Die philosophisch - poetische Entwicklung George Chapmans: Ein Versuch zur Interpretation seines Werkes [Reprint 2020 ed.] 9783112340769, 9783112340752

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Die philosophisch - poetische Entwicklung George Chapmans: Ein Versuch zur Interpretation seines Werkes [Reprint 2020 ed.]
 9783112340769, 9783112340752

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Britannica H e r a u s g e g e b e n vom S e m i n a r für e n g l i s c h e S p r a c h e und K u l t u r an der H a n s i s c h e n U n i v e r s i t ä t H e f t 18

Di© philosophisch-poetisch© Entwicklung- Georg*© Chapmans Ein Versuch zur Interpretation seines Werkes

Von

Nancy von P o g r e l l

Friede liclisen,

I

de G r u y t e r

& Co.

/ Hamburg

1030

(D. 18) D r u c k t A . P r e i l l p p e r , H a m b u r g 11

GLIEDERUNG. Einleitung: Überblick über die Forschung — Problemstellung I. Biographisches

Seite 7 10

II. Das Werk A. Das Drama . . 11 a) Die Komödie 12 1. Frühe Experimente in Stoffwahl und äußerer Form The Blind Beggar of Alexandria — An Humourous Day's Mirth — May-Day 35 2. Äußere Vollendung der Komödie — Auseinanderfallen von Inhalt und Form 35 All Fools — Monsieur D'Olive 3. Die Komödie als Übergangsstufe zur Tragödie . . 46 Sir Giles Goosecap — The Gentleman Usher 4. Entwicklung zur Satire . . . . 60 The Widow's Tears b) Die Tragödie 81 1. Allgemeine Voraussetzungen der Tragödie 81 aa) Überblick über die geistesgeschichtliche Situation um die Jahrhundertwende bb) Geschichtlicher Hintergrund der Tragödie 2. Die Tragödie als Ausdruck humanistisch-stoischer Philosophie . . 92 Bussy D'Ambois — The Conspiracy and Revenge of Charles Duke of Byron 3. Die Vollendung des Chapmanschen Werkes in der rein stoischen Tragödie 115 The Revenge of Bussy D'Ambois Inhalt und Quellen — Form und Stil — Die Idee des Tragischen — Politik und Philosophie — Das Ende des Humanismus Caesar and Pompey . . 146 B. Die Gedichte 150 Ihre Zusammensetzung aus humanistisch-stoischem Gedankengut und ihre Parallelität zu Chapmans dramatischem Werk

EINLEITUNG.

Überblick über die Forschung — Problemstellung. George Chapman gehört zu den dramatischen Zeitgenossen Shakespeares. Er zählt in seiner Zeit zu den einflußreichsten Dichtern, und obwohl seine künstlerische Bedeutung seit dem 19. Jahrhundert immer wieder betont worden ist, hat sich die wissenschaftliche Forschung merkwürdig wenig für ihn interessiert. Teilweise erklärt sich diese Tatsache sicherlich daraus, daß Chapmans Werk ungewöhnlich schwer zugänglich ist. In der Beschäftigung mit ihm sind philologisch, stilistisch und inhaltlich große Widerstände zu überwinden. Diese Schwierigkeiten spiegeln sich in der Forschung, die, im Vergleich zu den, anderen Dichtern und Dramatikern der Zeit gewidmeten wissenschaftlichen Arbeiten, recht spärlich ist. So kommt es, daß die Untersuchungen, die wir bis jetzt haben, mit Ausnahme des Essays von Swinburne, sich alle mit Einzelaspekten des Chapmanschen Werkes beschäftigen. Ein großer, wenn nicht der größte Teil der geleisteten Arbeit entfällt auf die Quellenforschung. Es folgen stilistische und einige kürzere, inhaltliche Probleme behandelnde Untersuchungen. Der erste, der eine Gesamtdarstellung des Chapmanschen Werkes versuchte, war Swinburne 1 . Ohne alle philologischen und philosophischen Hilfsmittel hält er sich mit seiner Interpretation an das Werk allein und sieht dabei zuweilen mehr, als die nur philologische Kritik es vermag, wenn sie über vielen Einzelresultaten vergißt, deren Wert mit dem Sinn und der Bedeutung des Ganzen in Zusammenhang zu bringen. Bei der Feststellung einer kontinuierlichen inneren Entwicklung muß aber Swinburne trotz seiner Fähigkeit zur Beurteilung dichterischer Vorzüge und Fehler für uns doch unbrauchbar bleiben, weil er ihren Ursprung nicht zu erkennen vermag, und weil er vor allem vollständig darauf verzichtet, auf die im Zusammenhang mit der Geistesgeschichte für Chapman so wesentlichen philosophischen Gedanken einzugehen. Auf diese früheste Chapman-Studie (Swinburnes Essay wurde 1875 zum ersten Mal in Buchform herausgegeben) folgen die aus dem philologischen Lager stammenden Quellenuntersuchungen von Koeppel 2 . Sie sind noch heute für unsere George Chapman: in "Contemporaries of Shakespeare". London 1919. E. Koeppel: Quellenstudien zu den Dramen George Chapmans, Philip Massingers und John Fords. Straßburg 1897. 1

a

7

Kenntnis der französischen Geschichtsquellen, die Chapman für seine Tragödien benutzte, unverändert wichtig. Einen entscheidenden Schritt in der Entwicklung der Forschung bedeutet die Herausgabe seiner Werke durch den Amerikaner Thomas M. Parrott. In Jahre 1910 erschien der erste Band, der die Tragödien enthielt, 1914 ein zweiter mit den Komödien. Der geplante dritte Band, der die Gedichte und kleineren Übersetzungen enthalten sollte, ist bedauerlicherweise bis heute noch nicht erschienen. Ohne die Ausgabe von Parrott, die einen sehr sorgfältig bearbeiteten Text und zu jedem Drama Einleitung, Kommentar und ein genaues Verzeichnis der textlichen Emendationen enthält, wäre ein Studium der Dramen heute noch fast unmöglich. Parrott ist auch der erste, der Chapmans Werk aus der Verbindung seiner politischen, philosophischen, ethischen und religiösen Anschauungen heraus zu verstehen sucht und es gleichzeitig in den geistesgeschichtlichen Zusammenhang einordnen will. Im Jahre 1926 schließlich erschien die grundlegende, sehr bedeutende und umfangreiche Quellenuntersuchung von Frank L. Schoell: Etudes sur l'Humanisme Continentale en Angleterre. Diese Studie macht uns mit dem gesamten antiken und neu-platonischen Quellenmaterial bekannt, das Chapman in den Dramen und Gedichten benutzt. Für unsere Kenntnis der stoischen Quellen besonders, wie überhaupt für die Geschichte der inneren Entwicklung Chapmans, ist Schoells Arbeit zu einer ganz und gar unentbehrlichen Voraussetzung geworden. Sie zeigt außerdem, wie sehr Chapman in bezug auf die Benutzung von Quellen ein echter Sohn seiner humanistisch-elisabethanischen Zeit ist, läßt uns aber gleichzeitig eine Gefahr erkennen, der die Quellenforschung zuweilen ausgesetzt ist. Diese Gefahr besteht darin, im Auffinden der Quellen den Sinn und die Aufgabe der Interpretation erfüllt zu sehen. Schoell neigt dazu, von der Menge des gefundenen Quellenmaterials überwältigt, Chapman die künstlerische Originalität überhaupt abzusprechen. Damit aber wird der Weg zum Verständnis seines Werkes von vornherein verbaut. Die Arbeit des Quellenforschers soll hier in keiner Weise negativ kritisiert werden, nur mußte betont werden, daß die Gesamtinterpretation eines dichterischen Werkes durch sie allein nicht geleistet werden kann. An Arbeiten über einzelne Aspekte des Chapmanschen Werkes erschien 1925 die Studie von Miss Janet Spens: Chapman's Ethical Thought 3 , und 1929 das Kapitel über Chapman in dem Buch von Elizabeth Holmes "Aspects of Elizabethan Imagery", in dem wiederholt auf die innere Verwandtschaft Chapmans mit den metaphysical poets des 17. Jahrhunderts hingewiesen wird. In dem 1935 herausgekommenen Parrott Presentation Volume endlich befassen sich zwei Aufsätze speziell mit Chapman; der von Hardin Craig behandelt wieder Chapmans ethisches Interesse 4 , während der interessantere von Charles Kennedy sich mit "Political Theory in the Plays of George Chapman" auseinandersetzt. Für 3 4

8

In: "Essays and Studies of the British Ass." Vol. XI. Hardin Craig: Ethics in the Jacobean Drama: The Case of Chapman.

die menschlichen und geistigen Beziehungen Chapmans zu dem MarloweRalegh Kreis und die in diesem Zusammenhang wichtigen geistesgescliichtlichen Probleme ist Miss M. C. Bradbrooks Arbeit "The School of Night 5 " besonders aufschlußreich. An diese Untersuchungen und Forschungen anschließend, soll in der hier vorliegenden Arbeit der Versuch gemacht werden, Chapmans Werk als eine nach festen Gesetzen verlaufende Entwicklung zu verstehen, die mit platonischen und neuplatonischen Gedanken beginnend, langsam und allmählich, anfangs zuweilen sprunghaft, später aber immer konsequenter zur Lehre des Stoizismus übergeht. Gleichzeitig soll Chapman aus einer nur isolierenden Betrachtungsweise heraus in die lebendigen Zusammenhänge und den Prozeß der geistesgeschichtlichen Entwicklung seiner Zeit hineingestellt werden.

6

Cambridge, University Press 1936.

9

I. Biographisches. Von Chapmans Leben wissen wir, wie das bei den meisten seiner dramatischen Zeitgenossen der Fall ist, nur außerordentlich wenig; vor allem haben wir so gut wie gar keine Daten, aus denen sich irgendwelche Schlüsse über sein Werk oder seine geistige Entwicklung ziehen ließen. George Chapman ist als einer der ältesten Elisabethaner im Jahre 1557 oder 1559 in der Nähe von Hitchin in Hertfordshire geboren. 1574 bezog er die Universität Oxford "where he was observed to be most excellent in the Latin and Greek tongues, but not in Logic or Philosophy 6 ". Was wir von seinem weiteren Leben wissen, erfahren wir allein aus den Vorreden und Widmungen zu seinen Gedichten und Dramen. Auch von einer anderen als nur dichterischen Tätigkeit Chapmans erfahren wir nichts. Wir wissen lediglich, daß Chapman fast immer in bedrängten äußeren Verhältnissen gelebt haben muß, gegen Ende seines Lebens sogar in bitterer Armut. Diese Tatsache geht aus einer Reihe von Briefen hervor, die, von Bertram Dobell aufgefunden, mit ziemlicher Sicherheit Chapman zuzuschreiben sind 7 . Die Briefe stellen fast alle Bittgesuche dar, einige wenige aber sind an eine ungenannte Witwe gerichtet, offenbar in der Absicht, um ihre Hand anzuhalten. Weiter vermögen wir in die Verhältnisse von Chapmans persönlichem Leben nicht einzudringen. Seine dichterische Betätigung beginnt mit dem Jahre 1594. Seine Homer-Übersetzung, von der er selbst weiß, daß sie "the work that I was born to do" ist, bezeichnet ungefähr Anfang und Ende seiner Laufbahn. Die ersten 7 Bücher der Ilias erscheinen 1598, die Odyssee wird 1615 fertiggestellt. Chapmans literarische Beziehungen müssen sehr vielseitig gewesen sein. Als Mitglied der School of Night war er mit Marlowe befreundet, dessen Gedicht "Hero and Leander" er nach seinem Tode fortsetzte und fertigstellte. Chapman hat auch Ralegh zweifellos gut gekannt, wie sein Gedicht "The Shadow of Night" beweist, während seine persönlich nächsten Freunde in diesem Kreise der Mathematiker Thomas Harriot und Matthew Royden waren. Mit Ben Jonson und Marston arbeitete Chapman in der Komödie "Eastward Ho" zusammen und wir haben Widmungsgedichte Chapmans und zahlreiche Bemerkungen Jonsons, die auf die Freundschaft zwischen diesen beiden Dichtern, die menschlich und künstlerisch so viel gemeinsam haben, hindeuten. In späteren Jahren entwickelte sich Anthony à Wood: Atfaenae Oxonienses. S. 591 ff. London 1721. Bertram Dobell: Newly Discovered Documents of the Elisabethan and Jacobean Periods. Athenaeum March 1901. 8

7

to

zwischen Chapman und dem um vieles jüngeren Dramatiker Shirley ein nahes und freundschaftliches Verhältnis, das seinen Ausdruck in der gegemeinsam geschriebenen Tragödie "Chabot Admiral of France" fand. Nach dem Tode der Königin Elisabeth hatte Chapman an dem Prinzen Henry einen Freund und Protektor, an dem er offenbar mit großer Zuneigung hing und dessen frühzeitiges Ende im Jahre 1612 ihn mit aufrichtiger Trauer erfüllte und ihn außerdem der einzigen materiellen Unterstützung beraubte, die er besaß. Weniger glücklich und auch weniger klug zeigte er sich in der Wahl seines nächsten literarischen Protektors, des berüchtigten Robert Carr, Earl of Somerset. Chapmans Gedicht "Andromeda Liberata", welches er zu Carrs Hochzeit mit Lady Frances Howard schrieb, trug ihm nur Mißverständnis und unfreundliche Ablehnung ein. An der Art seiner Gedichte, die zum großen Teil Gelegenheitsgedichte, und allen hohen Adligen gewidmet sind, zeigt sich deutlich immer wieder Chapmans schwer bedrängte äußere Lage. Chapman hat sich dabei in hohem Maße seine geistige Selbständigkeit, seinen Stolz und seine Unabhängigkeit bewahrt, die sich in seinem ganzen Werk erweisen. Er besitzt ein außerordentlich betontes künstlerisches und moralisches Verantwortungsbewußtsein, Eigenschaften, die ihn an die Seite Ben Jonsons stellen. Chapman hat sich das Leben selbst nie leicht gemacht, und es ist wahr, daß wir die Heiterkeit und Unbekümmertheit eines Dekker, ebenso wie die strahlende und hinreißende Schönheit, die das Werk seines jüngeren Freundes Marlowe erfüllt, bei ihm nicht finden. Aber auch in Chapmans Werk, dem auf den Grund zu gehen nicht ganz leicht ist, finden wir in einer höchst individuellen und eigenwilligen Form, Gedanken und Gefühle, die für den Menschen Chapman und für den Geist seiner Zeit nicht weniger wichtig und charakteristisch sind. Schon rein äußerlich war Chapman, wie Anthony ä Wood sagt, "a person of most reverend aspect, religious and temperate, qualities rarely meeting in a poet". Chapman starb, nachdem er seine dichterische und dramatische Tätigkeit schon lange beendet hatte, im Jahre 1634.

A . Das Drama. E n t s t e h u n g s z e i t e n von C h a p m a n s 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

The Blind Beggar of Alexandria . . . An Humourous Day's Mirth . . . . All Fools Sir Giles Goosecap May-Day The Gentleman Usher Monsieur D'Olive The Widow's Tears

Komödien: 1596 1597 1598 1601—1603 1601—1602 um 1602 1604—1605 um 1605

Die vorangehende Tabelle soll zunächst dazu dienen, die Übersicht über Chapmans Komödienschaffen zu erleichtern. Es geht daraus hervor, 11

zwischen Chapman und dem um vieles jüngeren Dramatiker Shirley ein nahes und freundschaftliches Verhältnis, das seinen Ausdruck in der gegemeinsam geschriebenen Tragödie "Chabot Admiral of France" fand. Nach dem Tode der Königin Elisabeth hatte Chapman an dem Prinzen Henry einen Freund und Protektor, an dem er offenbar mit großer Zuneigung hing und dessen frühzeitiges Ende im Jahre 1612 ihn mit aufrichtiger Trauer erfüllte und ihn außerdem der einzigen materiellen Unterstützung beraubte, die er besaß. Weniger glücklich und auch weniger klug zeigte er sich in der Wahl seines nächsten literarischen Protektors, des berüchtigten Robert Carr, Earl of Somerset. Chapmans Gedicht "Andromeda Liberata", welches er zu Carrs Hochzeit mit Lady Frances Howard schrieb, trug ihm nur Mißverständnis und unfreundliche Ablehnung ein. An der Art seiner Gedichte, die zum großen Teil Gelegenheitsgedichte, und allen hohen Adligen gewidmet sind, zeigt sich deutlich immer wieder Chapmans schwer bedrängte äußere Lage. Chapman hat sich dabei in hohem Maße seine geistige Selbständigkeit, seinen Stolz und seine Unabhängigkeit bewahrt, die sich in seinem ganzen Werk erweisen. Er besitzt ein außerordentlich betontes künstlerisches und moralisches Verantwortungsbewußtsein, Eigenschaften, die ihn an die Seite Ben Jonsons stellen. Chapman hat sich das Leben selbst nie leicht gemacht, und es ist wahr, daß wir die Heiterkeit und Unbekümmertheit eines Dekker, ebenso wie die strahlende und hinreißende Schönheit, die das Werk seines jüngeren Freundes Marlowe erfüllt, bei ihm nicht finden. Aber auch in Chapmans Werk, dem auf den Grund zu gehen nicht ganz leicht ist, finden wir in einer höchst individuellen und eigenwilligen Form, Gedanken und Gefühle, die für den Menschen Chapman und für den Geist seiner Zeit nicht weniger wichtig und charakteristisch sind. Schon rein äußerlich war Chapman, wie Anthony ä Wood sagt, "a person of most reverend aspect, religious and temperate, qualities rarely meeting in a poet". Chapman starb, nachdem er seine dichterische und dramatische Tätigkeit schon lange beendet hatte, im Jahre 1634.

