kapitalistischen Marktwirtschaft (z.B. auf die Umwelt) herrscht dennoch weitgehend Einigkeit über den Begriff und zentrale Charakteristika: • Grundlegender Antagonismus: Produktionsmittel sind Privateigentum und ihre Besitzer verfügen über das Recht, darüber zu entscheiden, wie sie diese verwenden. Diejenigen, die kein solches Eigentum besitzen, sind darauf angewiesen, ihre Arbeitskraft in den Dienst eines Produktionsmittelbesitzers zu stellen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die Gruppe der Produktionsmittelbesitzer ist bestrebt, die Ergebnisse der Produktion auf Märkten mit Gewinn zu verkaufen. • Das Streben nach Vermehrung des Kapitals spielt eine entscheidende Rolle. Anfangs waren es in erster Linie erfolgreiche Kaufleute und Handwerker, die über Privateigentum verfügten und dieses in Kapital verwandelten, indem sie es für den Ankauf und Einsatz von Arbeitskräften und Produktionsmitteln einsetzten, um Gewinne zu erzielen. Aus ihnen wurden Unternehmer und es entstanden Unternehmen, zunehmend auch international agierende Konzerne, die bis heute maßgeblich das ökonomische System bestimmen. So dient die Erzeugung von Produkten und Dienstleistungen aus einer ökonomischen Perspektive einzig und allein dem Ziel der Gewinnmaximierung, d.h. im Zentrum steht die bereits erwähnte Kapitalakkumulation, die permanente Reinvestition von auf Märkten erwirtschafteten Profiten (vgl. Miller 2005: 14; Dux 2008: 199). • Große Relevanz kommt dem Markt zu, auf dem Güter und Dienstleistungen (auch Arbeitskraft) ge- und verkauft werden. Das ökonomische System „operiert“ dabei – so Dux – „unter Bedingungen der Konkurrenz“ (Dux 2008: 200), die die Spielregeln der Märkte (einschließlich des Arbeitsmarktes) prägen. • Als zentral wird zudem die Verfolgung von Eigeninteressen angesehen. Adam Smith hat dieses Grundprinzip des Kapitalismus schon früh in seiner Studie „The Wealth of Nations“ (1950, zuerst 1776) beschrieben. Er war aber keineswegs der Erste, der mit seinen Schriften zur gesellschaftlichen Legitimation des Strebens nach Eigennutz beigetragen hat. Bereits Bernard Mandeville (1980, zuerst 1714) behauptet in seiner berühmten „Bienenfabel“, dass die Verfolgung von Eigeninteressen – selbst von Lastern121 – den Ehrgeiz fördert und letztendlich von Vorteil für alle ist, gleich ob diese Verhaltensmuster im Bereich der Wirtschaft, des Rechts, der Medizin oder der Politik zum Tragen kommen. Dennoch: den Kapitalismus gibt es nicht. Die komparative Kapitalismusanalyse hat in den letzten Jahren eine Reihe von Ansätzen entwickelt, um Varianten der kapitalistischen Wirtschaft zu unterscheiden. Dabei werden jeweils ganz spezifische Differenzierungsmerkmale, wie etwa die Ausprägung der Wohlfahrts- bzw. Sozialpolitik (z.B. Esping-Andersen 1990, 1999), politische Stile der Konfliktaustragung (z.B. Lijphart 1984, 1999), Kulturmuster und Sozialkapital (z.B. Bornschier 2005) oder die Rolle von polit-ökonomischen institutionellen Arrangements und Unternehmen (z.B. Fligstein 2009; Hall/Soskice 2003), in den Vordergrund gestellt. Im Weiteren wird zunächst auf zwei klassische Leitbilder der kapitalistischen Marktwirtschaft eingegangen: „freie“ Marktwirtschaft (Markliberalismus) und „soziale“ 121

Hier unterscheidet sich Mandeville von Smith, der unmoralische Handlungen – wie Laster, Lug und Betrug – nicht mit der Verfolgung von Eigeninteressen in Verbindung bringt. Smith zufolge verfügen Individuen über die Fähigkeit, moralisch zu handeln, selbst wenn sie wirtschaftliche Eigeninteressen verfolgen (vgl. Smith 1986).

6.1 Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

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Marktwirtschaft. Sie sind bis heute Gegenstand kontroverser Debatten geblieben, in denen es vor allem um Fragen der Effizienz und Gerechtigkeit sowie um Spielräume für (staatliche) Regulierung und Umverteilung geht. Dux zufolge dreht sich im Prinzip alles um den Widerspruch zwischen der Strukturlogik des ökonomischen Systems und den Bedürfnissen der Subjekte (vgl. Dux 2008: 19). Ob und wie die freie und die soziale Marktwirtschaft mit diesem Widerspruch umgeht und die Frage beantwortet, was dem Marktmechanismus überlassen werden soll und was nicht, soll uns im Weiteren beschäftigen.

6.1.1

Leitbilder: „freie“ und „soziale“ Marktwirtschaft

„Freie Marktwirtschaft“: Das Grundmodell des Liberalismus Das Grundmodell der „freien“ Marktwirtschaft geht davon aus, dass der Wettbewerb zwischen Anbietern und Nachfragern weitgehend unbeeinflusst von staatlichen und anderen Einflüssen zu erfolgen hat; ausgenommen hiervon sind jene staatlichen Maßnahmen, die die liberale Wirtschaftsordnung schützen. Im Zentrum steht somit eine Orientierung am Laisser-faire-Grundsatz122, demzufolge weder Anbieter noch Nachfrager Reglementierungen, z.B. durch Gewerkschaften oder eine dirigistische staatliche Lenkung, unterliegen sollten. Bei der freien, unbeschränkten Marktwirtschaft handelt es sich um ein idealtypisches Konstrukt – ein Modell der ökonomischen Theorie –, dessen Funktionsfähigkeit von einer Reihe von Bedingungen abhängt: • Zentral ist die Annahme, dass der Marktmechanismus nur unter der Bedingung der „freien“, vollständigen Konkurrenz greifen und die Wirtschaft erst dann einen Gleichgewichtszustand erreichen kann, wenn der Preismechanismus seine Wirkungsmacht ungestört entfalten kann und die Abstimmung zwischen dem Angebot an und der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen gewährleistet ist. Auf der Basis eines uneingeschränkten Wettbewerbs bilden sich (Markt-)Preise, in denen die Begehrtheit von Gütern und Diensten zum Ausdruck kommt. Steigende Preise signalisieren zunehmende Knappheit und stellen einen Anreiz dar, die Produktion und mithin das Angebot zu erhöhen. Fallende Preise hingegen führen zur Produktions- und Angebotseinschränkung sowie „zur Freisetzung von Produktionsfaktoren“, von Arbeit, aber auch von Kapital, das dann in „gewinnträchtigeren Bereichen eingesetzt werden kann“ (Hillmann 1988: 174). Es ist also der Preismechanismus, der dem Modell zufolge dafür Sorge trägt, dass sich Angebot und Nachfrage austarieren. Demnach ist es einem einzelnen Unternehmen eigentlich nicht möglich, auf Dauer hohe Gewinne zu erzielen, denn stets greifen weitere Wettbewerber ins Marktgeschehen ein und werden zu Konkurrenten, die den Preis drücken und den Gewinn minimieren. Dies erklärt wiederum die Suche nach immer neuen Marktfel-

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Der Begriff des Laisser-faire entstand in der Zeit des Absolutismus. Er geht auf die französischen Physiokraten zurück, die das Konzept des Wirtschaftskreislaufes entwickelt haben. Verstanden wird hierunter die freie Entfaltung der Wirtschaft, die nicht durch staatliche Eingriffe behindert werden soll. Den Bezugspunkt bilden naturwissenschaftliche Erkenntnisse, z.B. Vorstellungen vom Blutkreislauf, der auch ohne Eingriffe von außen funktioniert. Das Prinzip des Laisser-faire wurde allerdings schon von Adam Smith partiell in Frage gestellt, der staatliche Regulierungen nicht gänzlich ausschließt, denn jeder Staat ist auf die Erhebung von Steuern angewiesen, um ein gewisses Maß an Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit usw. gewährleisten zu können.

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

dern. Die Selbstregulation von Märkten stellt demnach ein unverzichtbares Element der liberalen Marktwirtschaft dar, die wiederum – so Berger (2009: 125) – „besser als jede andere Organisationsform der Wirtschaft“ dazu in der Lage ist, Effizienzprobleme (z.B. das Problem der Leistungsbereitschaft) zu lösen und daher auch zurecht als „die beste aller Welten“ (Robinson 1973: 41) beschrieben wird. Der perfekte (selbstregulierte) Markt – so die Annahme – sorgt für ein stabiles makroökonomisches Gleichgewicht, das sich stets als effizient – „paretooptimal“123 – erweist. Es bildet sich quasi hinter dem Rücken der Akteure heraus (siehe Smiths These der „invisible hand“). Erzeugt wird ein Wohlfahrtsoptimum, da eine Situation des allgemeinen Ausgleichs von Interessen hergestellt und ein Gütermaximum erreicht wird, was jedoch nicht gleichzusetzen ist mit Verteilungsgerechtigkeit. Milton Friedman bringt es auf den Punkt: „In einem freien Wirtschaftssystem gibt es nur eine einzige Verantwortung für die Beteiligten: Sie besagt, dass die verfügbaren Mittel möglichst Gewinn bringend eingesetzt und Unternehmungen unter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Profitabilität geführt werden müssen“ (Friedman 1976: 175). • Da wirtschaftliches Handeln in erster Linie durch Knappheit von Ressourcen bestimmt ist, sind Nutzen-Kosten-Kalküle entscheidend für Marktteilnehmer. Es wird davon ausgegangen, dass alle Akteure über optimale Informationen verfügen und Markttransparenz vorherrscht, da nur so ein gleichgewichtiges, effizientes Marktresultat erzielt werden kann. Der Markt ist dann der Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Es sind Zweckinteressen – und nicht Zwang und Gewalt –, die die Marktvorgänge bestimmen. Im Kern handelt es sich um einen anonymen, unpersönlichen, dezentralen Mechanismus zur Koordination wirtschaftlicher Entscheidungen von Wirtschaftssubjekten, deren Zahl sehr klein sein kann, aber auch Millionen von Marktteilnehmern umfassen könnte. Der Markt stellt alles in allem einen optimalen Koordinationsmechanismus dar, der ganz ohne Plan – primär über den Preis (also quasi ex-post) – Angebot und Nachfrage, Produktion und Konsumtion, Leistungserstellung und Leistungsverbrauch reguliert. Er ist das Gegenteil zentraler Steuerung, welche den Kern einer jeden Zentralverwaltungswirtschaft bildet. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass ein meist staatliches Planungsorgan sämtliche Wirtschaftsprozesse kontrolliert, lenkt oder – durch eine Preisfestlegung – fixiert. Das Grundmodell einer („freien“ und „friedlichen“) Wettbewerbswirtschaft hatte von Beginn an nicht nur Befürworter. Kritik entzündete sich vor allem an der Vorstellung, man könne die Ökonomie – wie den Markt – als ein „neutrales Feld“ ohne Realitätsbezug konzipieren, das mittels mathematischer Modelle genau berechenbar und frei von (machtvollen) Interessen sei (vgl. u.a. Ptak 2007: 29; Deutschmann 2008). Die Rede ist sogar davon, dass hier ein „Markt-Märchen“ entstanden ist, das nicht allzu viel mit der Realität zu tun hat und eigentlich nicht zur Erklärung wirtschaftlicher Prozesse taugt (vgl. Ortlieb 2004). Mittlerweile hat sich eine Reihe von WissenschaftlerInnen – selbst WirtschaftswissenschaftlerInnen – von der Vorstellung verabschiedet, es gäbe eine „perfekte Konkurrenz“ rational

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Nach dem neoklassischen Modell ist hiermit ein Zustand gemeint, bei dem keiner der Akteure durch zusätzliche Aktivitäten seinen Nutzen erhöhen kann, ohne einen anderen schlechter zu stellen; unberücksichtigt bleibt hierbei jedoch die Ausgangskonstellation.

6.1 Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

187

kalkulierender, allwissender Wirtschaftsakteure (vgl. u.a. Luhmann 1994: 101). In Frage gestellt wurde aber nicht nur diese zentrale Grundannahme des Modells, es ging auch um die negativen Folgewirkungen eines auf Rivalität und Egoismus aufbauenden Wirtschaftssystems, das – so die Kritiker – zu sozialer Ungleichheit, einer Zerstörung von Gemeinschaft und zu gesellschaftlicher Anomie führen kann (vgl. Beckert 2001: 37). Die innere Verfasstheit der Marktgesellschaft wird als Ursache einer Vielzahl von Problemen ausgemacht, da sie einer Logik folgt, die in erster Linie auf die Akkumulation von Kapital sowie Konkurrenz ausgerichtet ist und nicht auf die Sicherung der Lebenslage von Subjekten oder gar die Schaffung von Voraussetzungen für ein sinnerfülltes Dasein (vgl. Dux 2008). Ob der Marktmechanismus der eigentliche Verursacher all dieser Probleme ist, ist ein strittiger Punkt. Kann der Markt tatsächlich für die ungleiche Verteilung von Ressourcen verantwortlich gemacht werden? Stellt er nicht lediglich den Ausgangspunkt einer bereits gegebenen Ressourcenverteilung – wie die Wohlfahrtsökonomik meint – dar, die dann ihren weiteren Verlauf nimmt, aber selbst blind für Fragen der Verteilungsgerechtigkeit ist? Kritik am Modell des Marktes, insbesondere am Marktliberalismus, übten bereits die Klassiker der Soziologie (wie Marx, Weber und Durkheim) und später ebenso Parsons, Polanyi und Bourdieu, um nur einige zu nennen. Die Soziologie – so die zugespitzte Behauptung von Jens Beckert – hat sich geradezu „in Ablehnung der Ordnungskonzeption des Marktliberalismus“ als akademisches Fach konstituiert „und aus dieser kritischen Abwendung zugleich wesentliche Elemente ihrer Theoriebildung“ (Beckert 2001: 36) bezogen. So ist das Konzept des Marktliberalismus bis heute Gegenstand kontroverser Debatten geblieben, wobei sich die Kritik in erster Linie auf den Neoliberalismus bezieht, der zum „negativen Inbegriff des entfesselten, global agierenden Kapitalismus“ (Ptak 2007: 14) geworden ist. Ob die soziale Marktwirtschaft eher in der Lage ist, die Auswüchse eines über die Stränge schlagenden Kapitalismus einzudämmen, der – wie Dux meint – schon längst zu einer „Bedrohung ebenso der Subjekte wie der Verfassung der Gesellschaft“ (Dux 2008: 14) geworden ist, ist jedoch die Frage. „Soziale Marktwirtschaft“: Das Grundmodell Als eine abgewandelte Variante der freien Marktwirtschaft gilt die soziale Marktwirtschaft.124 Ihre Vertreter verbindet die entschiedene Abgrenzung vom Laisser-faire Prinzip des klassischen Wirtschaftsliberalismus. Gleichwohl handelt es sich um ein dezidiertes Gegenmodell zur staatlichen Wirtschaftslenkung im Sinne einer Zentralverwaltungswirtschaft. Was die „soziale Marktwirtschaft“ – die auch als deutscher Neoliberalismus oder als gebändigter, regulierter Kapitalismus bezeichnet wird – von liberalen Marktmodellen unterscheidet, ist die Vorstellung, dass sie politisch organisiert werden muss: „Die Marktwirtschaft“ – so formulierte es Röpke – „wird zu einem Objekt ständiger aktiver Politik, was den Wortführern des neuen Liberalismus das Recht gibt, sich gegen eine Verwechslung mit den Vertretern des Laissez-faire zu verwahren“ (Röpke 1948: 216). Eine liberale Wirtschaftspolitik ohne Staat ist nicht möglich, im Gegenteil, ein „starker“ Staat ist notwendig, um eine reibungslos funktionierende Wirtschaftsordnung durchzusetzen.

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Zur Entstehung des Leitbildes siehe u.a.: Helmstädter 1989, Blum 1988 und Zacher 2001.

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

Der Begriff „soziale Marktwirtschaft“ stammt von dem Volkswirtschaftler und Wirtschaftspolitiker Alfred Müller-Armack (vgl. u.a. Müller-Armack 1974), der zu den führenden Vertretern des deutschen Neo- bzw. Ordoliberalismus gehört. Zu den Wegbereitern zählt Walter Eucken, der schon in den 1930er Jahren Grundlagen einer Theorie der Wettbewerbsordnung entwickelte und als das „theoretische Rückgrat des deutschen Ordoliberalismus“ (Ptak 2007: 21) bezeichnet wird.125 Der Kreis um Eucken, zu dem u.a. Müller-Armack, Rüstow und Röpke gehörten, hatte sein Zentrum in Freiburg und wird daher auch als Freiburger Schule bezeichnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Wirtschaftstheorie weiterentwickelt und zu einem Programm zur Stabilisierung der Marktwirtschaft ausgebaut, das unter dem Namen soziale Marktwirtschaft bekannt wurde. Im Zentrum stand die Konzeption eines sozial orientierten Wettbewerbs. Das Programm zielte darauf ab – wie Müller-Armack hervorhebt – die Fehler des Laisser-faire Liberalismus zu vermeiden, dem eine soziale Grundorientierung fehlt. Aus der Sicht des Ordoliberalismus handelt es sich hier um eine der großen Schwächen, die das Modell der liberalen Wettbewerbswirtschaft aufweist. Der Staat soll zwar nicht Lenker der Wirtschaft sein, wie dies etwa bei der Zentralverwaltungswirtschaft der Fall ist, aber auch kein so genannter einflussloser Nachtwächterstaat oder ein Interventionsstaat, der den marktwirtschaftlichen Wettbewerb verhindert. Nach ordoliberaler Auffassung muss der Staat zwar alles für die Aufrechterhaltung der „freien“ Konkurrenz bzw. des Leistungswettbewerbs tun, was in seiner Macht steht, aber nicht dirigistisch in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen, damit unterscheidet er sich deutlich von einem Staat mit keynesianischer Wirtschaftspolitik. Seine Aufgabe ist es, eine Machtkonzentration von Konzernen und Kartellen zu verhindern, denn in Monopolbildungen wie wirtschaftlichen Konzentrationsprozessen werden Entwicklungen gesehen, die den „freien“ Wettbewerb unterminieren, schwächere Marktteilnehmer ausgrenzen und zudem der Steuerungsfunktion von Marktpreisen abträglich ist. Dem Staat kommt folglich die Aufgabe zu, eine Rahmengesetzgebung („vollständige Wettbewerbsordnung“) zu schaffen, die sowohl „freien“ Wettbewerb zulässt als auch soziale Gerechtigkeit ermöglicht. Mit anderen Worten: Der Markt soll sich nicht selbst überlassen, sondern sozial gesteuert werden. Müller-Armack geht davon aus, dass Märkten keineswegs die Fähigkeit zuzuschreiben ist, allein über das Preissystem ein Gleichgewicht herzustellen. Damit unterscheidet sich seine Sichtweise diametral von der Auffassung der Vertreter einer reinen Konkurrenzwirtschaft bzw. eines Wettbewerbskapitalismus, wie etwa der ChicagoSchule von Milton Friedman126, welche dem Markt eine solche „Vollautomatik“ unterstellen

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Wirtschaftsliberale Ökonomen standen seinerzeit der staatlichen Interventionspolitik der Weimarer Republik zwar kritisch gegenüber, da sie, so der Vorwurf, „die Kräfte des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs zum Erliegen gebracht“ (Ptak 2007: 20) habe, waren aber durchaus der Auffassung, dass die Wirtschaft eine staatliche Rahmenordnung benötigt, damit die Spielregeln des Marktes greifen können und die soziale Ordnung aufrecht erhalten werden kann. Bei der Chicago-Schule handelt es sich um eine Gruppe radikaler neoliberaler Wirtschaftswissenschaftler um den Nobelpreisträger Milton Friedman (siehe u.a. Friedman 1976). Bekannt ist vor allem der Versuch, zu einer praktischen Umsetzung des neoliberalen Wirtschaftsprogramms in einem lateinamerikanischen Land zu gelangen. Dieser Großversuch erfolgte in den 1970er Jahren, in der Zeit der Militärdiktatur von Augusto Pinochet in Chile und ging einher mit der brutalen Unterdrückung der Opposition und Gewerkschaften.

6.1 Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

189

und jegliche Intervention des Staates ablehnen.127 Hierzu heißt es bei Müller-Armack: „Das Marktsystem (wirkt, M.F.) höchstens im Sinne eines Halbautomaten, der sinnvoller Bedienung bedarf“, wobei das generelle Ziel dieser Steuerung darin bestehen muss, die „divergierenden Zielsetzungen sozialer Sicherheit und wirtschaftlicher Freiheit zu einem neuartigen Ausgleich (zu bringen, M.F.)“ (Müller-Armack 1966: 236). Die frühe Bundesrepublik Deutschland und die soziale Marktwirtschaft – zur Entstehung des „deutschen Modells“ Die Wurzeln der speziell in Deutschland an Wirkungsmacht gewinnenden sozialen Marktwirtschaft reichen bis ins 18. und frühe 19. Jahrhundert zurück. Es handelt sich um eine Form des Neoliberalismus, der in Abgrenzung zum frühen Liberalismus (siehe u.a. Mandeville, Smith), aber auch zum Keynesianismus entstanden ist. Den eigentlichen Ausgangspunkt bildet die bereits erwähnte „Freiburger Schule“ und der mit ihr verbundene Ordoliberalismus, der nach dem Zweiten Weltkrieg zum Konzept der sozialen Marktwirtschaft ausgebaut wurde. Zwar war es Müller-Armack (1974), der den Begriff der sozialen Marktwirtschaft prägte, aber erst Ludwig Erhard hat sie zum Leitbild der bundesrepublikanischen Wirtschaftsordnung gemacht, gleichwohl sie auch nicht im Grundgesetz verankert wurde. Erhard war zunächst Wirtschaftsminister (1949-1963) und dann Bundeskanzler (1963-1966) der liberal-konservativen Regierungskoalition und bestimmte die Wirtschaftspolitik im Nachkriegsdeutschland entscheidend mit; er ist als Vater der sozialen Marktwirtschaft in die Geschichtsbücher eingegangen. Deutschland galt lange Zeit als „Musterland“ der sozialen Marktwirtschaft. Typisch für sie – und mithin für den deutschen Ordoliberalismus – ist eine staatliche Wettbewerbspolitik, worin auch der Hauptunterschied zum angelsächsischen Wirtschaftsliberalismus zu sehen ist (Kaufmann 2003: 257). Zu nennen sind insbesondere das Kartellgesetz, aber auch die Mitbestimmungsgesetze128, die Anfang der 1950er Jahre „gegen den Widerstand der Großindustrie durchgesetzt wurden (und als, M.F.) Basisdokumente der sozialen Marktwirtschaft“ (ebd.) bezeichnet werden. Was jedoch genau unter einer sozialen Marktwirtschaft zu verstehen ist, blieb umstritten (vgl. ebd.). Ludwig Erhard vertrat die Auffassung, dass das Soziale der Marktwirtschaft die „allgemeine Wohlstandssteigerung“ sei, die wiederum auf der „Freisetzung der produktiven Kräfte durch Konkurrenz und das daraus resultierende Wirtschaftswachstum“ (Kaufmann 2003: 275) beruht. Später setzte sich die Vorstellung durch, dass es im Wesentlichen die „Komplementarität von staatlichen Vorgaben im Bereich der Wirtschaftsordnungs- und Sozialpolitik einerseits und einer marktmäßigen Steuerung des Wirt-

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Friedman gesteht Regierungen allenfalls zu, für die Aufrechterhaltung von Eigentumsrechten, die Einhaltung von Verträgen, die Bekämpfung von Monopolen und für ein monetäres System zu sorgen, nicht aber Mindestlöhne festzusetzen oder gar die Produktion zu überwachen (vgl. Friedman 1976: 59). Das Vorzeigemodell der qualifizierten Mitbestimmung stellt das Montanmitbestimmungsgesetz (1951) dar, das auf Unternehmen des Bergbaus und der Eisen- und Stahlerzeugung in der Rechtsform der Aktiengesellschaft, einer GmbH oder einer bergrechtlichen Gewerkschaft mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern Anwendung findet (paritätische Form der Unternehmensmitbestimmung; im Falle eines Abstimmungspatts im Aufsichtsrat trifft ein neutraler Dritter die Entscheidung) (vgl. Müller-Jentsch 2007; Keller 2008; Kißler/Greifenstein/Schneider 2011).

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schaftsablaufs andererseits“ (ebd.) sei. Dementsprechend wurde die Wirtschaftspolitik durch eine Gesellschafts- und Sozialpolitik ergänzt. Die Idee eines ausgebauten Sozialstaats wurde in der Bundesrepublik lange Zeit von allen politischen Parteien befürwortet. „Sozialstaatlichkeit“ stellt in Deutschland ohnehin ein Element der verfassungsmäßigen Bestimmung des Staates dar (Artikel 20 und 28 Grundgesetz). Danach hat der Staat die Pflicht, sich aktiv um die Sozialpolitik zu kümmern und darauf hinzuwirken, dass soziale Probleme und Notlagen vermieden werden, indem z.B. sozial schwachen BürgerInnen (Invaliden, Kranken, Arbeitslosen) eine Unterstützung gewährt wird.129 Zudem kam dem Staat die Aufgabe zu, Hilfen bei Umschulungen und Weiterbildungsmaßnahmen anzubieten. Allerdings werden im Grundgesetz nur einige wenige Sozialrechte festgeschrieben, so dass bei der Ausgestaltung und Umsetzung große Spielräume bestehen. Bestimmte Bereiche sollten – so die damalige politische Leitlinie – nicht dem Markt unterworfen werden, hierzu zählten seinerzeit der Rundfunk und das Fernsehen, das Verkehrswesen, das Bildungswesen und der Hochschulbereich. Kaufmann gelangt in seiner Analyse des deutschen Sozialstaats zu dem Schluss, dass die soziale Marktwirtschaft die Wirtschaftspolitik in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik durch „spezifisch deutsche Ausformulierungen der wohlfahrtsstaatlichen Programmatik“ (Kaufmann 2003: 276) nachhaltig geprägt hat. Im Zentrum stand die Erzielung von Wohlstand und wirtschaftlicher Prosperität. Dem Staat wurde dabei die Funktion zugeschrieben, eine Wettbewerbspolitik voran zu treiben, die eine ökonomische Machtkonzentration verhindert und die Marktwirtschaft zudem mittels Globalsteuerung „auf einem inflationsfreien Wachstumskurs“ (ebd.) hält. Staatliche Interventionen galten als akzeptabel, wenn die Maßnahmen zur Schaffung eines sozialen Ausgleichs Wettbewerb und Wachstum der Wirtschaft nicht beeinträchtigen, sich also als marktkonform etikettieren lassen. In der Phase der Nachkriegswirtschaft hat sich in Deutschland somit ein ganz spezifisches Produktionsregime herausbilden können: Die Rede ist vom „rheinischen Kapitalismus“, einem „deutschen Modell“ des Kapitalismus, das mitunter auch als „Deutschland AG“ beschrieben wird. Kurzum, wir haben es hier mit einer korporatistischen, sozialstaatlich regulierten (ordo-liberalen) Marktgesellschaft zu tun. Hervorzuheben sind folgende Charakteristika: (1) Unternehmen organisieren einen Großteil ihrer Beziehungen nicht über Märkte, (2) der Staat setzt ordnungspolitische Rahmenvorgaben, (3) es gibt einen relativ gut ausgebauten Sozialstaat und (4) die Arbeitnehmer sind in ein System des wirtschaftlichen Interessenausgleichs einbezogen, der auf einem Klassenkompromiss zwischen Kapital und Arbeit basiert (vgl. u.a. Beyer 2003: 118; Abelshauser 2005; Dullien/Herr/ Kellermann 2009). Zu den wichtigsten Komponenten dieses spezifischen interessenpolitischen Arrangements gehörten die (Wieder-)Anerkennung der Gewerkschaften, die rasch an Stärke gewannen (einflussreiche Einheitsgewerkschaften), die Tarifhoheit, das Streikrecht sowie die Schaffung eines kollektiven Arbeitsrechts. In Deutschland konnte sich so ein Modell der Mitbestim-

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Zur Entwicklung der Sozialpolitik in Deutschland siehe ausführlicher u.a. Schmidt 1998, Kaufmann 2003, Abelshauser 2005.

