Die Ordnung der Ehe: Eine rechtsphilosophische Studie [1 ed.] 9783428440399, 9783428040391


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Die Ordnung der Ehe: Eine rechtsphilosophische Studie [1 ed.]
 9783428440399, 9783428040391

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Christian Greiff

/ Die Ordnung der Ehe

Schriften

zur

Rechtβtheorie

H e f t 72

Die Ordnung der Ehe Eine rechtsphilosophische Studie

Von

Dr. iur. Christian Greiff

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Redite vorbehalten © 1977 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1977 bei Buchdruckerei A. Sayifaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 04039 2

Omnis amor magnus, sed aperto i n coniuge maior. Properz,

Elegiae Lib. I V , I I I .

Inhalt Λ . Die Ehe als dem Recht vorgegebene Ordnung Aufgaben des Rechts: H i l f e zur Entfaltung von Ehen, Scheidung, w o ihre V e r w i r k l i c h u n g unmöglich ist

11

Frage nach der Ordnung der Ehe, Frage nach den Methoden der E r kenntnis

12

Rechtswissenschaftliche Methoden, insbesondere die teleologische thode

12

Me-

allgemeiner: geisteswissenschaftliche Methode

13

Gesetzestext und Gesetzeszusammenhang

14

zum Thema: Wesen der Ehe . .

Gesetzliche Merkmale, aber unvollständiger Begriff

16

Der Blick auf die natürliche Ehewirklichkeit

17

Der außerrechtliche

Inhalt

der Ehe

Die Erkenntnismethoden der Einzelwissenschaften als rechtsphilosophische Methoden: Naturwissenschaften, Geisteswissenschaf ten, Ontologie

17

Anwendbar auch f ü r berichtigung

18

Gesetzesauslegung (Rechtslücke) u n d

Gesetzes-

Die N a t u r der Sache

19

Die Problematik dieses Begriffs

21

Das kausale Rechtsdenken

22

Die rechtsphilosophischen

Methoden der Forschung

Die Schichten der W i r k l i c h k e i t u n d deren Zuordnung zu den Einzelwissenschaften

24

B. Die Aussage der empirischen Wissenschaften zum Wesen der Ehe Die biologische

Auffassung

Die psychologische Die soziologische

Auffassung Auffassung

27 28 32

8

Inhalt C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

Die

Ethik

38

Die Frage der Werterkenntnis

38

Ansatzpunkte f ü r ethisches Handeln, nicht Wertehierarchie

43

Z u r E t h i k von Ehe u n d Ehescheidung

43

Die christliche

Auffassung

von Ehe und

Ehescheidung

Die historische Bedeutung des Christentums f ü r die Ehe

48

Die römisch-katholische

51

Auffassung

Christologische Deutung

55

Methodik beider Konfessionen: die Analogie; Unterschiede

56

Die evangelische

58

Auffassung

vom Wesen der Ehe

Die Ehe eine Institution?

59

Christologische Deutung aus dem Zusammenhang der neutestamentlichen Botschaft

61

W a h l i n Freiheit u n d Liebe

63

Einheit u n d Ordnung

66

Ausschließlichkeit: Einehe u n d Treue

68

Zweckimmanenz

71

Unauflöslichkeit

74

Die anderslautenden Stellen bei Matthäus u n d Paulus

76

Evangelium u n d Notordnung

78

Luthers Lehre v o n den zwei Reichen

79

Ehescheidung

82

Nicht biblizistische Kasuistik der Scheidungsgründe, k e i n positiver Scheidungsgrund

83

Verzeihung als Gewissensfrage

85

Zusammenfassung der christlichen Auffassung

88

D. Ontologische Aussagen über die Ehe Ontologische Begriffe i m Recht, die N a t u r der Sache als ontologische Frage

91

Der Rang der drei rechtsphilosophischen Methoden u n d die Berechtigung der ontologischen Methode

92

Inhalt Die ontologische Methode selbst I h r e Anwendung: der natürliche

99 Tatbestand

der Ehe

103

Faktische Zerstörung der Ehe auch ohne Empfinden der Ehegatten durch Ehebruch? 106 Ontologisch falsche Bilder von der Ehe: Die Ehe als Besitzrecht des M a n nes, Ehebruch als Besitzraub, Ehescheidung als Besitzverzicht 106 Die Überbewertung des Geschlechtlichen

111

Ehe als Tabubezirk, Ehebruch als Tabubruch m i t automatischer Strafe . . 116 Tatbestandscharakter von Ehe u n d Ehebruch, Doppelbindung? W i r k u n gen? 117 Das Sein der Ehe: Einheit, Trennung, Wiedervereinigung; die Stärke des Prinzips der Vereinigung 121 E. Die Haltung des Richters

Literaturverzeichnis

129

131

Α. Die Ehe als dem Recht vorgegebene Ordnung Die Ehe ist i n ihrer konkreten Erscheinung als eheliche Gemeinschaft zwischen zwei individuellen Personen ein Rechtsverhältnis. Ehe- und Familienrecht, Verfassungs- und Strafrecht bestimmen dieses Rechtsverhältnis, die Ehegatten können es i n bestimmtem Umfang selber ausgestalten. Aber die Rechtsordnung kann die Ehe nur bis zu einem gewissen Grade erfassen und inhaltich bestimmen. Die Ehe ist eine vor jedem Recht gegebene, vom Recht vorgefundene Erscheinung des menschlichen Lebens 1 . Das Eherecht ist nicht eine i n sich geschlossene Ordnung, sondern eine Teilordnung. „Es ist auf die Mithilfe anderer, außerrechtlicher Ordnungskräfte angewiesen 2 ." I n der Erscheinung der Ehe hat die Erkenntnis des europäischen Kulturkreises eine vorgegebene Ordnung erblickt, von der Mann und Frau, die miteinander i n sie eintreten, m i t ihrer ganzen Person erfaßt und getragen werden 3 . Die Motive zum BGB faßten die Ehe als eine rechtliche und sittliche Ordnung auf 4 . Savigny sagt, das Wesen der Ehe besteht „zum großen, j a zum wichtigsten Teil nicht i n einem rechtlichen, sondern i n einem sittlichen Verhältnis. Allerdings aber reicht die Ehe auch i n das Rechtsgebiet hinein . . ." 5 . Ganz ähnlich heißt es bei Windscheid i n seinen Pandekten 6 : „Die Ehe ist nicht allein, und ist nicht zunächst, ein Rechtsverhältnis; sie ist zunächst ein sittliches Verhältnis. Als solches t r i t t sie m i t einer fertigen Ordnung i n das Rechtsgebiet ein." Aufgabe des Eherechts ist es, dazu zu helfen, daß i n der Rechtsgemeinschaft Ehen entstehen, dauern und sich so entwickeln können, wie es ihrem Wesen entspricht. Gesetz und Rechtsprechung sollen aber auch die Lösung einer Ehe zulassen, wo Menschen durch Schuld oder Schwäche an Grenzen geführt sind, die die Verwirklichung der Ehe unmöglich machen 7 . Dabei ist der Staat aber bestrebt, übereilten Scheidungen entgegenzuwirken. Er übt mancherlei retardierenden Einfluß aus und sucht zu verhindern, daß Ungerechtigkeiten entstehen. 1