A . Das Drama. E n t s t e h u n g s z e i t e n von C h a p m a n s 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

The Blind Beggar of Alexandria . . . An Humourous Day's Mirth . . . . All Fools Sir Giles Goosecap May-Day The Gentleman Usher Monsieur D'Olive The Widow's Tears

Komödien: 1596 1597 1598 1601—1603 1601—1602 um 1602 1604—1605 um 1605

Die vorangehende Tabelle soll zunächst dazu dienen, die Übersicht über Chapmans Komödienschaffen zu erleichtern. Es geht daraus hervor, 11

daß diese Produktion ohne nennenswerte Unterbrechungen die 10 Jahre um die Jahrhundertwende einnimmt. Nur am Schluß dieser Periode wird die Reihe der Komödien einmal unterbrochen, und zwar um das Jahr 1604—1605, wo Chapman seine erste Tragödie, "Bussy D'Ambois" schreibt. Für die ersten drei Komödien ist die Datierung gesichert, für die weiteren ist mit kleinen, aber wohl kaum wesentlichen Abweichungen zu rechnen. Ehe wir an die Darstellung der Chapmanschen Komödien im einzelnen gehen, soll versucht werden, am Ganzen des Komödienwerks eine gewisse, immer wieder in Erscheinung tretende, innere Gesetzmäßigkeit in Chapmans geistiger Biographie aufzuzeigen. Zu diesem Zweck ist es notwendig, die Komödien nach ihrer inneren Zusammengehörigkeit in vier Gruppen zu gliedern. Die erste Gruppe enthält: "The Blind Beggar of Alexandria", "An Humourous Day's Mirth" und "May-Day". Sie ist bezeichnend für das Stadium des Experimentes in der Stoffwahl und äußeren Form. Die zweite Gruppe bezeichnet formale Höhepunkte der Komödie. Sie enthält "All Fools" und "Monsieur D'Olive". Die Übereinstimmung von Gehalt und äußerer Form, die gleichzeitig die nächste Übergangsstufe zur Tragödie darstellt, zeigt sich in der dritten Gruppe mit "Sir Giles Goosecap" und "The Gentleman Usher". Die Satire "The Widow's Tears" steht in Chapmans ganzem Komödienwerk allein und ist daher in keine Gruppe einzureihen. Die

Komödie.

Gemeinsam ist den Komödien aller Gruppen, daß der eigentliche Chapman eben letzten Endes in ihnen nicht zu finden ist, da sie nur Stufen cler Entwicklung, Suchen und Experimentieren auf dem Wege zu einer eigenen Form sind. Aber ebenso deutlich lassen sich fast überall Hinweise auf diese sich vollziehende Entwicklung finden. Zum erstenmal ist das in "An Humourous Day's Mirth" der Fall, wo die Gestalt des Dowsecer, wenn auch nur für den Augenblick und im folgenden noch wieder verschwindend, schon ein neues Problem andeutet. — Mit der Aufnahme von "May-Day" in die erste Gruppe der Komödien wird bewußt die Chronologie außer acht gelassen. Zwischen "An Humourous Day's Mirth" und "May-Day" liegen "All Fools" und, aller Wahrscheinlichkeit nach, "Sir Giles Goosecap". Aber obwohl schon annähernd fünf Jahre dazwischen liegen, geht Chapman mit "May Day" doch auf sein frühestes und für ihn nicht wesentliches Stadium zurück. Es ergibt sich also die merkwürdige Tatsache, daß Chapman, nachdem er in zwei Richtungen, nämlich erstens nach der Seite des sehr vollkommenen Lustspiels, und zweitens nach der Seite der Komödien, die eine deutliche Brücke zur Tragödie darstellen, so bedeutende Versuche unternommen hatte, nun gleichsam noch einmal um zwei Stufen zurückgeht. Gleichzeitig könnte hier mit Recht die Frage gestellt werden, ob es erlaubt ist, ein Stück wie "May-Day" aus seinem chronologischen Zusammenhang einfach herauszulösen, um, des zeitlichen Zusammenhangs ungeachtet, Gesetze der Ent12

wicklung festzustellen. Die Tatsachen scheinen in diesem Fall dafür zu sprechen. "May-Day" trägt trotz der äußerlich schon sehr entwickelten Form so betont den Charakter eines Versuches, auf den es sich ganz beschränkt, daß es gerechtfertigt erscheint, das Stück in die Gruppe des Experiments einzugliedern. Auch für das nun Folgende scheint diese zunächst willkürlich anmutende Anordnung berechtigt, vielleicht sogar notwendig zu sein, was sich im Verlauf der Arbeit erweisen muß. "All Fools" und "Monsieur D'Olive" liegen auch ungefähr fünf Jahre auseinander. Chronologisch folgen auf "All Fools" "Sir Giles Goosecap" und wahrscheinlich der "Gentleman Usher", beides Stücke, die nach Form und Gehalt auf einer ganz anderen, weiter entwickelten Stufe stehen, während dem Geist nach "May-Day" in die früheste Zeit, das nächste Stück, "Monsieur D'Olive" aber wieder mehr in die Nachbarschaft von "All Fools" gehört. Dadurch ergibt sich für "Monsieur D'Olive" eine Stellung, die man fast derjenigen von "May-Day" im Verhältnis zu "An Humourous Day's Mirth" parallel setzeil kann. Offenbar handelt es sich hier um eine Art von Gesetzmäßigkeit, die sich darin äußert, daß Chapman immer dann, wenn er in ein neues Stadium der Entwicklung getreten ist und darin etwas geleistet hat, in dem darauf folgenden, wenn auch meist äußerlich verbesserten Stück, gleichsam ermüdet, zu der vorhergehenden Phase zurückgekehrt. Während der ganzen Jahre, in denen Chapman Komödien schreibt, geht die Entwicklung gewissermaßen so vor sich, daß auf einen Fortschritt später fast immer der Rückfall in eine unentwickeltere Stufe folgt. In diesem seltsamen Prozeß ist aber etwas für Chapman ungemein Typisches enthalten. Es zeigt sich die ganze Sprunghaftigkeit seiner Entwicklung darin, die durch die Komödie hindurchgeht und erst aufhört, als Chapman anfängt Tragödien zu schreiben. Daraus mag sich zum Teil die seltsame Uneinheitlichkeit, die das Bild seines dramatischen Werkes bietet, erklären. Dort, wo noch die Belastung durch Gedanken und Probleme fehlt, also in den frühen und in einigen der mittleren Komödien, ist das Resultat vom Standpunkt des Dramatischen her gesehen oft besser, da Aufbau und Handlung straffer durchgeführt sind, während die Tragödien der letzten Jahre technisch immer mehr nachlassen und für die Bühne überhaupt kaum noch möglich erscheinen. Es ist deutlich sichtbar, wie die frühen Dramen sich eng an die Wirklichkeit des Tages und an die handwerklichen Gesetze ihrer Kunstform halten. Die Aufmerksamkeit Chapmans konzentriert sich noch sehr stark auf Äußerliches, so daß er an dem Ganzen eines Stückes selbst nicht wirklich beteiligt erscheint; manchen dieser Komödien fehlt jegliche Individualität, während später, wo die Form weitgehend vom Gedanken her bestimmt wird, jedes Drama mit unverkennbarer Deutlichkeit den Stempel seines Autors trägt. Vom Ganzen des dramatischen Werkes ein überzeugendes Bild zu geben ist nicht einfach, weil allein fünf Stücke, drei Komödien und zwei Tragödien, nicht erhalten sind. Schon durch die zwei Tragödien würde 13

das Bild erheblich verändert werden, denn so wie das Werk vorliegt, haben wir bis zum Jahre 1605 nur eine einzige Tragödie, den "Bussy" (1604), dagegen aber neun Komödien, d. h.: Komödie und Tragödie liegen in Chapmans Entwicklung streng getrennt, denn auch der "Bussy" steht ziemlich am Ende der Komödien. Die zwei verlorenen Tragödien aber liegen noch vor 1600, zwischen den ersten Komödien. Ihr Verlust ist besonders zu beklagen, denn beide wären außerordentlich aufschlußreich gewesen, die erste " a tragedy of Bengemen's plot" für die Art, in der Chapman und Jonson zusammenarbeiteten, während die zweite "a pastoral tragedy" uns einen ganz unbekannten Chapmann gezeigt hätte. Von den drei verlorenen Komödien ist " T h e Worlde runs on Wheeles" or "All Fools but the Fool" mit "All Fools" identifiziert worden. Von den beiden anderen " T h e Isle of a Woman" oder " T h e Fount of New Fashions" und "Four Kings" wissen wir durch Henslowe nur den Titel. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Entdeckung einer weiteren Komödie Chapmans, über die C. J. Sisson 8 berichtet. E r fand nämlich, wie aus den verschiedensten Gerichtsakten, in der Hauptsache den Proceedings of Star Chamber 9 , hervorgeht, daß im Jahre 1603 im Paul's Theatre ein Stück mit dem Titel " T h e Old Joiner of Aldgate" aufgeführt wurde. Nach den Verhandlungen von Star Chamber war George Chapman der Angeklagte, gegen den die damals sehr ernst zu nehmende Klage wegen "libel" erhoben worden war. E r hatte sich nämlich dazu hergegeben, nach einer im Herbst des Jahres 1602 in London vorgekommenen Skandalgeschichte eine Komödie zu schreiben. Jedenfalls wirft die Angelegenheit helles und nicht unbedingt vorteilhaftes Licht auf Vorkommnisse des täglichen Lebens im spät-elisabethanischen London. Anscheinend war das Stück aber für ganz London so durchsichtig und für die Beteiligten derart anstößig, daß Chapman mit noch verschiedenen andern Angeklagten deswegen vor dem Star Chamber zur Verantwortung gezogen wurde. Im Besitz aller Einzelheiten der Gerichtsprotokolle sowie der tatsächlichen Ereignisse, versucht Sisson in großen Zügen das uns verlorene Drama, das alle Vorzüge einer in jedem Sinne „lebendigen" Komödie gehabt haben muß, zu rekonstruieren. Selbst wenn die Komödie von Chapman nicht mit der Absicht einer Defamierung geschrieben war, bleibt dies doch der Inhalt des Stückes, und es bleibt, wie Sisson mit Recht sagt, merkwürdig "to find George Chapman, at the very height of his career, descending to dramatic journalism, the least likely of men, we might have thought, to engage his genius in such a lowly task. For no dramatist, not even Ben Jonson, shows a higher respect for his art than Chapman 1 0 ." Als ein Versuch wird auch der "Old Joiner of Aldgate", diese schon im Leben so geglückte Komödie, zu gelten haben. Immerhin erscheint es Lost Plays of Shakespeare's Age. Cambridge 1936. • Vgl. Sisson, ibid. S. 13. 1 0 a. a. 0 . , S. 13. 8

14

seltsam, daß Chapman, der sich sonst offenbar von allem Alltäglichen weil abhielt und von sich selbst sagte: "The profane multitude I hate", sich hier so tief in die Niederungen eines Londoner Skandals hineinziehen ließ. Von entscheidender Wichtigkeit in unserm Zusammenhang könnte aber dies in seiner Entstehung und Geschichte so aufschlußreiche Stück kaum sein, selbst wenn es erhalten wäre. Letzten Endes bedeutet es doch nur eine Zusammenstellung tatsächlicher Vorkommnisse, eine Gelegenheitsdichtung, deren Übernahme darauf beruht haben mag, daß sich Chapman, wie so oft, in finanzieller Not befand. Im übrigen ist der weitaus größte und zusammenhängende Teil seines Werkes ja erhalten und liefert das notwendige Material für eine Untersuchung. Mit dem Jahr 1596 beginnt Chapmans uns überlieferte dramatische Produktion. Vor der Jahrhundertwende hat er bereits drei Komödien geschrieben: "The Blind Beggar of Alexandria", "An Humourous Day's Mirth" und "All Fools". "The Blind Beggar of Alexandria" ist eines der Stücke, das mit Sicherheit bei Henslowe nachgewiesen ist, unter dem Datum des 12. Februar 1596. Für das ganze Stück ist uns keinerlei Quelle bekannt, obwohl für Parrott 1 1 die Namen der Hauptpersonen und einige Züge der Handlung auf die spätgriechische Sage hinzudeuten scheinen. Gleichzeitig versucht er, die ernste Handlung, so wie sie Chapman nach seiner Annahme ursprünglich schrieb, zu rekonstruieren. Die Geschichte sah demnach etwa folgendermaßen aus: Die Königin Aegiale von Ägypten, die mit dem alten König Ptolemy verheiratet ist, verliebt sich heftig in Cleanthes, einen der kühnsten Krieger des Reiches. Um ihn für sich zu gewinnen, ermordet sie dessen Frau. Cleanthes erfährt das und weist die Königin ab, die ihn daraufhin beim König verklagt, daß er ihr Liebeserklärungen gemacht habe. Cleanthes wird verbannt, kehrt aber verkleidet zurück und überredet die Königin dazu, den Zweig eines Baumes, in den ihr Sohn von einer Hexe verwandelt worden ist, abzuschneiden und zu verbrennen. Aegiale befolgt den Rat, in der Hoffnung, dadurch den Tod ihres Gatten herbeizuführen und auf diese Weise Cleanthes zum Manne zu gewinnen. Ptolemy ist offenbar von einem Orakel prophezeit worden, daß er vier benachbarte Königreiche erobern würde, wenn er seine Tochter Aspasia mit dem Prinzen Doricles von Arcadia vermähle. Cleanthes verhindert diese Heirat, indem er Doricles erschlägt. Bald darauf fällt Ptolemy im Kampf gegen die vier Könige, die in Ägypten eingefallen sind. Cleanthes heiratet Aspasia, besiegt die Eindringlinge und wird König. Aegiale macht in Verzweiflung ihrem Leben ein Ende. Aus dem angeblichen Vorhandensein dieser Geschichte, die, ausgeführt, eine vollständige romantische Tragödie abgegeben hätte, zieht Parrott nun aber Schlüsse, die nicht haltbar erscheinen. So sagt er, daß Chapman durch die Einführung der komischen Handlung die ernste völlig verdorben habe, daß aber der ungeheure Erfolg der Szenen mit dem blind beggar (das Stück erreichte die ungewöhnlich hohe Zahl von 22 Aufführungen) 11

Vgl. The Comedies of George Chapman. S. 674. 15

die ernste Handlung allmählich vollständig von der Bühne verdrängt habe, und daß Auslassungen durch die Schauspieler deshalb für den fehlenden Teil der Handlung verantwortlich zu machen seien. Abgesehen davon, daß es für diese Theorie bis jetzt noch keinerlei Beweis gibt, ist es unwahrscheinlich, daß Chapman, nur zwei Jahre nach dem Erscheinen des Stückes, eine so wesentliche Änderung im Druck zugelassen hätte. Daß in Wirklichkeit der Tatbestand anders gewesen sein muß, geht daraus hervor, daß Cleanthes in der uns erhaltenen Komödie nicht nur kein „berühmter Krieger", sondern ein völlig unbedeutender Mann aus dem Volke ist, dem es nur durch seine Schlauheit gelingt, immer wieder eine andere Person darzustellen, schließlich sogar König zu werden und alle Personen des Stückes beliebig nach seiner Flöte tanzen zu lassen. Außerdem hätte Chapman wohl kaum einer so rein tragischen Geschichte den Titel eines "Blind Beggar of Alexandria" gegeben, wenn dessen Erlebnisse nicht ganz im Vordergrund gestanden hätten. Die Unvollständigkeit der ernsten Handlung ist durch die Tatsache, daß sie im Grunde ja nur die Nebenhandlung darstellt, nicht so merkwürdig, besonders da Chapman auch sonst in seinen Dramen die Handlung ganz merklich vernachlässigt, wie z. B. in "Sir Giles Goosecap" und in "The Revenge of Bussy D'Ambois". Aber auch in dem uns überlieferten Zustand bleibt diese erste Komödie Chapmans durch ihre erstaunliche innere und äußere Primitivität bemerkenswert. Die Erlebnisse und Verwandlungen des Irus und seines Dieners Pego machen den reichlich ärmlichen Inhalt der Komödie aus. Zu Beginn des Stückes zeigt sich Irus in der Gestalt des blinden Bettlers, der kraft seiner Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, der Königin Aegiale rät, wie sie ihren Geliebten, Cleanthes, wiederfinden kann. Die Rolle des Cleanthes aber hat er vorher selbst gespielt. Im folgenden treten die drei schönsten Mädchen von Alexandria auf. In zwei von ihnen hat sich Irus gleichzeitig verliebt, auf die Dritte erhebt sein Diener Pego Ansprüche. Indem er sich einmal in den tollen Count Hermes und einmal in den Wucherer Leon verwandelt, heiratet Irus alle beide, und Pego, dem Irus die Rolle eines Bürgermeisters zuerteilt, erhält die dritte Schönheit. Später entstehen unvermeidliche Komplikationen dadurch, daß die Frauen sich über die Untreue ihrer Männer, des Count Hermes und des Wucherers Leon, beklagen. Da Irus sich zum Schluß wieder in Cleanthes verwandeln muß, verschwinden die Ehemänner vollständig, während die Frauen in den besiegten Königen Ersatz finden. Die Komik des Stückes beruht im allgemeinen restlos auf der jeweiligen Situation. An einer Stelle nur findet sich, in der Charakteristik der zwei Schwestern, feinere Komik, und zwar da, wo die eine mit Irus in seiner Eigenschaft als Count Hermes, die andere mit Pego, dem angeblichen Bürgermeister verheiratet, sich darüber streiten, wem von beiden die höhere Stellung gebühre. Von Charakterzeichnung, die bei Chapman nur in seltenen Fällen wirklich gut ausfällt, ist im "Blind Beggar" so gut wie gar nichts zu finden. 16