6.1 Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

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mung etablieren, das zum einen eine Interessenregulierung auf Branchenebene vorsieht (Tarifautonomie, Flächentarifverträge) und zum anderen eine Interessenvertretung auf betrieblicher Ebene zulässt (Betriebsverfassungsgesetz) (vgl. u.a. Müller-Jentsch 2007; Keller 2008; Kißler/Greifenstein/Schneider 2011). Neben der staatlichen Regelung von Arbeitnehmerwie Arbeitgeberbeziehungen und der individuellen Regelung von Arbeitsverträgen wird so eine weitere Arena der Interessenregulation etabliert, in der es um die Aushandlung kollektiver Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen geht. Die damit einhergehende Institutionalisierung des Klassenkonfliktes durch Regelungen zur Mitbestimmung ist nicht gleichbedeutend mit einem Verschwinden von Lohnkonflikten, allerdings gab es einen Grundkonsens über angemessene Lohnforderungen und Regeln zur Austragung von Konflikten. Dieses Einverständnis kommt u.a. in einer von beiden Seiten getragenen „produktivitätsorientierten“ Lohnpolitik zum Ausdruck. Sie beruht darauf, dass im Prinzip alle ArbeitnehmerInnen vom wirtschaftlichen Fortschritt profitieren sollen. Dementsprechend waren die ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg zum einen geprägt von einer relativ einheitlichen Lohnentwicklung mit entsprechend geringen Lohnspreizungen. Zum anderen fielen die nominellen Lohnerhöhungen im Vergleich zu anderen westlichen Industrieländer recht niedrig aus und trugen zu einer niedrigen Inflationsrate bei. Es war die Phase des „deutschen Wirtschaftswunders“, auf deren Entwicklung die Politik der Mitbestimmungsakteure großen Einfluss hatte. Als charakteristisch für das deutsche Modell galt die korporatistische Lenkungsstruktur der Wirtschaft, die staatliche Wirtschaftspolitik mit den maßgeblichen Interessengruppen abstimmte (corporate governance). So wurde die deutsche Wirtschaftsordnung – zumindest aus ökonomischer Sicht – bis in die 1970er und 1980er Jahre hinein als „vorbildlich“ betrachtet, da es ihr gelang, „die Herstellung qualitativ hochwertiger und wettbewerbsfähiger Produkte mit einem hohen Maß sozialen Friedens in Einklang zu bringen“ (Freye 2009: 14). Die Wirtschaft ist kein statisches Gebilde, sondern höchst dynamisch und gerät dabei immer wieder in erhebliche Turbulenzen, die zu tief greifenden Krisen und Konflikten führen. Auch das deutsche Modell wurde im Zuge wirtschaftlicher Krisen immer wieder erheblichen Belastungsproben ausgesetzt. Hervorzuheben ist vor allem die weltweite Rezession in den 1970er Jahren, die das rheinische Modell stark unter Druck setzte (steigende Arbeitslosigkeit, niedrige Wachstumsraten), der insbesondere dem Sozialstaat galt. Hinzu trat eine Reihe weiterer gesellschaftlicher Wandlungsprozesse (Wertewandel, Erosion von klassischen Leitbildern, wie etwa das Familienernährer- und Hausfrauenmodell, Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen) sowie die immer offensichtlicher werdende Umweltproblematik, die u.a. zur Entstehung der Grünen Partei führte. Die 1970er und 1980er Jahre gelten mithin als die Inkubationszeit eines neuen, postfordistischen Produktionsregimes, das entscheidende Eckpfeiler des rheinischen Kapitalismus arg ins Wanken – zum Teil auch schon zum Einsturz – gebracht hat. In den 1990er Jahren verschärfte sich der Problemdruck, nicht nur wegen der erheblichen wirtschaftlichen Kosten durch die Wiedervereinigung, sondern auch aufgrund der ökonomischen Globalisierung – auf die noch einzugehen sein wird – und der tief greifenden Reorganisation des Produktionsmodells (vgl. Teil 4). Damit stellt sich die Frage, ob das „deutsche Modell“ eines sozialstaatlich regulierten Kapitalismus, wenngleich auch in modifizierter Form, zukünftig überhaupt noch eine Chance hat, weiter zu bestehen. Bevor wir uns auf die Suche nach Antworten, insbesondere nach Anhaltspunkten für diesen Wandel, wie etwa den in dieser Phase einsetzenden Leitbildwandel in Richtung eines neuen,

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

fordernden und fördernden Sozialstaats, begeben, gilt es, zunächst Konzepte vorzustellen, die sich mit verschiedenen Spielarten des Kapitalismus befasst haben. Erst auf der Basis einer komparativen Kapitalismusanalyse ist es möglich, genauere Aussagen über Wandlungsprozesse sowie Tendenzen der Konvergenz und Divergenz machen zu können. Da die komparative Kapitalismusanalyse eine Vielzahl von Erklärungsansätzen hervorgebracht hat, muss eine Auswahl getroffen werden. Die weiteren Ausführungen konzentrieren sich auf zwei Hauptrichtungen: Zum einen auf die Debatte über „Worlds of Welfare Capitalism“ und zum anderen auf „Varieties-of-Capitalism“. Während im ersten Forschungsstrang die Ausgestaltung der Sozialpolitik, insbesondere Fragen der Gleichheit und Wohlfahrt von BürgerInnen, im Fokus steht, richtet der zweite den Blick auf spezifische polit-ökonomische, institutionelle Arrangements (Finanzsystem/Corporate Governance, Unternehmensverflechtungen, Ausbildungssystem, Industrielle Beziehungen), die für das wirtschaftliche Handeln von Unternehmen eine Rolle spielen, um zu einer Klassifikation von Kapitalismusvarianten zu gelangen.

6.1.2

Varianten des Wohlfahrtskapitalismus

Die Idee der Wohlfahrt und das Verständnis vom Wohlfahrtsstaat Die historischen Ursprünge des Wohlfahrtsstaates lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen.130 Von Beginn an stand der Gedanke des Gemeinwohls, die Idee eines sich um die Wohlfahrt seiner BürgerInnen sorgenden Staates im Zentrum. Bis heute wird diese Orientierung als ein zentrales Charakteristikum von Wohlfahrtsstaaten angesehen. Politisches Handeln soll daran ausgerichtet werden, dem Wohlergehen der Gesamtbevölkerung zu dienen. Wohlfahrtsstaaten zeichnen sich – idealtypisch gedacht – dadurch aus, dass sie für ihre BürgerInnen ein mit der Menschenwürde vereinbares Versorgungsniveau in den Kernbereichen Einkommen, Gesundheit, Wohnen und Bildung sichern wollen. Es wird erwartet, dass der Staat nicht nur soziale Sicherheit in Zeiten der Einkommenslosigkeit gewährleistet, um Armut und soziale Ungleichheit möglichst gering zu halten, sondern ebenso die Bevölkerung mit Wohnraum, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen versorgt.131 Berger zufolge könnte man sogar so weit gehen, all jenen Ländern den Namen Wohlfahrtsstaat streitig zu machen, 130

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Erste Überlegungen finden sich bereits in der griechischen Polis. Im 17. Jahrhundert gewinnt die Lehre von der „Wohlfahrt“ der BürgerInnen zunächst in England („commonwealth“) an Bedeutung. Mit dem Entstehen der Industriegesellschaft und dem Aufkommen der „sozialen Frage“ rückte dann die Idee einer staatlichen Sozialpolitik ins Zentrum und wurde zu einer zentralen Aufgabe des Staates. Eine Wegmarke stellt die sog. Bismarcksche Sozialgesetzgebung dar. Zu nennen ist die gesetzliche Verankerung einer Krankenversicherung (1883), Unfallversicherung (1884) sowie Invaliditäts- und Altersversicherung (1889). Diese Gesetze trugen zu einem entscheidenden Einschnitt in der sozialen und politischen Geschichte des deutschen Nationalstaates bei und markieren den Beginn einer staatlich garantierten Daseinsvorsorge (soziale Sicherheit) bzw. staatlichen Sozialpolitik (Sozialstaat). Die Konzeption des Wohlfahrtsstaates wurde von Beginn an kritisch hinterfragt (vgl. u.a. Leisering 2001; Lessenich 2008). Dass der Staat sich um alles zugleich kümmern soll und muss (Arbeit, Bildung, Gesundheit, Wohnung, Alterssicherung etc.) wurde aus unterschiedlichen Gründen hinterfragt: Zum einen standen die Kosten von Sozialstaatsleistungen im Zentrum der Kritik. Zum anderen ging es um die zunehmende Bürokratisierung sowie die mächtigen, disziplinierenden Institutionen. Problematisiert wurde u.a. der Aspekt der Sozialdisziplinierung (Foucault) und die – u.a. von Beck und Giddens hervorgehobene – Ambivalenz von „wohlfahrtsstaatlich induzierter Individualisierung als Chance und Zumutung“ (Leisering 2001: 131; Lessenich 2008).

6.1 Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

193

deren Sozialpolitik nicht zugleich Arbeits- und Wirtschaftspolitik ist. „Kennzeichnend für den Wohlfahrtsstaat ist die Idee der Konjunkturlenkung mit dem Ziel der Vollbeschäftigung“ (Berger 1999: FN 2). Folglich müsste strikt zwischen Ländern unterschieden werden, die nur Maßnahmen der sozialen Sicherung bei Einkommensausfällen durch Invalidität, Krankheit und Erwerbslosigkeit ergreifen, und Wohlfahrtsstaaten, die aktiv auf das Niveau der Beschäftigung Einfluss nehmen und sich daher durch eine dezidiert arbeitsgesellschaftliche Ausrichtung auszeichnen (vgl. ebd.: 110). Wohlfahrtsstaaten dürften sich danach nicht allein auf das Feld der Armutsbekämpfung konzentrieren. Ihre Politik müsste darüber hinaus auch auf eine Statussicherung, eine Anhebung des Bildungsniveaus sowie die Ergreifung von Maßnahmen zur Herstellung eines hohen Niveaus der Erwerbstätigkeit abzielen (Leitbild des Normalarbeitsverhältnisses und der Vollbeschäftigung). Bezogen auf die Bundesrepublik ist zu konstatieren, dass die Verpflichtung zur Einlösung einer Vollbeschäftigungsgarantie nach heftiger Kritik an der staatlichen Globalsteuerung der Wirtschaft nicht fortgeführt wurde. Bis in die 1970er Jahre setzte die Regierung auf eine keynesianische Nachfragepolitik, um das Beschäftigungsniveau anzuheben und die Arbeitslosigkeit einzudämmen. Spätestens in der Kohl-Ära erfolgte eine endgültige Aufgabe dieser angebotsorientierten Politik. Damit war die Bundesrepublik eigentlich kein Wohlfahrtsstaat im strengen Sinne mehr. Betrachtet man Konjunkturlenkung jedoch nicht als das einzige Instrument der Beschäftigungsförderung, sieht die Sache – so Berger (1999) – etwas anders aus, denn dann könnte im Prinzip auch die Erhöhung der Beschäftigung durch indirekte angebotsorientierte Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ausreichen, um von einem Wohlfahrtsstaat zu sprechen. Damit verbunden ist allerdings ein ganz anderes Grundkonzept des Sozialstaats, das im Kontext der Debatte um den „aktivierenden Sozialstaat“ zu einem zentralen Thema geworden ist. Im Fokus stehen dabei neue Modi sozialstaatlicher Intervention sowie eine Neujustierung von privaten und öffentlichen Verantwortlichkeiten („fördern und fordern“) (vgl. u.a. Lessenich 2008). Bis heute ist die Frage offen, welche Kriterien ein Staat eigentlich erfüllen muss, um als Wohlfahrtsstaat bezeichnet werden zu können. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die von Marshall vorgelegte differenzierte Analyse der Entwicklung von Bürgerrechten (vgl. Marshall 1992, zuerst 1964). Er geht von einem mit Beginn der Industrialisierung einsetzenden, sukzessiven Ausbau von Bürgerrechten in westlichen Demokratien aus und macht eine etappenweise Verankerung zunächst von zivilen, politischen und sozialen Bürgerrechten („political citizenship“) sowie zuletzt von industriellen Bürgerrechten („industrial citizenship“), die abhängig Beschäftigte gegen eine Laisser-faire-Ökonomie schützen soll, aus. Mit diesem Verständnis von Staatsbürgerrechten, die nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Rechte umfassen, wird eine hohe Messlatte angelegt. Dass längst nicht alle Länder sie überspringen, muss sicherlich nicht betont werden. Unstrittig ist, dass es den Wohlfahrtsstaat nicht gibt. Die jeweilige Form eines Wohlfahrtsstaates ist abhängig von historischen, kulturellen und politischen Konstellationen. In diesem Zusammenhang taucht erneut die nicht nur von Berger (1999) und Kaufmann (2003), sondern auch von vielen anderen aufgeworfene Frage auf, wann das Attribut „Wohlfahrtsstaat“ angemessen ist. Ist es gerechtfertigt, das heutige Deutschland, Großbritannien oder gar die

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

USA als Wohlfahrtsstaaten zu bezeichnen? Bislang gibt es noch keine breit akzeptierte Klassifizierung von Ländern als Wohlfahrtsstaaten.132 Legt man der Zuordnung ein rein quantitatives Kriterium zugrunde, dann ist diese Frage wohl noch am einfachsten zu entscheiden, denn die Bezeichnung Wohlfahrtsstaat wird bislang nur jenen Staaten zuerkannt, die ein Viertel und mehr des Sozialprodukts für die soziale Sicherheit ausgeben (vgl. Schäfers 2002: 320).133 Wenngleich die Wahl dieser Maßeinheit auf den ersten Blick plausibel erscheinen mag, gibt es berechtigte Kritik an diesem rein quantifizierenden, funktionalistischen Erklärungsansatz. Es stellt sich die Frage, wie entscheidend die Höhe der Sozialaufwendungen tatsächlich ist, um Aussagen über die Qualität der sozialen Sicherung und die Bewältigung sozialer Ungleichheit machen zu können. Aufschlussreicher sind Erklärungsansätze, die auch qualitative Dimensionen, z.B. kulturelle und normative Aspekte, berücksichtigen und komplexere Modelle zu ihrer Analyse heranziehen. Varianten des Wohlfahrtskapitalismus Die Forschung ist sich einig, dass es sich bei Wohlfahrtsregimen um historisch gewachsene, komplexe und facettenreiche Gebilde handelt. Das Spektrum reicht vom skandinavischen Modell des „Versorgungsstaates“ bis hin zum liberalen Typus à la USA. Zurückzuführen ist dies auf unterschiedliche Grundauffassungen über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft sowie kulturell und sozialstrukturell bedingte unterschiedliche Entwicklungen, die zu jeweils spezifischen Ausprägungen eines Wohlfahrtskapitalismus beigetragen haben. Den Versuch, Zusammenhänge zwischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Wohlfahrtsregimen zu beschreiben, hat der dänische Sozialwissenschaftler Gøsta Esping-Andersen in seinem Buch „Three Worlds of Welfare Capitalism“ (1990) unternommen. Die Untersuchung basiert auf der Analyse von achtzehn entwickelten Demokratien. Esping-Andersen unterscheidet drei „Regime“ wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung, in denen der Staat jeweils in unterschiedlicher Weise Einfluss auf das Marktgeschehen und die gesellschaftliche Verteilung von Ressourcen nimmt. Die Unterschiede werden in erster Linie dadurch erklärt, dass sich die Politik jeweils an anderen sozialen und kulturellen Prinzipien ausrichtet. Dementsprechend unterscheiden sich die Qualität der sozialen Rechte und das Ausmaß der wohlfahrtsstaatlichen Leistungen hinsichtlich ihres Beitrages zum Abbau von sozialer Ungleichheit und Statusdifferenzen. Esping-Andersen zieht hierfür die Kategorie der „Decommodification of Labour“ zur Analyse heran, womit der Zusammenhang von sozialer Sicherung und Arbeit gemeint ist. Im Kern geht es um den Schutz der Ware Arbeitskraft vor den Risiken des Marktes, also um die Frage, ob und inwieweit Individuen mittels wohlfahrtsstaatlicher Leistungen ihre Existenz bzw. ihren Lebensstandard auch außerhalb der Erwerbstätigkeit sichern können: „the degree 132

133

Während die angelsächsische Forschung die USA selbstverständlich als wohlfahrtsstaatlich bezeichnet, wird diese Sichtweise von anderen ForscherInnen bestritten, zumal die USA – sieht man von der Phase der „New Deal“-Politik ab – erst seit der Regierung Obamas wieder Anstrengungen unternommen hat, staatliche Lösungen von Wohlfahrtsproblemen (siehe die Reform des Gesundheitswesen) zu verankern. Da die Skepsis gegenüber einer solchen Politik nach wie vor groß ist, wird ihr allenfalls das Etikett „welfare capitalism“ zugesprochen. Diesem quantitativen Kriterium entsprechend können einer Statistik der OECD zufolge, in der der Anteil der Ausgaben für soziale Sicherheit am Bruttoinlandsprodukt (2005) erfasst wird, Länder wie die USA, Japan, Australien, Kanada und Neuseeland genauso wenig mit der Bezeichnung „Wohlfahrtsstaat“ versehen werden wie Irland und das United Kingdom (http://stats.oecd.org/Index.aspx?Queryld=23238).

6.1 Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

195

to which individuals, or families, can uphold a socially acceptable standard of living independently of market participation“ (Esping-Andersen 1990: 37). Staaten schaffen demnach unterschiedliche Rahmenbedingungen für den Verkauf der Ware Arbeitskraft.134 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen unterscheidet Esping-Andersen (1990, 1999) schließlich drei Wohlfahrtsregime bzw. drei Varianten des Wohlfahrtskapitalismus: • Das „liberale“ Modell des Wohlfahrtsstaates, das sich vor allem in angelsächsischen Ländern etabliert hat.135 Diesem Modell zugeordnet werden nicht nur die USA, Kanada und Australien, sondern auch Japan und die Schweiz. In diesen Ländern besteht eine große Nähe zum Grundmodell der „freien Marktwirtschaft“. Es dominiert die Vorstellung, dass das auf dem Markt vorherrschende „freie Spiel der Kräfte“ am ehesten dazu geeignet ist, Verteilungsgerechtigkeit herzustellen. Der Staat soll möglichst nicht ins Marktgeschehen eingreifen. Seine Aufgabe besteht allenfalls darin, negative Folgen von Armut gering zu halten. Dies spiegelt sich in dem Ausmaß der sozialen Leistungen wider, die nur eine minimale Grundversorgung umfassen. Gewährt wird eine niedrige Grundsicherung im Falle von Arbeitslosigkeit sowie im Alter, eine darüber hinausgehende soziale Absicherung ist der privaten Vorsorge überlassen. Es herrscht die Grundüberzeugung vor, dass sich soziale Probleme am ehesten mittels Selbsthilfe – entsprechend dem US-amerikanischen Vorbild „workfare instead of welfare“ – in Kombination mit wirtschaftlichem Wachstum lösen lassen (vgl. Kaufmann 2003: 159 f.). Der Grad der Dekommodifizierung bzw. sozialen Absicherung der Arbeitskraft ist deshalb besonders niedrig. Folglich sind im Prinzip alle Individuen darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt durch die Aufnahme einer bezahlten (Erwerbs-)Arbeit zu bestreiten. • Das „konservativ-korporatistische“ Wohlfahrtsregime, das in westlichen, kontinentaleuropäischen Ländern, insbesondere in Deutschland und Österreich, aber auch in Italien, Frankreich oder Belgien, zu finden ist. Dem Staat kommt hier eine weitaus größere Bedeutung zu als in Ländern mit einem liberalen Wohlfahrtsregime. Er wird als zuständig für die Arbeits- und Wirtschaftspolitik angesehen. In den meisten dieser Länder übernimmt der Staat nicht nur Verantwortung für die Mindestsicherung, sondern hat darüber hinaus aufwändige Systeme der Sozialversicherung geschaffen, die den Beschäftigten bei Arbeitslosigkeit, Invalidität und im Alter Leistungen in Annäherung an das zuvor erzielte Arbeitseinkommen gewähren sollen. So gesehen galt die Bundesrepublik Deutschland 134

135

Dem Ausmaß der wohlfahrtsstaatlichen Leistungen entsprechend variieren natürlich auch die Gesamtbelastungen durch Steuern und Sozialabgaben zwischen den Ländern. Ende der 90er Jahre lagen sie in den angelsächsischen Ländern im Durchschnitt bei 34 Prozent des Bruttoinlandproduktes, in den kontinentalen Wohlfahrtsstaaten bei 44 Prozent, während sie in Schweden und Dänemark sogar 53 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachten (vgl. Scharpf 2000). Betrachtet man nun die Beschäftigtenentwicklung, so gibt es ebenfalls gravierende Unterschiede: Demnach erreichen die skandinavischen Länder die höchsten Beschäftigungsquoten mit 77,5 Prozent, in den angelsächsischen Ländern liegt sie bei 72,2 Prozent, während die kontinentaleuropäischen Länder mit 66 Prozent am schlechtesten abschneiden (in dieser Berechnung werden als skandinavische Länder gewertet: Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, Schweden; als angelsächsische Länder: Australien, Irland, Kanada, Neuseeland, UK, USA; als kontinentaleuropäische Länder: Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn). Nicht klassifiziert werden von Esping-Andersen die Länder Irland, Neuseeland und das Vereinigte Königreich. In anderen Klassifikationen werden sie zumeist dem liberalen Modell zugeordnet (vgl. u.a. Bornschier 2005).

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

lange Zeit geradezu als das Musterbeispiel eines konservativen-korporatistischen Wohlfahrtsstaates. Schließlich fand in der Nachkriegszeit nicht nur die Idee einer Verknüpfung von Marktwirtschaft und Sozialstaat Anklang, es hat sich auch ein spezifisches Arrangement zwischen Kapital und Arbeit – zwischen den Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern – herausgebildet136, das in hohem Maße auf Kooperation und Konfliktregelung (konsensuale Konfliktbewältigung) ausgerichtet ist. Dementsprechend ist der Grad der Dekommodifizierung der Arbeit höher als in liberalen Wohlfahrtssystemen. Staatliche Wohlfahrtspolitik zielt darauf ab, Individuen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren und sie darüber hinaus durch Arbeitsrechte zu schützen. Gewerkschaften sind anerkannt und werden nicht als „Störenfriede“ des Marktgeschehens gesehen. Allerdings geht es bei der sozialen Sicherung nicht darum, soziale Gleichheit herzustellen, vielmehr variieren die Anspruchsrechte. Die Höhe der Transferzahlungen ist im Falle der Erwerbslosigkeit abhängig von der vorher erbrachten Leistung. Anders ausgedrückt: Es besteht eine Tendenz, „die bestehenden Strukturen der vertikalen Ungleichheit zu reproduzieren“ (Pfau-Effinger 2000: 30 f.). Nicht sehr ausgeprägt ist das Niveau sozialer Dienstleistungen für Familien mit Kindern, die Müttern die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erleichtern könnten. Grundsätzlich besteht in diesen Ländern – wie Esping-Andersen (1990) hervorhebt – des Weiteren das Problem, dass ein verhältnismäßig kleiner Teil der Erwerbstätigen für eine große Zahl von Nicht-Erwerbstätigen mit aufkommen muss. • Das „sozial-demokratische“ Wohlfahrtsregime, das in erster Linie in den skandinavischen Ländern (Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland), aber auch in den Niederlanden anzutreffen ist. Es zeichnet sich durch die Gewährung eines breiten Angebots professioneller sozialer Dienstleistungen für Familien mit Kindern, Kranke und Behinderte sowie ältere Menschen aus. Hierbei handelt es sich um universale soziale Bürgerrechte. Erkennbar ist ein hohes Maß der Dekommodifizierung. Die Sozialpolitik dieser Länder ist geprägt durch Solidarität und das Bemühen um Nivellierung sozialer Ungleichheit. Als einen Prototyp bezeichnet Esping-Andersen den schwedischen Wohlfahrtsstaat, der geprägt ist vom Prinzip des Egalitarismus. Dem Staat kommt die Aufgabe zu, für die Wohlfahrt seiner BürgerInnen umfassend zu sorgen und Bedingungen zu schaffen, die es Männern wie Frauen ermöglichen, erwerbstätig zu sein. Dementsprechend gehört es zu seinen Aufgaben, spezielle soziale Dienstleistungen (umfassende Betreuungsangebote für kleinere Kinder, Ganztagsschulen, gesetzliche Beurlaubungsmöglichkeiten usw.) anzubieten, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen sollen. Um diese umfassenden sozialen Leistungen anbieten zu können, wird Einkommen hoch besteuert. In Anbetracht des universalistischen Sicherungssystems wird dem schwedischen Staat häufig unterstellt, dass er „bevormundend“ und „versorgungsstaatlich“ sei.

136

Dies spiegelt sich in dem Wandel der bundesdeutschen Gewerkschaften von einer systemoppositionellen zu einer Ordnungsmacht wider. Wenngleich in den 70er und 80er Jahren angesichts der wilden Streiks starke Zweifel daran aufkamen, ob das kooperative Verständnis sich nicht verflüchtigen wird. Mittlerweile sind die Zweifel hieran wohl längst verflogen. Es stellt sich daher die Frage, ob die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen sich zukünftig nicht grundlegend verändern muss.

6.1 Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

197

Abbildung 7: Funktionsprofile unterschiedlicher Typen des Sozialstaats im Wohlfahrtskapitalismus (nach Scharpf)

universelle soziale Rechte soziale Dienste

lohnbezogene Sozialversicherung

Sozialhilfe zur Sicherung des Existenzminimums

skandinavisch

kontinental

angelsächsisch

Quelle: Scharpf (2000) unter Bezugnahme auf Esping-Andersen (1990)

Dieses Modell der drei „Familien“ von Sozialstaaten bzw. Wohlfahrtsregimen prägte lange Zeit den Mainstream (vgl. u.a. Scharpf 2000). Gleichwohl stieß die von Esping-Andersen Anfang der 1990 Jahre entwickelte Typologie auch auf Kritik und löste eine kontroverse Debatte über die Klassifizierung von Wohlfahrtsstaaten aus. Als problematisch wurde u.a. die Zusammenführung der kontinentaleuropäischen Staaten zu einem gemeinsamen Typus wahrgenommen, da die Unterschiede zwischen mittel- und südeuropäischen Ländern (z.B. Italien, Frankreich und Österreich) doch recht groß sind. Es stellte sich auch die Frage, ob es sich beim liberalen und sozialdemokratischen Wohlfahrtskapitalismus überhaupt um zwei eigenständige Varianten handelt oder nur um einen Typus mit zwei Ausprägungen, wie Hicks und Kenworthy (2003) behaupten, die selbst von zwei Polen eines Spektrum ausgehen und die Stärke (gering/hoch) linker Politik zum Ausgangspunkt der Zuordnung im Rahmen eines Kontinuums machen. Weitere Kritikpunkte beziehen sich auf die Vernachlässigung außereuropäischer Länder (Indonesien, Thailand, China, Chile usw.). Es bleibt unklar, wie mit ihnen verfahren werden soll. Auch die Genderforschung hat eine Reihe von Einwänden erhoben. So fragt Pfau-Effinger (2000: 33), warum „die Tatsache, dass Frauen mit einem Teil ihrer Arbeitskraft unbezahlte Arbeit in der Familie leisten“, nur wenig berücksichtigt wird. Überhaupt wird der Analyse von Esping-Andersen angelastet, sie zeichne sich durch ein gewisses Maß an „Geschlechterblindheit“ aus. Ausgeblendet wird u.a., dass „Frauen eine andere Stellung zum Arbeitsmarkt und zum Wohlfahrtsstaat haben als Männer“ (Pfau-Effinger 2000: 33). Sie sind in den meisten Ländern keineswegs in gleicher Weise in den Arbeitsmarkt integriert, was immer noch in

198

6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

erster Linie – wie Gottschall betont – mit den „nationalspezifisch unterschiedlichen Formen von Wohlfahrtsstaatlichkeit zusammen(hängt, M.F.)“ (Gottschall 2009: 126), wie etwa mit staatlichen Angeboten der Kinderbetreuung. Hinzu kommt die „Ambivalenz dekommodifizierender sozialpolitischer Maßnahmen, die neben Schutz häufig auch Arbeitsmarktausgrenzung bewirken“ (ebd.: 127). Angesichts der Nichtberücksichtigung der Genderdimension in der Wohlfahrtsstaatenforschung entwickelte die Frauen- und Geschlechterforschung eine Reihe von Vorschlägen, die nicht nur zur Erweiterung des Ansatzes von EspingAndersen führte, sondern auch zu neuen Konzepten (vgl. u.a. Pfau-Effinger 2000; Leitner/Ostner/Schratzensteller 2004).137 Hierzu nur soviel: Betrachtet man Wohlfahrtsstaaten aus einer Geschlechterperspektive, so wird ersichtlich, dass Wohlfahrtsregime sich auch durch eine jeweils spezifische Ausprägung des Geschlechterarrangements voneinander unterscheiden und jeweils spezifische Formen der Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit aufweisen. In den meisten Wohlfahrtsregimen liegt eine ungleiche Verteilung der Zuständigkeit für die Familienarbeit vor, die größtenteils Frauen übernehmen.138 Gleichwohl gibt es Unterschiede: Während Reproduktionsarbeit in einigen Wohlfahrtsregimen zumeist informell/privat geleistet wird, wird sie in anderen zum Teil von öffentlichen Einrichtungen angeboten. Demnach sind unterschiedliche Varianten des Wohlfahrtsstaates und damit korrespondierender Geschlechterregime auszumachen, die sich im Hinblick auf den Grad der Frauen- bzw. Müttererwerbstätigkeit und die Maßnahmen zur Vereinbarung von Familie und Beruf voneinander stark unterscheiden. Vor allem die skandinavischen Länder sind nach wie vor durch ein höheres Maß an materieller Gleichstellung geprägt als etwa die alten Bundesländer Deutschlands. Folgt man Kaufmann, so hat „die typologische Methode zwar zu einer komplexeren Rekonstruktion der Wohlfahrtsstaatlichkeit und damit zu einer besseren Darstellung von Zusammenhängen und zu einer Klärung von Gemeinsamkeiten und Differenzen beigetragen; sie hat jedoch bisher nicht zu einer stabilen Klassifikation von Staaten innerhalb einer allgemein anerkannten Typologie geführt“ (Kaufmann 2003: 23). Kaufmann selbst versucht dieses Problem mittels eines Vergleichs verschiedener institutioneller Aspekte wohlfahrtsstaatlicher Entwicklungen mit Blick auf ihre nationalen Kontexte zu lösen. Er verzichtet auf eine typologische Klassifizierung und skizziert stattdessen die „Gestalt“ nationaler Entwicklungen im Zusammenhang mit den ihnen zugrunde liegenden Ideen und Realfaktoren. Sein Ansatz zielt darauf ab, grundlegende politische und gesellschaftliche Merkmale eines Landes mit den institutionellen Ausprägungen seines Wohlfahrtssektors in Verbindung zu bringen (ebd.: 51). Analysiert werden Varianten der Wohlfahrtsstaatlichkeit, die zwischen Kapitalismus und Sozialismus einzuordnen sind. Auf der einen Seite die Vereinigten Staaten von Amerika und Europa (Großbritannien, Schweden, Frankreich und Deutschland) und auf der anderen Seite die ehemalige Sowjetunion (Russland). Am Ende wird deutlich, dass auch dieses Vorgehen – wie Kaufmann selbst ausführt – Schwächen aufweist, die nicht weiter verwunderlich sind, da es nicht möglich ist, im Rahmen eines sechs Länder umfassenden Vergleichs, der „komplexen Eigensinnigkeit“ und wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung dieser Länder vollends gerecht zu werden. 137 138

Siehe hierzu u.a. die Arbeiten von Orloff 1993; Lewis/Ostner 1994; Lane 1993 sowie Schmid 1992. Leitner/Ostner/Schratzensteller (2004) finden nur ein Wohlfahrtsstaatsmodell, in dem dies nicht der Fall ist; hier arbeiten beide in Teilzeit.

