Die Politischen Auseinandersetzungen Um Die Novellierung Des Gesetzes Gegen Wettbewerbsbeschrankungen (Gwb) (German Edition) [1. Aufl] 3428037561, 9783428037568


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German Pages 287 [288] Year 1977

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Die Politischen Auseinandersetzungen Um Die Novellierung Des Gesetzes Gegen Wettbewerbsbeschrankungen (Gwb) (German Edition) [1. Aufl]
 3428037561, 9783428037568

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WERNER JÄCKERING

Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)

Volkswirtschaftliche Schriften Herausgegeben von Prof. Dr.

J. Broermann, Berlin

Heft 257

Die politischen Auseinandersetzungen um die N ovellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (G WB)

Von

Werner Jäckering

DUNCKER&HUMBLOT/BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Jäckering, Werner Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). - 1. Auf!. - Berlin: Duncker und Humblot, 1977. (Volkswirtschaftliche Schriften; H.257) ISBN 3-428-03756-1

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 1977 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1977 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 03756 1

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis wichtiger Abkürzungen ....................................

10

1.

Einleitung ................................................... .

11

1.1. 1.2. 1.3.

Zielsetzung Abgrenzung

12

11

................................................. .

1.3.1. 1.3.2. 1.3.3. 1.4.

Schwierigkeiten bei der Ermittlung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse ..................................................... . 14 Die Aktivitäten der Verbände ............................... . 15 Ziele und Forderungen der Verbände ......................... . 16 Das Ausmaß der Änderungen staatlicher Entscheidungen ..... . 17 Literatur und Material ....................................... . 19

2.

'Uberblick über die Kartellgesetzgebung bis zum Jahre 1958 ... .

21

2.1. 2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.1.1.

21 22 24 24

2.3.2.

Die Wettbewerbsgesetzgebung bis 1945 ....................... . Die Kartellpolitik der Alliierten nach dem zweiten Weltkrieg .. Die Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Verlauf der Beratungen in der ersten Phase: 1949 -1952/53 .... Einflußversuche verschiedener Interessengruppen auf die Entwürfe ........................................................ Verlauf der Beratungen in der zweiten Phase: 1952/53 - 1957

3.

Die NovelIierung des GWB von 1965/66 und die Vorarbeiten

38

4.

Die politischen Auseinandersetzungen um die "Preisbindung der zweiten Hand" während der Großen Koalition (1966 - 1969) ...... 41

4.1. 4.1.1. 4.1.2.

Grundvorstellungen der Bundesregierung zur Wettbewerbspolitik Das "neue wettbewerbspolitische Leitbild" .................... Auswirkungen vom "neuen wettbewerbspolitischen Leitbild" auf das GWB .................................................... Der Einfluß der Verbände ....................................

4.1.3.



27 30

41 41 45 48

5.

Die politischen Auseinandersetzungen um die "Fusionskontrolle" während der ersten sozial-liberalen Koalition (1969 - 1972) ...... 51

5.1. 5.2. 5.2.1.

Bundesregierung und Unternehmenskonzentration ............ 51 Die Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik ........ 52 Beispiele für horizontale und vertikale Unternehmenskonzentration .......................................................... 53

Inhaltsverzeichnis

6

5.2.2. 5.2.3. 5.2.3.1. 5.2.3.2. 5.2.4. 5.2.4.1. 5.2.4.2. 5.2.4.3. 5.3.

55 55 55 56 57 57 62 62

5.3.1.

Beispiele für diagonale Unternehmenskonzentration Ursachen für Unternehmenskonzentration .................... Allgemeine Ursachen .......................................... Spezielle, für die Bundesrepublik zutreffende Ursachen ........ Daten zur Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik .. Der Konzentrationsprozeß in der Gesamtindustrie ............ Die "großen" Zusammenschlüsse .............................. Kapitalbeteiligungen .......................................... Die Erarbeitung der Referentenentwürfe im Wirtschaftsministerium .......................................................... Die Vorarbeiten zum Referentenentwurf vom 20.3.1970 ........

5.3.2. 5.3.3. 5.3.4. 5.3.5.

Der Referentenentwurf vom 20.3. 1970 ........................ Kritik am Referentenentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die überarbeitung des Entwurfs vom 20. 3. 1970 ................ Der Referentenentwurf vom 28. 10. 1970 ........................

73 76 77 80

5.4.

Die Haltung des Wissenschaftlichen Beirates beim Wirtschaftsministerium und des Sachverständigenrates zur Kartellgesetznovelle ...................................................... 82 Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 87

5.5.

67 67

6.

Das Bundeskartellamt und seine Vorstellungen zur Kartellnovelle ......................................................

89

6.1.

Einordnung des Bundeskartellamtes ..........................

89

6.2. 6.3.

Grundeinstellung des Bundeskartellamtes ...................... 91 Notwendigkeit der Novellierung des GWB aus der Sicht des Bundeskartellamtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

6.4. 6.5.

Einflußnahme des Bundeskartellamtes auf die Gestaltung der Kartellnovelle ................................................ 95 100 Zwischenbilanz

7.

Der Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle .............. 102

7.1. 7.1.1. 7.1.1.1. 7.1.1.2.

Die Wirtschaftsverbände ...................................... Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ............ Die "Führerrolle" des BDI .................................... Die Vorstellungen des BDI zu den Schwerpunkten der Kartellnovelle ......................................................

102 104 104

Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) .............. Der Markenverband .......................................... Die Handelsverbände ........................................ Der Bundesverband des deutschen Groß- und Außenhandels (BGA) ........................................................ 7.1.4.2. Die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels (HDE) ....

113 114 115

7.1.2. 7.1.3. 7.1.4. 7.1.4.1.

107

116 117

Inhaltsverzeichnis

7

7.1.5. 7.1.6. 7.1.6.1. 7.1.6.2. 7.2. 7.2.1. 7.2.2. 7.3.

Die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU) Das Kreditgewerbe .......................................... Sparkassen .................................................... Banken ...................................................... Die Gewerkschaften .......................................... Der Deutsche Gewerkschaftsbund .............................. Die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) ................ Zwischenbilanz ................................................

8.

Der Einfluß der Parteien auf die Gestaltung des Kartellgesetzes 136

8.1. 8.1.1. 8.1.2. 8.1.3. 8.1.4. 8.2. 8. 2.1. 8.3.

Die SPD ...................................................... Die grundsätzliche Haltung der SPD zur Wettbewerbspolitik .. Novellierungsversuche der SPD bis 1969 ...................... Jungsozialisten und Kartellnovelle ............................ Das Verhältnis von SPD und Jungsozialisten in der Kartellfrage Die F.D.P. ..................................................... Die Haltung der F.D.P. zur Wettbewerbspolitik ................... Die Einwirkungen von SPD und F . D.P. auf das Zustandekommen des Regierungsentwurfs .................................. 8.4. Die CDU/CSU ................................................ 8.4.1. Die Haltung der CDU zur Wettbewerbspolitik .................. 8.4.1.1. Die Einflußnahme der CDU/CSU auf die Neugestaltung des GWB 8.4.2. Das Verhältnis von CDU und CSU in der Diskussion um die Kartellnovelle ................................................ 8.4.3. Die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU .................... 8.4.4. Der Wirtschaftsrat der CDU .................................. 8.4.4.1. Wirtschaftsrat und Kartellnovelle .............................. 8.5. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

119 120 121 123 127 127 130 134

136 136 137 139 140 141 141 143 151 151 153 "157 159 160 161 164

9.

Die Auseinandersetzungen um die Kartellnovelle in den parlamentarischen Gremien ........................................ 166

9.1. 9.2. 9.2.1. 9.2.1.1. 9.2.1.2. 9.3.

Der Bundesrat ........................... "..................... Der Bundestag ................................................ Die Beratungen im Wirtschaftsausschuß des Bundestages ...... Die Hearings vor dem Wirtschaftsausschuß des Bundestages .... Die Beratungen zu den Schwerpunkten der Novelle ............ Zwischenbilanz (6. Legislaturperiode) ..........................

166 168 168 168 174 178

10.

Die Auseinandersetzungen in der Zeit von der Sommerpause des Parlaments 1972 bis zur Regierungserklärung Brandts vom 18. 1. 1973 .......................................................... 183

10.1.

Die Beratungen der Bundesregierung über besondere Probleme der Kartellgesetznovelle ...................................... 183

8

Inhaltsverzeichnis

10.1.1. 10.1.2. 10.2.

"Abgestimmte Verhaltensweisen" .............................. 183 "Pressefusionskontrolle" ...................................... 185 Die Vorbereitungen der Parteien auf die Beratungen in der 7. Legislaturperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 186

11.

Die Auseinandersetzungen in der 7. Legislaturperiode .......... 191

11.1. 11.1.1.

Die Beratungen der Kartellnovelle im Bundestag .............. Die Beratungen der Kartellnovelle im Wirtschaftsausschuß des Bundestages .................................................. 11.1.1.1. Zweck und Zielrichtung der Verbesserung des Kartellgesetzes .. 11.1.1.2. Beratungen zum Inhalt der Kartellnovelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11.1.2. Die zweite und dritte Lesung im Bundestag .................... 11.2. Die Behandlung der Kartellnovelle im Bundesrat .............. 12.

191 192 193 214 218

Die Haltung der Verbände zu den Ergänzungen der Kartellnovelle in der 7. Legislaturperiode ............................ 220

12.1. 12.1.1. 12.2. 12.3.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ............ Die Haltung des BDI zur Bedeutung der Novelle Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) .............. Der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels (BGA) ........................................................ 12.4. Die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels (HDE) .... 12.4.1. Die Aktivitäten der HDE .................................... 12.4.2. Die HDE zur Markenwarenpreisbindung und Verbraucherpreisempfehlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 12.4.2.1. Preisbindung .................................................. 12.4.2.2. Preisempfehlung .............................................. 12.5. Der Markenverband .......................................... 12.6. Der Deutsche Brauer Bund .................................... 12.7.

191

220 220 226 228 230 230 233 233 233 234 236

12.8. 12.9.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) ................................ 237 Die Verbraucherverbände .................................... 239 Zwischenbilanz (7. Legislaturperiode) .......................... 242

13.

Ausblick ...................................................... 247

13.1. 13.1.1. 13.1.2. 13.1.3. 13.2. 13.2.1. 13.2.1.1.

Die ersten Erfahrungen mit dem neuen Kartellgesetz .......... Das Bundeskartellamt ........................................ Fusionskontrolle .............................................. Preisbindung und Preisempfehlung ............................ Die Auseinandersetzungen um die "Pressefusionskontrolle" .... Die erste Phase: Die Erarbeitung des Regierungsentwurfs ...... Senkung der Umsatzgrenzen ..................................

247 247 248 252 254 256 256

Inhaltsverzeichnis

9

13.2.1.2. Besonderes materielles Eingriffskriterium ...................... 256 13.2.1.3. Präventive Fusionskontrolle .................................. 257 13.2.1.4. Auflagenerteilung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 258 13.2.2. Die zweite Phase: Die Auseinandersetzungen im Bundestag .... 261 14.

Schlußüberlegungen

.......................................... 267

Anhang .............................................................. 269 Literaturverzeichnis

275

Verzeichnis wichtiger Abkürzungen AK AktG ASU BDI BGA BGH BKA BKartA BMI BMJ BMWF BMWi BPA BR BRD BReg BTag BWM CDU CSU DAG DGB DIHT d.V. EG EWG F.D.P. GWB HDE Jusos MinDir MR OECD Refer. Entw. Reg.Entw. SPD WuW WW

Arbeitskreis Aktiengesetz Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer Bundesverband der Deutschen Industrie Bundesverband des Deutschen Groß- und, Außenhandels Bundesgerichtshof Bundeskanzleramt Bundeskartellamt Bundesinnenministerium Bundesjustizministerium Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen Bundesministerium für Wirtschaft Bundespresseamt Bundesrat Bundesrepublik Deutschland Bundesregierung Bundestag Bundeswirtschaftsminister Christlich Demokratische Union Christlich Soziale Union Deutsche-Angestellten-Gewerkschaft Deutscher Gewerkschaftsbund Deutscher Industrie- und Handelstag der Verfasser Europäische Gemeinschaft Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Freie Demokratische Partei Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels Jungsozialisten Ministerialdirektor Ministerialrat Organization for Economic Cooperation and Development Referentenentwurf Regierungsentwurf Sozialdemokratische Partei Deutschlands Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaftswoche

1. Einleitung 1.1. Zielsetzung

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), von Erhard als das "Grundgesetz der Wirtschaft"1 bezeichnet, sollte dazu beitragen, die ökonomischen Funktionen des Wettbewerbs zu stimulieren und gleichzeitig für die Aufrechterhaltung eines möglichst großen wirtschaftlichen Freiheitsbereiches als ökonomisches Gegenstück zur parlamentarischen Demokratie zu sorgen 2 • Im Mittelpunkt des Gesetzes stand das Verbot von Kartellen und wettbewerbsbeschränkenden Praktiken. Dieses Prinzip bewährte sich im Laufe der Jahre. Die ebenfalls im Gesetz geregelte Kontrolle des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht durch marktbeherrschende Unternehmen blieb dagegen weitgehend unwirksam. Gar nicht vorgesehen war im Gesetz die Möglichkeit, das Entstehen wirtschaftlicher Macht durch Unternehmenszusammenschlüsse zu verhindern 3• Diese Tatsache veranlaßte sowohl die Bundesregierung als auch die SPD-Fraktion, im Jahre 1964 dem Bundestag Änderungsvorschläge vorzulegen. Aus beiden Entwürfen entstand das Gesetz zur Änderung des GWB vom 15. 9. 19654 • Die Novellierungsvorschläge des Wirtschaftsministeriums aus dem Jahre 1968, die hauptsächlich eine Neuregelung der materiellen Zulassungsvoraussetzungen und der Zulassungsverfahren für vertikale Preisbindungen bei Markenwaren vorsahen, konnten nicht zur Regierungsvorlage gemacht werden, da es im Kabinett zu Meinungsverschiedenheiten in der Preisbindungsfrage gekommen war und das Ende der Legislaturperiode bevorstand5 . Die Diskussion um eine Verschärfung des GWB wurde in den nächsten Jahren verstärkt fortgesetzt. In der 6. Legislaturperiode stand die Verabschiedung einer Neufassung des Kartellgesetzes mit dem Schwer1 Vgl. Kurzprotokoll der 183. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik des 1. Deutschen Bundestages vom 11. 2. 1953 - Anlage Amtl. Mat. zum GWB,S.2. 2 Vgl. Günther, E.: Wettbewerbspolitik in einer freien Gesellschaft, in: WuW 1964, S. 117/18. 3 Vgl. Kapitel 2. 4 Vgl. Kapitel 3. 5 Vgl. Kapitel 4.

1. Einleitung

12

punkt "Fusionskontrolle" kurz vor dem Abschluß; doch die Auflösung des Bundestages am 22. 9. 1972 ließ den Regierungsentwurf zunächst wieder in den Schubläden verschwinden6 • Am 14.6.1973 verabschiedete der Bundestag endlich mit den Stimmen der Opposition ein neues Kartellgesetz, das sowohl die Fusionskontrolle als auch die Aufhebung der Preisbindung vorsah7 • In der vorliegenden Arbeit soll nun versucht werden, den Entstehungsprozeß der Kartellnovelle von 1973 wiederzugeben. Daher ist vorgesehen, die Gründe für die Initiative des Wirtschaftsministeriums zu untersuchen8 und die Reaktionen und Einflußmöglichkeiten auf die Initiative des

-

Wirtschaftsministeriums aufzuzeigen, die ausgingen von -

den Parteien und Fraktionen im Bundestag9, den parlamentarischen Gremien (Bundestag und Bundesrat)1°, dem Bundeskartellamtl l , denWirtschaftsverbänden12 und den Gewerkschaften13•

Um die Kritik an den Entwürfen besser verstehen zu können, ist es unerläßlich, -

die Entwürfe im Einzelnen darzustellen14 und auf die grundsätzliche Haltung der Parteien und Interessenverbände zu Fragen der Wirtschafts- bzw. Wettbewerbspolitik einzugehen15 •

1.2. Abgrenzung Im Rahmen dieser Arbeit können nicht alle anstehenden Probleme behandelt werqen. Eine Abgrenzung ist daher notwendig. Den zeitlichen Rahmen dieser Arbeit bildet die Zeit von der ersten Novellierung 1965/66 bis zur Verabschiedung der Kartellnovelle am 14.6.1973. Vgl. Kapitel 5. - 9. Vgl. Kapitel 10. - 11. B Vgl. Kapitel 4. und 5. 9 Vgl. Kapitel 8. 10 Vgl. Kapitel 9. und 11.1. 11 Vgl. Kapitel 6. 12 Vgl. Kapitel 7. - 7.1., 6.2., 12. - 12.6. und 12.8. 13 Vgl. Kapitel 7.2. und 12.7. U Vgl. Kapitel 5. 15 Vgl. Kapitel 8.1. - 8.4. 6

7

1.2. Abgrenzung

13

Die Auseinandersetzungen um das GWB in den fünfziger Jahren werden in einem kurzen Überblick dargelegt16 • Inhaltlich orientiert sich diese Arbeit an den jeweiligen Schwerpunkten der verschiedenen Novellen: -

Mit dem Novellierungsentwurf von 1968 wurde versucht, die Preisbindung der zweiten Hand abzuschaffen.

-

Die Novellierungsvorschläge des Wirtschaftsministeriums von 1970 sahen eine Reihe von Änderungen vor: 1. Einführung einer vorbeugenden Fusionskontrolle von Unterneh-

menszusammenschlüssen (§ 24 bis 24 b); 2. Verbesserung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen (§§ 22 und 26 Abs. 2); 3. Erleichterungen der leistungssteigernden Kooperation kleiner und mittlerer Unternehmen (§ 5 b); 4. Erweiterung der Mißbrauchsaufsicht über Ausschließlichkeitsverträge (§ 18); 5. Verbesserung des Boykottverbots (§ 26 Abs. 1); 6. Einführung eines objektiven Feststellungsverfahrens (§ 37 a); 7. Freistellung von Konditionsempfehlungen (§ 38 Abs. 2 Satz 3); 8. Regelung der sofortigen Vollziehbarkeit kartellbehördlicher Verfügungen (§ 63 a). In der 6. Legislaturperiode waren lediglich die Punkte 1 - 3 von Bedeutung. Die Darstellung der Auseinandersetzungen in dieser Zeit wird sich somit auf die drei folgenden Problembereiche konzentrieren: 1. Einführung einer präventiven Fusionskontrolle;

2. Verbesserung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und 3. Kooperationserleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen. Diese drei Bereiche waren auch in der 7. Legislaturperiode von zentraler Bedeutung. Hinzu kamen aber jetzt noch Bestimmungen über: 1. die Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über Preisempfehlungen

für Markenwaren; 2. das Verbot der Preisbindung der zweiten Hand und 3. das Verbot der "abgestimmten Verhaltensweisen". 18

Vgl. Kapitel 2.

14

1. Einleitung

1.3. Schwierigkeiten bei der Ermittlung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse Der politologisch interessante Aspekt - und damit auch der dieser Arbeit - ist das Herausfinden der Einflüsse von seiten der Interessengruppen auf den Gesetzgebungsprozeß. Zu diesem Thema stößt man trotz der jahrelangen Pluralismusdebatte in den wissenschaftlichen Untersuchungen auf ein mehr oder weniger "unterentwickeltes" Gebiet. Dabei darf allerdings eines nicht verkannt werden, daß es ein Verdienst sowohl der konservativen17 als auch der neomarxistischen 18 Kritiker ist, nachgewiesen zu haben, daß der pluralistische Herrschaftsmechanismus nicht so automatisch abläuft, wie er von den Verfechte rn der Pluralismustheorie oftmals vorausgesetzt wird. Vielfach fehlt den Kritikern jedoch so gut wie jeder empirische Nachweis ihrer Thesen. Ein Grund dafür ist in der Tatsache zu sehen, daß gerade die kritische Theorie weder die empirischen Forschungsmethoden angewandt noch eigene Forschungstechniken entwickelt hat19• Insbesondere die von linker Kritik aufgestellte These, wirtschaftliche Macht bedeute zugleich politische Macht, ist nach Ansicht verschiedener Autoren20 zumindest für die Bundesrepublik nicht haltbar, da sie durch keine empirische Analyse belegt worden ist. Die ersten aus den USA stammenden empirischen Studien21 zu dieser Frage haben den Nachteil, 17 Vgl. dazu: - Schmitt, C.: Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931 - ders.: Der Begriff des Politischen (1932), Berlin 1963 - Weber, W.: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, Berlin, 2. Auflage 1958 - Forsthoff, E.: Rechtsstaat im Wandel, Stuttgart 1964. 18 Vgl. dazu: - Agnoli / Brückner: Die Transformation der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1968 - Milibrand, R.: Der Staat in der kapitalistischen Gesellschaft, Frankfurt/M. 1972 - Mandel, E.: Marxistische Wirtschaftstheorie, Frankfurt/M. 1968 - Basso, L.: Zur Theorie des politischen Konflikts, Frankfurt/M. 1969 - Pross, H.: Zum Begriff der pluralistischen Gesellschaft, in: Zeugnisse, Theodor W. Adorno zum 60. Geburtstag, Frankfurt/M. 1963, S. 433 ff. - Offe, C.: Politische Herrschaft und Klassenstrukturen. Zur Analyse spätkapitalistischer Gesellschaftssysteme, in: Kress / Senghaas: Politikwissenschaft, Frankfurt/M. 1972, S. 155 - 189 - Jaeggi, U.: Macht und Herrschaft in der Bundesrepublik, Frankfurt/M. 1969. 19 Vgl. Beyme, K. von: Die politischen Theorien der Gegenwart, München 1972, S. 82 f. 20 Vgl. u. a. Adam, H.: Pluralismus oder Herrschaft des Kapitals?, in: WSIMitteilungen 11/1973, S. 433 f. Grosser, D.: Bedeutet wirtschaftliche Macht zugleic.'l politische Macht, in: Der Bürger im Staat 411973, S. 233 f. 21 Vgl. Bauer, Pool und Dexter: American Business and Public Policy, 1963.

1.3. Ermittlung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse

15

daß sie nicht verallgemeinert und vor allem nicht auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik übertragen werden können. Dabei muß allerdings bedacht werden, daß bei der Erfassung des Einflusses gesellschaftlicher Gruppen auf politische Entscheidungen oft methodische Probleme auftreten, die intersubjektive, durch Fakten überprüfbare Aussagen22 kaum gestatten. Einige der Schwierigkeiten sollen im folgenden kurz vorgestellt werden. Versteht man unter Einfluß im politischen Willensbildungsprozeß "die durch die Aktivitäten der entsprechenden Gruppen erreichte Mitgestaltung bzw. Änderung der staatlichen Entscheidungen gemäß den gruppenspezifischen Zielvorstellungen und Bewertungen"23, dann müssen drei Variable empirisch erfaßt werden: 1. die Aktivitäten der Verbände, 2. ihre Ziele und Forderungen und 3. das Ausmaß der Änderungen staatlicher Entscheidungen als Folge der Verbandstätigkeit. 1.3.1. Die Aktivitäten der Verbände

In diesem Zussammenhang muß unterschieden werden zwischen öffentlchen und nichtöffentlichen Aktivitäten der Verbände. Sobald die Interessenverbände offentlich wirken, d. h. ihre Haltung zu bestimmten Fragen etwa in der Presse oder in verbandseigenen Zeitungen und Zeitschriften darlegen, lassen sich die Aktivitäten recht genau beschreiben24 • Aber längst nicht alle Aktivitäten geschehen öffentlich. Denn in vertraulichen Gesprächen, Briefen, Telefonaten und Abmachungen werden oftmals Entscheidungen vorgenommen, die von der Öffentlichkeit, und damit auch von der Wissenschaft, nicht wahrgenommen und nachvollzogen werden können. Gerade diese Tatsache hat immer wieder Wissenschaftler, aber auch Praktiker veranlaßt, Vorschläge zu unterbreiten, wie man dieser Schwierigkeit begegnen könne. 22 Vgl. Albert, H.: Probleme der Theoriebildung, in: Theorie und Realität, hrsg. von H. Albert, Tübingen 1964. 23 Adam, H.: Pluralismus oder Herrschaft des Kapitals?, S. 433. 24 Vgl. dazu: Beyme, K. von: Interessengruppen in der Demokratie, München 1969, S. 87 f. Für die Bundesrepublik liegen eine Reihe deskriptiver Analysen vor: - Bethusy-Huc, Gräfin von: Demokratie und Interessenpolitik, Wiesbaden

1962

- Eschenburg, Th.: Herrschaft der Verbände?, Stuttgart 1955 - Schneider, H.: Die Interessenverbände, München - Wien 1965 - Tuchtfeld, E. (Hrsg.): Die Verbände in der pluralistischen Gesellschaft, Hamburg 1962 - Varain, H.-J.: Parteien und Verbände, Opladen 1964

16

1. Einleitung

So müssen alle Verbände, die im Bereich des Bundestages aktiv werden wollen, registriert werden25 • Der Sinn dieser Regelung ist wohl nicht so sehr darin zu sehen, den Inhalt der Gespräche zwischen Verbands vertretern und Abgeordneten festzuhalten, als vielmehr die Anonymität der Verbandsvertreter aufzuheben und ein einigermaßen störungsfreies Arbeiten der Abgeordneten zu gewährleisten. Ein anderer Vorschlag betrifft die Bekanntgabe sämtlicher Versuche der Einflußnahme von seiten der Verbände auf die Parteien, Fraktionen, Regierung, Abgeordneten und die Ministerialbürokratie. Die Durchsetzung dieser Regelung wird aus verschiedenen Gründen nicht verwirklicht werden können. Denn erstens muß in einer pluralistischen Demokratie jedem Verband bei der Durchsetzung seiner legitimen Interessen ein möglichst großer Spielraum belassen werden. Das heißt auch, daß jeder Verband sich seine Verhandlungspartner aussuchen kann und die Verhandlungsergebnisse nicht bekannt zu geben braucht. Zweitens haben die Parteien, die Regierung und die Ministerialbürokratie bei den jeweiligen Vorhaben jeweils verschiedene Verbände als Verhandlungspartner, auf deren Mitarbeit sie aus fachlichem Interesse angewiesen sind. Eine sofortige Bekanntgabe der Verhandlungspartner und vielleicht sogar der Inhalte der Besprechungen würden eine sachliche Auseinandersetzung nicht mehr möglich machen. 1.3.2. Ziele und Forderungen der Verbände

Ein weiterer nicht so wichtiger Punkt ist die Erfassung der Ziele und Forderungen der Verbände zu einem bestimmten Problem. Ziele und Forderungen lassen sich zumeist aus Geschäfts- und Jahresberichten, Aktionsprogrammen, Leitsätzen und sonstigen Verbandspublikationen herausfinden. Allerdings muß bei der Übernahme dieser Thesen beachtet werden, daß 1. der Zeitpunkt der Formulierung in den meisten Fällen weiter zurückliegt und die Haltung des Verbandes sich inzwischen aufgrund der öffentlichen Diskussion geändert haben kann; 2. nicht alle Verbandsmitglieder hinter den formulierten Zielen und Forderungen stehen, da oftmals die Verbandspitze - solange es nicht um grundlegende Fragen geht - aus verschiedenen Gründen (z. B. Zeitdruck) ohne vorherige Diskussion mit den entsprechenden Verbandsgremien Aussagen vornimmt; - ders. (Hrsg.): Interessenverbände in Deutschland, Köln 1973 - Wössner, J.: Die ordnungspolitische Bedeutung des Verbandswesens, Tübingen 1961 u.a. 25 Vgl. § 23 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages.

1.3. Ermittlung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse

17

3. während einer Auseinandersetzung sich mehrere Verbände aus taktischen Gründen zusammenschließen, um gemeinsam gegen ein geplantes Vorhaben vorzugehen. Das bedingt oft einen Abstrich von den eigenen Zielen und Forderungen und eine Übernahme von nicht immer akzeptierten, fremden Formulierungen. Gemeinsame, von verschiedenen Verbänden erarbeitete Forderungen und Ziele tragen zumeist einen Kompromißcharakter; 4. ganz allgemein die Diskussion über Ziele und Forderungen innerhalb des Verbandes (Verbandsführung und Mitgliedsverbände) kontrovers beurteilt wird. Auch wenn sich herausstellt, daß eine neue Formulierung von Zielen und Forderungen notwendig ist, wird diese zumeist nicht sofort vorgenommen, da ein Kurswechsel während laufender Verhandlungen oder Beratungen ein Prestigeverlust in der Öffentlichkeit bedeuten würde2sa. Aus schriftlich fixierten Formulierungen läßt sich nicht ohne weiteres eine Rangfolge der Bedeutung von Zielen und Forderungen eines Verbandes abmessen. Doch gerade dies sollte bei der Einschätzung des politisch-gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses herausgefunden werden. 1.3.3. Das Ausmaß der Änderungen staatlicher Entscheidungen

Die Untersuchung des Ausmaßes, in dem Änderungen staatlicher Entscheidungen durch Verbandseinfluß vorgenommen werden, bildet sicherlich die schwierigste Aufgabe einer Theorie gesellschaftlicher Machtverteilung, aber auch die wichtigste. In den meisten Fällen ist es so, daß sich sowohl die staatliche Seite als auch die Verbände Änderungen, vor allem an Gesetzesentwürfen, in gleichem Maße gutschreiben. In diesem Fall steht der Wissenschaftler vor der schwierigen Aufgabe, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Wenn es auch in der Regel schwierig ist, den Erfolg der Verbände festzustellen, so gibt es doch einige Möglichkeiten dazu. In den verbandseigenen Publikationen finden sich zwar Hinweise über Erfolge und Mißerfolge, doch die Schilderung der Verbandsaktivitäten in den Publikationen ist durch das "autonome Verbandsinteresse"26 gefärbt und gibt die politische Realität verzerrt wieder. D. h. die Verbandsführung wird in der Regel eine Änderung eher sich als der Gegenseite zuschreiben wollen, da eine Reihe von Mißerfolgen ihre Vgl. Adam, H.: Pluralismus oder Herrschaft der Verbände?, S. 434. Briefs, G.: Staat und Wirtschaft im Zeitalter der Interessenverbände, in: ders.: Laissez-faire-Pluralismus. Demokratie und Wirtschaft des gegenwärtigen Zeitalters, Berlin 1966, S. 132. 25a

26

2 Jäckering

1. Einleitung

18

Wiederwahl gefährden würde. Damit kann diesem Mittel zur Überprüfung keine allzu große Bedeutung beigemessen werden. Eine weiter Möglichkeit besteht in der Erfassung formaler Merkmale wie -

Mitgliderzahl, Organisationsgrad, Finanzkraft, Zahl der hauptamtlichen Funktionäre, Vertretung in den Bundestags- und Landtagsfraktionen, Zahl der Eingaben27 und gesamtgesellschaftliche Bedeutung der repräsentierten Interessen28 •

Doch auch diese Faktoren sind nur bedingt aussagefähig. Denn erstens korrelieren die einzelnen Faktoren nicht immer untereinander und zweitens können oft z. B. auch kleine Verbände mit wenigen Mitgliedern und geringen finanziellen Mitteln sehr erfolgreich bei der Durchsetzung ihrer Interessen sein. Verbände sind bei der Durchsetzung ihrer Interessen oft auch auf die Unterstützung anderer Verbände angewiesen. Ergebnisse, die schriftlich festgehalten werden, sind daher nicht immer Resultate verbandsinterner Diskusionen. Ebenso können Überlegungen und Forderungen auch aus Empfehlungen und Gutachten aus dem Bereich der Wissenschaft stammen. Der Ursprung einer politischen Forderung ist häufig auch wegen der personellen Verflechtung zwischen Parteien und Verbänden und des Überwechselns von Verbands- und Parteiexperten in die Ministerialbürokratie nicht mehr zu erkennen. Geht man davon aus, daß etwa drei von vier Abgeordneten einem Verband angehören29 , läßt sich nur noch schwer feststellen, in welcher Eigenschaft (als Verbandsvertreter oder Abgeordneter) eine Forderung aufgestellt worden ist. "Ein erster Gesetzentwurf ist somit bereits Resultat des Wirkens verschiedener Gruppeneinflüsse und informeller Kontakte zwischen Ministerialbürokratie und Parteien- und Verbandsexperten 3o." Eine andere Möglichkeit, einen Entscheidungsprozeß nachzuvollziehen, ist die, beteiligte Personen mündlich oder schriftlich zu befragen. Vgl. Beyme, K. von: Interessenverbände in der Demokratie, S. 39 ff. Vgl. Grosser, D.: Bedeutet wirtschaftliche Macht zugleich politische Macht, S. 235. 29 Vgl. Lohmar, U.: Innerparteiliche Demokratie, Stuttgart 1963, S. 95 f. 30 Adam, H.: Pluralismus oder Herrschaft der Verbände?, S. 435. 27

28

1.4. Literatur und Material

19

Doch auch die Interviewtechnik stößt auf Grenzen, die die Genauigkeit der Aussagen behindern und Generalisierungen zumeist nicht zulassen. Diese sind: -

Datenerhebungen bedingen beim Befragten ein großes Erinnerungsvermögen.

-

Die Bereitschaft auszusagen, ist bei wichtigen Personen meist gering.

-

Die Komplexität des Vorgangs wird oft auch von den Beteiligten selbst nicht gesehen.

Es wird sicherlich nicht möglich sein, einen politischen Entscheidungsprozeß bis in alle Enzelheiten nachzuvollziehen. Trotzdem sollte eine empirische Studie versuchen, die oben erwähnten Methoden zu verbinden, um so eine größtmögliche Exaktheit zu erreichen. 1.4. Literatur und Material

Die Auswahl der Literatur zum vorliegenden Thema beschränkt sich zum größten Teil auf nicht veröffentlichtes Material, das dem Verfasser -

vom Wirtschaftsministerium,

-

von den Bundestagsfraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. und

- einigen Wirtschaftsverbänden zur Verfügung gestellt wurde. Die Informationen wurden entnommen: -

zum Thema "Interessenverbände" den Stellungnahmen und Erklärungen der einzelnen Verbände zu den verschiedenen Entwürfen und Problemen der Kartellnovelle;

-

zum Thema "Bundeskartellamt" den Tätigkeitsberichten des Kartellamtes, den Stellungnahmen der Bundesregierung zu den Tätigkeitsberichten, den Festschriften zum zehnjährigen Bestehen des Kartellamtes und Aufsätzen verschiedener Zeitschriften;

-

zum Thema "parlamentarische Gremien" den Sitzungsprotokollen des Deutschen Bundestages, den Protokollen des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages und den Protokollen des Bundesrates und seiner Ausschüsse.

Um die notwendigen Daten zur Kartellnovelle zu erhalten, wurden einschlägige Zeitungen, Zeitschriften und Wochenzeitungen herangezogen. Sobald Zusammenhänge und Hintergründe mit dem oben angeführten Material nicht zu klären waren, sorgten Informationsge-

20

1. Einleitung

spräche3t für den notwendigen "background". Besonders Gespräche mit dem Kartellexperten im Wirtschaftsministerium, Walfgang Kartte, und den Vertretern der CDU-, SPD- und F.D.P.-Fraktionen waren für das Zustandekommen der Arbeit von großem Nutzen.

31 Protokolle von Gesprächen soweit sie nicht telefonisch geführt wurden - befinden sich beim Verfasser.

2. überblick über die Kartellgesetzgebung bis zum Jahre 1958 2.1. Die Wettbewerbsgesetzgebung bis 1945

Die Industrialisierung und speziell die Technisierung und Automation im zweiten und dritten Drittel des 19. Jahrhunderts brachten eine Entwicklung mit sich, die wir heute mit "KartelIierung" bezeichnen. Immer mehr Unternehmen schlossen sich zu dem Zweck zusammen, durch vertragliche Abmachungen Wettbewerbsbeschränkungen einzuführen. Seit der Gründung des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats im Jahre 1894 entwickelten sich in Deutschland die Kartelle zu bedeutenden Wirtschaftsfaktoren. 1875 gab es lediglich 8 Kartelle, 1895 waren es schon 143. 1910 stieg die Zahl auf 673 und erreichte 1930 mit ca. 3000 ihren Höhepunkt!. Bis 1923 unternahm der Staat nichts, um durch gesetzliche Regelungen diese Entwicklung zu stoppen. Erst mit der Verordnung vom 2.1. 1923 versuchte der Gesetzgeber durch rechtliche und wirtschaftliche Maßnahmen dem schädlichen Verhalten von Kartellen entgegenzuwirken und sowohl die einzelnen Kartellmitglieder als auch die Außenseiter gegen Machtmißbrauch der Kartelle zu schützen. Der gesetzgeberische Grundgedanke, daß Kartelle an sich zulässig seien und nur einer gegen Mißbrauch gerichteten Aufsicht unterliegen sollten, bewährte sich im großen und ganzen nicht. Die Zahl der Kartelle konnte ungehindert weiter ansteigen. Der Nationalsozialismus machte sich diese Entwicklung zunutze, indem er die Kartelle in den Dienst seiner Wirtschaftslenkung stellte. Die Zwangskartellgesetze vom 15.7.1933 schufen darüber hinaus noch die Möglichkeit, zur Rettung bedrohter Wirtschaftszweige Kartelle und Syndikate zu bilden oder Außenseiter einem schon bestehenden Kartell anzuschließen. Auch die Marktaufsichtsordnung vom 20. 10. 1942 verstärkte das Zusammenspiel von Kartellen und Staat noch mehr2 • Allerdings wurde zugleich mit diesen Maßnahmen auch die Kartellaufsicht verschärft. 1 Vgl. Hartwich, Grosser, Horn, Scheffler: Politik im 20. Jahrhundert, Braunschweig 1964, S. 199. Zum Vergleich die neueren Zahlen: Ende 1969 gab es in der Bundesrepublik 205 Kartelle gegenüber 197 im Jahre 1968. Darunter befanden sich 75 Konditionen- und Rabattkartelle, 45 Spezialisierungskartelle und 77 Exportkartelle. (Vgl. FAZ vom 19.6.1970, S. 17.) Die Zahlen für das Jahr 1973 haben sich nur unwesentlich verändert. (Vgl. Bericht des BKartA für 1973, S. 140/

41.)

22

2. Kartellgesetzgebung bis zum Jahre 1958

2.2. Die Kartellpolitik der Alliierten nach dem zweiten Weltkrieg Die Entwicklung der Kartellpolitik wurde in den ersten Jahren nach 1945 durch die westlichen Besatzungsmächte erheblich geprägt. Sie erließen ein grundsätzliches Kartellverbot und ordneten eine Dekartellierung an. Die "Kartellentflechtungsmaßnahmen" der Militärregierungen richteten sich gegen Kartelle, Konzerne als zentral geleitete Zusammenschlüsse abhängiger Unternehmen und marktbeherrschende Einzelunternehmen3 • Dieses für das im Wiederaufbau befindliche Westdeutschland harte Vorgehen der Besatzungsmächte hatte verschiedene Gründe: 1. Alle derei westlichen Besatzungsmächte hatten zunächst das Bestreben, das Restdeutschland wirtschaftlich soweit wie möglich zu schwächen, damit sich nicht so schnell wieder ein starkes Westdeutschland zwischen den Großmächten bilden konnte. 2. Insbesondere für die USA war die Dekartellierung ein Mittel zur Durchführung ihrer sicherheitspolitischen Konzeption. Hier war es vor allem Roosevelt, der in seinen überlegungen zu einer globalen Gleichgewichtstheorie die Auschaltung Deutschlands als europäischen Machtfaktor forderte. Deutschland wie auch die anderen kontinentaleuropäischen Länder sollten nach der Aufteilung der Welt in drei Einflußsphären - eine amerikanische, englische und russische' - der Sowjetunion überlassen werden4 • "Ziel dieser Konzeption war es, durch Entgegenkommen an die Sowjetunion langfristig günstige Voraussetzungen für ein internationales Kräftegleichgewicht und damit für die Erhaltung des Weltfriedens zu schaffenS." 3. Großbritannien hatte durch den Weltkrieg einen großen Teil seiner Weltmärkte verloren. Die Westmächte wollten unter keinen Umständen zulassen, daß eine wiedererstarkte deutsche Wirtschaft einer Rückeroberung dieser Märkte durch England im Wege stand. Daher waren die USA bereit, England in seinen Bemühungen zu unterstützen 6 • Sie selbst sahen in der Schwächung der t Vgl. Kartte, W.: Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, Köln, Berlin, München 1969, S. 21. 3 Vgl. die Anweisung der Vereinigten Stabschefs der alliierten Streitkräfte an die MiIitärgouverneure vom April 1945, in: Günther, E.: Entwurf eines deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: WuW 1951152,

S.25.

, Vgl. Schwarz, H. P.: Vom Reich zur Bundesrepublik, Politica Bd. 38, Neuwied und Berlin 1966, S. 49 ff. S Robert, R.: Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Münster 1974, S. 85 (Dissertation). e Vgl. Gruchmann, L.: Der Zweite Weltkrieg - Kriegsführung und Politik, München 1967, S. 365.

2.2. Die Kartellpolitik der Alliierten

23

deutschen Wirtschaft eine günstige Gelegenheit, auf dem Weltmarkt zusätzliche Absatzgebiete zu finden 7 • Diese z. T. emotional bedingten Gründe für eine scharfe Antikartellpolitik verloren schon bald an Bedeutung. Nicht zuletzt war es die Veränderung der weltpolitischen Lage, die die USA zur Formulierung eines neuen sicherheitspolitischen Konzepts veranlaßten. Aber auch der Widerstand der Militärregierung der USA in Westdeutschland und der sich allmählich durchsetzende Einfluß der realpolitischen Schule in den USA trugen dazu bei, daß die Alliierten von einer wirtschaftlichen Schwächung Westdeutschlands durch die Demontage- und Antikartellpolitik abgingen. Etwa ab 1947, nachdem die Auschaltung des sowjetischen Einflusses auf die Westzonen vorgenommen worden war, war das Primärziel der USA der Wiederaufbau Westdeutschlands und damit verbunden die Stärkung des westlichen, gegen die Sowjetunion gerichteten Wirtschaftspotentials. Obwohl die USA auch jetzt noch darauf bestand, Kartelle generell zu verbieten und die Wirtschaft zu entflechten, wurde doch deutlich, daß sich die Bekämpfung von Kartellen und Großunternehmen in Zukunft dem Ziel einer Wiederbelebung der westdeutschen Wirtschaft unterzuordnen hattes. Je entschlossener die USA die Auffassung vertraten, die westdeutsche Wirtschaft müsse wiederaufgebaut werden, desto mehr ließen sie den westdeutschen Politikern und damit auch den Interessenverbänden der Wirtschaft Möglichkeiten, sich an der Gestaltung einer für Westdeutschland angemessenen Wirtschaftsordnung zu beteiligen. Die Initiativen von westdeutscher Seite bestanden zunächst allerdings lediglich darin, Gegendarstellungen zu den von den Amerikanern erlassenen Verordnungen zu geben. Erst Mitte 1949 begann ein Kreis von Sachverständigen und Regierungsbeamten unter Leitung von Dr. Paut Josten 9 einen eigenen Entwurf zu einem Konzentrationsgesetz zu erarbeiten. Der endgültige Entwurf wurde am 5.7.1949 dem Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, Ludwig Erhard, vorgelegtl°. Da der Entwurf den Vorstellungen der Amerikaner aber nicht entsprach, wurde er schon bald aus der Diskussion herausgenommenl1 • 7 Vgl. Blum, R.: Soziale Marktwirtschaft, Wirtschaftspolitik zwischen Neoliberalismus und Ordoliberalismus, München 1969, S. 186 f. 8 Vgl. Germany 1947 -1949,1950, S. 33 ff. 9 Josten war langjähriger Leiter des Kartellreferates im Reichswirtschaftsministerium und Beauftragter für Preisbildung beim Länderrat nach

1945.

10 Vgl. Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten vom 5. 7. 1949, Bundesministerium für Wirtschaft, o. J.

24

2. Kartellgesetzgebung bis zum Jahre 1958

Wenn man nach Gründung der Bundesrepublik von deutscher Seite angenommen hatte, die Besatzungsmächte würden der Bundesregierung die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung und insbesondere der Kartellpolitik überlassen, hatte man sich getäuscht. Im Besatzungsstatut für die Bundesrepublik vom 10.4.1949 sicherten sich die Alliierten auch weiterhin ihren Einfluß auf die Kartellpolitik der Bundesrepublik. Erst mit dem Inkrafttreten der Pariser Verträge von 1954 wurden den Behörden der Bundesrepublik alle Rechte, die die Dekartellierung und Entflechtung betrafen, von den Alliierten übergeben12 • 2.3. Die Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen 2.3.1. Verlauf der Beratungen in der ersten Phase: 1949 - 1952/53

Im folgenden wird versucht, in komprimierter Form die Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nachzuvollziehen, wobei es nicht die vornehmliche Aufgabe sein soll, den Neoliberalismus als Gestalter des GWB im Detail vorzustellen oder die große Anzahl von Referentenentwürfen im einzelnen vorzuführen. Wichtiger im Rahmen dieser Arbeit ist das Aufzeigen von Interesseneinflüssen, die das Gesetz in seiner letztgültigen Fassung entstehen ließen. Unter Erhards Federführung entstand im Wirtschaftsministerium der Regierungsentwurf 13 • In seiner Grundhaltung zu wettbewerbspolitischen Fragen - wie auch zu allgemein wirtschaftspolitischen Fragen - ließ sich der erste Wirtschaftsminister der Bundesrepublik von neoliberalen Vorstellungen leiten: So forderten die Neoliberalen unter eindeutiger Ablehnung der Existenz historischer Gesetzmäßigkeiten und unter Bejahung des Primats des Geistes bezüglich der Gestaltung des Seins die bewußte Schaffung der Formen des Wirtschaftens durch eine Ordnungspolitik14 • Für die Anhänger des Neoliberalismus war klar, daß die Probleme des Menschen in der Industriegesellschaft weder durch die Laissez-faire-Politik noch durch die zentrale Lenkung des Wirtschaftsprozesses gelöst werden könnten. Sie behaupteten von sich, einen dritten, besseren Weg gefunden zu haben: Das primäre Anliegen sei die Verwirklichung der Dominanz einer Marktform der vollständigen Konkurrenz, in der eine Vielzahl von Anbietern und NachfraVgl. dazu: Robert, R.: Konzentrationspolitik, S. 103 - 111. Vgl. BGBl. 1955, TeilII, S. 216 u. 237. 13 Vgl. BTags-Drucksache 1/3462. 14 Vgl. Robert, R.: Die Haltung des Bundeskartellamtes zur Unternehmenskonzentration unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses des Wirtschaftsministeriums, Berlin 1970, S. 23 (unveröffentlichte Diplomarbeit). 11

12

2.3. Entstehung des GWB

25

gern am Markt sei, wodurch eine Preismanipulation durch einzelne ausgeschlossen werde. Ebenso lehnten sie eine willkürliche Marktgestaltung der "Spielregeln", nach denen der Wirtschaftsprozeß ablaufen sollte, durch einzelne marktmächtige Unternehmen ab l5 • Als Idealbild wurde von ihnen nicht ein wirtschaftspolitisch abstinenter Staat, wie im Liberalismus des 19. Jahrhunderts, gesehen, sondern ein Staat, der in der Lage sein sollte, eine Wettbewerbswirtschaft zu konstituieren. Das bedeutete, Wirtschafts- und Staatsordnung müßten interdependent seinl6 • Allerdings erkannten die Neoliberalen auch, daß, wenn der Staat jede wirtschaftspolitische Maßnahme unter den Aspekt der Herstellung eines Preissystems der vollständigen Konkurrenz stelle, das Ergebnis keine Marktwirtschaft sein könne, die alle wirtschaftlichen und sozialen Probleme von selbst löst l7 • Daher forderten sie die Anwendung regulierender Prinzipien, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten l8 • Eine Möglichkeit zur Realisierung ihrer Vorstellungen sahen sie in der Errichtung eines Monopolamtes, das folgende Aufgaben erhalten sollte: -

-

Sicherung des Wettbewerbs durch Erzwingung der gesetzlichen Normen und somit Verhinderung der Entstehung neuer wirtschaftlicher Machtstellungen; Auflösung vermeidbarer Monopole unter gleichzeitiger Beseitigung der Ursachen ihres Entstehens; Verstaatlichung unvermeidbarer Monopole und Beaufsichtigung unvermeidbarer Monopole durch Mitverantwortung bei der Preisgestaltung l9 .