Staudinger, Einl. v. EheG A n m . 86, 90. Müller-Freienfels S. 26, 34. 8 R G R - K o m m . Bd. I V T e i l 3 Einl. A n m . 1. 4 Motive I V , S. 562. 6 Vermischte Schriften Bd. V : Reform der Preuß. Gesetze über die Ehescheidung 1844, S. 233. 6 § 490 I I I . Bd. S. 3. 7 R G R - K o m m . a.a.O. 2

12

Α . Die Ehe als dem Recht vorgegebene Ordnung

Das Eherecht erfüllt diese Aufgaben m i t Normen, die dem richterlichen Ermessen weiten Raum geben. Die Fragen, was das Wesen der Ehe sei, wann eine Ehe als zerstört, als unheilbar zerrüttet oder (nach neuem Recht) als gescheitert angesehen werden müsse, und ob die Fortsetzung der Ehe für einen Partner eine unzumutbare Härte wäre, diese Fragen hat der Richter aus eigener Überzeugung zu entscheiden. Gerade i m Scheidungsrecht gilt der Satz, daß die Anwendung des Gesetzes wichtiger ist als das Gesetz selbst 8 . Es kommt darauf an, von welcher Uberzeugung und welchem Ehebild 9 der Richter sich bei der Rechtsanwendung leiten läßt. „ N u r der Richter, dem der innerste Sinn des Eherechts lebendig ist, w i r d den Rechtsuchenden das ihnen zukommende Recht geben nach der Ordnung, der er und sie unterstehen und zu deren Wahrung er berufen ist 1 0 ." Welches ist nun die Ordnung der Ehe, die nur zum Teil vom Recht, zum anderen Teil aber von außerrechtlichen Ordnungskräften gebildet wird? Und welche M i t t e l haben wir, u m sie zu erkennen? Wenn der Gesetzestext selbst nicht ausreicht, u m eine Rechtsfrage zu klären (grammatische Fragestellung), und wenn auch das System des Rechts als Ganzes keinen geschlossenen Begriff erbringt (logischsystematische Methode), dann ist der Hintergrund des positiven Rechts zu erforschen. Der Blick fällt auf die Entstehungsgeschichte. Dabei handelt es sich nicht nur um eine oder mehrere bestimmte Ursachen, sondern u m eine ganze Schicht, die gewoben ist aus politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kräften. Es gilt, die geistige Atmosphäre der Gesetzesentstehung zu erforschen und somit den „ganzen historischen Wurzelboden" 1 1 , dem das Gesetz entstammt. Zur Formel abgekürzt ist dies die Frage nach dem „ W i l l e n des Gesetzgebers" (die historische oder subjektive Methode). Sie w i r d ergänzt durch die Frage nach dem „ W i l l e n des Gesetzes". Das ist der objektive Sinn, den das Gesetz losgelöst von den Gedanken seiner Urheber und unter dem Einfluß der Fortentwicklung des Rechts und des gesellschaftlichen Lebens überhaupt für die Gegenwart erlangt hat (objektive Methode). Nicht eine weitere Methode, nur eine fruchtbare neue Fragestellung ist die Frage nach dem Sinn und Zweck eines Gesetzes (die teleologische Methode). Man prüft die mannigfachen Zwecke, denen die Rechtsordnung dient und die i n ihrem Bezug auf die unterschiedlichsten Interessen und Werte eine Hierarchie i n sich bilden. Dies ist sogar die eigentliche juristische Denkform. Denn i n der historischen Methode ist zu fragen: welchen Zweck verfolgte der historische Gesetzgeber? Und i n der ob8

Wolf / Luke / Hax S. 216. Mikat, FamRZ 63, S. 73. 10 R G R - K o m m . a.a.O. 11 Engisch S. 87. 9

Α. Die Ehe als dem Recht vorgegebene Ordnung

jektiven: welchem Zweck dient das Gesetz nach seinem zeitgemäßen, vernünftigen Sinn? Demgemäß können diese Verfahren auch als subjektiv-teleologisch oder als objektiv-teleologisch bezeichnet werden 1 2 . Die teleologische Methode ist nicht nur eine juristische Denkform, sie ist, viel umfassender, die Methode der Geisteswissenschaften (deren eine die Rechtswissenschaft ist). Die Methode der Geisteswissenschaften ist nicht das Aufdecken naturwissenschaftlicher Kausalitätsverhältnisse, sondern das Verstehen erlebter Motivationszusammenhänge der geschichtlich-geistigen Welt. Dilthey sagt i n seiner „Einleitung i n die Geisteswissenschaften" 13 : „ W i r wissen, verstehen hier zuerst, u m allmählich zu erkennen. Fortschreitende Analysis eines von uns i n unmittelbarem Wissen und i n Verständnis von vornherein besessenem Ganzen" ist die Grundlage der Geisteswissenschaften. „ U n d es ist eine eigene A r t von Erfahrung, die hier stattfindet: das Objekt baut sich selber erst vor den Augen der fortschreitenden Wissenschaft nach und nach auf; Individuen und Taten sind die Elemente dieser Erfahrung, Versenkung aller Gemütskräfte i n den Gegenstand ist ihre Natur." Dieses Verstehen beruht auf den Gesetzlichkeiten des menschlichen Geistes und auf den gleichbleibenden Grundrichtungen des menschlichen Fühlens und Strebens 14 . Die Motivationen sind aber i n den allgemeinen Werten zu finden, das Verstehen ist daher eine Beziehung der Wirklichkeit auf die Werte 1 5 . Die Motivation des Rechts liegt i n den von i h m angestrebten Werten. Es kann nicht aus einem empirisch zu fassenden Sein, sondern nur aus seiner Bezogenheit auf Werte begriffen werden 1 6 , so wie man überhaupt eine geistige Schöpfung nur verstehen kann, wenn man sie aus den Grundwerten heraus begreift, die m i t ihr verwirklicht werden sollten. Das Verhältnis der Wertbezogenheit kann m i t Zweck bezeichnet werden, da „der Begriff des Zweckes als der eines i n der Zukunft liegenden und zu verwirklichenden Gutes gedacht wird, also m i t i h m der Begriff eines Wertes, der daran haftet, verbunden ist" 1 7 . Die wertbeziehende Methode, d. h. die Frage nach dem angestrebten Wert, ist dann gleichbedeutend m i t der Frage nach dem Zweck, das heißt sie ist eine teleologische Methode, wie auch Rickert sagt 18 . 12 13 14 15 le 17 18

Engisch S. 97. S. 109. Coing , Grundsätze, S. 136. Rickert S. 339 ff. Radbruch, Rechtsphilosophie § 1, S. 91 ff. Rickert S. 343. S. 343.