6.1 Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

199

Neben dieser, sich primär mit den Spielarten kapitalistischer Wohlfahrtsstaaten befassenden Forschung, lässt sich seit einigen Jahren ein weiterer interessanter Forschungsstrang der vergleichenden Kapitalismusanalyse ausmachen, der seinen Ausgangspunkt nicht in der Untersuchung sozialstaatlichen Handelns sieht, sondern politökonomisch ausgerichtet ist. Im Mittelpunkt stehen Institutionen, die die politische Ökonomie eines Landes bestimmen (Finanzsystem, Ausbildungssystem, Industrielle Beziehungen, Innovationsmuster) und das wirtschaftliche Handeln von Unternehmen (einschließlich ihrer Standortwahl) beeinflussen, so dass es zu unterschiedlichen Grundmustern bzw. Varianten des Kapitalismus („Varieties-ofCapitalism“) kommt.

6.1.3

„Varieties-of-Capitalism“

Einen einflussreichen Versuch, Varianten der kapitalistischen Marktwirtschaft voneinander zu unterscheiden, haben der US-amerikanische Politikwissenschaftler Peter A. Hall und der britische Ökonom David Soskice mit dem „Varieties-of-Capitalism“ Konzept (kurz: VoCAnsatz) vorgelegt (Hall/Soskice 2003; Hall 2006). Ziel ist es, auf der Basis eines Analyserahmens unterschiedliche Ausprägungen, die der Kapitalismus in verschiedenen Ländern aufweisen kann, zu untersuchen. Den Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass zwischen den polit-ökonomischen Institutionen in industrialisierten Ländern Unterschiede bestehen und die politische Ökonomie von großer Relevanz für die wirtschaftliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit ist. Unternehmen wird in diesem Konzept ein zentraler Stellenwert zugemessen. Sie werden als die „entscheidenden wirtschaftlichen Akteure“ (Hall 2006: 183) bezeichnet, da es ihre Aktivitäten sind, die die ökonomischen Leistungen eines Landes bestimmen. Die These lautet: Unternehmen entwickeln Kernkompetenzen, „die es ihnen ermöglichen, ökonomische Schlüsselaufgaben zu bewältigen, wie z.B. sich Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften, Kapital und Technologien zu verschaffen“ (ebd.). Von großer Bedeutung für das wirtschaftliche Handeln von Unternehmen ist die Fähigkeit, mit anderen Akteuren kooperieren zu können. Die Form der Kooperation kann marktförmig, aber auch strategisch sein. Ist sie marktförmig, erfolgt die Koordination durch Marktkonkurrenz, in erster Linie auf dem Weg von Lohn- und Preisanpassungen (Angebot-Nachfrage). Ist die Koordination strategisch ausgerichtet, erfolgt sie auf Basis von Interaktionen zwischen Akteuren oder Organisationen, die darauf abzielen, bestimmte Vereinbarungen über Vorgehensweisen und Regelungsformen (z.B. Finanzierungsverfahren, Tariflöhne, Ausbildungsstandards) herzustellen. Welche Form der Koordination Unternehmen präferieren, hängt – so Hall – von der jeweiligen institutionellen Unterstützung ab, die „der jeweilige Koordinationstyp in der politischen Ökonomie als Ganzes erfährt“ (ebd.: 184). Unternehmen sind stets eingebettet in ein ganzes Ensemble miteinander verwobener Wirtschaftsinstitutionen (Finanzsysteme, kollektive Arbeitsbeziehungen und Lohnsystem, betriebliche Aus- und Weiterbildung, Vertragsbeziehungen, technische Normen und Standardisierungsverfahren), die auf ihr wirtschaftliches Handeln einwirken, das sie sich aber auch zunutze machen können. Am Ende bilden die sich gegenseitig beeinflussenden Institutionen jeweils ein spezifisches „Produktionsregime“, das den normativen Rahmen für ökonomisches Handeln darstellt und sich von Land zu Land stark unterscheiden kann. In welcher Art

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

und Weise die Produktion von Waren und Dienstleistungen erfolgt, ist daher in erster Linie eine Frage des jeweiligen Regulationsregimes eines Landes. Im Kern geht es den Forschern darum, nationale politische Ökonomien voneinander zu unterscheiden und herauszuarbeiten, in welchem Umfang Unternehmen auf marktförmige oder strategische Koordinationsformen zugreifen können. Gleich welche Koordinationsform Unternehmen präferieren, beide können ihnen zu Erfolg verhelfen; es gibt keinen „one-best-way“ des Kapitalismus, sondern eine Vielzahl von Spielarten. Mit anderen Worten: Länder können „auf mehr als einem Weg wirtschaftlich erfolgreich sein“ (Hall 2006: 182). Hall und Soskice zufolge lassen sich die verschiedenen Spielarten des Kapitalismus im Grunde drei Modellen zuordnen: (1) der strategischen Koordination bzw. koordinierten Marktökonomie („Coordinated Market Economy“, CME)139, (2) der marktförmigen Koordination bzw. liberalen Marktökonomie („Liberal Market Economy“, LME) sowie (3) der gemischten Koordination bzw. mediterranen Marktökonomie („Mediterranean Market Economy“, MME). Bei der dritten Variante handelt sich um eine Mischform, in die Elemente der beiden zuerst genannten Muster eingehen. Die von Hall und Soskice untersuchten 22 OECDLänder werden jeweils einem der beiden Grundmodelle oder dem Mischtypus zugeordnet. Um die Unterschiede zwischen koordinierter und liberaler Marktökonomie deutlich zu machen, ziehen Hall und Soskice zwei Prototypen heran, die diesen konträren Varianten des Kapitalismus besonders gut entsprechen. Im Fall der koordinierten Marktökonomie handelt es sich um Deutschland, während die liberale Marktökonomie am Fall der Vereinigten Staaten erklärt wird (vgl. u.a. Hall/Soskice 2003; Hall/Gingerich 2004). Auf diese „Case Studies“ soll im Weiteren eingegangen werden; im Anschluss wird die Mischform kurz vorgestellt. Die Analysedimensionen beziehen sich auf das Finanzsystem/Corporate Governance, die Arena der industriellen Beziehungen, das (Aus-)Bildungssystem sowie die „inter-companyrelations“ im Hinblick auf den Technologietransfer und Innovationen. Das Modell der koordinierten Marktökonomie („Coordinated Market Economy“) Deutschland stellt den typischen Fall einer koordinierten Marktökonomie dar. Vergleichbare Muster finden sich aber auch – so Hall und Soskice (2003) – in Japan, Schweden, Norwegen, Finnland, Österreich, Belgien sowie in der Schweiz und in den Niederlanden. Besonders prägnant ist in diesen Ländern die relativ ausgeprägte Form eines demokratischen Korporatismus, eines „Aushandlungskapitalismus“ (Bornschier 2005). Folgende Charakteristika sind hervorzuheben: • Finanzsystem/Corporate Governance: Typisch sind über einen längeren Zeitraum gewachsene, eng verflochtene Beziehungen zwischen Industrie und Banken. Es besteht eine geringe Kapitalmarktkapitalisierung. Die Kapitalbeschaffung erfolgt größtenteils nicht über Aktien und Anleihen, sondern über Bankkredite (langfristige Finanzierungen durch Hausbanken). Augenfällig sind die engen finanziellen und personellen Verflechtungen zwischen 139

Es besteht eine große Ähnlichkeit mit dem schon früh von Michel Albert (1992) entwickelten Modell des „rheinischen Kapitalismus“, den er vom „angelsächsischen Kapitalismus“ abgrenzt; in anderen Typologien finden sich die Bezeichnungen „organisierter Kapitalismus“ (Höpner 2007), „kooperativer Kapitalismus“ (Windolf/Beyer 1995), „Deutschland AG“ (Beyer 2006) oder „Modell Deutschland“ (Streeck/Hassel 2004).

6.1 Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

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dem Finanz- und Industriesektor sowie eine entsprechende Überlappung von Kapital- und Personalnetzwerken. Banken und Versicherungen stellen Unternehmen nicht nur Kredite zur Verfügung, sie sind auch direkt an Industrieunternehmen beteiligt. Es hat sich ein engmaschiges Geflecht gegenseitiger Beteiligungen und Aufsichtsratsvertretungen herausgebildet. Wirtschaftliches Handeln wird nicht primär über den Markt koordiniert, sondern in hohem Maße durch Konsens und gemeinsame Interessen. Kurzum, nicht Konkurrenz, sondern „commitment“ spielt eine große Rolle. Unternehmen sind zumeist Mitglied in großen Verbänden (z.B. Arbeitgeberverband), die ihre Interessen vertreten. Interpersonelle Netzwerke sind eine wichtige Informationsquelle. Die in ihnen erworbene Reputation des Managements stellt einen Schlüsselfaktor für den Aufbau und den Erfolg von Geschäftsbeziehungen dar. Im Vordergrund steht der Stakeholder Value, der auf einem Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessengruppen (Eigentümer, Manager, Beschäftigte bzw. Arbeitnehmervertretungen, Zulieferer usw.) basiert, und nicht der ShareholderValue, der auf eine Erhöhung des Aktienwerts abzielt und eine Geschäftspolitik impliziert, die primär den Aktionärsinteressen dient und kurzfristige Renditen verspricht. • System der industriellen Beziehungen: Die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit sind ebenfalls geprägt von strategischer Kooperation, was dem System der industriellen Beziehungen den Ruf eingebracht hat, es trage zu einer Befriedung des Klassenkonflikts bei. Die grundsätzlichen Interessengegensätze zwischen Kapital und Arbeit werden in dieser Kapitalismusvariante zwar nicht aufgehoben, es besteht aber dennoch eine konstruktive und vertrauensvolle Form der Zusammenarbeit, die nicht so schnell erschüttert wird. Sie bildet die Ausgangsbasis, um auch in Konfliktfällen am Ende Konsens zu erzielen. Auf der Seite der Arbeit haben sich schlagkräftige Gewerkschaften herausgebildet, auf der Seite des Kapitals Arbeitgeberverbände, die für die Aushandlung von Interessen zwischen Kapital und Arbeit als zuständig angesehen werden. Speziell das deutsche Modell einer koordinierten Marktwirtschaft ist durch eine weitgehend konstruktive Zusammenarbeit der Sozialpartner (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände) geprägt, die ein hohes Interesse daran haben, verbindliche Regelungen zur Ausgestaltung von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen (Entlohnung, Arbeitszeitgestaltung, Sozialpolitik usw.) festzulegen (vgl. Hall/Soskice 2003: 24 f.). Ein wesentliches Kennzeichen ist der Flächentarifvertrag, d.h. Tarifabschlüsse werden zumeist einheitlich für eine Branche ausgehandelt und für eine genau festgelegte Laufzeit festgeschrieben (sektorale Tarifabschlüsse). Aus der Perspektive der Arbeitgeber trägt der Flächentarifvertrag dazu bei, dass Löhne nicht mehr als Wettbewerbsparameter zählen, so dass andere Strategien präferiert werden können (z.B. Innovations- und Qualitätswettbewerb) (vgl. Bispink/Schulten 1999; Hall/Soskice 2003). Lohnspreizungen werden möglichst gering gehalten, um soziale Ungleichheiten zu verringern. Das Modell basiert auf einem hohen Niveau der Verrechtlichung (Betriebsverfassungsgesetz, Tarifautonomie) und Repräsentativität. Während für die sektorale Ebene Gewerkschaften und Arbeitgeber zuständig sind, erfolgen auf der betrieblichen Ebene Aushandlungsprozesse zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat. Sie treffen in einem durch das Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifpolitik abgesteckten Rahmen betriebliche Vereinbarungen, z.B. zur Arbeitszeitgestaltung. Typisch für Deutschland sind – so Hall und Gingerich (2004) – nicht nur starke Einheitsgewerkschaften, sondern auch kooperative Betriebsräte sowie ein hohes Niveau kollektiver Arbeitsrechte, nicht allzu flexible Arbeitsmärkte und relativ langfristige Betriebsbindungen. Letztere haben in den

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

Kernbranchen zur Bildung von (zumeist männlichen) Stammbelegschaften geführt, welche wiederum eine hohe Identifikation mit „ihrem“ Unternehmen aufweisen und oftmals dazu bereit sind, betriebliche Probleme gemeinsam mit dem Unternehmen zu lösen. Oberhalb der Betriebsebene trägt die neokorporatistische Zusammenarbeit von Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften dazu bei, dass es nicht nur Rahmenregelungen zur Tarifpolitik, Mitbestimmung und sozialen Sicherheit gibt, sondern auch Standards der Ausund Weiterbildung. • Ausbildungssystem: Charakteristisch für das deutsche Modell des koordinierten Kapitalismus ist daher auch ein berufsspezifisches, duales Ausbildungssystem, das branchenweite Standards setzt. Die duale Berufsausbildung erfolgt sowohl im Bildungs- als auch im Beschäftigungssystem. Hall und Soskice (2003) heben hervor, dass diese Form der Ausbildung zu einer hochqualifizierten Arbeitnehmerschaft beitrug, die über spezifische Fachqualifikationen verfügt (Modell des deutschen Facharbeiters). • „Inter-company-relations“/Technologietransfer: Charakteristisch für den Bereich der Forschung und Entwicklung ist zum einen die Zusammenarbeit mit Fachhochschulen, Instituten, Zentren und Verbänden (z.B. Verband deutscher Ingenieure, VDI) und zum anderen eine innerhalb von Unternehmen stattfindende „produktionsgesteuerte Innovation“ (vgl. u.a. Münch 2009), in die ein hohes Maß an Erfahrungswissen einfließt. Angewandter Forschung kommt ein großer Stellenwert zu. Der zwischenbetriebliche Technologietransfer ist in der Regel nicht wettbewerbsmäßig organisiert, sondern beruht auf langfristigen, regionalen Beziehungen. Vorherrschend ist die Setzung branchenweit geltender technologischer Standards bzw. Normen. Abelshauser fasst zentrale Aspekte dieses lange Zeit als erfolgreich geltenden Modells wie folgt zusammen: „Alles in allem lässt sich das deutsche Modell einer korporatistischen Marktwirtschaft (coordinated market economy) als ein auf Langfristigkeit und Kooperation angelegtes Produktionsregime verstehen, das seine komparativen institutionellen Vorteile vor allem auf jenen Produktmärkten ausspielen kann, auf denen diversifizierte Qualitätsproduktion (Wolfgang Streeck) getauscht wird, die unter Einsatz hoch entwickelter, anwendungsorientierter Technologien entsteht und deren Stärke nicht zuletzt in einer nachhaltigen Kundenbindung liegt“ (Abelshauser 2006: 190). Soweit so gut. Nicht ignoriert werden sollte jedoch, dass die koordinierte Marktökonomie nicht nur Stärken, sondern auch Schwächen hat. Betrachtet man beispielsweise den Aspekt der strategischen Koordination, dann wird diese zumeist ausschließlich in einem positiven Licht betrachtet, zumal sie – so die Sichtweise von Hall und Soskice – zur Bildung von Commitment im besten Sinne des Wortes beitrage. Es gibt aber auch eine „dunkle Seite der Koordination“, die oftmals ausgeblendet wird. Sie kommt in der Problematik innovationshinderlicher „Lock-in-Effekte“ (Grabher), der Tendenz zur Korruption, „Vetternwirtschaft“ sowie einem „Old-Boy-Filz“ zum Ausdruck. Diese zu enge strategische Koordination wie der damit verbundene überzogene Korporatismus kann zu erheblichen innovativen Entwicklungsblockaden und mitunter auch zu problematischen Fehlentwicklungen führen (vgl. u.a. Ortmann 2010: 161 ff.; Dombius 2009).140

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Gleichwohl stellen Korruptionsspiralen, wie etwa im Fall VW und anderswo, noch kein Argument gegen die Institution des Aufsichtsrats oder generell die Mitbestimmung dar. Sie sind wohl eher Resultat mangelnder Kontrolle. Ihnen kann nur durch Gegenbewegungen Einhalt geboten werden, die den Wert „sozialen Moralkapi-

6.1 Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

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Auch aus einer Genderperspektive ist die koordinierte Marktökonomie kritisch zu betrachten. Hassel (2006) sieht vor allem in der lange Zeit vorherrschenden Ausrichtung der Sozialpartnerschaft auf das mit dem Normalarbeitsverhältnis eng verwobene konservative Familienbild den Kern des Problems. Wenngleich das Rollenbild der „sorgenden Frau, die zu Hause bleibt“, sobald Kinder zu betreuen sind, das in Westdeutschland verbreitet war, mittlerweile auch „zugunsten einer stärkeren Berücksichtigung von Sorge- und Erwerbsarbeit modizifiert“ (BMFSFJ 2011: 5) wurde, haben es Frauen im „deutschen Modell“ nach wie vor ausgesprochen schwer, eine erfolgreiche Berufstätigkeit mit Kindern zu vereinbaren. Ein Indiz hierfür ist in der – etwa im Vergleich mit Frankreich, Finnland oder Dänemark – geringen Beschäftigtenquote von Frauen mit Kindern unter acht Jahren zu sehen (vgl. Eurostat 2007). So hat die in Westdeutschland jahrzehntelange Orientierung des Arbeits- und Beschäftigungssystems am Familienernährer- und Hausfrauenmodell ganz wesentlich zur Reproduktion von Geschlechterasymmetrien beigetragen, die bis heute noch Wirkung zeigen (vgl. u.a. Young 1998; Kohlmorgen 2004; Becker-Schmidt/Krüger 2009; Aulenbacher/Riegraf 2009). Um die Grundmuster der koordinierten Marktökonomie verstehen zu können, kommt man folglich nicht umhin, sich mit den Geschlechterverhältnissen auseinanderzusetzen. Mit anderen Worten: eine vergleichende Kapitalismusanalyse ist ohne eine Bezugnahme auf die jeweils vorherrschende Geschlechterordnung gar nicht denkbar. Sie stellt ein Element des Produktionsregimes dar und drückt daher jeder Marktökonomie ihren Stempel auf, also auch der liberalen Marktökonomie, um die es im Weiteren geht. Das Modell der liberalen Marktökonomie („Liberal Market Economy“) Die Vereinigten Staaten stellen den klassischen Fall einer liberalen Marktökonomie dar; zugeordnet werden der LME aber noch weitere Länder und zwar: Großbritannien, Irland, Kanada, Australien und Neuseeland. • Finanzsystem/Corporate Governance: Im Modell der liberalen Marktwirtschaft übt der Finanzmarkt die Unternehmenskontrolle aus. Sie kommt in der hohen Börsenkapitalisierung der Unternehmen zum Ausdruck. Mithin besteht keine so enge Finanz- und Personalverflechtung zwischen Finanz- und Industriesektor wie in der koordinierten Marktwirtschaft. Unternehmenskooperationen werden durch Anti-Trust-Gesetze erschwert. Der Austausch zwischen Unternehmen und anderen Wirtschaftsakteuren erfolgt nach den Spielregeln von Wettbewerbsmärkten, d.h. entscheidend sind Marktsignale (Preise). Die Beziehungen zwischen den Akteuren sind zumeist vertraglich abgesichert. Was zählt, ist eine gelungene Marktperformanz, die sich in positiven Börsenbilanzen bzw. hohen Aktienkursen widerspiegeln muss, um Kapital akquirieren zu können (Kapitalmarktkapitalisierung). Unternehmen orientieren sich in erster Linie an den Interessen von Aktionären, die möglichst hohe Kapitalrenditen erwarten. Vordringliches Ziel der Markt- und Investitionsstrategien ist die Erhöhung des Aktienkurses bzw. Börsenwerts, der den Maßstab des Unternehmenserfolges darstellt. Vom Aktienwert hängt auch die Höhe der Vergütung des Managements ab, die zum Teil aus Aktienoptionen am Unternehmen besteht. So soll ein tals“ erhöhen. Wenn es gelingt, die „Anforderungen an die Verantwortlichkeit von Organisationen hochzuschrauben“ (Ortmann 2010: 162), dann können – so Ortmann im Anschluss an Geser – Korruptionsspiralen unterminiert werden.

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

Anreiz geschaffen werden, den Marktwert des eigenen Unternehmens zu steigern und vor „feindlichen“ Übernahmen141 durch Investoren bzw. andere Unternehmen zu bewahren.142 Eine Orientierung der Geschäftspolitik an kurzfristigen Renditeerhöhungen hat Priorität. Hieraus folgen häufigere Unternehmensumstrukturierungen, aber auch Insolvenzen und Neugründungen sowie Entlassungen und Einstellungen von Personal. Die Orientierung am Shareholder-Value gilt in den USA seit den 1990er Jahren als die zentrale Handlungsmaxime börsennotierter Unternehmen (vgl. Rappaport 1994). • System industrieller Beziehungen: Die industriellen Beziehungen sind durch „Pluralismus und Voluntarismus gekennzeichnet“ (Münch 2009: 96). Im Unterschied zur koordinierten Marktökonomie Deutschlands gibt es keine einheitliche sektorale Ausrichtung der Interessenvertretungspolitik. Eine gesetzliche Rahmenregelung der Mitbestimmung existiert nicht. Der Arbeitsmarkt ist weitgehend dereguliert. Von den Beschäftigten wird ein hohes Maß an Flexibilität erwartet. Die soziale Absicherung der Beschäftigten ist in der Regel gering, die Lohnspreizung relativ groß. Hierzu haben auch schwache Gewerkschaften beigetragen. Zwar werden Beschäftigungsverhältnisse wie Tarifverträge zum Teil zwischen Gewerkschaften und Unternehmen ausgehandelt, Lohnverhandlungen sind aber oftmals ausschließlich eine Angelegenheit zwischen Einzelunternehmen und Arbeitnehmern. Präferiert wird ein Human Resource Management, institutionalisierte Interessenvertretungsstrukturen sind hier nicht vorgesehen. Die Segmentation des Arbeitsmarktes ist relativ groß: Auf der einen Seite befinden sich hochqualifizierte Spitzenkräfte, auf der anderen gering und unqualifizierte Arbeitskräfte, die schlecht entlohnt werden und dem Risiko des Arbeitsplatzverlustes ausgesetzt sind. • Ausbildungssystem: Branchenweite Ausbildungsstandards werden nicht gesetzt, die Vermittlung beruflicher Fähigkeiten erfolgt „on the job“; zumeist handelt es sich um kurze Anlernphasen. Um auf den deregulierten, flexiblen Arbeitsmärkten zu bestehen, eignen sich Beschäftigte ein breites Qualifikationsprofil an. Das allgemeine Bildungssystem vermittelt Grundlagen, für die berufliche Weiterbildung müssen Beschäftigte jedoch selbst Sorge tragen. • „Inter-company-relations“/Technologietransfer: Die Konkurrenzorientierung erschwert die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen in der Forschung ebenso wie beim Technologietransfer nachhaltig. Gleich ob es sich um die Einwerbung von Forschungsfördermitteln, die Rekrutierung von qualifizierten Spitzenkräften, wie WissenschaftlerInnen oder Ingenieure, handelt, die Konkurrenz untereinander trägt nicht dazu bei, gemeinsam technologische Standards festzulegen oder einen Technologietransfer zu vereinbaren. Vorherrschend ist ein „regelrechter Wettlauf um die Durchsetzung der eigenen Standards auf dem Markt, mit denen man Konkurrenten zu Lizenznehmern machen kann“ (Münch 2009: 100). Bill Gates’ Geschäftspolitik ist ein Beispiel hierfür. Als vorteilhaft wird die141

142

Mit feindlicher Übernahme wird der Kauf eines Unternehmens durch einen Investor beschrieben, der sich direkt an die Eigentümer des Unternehmens (Aktionäre) wendet und ihnen ein Übernahmeangebot (Kaufangebot für Unternehmensaktien) macht, ohne seine Absichten vorher mit dem Unternehmensmanagement abzustimmen. Ein Beispiel hiefür ist die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone im Jahre 2000. Entwickelt wurde dieses spezifische Managementkonzept von Rappaport, um die in den 1980er Jahren in den USA vorherrschende Merges&Acquisitions-Phase, die zu einer Vielzahl feindlicher Übernahmen geführt hat, einzudämmen (vgl. Rappaport 1994; Dullien/Herr/Kellermann 2009: 52).