Erhard, ein Anhänger des Neoliberalismus und Mitbegründer der sozialen Marktwirtschaft, versuchte von Anfang an, die theoretischen Überlegungen der Neoliberalen mit in sein Konzept einer Wettbewerbspolitik für die Bundesrepublik einzuarbeiten. Damit war gleichzeitig auch in etwa die Richtung vorgezeichnet, wie das zukünftige GWB ausgestaltet werden sollte. Wie konsequent sich der Wirtschaftsminister an die neoliberale Vorstellung hieWo, zeigt eine Äußerung 15 Vgl. Eucken, W.: Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, in: ORDO 2/1949, S. 18 f. 18 Vgl. ders.: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, hrsg. von Edith EuckenErdsiek und K. Paul Hensel, o. 0.1957, S. 187. 17 Vgl. Müller-Armack: Die Wirtschaftsordnungen, sozial gesehen, in: ORDO 1/1948, S. 148. 18 Vgl. Eucken, W.: Die Wettbewerbsordnung, S. 64. 19 Vgl. Stocker, E.: Die Monopolpolitik des Neoliberalismus, Winterthur 1957, S. 47. 20 Die Haltung Erhards läßt sich schon während der ersten Beratungen (1949/50) erkennen (vgl. die steno graphischen Berichte des 1. Deutschen Bundestages), und auch noch in den 70er Jahren. (Vgl. Erhard, L. / MüllerArmack, A.: Soziale Marktwirtschaft, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1972).

2. Kartellgesetzgebung bis zum Jahre 1958

26

während der ersten Lesung des GWB am 24.5.1955 im Bundestag21 , als sich schon deutlich herausgestellt hatte, daß seine Vorstellungen bei verschiedenen Interessengruppen auf Widerstand stießen und sich nur schwerlich noch würden durchsetzen lassen: "Ich erkenne in dem Ordnungs system der sozialen Marktwirtschaft die ökonomische Grundlage eines demokratischen Staatswesens, das als unantastbaren Wert die menschliche Freiheit setzt ... Die Harmonie einer Marktwirtschaft beruht auf der freien Funktion der tendenziell zum Ausgleich und zum Gleichgewicht hindrängenden Kräfte2 2 ." Der Gesetzentwurf der Bundesregierung23 ging vom Verbotsprinzip aus. Kartelle sollten - von wenigen Ausnahmen abgesehen - verboten sein24 • Damit hatte sich Erhard zumindest in der Frage: Mißbrauchsoder Verbotsprinzip? innerhalb der Ministerialbürokratie und des Kabinetts durchgesetzt. Anläßlich der ersten Lesung im Bundestag begründet er den Grundsatz der Verbotsgesetzgebung u. a. damit, daß es nicht allein darauf ankomme, Mißbräuche zu beseitigen, sondern allgemeine, übergeordnete Ordnungsprinzipien durchzusetzen. Das Gesetz bedeute das Korrelat zur politischen Demokratie25 • Ausnahmen im Bereich der Kartelle waren Konjunkturkrisen-, Rationalisierungskartelle ohne Preisabsprachen sowie Exportkartelle. Unternehmenszusammenschlüsse sollten an die Erlaubnis der Kartellbehörden gebunden sein 26 • Vertikale Preisbindungen - Markenartikel und Verlagserzeugnisse ausgenommen - sollten nicht unter das Kartellverbot fallen27 • Wichtige Bereiche der deutschen Wirtschaft waren im Entwurf vom Kartellverbot gänzlich ausgenommen worden, so z. B. Vgl. stenographische Berichte des 2. Deutschen Bundestages, S. 4199 D ff. Stenographische Berichte des 2. Deutschen Bundestages, S. 4107 B. 23 Nach Vorliegen des ersten Entwurfs vom 27.10.1949 folgten noch weitere 12 Referentenentwürfe, die von der Ministerialbürokratie erarbeitet wurden: Die Referentenentwürfe von 1949 - 1952: 21

22

1. 27.10.1949 2. 9. 11. 1949 3. 26.11.1949 4. 9.12.1949 5. 23.12.1949 6. 7. 1. 1950 7. 5. 4.1950

8. 9. 10. 11. 12. 13.

20. 4.1950 31. 7. 1950 5. 9.1950 20.10.1950 15. 1.1951 21. 3. 1951.

Vgl. Regierungsentwurf, BTags-Drucksache lI/U58, §§ 1 -7. Vgl. Schriftliche Berichte des Ausschusses für Wirtschaftspolitik über den Entwurf eines GWB, zu Drucksache 3644 der 2. Wahlperiode, Abschnitt 24

25

BlI.

Zum Problem des Verbots- oder Mißbrauchsprinzips vgl. Bethusy-Huc, Viola Gräfin von: Demokratie und Interessenpolitik, Wiesbaden 1962, S. 36-

38.

28

27

Vgl. Regierungsentwurf, BTags-Drucksache lI/U58, §§ 18 und 19. Vgl. Regierungsentwurf, BTags-Drucksache lI/U58, §§ 10 und 11.

2.3. Entstehung des GWB

27

die Bundesbank, die Landeszentralbehörden, die landwirtschaftliche Urerzeugung, hoheitlich geführte Betriebe auf dem Post- und Verkehrswesen28 .

Die Fassung des Gesetzes, das 1957 verabschiedet wurde, hatte nicht mehr die Geschlossenheit des ursprünglichen Konzepts: Die Zahl der Ausnahmen hatte sich von 3 Erlaubniskartellen auf 6 Erlaubniskartelle und fünf Anmeldekartelle erhöht; die Fusionskontrolle war fallengelassen worden, und zwar aus der Überlegung heraus, "daß die Einführung einer solchen Erlaubnispflicht möglicherweise die vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus begrüßenswerte Tendenz zur optimalen Betriebsgröße an ihrer vollen Entfaltung hindern könne"29. Erhard hatte sich also mit seinen Vorstellungen zum GWB nicht durchsetzen können. Das macht auch seine Verbitterung über den endgültigen Entwurf verständlich, wenn er sagte: "Meine Konzeption von dem Kartellgesetz, wie sie ja auch in der Regierungsvorlage zum Ausdruck gekommen war, deckt sich ganz bestimmt nicht völlig mit der jetzt erarbeiteten Lösung30." 2.3.1.1. Einflußversuche verschiedener Interessengruppen auf die Entwürfe

Die große Anzahl der Referentenentwürfe und die Äußerung Erhards machen klar, daß sowohl im vorparlamentarischen als auch im parlamentarischen Raum von verschiedenen Seiten Einflüsse ausgeübt wurden, die eine Änderung der Vorstellung von seiten der Regierung insbesondere Erhards - bewirkte. Im folgenden sollen diese analysiert werden. 1. Im Wirtschaftsministerium waren verschiedene Beamte mit der Erarbeitung des Gesetzentwurfs beschäftigt. Da diese Beamten zu einzelnen Problemen der Kartellgesetzgebung und auch generell zur Wettbewerbspolitik eine andere Grundposition als Erhard einnahmen und zumindest bis zum ersten Entwurf eine Koordination zwischen den einzelnen Beamten weitgehend fehlte 3 t, mußte zwangsläufig ein Entwurf entstehen, der auf die Kritik von seiten der übrigen an der Erarbeitung des Entwurfs beteiligten Ministerialbeamten stieß. Vgl. ebenda, § 102. Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik des Bundestages über den Entwurf eines GWB, zu Drucksache 3644 der 2. Wahlperiode, Abgeordneter Illerhaus zu § 18 (§ 23) GWB. 30 Steno graphische Berichte des 2. Deutschen Bundestages, S. 13246 D. 31 Vgl. Robert, R.: Konzentrationspolitik, S. 121. 28

29

2. Kartellgesetzgebung bis zum Jahre 1958

28

2. Auch zwischen den Kabinettsmitgliedern gab es Meinungsverschiedenheiten, insbesondere was den Anwendungsbereich des Gesetzes anging. So versuchten die Bundesminister für Landwirtschaft und Verkehr, die Kabinettsmitglieder zu überreden, die Bereiche Landwirtschaft und Verkehr aus dem Anwendungsbereich des Kartellgesetzes herauszulassen. Ebenso kam es zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesfinanzministerium zu immer neuen Verhandlungen in der Frage der Einbeziehung von Kreditinstituten, Bausparkassen und Versicherungsunternehmen in das Gesetz 32 • 3. Wenn es auch so scheinen mochte, als sei die Erarbeitung des Gesetzentwurfs zu einer ausschließlich "deutschen" Angelegenheit geworden, darf der Einfluß der Alliierten gerade in dieser Phase der Entstehung des Gesetzes nicht unterschätzt werden. Abgesehen vom generellen Einspruchsrecht, das sich die Alliierten vorbehalten hatten, kam es auch zu Einsprüchen in Detailproblemen des Kartellgesetzes. So wurde die Bundesregierung von der Alliierten Hohen Kommission gezwungen, Vorschriften zur Behinderung kapitalmäßiger und personeller Verflechtung miteinander im Wettbewerb stehender Unternehmen und zur Entflechtung und Aufgliederung von Konzernen und Großunternehmen in den Entwurf aufzunehmen 33 • Die unterschiedliche Auffassung der Alliierten zu den Einzelproblemen kam noch einmal ganz deutlich zum Ausdruck, als sie ihren Entwurf zum GWB vom 28.11. 195134 als Gegenstück zum deutschen Regierungsentwurf vorlegten, womit sie eine Reihe von Verhandlungen mit der Bundesregierung in Gang setzten. Folgende Forderungen waren in dem Entwurf der Alliierten enthalten: -

Das grundsätzliche Verbot von Kartellverträgen und Kartellbeschlüssen sollte auf die gemeinschaftliche Unternehmung ausgedehnt werden.

.-

Das generelle Verbot horizontaler Wettbewerbsbeschränkungen sollte verschärft und die Ausnahmebestimmungen eingeengt werden.

-

Im Gegensatz zur Bundesregierung forderten die Alliierten eine Verschärfung der Bestimmungen über marktbeherrschende Unternehmen. Die finanzielle Verflechtung marktbeherrschender Unternehmen sollte verboten werden35 •

Vg!. ebenda, S. 152 - 154. Vgl. Vermerk über eine Besprechung Günthers mit M. Pacquement am 10. 10. 1951, Amt!. Mat. zum GWB 220, S. 1. 34 Vgl. Alliierter Entwurf eines GWB vom 28. 11. 1951, Amt!. Mat. zum GWB 183. 32 33

2.3. Entstehung des GWB

29

Die Bundesregierung lehnte diese Forderungen durchweg ab. In den deutsch-alliierten Verhandlungen, die daraufhin einsetzten, konnten die deutschen Wettbewerbsexperten nach anfänglich heftigen Kontroversen die Alliierten davon überzeugen, daß die von ihnen geforderten Änderungen nicht mit dem deutscllen Rechtsverständnis in Einklang zu bringen seien und daher zu einer nicht absehbaren innenpolitischen Belastung werden könnten 36 • Die Alliierten gingen daraufhin von ihren Forderungen ab, und es wurde eine Formulierung gefunden, die unmittelbar in den regierungsamtlichen Entwurf Eingang fand. 4. Der Einfluß der wirschaflichen Ineressenverbände während der 1. Legislaturperiode - also während der Erarbeitung des Regierungsentwurfs - ist nicht so hoch anzusetzen wie in der 2. Legislaturperiode37 • Die Zurückhaltung ist dadurch zu erklären, daß die gewerbliche Wirtschaft aufgrund ihrer Opposition gegen den Entwurf mit einem erneuten Eingreifen der Alliierten hätte rechnen müssen. Trotzdem zeigen die Stellungnahmen der Verbände zu den ersten Entwürfen der Bundesregierung eine eindeutig ablehnende Haltung. BDI und DIHT, die unter den Interessenverbänden eine gewisse "Führerrolle" übernahmen, lehnten insbesondere das generelle Kartellverbot ab mit der Feststellung, die Wettbewerbspolitik des Wirtschaftsministeriums drohe zu einer unerträglichen Hemmung der deutschen Wirtschaft zu führen 38• Nach ihrer Ansicht stünde die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Produktion und des Absatzes nicht im Widerspruch zum Wettbewerbsprinzip in der 35 Vgl. Versuch betr. den alliierten Entwurf eines GWB vom 5.12.1951, Amtl. Mat. zum GWB 233, S. 1 ff. 36 Vgl. Robert, R.: Konzentrationspolitik, S. 165 ff. 37 Vgl. dazu die nachstehende übersicht I: Zahl der Eingaben, Denkschriften, Gutachten, Empfehlungen usw. im Zusammenhang mit der Erarbeitung des GWB - aufgeschlüsselt nach Zeiträumen.

Zahl der Eingaben etc.

1. Legislaturperiode Sept. 1949 Mai 1952 bis April bis Sept. 1952 1953

2. Legislaturperiode Okt. 1953 Mai 1954 bis April bis Juli 1954 1957

43 (14)a)

6 (3)

60 (14)

261 (44)

a) In Klammern Zahl der Eingaben, Denkschriften usw" in denen zu der Gesamtkonzeption des Gesetzes Stellung genommen wurde. QueUe: RObert, R.: Konzentrationspolitik, S.171. 38 Vgl. Fazit aus der Diskussionsveranstaltung des BDI über Wettbewerbs- u. Kartellprobleme in UnkelJRhein am 2. 7.1951.

2. Kartellgesetzgebung bis zum Jahre 1958

30

Marktwirtschaft3D. BDI und DIHT forderten daher, daß Kartelle grundsätzlich erlaubt sein sollten. Ein Verbot sollte nur dann ausgesprochen werden, wenn ein schwerwiegender Machtmißbrauch nachgewiesen werden könne. Ganz entschieden und in aller Härte wandten sich die Verbände gegen die Absicht Erhards, einzelne Zweige der gewerblichen Wirtschaft vom Kartellverbot auszunehmen, da dies eine rechtliche und moralische Diskriminierung der übrigen Unternehmen sei 40 • Es gab aber noch einen anderen Grund, weshalb sich der BDI und der DIHT gegen die Einführung der Ausnahmebereiche wandten. Es zeigte sich nämlich, daß die Verbände der Bereiche, die ausgenommen werden sollten, ihre ablehnende Haltung gegen das Kartellgesetz aufgaben. Damit war die Einheitsfront der unternehmerischen Verbände nicht mehr so wirksam. Zudem fanden die Verbände in den Fachministerien, die für ihre Belange zuständig waren, Unterstützung. So setzte sich das Bundesernährungsministerium indirekt für die landwirtschaftlichen Interessenorganisationen, das Bundesverkehrsministerium für die Verkehrswirtschaft41 und das Bundesfinanzministerium für die Kreditinstitute, Bausparkassen und Versicherungsunternehmen ein42 • 2.3.2. Verlauf der Beratungen in der zweiten Phase: 1952/53 -1957

Nachdem der Regierungsentwurf dem Bundestag am 13.2.1952 zugeleitet worden war, hielten sich die Alliierten aus den Auseinandersetzungen um die endgültige Fassung des GWB weitgehend heraus. Diese Tatsache hatte neben den erwähnten Gründen wohl den, daß die Alliierten in die parlamentarischen Beratungen nicht eingreifen wollten und konnten, wenn sie nicht gegen das Selbstbestimmungsrecht, das sie den Westdeutschen zugestanden hatten (freie Wahlen, Parlament), verstoßen wollten. Darin unterschied sich die Politik der Alliierten von der der sowjetischen Besatzungsmächte in der sowjetisch besetzten Zone. Wenn auch mit einem Eingreifen der Besatzungsmächte nicht mehr zu rechnen war, so konnte man dennoch nicht davon ausgehen, daß der Entwurf innerhalb kürzester Zeit verabschiedet werden würde, da sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat in und zwischen den verschiedenen Parteien bzw. Fraktionen keine einheitliche Auffassung Vgl. Entschließung des BDI zur Kartellgesetzgebung vom 15.7.1952. Vgl. Schreiben des DIHT an die Mitglieder des Wirtschafts- und Rechtsausschusses des Bundesrates vom 17. 4. 1952, S. 2. 41 Vgl. Handelsblatt vom 8. 2. 1950, S. 8. 42 Vgl. Internes Schreiben des Bankenreferates und des Versicherungsreferates an die Abteilung I des Wirtschaftsministeriums vom 25.10.1951, Amt. Mat. zum GWB 222. 38

40

2.3. Entstehung des GWB

31

zu den im Regierungsentwurf angesprochenen Problemen herrschte. Während in der CDU/CSU Bestrebungen bestanden, das generelle Kartellverbot aufzulockern43 , gab es in der SPD eine Tendenz, sich den Vorstellungen Erhards anzuschließen44 • Das kam besonders deutlich in den Beratungen des Bundesrates zum Ausdruck, in denen der Hamburger sozialdemokratische Senator Schiller die Politik Erhards auf das Entschiedenste verteidigte, der nordrhein-westfälische CDU-Politiker Straeter sich jedoch gegen ein generelles Kartellverbot aussprach45 • Der wichtigste Koalitionspartner der CDU/CSU, die FDP, war in sich nicht geschlossen, wollte aber, wenn es zur Abstimmung kam, den Vorlschägen Erhards zustimmen. Dagegen stellte sich der zweite Koalitionspartner, dIe DP, gegen die Verbotsgesetzgebung Erhards46 • Die hier angedeuteten verschiedenen Standpunkte der Parteien mußten in den weiteren Beratungen dazu führen, daß die Verabschiedung des Gesetzes immer weiter hinausgeschoben wurde. Als sich zeigte, daß die Mitglieder im Wirtschafts ausschuß des Bundestages keine gemeinsame Basis fanden, bot Erhard den Gegnern einige Vorschläge für Ausnahmevorschriften des Kartellverbots an. So sollte die Ausnahmevorschrift für Exportkartelle erweitert, die Vorschrift für Rationalisierungskartelle neu gefaßt und Konditionenkartelle in gewissem Umfang zugelassen werden47 • Doch auch diese veränderte Lage erbrachte keine Einigung. Die Uneinigkeit im Bundesrat machten sich die verschiedenen Interessenverbände zunutze. Von nun an griffen insbesondere die Verbände der gewerblichen Wirtschaft verstärkt in die Diskussion ein. Von der anfänglichen Zurückhaltung war nichts mehr zu spüren. Da die Verbände nicht von Anfang an an der Erarbeitung des Gesetzes beteiligt worden waren - was sie dem Wirtschaftsminister auch vorwarfen -, mußten sie nun versuchen, durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit schwankende Abgeordnete mit ihren Argumenten zu überzeugen und damit Erhard zum Nachgeben zu zwingen48 • Die Gegensätze zwischen dem BDI und dem Wirtschaftsminister kamen in der Kartellregelung deutlich zum Ausdruck: "Während Kartelle für den BDI Instrumente im Dienste der sozialen Marktwirtschaft waren, glaubte der BMWi, in Machtkörpern dieser Art Weg43 Vgl. Robert, R.: Konzentrationspolitik, S. 194 ff. 44 Vgl. ebenda, und S. 216. 45 Vgl. ebenda, S. 221 ff. 48 Vgl. ebenda, S. 229 t. 47 Vgl. Kurzprotokoll der 183. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik des 1. Deutschen Bundestages vom 11. 2.1953, Anlage, S. 25 f. und

S.27. 48

Vgl. Schreiben Fritz Bergs an den Wirtschaftsminister vom 6.10.1952,

S. 1 f.

2. Kartellgesetzgebung bis zum Jahre 1958

32

bereiter des Sozialismus zu erkennen. Das war auf eine kurze Formel gebracht die Ursache dafür, daß sich Fritz Berg im Namen der Industrie für die Anwendung des Mißbrauchsprinzips in der oben geschilderten Form einsetzte, Ludwig Erhard aber auf dem Standpunkt beharrte, der Grundsatz des generellen Kartellverbots dürfe nicht preisgegeben werden49 ." Die Absicht des BDI war somit klar umrissen. Wenn es schon nicht möglich war, die Verbots regelung in eine Mißbrauchsregelung umzu';' wandeln, sollte zumindest eine Reihe von Freistellungen vom Kartellverbot vorgenommen werden. Hinzu kamen noch weitere Forderungen: -

Verbotsprinzip nur für Beschränkungen des lauteren Wettbewerbs; Zulässigkeit von Abwehrkartellen zum Schutz kleiner und mittlerer Betriebe mit Erlaubnis der Kartellbehörde; unbegrenzte Zulässigkeit von Rationalisierungskartellen ohne Preisbindungen; Zulässigkeit von Konditionenkartellen mit Rabattregelung; Generalausnahme durch das Bundeskartellamt mit Zustimmung des Bundesrates; Streichung der Genehmigungspflicht für kapitalmäßige Zusammenschlüsse; Zulässigkeit von Empfehlungen über Preise und Preisbestandteile; Einrichtung eines Beirates beim Bundeskartellamt, bestehend aus Mitgliedern aus Wissenschaft und Wirtschaftso.

Schon die Widerstände gegen den Regierungsentwurf von verschiedenen Seiten in der ersten Legislaturperiode ließen vermuten, daß eine erneute Einbringung des alten Entwurfs in der zweiten Legislaturperiode nicht nur beim BDI und DIHT sondern auch bei den eigenen Kabinettsmitgliedern und verschiedenen Abgeordneten auf Ablehnung stoßen würde. Erst die Drohung Erhards, er werde seinen Ministerposten zur Verfügung stellen, wenn der Regierungsentwurf vom 13.6. 1952 nicht unverändert angenommen und an den Bundesrat überwiesen würde, zwang das Kabinett zum Nachgeben. Doch dieser "Sieg" half Erhard wenig, da bereits im Sommer 1954 der BDI eine noch unnachgiebigere Haltung in der Kartellfrage zeigte als in der 1. Legislaturperiode. Es kam sogar zum Abbruch der Gespräche zwischen dem BDI und dem Wirtschaftsministerium. Nachdem sich jedoch der Verband bereit erklärt hatte, generell das Verbotsprinzip anzuerkennen, wurden die Verhandlungen wiederaufgenommen, in deren Verlauf sich zeigte, daß Erhard seinerseits zu Zugeständnissen bereit warSt. Robert, R.: Konzentrationspolitik, S. 247. Vgl. Internes Schreiben von Müller-Armack an den Wirtschaftsminister vom 9. 7.1954, Amtl. Mat. zum GWB 495, S. 2. 51 Vgl. Robert, R.: Konzentrationspolitik, S. 259 f. 49

50

2.3. Entstehung des GWB

33

Am Ende der Beratungen blieb von dem ursprünglichen Entwurf lediglich ein Torso bestehen. Die vom BDI in zähen Verhandlungen durchgesetzten Abschwächungen kamen einer Niederlage Erhards gleich. Nach dem nunmehr vorliegenden Entwurf war von dem ursprünglichen Konzept des Regierungsentwurfs nicht mehr viel übrig. Vom Kartellverbot freigestellt wurden jetzt Konditionenkartelle, Normierungs- und Typisierungskartelle und Exportkartelle. Neu in die Gruppe der anmeldepflichtigen Kartelle aufgenommen wurden Funktionsrabatt- und Konjunkturkrisenkartelle. Genehmigungspflichtig sollten sein -

-

Vereinbarungen von Rabatten, Kartelle bei strukturellen Krisen, Kartelle zur wirtschaftlichen Rationalisierung, insbesondere Rationalisierungen in Verbindung mit Preis- und Gebietsabsprachen sowie Syndikate, Exportkartelle mit Inlandswirkung und Importkartelle52 •

Im Bundesrat waren es vor allem die Vertreter der CDU/CSU-regierten Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen, die gegen die Verbotsregelung im erneut eingebrachten Regierungsentwurf plädierten. Sie konnten allerdings eine eindeutige Ablehnung des Entwurfs nicht durchsetzen; dafür erreichten sie aber, daß der Wirtschaftsausschuß des Bundesrates dem Plenum empfahl, eine Generalklausel in das Gesetz aufzunehmen, die die Möglichkeit bieten sollte, in Notzeiten per Gesetz verbotene Kartelle zu erlauben53 • Die bis dahin bestehende Unsicherheit, welche Vertreter der Bundesländer für oder gegen die Verbotsgesetzgebung eintreten würden, wurde durch das Votum der Vertreter des Bundeslandes Hamburg für die Regierungsvorlage im Plenum des Bundesrates aus dem Wege geräumt54 • Die zahlreichen Änderungsanträge des Bundesrates wurden von der Bundesregierung geprüft; einige konnten akzeptiert werden, wie etwa die Auflockerung des Verbotsprinzips, andere dagegen wurden abgelehnt, wie z. B. die Freistellung der Kreditinstitute, Versicherungen und Bausparkassen vom Kartellverbot und die Besserstellung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften55. 52 Vgl. Sölter, A.: Änderungsvorschläge zum Kartellgesetzentwurf Die Beratungsergebnisse des AK Kartellgesetz, in: WuW, 4. Jg., Heft 11, 1954, S.729. 53 Vgl. Ausschußbericht des Ministers Seidel, in: stenographische Berichte des Bundesrates, 123. Sitzung vom 21. 5. 1954, S. 139 B/C. 54 Vgl. stenographische Berichte des Bundesrates, 123. Sitzung vom 21. 5. 1954, S. 143 B.

3 Jäckering

34

2. Kartellgesetzgebung bis zum Jahre 1958

Nachdem Erhard somit auch die zweite Hürde genommen hatte, stellte sich ihm die dritte entgegen: der Bundestag. Gleich zu Beginn der Beratungen sah sich der Wirtschaftsminister einer ihm bis dahin nicht bekannten, schwierigen Situation gegenüber, da inzwischen dem Bundestag zwei weitere Entwürfe vorlagen: der sog. Höcherl- 56 und der sog. Böhm-Entwurf57 • Der Höcherl-Entwurf - Unterzeichner waren 30 CSU-Abgeordnete - ging von der Mißbrauchsgesetzgebung aus und war als Gegenentwurf zum Regierungsentwurf gedacht. Der Böhm-Entwurf - Unterzeichner waren 18 CDU- und 2 F.D.P.-Abgeordnete - beinhaltete eine Verbotsgesetzgebung mit Erlaubnisvorbehalt, wobei die Ausnahmen vom Kartellverbot wesentlich enger gehalten wurden als im Regierungsentwurf. In den Beratungen des Bundestages wurde bald deutlich, daß keine der großen im Bundestag vertretenen Parteien von vornherein geschlossen hinter einem der Entwürfe stand. Für Erhard ergab sich zu dem Zeitpunkt folgendes Bild: Ein Großteil der CDU- und F.D.P.-Abgeordneten neigte eher dem Höcherl- bzw. dem Böhm-Entwurf zu, die SPD-Abgeordneten dem Regierungsentwurf 58• In dieser Lage stand Erhard vor der Entscheidung, entweder mit Hilfe der Opposition seinen Entwurf durchzubringen oder seinen eigenen Parteifreunden Zugeständnisse zu machen. Vor beiden Möglichkeiten schreckte der Wirtschaftsminister zurück. Die nachfolgenden Ereignisse entwickelten sich allerdings zu seinen Gunsten: Bundeskanzler Adenauer griff in die Auseinandersetzungen im Wirtschafts ausschuß des Bundestages ein und bat die CDU-CSU-Abgeordneten um eine schnelle Verabschiedung, was nur besagen konnte, dem Regierungsentwurf ihre Zustimmung zu geben 59 • Zudem wurde der Vorschlag Günthers, weder den Böhm- noch den Höcherl-Entwurf, sondern den Regierungsentwurf seinen Erörterungen zugrunde zu legen, vom Wirtschaftsausschuß akzeptiert. Das Abstimmungsergebnis der 1. Lesung im Wirtschaftsausschuß ergab die Annahme der von Erhard vorgeschlagenen Verbotsregelung mit verschiedenen Ausnahmen. Das Ergebnis war mit Hilfe der sozialdemokratischen Opposition zustande gekommen. Für Erhard mochte das zunächst wie ein Erfolg aussehen. Doch für die Regierungskoalition würde das für die im Jahre 1957 bevorstehende Bundestagswahl einen 55 Vgl. a) BTags-Drucksache II/1158, Anlage 3, S. 26 und b) FAZ vom 10.1. 1955, S. 7. 56 Vgl. BTags-Drucksache II/1253. 57 Vgl. BTags-Drucksache II/1269. 58 Vgl. Robert, R.: Konzentrationspolitik, S. 317 f. 59 Vgl. Handelsblatt vom 11. 11. 1955, S. 2.

2.3. Entstehung des GWB

35

Stimmenverlust bedeuten. Daher versuchte sie vor der 2. Lesung, ihre Mitglieder im Wirtschaftsausschuß auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Die für die CDU/CSU-Fraktion politisch notwendige Einigung brachte es mit sich, daß die Befürworter der Verbotsregelung (also auch Erhard) den Gegnern derselben Zugeständnisse machen mußten, d. h. die Beratungen in der 2. Lesung liefen auf eine Auflockerung des Regierungsentwurfs hinaus: -

Die Ausnahmen vom Kartellverbot wurden erheblich erweitert6o •

-

Die Regelungen für die Preisbindung der zweiten Hand wurden erleichtert61 •

-

Die Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen wurde begrenzt.

-

Die Genehmigungspflicht, die der Regierungsentwurf für alle bedeutenden Unternehmenszusammenschlüsse vorsah, entfiel. Statt dessen sah der neue Entwurf eine Anzeigepflicht für sich zusammenschließende Unternehmen vor, wenn sie durch den Zusammenschluß für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von 20 v. H. oder mehr erreichten oder eines der beteiligten Unternehmen einen Marktanteil dieser Höhe bereits ohne den Zusammenschluß innehatte62 • Der Verzicht auf den Einbau der Fusionskontrolle sollte sich schon nach wenigen Jahren als eklatanter Fehler herausstellen, da viele Großunternehmen nicht mehr durch Kartellverbindungen versuchten, den Wettbewerb zu umgehen, sondern durch Zusammenschluß mit bzw. Aufkauf von anderen Unternehmen63 •

-

Die Bereichsausnahmen wurden erweitert: landwirtschaftliche Genossenschaften und Zentralgenossenschaften erhielten eine Sonderstellung; Verkehrsunternehmen und Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Bausparkassen wurden von den Bestimmungen des Kartellgesetzes ausgenommen 64 •

In den abschließenden Lesungen des Bundestages, in denen die Bundesregierung zur Eile drängte 65 , wurde klar, daß der Regierungsentwurf mit den vom Wirtschaftsausschuß vorgeschlagenen Änderungen Vgl. Bethusy-Huc, Viola Gräfin von: Interessenpolitik, S. 73. Vgl. FAZ vom 21. 2. 1957, S. 11. 62 Vgl. § 23 GWB, Entwurf vom 27. 7. 1957. 63 Mit dem Problem der Fusionskontrolle beschäftigte sich der Gesetzgeber dann ab 1968/69 bis zum Jahre 1973. 64 Vgl. FAZ vom 11.4.1957, S. 9. 65 Das Ende der Legislaturperiode stand kurz bevor. 60

61

3*

2. Kartellgesetzgebung bis zum Jahre 1958

36

durchgesetzt werden konnte. Das Abstimmungsergebnis im Bundestag sah folgendermaßen aus: Die SPD-, GB/BHE-Abgeordneten lehnten den Regierungsentwurf ab; die Fraktionen der CDU/CSU, DP und F.D.P.66 stimmten für den Entwurf 67 . Der Bundesrat, der sich in der 1. Legislaturperiode gegenüber dem Regierungsentwurf weitgehend ablehnend verhalten hatte, stimmte in seiner Beschlußfassung dem Regierungsentwurf zu, da der zu verabschiedende Entwurf inzwischen eine nicht geringe Anzahl von Abschwächungen erfahren hatte 68. Es mag bis hierher scheinen, als seien die Abgeordneten und Ländervertreter in ihren Entscheidungen unbeeinflußt von Interessengruppen gewesen. Der Einfluß, den die Interessengruppen insbesondere der gewerblichen Wirtschaft im vorparlamentarischen Stadium des Gesetzentwurfs auf die Exekutive ausgeübt hatten, wurde während der parlamentarischen Beratungen mit unverminderter Energie fortgesetzt. Der BDI, dessen Haltung während der gesamten Zeit von 1950 -1957 konstant war, versuchte auch jetzt wieder, sowohl die Mitglieder des Bundesrates als auch die Abgeordneten des Bundestages von der ihrer Meinung nach besseren Lösung des Mißbrauchsprinzips zu überzeugen. Um das zu erreichen, beschritt der Verband verschiedene Wege: 1. Durch mehrere von Professoren erstellte Gutachten, die publiziert wurden, und durch eine eigens herausgegebenes Kampforgan "Die Kartelldebatte" sollte die Öffentlichkeit davon überzeugt werden, daß die Mißbrauchsgesetzgebung der einzig richtige Weg war, um einen möglichst großen Wettbewerb und damit die Marktwirtschaft zu erhalten. Welche Wirkung mit diesen Mitteln erreicht wurde, war schwer auszumachen69.

2. Weiterhin versuchten die Unternehmerverbände, direkt auf die Verhandlungen im Bundestag und seine Ausschüsse durch Eingaben, Denkschriften und Stellungnahmen einzuwirken. So war z. B. der Höcherl-Entwurf ein Erfolg der bayerischen Industrie, wenn nicht sogar des BDI. Als die Unternehmerverbände erkennen mußten, daß ihre Vorstellungen im Bundestag keinen Erfolg haben würden, leiteten sie eine Gemeinschaftserklärung an den Wirtschaftsausschuß des Bundestages. Der Deutsche Industrie- und Handelstag, der BunDie FDP war inzwischen aus dem Regierungsbündnis ausgeschieden. Vgl. stenographische Berichte des 2. Deutschen Bundestages, 123. Sitzung vom 4. 7.1957, S. 13243 ff. 68 Vgl. stenographische Berichte des Bundesrates, 181. Sitzung vom 19.7. 1957, S. 749 AlB. 69 Vgl. Robert, R.: Konzentrationspolitik, S. 358/359. 68

67

2.3. Entstehung des GWB

37

desverband der Deutschen Industrie, der Gesamtverband des Deutschen Groß- und Außenhandels, die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels und der Zentralverband des Deutschen Handwerks verlangten in der Erklärung eine weitgehende Auflockerung fast aller im Gesetzentwurf vorgesehenen Vorschriften. Der Streit - Verbots- oder Mißbrauchsprinzip - blieb dagegen unbeachtepo. Die gemeinsame Aktion der gewerblichen Wirtschaft bewirkte, daß ein Kartellgesetz verabschiedet wurde, daß den Vorstellungen und Interessen des BDI, DIHT, Handels und Handwerks weitgehend entgegenkam. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß in der Phase der Erarbeitung des Regierungsentwurfs der Einfluß der Alliierten die gesetzlichen Formulierungen weitgehend bestimmten. Daß es zu keinem Diktat der Besatzungsmächte kam, war dem Umstand zu verdanken, daß sich die Ansichten von Wirtschaftsminister Erhard und die der Alliierten in puncto generelles Kartellverbot nahezu deckten. Hinzu kam noch, daß sich die Interessenverbände erst in die Diskussion um das Kartellgesetz einschalteten, als sich die Amerikaner, Engländer und Franzosen aus der Diskussion heraushielten. Der BDI und der DIHT gingen in ihren Überlegungen davon aus, daß ihre ablehnende Haltung zum generellen Kartellverbot die Alliierten zu einem Diktat veranlassen könnte, was für sie schwerwiegende Folgen gehabt hätte. Insbesondere zwei Gründe waren dafür ausschlaggebend, daß der Regierungsentwurf in der 1. Legislaturperiode nicht verabschiedet wurde und das Gesetz bei seiner Verabschiedung eine Vielzahl von Abschwächungen erfuhr: 1. Erhard mußte die ablehnende Haltung vieler CDU/CSU-Abgeordneter zum generellen Kartellverbot berücksichtigen. 2. Die Einflußnahme der Wirtschaftsverbände auf die Abgeordneten

des Bundestages und die Mitglieder des Bundesrates wurde in der 2. Legislaturperiode verstärkt. Zudem betrieben sie eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit.

70 Vgl. Gemeinschaftserklärung zum Entwurf eines GWB vom 1. 9. 1956, hrsg. von den oben erwähnten Verbänden der gewerblichen Wirtschaft, s. 1 ff.

3. Die Novellierung des GWB von 1965/66 1 und die Vorarbeiten Obschon oder gerade weil sich der Bundestag bei der Verabschiedung des Kartellgesetzes nicht entschließen konnte, eine Zusammen schlußkontrolle mit in das Gesetz aufzunehmen, kam es bereits in den ersten Jahren nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zu einer Reihe von Vorstößen im Parlament, die das Konzentrationsproblem einer schärferen Regelung unterwerfen wollten. In der CDU/CSU waren es die mittelständischen Abgeordneten, die auf eine Konzentrationsenquete und auf Vorschläge der Bundesregierung "zur Vermeidung unerwünschter Konzentration und zur Schaffung gleicher Start- und Wettbewerbsbedingungen für Groß- und Kleinbetriebe" drängten 2 • Die SPD ging einen Schritt weiter und legte dem Bundestag schon Ende 1960 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der §§ 18 und 22 bis 24 GWB vor. Der Entwurf sah neben einer Verschärfung des § 18 (Ausschließlichkeitsbindungen) und des § 22 (Mißbrauchsaufsicht über markt beherrschende Unternehmen) ein Erlaubnisverfahren bei Zusammenschlüssen von Unternehmen in Anlehnung an den Regierungsentwurf zum Kartellgesetz vor. Beide Vorstöße wurden durch folgende Maßnahmen des Bundestages abgefangen: 1. durch das Gesetz über eine Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 31. 12. 1960 und 2. durch eine einstimmige Entschließung des Bundestages auf Antrag der Abgeordneten Schmücker, Brand, Kurlbaum, Lange, Atzenroth und Genossen vom 29. 6. 1961, in der die Bundesregierung aufgefordert wurde, einen Bericht über notwendige Änderungen des Kartellgesetzes vorzulegen. Die Bundesregierung erkannte zu diesem Zeitpunkt das Konzentrationsproblem nicht, wie aus ihrem Bericht über Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.8.1962, dem sog. Kartellbericht 4, und aus ihrer Stellungnahme zum Bericht des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft vom 5.6. 1964, der sog. Konzentrationsenquete5, hervorging. Zur Begründung ihrer Haltung führte sie 1 2

3 4

5

Vgl. Bundesgesetzblatt I, S. 1363. Vgl. BTags-Drucksache IV!617, S. 61 f. Vgl. BTags-Drucksache III/2293. Vgl. BTags-Drucksache IV!617. Vgl. BTags-Drucksache IV!2320.

3. Novellierung des GWB von 1965/66

39

an: Die Einflüsse des Gemeinsamen Marktes wie allgemein der zunehmenden Öffnung der nationalen Märkte ließen sich noch nicht übersehen6 • Konzentration sei an sich weder als gut noch als schlecht zu beurteilen. Allerdings werde ein Konzentrationsvorgang in jedem Fall bedenklich, wenn er zu einer marktbeherrschenden Stellung führe oder eine solche Stellung verstärke 7 • Der entscheidende Gedanke der Bundesregierung, weshalb sie eine Verschärfung des Kartellgesetzes ablehnte, war der, daß es aufgrund des harten Wettbewerbs auf den erweiterten Märkten weniger als bisher möglich sein würde, marktbeherrschende Macht zu bilden oder zu erhalten8 • Dieser Ansicht schloß sich die Mehrheit des Bundestages an. Somit läßt sich festhalten, daß es die Bundesregierung selbst war, die, obwohl sie noch Mitte der fünfziger Jahre - im Regierungsentwurf zum Kartellgesetz - eine Zusammenschlußkontrolle vorgeschlagen hatte, zu diesem Zeitpunkt eine Verschärfung des Kartellgesetzes unmöglich machte. Den nächsten Vorstoß unternahm wiederum die SPD-Fraktion. Ihr Novellierungsentwurf vom 9.6.1964, der u. a. ein kombiniertes Widerspruchs- und Erlaubnisverfahren bei Zusammenschlüssen, die zu einer marktbeherrschenden Stellung führen oder eine bereits vorhandene verstärken würden, vorsah9, wurde im Bundestag zusammen mit dem Regierungsentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.9.196410 beraten. Der Bundesregierung ging es mit ihrem Entwurf in erster Linie darum, aufgrund der ersten praktischen Erfahrungen l l mit dem 1958 erlassenen Gesetz dem Kartellamt verbesserte Bedingungen zu schaffen. Aus diesem Grunde fiel ohne große Auseinandersetzungen die Zusammenschlußkontrolle unter den Tisch. Die Novelle, die daraufhin am 3. Januar 1966 inkrafttrat, sah gegenüber der ursprünglichen Fassung folgende Änderungen vor: -

Erleichterungen des Zulassungsverfahrens für Normen-, Typenund Spezialisierungskartelle, Senkung der VerwaItungsgebühren, Zulassung von Normen- und Typenempfehlungen;

-

Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über preisbindende Unternehmen und Erweiterung der Eingriffsmöglichkeiten der Kartellbehörde und Einführung eines öffentlichen Preisbindungsregisters;

Vgl. BTags-Drucksache IV/617, S. 66. Vgl. BTags-Drucksache IV/2320, S. 90 8 Vgl. BTags-Drucksache IV/617, S. 66. 9 Vgl. BTags-Drucksache IV/2337. 10 Vgl. BTags-Drucksache IV/2564. 11 Vgl. die Tätigkeitsberichte des BKartA von 1958 (BTags-Drucksache IIII 1000), 1959 (BTags-Drucksache 1III1795), 1960 (BTags-Drucksache III/2734), 1961 (BTags-Drucksache IV/178). 6

7

3. Novellierung des GWB von 1965/66

40

-

-

-

Verschärfung der Mißbrauchs aufsicht über vertikale Ausschließlichkei tsverträge; Verschärfung der Mißbrauchs aufsicht über marktbeherrschende Unternehmen durch Erweiterung des Mißbrauchsbegriffs sowie durch Einführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung im Mißbrauchsverfahren; Verschärfung der Vorschriften über Anzeige von Unternehmenszusammenschlüssen durch Einführung absoluter Kriterien für die Anmeldepflicht sowie eines öffentlichen Anhörungsverfahrens bei bestimmten bedeutenden Zusammenschlüssen; Verkürzung des kartellbehördlichen Verfahrens durch die Abschaffung der zweiten VerwaItungsinstanz (Einspruchsverfahren); Übertragung der Befugnis, Geldbußen festzusetzen, von den Gerichten auf die Kartellbehörden12 •

Obwohl die Regierung schon 1963/64 erkannt hatte, daß nicht mehr die Kartellierung sondern die Fusionierung das Hauptproblem bei der Wettbewerbsgestaltung war, tat sie nicht den letzten Schritt zur Einführung einer Zusammenschlußkontrolle. Auch nach der Novellierung vom 3. 1. 1966 war der Regierung kein geeignetes Mittel an die Hand gegeben, Maßnahmen gegen die Unternehmenskonzentration zu ergreifen. Das novellierte Gesetz war vielmehr ein schlechter Komprorniß: Da die Regierung im Bereich der Kartellierung wesentlichen Erleichterungen Raum gab, hätte man erwarten können, daß im Bereich der marktbeherrschenden Unternehmen eine bedeutende Verschärfung vorgenommen worden wäre. Mit einer nochmaligen Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und mit einer Aufwertung der Befugnisse der Kartellbehörde (Verkürzung des kartellbehördlichen Verfahrens; Übertragung an das Kartellamt, Geldbußen festzusetzen) war dem Problem nicht beizukommen. Dies wird bestätigt, wenn man sieht, daß wenig später die Bundesregierung wieder daranging, das Gesetz zu ändern.

12

Vgl. Bundesgesetzblatt I, S. 1363.

4. Die politischen Auseinandersetzungen um die "Preisbindung der zweiten Hand" während der Großen Koalition

(1966-1969) 4.1. Grundvorstellungen der Bundesregierung zur Wettbewerbspolitik Mit Bildung der "Großen Koalition" am 1. 12. 1966 kam den Vorstellungen des neuen Wirtschaftsministers Schiller (SPD) innerhalb der Bundesregierung besondere Bedeutung zu. Er hatte schon während der 1. und 2. Legislaturperiode als Hamburger Wirtschaftssenator im Bundesrat für das von Erhard vertretene generelle Kartellverbot plädiert. Das ließ vermuten, daß Schiller sich auch in der Folgezeit als Wirtschaftsminister für eine verschärfte Gesetzgebung im Bereich der Wettbewerbspolitik einsetzen würde. Allerdings zeigte sich bald, daß für ihn die Wettbewerbspolitik in erster Linie nur ein Mittel zur Förderung des Wachstums war1 • Damit war der Primat der Ordnungspolitik durch den Primat der Wachstumspolitik abgelöst. In den Möglichkeiten der Wirtschaftspolitik sah er eine doppelte Aufgabe: Wettbewerbsordnung, Geldwertstabilität nach innen und außen, Vollbeschäftigung und Wachstum wurden nebeneinandergestellt, wobei die Wettbewerbspolitik der Förderung eines angemessenen gesamtwirtschaftlichen Wachstums dienen sollte, das "als unerläßliche Voraussetzung für die Erfüllung der großen und wachsenden Aufgaben in der modernen Gesellschaft"2 gesehen wurde. 4.1.1. Das "neue wettbewerbspolitische Leitbild"

Neben den Vorstellungen Minister Schillers zur Wettbewerbspolitik spielten die der von ihm eingesetzten Arbeitsgruppe "Wettbewerbspolitik" eine wichtige Rolle, wobei allerdings zu beachten ist, daß diese Entwicklung schon seit längerer Zeit vorbereitet worden war. Im Frühjahr 1964 hatte das Kabinett den Bundeswirtschaftsminister und den Bundesfinanzminister damit beauftragt, gesetzliche Maßnah1 Vgl. a) Robert, R.: Die Haltung des Bundeskartellamtes, S. 89 und b) Diese Auffassung wird auch von der SPD vertreten. Vgl. Kundgebungen und Entschließungen des SPD-Parteitages in Nürnberg vom 17. - 21. 3. 1968 (Broschüre), hrsg. vom Vorstand der SPD, Bonn, S. 11. 2 Schiller, K.: Rede im Schweizerischen Institut für Auslandsforschung in Zürich am 6.2.1967, in: Schiller: Reden zur Wirtschaftspolitik, Bd. 1, 1969,

S.43.