14

Α. Die Ehe als dem Recht vorgegebene Ordnung

Gesetzestext und Gesetzeszusammenhang zum Thema: Wesen der Ehe I n dem bis zum 1. 7.1977 gültigen Scheidungsrecht w a r der Begriff vom Wesen der Ehe wiederholt genannt. Die §§ 43, 44, 48 I EheG bringen i n fast gleichlautenden Wendungen als Maßstab einer scheidungsbegründenden Zerrüttung der Ehe, daß „die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden kann", § 48 I I EheG fordert beim Widerspruch und §§ 32, 33 EheG fordern bei der Eheaufhebung eine „verständige" bzw. „richtige Würdigung des Wesens der Ehe". Derselbe Begriff klingt i n § 1353 BGB an, wenn es dort i n Absatz I heißt: „Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet." Denn die „eheliche" Lebensgemeinschaft ist ja nichts anderes als die „dem Wesen der Ehe entsprechende" Lebensgemeinschaft. Das neue Scheidungsrecht, das am 14. Juni 1976 Gesetz wurde und am 1. J u l i 1977 i n K r a f t trat 1 9 , spricht nicht mehr vom „Wesen der Ehe", aber weiterhin (in §§ 1353 und 1567 neuer Fassung) von der „ehelichen Lebensgemeinschaft". Das Gesetz verweist also auf das Wesen der Ehe. Eine Definition des Begriffs findet sich jedoch i m BGB so wenig wie i m Ehegesetz und i n der Weimarer Reichsverfassung so wenig wie i m Bonner Grundgesetz. I m römischen Recht gibt es einen Satz i n der Form einer Definition: „Nuptiae sunt coniunctio maris et feminae et consortium omnis vitae, d i v i n i et humani iuris communicatio 2 0 ." Darin ist ausgedrückt, daß die Ehe eine umfassende Lebensgemeinschaft von Mann und Frau ist — eine wichtige Aussage. Dreimal ist m i t Hauptworten der Vorsilbe ,con' der enge Zusammenschluß der beiden Menschen betont. Wie es bei so wenig Worten gar nicht anders sein kann, besteht die „Definition" i m übrigen aus Verweisungen; einmal auf menschliches Recht: die Ehe w i r d durch das positive Recht näher bestimmt und ist der Rechtsprechung unterworfen; zum anderen auf göttliches Recht. Auch nach römischer Vorstellung ist das positive Recht nicht i n sich abgeschlossen, sondern weist auf die höhere Ordnung h i n ganz i m Sinne der römischen „religio", die den Menschen dazu anhielt, den göttlichen Willen zu erfragen und zu beachten. Es wäre aber trotz Fehlens einer eigentlichen Begriffsbestimmung noch denkbar, daß sich ein juristischer Begriff der Ehe bei der Durchsicht des gesamten Rechtsstoffs und beim Zusammentragen aller einzelnen Merkmale ergeben würde. Als solche Anhaltspunkte kommen positive (Gebots-)Vorschriften und negative (Verbots-)Vorschriften i n 19 Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- u n d Familienrechts BGBL T e i l I 1976, S. 1421 - 1463. 20 Corpus Iuris Civilis, Digesten X X I I I , 2 de r i t u n u p t i a r u m liber 1. Eine ähnliche Stelle findet sich i n den Institutionen I, 9 de patria potestate § 1.

Gesetzestext u n d Gesetzeszusammenhang zum Thema: Wesen der Ehe

15

Betracht. Positiv gehalten sind außer den Vorschriften über die Eheschließung namentlich die güterrechtlichen Beziehungen der Ehegatten i m Verhältnis zu sich und gegenüber Dritten sowie die Bestimmungen über das Verhältnis der Eltern zu den Kindern. Daraus ließe sich zunächst rein formal folgende Definition ableiten: Die Ehe ist das durch Vereinbarung begründete und staatlich beurkundete Rechtsverhältnis zwischen einem Mann und einer Frau m i t bestimmten personen- und vermögensrechtlichen Wirkungen für sich und ihre Abkömmlinge 2 1 . I n haltlich bringen die sich auf das persönliche Rechtsverhältnis der Ehegatten beziehenden §§ 1353 ff. BGB einige wichtige Gedanken. § 1353 alter und neuer Fassung verpflichtet die Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft. Es geht also nicht nur u m die Gemeinschaft bestimmter Interessen wie i n schuldrechtlichen Austauschverträgen oder wie bei einem Verein m i t wirtschaftlichen oder ideellen Zielen, es geht darum, das Leben gemeinschaftlich zu gestalten, also u m die umfassendste Gemeinschaft (consortium omnis vitae). Diese Gemeinschaft ist auf Lebenszeit angelegt, wie man schon dem Begriff Lebensgemeinschaft entnehmen kann. Der § 1353 i n der neuen, ab 1. 7.1977 gültigen Fassung stellt das klar: „Die Ehe w i r d auf Lebenszeit geschlossen." Wie das Scheidungsrecht zeigt, ist die Ehe nicht frei lösbar, sondern kann nur durch gerichtliches Urteil bei Vorliegen bestimmter Tatbestände geschieden werden. Soweit das Gesetz die Gemeinschaft durch das Beiwort „ehelich" charakterisiert, verweist es jedoch auf ein bereits bestehendes Verständnis von dem, was Ehe ist. Das Namensrecht des § 1355 BGB alter wie neuer Fassung zeigt, daß die Ehegatten einen gemeinsamen Familiennamen führen. Das zeigt, daß die Ehe die beiden Menschen i n eine Einheit führt. Dies betont auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 1355 BGB und A r t i k e l 3 GG 2 2 : „Die Ehe als Lebensgemeinschaft zweier Menschen stellt eine Einheit dar." Das Gericht folgert dies aber nicht allein aus § 1355, sondern beruft sich zusätzlich auf die „christlich-abendländische Auffassung" von der Ehe. Merkmale wie Liebe, geschlechtliche Gemeinschaft, Erzeugung von Kindern 2 3 , gegenseitige Beistandsleistung 24 und Treue sind nach den positiven Vorschriften keine Begriffsmerkmale der Ehe. Weiteren A u f schluß über den Inhalt der Ehe vermögen aber die negativen oder Ver21

Vgl. Sauer S. 468. N J W 60, 449. 23 Das Preuß. A L R bestimmte noch i n § 1 I I 1 : „Der Hauptzweck der Ehe ist die Erzeugung u n d Erziehung der Kinder." 24 I n R G H R R 33, 1624 w i r d die Pflicht zur gegenseitigen Beistandleistung u n d zum Schutz vor körperlichen Gefahren, die dem einen Ehegatten von irgend einem D r i t t e n drohen, unmittelbar aus der nach § 1353 B G B bestehenden Rechtspflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft abgeleitet. 22