6.1 Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

205

ses System angesehen, wenn es um die Durchsetzung radikaler Innovationen geht. Gleichwohl haben sich auch in den USA Forschungs- und Entwicklungsnetzwerke gebildet. Beispiele hierfür finden sich im Bereich der neuen Informations- und Telekommunikationstechnologien, etwa im Silicon Valley oder an der Boston Route 128. Allerdings sind diese Innovationsnetzwerke nicht vergleichbar mit den in Deutschland entstandenen „kartellartig strukturierten Netzwerken“ (ebd.), die eher inkrementelle denn radikale Innovationen möglich machen. Abbildung 8: Koordinierte und liberale Marktökonomie

koordinierte Marktwirtschaft Finanzsystem/ Corporate Governance

Industrielle Beziehungen

Ausbildungssystem

Inter Company Relations/ Technologietransfer

liberale Marktwirtschaft

Verflechtungen zwischen Finanz- und Industriesektor

Anti-Trust-Gesetze

Überlappung von Kapitalund Personalnetzwerken

Marktkoordination

geringe Kapitalmarktkapitalisierung

hohe Kapitalmarktkapitalisierung

Stakeholder Value

Shareholder Value

langfristige Beziehungen

Kurzfristigkeit unternehmerischen Handelns

starke (Einheits)Gewerkschaften

relativ schwache Gewerkschaften

hoher Verrechtlichungsgrad

kaum gesetzliche Rahmenregelung

Flächentarifvertrag

keine einheitliche sektorale Interessenvertretung

Stammbelegschaften

hohe Arbeitsmarktflexibilität

relativ geringe Lohnspreizungen

relativ große Lohnspreizung

branchenweite Standards

Training on the Job

duales Berufsausbildungssystem

Weiterbildung in Eigenverantwortung

fachlich spezialisierte, hochqualifizierte Arbeitnehmerschaft

breites Qualifikationsprofil

Standards durch Kooperation

Wettlauf um Durchsetzung von Standards

Die Gegenüberstellung zeigt noch einmal recht deutlich, dass es im Hinblick auf Finanzierung und Unternehmensführung, Ausbildung und Berufsstruktur, Arbeitsbeziehungen und Technologietransfer sowie Forschung und Entwicklung zwischen beiden Varianten große

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

Diskrepanzen gibt; koordinierte bzw. liberale Marktökonomien stellen zwei grundsätzlich verschiedene Kapitalismusvarianten dar. Mischformen („Mediterranean Market Economy“) Neben den beiden Hauptvarianten wird noch eine Mischform identifiziert, die „Mediterranean Market Economy“, auf die Hall und Soskice aber nur am Rande eingehen. Zugeordnet werden ihr sechs Länder: Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und die Türkei (vgl. Hall/Soskice 2003: 21 ff.). Um einen eigenständigen Typus handelt es sich nicht, vielmehr besteht sie aus einer Mischung aus den Elementen beider Grundformen. Als Besonderheit ist allenfalls die große Bedeutung, die der Landwirtschaft in all diesen Ländern zukommt, hervorzuheben. Anzuführen ist auch das Festhalten an traditionellen Formen der wirtschaftlichen Kooperation (ausgeprägter Paternalismus etc.), das in einigen Ländern ausgemacht wird (z.B. in der Türkei). Demgegenüber dominiert in anderen, z.B. in Frankreich ein starker staatlicher Einfluss auf die Wirtschaft. Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt werden recht liberale Arrangements beobachtet. Kritisch zu hinterfragen ist, ob dieser Kapitalismusvariante in Anbetracht der Vielzahl der Länder, die als MME bezeichnet werden, nicht doch etwas mehr Raum hätte eingeräumt werden müssen. Dabei stellt sich die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, so unterschiedliche Länder wie Frankreich auf der einen und die Türkei und Griechenland auf der anderen Seite einer Mischform zuzuordnen. Sieht man von der größtenteils nicht unberechtigten Kritik am VoC-Ansatz einmal ab, bleibt festzuhalten, dass hier ein Modell erarbeitet wurde, mit dem es möglich ist, verschiedene Spielarten des Kapitalismus zu identifizieren. Gezeigt wird, dass es den einen Kapitalismus nicht gibt. Vielmehr lassen sich zumindest drei Kapitalismusvarianten unterscheiden, die sich bzgl. ihrer institutionellen Arrangements (Ausgestaltung des Systems der industriellen Beziehungen, der Aus- und Weiterbildung, des Finanzsystems usw.) sowie sozialen, politischen und kulturellen Traditionen voneinander abgrenzen. Dadurch ist es möglich, ihnen konsistente Profile zuzuschreiben, die ein wenig Ordnung in die Vielfalt marktwirtschaftlicher Systeme bringen. Kritisch zu hinterfragen ist dennoch die nicht nur dem VoC-Ansatz anzulastende Konzentration auf vergleichsweise „reiche Demokratien“143 sowie die Fokussierung auf nur zwei Hauptvarianten – die koordinierte Marktökonomie auf der einen Seite und die liberale Marktökonomie auf der anderen mit ihren jeweiligen Prototypen (Deutschland/USA). Zu kurz kommt – wie gesagt – die Mischform, obwohl der „Mediterranean Market Economy“ nicht gerade wenige Länder zugeordnet werden. Ausgeblendet werden ostasiatische Länder, wie Südkorea und Taiwan, die bereits einen recht großen Einfluss in der Weltwirtschaft haben, aber auch der kapitalistische Kommunismus Chinas und alle osteuropäischen Länder. Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die weitgehende Vernachlässi-

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So konzentriert sich beispielsweise auch Bornschier (2005) in seinen Studien nur auf Kapitalismusvarianten reicher Demokratien und untersucht ihre politischen und kulturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede (u.a. die Dimension des Vertrauens). Ein Aspekt steht dabei im Mittelpunkt: der Grad an ausgehandeltem Kapitalismus. Er ist abhängig von der jeweils vorherrschenden Ausprägung des angelsächsischen liberalen Kulturerbes und der Wirkungsmacht eines unternehmerischen Staates. Reiche Demokratien lassen sich zudem anhand von fünf Kulturmuster unterscheiden. Hierbei handelt es sich um: das liberal-angelsächsische, das latein-europäische, das ostasiatische, das mitteleuropäische und das skandinavische Kulturmuster.

6.1 Spielarten der kapitalistischen Wirtschaft

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gung der Mikroebene, also der Organisation der Arbeit. In Erfahrung gebracht werden kann zwar Wissenswertes über das aktuelle Thema der Standortkonkurrenz, so z.B., ob transnational operierende Unternehmen unterschiedliche institutionelle Produktionsregime für ihre Interessen strategisch nutzen. Eine systematische Berücksichtigung betrieblicher Akteurskonstellationen, wie z.B. der Arbeitspolitik vor Ort, bleibt dabei jedoch außen vor. Im Zentrum steht die Analyse institutioneller Arrangements, während die Dimension der Arbeit unterbelichtet wird. Konvergenz oder Divergenz? Noch vor wenigen Jahren wurde der koordinierten Marktökonomie eine Vielzahl von Wettbewerbsvorteilen zugeschrieben. Sie galt aufgrund des hohen Grads an Commitment, der kooperativen sozialpartnerschaftlichen Ausrichtung, sozialen Ausgewogenheit sowie vor allem der wohlfahrtsstaatlichen „Vision des sozialen Ausgleichs“ als die leistungsfähigere Kapitalismusvariante (vgl. u.a. Hall/Soskice 2003). Seit den 1980er Jahren wurden die Zweifel an der Fortschreibung der koordinierten Marktökonomie immer größer. Die ehemals als Vorzüge ausgewiesenen Charakteristika werden seitdem immer häufiger als ihre Achillesferse bezeichnet und lieferten den Anstoß zu einer kontroversen Debatte über Transformationsprozesse spezifischer Spielarten des Kapitalismus (vgl. u.a. Beckert/Diaz-Bone/Ganßmann (Hrsg.) 2007; Beyer 2010). Kritische Stimmen bezeichnen die koordinierte kontinentaleuropäische Kapitalismusvariante bereits als überreguliert, nicht flexibel genug und zu langsam (vgl. u.a. Hutton/Giddens 2001: 49). Die koordinierte Marktökonomie wird es daher schwer haben – so die Schlussfolgerung –, mit den im Zuge der ökonomischen Globalisierung entstandenen neuen Herausforderungen fertig zu werden. Aber wie berechtigt ist diese Kritik? Werden sich koordinierte Marktwirtschaften, wie etwa die „Deutschland AG“, in Anbetracht des zunehmenden Anpassungsdrucks durch den globalen Wettbewerb (Standortkonkurrenz) grundlegend verändern? Gibt es Anzeichen für eine Konvergenz in Richtung der liberalen, angloamerikanischen Kapitalismusvariante oder ist eine Beibehaltung von Divergenz zwischen Marktökonomien („Varieties-of-Capitalism“) wahrscheinlicher? Kontinuität von Divergenz (Stabilitätsthese): Mit Blick auf den deutschen Fall wird von VertreterInnen des VoC-Ansatzes die These der Angleichung der koordinierten an die liberale, angelsächsische Marktökonomie vehement zurückgewiesen. Wenngleich Wandlungsprozesse nicht ignoriert werden (vgl. u.a. Hall/Thelen 2006; Höpner 2007), steht außer Frage, dass die Grundstrukturen koordinierter wie liberaler Marktökonomien über ein hohes Beharrungsvermögen verfügen, da einmal institutionalisierte polit-ökonomische Arrangements (Finanzbeziehungen, industrielle Beziehungen, Ausbildungsstrukturen, Formen des Technologietransfers und der Innovation) sich nicht ohne weiteres ins Gegenteil verkehren lassen. Historisch gewachsene Institutionen und kulturell-normative Prägungen sind relativ wirkungsmächtig und erodieren sehr langsam und nur unter großem Druck. Zur Stabilität nationaler Ökonomien trägt – so VertreterInnen des VoC-Ansatzes – die institutionelle Komplementarität bei, also das produktive Zusammenwirken zwischen den Institutionen, wie etwa die enge Verzahnung zwischen Mitbestimmung und Ausbildungssystem. Das institutionelle Gefüge gerät so in eine Art Gleichgewicht, was sich positiv auf die Leistungsfähigkeit auswirkt und den Erhalt der nationalen Spielart der jeweiligen Marktökonomie garantiert. Veränderungen wird ein System nicht aus sich heraus vollziehen, sie resultieren allenfalls aus

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

„exogenen Schocks“, die eine Aufrechterhaltung des alten Institutionengefüges nicht zulassen (vgl. Jackson/Deeg 2006: 24). Ein solcher Fall ist im Grunde – so die Annahme – recht unwahrscheinlich. Studien belegen, dass sich die Differenzen zwischen den USA und Deutschland – zumindest in den letzten zwanzig Jahren – eher erhöht, denn nivelliert haben. Bezogen auf den deutschen Fall einer koordinierten Marktökonomie gelangen Hall (2006) und Soskice (2006) zu dem Schluss, dass sich die strukturellen Arrangements, Innovationsund Exportmuster bislang noch keineswegs grundlegend verändert haben. Als Belege hierfür werden das im internationalen Vergleich geringere Ausmaß der Börsenkapitalisierung, die geringere Streuung und der niedrigere Anteil von Aktienbesitz in der Hand von institutionellen Anlegern sowie die immer noch vorhandene, wenn auch etwas schwächer ausgeprägte korporatistische Ausrichtung der Corporate Governance angeführt (vgl. u.a. Beyer 2010). Warum sollten koordinierte Marktwirtschaften nicht gerade angesichts der neuen Herausforderungen auf ihre früheren Stärken (stabile Unternehmensfinanzierung, enge Kooperation zwischen Kapital und Arbeit, qualifizierte Facharbeiterschaft, enge Zusammenarbeit beim Transfer und der Standardisierung von Technologien, diversifizierte Qualitätsproduktion) vertrauen, um die Anforderungen der Globalisierung zu bewältigen? Hall und Soskice gehen davon aus, dass dies möglich ist. Alles deutet auf systemische Reformen und nichts auf einen grundlegenden Modellwechsel hin. Reformen tragen dazu bei, nicht Umkehr-, sondern „Anpassungspfade“ zu beschreiten, die koordinierte Marktökonomien davor bewahren, sich in ein liberales Marktmodell zu verwandeln. Kurzum: Koordinierte Marktökonomien gehen nicht unter, sie passen sich an, „ohne sich vollständig zu liberalisieren“ (Hall 2006: 183). Der deutsche Fall bestätigt – so die VertreterInnen des Ansatzes – nicht nur die Existenz institutioneller Komplementaritäten, sondern auch ihre Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Modells (vgl. Freye 2009: 26). Verwiesen wird u.a. darauf, dass es Deutschland gelungen sei, nach der Finanzkrise 2008 relativ rasch wieder einen Wachstumskurs einzuschlagen. Transformation in Richtung Konvergenz (Wandelthese): Identifiziert wird eine Vielzahl von Veränderungen, die auf eine „erzwungene Annäherung koordinierter Marktwirtschaften an den liberalen Typus hindeuten“ (Münch 2009: 310). Seit den 1980er Jahren – so u.a. Münch (2009) – hat es weitreichende Liberalisierungs- und Privatisierungsmaßnahmen gegeben, „die sich von der Privatisierung öffentlicher Betriebe bis zur Deregulierung der Arbeitsmärkte“ (ebd.) erstrecken und den Druck zur Konvergenz auf koordinierte Marktwirtschaften erhöht haben. Bereits jetzt ist eine Reihe von Wandlungsprozessen institutioneller Strukturen und Unternehmensstrategien erkennbar, die in Richtung der liberalen Marktökonomie weisen und auf einen Modellwechsel – eine Veränderung der Funktionslogik des deutschen Modells – hindeuten (vgl. u.a. Streeck 2006, 2009). In Deutschland betrifft dies das hoch regulierte System der industriellen Beziehungen und die sozialstaatlichen Regelwerke. Auszumachen ist seit den 1990er Jahren eine Erosion der Mitgliederzahlen bei den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden mit der Folge, dass die Lohn- und Arbeitskonditionen eines zunehmenden Anteils der ArbeitnehmerInnen nicht mehr durch kollektive Tarifverträge geregelt sind (vgl. u.a. Bispink/Schulten 2009). Lohnspreizungen nehmen seitdem ebenso zu wie der Niedriglohnsektor, in dem prekäre Arbeitsbedingungen und Unsicherheit vorherrschen, von der vor allem Frauen, aber zunehmend auch Männer, betroffen sind (vgl. u.a. Klammer et al. 2011). Darüber hinaus verändert sich das Beziehungsgeflecht zwischen Großunternehmen

6.2 Wandel: Triebkraft Globalisierung

209

und Kapitalmarkt (zunehmende Shareholder-Value-Orientierung), so dass von einer Tendenz zur „Amerikanisierung“ (Nolan 2006) die Rede ist. Noch ist offen, wie tief greifend die Transformationsprozesse am Ende sein werden. Die Forschung liefert sowohl Anhaltspunkte für wie gegen die Stabilitätsthese (vgl. u.a. Freye 2009: 21 ff.). Dabei wird immer deutlicher, dass eine Sichtweise des Entweder-Oder letztendlich nicht weiterführt. Der Blick der „komparativen Kapitalismusanalyse“ richtet sich daher verstärkt auf die Herausbildung neuer „Konfigurationen“ (Lütz 2003). Denn alles deutet darauf hin, dass sich weder einzelne Elemente eines Produktionsregimes problemlos in ein anderes kopieren lassen (vgl. u.a. Amable 2003: 54 ff.), noch dass sich Pfadabhängigkeiten vollständig auflösen und radikale Modellwechsel bewirken. Weitaus wahrscheinlicher ist daher „Konvergenz in Wechselwirkung mit Divergenz“ (Streeck 2004: 7). Selbst wenn angelsächsische Institutionen und Funktionslogiken an Bedeutung gewinnen, werden typische Merkmale des deutschen Modells nicht ohne weiteres verdrängt. Die Liberalisierung führt eher zu einer „Hybridisierung des deutschen Kapitalismus“, denn zu seiner vollständigen Verdrängung. Da der globale wirtschaftliche Wettbewerb – wie insbesondere die Entwicklungen auf den globalen Finanzmärkten – auf die Ausgestaltung der verschiedenen Spielarten des Kapitalismus ein zunehmend größerer Einfluss zugeschrieben wird, kommt eine weitergehende Diskussion der Frage von Konvergenz und/oder Divergenz nicht ohne eine Analyse der durch die Globalisierung ausgelösten neuen Herausforderungen aus; sie sind Gegenstand der weiteren Ausführungen.

6.2

Wandel: Triebkraft Globalisierung

Über Globalisierung wird schon seit vielen Jahren diskutiert; dementsprechend umfangreich ist die Zahl der Veröffentlichungen. Sich einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu verschaffen, ist daher nicht ganz einfach. Aus einer wirtschaftssoziologischen Sicht kann dennoch nicht auf eine Auseinandersetzung mit der Globalisierungsproblematik verzichtet werden. Schließlich ist nicht zu übersehen, dass es eine Reihe wichtiger wirtschaftlicher Indikatoren gibt, die auf weitreichende globale Wandlungsprozesse der Wirtschaft verweisen. Anzuführen sind das rasante Wachstum des Welthandels und der ausländischen Direktinvestitionen144, die Zunahme internationaler Unternehmenskooperationen und transnationaler Konzerne sowie das Wachstum des internationalen Devisenhandels und die Bedeutungszunahme institutioneller Anleger (wie Pensions- und Investmentfonds, Banken und Versicherungen) im Zuge der Globalisierung der Finanzmärkte. Die folgende Passage aus dem Manifest der Kommunistischen Partei scheint – so könnte man meinen – gerade erst verfasst worden zu sein: „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall 144

Gemeint sind Beteiligungen an ausländischen Unternehmen und/oder Investitionen in neue Betriebe, zumeist Tochtergesellschaften und Filialen.

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

Verbindungen herstellen. (…) An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander“ (Marx/Engels 1979/1848: 465) Aus der Bourgeoisie sind inzwischen weltweit agierende transnationale Konzerne, wie Microsoft, Apple, BMW, Daimler und Google, geworden. Sie tragen dazu bei, dass auf dem weltweiten Kapitalmarkt täglich mehr als eine Billionen Dollar umgesetzt werden. Heute genügt ein Mausklick, um kaum vorstellbare Kapitalbeträge von einem Ende der Welt zum anderen zu transferieren. Kommt es an einer Stelle dieses eng verzahnten Systems zu einer Störung, sind die Folgen erheblich und können selbst stabile Ökonomien bis ins Mark erschüttern. Wenngleich mitunter auch der Eindruck entsteht, der Begriff der Globalisierung lasse sich leicht erklären, wird bei genauerer Betrachtung schnell deutlich, dass es recht unterschiedliche Sichtweisen und theoretische Erklärungskonzepte gibt. Weder herrscht Einigkeit darüber vor, ob es sich um ein qualitativ neues Phänomen handelt, noch ob die Ökonomie ein zentraler Antriebsmotor der Globalisierung ist.

6.2.1

Was ist Globalisierung?

In Anbetracht der inflationären Verwendung des Begriffs Globalisierung145 erweist sich die Suche nach einer Antwort auf die Frage, was sich eigentlich hinter diesem häufig gebrauchten und recht schillernden Wort verbirgt, bis heute als kein einfaches Unterfangen. Gleich ob es sich um Talkshows über die Klimakatastrophe oder Statements von Top-Managern zur Wirtschaftslage handelt, ein Verweis auf die Globalisierung fehlt meistens nicht. Globalisierung ist zu einem „catch-all-Begriff“ geworden. Als politisches Schlagwort kann es offenbar nach Belieben verwendet werden, wie etwa zur Rechtfertigung von Standortverlagerungen oder zum Umbau des Sozialstaats. Während die einen nur noch „leeres Geschwafel“ (Harvey 1996: 1) damit verbinden und von einem Modewort sprechen, hat für andere die Debatte erst jetzt richtig begonnen (vgl. Dürrschmidt 2002; Beck 2007). Die Soziologie widmet sich dem Phänomen im Prinzip erst seit den 1990er Jahren, als Medien, Politik und Ökonomie schon längst intensive Diskussionen über das „Zusammenwachsen der Welt“ führten (Rehbein/ Schwengel 2008: 128 f.). Um Klarheit in die Auseinandersetzung zu bringen, bietet es sich an, zunächst unterschiedliche Sichtweisen zu beschreiben: Globalisierung ist nichts Neues Eine Reihe von ForscherInnen geht davon aus, dass Globalisierung keineswegs etwas qualitativ Neues ist, sondern allenfalls ein weiterer Schritt zur Internationalisierung (vgl. u.a. Hirst/Thompson 1996). Folglich ist sie in den Kontext des kapitalistischen Weltsystems bzw. die Weltökonomie einzuordnen. Besonders prominent ist der Ansatz von Wallerstein, der sich schon lange vor der Globalisierungsdebatte Gedanken über Ursprünge und Ursachen weltweiter ökonomischer arbeitsteiliger Verflechtungen gemacht hat. Denn wer Prozesse der Kolonialisierung und der „Unterentwicklung“ in den Ländern der so genannten „Dritten 145

Der Begriff findet erst in den 1990er Jahren Verbreitung (vgl. u.a. Altvater/Mahnkopf 1997). Ein Indiz hierfür ist in dem Anstieg an Buchtiteln zu sehen, die sich mit diesem Thema befassen.

6.2 Wandel: Triebkraft Globalisierung

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Welt“ verstehen will, kommt – so Wallerstein – gar nicht umhin, sich mit dem Phänomen internationaler Arbeitsteilung auseinanderzusetzen. Unterentwicklung stellt keineswegs einen Zustand von Rückständigkeit dar, wie beispielsweise die klassische Modernisierungstheorie behauptet (vgl. u.a. Rostow 1960), sie ist Resultat eines ungleichen Tauschs, der eng verknüpft ist mit der Wirkungsmacht internationaler Arbeitsteilung. Aus der so genannten Weltsystemperspektive findet „alles soziale Handeln in einem übergreifenden Rahmen statt (…), in dem es eine fortschreitende Arbeitsteilung gibt“ (Wallerstein 1983: 303). Zwar gab es schon – folgt man Wallerstein (1979a, 1979b, 1984) – in der Antike „Minisysteme“, die über eine Art Arbeitsteilung und eine gemeinsame Kultur verfügten, aber die eigentliche Weltökonomie hat erst der Kapitalismus hervorgebracht. Die kapitalistische Weltökonomie beginnt 1492 mit der Entdeckung Amerikas und der Unterwerfung des Aztekenreiches durch die Spanier 1521. Im Verlauf eines langen historischen Prozesses hat sich dann eine spezifische Form der ökonomischen Arbeitsteilung und des Warentausches herausgebildet, die zur kapitalistischen Weltökonomie führte. Damit steht außer Frage, dass die Genesis des Kapitalismus nicht als eine endogen-europäische Entwicklung verstanden werden kann, sondern ein globales Projekt darstellt: Es beginnt mit der europäischen Expansion, dem mit Waffengewalt durchgeführten Fernhandel und der Etablierung einer überregionalen ökonomischen Arbeitsteilung. Für Wallerstein ist die Herausbildung des modernen Weltsystems das Resultat einer internationalen, ökonomischen Arbeitsteilung, in die alle Gesellschaften, Regionen und Kulturen involviert sind. Das moderne Weltsystem ist folglich „eine Einheit mit einer einzigen Arbeitsteilung und mannigfaltigen Kultursystemen“ (Wallerstein 1979b: 35). Bei früheren Weltökonomien, wie etwa dem Römischen Reich, handelte es sich demgegenüber um Weltreiche mit einem gemeinsamen politischen System. Zu unterscheiden ist daher zwischen „world economies“ (ohne Bindestrich), die es laut Wallerstein schon immer gegeben hat, und der „world-economy“ (mit Bindestrich) als komplexem System internationaler Arbeitsteilung, in dem sich die verschiedenen Nationalstaaten und Kulturen entfalten und behaupten müssen, dessen Spielregeln sie aber nicht bestimmen. Hierzu Wallerstein: „der Globus operiert innerhalb dieses Rahmens und Regelwerkes einer verbindlichen, durchgängigen Teilung der Arbeit, die wir kapitalistische Weltökonomie nennen“ (Wallerstein 1983: 303). Die „world-economy“ besitzt eine eigene innere Logik, deren Fixpunkt Gewinnmaximierung heißt. Diese wird auf einem einzigen Markt – dem Weltmarkt – erzielt und zwar mittels Ausbeutung, wobei Wallerstein in erster Linie das Ausbeutungsverhältnis zwischen Regionen meint. Entscheidend ist dabei der ungleiche Tausch, der starke Staaten/Regionen in die Lage versetzt, sich Surplus anzueignen. Die über den Weltmarkt vermittelte ökonomische Arbeitsteilung basiert somit auf einem Ausbeutungsverhältnis zwischen dem Zentrum des Systems („core states“), zu dem u.a. die USA, Japan sowie die meisten europäischen Länder rechnen, der Semiperipherie („semiperipherial areas“), den so genannten Schwellenländern, wie Brasilien oder Südostasien, die ausgebeutet werden und selbst ausbeuten, und der Peripherie („peripherial areas“), den so genannten Entwicklungsländern, zu denen eine Vielzahl der afrikanischen Länder gehört. Weltwirtschaften sind also geteilt in Zentralstaaten und Peripherie-Gebiete sowie in Gebiete der Semiperipherie, die alle in einem weltumspannenden System namens Weltwirtschaft miteinander verflochten sind. Das kapitalistische Weltsystem stellt für Wallerstein einen globalen, funktionalen Handlungszusammenhang zwischen diesen drei „Schichten des Weltsystems“ dar, der durch un-

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gleiche Tauschtransaktionen geprägt ist. Kerngebiete gehen dabei stets als die Gewinner hervor, denn charakteristisch für sie sind die Existenz eines starken Staates und wirkungsmächtiger Verwaltungsapparate, effiziente Organisationsformen und eine hohe Kapitalintensität, neueste Technologien, qualifikationsintensive Produkte und Dienstleistungen sowie ein vergleichsweise hohes Lohnniveau. Dominierenden Zentren stehen dominierte (Semi-) Peripherien gegenüber. Ökonomische, soziale und politische Machtasymmetrien sind daher ein charakteristisches Element der Weltökonomie. Wallerstein geht davon aus, dass zyklische Prozesse und langfristige säkulare Trends die weitere Entwicklung bestimmen. Wie bei Schumpeter (Kondratieff-Zyklen), findet sich auch bei ihm die Vorstellung von zyklischen Auf- und Abschwüngen, die die Zuordnung einzelner Länder zu den drei Schichten des Weltsystems verändern können. Bislang führten periodisch auftretende Krisen eher zu Restrukturierungen, die am Ende die Verteilung von Macht und Ungleichheit nur noch verschärft haben. Das Weltsystem ist aufgrund der vielfältigen strukturellen Gegensätze nicht frei von Konflikten. Sie nagen – so Wallerstein (2008) – bereits an den „Eingeweiden des Systems“. Die kapitalistische Weltökonomie ruft jedoch auch globale Widerstände hervor, angefangen von anti-westlichen, anti-modernen und fundamentalistischen Reaktionen bis hin zu Aktivitäten von Menschenrechts- und Umweltbewegungen, die der Unterdrückung und Ausbeutung sowie der zunehmenden Umweltzerstörung entgegentreten. Vielleicht haben gerade diese Gegenbewegungen die Prognosen Wallersteins, die in der Vergangenheit durch Pessimismus geprägt waren, ein wenig verändert. So macht er in den 1990er Jahren eine neue Phase der Offenheit weltsystemischer Entwicklungen aus, die über gewöhnliche zyklische Krisen und Transformationsprozesse hinausweisen: „The world-system is in mutation now“ (Wallerstein 1992: 15). Wie tief greifend sie sein werden, steht noch längst nicht fest, zumindest ist nicht gänzlich ausgeschlossen, dass eine historische Chance auf ein besseres, gerechteres Wirtschaftssystem besteht, was allerdings an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft ist (vgl. Wallerstein 2008). Von einer konflikt- und widerspruchsfreien Entwicklungsdynamik ist jedoch nicht auszugehen, denn die innere Logik des kapitalistischen Weltsystems bringt stets beides hervor: Weltintegration und Weltzerfall. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die Weltsystemtheorie überhaupt dazu geeignet ist, weltweite Zusammenhänge adäquat zu erfassen und zu erklären. Zum einen wurden bereits einige der von Wallerstein aufgestellten historischen Befunde widerlegt (vgl. u.a. Schneider 1977; Abu-Lughod 1989). Zum anderen erweist sich seine Position bei genauerer Betrachtung als monokausal und ökonomistisch. Kritisch hinterfragt wurde, ob – trotz des Verweises auf die Widersprüchlichkeit der inneren Logik der Weltökonomie, die Heterogenität globaler Kulturen sowie die Offenheit zukünftiger Entwicklungen – die Vielfalt der Formen globaler Vernetzung nicht zu sehr auf „die systemische Zusammenhangslogik kapitalistischer Arbeitsteilung“ (Dürrschmidt 2002: 35) reduziert wird. Für Luhmann ist die Antwort eindeutig: „Das Spezifische des modernen Weltsystems ist dann nur die unbegrenzte Möglichkeit der Akkumulation von Kapital“ (Luhmann 1997: 159, FN 215). Lenkt man den Blick ausschließlich auf die Ungleichheit von Zentrum und Peripherie und geht, wie Wallerstein, von einem Primat der kapitalistischen Wirtschaft aus, dann wird der Globalisierungsbeitrag „anderer Funktionssysteme, vor allem der Wissenschaft sowie der Kommunikation durch Mas-

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senmedien“ (Luhmann 1997: 171) vernachlässigt. Das ist – so Luhmann – aber ein schwerwiegender Fehler, denn „erst wenn man die sehr verschiedenen Globalisierungstendenzen in den einzelnen Funktionssystemen (also neben der Wirtschaft, auch die Wissenschaft, die Massenmedien, das Erziehungssystem, das Militär, das Recht usw.) zusammenfassend vor Augen führt, wird das Ausmaß der Veränderung gegenüber allen traditionalen Gesellschaften erkennbar“ (ebd.). Wallersteins Sicht erweist sich demnach als recht einseitig und hat Mühe, die Vieldimensionalität und Ambivalenz globaler Dynamiken zu erfassen. Dennoch wird das Konzept nicht von allen SozialwissenschaftlerInnen gleich in Bausch und Bogen verworfen. Folgt man Rehbein und Schwengel, hat die Kritik an Wallerstein zwar in vielerlei Hinsicht ihre Berechtigung, „wahr ist aber auch, dass mit dem Blick auf Felder globaler Ungleichheit die Sicht auf die Interdependenz von Ungleichheitsstrukturen in und zwischen zentralen, semiperipheren und peripheren Kontexten geschärft wird. (…) Die Weltsystemtheorie wird so noch auf absehbare Zeit ein wichtiger Bezugspunkt für die Globalisierungsdebatte bleiben“ (Rehbein/Schwengel 2008: 71 f.).146 Globalisierung ist eine qualitativ neue, unvermeidbare Stufe der (Welt-)Ökonomie Diese Position geht davon aus, dass es einen alles beherrschenden Weltmarkt gibt, der die Spielregeln bestimmen sollte, um eine liberale Weltwirtschaft zur Entfaltung kommen zu lassen. Angenommen wird, dass weltweiter Freihandel zu win-win-Situationen führt. Ein vehementer Vertreter dieser Position ist der japanische Unternehmensberater Kenichi Ohmae (1992), der die mit der ökonomischen Globalisierung verbundene Ideologie der Notwendigkeit und Unvermeidbarkeit einer liberalen Weltökonomie in seinen Schriften besonders eindrucksvoll verteidigt (Globalismusthese). Für ihn besteht die Welt im Wesentlichen aus weltweit agierenden Unternehmen, Kunden und Staaten. Die wichtigsten Akteure auf dem Weltmarkt sind Unternehmen, die um Kunden konkurrieren und immer mehr Produkte zu immer günstigeren Bedingungen herstellen und verkaufen wollen. Unternehmen aus München oder Hoffenheim sind längst weltweit aktiv und konkurrieren mit Unternehmen in Detroit oder Hongkong. Nationalstaaten kommt in diesem globalen Wettbewerb um die besten Plätze und optimalen Kapitalverwertungsbedingungen die Aufgabe zu, für attraktive Standortbedingungen, wie gut ausgebildete Fachkräfte, günstige Gewerbeflächen und geringe Steuern, zu sorgen. Hierdurch können sie versuchen, Unternehmen dazu zu veranlassen, relevante Unternehmensbereiche in ihrem Land anzusiedeln (z.B. Forschung und Entwicklung, Finanzen und Marketing). Im Kern geht es darum, bei der „Wirtschaftsolympiade“ stets den ersten Rang zu erlangen (vgl. Rehbein/Schwengel 2008: 76). Insgesamt gesehen konzentriert sich das Wirtschaftsgeschehen – laut Ohmae – weitgehend auf eine Triade, bestehend aus Nordamerika, Europa und Ostasien. Südamerika wie Afrika werden aufgrund ihrer geringeren ökonomischen Bedeutung (Anteile am Welthandel, ausländische Direktinvestitionen usw.) ausgegrenzt.