42

4. Auseinandersetzungen um die "Preisbindung"

men zur Beeinflussung der konjunkturellen Entwicklung in Angriff zu nehmen. Im Juni 1966 beschloß die damalige CDU/CSU-F.D.P.-Regierung den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität. Nach Erweiterung des ursprünglich vorgesehenen konjunkturpolitischen Instrumentariums während der Großen Koalition bedingt durch die Rezession - wurde die Vorlage am 10.5.1967 vom Bundestag als "Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft"3 verabschiedet. Das GWB, bis dahin als ,Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft' in seiner Alleinstellung unangefochten, fand so ein Gegenstück für den Bereich der Makroökonomie: "In unserem marktwirtschaftlichen System hat die Wirtschaftspolitik ja eine Doppelaufgabe. Sie hat einerseits die Aufgabe, die Ordnung durch Wettbewerb und damit die Freiheit der unternehmerischen Einzelentscheidungen im Markt und am Markt zu schützen. Sie muß andererseits aber auch dafür sorgen - das schafft der marktwirtschaftliche Prozeß an sich noch nicht -, daß im Wirtschaftsablauf die großen gesamtwirtschaftlichen Ziele, nämlich Stabilität des Geldwertes, hoher Beschäftigungsgrad, außerwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges angemessenes Wachstum der Wirtschaft erreicht werden oder soweit wie möglich erreicht werden. Der einen Aufgabe oder der einen Seite der Doppelaufgabe dient das GWB. Die Erfüllung der anderen Seite streben wir mit Hilfe des jüngeren Bruders, nämlich mit dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums an4." Die Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik5 nun erarbeitete unter Heranziehung der Ideen Kantzenbachs 6 eine Neuorientierung der staatlichen Wettbewerbspolitik unter Berücksichtigung wachstumspolitischer Aspekte. Die wesentlichen Punkte, mit denen sich die Gruppe beschäftigen sollte, waren: -

ein neues Leitbild der Wettbewerbspolitik zu entwickeln, das Kartellgesetz den wirtschaftspolitischen Zielen, anzupassen, bestimmte Kooperationsformen zu erleichtern und weitere Kontrollmöglichkeiten für Machtmißbrauch zu ventilieren 7 •

Grundsätzlich ging es darum, das wettbewerbspolitische Konzept von den Vorstellungen der atomistischen Konkurrenz zu lösen. Das Wirtschaftsministerium sah sich zu dieser grundsätzlichen Klärung veranlaßt, da sich in der Wettbewerbswissenschaft zwei gegensätzliche Vgl. Bundesgesetzblatt Teil I vom 13. 6. 1967, S. 582 ff. Schiller, K.: Rede auf der Tagung der Studienvereinigung Kartellrecht in Bonn am 11.1.1968, in: Reden zur Wirtschaftspolitik, hrsg. von der Pressestelle des Wirtschaftsministeriums, Bd. 3, S. 108. S Sitzungen am 18.8., 16.10. und 8. 12. 1967 sowie am 29. 1. 1968. 6 Vgl. Kantzenbach, E.: Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, Göttingen 2 1967 (Habilitationsschrift). 7 Vgl. Der Volkswirt, 30/1967, S. 1575. 3

4

4.1. Vorstellung der Bundesregierung

43

Standpunkte zu erhärten drohten. Schlecht charakterisierte die widerstreitenden Standpunkte wie folgt: "Die einen betrachten den Wettbewerb als einen Wert an sich und stellen deshalb extrem heraus, daß es bei der Wettbewerbspolitik einzig und allein um die Sicherung der Wettbewerbsfreiheit gehe. Das richtige ökonomische Ergebnis stelle sich dann - so meinen die Verlechter dieser These - von selbst ein. Die anderen sehen im Wettbewerb in erster Linie nur ein Instrument zur Erreichung bestimmter ökonomischer Ziele. Sie konzentrieren sich, ebenso einseitig, auf die speziellen ökonomischen Funktionen des Wettbewerbs und deren OptimierungS." Da das neue wettbewerbspolitische Leitbild weitgehend von den Ideen Kantzenbachs ausging, wurde das Verhältnis von Marktmacht und Wettbewerb vorwiegend unter ökonomischen Aspekten gesehen. Für die Praxis bestand allerdings die Schwierigkeit, Wettbewerbspolitik nicht nur unter ökonomischen sondern auch unter gesamtgesellschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten9 • So war es auch verständlich, daß die Vorstellungen Kantzenbachs nur zum Teil in das "neue wettbewerbspolitische Leitbild"lO übernommen wurden. Während beide - Kantzenbach und das Wirtschaftsministerium - davon ausgingen, daß ein wirksamer Wettbewerb sowohl den Verbrauchern als auch den Unternehmern möglichst viel wirtschaftliche Handlungsfreiheit und zugleich ein möglichst gutes ökonomisches Ergebnis versprechen sollte, waren sie über die Ausgestaltung des Wettbewerbs nicht der gleichen Meinung: Kantzenbach schrieb ausschließlich der Marktform des weiten Oligopols die optimale Wettbewerbsintensität zu ll . Die Arbeitsgruppe "Wettbewerbspolitik" dagegen sah die Möglichkeit, die dynamischen Funktionen des Wettbewerbs zu erfüllen, zunächst in denjenigen Marktformen, "die durch eine begrenzte Anzahl von Wettbewerbern, die in gewisser gegenseitiger Reaktionsverbundenheit stehen, sowie durch beschränkte Produkthomogenität und Markttransparenz gekennzeichnet sind"12. Auf dieser Überlegung beruhten auch die Gedanken, daß -

die Bildung optimaler Betriebsgrößen erleichtert, die Kooperation zwischen Unternehmen gefördert werden müßte und

8 Schlecht, 0.: Optimierung und Wettbewerbsfunktionen, in: Marktwirtschaft 1969, S. 7 f. 9 Vgl. Kartte, W.: Ein neues Leitbild für die WettbewerbspoIitik, S. 35/36. 10 Vgl. Ergebnis der Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik über das wettbewerbspolitische Leitbild vom 29.1.1968 (im folgenden zitiert: I B 5-220270 vom 29.1.1968), abgedruckt in: W. Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, S. 93 - 100.. 11 Vgl. Kantzenbach, E.: Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 138/39. 12 I B 5-220270 vom 29. 1. 1968, S. 96.

44

-

4.

Auseinandersetzungen um die "Preisbindung"

die Unternehmenskonzentration unter Umständen zu besseren ökonomischen Ergebnissen führen könnte l3 •

Neuerern, Außenseitern, kleinen und mittleren Unternehmen wurde die Aufgabe zuerkannt, dafür zu sorgen, "daß auf jedem Markt eine ausreichende Zahl von selbständig handelnden Unternehmen vorhanden ist"14. Die Zusammenarbeit oder Verflechtung von kleinen und mittleren Unternehmen war soweit erwünscht, als sie den Wettbewerb wirksamer machten. Zu diesem Zweck sollten alle "künstlichen Hemmnisse, die der Herausbildung optimaler Marktstrukturen entgegenstehen könnten"15, beseitigt werden. Das Konzept des funktionsfähigen, wirksamen Wettbewerbs stellte die Politik vor die Aufgabe, erwünschte "Unvollkommenheiten" der Märkte bis zum jeweiligen Optimum zu ermöglichen, jenseits des Optimums aber mit der gleichen Konsequenz zu bekämpfen l6 • Gewißheit bestand für die Arbeitsgruppe darüber, daß das Wettbewerbsoptimum in jedem Fall überschritten sei, sobald ein Markt zu einer monopolistischen Struktur, wozu auch das enge Oligopol zähle, tendiere; denn auch die moderne Theorie, die im Wettbewerb einen dynamischen Prozeß mit Vorstoß- und Verfolgungsphasen sehe, setze voraus, daß auf jedem Markt eine ausreichende Zahl von selbständig handelnden Unternehmen vorhanden sei1 7 • Wettbewerbskonformität sei auch durch den Staat zu beachten. In folgenden Punkten müsse der Staat seine Politik überprüfen und auf optimale Marktbedingungen hinwirken: - Gewerbezulassungsbeschränkungen (freier Marktzugang ist eine der wichtigsten Wettbewerbsvoraussetzungen) ; - Strukturpolitik (Überkapazitäten werden am besten und am schnellsten im Wettbewerb abgebaut); - Subventionen, Steuerpräferenzen, zweckgebundene Kredite (Gefahr der Wettbewerbsverzerrungen, Wettbewerbsverfälschungen und einer künstlichen Erhaltung unwirtschaftlicher Produktionen); - Steuer- und Gesellschaftsrecht; - Marktordnung (z. B. Agrarmarktordnungen); - Außenhandelspolitik (insbesondere im Hinblick auf eine Belebung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt)18.

13 Vgl. ebenda, S. 96. 14 Ebenda, S. 97. 15 Vgl. ebenda, S. 97. 16 Vgl. Kartte, W.: Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, S. 43. 17 Vgl. I B 5-220270 vom 29. 1. 1968, S. 99/100. 18 Vgl. ebenda, S. 97.

4.1. Vorstellung der Bundesregierung

45

4.1.2. Auswirkungen vom "neuen wettbewerbspolitischen Leitbild" auf das GWB

Ebenso wie schon bei der Erarbeitung des "neuen wettbewerbspolitischen Leitbildes" wurde Anfang 1968 nach einer Sitzung der "Konzertierten Aktion" wieder die Arbeitsgruppe "Wettbewerbspolitik" damit beauftragt, so schnell wie möglich einen Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB zu erarbeiten und vorzulegenlU. Ausgehend von den Vorstellungen der "Kooperationsfibel" von 1963 und der ersten Novelle von 1965/66 wollte die Bundesregierung mit Hilfe des "neuen wettbewerbspolitischen Leitbildes" das GWB ausgewogener, flexibler und realistischer gestalten. Das bedeutete, die Voraussetzungen für einen funktionsfähigen Wettbewerb sollten verbessert werden. Dazu war es notwendig, einerseits den Kooperationsgedanken noch stärker hervorzuheben, andererseits für eine bessere Kontrolle wirtschaftlicher Macht zu sorgen20 • Bereits am 18.4. 1968 wurde der erste Entwurf21 den Verbänden und Parteien zur Diskussion vorgelegt. Darin waren gegenüber dem geltenden Gesetz folgende Änderungen vorgesehen: - Erleichterung der leistungssteigernden Kooperation durch Freistellung der "Bagatellkartelle" vom Kartellverbot des § 1 des Gesetzes; - Ausgestaltung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen durch Erweiterung des Kreises der Normadressaten in Richtung auf marktstarke Unternehmen (§ 22 Abs. 1 des Gesetzes); - Beseitigung der vertikalen Preisbindung für Markenwaren, Zulassung der vertikalen Preisempfehlung mit Unverbindlichkeitszusatz und Mißbrauchs aufsicht des Bundeskartellamtes, aber ohne Anmeldung bei der Kartellbehörde; -

Erleichterung der Zusammenarbeit insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen auf dem Gebiet der Wettbewerbsregeln (§ 28 ff. des Gesetzes) durch ausdrückliche Einbeziehung des Schutzes eines "leistungsgerechten" Wettbewerbs in § 28 Abs. 2 des Gesetzes;

-

wirksamere Gestaltung der Mißbrauchs aufsicht über wettbewerbsbeschränkende Absprachen in der Kredit- und Versicherungswirt-

19 Vgl. Brief des Zentralausschusses der Werbewirtschaft an die Mitglieder des ZAW-Präsidialamtes und die angeschlossenen Verbände vom 14.5. 1968, S. 1. 20 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 15.10. 1968, abgedruckt in: Kartte, W.: Ein neues Leitbild, S. 110. 21 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 28.4. 1968 (1 B 5-221353 vom 28.4. 1968). Schon am 8. 5. 1968 wurden erste geänderte Formulierungsvorschläge dem Entwurf nachgesandt. (Vgl. Brief des Wirtschaftsministeriums an die Verbände vom 8. 5. 1968.)

4. Auseinandersetzungen um die "Preisbindung"

46

schaft durch Abschaffung der Bedingung, daß das Bundeskartellamt nur im Einvernehmen mit den zuständigen Fachaufsichtsbehörden vorgehen darf; statt dessen soll das "Benehmen" genügen (§ 102 Abs. 2 des Gesetzes)22. Bei der Erarbeitung dieses Entwurfs ging das Bundeswirtschaftsministerium von folgenden Grundgedanken aus: 1. Die leistungssteigernde Kooperation könne mit dem Kartellverbot kollidieren. Im Gegensatz zur eigentlichen Kartellierung, die auf Ausschluß oder Verringerung des Wettbewerbs gerichtet sei, ziele die Kooperation darauf ab, durch Zusammenlegung einzelner Unternehmensfunktionen die Leistung der beteiligten Unternehmen zu steigern und deren Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Aus diesem Grunde erscheine eine generelle Ausnahmeregelung für "Bagatellkartelle" zweckmäßig. Durch einen neuen § 1 a würden wettbewerbsbeschränkende Absprachen, die zu einer unwesentlichen Beeinflussung der Marktverhältnisse geeignet seien, vom Kartellverbot freigestellt. 2. Die in dem Entwurf vorgeschlagene Änderung des Begriffs "Markt-

..

beherrschung" ziele auf eine Konkretisierung eben dieses Begriffs ab . "Da auch aufgrund der vorgesehenen Neufassung des § 21 Abs. 1 in jedem Fall ein Mißbrauch festgestellt werden muß, bevor die Kartellbehörde eingreifen darf, wird allen durch die neue Definition des Begriffs "marktbeherrschendes Unternehmen" die Rechtsstellung der davon möglicherweise betroffenen Unternehmen nicht berührt23."

Obwohl das Wirtschaftsministerium und die Arbeitsgruppe "Wettbewerbspolitik" gemeinsam von diesen Grundvorstellungen ausgingen, war der Entwurf in zwei Punkten von den Überlegungen des "neuen wettbewerbspolitischen Leitbildes" abgewichen. Zunächst einmal hielt die Arbeitsgruppe "Wettbewerbspolitik" eine grundlegende Änderung des § 22 GWB für nicht erforderlich. Im Zusammenhang mit Erwägungen über eine nationale Fusionskontrolle hieß es in dem Vermerk lediglich, es könne auf eine bessere Formulierung des Begriffs der Marktbeherrschung sowie auf eine Erfassung auch des konkreten Marktverhaltens nicht nur nach dem Marktanteil hingewirkt werden. Ministerialrat Kartte, der Leiter dieser Arbeitsgruppe, sprach sich noch 1969 dagegen aus, die Mißbrauchsaufsicht an einen bestimmten Marktanteil oder an den Marktanteil und zusätzlich an absolute Kriterien zu binden oder die Mißbrauchsaufsicht des § 22 Abs. 3 durch die Beweisvermutungen nach dem Vorbild des § 17 Abs. 1 Satz 2 GWB anzurei22 23

V gl. ebenda, S. 5. I B 5-221353 vom 15. 10. 1968, S. 111.

4.1. Vorstellung der Bundesregierung

47

chern24 • Zum anderen konnte eine Verminderung der Ausnahm€bereiche, wie Verkehrswirtschaft, Landwirtschaft, Kredit- und Versicherungswirtschaft sowie Versorgungsunternehmen nicht durchgesetzt werden. Die Arbeitsgruppe "Wettbewerbspolitik" hatte daran gedacht, eine Beseitigung oder zunächst eine Einengung des § 102 GWB (Kreditund Versicherungswirtschaft) und des § 103 (Versorgungsunternehmen) vorzunehmen25 • Die wichtigste Änderung allerdings, die mit diesem Entwurf vorgenommen werden sollte, war die Abschaffung der vertikalen Preisbindung bei Markenwaren26 • Damit zog das Wirtschafts ministerium die Konsequenz aus ihrem Bericht über Änderungen des GWB vom 22. 8. 1962. Darin hatte sie die Argumente für und gegen die Preisbindung gegenübergestellt27 • Außerdem war die Bundesregierung in der Stellungnahme zum Bericht des Bundeskartellamtes von 1966 zu der Ansicht gelangt, daß die Nachteile der vertikalen Preisbindung größer seien als ihre Vorteile 28 • Auch mit Hilfe der durch die Novelle von 1965 eingeführten verschärften Mißbrauchsaufsicht konnte den Nachteilen der vertikalen Preisbindung nicht begegnet werden. Deshalb sah sich die Regierung gezwungen, in einem neuen Gesetzentwurf die Abschaffung der vertikalen Preisbindung zu statuieren. Sie begründete ihr Vorgehen mit konjunktur- und strukturpolitischen Absichten: "Je beweglicher die Einzelpreise sind, um so leichter sind die Ziele der staatlichen Konjunktur- und Strukturpolitik zu erreichen. Eine wirksame Wirtschaftspolitik setzt also ein von Wettbewerbsbeschränkungen freies Spiel der Kräfte voraus. Dieses Verhältnis zwischen gesamtwirtschaftlicher Entwicklung und Wettbewerb wird durch die vertikale Preisbindung, die zu Preisstarrheit führt, gestört. Die vertikale Preisbindung schwächt auch die Rationalisierungsbemühungen des Handels und hindert den Handel daran, seine Kräfte im Wettbewerb frei zu entfalten. Der vielfach als Vorteil der vertikalen Preisbindung empfundene Umstand, daß Markenwaren überall zu den gleichen Preisen zu erhalten sind, wird überwiegend mit relativ überhöhten Handelsspannen und damit überhöhten Preisen erkauft; denn die Spannen müssen vom Händler so bemessen werden, daß auch weniger kostengünstig arbeitende Händler noch am Absatz der preisgebundenen Waren interessiert sind29." Gleichzeitig mit dem Fortfall der Preisbindung sollte auch die Anmeldung von vertikalen Preisempfehlungen für Markenwaren beim Vgl. Kartte, W.: Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, S. 69. Vgl. I B 5-220270 vom 29. 1. 1968, S. 99. 2G Vgl. § 17 Abs. 1 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 28. 4. 1968, S. 3. 27 Vgl. BTags-Drucksache IV/617, drittes Kapitel, S. 21- 33, 35 - 41 und Anhang 1 - 4, S. 42 - 55. 28 Vgl. BTags-Drucksache V/1950, S. 3. 29 Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 28. 4.1968, S. 617. 24

25

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4. Auseinandersetzungen um die "Preisbindung"

Bundeskartellamt wegfallen, wenn sie ausdrücklich als unverbindlich gekennzeichnet und zu ihrer Durchsetzung kein wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder sonstiger Druck angewendet würde. Die vertikalen Preisempfehlungen sollten allerdings auch weiterhin der Mißbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörden unterliegen30 • 4.1.3. Der Einfluß der Verbände Besonders diese beiden Änderungsvorschläge des Wirtschaftsministeriums stießen bei den Verbänden der Wirtschaft, und dort insbesondere den Verbänden der gewerblichen Wirtschaft, auf heftige Widerstände. Da der Entwurf für sie unverhofft kam3 t, setzte sofort nach Erscheinen eine lebhafte Diskussion und Korrespondenz ein, sowohl innerhalb der einzelnen Verbände (zwischen Spitzenverbänden und den ihnen angeschlossenen Landesverbänden) als auch zwischen den Verbänden der Industrie und des Handels. Dabei ging es zunächst um eine Abstimmung über das weitere Vorgehen in bezug auf den Entwurf. Die einzelnen Verbände erarbeiteten auf Arbeitssitzungen und Tagungen innerhalb kürzester Zeit Stellungnahmen und Gegenvorschläge in gegenseitiger Abstimmung. Koordinationsstelle und Organisator war der "Kartellausschuß" des Rates des deutschen Handels, eine Vereinigung von 12 Bundesorganisationen sowohl des Groß- und Außenhandels als auch des Einzelhandels und der Konsumgenossenschaften32 • Von diesen entwickelten insbesondere die Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels, der Zentralverband des genossenschaftlichen Groß- und Außenhandels, der Zentralausschuß der Werbewirtschaft und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels Initiativen, die vom Rat des deutschen Handels allgemein akzeptiert wurden. 30 Vgl. a) § 38 Abs. 3 - 6, Entwurf vom 28.4. 1968, S. 5/6 und b) Begründung zum Entwurf vom 28. 4.1968, S. 7/8. 31 Vgl. Brief der HDE an die Mitglieder des Kartell-Ausschusses vom 3.5.1968. 32 Im Rat des Handels hatten sich zusammengeschlossen: Arbeitsgemeinschaft Freiwillige Gruppe des Lebensmittelhandels; Arbeitsgemeinschaft der Lebensmittel-Filialbetriebe; Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels; Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels; Bundesverband des Deutschen Versandhandels; Centralvereinigung Deutscher Handelsvertreter- und Handelsmakler-Verbände; Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels; Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels; Bund deutscher Konsumgenossenschaften GmbH; Zentralverband des genossenschaftlichen Groß- und Außenhandels; Zentralverband gewerblicher Einkaufsvereinigungen des Handels; Verband reisender Kaufleute Deutschlands.

4.1. Vorstellung der Bundesregierung

49

Als entschiedenste Gegner der Abschaffung der vertikalen Preisbindung stellten sich schon bald die Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels 33 und der Markenverband34 heraus. In mehreren Eingaben an Wirtschaftsminister Schiller legten die beiden Verbände ihre grundlegend negative Haltung zur Abschaffung der Preisbindung dar. Gleichzeitig versuchten beide Verbände, über CDU/CSU-Abgeordnete auf die Novellierung in ihrem Sinne Einfluß zu nehmen 35 . Es hatte sich nämlich herausgestellt (im Sommer 1968), daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Vorschlägen Minister Schillers zur Preisbindung eher negativ gegenüberstand36. Schiller schob daraufhin die Diskussion über den Entwurf im Kabinett zunächst bis nach der Sommerpause hinaus, legte jedoch schon am 4. 7. 1968 der "Konzertierten Aktion" zwei Alternativentwürfe vor, von denen der erste eine Preisbindung über das Erlaubnisverfahren, der zweite eine Preisbindung über das Widerspruchsverfahren enthielt. Der Einzelhandelsverband glaubte, daß auch mit diesen Entwürfen keine vertretbare Lösung gefunden worden sei, da von der organisatorischen Seite her bezweifelt werden müsse, "ob das Bundeskartellamt den auf sie zukommenden Anforderungen gewachsen wäre"37. Ebenso konnte auch die CDU/CSU-Fraktion die neue Lösung nicht billigen. "Die von Minister Schiller vorgeschlagenen Zulassungs-, Genehmigungsoder Widerspruchsverfahren sind kein Kompromiß. Sie sind der Versuch, die Preisbindung auf Umwegen zu beseitigen. Denn in der Praxis würden sie einem Verbot der Preisbindung gleichkommen. Es läge ja in der Hand der Behörde, die Zulassungsvoraussetzungen so auszulegen, daß die Hürde nicht übersprungen werden kann. Prinzipiell ist es ein problematisches Verfahren, wenn das Parlament die Entscheidung über eine politische Frage, wie die der Preisbindung, allein einer Behörde überträgt38 ." Bevor die Kartellgesetznovelle noch ein zweites Mal auf die Tagesordnung des Bundeskabinetts gesetzt werden konnte, zog sie der Wirtschaftsminister zurück. Im "Kreßbronner Kreis", einem Gremium führender Persönlichkeiten der Koalitionsparteien, hatte der Wirtschaftsminister die CDU/CSU-Abgeordneten nicht davon überzeugen können, daß der Fortfall der vertikalen Preisbindung notwendig war 39 • 33 Vgl. Rundschreiben der HDE an die Landes-, Bezirks- und Fachverbände Nr. L 86 B 85 F 84/68 vom 12. 7. 1968. 34 Vgl. Brief des Markenverbandes e. V. an die Mitglieder des Fachbeirates Handel vom 5. 11. 1968. 35 Vgl. Briefwechsel der HDE mit dem Bundesminister der Finanzen Franz Josef Strauß vom 11. 6.1968 und 9.7.1968. 38 Vgl. Schreiben der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 4. 7.1968, o. S. 37 Rundschreiben der HDE vom 12.7.1968. 38 H. Gewandt zu den Kabinettsentscheidungen über die Kartellgesetznovelle, in: Schreiben der CDU/CSU-Fraktion vom 4. 7.1968, o. S.

4 Jäckering

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4. Auseinandersetzungen um die "Preisbindung"

Somit war durch die einmütige Haltung der Wirtschaft und der dem Mittelstand verpflichteten Politiker der Unionsparteien40 und der F.D.P.41 dem Entwurf der weitere Weg verbaut worden. Denn für Schiller, wie auch für die gesamte SPD-Fraktion war klar, daß ohne die Stimmen der CDU/CSU-Abgeordneten der Entwurf nie verabschiedet werden konnte. Ein Kompromiß zwischen den Gegnern der Novelle und dem Wirtschaftsminister war ausgeschlossen, da Schiller die Vorlage eines Regierungsentwurfs von der Aufhebung der Preisbindung abhängig machte.

39 Vgl. Lutz, H.: Schiller zog Kartellgesetznovelle zurück, in: "Der Markenartikel", Nov. 1968, S. 3. 40 In der CDU/CSU-Fraktion waren es insbesondere der Bundesfinanzminister Strauß und der Diskussionskreis Mittelstand der CDU/CSU-Fraktion, die sich gegen den Entwurf wandten: "Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist nicht bereit, die Realisierung notwendiger Reformen ständig durch das Schlucken von sog. "politischen Kröten", wie der Aufhebung der Preisbindung, zu erkaufen. Für ein solches Junktim besteht keine sachliche Notwendigkeit, nachdem die Frage der vertikalen Preisbindung durch Einführung einer verschärften Mißbrauchsaufsicht bereits im vorigen Bundestag befriedigend gelöst wurde." (H. Gewandt zu der Weigerung des Bundeswirtschaftsministers Prof. Schiller, die Kartellgesetznovelle einzubringen, in: Diskussionskreis Mittelstand der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages vom 24. 10. 1968, o. S. 41 Vgl. Lutz, H.: Schiller zog die Kartellgesetznovelle zurück, S. 2.

5. Die politischen Auseinandersetzungen um die "Fusionskontrolle" während der ersten sozial-liberalen Koalition

(1969 -1972) 5.1. Bundesregierung und Unternehmenskonzentration Der erste Anlaß zu überlegungen der Bundesregierung, das GWB zu ändern, war das starke Ansteigen der Unternehmenszusammenschlüsse in den Jahren 1967, 1968 und dann im weiteren Verlauf 1969. Die Bundesregierung mußte sich daher überlegen, mit welchem Instrumentarium sie dieser Entwicklung beikommen konnte. Das GWB in seiner Fassung von 1966 schien hierzu nicht geeignet: Denn das wettbewerbspolitische Problem Nummer eins war nicht mehr die Kartellierung, sondern die Unternehmenskonzentration. Zu dieser Einsicht war die Regierung erst spät gelangt; noch im Sommer 1969 betonte sie ihre positive Einstellung gegenüber der Konzentration1 • Allerdings zeichnete sich Anfang 1968 ein Meinungsumschwung in der Konzentrationsfrage auf seiten der Regierung ab. Erste Andeutungen, die die Regelung einer präventiven Fusionskontrolle betrafen, machte die Regierung in ihrer Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes für 1967: "Wegen der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft muß die Frage der Fusionskontrolle auf europäischer Ebene behandelt werden. Die Bundesregierung wird jedoch die weitere Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik Deutschland laufend beobachten und auch eine nationale Regelung ins Auge fassen, wenn der Schutz des Wettbewerbs es fordern sollte2." Bereits ein Jahr später, nachdem es eine Reihe von Zusammenschlüssen gegeben hatte, durch die starke Marktstellungen in Schlüsselbereichen der Wirtschaft aufgebaut oder verstärkt wurden, konkretisierte die Bundesregierung ihre Vorstellungen über eine Zusammenschlußkontrolle. Wichtig in diesem Zusammenhang waren zwei Aspekte: 1. Die Vorschriften des § 24 boten nur sehr begrenzte Möglichkeiten, Aufschlüsse über Ursachen, Zweck und Wirkungen von Konzentrationsvorgängen zu gewinnen. Nach Ansicht der Bundesregie1 Vgl. Strukturbericht 1969, in: BMWi-Texte Nr. 75 vom 28.7.1969, hrsg. vom Wirtschaftsministerium, S. 20/21. 2 BTags-Drucksache V/2541, S. 3.



5. Auseinandersetzungen um die "Fusionskontrolle"

52

rung hatte der Staat aber ein wirtschaftspolitisch berechtigtes Interesse daran, über wichtige Konzentrationsvorgänge ausreichend informiert zu werden und - falls notwendig - den Wettbewerb zu schützen. 2. Die bis dahin angenommene Notwendigkeit VOn Konzentrationsvorgängen wegen der erweiterten Märkte wurde aufgegeben: "Wenn ein Unternehmer im Ausland in Konkurrenz steht, muß dies nicht im gleichen Maße für seinen Heimatmarkt zutreffen. Die Konkurrenz kann auf Exportmärkte begrenzt sein, während sich im Inland lediglich der wettbewerbsbeschränkende Effekt des Zusammenschlusses auswirkt8." In den Jahren nach 1968 zeigte sich das Problem der starken Fusionsneigung in der deutschen Wirtschaft immer deutlicher. Die Einsicht der Bundesregierung, daß 1980 mit gleichbleibendem Fortschreiten der Fusion "nahezu drei Fünftel des Industrieumsatzes von den 100 größten Unternehmern beherrscht würden"4, duldete keinen Aufschub einer Gesetzesnovellierung mehr. Der zweite Anlaß war in der Absicht der Bundesregierung zu erkennen, der übermäßigen Preissteigerung der letzten Jahre durch Änderungen am GWB entgegenwirken zu können. Dabei war sie sich darüber im Klaren, daß Preissteigerungen nicht generell mit den Mitteln der Wettbewerbspolitik verhindert werden könnten. Primär sei dies die Aufgabe der staatlichen Globalsteuerung; ein Zusammenhang zwischen Wettbewerbspolitik und Stabilitätspolitik bestehe jedoch insofern, "als funktionsfähiger Wettbewerb dem Entstehen eines konjunkturellen Ungleichgewichts und dessen Konsequenzen für die Preisentwicklung entgegenwirkt"5. An dieser Stelle ist es notwendig, in einem Exkurs die Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik darzustellen. Anhand verschiedener Daten soll nachgewiesen werden, ob die Notwendigkeit einer Änderung des GWB VOn der Bundesregierung richtig erkannt wurde und die Prognosen, die für die Planung der Ministerialbürokratie wichtig waren, zutrafen.

5.2. Die Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik Von Unternehmenskonzentration spricht man, "wenn einzelne Unternehmen stärker als ihre Konkurrenten wachsen ... , wenn ein UnterBTags-Drucksache V/4236, S. 3. Stellungnahme der Bundesregierung zum Tätigkeitsbericht des BKartA für 1971, BTags-Drucksache VI/3570, S. IH. 5 Ebenda, S. IH. 3 4

5.2. Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik

53

nehmen andere Unternehmen beherrscht, wenn mehrere Unternehmen fusionieren oder - bei Fortbestand ihrer rechtlichen Selbständigkeit ökonomisch zu einer Einheit, einem Konzern oder bei Konzentration bestimmter Funktionen zu einem Kartell, verbunden werden"6. Horizontale Unternehmenszusammenschlüsse sind Zusammenfassung von Unternehmen eines Bedarfsmarktes. Die sich zusammenschließenden Unternehmen stehen auf gleicher Prduktionsstufe. Rechtlich treten sie in der Form von Einheitsunternehmen, Kartellen und Horizontalunternehmen auF. Vertikale Unternehmenszusammenschlüsse ergeben sich aus der Zusammenfassung aufeinander nachfolgender Produktionsstufen, z. B. Kohle, Eisen und Stahl oder von Fabrikation und Handels. Diagonale oder konglomerierte Unternehmenskonzentration besteht in der Zusammenfassung von Unternehmen, deren Produkte sowohl produktions- als auch absatzmäßig nichts oder fast nichts miteinander zu tun habenD. Diese Begriffe sollen zunächst an einigen Beispielen verdeutlicht werden: 5.2.1. Beispiele für horizontale und vertikale Unternehmenskonzentration

Als 1966 die Volkswagen AG die Auto-Union und NSU, BMW im Oktober 1966 die Glas-GmbH aufkaufte, gab es in der PKW-Industrie nur noch sechs nicht durch Kapitalbeteiligung verbundene deutsche Unternehmen: die Volkswagen AG, die Daimler-Benz AG, die Ford-Werke AG, die Adam Opel AG, die Bayerischen Motorenwerke AG und die Firma Porsche, die 1969 ca. 98 % des Umsatzes im Automobilbau auf sich vereinigen konnten lO . In der Lastwagenindustrie gab es nur noch drei unabhängige Produzenten: Hanomag-Henschel GmbH, die Klöckner-Humboldt-Deutz AG und die Unternehmen von MANlO3o. Allein in den ersten vier Monaten des Jahres 1969 wurden vier bedeutende Teilfusionen bekanntgegeben: -

Die Daimler-Benz AG und die Rheinstahl AG vereinigten ihre Lastwagenproduktion in der "Hanomag-Henschel-Fahrzeugwerke

e Arndt, H.: Begriffe und Arten der Konzentration, in: Die Konzentration in der Wirtschaft, hrsg. von H. Arndt, Berlin 1971, S. 3. 7 Vgl. ders.: Macht, Konkurrenz und Demokratie, in: Konzentration ohne Kontrolle, hrsg. von D. Grosser, Köln und Opladen 1969, S. 32/33. 8 Vgl. ebenda, S. 32. 9 Vgl. ebenda, S. 34/35. 10 Vgl. Kilger, W. und Karl, 0.: Industrie und Konzentration, in: Die Konzentration in der Wirtschaft, hrsg. von H. Arndt, Bd. 2, S. 430. 1030 Vgl. Der Spiegel 6/1971, S. 50/51.

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5. Auseinandersetzungen um die "Fusionskontrolle"

GmbH" und schufen sich damit einen Marktanteil von über 90 % bei Lastkraftwagen zwischen 4 und 6 t und von über 60 % bei Lastkraftwagen mit über 6 t Gesamtgewicht l l . Die Mannesmann AG und die August Thyssen AG brachten mit der Gründung der "Mannesmann-Röhren GmbH" die Röhrenproduktion in der BRD zu 70 % unter ihre KontroIleu3o.

-

Die AEG und die Siemens AG gründeten zum 1. 4.1969 gleich zwei gemeinsame Unternehmen, an denen sie jeweils zu 50 % beteiligt waren: in der "Kraftwerks-Union GmbH" wurde die Turbinenproduktion beider Gesellschaften zusammengefaßt, während das Transformatorengeschäft in der "Transformatoren - Generatoren Union GmbH" zusammengefaßt wurde. Dadurch stieg der Anteil der deutschen Unternehmen im Transformatorenbau auf dem deutschen Markt auf 50 % und bei den Turbinen auf fast 70 %12.

-

In jüngster Zeit ließen verschiedene Vorgänge aufhorchen, deren Dimensionen über alle bisher gewohnten Vorstellungen hinausgingen. Schon 1970 hatte sich diese Entwicklung mit der Übernahme des Wintershall-Konzerns (Umsatz 1968: 1,7 Mrd. DM13) durch die BASF angebahnt. 1973 fusionierten gleich drei der größten Industrieunternehmen mit drei anderen, die ebenfalls zu den größten zählten: - Thyssen (Umsatz 1972: 9,8 Mrd. DM) mit Rheinstahl (1972: 5,3 Mrd. DM), - Veba (1972: 10,3 Mrd. DM) mit Gelsenberg (1972: 4,3 Mrd. DM) und - Mannesmann (1972: 7,2 Mrd. DM) mit der Demag (1972: 1,7 Mrd. DM)14. Mit diesen Transaktionen veränderten sich von einem Jahr zum anderen die Statistiken der "größten deutschen Unternehmen": Thyssen und Veba überflügelten die drei Chemiekonzerne BASF, Hoechst und Bayer. Mannesmann stieß in den Bereich der 10 größten bundesdeutschen Unternehmen vor15.

Vgl. Handelsblatt v. 6. 1. 1969, S. 7. 1970 ging die Daimler-Benz AG mit MAN in Zusammenarbeit, um in Zukunft "Möglichkeiten der Rationalisierung durch größere Serien" für bestimmte Motorenteile auszunützen. 1969 hatten die beiden Konzerne ihre Tochtergesellschaften MAN-Turbo GmbH und Maybach-Mercedes-Benz GmbH zur "Motoren- und Turbinen-Union (MTU) " unter paritätischer Beteiligung zusammengeführt. - Vgl. FAZ vom 7. 9.1970, S. 15. 1130 Handelsblatt vom 7.18. 2. 1969, S. 3. 12 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 30. 10. 1968, S. 23. 13 Vgl. Kruk: Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 29. 8.1970, S. 15. 14 Vgl. ders.: Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 18.8.1973, S. 15. 15 Vgl. ebenda, S. 15. 11

5.2. Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik

55

5.2.2. Beispiele für diagonale Unternebmenskonzentration

Die diagonale Unternehmenskonzentration ist in der Bundesrepublik inzwischen recht stark verbreitet. Das bekannteste Beispiel ist das des Oetker-Konzerns, der Puddingpulverfabriken, Reedereien, Versicherungen, Brauereien, Banken, Textilfirmen und eine Reihe weiterer Unternehmen in verschiedensten Branchen umfaßt; es sind insgesamt fast 100 Firmen 16. Die Gruppe, die der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) gehört, ist tätig im Versandhandel, im Handel mit Autozubehör und im Reedereigeschäft1 7 • Die Firma Reemtsma, der größte Zigarettenhersteller in der Bundesrepublik, besitzt die Sektkellerei Carstens KG und jeweils 25 % der Henningerbräu KG in Frankfurt, der Bräu AG in Nürnberg, der Meininger-Brauerei in Stuttgart18 , der Lindener-Gildebräu AG in Hannover 19 und der Hannen Brauerei20 . 1970 hat sie sich auch noch in Kunststoffabriken eingekauft21 . 5.2.3. Ursachen für Unternebmenskonzentration

Aus der kurzen Zusammenstellung ergibt sich die Frage, weshalb Unternehmen sich zusammenschließen. Diese Frage läßt sich einmal auf allgemeine Ursachen und Motive zurückführen, die für alle Wirtschaften der westlichen Welt zutreffen, zum anderen aber auch auf spezielle, die nur für die Verhältnisse der Bundesrepublik zutreffen.

5.2.3.1. Allgemeine Ursachen Die Konzentration ist technisch bedingt, wenn sich infolge der technischen Entwicklung die optimalen Betriebsgrößen erhöhen. - Die Konzentration ist risikobedingt, d. h. ein Unternehmen stellt, um gegen Nachfrageschwankungen gesichert zu sein, mehrere Produkte her (Diversifikation)22. - Die Konzentration ist marktbedingt, wenn sie der Gewinnung einer günstigeren Marktposition dient. Die Zusammenfassung von Angebot und Nachfrage führt zu Monopolen oder zur Marktbeherrschung. - Die Konzentration ist machtbedingt: Eine Person oder Gruppe kann Unternehmen, die sich teilweise oder völlig im Eigentum Dritter 16 Vgl. Jungblut, M.: Die Reichen und die Superreichen in Deutschland, Hamburg 1971, S. 107 - 116. 17 Vgl. Der Spiegel 12f1969, S. 68. lS Vgl. Huffschmid, J.: Die Politik des Kapitals, FrankfurtfM 3 1970, S. 61. 19 Vgl. FAZ vom 3. 11. 1970, S. 14. 20 Vgl. FAZ vom 28. 10.1970, S. 10. 21 Vgl. FAZ vom 21. 7.1970, S. 12. 22 Infolge der Erhöhung des Realeinkommens in der BRD brachte das VW-Werk zu dem Käfer-Modell noch größere Modelle auf den Markt VW-Porsche, VW 1500 bzw. 1600 und K 70-. -

56

5. Auseinandersetzungen um die "Fusionskontrolle" befinden, unter ihre Kontrolle bringen, um deren wirtschaftliche Abhängigkeit auszunutzen23 •

5.2.3.2. Spezielle, für die Bundesrepublik zutreffende Ursachen -

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-

Die den Wiederaufbau und das Wachstum fördernde Finanz- und Steuerpolitik der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik ist nicht allein für eine massive Begünstigung der privaten Vermögenskonzentration, sondern auch als bedeutsame Ursache der Unternehmenskonzentration verantwortlich zu machen24 • Der Wettbewerb hat sich in den letzten Jahren in der Bundesrepublik - aber auch in anderen Industriestaaten - erheblich verstärkt. In Westeuropa ist der Wettbewerb durch die "Römischen Verträge" bedeutend intensiviert worden. Hinzu komrp.t, daß einige europäische Länder - z. B. Frankreich und Italien - keine so scharfen Wettbewerbsbestimmungen kennen wie die Bundesrepublik, wodurch in diesen Ländern die Konzentration von Unternehmen noch viel ausgeprägter ist als in der Bundesrepublik. Die Kapitalinvestitionen ausländischer Firmen in Europa haben deutsche Firmen veranlaßt zu fusionieren, um weiterhin konkurrieren zu können25 • Die seit Bildung der Großen Koalition ziemlich gemäßigte Haltung der' Bundesregierung bezüglich der Unternehmens konzentration hat die Konzentration eher gefördert als behindert26 • Rechtsprechung und Finanzverwaltung haben in vielen Fällen bei Großunternehmen großzügiger verfahren als bei kleinen und mittleren Unternehmen, weil sie die "Größe des Imperiums" bewunderten27 • Die Angst vor der angekündigten präventiven Fusionskontrolle hat viele Unternehmen zu einer vorzeitigen Fusionierung veranlaßt, um dadurch einer etwaigen Kontrolle durch den Staat zu entgehen28 •

23 Vgl. Arndt, H.: Die Konzentration in der westdeutschen Wirtschaft, S. 13 -16. !4 Vgl. Tiepelmann, K.: Vermögenspolitik und Unternehmenskonzentration, Tübingen 1972 (Habilitationsschrift), S. 18. 25 Die Industrie-Konzerne der USA,haben 1969 allein für den Kauf neuer Maschinen, Gebäude und kompletter Industrieanlagen im Gebiet des Gemeinsamen Marktes 10,2 Milliarden DM bereitgestellt. 1970 waren es noch 20 010 mehr. Vgl. Der Spiegel 15/1970, S. 150. 26 Vgl. Arndt, H.: Macht, Konkurrenz und Demokratie, S. 60 ff. 27 Vgl. Arndt, H.: Die Konzentration in der westdeutschen Wirtschaft, S.72. 28 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 5. 5. 1972, S. 14.

5.2. Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik

57

Die letztgenannte These mag auf die Haltung der Unternehmen für die Zeit bis Mitte 1971 zutreffen. Spätestens nach dem Erscheinen des Regierungsentwurfs hätten alle fusionierenden Unternehmen wissen müssen, daß das Kartellamt nun eine Möglichkeit durch das Gesetz bekommen sollte, die vorsah, alle wettbewerbsbeschränkenden Fusionen nachträglich rückwirkend bis zum 19. 5. 1971 zu entflechten29 • Die Fusionswelle setzte sich jedoch von 1972 bis 1974 verstärkt fort. 5.2.4. Daten zur Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik

In dem folgenden Kapitel wird versucht, aus bereits vorliegenden Studien den Konzentrationsprozeß der Unternehmen in knapper Form darzulegen, wobei diese durch eigene Berechnungen ergänzt werden. Dabei sollte berücksichtigt werden, daß eine qualitative Messung der Unternehmenskonzentration nur bedingt, eine Messung des Grades der Verfügungsrnacht gar nicht möglich ist. Eine qualitative Messung läßt sich nur hinsichtlich der Größe und Größenunterschiede von Unternehmen durchführen 30 •

5.2.4.1. Der Konzentrationsprozeß in der Gesamtindustrie Rund ein Drittel des gesamten Industrieumsatzes wurde 1954 von den hundert größten Industrieunternehmen der Bundesrepublik erzielt; 1960 waren schon die 50 größten Unternehmen in der Lage, denselben Anteil des Industrieumsatzes auf sich zu vereinigen. Sieben Jahre später, 1967, kamen die 50 größten Unternehmen auf einen Anteil von ca. 42 Ofo am Industrieumsatz, 1974 auf 53,5 0f031. Es zeigte sich, daß die Konzentration auf Kosten der ersten 50 Unternehmen ging, während die zweiten 50 fast proportional zum Gesamtumsatz wuchsen. Auch die 10 größten Konzerne in der Bundesrepublik erhöhten ihren prozentualen Anteil am Gesamtumsatz. Sie beschäftigten 1967 fast 15 Ofo aller in der Industrie Tätigen und erzielten knappe 17 Ofo des gesamten Industrieumsatzes. Seit 1970 vereinten sie einen Produktionsanteil von mehr als 20 Ofo auf sich und beschäftigten ca. 18 Ofo aller industriellen Arbeiter. Ihr Umsatz erreichte 1974 mit 178,5 Mrd. DM einen neuen absoluten Höhepunkt32 •

29 Vgl. BTags-Drucksache VI/2520 (Regierungsentwurf) vom 18.8.1971, S.13. 30 Vgl. Arndt, H.: Die Konzentration der westdeutschen Wirtschaft, Pfullingen 1966, S. 20. 31 Vgl. übersicht 2. 32 Vgl. Übersicht 3.

58

5. Auseinandersetzungen um die "Fusionskontrolle"

ObeTsicht 2 Die Konzentration in der westdeutschen Industrie 1954 -1974, gemessen am Umsatz der 50 und 100 größten Industrieunternehmen in Mrd. DM

Jahr 1954 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 a) 1969 1970 1971 1972 1973 1974

Umsatz der 50 größten Industrieunternehmen (Anteil am Gesamtumsatz in vH) 36,8 73,0 92,3 99,2 106,3 118,0 129,5 144,4 156,4 159,7 173,1 211,1 248,2 270,4 281,5 327,0 400,9

(25,4) (30,6) (33,5) (33,4) (33,7) (36,1) (36,0) (37,2) (38,9) (41,9) (42,7) (44,9) (46,9) (48,0) (47,2) (49,0) (53,5)

Umsatz der 100 größten Industrieunternehmen (Anteil am Gesamtumsatz in vH) 48,6 88,4 110,4 119,4 124,4 140,6 154,4 171,2 183,6 187,0 204,2 249,5 294,1 320,5 335,1 388,3 472,8

(33,6) (37,0) (40,0) (40,2) (40,5) (43,0) (43,0) (44,1) (45,6) (49,1) (50,3) (53,0) (55,6) (56,5) (56,2) (58,2) (63,0)

Gesamtumsatzder Industrie 144,8 238,8 275,5 296,7 314,4 326,4 359,1 387,7 402,0 380,6 405,6 470,6 529,0 563,0 596,0 666,9 750,0

a) Zahlen ab 1968 ohne Umsatzsteuer.

Quellen: 1954: Anlagenband zum Konzentrationsbericht, S. 554. 1959 - 1966: Arndt, H., Recht, Macht und Wirtschaft, S. 82. Hujjschmtd, S. 44. Lignau, Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 24.8.1968, S. 17. 1968 - 1974: Kruk, Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 6. 9. 1969, S. 17. o. V., Licht und Schatten In der Umsatzentwicklung, in: FAZ (Blick durch Wirtschaft) vom 14. 12. 1970, S. 3. Kruk, Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 29.8.1970, S. 15. ders., Die 100 größten Unternehmen, In: FAZ vom 11.9.1971, S. 17. ders., Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 9. 9. 1972, S. 15. ders., Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 18.8.1973, S. 15. ders., Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 14. 9. 1974, S. 13. ders., Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 23.8.1975, S. 9. Statistisches Jahrbuch für die BRD 1975, S. 229.

1967:

Nicht minder deutlich ist die Konzentrationsbeschleunigung an der Gesamtzahl der nach § 23 GWB beim Bundeskartellamt anzeigepflichtigen Unternehmenszusammenschlüsse abzulesen. Nach den Vorschriften des § 23 GWB sind Zusammenschlüsse von Unternehmen anzuzeigen, wenn eines der beteiligten Unternehmen oder beide Unternehmen entweder 20 Ofo des Marktes beherrschen oder wenn beide zusammen ein Jahr vor dem Zusammenschluß mindestens 10000 Beschäftigte oder 500 Mill. DM Umsatz oder eine Milliarde Bilanzsumme hatten. Danach wurden 1965 50 Fusionen, 1966 43 und 1967 und 1968 je 65 gemeldet; 1969 erhöhte sich diese Zahl sprunghaft auf 168 und 1970 nochmals auf 305, um anschließend auf 220 (1971), 269 (1972) und 242

58361 62214 63796 73 960 91251 107632 117039 122655 138463 178526

(15,6)(16,0) (16,8) (18,2) (19,4) (20,3) (20,8) (20,6) (20,8) (23,8)

387700 402000 380600 405600 470500 529000 563000 596000 666900 750000

Gesamtumsatz der Industrie Mill.DM

1965 - 1967: Huffschmid, S. 45. 1968 - 1974: Kruk, Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 6. 9. 1969, S. 17. ders., Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 29.8.1970, S. 15. ders., Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 11. 9. 1971, S. 17. ders., Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 9. 9. 1972, S. 15. ders., Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 18.8.1973, S. 15. ders., Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 14.9.1974, S. 13. ders., Die 100 größten Unternehmen, in: FAZ vom 23. 8. 1975, S. 9. Statistisches JahrbUch für die ERD 1975, S. 229.