Unter den dreiundzwanzig auftretenden Personen sind höchstens sechs oder sieben, die individuellere Züge aufweisen. Alle übrigen sind bloße Puppen, wie z. B. die vier Könige, zwei Höflinge und drei Diener, die ohne alle Gefahr des Bemerktwerdens ausgewechselt werden könnten. Die Person, mit der das Stück steht und fällt, ist Irus, der blinde Bettler. Er ist ein durchaus merkwürdiger und selbständiger Charakter. Sohn eines armen Wahrsagers, hofft er durch seine Schlauheit und seine Verwandlungskünste noch den Königsthron zu erwerben. Zu diesem Zweck nimmt er abwechselnd die Gestalt des Cleanthes, den die Königin liebt und des blinden Bettlers, der ihr rät, wie sie den Geliebten erreichen kann, an. Der Zusammenhang der Handlung bleibt bis zum Schluß völlig lose und ungeklärt. Irus erreicht sein Ziel, Herrscher zu werden, nur dadurch, daß der alte König Ptolemy offenbar getötet wird und er, Irus, allein übrig bleibt und sich die vier fremden Könige unterwirft. Das Bemerkenswerte an diesem zielbewußten Bettler ist, daß moralische Bedenken für ihn nicht bestehen, daß er sich mit einer geradezu souveränen Leichtigkeit über alles, was ihn in dieser Weise hindern könnte, hinwegsetzt. Dabei treibt Irus keineswegs nur die Gier nach Reichtum und Macht, noch etwa menschliche Bosheit, sondern vielmehr die Freude am Spiel, das Gefühl der Überlegenheit, ein Grad geistiger Gelöstheit, der nicht in Unmoral, sondern in völliger Amoral resultiert. Die dabei in den lächerlichsten Situationen zur Schau getragene Kühle und Überlegenheit erhöht die komische Wirkung. Für Chapman ist die Gestalt des Irus wichtig, weil sie im Grunde mit seiner eigenen moralischen und sittlichen, etwas engen Auffassung im Widerspruch steht. Irus ist der Erste einer ganzen Reihe von Figuren, die durch Witz und scharfen Verstand über der Sache stehen und alle Fäden des Stückes in der Hand halten. Sie sind besonders für die frühen Komödien sehr bezeichnend. Lemot in "An Humourous Day's Mirth", Lodovico in "MayDay" und vor allem Rinaldo in "All Fools" sind durchaus Entwicklungsformen derselben Figur. Und noch einmal ganz spät, in "Bussy D'Ambois", scheint man neben oder vielleicht sogar verbunden mit Bussys geistiger Größe etwas von der überlegenen Leichtigkeit des Irus, moralischen Dingen gegenüber, zu verspüren. Ein weiterer seltsamer Zug ist für dies Stück bemerkenswert. Der durch Handlung und Charakter oftmals bedingte tragische Unterton wird von Chapman entweder als für die Komödie unwesentlich, bewußt nicht beachtet, oder mehr noch durch darauf folgende, breit ausgeführte komische Szenen verdeckt, oder aber er wird gar nicht realisiert, wodurch jeglich Bedeutung auch im Hinblick auf den Ausgang des Stückes für ihn fortfällt. Aber selbst wenn vom Ausgang des Stückes abgesehen wird, machen die ernsten Geschehnisse, Mord, Tod, Verbrechen jeder Art auf die einzelnen Personen des Stückes so gut wie gar keinen Eindruck, wie auch eine rächende oder strafende Instanz nicht vorhanden ist. So unbedeutend und völlig gleichgültig auch der Inhalt dieses ersten 17

Chapmanschen Experimentes ist, so weist diese Komödie doch einige Vorzüge auf, die gerade für Chapman nicht ohne Bedeutung sind. Die Sprache, die später so schwierig bei ihm wird, ist hier einfach, klar und völlig durchsichtig. Reflexionen und Metaphern, die den Stil der späteren Dramen oft zu ersticken drohen, fehlen ganz. Das Stück ist teils in Prosa, teils in Blankvers geschrieben. Das Vorbild für den Blankvers ist zweifellos Marlowe. Obwohl kühler und weniger pathosgeschwellt, erinnern Klang und Rhythmus des Verses oft ganz unmittelbar an ihn. So erscheint z. B. die folgende Stelle wie eine deutliche Reminiszenz des "Tamburlaine": "First by thy valour and the strength of arms Porus, the wealthy Ethiopian king, Doth yield his crown and homage unto thee, Swearing by all my gods whom I adore To honour Duke Cleanthes whilst he live And in his aid with twenty thousand men, Will always march gainst whom thou mean'st to

fight12."

Überhaupt erscheint die ganze zehnte Szene, in der die vier besiegten Könige sich dem Cleanthes unterwerfen und mit ihren Armeen und Königreichen zur Verfügung stellen, aus der Erinnerung an ähnliche Szenen im "Tamburlaine" hervorgegangen zu sein. Zuweilen finden sich fast wörtliche Analogien, wie sie Parrott z. B. für die letzten Zeilen des "Blind Beggar" festgestellt hat: "Carousing free whole bowls of Greekish wine in honour of the conquest we have m a d e 1 3 " ,

gegen Marlowes " A n d happily, with full Natolian bowls Of Greekish wine, now let us celebrate Our happy conquest and his angry f a t e 1 4 . "

Diese Anklänge, vor allem an den "Tamburlaine", gehen durch das ganze Stück. Chapmans Anlehnung an Marlowe zeigt weiter eine Stelle, die eine offensichtliche Variation des "Passionate Shepherd" ist, dabei aber Verse von einer Einfachheit und Schönheit des Klanges aufweist, die bei Chapman sehr selten sind: " W e two will live amongst the shadowy groves, and we will sit like shepherds on a hill, and with our heavenly voices tice the trees to echo sweetly to our celestial tunes. Else will I angle in the running brooks, seasoning our toils with kisses on the b a n k s ; sometime I'll dive into the murmuring springs, and fetch thee stones to hang about thy neck, which by thy splendour will be turned to pearl. Say, fair Aspasia, wilt thou walk with m e ? 1 6 "

13 14 16

18

The Blind Beggar of A., Sc. X , 8—14. Sc. X ; 176—77. Tamburlaine, Part. I I , Act. II, Sc. 3. Sc. I X ; 25—34.

Der Einfluß Marlowes auf Chapman bleibt in diesem Stück auf die Form des Blankverses beschränkt, Während Chapman in der Tragödie dem Geist Marlowes um vieles näher kommt, geht die Durchsichtigkeit und Klarheit des Verses, die er zweifellos von ihm gelernt hatte, in einen allerdings sehr viel charakteristischeren und gedankenschwereren, aber auch komplexeren und zum Teil undurchdringlicheren Blankvers über, und es ist kaum zu viel gesagt, wenn behauptet wird, daß in Chapmans späten Tragödien zuweilen der Ausdruck des Gedankens ohne Rücksicht auf die Form gesucht wird. Chapmans zweite Komödie ist nach dem immerhin nicht allzu vielversprechenden "Blind Beggar" wesentlich interessanter. "An Humourous Day's Mirth" ist trotz seiner Fehler und Schwächen für unser Gefühl amüsanter und lebendiger als die schon ein erhebliches Können zeigenden, kühlen und fast langweiligen Komödien "All Fools" und "Monsieur D'Olive". Was sie von den anderen Komödien trennt, ist, obwohl so deutlich fühlbar, nicht ganz leicht zu formulieren. Sicherlich ist auch dies Stück nur eine Art von Experiment, was schon daraus hervorgeht, daß Chapman später eigentlich nichts mehr geschrieben hat, was ihm in irgendeiner Weise an die Seite zu setzen wäre. Dafür scheint etwas anderes hier sehr deutlich zu werden, nämlich, daß "An Humourous Day's Mirth" unter der lebendigen Anteilnahme des Autors geschrieben ist, die ihn nicht wie sonst meistens bewußt und selbstkritisch über der Sache stehen läßt, sondern seine Freude daran zeigt. Für kurze Zeit gibt er seinen Standpunkt geistiger und moralischer Überlegenheit auf. Trotz durchaus satirischer Ansätze bleibt er frei von Bitterkeit. Chapmans Haltung ist völlig verändert, er sieht seine Geschöpfe mit anderen, menschlicheren und verstehenderen Augen an. Für einmal sieht er hier von der strengen Art des moralischen Forderns ab, ohne sich deswegen über die Menschen zu täuschen. Es tritt hier ein Chapman zutage, der so sehr von dem uns überlieferten Bild abweicht, daß man diese Seite, die im Grunde aus dem Rahmen des Ganzen herausfällt, bisher nicht beachtet hat. Das ist insofern nicht verwunderlich, als die folgenden Komödien entweder dem mehr oder weniger vollendeten, überlegenen Typ angehören, den "All Fools", "MayDay" und "Monsieur D'Olive" repräsentieren, oder aber einer weiter fortgeschrittenen Entwicklungsstufe, wie wir sie in "Sir Giles Goosecap", dem "Gentleman Usher" oder der späteren Satire "The Widow's Tears" vor uns haben. "An Humourous Day's Mirth" liefert zum mindesten einen Beweis gegen die immer wieder von Charles Sisson 16 vertretene Ansicht, daß Chapmans Werk weitgehend aus der Haltung geistiger Arroganz, aus der Anmaßung seines philosophischen Wissens und seiner gelehrten Bildung hervorgehe, und daß es daher wie Jonsons Werk — das Sisson in dieser Hinsicht Chapman überall an die Seite stellt — dem allgemeinen Empfinden der Zeit weitgehend fremd geblieben sei. Er geht davon aus, daß seit l a Charles J. Sisson, Le Goût Publique et le Théâtre Elisabéthain jusqu'à la mort de Shakespeare. Dijon, o. J., S. 75 f.

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dem Mittelalter für das englische Volksempfinden zwei Forderungen immer unerläßlicher geworden seien: "realism" und "romance". Zu dieser Form des Dramas habe Jonson niemals, Chapman nur in ganz wenigen Fällen den Weg gefunden. Für die Komödien Chapmans, die so erstaunlich verschieden voneinander sind, läßt sich diese Ansicht schon durch die Tatsache der häufigen Aufführungen widerlegen. Stücke wie "An Humourous Day's Mirth" oder z. B. das spätere "Eastward Ho", das Chapman mit Marston und Jonson zusammen schrieb, sind Abbilder gewisser Aspekte der Zeit und ihres Empfindens, wie man sie sich deutlicher kaum wünschen kann. Charakter- und Sittenschilderung aber, ebenso wie die daraus resultierende Satire sind, wie Sisson meint, dem englischen Gefühl im tiefsten Grunde fremd, d. h. nach dem entscheidenden Kriterium Sissons, daß das elisabethanische Theaterpublikum mit ihnen nichts anzufangen wußte und sie ablehnte. Aber Marston, Hall und Donne stehen mit ihren Satiren durchaus am Anfang von etwas ganz Neuem, das sich auch im Drama und natürlich in erster Linie in der Komödie einen Weg suchte 1 7 . Sisson ist geneigt, die sich bei Marston, Jonson und Chapman ankündigende Desillusionierung und den zunehmenden Pessimismus, die als heiße und bittere Ströme schon weithin unter dem im ganzen noch ungebrochenen Glanz der elisabethanischen Welt zu spüren waren, als eine gewisse menschliche Unzulänglichkeit gerade dieser Dramatiker anzusehen. Für ihn bedeutet die Neigung einiger weniger, immer nur die "aspects défavorables de la vie 1 8 " zu sehen, ein Armutszeugnis, das diese besonderen Autoren sich ausstellen, während er nicht spürt, daß in dieser düsteren und scheinbar negativen Haltung und Stimmung der tiefgehende innere Wandel einer Zeit sich ausdrückt. Obwohl die satirische Seite auch bei Chapman nicht fehlt, nimmt sie doch einen verhältnismäßig kleinen Raum in seinem Schaffen ein, während er mit seinen Tragödien auf jeden Fall in die gedankliche Nähe von Jonson, Marston, Webster und Tourneur rückt, wo er dem Prozeß der geistigen Entwicklung und dem lebendigen Sinn der Zeit keineswegs fremd gegenübersteht, sondern im Gegenteil für eine bestimmte Phase einen nicht zu entbehrenden charakteristischen Faden in dem dichten Gewebe dieser Entwicklung darstellt. Die verallgemeinernde Ablehnung, die in Sissons Urteil über Chapman liegt, ist dadurch gefährlich, daß sie einen Wertmaßstab anlegt, mit dem Chapman nicht gemessen werden darf. Chapman gehört nicht zu der Gattung von Dramatikern wie Heywood, Dekker oder gar Beaumont und Fletcher, und deshalb ist es zwecklos, seine Komödie an der ihren zu messen und dann ein Verdikt zu seinem Nachteil auszusprechen. Sissons Urteil fußt hauptsächlich auf der Komödie, Chapmans spezifische Begabung aber liegt auf dem Gebiet der Tragödie und des philosophischen Gedichtes, die von jeher schwerer zugänglich waren, deren Auswirkungen aber weitere Kreise zogen und sowohl rückwärts wie vorwärts tiefere Zusammenhänge aufzeigen. In 17

Siehe Einleitung zur Tragödie.

"» a. a. O., S. 80. 20

dieser Hinsicht weisen Chapmans und Jonsons Werk gemeinsame Eigenschaften auf, und ihr Schaffen ist so eng verknüpft mit der geistigen Situation ihrer Zeit, daß dies bei den von Sisson bezeichneten, dem englischen Empfinden der Zeit näheren Dramatikern, mit ihnen verglichen nur in bedingterem Maße der Fall ist. Eine Quelle für "An Humourous Day's Mirth" existiert nicht und Koeppel weist mit Recht auf die verhältnismäßig große Selbständigkeit Chapmans in den meisten seiner Komödien hin 1 9 , während seine Tragödien und Gedichte, die viel typischer für ihn sind und in ungleich stärkerem Maße Chapmans eigene Individualität aufweisen, ausnahmslos nicht nur auf einer, sondern zahlreichen und verschiedenen Quellen fußen. Die Handlung ist, hierin Jonsons "Every Man in and out of his Humour" durchaus vergleichbar, ziemlich unwesentlich. Sie beruht darauf, daß Lemot, der in der Art seines Wirkens Ähnlichkeit mit Macilente aufweist, die verschiedenen Personen zum Handeln bringt, sie gegeneinander ausspielt und sie sich dadurch in allen ihren Schwächen und Launen darstellen läßt. Eine wirklich fortlaufend sich entwickelnde Handlung kommt gar nicht zustande. Die einzelnen, noch durch die vielen unnötigen Personen komplizierten Szenen müssen aber auf der Bühne ganz durchsichtig und verständlich gewesen sein. Während im "Blind Beggar" jede mögliche Komik nur durch die Lächerlichkeit grotesker Situationen hervorgerufen wurde, an der die Charaktere so gut wie gar keinen Anteil hatten, scheint die Sache hier umgekehrt zu liegen. Die Handlung wird nebensächlich und die Geschehnisse der einzelnen Szenen haben in der Hauptsache den Zweck, die Personen sich darstellen zu lassen. Die nur leicht angedeutete Handlung wird trotzdem konsequent durchgeführt. Es stehen sich in der Hauptsache drei Paare gegenüber, welche Lemot, die bewegende Kraft des Stückes, gleichsam an den in seiner Hand vereinten Fäden tanzen läßt. Da sind zunächst die zwei ungleichen Ehepaare: der alte Count Labervele mit seiner schönen jungen Frau Florilla und Count und Countess Moren. Der alte Labervele, gleichzeitig verliebt und von rettungsloser Eifersucht gegen seine junge Frau erfüllt, ist das genaue Gegenstück zu der alten Countess Moren, die mit bösen Blicken und unnachsichtiger Aufmerksamkeit jede Bewegung ihres sehr viel jüngeren und durchaus noch nicht gegen jede Anfechtung gefeiten Mannes beobachtet. Florilla, "the puritan", ist trotz der Bibelzitate, die sie mühelos jederzeit bereit hat, eine leichte Beute für den übermütigen Lemot, der seine Freude daran hat, ihr klar zu machen, wie leicht es ist, sie "out of her humour" zu bringen. Aber Florilla ist trotzdem neben Lemot die einzige Person, die von Anfang bis zu Ende vollständig überlegen bleibt, die, obwohl bloßgestellt, immer noch unberührt über der Sache steht, während der junge Count Moren, trotz seiner Vorliebe für Martia, bis zum Schluß nicht den Charakter des angstvollen und besorgten "henpecked husband" ver1 9 Emil Koeppel, Quellenstudien zu den Dramen George Chapmans, Philip Maisingers und John Fords. Straßburg 1897, S. 11.