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Gleichwohl konzentriert sich die sozialwissenschaftliche Theoriebildung seit einigen Jahren eher auf Konzepte wie die Weltrisikogesellschaft (Beck 2007) oder die Weltgesellschaft (u.a. Luhmann, Meyer, Heintz, Stichweh, Wobbe), denen eher zugetraut wird, mit früheren Denkkategorien zu brechen und das qualitativ Neue theoretisch erfassen zu können (zur Einführung siehe z.B. Wobbe 2000; Heintz/Münch/Tyrell (Hrsg.) 2005).

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Ohmae geht davon aus, dass im Zuge des globalen Wandels die klassischen Begriffe der Makroökonomie (z.B. In- und Ausland) ausgedient haben, da sie ein „Container-Modell“147 beschreiben, das „baufällig“ geworden ist. Wettbewerb findet schließlich nicht mehr zwischen Nationen, sondern nur noch zwischen global tätigen Unternehmen und regionalen Standorten statt. Unternehmen müssen regionale Kundenbedürfnisse befriedigen und gleichzeitig global präsent sein. Diese Verknüpfung von Globalem und Lokalem bezeichnet er als „Glokalisierung“, ein Begriff der auch in anderen Konzepten – worauf noch einzugehen sein wird – Verwendung findet (vgl. u.a. Robertson 1998). Diese Sicht auf Prozesse der ökonomischen Globalisierung, in der es einzig und allein um den liberalen Weltmarkt geht, steht für eine Position des „(Hyper-)Globalismus“, der zu einem Synonym für die Ideologie des globalistischen Ökonomismus geworden ist. Die Epoche des Nationalstaates, die vor allem das 19. und 20. Jahrhundert prägte, ist demnach abgeschlossen und der Weltmarkt bestimmt das Geschehen auf dem Globus. Befürworter dieses Prozesses betonen, dass es zu einer allen zugute kommenden rationalen, globalen Wirtschaftskultur kommen wird. Prischings ironisch gemeinter Kommentar bringt es auf den Punkt: „Wenn es Verlierer gibt, so sind sie insoweit selbst schuld, als sie nicht rechtzeitig an Qualifizierungsprozessen teilgenommen haben, die sie befähigen, an weltmarktfähigen Produktionen zu arbeiten“ (Prisching 2007: 31). Eine Alternative zur wirtschaftlichen Globalisierung, also internationalem Standortwettbewerb, transnationalen Produktionsketten und der globalen Marktlogik, gibt es nicht. Globalismus wird als „unvermeidlich“ angesehen (vgl. Dürrschmidt 2002: 6). Beck setzt Globalismus mit einer „Ideologie der Weltmarktherrschaft“ und einer Rechtfertigungsstrategie des (globalen) Neoliberalismus gleich (Beck 1997: 26). Stattgefunden hat „eine Art Imperialismus des Ökonomischen, in dem Ökonomen und Unternehmer überall Rahmenbedingungen einfordern oder durchzusetzen versuchen, unter denen sie ihre Unternehmensziele optimieren können“ (ebd.: 5), was z.B. Standortkonflikte, Arbeitslosigkeit sowie einen Abbau des Wohlfahrtsstaates zur Folge haben kann. Folgt man Ulrich, so handelt es sich um die wirksamste Ideologie der Gegenwart (vgl. Ulrich 2002: 36). Die Position des ökonomischen Globalismus ist auf vehemente Kritik gestoßen. Besonders hervorgetan hat sich dabei u.a. Bourdieu (1998, 2001), der die Problematik der sozialen Ungleichheit und die Macht, die die herrschende Klasse im globalen ökonomischen Feld besitzt, ins Zentrum seines „Gegenfeuers“ rückt. Zu nennen sind aber noch eine Vielzahl weiterer AutorInnen148, die ebenfalls eine dezidierte Gegenposition zur Ideologie des Globalismus vertreten. So teilen z.B. Altvater und Mahnkopf (1997) einige Diagnosen Ohmaes, wie etwa die Zunahme der Geschwindigkeit und Reichweite des Warentauschs sowie die Vorstellung, dass Globalisierung eine qualitativ neue Stufe der Integration der Weltwirtschaft darstellt, aber sie nehmen diese Prozesse zum Anlass, sich kritisch mit den Ursachen und Folgen der zunehmenden Expansion von Märkten (Ausbeutung, Umweltzerstörung) auseinanderzuset-

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Mit dem Wort Container-Modell wie dem Container-Denken ist das Festhalten an Konzepten bzw. Theoriemodellen gemeint, deren zentraler Bezugspunkt Nationalgesellschaften sind (vgl. hierzu auch Beck 2007). Vgl. u.a. Leggewie 2003, Stiglitz 2002, Chromsky 2006, um nur einige wenige zu nennen.

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zen. Ihres Erachtens führt der globale Kapitalismus zu Krisen (Überproduktion, Entkopplung der Realwirtschaft vom Finanzmarkt), deren Auswirkungen in der Regel negativ sind (entfesselte internationale Finanzmärkte, Standortkonkurrenz, zunehmende Kommodifizierung von Arbeit). Es gibt aber auch Grenzen der Globalisierung, die durch die Natur gesetzt werden, denn diese lässt sich nur bis zu einem bestimmten Ausmaß in den Dienst der Ökonomie stellen, wird der Bogen überspannt, dann führt dies zu ihrer Zerstörung, die am Ende auch die Wirtschaft selbst bedroht. Grenzen zeichnen sich selbst im ökonomischen Feld ab, wie etwa Rückverlagerungen von Produktionsstätten deutlich machen.149 Insgesamt konzentriert sich die kritische Analyse von Altvater und Mahnkopf – wie Ohmae selbst – weitgehend auf die ökonomische Dimension der Globalisierung; von einer solchen Schwerpunktsetzung ist die dritte Sichtweise weit entfernt. Globalisierung ist ein vieldimensionaler, widersprüchlicher, reflexiver und offener Prozess Diese Position hebt die Vieldimensionalität, Uneinheitlichkeit und Widersprüchlichkeit des realen Zusammenwachsens der Welt im Zuge von Globalisierungsprozessen hervor. Zu den ersten SoziologInnen, die eine in diesem Sinne systematische Analyse und theoretische Erklärung der Globalisierung vorlegten, gehört Roland Robertson (1990, 1992, 1998). Sein Konzept einer „reflexiven Theorie der Globalisierung“ stellt geradezu einen Gegenentwurf zu Wallersteins Weltsystemtheorie dar: „globalization analysis and world-systems analysis are rival perspectives“ (Robertson 1992: 15); und selbstverständlich auch zum Globalismus. Wer von Globalisierung spricht, der meint – so Robertson – zunächst einmal nichts anderes als einen Prozess der Kompression von Zeit und Raum: „the world becomes a single place“ (Robertson 1992: 135). Im Zentrum steht die Suche nach Erklärungskonzepten, die nicht nur die Dynamik von Globalisierungsprozessen erfassen, sondern auch die Differenzierung zwischen verschiedenen Dimensionen (ökologische, wirtschaftliche, politische, soziale, kulturelle und kommunikationstechnologische) erklären und dabei die Wechselwirkungen zwischen globalen, regionalen und lokalen Aspekten und räumlich-kulturellen Verarbeitungsformen von Globalisierungsprozessen nicht vernachlässigen (vgl. Dürrschmidt 2002: 7). Dabei müssen die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz von Globalisierungsprozessen Berücksichtigung finden, ohne sie auf eine einfache Gewinn- und Verlustrechnung zu reduzieren (vgl. Beck 1986, 2007). Globalisierung wird als ein multidimensionaler, reflexiver Prozess verstanden, der höchst ambivalent zu bewerten ist. KritikerInnen verweisen mit Blick auf die wirtschaftliche Globalisierung vor allem auf ökologische Folgen eines ungebremsten Wachstums (globale Klimakatastrophe). Gleichwohl hat Globalisierung stets noch weitere Facetten, z.B. bietet das weltweite Informations- und Kommunikationsnetz (Internet, Facebook) politischen Bewegungen die Möglichkeit, sich zu formieren und handlungsfähig zu werden (wie etwa jüngst die politische Opposition in Ägypten und Tunesien). Giddens zufolge handelt es sich ohne149

Ergebnisse einer europaweiten in 22 Ländern durchgeführten Delphi-Studie zur Zukunft der Produktion belegen, dass eine vollständige Verlagerung der Produktion außerhalb Europas nicht realistisch ist. Mithin sind Rückverlagerungen keine Ausnahme mehr (vgl. Kinkel et al. 2008: 55 ff.).

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hin nicht nur um einen Prozess, sondern um eine komplexe Reihe von Prozessen, deren „Auswirkungen (…) durchaus widersprüchlich und gegensätzlich“ (Giddens 2001: 24) sind. Lokale Gemeinschaften und Nationalstaaten werden im Zuge dieser Prozesse keineswegs vollkommen bedeutungslos. Allerdings sollten wir uns – so Giddens (2001) – von der Vorstellung verabschieden, dass sich das Leben in geschlossenen und gegeneinander abgrenzbaren Räumen abspielt. Damit wird allen Konzepten, die immer noch von einer souveränen, nationalen Container-Gesellschaft ausgehen, eine Absage erteilt. Globalisierungsprozesse laufen auf eine zeitliche und räumliche Ausdehnung und gleichzeitige Verdichtung von sozialen Beziehungen hinaus. Anders ausgedrückt: Viele Geschehnisse auf der Welt sind – selbst wenn dies nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist – miteinander verflochten, denn kein Land, keine lokale Gemeinschaft und keine Gruppe kann sich noch voneinander abschotten. Giddens versteht Globalisierung daher als „intensification of worldwide social relations which link distant localities in such a way that local happenings are shaped by events occurring many miles away and vice versa“ (Giddens 1994: 64). Die Voraussetzungen hierfür wurden durch Institutionen der Moderne geschaffen. Für Giddens beginnt Globalisierung erst im 19. Jahrhundert mit der Entstehung der europäischen Moderne und der Verbreitung moderner Kommunikations- und Verkehrstechnologien (Internet, Flugzeuge usw.). Sie liefern die Basis für die jederzeit herstellbare räumliche und zeitliche Verflechtung sozialer Beziehungen zwischen verschiedenen Orten, ihre Intensivierung sowie eine Vielzahl von Wechselwirkungen zwischen voneinander weit entfernten Orten bzw. Ereignissen. Globalisierung ist mittlerweile ohne Anstrengung möglich und wird zur alltäglichen Erfahrung. Sie ist für unser Leben keine nebensächliche Angelegenheit, denn sie „bedeutet nichts Geringeres als die Umwälzung unserer Lebensverhältnisse. Sie bestimmt unsere Lebensweise“ (Giddens 2001: 32). Globalisierung kann zu einer Verbreitung positiver Werte und Normen führen, indem der Druck auf Nationalstaaten zur Anerkennung von Menschenrechten und ILO-Kernarbeitsnormen150 zunimmt; was allerdings nicht gleichbedeutend mit ihrer Umsetzung sein muss, zumal es bis heute an Sanktionsmöglichkeiten mangelt. Ein weiterer Effekt ist in der Renaissance des Lokalen zu sehen, die in einer Aufwertung und der Entstehung eines neuen Selbstbewusstseins lokaler Kulturen und Identitäten zum Ausdruck kommen kann, wie das Beispiel einer Werbung für den IT-Standort München zeigt, der zufolge sich Lederhose und Laptop keineswegs ausschließen. Der Globalisierung werden aber nicht nur positive Aspekte zugeschrieben, sie kann auch höchst zerstörerisch sein, was eine Vielzahl durch multinationale Konzerne ausgelöste schwere Umweltkatastrophen belegt, z.B. die vom Mineralölkonzern BP verursachte Ölpest im Golf von Mexico im Jahre 2010.

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Die acht Kernarbeitsnormen der ILO (International Labor Organization): Nr. 29 Verbot von Zwangsarbeit, Nr. 87 Vereinigungsfreiheit/Organisationsfreiheit, Nr. 98 Organisationsfreiheit und Tarifvertragsfreiheit, Nr. 100 Verbot der Lohndiskriminierung, Nr. 105 Abschaffung der Zwangsarbeit, Nr. 111 Diskriminierungsverbot in der Arbeit, Nr. 138 Mindestalter für Arbeit und Nr. 182 Abschaffung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit. Diese grundlegenden Prinzipien und Rechte haben zwar mittlerweile den Status von „quasi global gültigen Kernarbeitsnormen und weltweit geltenden Mindeststandards für Erwerbsarbeit“ (Pries 2010a: 158), sie sind aber noch nicht von allen 182 ILO-Mitgliedsländern ratifiziert worden. Kritisch hinterfragt werden vor allem die Umsetzungs- und Kontrollmechanismen der ILO-Konventionen sowie das Fehlen von Sanktionsmöglichkeiten. Dennoch – so Pries (2010a) – sollte die „globale Wirksamkeit der ILO-Mindeststandards nicht unterschätzt werden“ (ebd.: 164).

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Alles in allem kann wohl nichts mehr darüber hinwegtäuschen, dass wir in einem Zeitalter leben, in dem es jederzeit zu globalen Risiken und Katastrophen kommen kann. Nach Beck (2007) sind vor allem drei globale Risiken zu unterscheiden: (1) das neue Phänomen des transnationalen Selbstmordterrorismus, (2) ökologische und (3) ökonomische Weltrisiken, die uns alle – ob wir sie wahrnehmen oder nicht – potentiell treffen können. Im Fall der globalen terroristischen Aktivitäten handelt es sich um „intendierte Katastrophen“ (Beck 2007: 359), die sich potentiell überall und jederzeit ereignen können und die moderne Zivilgesellschaft stets bis ins Mark erschüttern. Demgegenüber sind ökologische und ökonomische Risiken „Nebenfolgen“ der „radikalisierten Modernisierung“ (ebd.). Ökologische Risiken resultieren zum einen aus reichtumsbedingten ökologischen Zerstörungen (Ozonloch, Treibhauseffekt etc.), für die primär die westlich-industrialisierte Welt verantwortlich zu machen ist. Zum anderen sind sie armutsbedingt (z.B. Versteppungen durch Waldrodungen zur Gewinnung von Brennholz). Globale ökonomische Risikokonflikte wiederum sind – so Beck – auf „Unwägbarkeiten“ globalisierter Geld- und Finanzmärkte zurückzuführen und stellen daher ebenfalls „eine neue Form der organisierten Unverantwortlichkeit“ dar. Weltmärkte haben erheblich an Einfluss gewonnen; mittlerweile „bestimmen die finanziellen Ströme darüber, wer gewinnt und wer verliert“ (ebd.: 356). Globale Marktrisiken kontrollieren zu wollen, stellt im Grunde ein geradezu aussichtsloses Unterfangen dar, zumal es kaum noch möglich ist, nationale Märkte vollständig abzuschotten und gegen globale Finanzkrisen zu immunisieren. So gesehen läuft der Prozess der Globalisierung darauf hinaus, „dass von nun an nichts, was sich auf unserem Planeten abspielt, nur ein örtlich begrenzter Vorgang ist, sondern dass alle Erfindungen, Siege und Katastrophen die ganze Welt betreffen und wir unser Leben und Handeln, unsere Organisationen und Institutionen entlang der Achse ‘lokal-global’ reorientieren und reorganisieren müssen“ (Beck 1997: 30). Robertson (1998) spricht von „Glokalisierung“ und meint damit die widersprüchliche Integration und wechselseitige Abhängigkeit von Lokalem und Globalem, die ganz unterschiedliche Logiken aufweisen können. So kann das Lokale ein konstitutiver Bestandteil des Globalen sein, wobei es am Ende zu einer neuartigen Melange von beidem kommen kann.151 Ein Beispiel stellt die globale, subkulturelle Musikszene dar, die landesspezifische, kulturell lokale Musikstile aufnimmt, aber dennoch eine neue, unverwechselbare Musik produziert, die ein globales Publikum anspricht. Ganz anderer Auffassung ist Ritzer (1995), der die These einer Nivellierung kultureller Unterschiede vertritt und einer „McDonaldisierung“ der Welt das Wort redet. Mit dieser kennzeichnet er einen Prozess der kulturellen Vereinheitlichung und eine tief greifende Rationalisierung der Welt, die sukzessive alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt, angefangen von der Produktion über den Konsum bis hin zur Freizeit. Im Zentrum steht die Ausrichtung an Prinzipien, die mit dem Fast Food Restaurant McDonald verbunden werden (daher auch der Name „McDonaldisierung“). McDonald steht für Effizienz, Quantifizierung und Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit und Kontrolle. Ritzer geht davon aus, dass die Prinzipien von McDonald sich weltweit ausbreiten und „immer mehr Gesellschaftsbereiche in Amerika und auf der ganzen Welt beherrschen“ (Ritzer 1995: 15). Der Prozess der „McDonaldisierung“ hat weitreichende Konsequenzen, insbesondere eine „Entmenschlichung“ der Arbeits151

Hannerz (1987) sowie Nederveen Pieterse (2004) sprechen in diesem Zusammenhang von „Hybridisierung“ bzw. „Kreolisierung“; Begriffe, die im Rahmen der Postkolonialismustheorie kritisch hinterfragt wurden.

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beziehungen sowie vor allem die bereits angesprochene Homogenisierung der Kultur, womit er eine alle gesellschaftlichen Bereiche erfassende „Vereinheitlichung“ meint, die sich im „ganzen Land und zunehmend auf der ganzen Welt“ (ebd.: 231) verbreitet. Ritzers These löste eine intensive Debatte darüber aus, ob zukünftig tatsächlich von einer weltweiten Homogenisisierung, Standardisierung und Entbettung von Wirtschaft und Kultur aus nationalstaatlichen Kontexten auszugehen ist, es also zu einer „McWorld“ (Barber 2001) kommen wird. Während die einen der These einer „McDonaldisierung“ zustimmen, lehnen andere sie mit Nachdruck ab, da sie weder die Vielgestaltigkeit der Globalisierung erfasst noch die widersprüchlichen Zusammenhänge zwischen lokalen und globalen Phänomenen sowie damit eng verknüpfte soziale Praktiken in den Blick bekommt. Wenngleich Tendenzen in Richtung einer „McDonaldisierung“ auch nicht zu unterschätzen sind, bedarf es dennoch differenzierter Konzepte, um Prozessen der Globalisierung auf die Spur zu kommen. Selbst am Beispiel von McDonald lässt sich zeigen, dass es ohne lokale Anpassungen an kulturelle Gegebenheiten nicht geht, wie etwa Watson (1997) feststellt, der den Begriff der „Lokalisierung“ in die Debatte einbringt. Globalisierung lässt sich demnach nur begreifen, wenn man erkennt, dass es sich um widersprüchliche und komplexe Prozesse handelt, die sich nicht nur in der Ökonomie abspielen, sondern auch schon längst alle anderen gesellschaftlichen Bereiche (Politik, Recht, Medien, Kultur usw.) erfasst haben. Rehbein und Schwengel bringen es in ihrer Zusammenfassung der Globalisierungsliteratur auf den Punkt: Globalisierung stellt „einen ebenso komplexen wie zusammenhängenden Prozess sozialen Wandels im Weltmaßstab (dar, M.F.), der homogenisiert wie diversifiziert, integriert wie differenziert, Zustimmung wie Protest hervorruft, aber an seiner Wurzel ambivalent bleibt“ (Rehbein/Schwengel 2008: 238). Lenz schlägt daher vor, Globalisierung als eine „Koppelung heterogener und dezentrierter Prozesse mit offenem Ausgang zu verstehen, die auf unterschiedlichen historischen Vorgängen beruhen und den gesellschaftlichen AkteurInnen potentiell neue Optionen und Risiken eröffnen“ (Lenz 2000: 20 f.). Dieses Verständnis von Globalisierung macht Analysen nicht einfacher und erfordert geradezu ein mehrdimensionales Erklärungskonzept, ein Mehrebenenmodell (vgl. u.a. Pries 2010a), in das die vielfältigen, widersprüchlichen grenzüberschreitenden Verflechtungen, Ereignisse und sozialen Praktiken eingehen müssen, einschließlich der neuartigen Verknüpfungen von Lokalem und Globalem. Globalisierung ist und bleibt ein offener Prozess, der kein einheitliches Muster erkennen lässt, sondern wohl eher in „varieties of globalization“ zum Ausdruck kommt. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob Globalisierung nicht schon längst zur Transnationalisierung geworden ist. Von der Globalisierung zur Transnationalisierung? Neben dem Globalisierungsbegriff hat in den letzten Jahren ein weiterer Begriff Furore gemacht: Transnationalisierung. Pries zufolge handelt es sich um eine Form der Internationalisierung der Vergesellschaftung, die das 21. Jahrhundert nachhaltig prägen wird (vgl. Pries 2010b). Schließlich spielen im Kontext von Globalisierungsprozessen sowohl transnational agierende Akteure als auch die Konstitution transnationaler Sozialräume eine immer größere Rolle. Unter Transnationalisierung wird „eine idealtypische Internationalisierungsform (verstanden, M.F.), bei der sich ein relativ stabiler und verdichteter Sozialraum über mehrere Flächenräume (z.B. nationalstaatliche Territorien) hinweg erstreckt, ohne (…) ein steuerndes

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und klares Zentrum aufzuweisen“ (Pries 2010a: 128). Im Kern geht es um eine Ausweitung und Intensivierung grenzüberschreitender Austauschbeziehungen, die nicht nur im Feld der Ökonomie, des Rechts oder der Politik stattfinden, sondern auch im Bereich des Sozialen. Im Rahmen von Transnationalisierungsprozessen kommt es zur Bildung von dauerhaften gesellschaftlichen Verflechtungen, die in einem neuen Flächen- und Sozialraum lokalisiert werden und grenzüberschreitende neue Systemzusammenhänge hervorbringen. So können sich soziale Zugehörigkeiten, kulturelle Gemeinsamkeiten, intensive kommunikative Verflechtungen sowie gemeinsame Produktions- und Arbeitszusammenhänge, ebenso wie neue gesellschaftliche Ordnungs- und Regelungsmuster herausbilden, welche nicht mehr an nationalstaatlichen Grenzen halt machen (vgl. u.a. Pries 2008, 2010a). Als Beispiele lassen sich transnationale Familien und MigrantInnengruppen nennen, die weit weg von ihrem Herkunftsland leben und arbeiten und „relativ dauerhafte und dichte soziale Beziehungen, soziale Netzwerke und Sozialräume“ (Pries 2010a: 13) jenseits der gewohnten Ortsgebundenheiten von Ankunfts- und Zielregion hervorgebracht haben (vgl. auch HirschKreinsen 2010: 611). In der Wirtschaft gibt es ebenfalls eine Reihe von Beispielen, in denen sich Prozesse der Transnationalisierung widerspiegeln, wie etwa grenzüberschreitende Projektgruppen bzw. internationale ExpertInnenteams, die an wechselnden internationalen Einsatzorten über eine bestimmte Zeit zusammenarbeiten und neue Sozialräume der Zusammenarbeit schaffen. Anzuführen sind selbstverständlich auch transnationale Unternehmen (zumeist Konzerne). Sie haben eine lebhafte Debatte über den Wandel von Organisationsstrukturen und -strategien von international agierenden Wirtschaftsorganisationen entfacht. Um die Genese transnationaler Unternehmen, ihre strategische Ausrichtung und Organisationsstruktur verstehen zu können, kann auf eine in der internationalen Organisations- und Managementforschung übliche Unterscheidung von vier Typen internationaler Unternehmen zurückgegriffen werden. Die Reihenfolge, in der die Typen aufgelistet werden, spiegelt zugleich ein historisches Phasenmodell der Internationalisierung von Unternehmen wider: • Exportorientierte Unternehmen: Charakteristisch für diese Unternehmen ist eine auf ausländische Märkte abzielende Expansionsstrategie. Exportorientierte Unternehmen operieren vom heimischen Produktionsort (Stammhaus/Mutterkonzern) aus und sind in erster Linie an einer Ausweitung ihrer Märkte sowie an der Beschaffung von Rohstoffen interessiert. Perlmutter (1969) bezeichnet diese Strategie, die die erste bis weit in die letzten Jahrhunderte zurückreichende Phase der Internationalisierung weitgehend bestimmt hat, als „ethnozentristisch“. Weder wurde der Aufbau eigenständiger lokaler Produktionsstandorte angestrebt noch war die unternehmensinterne Diversifizierung besonders ausgeprägt. • Multinationale Unternehmen: Perlmutter (1969) beschreibt sie recht treffend als „dezentrale Konföderation“ und Bartlett (1989) als „dezentralisierten förderalen Verbund“, der aus einem locker gewobenen Netz unabhängiger Tochtergesellschaften besteht (operative Unabhängigkeit, größere Entscheidungspielräume, Konzentration auf lokale Märkte). Sie entstehen in der zweiten Phase der Internationalisierung (etwa Ende der 1970er Jahre) als ausländische Märkte nicht mehr nur als reine Anhängsel des inländischen Marktes wahrgenommen werden. Es kommt zum Aufbau eigenständiger Produktionsstätten, die sich mehr und mehr auf den regionalen Markt einstellen. Die Schaffung dezentraler Unternehmenseinheiten erfolgt jedoch um den Preis eines geringen Grads unternehmensinter-