QueHen:

a) Zahlen ab 1968 ohne Umsatzsteuer.

1965 1966 1967 1968a) 1969 1970 1971 1972 1973 1974

Jahr

Umsatz der 10 größten Industrieunternehmen (Anteil am Gesamtumsatz in vH) Mil!. DM vH 1132 1132 1109 1147 1217 1427 1433 1423 1517 1529

(13,4) (13,5) (14,1) (14,5) (14,7) (16,6) (16,8) (17,1) (18,1) (18,8)

(Anteil an der Gesamtzahl der Beschäftigten) 1000 vH

10 größten Industrieunternehmen

Zahl der Beschäftigten in den

8460 8385 7843 7899 8308 8603 8538 8340 8368 8144

1000

Gesamtzahl der in der Industrie Beschäftigten

Die Konzentration in der westdeutschen Wirtschaft 1965 - 1974, gemessen am Umsatz und an der Beschäftigtenzahl der 10 größten Industrieunternehmen

übersicht 3

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60

5. Auseinandersetzungen um die "Fusionskontrolle"

(1973) wieder zurückzugehen 33 • Bei dem Rückgang für das Jahr 1973 muß bedacht werden, daß sich nach dem zweiten Kartellgesetz vom 3.8.1973 für das Kartellamt eine neue Situation ergab. So mußten nach dem alten Gesetz bereits vollständige Anzeigen wegen des rückwirkenden Inkrafttretens der Fusionskontrolle im Hinblick auf die neuen Vorschriften ergänzt und in laufenden Verfahren Rückfragen angestellt werden. Zudem führte die Anmeldung von Zusammenschlüssen nach § 24 a wegen der im Gesetz vorgesehenen Prüfungsfrist von vier Monaten zu einer zeitlichen Verschiebung. Das Kartellamt errechnete, daß nach den Bestimmungen des alten Gesetzes im Jahre 1973 etwa 289 Unternehmenszusammenschlüsse angemeldet worden wären. Die Differenz von 47 Fusionen (242: 289) setzte sich zusammen aus 32 Verfahren, die nach der bisherigen Fassung hätten abgeschlossen werden können, und 15 nach § 24 a angemeldeten Verfahren34 • Während es in den Jahren 1958 -1960 in der Bundesrepublik im Durchschnitt 17,3 Fusionen gab, waren es von 1961 - 1964 schon 32,2, 1965 -196752,7, 1967 -1970 125,7 und 1971-1973 sogar 243,7 Fusionen35 • Noch deutlicher wird die Zunahme der Unternehmenskonzentrationen, wenn man bedenkt, daß von 1970 -1973 über doppelt so viele Unternehmenszusammenschlüsse erfolgten als in den Jahren 1963 -1969 (1041: 456). An der zunehmenden Konzentration waren einige Wirtschaftsbereiche mit einem überproportional hohen Anteil beteiligt36 • In den Jahren 1963 -1973 wurden jeweils ca. 40 Bereiche gezählt, aus denen Unternehmen an Zusammenschlüssen beteiligt waren37 • In 5 dieser Bereiche (Kreditwirtschaft, Chemie, Maschinenbau, Elektrotechnik und Eisen und Stahl) fusionierten ab 1968 genau so viele Unternehmen wie in den restlichen ca. 35. Ein starker Anstieg der Unternehmenskonzentration war auch hier - wie bei der Gesamtzahl der Fusionen - ab 1968 zu verzeichnen, wobei die Kreditwirtschaft alle anderen Bereiche übertraf: Die Zahl der Fusionen stieg von 1 (1967) auf 60 (1971), was bedeutete, daß 1971 über ein Viertel aller Unternehmenszusammenschlüsse von Unternehmen aus der Kreditwirtschaft vorgenommen wurden.

33 Vgl. Tätigkeitsbericht des BKartA für 1973, BTags-Drucksache VII/2250, S. 40 und übersicht 4 (Die Zahlen für 1974 sind im 14. Kapitel angeführt). 3i Vgl. ebenda, S. 12. 35 Vgl. übersicht 4 (eigene Berechnungen). 38 Vgl. Übersicht 5. 37 Vgl. Tätigkeitsbericht des BKartA für 1973, BTags-Drucksache VII/2250,

S.38/39.

2181,4

12

43

1770,4

20

65

1967

1 1-78,2

16

65

1968

7112,6 11 020,3 1497,0

54 5 2

168

1969

5438,8 13162,8 868,6

83 7 5

305

1970

2882,7 18262,1 497,9

49 17 3

220

1971

4512,1 23490,0 29,5

62 12 1

269

1972

4460,3 772,1

57 b) 4

242 a)

1973

a) davon § 23 a. F. 208 § 23 n . F. 34 b) DIe Aufgliederung nach "großen" Zusammenschlüssen wird nur für Zusammenschlüsse vorgenommen, dIe nach § 23 a . F . GWB angezeigt worden sind. Quelle: TätIgkeItsberIcht des BKartA für 1973, S. 40/41.

Anteilige Bilanzsumme aller bei "großen" Zusammenschlüssen erworbenen Unternehmen in Mio. DM + Kreditinstitute + Versicherungen

Anzahl der "großen" Zusammenschlüsse + Kreditinstitute + Versicherungen

Gesamtzahl der Zusammenschlüsse

1966

Anzahl der nach § 23 GWB beim Bundeskartellamt angezeigten Zusammenschlüsse in den Jahren 1966 -1973

übersicht 4

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62

5. Auseinandersetzungen um die "Fusionskontrolle"

5.2.4.2. Die "großen" Zusammenschlüsse

Die "großen" Zusammenschlüsse waren an dieser Konzentrationsentwicklung überproportional zur durchschnittlichen Gesamtzahl der nach § 23 GWB angezeigten Zusammenschlüsse beteiligt. Unter "großen" Zusammenschlüssen versteht man in Anlehnung an Kriterien der Federal Trade Commission (FTC) solche, bei denen das erworbene Unternehmen eine Bilanzsumme von 25 Mill. DM oder mehr ausweist, bei einer Bank werden 150 Mil!. DM oder mehr, bei Versicherungsunternehmen eine jährliche Prämieneinnahme von 50 Mill. DM oder mehr gewählt38 . Wie Übersicht 4 zeigt, stieg die Zahl der großen Zusammenschlüsse von 12 im Jahre 1966 auf 83 im Jahre 1970; danach ging die Zahl auf 49 (1971) zurück, erhöhte sich aber wieder auf 62 (1972) bzw. 57 (1973). Etwa das gleiche Bild zeigt sich bei der anteiligen Bilanzsumme, wobei die Kreditinstitute diese bis 1972 um ein Vielfaches erhöhen konnten. Bemerkenswert ist jedoch, daß von 1972 - 1973 die Zahl um etwa das 30fache sank. Eine ähnliche Entwicklung läßt sich auch für die Versicherungsunternehmen ablesen. Hier war 1973 kein Unternehmen mehr an einem großen Zusammenschluß beteiligt39• Untergliedert man die großen Zusammenschlüsse nach Zusammenschlußarten, so ergibt sich folgendes Bild40 : Die "vertikale" Konzentration spielte - im Vergleich zu den anderen Arten - praktisch keine Rolle. Von 1966 -1973 gab es lediglich 7 Vorgänge dieser Art; 1967, 1970 und 1971 fusionierte kein Unternehmen mit einem anderen der voroder nachgelagerten Produktionsstufe. Dagegen nahmen die "horizontale" und "diagonale" Unternehmenskonzentration ab 1969 sprunghaft zu (30 bzw. 23) und erreichten 1970 ihren Höchststand (56 bzw. 27). Was die Methode der diagonalen Konzentration betrifft, ist diese in einigen anderen Ländern wesentlich stärker verbreitet als in der Bundesrepublik. So hatten 1968 in den USA zwei Drittel aller Fusionen Konglomeratscharakter 41 • In England setzte diese Entwickung zwar später, aber in fast dem gleichen Ausmaß ein42 • 5.2.4.3. Kapitalbeteiligungen Die Daten, die bisher zur Unternehmenskonzentration vorgelegt wurden, verharmlosen noch das Ausmaß des abgelaufenen Prozesses. 38 Vgl. Erläuterungen des BKartA in seinem Tätigkeitsbericht für 1973, S.40. 39 Vgl. Übersicht 4. 40 Vgl. übersicht 6. 41 Vgl. Die Welt vom 19.3.1969, S. 9. 42 Vgl. Huffschmid, J.: Die Politik des Kapitals, S. 62/63.

9

3 3 3

29

13

4 1 8

36

1964

19

10 2 7

50

1965

Quellen: Tätigkeitsbericht des BKartA für 1971, S. 39 .. Tätigkeitsbericht des BKartA für 1972, S. 36/37. Tätigkeitsbericht des BKartA für 1973, S. 38/39. Wirtschaftswoche 8/1972, S. 18.

insgesamt

davon: Kreditwirtschaft Chemie Maschinenbau Elektrotechnik Eisen und Stahl

Fusionen insges.

1963

10

5 2 2 1

43

1966

21

1 11 3 6

65

1967

35

4 11 13 6 1

65

1968

87

34 16 14 20 3

168

1969

164

52 38 28 29 17

305

1970

Unternehmenszusammenschlüsse nach § 23 GWB a. F. und n. F., aufgegliedert nach Wirtschaftsbereichen

übersicht 5

136

60 31 19 17 9

220

1971

137

53 27 20 22 15

269

1972

114

33 21 26 21 13

242

1973

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1 1

12

Vertikal Diversifiziert (diagonal)

insgesamt 20

7

13

1967

16

1 8

7

1968

2V

54 + 5K + 2V

+

1 23

30 + 5K*)

1969

49 + 17K + 3V

19 + lK + IV

27 + 1K + 2V 83 + 7K + 5V

30 + 16K + 2V

1971

56 + 6K + 3 V*)

1970

62 + 12K + IV

33 + 12K + IV 3 26

1972

57 + 4K

1 20 + lK

36 + 3K

1973a)

353 + 45K +l1V

215 + 42K + 6V 7 131 + 3K + 5V

1966 - 1973

• K Kreditinstitute; V Versicherungen. a) Nur Anzeigen nach § 23 a. F. GWB; vgl. dazu: Anmerkung und Tabelle 10 b des Tätigkeitsberichts des BKartA für 1973, S. 45. Quellen: Tätigkeitsbericht des BKartA für 1971, S. 42/43. Tätigkeitsbericht des BKartA für 1973, S. 42. Eigene Berechnungen.

=

10

Horizontal

=

1966

Zusammenschlußarten

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"Große" Zusammenschlüsse nach Zusammenschlußarten seit 1966

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6.2. GrundeinsteIlung des Bundeskartellamtes

91

durch Rechnung getragen, daß die "allgemeinen Weisungen" sowohl im Bundesanzeiger als auch im Tätigkeitsbericht des Kartellamtes veröffentlicht werden mußten 9 • 6.2. GrundeinsteIlung des Bundeskartellamtes "Das GWB ist eine der wichtigsten Grundlagen für den Bestand und die Förderung der Marktwirtschaft. Als wirtschaftspolitisches Ordnungsrecht sichert es die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs als der tragenden Grundordnung der Marktwirtschaft und bewirkt damit den optimalen Freiheitsbereich für die am Wirtschaftsprozeß Beteiligten10 ." Das wirtschaftspolitische Ordnungsrecht bedeutete für das Bundeskartellamt die Ausfüllung des in der Verfassung garantierten Rechts zur freien Entfaltung der Persönlichkeit; andererseits "setzte es die Grenzen, die die Vertragsfreiheit zur Erhaltung der Wettbewerbsfreiheit finden muß"ll. Damit übernahm das Bundeskartellamt, das erst nach Inkrafttreten des GWB die Amtsgeschäfte übernahm (1. Januar 1958), die Vorstellungen der Neoliberalen. Diese Haltung ließ sich daraus erklären, daß schon bei der Erarbeitung des GWB ein Teil der späteren Beamten des Bundeskartellamtes im Fachreferat "Kartelle und Monopole" des Wirtschaftsministeriums mitwirkte12 • Während für das Bundeskartellamt Einigkeit über die vom Wettbewerb erwarteten Funktionen bestand, war nicht klar, ob diese am besten von dem Leitbild der vollständigen Konkurrenz im Sinne von Eucken oder dem in den USA entwickelten Konzept der "workable or effective competition" erfüllt würden 13 • Als Schutzgegenstand des GWB sah das Bundeskartellamt sowohl den Individual- als auch Institutionsschutz: Individualschutz im rechtspolitischen, Institutionsschutz im wirtschaftspolitischen Sinn14 • Den Individualschutz betonte das BundesVgl. Langen, F.: Kommentar zum Kartellgesetz, Neuwied 31958, S. 335. Vgl. § 49 GWB. Die letzte "allgemeine Weisung" wurde am 15.6.1971 im Bundesanzeiger Nr. 107 und im Tätigkeitsbericht 1971, S. 12, veröffentlicht: "Bekanntmachung über die Anwendung des § 22 GWB auf bestimmte Verhaltensweisen." 10 Günther, E.: Geleitwort zu: S. Klaue, Das Kartellrecht in der Praxis, Düsseldorf 1961, S. 3. 11 Ebenda. 12 Vgl. Weber, K.: Geschichte und Aufbau des Bundeskartellamtes, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt - Beiträge zu Fragen und Entwicklungen auf dem Gebiet des Kartellrechts, Köln - Berlin - Bonn - München 1968, S. 263 ff. 13 Vgl. Günther, E.: Zehn Jahre Bundeskartellamt Rückblick und Ausblick, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt (Beiträge), S. 11/12. 14 Vgl. a) Griesbach, B.: Grundlagen für die Anwendung und Auslegung des GWB, in: Der Betriebsberater 1962, S. 10 - 12 und b) Schmidt, J.: Reform des GWB - Aufgabe des nächsten Bundestages, in: Wirtschaftsdienst 8/1969, 8

9

S. 455 - 457.

92

6. Bundeskartellamt und Kartellnovelle

kartellamt, indem es sich für eine Ordnung einsetzte, die es jedem Menschen erlaube, als freies Individuum zu leben (Art. 2, I GG). Im ökonomischen Bereich müsse der Mensch den freien Wettbewerb bejahen, auch wenn er ihm persönliche Nachteile bringe 15.

6.3. Notwendigkeit der Novellierung des GWB aus der Sicht des Bundeskartellamtes Schon in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des GWB zeigte es sich, daß die einzelnen Vorschriften des Kartellgesetzes nicht ausreichten, um allen wettbewerbshindernden Praktiken beizukommen16. Mit der ersten Novellierung von 1965 wurde dem Bundeskartellamt ein Gesetz an die Hand gegeben, das es ihm ermöglichte, in Zukunft härter gegen marktbeherrschende Unternehmen vorzugehen. Außerdem wurde das kartellbehördliche Verfahren durch Abschaffung der zweiten VerwaItungsinstanz verkürzt und der Kartellbehörde die Befugnis übertragen, Geldbußen festzusetzen 17. Trotz dieser Neufassung des GWB drängte das Bundeskartellamt die Bundesregierung auch weiterhin, das Gesetz zu ändern. Den Ansatz zu einer Reform sah das Bundeskartellamt in folgenden Überlegungen: a) Im deutschen Kartellgesetz wurden Wettbewerbsbeschränkungen durch Vertrag oder Beschluß, die grundsätzlich - wenngleich mit Ausnahmevorbehalt - verboten sind und die Wettbewerbsbeschränkungen, die durch internes und externes Unternehmenswachstum unterworfen sind, ungleich behandelt. Kantzenbach und Mumme wiesen zu Recht darauf hin, "daß es gerade die festen und dauerhaften Organisationsformen des Monopols (sind), die im Gesetz die nachsichtigere Behandlung erfahren, während die lockere, vertragliche Basis der Monopolisierung die volle Schärfe der Verbotsnorm trifft"18. Der Grund für die unterschiedliche Behandlung war u. a. in der Befürchtung des federführenden Ausschusses für Wirtschaftspolitik zu sehen, daß von einer Fusionskontrolle negative Einflüsse auf die Realisierung von Massenproduktionsvorteilen, den technischen Fortschritt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen ausgehen könnten19. 15 Vgl. a) Hermanns, F.: Der Wettbewerbsbegriff in der Verwaltungspraxis des Bundeskartellamtes, in: Zehn Jahre Kartellgesetz 1958 - 1968, Bergisch-Gladbach 1968, S. 160 und b) Günther, E.: Geleitwort, S. 3. lS Vgl. Tätigkeitsbericht des BKartA für 1970, S. 10. 17 Vgl. GWB in der Fassung vom 3. 1. 1966 (Bundesgesetzblatt I, S. 37 ff.). 18 a) Kantzenbach, E. u. Mumme, C.-H.: Auf dem Weg zur "aufgeklärten" Wettbewerbspolitik?, in: Wirtschaftsdienst 511968, S. 261 ff.; b) Vgl. Günther, E.: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 24 - 29. 19 Vgl. Schmidt, J.: Reform des GWB, S. 450.

6.3. Notwendigkeit der Novellierung

93

b) Das Bundeskartellamt sah im Fehlen einer Fusionskontrolle "den entscheidenden Mangel des GWB, der in dem Maße, wie sich in den letzten Jahren der Konzentrationsprozeß beschleunigte20 , zu einer zunehmenden, rechtlich unangreifbaren Beeinträchtigung des Wettbewerbs führte"21. Mit dieser Forderung stützte sich das Bundeskartellamt auf die Ergebnisse der Anhörungen vor dem amerikanischen Senatsunterausschuß für Anti-Trust- und Monopolfragen, die beinhalten, daß 1. die generelle Aussage, daß Großunternehmen aufgrund niedri-

ger Stückkosten immer eine höhere Leistungsfähigkeit als mittlere und kleine Unternehmen besitzen, und 2. die generelle Überlegenheit von Großunternehmen auf dem Sektor Forschung und Entwicklung nicht zutreffe 22 .

c) Die lange Dauer der Mißbrauchsverfahren gegen Preisbinder, Marktbeherrscher oder Kartelle von drei bis fünf Jahren hatte eine Reihe von verfahrenstechnischen Unzulänglichkeiten deutlich werden lassen, die ebenfalls dringend geändert werden mußten. Denn die besten materiellrechtlichen Normen blieben wirkungslos, so das Kartellamt, wenn die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Durchsetzung der materiellen Rechtsnormen fehlten 23 . So war das Instrument der einstweiligen Anordnung (§ 56) aufgrund der vorrangigen Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen der Unternehmer gegenüber den Interessen der Verbraucher durch das Oberlandesgericht Berlin (Kammergericht) wirkungslos gemacht worden, wodurch eine schnelle und wirkungsvolle Mißbrauchsaufsicht nicht möglich war24 . Entscheidungen des Bundeskartellamtes waren auch durch Urteile des Bundesgerichtshofes wieder abgeändert worden25 . Die lange Dauer der Verfahren ließ sich noch aus einem anderen Grunde erklären: Mit dem GWB wurde Neuland betreten hinsichtlich des Versuchs einer Kodifizierung von wirtschaftlichen TatVgl. dazu Kapitel 5.2. Tätigkeitsbericht des BKartA 1971, S. 4. Vgl. auch Tätigkeitsbericht des BKartA 1970, S. 10. 22 Vgl. Tätigkeitsbericht des BKartA 1968, S. 8. 23 Vgl. Schmidt, J.: Reform des GWB, S. 450. 24 Urteile waren: a) WuW!E OLG 803 "Filtertüten", vgl. Tätigkeitsbericht des BKartA 1966, BTags-Drucksache V!1950, S. 15 f. und b) Kammergericht, Beschluß vom 10.8.1967 - Kart V!19!67 - (Agfa-Color-Film). 25 Entscheidung des Bundesgerichtshofes zum "Teerfarbenfall". Beschluß vom 17. 12.1970, WuW!E BGH 1147. 20 21

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6. Bundeskartellamt und Kartellnovelle

beständen, die durch die Dynamik des Wirtschaftslebens ihren Inhalt erhielten und für Juristen manchmal einen nicht ganz klaren Inhalt hatten. Die in das Gesetz eingefügten wirtschaftlichen Begriffe kennzeichneten z. T. wirtschaftliche Vorgänge und waren nicht Begriffe im eigentlichen juristischen Sinne26 . So befand sich das Kartellamt in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes immer wieder in der Lage, Entscheidungen von Verwaltungs- und Zivilgerichten zur Auslegung von wirtschaftlichen Begriffen herbeizuführen; wie z. B. "Markt"27, "Eignung zur Marktbeeinflussung"28, "Mißbrauch"29 und "Wettbewerb"30. Dadurch entstanden in vielen Fällen Verzögerungen im Verfahrensablauf, die für alle Beteiligten Nachteile mit sich brachten: Die Firmen befanden sich in einem rechtlichen Schwebezustand, wodurch ihre Stellung auf dem Markt und ihr Ansehen sowohl bei den Konkurrenten als auch bei den Abnehmern um ein Vielfaches reduziert wurde. Die entsprechenden Abteilungen des Kartellamtes waren zum Warten verurteilt. Bei anderslautenden Entscheidungen der Zivil- und Kammergerichte mußte in den Augen der Unternehmer der Eindruck entstehen, das Kartellamt sei unfähig, das Kartellgesetz richtig anzuwenden. Zudem war die Verzögerung, die durch das Einschalten der Gerichte in die Verfahren entstand, mit einer erheblichen Mehrarbeit des Amtes und mit hohen Kosten verbunden. d) Der Gesetzgeber hatte 1957 einige Wirtschaftsbereiche von den Bestimmungen des Kartellverbotes z. T. aus strukturellen Gründen ausgenommen. Günther, der Präsident des Kartellamtes, wie auch seine Mitarbeiter wiesen wiederholt darauf hin, daß es nicht mehr möglich sei, "bestimmte Bereiche innerhalb der marktwirtschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik nach grundsätzlich anderen Prinzipien dirigistischer Art führen zu lassen"31. Das Kartellamt war nämlich in vielen Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, daß in den Bereichen Verkehrswirtschaft, Landwirtschaft, Versicherungen und Versorgungsunternehmen oftmals kein Wettbewerb mehr gegeben sei. Daher sei es unbedingt notwendig, diesen Wirtschaftszweigen eine verstärkte wettbewerbliche Ausrichtung zu geben32 . 26 Vgl. Klaue, S.: Die bisherige Rechtsprechung zum GWB, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 249/50. 27 WuW/OLG 709 "Klinker". 28 BGHZ 31, 105 WuW/E BGH 359 - "Glasglühkörper". 29 WuW/E OLG 641- "Zementpreis". 30 WuW/E OLG 709 "Klinker". 31 Günther, E.: Zehn Jahre Bundeskartellamt: Rückblick und Ausblick, S.29. 32 V gl. eben da, S. 29 - 32.

6.4. Einflußnahme des Bundeskartellamtes

95

Eine weitere Erschwerung bei der Tatsachenermittlung bedeutete für das Kartellamt die sogenannte "Mosaikmethode" . Danach war unter Wettbewerb jede betriebswirtschaftliche Maßnahme zu verstehen, sofern sie darauf gerichtet war, dem Unternehmen auf Kosten eines Mitbewerbers einen Vorteil zu verschaffen33 . Das Bundeskartellamt hatte demnach die Aufgabe, alles zusammenzutragen, das an Wettbewerbshandlungen auf einem Markt zu beobachten war 34 • Da dies aber auf oligopolitischen Märkten in der Regel nicht zu erreichen war, entzogen sich diese Märkte auch der Mißbrauchsaufsicht des Bundeskartellam tes 35• Die Erfahrungen mit dem GWB veranlaßten das Bundeskartellamt immer wieder, auf die Dringlichkeit einer Änderung des GWB hinzuweisen. Es machte deutlich, daß "zwischen der dem Bundeskartellamt übertragenen Aufgabe, der Erwartung des Gesetzgebers, der Regierung und der Öffentlichkeit und den dem Bundeskartellamt zu ihrer Lösung zur Verfügung gestellten Mitteln ein Ungleichgewicht besteht"36.

6.4. Einflußnahme des Bundeskartellamtes auf die Gestaltung der Kartellnovelle Das Bundeskartellamt schaltete sich von Anfang an (1968/69) in dIe Diskussion um die Kartellnovelle ein. Die leitenden Beamten des Amtes gingen dabei in ihrer Argumentation insbesondere von den Erfahrungen mit dem Kartellgesetz aus. Sie waren darauf bedacht, daß die Unpraktikabilität des damals geltenden Gesetzes weitgehend durch die Novelle aufgehoben würde und die neuen Bestimmungen in der Praxis auch angewandt werden könnten. Vor allem drei Änderungsvorschläge des Wirtschaftsministeriums machten ein Eingreifen ihrerseits notwendig: a) Stärkung des Bundeskartellamtes Die Stellung des Bundeskartellamtes als abhängige Bundesbehörde und die damit verbundene Weisungsbefugnis des Wirtschaftsministers bot nicht nur Politikern und Wissenschaftlern Anlaß zur Kritik; auch die Leitung des Amtes selbst sah sich veranlaßt, nach einigen Jahren Praxis für die Umgestaltung des Amtes in eine unabhängige, weisungsfreie Instanz einzutreten, die zugleich die Berechtigung erhalten sollte, zu Gesetzgebungsakten Stellung zu nehmen, welche den Wettbewerb 33 Vgl. Barnikel, H. H.: Wenn es um Machtfragen geht, in: Der Volkswirt 18/1970, S. 38. 34 Vgl. Beschluß des Berliner Kammergerichts, in: Tätigkeitsbericht des BKart für 1968, S. 12. 3~ Vgl. Tätigkeitsbericht des BKartA für 1970, S. 11. S8 Tätigkeitsbericht des BKä·ffNII970; 6.12.

6. Bundeskartellamt und Kartellnovelle

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einschränkten oder veränderten 37 • Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit des Bundeskartellamtes forderte auch Dörinkel, damit die Entscheidungen frei von politischen Einflüssen und den hinter ihnen stehenden Interessengruppen getroffen werden könnten38 • Der Leiter der Rechtsabteilung des Amtes, Gutzler, schlug aus verfassungsrechtlichen Gründen vor, die Unabhängigkeit in der Konstruktion eines Bundeskartellgerichts zu gewährleisten39 • Klaue, Leiter der ersten Beschlußabteilung, war der Ansicht, die Sicherung der marktwirtschaftlichen Ordnung sei keine für den Einzelfall zu treffende politische Entscheidung, sondern eine Sachentscheidung von erstrangiger Bedeutung. Die Verquickung im politischen Spannungsfeld allerdings sei bei einer alleinigen Entscheidungsbefugnis durch den Wirtschaftsminister nicht ausgeschlossen. Die Entscheidungskompetenz sollte daher einer sachkundigen Behörde außerhalb des politischen Spannungsfeldes übertragen werden; das sei das Kartellamt40 • Auch Günther äußerte gegen die bestehende Entscheidungs-Verteilung rechtliche Bedenken. Durch die Möglichkeit einer Weisung des Wirtschaftsministers werde nicht nur die Rechtsstaatlichkeit des Kartellverfahrens in Frage gestellt, sondern auch die Glaubwürdigkeit einer dem allgemeinen Interesse dienenden Wettbewerbspolitik41 • Die Vorschläge Günthers liefen ebenfalls, wie bei den anderen Vertretern des Bundeskartellamtes, darauf hinaus, das weisungsgebundene Kartellamt in ein weisungsfreies Bundesorgan, etwa nach dem Muster der amerikanischen Federal Trade Commission, umzuwandeln. Die Entscheidungen dieser Behörde sollten, wie im GWB vorgesehen, von den Gerichten überprüft werden; die sonstige Kontrolle konnte durch einen besonderen Parlamentsausschuß für Fragen des Wettbewerbs durchgeführt werden. Einem solchen Ausschuß - etwa nach dem Vorbild des Anti-Trust-Ausschusses der Vereinigten Staaten - könnten mit einer Änderung des Grundgesetzes die Funktionen eines ständigen Untersuchungsausschusses übertragen werden. Der Bundestag müßte die Möglichkeit haben, diesen Wettbewerbs ausschuß jeweils mit der Untersuchung einzelner Wettbewerbsprobleme zu beauftragen und ihm hierfür die Rechte eines Untersuchungsausschusses einräumen42 • Vgl. FAZ vom 20. 8. 1965. Vgl. WuW 67, S. 942. 39 Vgl. WRP 67, S. 196. 40 Vgl. Klaue, S.: Die Entscheidungsinstanz gehört ins Kartellamt, in: Der Volkswirt 33/1970, S. 35 - 37. 41 Vgl. Günther, E.: Zehn Jahre Bundeskartellamt: Rückblick und Ausblick, S. 34. 42 Vgl. Günther, E.: Brauchen wir eine neue Wettbewerbspolitik?, in: WuW 2/1967 (Jg. 17), S. 99/100. Zeitweise gingen die Forderungen Günthers noch weiter: Um den Verbraucherschutz in der BRD zu verstärken, möchte er einen Sonderberater berufen lassen, der im Bundeskartellamt persönlich die 37

38

6.4. Einflußnahme des Bundeskartellamtes

97

Ein unabhängiges Bundeskartellgericht würde - nach Ansicht des Bundeskartellamtes - eine ganze Reihe von Vorteilen bringen, so z. B. 1. Trennung von Ermittlungs- und Entscheidungsinstanz (entsprechend

Staatsanwaltschaft und Gericht), 2. erhebliche Verkürzung und Beschleunigung des Verfahrens, da nur noch der Bundesgerichtshof als Beschwerdeinstanz in Frage käme, 3. Unabhängigkeit der Entscheidungen und gleichzeitig angemessener Beurteilungsspielraum des Bundeskartellgerichts als einzige Tatsacheninstanz. 4. Für den zuständigen Bundesminister würde die Möglichkeit geschaffen, sich des Wettbewerbs in besonders gelagerten Fällen zu bedienen (im Interesse der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls). Eingriffe in den Wettbewerbsmechanismus würden damit transparent gemacht und der Kontrolle der Öffentlichkeit zugänglich. 5. Die paritätische Besetzung des Bundeskartellgerichts mit Juristen und Ökonomen würde gewährleisten, daß die Gesetzesanwendung in gleicher Weise ökonomischen und juristischen Gesichtspunkten Rechnung trage 43 • Die Errichtung einer Bundesmonopolkommission als unabhängiges Gutachtergremium mußte daher auf heftigsten Widerspruch von seiten des Bundeskartellamtes stoßen44 • Im engen Zusammenhang damit stand die Frage nach den Rechtsmitteln gegen eine Entscheidung. In der bisherigen Praxis hatte es sich gezeigt, daß das im GWB vorgesehene Verfahren unpraktikabel war: Gegenüber den beteiligten Unternehmen war es nicht zu vertreten, daß sich Verfahren über drei oder gar fünf Jahre hinstreckten45 • Klaue war der Ansicht, die Entscheidung über eine Erlaubnis müsse in einer Frist von drei Monaten getroffen werden. Problematisch bleibe jedoch, wie die Entscheidungsbefugnis der politischen Instanzen aufgrund übergeordneter nicht wettbewerblicher Gesichtspunkte eingebaut werden könne 46 • Das Bundeskartellamt hielt es für verfassungsrechtlich zulässig, das Entscheidungsverfahren nach dem Rekursverfahren zu gestalten: Anliegen der Konsumenten vertreten sollte. Das BKartA habe dabei die Rolle eines Verbraucherschutzamtes zu übernehmen. Vgl. Frankfurter Rundschau vom 5. 7. 1972, S. 7. 43 Vgl. dazu Schmidt, J.: Reform des GWB, S. 455/456. 44 Vgl. Schmidt, J.: Brauchen wir eine Bundesmonopolkommission?, in: Marktwirtschaft 1/1970, S. 3 - 6. 45 Vgl. Schmidt, J.: Reform des GWB, S. 450. 48 Vgl. Klaue, S.: Die Entscheidungskompetenz gehört ins Kartellamt, S.35.

7 Jäckering

6. Bundeskartellamt und Kartellnovelle

98

Danach sollte das Bundeskartellamt die wettbewerbliche Entscheidung fällen, das Wirtschaftsministerium diese Entscheidung auf Einspruch nachprüfen und gleichzeitig die Möglichkeit erhalten, die Erlaubnis nach übergeordneten Gesichtspunkten auch dann erteilen zu können, wenn es die wettbewerbliche Sachentscheidung bestätigen müßte. Damit wäre eine saubere Trennung zwischen wettbewerblicher Sachentscheidung und politischer Entscheidung erreicht 41 • Mit diesen Ausführungen und Vorschlägen wandte sich das Kartellamt gegen einige Vorschriften im Referentenentwurf vom Frühjahr 1970. Darin war vom Wirtschaftsministerium die Entscheidungsbefugnis in die Hand des Wirtschaftsministers gelegt worden. b) Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht Das Kartellamt sah in der fehlenden Begrenzung der Freiheitsräume die Rechtfertigung des Staates für eine Mißbrauchsaufsicht über Unternehmen, "deren ökonomische Macht so groß ist, daß sie die Marktdaten zu manipulieren vermögen"48. Daher schlug das Amt vor, die Mißbrauchs aufsicht nicht nur auf marktbeherrschende, sondern auch auf marktstarke Unternehmen anzuwenden. Es begründete diesen Vorschlag damit, daß gerade marktstarke Unternehmen häufig versuchten, durch wettbewerbsbeeinträchtigende Verhaltensweisen ihre Mitbewerber zu verdrängen, z. B. durch Diskriminierung, Koppelungs- und Ausschließlichkeitsverträge, unbillige Behinderung. Mit der Marktbeherrschungsdefinition im Entwurf vom März 197049 konnten diese Praktiken nicht unterbunden werden. Untersuchungen des Kartellamtes hatten nämlich folgendes ergeben: Auf rund 2000 Märkten waren weniger als sieben und auf etwa 750 Märkten weniger als vier inländische Anbieter tätig5o • Diese Untersuchungen erschienen sowohl der Bundesregierung als auch dem Kartellamt notwendig, da von seiten der Industrie behauptet worden war, unter die neue Regelung falle fast die Hälfte der industriellen Märkte5t • Bei einer Änderung des Gesetzes sollte daher - nach dem Vorschlag des Amtes - daran gedacht werden, absolute und relative Kriterien mit aufzunehmen. Das hieß konkret: Die Mißbrauchs aufsicht über Marktbeherrschung sollte dann einsetzen, wenn 47 48 49 60

61

Vgl. ebenda, S. 36. Tätigkeitsbericht des BKartA für 1971, BTags-Drucksache VII3570, S. 5. Vgl. I B 5-221353 vom 20. 3.1970, S. 8. Vgl. FAZ vom 3. 7.1970, S. 15. Vgl. FAZ vom 3. 7.1970, S. 15.

6.4. Einflußnahme des Bundeskartellamtes

99

1. eine wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs vorlag oder

2. die sich zusammenschließenden Unternehmen 20 Ofo Marktanteil bzw. 5000 Beschäftigte oder 250 Mill. DM Umsatz oder 125 Mill. DM Bilanzsumme hatten52 • Besonders die absoluten Kriterien stießen beim· Wirtschaftsministerium auf Kritik. Nur so war zu verstehen, daß schon kurze Zeit später das Kartellamt die Kriterien herabsetzte: 10000 Beschäftigte oder 500 Mill. DM Umsatz oder mehr als 1 Mrd. DM Bilanzsumme53 • Damit entsprachen die Kriterien des Kartellamtes denen des Wirtschaftsministeriums54 • c) Einführung einer präventiven Fusionskontrolle Bei der Einführung einer präventiven Fusionskontrolle ging das Kartellamt davon aus, ein echtes Erlaubnisverfahren einzuführen. Danach sollten alle Rechtsgeschäfte, die einen Unternehmenszusammenschluß zum Inhalt hatten, bis zur Erteilung der behördlichen Erlaubnis unwirksam sein55 • Die zweite Möglichkeit dagegen - ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt - hielt das Amt für nicht angebracht, da diese von der grundsätzlichen, wettbewerbspolitischen Schädlichkeit aller Unternehmenszusammenschlüsse ausging 56• Was die Ausgestaltung der Fusionskontrolle betraf, so wurden im Kartellamt zwei verschiedene Verfahren diskutiert: 1. Die Erlaubnis zum Zusammenschluß sollte an absolute oder relative Kriterien gebunden werden, wie bei der Marktbeherrschungsklausel.

2. Die Fusionserlaubnis sollte bereits dann verweigert werden, wenn eine drohende, wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs vorlag. Mit diesem Vorschlag wurde die im amerikanischen AntiTrust-Recht praktizierte "before and after theory" übernommen. Der ersten Möglichkeit neigte besonders Klaue 51 , Direktor der 1. Beschlußabteilung beim Kartellamt, der zweiten Schmidt 58 , Leiter des Referats "Internationale Wettbewerbsbeschränkungen", zu. KartellVgl. Schmidt, J.: Reform des GWB, S. 453/454. Vgl. dazu: Brauchen wir eine Bundesmonopolkommission?, S. 4. 54 Vgl. a) Referentenentwurf vom 28.10.1970, S. 12 b) Regierungsentwurf vom 18.8. 1971, S. 3 c) Zweites Gesetz zur Änderung des GWB vom 3. 8. 1973, S.919. 55 Vgl. Klaue, S.: Plädoyer für die Erlaubnispflicht, in: Der Volkswirt 32/ 1970, S. 37. 58 Vgl. ebenda, S. 37. 57 Vgl. ebenda, S. 32. 58 Vgl. Schmidt, J.: Reform des GWB, S. 453/454. 52 53

100

6. Bundeskartellamt und Kartellnovelle

amtspräsident GÜnthe1· s9 und die Arbeitsgruppe "Kartellrecht" im Kartellamt 60 dachten an eine Koppelung beider Vorschläge. 6.5. Zwischenbilanz

Die Kritik des Bundeskartellamtes, die sich insbesondere auf den Referentenentwurf vom März 1970 bezog, bewirkte beim Wirtschaftsministerium eine Überprüfung des Entwurfs. Der im Herbst 1970 veröffentlichte Entwurf des Wirtschaftsministeriums hatte einige der Einwände des Kartellamtes berücksichtigt. Danach war die Entscheidung über Zusammenschlußvorhaben nicht mehr dem Wirtschaftsminister, sondern dem Kartellamt übertragen worden. Allerdings wurde das Bundeskartellamt nicht - wie es u. a. vorgeschlagen worden war - in ein unabhängiges Kartellgericht umgewandelt, was eine völlige Loslösung vom Wirtschaftsministerium bedeutet hätte. Diese Vorstellung stieß nämlich sowohl bei der SPD- als auch bei der F.D.P.-Fraktion auf Widerstand 6t • Die Vorschläge des Bundeskartellamtes zur Einführung relativer und absoluter Kriterien bei der Feststellung von Marktbeherrschung wurden - mit Unterstützung der SPD-Fraktion62 - ein wenig modifiziert in den neuen Entwurf aufgenommen, ebenso die Vorschläge Günthers zur Fusionskontrolle63• Als das Kartellamt sah, daß seine Vorschläge vom Wirtschaftsministerium und von der Regierung akzeptiert wurden, stellte es sich hinter den gesamten Entwurf und vertrat ihn in der Öffentlichkeit gegen Angriffe von allen Seiten. Damit hatte die Bundesregierung bei der Durchsetzung ihrer Vorstellungen einen neuen Bündnispartner bekommen. In der Folgezeit waren die Vertreter des Bundeskartellamtes, insbesondere sein Präsident Günther, bei allen Hearings und Diskussionen anwesend, um für eine Änderung des GWB im Sinne des Regierungsentwurfs zu plädieren 64 • Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Bundeskartellamt in der Auseinandersetzung um die Gesetzesnovellierung eine wichtige Rolle einnahm, die nicht so sehr darin zu sehen war, Anstöße zu geben für grundsätzliche Änderungen (wie Einführung der Fusionskontrolle und später Abschaffung der Preisbindung), als vielmehr dem Kartellreferat Vgl. Günther, E.: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 24/25. Vgl. Tätigkeitsbericht des BKartA für 1970, BTags-Drucksache VI!2380, S.30. G1 Vgl. dazu: Kapitel 8.1. und 8.2. 82 Vgl. dazu: Kapitel 8.1. und 8.3. 83 Vgl. §§ 22 - 24 ades Referentenentwurfs vom 28. 10. 1970, S. 9 - 24. 84 Vgl. a) Anwesenheitslisten der Ausschußsitzungen des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages zu den Beratungen über die Kartellnovelle b) Kapitel 9. 59

00

6.5. Zwischenbilanz

101

im Wirtschaftsministerium "Formulierungshilfen" zu geben bei der Ausgestaltung der von ihm vorgeschlagenen Änderungen. Dabei konnte sich das Kartellamt auf die Erfahrungen stützen, die es in der jahrelangen Praxis seit 1958 gesammelt hatte. Es war daher nicht verwunderlich, daß sich die Vorschläge im wesentlichen auf Verfahrensfragen und die Kompetenzabgrenzung zwischen Bundeskartellamt und Bundeswirtschaftsminister bezogen. Eine stärkere Stellung der Behörde war nach Ansicht des Bundeskartellamtes deshalb notwendig geworden, weil die Rechtsprechung des Amtes in den letzten Jahren gezeigt hatte, daß die Quantifizierung im Hinblick auf die Begriffe der Marktbeherrschung und des Mißbrauchs außerordentliche Schwierigkeiten bereitet hatte. In fast allen untersuchten Fällen war der Nachweis der Marktbeherrschung nicht gelungen65 •

65

Vgl. Günther, E.: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 24.

7. Der Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle 7.1. Die Wirtschaftsverbände Die Wirtschaftsverbände wurden im Rahmen des "offenen Verfahrens" vom Wettbewerbsreferat des Wirtschaftsministeriums mit Beginn der Vorarbeiten an dem neuen Kartellgesetz (Ende 1968/Anfang 1969) in die Diskussion einbezogen. Die Kontakte zwischen dem Wirtschaftsministerium und den Wirtschaftsverbänden bestanden zunächst (etwa bis zur Regierungserklärung Brandts vom 28.10.1969) in der einseitigen Unterrichtung der Verbände durch das Wirtschaftsministerium über den jeweiligen Stand der Vorarbeiten an der Novelle. Nach der Regierungserklärung jedoch wurden diese Kontakte vertieft. In häufigen Informationsgesprächen und Telefonaten legten die beiden Seiten ihre Positionen dar. Insbesondere im sogenannten "Kartellkränzchen", das ca. alle 8 Wochen tagte, wurden die direkten Kontakte zwischen Kartte und den wichtigsten Verbänden der Industrie und des Handels1 aufrechterhalten. über Sinn und Zweck dieser Art von Gedankenaustausch gab es verschiedene Ansichten. Die eine meinte, daß diese informelle Gesprächsrunde keine präjudizierende Wirkung für die Novellierung gehabt, sondern lediglich der gegenseitigen vorherigen Unterrichtung gedient habe, um nicht von unvorherigen Aktionen der einen oder anderen Seite überrascht zu werden. Die andere Auslegung beinhaltete, daß dieser Gesprächskreis als geplante Initiative der wichtigsten Industrieverbände anzusehen sei, um von vornherein die Möglichkeiten der staatlichen Wettbewerbspolitik mit dem Vertreter des Wirtschaftsministeriums festzulegen 2 • Während diese beiden Versionen nicht mit Genauigkeit nachgewiesen werden konnten, gab es noch eine dritte über die Intention des Wettbewerbsreferates. Danach ging Kartte von der Vorstellung aus, aufgrund der Gespräche mit den Industrieverbänden den ersten Referentenentwurf so anzulegen, daß nach Möglichkeit kein massiver Widerstand von seiten der Industrie erwartet werden 1 Dazu gehörten: BDI, DIHT, Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels, Deutscher Genossenschaftsverband, Zentralverband des Deutschen Handwerks, Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels, Markenverband. 2 Vgl. Grottian, P.: Strukturprobleme staatlicher Planung, Hamburg 1974, S.227.

7.1. Die Wirtschaftsverbände

103

konnte3 • Dieser Eindruck bestätigte sich zwar noch auf dem ersten Hearing im Wirtschaftsministerium am 3. 12. 1969, doch schon die ersten schriftlichen Stellungnahmen der Industrieverbände zeigten eine vom Wettbewerbsreferat nicht erwartete geschlossene Haltung: Sowohl der DIHT4, der BDJS als auch die Spitzenverbände des Handels 6 sprachen sich gegen die GWB-Novellierung aus. Lediglich die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASUF unterstützte die Vorstellungen des Wirtschaftsministeriums. Das Bild von der "Einheitsfront" der Industrieverbände änderte sich nach dem Vorliegen des ersten Referentenentwurfs jedoch ein wenig. Auf dem Hearing am 17.4. 1970 stellten die Kartellexperten des Wirtschaftsministeriums fest, daß von seiten der Industrieverbände kein allzu starker Widerstand zu spüren war. Dafür mögen vier Gründe den Ausschlag gegeben haben:

1. Die Industrie hatte mit einem Entwurf zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht gerechnet. 2. In dem Referentenentwurf vom 20.3.1970 waren Bestimmungen über eine zwingend präventive Fusionskontrolle noch nicht aufgenommen worden. 3. Die Auseinandersetzungen zwischen Verbandsvertretern (Worft und Hämmerling) auf den von der Arbeitsgruppe "Kartellgesetz" veranstalteten Hearings (Mitte 1969) ließen einen Dissenz zwischen den Wirtschaftsverbänden aufkommenS. 4. Beim DIHT, beim Einzelhandel und bei den Genossenschaften machte sich zu Anfang des Jahres 1970 eine leicht modifizierte wenngleich weiterhin ablehnende - Haltung gegenüber der Kartellnovelle bemerkbar. Zurückzuführen war dieser Sinneswandel auf den Wechsel in der Führungsspitze des DIHT zu von Amerongen'.

Wenn schon der Druck gegen die GWB-Novelle ohne die zwingend präventive Fusionskontrolle von seiten der Industrieverbände für das Kartellreferat unverhofft massiv gewesen war, konnte nicht ausbleiben, daß die Abwehr noch zunahm, als im Sommer 1970 bekannt wurde, daß die Bundesregierung, unterstützt von einem großen Teil der Mitglieder aller Fraktionen, die Einführung einer präventiven Fusions3 4

5 6 7

S 9

Vgl. Gespräch mit Kartte vom 4. 5. 1972. Vgl. Stellungnahme des DIHT vom 15. 1. 1970. Vgl. Stellungnahme des BDI vom 14. 1. 1970. Vgl. Handelsblatt vom 19. 1. 1970. Vgl. Stellungnahme der ASU, in: Die Aussprache 1/1970, S. 7 ff. Vgl. Kapitel 5.3.1. Vgl. FAZ vom 30. 4. 1970.