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liert. Zu diesen Paren kommt noch Foyes, der törichte Vater hinzu, der seine Tochter Martia unbedingt an den Narren Labesha verheiraten will. Der König und die Königin von Frankreich stehen mehr am Rande, aber auch hier vergnügt sich Lemot damit, die Eifersucht der Königin anzustacheln und sie auf die Spur ihres leichtsinigen Gemahls zu bringen. Eine im Rahmen des Stückes etwas seltsam wirkende, aber für Chapmans weitere Entwicklung interessante Gestalt ist Dowsecer, der melancholische Söhn des alten Labervele, von dem noch ausführlicher zu reden sein wird. Labesha ist eine deutliche Vorstufe zu Sir Giles Goosecap und Poggio im "Gentleman Usher". E r ist sehr von sich eingenommen und so dumm, daß ihn jeder zur Zielscheibe seines Witzes macht. Außer diesen, für die Handlung wesentlichen Personen bringt Chapman wie immer eine ganze Reihe von Figuren, die vollständig farblos und ohne jede Konsequenz für den Fortgang der Handlung sind. Manche Gestalten, wie z. B. Blanuel, der keineswegs dem gewöhnlichen Typ des gallant entspricht, sondern seltsam melancholische Züge aufweist, verschwinden, ohne irgendeine Funktion erfüllt zu haben, nach ein oder zwei Szenen. Kreider glaubt Chapmans Charakter Zeichnung, die, so schwach sie sonst sein mag, hier ungewöhnlich scharf und lebendig ist, damit abtun zu können, daß er in seinen Gestalten nichts als "stock figures" sieht, "the usual jealous husbands and wives, the foolish lovers, the ridiculous fathers, and the other puppets who hold the relationships always found in stereotyped intrigue comedy. . . . At the same time, like all humourous characters, they do nothing and arrive nowhere 2 0 ." Einer solchen Auffassung zufolge müßte Chapmans Komödie ein für tieferes Interesse gleichgültiges und nur konventionelles Gebilde sein, in dem von echter Komik kaum die Rede sein kann. Konventionen, so notwendig und nützlich sie als dramatische Hilfsmittel sein mögen, können, ganz gleich, ob sie viel oder wenig angewandt werden, niemals Entscheidendes über Gehalt und Sinn eines Stückes aussagen, weil sie ihrem Wesen nach nie mehr als technische Handhaben sind und es einzig und allein darauf ankommt, wie sie dem Sinn des Ganzen untergeordnet werden und in welchem Verhältnis sie zu ihm stehen 2 1 . In "An Humourous Day's Mirth" tragen die Charaktere das Stück, in ihnen zeigen sich die ersten Vertreter der neuen Gattung der "humours". Man ist gewohnt, Ben Jonson als ihren alleinigen Schöpfer anzusehen — er selbst hat das zweifellos auch getan — obwohl Chapmans Komödie fast ein ganzes Jahr vor Jonsons "Every Man in his Humour" bestand. Da wir bei Chapmans Stück von keiner Quelle wissen, ist durch diese Tatsache klar erwiesen, daß er der erste war, einen "humour" zu konzipieren und 2 0 P . V. Kreider, Elizabethan Comic Character Conventions. University of Michigan Press 1935. Auf ein ähnliches Verhältnis kommt es heraus bei der Frage nach Chapmans Gelehrsamkeit und Originalität in seinem Verhältnis zur Antike, wo immer wieder wertvollste quellengeschichtliche Arbeit dadurch beeinträchtigt wird, daß man falsche Schlüsse aus ihr zieht. J e d e neu entdeckte Quelle wird voller Freude zu einem Gegenbeweis für Chapmans eigenes dichterisches K ö n n e n gemacht.

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auf die Bühne zu bringen. Aber was bei Jonson genau durchdacht, immer feiner entwickelt und schließlich direkt zu einer Theorie ausgearbeitet wurde, wie sie im Vorspiel zu "Every Man out of his Humour" von Asper erklärt wird: "Why, humour (as 'tis ens,) we thus define it to be a quality of aire or water, To be a quality of aire or water, And in itself holds these two properties, Moisture, and fluxure so in euery human body The choller, melancholy, flegme, and bloud, By reason that they flow continually In some one part, and are not continent, Receiue the name of Humours. Now thus farre It may, by Metaphore, apply it selfe Unto the general disposition: AB when some one peculiar quality Doth so, possesse man, that it doth draw All his affects, his spirits, and his powers, In their confluctions, all to runne one way, This may be truly said to be a H u m o u r 2 2 " ,

das wird von Chapman noch ohne theoretische Reflexion einfach dargestellt. Seine "humours" sind deshalb nicht weniger echt und stellen Menschen dar, die wirklich von einer "peculiar quality possessed" sind, die ihrem ganzen Wesen den Stempel aufdrückt. Trotzdem besteht ein bemerkenswerter Unterschied zwischen der Humourdarstellung bei Jonson und Chapman. Bei Jonson wird der Mensch in zunehmendem Maße von seinem Humour eingenommen, ja schließlich völlig von ihm aufgezehrt, so daß am Ende andere menschliche Züge gar nicht mehr vorhanden sind. Volpone z. B., diese in ihrer Fürchterlichkeit grandiose Gestalt, wird schließlich ganz und gar zu einer Verkörperung der Habgier, zum Humour selbst. Entscheidend ist für jeden dieser Humours die hinter ihm stehende, ihn erschaffende Leidenschaft, der Affekt, der im Erschaffen selbst verdammt und voller Zorn auf seine Geschöpfe blickt. An diesem Punkt zeigt sich in Jonson der ursprüngliche und eigentliche Satiriker, und von diesem Geist des bitteren Ernstes, des sich selbst Betroffenfühlens durch die Ungeheuerlichkeit und Lächerlichkeit der menschlichen Schwächen ist bei Chapman, zunächst wenigstens, noch nichts zu spüren. Hieraus resultiert aber in "An Humourous Day's Mirth" die Haltung innerer Überlegenheit, die Chapman hier zweifellos vertritt. Ohne moralische Einschränkungen zu machen, stellt sich Chapman mit seinen Geschöpfen auf die gleiche Stufe. Das Resultat ist bezeichnend: diese für Chapman so ungewöhnliche Mischung von Beteiligtsein und innerer Unabhängigkeit, die schon eine gewisse geistige Freiheit voraussetzt, hat zum ersten Mal — auch in der Folgezeit kommt das so unmittelbar nicht mehr oft vor — 2 2 Vorspiel. Prolog 88—91; 98—109. B e n Jonson, ed. Herford & Simpson, Oxford 1927. Vol. III.

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den Erfolg, daß in dem Stück lebendige Komik zu finden ist. Leider scheint es, als ob Chapman diesen einen Versuch sich an die Welt der alltäglichen, menschlichen Dinge heranzuwagen, ein für allemal bereut hätte. E r wurde nicht wiederholt. Die schon aus äußeren Gründen so verständliche Abneigung der Dichter gegen den Typ des Puritaners, die sich bei Jonson so oft in grimmiger Ironie und beißendem Spott äußert, ist in Chapmans Darstellung der Florilla, wenn auch mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit und hintergründiger Bosheit dargestellt, so doch durch ein gütiges und lächelndes Verstehen gemildert 2 3 . Florilla, die jung, schön und sprühend lebendig ist, langweilt sich herzbrechend bei ihrem trübsinnigen und eifersüchtigen alten Gemahl Labervele. Solange aber keine Versuchungen in Sicht sind, hält sie getreulich, wenn auch ohne Enthusiasmus, an ihren puritanischen Maximen fest. Aber als der kluge und ebenso lebendige wie übermütige Lemot, der seine Freude daran hat, die Menschen in Versuchung zu führen und sie zur Erkenntnis ihrer Schwächen zu bringen, ihr entgegentritt und ihr versichert, daß ihre puritanische Frömmigkeit, in der Einsamkeit völlig wertlos, sich erst dann erweise, wenn sie sich in der großen Welt behaupten könne, verblaßt vor ihren Augen das Bild der Tugend. Sie vergißt ihre fromme Haltung und verliebt sich rettungslos in Lemot, der sie voll Vergnügen auf diesem Wege immer weiter lockt. Der Dialog dieser Szene, in der Lemot Florilla zur Prüfung ihrer Treue beredet, ist durch die freche Ironie, mit der er Florillas frommem Augenaufschlag begegnet, ganz ausgezeichnet 24 . Der alte Labervele ist trotz seiner maßlosen Eifersucht so sehr mit Blindheit geschlagen, daß er gar nicht merkt, wie er schon bei den ersten Worten Lemots sein Spiel verloren hat. Er hält die weltlichen Unterweisungen Lemots allerdings für unnütz und macht noch einen schwachen Versuch, Florilla zu warnen. Labervele: Take heed of it, wife! Florilla: Fear not, my good head; I warrant you for him! Lemot: Nay, madam, triumph not before the victory; how can you conquer that against which you never strive, or strive against that which never encounters you? To live idle in this walk, to enjoy this company, to wear this habit, and have no more delights than those will afford you, is to make virtue an idle huswife, and to hide herself (in) slothful cobwebs, that still should be adorned with actions of victory: no, madam, if you will worthily prove your constancy to your husband, you must put on rich apparel, fare daintily, hear music, read sonnets, be continually courted, kiss, dance, feast, revel all night amongst gallants; then if you come to bed to your husband with a clear mind and a clear body, then are your virtues ipsissima; then have you ^ Es bleibt daher befremdlich, daß Sisson seine Theorie nicht einmal für "An Humourous Day's Mirth" modifiziert, das in seinem Humor, wenn auch nicht in seiner poetischen Kraft, Dekker z. B. an die Seite zu setzen wäre. Szene IV.

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passed the full test of experiment, and you shall have an hundred gallants fight thus far in blood for the defence of your reputation. Labervele:

Oh, vanity of vanities!

Florilla:

Oh, husband, this is perfect trial indeed!

Labervele:

And you will try all this now, will you not?

Florilla:

Yea, my good h e a d ; for it is written, we must pass to perfection through all temptation, Habakuk the fourth.

Labervele:

Habakkuk! — cuck me no cucks! In a doors, I say! Thieves, Puritans, murderers! In a doors, I s a y ! 2 5

Aber selbst als Florilla, anstatt von Lemot geküßt zu werden, in die Hand gebissen und zum Überfluß auch noch verhöhnt wird, ist sie nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. In ihrem Gleichmut, der sie auch in der peinlichsten Lage nicht verläßt, ist sie Lemot vollauf gewachsen und obwohl sie zunächst äußerlich zu ihren frommen Reden zurückkehrt, fühlt man nur zu deutlich den Vorbehalt, den sie dabei macht. Ja, sie wagt, ohne mit der Wimper zu zucken, ihren Mann für seine sündhafte und unchristliche Eifersucht zu maßregeln, nicht ohne ihrerseits in reinster Nächstenliebe jeden Vertrauensbruch für vergeben und vergessen zu erklären. Florilla:

Well my good head; for my part I forgive you, But surely you do much offend to be Suspicious; where there is no trust, there is no love; And where there is no love 'twixt man and wife There's no good dealing, surely; for as men Should ever love their wives, so should they ever trust them; For what love is there where there is no t r u s t ? 2 6

So bleibt Florilla am Ende, obwohl Lemot sie, wenn auch kaum zur Einsicht, so doch wenigstens zur Vorsicht gebracht hat, diejenige Gestalt, die sich in ihrer Persönlichkeit vollständig behauptet. Ihre puritanische Frömmigkeit haftet nur an der Oberfläche und ihre geistige Beweglichkeit ist so groß, daß sie, nie um einen Ausweg verlegen, diese Frömmigkeit nur als geeignetes Mittel zu unterhaltenderen Dingen benutzt. Sie ist, nicht nur als Humour, die interessanteste Gestalt des Stückes. Lemot ist eine der in der frühen und mittleren Komödienzeit Chapmans immer wieder vorkommenden Figuren. In noch ganz primitiver Form finden wir sie schon im Irus 2 7 , geschickt und skrupellos im Rinaldo in "All Fools", und in "May-Day" erfüllt Lodovico dieselbe Funktion. Alle sind in den entsprechenden Komödien entscheidende Personen, die aber charakterlich stark voneinander abweichen. Vom Standpunkt menschlicher Sympathie nimmt Lemot die erste Stelle unter ihnen ein. "Love of mischief" ist sicher seine stärkste Triebfeder, und da er die Menschen seiner Umgebung mit sehr wachen und hellen Augen betrachtet, sieht er nur zu bald, ein wie reiches Feld der Tätigkeit sich ihm da bietet. Die verschiedenen eifersüchtigen Eheleute etwas zu beunruhigen, den Narren Labesha

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Sc. IV. 221—245. Sc. XIV, 146-152. " T h e blind Beggar of Alezandria".

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an der Nase herumzuführen und die schöne Florilla samt ihrem, auf nur allzu schwachen Füßen stehenden Puritanismus zu erschüttern, und nachdem jeder seinen Denkzettel erhalten hat, alle Parteien wieder miteinander zu versöhnen, macht Lemot einen ungeheuren Spaß. Wesentlich aber ist, daß er selbst von den charakterlichen Untugenden, die diese Rolle so oft mit sich bringt, nicht betroffen ist. Er ist kein niedriger und schlechter Intrigant, und Bosheit steht ihm fern. Sein Charakter ist frei von den Schwächen, die er bei andern aufdeckt. Bei einem Stück, dessen Gehalt so ausschließlich durch den Geist der Komödie bestimmt ist und das in so hohem Grad frei von Pedanterie, Theorie und jeglichem Moralisieren ist, in dem darüber hinaus eine ernste Nebenhandlung im eigentlichen Sinne nicht besteht, könnte man auf den Gedanken kommen, an Chapmans Autorschaft zu zweifeln, wenn man nicht in der Figur des Dowsecer einen untrüglichen Beweis dafür in Händen hätte. Diese Figur des "scholar, turned lover" ist die erste, wenn auch nur andeutungsweise Äußerung einer geistigen Haltung, die sich später in den Komödien und Tragödien immer mehr durchsetzt. Dowsecer, Sohn des alten Labervele aus seiner ersten Ehe, ist ein der Welt abgewandter, nur seinen Studien lebender "melancholic scholar", der durch eine List aus seinen Spekulationen aufgeweckt, sich, wie beabsichtigt, in die schöne Martia verliebt und sie zum Schluß heiratet. Dowsecer tritt nur einmal auf und verschwindet dann, um nur gegen Ende des Stückes noch einige Sätze zu sprechen. Gleich der erste Monolog, den er hält, geht mit einem sehr verstümmelten Cicero-Zitat 28 an, dessen Inhalt, obwohl an dieser Stelle ziemlich irrelevant, bereits das später immer wiederkehrende Thema vom Sinn und Wert der menschlichen Erkenntnis anschlägt. What can seem stränge to him on earthly things, To whom the whole course of eternity, And the round compass of the world is k n o w n ? 2 9

Dowsecer kann den Cicero nicht verstehen, der um des Ruhmes und um seines Amtes als Rechtsgelehrter willen "the sweet peace of l i f e 3 0 " aufgibt. In den nun folgenden Zeilen befinden wir uns in der Atmosphäre der Satire. Von den Schriften der Rechtsgelehrten, die keinerlei Tugend und ehrliche Absichten enthalten, geht er auf die Entartung der Menschen und den Luxus der Zeit über, wobei er in dem Eichelbild auf Juvenal (Sat. VI, 1—10) und Ovid (Met. I, 103—106) zurückgreift 3 1. Man kann deutlich spüren, wie Chapmans Denken hier eine andere Richtung einschlägt, die in die Nähe von Donnes und Marstons Satiren führt. Es darf nicht vergessen werden, daß für den Verlauf des Stückes Dowsecer noch eine komische Figur bleibt, die in der entsprechenden Szene eigentlich nur vom König ernst genommen wird, der bei allen Äußerungen Dow" " Wie Parrott nachweist: Tusculanae Disputationes IV, 17. 37. Scene VII, 67—69. 3 0 Sc. VII, 72. 3 1 Parrott, a. a. O., S. 692. 28

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secers, die von den übrigen Zuschauern nur als grotesk und "humourous" aufgefaßt werden, allein ihren tieferen Sinn versteht und sich auf seine Seite stellt 3 2 . Es macht sich hier so etwas wie eine Spaltung bemerkbar, indem für Chapman scheinbar nur augenblicksweise ein nachdenklicher und dunkler Schatten über die unbesorgte und fröhliche Umgebung fällt, in die er so vollständig eingegangen schien. Die sich in Dowsecer realisierenden Gedanken sind noch unsicher und unzusammenhängend, aber sie sind beunruhigend negativ und nicht von der Hand zu weisen. In den Antworten des Königs äußert Chapman gleichsam seine eigenen Gedanken. Nach dem ersten Monolog Dowsecers sagt Lemot zum König: "How like you this humour, my Liege?", worauf dieser die eindeutige Antwort gibt: "This is no humour, this is but perfit judgment 3 3 ." Oder etwas später: der alte Labervele sagt: "Heavens grant that make him more humane and sociable. King: Nay he's more humane than all we are 3 4 ." Und schließlich gegen Schluß der Szene, als Dowsecer erregt und verzweifelt die Zumutung, eine Ehe einzugehen und Kinder zu haben, mit der Begründung der Sinnlosigkeit ablehnt, fragt Lemot noch einmal: Lern.:

How like you this humour yet, my L i e g e ?

King:

As of a holy fury, not a frenzy 3 5 .

Chapmans bewußtes Empfinden dieser Stimmung, auch wenn sie wirklich nur ganz momentan ist, stellt ihn mit einem Schlag außerhalb des engen Rahmens dieser einen Komödie in den tieferen Zusammenhang zunächst seiner eigenen, dann aber auch der allgemeinen geistigen Entwicklung. Die Dowsecer-Szene gibt uns einen Fingerzeig, in welche Richtung diese Entwicklung gehen wird. In "An Humourous Day's Mirth" kommt ihr für den Verlauf der Komödie nur ganz untergeordnete Bedeutung zu, und in Chapmans nächster Komödie "All Fools" finden wir nichts Ähnliches, während der dann folgende "Gentleman Usher" so viel ernste Züge enthält, daß er bereits als deutliche Vorstufe zur Tragödie zu gelten hat. Aber diese nie weiter beachtete Szene in "An Humourous Day's Mirth" ist deswegen bedeutsam, weil man hier den Finger auf die Stelle legen kann, an der Chapman zum ersten Mal pessimistische Gedanken in einer noch unvollkommenen Form realisiert und dabei sich selber entdeckt. Von diesem Punkt her gesehen scheint seine weitere Entwicklung in der Komödie weniger willkürlich und zusammenhanglos zu werden. Als Ganzes zeigt "An Humourous Day's Mirth" noch die Ausgewogenheit des geistigen Gleichgewichts und obwohl in den einzelnen Typen der Humours die satirische Absicht schon deutlich hervortritt, wird der Ton des Ganzen davon kaum betroffen. Ein Widerspruch macht sich erst in 3 : 2 K r e i d e r , a. a. O., S. 150. K r e i d e r hält auch den Dowsecer wieder für eine hochgradig stereotype Figur, deren "musings and railings against life, and especially against the sex proclivities of the human race, are typical of such stage figures." 3 3 Sc. V I I , 87—88. 3 4 Sc. V I I , 136—137. 3 6 Sc. V I I , 197—198.