16

Α . Die Ehe als dem

echt vorgegebene Ordnung

botsvorschriften zu vermitteln, und zwar i m Wege des Rückschlusses auf die positiv verfolgten Zwecke. Diese Methode führt sogar zu genaueren Ergebnissen als die Auslegung der sehr zurückhaltenden positiven Vorschriften 25 . Als derartige negative Vorschriften kommen i n erster Linie die Scheidungsvorschriften i n Betracht, dann aber auch die strafrechtlichen Bestimmungen über Ehebruch und Doppelehe, die sich als Eheverbote auch i m Ehegesetz wiederfinden (§§ 5, 20 bzw. 6 EheG). Hierin finden sich Hinweise darauf, daß das Recht von der Einehe u n d von der Verpflichtung zu unbedingter Treue i n sexueller Hinsicht ausgeht. I m einzelnen kann man § 45 EheG noch das positive Merkmal der geistigen Gemeinschaft und § 48 EheG das der häuslichen Gemeinschaft entnehmen. A u f diese Weise w i r d der Begriff der ehelichen Lebensgemeinschaft m i t einigen anschaulichen Merkmalen konkretisiert. Festzustellen ist auch, daß die Ehe vom heutigen Recht nicht mehr als öffentlichen Zielsetzungen dienende Institution, sondern als rein persönliche Gemeinschaft gewertet w i r d . Natürlich liegt es letztlich auch wieder i m Interesse des Staates, diese persönliche Gemeinschaft zu behüten. Aber eine deutliche Lösung der Ehe vom öffentlichen Bereich ist zu beobachten (ebenso wie die umgekehrte Entwicklung i n den D i k taturen, die auch die Ehe ihren Zielen unmittelbar dienstbar machen wollen). Straftaten gegen dritte Personen, gegen Staat und Kirche sind nicht mehr Scheidungsgrund wie früher 2 6 . Die Überreste öffentlichen Einflusses i n der Bestrafung des Ehebruchs (§ 172 StGB) und die Einschaltung des Staatsanwalts als defensor matrimonii i n den Scheidungsprozeß (§ 607 ZPO) sind i m Verschwinden. Zur Bestimmung des Wesens der Ehe reichen aber diese und etwaige verstreute weitere Hinweise nicht aus. Man würde sogar den Willen des Gesetzes mißverstehen, wenn man die gefundenen Einzelmerkmale zu einem i n sich geschlossenen positiv-rechtlichen Begriff der Ehe vereinigen würde. Der Gesetzgeber hat vielmehr bewußt auf eine eigene abschließende Regelung der Ehe verzichtet i n dem deutlichen Bewußtsein, daß sich das Wesen dieser ältesten und zugleich lebendigsten menschlichen Gemeinschaft jedem fixierenden u n d verengenden j u ristischen Zugriff entziehen muß. Es gibt keinen abstrakten Rechtsbegriff Ehe. Das Gesetz hat die angeführten Ehemerkmale nicht (nach dem sonst angewandten Verfahren seiner Begriffsbildung) so weit von der Wirklichkeit abstrahiert, daß sie sich einem eigenen juristischen Begriff einfügten. Sondern diese Merkmale sind Ausstrahlungen der natürlichen Ehewirklichkeit, die nur i n 16 M

Roth S. 20. A L R §§ 704 - 707 I I 1.

Der außerrechtliche I n h a l t der Ehe

17

unsystematischen Einzelzügen beschrieben, vom Gesetz aber stets als Ganzes gemeint wird. A u f diese Wirklichkeit blickt das Recht hin, aus ihr begründet es rechtliche Folgerungen, die nicht positiv geregelt zu sein brauchen. So hat das Reichsgericht einmal gesagt 27 , die Verpflichtung zu ehelicher Lebensgemeinschaft umfasse „alle, auch die nicht i m Gesetzbuche besonders hervorgehobenen Pflichten, die sich nach dem Wesen der Ehe aus den persönlichen Beziehungen der Ehegatten zueinander ergeben". Der außerrechtliche Inhalt der Ehe Der weite Raum, i n dem sich das Wesen der Ehe auftun soll, ist die gesamte Wirklichkeit. Die teleologische Methode führt den Juristen aus der Rechtsdogmatik hinaus i n das das Recht umgebende Leben. Der Unterschied zwischen subjektiv-teleologischer und objektiv-teleologischer Methode w i r d unbedeutend angesichts der Zeiträume, die man für die Entwicklung des abendländischen Ehebegriffs betrachten muß: Der historische Gesetzgeber des BGB, das i m Jahre 1900 i n K r a f t trat, dachte nicht wesentlich anders über die Ehe als Rechtsprechung und Lehre der Gegenwart darüber denken. Aber Geist und Religion, die von der Antike bis zur Gegenwart wirksam waren, haben i n langsamem Wandel das heutige B i l d der Ehe geformt. Wiederum ist nach der Methode zu fragen zur Gewinnung von Erkenntnis — wie w i r d die Wirklichkeit erforscht? Es ist Aufgabe der Rechtsphilosophie, die Zusammenhänge zu ergründen, i n die das Recht eingewoben ist. Dabei muß sich der Jurist der Methode der Einzelwissenschaften bedienen, deren Feld er betritt. Jedem der Hauptwissensgebiete ist eine besondere Methode zu eigen: den Naturwissenschaften, den Geisteswissenschaften und schließlich der Metaphysik. Die Naturwissenschaften bis h i n zur Psychologie und Soziologie haben es m i t der sinnlich erfahrbaren Welt zu tun, m i t dem Teil der Wirklichkeit, den man m i t Empirie umgreifen kann, jedoch eingeschränkt auf den Bereich, der sich naturgesetzlich erfassen läßt. Der Begriff Natur ist hier nicht ohne die naturwissenschaftliche Methode abzugrenzen. Nach Rickert 2 8 ist die Natur „die empirische Wirklichkeit m i t Rücksicht auf ihren allgemeinen begrifflichen Zusammenhang". Die seelische Erfahrung zählt dabei zur Erfahrung i m überlieferten Sinn und w i r d von der naturwissenschaftlichen Psychologie untersucht 29 . Auch der empirische Bereich der Wirklichkeit gehört zur 27 28 29

RGZ 97, 286. Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, S. 171. Fechner S. 289; grundlegend Rickert S. 149 ff.

2 Greiff

18

Α. Die Ehe als dem Recht vorgegebene Ordnung

Rechtsphilosophie, soweit das Recht auch auf i h n bezogen ist. Deutlich w i r d das an der Soziologie: Da das Recht selbst etwas Soziales ist, ist die Rechtsphilosophie wenigstens zu einem Teil notwendig Rechtssoziologie 30 . Die Geisteswissenschaften forschen ihrer Methode zufolge nach Sinnund Wertbezügen. Sie können daher unter den Begriff der Wertforschung oder Axiologie gebracht werden. Auch die theologische Betrachtung „verdichtet sich letztlich zu einer Lehre von dem, was objekt i v u n d beständig werthaft ist und was als Unwert endgültig verworfen ist" 3 1 . Die systematische Theologie w i r d zwar herausgehoben durch ihre besondere Quelle der Erkenntnis, der Offenbarung i n der Heiligen Schrift, und durch ihre enge Verbindung zur praktischen Theologie, zur Verkündung der Heilslehre 32 . Ihre Methode ist aber grundsätzlich die gleiche wie die der anderen Geisteswissenschaften, nämlich die verstehende Interpretation 3 3 . Sie darf deshalb i n der großen Einteilung zu ihnen gerechnet werden ebenso wie die Rechtswissenschaft als „ i n terpretative" Wissenschaft 34 , die ja i n der Verbindung zur Rechtspraxis ebenfalls eine Sonderaufgabe hat 3 5 . Die Metaphysik fragt nach den „letzten Gründen und Ursachen" alles Seienden, sie fragt radikal und universal nach dem Wesen des Seins. Metaphysik ist daher i n ihrem K e r n Ontologie 36. Auch bei Rickert findet sich diese Dreiteilung der Wissenschaften, wenn er den Natur- und den Geisteswissenschaften die Ontologie wenigstens als mögliche Wissenschaft von der Wirklichkeit als einheitlichem Ganzen gegenüberstellt 37 . Jede dieser drei Methoden dient zur Erforschung der Wirklichkeit; jede w i r d auch auf das Phänomen Ehe stoßen und w i r d wesentliches darüber aussagen können. Dieser Rückgang auf die das Recht umgebende Wirklichkeit anhand der bezeichneten drei Methoden ist nicht nur hier erforderlich i n dem besonderen Fall, i n dem das Recht die Ehewirklichkeit unmittelbar i n Bezug genommen hat, sondern auch i n dem häufigeren Fall, i n dem die 30