104

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

kontrolle durchsetzen wollte. Unter der "Führerschaft" des BDI formierte sich eine Gruppe von Verbänden, die von nun an gegen die Absicht der Bundesregierung heftig opponierte und mit verschiedenen Methoden versuchte, das Vorhaben der Regierung zu Fall zu bringen. 7.1.1. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)

7.1.1.1. Die "Führerrolle" des BDI

Der BDI nutzte im Rahmen des "offenen Verfahrens" jede sich bietende Gelegenheit, um seine Position zu Fragen der Kartellnovelle darzulegen. Bereits zu den vom Wirtschaftsministerium am 15.1.1970 vorgelegten "Leitlinien" gab der BDI eine umfassende Stellungnahme ab10 • Diese Tatsache war insofern von Bedeutung, als der BDI nachweislich der erste Verband war, der zu einem so frühen Zeitpunkt schon mit eigenen Vorstellungen zur GWB-Novelle aufwartete. Das zeugte von einer kontinuierlichen Arbeit an den Problemen der Novelle auf seiten des BDI, die vom "Ausschuß für Wettbewerbsordnung" wahrgenommen wurde. Dieser Ausschuß wurde auch damit beauftragt, die Meinungsbildung innerhalb der dem BDI angeschlossenen Verbände zu "organisieren". Doch gerade hierin sah dieser eine große Schwierigkeit, da die Interessen der verschiedenen Wirtschaftszweige sehr unterschiedlich gelagert warenl l. Daher wurden in mehreren Sitzungen von Ende 1969 bis zum Frühjahr 1970 Versuche unternommen, die verschiedenen Ansichten zu einer gemeinsamen Stellungnahme zu koordinieren. Grundsätzlich war allen dem BDI angeschlossenen Verbänden klar, in der Öffentlichkeit nicht zwiespältig auftreten zu dürfen, da das dazu führen würde, daß die Bundesregierung zu noch schwerwiegenderen Verschärfungen der Novelle kommen könnte 12 • Zur Einflußnahme auf die Kartellnovelle diente auch das vom BDI im Sommer 1970 veranstaltete Hearing, an dem neben den Vertretern der Industrie auch Vertreter des Wirtschaftsministeriums, der Wissenschaft und der Parteien teilnahmen 13 • Interessant in diesem ZusammenVgl. BDI-Jahresbericht 1969170, BDI-Drucksache Nr. 88, S. 177. Vgl. Sölter, A.: Wie beurteilt die Industrie die Kartellnovelle? Entwurf für das Handelsblatt vom September 1970, S. 2/3. 12 Vgl. Ergebnisbericht der Sitzung des Ausschusses für Wettbewerbsordnung des BDI am 4. 3. 1970, S. 1. 13 Auf der 21. Jahresversammlung des BDI am 29.130.6. und 1. 7. 1970 waren im Arbeitskreis I "Soziale Marktwirtschaft und Wettbewerbsordnung" Gäste anwesend: Industrie: H. Dyckerhoff, H. Brunn, H. M. Minius (alle Fabrikanten) Wirtschaftsministerium : MinDir O. Schlecht 10

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7.1. Die Wirtschaftsverbände

105

hang war, daß auch H. Dyckerhojf als Vertreter der Industrie anwesend war, der aufgrund der positiven Einstellung der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer zu den Vorstellungen des Wirtschaftsministeriums aus der ASU ausgetreten war 14 • Mit welchen Mitteln, Methoden und Praktiken der BDI, der während der gesamten Dauer der Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB innerhalb der Gesamtindustrie eine "Führerrolle" innehatte, vorging, um die Einzelverbände auf eine gemeinsame Linie zu bringen, soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden: Die ASU, die sich für ein verschärftes Kartellgesetz einsetzte15 wurde vom BDI immer wieder gedrängt, sich seinen Vorstellungen anzuschließen. Der BDI glaubte sich dabei im Recht, da viele ASU-Mitglieder ebenfalls BDI-Mitglieder waren. Als die ASU jedoch nicht bereit war, zusammen mit dem BDI gegen die Kartellnovelle vorzugehen, richtete der BDI ein Schreiben an alle ASU-Mitglieder, um die Verbandsspitze und den zuständigen Referenten in Godesberg zu diskreditieren 16• Nur der Standfestigkeit des damaligen Vorsitzenden des Verbandes, Fertsch-Röver, war es zu verdanken, daß nur ca. 5 Mitglieder aus der ASU ausschieden, u. a. auch Dyckerhoff17. Ein Vergleich der Stellungnahmen und Erklärungen von verschiedenen Verbänden mit denen des BDI macht deutlich, daß diese in vielen Fällen nicht von den Verbänden selbst, sondern vom BDI maßgeblich mitberaten, wenn nicht sogar mitgestaltet worden waren. Auch die gemeinsamen Stellungnahmen der Spitzenverbände der gewerblichen Wirtschaft ließen eindeutig den Duktus des BDI erkennen18• Der BDI hatte nämlich erreicht, daß weitere sechs Spitzenorganisationen der gewerblichen Wirtschaft19 am 3.12.1971 zu den §§ 5 bund 22, weitere Wissenschaft: H. Kantzenbach Parteien: CDU-Abgeordneter Müller-Hermann. Vgl. "Leitlinien der Industriepolitik" - Sonderveröffentlichung über die 21. BDI-Jahresversammlung am 29./30.6. und 1. 7. 1970 in Hamburg, hrsg. vom BDI. 14 Vgl. Grottian, P.: Strukturprobleme, S. 309. 15 Vgl. o. V. ASU zur Kartellnovelle, in: Die Aussprache 111970, S. 8. lS Vgl. Grottian, P.: Strukturprobleme, S. 236/37. 17 Siehe oben. 18 Vgl. BDI-Drucksache Nr. 93 vom 15.9.1971, hrsg. vom BDI, Köln. 19 Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels; Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels; Deutscher Industrie- und Handelstag; Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels; Markenverband und Zentralverband des genossenschaftlichen Groß- und Außenhandels.

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

106

acht20 am 1. 2. 1972 zu den §§ 22 und 24 zusammen mit ihm Gemeinschaftserklärungen abgaben. In diesen gemeinschaftlichen Aktionen sah der BDI die wirksamste Möglichkeit, gegen die geplante Kartellnovelle vorzugehen und sie gegebenenfalls zu Fall zu bringen. Um den Gemeinschaftserklärungen noch eine größere Wirkung zu verleihen, nutzte er jede Gelegenheit, um auch als Einzelverband seine grundsätzlich ablehnende Haltung zu den Vorschlägen des Wirtschaftsministeriums darzulegen. So wies der BDI bei der Anhörung zum ersten Referentenentwurf am 17.4. 1970 darauf hin, daß der Entwurf "dirigistische" Züge enthalte und "durch das Ausmaß der vorgesehenen Eingriffe in die Entfaltungsfreiheit der Unternehmen nicht vom Interesse an der Sicherung eines funktionsfähigen Wettbewerbs gesichert sei"21. Insbesondere wandte sich der BDI gegen das Übermaß an Verboten und Reglementierungen im Bereich der Kooperation, der Individualbindungen, der Aufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und der Kontrolle von Zusammenschlüssen22 • Die dann überarbeitete Fassung des Entwurfs vom 28. 10. 1970 (2. Referentenentwurf) hatte einige Bedenken der Wirtschaftsverbände berücksichtigt: die neue erweiterte Definition des Begriffs "marktbeherrschende Stellung" (Berücksichtigung der Finanzkraft und der vertikalen und diagonalen Verflechtungen); Beschränkung der Fusionskontrolle auf Zusammenschlüsse mit mindestens 1 Mrd. DM Umsatz, Umgestaltung des Fusionskontroll verfahrens23 . Trotzdem gab sich der BDI nicht mit den Änderungen zufrieden 24 . Im Hearing vom 4.12.1970 forderte er eine Freistellung der Zusammenschlüsse zwischen Großunternehmen und Mittelständlern wegen der Ziele der Starthilfe, Sanierung und bestmöglichen Unternehmensverwertung. Das Wirtschaftsministerium stellte daraufhin die Wiederaufnahme der Toleranzklausel für Unternehmen bis zu 50 Mill. DM in Aussicht 25 • Eine Änderung in diese Richtung erfolgte im Regierungsentwurf jedoch nicht. 20 Arbeitsgemeinschaft der Lebensmittel-Filialbetriebe; Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe; Bundesverband Deutscher Banken; Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels; Bundesverband des Deutschen Versandhandels; DIHT; Gesamtverband der Versicherungswirtschaft und Markenverband. 21 Jahresbericht des BDI 1970171, BDI-Drucksache Nr. 91, S. 61. 22 Vgl. ebenda, S. 91. 23 Vgl. Referentenentwurf vom 28.10.1970; Jahresbericht des BDI 1970/71,

S.61. 24

25

Vgl. Jahresbericht des BDI 1970/71, S. 62. Vgl. ebenda, S. 62.

7.1. Die Wirtschaftsverbände

107

Auch nach Zuleitung des Regierungsentwurfs an den Bundesrat ließ die Aktivität der BDI nicht nach. Er unterrichtete die Landesregierungen, die Wettbewerbspolitiker der Bundestagsfraktionen und die Wirtschaftspresse über seine Auffassung zu den wichtigsten Punkten der Kartellnovelle. In einer Presseerklärung vom 11. 6. 1971 nahm der BDI gegen die vorgesehene Rückwirkung der Zusammenschlußkontrolle Stellung, da diese Regelung Unsicherheit bei den sich damals vollziehenden Unternehmensverbindungen ausgelöst hatte. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Verfassungsmäßigkeit sei es für die Unternehmen untragbar, ihre gegenwärtigen Unternehmensverbindungen unter Entflechtungsandrohung zu stellen26 . Zur Unterrichtung der Unternehmerschaft über die Schwerpunkte der Novelle gab der BDI im August 1971 eine Broschüre unter dem Titel: "Das geht jeden Unternehmer an. Die Auswirkungen der beabsichtigten Novelle zum Kartellgesetz"27 heraus. Im Herbst 1971 sandte der BDI an Politiker und Beamte, Wissenschaftler, Verbände und Organisationen noch eine umfassende Stellungnahme zur Kartellnovelle 28 . Darin stimmte der BDI einem Novellierungsvorhaben grundsätzlich zu, allerdings mit der Einschränkung, daß die Gesetzesänderung sich am Leitbild des funktionsfähigen Wettbewerbs orientieren, die Entfaltung zu wettbewerbsfähigeren Unternehmensstrukturen nicht behindern und ein Übermaß an Staatsinterventionen vermeiden müsse29 . Der BDI lehnte den vorliegenden Regierungsentwurf ab, obwohl eine Anzahl von Erleichterungen erreicht worden war im Gegensatz zu den Referentenentwürfen. Gegen wesentliche Teile des Entwurfs zeigte der BDI Bedenken, die er im einzelnen - unter Aufzeichnung geeigneter Änderungen - darlegteso. 7.1.1.2. Die Vorstellungen des BDI zu den Schwerpunkten der

Kartellnovelle

Da sich die Arbeitsgemeinschaft der Lebensmittel- und Filialbetriebe, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe, der Bundesverband des deutschen Groß- und Außenhandels, der Bundesverband deutscher Banken, der Bundesverband des deutschen Versandhandels, der DIHT, der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft, der Zentralverband des genossenschaftlichen Groß- und Außenhandels Vgl. Jahresbericht des BDI 1971172, BDI-Drucksache Nr. 95, S. 56. Erschienen in: Industrieverlags-GmbH, Köln 1971. 28 Vgl. "Auswirkungen der Kartellgesetznovelle auf die Industrie", BDIDrucksache Nr. 93 vom 15. 9. 1971, hrsg. vom BDI, Köln. 29 Vgl. Jahresbericht des BDI 1971172, S. 57. 30 Vgl. BDI-Drucksache Nr. 93. 28

27

108

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

und der Markenverband in den wichtigsten Fragen der Kartellnovelle der Haltung des BDI anschlossen, soll im folgenden zunächst auf die Einstellung des BDI zu den Schwerpunkten der Novelle näher eingegangen werden. Lediglich dann, wenn die Auffassungen einzelner Verbände denen des BDI entgegenstanden oder die Verbände zu anderen - zumeist spezielle, ihre Branche betreffende - Fragen Stellung nahmen, werden diese in einem eigenen Kapitel behandelt. Die grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber den Vorschlägen des Wirtschaftsministeriums zur GWB-Novelle blieb von seiten des BDI über die gesamte Dauer der Diskussion von 1969 - 1973 konstant. a) § 5 b: Kooperationserleichterungen Lediglich die Absicht der Bundesregierung, zwischenbetriebliche Kooperationen zu erleichtern, wurde vom BDI begrüßt. Allerdings glaubte der Verband nicht, daß durch die Fassung des Regierungsentwurfs das erreicht werden könne, was die Regierung ins Auge gefaßt hätte. Die neue Regelung führe nicht zur Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnung, sondern zu erweiterten Eingriffsbefugnissen der Kartellbehörde. Um die zwischenbetriebliche Kooperation wirksam zu fördern, bedürfe es folgender Änderungen des § 5 b: -

Es wäre klarzustellen, daß der Begriff "Koordinierung" auch die Ausgliederung oder Zusammenlegung von Unternehmensfunktionen erfaßt. Eine bloße Abstimmung habe in der Kooperationspraxis nur geringfügige Bedeutung und werde in der Regel auch nicht zu einem wesentlichen Rationalisierungserfolg führen. Dieser werde vielmehr erst erreicht. wenn die koordinierten Tätigkeiten auch gemeinsam durchgeführt würden31 •

-

Wie bei den Spezialisierungskartellen nach § 5 a GWB müsse es auch bei den Rationalisierungskartellen des § 5 b Regierungsentwurf möglich sein, die Kooperationsmaßnahmen mit Preis abreden zu verbinden, soweit dies zur Erreichung des Rationalisierungsziels erforderlich sei32 •

-

Ungeachtet der unterschiedlichen Kooperationsbedürfnisse und -möglichkeiten der einzelnen Wirtschaftszweige würde jede weitere Einengung des § 5 b der allgemein anerkannten Zielsetzung dieser Vorschrift widersprechen 33•

Vgl. ebenda, S. 9. Vgl. Erklärung der Spitzenorganisationen zur Kartellgesetznovelle vom 3. 12. 1971, S. l. 33 Vgl. a) ebenda, S. 2 b) zu § 5 bauch: Ergebnisbericht der Sitzung des Ausschusses für Wettbewerbsordnung am 4. 3. 1970, S. 3. 31 32

7.1. Die Wirtschaftsverbände Übereinstimmung zwischen BDI und gegen in der Auffassung, § 5 b beziehe Mittelbetriebe sondern auch darauf, daß legalisiert werden könnten, wenn sie seien34 •

109

Bundesregierung bestand dasich nicht nur auf Klein- und Koalitionsvorhaben auch dann mit Preisabreden verbunden

b) § 22: Mißbrauchs aufsicht über marktbeherrschende Unternehmen Die im Regierungsentwurf vorgeschlagene Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen wurde vom BDI in fast allen Punkten abgelehnt mit den folgenden Begründungen: Die Einführung des Begriffs der "überragenden Marktstellung" sei wettbewerbspolitisch eine bedenkliche Erweiterung auf einen ganz anderen Tatbestand. Denn trotz einer "überragenden Marktstellung" stehe ein Unternehmen in der Regel durchaus noch in einem wesentlichen Wettbewerb. Die Folge dieser Änderung würde sein, daß künftig nicht nur bei der Mißbrauchs aufsicht, sondern auch bei der Fusionskontrolle bereits eine gegenüber den Mitbewerbern hervorgehobene Marktstellung für staatliches Einschreiten ausreiche. Die staatliche Interventionsbefugnis, die nur bei fehlendem Wettbewerb gerechtfertigt sei, würde damit auf alle größeren Unternehmen ausgedehnt.

-

Der Vorschlag des BDI ging dahin, Eingriffe gegenüber Unternehmen mit überragender Marktstellung sollten im Rahmen des Diskriminierungsverbots des § 26 Abs. 2 vorgenommen werden35 • -

Die Vermutung, daß Unternehmen mit einem Marktanteil von 40 0/0 marktbeherrschend sein sollen, stimme mit den wirklichen Wettbewerbsverhältnissen nicht überein und sei nicht durch Erfahrungen zu belegen. Eine Marktbeherrschung könne nur aufgrund einer genauen Analyse der Marktverhältnisse und nicht schematisch nach bestimmten Marktanteilsgrenzen festgestellt werden. Hinzu komme, daß es auch aus rechtlichen Gründen unzulässig sei, belastende Verwaltungsakte und Strafsanktionen auf Vermutungen zu stützen36 •

-

Sachlich nicht gerechtfertigt sei auch die Vermutung, daß gleichförmiges Preisverhalten mehrerer Unternehmen ein Zeichen fehlenden Wettbewerbs sei und für die Unternehmen marktbeherrschende Stellungen begründe. Oft werde vielmehr ein faktisches Parallelver84 85 38

Vgl. BDI-Drucksache Nr. 93, S. 14/15. Vgl. ebenda, S. 14/15. Vgl. ebenda, S. 15/16.

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

110

halten vor allem bei homogenen Gütern Wettbewerb erzwungen37 •

gerade durch den

c) § 23: Meldung von Zusammenschlüssen Der BDI schlug dem Wirtschaftsministerium vor, die Meldekriterien - wenn es sie schon nicht ganz fallen lassen wolle - nicht noch zu erweitern. Die Meldepflichten der Unternehmen und die Eingriffsrechte der Aufsichtsbehörde erstreckten sich schon nach dem geltenden Recht auf Unternehmensverbindungen (§ 23 Abs. 2), die die wettbewerbliche Selbständigkeit der Partner unberührt lassen würden, wie z. B. den Erwerb einer 25°/oigen Beteiligung38• Besonders bedenklich sei die Einbeziehung von Gemeinschaftsunternehmen. Für Gemeinschaftsunternehmen auf kooperativer Grundlage, z. B. auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung, bringe der Entwurf zusätzliche Behinderungen. Das Gemeinschaftsunternehmen sei die praktisch wichtigste und günstigste Organisationsform für die Zusammenfassung von Unternehmensfunktionen im Sinne des Kooperationsbegriffs (z. B. für Forschung und Entwicklung, einzelne Produktionsphasen, Einkauf, Verkauf etc.). Die Verbitterung des BDI über diese Regelung zeigte sich in der folgenden Aussage: "Obwohl die Novelle eine Förderung der Kooperation beabsichtigt, schafft sie für diese in der Konzentrationsaufsicht zusätzliche Erschwernisse39 ." Für eine Fusionskontrolle sollten nur solche Zusammenschlüsse gewertet werden, als deren Folge das selbständige Auftreten von Unternehmen am Markt ausgeschlossen sei. Als Zusammenschluß könnten daher nur gelten: -

der rechtsgeschäftliche Erwerb des Vermögens anderer Unternehmen oder des Eigentums an Betrieben oder Teilbetrieben anderer Unternehmen;

-

der rechtsgeschäftliche Erwerb von Beteiligungen oder der Abschluß von Unternehmensverträgen im Sinne der §§ 291 oder 292 AktG40, soweit dadurch Leitungsmacht oder beherrschender Einfluß über ein anderes Unternehmen oder über Betriebe oder Teilbetriebe eines anderen Unternehmens begründet werde;

37 Vgl. a) Ebenda, S. 16 - 18 b) Zu § 22 vgl. auch: Ergebnisprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Wettbewerbsordnung am 4. 3. 1970, S. 5/6. 38 Vgl. ebenda, S. 19. 39 Vgl. ebenda, S. 20. 40 Vgl. Aktiengesetz - GmbH-Gesetz, hrsg. von W. Hefermehl, München

1974, S. 159/60.

7.1. Die Wirtschaftsverbände

111

alle Verträge, durch die sich Unternehmen einer gemeinsamen Leitung unterstellen41 • Gemeinschaftsunternehmen dürften nur insoweit erfaßt werden, als durch den Zusammenschluß ein zwischen den Muttergesellschaften bestehender Wettbewerb beendet werde. d) § 24: Fusionskontrolle Die ablehnende Haltung des BDI gegen die Kartellnovelle zeigte sich besonders in den Gründen, die er gegen die Einführung einer auf die Bundesrepublik beschränkten Fusionskontrolle vorbrachte. Im folgenden sollen die wichtigsten Gründe aus einer Fülle von Material42 dargelegt werden: -

Für die Unternehmen, die der deutschen Fusionskontrolle unterworfen werden sollen, bilde der Markt der Bundesrepublik in der Regel nur einen Teilbereich ihres gesamten Betätigungsfeldes. Ihr "Heimatmarkt" sei zumindest die EWG.

-

Die meisten Branchen der BRD befänden sich in strukturellen Umschichtungs- und Anpassungsprozessen im Rahmen der EWG. Die staatliche Wettbewerbspolitik in einem Teilmarkt der EWG, die die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft erhalten und fördern wolle, sollte daher dem Konzentrationsprozeß ihrer Industrie positiv, zumindest aber neutral gegenüberstehen.

-

Da die nationalen Marktgrenzen längst in Fluß geraten, verwischt oder überwunden seien, seien die deutschen Unternehmen einem ständig schärferen tatsächlichen wie potentiellen Wettbewerb des Auslandes ausgesetzt, so daß Unternehmen, selbst wenn sie bedeutende Anteile am deutschen Markt hätten, in Wirklichkeit nicht marktbeherrschend seien.

41 Vgl. Gemeinsame Stellungnahme zur Fusionskontrolle von 9 Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft, Bonn, Frankfurt, Köln, Wiesbaden, 31. 1. 1972, S. 2/3. 42 Vgl. dazu: a) Stellungnahme des BDI vom 15. 1. 1970 b) Brunn, J. H. v.: Gedanken und Vorschläge für ein besseres Wettbewerbsgesetz, in: WuW (Sonderdruck) 3/1972, S. 150 - 155 c) Sölter, A.: Wettbewerbsordnung auf dem Prüfstand, in: Der Betrieb 1311972, S. 9 - 11 d) Ders.: Rückfall in nationalwirtschaftliche Denkkategorien, in: Wirtschaftsdienst 2/1970, S. 128 - 132 e) Ergebnisbericht der Sitzung des Ausschusses für Wettbewerbsordnung des BDI, vom 4. 3. 1970, Köln, S. 7 - 9 f) Benisch, W.: Die Problematik einer nationalen Konzentrationskontrolle, in: Wettbewerb in Recht und Praxis 3/1970.

112 -

-

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle Im Falle einer pationalen Fusionskontrolle würden deutsche Unternehmen diskriminiert werden, weil sie im Gegensatz zu ausländischen Firmen in ihrer Strukturanpassung beeinträchtigt würden. Eine nationale Fusionskontrolle, die, wie vorgesehen, auch die zwischenstaatlichen Fusionen erfassen soll, würde die internationalen unternehmensmäßigen Verflechtungen beeinträchtigen oder gar unterbinden. Die Konzentrationen würden sich jenseits der deutschen Grenzen vollziehen und damit die Wettbewerbsposition ausländischer Unternehmen einseitig begünstigen.

Obwohl sich also der BDI zu den Änderungsvorschlägen der Bundesregierung grundsätzlich ablehnend verhielt, sah er doch die Notwendigkeit, Gegenvorschläge zu den einzelnen Bestimmungen der GWB-Novelle zu unterbreiten, um - wie er meinte - extreme Nachteile für die deutschen Unternehmen zu vermeiden, falls sich der Gesetzgeber den grundsätzlichen Argumenten verschließen sollte43 • Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß 1. der BDI sich gegenüber der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Verschärfung des Kartellgesetzes grundsätzlich negativ verhielt und daher alles daransetzte, den Gesetzentwurf zum Scheitern zu bringen; 2. der BDI zur Durchsetzung seiner Interessen versuchte, mit den

verschiedensten Methoden und Praktiken andere Verbände von seiner Auffassung zu "überzeugen", was allerdings nicht in allen Fällen gelang; 3. der BDI innerhalb der Industrieverbände -

aber auch innerhalb der Spitzenverbände der gewerblichen Wirtschaft - eine gewisse "Führerrolle" übernahm. Dazu trugen nicht zuletzt Faktoren bei wie große Finanzkraft, Mitgliederstärke und das Vorhandensein von Kartellexperten innerhalb des Verbandes. Hinzu kam noch, daß der BDI unter den gesamten Verbänden, die gegen die Novelle votierten, in hohem Ansehen stand, weil es ihm in der Kartelldebatte von 1948 - 1957 in besonderem Maße gelungen war, Erhard zu einer Reihe von Abschwächungen seines ursprünglichen Konzepts zu zwingen.

Trotz dieser Anerkennung des BDI durch die anderen Spitzenverbände ließen es sich diese nicht nehmen, selbst in Stellungnahmen und Eingaben an die Ministerialbürokratie und die Bundesregierung auf die Nachteile der Kartellnovelle hinzuweisen. Sie taten dies insbesondere dann, wenn sie der Ansicht waren, einzelne Vorschriften der 43

Vgl. BDI-Drucksache Nr. 93, S. 22.

7.1. Die Wirtschaftsverbände

113

Novelle könnten den ihrem Verband angeschlossenen Unternehmen Nachteile bringen. 7.1.2. Der Deutsche Industrie- und HandeJstag (DIHT)

Die Vorstellungen des DIHT zur" Kartellnovelle entsprachen im großen und ganzen denen des BDI. Gemeinsam mit dem BDI gab er die Erklärungen zur Kartellgesetznovelle heraus44 • Darüber hinaus versuchte der DIHT in eigenen Stellungnahmen Einfluß auf die Gestaltung des Entwurfs zu nehmen. Sowohl zum ersten als auch zum zweiten Referentenentwurf leitete der DIHT dem Wirtschaftsministerium detaillierte Vorschläge aus der Sicht des Verbandes ZU45 • Außerdem sandte der Verband am 31. 1. 1972 dem Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages eine Stellungnahme zu den drei Hauptkomplexen der Novelle ZU46 • Als sich herausstellte, daß es im Wirtschaftsausschuß des Bundestages zu Unklarheiten über die vom DIHT formulierten Vorschläge 47 für die für eine Fusionskontrolle relevanten Zusammenschlußformen des § 23 Abs. 2 gekommen war4 8 , griff der DIHT in die Beratungen ein: er regte in einem Brief an den Wirtschaftsausschuß an, bestimmte Formen von Gemeinschaftsunternehmen nicht als Zusammenschluß der Muttergesellschaften im Sinne des Kartellrechts anzusehen, wie -

Gewinnabführungsverträge, die ohnehin nicht isoliert, sondern aufgrund bereits bestehender Abhängigkeit geschlossen werden;

-

Gewinn- und Teilgewinngemeinschaften, die als solche die wirtschaftliche Selbständigkeit des Unternehmens ebenfalls nicht beeinträchtigen;

-

Minderheitsbeteiligungen, die es in Form einseitiger oder wechselseitiger Beteiligungen, soweit sie die wirtschaftliche Selbständigkeit der Unternehmen nicht beeinträchtigen49 •

Der DIHT räumte ein, daß die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen, die die Produktion von Unternehmen beträfen, wettbewerbs44 Vgl. Gemeinsame Stellungnahme vom 3. 12. 1971 und 1. 2. 1972, Kapitel 9.2.1.1. 45 Das Ergebnis war durch eine Umfrage bei den Industrie- und Handelskammern zustandegekommen. Vgl. Stellungnahme des DIHT vom 11. 12. 1970, S. 2. 48 Vgl. F AZ vom 12.2. 1972. 41 Vgl. DIHT-Vorschlag zu § 23 Abs. 2 der Kartellgesetznovelle, in: Wirtschaftsministerium - W/IB 5-221353 vom 2. 5. 1972 (Anhang). 48 Vgl. Zweite Kartellnovelle Unternehmenszusammenschlüsse im Sinne des § 23 Abs. 2, Stellungnahme des DIHT vom 31. 5. 1972. 49 Vgl. Zweite Kartellnovelle Unternehmenszusammenschlüsse im Sinne des § 23 Abs. 2, Stellungnahme des DIHT vom 31. 5. 1972, S. 5.

8 Jäckerlng

114

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

schädlich sein könnte. Die Absicht des Gesetzgebers, solche Gründungen zu verhindern, wurde anerkannt. Der Handelstag trat aber dafür ein, daß Gemeinschaftsunternehmen, die der Forschung und Entwicklung dienen oder in deren Rahmen gemeinsam benutzbare Rechenzentren entwickelt werden sollten, vom Fusionsverbot auszunehmen seien. Hier sah der Handelstag einen Rationalisierungsvorteil bei gleichzeitig unverändertem Wettbewerbsgrad, da sich die Zahl der Anbieter auf einem bestimmten Markt durch derartige Gemeinschaftsgründungen nicht ändere50 • 7.1.3. Der Markenverband

Der Markenverband, in dem sich die Hersteller von Markenartikeln zusammengeschlossen haben, der aber nicht dem BDI angehört, bezog schon beim Novellierungsversuch von 1968 gegen die Aufhebung der Preisbindung der zweiten Hand Stellung51 • Der Versuch Schillers scheiterte an der ablehnenden Haltung der CDU/CSU- und der F.D.P.Fraktionen, des BDI, der Spitzenverbände des Groß- und Außenhandels und nicht zuletzt des Markenverbandes52 • Nach Vorlage des ersten Referentenentwurfs vom 20.3.1970 mußte der Markenverband wiederum damit rechnen, daß die vertikale Preisbindung aufgehoben würde 53, falls der Entwurf als Gesetz verabschiedet würde. Da sich die F.D.P. jedoch bisher schon einmal erfolgreich gegen die Aufhebung der Preisbindung durchgesetzt hatte, konnte der Markenverband auch diesmal wieder darauf vertrauen, in der F.D.P. einen Vertreter seiner Interessen zu finden. Ein Einfluß auf die Willensbildung innerhalb der F.D.P. im Sinne des Markenverbandes wurde nämlich dadurch gewährleistet, daß im Arbeitskreis "Wirtschaft" der F.D.P. Dr. Ludwig Schröder vom Markenverband Sitz und Stimme hatte54 • Die Kontakte zwischen dem Markenverband (Dr. Schröder) und der F.D.P.-Bundestagsfraktion waren im Stadium der Vorarbeiten zur Kartellnovelle (1970 und 1971) besonders eng55 • Diese Tatsache und die Vgl. ebenda, S. 6. Vgl. Denkschrift des Markenverbandes zum Vorschlag des Wirtschaftsministeriums, vertikale Preisbindungen für Markenwaren gesetzlich zu verbieten, Wiesbaden, 31. 5. 1968, S. 3. 52 Vgl. Kapitel 4.1.3. 53 Vgl. § 17 Referentenentwurf vom 20. 3. 1970. 54 Vgl. Wirtschaftswoche 51/1970, S. 14. 55 Bei der FDP-Bundestagsfraktion gingen verschiedene Stellungnahmen des Markenverbandes ein a) zum Regierungsentwurf vom 18. 8. 1971 b) zum Referentenentwurf vom 20. 10. 1970. Vgl. Briefe des Markenverbandes an die FDP-Fraktion vom 17.12.1970 und 1. 11. 1971. 50 51

7.1. Die Wirtschaftsverbände

115

Herausnahme der vertikalen Preisbindung aus der Diskussion von seiten der Regierung bewirkten, daß sich der Markenverband zunächst nicht massiv in die öffentliche Diskussion um die Novellierung des GWB einschaltete56 • Er trat lediglich als Mitunterzeichner der beiden Gemeinschaftserklärungen der gewerblichen Wirtschaft in Erscheinung, was allerdings eher als eine Solidaritätserklärung gegenüber den anderen Wirtschaftsverbänden als eine Verteidigung seiner eigenen Interessen gewertet werden muß, da die Markenwarenhersteller nicht so stark von der vorgesehenen Fusionskontrolle betroffen sein würden wie etwa die dem BDI angeschlossenen Verbände. Zudem konnte sich der Markenverband dadurch der Hilfestellung der anderen Verbände versichern für den Fall, daß der Gesetzgeber die Preisbindung doch noch aufheben sollte. 7.1.4. Die Handelsverbände

Als sich während der ersten sozial-liberalen Koalition herausstellte, daß die Aufhebung der Preisbindung nicht mehr zur Debatte stand, wurden die Widerstände gegen die Kartellnovelle von seiten der HandeIsverbände gemäßigter. Der Grund dafür war zunächst lediglich in der Tatsache zu sehen, daß für alle Handelsverbände die Auswirkungen, die mit der Aufhebung der Preisbindung verbunden gewesen wären, schwerwiegendere Folgen gehabt hätten, als die Einführung einer präventiven Fusionskontrolle. Zudem standen die Handelsverbände aber auch vor der Schwierigkeit, bei der sehr unterschiedlichen Struktur (Aufgaben und Bereiche) der Einzelverbände im Rat des Handels 57 zu einer einstimmigen Meinungsbildung zu gelangen. So ergaben sich für die Verbände des Groß- und Außenhandels aus den Bestimmungen der Kartellnovelle andere Probleme als etwa für die Verbände des Einzelhandels. Diese Tatsache erklärte auch, weshalb in den verschiedenen Stellungnahmen58 zu einzelnen Entwürfen des 58 In den Jahrgängen der verbandseigenen Zeitschrift "Markenartikel" finden sich keine Anmerkungen zum Thema "Kartellgesetznovelle" . 57 Dem Rat des Handels gehören folgende 12 Bundesorganisationen an: Arbeitsgemeinschaft Freiwillige Gruppen des Lebensmittelhandels; Arbeitsgemeinschaft der Lebensmittelfilialbetriebe e. V.; Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels e. V.; Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittelund Großbetriebe des Einzelhandels e. V.; Bundesverband des Deutschen Versandhandels e. V.; Centralvereinigung Deutscher Handelsvertreter- und Handelsmakler-Verbände; Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels e. V.; Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels e. V.; Bund Deutscher Konsumgenossenschaften GmbH; Zentralverband des genossenschaftlichen Groß- und Außenhandels; Zentralverband gewerblicher Einkaufsvereinigungen des Handels; Verband reisender Kaufleute Deutschlands e. V. 58 Vgl. etwa die Stellungnahme des Rates des Handels vom 15.1.1970,

S.7/8. 8'

116

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

Wirtschaftsministeriums Sonder-Stellungnahmen einzelner Verbände enthalten waren. Dadurch wurde allerdings die beabsichtigte Wirkung, nämlich eine Einflußnahme auf die Gesetzgebung, stark gemindert. Diese Erscheinung ließ sich sowohl in der 6. Legislaturperiode beobachten, als es in der Hauptsache um die Fusionskontrolle ging, als auch und gerade in der 7. Legislaturperiode, als die Diskussion um die Abschaffung der Preisbindung wieder begann. Darauf wird später noch einzugehen sein. Im folgenden sollen zwei Verbände des Handels herausgenommen werden, an deren Haltung die unterschiedlichen Auffassungen im Handel deutlich werden: der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels und die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels. Weshalb die Interessen des Groß- und Außenhandels und die des Einzelhandels nur schwer in Einklang zu bringen waren, machen schon die Zahlen zur Struktur der beiden Verbände deutlich: Verband Groß- und Außenhandel Einzelhandel a) Zahlen für 1970.

Zahl der Beschäftigten

Zahl der Unternehmen

Umsatz

1,2 Mio. a ) 2,3 Mio.

110000 400000

ca. 350 Mrd. DM ca. 184 Mrd. DM

Quelle: Taschenbuch des öffentlichen Lebens 1971, hrsg. von Albert Oeckl, Bonn 1971, S. 307 und 319.

Während nach den Zahlen für den Groß- und Außenhandel viele Unternehmen von den neuen Aufgreifkriterien für die Zusammenschlußkontrolle erfaßt worden wären, dürften es von Unternehmen des Einzelhandels nur wenige, wenn nicht sogar keine gewesen sein. 7.1.4.1. Der Bundesverband des deutschen Groß- und Außenhandels (BGA)

Der BGA59 versuchte, durch mehrere Eingaben und Stellungnahmen an die parlamentarischen Gremien, das Bundeswirtschaftsministerium und Bundestagsabgeordnete, die Kartellnovelle zu ihrem Vorteil zu ändern. Als Mitunterzeichner der beiden gemeinsamen Stellungnahmen der Spitzenorganisationen der gewerblichen Wirtschaft war die Haltung des BGA zur Kartellnovelle durchweg negativ 60 • 59 Der BGA ist Dachverband von 110000 Unternehmen mit 1,2 Mill. Beschäftigten und ca. 340 Mrd. DM Umsatz (1970). GO Vgl. dazu: a) Die beiden gemeinsamen Stellungnahmen der Spitzenorganisationen, Kapitel 7.1.1. b) Jahresberichte des BGA 1969170 und 1970/71.

7.1. Die Wirtschaftsverbände

117

Zusammen mit dem BDI wandte sich der BGA gegen die kartellrechtliche Lösung der vertikalen Preisempfehlung in § 38 Abs. 2 Refer Entw. vom 28.10.70, die eine Beschränkung der Aufhebung des Preisempfehlungsverbots auf Markenwaren bei gleichzeitiger Anmeldepflicht vorsah. Der BGA begründete seine ablehnende Haltung mit der Feststellung, durch die Formulierung würden mehr oder weniger künstlich aus Nicht-Markenwaren Markenartikel und das Bundeskartellamt würde mit einer Flut von Neuanmeldungen überschüttet6t . Der Verband stützte sich in seiner Argumentation auf die Feststellung des Bundeswirtschaftsministeriums, das in einem Referentenentwurf vom 28. 4. 1968 vertikale Preisempfehlungen allgemein und ohne Anmeldung zulassen wollte mit der Begründung, daß in allen westlichen Ländern vertikale Preisempfehlungen zulässig seien, auch dort, wo die vertikale Preisbindung verboten sei62 . Die völlig negative Haltung des BGA zu fast allen Punkten der Novelle änderte sich nach Vorliegen des Regierungsentwurfs, da er glaubte, einige Verbesserungen in seinem Sinne darin sehen zu können. Die Zustimmung bezog sich jedoch in den meisten Fällen auf die nicht als so wichtig erachteten Verbesserungen der Novelle: So wurde der Ergänzung des Diskriminierungsverbots zugestimmt63 , das auch für Unternehmen gelten sollte, "soweit von ihnen Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise abhängig sind, daß ausreichend Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen"64. Ebenso wurde die Änderung des § 28 (Wettbewerbsregeln) akzeptiert, wonach jetzt eine Majorisierung durch Verbandsbeschluß möglich gemacht wurde 65 . Dagegen wurden die neuen Vorschriften zu §§ 22 - 24 des Regierungsentwurfs wiederum abgelehnt66 . 7.1.4.2. Die Hauptgemeinschajt des Deutschen Einzelhandels (HDE)

Der Einzelhandelsverband67 stand dem Gesetzentwurf des Wirtschaftsministeriums kritisch, in einigen Punkten sogar ablehnend ge81 Vgl. Stellungnahme des BGA und BDI zu § 38 Abs. 2 GWB (Preisempfehlung) vom 26. 3. 1971, S. 1. 82 Vgl. a) ebenda, b) Begründung des Referentenentwurfs vom 28. 4. 1968. 83 Vgl. a) Jahresbericht des BGA 1971/72 zur Mitgliederversammlung, Bonn 1972, S. 39/40, b) Ergebnisprotokoll der Sitzung des Arbeitskreises Kartellund Wettbewerbsrecht des BGA am 1. 7.1971 in Bonn, in: BGA (MitgliederNachrichten) Nr. 15/71, Anlage, S. 2. 8( § 26 Abs. 2 Regierungsentwurf. 85 Vgl. Ergebnisprotokoll, S. 3. 88 Vgl. ebenda, S. 1 - 3 und BGA-Pressedienst Nr. 156 vom 19.5. 1971. 87 Dachverband von ca. 400 000 Unternehmen.

118

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

genüber. Er war allerdings einer der wenigen Verbände, der aus der "Einheitsfront" der Wirtschaftsverbände ausbrach. So war die HDE erst bereit, die Gemeinschaftserklärung der Spitzenverbände der gewerblichen Wirtschaft zu unterzeichnen, als verschiedene Bedenken seinerseits von den übrigen Mitunterzeichnern ausgeräumt worden waren 68 • Gleichzeitig mit der von ihr unterzeichneten gemeinschaftlichen Erklärung machte die HDE jedoch in einer dem Wirtschaftsausschuß des Bundestages übersandten Erklärung weitere Ausführungen zu den für sie besonders kritischen Punkten des Entwurfs: Bestrebungen, § 5 b auf Kooperationen kleiner und mittlerer Unternehmen zu beschränken, könne der Einzelhandel nicht unterstützen. Eine Kooperation zwischen kleinen und großen Unternehmen liege häufig im Interesse des kleinen Kooperationspartners; unter Umständen könne von einer solchen Kooperation sogar die Existenz des kleinen Unternehmens abhängen 69 • Zu § 22 konnte innerhalb der Einzelorganisationen des Einzelhandelsverbandes keine einheitliche Auffassung herbeigeführt werden. Einerseits sollte die Vorschrift effizienter als bisher gestaltet werden, andererseits bestanden jedoch Bedenken gegen die weite Fassung des Regierungsentwurfs. Beiden Auffassungen wurde durch den Kompromiß Rechnung getragen, den Begriff des marktbeherrschenden Unternehmens näher zu definieren 70 • Dieselbe Formulierung fand sich wieder in der Gemeinschaftserklärung vom 3.12.1971, was bedeutete, daß sich die HDE gegenüber den übrigen Verbänden durchgesetzt hatte. Die zweite Gemeinschaftserklärung vom 31. 1. 1972 zu den §§ 23 - 24 unterzeichnete der Einzelhandelsverband nicht mehr. In den darin angesprochenen Punkten war es zwischen dem Einzelhandel und den übrigen Verbänden zu keiner Einigung gekommen, was allerdings nicht bedeutete, daß sich der Verband mit allen Vorschlägen des Regierungsentwurfs einverstanden erklärte. Gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels und der Arbeitsgemeinschaft des Lebensmittelfilialbetriebe lehnte die HDE die vorbeugende Fusionskontrolle ab, da der § 24 immer noch die Möglichkeit bot, "einen Zusammenschluß zu untersagen, obwohl auch die zusammengeschlossenen Unternehmen einem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt waren"71. Die Umsatzerlöse, wie in § 23 vorgesehen, müßten herabgesetzt werden, "um das unterschiedliche Gewicht, das dem Umsatz als Maßstab für die wirtschaftliche G8 Vgl. Jahresbericht der HDE 1971, hrsg. von der HDE im April 1972, S.56. 69 Vgl. Stellungnahme der HDE zum Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Aktenzeichen III/ee, S. 3. 70 Vgl. Jahresbericht der HDE 1971, S. 56. 71 a) Stellungnahme der HDE, S. 3, b) Jahresbericht der HDE 1971, S. 56.

7.1. Die Wirtschaftsverbände

119

Größe eines Handelsunternehmens im Vergleich zu einem Industrieunternehmen zukommt"72, ausgleichen zu können. Es darf angenommen werden, daß die HDE der Fusionskontrolle zugestimmt hätte, wenn ihre Bedenken von seiten der Bundesregierung ausgeräumt worden wären. Der Verband hatte sich nämlich grundsätzlich für die nationale Fusionskontrolle ausgesprochen 73 . Ein Grund für die positive Haltung war, daß ein Großteil der Einzelhandelsunternehmen von den Vorschriften der FusionskontroJle aufgrund ihrer Größe nicht erfaßt wurde. Ein zweiter, weitaus wichtigerer Grund ließ sich in den Auseinandersetzungen in der 6. Legislaturperiode noch nicht erkennen, wurde aber sofort nach Wiedereinbringung des Entwurfs in der 7. Legislaturperiode deutlich. Auf diesen Vorgang wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch eingegangen. 7.1.5. Die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU)

In einem noch weitaus stärkeren Maße als der Einzelhandelsverband setzte sich die ASU von der negativen Haltung der meisten Industrieverbände ab. Sie trat von Beginn der Novellierungsdebatte an für eine wie im Regierungsentwurf vorgesehene Änderung des GWB ein. So schlug der Verband schon 1969 vor, den § 1 nicht zu ändern, da er "Grundsatzpfeiler und Eckstein des GWB"74 sei. Man solle vielmehr die sogenannten "Bagatellkartelle" mit in § 5 a hineinnehmen 75 . Weiter sei in Betracht zu ziehen, ob der Begriff "Marktbeherrschung" durch "Marktstärke" zu ersetzen sei. Der § 22 solle zusätzlich durch quantitative Kriterien ergänzt werden, um dem Kartellamt und den Gerichten einen Anhaltspunkt zu geben. Die Formulierungen, die die ASU vorschlug, lauteten: "Eine Marktstellung ... wird vermutet, wenn ein Unternehmen einen Marktanteil von 40 v. H. oder mehr erreicht" und "AIs marktbeherrschend gelten vier oder weniger Unternehmen, soweit sie zusammen einen Marktanteil von 75 v. H. oder mehr erreichen78 ." Beide Vorschläge wurden in der späteren Diskussion aufgegriffen. Teil eins sogar - auf Drängen der SPD - in den Regierungsentwurf aufgenommen. Weiter schlug die ASU vor, die Entscheidungskompetenz solle beim Kartellamt liegen, dessen unabhängige Stellung noch zu stärken sei. 72

73 74 75 78

Stellungnahme der HDE, S. 617. Vgl. Jahresbericht der HDE 1971, S. 57. o. V.: ASU zur Kartellnovelle, in: Die Aussprache 111970, S. 8. Vgl. o. V.: ASU zur Kartelllnovelle, in: Die Aussprache 1/1970, S. 8. Ebenda, S. 9.

120

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

Die Erlaubnis zu einem Zusammenschluß könne der Wirtschaftsminister - trotz starker wettbewerbspolitischer Bedenken - nur aus Gründen der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls erteilen. Die Zwischenschaltung einer Monopolkommission erscheine überflüssig oder verwische nur die Zuständigkeiten17 • Diese Haltung wurde auch später von der ASU in der Öffentlichkeit18 und in den Hearings des Wirtschaftsministeriums vertreten. Selbst in den Hearings vor dem Wirtschafts ausschuß des Bundestages79 sprach sich die ASU mit Nachdruck für den Regierungsentwurf aus 80• Das war insofern verwunderlich, als zuvor vom BDI versucht worden war, die ASU gegen den Regierungsentwurf einzunehmen81 • Der Deutsche Gewerbebund vertrat die gleiche Auffassung wie die ASU: Sowohl die Vorschriften über die Fusionskontrolle als auch über die Mißbrauchsaufsicht seien akzeptabel. Die widerlegbare Vermutung der Marktbeherrschung bei einem 400J0igen Marktanteil sei nicht ausreichend. Die Wettbewerbschancen kleiner und mittlerer Unternehmen seien eher zu garantieren, wenn die Vermutung bei einem Marktanteil von 30 Ofo liege 82 • 7.1.6. Das Kreditgewerbe

Die Ausdehnung einiger wichtiger Bestimmungen, wie die der Bereichsausnahmen in § 102 und der Fusionskontrolle, auf das Kreditgewerbe, die Versicherungen und Bausparkassen, die nach dem Gesetz von 1957 nicht unter die Verbotsgesetzgebung fielen 83 , löste bei den Betroffenen heftige Reaktionen aus. Das Wirtschaftsministerium hatte nämlich in den beiden Referentenentwürfen vom 20.3. und 28.10.1970 vorgesehen, die Kreditwirtschaft anstelle einer Mißbrauchsaufsicht der Verbotsaufsicht mit einem begrenzten Erlaubnisvorbehalt zu unterwerfen, wobei nur noch bestimmte Maßnahmen wie bisher der Mißbrauchsaufsicht unterliegen sollten84 • Es begründete das Vorhaben mit dem Hinweis, es habe sich bei der Anerkennung gewisser Besonderheiten des Kreditgewerbes gezeigt, daß eine stärkere Annäherung an die Behandlung der übrigen Wirtschaftsbereiche notwendig und auch möglich sei. Banken und Versicherungen würden es nicht verdienen, ohne Vgl. ebenda, S. 9. Vgl. a) Juchems, H.: Für eine wirksame Fusionskontrolle, in: Wirtschaftsdienst 2/1970, S. 124 - 127, b) Fertsch-Röver, D.: Auch die "Kleinen" haben keine Angst vor dem Wettbewerb, in: Handelsblatt vom 12.5.1972. 79 Vgl. Kapitel 9.2.1.1. 80 Vgl. Exposee der ASU zum Hearing vor dem Bundestagsausschuß für Wirtschaft vom 7. 12. 1971, S. 4/5. 81 Vgl. Kapitel 7.1.1. 82 Vgl. FAZ vom 28. 5. 1971, S. 11. B3 § 102 GWB stellte das Kreditgewerbe frei von den Bestimmungen der §§ 1 und 15 GWB. 84 Vgl. § 102, Referentenentwurf vom 28. 10. 1970. 77

78

7.1. Die Wirtschaftsverbände

121

die volle Übernahme des unternehmerischen Risikos in Privathand zu verbleiben. Gewinne ohne die Gefahr des Verlustes seien in einer freien Gesellschaft Subventionen und keine Leistungsentgelte85 .