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ner Integration, was schon bald als ein Problem erkannt wird und eine neue Stufe der Internationalisierung einleitet. • Globale Unternehmen: Dieser Unternehmenstyp ist in den Kontext einer dritten Phase der Internationalisierung, die Anfang der 1990er Jahre beginnt, einzuordnen. Flecker und Schienstock (1994) sprechen von „globaler Zentrierung“. Es geht um die Umsetzung einer globalen (Wettbewerbs-)Strategie, die darauf ausgerichtet ist, mit standardisierten Produkten/Dienstleistungen homogene Marktsegmente zu bedienen. Berücksichtigung finden zwar Alters- und Einkommensgruppen, nicht aber nationale oder lokale Besonderheiten. Typisch ist „eine straff organisierte, zentrale Steuerung der Produktentwicklung, Beschaffungswirtschaft und Fertigung“ (Bartlett 1989: 434). Bartlett nennt dieses Organisationsmodell „zentralisierte Knotenpunktstruktur“ (ebd.), andere verbinden mit global agierenden Unternehmen „global players“ oder „footless enterprises“.152 „Im Zentrum steht die Realisierung einer weitgehend standardisierten Produktgestaltung, eine globale, weltweite Fertigung und eine wirkungsvolle zentrale Leitung der internationalen Betriebseinheiten sowie ein hoher Grad der Entscheidungszentralisierung“ (Funder 1999: 133). Die Basis hierfür lieferten neue Informations- und Kommunikationstechnologien, die eine weltweite Steuerung und Kontrolle aller Produktionseinheiten ermöglichen sollen. Das Ziel ist eine deutliche Reduktion von Kosten, was u.a. durch eine Verringerung der Fertigungstiefe und den Aufbau globaler Zulieferernetzwerke sowie die Nutzung lokaler und regionaler Standortvorteile (geringe Produktions- und Arbeitskosten, niedrige Steuern, günstige Gewerbeflächen) erreicht werden soll. Der Idealtypus weist eine hohe unternehmensinterne Integration auf, jedoch nur eine sehr geringe regionale Differenzierung. Das erstaunt nicht, denn schließlich geht es in globalen Unternehmen um die Produktion standardisierter Güter zu günstigen Konditionen. • Transnationale Unternehmen: Hierunter werden Wirtschaftsorganisationen verstanden, die weltweit verstreute Standorte bzw. Niederlassungen besitzen und daher eine hohe regionale bzw. lokale Differenzierung aufweisen. Zugleich sind sie funktional hoch integriert, was sich in dem Aufbau einer gemeinsamen, netzwerkförmigen, grenzüberschreitenden Arbeitsteilung widerspiegelt. Bartlett hat hierfür schon früh den Begriff des „integrierten Netzwerk-Modells“ (Bartlett 1989: 442) geprägt. Die Organisationsstrategie zielt darauf ab, unternehmensweit möglichst eng miteinander verzahnt zu sein, um Synergieund Skalenvorteile (economies of scale) nutzen zu können, gleichwohl aber durch regionale Standorte eine „local responsiveness“ sicherzustellen (vgl. Dörrenbächer/Riedel 2000). Die Entstehung transnationaler Unternehmen ist einzuordnen in die bereits von Porter (1989) beschriebene, umfassende globale Strategie multinationaler Unternehmen, die sich seit den 1990er Jahren gegen zu weitgehende Verselbständigungstendenzen von Tochterunternehmen sowie deren zu starke Konzentration auf einzelne nationale Märkte richtet. Diesen Entwicklungen soll durch eine grenzüberschreitende, arbeitsteilige Zusammenarbeit im Rahmen von ausdifferenzierten Produktions- und Wertschöpfungsket152

Anzumerken ist, dass die Vorstellung eines Unternehmens, das völlig entkoppelt ist und sich beliebig um den Globus bewegt, nicht der Wirklichkeit entspricht. Siehe hierzu u.a. Sassen (2002), die herausgearbeitet hat, dass selbst international agierende Unternehmen über einen heimischen Standort verfügen und keineswegs gänzlich abgekoppelt vom Einfluss einer Nationalgesellschaft operieren. Selbst das internationale Finanzsystem wird mit Nationalstaaten konfrontiert, die versuchen als Rahmensetzer für internationale Kapitalbewegungen zu fungieren.

6.2 Wandel: Triebkraft Globalisierung

221

ten begegnet werden, ohne auf die Vorzüge lokaler standortspezifischer Einbettung gänzlich zu verzichten. Im Kontext wirtschaftlicher Transnationalisierungsprozesses entsteht eine Vielzahl neuer Verbindungen, Verflechtungen und Entgrenzungen, die zum Teil völlig neuartige Macht- und Konkurrenzverhältnisse, Konfliktpotentiale und Kompromissfindungen hervorbringen. Ob das transnationale Unternehmen sich tatsächlich zum dominanten Unternehmenstypus entwickeln wird, da – wie Bartlett und Goshal (1990) behaupten – es den „one best way“ der Organisationsgestaltung international agierender Wirtschaftsorganisationen darstellt, ist letztendlich eine empirische Frage und bis heute äußerst strittig (zur Kritik vgl. u.a. Ruigrok/van Tulder 1995; Whitley 2001). Kritische Studien weisen darauf hin, dass Unternehmen stets in nationalspezifische „business-systems“ (Whitley 2001) oder „industrielle Komplexe“ (Ruigrok/van Tulder 1995) eingebettet sind, die keineswegs darauf schließen lassen, dass sich ein einheitliches Muster der Unternehmensorganisation herausbilden wird, in dem nationalspezifische institutionelle Settings keine Rolle mehr spielen. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass es trotz der erkennbaren nationalspezifischen Pfadabhängigkeiten und der immer noch vorhandenen Pluralität von Unternehmenskonzepten und -strategien, dennoch zu einer neuen Phase der Internationalisierung gekommen ist. So deuten alle empirischen Studien auf einen qualitativen Wandel in den Organisationsformen und -strategien grenzüberschreitend agierender Unternehmen hin. Unstrittig ist, dass in den 1990er Jahren neue, transnationale, netzwerkförmige Koordinationsformen (Markt- und Organisationsnetzwerke) entstanden sind, die sich durch eine sehr eng verzahnte Form der Integration weltweiter Aktivitäten und eine hoch arbeitsteilige Kooperation zwischen den quasi-autonomen lokalen Unternehmenseinheiten auszeichnen (vgl. auch Teil 4). Um einen spannungs- und konfliktfreien Prozess handelt es sich hierbei nicht, vielmehr nehmen nicht nur die Kommunikations-, sondern auch die Koordinations- und Managementprobleme sowie die nichtintendierten Folgen mit der Komplexität grenzüberschreitender Organisationsstrukturen eher zu als ab. Hirsch-Kreinsen nennt u.a.: „Schwierigkeiten beim länderübergreifenden Transport und der Logistik, Abstimmungs- und Integrationsbarrieren zwischen den Standorten aus verschiedenen Ländern aufgrund unterschiedlicher Organisationsstrukturen, Arbeitsmethoden, Managementpraktiken, generell Unternehmenstraditionen, Widerstände und Beharrungskräfte gegen die Internationalisierung und Integration verschiedener Standorte in einen länderübergreifenden Unternehmensverbund und schließlich die Schwierigkeit die unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der einzelnen Standorte wie etwa die Regelungen der länderspezifischen Systeme der industriellen Beziehungen auf Unternehmensebene miteinander kompatibel zu machen“ (Hirsch-Kreinsen 2009: 233). Die Forschungsliteratur liefert reichlich Belege dafür, dass Transnationalisierungsprozesse nicht reibungslos und ohne Widerstand erfolgen, sondern stets mit interkulturellen, mikropolitischen Konflikten, Koordinations- und Kooperationsproblemen einhergehen, ja mitunter auch Rückverlagerungen zur Folge haben. Transnationale Unternehmen stellen keineswegs einen „one-best-way“ im Kontext einer durch Globalisierungsprozesse geprägten Wirtschaft dar. Obwohl das Wissen über Ursachen, Antriebskräfte und Konsequenzen der Globalisierung sowie auch von Transnationalisierungsprozessen bereits recht groß ist, sind noch viele Fragen offen. Die Wirtschaftssoziologie kommt nicht umhin, sich mit ihnen auseinanderzuset-

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

zen, erst recht wenn man bedenkt, dass es die starken ökonomischen Verflechtungen sind, die viele dieser Prozesse antreiben. Für Beck gibt es keinen Zweifel daran, dass die Weltwirtschaft eine „zentrale Risikoquelle“ in der Weltrisikogesellschaft darstellt (Beck 2007: 359). Und auch Giddens kommt zu dem Schluss, dass „vor allem das globale Finanzwesen zu den treibenden Kräften dieser Entwicklungen“ (Giddens 2001: 25) gehört. Die Auseinandersetzung mit einer transnationalen Wirtschaft und ihren Konsequenzen muss folglich ganz oben auf der Agenda stehen. Da das Schlagwort der Globalisierung (insbesondere der Transnationalisierung) „auf keinen Bereich mehr zu(trifft) als auf die internationalen Kapital- und Finanzmärkte“ (Deutschmann 2008: 151), sind sie Gegenstand der weiteren Ausführungen.

6.2.2

Globale Finanzmärkte

Finanzmärkte gehören nicht erst seit der neuerlichen Krise zu den wichtigsten Forschungsfeldern der neuen Wirtschaftssoziologie. Im Zentrum standen von Beginn an Analysen ihrer sozialen und institutionellen Einbettung sowie sozialen Konstruktion.153 In Anbetracht ihrer wachsenden Bedeutung ist das Interesse sogar gestiegen. In der Wirtschaftssoziologie spielt dabei weiterhin die Erforschung sozialer Mikronetzwerke und globaler Mikrostrukturen eine große Rolle154; darüber hinaus geht es um Auswirkungen des Wandels von (deregulierten) Finanzmärkten auf gesellschaftliche und politische Strukturen und Institutionen. Bevor wir uns mit Aspekten dieser Thematik (These des Finanzmarkt-Kapitalismus) befassen, wird auf die Entwicklung und den Wandel von Finanzmärkten eingegangen. Entwicklung von Finanzmärkten Der Finanzmarkt, worunter Geld- und Kapitalmärkte verstanden werden, gilt als der Idealtypus eines neoklassischen Marktes. Gerade der globale Finanzmarkt sei – so die ökonomische Theorie – aufgrund der vorherrschenden Abkopplung von nationalstaatlichen Grenzen und gesetzlichen Regulierungen in der Lage, dem Preisbildungsmechanismus freien Lauf zu lassen. Allein mit einem solchen Verständnis wird man diesem Phänomen nicht gerecht, vor allem die Wirtschaftssoziologie kann sich damit nicht zufrieden geben, zumal sie ohnehin nicht von einer Loslösung des Marktgeschehens aus sozio-kulturellen Kontexten ausgeht (vgl. u.a. Kalthoff 2010). Begeben wir uns also auf die Suche nach einer Begriffsbestimmung. Dreht sich in der Realökonomie alles um die Produktion von Gütern und Dienstleistungen (Vergangenheitsorientierung), werden – so Windolf (2005: 27) – auf Finanzmärkten in erster 153

154

Ziel dieser Studien ist es, eine soziologische Erklärung für die „Einbettung“ bzw. Rahmung wirtschaftlicher Prozesse zu gewinnen. Finanzmärkte sind danach in soziale Netzwerke eingebettet und können nur dann als Märkte funktionieren, wenn die hier vorherrschende Ungewissheit, wie die in der Regel unvollständigen und unsicheren Informationen, durch die Generierung von Vertrauen, Normen und Regeln wie Institutionen abgefedert wird (vgl. u.a. Baker 1984; Abolafia 1996; Beckert 1997). Über Mikrostrukturen informieren z.B. Studien über globale Konversationsformen im Bereich des Währungshandels (vgl. u.a. Knorr Cetina/Brügger 2002, 2005; Froud et al. 2010). Siehe auch Kalthoff 2007 und Callon/Muniesa 2005. Callon z.B. sieht in Märkten „collective devices“, Elemente des Marktes verknüpfen sich zu Netzwerken und bilden zirkulierende Wissensformen, die Märkte formatieren und (re)konfigurieren.

6.2 Wandel: Triebkraft Globalisierung

223

Linie „Zahlungsversprechungen“ gehandelt, die erst in der Zukunft einzulösen (Zukunftsorientierung) und daher nicht ohne Risiko sind. Es geht also weder um Güter noch um Produkte des Konsums, sondern um den Handel mit Geld (Devisen, Kredite), Wertpapieren (Aktien, Anleihen) oder anderen Finanzkontrakten (Hypothekenkredite, Optionen). Kapitalgeber (wie Banken) erhoffen sich eine Rückzahlung von Krediten (einschließlich Zinserträgen), die sie privaten oder öffentlichen Kreditnehmern zur Verfügung gestellt haben; Investoren hingegen, die Aktien eines Unternehmens besitzen, erwarten möglichst hohe Dividenden. Bei Finanzmärkten handelt es sich im Prinzip um eine „Ökonomie zweiter Ordnung“ (Knorr Cetina/Preda 2005: 4), in der es nicht – wie in der Realwirtschaft – um die Herstellung konkreter Produkte/Dienstleistungen für den Konsum geht, sondern um zukünftige Erträge. Sie sind von zentraler Bedeutung, um die Wirtschaft mit Geld und Krediten zu versorgen. Erfüllen sie die ihnen zugeschriebene „Vermittlungsfunktion“ für die Realwirtschaft nicht, kommt es in der Regel zu ökonomischen Krisen. Die aktuelle Finanzkrise hat diesen Zusammenhang ein erneutes Mal sehr deutlich gemacht. Wirft man einen Blick zurück, zeigt sich, dass Finanzmärkte keine Erfindung des 21. Jahrhunderts sind. In Deutschland übernahmen in erster Linie Banken die Aufgabe, die im Zuge der Industrialisierung entstandenen Industrieunternehmen mit Geld zu versorgen. Insofern zählt Deutschland, wie andere kontinentaleuropäische Länder (z.B. Frankreich, Italien, Schweden) sowie Japan, zu den Ländern, für die ein kreditbasiertes Finanzsystem typisch ist (vgl. u.a. Lütz 2008). Die Kapitalbeschaffung erfolgte hier größtenteils durch Banken, wobei Rahmenbedingungen der Kreditvergabe (z.B. Höhe der Kreditzinsen) entweder von Regierungen oder durch Abstimmungsprozesse zwischen Unternehmen und Banken festgelegt wurden. Die Finanzgeschäfte der Banken, aber auch der Versicherungen, waren in hohem Maße mit dem realwirtschaftlichen Geschehen verknüpft. Es bestanden enge und stabile Verflechtungen zwischen Unternehmen und (Haus-)Banken. Demgegenüber dominierte in den angelsächsischen Ländern (Großbritannien, USA) von Beginn an ein marktbasiertes Finanzsystem, in dem Aktiengesellschaften, Großkonzerne und Trusts, eine große Bedeutung zukam (vgl. u.a. Windolf 2005). Unternehmen finanzieren sich bis heute größtenteils über die Ausgabe von Aktien an private Kunden oder andere Unternehmen. In den USA spielte der Eisenbahnbau, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von privaten Gesellschaften vorangetrieben wurde, eine große Rolle, denn zur Finanzierung benötigten die Eisenbahngesellschaften große Geldsummen, die sie sich durch Anleihen auf dem Kapitalmarkt beschafften. Mit der Gründung der New York Stock and Exchange Board, die 1817 erfolgte, als sich Börsenmakler und Investmentbanker an der Wall Street zusammenschlossen, erfuhr der Aktienhandel ein zunehmend größeres Gewicht (vgl. u.a. Lütz 2002, 2008). Einen tiefgreifenden Einschnitt markierte die Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929, die in den USA zur New Deal Politik der Regierung Roosevelts führte und darauf ausgerichtet war, den nationalen Kapitalmarkt zu reglementieren, um den exzessiven, krisenverursachenden Wettbewerb zu beschränken und zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Massenkaufkraft beizutragen. Auch in anderen Ländern erfolgten Beschränkungen des Wettbewerbs der nationalen Finanzmärkte, um wirtschaftlichen Krisen beizukommen. So trug die weltweite Fi-

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6 Wirtschaft: Varietät und Wandel

nanzkrise zu einer Bedrohung der Wirtschaft bei, genauer: zu der für sie unentbehrlichen Gewährleistung von Zahlungsfähigkeit (vgl. u.a. Beck 2007: 359). Nach dem Zweiten Weltkrieg schufen die westlichen Industrieländer mit dem Abkommen von Bretton Woods im Juli 1944, das in erster Linie zwischen den USA und Großbritannien ausgehandelt und 1947 von 44 Staaten verabschiedet wurde, eine neue Weltwährungsordnung. Sie zielte auf eine Finanzmarktkontrolle durch die Gewährleistung stabiler Wechselkursparitäten ab und sollte dazu beitragen, die Mobilität des Finanzkapitals einzuschränken. Dem US-Dollar kam dabei die Rolle einer Leitwährung zu. Das System basierte auf einem festgelegten Umtauschverhältnis zwischen US Dollar und Gold ($ 35 US Dollar gleich eine Unze Gold). Die beteiligten Staaten verpflichteten sich, den Kurs ihrer Währungen, der vorher mit Blick auf die Leitwährung festgelegt wurde, stabil zu halten und allenfalls Schwankungen in Höhe von plus/minus einem Prozent zuzulassen. Bei zu starken Abweichungen mussten Kredite zur Stützung der eigenen Währung aufgenommen werden, die der eigens zu diesem Zweck gegründete Internationale Währungsfonds (IWF) zur Verfügung stellen sollte. Ebenfalls auf der Konferenz von Bretton Woods gegründet wurde die Weltbank, der entwicklungspolitische Aufgaben übertragen wurden (Kreditvergabe an Entwicklungsländer). Das System von Bretton Woods kann als ein Versuch der politischen Einbettung des Finanzsystems interpretiert werden, um die „Verrücktheit“ der Finanzmärkte bzw. das „mad money“ (Strange 1998) zu begrenzen. Im Prinzip gelang dies sogar eine Zeit lang. Bretton Woods wurde quasi zur Grundlage der „goldenen Jahre des Kapitalismus“.155 Diese zeichneten sich durch vergleichsweise hohe Wachstumsraten und geringe Arbeitslosigkeit sowie eine, verglichen mit der heutigen Zeit, noch relativ geringe Einkommensspreizung aus (vgl. Dullien/Herr/Kellermann 2009: 25). In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre verlor das System von Bretton Woods allmählich an Boden und geriet in den 1970er Jahren in eine tiefe Krise. Die US-Regierung kündigte das Abkommen 1971 einseitig auf, da sie sich aufgrund des wachsenden Zahlungsbilanzdefizits – u.a. ausgelöst durch hohe Militärausgaben infolge des Vietnamkriegs und umfangreicher staatlicher Förderprogramme zur Armutsbekämpfung – nicht mehr in der Lage sah, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Der US-Dollar wurde infolge des Bilanzdefizits einem hohen Abwertungsdruck ausgesetzt; eine Konsequenz war die Dollarflucht. Beigetragen hat hierzu der damalige US-Präsident Nixon mit seiner Ankündigung im August 1971, Dollarguthaben ausländischer Zentralbanken nicht mehr in Gold umzutauschen (sog. Nixon-Schock). Da sich die US-Regierung einer Neuregelung – die mit belastenden Verpflichtungen verbunden gewesen wäre – widersetzte, kam es 1973 zum Zusammenbruch des Systems. Es folgte der Übergang zu einem System flexibler Wechselkurse. Angenommen wurde, dass es hierdurch möglich sei, jedem Land eine autonome Wirtschaftspolitik zuzugestehen.

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Kennzeichnend für diese Phase des Kapitalismus ist die Ausbreitung des Fordismus. Es ist das Zeitalter des Keynesianismus, einer Form der Wirtschaftspolitik, die auf Nachfragesteuerung setzt und so Vollbeschäftigung und damit auch Massenkaufkraft erzielen will, zumal im Massenkonsum ein Antriebsmotor zur Sicherung der Prosperität gesehen wird.

6.2 Wandel: Triebkraft Globalisierung

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Mit der Umstellung ging eine Neuorientierung wirtschaftspolitischer Leitprämissen einher, die in der Abkehr von der weit verbreiteten keynesianischen und der Hinwendung zu einer neoliberalen Wirtschaftspolitik bestand. Der Wandel zeigte sich z.B. in der Politik der internationalen Währungsinstitutionen, dem IWF und der Weltbank, die eine Kreditvergabe an Schuldnerländer zunehmend mit Auflagen verbanden, die auf eine Deregulierung und Liberalisierung der Wirtschaftspolitik des jeweiligen Landes hinauslief. Die Ausrichtung an einer neoliberalen Wirtschaftspolitik spiegelte sich nicht nur, aber ganz besonders, in der nachhaltigen Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte wider, wie etwa in der Öffnung der nationalen Finanzmärkte. In den USA kam es zur Aufhebung von Kapitalkontrollen und Zinsbindungen für Spareinlagen, in Großbritannien zur Abschaffung von Kapitalverkehrskontrollen sowie zur Öffnung der Londoner Börse für ausländische Wertpapiere; in Deutschland156 wurden Zulassungsbeschränkungen für ausländische Anleger und Kapitalsteuern abgebaut. Als weitere Maßnahmen sind die Zulassung von Hedgefonds und die steuerliche Förderung von bestimmten Private-Equity-Investoren auf dem deutschen Markt (ab 2004) zu nennen (vgl. u.a. Lütz 2002; Dullien/Herr/Kellermann 2009; Herr 2009). In diesen Kontext können auch die auf der europäischen Ebene zu beobachtenden Liberalisierungsmaßnahmen von Kapitalverkehrskontrollen eingeordnet werden, die Teil des Programms zur Schaffung eines europäischen Binnenmarktes sind. Auszumachen ist ein klarer Trend zum Abbau von Regulierungsmaßnahmen, d.h. von Barrieren, die einem integrierten europäischen Kapitalmarkt entgegenstehen. Vor diesem Hintergrund erfolgte 1999 die Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung, zunächst als Buchgeld, drei Jahre später als Bargeld. Lütz bezeichnet die neue Währung sogar als „Katalysator für weitere Liberalisierungsschritte zum Abbau von Regulierungsunterschieden zwischen den einzelnen Segmenten des Banken-, Wertpapier- und Versicherungssektors“ (Lütz 2008: 350). Zudem bestimmen verstärkt institutionelle Anleger, wie Versicherungen, Pensions- und Investmentfonds, das Geschehen auf den Finanzmärkten mit, die nicht nur Interesse an einer „anlegerfreundlichen Unternehmensverfassung“ (ebd.), sondern auch an neuen Finanzprodukten bzw. renditeträchtigen Anlagemöglichkeiten haben. Institutionelle Anleger verwalten mittlerweile enorme Vermögen: Allein zwischen 1985 und 1995 stieg das von ihnen verwaltete Vermögen weltweit um das Dreieinhalbfache auf 21 Billionen Dollar (vgl. Huffschmid 2002: 82). Alles in allem kommt es in den 1980er und 1990er Jahren zu einer raschen Verbreitung der Leitidee der Deregulierung und Liberalisierung, die auf eine zunehmende Öffnung nationaler Finanzsysteme hinausläuft und damit völlig neue Möglichkeiten für Geld- und Kreditgeschäfte, z.B. Spekulationsgeschäfte mit Zins- oder Wechselkursdifferenzen (Handel mit Derivaten), eröffnet. Neben klassischen Kreditgeschäften tritt eine Reihe neuer Formen des Handels, wie etwa der Handel mit Wertpapieren (Investmentbanking), die nicht auf Langsondern Kurzfristigkeit abzielen. An Bedeutung und vor allem Dynamik zugenommen hat das Geschäft mit Devisen. Vergleicht man die täglichen Umsätze auf den Devisenmärkten

156

In Deutschland erfolgte die Deregulierung der Finanzmärkte später als in anderen Ländern. Zu nennen sind z.B. die Abschaffung der Börsenumsatzsteuer in den 1990er Jahren sowie eine Reihe von Neuregelungen, die Ende der 1990er Jahre erfolgten, wie das Finanzmarktförderungsgesetz, das Anlagemöglichkeiten im Bereich der Derivate für Kapitalanlagegesellschaften erweitert, die Reduktion der Körperschaftssteuer sowie die Steuerbefreiung im Falle von Veräußerungsgewinnen von Kapitalgesellschaften usw.

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des Jahres 1989 mit denen des Jahres 2007, ist eine Steigerung um mehr als das Fünffache zu erkennen (1989: 590 Mrd. US-Dollar; 2007: 3.210 Mrd. US-Dollar) (vgl. Dullien/Herr/ Kellermann 2009: 50). Seit den 1980er Jahren ist die Globalisierung der Finanzbeziehungen stetig fortgeschritten, was sich nicht nur an der räumlichen Expansion von Finanzgeschäften festmachen lässt, sondern auch in einem qualitativen Strukturwandel des Finanzsystems zum Ausdruck kommt. Die Folgen sind – wie die globale Finanzkrise gezeigt hat – für die Realwirtschaft (Unternehmensinsolvenzen, Arbeitslosigkeit usw.) und weit darüber hinaus (Destabilisierung ganzer Staaten) beträchtlich. Bild 9: Fallende Aktienkurse (Fotograf: Boris Roessler)

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Charakteristika des globalen Finanzsystems Das Finanzsystem hat sich – nicht zuletzt aufgrund neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, die zu einer Digitalisierung und enormen Ausweitung der Finanzmärkte beitrugen – zu einem immer schwerer zu durchschauenden Konstrukt entwickelt, das äußerst fragil und krisenanfällig ist. Finanzkrisen sind im Kapitalismus zwar nichts Ungewöhnliches und in den letzten Jahrhunderten immer wieder aufgetreten, sie haben aber offenbar eine neue Qualität erreicht. Beobachtet wird eine historisch beispiellose Entkopplung „von Eigentum und unternehmerischer Tätigkeit“ (Deutschmann 2010: 653). Ausgemacht wird eine tief greifende Veränderung des gesamten Finanzsystems, die eng verknüpft ist mit der rasanten Beschleunigung der Märkte, dem Wandel der internationalen Finanzbeziehungen und der Entstehung globaler, weitgehend unregulierter Finanzmärkte. Zu den Charakteristika des neuen globalen Finanzsystems gehören: 1.

2.

Neue Leitbilder: Ein nicht gerade unwichtiger Katalysator für den Wandel des Finanzsystems stellt das Aufkommen neuer Leitbilder und die Aufwertung liberaler Theoriekonzepte dar (vgl. u.a. Beyer 2010: 313 f.; Dullien/Herr/Kellermann 2009: 38 ff.). In den Vordergrund rückten zum einen ökonomische Denkansätze rationaler Erwartungen, wie etwa die Vorstellung von effizienten Finanzmärkten (u.a. Fama 1970; Lucas 1981), und zum anderen stützten sich die Akteure zunehmend auf finanzwissenschaftliche Theorien. D.h. zu beobachten ist seit den 1980er Jahren eine Zunahme von Finanzmathematikern bei Banken und Versicherungen, denen es offensichtlich gelang, auf Basis mathematischer Berechnungen und Computersimulationen den Eindruck zu vermitteln, sie seien in der Lage, Preise, Risiken, Chancen und Kursverläufe treffsicher zu prognostizieren und immer komplexere Finanzderivate zu entwickeln (Münch 2009: 282 f.). Darüber hinaus veränderten sich Leitlinien der Unternehmensführung. Im Zentrum steht nunmehr eine „shareholder value conception of the firm“ (Fligstein 2009), die eine strikte Ausrichtung an der Maximierung von Aktionärsgewinnen vorsieht. Die aktionärsorientierte Praxis der Unternehmensführung zielt auf eine optimale Kursentwicklung von Unternehmen ab, zu deren Durchsetzung radikale Restrukturierungen und selbst „feindliche Übernahmen“ von Wettbewerbern ein probates Mittel sind. War diese Leitvorstellung bislang primär in liberalen Marktwirtschaften vorherrschend, findet sie seit den 1990er Jahren zunehmend Verbreitung; auch in Deutschland (vgl. Beyer 2006, 2010). Renditeziele werden immer wichtiger und je höher sie gesetzt werden, desto attraktiver erscheinen die jeweiligen Unternehmen den Anlegern. Folgt man Froud et al. (2000, 2006), dann haben Unternehmensberatungen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit dazu beigetragen, dass sich diese aktionärsorientierte Sichtweise im Management von Unternehmen durchsetzen konnte. Diese Entwicklung wird mit dem Begriff der „Finanzialisierung“ beschrieben, womit eine grundlegende Neuorientierung von Unternehmensstrategien gemeint ist, die einzig und allein am Börsengeschehen ausgerichtet werden sollen. Typisch ist die Fokussierung auf finanzmarktrelevante Kennziffern. Was zählt sind aussichtsreiche Produktbereiche, eine ausgeprägte Kurzfristorientierung sowie massiv erhöhte Renditeerwartungen. Neues Steuerungszentrum: Aktienmärkte bilden das neue Steuerungszentrum der Finanzmärkte (vgl. u.a. Windolf 2005). Im Vordergrund steht die Frage der „Kapitalisierung“, denn zentral ist der Profit, den ein Unternehmen in den nächsten Jahren erreichen

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3.