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der Dowsecer-Szene bemerkbar, die vor allem geistesgeschichtlich so interessant ist, weil sie mit der Gestalt des Dowsecer eins der vielen einzelnen Zeugnisse ablegt für den sich durch das ganze Leben dieser Jahre um die Jahrhundertwende erstreckenden Prozeß des Bewußtwerdens eines tiefen geistigen Wandels 3 6 . Für Dowsecer ist die Einheit des Lebens erschüttert, er analysiert, er sieht Widersprüche, er verneint. Die skeptischen Feststellungen, die er macht, gehen nicht aus einer momentanen Situation hervor, sondern gehen auf das Allgemeine; hinter seinen Worten steht bitterer Ernst. Es ist sicher kein Zufall, daß eine solche Szene im Jahr 1597 geschrieben wurde, demselben Jahr, in dem Bischof Halls "Virgidemiarum" erschien, zu einer Zeit, in der die Satiren John Donnes wohl schon weit verbreitet waren. Von Chapmans späterer Art zu schreiben sticht "An Humourous Day's Mirth" stilistisch durchaus vorteilhaft ab. Die Sprache ist von ruhiger Direktheit, noch arm an Vergleichen und Metaphern, der Satzbau einfach und ganz durchsichtig. Der größte Teil des Stückes ist in Prosa geschrieben, die Blankverse sind auf einige wenige Szenen (Dowsecer redet in Blankversen) beschränkt. Der Prosateil enthält Dialoge von erstaunlicher Kraft und Schärfe. Für den Blankvers scheint Marlowe als Vorbild mehr in den Hintergrund zu treten. "An Humourous Day's Mirth" ist eine unterhaltende, aber anspruchslose Komödie; unter denjenigen Stücken Chapmans, die den Charakter eines Experiments tragen, aber zweifellos die beste. Die dritte hier zu behandelnde Komödie Chapmans ist auch noch als ein solches Experiment zu bezeichnen. "May-Day" folgt chronologisch nicht auf "An Humourous Day's Mirth", vielmehr gehen wenigstens drei Komödien, "All Fools", "Sir Giles Goosecap" und " T h e Gentleman Usher" voraus. Aber seiner ganzen Art nach, inhaltlich wie formal, gehört es in die Nachbarschaft der frühen Stücke, auch wenn, wie man weiß, zeitlich fünf Jahre zwischen "May-Day" und "An Humourous Day's Mirth" liegen. Schwierigkeiten macht zunächst die nur ungefähr feststellbare Datierung. Die Schwierigkeit einer genauen Datierung liegt darin, daß das Stück zahlreiche Anspielungen auf Dramen enthält, die zwischen 1598 und 1604 etwa liegen, außerdem aber noch eine nahe Parallele zu einer Stelle in Dekkers " T h e Gull's Hornbook", das ins Jahr 1607 gehört. Diese Dekkerstelle macht uns die Feststellung am schwersten, denn, wenn "May-Day" wirklich erst so spät geschrieben wäre, ist nicht einzusehen, warum die vielen Anspiegelungen und Parallelen gerade auf Stücke um die Jahrhundertwende zurückgreifen sollten. Parrotts Annahme, daß das Stück vielleicht für eine Neuinszenierung im Whitefriars Theater 1610 überarbeitet wurde, wonach dann ein J a h r später, 1611, der Druck erfolgte, ist noch am wahrscheinlichsten 37 . Wenn man für eine Parallele, eine aa 31

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Siehe Tragödie. Parrott, S. 732.

Hamlet-Reminiszenz, die, wie Parrott bemerkt, nur in der guten Quarto von 1604 enthalten ist 3 8 , die richtige Entstehungszeit des Hamlet, nämlich 1600, berücksichtigt, und dann auch noch, wozu man wohl berechtigt ist, die Abhängigkeit des Chapmanschen Quintiliano von Jonsons Tucca im Poetaster (1601) einbezieht, so kann man sich mit ziemlicher Sicherheit für das Jahr 1602 als Entstehungsjahr entscheiden 39 . Die Dramen, denen Chapman seine Entlehnungen entnahm, waren folgende: Jonsons "Every Man out of his Humour" (1598), Shakespeares "Twelfth Night" (1600), "Hamlet" (1600), Marstons "Antonios Revenge" (1601) und Jonsons "Poetaster" (1601). Es kommt uns hier weniger auf die Wichtigkeit der entliehenen Stellen für Chapmans Stück an, als darauf, daß wir hier ein sehr typisches Beispiel für die Kompliziertheit und Unsicherheit der Chronologie haben. Das schwierige Problem, die richtige Entstehungszeit des "Hamlet" festzustellen, hat mehr als einmal Verwirrung angerichtet. Dies ist einer der Fälle, wo seine falsche Datierung, wie sie in der Bemerkung Parrotts, daß Chapmans Parallele "appears only in the revised form of that play, the quarto of 1604" zum Ausdruck kommt, allein genügt, die falsche Datierung eines anderen Stückes nach sich zu ziehen, wie es ja auch bei "Antonios Revenge" der Fall ist. Parrott nimmt also auch an, daß die 1. Quarto des "Hamlet" aus dem Jahr 1603 eine ursprüngliche Fassung darstellt. Eine spätere Entstehungszeit für "May-Day" als 1602 würde, wie wir glauben, für die Entwicklung Chapmans in hohem Grade unverständlich und unmotivierbar sein. Es scheint für unseren Zweck nicht notwendig, Chapmans Abhängigkeit von Alessandro Piccolominis Stück "Alessandro" im einzelnen darzustellen 4 0 ; daß Chapman sich mit seiner Bearbeitung im ganzen sehr eng an den „Alessandro" hält, ist keine Frage 4 1 . Um ein Bild von "May Day" zu bekommen, muß die Handlung ihrer Kompliziertheit halber kurz dargestellt werden. Es spielen drei Intrigenhandlungen ineinander, die oftmals kaum zu trennen sind. An einem schönen Maimorgen trifft Angelo, der Diener des Aurelio, den alten Lorenzo, einen noch höchst lebenslustigen Greis, dabei an, wie er ein Liebesgedicht auf Francheschina, die Frau des Hauptmanns Quintiliano verfaßt. Er muß Lorenzo versprechen, ein gutes Wort für ihn bei dieser Dame einzulegen. Im folgenden erscheint Lodovico, Lorenzos Neffe, zusammen mit Aurelio, dem Sohn des Yenetianers Honorio, und versucht dem Jüngling, der in seiner Liebe zu Aemilia, der Tochter Lorenzos, entmutigt ist, gut zuzureden, indem er ihm eine Begegnung mit ibid. Worauf Schoell seine Ansicht, 1604 als Entstehungsjahr von " M a y - D a y " anzusetzen, gründet, konnte nicht festgestellt werden, da die nur im Manuskript vorhandene Dissertation " C h a p m a n as a Comic Writer", P a r i s 1911, nicht zugänglich war. 4 0 Wir verweisen d a f ü r auf A. L. S t i e f e l : George Chapman und das italienische Drama. Shakespeare-Jahrbuch X X X V , 1899. 4 1 Von 26 Szenen des " A l e s s a n d r o " benutzte Chapman, wie Stiefel nachweist, etwa 17. a8

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ihr verspricht. Zwischendurch erfahren wir aber, daß Lorenzo seine Tochter bereits dem häßlichen und törichten alten Gasparo versprochen hat. Im Hause des Quintiliano erleben wir eine äußerst rührende Abschiedsszene. Der Hauptman zieht in den Krieg und empfiehlt seine Frau angelegentlich ihrem Vetter, dem jungen Angelo, ein Auftrag, den sowohl Angelo als auch Francheschina mit Vergnügen ad notam nehmen, wie auch das Weinen, in das die arme Frau bei dieser Gelegenheit ausbricht, bei genauerem Zuschauen sich als unbändiges Lachen erweist. Angelo, der heftig in Francheschina verliebt ist, unterbreitet ihr alsbald Lorenzos Bitte um ein Stelldichein, d. h. er hat einen wunderbaren Plan, um dessentwillen er sie zur Zustimmung beredet. Gleich darauf erscheint der lüsterne alte Lorenzo, um sich nach Angelos Erfolg bei seiner Dame zu erkundigen. Dieser erzählt ihm, daß Francheschina ihn zu empfangen bereit sei, aber nur unter der Bedingung, daß Lorenzo sich vollständig unkenntlich mache. Das beste sei die Verkleidung in den Schornsteinfeger Snail, in dessen Gestalt sie ihn ohne Sorge um ihren guten Ruf einlassen könne. Der Alte ist so verliebt, daß er auf diesen tückischen Plan eingeht. Inzwischen ist Lodovico mit Aurelio vor dem Hause des Lorenzo angelangt, wo Aurelio Aemilia besuchen soll. Als sie noch vor der Tür stehen, kommt Angelo triumphierend angelaufen und sagt ihnen, sie könnten jetzt ganz unbesorgt sein, den Lorenzo, den lästigen Vater, hätte er für die nächste Zeit anderweitig untergebracht. Auf dem umständlichen Wege einer Strickleiter bringt nun Lodovico seinen schüchternen Freund Aurelio zu Aemilia ins Zimmer und verläßt die beiden dann, um sich an Lorenzo, in der Gestalt von Snail, dem Schornsteinfeger, zu freuen. Er sammelt noch einige andere Freunde zu diesem Zweck und zusammen treiben sie den armen Lorenzo, der sich in seiner Verkleidung gar nicht wohl fühlt, fürchterlich in die Enge, bis er schließlich von Francheschina, die schon den Ruf des vermeintlichen Schornsteinfegers gehört hat, in ihr Haus eingelassen wird und so seinen Peinigern entgeht. Dort kommt er aber vom Regen in die Traufe, indem er von Francheschina sogleich in den Kohlenkeller gesperrt wird. Plötzlich und unerwartet kehrt Quintiliano zurück. Da aber sein Nahen durch seine laute Stimme und sein Poltern schon bemerkt worden ist, hat Francheschina genug Zeit zum Handeln gehabt und sich rasch versteckt. Quintiliano hört bei seinem Eintritt in das Haus nur klägliche Jammerlaute aus dem Keller. Als er aber nur den Kaminfeger darin findet, der allerdings wegen seines schlimmen Rufs berüchtigt ist, befördert er ihn unter Flüchen und Fußtritten zur Tür hinaus. Seine Frau kann er nirgends entdecken. Lorenzo macht sich, immer noch rußbedeckt, in schnellem Lauf auf den Heimweg. Angelo, der ihn sieht, läuft ihm nach, und als sie vor Lorenzos Haus ankommen, sehen sie gerade noch Aurelio und Aemilia hinter einem Fenster verschwinden. Lorenzo, dessen Wut bald keine Grenzen mehr kennt, schwört Rache, kann aber, ohne sich umzukleiden und den Ruß zu entfernen, die Verfolgung nicht aufnehmen. Diese Frist benutzt Angelo, um draußen schleunigst seinen 30

Herrn zu rufen. Als Aurelio voller Schrecken die Strickleiter herabsteigt, heißt ihn Angelo sich sofort umkleiden, so daß sein Anzug als Verkleidung für Francheschina dienen kann, die zu Aemilia geführt werden soll, um Lorenzo zu täuschen; denn Angelo weiß genau, daß dieser das Gesicht Aurelios am Fenster nicht erkannt hat. Der Plan gelingt sogar, ohne daß Quintiliano, dem Angelo mit der als Aurelio verkleideten Francheschina begegnet, seine eigene Frau erkennt. Aurelio ist gerettet. In der großen Schlußszene, in der alle Verknüpfungen friedlich gelöst werden, finden sich Aurelio und Aemilia, gegen deren Heirat nach diesen Prüfungen nun trotz des alten Gasparo nichts mehr einzuwenden ist. Lorenzo hat nach den überstandenen Gefahren genug von der Liebe, und Quintiliano ist wie immer von der Treue seiner Frau überzeugt. Hiermit ist nur sehr summarisch der Gang der Handlung skizziert. Durch eine Menge noch dazukommender Personen, vor allem durch den "gull" Innocentio und Giovanello, beide Gefährten Quintilianos, und die Kupplerin Temperance, wird sie äußerst kompliziert und schwer zu durchschauen. Aber obwohl Chapman in der Handlung wie auch in den Charakteren durch sein Vorbild, den "Alessandro", weitgehend gebunden ist, ist doch in der äußeren Form des Stückes ein großer Fortschritt deutlich sichtbar. Das im Italienischen konventionelle und steife Stück 4 2 ist unter Chapmans Händen zu einer wirklich lebensprühenden Komödie geworden. Trotz beibehaltener italienischer Namen ist die ganze Atmosphäre so typisch englisch wie nur irgend möglich. Von sich aus wäre Chapman wohl kaum fähig gewesen, eine derartig komplexe Handlung aufzubauen und durchzuführen. Aber in "May-Day" ist Chapman sehr aufmerksam bei der Sache, er achtet genau auf Äußerlichkeiten, was sich auch in seinem Benutzen anderer zeitgenössischer Dramen zeigt. Als Experiment einer derartigen Bearbeitung ist "May-Day" sehr gelungen. Für das Wesen dieser Komödie ist etwas sehr bezeichnend: die wenigsten Leser, nach Gehalt und Sinn befragt, werden über die für den Augenblick interessierende Handlung und ein paar Charaktere hinaus einen tieferen Eindruck von dem Stück haben. Es steht und fällt mit dieser rasch fortschreitenden und sich zuspitzenden Handlung, deren komisches Element fast ausschließlich durch die jeweilige Situation bestritten wird. Außer vielleicht bei Quintiliano und allerhöchstens noch bei seinem Gefährten Innocentio kann von komischen Charakteren nicht die Rede sein. Es werden andere Personen als im "Alessandro" in den Mittelpunkt gerückt. Lodovicos Rolle ist im Gegensatz zu der des Titelhelden Alessandro im italienischen Stück äußerst wichtig. Sein Freund Aurelio, für den er seine vielen Pläne ausheckt, verblaßt neben ihm vollständig. Lodovico wird bei Chapman zum beweglichen und lebendigen „Hans Dampf in allen Gassen". E r ist der letzte in der Reihe der Irus, Lemot, Rinaldo, der für Chapmans frühe und mittlere Komödie charakteristischen Figuren. Wie Lemot in "An Humourous Day's Mirth" ist er eine der treibenden Kräfte im Stück, * * Vgl. Parrott, S. 733.

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aber er ist nicht, wie Rinaldo, der mischief-maker aus reiner Freude an der Bosheit, sondern ist es aus der Eigenschaft seines Temperamentes heraus, nirgends tatenlos zusehen zu können und immer überall dabei sein zu müssen. Er ist ein unruhiger Geist, der von sich selbst sagt: "Idleness is accounted with other men a sin; to me 'tis a penance" 4 3 . Wie Lemot ist er gutmütig und bestrebt, seinem Freund zu helfen, wobei der Spaß des "gulling" ohnehin abfällt. Und Aurelio braucht seine Hilfe, denn ohne Lodovico würde er niemals sein Ziel erreichen. Er ist ein weicher, unentschlossener und liebeskranker Jüngling, der, wie Koeppel sehr richtig bemerkt, eine auffallende Ähnlichkeit mit Chaucers Troilus hat 4 4 . Lodovico muß ihn, wie Pandarus den Troilus, aus seiner Ohnmacht aufwecken und mit kräftigen Worten ins Leben zurückrufen. Ebenso verspricht er ihm, ein Treffen mit seiner Dame zu arrangieren und gleichfalls versucht er, wie Pandarus, Aemilia später zu bereden, Aurelio einen Brief zu schreiben. Daß Chapman bei diesen Szenen, obwohl sie ihm j a durch den Alessandro gegeben waren, an Chaucer erinnert wurde, scheint durch eine Äußerung Lodovicos, die Koeppel nicht erwähnt, wahrscheinlich. Als Lodovico glücklich sein Ziel, Aurelio und Aemilia zusammenzubringen, erreicht hat und draußen vor dem Hause sitzt, überlegt er folgendermaßen: "Now to my contemplation, this is no pandarism, is it? No, for there is neither money nor credit proposed or expected, and besides there is no unlawful act intended 4 5 ." Die noch hinzukommende Tatsache, daß Aemilia, wie bei Chaucer, seine Base ist, hat Lodovico diese Überlegung zweifellos aufgedrängt. Das Interessante an dieser an Chaucer anklingenden Episode ist, daß sie in einem Stück, dessen Autorschaft jetzt von Parrott nach inneren Kriterien für Chapman so gut wie bewiesen zu sein scheint, noch einmal vorkommt. Es handelt sich um "Sir Giles Goosecap", wo dieses Thema den Inhalt der ernsten Handlung ausmacht. Leider ist nur eines dabei nicht festzustellen, nämlich ob "May-Day" oder "Sir Giles Goosecap" chronologisch früher liegt. Die Entstehungszeit von "Sir Giles Goosecap" ist ziemlich sicher zwischen 1601 und 1603 46 , kann also sowohl vor als auch nach "May-Day" liegen. Es ist also nicht sicher festzustellen, ob Chapman die ihn in "May-Day" scheinbar interessierende Episode ausführlich, mit bewiesener 47 und deutlicher Anlehnung an Chaucer, in "Sir Giles Goosecap" aufs neue verwandte, oder ob, wenn dieses früher lag, in "May-Day" noch eine Reminiszenz hieran anklingt. Die zweite Möglichkeit ist eigentlich wahrscheinlicher. Die Figur des alten Lorenzo hat Chapman dagegen ganz eng an Costanzo, sein Vorbild im "Alessandro", angelehnt. Hier hat Kreider sicherlich mit seiner Behauptung einer "stock figure" recht. Seine BeIII, 3. 136. * * Koeppel, a. a. O. 4 5 III, 3. 128—131. 4 0 Vgl. Parrott, S. 890. 4 7 Vgl. G. L. Kittredge, Journal of Germanic Philology 2, 1898. 43