Fechner S. 266. Fechner S. 80. 32 Karl Barth, Dogmatik i m Grundriß § 1, S. 10 - 12. 33 Ebenso Schmaus, Kathol. Dogmatik I, § 37. 34 Larenz S. 236. 35 Diese praktische u n d sogar staatspolitische Einstellung der Rechtswissenschaft hat zeitweise dazu beigetragen, i h r die N a t u r einer strengen, „akademiefähigen" Wissenschaft überhaupt zu versagen — Sauer S. 45. 36 Vgl. Fechner S. 280 f. 37 Rickert S. 174. 31

Der außerrechtliche I n h a l t der Ehe

19

juristische Auslegung nicht zum Ziele führt, weil eine echte Rechtslücke 3 8 vorliegt, und schließlich auch dann, wenn das Recht als fehlerhaft erkannt und der Jurist zur „Berichtigung" des Rechts aufgerufen ist. Die erste Form der Untersuchung bleibt an sich noch Auslegung des (bezugnehmenden) Gesetzes, während das zweite und dritte Verfahren das (lückenhafte oder unrichtige) Gesetz hinter sich lassen i n wissenschaftlicher Rechtsfortbildung. I n jedem dieser Fälle ist der Sinn zu ergründen, der i n der Natur und den Lebensverhältnissen oder i m Geist und den Wertungen oder aber i m Sein selbst angelegt ist. Es geht auf der Suche nach dem richtigen Recht stets u m die drei großen Fragen nach der „Natur der Sache", nach der „Natur des Menschen" und nach der „Natur des Seins" 39 . Ihnen entsprechen die drei Methoden der empirischen, der axiologischen und der ontologischen Forschung und Auslegung. Nach Enneccerus / Nipperdey 4 0 besteht der gewohnheitsrechtlich anerkannte, auch aus der i n A r t . 20 I I I GG statuierten Bindung des Richters an das Recht folgende und daher den Richter verpflichtende Satz, daß „bei der Rechtsfindung (und der Auslegung) die Entscheidung aus dem Geist, den Wertungen und Interessenabwägungen des Normensystems gefunden werden muß, daß sie sich nicht über bewährte Lehren und Überlieferungen hinwegsetzen darf und i m Einklang m i t den herrschenden K u l t u r - , Sozial- und Wirtschaftsanschauungen der Gesamtheit zu stehen hat". Durch die letzteren Worte werden nicht nur die außerrechtlichen Wertungen, sondern m i t den Sozial- und Wirtschaftsanschauungen auch die empirischen Bereiche als Maßstab der Entscheidung anerkannt. Denn nicht immer, so heißt es an anderer Stelle 4 1 , läßt sich die zu findende Norm aus den höchsten Grundgedanken des Rechts erschließen. Aus der Rechtsidee lassen sich aber für die Rechtsfindung naheliegende praktische Gesichtspunkte ableiten, wie die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit, das Bedürfnis des Verkehrs, die Natur der Sache. A n beiden zitierten Stellen verweisen Enneccerus / Nipperdey auf A r t . 1 des Schweizer ZGB. Bald nach Fertigstellung des ZGB widmete Gmür dem A r t . 1 eine eigene Schrift 4 2 . Er untersucht darin, wie der Richter die Regel finden soll, die er als Gesetzgeber aufstellen würde und sagt, der Gesetzgeber 38

Z u m Begriff siehe Engisch S. 135 ff., der sie umschreibt als „unbefriedigende Unvollständigkeit innerhalb des Rechtsganzen", oder Larenz, Methodenlehre, S. 358, der sie als eine „dem Plan des Gesetzgebers widersprechende, also p l a n w i d r i g e Unvollständigkeit'" bezeichnet. 39 Vgl. Engisch S. 190. 40 T e i l I, § 51 I I 6. 41 Enneccerus / Nipperdey I § 58 I I I . 42 Die A n w e n d u n g des Rechts nach A r t . 1 des Schweizerischen Z i v i l gesetzbuches —1908. 2·

20

Α . Die Ehe als dem Recht vorgegebene Ordnung

bilde „seine Uberzeugung, was rechtens sein soll, i n der Betrachtung der gegebenen Zustände, nach den Erfahrungen, die m i t diesen gemacht worden sind, und nach den Anforderungen, die sich aus dem Leben ergeben". Er fügt i n einer Anmerkung hinzu, das Resultat stimme insoweit mit demjenigen nach der Natur der Sache über ein 4 3 . Ähnlich formuliert Burckardt, ebenfalls vom Boden des schweizerischen Rechts aus, der Gesetzgeber müsse außer den Geboten der Gerechtigkeit auch „die tatsächlichen Umstände" kennen, „die Gegebenheiten, die data, die Lage der menschlichen Gemeinschaft" 44 , und verweist dabei auch auf den von E. Huber geprägten Begriff der „Realien der Gesetzgebung". Die Freiheit, die das Schweizer Gesetz dem Richter als dem „Gesetzgeber für den Einzelfall" ausdrücklich gewährt, dieselbe Freiheit i n der Auslegung und Anwendung des Rechts besteht für den deutschen Richter. Gmür glaubte noch, die weite und elastische Fassung des neuen Schweizer ZGB gebe der auslegenden Tätigkeit eine Freiheit und Wichtigkeit, wie sie sie „auf Grund des deutschen BGB niemals erlangen w i r d " 4 5 . Es hat sich jedoch gezeigt daß (mit unter dem Einfluß des A r t . 1 ZGB!) auch die deutsche Lehre und Praxis bereits zu einem Gewohnheitsrecht geführt haben, das die gleiche Freiheit der Auslegung gewährt. Inhaltlich besteht aber gegenüber der subjektiven W i l l k ü r die gleiche objektive Grenze: Sie ist bezeichnet m i t den „gegebenen Zuständen" oder dem Begriff der Natur der Sache, auf den Gmür und Burckardt freilich nicht weiter eingehen. Dernburg hat die Natur der Sache so umschrieben: „Die Lebensverhältnisse tragen, wenn auch mehr oder weniger entwickelt, i h r Maß und ihre Ordnung i n sich. Diese den Lebensverhältnissen und ihren Zwecken angemessene, den Lebensverhältnissen innewohnende Ordnung nennt man Natur der Sache. A u f sie muß der denkende Jurist zurückgehen, wenn es an einer positiven Norm fehlt, oder wenn dieselbe unvollständig oder unklar ist 4 6 ." Die Natur der Sache hat i n der weiteren Entwicklung nicht nur i n der Rechtsprechung 47 , sondern auch i n der Rechtswissenschaft 48 Anerkennung gefunden, so daß sie, wie Larenz sagt, als Erkenntnisquelle i n unserer Zeit fast schon eine überragende Rolle spielt 4 9 . 43

Hervorhebungen v o m Verfasser; Zitate, S. 108. Methode u n d System des Rechts, S. 249. 45 S. 141. 46 Pandekten, I . Bd., S. 84. 47 Beispiele bei Larenz, Wegweiser, S. 281 ff. 48 Coing , Rechtsphilosophie, 2. Aufl., S. 185; Radbruch t Die N a t u r der Sache, S. 157 ff.; Fechner, Rechtsphilosophie, S. 148; Engisch S. 190; Larenz, Methodenlehre, S. 388ff., Wegweiser, S. 281 ff.; Stratenwerth, Das rechtstheoretische Problem der „ N a t u r der Sache", S. 204 ff.; Maihof er, ARSP 58, S. 145 ff.; Henkel S. 374. 49 Wegweiser, S. 285. 44