4.

6 Wirtschaft: Varietät und Wandel kann. Erwartungen spielen dabei eine entscheidende Rolle, wenngleich eine genaue Vorhersage über die Ertragsentwicklung eines Unternehmens auch nicht möglich ist. Aktienmärkte basieren auf Erwartungs-Erwartungen, einer Vielzahl von Erwartungen von Finanzmarktakteuren, die zu einer Erwartung (dem aktuellen Aktienkurs) verdichtet wird. Der Verlauf von Aktienkursen spiegelt somit im Grunde nichts anderes wider als die Erwartungs-Erwartungen zukünftiger Profitabilität; zyklische Über- wie Unterbewertungen – Finanzkrisen – sind daher nichts Ungewöhnliches. Es zeichnet sich eine Dynamik ab, der zufolge der Markt „permanent seine eigenen Erwartungen – in der einen oder in der anderen Richtung“ (Windolf 2005: 31) – verstärkt; man spricht auch vom „looking glass-Effekt“. Einen machtvollen Akteur, der in der Lage ist, den Finanzund Kapitalströmen in eine Richtung zu lenken, gibt es nicht, denn niemand ist fähig, globale (Finanz-) Marktrisiken zu kontrollieren. Neue Eigentumsverhältnisse: Zu den wesentlichen Faktoren, die für die qualitativen Veränderungen der Finanzmärkte verantwortlich gemacht werden, gehören auch der Wandel der Besitzverhältnisse und die zunehmend breitere Streuung von Eigentumsrechten, insbesondere in Form von Aktien, sowie das damit verbundene Aufkommen neuer zentraler Akteure, wie Pensions- und Investmentfonds. Aktien und Fondsanteile besitzen nicht nur die neuen institutionellen Anleger (z.B. Versicherungsgesellschaften, Pensions- und Investmentfonds), sie befinden sich zum Teil auch in der Hand von Privatkunden. Der Begriff der „Aktionärsdemokratie“ ist dennoch stark übertrieben, da Kleinaktionäre aufgrund ihrer geringen Stimmanteile kaum eine Chance haben, ihre Interessen durchzusetzen (vgl. u.a. Deutschmann 2008). Demgegenüber sind institutionelle Anleger sehr wohl in der Lage, Einfluss auf die Finanzmärkte und die Geschäftspolitik bzw. strategische Ausrichtung von Unternehmen auszuüben. Fonds-Manager sind „zu neuen Schlüsselfiguren im Machtspiel der ‘Corporate governance’“ (ebd.: 155) geworden, da sie auf Eigentumsverhältnisse und Unternehmensentscheidungen einwirken können. Zudem nutzen sie ihre Position, „um stattliche Gehälter und Erfolgsbeteiligungen einzustreichen“ (ebd.). Eng damit verknüpft ist das Interesse an hohen kapitalmarktorientierten Renditen und entsprechend rentablen Anlagen bzw. Investitionsobjekten, wobei selbst vor rein spekulativen Kapitalverwertungsstrategien nicht halt gemacht wird. Folglich sind Finanzmärkte nicht gefeit vor der Bildung von Spekulationsblasen. Die partielle Entkoppelung von Finanz- und Realökonomie, Kapital- und Produktmärkten spiegelt sich in den bereits erwähnten, immer wiederkehrenden Über- und Unterbewertungen von Anlageobjekten wider, die am Ende zumeist zu stets platzenden Blasen bzw. Börsencrashs führen. Sie sind daher keineswegs eine „irrationale Anomalie“, sondern – wie Windolf (2005) hervorhebt – geradezu ein Wesensmerkmal globaler Finanzmärkte und damit auch des so genannten Finanzmarkt-Kapitalismus. Neue Anleger: Zu den zentralen Akteuren auf den globalen Finanzmärkten gehören institutionelle Anleger, wie Großbanken, Versicherungskonzerne, Pensions- und Investmentfonds. Die von ihnen verwalteten Fonds übersteigen in einigen Ländern (z.B. USA, Großbritannien oder Luxemburg) schon längst das jährliche Bruttosozialprodukt (vgl. u.a. Huffschmid 2002). Damit sind sie zu einflussreichen Akteuren geworden, die durch ihre Finanztransaktionen nicht nur Einfluss auf die Finanzmärkte, sondern auch auf die Realwirtschaft haben. Investmentfonds entscheiden über den Kauf oder Verkauf von Aktien und können jedem Unternehmen, das zur Aktiengesellschaft geworden ist und

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6.

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nicht den Rendite-Erwartungen entspricht, jederzeit damit drohen, aus dem Unternehmen auszusteigen („Exit“-Option), so dass am Ende die Zerschlagung und der Verkauf stehen könnte. Damit können sie großen Druck auf Unternehmen entfalten, sich an einer Shareholder-Value-Politik zu orientieren, die primär auf die Erhöhung von Renditen abzielt. Dass – wie Deutschmann (2008: 156) konstatiert – diese „geballte Kapitalmacht“ der Investmentfonds selbst von Regierungen nicht einfach ignoriert werden kann, ist daher nicht überraschend. Die Chancen nationaler Regierungen, sich einer Deregulierung und Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs gänzlich zu verweigern, sind in der Regel nicht sehr groß. Die Verbreitung des Leitbilds eines effizienten Liberalismus – als bestmögliches ökonomisches System – hat diese Entwicklung verstärkt: „Einmal begonnen, hat die Deregulierung der Märkte und die mit ihr verknüpfte Entmachtung der Politik einen sich selbst verstärkenden Effekt“ (ebd.). Ob es sich hier nur um „Alarmismus“ (Berger 2008) handelt, der bei Licht betrachtet weit überzogen ist, ist eine Frage, auf die noch einzugehen sein wird. Neue Akteure: Ein weiteres zentrales Element globaler Finanzmärkte wird in dem Bedeutungszuwachs von Wirtschaftsprüfern, Analysten und Rating-Agenturen gesehen, die quasi zur Infrastruktur gehören. Ihnen kommt als Informations- bzw. Wissensvermittler eine „boundary role“ zu, denn sie liefern die für Anlageentscheidungen relevanten Daten, Informationen und Bewertungen. Sie beeinflussen sowohl die Anlagestrategien von Kapitalbesitzern (Fonds usw.) als auch die Ausrichtung von Unternehmensstrategien, da sie zur „Erwartungsbildung“ im Hinblick auf die Entwicklung von Anlageobjekten, wie Optionen, Aktien usw., beitragen (vgl. Deutschmann 2008: 156). Während Analysten die Aufgabe haben, Einschätzungen über die Gewinnerwartung von Unternehmen zu erstellen, an denen sich potentielle Anleger orientieren, also im Prinzip nichts anderes als Kauf- wie Verkaufsempfehlungen abgeben, beurteilen Rating-Agenturen die Zahlungsfähigkeit von Unternehmen, die vom Finanzmarkt abhängig sind. Sie informieren anhand einer Stufenskala, die von der positiven Bewertung eines AAA bis zum negativen D reichen kann, über die Bonität von Unternehmen und üben damit großen Einfluss auf den Aktienkurs aus. Wenngleich diese Akteure mittlerweile kritisch hinterfragt werden, werden sie nach wie vor als „Deutungsautoritäten“ (Kädtler 2010) wahrgenommen, auf deren Bewertung Bezug genommen wird, um in Anbetracht der auf Finanzmärkten vorherrschenden Ungewissheit handlungsfähig zu sein. Dass hier Sicherheit nicht garantiert, sondern nur suggeriert wird, belegen die sich ständig wiederholenden Krisen. Neue Rahmenregelungen: Der qualitative Wandel der Finanzmärkte begann mit dem beschriebenen Übergang zu flexiblen Wechselkursen sowie der Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte. Damit haben sie sich sukzessive von nationalen Kontexten gelöst und einer Internationalisierung der Finanzgeschäfte Vorschub geleistet. Ursächlich hierfür sind der Abbau von Kapitalverkehrsbeschränkungen und die Aufhebung nationaler Regelungen. Kurzum: Ohne politische und entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen, die auf die Rücknahme nationaler Regulierungen abzielten und damit die Förderung des Aufbaus und der Entfaltung eines freien (globalen) Finanzmarktes vorangetrieben haben, wäre der Strukturwandel des Finanzsystems wohl kaum möglich gewesen.

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Im Zuge dieser Entwicklungen ist – wie u.a. Windolf, Dörre/Brinkmann und Deutschmann konstatieren – ein Finanzmarkt-Kapitalismus entstanden, der sich durch spezifische Leitbilder (Shareholder-Value-Orientierung), eine zunehmende Bedeutung institutioneller Investoren (Versicherungen, Pensions- und Investmentfonds) sowie von Aktionärsinteressen auszeichnet. So wurden auf Finanzmärkten zunehmend „Derivate und andere sekundäre Finanzprodukte mit spekulativem Charakter“ (Deutschmann 2010: 643) gehandelt. Schließlich erwarten „Millionen von Aktien- und Fondsanteilbesitzer (…) Erträge auf ihr Geld, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wo die Schuldner herkommen sollen und ohne selbst ein unternehmerisches Risiko zu übernehmen“ (ebd.: 653). Das ist – so Deutschmann – im Grunde „wirklichkeitsfremd“ und führt zu Widersprüchen und permanenten krisenhaften Zuspitzungen. Mithin sind auf Finanzmärkten Banken sowie Fondgesellschaften tätig, die sich dort wie „Fische im Wasser, besser wie Hechte im Karpfenteich (bewegen, M.F.), denn mit dem Wegfall der national-staatlichen Regulierungen des Kapitalverkehrs haben nicht nur die Anlageoptionen, sondern die Gelegenheiten für Betrug und Korruption stark zugenommen“ (ebd.: 643). So hat sich eine immer schneller drehende Spekulationsspirale in Gang gesetzt, die in einer globalen Finanzkrise mündete. Sie zeigt, dass in Anbetracht der Vielzahl nur schwer vorab zu bestimmender Faktoren, der Ausgang von Finanztransaktionen höchst ungewiss und weitgehend unberechenbar ist. Das erstaunt nicht, wenn man davon ausgeht, dass der Finanzmarkt auf Erwartungs-Erwartungen basiert. Ökonomisches Verhalten hängt stets von Erwartungen ab, die auf Erwartungen über das künftige Geschehen beruhen; was nicht gerade für die Rationalität von Finanzmärkten spricht. Problematisch ist das Ganze, weil der Finanzmarkt Risiken erzeugt, die auch jene Treffen, die nicht in der Lage sind, Entscheidungen auf den Finanzmärkten zu beeinflussen, aber mit den Auswirkungen konfrontiert werden, die von ihnen – so Vogl (2011) – als elementare Gefahren wahrgenommen werden. Besonders die letzte Finanzkrise hat sichtbar gemacht, mit welchen Risiken das globale Finanzsystem – nicht nur für das Wirtschaftssystem – verbunden ist. Ob mit der Entstehung des Finanzmarkt-Kapitalismus das Kästchen der Pandorra geöffnet und Geister freigesetzt wurden, die sich nicht mehr einfangen lassen, ist bis heute Gegenstand kontroverser Debatten geblieben. So ist noch weitgehend offen, ob es tatsächlich zu einer völligen Abkopplung des Finanzsystems von der realen Ökonomie kommen wird oder ob die Chancen auf eine politische Einhegung des Finanzsystems gerade in Anbetracht der vergangenen Exzesse auf den Finanzmärkten wieder gestiegen sind.

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Wirtschaft(ssoziologie) in ungewissen Zeiten – ein Ausblick

Die Suche nach soziologischen Erklärungen für wirtschaftliche Phänomene treibt die Wirtschaftssoziologie bis heute an. Konfrontiert wird sie dabei mit einer durch die gegenwärtigen Transformationen ausgelösten „neuen Unübersichtlichkeit“ (Habermas 1985). Wir leben in einer Zeit, die durch gesellschaftliche Umbrüche, Widersprüche und Paradoxien geprägt ist. Strukturen und Spielregeln der Wirtschaft bleiben hiervon nicht unberührt und geraten zunehmend unter Veränderungsdruck, der vielfältige Ursachen hat, zu denen auch Globalisierungs- und Transnationalisierungsprozesse gehören. Basisinstitutionen und Leitbilder der „organisierten Moderne“ (Wagner 1995) weisen bereits erste Erosionserscheinungen auf, die auf den ersten Blick durchaus „in einem günstigen Licht erscheinen“, da sie mit „Trends zur Entbürokratisierung öffentlicher Dienste, zur Enthierarchisierung betrieblicher Organisationsformen, zur Enttraditionalisierung der Geschlechter- und Familienbeziehungen, zur Entkonventionalisierung von Konsum- und Lebenstilen“ (Habermas 1998: 132) verbunden sind. Jedoch besteht – so Habermas – „kein Grund, die Öffnung der organisierten Moderne blauäugig zu feiern“ (ebd.: 133), denn der Wandel hat eine Kehrseite: die „Flexibilisierung“ von Arbeitsbiografien verbirgt eine „Deregulierung des Arbeitsmarktes“ und mit einer „Individualisierung der Lebensläufe“ geht eine nicht immer freiwillige „Mobilität“ einher, die langfristige Bindungen zerstören kann; zudem spiegelt sich in der „Pluralisierung der Lebensformen (…) auch die Gefahr der Fragmentierung einer Gesellschaft, die ihren Zusammenhalt verliert“ (ebd.). Soeffner (2010) spricht davon, dass in den spätindustriellen Gesellschaften des Westens ein Zeitalter der Sicherheit zu Ende geht. Einen Anlass zu apokalyptischen Szenarien und übertriebener Krisenrhetorik sieht er allerdings nicht, dennoch gibt es seines Erachtens allen Grund in den vielfältigen und widersprüchlichen Ereignissen neue Herausforderungen zu sehen und Perspektiven für eine aktive Gestaltung optionaler Handlungsräume auszuloten. Schließlich handelt es sich bei gesellschaftlichen Transformationsprozessen keineswegs um Naturereignisse, vielmehr ist es – so Dölling – „eine soziologische Binsenweisheit“, dass die Gesellschaft und folglich auch ihre „Institutionen und Organisationen nur durch das beständige praktische Handeln der in ihnen Tätigen existieren“ (Dölling 2010: 598). Dies gilt selbstverständlich auch für Institutionen und Organisationen der Wirtschaft, ihre Genese sowie aktuelle Umbrüche. Der Wirtschaftssoziologie war es ohnehin von Beginn an ein Anliegen, die Konstitution der Wirtschaft als ein „soziales Konstrukt“ zu beschreiben und wirtschaftliches immer auch als soziales Handeln zu betrachten, das sich nicht aus der

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Natur der Sache ergibt (vgl. Baecker 2006). Bereits Max Weber richtete seinen Blick auf das Handeln von Akteuren und verknüpfte die Genese des modernen, rationalen Betriebskapitalismus mit kulturellen, sozialen und politischen wie institutionellen Wandlungsprozessen. Wie gezeigt, handelte es sich bei der Wirtschaft nicht von Beginn an um ein relativ autonomes „Feld“ (Bourdieu) bzw. selbstreferenzielles Teilsystem (Luhmann). Historisch betrachtet ist – folgt man etwa Polanyi – die Herausbildung der modernen Wirtschaft und ihre Verselbständigung zu einem eigenständigen Subsystem der Gesellschaft eng verbunden mit der Entbettung des Wirtschaftens aus der engen Verzahnung mit sozialen Gemeinschaften und der Auflösung der traditionalen feudalen Produktionsweise, die in Anbetracht des in dieser Zeit vorherrschenden Patriarchalismus, der Gewaltherrschaft und Leibeigenschaft, nicht idealisiert werden sollte. Die Genese des ökonomischen Feldes bzw. des Teilsystems Wirtschaft lässt sich als eine Geschichte von Differenzierungs- und Verselbständigungsprozessen lesen, die – wie Bourdieu (2002) es formuliert – zur Konstituierung eines spezifischen Spiels mit einer eigenen Logik und eigenen Regeln („Eigengesetzen“) geführt hat. Im Zuge dieser Entwicklung hat sich das ökonomische Feld allmählich zu einem „Kampffeld“ formiert, in dem um die besten Positionen gerungen wird. Dabei geht es in erster Linie um Marktanteile, Konkurrenz- und Standortvorteile, technologische Vorsprünge usw. Kurzum „die Sphäre des kommerziellen Austauschs“ hat sich im Laufe der Zeit sukzessive von den anderen Bereichen der Existenz abgespalten und so werden die ökonomischen Transaktionen „nicht mehr nach dem Modell des häuslichen Austauschs, also von sozialen oder Familienpflichten geleitet“, sondern in erster Linie von „individuellen Profitkalkülen“ bzw. ökonomischen Interessen (Bourdieu 2002: 188). Die Trennung von Produktion und Konsumtion, die Entstehung von Privateigentum, hierarchisch strukturierten Unternehmen und Märkten (insbesondere Arbeitsmärkten), das Streben nach Kapitalrentabilität, permanentem Wachstum und der technische Fortschritt haben der modernen kapitalistischen Marktwirtschaft schließlich zu ihrem Durchbruch verholfen. Sie hat mittlerweile eine Vielzahl von Varianten bzw. Spielarten ausgebildet, angefangen von der koordinierten Marktökonomie über die liberale Marktökonomie bis hin zum kommunistischen, staatlich gelenkten Kapitalismus und diversen anderen Mischformen. Unterschieden werden mal nur zwei, mal drei und mal fünf verschiedene Kapitalismusmodelle (vgl. u.a. Albert 1992; Hall/Soskice 2003; Amable 2003; Crouch 2005). Wenngleich es auch nach wie vor Formen der Subsistenzwirtschaft gibt, haben sie weder den Verbreitungsgrad noch die Wirkungsmacht kapitalistischer Marktwirtschaften erzielen können. Ob dies tatsächlich als ein Indiz dafür betrachtet werden kann, dass es sich bei der kapitalistischen Organisation der Wirtschaft um die „beste aller Welten“ handelt, zu der es aufgrund der unschlagbaren Effizienz, Leistungsfähigkeit und Liberalität des Marktmodells als Verteilungsmechanismus keine Alternative gibt, ist dennoch eine strittige Frage geblieben. In Anbetracht der Erfahrungen mit den gescheiterten planwirtschaftlichen Modellen gehört das Nachdenken über andere Wirtschaftsmodelle gegenwärtig jedoch nicht zum Mainstream; gleichwohl wird aber in Anbetracht aktueller Krisen über Möglichkeiten und Chancen einer politischen Einbettung von Märkten diskutiert. Rückblickend hat sich die kapitalistische Marktwirtschaft allen Selbstzerstörungsthesen und Instabilitäten zum Trotz als äußerst überlebens- und wandlungsfähig erwiesen. Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Aufrechterhaltung der ökonomischen Spielregeln – der Illusio (Bourdieu 2002) – haben unterschiedliche Legitimations- und

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Rechtfertigungsideologien geleistet. Schon Weber hat auf die Wirkungsmacht verwiesen, die dem „Geist des Kapitalismus“ zukommt, der maßgeblich zur Herausbildung einer spezifischen Arbeits- und Lebensauffassung beigetragen hat, die zum Transmissionsriemen des rationalen Betriebskapitalismus wurde. Dass der frühe Geist des Kapitalismus sich im Laufe der Zeit verändert hat, zeigen Boltanski und Chiapello (2003), die einen „neuen Geist des Kapitalismus“ ausmachen und in diesem Zusammenhang auf die generelle Notwendigkeit einer Rechtfertigungsideologie verweisen, die ein – wie sie es nennen – in vielerlei Hinsicht „absurdes System“ erfordert, um alle Protagonisten zum Mitmachen zu motivieren, denn das ist nicht gerade selbstverständlich. Ohne eine entsprechende Ideologie bzw. Illusio kann das ökonomische Spiel offenbar nicht gespielt werden, selbst die „grundlegendsten ökonomischen Dispositionen, Bedürfnisse, Präferenzen, Neigungen – zur Arbeit, zum Sparen, zum Investieren usw. – sind nicht exogen, d.h. von einer allgemein-menschlichen Natur abhängig, sondern endogen und abhängig von der Geschichte, nämlich von jener des ökonomischen Kosmos, worin sie gefordert und belohnt werden“ (Bourdieu 2002: 190). Während die einen – allen voran Adam Smith – mit der Entstehung der modernen Wirtschaft Wohlstand, Wachstum und Spielräume individueller Freiheit verbinden, betonen andere primär die zerstörerische Seite, die weder vor den Subjekten noch vor der Natur halt macht. Dux (2008) z.B. lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Logik des kapitalistischen Systems Millionen von Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt hat und Gerechtigkeit vom ökonomischen System nicht zu erwarten ist. So macht er im Rahmen seiner Studie eine Differenz zwischen dem Wunsch an gesellschaftlicher Teilhabe und der Chance, ein den Sinnvorgaben der Moderne entsprechendes Leben führen zu können, auf der einen Seite und der Logik der Kapitalakkumulation, die ganz anderen Spielregeln gehorcht, auf der anderen Seite aus. Dux zufolge kann Gerechtigkeit, worunter nicht die Gleichheit der Lebenslage verstanden wird, nur hergestellt werden, wenn diese Lücke geschlossen wird. Sein Gleichheitspostulat besteht somit darin, „die Gesellschaft politisch so zu gestalten, dass alle in der Gesellschaft die Möglichkeit haben, in ihrer Lebensführung den Sinnanforderungen der Gesellschaft nachkommen zu können“ (Dux 2010: 779). Ob der von ihm vorgeschlagene sozialund arbeitsmarktpolitische Weg der Richtige ist, vorgeschlagen wird ein integratives Konzept aus negativer Einkommenssteuer, Grundsicherung und Zuverdienst, um zu einer intelligenten Entkopplung von Arbeit und Einkommen zu gelangen, kann nur eine eingehende Prüfung klären. Dux reiht sich damit auf jeden Fall in die Riege derer ein, die die Strukturen und Spielregeln der kapitalistischen Marktwirtschaft äußerst kritisch betrachten, während andere ihr – etwa im Vergleich mit planwirtschaftlichen Systemen – durchaus eine Reihe von Vorzügen attestieren, zumal sie im Markt einen leistungsfähigen Allokationsmechanismus sehen. Kritische Stimmen betonen demgegenüber, dass sich seit den Analysen Polanyis zur „Great Transformation“ das Risiko einer zu weit getriebenen Entbettung der Wirtschaft – mit all seinen sozialen aber auch systemischen Folgen – nicht kleiner geworden ist; im Gegenteil, mit der wirtschaftlichen Globalisierung der Märkte – insbesondere der Finanzmärkte – hat sie sogar eine neue Qualität erfahren und beeinflusst die Volkswirtschaften in einem bisher unbekanntem Ausmaß (vgl. u.a. Beck 1997; Habermas 1998). Damit bleibt die Frage aktuell, ob sich das kapitalistische Wirtschaftssystem bändigen lässt, der globalisierten Ökonomie eine politische Rahmenordnung vorgegeben werden kann und vielleicht sogar moralische Standards in das ökonomische System einfließen können; wovon z.B. Stehr (2007) und Wie-

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land (2010) ausgehen, wenn sie von einer Moralisierung der Märkte und einer Ethik der Weltwirtschaft sprechen. Ob ein solcher Wandel überhaupt möglich ist und Chancen zur Durchsetzung einer Corporate Social Responsibility-, Corporate Citizenship- und Sustainable-Bewegung bestehen, wird sicherlich eine Streitfrage bleiben. Insgesamt gesehen sind die Herausforderungen an wirtschaftssoziologische Analysen im Zeitalter der Globalisierung und Transnationalisierung – der „Epoche der Weltrisikogesellschaft“ (Beck 2007) – demnach nicht gerade geringer geworden und werden die Wirtschaftssoziologie weiter in Atem halten. Ein aktuelles Beispiel stellt die Finanzkrise und die eng damit verwobene Debatte über die Ausbreitung des Finanzmarkt-Kapitalismus dar, auf die im Weiteren eingegangen werden soll, denn hier lässt sich – quasi wie in einem Brennglas – viel zum Thema der sozialen Konstruktion von Wirtschaft und Gesellschaft ablesen. Im Zentrum steht dabei vor allem eine Frage: Hat sich – angetrieben durch die Globalisierung – ein Finanzmarkt-Kapitalismus herausgebildet, der nicht nur die Grundprämissen und Spielregeln der Wirtschaft neu bestimmt, sondern schon längst auch andere gesellschaftliche Bereiche neu justiert? Für eine Reihe von AutorInnnen steht die Antwort bereits fest: Es gibt ausreichend Indizien für die Entstehung eines Finanzmarkt-Kapitalismus, der eine qualitativ neue, „weitere Stufe in der Evolution kapitalistischer Produktionsregime“ begründet (Windolf 2005: 52; Dörre/Brinkmann 2005; Deutschmann 2008; Dörre 2009). Im Finanzmarkt-Kapitalismus wird geradezu eine Triebkraft für die Verbreitung eines „flexiblen Produktionsmodells“ gesehen, das die Konturen des Post-Fordismus nachhaltig prägen und – folgt man z.B. Deutschmann (2010), Dörre (2009) und Castel (2009) – auf eine zunehmende Verunsicherung sowie eine Verstärkung sozialstruktureller Ungleichgewichte hinauslaufen wird. Angenommen wird, dass marktförmige Steuerungslogiken und die Orientierung an Finanzkalkülen in immer mehr gesellschaftliche Bereiche eindringen, so dass die „finanzkapitalistische Wettbewerbslogik“ am Ende die gesamte Gesellschaft in ihren Bann zieht und grundlegend verändert (vgl. u.a. Dörre 2009). Demnach findet derzeit ein sukzessiver, durch die Leitlinien des Finanzkapitalismus bestimmter Wandel statt, der selbst vor der Lebenswelt nicht halt macht. Strukturprinzipien des Finanzmarkt-Kapitalismus, wie die Marktlogik, Shareholder-ValueSteuerung und das Regime der Kurzfristorientierung, bestimmen folglich zunehmend auch die nichtökonomischen Subsysteme der Gesellschaft, wie etwa die Bildung, Wissenschaft, Gesundheit und Kultur. Nicht verschont wird dabei auch die Lebenswelt, was in einer schon häufig beschriebenen „Ökonomisierung des Sozialen“ zum Ausdruck kommt, mit der nicht nur Dölling eine „neuartig figurierte Unterordnung der privaten Sphäre, der Belange und Bedürfnisse der familiär regulierten individuellen und generativen Reproduktion unter die Anforderungen an die postfordistische Arbeitskraft, deren flexible Verfügbarkeit und Mobilität“ (Dölling 2010: 596) verbindet. Mit der Ausrichtung am Shareholder-Value hat sich diese Debatte noch einmal verschärft, wobei vor allem das mit ihm verbundene Regime der Kurzfristigkeit als folgenreich bewertet wird, denn es bedroht – so Sennett – „jene Charaktereigenschaften, die Menschen aneinander binden und dem einzelnen ein stabiles Selbstgefühl vermitteln“ (Sennett 1998: 31). Ob das Szenario einer nicht aufzuhaltenden, am Ende alles durchdringenden ökonomischen Logik zutreffend oder weit überzogen ist, ist die Frage.