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Schreibung des Pantalone in der zeitgenössischen italienischen Komödie paßt bis ins einzelne auf Lorenzo: " T h e proclivity to senile love-making which was occasionally present in the old men of Latin drama was extensively developed in the derivative characters of Italian comedy that the fatuous and ludicrously unlucky Pantalone became a stock figure in both the Commedia dell'arte and the Commedia erudita. Avaricious, but willing to spend much of his wealth to secure gratification for his libertine ambition, sly, because generally he had a position to maintain, and convinced that he was still vigorously attractive, he readily indulged in degrading masquerades and entrusted his affairs of heart to a trixter. Entrepreneur, amoureuse, daughter and daughter's lover devoted their energies to baffling the old satyr." Und ein paar Zeilen weiter setzt Kreider noch hinzu: "To describe the stereotyped Pantalone is to portray Chapmans Lorenzo 4 8 ." Auch Temperance, die Kupplerin, gehört durchaus in die Rubrik der stock figures. Das einzig Originelle an ihr ist ihr ironisch-moralischer Name. Wesentlich anders ist es mit Quintiliano. Auch er ist im "Alessandro" in der Gestalt des capitano Malagigi vorgebildet, aber über ihn geht Chapman weit hinaus, schon dadurch, daß die Quintiliano-Handlung einen für das Stück nicht erforderlichen, unverhältnismäßig großen Raum einnimmt. Der Charakter mußte für Chapman schon deshalb interessant sein, weil die Gestalt des miles gloriosus, des Soldaten, der mit seinem Kriegsdienst in den Niederlanden oder Flandern je nach seiner Lage maßlos prahlte, oder wie der arme Shift in Jonson's "Every Man out of his Humour" mehr oder weniger vergeblich versuchte, Kapital daraus zu schlagen, in den Straßen Londons zu der Zeit ein alltäglicher Anblick war. Chapman konnte diese Gestalten also entweder aus eigener Erfahrung kennen gelernt oder sich in den Komödien Ben Jonsons an ihnen erfreut haben. Auch am Quintiliano hat er sicherlich seine Freude gehabt, denn die scharfe Satire, mit der Jonson sowohl Shift als auch Tucca im "Poetaster" darstellt, fehlt Chapman. Quintiliano ist sehr gutmütig und gutgläubig, wie er auch niemals merkt, daß seine Frau ihn betrügt. Die Großspurigkeit und Prahlerei des siegreichen Kriegers kehrt er nur dann heraus, wenn er seinem törichten Leutnant Innocentio Geld aus der Tasche locken will, oder seinem Schneider oder Barbier Geld schuldet. Im Gegensatz zu Jonsons Shift, der mit dem Mute der Verzweiflung versucht, die Leute zu betrügen, ist Quintiliano äußerst überlegen und von einer ganz frechen Sicherheit. Da er zu seinem Glück meist Dummen begegnet, gelingt ihm sein Verfahren fast jedesmal. All seine durchtriebene Schlauheit bewahrt ihn jedoch nicht davor, gleichsam vor seinen Augen von Francheschina betrogen zu werden, worin sich wirklich so etwas wie poetical justice zeigt. In den Szenen im Gasthaus, wo Quintiliano große Trinkgelage abhält und dann sehr animiert zu singen 4 8 Kreider, a. a. 0., S. 52 ff. Bestätigt wird dies Zitat auch durch die Darstellung des Pantalone bei K. M. Lea: Italian Populär Comedy. A Study in the Commedia Dell' Arte 1560—1620. Oxford 1934. S. 18—22.

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und zu tanzen anfängt, erinnert er zuweilen an Sir Toby Belch. Kaum reicht er dagegen trotz aller Frechheit und Prahlerei an das niedrige Lästern und die wahrhaft giftige Bösartigkeit von Jonsons Captain Tucca heran. Quintiliano, der so viel Spaß daran hat, seine törichten Gefährten hinters Licht zu führen und nicht merkt, wie ihm unterdessen das gleiche geschieht, ist nicht von dem heißen Zorn des Satirikers erschaffen, sondern wird bis zum Schluß von Chapman mit belustigter Nachsicht behandelt. Eine im "Alessandro" nicht vorhandene Figur wird bei Chapman durch den Innocentio dargestellt, der seine Existenzberechtigung im Grunde nur der Tatsache verdankt, daß Chapman für Quintiliano einen Gegenspieler suchte. Innocentio ist der "gull", der sich in allem, was er tut, bis zu den äußerlichsten Dingen, Kleidung, Benehmen usw., nach dem Vorbild Quintilianos richtet. Innocentio ist dumm und merkt nicht, wie er von seinem Vorgesetzten dauernd zum Narren gehalten wird. Alles, was ihm gesagt wird, versteht er falsch, so daß Quintiliano hinlänglich Gelegenheit hat, ihn seine Überlegenheit fühlen zu lassen. Als Quintiliano später den Studenten Giovanello zu seinem Fahnenträger macht, kann Innocentio sich nicht mit ihm vertragen. Die Szene, in der Innocentio dem Giovanello einen eine Forderung enthaltenden Brief schreibt, und auch der Brief selbst, sind eine deutliche Reminiszenz der Szene in "Twelfth Night", wo Sir Andrew Aguecheek seine Forderung an Viola abfaßt 4 9 . Überhaupt weist "May-Day" sehr viele Anklänge an Shakespeare auf. Die Parellelen lassen sich bis in einzelne Redewendungen verfolgen. "May-Day" ist bis auf einen geringen Bruchteil, der in Blankvers geschrieben ist, ein Prosastück. Keine von Chapmans Komödien enthält weniger Blankverse. Die Prosa, die hier so klar und präzise, so vollkommen an den Stil des Ganzen angepaßt ist, läßt es äußerst bedauerlich erscheinen, daß Chapman sie für unwürdig hielt, sie in seinen späteren und reiferen Dramen beizubehalten. Mit "The Blind Beggar of Alexandria", "An Humourous Day's Mirth" und "May-Day" sind wir in unserer Betrachtung von Chapmans dramatischen Experimenten am Ende. Es ist ein sehr unterschiedliches Bild, das diese drei Komödien bieten. Wenn man von Einzelheiten absieht, ist in ihnen aber doch eine fortschreitende Entwicklung bemerkbar. Schon die erstaunliche Verschiedenheit der Stücke als solche ist interessant. Zuerst der "Blind Beggar", diese wirklich primitive Farce mit der unwahrscheinlichen romantischen Nebenhandlung, dann "An Humourous Day's Mirth", diese ganz leichte und doch schon unverkennbare Comedy of Humours, die, bei aller selbstverständlichen Verschiedenheit von Jonson, doch entscheidende Züge der neuen Richtung aufweist, durch die ein Teil der elisabethanischen Komödie sich fortan auszeichnen sollte, und schließlich "May-Day", das, kein originales Stück, immerhin als dramatisch sehr viel besseres und technisch vollendeteres Beispiel einer Bearbeitung durch*" Vgl. "May Day" III, 3. 253—303, mit "Twelfth Night" III, 4. 150 ff.

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aus gelungen erscheint. Wenn man an greifbaren Einzelheiten den Fortschritt sehen will, so braucht man nur auf die Entwicklung des Stils in diesen Stücken zu sehen. I m ersten zur Hauptsache schon ein sehr klarer, oft schöner Blankvers, im zweiten sehr viel weniger Verse, dafür ein Zunehmen an kräftiger und realistischer Prosa, im dritten endlich fast ausschließlich Prosa, die in ihrer Schärfe und Durchsichtigkeit ausgezeichnet ist. Es ist seltsam, daß von diesen sich doch sehr stark entwickelnden Stilen keiner von Chapman beibehalten wird. Die Prosa, die Chapman so vollkommen zu beherrschen scheint, verschwindet im späteren Werk vollständig, und auch der schöne klare Blankvers seiner frühesten Zeit wird mehr und mehr von der ihn bedrängenden Fülle der Bilder und Gedanken erdrückt. Der Stil dieser ersten Komödien ist aber deshalb für Chapmans Entwicklung wertvoll, weil er Ausdruck für eine noch unbefangene und ungehemmte Phase seines Schaffens ist. Unter den drei Stücken ist " A n Humourous Day's M i r t h " am besten als Ansatzpunkt für d i e Komödien zu verstehen, die dann ihrerseits wieder ein Bindeglied zur Tragödie bilden. B e i der Betrachtung der nächsten Stufe, die den formalen Höhepunkt in Chapmans Komödienproduktion bedeutet, wird es notwendig sein, sich für die ausführlichere Untersuchung auf ein Beispiel zu beschränken und sich bei dem anderen Stück mit der Hervorhebung der wichtigsten Punkte zu begnügen. B e i der ersten Gruppe von Stücken war das ihrer großen Verschiedenheit halber nicht möglich, während der Zusammenhang durch eine gewisse Einschränkung an dieser Stelle nicht leidet. " A l l Fools" ist 1605 von Thomas T h o r p e in Quarto gedruckt. Die Datierung ist hinreichend gesichert. Auch die Quellenfrage, die später bei Chapman oft so kompliziert wird, bietet hier keine Schwierigkeiten. " A l l Fools" ist eine einwandfreie Entlehnung von zwei Komödien des Terenz, "Heautontimoroumenos" und der " A d e l p h i " 5 0 . Trotz ausgiebiger Benutzung seiner Quellen hat Chapman ein doch weitgehend selbständiges, in vieler Hinsicht sehr vollendetes Lustspiel geschaffen. Die recht komplizierte Handlung behält er bei, läßt aber parallel eine Nebenhandlung laufen, die mit beträchtlicher Satire geschrieben eine kleine Comedy of Humours für sich darstellt. Die Rolle des klugen Sklaven bei Terenz spielt bei Chapman der elisabethanische " g u l l " Rinaldo, dem wir in anderer Gestalt, zuletzt im Lodovico in "MayDay", schon öfter begegnet sind. I m Gegensatz zu seinen leichtherzigen Vorgängern ist Rinaldo boshaft und freut sich, wenn er die einzelnen Personen gegeneinander ausspielen kann und sie in möglichst unentwirrbare Situationen hineinverwickelt. Die Stärke des Stückes liegt erstens in der gut aufgebauten und durchgeführten Handlung, die reich an amüsanten Szenen ist und viel Gelegenheit zu Situationskomik bietet; zweitens, in dem vollendet klaren und flüssigen Blankvers, der die Handlung gleichsam trägt und keinerlei Unklarheit aufkommen läßt. Allerdings müssen solche 6U

Vgl. Max Stier, Chapmans " A l l Fools", Diss. Halle 1904.

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schönen Verse wie die folgenden andere Mängel, wie z. B. die erstaunliche Schwäche der weiblichen Charaktere ersetzen: " I tell thee Love is Nature's second sun, Causing a spring of virtues where he shines; And as without the sun, the world's great eye, All colours, beauties, both of Art and Nature, Are given in vain to m e n ; so without Love All beauties bred in women are in vain, All virtues born in men lie b u r i e d ; F o r Love informs them as the sun doth colours; And as the sun, reflecting his warm beams Against the earth, begets all fruits and flowers; So Love, fair shining in the inward man, Brings forth in him the honourable fruits Of valour, wit, virtue, and haughty thoughts, Brave resolution, and divine discourse: Oh, 'tis the Paradise, the Heaven of e a r t h 5 1 . "

Melodie und Rhythmus der Verse scheinen darauf hinzudeuten, daß Chapman möglicherweise noch den Klang von Birons Rede auf die Liebe in "Love's Labour's Lost" im Ohr hatte. "All Fools" hat als erste der Komödien einen Prolog, der nach einer bestimmten Richtung hin wichtig ist. Chapman stellt darin Überlegungen an, wie sich der Geschmack des Publikums einer auf der Bühne aufgeführten Komödie gegenüber verhält. Er stellt fest, daß "merely comical and harmless jests" 5 2 keinerlei Wirkung mehr haben, wenn sie nicht von der ganz scharfen Satire, die sich nicht scheut, persönlich zu werden, gewürzt werden. Hierin liegt zweifellos eine deutliche Anspielung auf den Theaterkrieg 5 3 . Wichtiger aber ist der Unterton der Unzufriedenheit mit dem Publikum, das unberechenbar ist und seinen Geschmack dauernd ändert, so daß der Autor niemals den Erfolg seines Stückes voraussehen kann. Wenn man sich den Ton bitterster Verachtung und persönlicher Gekränktheit vergegenwärtigt, den Chapman später fast immer gegen sein Publikum anwendet, so scheint er hier zunächst nur eine sehr milde und gutgelaunte Kritik anzubringen. Aber bei genauerer Betrachtung spürt man doch, daß seine Bemerkungen nicht gutmütig gemeint sind, sondern daß er sich über die Zuverlässigkeit und den Wert des allgemeinen Urteils keine großen Illusionen macht. Und wer unter den Zuschauern, an die er sich wandte, Ohren hatte zu hören, der wird aus den Versen dieses Prologs allerdings kaum allzu große Hochachtung für das elisabethanische Publikum haben heraushören können: " S o Fortune governs in these stage events; That merit bears least sway in most contents. Auriculas asini quis non h a b e t ? How we shall then appear, we must refer T o magic of your dooms that never e r r . " 61

53

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I, 1. 97—111. Prologue, 1. 17. Siehe Parrott, Comedies.

S. 713.

Die ganz bittere Ironie, die dahinter steckt, wird durch das treffende Persius-Zitat nur noch evidenter. "All Fools" ist stets als Chapmans beste Komödie angesehen worden, was vom Standpunkt technischer Vollendung, verglichen mit den allermeisten seiner Stücke, sehr berechtigt erscheint. Swinburne, der noch "An Humourous Day's Mirth" in Grund und Boden verdammt, hält "All Fools" für "one of the most faultless examples of high comedy to be found in the whole rich field of our Elizabethan drama" 54 . Trotzdem läßt sich gerade an diesem Stück, in dem technische Schwächen so weitgehend fortfallen, beweisen, daß die reine Komödie ein Gebiet ist, welches Chapman am wenigsten liegt. Schon an der 1. Szene des I. Aktes läßt sich das mit aller Deutlichkeit zeigen 55 . Rinaldo spricht dort mit seinem Bruder Fortunio über die Liebe. Er selbst hat schlechte Erfahrungen gemacht; das Mädchen, das er liebte, hat sich als falsch erwiesen und ihn zu einem desillusionierten Zyniker gemacht. Er spottet über die unglückliche Liebe des Fortunio ebenso wie über die glückliche des Valerio. Mit krassem Realismus schildert er seine Erfahrungen und entwirft danach ein Bild der Frau, das durch die Schärfe der Beobachtung und kühle psychologische Einsicht, vor allem aber durch die zynische Offenheit, beinahe wie eine Vorahnung gewisser Seiten der Restaurationskomödie anmutet. Diesen Ton finden wir bei Chapman erst wieder in seiner letzten Komödie, in "The Widow's Tears". Das Interessante ist aber, daß diese Gedanken bei Rinaldo mit ganz anderen verknüpft erscheinen. Neben dieser skeptischen Anschauung finden sich Äußerungen über die Liebe, die rein platonischen Ursprungs sind, so z. B., wenn er die Wirkung der Liebe bei Fortunio und Valerio vergleicht; bei dem letzteren nämlich ist sie "Only a temperate and most kindly warmth, That gives life to those fruits of wit and virtue."

Valerio zeigt auch etwas von den einander entgegengesetzten Denkweisen Rinaldos. Auch er hat die Schärfe der psychologischen Beobachtung und erkennt dadurch in Rinaldos Zynismus deutlich das persönliche Ressentiment, gleichzeitig preist er in ganz platonischen Versen die Liebe 56 . In den späteren Komödien finden sich diese Gedankengänge nie so nah beieinander, immer überwiegt die eine oder die andere Denkungsart. Wo aber derart entgegengesetzte philosophische Gedanken und Probleme zum Austrag kommen wollen, kann unmöglich die Komödie gedeihen. Das trifft von "All Fools" an, wo es sich gerade an dieser einen kurzen Szene besonders klar zeigen läßt, für alle Komödien Chapmans zu. Immer wieder drängen sich diese in Chapmans Mentalität begründeten Konflikte in den Vordergrund. Damit verbunden ist die Tatsache, daß ihn am Menschen eigentlich nur die rein geistige Seite interessiert. Der ganze 64

A. C. Swinburne, Contemporaries of Shakespeare. London (Heinemann) 1919.

S. 48. 66 B«

I, 1. 1—123. I, I. 91—123.