Der außerrechtliche I n h a l t der Ehe

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Dieses den Dingen innewohnende Maß ist aber verschiedener Deutung fähig. Zunächst w i r d damit die dinglich greifbare Eigenart der Sache gemeint, wie die Unbeweglichkeit des Grundstücks, oder auch ein immaterieller Zusammenhang, wie das Wesen des Kaufvertrages, der seiner „Natur" nach dem einen zur Ware, dem anderen zum Geld verhelfen soll 5 0 . Dies ist gleichsam das vordergründige Verständnis der Natur der Sache. N u r das ist gemeint, wenn die Natur der Sache hier dem Bereich und der Methode der Empirie zugeordnet wurde. I n Wahrheit handelt es sich aber um einen mehrschichtigen, komplexen Begriff. Er umfaßt außer der objektiven Eigenart der Sache ihren sinnhaften Gehalt, ihre eigenartige Sachgesetzlichkeit 51 , den „auf eine Hechtsidee bezogenen Sinn eines Lebensverhältnisses" 52 . Radbruch behandelt den Unterschied der beiden Begriffe nicht als zwei verschiedene Schichten der Natur, sondern einmal als die „Sache" und zum anderen als die „ N a t u r " — eine durchaus klärende Vereinfachung 53 . Dem Begriff vom sinnvollen Gehalt einer Sache liegt die Vorstellung zugrunde, daß es i n der Natur und i n den Sachen Ordnungstendenzen gibt, die unabhängig vom Menschen bestehen und w i r k e n — Urformen, die jede Einzelerscheinung zur sinnvollen Gestaltung und Entfaltung bringen, kurz, es ist die auf Thomas von A q u i n und Aristoteles zurückgehende Vorstellung von den Entelechien 54 . So großartig und wirksam die Idee der Entelechie durch die Geschichte h i n war (Radbruch 55 hat sie i n Goethes Denken als einen ethischen Grundbegriff nachgewiesen — als „Natur des Menschen"), so zweifelhaft und umstritten blieb sie doch. Augustin und die protestantische Staatslehre trennen zwischen der ewigen Seinsordnung und dem irdischen Staat. Die Erkennbarkeit des Seins und der das Leben bestimmenden Entelechien wurde i n Zweifel gezogen 56 . Es ergab sich aus der Betrachtung der Natur der Sache keine fertige, i n sich geschlossene Ordnung. Der Schluß vom Sein auf ein Sollen blieb abhängig von dem jeweiligen metaphysischen und religiö50

Vgl. Fechner S. 146. Coing , Rechtsphilosophie, S. 179. 52 Radbruch, Die N a t u r der Sache als juristische Denkform, S. 157 ff., S. 162; Fechner S. 147. 58 S. 159 ff. 54 Coing , Rechtsphilosophie, S. 1801; Fechner S. 149 f. E i n Begriff, der i n ähnlicher Weise sowohl tatsächliche Gleichartigkeiten w i e entelechiale Gestaltungstendenzen umfaßt, ist der des „ T y p u s " (Larenz, Wegweiser, S. 288; Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 237). 55 S. 165 f. 56 Coing , Rechtsphilosophie, 2. Aufl., S. 182. 51

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Α . Die Ehe als dem Recht vorgegebene Ordnung

sen Daseinsverständnis. Sofern der immanente Sinn der Dinge mehr sein sollte als das, was der Mensch von sich aus i n sie hineingelegt hatte, blieb der Zugang zu i h m dunkel. Keine empirische Wissenschaft kann die entelechialen Kräfte selbst bloßlegen. Dies ist zu sagen gegenüber dem Versuch Baumgartens, die i n Natur und Geschichte auftretenden Entelechien 57 m i t Hilfe einer empiristischen Methode, die er als die einzige rechtsphilosophische Methode empfiehlt 5 8 , aufzudecken. Die Natur der Sache ist nur i n begrenztem Umfang eine empirische Frage; sie ist als Natur des Menschen i m ethischen Bereich ein ungesicherter Begriff; sie ist am ehesten ein Problem der Ontologie. Sie w i r d deshalb dort i m Zusammenhang m i t der ontologischen Methode wieder aufgegriffen werden. Man hat versucht, die Dreiheit der Methoden für die Rechtsphilosophie auf eine Methode zurückzuführen, auf das „kausale" Rechtsdenken 59 . Müller-Erzbach möchte die Rechtswissenschaft i n der Parallele zu den Naturwissenschaften und i m Hinblick auf deren große E r folge ebenfalls zur Ursachenforschung werden lassen. Er bezeichnet den Unterschied von kausaler zu teleologischer Betrachtung dahin, daß „sie sich i n entgegengesetzter Richtung bewegen, i n dem die eine auf die Lebensfaktoren schaut, welche eine Bildung des Rechts hervorgebracht haben, die andere auf das Ziel, welchem das Recht da zustrebt" 6 0 . Er sagt, ein teleologisches Verfahren sei nahegelegt, wenn Rechtsbildungen ins Auge gefaßt werden, welche ein Gesetzgeber zielbewußt geschaffen hat. I n diesem Satz liegt der Schlüssel für das Verständnis der Unterschiede und der Gemeinsamkeiten beider Betrachtungsweisen. Die Auslegung des Rechts geht davon aus, daß die einzelne Regelung einen Sinn, ein bestimmtes Ziel hat. Recht entsteht nicht durch Zufall, sondern stets durch „zielbewußte" Setzung. Wenn das Ziel unklar bleibt, kann es aus den Motiven der Rechtssetzung erschlossen werden: der Blick zurück zu den Ursachen läßt die dem Recht beigelegten Zwecke erkennen. Hier liegen beide Methoden trotz verschiedener Blickrichtung dicht nebeneinander. Schon Rickert 6 1 hat darauf hingewiesen, daß eigentlich beide Methoden „kausal" sind, sofern man die Auffassung von Ursachen, die wirken, bevor sie w i r k l i c h sind, beiseite läßt. Teleologisch bedeutet hier nicht: das Ziel selbst w i r k t , sondern: der Gedanke an das Ziel w i r k t (sonst wäre das Verfahren nicht teleologisch, sondern entelechial).