7.1.6.1. Sparkassen Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband 86 wehrte sich auf das Entschiedenste gegen die vorgesehenen Regelungen: Zwölf Jahre Kartell praxis hätten "in mehr als zehn Tätigkeitsberichten des Bundeskartellamtes für die Kreditinstitute einen sehr günstigen Niederschlag gefunden"87. Die Einbeziehung des Kreditwesens in die Verbotsgesetzgebung sei eine "Abkehr von alten Erkenntnissen"88; sie sei vorwiegend politischer Natur. Der politische Wunsch und die sachlich nicht bestrittenen Sonderverhältnisse im Kreditgewerbe hätten dazu geführt, daß vom Bundeswirtschaftsministerium ein wahres "Paragraphenungeheuer" vorgelegt worden sei89 . Das Mißbrauchsprinzip habe sich im Bereich des Kreditwesens bewährt. Das Verbotsprinzip dagegen sei deshalb ungeeignet, weil eine große Anzahl von Ausnahmen eingeführt werden müßte, wenn man die besondere Stellung des Kreditwesens akzeptiere, so z. B. Zinsempfehlungen, Kreditrestriktionen, Gebührenempfehlungen, Zahlungsverkehrsabsprachen, Formularvereinbarungen, sonstige betriebswirtschaftliche Maßnahmen, allgemeine Geschäftsvereinbarungen, neue Kredit- und Sparformen, Börsenreform, Vermögensbildung, Empfehlungen für Tätigkeiten im öffentlichen Interesse (Lastenausgleich, öffentliche Kreditaktionen)9o. 85 Vgl. a) Begründung zu § 102, Referentenentwurf vom 28. 10. 1970, S. 130133; b) Wirtschaftsministerium - Tagesnachrichten vom 19.12.1971, S. 1/2;

c) Henckel, H.: Plädoyer für Freiheit der Bankzinsen, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 111966, S. 8. 86 Dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband gehören 12 regionale Mitgliedsverbände an. 87 Schmidt, D.: Neues Kartellrecht für das Kreditgewerbe, in: FAZ vom 27.10.1970, S. 17.

88 Der Bundestagsausschuß für Wirtschaftspolitik hatte nämlich bei der Beratung des Gesetzes von 1957 festgestellt, bei der Geld- und Kreditwirtschaft handele es sich um einen jener Sonderfälle, "bei denen die Wirksamkeit des Wettbewerbsmechanismus infolge besonderer Umstände nicht zu den regelmäßig zu erwartenden Ergebnissen führt und wo aus vielerlei Gründen besondere gesetzliche Regelungen der Marktverhältnisse bestehen" (Bericht des Bundestagsausschusses für Wirtschaftspolitik, zu § 76 a E, abgedruckt bei Müller / Henneberg / Schwartz, GWB, 2. Auflage, S. 1166). Die Sonderstellung des Kreditgewerbes wird besonders durch die Spezialgesetze "Bundesbankgesetz" und "Kreditwesengesetz" dokumentiert. 89 Vgl. Schmidt, D.: Neues Kartellrecht für das Kreditgewerbe?, in: Sparkasse 6/1970, S. 168. 90 Vgl. ebenda, S. 170.

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7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

Zudem müßte beachtet werden, daß eine große Anzahl von Empfehlungen auf Veranlassung von Behörden des Bundes und der Länder ausgeführt würde (Geldmarkt-, Kapitalmarkt-, Konjunkturpolitik, Sozialpolitik, allgemeine Wirtschaftspolitik, Inpflichtnahme der Kreditinstitute für öffentliche Aufgaben). Diese auf Initiativen von Behörden erfolgenden Maßnahmen dürften von vornherein die Vermutung der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung für sich in Anspruch nehmen. Das bedeute, daß die Maßnahmen mit gesamtwirtschaftlicher Bedeutung für die Verbotsaufsicht ungeeignet seien91 . Eine Ausnahme erfordere ferner der Bereich derjenigen Maßnahmen, die sich auf eine Gruppe beschränken ("Gruppenwettbewerb"92). Gerade der Gruppenwettbewerb habe im Kreditgewerbe eine einmalige Ausprägung erhalten und sei von positiver gesamtwirtschaftlicher Bedeutung, weil er notwendig sei, um die Leistungsfähigkeit der beteiligten Institute zu verbessern. Er gewährleiste ausreichenden Gläubigerschutz. Wenn eine Gruppe von Kreditinstituten aus vielen für sich nicht ausreichend leistungsfähigen Unternehmen bestehe und ein öffentliches Interesse an verbesserte Leistung gegeben sei, dann müsse im Gruppenwettbewerb des Kreditgewerbes ein Instrument von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung gesehen werden. Dies gelte auch, wenn die Maßnahme des Gruppenwettbewerbs nicht die Verkaufswerbung, sondern nur die gruppeninterne Rationalisierung und Leistungsverbesserung betreffe. Solche insbesondere auf betriebswirtschaftlichem Gebiet liegenden Maßnahmen stärkten die Angebotsfähigkeit der Gruppe und damit den Wettbewerb mit den anderen Gruppen 93 • Wenn das Wirtschaftsministerium diese unbedingt erforderlichen Maßnahmen mit in seine Überlegungen einbeziehe, sei es besser, den § 102 für das Kreditgewerbe nicht zu ändern94 . Diese Auffassung vertrat der Sparkassen- und Giroverband sowohl als Einzelverband95 als auch im Verbund mit den anderen im Zentralen Kreditausschuß zusammengeschlossenen Verbänden 96 gegenüber 91 Vgl. ebenda, S. 170. 92 Gruppenwettbewerb liegt dann vor, wenn sich in einer Branche ein Teil der Unternehmen zusammenschließt, um einheitlich gegen die übrigen Konkurrenten zu agieren. 93 Vgl. Schmidt, D.: Neues Kartellrecht für das Kreditgewerbe?, S. 170. In seiner Begründung stützte sich Schmidt auf die amtliche Begründung zum GWB von 1957, in der es hieß, daß "gemeinsame Marktmaßnahmen statthaft sein (müssen), die durch Beschränkung des Wettbewerbs erst die Voraussetzung für die Leistungssteigerung und verbesserte Versorgung der Verbraucher bewirken" (Abschnitt A, VI der Amtlichen Begründung). 94 V gl. ebenda, S. 173. 95 Vgl. Brief des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes an das Bundeswirtschaftsministerium vom 26. 1. 1971. 96 Vgl. Brief des Zentralen Kreditausschusses an den Bundesminister für Wirtschaft vom 28. 1. 1971. Im Zentralen Kreditausschuß haben sich zusammengeschlossen: Bundes-

7.1. Die Wirtschaftsverbände

123

dem Wirtschaftsministerium, mit dem er während der Novellierung in ständigem Kontakt stand97 • Gegenüber der Versicherungswirtschaft und den Banken setzte sich der Sparkassen- und Giroverband ab: Wenn die Versicherungswirtschaft eine Änderung des Kartellgesetzes erforderlich mache, dann solle das Wirtschaftsministerium die Änderung auch darauf beschränken 98 • Gegenüber den privatrechtlich organisierten Banken sah sich der Verband im Nachteil durch die Bestimmungen in § 24 a, wonach die vorbeugende Fusionskontrolle für alle durch Landesgesetz oder Hoheitsakt vollzogenen Zusammenschlüsse gelten sollte. Durch die Anmeldung eines Zusammenschlusses würden Wartefristen entstehen, die für die Sparkassen einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den Banken mit sich bringen könnten99 • Nachdem die vorgesehene Neuregelung des § 102 GWB in den Verhandlungen über den Regierungsentwurf (Mitte 1971) fallengelassen worden war, sprachen sich sowohl der Sparkassen- und Giroverband, als auch die Raiffeisenkassen und Volksbanken10o für den Regierungsentwurf aus101 . Sie begründeten die Notwendigkeit der Fusionskontrolle damit, daß dadurch am besten der Schutz der mittelständischen Unternehmen und des Wettbewerbs gewährleistet seP02. Da die Bedenken der Sparkassen bezüglich des § 102 GWB ausgeräumt waren und sie nicht befürchten mußten, von der Härte der §§ 22 - 24 betroffen zu werden, sahen sie keine Veranlassung mehr, von jetzt an noch in die Diskussion um die Fusionskontrolle einzugreifen. Anders dagegen wirkte sich die beabsichtigte Einführung der Fusionskontrolle auf das Verhalten der Banken aus.

7.1.6.2. Banken Ebenso wie bei den Sparkassen setzte auch bei den Banken nach dem Vorliegen des ersten Referentenentwurfs heftige Kritik an zwei verband Deutscher Banken, Deutscher Genossenschaftsverband, Deutscher Raiffeisenverband, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Verband öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten, Verband privater Hypothekenbanken. 97 Vgl. Brief des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes an den Verfasser vom 21. 3. 1974. 08 Vgl. Schmidt, D.: Neues Kartellrecht, S. 173. 99 Vgl. Vermerk: Regierungsentwurf zur Kartellgesetznovelle, Sparkassenund Giroverband, Bonn, 9. 6. 1971, S. 10/11. 100 Vgl. Schmidt, D.: Neues Kartellrecht, S. 17. 101 Vgl. Ergebnis der Anhörung der Spitzenverbände durch den Wirtschaftsausschuß des Bundestages, Kurzprotokoll vom 8. 12. 1971, S. 5. 102 Vgl. Brief von Dr. Quedenfeld (Sparkassen- und Giroverband) an den Verfasser vom 1. 9.1972.

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7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

für die Banken wichtigen Komplexen ein: die Bereichsausnahme in § 102 sowie die Vorschriften über die Fusionskontrolle. Für die Neugestaltung des § 102 sah der Bundesverband Deutscher Banken103 keinen sachlichen Anlaß, "zumal sich die bisherige Regelung vollauf bewährt hat und die Kartellbehörde in keinem Fall im Rahmen der Mißbrauchsaufsicht einschreiten mußte"104. Auch bestünden die Gründe für die Bereichsausnahme unverändert fort, und zwar insbesondere im Hinblick auf deren volkswirtschaftliche Zielsetzung, die sich in der Erhaltung der Währungsstabilität, der Sicherung der Kreditinstitute und einem geregelten, schnellen Zahlungsverkehr konkretisiere. Zudem unterlägen die Banken dem staatlichen Einfluß und der Kontrolle durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen und die Deutsche Bundesbank, die am ehesten ein sachgerechtes Urteil darüber abgeben könnten, welche wettbewerblichen Maßnahmen angezeigt und erforderlich seien 105. Eine weitere Begründung von seiten des Verbandes für die Beibehaltung des § 102 mag die Bundesregierung veranlaßt haben, die Änderung der Ausnahmebereiche noch einmal zu überdenken: Währungsstabilität, geregelter Geldumlauf sowie ausreichende Kreditversorgung der Wirtschaft würden durch ein wohlabgewogenes Zusammenwirken von Bundeswirtschaftsministerium, Bundesbank und Kreditgewerbe gewährleistet. Im Rahmen der aus wirtschaftspolitischen Gründen notwendigen Kooperation müßte es den Spitzenverbänden des Kreditgewerbes daher möglich sein, wettbewerbsrechtlich relevante Empfehlungen an die Institute zu richten. Abgesehen davon könne das Kartellamt nicht wettbewerbspolitische Kontrollinstanz für Maßnahmen sein, die das Kreditgewerbe zum Teil auf Initiative des Wirtschaftsministeriums oder der Deutschen Bundesbank oder nach Abstimmung mit diesen Stellen treffe 106. Diese recht massive - aber sachliche - Kritik am ersten Referentenentwurf von seiten der Banken wurde in den Hearings vorgetragen, die das Wirtschaftsministerium am 3.12.1969 und 17.4. 1970 veranstaltete. Zudem legte der Bundesverband in mehreren schriftlichen Eingaben, die sein Rechtsausschuß erarbeitet hatte, dem Wirtschaftsministerium seine Bedenken dar107. 103 Der Bundesverband Deutscher Banken ist der Dachverband des Bankgewerbes und besteht aus elf Mitgliedsverbänden. 104 Jahresbericht des Bundesverbandes Deutscher Banken 1969/70, S. 46. 105 Vgl. ebenda, S. 46/47. 106 Vgl. ebenda, S. 47. 107 Vgl. Jahresbericht des Bundesverbandes Deutscher Banken 1970/71,

S.47.

7.1. Die Wirtschaftsverbände

125

Schon im zweiten Referentenentwurf vom 28. 10. 1970 waren die Änderungsvorschläge der Regierung zum § 102 modifiziert worden. Darin wurde der wirtschafts- und währungspolitischen Funktion des Kreditgewerbes eine gebührende Bedeutung im Rahmen des GWB beigemessen, indem man neben den Zinsempfehlungen auch allen sonstigen Empfehlungen, die aus währungs-, kapitalmarkt- und geldmarktpolitischen Gründen geboten sind, wie bisher der Mißbrauchsaufsicht unterstellte 108 • Im Regierungsentwurf vom 19. 5. 1971 nahm die Regierung dann vollkommen Abstand von der ursprünglich beabsichtigten Änderung der Bereichsausnahme für das Kreditgewerbe. Aus der Sicht des Bankenverbandes waren für diese plötzliche Haltungsänderung des Wirtschafts ministeriums und der Regierung zwei Gründe ausschlaggebend: 1. Bei den eingehenden Prüfungen und Erörterungen zwischen dem Wirtschaftsministerium und den Spitzenverbänden des Kreditgewerbes hatte es sich gezeigt, daß die Gründe, die für die Bereichsausnahme maßgebend waren, weiter fortbestanden und daß jede Modifizierung der geltenden Rechte die Gefahr in sich barg, die wirtschafts- und währungspolitische Funktion des Kreditgewerbes zu beeinträchtigen109 •

2. Außerdem hatte das Bundeskartellamt indirekt die Auffassung des Bundesverbandes deutscher Banken bestätigt, daß keine Notwendigkeit für eine Änderung der in § 102 GWB statuierten Mißbrauchsaufsicht vorlag, indem es nämlich ausführte, auch im Jahre 1970 habe im Bereich des Kreditgewerbes kein Anlaß zur Einleitung von Mißbrauchsverfahren bestanden110. Anders dagegen sah es bei der Fusionskontrolle aus. Der Bundesverband deutscher Banken, der sich schon nach Vorlage des ersten Referentenentwurfs kritisch zur Einführung der Fusionskontrolle geäußert hatte, konnte nicht verhindern, daß die Fusionskontrolle auch für das Kreditgewerbe eingeführt wurde. Daran vermochte auch die Kritik des Verbandes nichts zu ändern: Grundsätzlich sollte bei der Einführung der Fusionskontrolle bedacht werden, daß

108 109

S.47.

Vgl. Jahresbericht des Bundesverbandes Deutscher Banken 1969170, S. 47 Vgl. Jahresbericht des Bundesverbandes Deutscher Banken 1970/71,

110 Vgl. Tätigkeitsbericht des Kartellamtes für 1970, S. 88. Hierbei muß aber bedacht werden, daß die Koalitionsparteien sich nicht darüber einigen konnten, ob die Ausnahmebereiche mit in die Diskussion um den Regierungsentwurf aufgenommen werden sollten.

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7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

1. eine isolierte Betrachtung des Wettbewerbs in der BRD die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen auf dem EWG-Markt und dem internationalen Markt beeinträchtigen würde 111 , und 2. den deutschen Unternehmen die Kooperation mit ausländischen Unternehmen, die im Hinblick auf das Zusammenwachsen der Märkte nicht zuletzt im Bereich des Bankwesens notwendig sei, durch die Bestimmungen des Entwurfs erschwert werde, weil die ausländischen Unternehmen nicht bereit sein würden, sich der Kontrolle des Bundeskartellamtes zu unterwerfen112 • Damit reihte sich der Bundesverband deutscher Banken in die allgemeine Kritik der übrigen Industrieverbände ein. Doch es gab im Regierungsentwurf auch eine Reihe von Verschärfungen, speziell für das Kreditgewerbe, gegen die sich die Banken ohne Unterstützung der anderen Verbände zur Wehr setzen mußten. Der Bundesverband deutscher Banken beanstandete am Regierungsentwurf, daß die Bilanzsumme für sich zusammenschließende Unternehmen zu niedrig angesetzt sei. Eine Bilanzsumme von 5 Mrd. DM sei nicht zu akzeptieren, da Bilanzsummen dieser Größenordnung im Kreditgewerbe einem Marktanteil von einem Prozent entsprächen. Durch diese Vorschrift würden also Unternehmenszusammenschlüsse erfaßt, die keinen entscheidenden Einfluß auf die Wettbewerbsverhältnisse ausüben könnten l13 • Ferner wurde beanstandet, daß beim Erwerb von Schachtel- und Mehrheitsbeteiligungen auch die Veräußerer zur Meldung an das Bundeskartellamt verpflichtet seien. Mit dieser Bestimmung würde den Kreditinstituten im Wertpapiergeschäft eine Anzeigepflicht auferlegt, die sich nachhaltig auf die Börse auswirken müsse und zur Umgehung verlocke 114 • Die Vertreter der Banken, die befürchtet hatten, daß die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute von der Fusionskontrolle ausgenommen würden, zeigten sich befriedigt über den Vorschlag des Regierungsentwurfs 115 , wonach auch die Fusionen der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute erfaßt wurden. Die Banken hielten diese Lösung für 111 Vgl. a) Jahresbericht des Bundesverbandes Deutscher Banken 1970/71, S. 47/48; b) Brief des Bundesverbandes Deutscher Banken an die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses vom 6.10.1971, S. 2; c) Stellungnahme des Bundesverbandes Deutscher Banken zum Regierungsentwurf vom 30. 9. 1971, S. 16 u. 18. m Vgl. Jahresbericht des Bundesverbandes Deutscher Banken 1970/71, S.48. 113 Vgl. a) Jahresbericht des Bundesverbandes Deutscher Banken 1971172, S. 47/48; b) o. V.: Banken für praxisnahe Fusionskontrolle, in: VWD-Inland vom 18. 1. 1972, S. 5. ll4 V gl. ebenda. 115 Vgl. § 24 a Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz Regierungsentwurf.

7.2. Die Gewerkschaften

127

unerläßlich, weil sonst eine unberechtigte Benachteiligung der Banken in privatrechtlicher Form eintreten würde 116 • "Es wäre völlig inkonsequent, wenn man Fusionen großer öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute nach Maßgabe von Landesgesetzen weiterhin ohne Kontrolle zulassen wollte, wenn man gleichzeitig die Zusammenschlüsse von Banken strenger Aufsicht unterwirft117." Sowohl der Bundesverband Deutscher Banken als auch der Sparkassen- und Giroverband stützten sich jeweils in ihrer Argumentation auf die Stellungnahme des Bundesrates zu § 24 a. Die Banken glaubten, in der Aussage des Bundesrates, eine lückenlose Zusammenschlußkontrolle sei notwendig, ihre Interessen vertreten zu sehen. Die Sparkassen dagegen argumentierten mit der Feststellung des Bundesrates, den Ländern obliege die Aufsicht über die Zusammenschlußkontrolle der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute. Damit war das Kreditgewerbe in sich zerstritten. Die Spitzenverbände des Kreditgewerbes fanden sich deshalb auch nicht zu einer gemeinsamen Aktion zusammen, wie man hätte vermuten können. Der Bundesverband Deutscher Banken hielt sich vielmehr an den BDI und den DIHT, mit denen er auch - und einigen anderen Verbänden - die gemeinsamen Stellungnahmen118 erstellte.

7.2. Die Gewerkschaften 7.2.l. Der Deutsche Gewerkschaftsbund

Der Deutsche Gewerkschaftsbund sprach sich schon seit Anfang der sechziger Jahre für eine Neufassung des GWB aus, d. h. für eine Verschärfung der Vorschriften, die zur Verhinderung von wirtschaftlichem Mißbrauch dienten119• Diesen Machtmißbrauch glaubte der DGB besonders in zwei Formen von Wettbewerbsbeschränkungen zu erkennen, in der vertikalen Preisbindung und den verschiedenen Formen der Marktbeherrschung 120 • Daher verlangte er die Abschaffung der vertikalen Preisbindung von Markenartikeln und nicht gebundenen Verlagserzeugnissen. Eine bloße Erschwerung der vertikalen Preisbindung, wie sie das Wirtschaftsministerium im Herbst 1968 in Aussicht gestellt Vgl. Stellungnahme, S. 3l. Jahresbericht des Bundesverbandes Deutscher Banken 1970/71, S. 48. 118 Vgl. Kapitel 7.l.l. 119 Vgl. a) Grundsatzprogramm des DGB, beschlossen vom außerordentlichen Bundeskongreß des DGB in Düsseldorf am 21./22.11.1963, in: Dokumente der Gewerkschaften, Frankfurt/M. 1970, S. 19 - 23; b) Erklärung des Bundesvorstandes des DGB an die neue Bundesregierung vom 22.10.1969; in: Dokumente, S. 100 - 10l. 120 Vgl. Peschel, P.: Modernisierung des Wettbewerbsrechts verlangt Fusionskontrolle, in: Marktwirtschaft 4/1970, S. 15 ff/ 116

117

128

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

hatte, hielt der DGB insbesondere im Hinblick auf bereits in Kraft befindliche Preisbindungen für nicht ausreichend 121 • Die vom Wirtschaftsministerium vorgeschlagene Präzisierung der Definition der Marktbeherrschung dagegen unterstützte der DGB. Darüber hinaus hielt er eine Verdeutlichung des Mißbrauchstatbestandes in Form der beispielhaften Fälle für unerläßlich. Als Mißbrauch hätten insbesondere die Marktergebnisse zu gelten, die wesentlich von denjenigen abwichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb ergeben hätten, sowie lalle Formen von Behinderungswettbewerb122 • Nur mit Hilfe einer präventiven Fusionskontrolle war nach Ansicht des DGB der zunehmenden Fusionswelle Herr zu werden. "Sollte eine amtlich mißbilligte Fusion nachträglich entflochten werden, so ist eine solche Maßnahme einmal gegen zumindest einen großen Teil der öffentlichen Meinung durchzusetzen, die sie als Rückfall in Praktiken der ersten Nachkriegsjahre begreift. Des weiteren dürften die an einer Fusion Beteiligten in der Regel bestrebt sein, während des Dreivierteljahres der überprüfung durch forcierte Produktions- und Verwaltungsumstellung weitere vollendete Tatsachen zu schaffen, die der Kartellbehörde die Entscheidung für eine Entflechtung ebenfalls nicht gerade erleichtern123 ." Um das zu verhindern, schlug der DGB folgenden Verfahrensweg vor, der im wesentlichen dem des Wirtschaftsministeriums entsprach: über die Zulässigkeit einer Fusion sollte im Regelfall durch das Kartellamt in Form eines kombinierten Widerspruchs- und Erlaubnisverfahrens entschieden werden, im Ausnahmefall ("überwiegende Gründe der Gesamtwirtschaft") durch die Entscheidung des Wirtschaftsministers124 • In der im GWB verankerten Fusionskontrolle sah der DGB allerdings nur ein Mittel, um der Zunahme von Unternehmenszusammenschlüssen beizukommen. Friedrich, Leiter der Wirtschaftsabteilung beim IGMetall-Vorstand, verstand unter "öffentlicher Kontrolle der Konzentration" nicht nur die präventive Fusionskontrolle von Konzentrationsvorgängen, sondern gleichermaßen auch die Kontrolle bereits bestehender bzw. sich bildender wirtschaftlicher Machtpositionen. Eine Kartellbehörde sollte seiner Meinung nach das Recht haben, bestimmte Geschäftsvorgänge zu untersuchen, entsprechende Auskünfte zu verlangen und die Unterlagen einzusehen125 • 121 Vgl. Stellungnahme des DGB zu ersten überlegungen des Wirtschaftsministeriums für eine Novellierung des Kartellgesetzes vom 22.1. 1970 (Akt. Z. - Abt WP - Neeirk), S. 2. 122 Vgl. Stellungnahme des DGB, S. 4. 123 Peschel, P.: Modernisierung des Wettbewerbsrechts, S. 16. 124 Vgl. Stellungnahme des DGB, S. 4/5. 125 Vgl. o. V.: Gewerkschaften gegen Wirtschaftskonzentration, in: Gewerkschaftsspiegel 12/1972, S. 14.

7.2. Die Gewerkschaften

129

"Mindestens ebenso wichtig wie der Schutz der Abnehmer und Lieferer vor einem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht sind der Schutz der Aktionäre, der Gläbiger und der Arbeitnehmer vor mißbräuchlichen Praktiken sowie die Verhinderung der Ausnutzung wirtschaftlicher Machtpositionen zum Zweck der politischen Manipulation. Dies erfordert eine weitgehende Publizität mit klaren Rechnungslegungsvorschriften, eine Offenlegung der Bindungen und Beziehung des sogenannten Insider-Problems, eine Unternehmensverfassung, die den Aktionären und Gläubigern umfassende Auskunfts- und Einspruchsrechte gewährleistet und die Arbeitnehmer an der Kontrolle des Unternehmens beteiligt1 26."

Mit diesen Vorschlägen lehnte sich der Gewerkschaftsbund an den Verordnungsvorschlag der EWG-Kommission für eine europäische Aktiengesellschaft an, gab allerdings zu bedenken, daß, solange verbindliche internationale Regelungen noch nicht geschaffen seien, "Spitze und Glieder" der multinationalen Unternehmen strikt nach den Regeln behandelt werden müßten, die im jeweiligen Land ihres Sitzes Geltung hätten127. Diese grundsätzliche Kritik und die Vorschläge zur Neugestaltung des GWB trug der DGB in den vom Wirtschaftsministerium veranstalteten Hearings vor. Zu den Anhörungen vom 4. 12. 1970 hatte der Gewerkschaftsbund ein von ihrer Abteilung "Wirtschaftspolitik" erarbeitetes Papier vorgelegt, in dem die Änderungsvorschläge zu §§ 22, 23, 24 und 38 GWB in Gesetzesform erschienen128. Als der Regierungsentwurf im Mai 1971 vom Kabinett verabschiedet wurde, sah der DGB seine Forderungen darin nur zum Teil aufgenommen: -

Die Änderung des § 16 (Verschärfung der vertikalen Preisbindung bei Markenwaren), die in beiden Referentenentwürfen noch "als Grundlage für eine weitere Diskussion gedacht (war) "129, erschien nicht mehr.

-

Der Forderung des DGB, das Kriterium der Bilanzsumme in § 23 von 500 Mil!. DM auf 250 Mill. DM herabzusetzen13o , war nicht entsprochen worden.

-

Auch die vorbeugende Konzentrationskontrolle schien dem DGB im Regierungsentwurf unzureichend, "da sie sich nur auf 40 denkbare künftige Zusammenschlüsse von Großunternehmen erstreckt"131. Die Milliarden-Grenze sei zu hoch angesetzt132. 126

Vgl. ebenda, S. 14.

127 Vgl. DGB-Nachrichtendienst Nr. 160/1972 vom 17.5.1972. 128 Vgl. Änderungsvorschläge des DGB für die §§ 22, 23, 24 und 38 GWB,

Düsseldorf, vom 24. 11. 1970. 129 Referentenentwurf vom 28. 10. 1970, S. 4. 130 Vgl. Stellungnahme des DGB zu ersten überlegungen des Wirtschaftsministeriums, S. 4/5. 9 J'äckering

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

130

Da die Wünsche des DGB in wesentlichen Punkten im Regierungsentwurf nicht beachtet worden waren, verhielt er sich vor dem Wirtschaftsausschuß des Bundestages eher reserviert: Der DGB war der einzige Verband, der eine nochmalige Verschärfung des Kartellgesetzes verlangte 133 • 7.2.2. Die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG)

Die DAG hatte schon nach der Verabschiedung des Kartellgesetzes von 1957 kritisch angemerkt, es sei ein schwer verständlicher Fehler des Gesetzgebers, die Kooperationen und Kartelle mit dem schärfsten Instrument des Verbots zu belegen, dem Entstehen individueller Macht aber freien Lauf zu lassen, womit aber nicht gemeint sei, das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (Kartelle) zu lockern oder gar aufzuheben, sondern vielmehr die dem Wettbewerb weitaus abträglicheren Zusammenschlüsse oder das interne Wachstum von Unternehmen zu überwachen134 • Für die DAG stand von Anfang an fest, daß nicht ein einzelnes Gesetz die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs und Verhinderung wirtschaftlichen Mißbrauchs gewährleisten könnte. Die Rechtsstruktur der Unternehmen sollte geändert werden, demokratische Kontrollen und die Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen müßten gesetzlich verbessert werden 135 • Auch das Änderungsgesetz von 1965 nahm die Vorstellung der DAG nicht auf. So blieb die Preisbindung der zweiten Hand bestehen; nur ein öffentlich einzusehendes Preisbindungsregister wurde eingeführt. Der Zusammenschluß von Unternehmen blieb nach wie vor anzeigeund nicht genehmigungspflichtig, wenn auch die Kriterien vom bloßen Marktanteil (20 0/0) auf die Beschäftigtenzahl, den Umsatz und die Bilanzsumme ausgedehnt wurden. Der Begriff "Zusammenschluß von Unternehmen" wurde unverändert aus dem bisherigen § 23 GWB übernommen. Die DAG hatte vorgeschlagen, den Zusammenschlußbegriff durch Aufnahme folgender Tatbestände zu erweitern: -

Erwerb von Anteilen durch Nichtunternehmen (Einzelpersonen), sofern dadurch 25 v. H. des Nominalkapitals erreicht werden;

DGB-Nachrichtendienst 178/1971 vom 25. 5. 1971. Vgl. Ergebnis der Anhörung der Spitzenverbände durch den Wirtschaftsausschuß des Bundestages, S. 8. 133 Vgl. ebenda, S. 1/2 und S. 8. 134 Vgl. Unternehmenskonzentration und Wettbewerb, hrsg. vom DAGBundesvorstand, Hamburg 1972, S. 8/9. 135 Vgl. ebenda, S. 8/9. 131

132

7.2. Die Gewerkschaften

131

-

Rechtsgeschäfte, durch die Mitglieder des Vorstandes oder leitende Angestellte im Sinne des § 80 AktG 1973 Mitglieder der Geschäftsführung eines anderen Unternehmens werden;

-

Bildung von Interessengemeinschaften durch wirtschaftliche Unternehmen, wie Einkaufs-, Verkaufs- und Gewinngemeinschaften sowie Partnerverträge mit ausländischen Kapitalgesellschaften 136.

Die hier von der DAG vorgeschlagenen Regelungen wurden zwar nicht ins GWB aufgenommen, dafür gingen einige davon in die Novelle des Aktiengesetzes und in das sog. Publizitätsgesetz131 ein. Als die Diskussion um die Novellierung des Kartellgesetzes ihren Höhepunkt erreichte (1970/71), legte die DAG im "Grundsatzprogramm zur Gesellschaftspolitik"138 ihre Forderungen zur Förderung des Wettbewerbs dar. Darin forderte sie eine Wettbewerbsgesetzgebung, die 1. den freien Zugang zum Markt und den freien Wettbewerb im Inter-

esse der Konsumenten aller Stufen gewährleisten sollte. Das sei nur durch ein Verbot von Kartellen bzw. kartellähnlichen Absprachen, die nicht der Rationalisierung dienten, sowie durch ein Verbot der Preisbindung der zweiten Hand zu erreichen; 2. den Mißbrauch wirtschaftlicher Konzentration verhüten sollte. Das könne am besten durch eine Kontrolle aller marktbeherrschenden Unternehmen durch die Kartellbehörde gewährleistet werden. Zudem sollten alle Unternehmen in der Rechtsform von Aktiengesellschaften (AG), Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH), Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA), Genossenschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und Stiftungen testierte Abschlüsse nach dem Aktiengesetz veröffentlichen. Solange dieser Rechtsformenzwang jedoch noch nicht verwirklicht sei, müßten Unternehmen mit anderer Rechtsform ihre Jahresabschlüsse ebenfalls publizieren, wenn zwei der nachfolgenden drei Kriterien erfüllt seien: - eine Jahresbilanz von mehr als 50 Mill. DM, - ein jährlicher Umsatzerlös von mehr als 100 Mil!. DM und - eine Beschäftigtenzahl im Jahresdurchschnitt von mehr als 2000. Weiterhin sollte eine präventive Fusionskontrolle eingeführt werden, die sich auf alle Bereiche der Wirtschaft erstreckt. Könne ein Machtmißbrauch mit den angegebenen Möglichkeiten nicht verhindert wer136 Vgl. ebenda, S. 11/12. 137 "Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen" vom 15.8.1965, Bundesgesetzblatt I, S. 1189. 13B Programm der DAG zur Gesellschaftspolitik, hrsg. vom DAG-Bundesvorstand, Hamburg, Nov. 1971. 9·

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

132

den, sollten die marktbeherrschenden Unternehmen in Gemeineigentum überführt werden139• Eine der wichtigsten Forderungen der DAG war von jeher die Abschaffung der Preisbindung. Für sie war dieser Punkt jedoch nur eine der vielen Möglichkeiten im Rahmen eines verbraucherpolitischen Programms. Um dem Verbraucher die bestmögliche Marktübersicht zu gewährleisten, verlangte die Angestelltengewerkschaft einen weiteren Ausbau der Verbraucherpolitik. Sie schlug daher vor, -

die unabhängigen Warentestinstitute und Verbrauchereinrichtungen auszubauen und finanziell zu fördern;

-

die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten zu verpflichten, die von Warentestinstituten ermittelten Testergebnisse regelmäßig kostenlos zu veröffentlichen, wobei es darauf ankomme, daß die Rundfunk- und Fernsehanstalten nicht aus falscher Rücksichtnahme gegenüber Interessen ihrer Inserenten im Werbefunk bzw. -fernsehen auf die Publizierung der vollständigen Testergebnisse verzichteten;

-

daß im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und im Wirtschaftsministerium die Verbraucherinteressen stärker berücksichtigt würden140. "Das Ernährungsministerium darf nicht in erster Linie ein Landwirtschaftsministerium, das Wirtschaftsministerium in erster Linie ein Industrie- und Handelsministerium sein141."

Der Entwurf der Bundesregierung vom 14.8.1971, der im Grundsatz die wichtigsten Forderungen der DAG wohl erfüllte, stieß dennoch im Detail auf Kritik von seiten der Gewerkschaft: -

Die Kriterien für eine Untersagung von Zusammenschlüssen seien viel zu hoch angesetzt. Die Grenze der Umsatzerlöse beim sich anschließenden Unternehmen von höchstens 50 Mill. DM sei zwar als Erleichterung zur Anlehnung von "schwachen" Unternehmen an marktstarke gedacht; es müsse aber damit gerechnet werden, daß nun noch mehr kleine Unternehmen von großen geschluckt würden.

-

Die Verschärfung der Kontrolle von marktbeherrschenden Unternehmen anhand der qualitativen Kriterien begrüßte die DAG.

-

Wettbewerbsbeschränkende Praktiken wie Absprachen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen müßten einer strengen Kontrolle unterzogen werden. Gerade in diesem Punkte sei es notwen139

140

141

Vgl. ebenda, S. 48/49. Vgl. ebenda, S. 49/50. Ebenda, S. 50.

7.2. Die Gewerkschaften

133

dig, das Kartellgesetz an den EG-Vertrag anzulehnen, der "abgestimmte Verhaltensweisen" mit einem Verbot belege 142. Auch die "Ministererlaubnis" in § 24 wurde von der DAG kritisiert. Es sei noch verständlich, wenn der Bundeswirtschaftsminister die Erlaubnis zu einem Zusammenschluß in besonderen Fällen gestatten könne, auch wenn die Fusion vorher vom Bundeskartellamt nicht genehmigt wurde; es sei aber nicht verständlich, wenn eine solche Erlaubnis zwar mit Beschränkungen und Auflagen verbunden werde, die sich jedoch "nicht darauf richten (dürfen), die beteiligten Unternehmen einer laufenden Verhaltenskontrolle zu unterstellen" 143. "Man fragt sich mit Recht, welchen Sinn eine Fusionskontrolle haben soll, wenn eine Verhaltenskontrolle - also die Prüfung, ob die wettbewerblichen Auflagen eingehalten werden - ausdrücklich ausgeschlossen istl". " Die DAG glaubte, daß sich aufgrund der neuen Bestimmungen im Regierungsentwurf zur Fusionskontrolle, die an sich schon geringe Anzahl von "großen" Zusammenschlüssen noch verringern würde. Dafür seien verschiedene Anhaltspunkte gegeben: -

Beschränkung der präventiven Fusionskontrolle auf Umsatzmilliardäre;

-

Ausnahmeregelung für Unternehmen, deren Umsatz weniger als 50 Mill. DM betrage und die sich einem anderen Unternehmen anschlössen;

-

Regelung, daß eine Untersagung des Zusammenschlusses dann nicht in Betracht komme, wenn die entstehende oder marktbeherrschende Stellung durch eine "Verbesserung der Wettbewerbsvoraussetzungen auf diesem oder auf anderen Märkten aufgewogen wird"145.

-

Regelung, daß der Wirtschaftsminister aus Gründen "überragenden Interesses der Allgemeinheit"146 die Erlaubnis zu einem Zusammenschluß erteilen könne 147.

142 Die DAG dachte hier an folgenden Fall: Der europäische Gerichtshof in Luxemburg hatte neun europäische Chemiekonzerne zu hohen Geldstrafen verurteilt, die sich über eine Aufteilung von Märkten und über die Preisgestaltung verständigt hatten. Dagegen war der Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes gegen die beteiligten deutschen Unternehmen sowohl vom Kammergericht Berlin als auch vom Bundesgerichtshof verworfen worden, da § 1 GWB nur förmliche wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen erfaßt. 143 Vgl. § 24 Abs. 3 Satz 3 Regierungsentwurf vom 14. 8. 1971. 144 Unternehmenskonzentration und Wettbewerb, S. 50. 145 § 24 Abs. 1 Ziffer 1 Regierungsentwurf vom 14. 8. 1971. 146 § 24 Abs. 3 Regierungsentwurf vom 14. 8. 1971. 147 Vgl. Unternehmenskonzentration und Wettbewerb, S. 48 - 51.

134

7. Einfluß der Verbände auf die Kartellnovelle

Aus diesen Ausführungen wird deutlich, daß die DAG etwa die gleichen Einwände gegen die GWB-Novelle vorbrachte wie der DGB. Das kam auch in den Hearings vor dem Wirtschafts ausschuß zum Ausdruck148 • Beide Verbände sprachen sich im Prinzip für eine Verschärfung des Kartellgesetzes aus, wie sie im Regierungsentwurf vorgesehen war, gaben aber zu bedenken, daß die einzelnen Bestimmungen des Regierungsentwurfs ihren Zweck nicht erreichen könnten, da die Kriterien, die dem Kartellamt einen Eingriff ermöglichen sollten, in den meisten Fällen zu niedrig angesetzt und die Formulierungen zu unscharf gefaßt seien. Beachtenswert in den Stellungnahmen der DAG waren die Vorschläge für Maßnahmen, die über die Bestimmungen der Kartellnovelle hinausgingen (vgl. die Vorschläge zum verbraucherpolitischen Konzept). 7.3. Zwischenbilanz Das Bundeswirtschaftsministerium hatte geplant, die Verbände von Anfang an in einem "offenen Verfahren" an der Erarbeitung des Entwurfs zu einem neuen Kartellgesetz zu beteiligen. Dabei beschritt es verschiedene Wege: Zum einen wurde der jeweilige Stand der Überlegungen im Wirtschaftsministerium den Verbänden zugestellt, die ihrerseits Stellungnahmen in schriftlicher und mündlicher Form dem Ministerium vortrugen. Zum anderen bestand ein direkter Kontakt zwischen dem Wirtschaftsministerium und den Industrieverbänden und den Verbänden des Handels im sogenannten "Kartellkränzchen", an dessen Besprechungen der Leiter des Kartellreferats im Wirtschaftsministerium, Ministerialrat Kartte, jeweils teilnahm. Das Wirtschaftsministerium, das glaubte, durch dieses Verfahren würde zwischen ihm und den Verbänden ein offener Konflikt vermieden, sah sich schon bald getäuscht. Als nämlich bekannt wurde, daß die Bundesregierung eine präventive Fusionskontrolle einführen wollte, organisierten sich die Gegner der Novelle unter der Führung des BDI, auf dessen Initiative hin auch zwei gemeinsame Stellungnahmen verfaßt und dem Wirtschaftsministerium zugestellt wurden. Die Methoden und Praktiken, die der BDI anwandte, um die wichtigsten Verbände der Industrie und der gewerblichen Wirtschaft auf seine "Linie" zu bringen, entsprachen nicht in jedem Fall den üblichen Gepflogenheiten von Verhandlungstaktik. So konnte trotz dieser Vorgehensweise die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer nicht vom BDI überzeugt werden; der Einzelhandelsverband stimmte den Vorstellungen des BDI nur in wenigen Punkten zu. 148

Vgl. Ergebnis der Anhörung der Spitzenverbände, S. 8.

7.3. Zwischenbilanz

135

Nachdem der Regierungsentwurf vorgelegt worden war, kristallisierten sich aus den gesamten Verbänden drei verschiedene Gruppen heraus: - Auf der einen Seite standen die Gegner der Kartellnovelle, die sowohl die Fusionskontrolle als auch die Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ablehnten: die Arbeitsgemeinschaft der Lebensmittelfilialbetriebe, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe, der BDI, der Bundesverband Deutscher Banken, der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels, der Bundesverband des Deutschen Versandhandels, der DIHT, der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft und der Markenverband, (die HDE), -

auf der anderen Seite die Befürworter der Fusionskontrolle: das Handwerk, die Sparkassen, die Verbraucherverbände und die ASU, (die HDE).

-

Für eine nochmalige Verschärfung des Regierungsentwurfs setzten sich der DGB und die DAG ein.

Die Kooperationserleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen, wie sie der Regierungsentwurf vorsah, wurden auch von den Gegnern der Novelle akzeptiert. Somit läßt sich zusammenfassend sagen, daß es zu keiner "Einheitsfront" der gesamten Wirtschaftsverbände gegen das geplante Vorhaben der Bundesregierung kam, obwohl der Widerstand gegen die Kartellnovelle von seiten der wichtigsten Wirtschaftsverbände für das Wirtschaftsministerium stärker als vermutet war. Die Tatsache, daß sich eine Reihe von Verbänden in der Öffentlichkeit für den Regierungsentwurf aussprach, bewirkte eine Schwächung der Gegner in der Auseinandersetzung um die Kartellnovelle. Die Einführung der präventiven Fusionskontrolle konnte daher nidlt verhindert werden.

8. Der Einfluß der Parteien auf die N ovellierung des Kartellgesetzes 8.1. DieSPD 8.1.1. Die grundsätzliche Haltung der SPD zur Wettbewerbspolitik

Die SPD erkannte schon Mitte der 50er Jahre, daß gegen den sich anbahnenden Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft etwas getan werden müsse. Deshalb forderte sie "freie wirtschaftliche Entwicklung, freien Wettbewerb und ein dem Gemeinwohl verpflichtetes privates Eigentum"!, denn "wer in den Großorganisationen der Wirtschaft die Verfügung über Millionenwerte und über Zehntausende von Arbeitnehmern hat, der wirtschaftet nicht nur, er übt Herrschaftsmacht über Menschen aus; die Abhängigkeit der Arbeiter und Angestellten geht weit über das Ökonomisch-Materielle hinaus. Wo das Großunternehmen vorherrscht, gibt es keinen freien Wettbewerb. Wer nicht über gleiche Macht verfügt, hat nicht die gleiche Entfaltungsmöglichkeit, er ist mehr oder minder unfrei. Die schwächste Stellung in der Wirtschaft hat der Mensch als Verbraucher. Mit ihrer durch Kartelle und Verbände noch gesteigerten Macht gewinnen die führenden Männer der Großwirtschaft einen Einfluß auf Staat und Politik, der mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar ist, sie usurpieren Staatsgewalt. Wirtschaftliche

Macht wird zu politischer Macht"2.

Die SPD sah eine wirksame Kontrolle wirtschaftlicher Macht u. a. in zwei Möglichkeiten: 1. in der Stärkung von leistungsfähigen mittleren und kleinen Unternehmen, 2. durch wirksame Mittel öffentlicher Kontrolle: - Investitionskontrolle - Kontrolle marktbeherrschender Unternehmen und - Bildung von Gemeineigentum3 • Nach Auffassung der SPD war der demokratische Staat verpflichtet, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um eine freiheitliche Wirtschaftsordnung zu schaffen. Dazu gehörten insbesondere 1 "Sicherheit für all" Wahlprogramm 1957 (Broschüre), hrsg. vom Vorstand der SPD, Bonn 1957, S. 3 ff. 2 Grundsatzprogramm der SPD von 1959 ("Godesberger Programm"), in: Flechtheim, 0.: Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland, 3. Bd., 2. Teil, Berlin 1963, S. 215/216. a Vgl. Grundsatzprogramm der SPD, S. 216.

8.1. Die SPD

137

- "eine Wettbewerbs ordnung, die allen denen, die nicht zur marktbeherrschenden Großwirtschaft gehören, ausreichende Bewegungsfreiheit in einem fairen Wettbewerb sichert, - eine durchgreifende Politik gegen den Machtmißbrauch marktbeherrschender Unternehmen und - eine weitgehende Publizität der Großwirtschaft"'. Konkrete Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele sah die SPD in der Stärkung des Kartellamtes, das Fälle von Machtmißbrauch in öffentlichen Verfahren untersuchen sollte. Zur Unterstützung des Kartellamtes sollte eine unabhängige Kommission fungieren 5• Im Rahmen einer europäischen Kartellpolitik ging die SPD noch weiter und forderte -

eine Präventivkontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, eine weitgehende Publizität der zulässigen und unzulässigen allgemeinen Vereinbarungen und den Aufbau eines Kontrollapparates, der prüfen sollte, ob bestimmte Vereinbarungen gehalten wurden oder nicht angegebene Vereinbarungen bestanden6 •

Besondere Aufmerksamkeit richtete die SPD auf den Verbraucher, "den schwächsten Partner in der Wirtschaft": Die Wirtschaftspolitik müßte seine Stellung am Markt verbessern und ihn vor einer übervorteilung durch Preisabsprachen der Anbieter und vor Täuschungen über Qualität und Menge der Waren schützen7 • 8.1.2. Novellierungsversuche der SPD bis 1969 Diese eher programmatischen Erklärungen der Bundespartei mußte die Fraktion der SPD im Bundestag in praktische Vorschläge umzusetzen versuchen. Sie machte daher Anstrengungen, durch Änderungsanträge das GWB zu ändern. Schon zwei Jahre nach Inkrafttreten des GWB legte die SPD-Fraktion zwei Gesetzesentwürfe vor, die Maßnahmen zur Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht forderten: 'Entschließungen des Parteitages der SPD von Hannover (1960); in: Flechtheim, S. 257. 5 Vgl. Brandt, W.: Unser Regierungsprogramm, Referat auf dem Außerordentlichen SPD-Kongreß in Bonn am 28.4.1961, in: Flechtheim, S. 266. 8 Vgl. Aktionsprogramm der sozialdemokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft. Angenommen auf dem 5. Kongreß der sozialdemokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft am 5./6.11.1962 in Paris, in: Flechtheim, S. 305. 7 Vgl. SPD-Parteitag 1968, Sozialdemokratische Perspektiven, Broschüre, hrsg. vom Vorstand der SPD, S. 31/32.