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Mensch kommt dabei etwas zu kurz und Chapman ist nur zu geneigt, weil ihm selbst der ausgleichende Humor, der die geistige Seite des Menschen mit der mehr affektiven verbindet, fehlt, die Komödie zuweilen als eine etwas primitive und eines ernsthaften Künstlers nicht ganz würdige dichterische Äußerung anzusehen. Dadurch fälscht und schwächt er den Sinn der Komödie. Vor allem aber spürt man irgendwie in "All Fools" Chapmans Bewußtsein, über die Belanglosigkeit dieses Lebens erhaben zu sein, und die Verpflichtung, seine Darstellung dieser Belanglosigkeit in der Komödie zum mindesten durch technische Vollendung annehmbar machen zu müssen. Darauf ist, wie wir glauben, der unangenehme Eindruck von "All Fools" hauptsächlich zurückzuführen. Der erste Eindruck von "Monsieur D'Olive" ist zunächst offenbar viel günstiger. Obwohl das Stück sehr ungleichwertig ist, enthält es Szenen, die zum Besten gehören, was Chapman auf dem Gebiet der Komödie überhaupt geschrieben hat. Aber vom Standpunkt der geistigen Entwicklung Chapmans aus geurteilt, ist ein innerer Fortschritt, eine spürbare Bewegung in der für Chapman wesentlichen Richtung kaum zu konstatieren. "Monsieur D'Olive" ist eine ziemlich späte Komödie, die 1606 in Quarto gedruckt wurde. Da ihre Entstehungszeit etwa um 1604 liegt, trennen sie fünf Jahre von der Abfassung von "All Fools". In der Zwischenzeit entstanden "Sir Giles Goosecap" und " T h e Gentleman Usher", die einen ganz neuen geistigen Standort bezeichnen. Immerhin ist an "Monsieur D'Olive", auch wenn die innere Spannung nicht durchhält, zu merken, daß Chapman der Komödie in der Zwischenzeit schon so etwas wie einen neuen Gehalt verliehen hatte, der, wenn nicht im ganzen, an einzelnen Stellen doch seine Spuren hinterlassen hat 5 7 . Die Datierung von "Monsieur d'Olive" ist als ziemlich sicher zu bezeichnen, und der Text ist relativ gut. Etwas kompliziert und auch noch nicht vollständig geklärt ist dagegen die Quellenfrage. Der Ursprung der komischen Handlung geht auf die endlos langen Reisevorbereitungen dreier englischer Lords zurück, die zu Botschaftern in Spanien, Frankreich und den Niederlandern ernannt worden waren, und deren bevorstehende Abreise in London geradezu Tagesgespräch geworden war. Schwieriger wird es bei der aus zwei verschiedenen Motiven bestehenden romantic comedy. Es laufen zwei Geschichten gleichzeitig nebeneinander her. Marcellina, die Gemahlin des Grafen Vaumont, hat sich, durch die angebliche Eifersucht ihres Gatten bewogen, von der Welt zurückgezogen. Mit ihrer Schwester Eurione lebt sie allein in ihrem Palast, wo sie nur nachts, wenn die ganze übrige Welt längst zur Ruhe gegangen ist, sich erhebt, den Lauf der Sterne betrachtet und sich philosophischen Gedanken hingibt. Tagsüber wird das Haus verdunkelt und niemand hereingelassen, um den Schlaf der beiden Damen nicht zu stören. Auch der Graf St. Anne hat sich in die Einsamkeit zurückgezogen, wo er den Tod seiner über alles geliebten Frau betrauert. Er wartet nur darauf, daß der Schmerz um sie 57

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Siehe "Sir Giles Goosecap" und "The Gentleman Usher".

auch ihn bald vom Leben erlösen wird. Diese beiden höchst tragischen Geschichten werden durch Vandome zur Lösung gebracht. Dabei wird auf eine merkwürdige Tradition angespielt. Vandome ist nämlich der Geliebte der Marcellina, d. h. zwischen beiden besteht eine rein platonische Freundschaft, die auch von allen Außenstehenden als solche betrachtet und von Marcellinas Gemahl, Vaumont, selbst im Grunde als völlig zu Recht bestehend anerkannt wird. Vandome dringt plötzlich bei Marcellina ein und bewegt sie durch eine etwas plumpe List, indem er vorgibt, daß er ihr die grobe Untreue Vaumonts mit einem anderen Mädchen vor Augen führen will, ihren Schwur zu brechen, ihre selbstgewählte Einsamkeit zu verlassen und zum Leben mit ihrem Gemahl zurückzukehren. Gleichzeitig ruft er auch den Grafen St. Anne, seinen Schwager, aus dessen melancholischem Grübeln dadurch ins Leben zurück, daß er ihn um seine Fürsprache für sich bei Eurione, der Schwester Marcellinas, bittet. St. Anne willigt, nur um Vandome den Gefallen zu tun, ein und verliebt sich bei der Gelegenheit heftig in das Mädchen, das ihn schon lange liebt, wodurch Vandome auch hier seinen Zweck erreicht sieht. Die Marcellina-Episode ist, solange wir von einer direkten Quelle nichts wissen, Chapmans eigene Erfindung 58 . "Monsieur D'Olive" ist das erste Stück, das, wenigstens äußerlich, nach Schauplatz und Personen in Frankreich spielt. Chronologisch folgt darauf bereits "Bussy D'Ambois", oder liegt wenigstens in unmittelbarer zeitlicher Nähe, und "Monsieur D'Olive" liefert einen deutlichen Fingerzeig für die Richtung, in der Chapmans Schaffen sich bewegt, auch wenn sich das nur in Äußerlichkeiten zeigt. Über die Form der Komödie, wie wir sie in "All Fools" haben, kommt Chapman nicht hinaus, d. h. der Punkt, an dem Gehalt und äußere Form am engsten miteinander in Einklang stehen, wird im Grunde nur da erreicht, wo an einigen Stellen bereits ein deutliches Übereinstimmen mit der Tragödie zu spüren ist. Auch "Monsieur D'Olive" erscheint zunächst als Stück, das auf der Grenze steht, und erst im weiteren Verlauf stellt sich heraus, daß es in die frühe Phase zurückfällt und sich auf der vielversprechenden Höhe des ersten Aktes nicht halten kann, was hauptsächlich daran liegt, daß die ernste Handlung immer mehr auf das Niveau einer bloßen Intrige herabsinkt, und daß die Charaktere, die am Anfang erhebliche Möglichkeiten und Ansätze aufweisen, entweder ganz unausgeführt bleiben oder von Akt zu Akt schwächer und uninteressanter werden. Eine Analyse des ersten Aktes wird am besten die positiven Seiten des Stückes herausstellen können, wie sich auch das offenbare Versagen im ganzen und die Stellung innerhalb der Komödien danach leichter erklären lassen. Für den Leser ist es zunächst angenehm zu bemerken, daß das Personenverzeichnis keine so große Länge aufweist und mehr noch, daß von den sechzehn auftretenden Personen etwa sechs belanglose Rollen ver5tt F ür den sehr viel komplizierteren Zusammenhang der St. Anne-Handlung verweisen wir auf Schoell, Un Drame Elisabéthain Anonyme: "Charlemagne". Revue Germanique, Mars-Avril 1912.

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treten, so daß die Handlung konzentrierter und straffer wird. Die Szene geht an mit der Ankunft des Vandome, der soeben nach dreijähriger Abwesenheit vor das Haus des Grafen Vaumont zurückkehrt. Er schickt seine Diener zum Grafen St. Anne, um ihm und seiner Schwester sein baldiges Erscheinen einstweilen anzukündigen, während er zunächst Vaumont und Marcellina aufsuchen will. In einem Monolog vor deren Hause erklärt er sein Verhältnis zu Marcellina und die seltsame und rein platonische Freundschaft, die ihn mit ihr verbindet. Er entwirft eine Schilderung von ihr, die dem idealen Menschenbild der Renaissance sehr nahe kommt und außerdem noch besonders schöne Verse aufweist: " N o b l e she is by birth, made good by virtue. Exceeding fair, and her behaviour to it Is like a singular musician Or a sweet instrument, or else as doctrine Is to the soul that puts it into act. And prints it full of admirable forms, Without which 'twere an empty idle flame59."

Vandome bemerkt, daß das Haus seiner Geliebten verdunkelt ist und daß Vaumont in einer seltsamen Art vor der Tür auf und ab geht. Er spricht ihn an, und in der nun folgenden Unterhaltung erzählt ihm Vaumont, daß er ihm, Vandome, großes Unrecht zugefügt habe und nun selbst furchtbar dafür bestraft worden sei. Er, Vaumont, wisse nur zu gut, daß Vandomes Verhältnis zu seiner Frau vollständig ehrenhaft und berechtigt sei und daß er selbst etwas anderes nicht hätte glauben dürfen, sondern "should have weigh'd so rare a woman's words As duties of a free and friendly justice, Not as the headstrong and incontinent vapours Of other ladies' bloods, enflamed with lust; Wherein I injured both your innocencies, Which I approve 6 0 ."

Trotzdem habe er ihr in einem Anfall von Eifersucht Vorwürfe gemacht, die Marcellina to tief getroffen hätten, daß sie sich von dem Tage an von ihm und von der Welt zurückgezogen hätte, um fern der Sonne und dem Tageslicht ihr Leben zu beschließen. Als Vandome nun auch noch von Vaumont erfährt, daß die Gemahlin des Grafen St. Anne " Y o u r worthy sister, worthier far of heaven Than this unworthy hell of passionate earth, Is taken up amongst her fellow stars 6 1 ",

da ist er zuerst vom Schmerz übermannt, faßt sich aber sehr rasch, und beschließt sogleich, durch Zureden zu versuchen, seine Geliebte dem Leben und ihrem Gemahl wiederzugewinnen. An dieser Stelle teilt sich der erste Akt und es schließt sich ein Gespräch der Höflinge Roderigue B B I, lastisches 6 0 I, 6 1 I,

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1. 17—23. Nebenbei spürt man hier die Anlehnung an aristotelisch-schoDenken. 1. 88—92. 1. 145—147.

und Mugeron an, das eine Einführung für Monsieur D'Olive darstellt, der später dazukommt. Schon die erste Hälfte des Aktes bildet eine ausgezeichnete Exposition. In dem Gespräch zwischen Vaumont und Vandome gibt Vaumont durch seinen Bericht ein Bild vom Stand der Dinge, der der ernsten Handlung zugrunde liegt. Und nicht nur die Handlung, auch die Charaktere der Hauptpersonen sind nach dieser Szene dem Leser bereits vertraut. Aus Vandomes verehrender Liebe zu Marcellina und seiner entschlossenen Männlichkeit lassen sich auf den Fortgang der Handlung schon gewisse Schlüsse ziehen, und die Schilderung der Marcellina selbst erweckt Hoffnungen auf ihr Auftreten, die leider niemals auch nur im allermindesten erfüllt werden. Auch Vaumont, der betrübte Gemahl, und St. Anne, dem der Tod seiner Frau alle irdischen Hoffnungen zerstört hat, werden in dieser ersten Szene äußerst lebendig. Es ist ein ganz meisterlicher Anfang eines Stückes, der noch erhöht wird durch den schönen und würdevollen Blankvers und alles in allem Zeugnis ablegt für Chapmans erstaunliches Können, das sich allerdings nur selten in einer solchen Vollkommenheit zeigt. In dem Dialog zwischen Roderigue und Mugeron wird Marcellina nur von dem letzteren als die zu Unrecht leidende Unschuld bedauert, von Roderigue aber ziemlich illusionslos und recht satirisch aus der Perspektive des Höflings betrachtet, der die Schlechtigkeit der Zeit und vor allem de; Hofes zu gut kennt und der weiß, daß die goldene Zeit, in der die Fi auen keine anderen Künste kannten als die, welche die Natur sie lehrte, für immer vorbei ist. Wie schon in der Dowsecer Szene in "An Humourous Day's Mirth" angedeutet, gibt hier Roderigue, auch wieder auf Juvenal, Sat. VI. zurückgehend, der resignierten Erkenntnis von der Verdorbenheit besonders der Frau Ausdruck. Er sagt dem gutgläubigen Mugeron frei heraus, daß Marcellina ihre Flucht vor dem Tageslicht nur dazu benutzt, um sich desto sicherer mit ihrem Geliebten Vandome treffen zu können, was sogar Mugeron als elende Verleumdung erkennt. Während dieser Unterhaltung kommt Monsieur D'Olive dazu. Munter, neugierig, in bester Laune sein schön gesticktes und vergoldetes Barrett schwenkend, kommt er herein und ergießt eine wahre Flut von Fragen und belanglosen Bemerkungen über die beiden Höflinge. So berauscht ist er von seinem eigenen "wit" und seinen geistigen Fähigkeiten, daß er die beiden auf sein Zimmer einlädt, wo die gesamte Intelligenz "critics, essayists, linguists, poets, and other professors of that faculty of wit, shall at certain hours i'th'day resort thither; it shall be a second Sorbonne, where all doubts or differences of learning, honour, duellism, criticism, and poetry shall be disputed. And how, yvits, do ye follow the Court s t i l l ? 6 2 " Die zwei Höflinge machen sich ein Vergnügen daraus, ihn sich über alle möglichen Themen äußern zu lassen, so daß bereits diese eine Szene genügt, um D'Olive im Vollbesitz seines naiven Selbstvertrauens, seiner Arroganz und gleichzeitigen Ahnungslosigkeit vorzuführen. Roderigue und Mugeron I, 1. 304—309. 41

beschließen, als er abgeht, ihn auf jeden Fall an den Hof zu bringen. Roderigue charakterisiert Monsieur D'Olive: " O h ' t i s a most a c c o m p l i s h e d ass, the m o ( n ) g r e l of a gull and a villain, the very essence of h i s soul is p u r e v i l l a n y ; the substance of his brain, f o o l e r y ; one that believes nothing f r o m the stars u p w a r d . A p a g a n in b e l i e f , an e p i c u r e b e y o n d b e l i e f ; p r o d i g i o u s in lust, p r o d i g a l in wasteful expense, in necessary most p e n u r i o u s ; his wit is to a d m i r e and imitate, his grace is to censure and detract. H e shall to th' Court, i'faith, he shall t h i t h e r ! 6 3 "

Damit schließt der erste Akt. Auch die komische Handlung ist auf diese Weise äußerst geschickt eingeführt, Exposition und Entwicklung dei Komödie stehen uns mit absoluter Klarheit vor Augen. Überhaupt ist die Durchsichtigkeit einer der größten Vorzüge des Stückes, im Gegensatz zu der sonst herrschenden Unsicherheit. Das so erstaunlich hohe Niveau des 1. Aktes bleibt nicht erhalten. Obwohl im einzelnen noch amüsante Szenen folgen und obwohl die Handlung die vorauszusehende Lösung erfährt, läßt doch die Spannung des Ganzen so fühlbar nach, daß der Rest des Stückes in seinem literarischen Wert über "All Fools" kaum hinausgeht. Vor allem leidet das Stück daran, daß ihm jegliche innere Einheitlichkeit fehlt, da es in zwei verschiedene Teile auseinander fällt. Der Aufbau ist durchaus schematisch, d. h. jeder Akt ist inhaltlich zweimal geteilt, die ernste Handlung nimmt die erste, die komische Handlung die zweite Szene ein. Dabei geht das Gleichgewicht nach und nach verloren, weil Chapmans Interesse für die ernste Handlung offenbar sehr nachläßt, während die Szenen mit Monsieur D'Olive sich immer mehr ausdehnen. Da der Zusammenhang ohnehin nur sehr äußerlich und ziemlich dürftig ist, laufen die beiden Handlungen ohne innere Beziehung nebeneinander her. Einerseits soll Monsieur D'Olive als Botschafter zum König von Frankreich geschickt werden, ihn zu bitten, die Leiche seiner Nichte, der Gräfin St. Anne, von ihrem Gemahl zu fordern, damit ihr ein würdiges Begräbnis zuteil werden kann. Andererseits wirkt die Komik der Szenen -iit Monsieur D'Olive auf die Dauer sinnlos, weil sie durch die lose Beziehung zu der ernsten Handlung gleichsam im luftleeren Raum schwebt. Denn isoliert und von dem spürbar dahinter stehenden Ernst getrennt, verliert auch das Komische seinen tieferen Sinn. Im ganzen ist der Charakter des Monsieur D'Olive am besten durchgeführt. Er ist Chapmans beste komische Figur, die gar nicht so ganz einfach, sondern ein ziemlich komplexer Charakter ist. Chapman faßt ihn auch betont anders auf als seine übrigen sonst recht kümmerlichen komischen Figuren. Die bloße Situationskomik fällt so gut wie ganz fort, und in der äußeren Form wird wieder eine starke Annäherung an Jonson bemerkbar. Szenen und Gespräche sind so aufgebaut, daß sie nur dazu dienen, Persönlichkeit und Charakter Monsieur D'Olives von allen Seiten zu beleuchten. Ein "Humour" aber im Sinne Jonsons ist Monsieur D'Olive nicht. Wohl ist der ihn beherrschende Zug die Selbstliebe, die sich zu83

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I, 1. 408—415.

weilen in grotesker Weise äußert, aber er hat noch zahlreiche andere Eigenschaften, die die Eindeutigkeit und innere Begrenztheit des typischen " H u m o u r " durchbrechen und Monsieur D'Olive zu einem Menschen machen, der an wirklicher Lebendigkeit sehr gewonnen hat. Den Grundzug seines Wesens bildet eine durch nichts zu zerstörende, gutmütig unbekümmerte Vitalität, für die das eigene Ich restlos im Mittelpunkt steht, was Monsieur D'Olive offenbar sehr viel eher in die Nachbarschaft von Sir Toby Belch oder Falstaff, als in die von Malvolio oder Marstons, aus tiefstem Pessimismus heraus gesehenen Gestalten rückt. Schmeichelei und Hohn nimmt Monsieur D'Olive mit der gleichen gutmütigen Ahnungslosigkeit hin, j a so vollständig fehlt ihm jeder Funke von Selbsterkenntnis, daß er sie oft kaum voneinander zu unterscheiden vermag. An Beweglichkeit fehlt es ihm durchaus nicht, aber die Urteilskraft ist ihm durch seine Selbstliebe so hoffnungslos getrübt, daß er auf die plumpste List hereinfällt. Trotzdem bleibt er überlegen, moralische Bedenken existieren für ihn nicht, und er ist am glücklichsten, wenn ihm Gelegenheit gegeben wird, sich zu produzieren und sein Licht leuchten zu lassen. Daß er vom Herzog ohne weiteres zum Botschafter gemacht wird, scheint ihm durchaus selbstverständlich, und die Sitten des Hofes anzunehmen, wird ihm keine Schwierigkeiten machen. Sein Gespräch mit Roderigue und Mugeron •>ach der Audienz beim Herzog zeigt ihn in seiner vollen Würde als Botschafter.

w

D'O.:

I told you I would do't; now I'll begin To make the world take notice I am noble: The first thing I will do, I'll swear to pay No debts, upon my honour.

Mug.:

A good cheap proof of your nobility.