57 58 59

M

S. 87. S. 9 ff. Müller-Erzbach, S. 69. S. 343.

! Die Rechtswissenschaft i m Umbau, insbesondere S. 69 f f

Der außerrechtliche I n h a l t der Ehe

23

Anders ist es dagegen, wenn nicht das Ziel einer vorhandenen Regelung, sondern eine Regelung selbst erschlossen werden soll, und u m dieses Problem gerade geht es Müller-Erzbach 6 2 . Dann versagt die Frage nach einem Zweck — etwa i m Fall der Rechtslücke. Man sieht sich dann mangels einer verfügbaren Regelung darauf angewiesen, so zu entscheiden, wie der Gesetzgeber diesen Fall entschieden hätte 6 3 . Der Gesetzgeber verwendet aber die Faktoren, die ganz allgemein für die Rechtsbildung ursächlich sind. Hier ist daher auch für den rechtsschöpfenden Richter oder für die Rechtswissenschaft eine kausale Betrachtung angebracht. Die vielfältigen Ursachen des Rechts kommen aber aus dem gesamten Bereich der Wirklichkeit. Die kausale Methode kann daher nur ein Oberbegriff sein für die zur Erforschung der W i r k lichkeit notwendigen Methoden, die hier i n empirische, axiologische und ontologische gegliedert sind. Insofern hat der Begriff des kausalen Rechtsdenkens seine Berechtigung. Die gemeinsame Verwendung des Begriffs Ursache darf aber nicht über den w i r k l i c h grundlegenden Unterschied der natur- und geisteswissenschaftlichen Methode hinwegtäuschen. Das Kausalprinzip der Naturgesetze ist ein anderes als das des Geistes. A u f der einen Seite steht die auch durch die neuesten physikalischen Erkenntnisse nicht aufgehobene Notwendigkeit des Naturgeschehens, auf der anderen die Freiheit und Spontaneität des menschlichen Fühlens und Denkens. Wenn Ernst Wolf die von Dilthey über Max Weber, Spranger und Jaspers bis i n die Rechtswissenschaft hinein angewandte Methode der „verstehenden Geisteswissenschaften" aus ihrem Gegensatz zur mathematisch-kausalen Methode der Naturwissenschaften herausholen w i l l , um die „ K l u f t zwischen „Natur-" und „Geistes"wissenschaf ten, welche die natürliche Ordnung des Seienden und damit des menschlichen Lebens zerreißt", zu überwinden 6 4 , dann ist dieses Bestreben gegen das Mißverständnis abzusichern, als sollte allein der naturwissenschaftliche Kausalitätsbegriff gelten. Dann w ü r den nämlich die K l u f t und das Weltbild auf Kosten der Eigenständigkeit des Geistigen und zugunsten eines einseitigen Empirismus geschlossen werden. Wolf unterscheidet aber, auch wenn er sich nicht an die übliche Unterscheidung von „geisteswissenschaftlich" und „naturwissenschaftlich" gebunden fühlt, doch zwischen der „abstrakten Regelmäßigkeit oder Gesetzlichkeit des äußeren Verknüpftseins von Ereignissen" i m Sinne eines „Kausalgesetzes" einerseits und dem individuellen, unwiederholbaren Geschehen, das „wesentlich auf seelisch-geistigen Vorgängen beruht" 6 5 , andererseits. • 2 Vgl. S. 82. 63 Vgl. A r t . 1 ZGB. M Wolf / Lühe / Hax S. 22 ff., 25. 65 S. 25 f.

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Α. Die Ehe als dem Recht vorgegebene Ordnung

Diesen beiden verschiedenen Kausalitätsverhältnissen entsprechen verschiedene Methoden ihrer Erforschung. Diese lassen sich zwar beide unter den Begriff der Erfahrung bringen, unterscheiden sich aber wesentlich voneinander. Wie beim Worte „kausal" liegt daher ein Mißverständnis nahe, wenn beide Arten „Erfahrung" m i t dem einen Wort „empirisch" wiedergegeben werden, so, wenn Wolf seine Eheauffassung als „natürlich erkennbare" bezeichnet, „die den Anspruch erhebt, empirisch und kritisch stichhaltig zu sein" 6 6 . Hier ist aber nicht der übliche enge Begriff von empirisch verwendet, der nur die (naturwissenschaftliche) Erfahrung mittels der Sinnesorgane meint (sonst wäre m i t der Leugnung anderer als sinnlicher Erfahrung wieder die Stufe des Empirismus erreicht). Sondern Wolf unterscheidet durchaus zwischen der Erforschung außermenschlicher Zusammenhänge, die „ n u r mehr oder weniger von außen ansetzen kann", d. h. also auf die Sinnesorgane angewiesen ist, und der Erforschung menschlicher und geschichtlicher Vorgänge, die „wesentlich von der menschlichen Innenseite her erschlossen werden muß" 6 7 , d. h. aber auf irgendeiner A r t „innerer" Erfahrung beruht. Diese A r t der Erfahrung w i r d i n der vorliegenden Untersuchung jedoch gerade nicht als empirische, sondern als ontologische oder metaphysische Erfahrung gedeutet. Tatsächlich erweist sich an der A r t , wie Wolf das Wesen der Ehe ableitet, daß auch er diese ontologische Erfahrung nutzbar macht, wie später darzulegen ist. Weder darf sich also die Erfahrung an naturwissenschaftliche Empirie noch darf sich das kausale Denken an Naturgesetze anlehnen, sondern sowohl „Erfahrung" wie „Kausalität" müssen Oberbegriff bleiben für die verschiedenen Zugänge zur Wirklichkeit, von denen der empirische nur einer, der axiologische ein anderer ist. Die ontologische Erkenntnis schließlich beruht wiederum auf einem besonderen Bedingungsverhältnis, auf das erst später eingegangen werden kann. Ein kausales Rechtsdenken ist also nur dann vertretbar, wenn die Vielschichtigkeit der Betrachtungsweise erhalten bleibt. Die rechtsphilosophischen Methoden der Forschung Die drei rechtsphilosophischen Methoden (die empirische, die axiologische und die ontologische Methode) sind von einander unabhängig durchführbar. Es kann sein, daß schon die Anlage der objektiven Gegebenheiten genügenden Aufschluß für die Lösung der Rechtsfrage gibt, dann braucht nicht weiter geforscht zu werden. Manche Fragen werden sich erst nach einer Aufhellung der Werte beantworten lassen, und nur ββ

67

S. 337 i n Verb, m i t S. 277. S. 24.

Die rechtsphilosophischen Methoden der Forschung

25

einige wenige bedürfen der ontologischen Entscheidung. Es kann aber das Problem der Rangordnung auftauchen. Falls sich widersprechende Ergebnisse zeigen, welche Methode hat den Vorrang? Und, falls eine Methode den Vorrang besitzt, welches ist der Nutzen und überhaupt die Berechtigung der übrigen? Schon innerhalb der herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden besteht dieses Rangproblem, und es ist trotz verschiedentlicher theoretischer Bemühungen noch nicht eindeutig gelöst 88 . I n der Praxis der Gerichte w i r d oft bewußt oder unbewußt diejenige Auslegungsmethode gewählt, die zum „befriedigenden Ergebnis" führt. Hierbei w i r d sicherlich oft gefühlsmäßig das Richtige getroffen. Das Gefühl ist jedenfalls ein wichtiges Organ zur Überprüfung rationaler Ableitungen. Daher soll erst dann, wenn das Ergebnis der Methoden abzusehen und eine gefühlsmäßige Abwägung möglich ist, näher auf das Rangproblem eingegangen werden. Unterhalb der Dreiteilung anhand der Methode gliedern sich die Wissensgebiete weiter auf entsprechend den großen Schichten, i n die man die Wirklichkeit herkömmlich einteilt. Nicht alle Schichten können etwas zum Begriff der Ehe beitragen. So scheidet die Welt der leblosen Körper für diese Untersuchung aus. Ebenso die Schichten des pflanzlichen und einfachen tierischen Lebens, obwohl m i t ihnen schon eine Verbindung besteht i n der Erfahrung des Lebens i n Raum und Zeit. Das Leben und die Sexualität der höheren Tierwelt lassen schon mehr Gemeinsames erkennen, w i e j a überhaupt je die nächst höhere Stufe die tiefere m i t umfaßt und auf ihr aufbaut 6 9 . Der Mensch und die menschliche Ehe können daher nicht ohne den Zusammenhang m i t den tieferen Seinsschichten begriffen werden, da diese zwar kulturell überhöht, aber nicht beseitigt werden können: „Jura sanguinis nullo jure civili d i r i m i possunt 70 ." Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer biologischen Betrachtung einer Ehe. Weitere naturwissenschaftliche Untersuchungen sind erforderlich auf dem Gebiet des Psychologie, weil gerade die seelischen Beziehungen i n der Ehe ausschlaggebend sind, sowie auf dem der Soziologie, deren große Bedeutung für das Recht mehr und mehr erkannt wird, w e i l ihre Leistung darin besteht, „die beschreibende Untersuchung sozialer Gebilde für den Griff von Norm- und Rechtsforderungen aufzuschließen" 71 . Innerhalb der Geisteswissenschaften ist dem rechtlichen der sittliche Begriff der Ehe gegenüberzustellen, der die Zeugnisse aus Kunst und Geschichte i n sich auf68