138

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

1. Einen Gesetzesentwurf zur Änderung des GWB, durch den das Kartellamt bzw. das Wirtschaftsministerium verpflichtet sein sollte, wirksame Maßnahmen gegen die Gefahren wirtschaftlicher Machtkonzentration zu treffen. Hierzu waren vorgesehen die Einführung einer Genehmigungspflicht für Zusammenschlüsse von Unternehmen und die Möglichkeit ihrer Auflösung durch das KartellamtB.

2. Einen Gesetzesentwurf über die Bildung einer ständigen unabhängigen Monopolkommission, "deren Aufgabe es ist, in eigener Verantwortung die wirtschaftliche Konzentrationsbewegung sowie Umfang und Formen der Marktbeherrschung laufend zu untersuchen"9. Trotz der ablehnenden Haltung des Bundestages legte die SPD-Fraktion Ende 1960 einen Entwurf zur Änderung der §§ 18 und 22 - 24 GWB dem Bundestag vor. Der Entwurf sah neben einer Verschärfung des § 22 (Mißbrauchs aufsicht) ein Erlaubnisverfahren bei Zusammenschlüssen von Unternehmen vor lO • Der Vorstoß wurde jedoch von zwei Maßnahmen des Bundestages abgefangen: durch das Gesetz über eine Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 31. 12. 1960 11 , durch eine einstimmige Entschließung des Bundestages auf Antrag der Abgeordneten Schmücker, Brand, Kurlbaum, Lange (Essen), Dr. Atzenroth und Genossen vom 29. 6. 1961, in der die Bundesregierung aufgefordert wurde, einen Bericht über notwendige Änderungen desGWB vorzulegen l2 .

-

Den nächsten Vorstoß unternahm die SPD-Fraktion mit ihrem Novellierungsentwurf vom 9.6.196413, der u. a. ein kombiniertes Widerspruchs- und Erlaubnisverfahren bei Zusammenschlüssen, die zu einer marktbeherrschenden Stellung führen, vorsah. Zum ersten Mal war in einem Entwurf eine präventive Fusionskontrolle vorgesehen. Der Antrag kam wieder nicht durch. Teile davon nahm die Bundesregierung allerdings später in ihren Regierungsentwurf vom 14. 5. 1971 auf (z. B. die Bestimmungen über eine Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht). Der Versuch Schillers von 1968, die Preisbindung für Markenartikel aufzuheben - ein zentraler Wunsch der SPD14 -, scheiterte am Widerstand derICDU/CSU. Vgl. BTags-Drucksache III/1279. Vgl. ebenda. 10 Vgl. BTags-Drucksache III/2293. 11 Vgl. BTags-Drucksache IV/2337. 12 Vgl. BTags-Drucksache III/2942. 13 Vgl. BTags-Drucksache IV/2337. 14 Vgl. Regierungsprogramm der SPD, 1969, beschlossen vom Außerordentlichen Parteitag der SPD am 17.6.1969 in Bad Godesberg, Broschüre, hrsg. von der SPD, S. 7. 8

9

8.1. Die SPD

139

8.1.3. Jungsozialisten und Kartellnovelle

Trotz grundsätzlicher Kritik an der Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung der Bundesrepublik15 sahen die Jungsozialisten eine "Aufnahme wettbewerbspolitischer Forderungen in ein wirtschaftspolitisches Reformprogramm"16 für durchaus sinnvoll an, und zwar aus zwei Gründen: Einmal könnten wettbewerbspolitische Interventionen des Verbrauchers fallweise und vorübergehend Grenzen setzen. Zum anderen könnte aber auch die Diskussion über den Ausbau und die mißbräuchliche Ausnutzung marktbeherrschender Positionen wenigstens in vorpolitischer Form einen Ansatz jener Kapitalismusdiskussion bieten, "der einer nach entpolitisierten Öffentlichkeit durch die Verblendungstechniken der Bewußtseinsindustrie versperrt ist. [... ] Aus taktischen Gründen ist es zweckmäßig, wettbewerbspolitische Forderungen an die bevorstehende Novellierung des GWH anzuhängen"17. Aus der Sicht der Jungsozialisten war es unbedingt erforderlich, das GWB in folgenden Punkten zu ändern: Das Kartellverbot müsse verschärft werden: 1. Über formelle Kartellabsprachen hinaus müßten "abgestimmte Ver-

haltensweisen" ebenso wie Kartelle verfolgt werden. 2. Die vorhandenen und geplanten Ausnahmeregeln müßten kritisch überprüft werden. So sollten die Preisbindungen der zweiten Hand aufgehoben und Rabattkartelle verboten werden. Technisch und betriebswirtschaftlich sinnvolle Kartellfunktionen könnten im Wege des ~rIaubnisverfahrens geregelt werden18. Der Begriff des marktbeherrschenden Unternehmens sei anhand eines exemplarischen Katalogs von Tatbestandsmerkmalen, der auf die Zahl der Marktteilnehmer und die Marktanteile abzielt, zu präzisieren. Marktbeherrschung sei darüber hinaus auch bei Unterschreitung der formellen Maßstäbe zu vermuten, wenn etwa der Marktzugang für neue Anbieter oder die Wahlmöglichkeiten anderer Marktteilnehmer auf den Bezugsmärkten erheblich erschwert sei. Außerdem müßten die Sanktionsmöglichkeiten des Kartellgesetzes im Rahmen der Mißbrauchsaufsicht ausgebaut werden 19. 15 Vgl. dazu: Stellungnahmen des SPD-Parteivorstandes zu den Beschlüssen des Bundeskongresses der Jungsozialisten in München vom 5. - 7. 12. 1969, in: Reihe "Jugend", Heft 1, hrsg. vom Vorstand der SPD, S. 27 - 29. 16 Beschlüsse des Bundeskongresses der Jungsozialisten, Bremen vom 11.13.12.1970, in: JS-magazin, Zeitschrift der Jungsozialisten in der SPD, Januar 1971, S. 9. 17 Ebenda. 18 Vgl. ebenda, S. 9/10. 19 Vgl. ebenda, S. 10.

140

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

"Der Anwendungsbereich der vorbeugenden FusionskontroHe darf weder durch hochangesetzte noch durch großzügige Bagatellklauseln verwässert werden"20. Die präventive Fusionskontrolle sollte immer dann angewandt werden, wenn eines der Unternehmen eines der folgenden Kriterien erfülle: - 20 Ofo Marktanteil oder - 500 Mill. DM Bilanzsumme. Für das Kontrollverfahren schlugen die Jungsozialisten folgende drei Möglichkeiten vor: 1. Wettbewerbspolitisch unbedenkliche Fälle könnten vom Kartellamt nach einem Widerspruchsverfahren erlaubt werden. 2. In einem Erlaubnisverfahren sollten die wettbewerbspolitisch bedenklichen Fälle vom Bundeskartellamt überprüft werden, nachdem eine Bundesmonopolkommission eingeschaltet worden sei. 3. Das Bundeswirtschaftsministerium sollte die Möglichkeit erhalten, aus gesamtwirtschaftlichen Erwägungen heraus - einerseits wettbewerbsschädliche Fusionen zu erlauben und - andererseits wettbewerbspolitisch unbedenkliche Fälle zu untersagen2!. 8.1.4. Das Verhältnis von SPD und Jungsozialisten in der Kartellfrage

Die Vorschläge der Jungsozialisten zur Kartellgesetznovelle unterschieden sich - was die gesetzlichen Ausführungen anging - nicht wesentlich von den Vorstellungen der SPD. Unterschiede waren allerdings in der Zielsetzung und in der Motivation zu sehen. Während nämlich die SPD versuchte, ihre Vorstellungen von der Wettbewerbspolitik in eine "freie, sozial gebundene Wirtschaftsordnung" einzuordnen, um damit "der Gleichheit der Lebenschancen, der sozialen Gerechtigkeit und der Freiheit des einzelnen Menschen zu dienen"22, erblickten die Jusos in der Wettbewerbspolitik einen Prozeß, "der die Transformation der externen Steuerung aufhalten oder partiell rückgängig machen Will"23. Sie sahen ihre Vorschläge nicht so sehr als Restauration marktwirtschaftlicher Steuerungsprinzipien sondern vielmehr als Übergang zu gesellschaftlichen Steuerungsprozessen24. Ebenda, S. 10. Vgl. ebenda, S. 10. 22 Vgl. Rede von Willy Brandt zur Reformpolitik der Bundesregierung, BTags-Drucksache VI/1953. 23 Beschlüsse des Bundeskongresses der Jungsozialisten, S. 9. 24 Vgl. ebenda, S. 10. 20

2!

8.2. Die F.D.P.

141

Die Vorstellungen der Jungsozialisten fanden in der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion keinen Anklang25 •

8.2. Die F.D.P. 8.2.1. Die Haltung der FDP zur Wettbewerbspolitik

Auf ihrem Nürnberger Parteitag vom 25.6.1969 bekannte sich die F.D.P. zur Marktwirtschaft und dem zu ihr gehörenden Wettbewerb, da nur dieser den Unternehmen wie auch den Verbrauchern einen möglichst großen Handlungsspielraum gewährleisten könne. Ein wirksamer Wettbewerb sei ein Mittel zur Kontrolle wirtschaftlicher Macht. Es sei notwendig, daß alle Betriebsgrößen gleiche Bedingungen für Start, Entwicklung und strukturelle Umstellung hätten, denn Klein-, Mittelund Großbetriebe trügen gemeinsam zum Wachstum bei. Eine einseitige Politik zugunsten von Großbetrieben und Einheitsgesellschaften schade der Gesamtwirtschaft und bedrohe die Rechte des Bürgers26 • Die Forderungen der F.D.P. lauteten daher: -

eine Abkehr von der bisherigen Politik der staatlichen Konzentrationsförderung;

-

eine Verschärfung der Mißbrauchs aufsicht über marktbeherrschende Unternehmen;

-

eine vorbeugende Fusionskontrolle, um gesellschaftspolitisch unerwünschte, betriebswirtschaftlich nicht erforderliche Konzentrationen zu verhindern 27 •

Eine Präzisierung der gestellten Forderungen nahm die F.D.P. auf dem Bonner Parteitag von 1970 vor. Der Landesverband Berlin, zu dem mehrere Bedienstete des Bundeskartellamtes gehörten (z. B. Griesbach, Direktor der Abteilung "Wirtschaftsbeobachtung und Betriebsprüfungen"), hatte vier Änderungsanträge gestellt, die an die Bundestagsfraktion überwiesen wurden: 1. Das allgemeine Kartellverbot des § 1 GWB sei zur Bekämpfung von

Absprachen um die Marktfolgen von Verträgen und die abgestimmten Verhaltensweisen von Unternehmen zu erweitern. Es müsse sichergestellt sein, daß a) Umgehungsformen des Kartellverbots (z. B. " FrühstückskarteIle") geahndet werden könnten und Vgl. Gespräch mit Frank Bertsch (SPD-Fraktion) vom 29. 10. 1973. Vgl. Praktische Politik für Deutschland - Das Konzept der F.D.P. am 25.6. 1969 in Nürnberg, Broschüre, hrsg. von der F.D.P., S. 13/14. 27 Vgl. ebenda, S. 14. 25

26

142

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle b) die deutschen Regelungen den europäischen (Art. 65 § 1 Montan-Union-Vertrag und Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag) entsprächen.

2. Der Schutz des einzelnen Marktteilnehmers in der Wettbewerbsordnung (§ 18 GWB) sei im Interesse mittelständischer Unternehmen zu erweitern. 3. Die Mißbrauchsaufsicht der Kartellbehörden über marktbeherrschende Unternehmen nach § 22 GWB sei auf marktstarke Unternehmen und Unternehmensgruppen auszudehnen. Zur Minderung der Beweislast der Kartellbehörden für das Fehlen wesentlichen Wettbewerbs seien widerlegliche Vermutungskriterien (Markt anteilskriterien) einzuführen und typische Mißbrauchstatbestände (Behinderungspraktiken, Preisüberhöhung, Diskriminierung) im Gesetz aufzunehmen. 4. Eine präventive Fusionskontrolle für horizontale, vertikale und diagonale Zusammenschlüsse solle ins GWB aufgenommen werden. Beurteilungsmaßstab für horizontale und vertikale Zusammenschlüsse sollten die drohende wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs oder Marktanteilskriterien, in Verbindung mit absoluten Unternehmensmerkmalen (Beschäftigtenzahl, Umsatzhöhe, Bilanzsumme) sein; für diagonale Zusammenschlüsse könnten allein absolute Unternehmensmerkmale gelten. Das Bundeskartellamt sei zuständig für die Erlaubnis oder das Verbot von Zusammenschlüssen28 • Hinzu kam noch der Antrag des Landesverbandes Berlin, die Preisbindung der zweiten Hand aufzuheben 29 • Obwohl man sich in der F.D.P. darin einig war, daß eine präventive Fusionskontrolle unbedingt in die Kartellnovelle gehöre, zeigte der Antrag des Landesverbandes von N ordrhein-Westfalen, wie gegensätzlich die Meinungen innerhalb der F.D.P. über die Ausgestaltung der Fusionskontrolle waren. In einem Antrag an die F.D.P.-Bundestagsfraktion forderte der Verband nämlich: ,,1. Der Bezugsmarkt darf nicht nur die Bundesrepublik sein, sondern

die Marktstellung der Unternehmen muß im EWG- und Weltmarktrahmen gesehen werden. 2. Oligopole sind nicht von vornherein der Marktbeherrschung verdächtig. 28 Vgl. Antrag Nr. 31 des Landesverbandes BerIin, in: Auftrag und Verantwortung der Liberalen, 21. Ordentlicher Bundesparteitag der F.D.P. vom 22. - 24. 6. 1970 in Bonn (Broschüre), hrsg. von der F.D.P., S. 180 - 182. 29 Vgl. Antrag Nr. 33, ebenda, S. 182.

8.3. SPD und F.D.P.

143

3. Eine unabhängige Monopolkommission soll gutachten. 4. Eine einheitliche Regelung innerhalb der EWG ist anzustreben 30 ." 8.3. Die Einwirkungen von SPD und F.D.P. auf das Zustandekommen des Regierungsentwurfs SPD und F.D.P. sprachen sich in ihren Koalitionsaussagen 31 zur Bundestagswahl von 1969 grundsätzlich für eine Verschärfung des GWB aus. In der F.D.P. war es vor allem der Landesverband Berlin32 , der durchsetzte, Bestimmungen über eine präventive Fusionskontrolle und über eine Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen in die Wahlplattform der F.D.P. aufzunehmen. Aufgrund dessen kam es dann zu den Aussagen Willy Brandts in der Regierungserklärung vom 28. 10. 1969. Im Bundestag der 6. Legislaturperiode33 ergab sich jedoch innerhalb der F.D.P.-Bundestagsfraktion eine personelle Zusammensetzung, die sich nicht mehr auf die F.D.P.Wahlplattform stützte, d. h. nicht alle F.D.P.-Abgeordneten stimmten von vornherein für die in der Regierungserklärung enthaltenen Aussagen zur GWB-Novelle. Durch diese neue Situation sahen sich sowohl die SPD-Fraktion als auch das Wirtschaftsministerium gezwungen, mit der F.D.P.-Fraktion erneut in einer neue grundsätzliche Diskussion einzutreten. Um zu einer Verständigung über einen Gesetzentwurf zu gelangen, bot sich das Kartellreferat des Wirtschaftsministeriums beiden Fraktionen als Gesprächspartner an. Die F.D.P.-Fraktion nahm dieses Angebot an. Sie wurde etwa ab Dezember 1969 durch einen Beauftragten des Bundesinnenministeriums (Kirchhoff) an den Planungen des Wirtschaftsministeriums beteiligt34 • Die SPD-Fraktion dagegen wich den Gesprächen mit dem Kartellreferat über längere Zeit hinweg aus. Diese Haltung war darauf zurückzuführen, daß zwischen der SPD-Fraktion und dem Wirtschaftsministerium zwar auf der Ebene Kartte (Leiter des Wettbewerbsreferats) - Bertsch (Geschäftsführer des Arbeitskreise "Wirtschaftspolitik der SPD-Fraktion) Gespräche geführt wurden35 , die Fraktionsführung aber glaubte, nur mit Minister Schiller selbst Verhandlungen führen zu können. Schiller, der von der SPD-Fraktion Antrag Nr. 32 des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, S. 182. Vgl. a) Praktische Politik für Deutschland - Das Konzept der F.D.P., verabschiedet vom 20. Ordentlichen Parteitag der F.D.P. am 25. 6. 1969 in Nürnberg, S. 14; b) Regierungsprogramm der SPD 1969. Beschlossen vom Außerordentlichen Parteitag der SPD am 174.1969 in Bad Godesberg, S. 7. 32 Vgl. Kapitel 8.2.1. 33 Die Regierungskoalition wurde am 28. 9. 1969 beschlossen. 3. Vgl. Grottian, P.: Strukturprobleme, S. 231. 35 Bertsch besaß jedoch nicht genügend Verhandlungsvollmacht. 30

31

144

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

immer wieder aufgefordert wurde, sein Konzept zur Kartellnovelle vorzulegen 36 , lehnte jedoch jedes Gespräch ab. Damit war die SPDFraktion in der ersten Phase der Beratungen weitgehend isoliert. Da sich Schiller auch weiterhin nicht auf ein Konzept festlegen wollte und bekannt war, daß vom Wirtschaftsministerium in Kürze ein Entwurf herausgebracht werden sollte, legte die SPD-Fraktion Schiller am 26. 2.1970 ihre "Novellierungsvorstellungen"37 vor, die vom Arbeitskreis "Wirtschaftspolitik" erarbeitet worden waren. Sie wichen vom Konzept des Wirtschaftsministeriums insofern ab, als sie viel weitgehendere Eingriffe bei Unternehmenszusammenschlüssen und Vermachtung von Marktstrukturen vorsahen38 . Schiller mußte sich nun überlegen, ob er dem Entwurf seines Ministeriums den Vorzug geben oder die Vorschläge der SPD-Fraktion erst noch in einen neuen Entwurf einarbeiten wollte. Noch wenige Tage vor der Veröffentlichung des ersten Referentenentwurfs gab Schiller zu verstehen, daß er den Entwurf des Wirtschaftsministeriums als "Kabinettsentwurf" herausgeben würde39 • Am 20. 3. 1970 stellte er ihn jedoch als "Referentenentwurf" der Öffentlichkeit vor, was bedeutete, daß Schiller keine andere Möglichkeit sah, als noch einmal Änderungen am Entwurf vorzunehmen. Zu dieser Haltungsänderung mögen bei ihm folgende Überlegungen beigetragen haben: 1. Schiller glaubte, in der damaligen konjunkturellen Situation (Auf-

wertung der DM im Februar/März 1970) die Industrie nicht noch mehr gegen die Bundesregierung aufbringen zu dürfen. 2. Die F.D.P. bestand darauf, den Entwurf vor ihrer Zustimmung zum "Kabinettsentwurf" erst mit dem Minister abzuklären40 • Als der erste Referentenentwurf vom 20. 3. 1970 vorlag, reagierten die beiden Koalitionsfraktionen unterschiedlich. Die F.D.P.-Fraktion übte in ihren offiziellen Stellungnahmen zu dem Entwurf zwar keine inhaltliche Kritik41, lehnte ihn jedoch aufgrund mangelnder Information 86 Vgl. Bundestagsdebatte über den Jahreswirtschaftsbericht vom 17. 2. 1970: stenographische Berichte des Deutschen Bundestages, 6. Legislaturperiode, S. 131 D (Bericht des Abgeordneten Lenders). 37 Vgl. Novellierungsvorstellungen des Arbeitskreises "Wirtschaftspolitik" der SPD-Fraktion vom 26. 2. 1970. 38 Auf die Ausführungen der Novellierungsvorstellungen soll an dieser Stelle nicht gesondert eingegangen werden. Da sie im wesentlichen den Forderungen der SPD-Fraktion bei der Beurteilung des ersten Referentenentwurfs entsprachen, sollen diese in dem Zusammenhang erklärt werden. 39 Vgl. Rede Schillers bei der Eröffnung der Internationalen Handwerksmesse vom 14.3.1970. 40 Vgl. a) fdk-Tagesdienst vom 24. 3. 1970; b) Welt vom 25.3. 1970. 41 Vgl. fdk-Tagesdienst vom 24. 3. 1970.

8.3. SPD und F.D.P.

145

durch das Wirtschafts ministerium ab 42 • Dadurch wollte sie erreichen, daß sich Schiller bereit erklärte, mit ihr in Verhandlungen zu treten. Dazu kam es jedoch vorerst nicht, da Schiller sowohl den angesetzten Termin vom 21. 4. 1970 als auch den vom 15. 6. 1970 absagte. Die SPD-Fraktion dagegen lehnte den Entwurf ab 43 , machte aber - im Gegensatz zur F.D.P.-Fraktion - konkrete Gegenvorschläge. Lenders, der stellvertretende Vorsitzende des Arbeitskreises "Wirtschaftspolitik", erarbeitete sofort nach Vorliegen des Referentenentwurfs ein "Diskussionspaper"44 zu den einzelnen Vorschlägen des Entwurfs. Darin wurde deutlich, daß die gesamte Fraktion dem Entwurf in einigen Punkten nicht folgen konnte, so z. B. den Novellierungsvorschlägen zum Kartellverbot, zur Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen, zur Fusionskontrolle und zur Vollziehbarkeit kartellbehördlicher Verfügungen45 . Die Kritik am Referentenentwurf machten den Stand der Überlegungen in der SPD-Fraktion zu diesem Zeitpunkt sichtbar. Daher sollen sie im folgenden dargelegt werden: Lenders wies darauf hin, daß der Novellierungsentwurf zu § 1 GWB zwar eine begrenzte Ausweitung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung enthalte, jedoch in keiner Weise die erwiesenen Mängel dieser Gesetzesnorm beseitige, die das Kartellverbot an das Vorliegen verbindlicher Verträge und Beschlüsse knüpfe. Das Kartellverbot sei durch die bekannten Umgehungsmöglichkeiten zu einer Farce geworden. Auch die Erfahrungen mit § 22 hätten gezeigt, daß die gesetzliche Norm für eine wirksame Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen untauglich sei. Die Rechtsprechung habe keine Kriterien entwickelt, die es gestatteten, den Tatbestand der Marktbeherrschung und des mißbräuchlichen Verhaltens klar zu definieren 46 • Lenders machte den Vorschlag, den Tatbestand der Marktbeherrschung folgendermaßen zu definieren: Marktbeherrschung liege dann vor, wenn ein Unternehmen die Erzeugung oder die Marktverhältnisse für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen wesentlich beeinflussen kann, 2. wenn Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Art von einem Unternehmen abhängig sind, daß ausreichende Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen,

,,1.

Vgl. FAZ vom 20.3.1970. Dem Gewerkschaftsflügel der SPD-Fraktion schien der Entwurf zu "schwach und inkonsequent" (Lenders); vgl. Der Spiegel 53/1970, S. 23. 44 Vgl. Diskussionspapier in der SPD, ausgearbeitet von Lenders, vom 14.4. 1970, o. o. 45 Vgl. ebenda. 4S Vgl. ebenda, S. 2/3. 42

43

10 Jäckering

146

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

3. wenn ein Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von 50 v. H. oder mehr auf sich vereinigt, 4. wenn die zu quantifizierenden Voraussetzungen eines konglomeraten Konzerns vorliegen"47. Den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht definierte Lenders folgendermaßen: 1. Markterzeugnisse, die wesentlich von den Marktergebnissen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb ergeben hätten, 2. alle Formen des Behinderungswettbewerbs, die dem Aufbau oder der Absicherung einer marktbeherrschenden Stellung dienen, 3. die Verweigerung von Patentlizenzen, welche die Handlungsfreiheit dritter Unternehmen unbillig behindert 48 • Hinsichtlich der Novellierungsvorschläge des Referentenentwurfs zu § 22 Abs. 1 und Abs. 2 könne nur der Abs. 2, an den Begriff der Marktbeherrschung den Maßstab quantifizierter Marktanteile anzulegen, als positiv gewertet werden. Im Ansatz sei dies richtig, in der Form jedoch zu schwach und inkonsequent. Während der Novellierungsvorschlag zu Abs. 1 eine Legaldejinition vorsehe, arbeite der Vorschlag zu Abs. 2 mit einer Legalvermutung, die angesichts der bisherigen Rechtsprechung in der Regel widerlegbar sein dürfte 49 . Die Fusionskontrolle sollte, analog der Regelung bei den Kartellen, im Rahmen eines kurzen Verfahrens beim Kartellamt liegen. Die politische Prärogative des Wirtschaftsministers sollte dabei durch eine analog zu § 8 GWB konstruierte Generalklausel gewahrt werden, die es dem Minister erlaube, bei Konflikten zwischen wettbewerbspolitischen Gründen und überwiegenden Gründen der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls zu entscheiden50 • Eine neu zu schaffende, unabhängige Bundesmonopolkommission sollte dem Bundestag in mehrjährigen Abständen Berichte über die Verfassung von Märkten und die Bewahrung des Wettbewerbsrechts zuleiten51 • Weiterhin bestehe die SPD auf der Einführung einer präventiven Fusionskontrolle 52 • Mit diesen Ausführungen machte die SPD-Fraktion deutlich, daß sie eine wesentlich härtere Linie verfolgte als das Wirtschaftsministerium, und daß sie viel weitergehendere Änderungen vornehmen wollte, als in der Regierungserklärung vorgesehen waren. Gerade mit diesen For47 Vgl. 48 Vgl. 49 Vgl. 50 Vgl. 51 Vgl. 52 Vgl.

ebenda, S. ebenda, S. ebenda, S. ebenda, S. ebenda, S. ebenda, S.

3/4. 4. 4.

5. 5. 5.

8.3. SPD und F.D.P.

147

derungen mußte sie bei der F.D.P.-Fraktion auf Widerstand stoßen. Diese beschloß nämlich in einer Sitzung des Arbeitskreises "Wirtschafts-, Finanzpolitik und Landwirtschaft"53 am 28. 5. 1970, sich im "Interesse der Rechtssicherheit" lediglich auf die Regelung wirklich dringender Fragen zu beschränken. Dazu rechnete sie nur die Fusionskontrolle, die Mißbrauchs aufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und die Kooperationserleichterungen. Sie stützte sich dabei in ihrer Argumentation auf die F.D.P.-Wahlplattform und die Regierungserklärung54 • In der gleichen Sitzung stellte sie ganz klar heraus, daß sie jede Änderung der Bestimmungen über die Preisbindung der zweiten Hand ablehne55 . Weiterhin wurde die Frage diskutiert, welche Zuständigkeiten geschaffen werden sollten und wie man diese zu verteilen hätte; ob es sich empfehlen würde, das Bundeskartellamt zu einer selbständigen obersten Bundesbehörde auszugestalten, wodurch es einen ähnlichen Status wie die Bundesbank erhalten würde 56 . Aufgrund dieser Diskussion und der gefaßten Beschlüsse ließ sich folgender Stand der Überlegungen in der F.D.P.-Fraktion im Frühjahr 1970 erkennen: Die Einführung einer Monopolkommission wurde abgelehnt, da eine Unabhängigkeit schwer zu gewährleisten und eine Verzögerung der Entscheidungen und die Entstehung neuer Bürokratien zu befürchten sei. Im Kontrollverfahren wurde der Lösung einer Vorbereitung durch das Kartellamt, aber Entscheidung durch den Wirtschaftsminister als politischer Instanz der Vorrang eingeräumt57 . Mit dieser Feststellung setzte sich der Arbeitskreis II deutlich gegen die Forderungen des Landesverbandes Berlin ab, der eine Stärkung des Bundeskartellamtes verlangte 58 • Zu diesem Zeitpunkt (Frühjahr 1970) waren die Standpunkte der F.D.P.- und SPD-Fraktionen weiter denn je voneinander entfernt. Die 53 Die Mitglieder des Arbeitskreises waren: Mertes (Vorsitzender), Dr. Aschoff, Dr. Dörinkel, Gerber, Hübner, Kirchhoff, Kirst MdB, Dr. Menne, Dr. Schröder, Graaf, Peters. 54 Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Arbeitskreises lIder F.D.P.Bundestagsfraktion zur Vorbereitung einer Novelle des GWB am 28.5.1970,

S.l.

Vgl. ebenda, S. 1. Die F.D.P.-Fraktion versuchte - wie schon zur Zeit der Großen Koalition - auch jetzt wieder, Schiller davon zu überzeugen, das Verbot fallenzulassen. Mit Zugeständnissen der F.D.P.-Fraktion konnte die SPD-Fraktion hier am wenigsten rechnen, da der Markenverband durch Schröder in ihrem Arbeitskreis vertreten war. Vgl. a) Der Volkswirt 13/1970, S. 11; b) Wirtschaftswoche 5111970, S. 14; c) Kapitel 7.1.3. 56 Vgl. ebenda, S. 3. 57 Vgl. ebenda, S. 3. 58 Vgl. Niederschrift der Sitzung des Arbeitskreises lIder F.D.P.-Bundestagsfraktion vom 3.11. 1970, S. 4. 55

Anmerkung:

10·

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

148

unterschiedlichen Auffassungen über die Gesamtkonzeption der Novelle veranlaßten Genscher dazu, Schiller zu verstehen zu geben, es sei unerläßlich, "eine neue Linie zu finden, die von der Koalition getragen wird"59. Eine positive Veränderung der Haltung innerhalb der SPD-Fraktion in Richtung auf einen Komprorniß war etwa ab Spätsommer 1970 festzustellen. Diese Entwicklung wurde maßgeblich durch folgende Vorgänge bewirkt: 1. Im Wirtschaftsministerium hatte sich zu dem Zeitpunkt auch die Auffassung durchgesetzt, das Gesetz lediglich noch in seinen Schwerpunkten zu novellieren (Fusionskontrolle, Mißbrauchs aufsicht und Kooperationserleichterungen). Die Fusionskontrolle sollte sich nur auf Großunternehmen beschränken60 . 2. Die Beratungen in der CDU-CSU-Fraktion waren soweit fortgeschritten, daß die SPD-Fraktion, wenn sie sich nicht schnellstens mit dem Wirtschaftsministerium und der FDP-Fraktion einigte, einen CDU/CSU-Entwurf befürchten mußte 61 • Diese beiden Vorgänge veranlaßten die SPD-Fraktion einzulenken. Im Oktober 1970 bezeichnete Lenders die Überlegungen des Wirtschaftsministeriums als diskussionswürdig 62 • Da dem Wirtschaftsministerium die Situation günstig erschien, veröffentlichte es am 28. 10. 1970 den zweiten Referentenentwurf, nicht zuletzt auch deshalb, um die F.D.P.-Fraktion zu einer Stellungnahme zu zwingen. Diese blieb jedoch vorerst noch aus. Daran vermochte auch das von der F.D.P.-Fraktion immer wieder geforderte Gespräch nichts zu ändern. Am 11. 12. 1970 setzte der Arbeitskreis "Wirtschaftspolitik" sogar noch Arbeitsgruppen ein, die sich mit grundsätzlichen Fragen der Kartellnovelle auseinandersetzen sollten. Ihre Leitung wurde Wirtz 63 übertragen, der zusammen mit Dörinkel 64 auch maßgeblich an dem "Positionspapier"65 der F.D.P.-Fraktion beteiligt war66 , das aufgrund der Überlegungen in den Arbeitsgruppen am 30. 3. 1971 herausgegeben wurde. 59 60 61 82

63

sen.

Der Spiegel 19/1970, S. 60. Vgl. FAZ vom 19.6.1970. Vgl. Kapitel 8.4. Vgl. Brief des SPD-Abgeordneten Lenders an Schiller vom 22. 10. 1970. Ehemaliger Staatssekretär im Wirtschaftsministerium von Niedersach-

F.D.P.-Mitglied, Rechtsanwalt. Vgl. Positionspapier der F.D.P.-Bundestagsfraktion zum Entwurf einer Novelle des GWB, Bonn, 30.2.1971. 86 Vgl. Zusammenfassung von Vorschlägen zur Abänderung des Kartellgesetzentwurfs, Arbeitspapier des Arbeitskreises II der F.D.P.-Bundestagsfraktion, Bonn, 5. 3. 1971. 64

65

8.3. SPD und F.D.P.

149

In dem Papier ließ sich eine Annäherung an den Referentenentwurf vom 28.10.1970 feststellen, allerdings mit der Tendenz, die Fusionskontrolle noch mehr als eine politische Entscheidung des Wirtschaftsministers auszugestalten. Im einzelnen sah der Entwurf vor: -

-

-

Wegfall der starren Marktanteilsvermutungen für die Marktbeherrschung; Verbot des Zusammenschlusses nicht schon bei beherrschender Stellung auf einem bestimmten Markt, sondern erst dann, wenn eine Gesamtbeurteilung aller betroffenen Märkte eine wesentliche Wettbewerbsbeeinträchtigung ergibt; mehr Ermessen für den Wirtschaftsminister bei der Zulassung eines wettbewerbsbeschränkenden Zusammenschlusses unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten; volle Nachprüfung der Wettbewerbsentscheidung des Bundeskartellamtes durch den Wirtschaftsminister67 •

Zu den Schwerpunkten des Referentenentwurfs (Mißbrauchsaufsicht und Fusionskontrolle) schlug die F.D.P. folgende wettbewerbspolitisch relevanten Lösungen vor: a) Streichung der Marktanteilsvermutungen für Marktbeherrschung in § 22 Abs. 1 und § 22 Abs. 2 Ref. Entw. 68 ; b) Streichung der in § 53 Abs. 3 Ref. Entw. vorgesehenen öffentlichen mündlichen Verhandlung in Verfahren nach § 22 und in Fällen des § 24 Abs. 369 ; c) Streichung der in § 23 Ref. Entw. vorgesehenen Erweiterung des Zusammenschlußbegriffs; dafür sollten nur die personellen Verflechtungen als zusätzlicher Zusammenschlußtatbestand eingefügt werden 70 • d) Ergänzung des § 24 Abs. 1 Ref. Entw. dahingehend, daß ein Zusammenschluß nicht schon bei Erlangung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung auf einem bestimmten Markt verboten ist, sondern erst dann, wenn außerdem "unter Berücksichtigung der gesamten Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb die Wettbewerbsvoraussetzungen wesentlich beeinträchtigt"71 werden. e) Umformulierung des § 24 Abs. 3 Ref. Entw. (Erlaubnis wettbewerbsbeschränkender Zusammenschlüsse durch das Bundeswirt67 68 69 70 71

Vgl. Positionspapier, S. 2. Vgl. ebenda, S. 2. Vgl. Zusammenfassung von Vorschlägen, S. 8. Vgl. Positionspapier, S. 3. Vgl. ebenda, S. 4.

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

150

schaftsministerium unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten) dahin, daß es genügt, wenn die vom Kartellamt festgestellte Wettbewerbsbeschränkung von den gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses "aufgewogen wird oder der Zusammenschluß durch ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist"72. f) Änderung der im Referentenentwurf vorgesehenen Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bundeskartellamt und Wirtschaftsminister dahin, daß gegen die Wettbewerbsentscheidung des Kartellamtes der Widerspruch an das Wirtschaftsministerium stattfinden soll (nach dem Referentenentwurf sollte das Wirtschaftsministerium nicht als Berufungsinstanz gegenüber dem Kartellamt fungieren, sondern nur für die Erteilung der Gesamtwirtschafts-Erlaubnis zuständig sein)13. In den Punkten b) - f) bestand sowohl wettbewerbs- als auch koalitionspolitisch die Möglichkeit des Kompromisses. Lediglich zu Punkt a) schien die F.D.P.-Fraktion nicht zu Zugeständnissen bereit zu sein74 . Unter dem Zwang, bald zu einem Komprorniß zu gelangen, wenn nicht die CDU/CSU-Fraktion mit einem eigenen Entwurf den Koalitionsfraktionen zuvorkommen sollte, kam es am 14. 5. 1971 zu dem abschließenden Koalitionsgespräch. Kurz zuvor (31. 3. 1971) hatte die SPDFraktion ihr "Positionspapier"75 fertiggestellt, das inhaltlich mit den weiter oben ausgeführten Darlegungen des Abgeordneten Lenders weitgehend übereinstimmte. In dem Gespräch ging es der F.D.P.Fraktion in der Hauptsache um folgende Grundentscheidung: -

Steht politisch die Realisierung der Fusionskontrolle und der übrigen Schwerpunkte im Vordergrund oder liegt der politische Akzent in erster Linie auf einem möglichst vollständigen Regierungsentwurf (mit dem einkalkulierten Risiko, daß der Bundestag die Novelle nicht mehr verabschieden kann)16?

-

Die F.D.P.-Fraktion hatte sich stets - wie schon angedeutet - für die erste Lösung ausgesprochen 77 . Sie war der Ansicht, daß alle Probleme, die mit der Fusionskontrolle zusammenhingen, aus weiteren Verhandlungen und aus dem Regierungsentwurf ausgeklammert wer72 73

74 75

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

ebenda, S. 4. ebenda, S. 4. ebenda, S. 4/5. Arbeitspapier der SPD-Fraktion zu den §§ 5 bund 22 - 24 b vom

31. 3.1971. 76

Vgl. Allgemeiner überblick über die Position der F.D.P. - W/IB 5vom 13.4. 1971, S. 2. Vgl. Ausführungen des Abgeordneten Mertes, in: fdk-Tagesdienst vom

221353 77

30.3.1971.

151

8.4. CDU/CSU

den müßten. So sollten die Vorschriften über die "Pressefusionskontrolle" in das Presserechtsrahmengesetz78, die Vorschriften über die Versorgungswirtschaft (Ausnahmebereiche) in das Energiewirtschaftsgesetz 79 aufgenommen werden. Die SPD-Fraktion dagegen hatte lange Zeit auf der zweiten Möglichkeit bestanden. In dem Koalitionsgespräch einigten sich dann die SPD- und F.D.P.-Fraktionen auf die "Schwerpunktnovelle". Die SPD-Fraktion konnte durchsetzen, daß einige ihrer Forderungen in den Regierungsentwurf vom 19.5.1971 80 aufgenommen wurden, wie z. B. -

die

sofortige

Vollziehbarkeit

kartellbehördlicher

Verfügungen

(§ 63 a)8! und

-

die Marktbeherrschungsvermutung in § 22 Abs. 1 und 282 .

In den anderen von der F.D.P.-Fraktion vorgeschlagenen Änderungen gelangten die Koalitionspartner schnell zu einer Einigung. SeIhst die Marktbeherrschungsvermutung in § 22 wurde von der F.D.P.Fraktion in ihrem materiellen Gehalt akzeptiert. Allerdings befürchtete sie, daß gerade diese Änderung bei den Interessenverbänden auf heftigen Widerstand stoßen und dadurch die Verabschiedung der Novelle verzögert werden könnte 83 . Die SPD-Fraktion, die den Versuch machte, die Umsatzerlöse in § 23 Abs. 1 von 1 Mrd. DM auf 500 Mil!. DM zu senken, mußte von diesem Änderungsantrag absehen. Die F.D.P.-Frakti on gab nämlich zu bedenken, daß nach den neu esten vom Kartellamt errechneten Zusammenschlüssen von 1970 mehr als zwei Drittel der Zusammenschlüsse in den Milliardenbereich fallen würden. Diese Zahl sei für die Fusionskontrolle fast mehr als ausreichend84 . 8.4.

enu/esu

8.4.1. Die Haltung der CDU zur Wettbewerbspolitik Die CDU geht aus vom Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, deren Grundlagen Leistung und soziale Gerechtigkeit, Wettbewerb und Solidarität, Eigenverantwortung und soziale Sicherung sind und die zur Entwicklung und zur Sicherung der persönlichen Freiheit, Gleichheit der Chancen, des Eigentums, des wachsenden Wohlstandes und sozialen 78 Gespräch mit dem Geschäftsführer des Arbeitskreises lIder F.D.P.Fraktion, Hübner, vom 10. 10. 1972. 79 Vgl. Verhandlungsgrundlage für die Koalitionsgespräche zur Kartellnovelle der F.D.P.-Fraktion vom 26. 4. 1971. 80 Vgl. BTags-Drucksache VI/2520 vom 18. 8. 1971. 81 Vgl. FAZ vom 3. 5. 1971, S. 13. 82 Vgl. Allgemeiner überblick, S. 10/11. 83 Vgl. Verhandlungsgrundlage, S. 31. 84 Vgl. ebenda, S. 31.

152

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

Fortschritts dient 85 . Im Wettbewerb sieht die CDU das "leistungsfähigste ökonomische Lenkungsinstrument" , dem im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft eine "überragende gesellschaftspolitische Funktion" zukommt86 . In ihrem Berliner Programm87 stellte die CDU einige Forderungen auf, die ihr für eine effektive Wirtschaftspolitik als notwendig erschienen: -

Eine nationale Wettbewerbspolitik müsse entsprechend der europäischen Entwicklung und der fortschreitenden Öffnung der Märkte ausgestaltet werden.

-

Die Konzentrationsbewegung sollte nur dann behindert werden, wenn der Wettbewerb wesentlich beeinträchtigt werde.

-

Die Möglichkeit, Mißbrauch wirtschaftlicher Machtausübung zu verhindern, sieht die CDU am ehesten durch ein nicht an Weisungen gebundenes Kartellamt gegeben. Zur Kontrolle des Wettbewerbs dürften keine Institutionen entstehen, die als Mittel einer dirigistischenWirtschaftspolitik mißbraucht werden könnten 88 .

-

Die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen müsse durch verstärkte Zusammenarbeit gefördert werden. Allein dadurch könne eine ausgewogene Struktur von Klein-, Mittel- und Großbetrieben gewährleistet sein89 .

Die Aufwertung des Kartellamtes hatten die Sozialausschüsse der CDU, deren bekannteste Sprecher Katzer, Vogt und Blüm sind, durchgesetzt mit Hilfe der Mittelständler gegen den starken Wirtschaftsflügel der CDU90. In diesem Punkte stützten sich die Sozialausschüsse auf die Beschlüsse der Bundestagung der Sozialausschüsse in Oldenburg: ". .. Viele leistungsfähige kleine und mittlere Unternehmen werden in ihrer Existenz und Entwicklung bedroht. - Deshalb müssen die marktstarken Unternehmen in ihrem Verhalten am Markt einer verschärften Kontrolle unterworfen werden. Beabsichtigte Konzentrationen müssen einer unabhängigen Monopolkommission rechtzeitig angezeigt werden. Das Bundeskartellamt muß ein Widerspruchsrecht gegen wettbewerbsbeschränkende Konzentrationen haben. 85 Vgl. Das Berliner Programm der CDU 2. Fassung, verabschiedet auf dem 18. Bundesparteitag vom 25. - 27. 1. 1971 in Düsseldorf, in: Flechtheim, 0.: Dokumente, 9. Bd., S. 43. 86 Vgl. ebenda, S. 45. 87 Ebenda, S. 10 ff. 88 Vgl. Das Berliner Programm der CDU - 2. Fassung, S. 45. 89 Vgl. ebenda, S. 46. 90 Der Spiegel 4111971, S. 62/63.

8.4. CDU/CSU

153

-

Vorhandene marktbeherrschende Unternehmungen müssen auf Anforderung der unabhängigen Monopolkommission über ihr Marktverhalten und ihre Preisabsprachen Auskunft geben.

-

Die Preisbindung der zweiten Hand ist als verbraucherfeindliche Marktstrategie unverzüglich abzuschaffen, zumal durch das internationale Ungleichgewicht der ausländische Wettbewerb vom deutschen Markt ferngehalten wird91 ." 8.4.1.1. Die Einflußnahme der CDU/CSU auf die Neugestaltung des GWB

Die CDU/CSU war lange Zeit nicht bereit, von dem von Erhard erarbeiteten und von ihr unterstützten Konzept des GWB abzuweichen. Änderungsanträge der Opposition wurden zumeist abgelehnt92 • Erst Mitte der sechziger Jahre machte sich ein Wandel in der Haltung der cI5u bemerkbar. Der von der CDU/CSU unterstützte Regierungsentwurf vom 10.6.196493 sah teils eine Verschärfung, teils eine Abmilderung des GWB vor: Die Ausnahmebereiche bei den Kartellen wurden erweitert, die Mißbrauchsaufsicht über preisbindende Unternehmen und vertikale Ausschließlichkeitsverträge verschärft. Die Kartellbehörde erhielt größere Eingriffsmöglichkeiten. Dem Vorschlag Schillers, die materiellen Zulassungsvoraussetzungen und das Zulassungsverfahren für vertikale Preisbindungen bei Markenwaren neu zu regeln, stand die CDU/CSU ablehnend gegenüber 94 • Nachdem mit der Regierungserklärung Brandts (1969) feststand, daß die erste sozialliberale Koalition eine Änderung des GWB in Angriff nehmen wollte, bildete der Arbeitskreis II der CDU/CSU-Bundestagsfraktion 95 eine Arbeitsgruppe "Wettbewerb"96, deren Leitung der Abgeordnete Frerichs 97 übernahm. Die Aufgabe der Arbeitsgruppe war es, 91 ,,33 Oldenburger Thesen", beschlossen auf der 13. Bundestagung der Sozialausschüsse der CDU/CSU am 6.7.1969 in Oldenburg, in: Soziale Ordnung (Christlich-Demokratische Blätter der Arbeit), hrsg. von der JakobKaiser-Stiftung e. V., Köln, S. 6. 92 Vgl. Kapitel 8.1.2. 93 Vgl. BTags-Drucksache IV/2564. 94 Vgl. BTags-Drucksache VI!2520, S. 14. 95 Vorsitzender des Arbeitskreises 11 "Wirtschaft und Ernährung war Dr. Müller-Hermann, stellv. Vorsitzende Dr. von Bismarck, Dr. Dollinger und Russe. 96 Der Arbeitsgruppe gehörten u. a. an: die MdB Stoltenberg, Stein, Müller-Hermann, Dichgans, Warnke, von Bismarck, Freiwald, Erhard, Höcherl, Gewandt und vom AK 11 Klunker. 97 Dr. Frerichs, seit 1946 CDU-Mitglied, war seit 1965 Bundestagsabgeordneter, handelspolitischer Beirat des Bundestages, Vorstandsmitglied des Diskussionskreises Mittelstand der CDU/CSU-Fraktion. Seit 1969 ist er Vorstandsmitglie der Andreae-Noris-Zahn AG und Mitglied des Wirtschaftsausschusses des Bundestages.