D'O.:

But if I knew where I might pawn mine honour For some odd thousand crowns, it shall be l a i d ; I'll pay't again when I have done withal. Then 't will be expected I shall be of some religion, I must think of some for fashion, or for faction sake, As it becomes great personages to d o ; I'll think upon't betwixt this and the day.

Rod.:

Well said, my lord! This lordship of yours will work a mighty alteration in you; do you not feel it begins to work already?

D'O.:

'Faith, only in this: it makes me think how they that were my companions before, shall now be my favourites; they that were my friends before, shall now be my followers; they that were my servants before, shall now be my knaves; but they that were my creditors before, shall remain my creditors still.

Mug.:

Excellent lord! now?

D'O.:

Faith, I do not care, if I go and make a face or two there, or a few graceful legs, speak a little Italian, and away; there's all a presence doth require 6 4 .

Come, will you show your lordship in the presence

II, 2. 316—341.

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)ie innere Unbekümmertheit verläßt Monsieur D'Olive nie. Sie liegt darin legründet, daß er außer sich selbst nichts ernst nimmt. Seine sprühende Lebendigkeit und nicht zu dämmende Beredsamkeit sind ebenso echt wie •ein Geiz und seine völlige moralische Indifferenz. Aber irgendwo, im leisten Grunde seines Herzens lacht dieser Monsieur D'Olive über sich selbst, sieht sich in seiner ganzen Komik und hat eine unbändige Freude an sich. Es ist nicht nötig, ihn "out of his humour" zu bringen, und es wäre auch nicht möglich, denn ihm fehlt die ganz einseitige und starre Befangenheit des "humour". Monsieur D'Olive hat für die Komik des ganzen Stückes aufzukommen. So unbestreitbar die Wirkung ist, welche auf dem Widerspruch zwischen dem, was er nach außen darstellen will, und dem, was er in Wirklichkeit ist, beruht, so gelungen Monsieur D'Olive im einzelnen als Komödienfigur ist, so sehr fehlt ihm eben die Beziehung zum Ganzen. Und dieses innere Auseinanderfallen ist eine der größten Schwächen des Stückes. Eine weitere Schwäche ist darin zu sehen, daß die Hoffnungen, die man im 1. Akt auf die Entwicklung der Charaktere setzt, völlig enttäuscht werden. Da ist zuerst Marcellina, die von Vandome in den leuchtendsten Farben geschildert worden ist. In Wirklichkeit ist es so gut wie unmöglich, sich ein Bild von ihr zu machen, da sie nur im zweiten und fünften Akt wenige Sätze spricht. Auch ihr Gemahl Vaumont ist eine nach dem ersten Akt verblassende Gestalt. Als am Ende des Stückes Vandome endlich erreicht hat, daß Marcellina aus Furcht vor der möglichen Untreue ihres Gemahls ihre selbstgewählte Einsiedelei verläßt, hören wir über den eigentlichen Ausgang der Sache weder von Vaumont noch von Marcellina auch nur ein Wort. Der einzige Charakter, der seiner anfänglichen Darstellung entsprechend durchgeführt wird, ist der des Grafen St. Anne. Allerdings gibt auch er den abgründigen Schmerz um seine verstorbene Gemahlin nur allzu schnell auf und wird bereits beim ersten Anblick der Eurione von solcher Liebe zu ihr erfaßt, daß die Erklärung, sie sei das Abbild der Verstorbenen, etwas fadenscheinig anmutet. Auch Euriones Charakter ist nicht genügend motiviert. Mit ihrer Liebe zu dem verwitweten St. Anne, den sie damit seinem Schmerz um die verlorene Frau entreißt, ist ihre dramatische Aufgabe im Grunde erfüllt. Um so seltsamer wirkt es, wenn sie im fünften Akt, als sie durch Vandome von der vermeintlichen Untreue des Vaumont hört, völlig außer sich gerät und einen wahren Strom von Schmähungen nicht nur über Vaumont, sondern auch über die unschuldige Lady Hieronime ergießt, in einem derart hemmungslosen Ton, daß das im Anfang so schüchterne und ruhige Mädchen nicht wiederzuerkennen ist. Diese Szene ist ganz unbegreiflich und wirkt nur abstoßend. Vandome vor allem, der besonnene und philosophische Mann, dessen eine Sorge es war, seine Geliebte von dem Plan, ihr Leben in Dunkelheit zu beenden, abzubringen, vergißt schon im zweiten Akt vollständig seine Würde und entwickelt sich zu einem busybody, der ähnlich den Gestalten der früheren Komödien alle Fäden in der Hand hält und in den Mitteln, 44

seine Ziele zu erreichen, nicht sehr wählerisch ist. Der Weg, den er einschlägt, den Konflikt mit Marcellina zu lösen, ebenso wie die grobe und unzarte Art, in der er Eurione aufstachelt, zeugt von dem völligen und nicht notwendigen Absinken seines Charakters. Da sich die ernste Handlung nicht auf dem anfänglichen Niveau hält und ihr jede organische Verbindung mit der komischen Handlung fehlt, hinterläßt die ganze Komödie den Eindruck der Zerrissenheit und inneren Leere. Der so erstaunlich gute erste Akt geht an der Verflachung und Verfälschung der Charaktere, an der zur belanglosen Intrige abfallenden Handlung und vor allem an der Zusammenhanglosigkeit des ernsten und des komischen Elements verloren. Chapman hat den schon gefundenen inneren Schwerpunkt, der für ihn in geistiger Durchdringung und Fortentwicklung des Stoffes und der Charaktere besteht, wobei die allgemeinen und philosophischen Strömungen aufgenommen und organisch verarbeitet wurden, wieder verloren. Das Vorhandensein dieses inneren Schwerpunktes, d. h. die fühlbare Auseinandersetzung mit menschlichen und künstlerischen Problemen im weitesten Sinn deutet sich bei Chapman dadurch an, daß er die die Zeit beschäftigenden philosophischen Ideen, vor allem des Neuplatonismus, theoretisch und reflektierend in seine Stücke hereinnimmt. Diese rein vom Denken her bestimmte, dabei sehr persönlich gefärbte Art sich mit den Dingen auseinanderzusetzen, ist für Chapmans stärkstes Schaffen bezeichnend, und es ist sofort zu spüren, wo diese aus dem Gedanken resultierende Begeisterung, die sich auch auf die einfacheren und unkomplizierteren menschlichen Verhältnisse erstreckt, nachläßt oder nicht vorhanden ist. Für die Komödie gilt das fast ebenso durchgehend wie für die Tragödie und "Monsieur D'Olive", offenbar mit so viel Elan begonnen, scheint nach dem ersten Akt Chapmans Interesse weitgehend verloren zu haben. Möglich, daß um diese Zeit seine erste Tragödie "Bussy D'Ambois" schon im Entstehen begriffen war und all seine Energie in Anspruch nahm, so daß er Lust und Gedanken für "Monsieur D'Olive" nicht mehr aufbringen konnte. Immerhin finden sich auch hier Stellen, die für den Zusammenhang des ganzen Werkes interessant sind. So enthalten z. B. die ersten Zeilen des fünften Aktes (V, 1. 1—4) eine Anspielung auf die berühmte goldene Kette Homers, die hier allerdings nur in trivialer Bedeutung gebraucht wird: Vau.:

Come, niy good lord, now will I try my brain, If it can forge another golden chain, To draw the poor recluse, my honour'd mistress, From her dark cell and superstitious vow.

Chapman hat in seinem ganzen Werk das Bild der goldenen Kette an verschiedenen Stellen, jedesmal in veränderter symbolischer Bedeutung, verwandt, bezieht sich hier jedoch nur auf die ihr unmittelbar innewohnende K r a f t . Sprachlich ist "Monsieur D'Olive" eins von Chapmans besten Stücken. Prosa und Blankvers wechseln miteinander ab und passen sich ausge46

zeichnet an die Handlung an. Chapman ist noch sehr sparsam mit Metaphern und Vergleichen und erreicht damit eine Klarheit und Durchsichtigkeit der Sprache, durch die das Stück außerordentlich gewinnt. Es ist für Chapman sehr typisch, daß er nur da so verständlich und klar schreibt, wo eine Belastung durch Gedankenfülle weniger in Frage kommt. Auch diese zweite Gruppe von Komödien, " A l l Fools" und "Monsieur D'Olive" zeigt, trotz des zeitlichen Abstandes, viel Gemeinsames. Deutlich sichtbar ist die neue, sehr fortgeschrittene dramatische Technik, die besonders im ersten Akt von "Monsieur D'Olive" auffällt, weil sie da ganz selbständig ist. An " A l l F o o l s " als Beispiel ist gezeigt worden, wie wenig Chapman im Grunde die reine Komödie liegt, was durch "Monsieur D'Olive" noch evidenter wird. In beiden Komödien sind philosophische Gedanken und Probleme fehl am Platze, beiden fehlt letzten Endes aber auch der innere Gehalt, der durch keine noch so geglückte Handlung und bloße technische Vollkommenheit zu erlangen ist. Die im folgenden zu behandelnden Stücke " S i r Giles Goosecap" und " T h e Gentleman Usher" sind zunächst wichtig als eine ganz neue Art der Komödie, in der eine romantische Handlung mit ernsteren, auf die Tragödie vorbereitenden Zügen verbunden ist, die Chapman bezeichnenderweise besonders liebt. F ü r eine allgemeine Beurteilung seiner geistigen Entwicklung sind aber diese Stücke vollends unentbehrlich. Sie sind in Chapmans dramatischer Produktion von großer Bedeutung. Ohne sie stünden die Tragödien und Komödien, von einzelnen Hinweisen und der letzten, rein satirischen Komödie " T h e Widow's Tears" abgesehen, fast ohne Vermittlung nebeneinander. D a ß diese beiden Stücke eng zusammengehören, steht fest; Chronologie und Inhalt, zahlreiche äußere und innere Kriterien lassen sich als Beweis dafür anführen. Rein formal hat " S i r Giles Goosecap" noch sehr große Schwächen, während " T h e Gentleman Usher" sich durchaus als Chapmans beste Komödie rechtfertigen läßt. Beide Stücke entwickeln sich konsequent in derselben Richtung, was bei Chapmans sonst meist sprunghafter Entwicklung immerhin selten der F a l l ist. Für das ursprünglich anonyme Stück " S i r Giles Goosecap" hat Parrott die Autorschaft Chapmans, wie wir glauben, mit absoluter Sicherheit erwiesen 6 5 , so daß es sich in unserem Zusammenhang erübrigt, näher auf dies Problem einzugehen. Von äußeren, durch die Chronologie oder fremde Einflüsse bestimmten Umständen abgesehen, liefert die große Zahl der von Parrott festgestellten Parallelen zu fast allen Werken Chapmans einen ziemlich unanfechtbaren Beweis für die Echtheit des Stückes. Darüber hinaus wird uns eine weitere Bestätigung durch die Feststellung zuteil, daß wir, aufmerksam gemacht durch die vielen Parallelen zu Chapmans frühem Gedicht "Ovid's Banquet of Sense", dessen philosophische Gedanken in " S i r Giles" wieder aufgenommen und verarbeitet finden. 0 5 Vgl. T. M. Parrott: The Authorship of Sir Gyles Goosecappe. Modern Philology, July 1906, und Parrott: Comedies, S. 890—892.

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Gedankengänge dieser Art, oft unklar und schwer verständlich, introspektiv und die eigene Philosophie umständlich entwickelnd, bilden in den Tragödien Chapmans ein Hauptelement. " S i r Giles" ist daher trotz seiner F e h l e r (für die man Chapman, so wie das Stück uns vorliegt, übrigens nicht restlos verantwortlich machen kann) deshalb so aufschlußreich, weil es so vielseitig ist und uns Gelegenheit gibt, von verschiedenen Seiten an Chapmans geistigen Standort heranzukommen. Es wird praktisch sein, erst den Aufbau zu betrachten, darauf die Frage nach der Quelle und sonstigen äußeren Einflüssen zu stellen, und endlich die philosophischen Gedanken, einmal in ihrer Bedeutung für das Stück, und zweitens im Zusammenhang mit dem Ganzen des dramatischen Werks zu untersuchen. " S i r Giles Goosecap" ist im J a n u a r 1606 ins Stationer's Register eingetragen, wobei ein Autor nicht erwähnt wird. Shepherd hat es in seine Chapmann-Ausgabe nicht aufgenommen, so daß die uns vorliegende Ausgabe der Chapmanschen Komödien von Parrott die einzige ist, welche das Stück enthält. Der Aufbau bietet kaum Schwierigkeiten. I m Gegensatz zu „Monsieur D'Olive" und ihm darin überlegen, haben wir in " S i r Giles Goosecap" eine einheitliche und unkomplizierte Handlung, deren Verlauf und Ausgang eigentlich von vornherein feststeht und die an sich arm an Spannung und Abwechslung ist. Formal leidet die Handlung darunter, daß Chapmans Neigung zu theoretisieren hier zum erstenmal in Erscheinung tritt, was zum Teil auf die Art seiner Quelle zurückzuführen sein mag. Im folgenden wird darauf noch näher einzugehen sein. Die Geschichte behandelt das Thema des "scholar turned lover", welches Chapman schon in der Figur des Dowsecer in " A n Humourous Day's M i r t h " anschlug. I m Mittelpunkt steht der gelehrte und kluge Clarence, der bei seinen Studien, der Musik und den Reflexionen „quae origo rerum", plötzlich und heftig von der Liebe ergriffen wird. E r verfällt in tiefe Schwermut. Seinem Freunde Momfortl fällt diese melancholische Stimmung auf, und er dringt in Clarence, sich ihm anzuvertrauen. Beschämt gesteht Clarence, der Philosoph, Momford schließlich seine irdischen Gefühle. E r l i e b t ; die Tatsache allein versetzt Momford in helle und unbefangene Freude, und als er gar hört, daß sich Clarence seine Nichte Eugenia erkoren hat, ist er restlos befriedigt. E r ermuntert seinen betrübten Freund und bittet ihn, vergnügt und guter Dinge zu sein. E r selbst macht sich auf den Weg zu seiner Nichte, um sie von der Liebe seines Freundes in Kenntnis zu setzen. Die Aufgabe wird ihm keineswegs leicht gemacht. Eugenia, der diese Liebeserklärung des Clarence durch ihren Onkel höchst unerwartet und überraschend kommt, ist durchaus nicht bereit, sich im Sturm nehmen zu lassen. Die Tatsache, daß sie "wise and virtuous" und außerdem " t h e best scholar of any woman, but one, in E n g l a n d 6 6 " , ist, hindert sie nicht daran, höchst unphilosophische Bedenken gegen die vorgeschlagene Verbindung 00

I, 1. 140—141. 47

mit Clarence zu äußern. Sie fürchtet für ihre Ehre und ihren guten Namen, und das Ansinnen, einen armen Edelmann zu heiraten, erscheint ihr ziemlich rücksichtslos. Auf die Vorstellungen Momfords, welch einen geistigen Reichtum Clarence in seiner inneren Weisheit besäße, macht sich Eugenias weltliche Klugheit mit bitterer Ironie und nicht ohne Heftigkeit plötzlich Luft: "Which, yet, will not maintain him a week. Such kind of nobleness gives no coats of honor, nor can scarce get a coat for necessity® 7 ."

Momford läßt sich nicht entmutigen und überbringt Eugenia bei der nächsten Gelegenheit einen Brief von dem sich in Sehnsucht verzehrenden Clarence. Mit viel List bewegt er sie dazu, ihm eine Antwort zu diktieren und schließlich auch noch ihre Unterschrift darunter zu setzen. Erst als das geschehen ist, liest er ihr das Geschriebene vor, wobei Eugenia zu ihrem großen Ärger feststellen muß, daß unter Momfords Händen ihre kurzen und wenig liebenswürdigen Worte ihren Sinn vollständig geändert haben und geeignet sind, Clarence in jeder Weise Hoffnung zu machen. Auch für den weiteren Verlauf der Sache hat der besorgte Freund Momford alle Pläne getroffen. Er lädt seine Nichte mit ihren Damen und anderen Freunden zu sich ein, eine Einladung, der Eugenia nur unter der Bedingung, daß Clarence nicht anwesend sei, zu folgen bereit ist. Sie wird damit beruhigt, daß Clarence schwer krank sei und unmöglich an der Gesellschaft teilnehmen könne. Inzwischen ist Clarence von Momford sorgfältig unterrichtet worden, sich mit dem eigens zu diesem Zweck herbeigerufenen Arzt über die Krankheit der Liebe zu unterhalten, derart, daß Eugenia ihn hören muß und, von seinen Worten gerührt, Clarence schließlich freiwillig entgegenkommen soll. Dieser nicht ungefährliche Plan entwickelt sich programmgemäß bis zu dem Moment des Festes, wo Eugenia, von Momford unbemerkt, plötzlich verschwindet. Erst nach längerem Suchen wird sie mit ihren Damen im Gemach des Clarence entdeckt, mit dem sie sich inzwischen geeinigt hat und dessen Liebe sie mit der gleichen Zuneigung erwidert. Mit einem fröhlichen Hochzeitsfest endet das Stück, und auch Eugenias zwei Damen werden mit ihren Liebhabern vereinigt. Diese Liebhaber aber sind Sir Giles Goosecap, der Titelheld des Stückes, und Sir Cuthbert Rudesby, " a blunt knight". Zu ihnen gehört noch Captain Foulweather, " a frenchified Englishman". Dies Trio ist im wesentlichen für die Nebenhandlung verantwortlich. Die Verbindung mit der Haupthandlung besteht darin, daß diese etwas törichten Ritter sich als "servants" der Eugenia und ihrer Damen betrachten und unablässig von ihnen zum Narren gehalten werden. Für diese komischen Szenen, die, auch wenn sie mit der eigentlichen Handlung verknüpft sind, noch eine erhebliche Anzahl unabhängiger Einzelepisoden enthalten, ist eine Quelle nicht vorhanden, obwohl Chapman in Einzelheiten offenbar auf Etienne Tabourot's "Les Bigarrures du