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Richtig ist sicherlich, dass Finanzkrisen einen Beleg für die Durchschlagskraft des Finanzmarktes auf die Realökonomie liefern. So hat die im Jahre 2008 geplatzte US-amerikanische Immobilienblase eine globale Finanzkrise – und im Anschluss daran vielerorts auch eine Wirtschaftskrise – ausgelöst, die in ihrer Tragweite immer noch nicht gänzlich erfasst und zeitweise sogar mit der Frage verbunden wurde, ob sie einen „Kollaps des liberalen Kapitalismus“ (Münch 2009: 266) auslösen wird. Wie einschneidend sie wahrgenommen wird, davon zeugt der in diesem Zusammenhang häufig verwendete Begriff „Kernschmelze“ (meltdown), der wohl am deutlichsten den Aspekt der neuen ökonomischen Ungewissheit sowie vor allem das Zerstörungspotential, das der jüngsten Finanzkrise zugeschrieben wird, zum Ausdruck bringt (vgl. Hutter 2010). So ist Deutschmann davon überzeugt, dass wir es nicht mit einer „neuen dynamischen Entwicklung zu tun (haben, M.F.), sondern im Gegenteil mit einer Degeneration des Kapitalismus (…), die zu Kapitalmarktzusammenbrüchen und gesellschaftlichen Krisen führen muss“ (Deutschmann 2010: 653). Zwar steht die Forschung hier noch am Anfang, aber sie ist – wie die zunehmende Zahl an Veröffentlichungen zur Finanzund Wirtschaftskrise zeigt – dennoch in der Lage, erste Aussagen über die Reichweite und Intensität des durch den globalen Finanzmarkt ausgelösten Strukturwandels von Marktökonomien sowie seiner gesellschaftlichen (Neben-)Folgen zu machen. Das Bild, das bereits gewonnen wurde, ist sehr vielschichtig, widersprüchlich und daher keineswegs einfach zu deuten.157 Schon die Debatte über Konvergenz und Divergenz hat gezeigt, dass es trotz des Wandlungsdrucks durch die globalen Finanzmärkte sowohl Belege für als auch gegen einen tiefgreifenden Transformationsprozess von koordinierten in liberale kapitalistische Marktregime gibt. Bislang spricht offenbar – so die VertreterInnen des Varieties-of-Capitalism-Ansatzes (vgl. u.a. Hall 2006, 2007; Soskice 2006; Hall/Gingerich 2004; Beyer 2010) – noch einiges dafür, dass koordinierte Marktwirtschaften – wie Deutschland – sich nicht einfach auflösen bzw. in liberale Marktwirtschaften transferieren, da Pfadabhängigkeiten, wie insbesondere spezifische Eigenheiten des deutschen Modells (System der industriellen Beziehungen, duales Ausbildungssystem, Orientierung am Normalarbeitsverhältnis usw.), trotz einiger Erosionserscheinungen, weiterhin wirkungsmächtig sind. Behauptet wird sogar, dass der Liberalisierungsprozess nach dem „Aufruhr“ der Finanzmärkte im Jahre 2008 „abrupt an ein Ende gekommen ist“ (Beyer 2010: 305). Aber sind die Befürchtungen „finanzkapitalistischer Landnahmen“ (Dörre 2009), wie Szenarien zunehmender sozialer Schließungsprozesse, vertikaler Ungleichheiten und neuer Formen der Ungewissheit, damit schon überzogen? Dass „das eherne Gesetz der Globalisierung des freien Marktes (…) zerfallen (…) und die entsprechende Ideologie zu kollabieren (droht, M.F.)“ (Beck 2007: 357), ist bislang eher ein Gedankenspiel. Ein Blick auf die Finanzmärkte zeigt, dass das „Kasino“ noch längst nicht 157

So kommt man mit Schwarz-Weiß-Betrachtungen nicht weiter, denn am Finanzkarusell sind – wie Deutschmann (2010: 641) konstatiert – nicht nur Banken und Fondsgesellschaften beteiligt. Vielmehr sind Aktien und Fonds zu einem Massenphänomen geworden. Unter den Anlegern befinden sich auch RentnerInnen, Pensionäre, FreiberuflerInnen, Selbständige, höhere BeamtInnen und Angestellte, die durch ihr Handeln – wenngleich ihnen die Risiken ihres Tuns sicherlich nicht in letzter Konsequenz bewusst waren – ebenfalls einen Beitrag zum häufig beklagten „Terror der Ökonomie“ (Forrester) geleistet haben. So hat eine Vielzahl mittelständischer KleinanlegerInnen vor 2008 – vielfach auf Anraten von Beratern – ihr Vermögen zum Kauf höchst spekulativer Geldanlagen eingesetzt; nicht wenige verloren im Zuge der Finanzkrise ihr Geld.

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geschlossen wurde. Gleichwohl hat die Krise die Vorstellung von der Effizienz der Finanzmärkte entzaubert und Debatten über die Notwendigkeit einer Verankerung internationaler wie europäischer Rahmenordnungen – die in der Hochzeit der De-Regulierungspolitik eher aufgeweicht, denn stabilisiert und an die neuen Erfordernisse höchst flexibler Finanzmärkte angepasst wurden – entfacht. Ob die in diesem Zusammenhang bereits beschlossenen Maßnahmen, wie etwa die Einrichtung von Rettungsfonds und die Vergabe von Notkrediten, die zur Bewältigung von Finanzproblemen beitragen sollen, erfolgreich sein werden, kann gegenwärtig nicht seriös beantwortet werden. Völlig offen ist bislang, ob es überhaupt möglich ist, zu einer politischen und gesetzlichen Eindämmung von Finanzrisiken zu gelangen und eine Re-Regulierung der Finanzmärkte zu erzielen. Wer glaubt, „Licht am Ende des Tunnels“ zu sehen, was John Maynard Keynes mit Blick auf die Wirtschaft der Gesellschaft seinerzeit durchaus für möglich gehalten haben soll, könnte einem Trugschluss unterliegen. Wir sind – wie Pasero, van den Berg und Kabalak (2010) betonen – noch weit von der Tunnelausfahrt entfernt. Peer Steinbrück, der in der Zeit der globalen Finanzkrise Bundesfinanzminister war, fand für die damals akute, globale Finanzkrise ein recht treffendes Bild: „Wer Licht am Ende des Tunnels sieht, sieht die Lichter des herannahenden Zugs“.158 Ob die Turbulenzen auf den Finanzmärkten sowie die immer wiederkehrenden Wirtschaftskrisen, wenn sie schon nicht gänzlich ausgeschaltet, zumindest eingedämmt und schlimmste Folgen (wie tief greifende soziale Spaltungen durch zunehmende Arbeitslosigkeit und Armutsrisiken) abgefedert werden können, bleibt daher eine spannende Frage. VertreterInnen des Finanzmarkt-Kapitalismus-Ansatzes sind bis heute äußerst skeptisch, wenn es um Spielräume für eine Re-Regulierung der Wirtschaft und erst recht um Weichenstellungen in Richtung einer „moral economy“ (E.P. Thompson) sowie einer „Politik der Entprekarisierung“ (Brinkmann et al. 2006) geht. Schließlich haben fi-nanzmarktorientierte Leitvorstellungen, trotz der Krise, nicht an Wirkungsmacht verloren. Die Finanzkrise hat eher noch Wasser auf die Mühlen der KritikerInnen eines Kasinokapita-lismus gegeben. So sehen sie im Finanzmarkt-Kapitalismus, wenn er eins-zu-eins umgesetzt wird, eine „Negativutopie“ mit gesellschaftszerstörendem Potential (vgl. Dörre/Brinkmann 2005). Hinweise auf eine konsequente Umsetzung und eine damit verbundene fortschreitende „finanzkapitalistische Landnahme“ (vgl. u.a. Dörre 2009) gibt es ihres Erachtens mittlerweile viele. Die Logik des kapitalistischen Wirtschaftens macht offenbar vor keinem gesellschaftlichen Bereich Halt und trägt zu einer weiteren vertikalen Ungleichheit zwischen Klassen/Schichten sowie zu einer Zunahme diskriminierender Prekarität und Unsicherheit bei (vgl. u.a. Dörre 2009; Castel 2009). Eine „Moralisierung der Märkte“ (Stehr 2007; Adolf/Stehr 2010) erscheint aus dieser Perspektive recht unwahrscheinlich. Ob es überhaupt möglich ist, die Folgen der De-Regulierung von Finanzmärkten, wie etwa die Machtkonzentration und Oligarchie unter den Banken, wieder in den Griff zu bekommen, bleibt – geht man von dieser Sichtweise aus – sicherlich mehr als ungewiss; ganz zu schweigen, ob diese Anstrengungen zur „Zähmung des liberalen Kapitalismus“ (Münch 2009) und „Rückkehr eines guten, durch Institutionen und Regeln gebändigten Kapitalismus“ (Dullien/Herr/Kellermann 2009) führen werden.

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Siehe Süddeutsche Zeitung, 25.9.2008: www.sueddeutsche.de/politik/698/311619/text/

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Dennoch bietet die Finanz- und Wirtschaftskrise auch Chancen, denn sie könnte zu der Erkenntnis beitragen, dass die soziale und politische Sprengkraft, die globale Marktrisiken erzeugen, groß ist und so der Suche nach Vorschlägen zu ihrer Bewältigung mehr Dringlichkeit verleihen (vgl. Beck 2007). Sicherlich wird es sobald keine radikale Umsteuerung des durch den Finanzmarkt geprägten Akkumulationsregimes geben, aber vielleicht ein Nachdenken über Doktrin des Neoliberalismus, die Relevanz einer neuen Wirtschaftsethik und eine intelligente, zukunftsorientierte Politik. Giddens hat – um ein Beispiel zu nennen – schon Ende der 1990er Jahre den Vorschlag gemacht, einen wirtschaftlichen Sicherheitsrat innerhalb der Vereinten Nationen einzurichten, denn „viele Probleme, wie zum Beispiel die Regulierung der Devisenmärkte und der Umgang mit ökologischen Risiken, sind nicht ohne kollektives Handeln unter Beteiligung vieler Länder und Gruppen zu bewältigen. Nicht einmal die liberalisierteste nationale Wirtschaft funktioniert ohne makro-ökonomische Koordination. Warum sollte man annehmen, dass es in der Weltwirtschaft anders ist?“ (Giddens 1997: 176) Ähnliche Überlegungen wurden auch im Kontext der letzten Finanzkrise angestellt. So ist immer offensichtlicher geworden, dass „nur ein weltpolitisch operierendes Regime (…) in der Lage (ist, M.F.) wirkungsvoll einzugreifen. Niedrige Hürden, die global an allen großen Finanzplätzen durchgesetzt werden, erreichen mehr als regionale Verbote, die nur zur Verschiebung virtueller Transaktionen in diejenigen Jurisdiktionen beitragen, die so ihren Anteil an den Wettgewinnen bekommen wollen. Organisationen, die ein derartiges Regulierungsregime durchsetzen können, zeichnen sich bereits ab. Das Aufgabenspektrum der Zentralbanken wird erweitert, und deren Profil verschiebt sich vom Offenmarktteilnehmer hin zur Regulierungsagentur“ (Hutter 2010: 106); besonders der Euroraum – so Hutter – bietet günstige Konstellationen für eine solche Entwicklung. Eine zügige Entwicklung intelligenter internationaler wie europäischer Regulierungsinstrumente, die quasi als schnell wirksame „Gegengifte“ (Beck 2007) in Krisen zum Einsatz kommen können, ist bislang jedoch allenfalls in Ansätzen zu erkennen.159 Hinzu kommt, dass es allein damit wohl noch nicht getan ist, solange es an weiteren wirkungsmächtigen Instrumenten, z.B. zum Schutz vor Finanzspekulationen und riskanten Finanzwetten, mangelt und die Verursacher von Finanzkrisen, insbesondere Banken, Pensions- und Investmentfonds, nicht haftbar gemacht werden können. Bis heute wird beispielsweise über den Vorschlag von James Tobin diskutiert, eine Steuer auf Finanztransaktionen zu erheben, die Gemeinwesen in die Lage versetzen soll, mit den Folgen verlustreicher Finanzgeschäfte, besser fertig zu werden. So ist die Hoffnung auf eine baldige „Zähmung des Monsters Finanzsystem“ (Hutter 2010) wohl noch verfrüht. Die Weltgesellschaft bleibt insgesamt gesehen ein komplexes, fragiles und widersprüchliches Gebilde, das nicht nur durch eine zunehmend transnationale Wirtschaft und globale Finanzkrisen geprägt, sondern auch durch weitere Weltereignisse eng miteinander verwoben ist, etwa durch weltweite Terrordrohungen sowie ökologische Katastrophen. Die Wirtschaftssoziologie sollte hierin eine Herausforderung sehen und sich im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten verstärkt mit diesen transnationalen, kontingenten Wirkungszusammenhängen auseinandersetzen, um Aufschluss über die Wirtschaft in ungewissen Zeiten zu gewinnen.

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Erst jüngst wurde mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) der Aufbau eines Kapitalstocks in Höhe von 80 Milliarden Euro beschlossen, der ab 2013 aufgebaut werden soll und von Ländern in Anspruch genommen werden kann, die in eine (Schulden-)Krise geraten.

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Williamson, Oliver E. (1990): Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus. Tübingen: Mohr Siebeck Williamson, Oliver E. (1996, zuerst 1991): Vergleichende ökonomische Organisationstheorie: Die Analyse diskreter Strukturalternativen. In: Kenis, Patrick; Schneider, Volker (Hrsg.): Organisation und Netzwerk. Institutionelle Steuerung in Wirtschaft und Politik. Frankfurt a.M./New York: Campus, S. 167–212 Willke, Gerhard (2002a): John Maynard Keynes. Frankfurt a.M./New York: Campus Willke, Helmut (1993): Systemtheorie. Eine Einführung in die Grundprobleme der Theorie sozialer Systeme. Stuttgart: Lucius&Lucius Willke, Helmut (1995): Systemtheorie III: Steuerungstheorien. Stuttgart/Jena: Gustav Fischer Verlag/UTB Wilz, Sylvia Marlene (2002): Organisation und Geschlecht: strukturelle Bindungen und kontingente Kopplungen. Opladen: Leske+Budrich Wilz, Sylvia Marlene (2004): Relevanz, Kontext und Kontingenz: Zur neuen Unübersichtlichkeit in der Gendered Organization. In: Pasero, Ursula; Priddat, Birger P. (Hrsg.): Organisationen und Netzwerke: Der Fall Gender. Wiesbaden: VS, S. 227–258 Wilz, Sylvia Marlene (2005): Wissen, Kompetenz und Geschlechterdifferenz – aktuelle Befunde aus Polizei und Versicherungswirtschaft. In: Funder, Maria; Dörhöfer, Steffen; Rauch, Christian (Hrsg.): Jenseits der Geschlechterdifferenz? Geschlechterverhältnisse in der Informations- und Wissensgesellschaft. München/Mering: Hampp, S. 199–218 Windeler, Arnold (2001): Unternehmungsnetzwerke. Konstitution und Strukturation. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag Windeler, Arnold; Wirth, Carsten, Sydow, Jörg (2001): Die Zukunft in der Gegenwart erfahren. Arbeit in Projektnetzwerken der Fernsehproduktion. In: Arbeitsrecht im Betrieb, 22, 1, S. 12-18 Windolf, Paul (2005): Was ist Finanzmarkt-Kapitalismus? In: Windolf, Paul (Hrsg.): Finanzmarkt-Kapitalismus: Analysen zum Wandel von Produktionsregimen. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 45. Wiesbaden: VS, S. 20–57 Windolf, Paul; Beyer, Jürgen (1995): Kooperativer Kapitalismus: Unternehmensverflechtungen im internationalen Vergleich. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 47, S. 1–36 Winker, Gabriele; Degele, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheit. Bielefeld: Transcript Wiswede, Günter (2000): Konsumsoziologie – Eine vergessene Disziplin. In: Rosenkranz, Doris; Schneider, Norbert F. (Hrsg.): Konsum. Soziologische, ökonomische und psychologische Perspektiven. Opladen: Leske+Budrich, S. 23–72

286

8 Literatur

Wittke, Volker (1996): Wie entstand industrielle Massenproduktion? Die diskontinuierliche Entwicklung der deutschen Elektroindustrie. Von den Anfängen der Industrie bis zur Entfaltung des Fordismus. Berlin: Edition Sigma Wobbe, Theresa (2000): Weltgesellschaft. Bielefeld: Transcript Wolf, Joachim (2003): Organisation, Management, Unternehmensführung. Theorien und Kritik. Wiesbaden: Gabler Womack, James; Jones, Daniel T.; Roos, Daniel (1991): Die zweite Revolution in der Autoindustrie: Konsequenzen aus der weltweiten Studie aus dem Massachusetts Institute of Technology. Frankfurt a.M. u.a.: Campus Young, Brigitte (1998): Genderregime und Staat in der globalen Netzwerk-Ökonomie. In: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 111, 28, 2, S. 175–198 Zacher, Hans F. (2001): Grundlagen der Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. In: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung / Bundesarchiv. Bd. 1: Grundlagen der Sozialpolitik, Baden-Baden 2001, S. 333–684 Zelizer, Viviana A. (1978): Human Values and the Market: The Case of Life Insurance and Death in 19th Century America. In: American Journal of Sociology, 84, S. 591–610 Zukin, Sharon; DiMaggio, Paul J. (Hrsg.) (1990): Structures of Capital: The Social Organization of the Economy. Cambridge: Cambridge University Press

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Bilder- und Abbildungsverzeichnis

Bild 1: Essen – Industriestadt / Foto: Gerhard Kerff (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg) Bild 2: Das Schlaraffenland / Maler: Pieter Bruegel (der Ältere) (© Bildarchiv Foto Marburg) Bild 3: Ein Geldwechsler mit seiner Frau / Maler: Minus van Reymerswaele (© bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte / RMN / Blot, Gérard) Bild 4: Markt in Berlin / Foto: Helga Schmidt-Glassner (© Bildarchiv Foto Marburg) Bild 5: Metallarbeiter am Schmelzofen / Foto: Alfred Tritschler (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg) Bild 6: Fischfabrik der Großeinkaufsgesellschaft Consumvereine mbH (GeG) – Verpacken von Fischfilets / Foto: Gérard Blot (© bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte / Germin) Bild 7: Konsum / Foto: Otto Donath (© Bundesarchiv) Bild 8: Karriere Verspätung / Illustrator: Frank Nikol (© dieKLEINERT.de) Bild 9: Börse / Foto: Boris Roessler (© dpa / picture alliance) Abbildung 1: Bedarfs- und Erwerbswirtschaft Abbildung 2: Tauschformen Abbildung 3: Prozesse der Rationalisierung (nach Weber) Abbildung 4: Wirtschaftszyklen (lange Wellen nach Schumpeter) Abbildung 5: Tayloristisch-fordistisches Produktionskonzept Abbildung 6: Sinus-Milieus in Deutschland 2010 Abbildung 7: Funktionsprofile von Sozialstaaten (nach Scharpf 2000) Abbildung 8: Koordinierte und liberale Marktökonomien

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Stichwortregister

Achsen der Differenz 170 AGIL-Schema 88 Arbeit 35 Arbeiterklasse 15 Arbeitgeberverbände 201, 208 Arbeitsbegriff, Engfassung 41 Arbeitsbeziehungen 199, 201, 205 – frühe Phase der Industrialisierung 16 Arbeitsbüro 124 Arbeitsethik, protestantische 13 Arbeitskraftunternehmer 13, 140 Arbeitsmarkt 14, 16 – Geschlecht 171 Arbeitsteilung – geschlechtliche 162 – hochgradig 127 – internationale 211 – Soziologie/Wirtschaftswissenschaften 2 – zwischenbetrieblich 134 Arbeitsverständnis, vorindustrielles 12 Arbeitsvertrag 16 Arbeitswertlehre 37 Armenrechtsgesetz 14 Ausbildungssystem 202, 204 Automobilindustrie 126 Autopoiesis 93 – der Wirtschaft 97 Bedarfsdeckung 9, 19 Bedarfsdeckungswirtschaft 9 Betrieb 118 Betriebskapitalismus, rationaler 52 Betriebsrat 201 Bretton Woods 23, 224 Bruttosozialprodukt 117 Bürokratie 122

Calvinismus 13, 50 Chicago-Schule 188 Corporate Governance 112, 200, 203 Corporate Social Responsibility 234 Decommodification of Labour 194 Dequalifizierung 129, 133 Deregulierung, Finanzmärkte 225 Deutschland AG 190 Dezentralisierung 139 Dienstbotendebatte 169 Dienstleistung 135 Dienstleistungsgesellschaft 136, 137 Distinktion 147, 156, 157 Diversifizierung 219 doing gender 177 domestic work 169 Doppelkarrierepaare 167 Drei-Sektoren-Hypothese 136 Dynamik, Wirtschaft 78, 82 economies of scale 126, 220 Egalitätsmythos 179 Eigenarbeit 42, 169 Einbettung 30, 34, 65, 76, 102, 104, 224, 232 – kognitive 104 – normative/kulturelle 105 – regulative/politische 105 Emotionen 47 Entrepreneurship 107 Erwerbsarbeit 13, 39, 40, 121 Erwerbswirtschaft 13 Erziehungsarbeit 168 Fabrik 12, 119 Fabrikdisziplin 16 Familienernährer, Leitbild 40, 164, 203

290 Finanzialisierung 227 Finanzkrise 23, 208, 226, 227, 230, 235 Finanzmarkt 222 Finanzmarkt-Kapitalismus 84, 228, 230, 234 Fordismus 126, 144 Formal- und Aktivitätsstrukturen 68 Fortschritt, technischer 54, 76, 100, 119, 136, 232 Gabentausch 27 Geist des Kapitalismus 37, 49 – neuer 142 Geld 17, 22, 41, 89, 96, 223 Geschlechterarrangements 164, 174, 198 Geschlechterhierarchie 164, 175 Geschlechterkultur 174 Geschlechtersegregation 173 Geschlechtertrennungen 175 Geschlechterverhältnisse 161 Geschmack 155 Gesellschaft, nachindustrielle 137 Gewährleistungsarbeit 133 Gewerkschaften 41, 145, 190, 201, 204, 208 Glass Ceiling 176 Glass Walls 176 Gleichgewichtstheorie 83, 101, 111 Gleichheitspostulat 164, 233 Globalisierung 72, 209 Globalismusthese 213 Glokalisierung 214, 217 Great Transformation 9, 11, 163, 233 Habitus 157 Hausarbeit 163 Hausgemeinschaft 9, 163 Haushalt 9, 19, 40, 51, 161 Hausherrschaft 163 Hierarchie 57 – flache 139 High-Road-Strategie 133 Homo Oeconomicus 43, 158 Homo Sociologicus 46 ILO-Kernarbeitsnormen 216 Industrialisierung 11, 16, 76, 119, 148 Industrielle Beziehungen 201, 204

10 Stichwortregister Informations- und Kommunikationstechnologien 81, 132, 220, 227 Informatisierung 132, 139 Institution 60, 66 Isomorphie 69 Isomorphismus – erzwungener 69 – mimetischer 69 – normativer 70 job enlargement 130 job enrichment 130 job rotation 130 Just-in-time-Produktion 134 Kapitalismus 14, 38, 49, 79, 143, 145, 164, 183 – deutsches Modell 190 – rheinischer 190 – sozialstaatlich reguliert 191 Kapitalismusanalyse 183, 192, 209 keynesianische Wirtschaftspolitik 84 Keynesianismus 84 Knappheit 20, 98, 113, 185 Knappheitskommunikation 98, 113 Kolonialisierung der Lebenswelt 55 Kommerzialisierung 11 – von Arbeit und Boden 11 Kondratieff-Zyklen 80 Konkurrenz 32, 72, 185, 186 Konsum 147 – demonstrativer 153 – statusbezogener 156 – stellvertretender 153 Konsumenten, aktive, souveräne 150, 158, 159 Konsumgesellschaft 148 Konsumguerilla 150 Konsumklima-Index 147 Konsumtion 146 Kontingenz 114 Kontrollformen – direkte 71 – Finanzkontrolle 72 – Vertriebs- und Marketingkontrolle 72 – Zulieferkontrolle 71 Kontrollkonzeptionen 71 Konzernkapitalismus 144

10 Stichwortregister Kula-Tausch 28 Kunde, arbeitender 159 lean production 133 Lebensstil 148, 154, 157 Liberalismus 14 Lohnarbeit 14, 39, 78 Lohnpolitik 191 Managementkonzepte 123, 141 Managementstrategie, neue 143 Managementstrategie, partizipative 134 Markliberalismus 184 Markt 10, 18, 22, 30, 63, 70, 99, 103, 110, 184, 186, 188 Marktökonomie – koordinierte 200 – liberale 203 Marktpolis 143 Markttausch 32 Marktwirtschaft – freie 185 – kapitalistische 119, 183, 232 – soziale 187 Maslowsche Bedürfnis-Pyramide 151 Massenkonsum 54, 131, 148 Massenkultur 150 Massenproduktion 126 McDonaldisierung 217 Mediterranean Market Economy 206 Merkantilismus 11 Mitbestimmung 191 Mitbestimmungsgesetze 189 Mode 152 Moralisierung von Märkten 85, 158, 236 Neo-Institutionalismus 59 – soziologischer 66 Neoklassik 59, 83 Neoliberalismus 187 Netzwerk 63, 74, 106 – regionales 109 – soziales 103 – strategisches 109 Netzwerkanalyse 106, 110 Netzwerkkapitalismus 144

291 neue institutionenökonomische Theorie 59 Neue Wirtschaftssoziologie 101 New Deal Politik 223 Normalarbeitsverhältnis 39 Oikos 9 Ordoliberalismus 188 Organisation – moderne 119, 122 – rationale 53 Organisationelle Felder 69 Organisationsgesellschaft 120 Orthodoxie, neoklassische 24 Paradigma der Erwerbsarbeit 40 paretooptimal 186 Patriarchalismus 163 Phänomenologie 54 Planwirtschaft 183 Polis, projektbasierte 144 Politik, deliberative 56 politisches System 89 Produktion 10, 118 Produktionskonzepte – fordistisch-tayloristische 131 – neue 132 Produktionsverhältnisse 77 Produktionsweise, kapitalistische 78 Produktivkräfte 77 Projektnetzwerk 109 Proletariat 15 Prosumer 159 Protestantismusthese 50 Rationalisierung – gesellschaftliche 48 – systemische 132, 139 Rationalisierungsresistenz 137 Rationalisierungsstrategie 132 Rationalität 32 – begrenzte 46, 61 – formale 53 – zweckrational 122 Rationalitätsfassaden 68 Rationalitätshypothese 44 Rationalitätsmythen 68

292 Redistribution 29 Reorganisation 139 Reproduktionsarbeit 41, 163, 169, 198 Reprofessionalisierung 133 Schließung, homosoziale 176 Scientific Management 123 Segregation – horizontale 172 – vertikale 172 Segregation, geschlechtliche 172 Selbstreferenz 93 – Wirtschaft 96 Shareholder-Value 72, 204 Shareholder-Value-Orientierung 230 Sinus-Milieus 155 Sozialstaat 190 – aktivierender 193 – drei „Familien“ 197 Sozialstaatlichkeit 190 Speenhamland-Gesetz 14 Stärke schwacher Beziehungen (weak ties) 103 Strukturfunktionalismus 87 Subsistenzarbeit 40 Systemregulierer 133 Systemtheorie 86 – funktional-strukturelle 92 – strukturell-funktionale 87 „talk“ und „action“ 69 Tarifpolitik 202 Tausch 27 Tauschringe 28 Tauschtheorie, neoklassische 33 Taylorismus 123 Tertiarisierung 136 Transaktionskosten 61 Transaktionskostenspezifische Investitionen 62 Transaktionskostentheorie 60 Transformationsproblem 16, 123, 143 Trickle-down-Effekt 153

10 Stichwortregister Ungewissheit 34, 67, 114, 180 Unternehmen 63, 118 – exportorientierte 219 – globale 220 – multinationale 219 – transnationale 220 Unternehmer, innovativer 81 Utilitarismus 12, 87 Varieties-of-Capitalism 199 Verkehrswirtschaft 49, 183 Vershofensche Nutzenleiter 151 Versorgungskette, globale 169 Welfare Capitalism 192 Weltökonomie, kapitalistische 211 Weltsystem, kapitalistisches 210 Wettbewerb 31, 73, 83, 107, 185 – globaler 213 Wettbewerbsordnung 188 Wettbewerbsstrategie 111 Wirtschaft, Begriff 19 Wirtschaftskreislauf 117 Wirtschaftsordnung, liberale 185 Wissensarbeit 137 Wissenschaftliche Betriebsführung 123 Wissensgesellschaft 137 Wissensmanagementkonzepte 141 Wohlfahrtskapitalismus 194 Wohlfahrtsregime – liberal 195 – sozial-demokratisch 196 – konservativ-korporatistisches 195 Wohlfahrtsstaat 192 Zeitstudien 124 Zentralverwaltungswirtschaft 183, 186 Zerstörung, schöpferische 80