154

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

die Ansichten der verschiedenen Gruppen und Vereinigungen innerhalb der CDU/CSU zu einer einheitlichen "Arbeitskonzeption" für die Fraktion zu koordinieren und einen Initiativantrag der CDU/CSU zur Novellierung des Kartellgesetzes vorzubereiten 98 • Diesem Zweck dienten auch die Beratungen der Arbeitsgruppe in einer Vielzahl von Sitzungen ab Ende 1969, zu denen auch Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft geladen und gehört wurden. Während der gesamten Beratungszeit, besonders in der ersten Phase bestanden Kontakte zu den Verbänden, Vertretern des Bundeskartellamtes und dem Bundesminister für Wirtschaft, insbesondere zu MR Kartte. Schon Anfang 1970 beabsichtigten die beiden CDU-Abgeordneten Gewandt und Frerichs, eigene Formulierungen zur Kartellnovelle vorzulegen. Dazu wollten sie einzelne Firmen befragen und ihren Entwurf mit der EG-Kommission abstimmen. Die Vorschläge sollten "nicht nur dem aktuellen Stand der theoretischen Erkenntnisse entsprechen, sondern auch den Wirtschaftspraktikern einleuchten"9D. Zu einer entsprechenden Vorlage kam es jedoch nicht, da das Wirtschaftsministerium diesem Vorhaben mit seinem Referentenentwurf vom 20.3.1970 zuvorkam. Da die Meinungsbildung innerhalb der CDU/CSU-Fraktion zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war, konzentrierte sich ihre Tätigkeit zunächst auf die Kritik am Entwurf, die sich in der Hauptsache auf die Stellung des Bundeskartellamtes und seine Abhängigkeit vom Wirtschaftsministerium konzentrierte. Die Fraktion der CDU/CSU schlug vor - im Gegensatz zum Regierungsentwuri -, das Bundeskartellamt in eine Behörde nach dem Vorbild der Bundesbank umzuwandeln 10D . Darauf zielte die Einschränkung der Gemeinwohlklausel (§ 8) und die Einschränkung des Weisungsrechts des Wirtschafts ministers an das Bundeskartellamt (§ 49)1°1. Gleichzeitig gab es aber auch Bestrebungen innerhalb der CDU/CSU-Fraktion, die die überwachung der Fusionskontrolle einer unabhängigen Monopolkommission übertragen wollten102 . Diese beiden unterschiedlichen Aussagen zu nur einem Problemkreis der Kartellnovelle zeigte, daß es innerhalb der CDU/CSU-Fraktion noch kein gemeinsames Konzept zur GWB-Novelle gab. Um die Arbeiten voranzutreiben, veranstaltete dann die Arbeitsgruppe "Wettbewerb" am 9./10. 7. 1970 ein Hearing mit den Spitzenverbänden der Industrie. Aufgrund der Ergebnisse dieses Hearings und des Düsseldorier Parteitages vom 25. - 27.1. 1971 wurde immer deutlicher, daß Vgl. Brief von Frerichs an den Verfasser vom 26. 6. 1974. Volkswirt 511970, S. 2. 100 Vgl. Industrie-Kurier vom 9.4. 1970. 101 Vgl. ebenda. 102 Vgl. FAZ vom 25.4.1970. 9B

99

8.4. CDU/CSU

155

sich die CDU für die Fusionskontrolle einsetzte und ein an Weisungen nicht gebundenes Kartellamt befürwortete103. Mitte März 1971 gab dann die Arbeitsgruppe "Wettbewerb" eine Vorlage zum Kartellgesetz 104 heraus, die zumindest in der Frage der Fusionskontrolle mit den Vorschlägen des Wirtschaftsministeriums übereinstimmte105 . In dem Entwurf fanden sich nicht die im Referentenentwurf vom 28. 10. 1970 vorgesehenen gesetzlichen Vermutungen über das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung anhand von bestimmten Marktanteilen (§ 22 Abs. 2). Die Verfasser der Vorlage gingen dabei von der Vorstellung aus, daß in vielen Fällen noch nicht absehbar sei, ob der nationale Markt überhaupt das für Marktstellungen relevante Kriterium bleiben werde, wenn die europäische Wirtschaftsgemeinschaft ausgebaut und erweitert worden seP06. Die präventive Fusionskontrolle sollte wie im Referentenentwurf nur bei Zusammenschlüssen mit mehr als einer Milliarde DM Umsatz eingreifen. Die Prüfung der Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung sollte das Kartellamt vornehmen, das außerdem die Wirkung des Zusammenschlusses auf die gesamte Wettbewerbssituation zu würdigen habe. Dem Wirtschaftsminister wollte die CDU nur eine ganz allgemein gefaßte Ausnahmekompetenz zubilligen, wenn "die Wettbewerbsbeschränkung durch den Zusammenschluß im besonderen Fall durch gesamtwirtschaftliche Vorteile aufgewogen wird"lo7. Er sollte eine vom Kartellamtsbeschluß abweichende Entscheidung im Bundesanzeiger begründen und eine "Weisung im Einzelfall" an das Kartellamt im Fusionskontrollverfahren veröffentlichen108. Eine Bagatellklausel sollte die Fusion mit Unternehmen bis zu 75 Mill. DM Umsatz vom Fusionsverbot freistellen. Die Vorlage fand jedoch nicht die Zustimmung der Gesamtfraktion der Partei und wurde daher nicht in den Bundestag eingebracht. Ein umstrittener Punkt in der Fraktion war und blieb die Zuständigkeit des Bundesministers für Wirtschaft bei der Fusionskontrolle 109. Als Alternativen wurden in der CDU nämlich vier verschiedene Möglichkeiten diskutiert: 1. Das Bundeskartellamt sollte eine bundesunmittelbare juristische

Person des öffentlichen Rechts (Bundesoberbehörde) und von Wei-

Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 22. 2.1971. Vgl. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB, Antrag der CDU/CSU vom 19.3.1971. 105 Vgl. BMWF-Dokumentation Nr. 144 vom September 1971, S. 9. 106 Vgl. FAZ vom 11. 3.1971, S. 13. 107 Vgl. ebenda, S. 13. 108 Vgl. ebenda, S. 13. 100 Vgl. Entwurf der Arbeitsgruppe "Wettbewerb" vom 19.2.1971, S. 5. 103

104

156

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

sungen der Bundesregierung unabhängig sein. Diese Lösung vertrat ein großer Teil der CDU-Fraktion. 2. Die Fusionskontrolle sollte durch ein unabhängiges Kartellgericht vorgenommen werden, das durch Richter besetzt werden sollte. Hierfür hatten sich die Sozialausschüsse der CDU entschieden. 3. Beim Bundeskartellamt sollte als weitere Beschlußabteilung mit einem Vorsitzenden und vier Beisitzern eine Fusionskommission eingerichtet werden, die von Weisungen des Präsidenten des Kartellamtes unabhängig sein sollte l1O • Wichtig in allen Lösungsvorschlägen war die Betonung der politischen Unabhängigkeit der entscheidenden Institution: Alle drei Institutionen sollten nicht an die Weisungen der Bundesregierung bzw. des Bundeswirtschaftsministers gebunden sein. Hinzu kam noch der Vorschlag der CDU, die der "Ministerfusion" den Vorrang gablli. Da nunmehr vier Modelle in der Diskussion waren, mußte die Arbeitsgruppe "Wettbewerb" versuchen, innerhalb der Gesamtfraktion eine Entscheidung herbeizuführen, die sich auf eine der Lösungsvorschläge oder auf eine Kombination der verschiedenen Vorschläge festlegte. Auch nachdem sich die Koalitionsfraktionen von SPD und F.D.P. auf einen gemeinsamen Vorschlag geeinigt hatten, der Regierungsentwurf eingebracht war (19. 8. 1971) und das Wirtschaftsministerium die CDU/CSU-Fraktion aufgefordert hatte, Gegenvorschläge in Gesetzesform vorzulegen112 , konnte sie sich in der Kompetenzfrage nicht zu einem gemeinsamen Konzept durchringen. Die Mehrheit der Fraktion einigte sich jedoch darauf, daß die Ausübung der Fusionskontrolle durch eine unabhängige Institution (Monopolkommission oder Kartellgericht) vorgenommen werden sollte, da eine "Ministerentscheidung" auch mit Auflagen den "Weg in Dirigismus" eröffne 113 • Über die übrigen Bereiche der Novelle einigte sich die CDU/CSU-Fraktion wesentlich schneller. Dazu trug hauptsächlich bei, daß sie sich auf die Einführung einer nationalen, präventiven Fusionskontrolle geeinigt hatte114 • 110 Vgl. Arbeitsunterlagen der Arbeitsgruppe "Wettbewerb" der CDU!CSUFraktion vom 14.4.1971. 111 Vgl. Kapitel 8.4.2. 112 Damit verfolgte das Wirtschaftsministerium den Zweck, die Koalitionspartner SPD und F.D.P. schneller zu einer Einigung kommen zu lassen. 113 Vgl. CDU!CSU und Kartellgesetznovelle, Arbeitspapier der Arbeitsgruppe "Wettbewerb" vom 4. 2.1972. 114 Vgl. Arbeitspapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 0.0., ohne Datum (aus dem Inhalt ist zu schließen, daß das Arbeitspapier nach dem Regierungsentwurf fertiggestellt wurde).

8.4. CDU/CSU

157

Trotz dieser gleichen Grundvoraussetzung zwischen der Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion ließen sich doch in Einzelfragen unterschiedliche Auffassungen nicht verkennen. Die wichtigsten Kritikpunkte der CDU/CSU-Fraktion waren: 1. Die Stellung des Wirtschafts ministers im Fusionskontrollverfahren

sei zu groß. 2. Die Formulierung bei der Kooperationserlaubnis (§ 5 b) "wenn dadurch der Wettbewerb auf dem Markt nicht wesentlich beschränkt wird" - sei enger als die des "Arbeitspapiers" der CDU/CSUFraktion - "wenn sie einen wesentlichen Wettbewerb auf dem Markt bestehen lassen" - und erschwere damit die erwünschte Kooperation der kleinen und mittleren Unternehmen115 • 3. Durch die Vermutungsklauseln in § 22 Regierungsentwurf (40 0/0 Marktanteil und gleichförmiges Verhalten von Oligopolisten) würde der Dirigismus verstärkt116 • 4. Wesentliche Unterschiede bestünden im § 24 ades Regierungsentwurfs, der im Gegensatz zum Arbeitspapier der CDU/CSU-Fraktion die Anmeldung eines Zusammenschlusses beim Kartellamt dann vorschreibe, wenn mindestens zwei der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von jeweils einer Milliarde DM oder mehr hätten. Darin liege eine Verschärfung der Fusionskontrolle117 • 5. Eine rückwirkende Geltung des Gesetzes ab 19. Mai 1971, wie sie der Regierungsentwurf vorsehe, sei für die CDU/CSU-Fraktion nicht annehmbar llB • 6. § 23 GWB sollte erhalten bleiben. Die Berechnung der Marktanteile, der Beschäftigtenzahl und der Umsatzerlöse für fusionierende Unternehmen könne in § 22 übernommen werden119• 8.4.2. Das Verhältnis von CDU und CSU in der

Diskussion um die Kartellnovelle

Die Verzögerungen in den Beratungen der CDU/CSU-Fraktion und das späte Zustandekommen eines gemeinsamen Entwurfs waren in 115 Vgl. a) Arbeitspapier der CDU/CSU-Fraktion, § 5 b Abs. 1; b) Anhang zum Arbeitspapier der CDU/CSU-Fraktion, S. 1. 116 Vgl. a) Arbeitspapier der CDU/CSU-Fraktion, § 22 Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz; b) Anhang zum Arbeitspapier der CDU/CSU-Fraktion, S. 1. 117 Vgl. a) Arbeitspapier der CDU/CSU-Fraktion, § 24 a, Abs. 1 Satz 2; b) Anhang zum Arbeitspapier der CDU/CSU-Fraktion, S. 1. 118 Vgl. Anhang zum Arbeitspapier der CDU/CSU-Fraktion, S. 8. 119 Vgl. ebenda, S. 3.

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

158

nicht unerheblichem Maße auf die unterschiedlichen Auffassungen der CDU-Fraktion und der CSU-Landesgruppe zurückzuführen. Obwohl sich beide Gruppen für die Einführung einer Fusionskontrolle aussprachen120 , waren sie sich in der Ausgestaltung nicht einig. Während nämlich die CDU-Fraktion für die Einführung einer nationalen Fusionskontrolle eintrat, forderte die CSU eine Fusionskontrolle im Rahmen eines EG-Kartellrechts. Zu dieser Auffassung war die CSU durch die Einwirkung der Industrie gelangt, die den Wirtschaftssprecher der CDU/CSU-Fraktion, Strauß, gebeten hatte, richtungsweisend Einfluß zu nehmen: Da in den nächsten Jahren ohnehin ein EWG-Kartellrecht zu erwarten sei, sei jeder vorschnelle westdeutsche Gesetzeszwang zu verschärftem Wettbewerb unzweckmäßig und gefährlich121 . Solange jedoch eine EG-Regelung noch nicht in Kraft war, plädierte die CSU für die "Ministerlösung" bei der Fusionskontrolle, während die CDU für die Einführung einer unabhängigen Institution (Monopolgericht oder weisungsfreie Monopolbehörde) eintrat. Im Arbeitspapier der CDU/CSU-Fraktion dagegen erschien keine der beiden Möglichkeiten. Danach sollte die Entscheidungsbefugnis beim Bundeskartellamt als Bundesbehörde liegen, der Wirtschaftsminister nur in besonderen Fällen eingreifen122 • Diese Art der Problemlösung ließ zwei Möglichkeiten der Auslegung zu: 1. Die Haltungen der bei den Parteien waren zu starr, um die eine oder

andere Seite zum Nachgeben zu bewegen.

2. Beide Parteien waren in "Zugzwang"123 geraten, d. h. sie hatten im Frühjahr 1971 noch nicht mit dem Regierungsentwurf gerechnet, mußten aber als Opposition zu dem Entwurf Stellung nehmen. Zu einer Einigung der beiden Vorschläge konnte es aus zeitlichen Gründen nicht kommen.

Es ist wohl eher der ersten These zuzustimmen, zumal, wenn man bedenkt, daß Röcherl, Vorsitzender des Arbeitskreises III (Haushalt, Steuern, Finanzen) der CDU/CSU-Fraktion, angesprochen auf die Beschlüsse des Düsseldorfer Parteitages der CDU zu Wettbewerbsfragen, sagte: "Das geht mich von der CSU überhaupt nichts an, wenn die Herren von der CDU auf ihrem Parteitag etwas beschließenl24." Die Uneinheitlichkeit und das lange Zögern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, mit konkreten Vorschlägen zur Kartellnovelle an die Öf120 121 122 123

tU

Vgl. Gespräch mit Frerichs (CDU) am 29. 8. 1972. Vgl. Der Spiegel 4111971, S. 62. Vgl. Arbeitspapier der CDU/CSU, § 24. Vgl. Gespräch mit Kartte vom 15.8.1972. Der Spiegel 4111971, S. 65.

8.4. CDU/CSU

159

fentlichkeit zu treten, erklärte nicht nur die unterschiedliche Auffassung der CDU und CSU, sondern auch die Tatsache, daß es innerhalb der CDU verschiedene Gruppierungen gab, die schon vom Ansatz her mit unterschiedlichen Auffassungen an die Novellierung des GWB herangingen. 8.4.3. Die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU

Die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU125, in der sich mittelständische Unternehmer, Gewerbetreibende, freiberuflich Tätige und leitende Angestellte der CDU/CSU zusammengeschlossen haben, legte bereits 1969 126 ihre Vorstellungen zur Mittelstandspolitik dar, die als "Grundlage für die Mittelstandspolitik der CDU/CSU"127 dienen sollten. Ihre Vorschläge unterschieden sich im wesentlichen nicht von denen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: So trat sie für die Einführung einer Fusionskontrolle ein, wobei die Kontrolle von einem an Weisungen nicht gebundenen Kartellamt vorgenommen werden sollte. Die Eingriffsmöglichkeiten des Kartellamtes müßten noch verstärkt werden. Weiterhin sollten in Zukunft auch jene Wirtschaftszweige in den Geltungsbereich des GWB einbezogen werden, die ihnen bislang noch nicht unterlagen. Dagegen sollten die freien Berufe nicht den Bestimmungen des GWB unterliegen, da sich in diesem Bereich der Wettbewerb in anderen Formen vollziehe 128. Dagegen entsprachen sich die Vorstellungen der Mittelstandsvereinigung und die der Gesamtfraktion der CDU/CSU in einem Punkte nicht völlig. Die Mittelstandsvereinigung, die - von ihrem Selbstverständnis her129 - besonderes Gewicht auf die Bemühungen um verbesserte Möglichkeiten zur Kooperation für mittelständische Unternehmen legte, lehnte die Fassung des § 5 b des Regierungsentwurfs ab, in dem der Begriff der "Koordinierung" verwendet wurde. Die Mittelstandsvereinigung war der Ansicht, daß der Begriff die Kooperationstatbestände nur unzureichend erfasse, da der Erfolg einer verstärkten Rationalisierung im Regelfall erst durch eine gemeinsame Durchführung der koordinierten Tätigkeiten, speziell durch eine Ausgliederung von UnVorsitzender war E. Lampersbach MdB. Auf der 14. Delegiertenversammlung der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU am 27. Mai 1969 in Dortmund. 127 Mittelstandspolitische Leitsätze, 6. Legislaturperiode, beschlossen auf der 14. Delegiertenversammlung, hrsg. von der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU, Bonn, Innenseite des vorderen Umschlages. 128 Vgl. a) ebenda, Kapitel Leistungsorientierte Wettbewerbspolitik, o. S.; b) CDU/CSU-Mittelstandspolitik im fünften Bundestag, Löningen 1969, S. 10. 129 Vgl. dazu: Wirth, K.-B.: Was ist denn eigentlich Mittelstand?, in: Sonderdruck: der Zeitschrift "Der Mittelstand", hrsg. von der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU, Bonn. 126

128

160

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

ternehmensfunktionen auf Gemeinschaftsunternehmen zu erzielen sei. Die "Ausgliederung" müsse deshalb ebenso wie die "Koordinierung" von Unternehmensfunktionen möglich sein 130 • "Als Gegengewicht gegen die Konzentration soll die leistungsteigernde Zusammenarbeit in allen Bereichen der Wirtschaft erleichtert werden. Sie kann vor allem in den Klein- und Mittelbetrieben der gewerblichen Wirtschaft neue Formen der Kooperation ermöglichen, die die Produktivität und Rentabilität der Unternehmen im Sinne einer preisgünstigeren Verbraucherversorgung wesentlich erhöhen können und die Voraussetzungen im Wettbewerb mit den Großunternehmen verbessern 131 ." Es war daher konsequent, wenn sich die Vereinigung für eine Ausdehnung der Mißbrauchsaufsicht von den marktbeherrschenden Unternehmen auch auf die marktstarken Unternehmen aussprach. Diese Regelung sollte auch auf verbandsmäßige Zusammenschlüsse zutreffen132 • 8.4.4. Der Wirtschaftsrat der CDU

Der Wirtschafts rat der CDU133 beschäftigte sich ebenso wie die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU seit 1969 mit der Kartellgesetznovelle. Die besondere Bedeutung, die er der Novelle beimaß, wurde dadurch gekennzeichnet, daß er eigens eine Kommission bildete, die sich ausschließlich mit den verschiedenen Bereichen der Novelle auseinandersetzen sollte. Die Kommission "Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsrecht" war eingerichtet worden zur Beratung des Vorstandes, zur Information für die politischen Gremien und zur Kommunikation zwischen Wirtschaft und Politik134 • Die Mitglieder der Kommission135 waren Experten auf dem Gebiet des Wirtschafts rechts, speziell des Kartellrechts, wobei ein Teil als Abgeordnete in parlamentarischen oder in parteiinternen Gremien arbeitete, ein anderer Teil als CDUMitglieder oder der CDU nahestehend Spitzenfunktionen in Unternehmen innehatte. Bei einigen Mitgliedern trafen beide Funktionen zu130 Vgl. Frerichs, G.: Mittelstand und Wettbewerbspolitik Kooperation und Wettbewerbsordnung, in: Wettbewerb in Recht und Praxis 5/72, S. 249. 181 Ebenda, S. 249. 132 Vgl. ebenda, S. 249. 133 Der Wirtschaftsrat der CDU wurde in Bonn als eine formell von der CDU unabhängige Institution gegründet, die auch solchen Unternehmern Möglichkeiten politischer Einflußnahme geben sollte. 134 Vgl. Ergebnisprotokoll über die Sitzung der Kommission 1 "Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsrecht" des Wirtschaftsrates der CDU e. V. am

19. 6. 1970, S. 1.

135 Der Kommission gehörten an: Dr. Adenauer, Deringer, Dr. Frerichs MdB, Dr. Hoffmann, Leo, Prof. Dr. Müller-Armack, Tesmann, Dr. Benisch, Dr. Stoltenbreg MdB, Dr. Arntz, van Delden MdB, Pröbsting, Dr. Schleifenbaum, Dr. Schwarz-Schilling MdL, Sölter, Wirtz, Dr. von Bismarck MdB, Schmidhuber, Dr. Starck.

8.4. CDU/CSU

161

sammen, wie etwa bei Dr. Frerichs und Dr. von Bismarck. Eine weitere Gruppe war für Wirtschaftsverbände tätig, wie Sälter (BDI) und Benisch (BDI). Der Kontakt zwischen dem Wirtschaftsrat und der CDU/CSU-Fraktion war besonders gut, zumal CDU-Abgeordnete Mitglieder im Wirtschaftsrat waren, wie etwa Dr. von Bismarck, Dr. Frerichs und van DeZden. Besonders positiv auf die Arbeit der Kommission wirkte sich die Mitarbeit des Abgeordneten Frerichs aus, da er der Leiter der Arbeitsgruppe "Wettbewerb" der CDU/CSU-Fraktion und Mitglied des Wirtschafts ausschusses des Bundestages war. Dadurch wurde gewährleistet, daß der Wirtschaftsrat über alle Phasen der parlamentarischen Arbeit am Gesetz genauestens informiert war. Zudem bestanden zwischen dem Wirtschaftsrat und den Fraktionen der SPD und F.D.P. Kontakte 136•

8.4.4.1. Wirtschafts,rat und Kartellnovelle Sofort nach Vorliegen des ersten Referentenentwurfs vom 20.3.1970 befaßte sich die Kommission "Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsrecht" mit den vom Wirtschaftsministerium vorgeschlagenen Änderungen des GWB. Sie brauchte sich nicht mit allen anstehenden Bereichen zu beschäftigen, da entweder -

weitgehend Einvernehmen unter den Mitgliedern bestand (z. B. Bagatellkartelle) oder

-

der im Herbst zu erwartende Referentenentwurf Themen aufgrund des Koalitionsabkommens zwischen SPD und F.D.P. von vornherein ausklammerte oder

-

andere Kommissionen des Wirtschaftsrates mit Teilaspekten der Novelle befaßt waren (z. B. die Kommission "Energiepolitik" mit § 103 GWB).

In den verschiedenen Stellungnahmen lehnte der Wirtschaftsrat der CDU eine Fusionskontrolle im Rahmen des nationalen Rechts ab mit der Begründung, eine Begrenzung des "relevanten Marktes" könne nur auf EWG-Ebene, wenn nicht sogar auf weltweiter Ebene vorgenommen werden 137 • Gegen die Schaffung einer nationalen Fusionskontrolle führte der Wirtschaftsrat folgende Argumente an: -

Der Markt für die exportintensive deutsche Industrie werde nicht durch den Hoheitsbereich der Bundesrepublik begrenzt. Die Struk-

136 Vgl. Gespräche mit Hübner (F.D.P.-Fraktion) und Bertsch (SPD-Fraktion) vom 29. 10. 1973. 137 Vgl. a) Ergebnisprotokoll über die Sitzung der Kommission 1 "Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsrecht" des Wirtschaftsrates der CDU e. V. am 19.6.1970, S. 2; b) Ergebnisprotokoll vom 19. 10. 1970, S. 2.

11 Jäckering

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

162

turentwicklung der deutschen Unternehmen müsse daher unter weiteren Markträumen beurteilt werden. -

Die deutschen Unternehmen würden in der internationalen Unternehmensverflechtung isoliert.

-

Die Integration der europäischen Wirtschaften werde gestört.

-

Die deutsche Kartellaufsicht sei nicht kompetent, übernationale Absatzräume zu prüfen. Sie könne daher die außerhalb ihres Hoheitsgebietes liegenden Verhältnisse nicht hinreichend berücksichtigen 138 •

-

Eine deutsche Regelung sei eine nicht erforderliche Vorleistung für ein europäisches Kartellrecht1 s9 •

Andererseits erkannte der Wirtschaftsrat aber auch, daß eine Fusionskontrolle auf EWG-Ebene in absehbarer Zeit nicht erwartet werden könnte. Sollte sie jedoch erreicht werden, breche sie als europäisches das nationale Recht140 • In der Frage, ob überhaupt die Fusionskontrolle als "Instrument der Ordnungspolitik"141 anzuerkennen sei oder nicht, kam es im Wirtschaftsrat zu einer heftigen Debatte. Während sich der größere Teil der Mitglieder für die Formulierung aussprach, legten einige Mitglieder dagegen Widerspruch ein 142• Alle waren sich jedoch darüber einig, daß nicht die Größe eines fusionierenden Unternehmens, sondern die mögliche davon ausgehende Wettbewerbsbeschränkung einer Kontrolle unterliegen sollte. Die steigende Zahl der Fusionsfälle könne allein über die Gefahren für den Wettbewerb nichts aussagen, solange diese nicht substantiell dargelegt würden143 • Gegen die vorbeugende Fusionskontrolle spreche auch das Argument, daß ein für künftige Entwicklungen geschaffenes Instrumentarium schon zur Unzeit eingesetzt werden und für die Strukturentwicklung mehr gesamtwirtschaftliche Schäden als Vorteile verursachen könne 144 • Die für die Fusionskontrolle wesentliche Frage, ob eine Fusion wettbewerbsschädlich sei, lasse sich nicht mit größenbezogenen Kennziffern wie Marktanteil, Beschäftigtenzahl oder Umsatz beantworten. Die Fusionskontrolle solle sich lediglich auf "große Fälle" beschränken. Dafür spreche, daß 138 Vgl. Systematische übersicht über die Vorschläge zur Änderung des GWB, Arbeitspapier der Kommission 1, September 1970, S. 15. 139 Vgl. Ergebnisprotokolle, S. 2. 140 Vgl. ebenda, S. 2. 141 Vgl. Ergebnisprotokoll über die Sitzung der Kommission 1 "Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsrecht" des Wirtschaftsrates der CDU e. V. am

23.9. 1970, S. 1. 142 143 144

Vgl. ebenda, S. 1. Vgl. Ergebnisprotokoll vom 19. 6. 1970, S. 2. Vgl. Systematische übersicht, S. 14.

8.4. CDU/CSU

163

-

die gravierendsten Fälle bei den großen Unternehmen lägen und

-

den mittelständischen Unternehmen nicht die Möglichkeit genommen werde, sich anzulehnen oder ihre Unternehmen zu veräußern14S • Daher forderte der Wirtschafts rat, die Grenzen im Referentenentwurf vom 20. 3.1970 heraufzusetzen146 •

Die politisch zu entscheidende Frage im Zusammenhang mit der Fusionskontrolle war, wer oder welche Institution letztlich über die Genehmigung einer Fusion entscheiden sollte. Sämtliche Mitglieder der Kommission waren sich darin einig, daß das Kartellamt keine zu große Machtbefugnis erhalten dürfe und die Zuständigkeit bei einem unabhängigen Amt liegen sollte147• Einige Mitglieder sprachen sich für eine gerichtliche Stellung der Entscheidungsinstanz aus. Dadurch sollte die Unabhängigkeit gewährleistet und das Verfahren vereinfacht werden, "da eine Entscheidung des Wirtschaftsministers eine gerichtliche Tatsachen- und eine Revisionsinstanz nach sich ziehen könne, eine gerichtliche Entscheidung nur die Revisionsinstanz"148. Einige Zeit später fand der Wirtschaftsrat eine Lösung, die vorsah, daß die Stellung des Kartellamtes "unter Beibehaltung seines derzeitigen Rechtscharakters" faktisch erhalten bleiben sollte149, da eine vollkommene Unabhängigkeit des Amtes verfassungsrechtlich nur schwer durchzusetzen sei. Das könne jedoch nur erreicht werden, wenn die Kriterien für die Entscheidung des Kartellamtes eindeutig im Gesetz geregelt würden150• Ein Vergleich der Stellungnahmen des Wirtschaftsrates und des BDI zu den Schwerpunkten der Novelle zeigte, daß sie sich inhaltlich weitgehend entsprachen. Das war auch zu vermuten, da die Interessenslage der beiden Interessenverbände in etwa die gleiche war. Die ablehnende Haltung gegenüber der Fusionskontrolle wurde dem Wirtschafts rat auch dadurch erleichtert, daß er - obwohl er eine der einflußreichsten Interessenvertretungen innerhalb der Union war - an seiner parteiexternen Position festhielt. Trotz wiederholter Forderungen der Sozialausschüsse der CDU/CSU nach einer offiziellen Integrierung, um eine effiziente Kontrolle zu ermöglichen, blieb der Verband bei diesem Entschluß. Nach eigenen Angaben waren von den rund 1000 UnternehVgl. ebenda, S. 17. Vgl. Ergebnisprotokoll vom 19.6. 1970, S. 2/3. 147 V gl. ebenda, S. 3. 148 Vgl. Ergebnisprotokoll vom 9. 6. 1972, S. 2. Vgl. dazu auch die Ausführungen von Prof. Biedenkopf, ebenda, S. 2/3. 149 Allerdings sollten Regelungen gefunden werden, die das Kartellamt unabhängiger machten. 150 Tätigkeitsbericht 1972 des Wirtschaftsrates der CDU e. V., März 1973, S.12. 145

14&

11·

164

8. Einfluß der Parteien auf die Kartellnovelle

mern, auf die die Hälfte des Gesamtumsatzes in der Bundesrepublik entfiel, rund 80 Prozent im Wirtschaftsrat vertretenl5l • "Demnach wäre der Wirtschafts rat der CDU als eine Organisation industrieller Interessen zu sehen, in der die Großindustrie und das Monopolkapital qualitativ die mitelständischen Unternehmen übertreffen i52 ." Dagegen war die Mittelstandsvereinigung der CDU in die Partei integriert, was durch den engen, personellen Kontakt zum Diskussionskreis Mittelstand der CDU/CSU-Fraktion noch betont wurde. Aufgrund ihrer Interessenlage - im Gegensatz zum Wirtschaftsrat wurde es ihr leichter gemacht, die präventive Fusionskontrolle zu akzeptieren, wohingegen sie die Kooperationserleichterungen in § 5 b ablehnte. Die Vereinigung war der Ansicht, daß nicht nur die Kooperation zwischen kleinen und mittleren Betrieben gefördert werden müsse; vielmehr müßten den kleinen und mittleren Unternehmen auch Möglichkeiten gegeben werden, gemeinsame Unternehmen zu gründen.

8.5. Zwischenbilanz Die vier im Bundestag vertretenen Parteien erkannten die Notwendigkeit einer Novellierung des Kartellgesetzes als unbedingt erforderlich. Trotzdem wurden bei der Ausgestaltung der einzelnen Schwerpunkte sowohl innerhalb der beiden Koalitionsparteien SPD und F.D.P. als auch zwischen den Oppositionsparteien CDU und CSU gegensätzliche Auffassungen sichtbar, die in langwierigen Verhandlungen ausgeräumt werden mußten. In der SPD-Fraktion war man sich über die Ausgestaltung der Kartellnovelle verhältnismäßig schnell einig. Sie mußte allerdings ihrem Koalitionspartner einige Zugeständnisse machen, um bei ihm nicht auf eine grundsätzliche Ablehnung zu stoßen. In den drei Hauptpunkten der Novelle (Kooperationserleichterungen, Fusionskontrolle, Mißbrauchsaufsicht) konnte die SPD-Fraktion ihre Forderungen weitgehend durchsetzen. Dafür erreichte die F.D.P.-Fraktion, daß alle Vorschläge, die nicht diese drei Bereiche betrafen (z. B. Ausnahmebereiche, "Pressefusionskontrolle" , Preisbindung), aus den Koalitionsverhandlungen über die Kartellnovelle ausgeklammert wurden ("Schwerpunktnovelle"). Ihren Niederschlag fanden die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen im Regierungsentwurf. 151 Vgl. Hamann, R.: Politische Soziologie für den Sozialkundeunterricht, Hamburg 1974, S. 69170. 152 Dittberner, J.: Der Wirtschaftsrat der CDU e. V., in: Dittberner I Ebbinghausen (Hrsg.): Parteiensystem in der Legitimationskrise, Studien und Materialien zur Soziologie der Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1973, S. 215.

8.5. Zwischenbilanz

165

Die CDU/CSU-Fraktion konnte sich zumindest in der Zeit bis zum Regierungsentwurf auch nach vielfachen Verhandlungen innerhalb der Fraktion nicht zu einem gemeinsamen Konzept durchringen. Während nämlich die CDU-Fraktion für die Einführung einer nationalen Fusionskontrolle eintrat, plädierte die CSU-Landesgruppe für eine Fusionskontrolle im Rahmen des EG-Kartellrechts. Ebenso war man in der Kompetenzfrage geteilter Meinung: Die CSU-Landesgruppe setzte sich für die "Ministerlösung" ein, die CDU-Fraktion für die Einführung einer unabhängigen Institution. Trotz dieser Einwände von seiten der CSU-Landesgruppe setzte die CDU-Fraktion ihr Konzept durch. Im Gegensatz zur Regierungskoalition verblieb den Unionsfraktionen mehr Zeit zu Verhandlungen, da sie erst konkret während der Beratungen des Bundestages über ein eigenes Konzept verfügen mußten. Dagegen standen die SPD- und F.D.P.-Fraktionen unter dem Zwang, schon dem Regierungsentwurf ihre Zustimmung geben zu müssen.

9. Die Auseinandersetzungen um die Kartellnovelle in den parlamentarischen Gremien 9.1. Der Bundesrat1 Die Empfehlungen, die der Wirtschaftsausschuß und der Rechtsausschuß des Bundesrates2 am 25. Juni 1971 dem Bundesrat zuleiteten, wurden vom Plenum gebilligt. In seiner Stellungnahme erklärte sich der Bundesrat grundsätzlich mit den Vorschlägen des Regierungsentwurfs einverstanden. In drei Punkten allerdings ging er nicht mit den Vorschlägen der Regierung konform: a) Um die Zusammenarbeit zwischen kleinen und mittleren Unternehmen zu erleichtern, war in dem neu eingeführten § 5 b Regierungsentwurf vorgesehen, die Koordinierung von Unternehmensfunktionen vom Kartellverbot des § 1 freizustellen, wenn der Wettbewerb dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt werde. Die Länder dagegen empfahlen in ihrer Stellungnahme der Bundesregierung, daß Preisabsprachen nicht zu diesen Unternehmensfunktionen zu zählen seien3• Sie waren offensichtlich besorgt, daß mit dieser Bestimmung lokalen Preiskartellen - wie Innungskartellen und Brauereiabsprachen - nunmehr Tür und Tor geöffnet würden und daß sie keine Eingriffsmöglichkeiten hätten4 • Die Bundesregierung dagegen vertrat die Ansicht, durch die allgemeine Mißbrauchsaufsicht seien die Verbraucher ausreichend geschützt5 • b) Zur Mißbrauchsaufsicht über Ausschließlichkeitsverträge (§ 18) vertraten die Länder die Ansicht, das Kartellamt solle die Vertragsbeteiligten nur dann schützen, wenn "eine für den Wettbewerb auf dem Markt erhebliche Zahl von Unternehmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt (würde) "6. Die Regierung hielt jedoch an ihrer Auffassung fest, dieser Schutz sei schon bei einer "Vielzahl von Unternehmen" erforderlich7 • 1

Zum Terminplan vgl. Anhang: Daten zur Kartellgesetznovelle.

z BR-Drucksache 265/1/71 vom 25. 1. 1971.

Vgl. BR-Drucksache 265/71 (Beschluß) vom 9.7.1971, S. 1/2. Vgl. FAZ vom 10.8.1971, S. 11. 5 Vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BTags-Drucksache VI/2520, Anlage 3, S. 43. e BR-Drucksache 265/71 (Beschluß), S. 2. 7 Vgl. BTags-Drucksache VI!2520, S. 43. S

4

9.1. Der Bundesrat

167

c) Eine weitere Empfehlung der Länder berührte die Fusionskontrolle: Paragraph 24 a Regierungsentwurf sah die Meldepflicht für alle Zusammenschlußvorhaben vor, die nach Landesrecht durch Gesetz oder sonstigen Hoheitsakt bewirkt werden sollten. Im wesentlichen zielte diese Bestimmung auf die Fusion von öffentlichrechtlichen Kreditanstalten ab. Die Vorschaltung einer Bundesbehörde ging dem Bundesrat in diesem Punkt zu weit, da das Verfassungs- und Organisationsrecht öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute in die Gesetzgebungskompetenz der Länder falle 8 • Da jedoch in der Vergangenheit schon wichtige Fusionen durch Landesgesetz bewirkt worden waren (z. B. Westdeutsche Landesbank), hielt die Bundesregierung den § 24 a ihres Entwurfs aufrecht mit der Begründung, "die Lückenlosigkeit der Fusionskontrolle müsse erhalten bleiben"o. Zwei Anträge des Landes Rheinland-Pfalz 10 waren zuvor vom Plenum des Bundesrates mit großer Mehrheit abgelehnt worden, da sie "die Substanz der Fusionskontrolle und der Mißbrauchsaufsicht in wesentlichen Punkten aufgeweicht hätten"l1. Das Land Rheinland-Pfalz hatte vorgeschlagen, den § 24 Abs. 1 wie folgt zu fassen: "Wird durch einen Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung geschaffen oder verstärkt und wird diese marktbeherrschende Stellung nicht durch eine Verbesserung der Wettbewerbsvoraussetzungen auf diesen oder anderen Märkten aufgewogen, so hat die Kartellbehörde die in den folgenden Bestimmungen genannten Befugnisse: ...", mit der Begründung, die Neufassung solle klarstellen, "daß die Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung die unmittelbare Folge des Zusammenschlusses sein muß und daß eine bloße Vermutung in dieser Richtung nicht genügt"1!. Der Bundesrat sandte am 9.7.1971 die "Stellungnahme zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB"13 und die beiden Anträge des Landes Rheinland-Pfalz 14 an den Bundeskanzler. Den Regierungsentwurf, die Stellungnahme des· Bundesrates und die Gegenäußerung der Bundesregierung wurden am 18.8.1971 dem Bundestag zur Beratung zugeleitet. Ob die Änderungsvorschläge des Vgl. BR-Drucksache 265/71 (Beschluß), S. 6. Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BTags-Drucksache VII2520 (Anlage 3), S. 45. 10 BR-Drucksache 265/71 und 265/3/71 vom 7. 7. 1971. 11 FAZ vom 10.7.1971, S. 17. 12 BR-Drucksache 265/2/71 vom 7. 7. 1971. 13 BR-Drucksache 265/71 (Beschluß) vom 9. 7. 1971. 14 BR-Drucksache 265/2/71 und 265/3/71 vom 7. 7. 1971. 8

9

168

9. Auseinandersetzungen in den parlamentarischen Gremien

Bundesrates in das neue Gesetz Eingang finden würden, lag nun in der Hand des Bundestages.

9.2. Der Bundestag Der Regierungsentwurf wurde ohne Aussprache vom BundestagiS in erster Lesung am 22. 9. 1971 an die Ausschüsse überwiesen l6 • 9.2.1. Die Beratungen im Wirtschaftsausschuß des Bundestages

In seiner ersten Beratung beschloß der Wirtschaftsausschuß des Bundestages, Hearings zu den Schwerpunkten der Novelle mit Verbänden sowie Professoren und Rechtsanwälten abzuhalten l7 • Die Fraktionen stellten zu diesem Zweck eine Sachverständigenliste (14 Verbände, 10 Professoren und 3 Rechtsanwälte) sowie einen Fragenkatalog zusammen. 9.2.1.1. Die Hearings vor dem Wirtschaftsausschuß des

Bundestages

Die eingeladenen Verbände 18 äußerten sich insbesondere zu den vorgesehenen Kooperationserleichterungen zustimmend; sie wünschten jedoch, daß der Paragraph 5 b nicht nur auf kleine und mittlere Unternehmen beschränkt bleibe, sondern auch auf große Unternehmen ausgedehnt werde. BDI, ASU und der Zentral verband des Deutschen Handwerks plädierten dafür, Preisabreden in die Kooperationserleichterungen mit aufzunehmen 10 • Für eine Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht im Sinne des Regierungsentwurfs traten die ASU, das Handwerk und die Sparkassen neben den Verbraucherverbänden, dem DGB und der DAG ein. Auch Zum Terminplan vgl. Anhang: Daten zur Kartellgesetznovelle. Vgl. Stenographische Berichte des 6. Deutschen Bundestages, 134. Sitzung vom 22. 9. 1971, 7833C. 17 Von der Möglichkeit, Hearings abzuhalten, machte der Bundestag recht selten Gebrauch. Seit 1954 gab es ca. 40 Hearings, die meisten davon in der 5. Wahlperiode 1965 - 1969. Vgl. Beyme, K. von: Interessengruppen in der Demokratie, München 1969, S.169170. 18 Die Positionen der Verbände wurden bereits in einem eigenen Kapitel behandelt. Aus diesem Grunde soll hier lediglich ein zusammenfassender Gesamteindruck wiedergegeben werden; b) Von den 14 eingeladenen Verbänden waren 12 erschienen: DIHT, BDI, ASU, DGB, DAG, Hauptgemeinschaft des Einzelhandels (HDE), BGA, Bundesverband Deutscher Banken, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, Deutscher Raiffeisenverband und Deutscher Genossenschaftsverband. 19 Vgl. Kurzprotokoll der Anhörung der Spitzenverbände durch den Wirt-schaftsausschuß des Bundestages am 8. 12. 1971, S. 2/3 und Übersicht 8. 15

15

9.2. Der Bundestag

169

DIHT, Banken, Handel und Genossenschaften bekannten sich grundsätzlich zu einer wirksamen Mißbrauchsaufsicht; ihnen ging der Regierungsentwurf allerdings zu weit20 . Die Fusionskontrolle lehnte der BDI ab, während DGB und DAG für eine noch schärfere Lösung plädierten. Die ASU stimmte dem Entwurf zu. DIHT und Einzelhandel erkannten den Gedanken einer Fusionskontrolle als richtig an, forderten aber eine mildere Regelung21 . Die Stellungnahmen der übrigen Verbände zur Fusionskontrolle konnten am 8. Dezember 1971 nicht mehr abgegeben werden. Zu erwarten war, daß es teils eine Zustimmung zum Regierungsentwurf (Handwerk, Sparkassen, Verbraucherverbände), teils eine Anlehnung an die DIHT-Linie geben würde (BGA, Banken, Genossenschaften)22 .. Mit überwiegender Mehrheit sprachen sich Professoren und Rechtsanwälte für die im Regierungsentwurf vorgesehene verschärfte Mißbrauchsaufsicht und die Fusionskontrolle aus. Professor Arndt (Berlin) gab jedoch zu bedenken, daß die jetzige Fassung die Marktmacht nicht genügend in den Griff bekomme 23 . Nach den Worten von Prof. Lenel hatte man die Wahl zwischen zwei Übeln: entweder gebe man dem Kartellamt, wie vorgesehen, die nötigen Mittel in die Hand, dann bestehe die Möglichkeit, daß das Amt die Unternehmen am Gängelband führe. Verweigere man dem Kartellamt die Mittel, dann bestehe die viel größere Gefahr, daß die wirtschaftliche Macht nicht in die notwendigen Schranken verwiesen werde 24 . Rechtliche Bedenken am Begriff der "überragenden Marktstellung" machte Prof. Rittner geltend; seiner Meinung nach hätten die daran geknüpften Vermutungskriterien im Verwaltungsrecht nichts zu suchen25 . Von den Anwälten sprach sich Deringer dafür aus, zwei weitere Kriterien, nämlich die Möglichkeit der Unternehmen, auf andere Märkte auszuweichen, und die zeitliche Entwicklung der Marktsituation, mit in das Gesetz aufzunehmen26 . Die Fusionskontrolle wurde von den meisten Wissenschaftlern als "unerläßlich"27 angesehen. Andernfalls werde die Marktwirtschaft unglaubwürdig und funktionsunfähig. 20 Vgl. ebenda, S. 4 - 6 und übersicht 8. 21 Vgl. ebenda, S. 7 - 9 und übersicht 8. 22 Vgl. ebenda, S. 2. 23 Vgl. Kurzprotokoll der Anhörung der Professoren und Rechtsanwälte durch den Wirtschaftsausschuß des Bundestages am 9. 12. 1971, S. 2. 24 Vgl. ebenda, S. 11. 25 Vgl. ebenda, S. 14. 26 Vgl. ebenda, S. 15. 27 Vgl. ebenda, S. 11.

170

9. Auseinandersetzungen in den parlamentarischen Gremien Übersicht 8 Übersicht über die Stellungnahmen der Verbände am 8.12.1972 vor dem Wirtschaftsausschuß des BUlldestages

§ 5b

Gegenstand Anwendungsbereich

Koord. v. Untern. Funkt.

DIHT

Zustimmung zum Reg. Entw.; keine Beschr. auf kleine u. mittl. Unternehmen

Begriff der Koordin. von Unternehmensf. zu eng, auch "Ausgliederung"

BDI

wie DIHT

wie DIHT

ASU

wie DIHT

wie DIHT

DGB

Beschränkung auf kleine u. mittlere Unternehmen

wie Reg. Entw.

DAG

wie DGB

wie Reg. Entw.

Einzelhandel

wie DIHT

wie DIHT

Handwerk

wie DIHT

wie DIHT

BGA

wie DIHT

wie DIHT

Bundesverband Dt. Banken

wie DIHT

wie DIHT

Spark. Verb.

wie DIHT

wie Reg. Entw.

Verbr. Verb.

wie DGB

wie Reg. Entw.

Raiffeisen Verb.

wie DIHT

wie DIHT

Gen. Verb.

wie DIHT

Verband

Forts. nächste Seite

171

9.2. Der Bundestag Gegenstand Verband

§ 22

Überrag. Marktstell.

Gesetz!. Vermutung

DIHT

Begriff zu weit, Gefahr des Dirigismus

nicht praktikabel

BDI

wie DllIT

wie DllIT

ASU

wie Reg. Entw.

wie Reg. Entw.

DGB

wie Reg. Entw.

wie Reg. Entw.

DAG

wie Reg. Entw.

wie Reg. Entw.; Senkung der 40%Grenze auf 25-30%

Einzelhandel

Begriff in § 26 Abs. 2 übernehmen

wie DllIT

Handwerk

wie Reg. Entw.; auch in § 26 Abs. 2

wie Reg. Entw.

BGA

wie DllIT; Konkretisierung des Mißbrauchsbegriffs

wie DllIT

Bundesverb. Dt. Banken

wie DllIT

wie DllIT

Spark. Verb.

wie Reg. Entw.

wie Reg. Entw.

Raiffeisen Verb.

wie Reg. Entw.

wie Reg. Entw.

Gen. Verb.

Begriff in § 26 Abs. 2 übernehmen

wie DllIT

Forts. nächSte Seite

gegen Monopolkommission

5. Monopolkommission

Zustimmung

wie DIHT; Grenze von 1 Mrd.DM zu niedrig

Zustimmung

Fusionskontrolle eigene Vorauss. nicht wie § 22

3. Prüfungskriterien

Zustimmung

Zustimmung

ASU

wie DIHT

Ablehnung

BDI

4. Verfahren

zu eng; EWG-Regelung abwarten

ja; Reg.Entwurf jedoch zu

DIHT

2. Nationale Fusionskontrolle?

1. Notwendigkeit einer Fusionskontrolle

§ 23 - 24b

Gegenstand

Verband

Zustimmung; Mrd.-Grenze zu hoch

wie ASU

wie ASU

wie ASU

wie DGB

DAG

Reg. Entwurf zu schwach; Mrd. Grenze zu hoch; stets präventive Kontrolle

Kontrolle bei Wettbewerbsbeschränkungen notwendig

DGB

Forts. nächste Seite

wie DIHT; Umsatzgrenze für den Handel zu niedrig

wie DIHT

Emzelhandel

t:l

(i)'

S