Engisch S. 96. Rothacker f ü h r t i n seiner Schrift: Die Schichten der Persönlichkeit die „dauernde Unterbauung der höheren seelischen Schichten durch die animalische" (S. 77), m i t dem Tier gemeinsame Schicht (S. 38 f.) als Prinzip scharf durch. 70 Corpus Iuris Civilis D. 50.17.8. 71 Schelsky, Wandlungen, S. 31. 89

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Α . Die Ehe als dem Recht vorgegebene Ordnung

nimmt, sowie die christliche Ehelehre. Diese wiederum besteht aus der römisch-katholischen und der protestantischen Theologie. Philosophisches Denken kreist um die Grundstrukturen des Seins. Die verschiedenen Betrachtungsweisen streben weder auseinander noch chaotisch durcheinander, sondern sind auf ein gemeinsames Ziel gerichtet. Es handelt sich bei ihnen u m die Arbeit an ein und demselben B i l d der Ehe. Die Methoden und Materialien sind verschieden bei den einzelnen Wissenschaften. Aber als Ergebnis ihrer Arbeit schwebt ihnen nicht ein spezialwissenschaftlicher, sondern ein allgemein-verbindlicher Begriff von der Ehe vor.

Β. Die Aussage der empirischen Wissenschaften zum Wesen der Ehe Die biologische Auffassung von der Ehe stellt die körperlichen, sexuellen und lebensmäßigen Sachverhalte i n das Blickfeld. Sie knüpft bei den Formen des Lebens und der Sexualität an, die von der Tierwelt bekannt sind und versucht, auch den Begriff der Ehe auf die unveränderlichen biologischen Faktoren wie Fortpflanzung, Schutz des j u n gen Nachwuchses und den Unterschied der Geschlechter zurückzuführen. Von diesen Faktoren w i r d aber der Geschlechtstrieb entgegen einer verbreiteten Meinung nicht als der wichtigste angesehen, er t r i t t zurück hinter den „Brutpflegetrieb" 1 . Von diesem her ergibt sich auch erst das Moment der Dauer. Carrel hat gefordert „die Vereinigung von Mann und Weib sollte wenigstens so lange dauern wie bei den höheren Menschenaffen, nämlich bis die Jungen keines Schutzes mehr bedürfen" 2 . E i n weiteres Argument für die Dauer der ehelichen Verbindung, das schwerer wiegt als das der Nachwuchsfürsorge und vor allem unabhängig ist vom Dasein eines Nachwuchses, scheint sich i n neueren Erkenntnissen der Medizin abzuzeichnen. Nach ihnen entsteht durch den natürlichen Geschlechtsverkehr eine (biologisch beeinflußte) physiologische Angleichung der Ehegatten, die zu einer A r t Blutsverwandtschaft führt 3 . Eine weitergehende Folgerung ist aus den biologischen Faktoren nicht abzuleiten. Die lebenslange Ehe ist keine biologische Notwendigkeit 4 , ebenso wenig wie die Einehe 5 . Die biologische Auffassung neigt dazu, sich selbst absolut zu setzen und führt dann zu einem Materialismus, der alle höheren Gesichtspunkte aus dem Auge verliert 6 . I n letzter u n d nicht nur theoretischer Zuspitzung w i r k t e sich die biologische Denkweise i n den vom Nationalsozialismus übernommenen Rassentheorien aus, wie sie sich auch i m Ehegesetz von 1938 niedergeschlagen 1 2 3 4 6 c

Schelsky, Sexualität, S. 27. „Der Mensch — das unbekannte Wesen" Stuttgart - B e r l i n 1936, S. 302. Literaturhinweise bei Wolf / Lühe / Hax S. 278 f. Fechner S. 250; Sauer S. 469. Fechner S. 65. Fechner S. 23.

28

. Die Aussage der e r s c h e n Wissenschaften zum Wesen der Ehe

haben. Dessen § 53 gab ein Scheidungsrecht bei vorzeitigem Unfruchtbarwerden eines Ehegatten, jedoch dann nicht, wenn erbgesunde eheliche Nachkommenschaft vorhanden war. A u f den Scheidungsgrund wegen Verweigerung der Fortpflanzung ist schon hingewiesen worden. A u f der anderen Seite gelingen der biologischen Denkweise aber auch großartige Vergeistigungen wie i n der sogenannten Lebensphilosophie. Bergson stützt eine ganze Philosophie auf die sich der biologischen Betrachtung offenbarende 7 Urkraft des élan v i t a l und hat damit den Blick geschärft für das i n schöpferischer Freiheit wirkende und sich stets erneuernde Leben. Nietzsche sagt als ein Vertreter der biologischen Rechtsauffassung: „Über dich selbst sollst du hinausbauen . . . nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf", und m i t voluntaristischem Akzent: „Ehe: so heiße ich den Willen zu zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen 8 ." Die biologischen Auffassungen können zu einem rechten Verständnis der gerade der Ehe zugrundeliegenden, naturverbundenen Kräfte und zu einer tieferen Erkenntnis des Lebenswertes führen. Sie müssen sich aber bewußt bleiben, daß ihre wissenschaftlich gesicherten Grundlagen sehr schmal sind 9 . Man weiß nicht einmal genau, was eigentlich das Leben i m biologischen Sinne ist. Die Biologie ist für die Ehelehre die Wissenschaft an der Grenze. Ihre Pflicht und i h r Verdienst ist es, sowohl das Nachbarland als auch die Grenze zu i h m aufzuweisen: „Daß w i r uns sehr genau des Zusammenhanges wie auch der Schwelle bewußt sind, die die tierische Sexualität und die menschliche Liebe zugleich verbindet und trennt, sollte uns vor dem Fehler bewahren, i n den w i r immer wieder verfallen, bald nur an den physischen Aspekt der Probleme zu denken, die sich i n Bezug auf das Wesen der Familie ergeben, bald nur an den geistigen, der sich von i h m aus eröffnet 1 0 ."

Die psychologische Betrachtung unterstreicht die Bedeutung, die die subjektive Komponente i m Laufe der Geschichte für die Ehe erworben hat. Gegenüber dem Zwang durch kollektive Normen und Sitten hat sich seit dem Ausklang des Mittelalters die individuelle Freiheit Schritt für Schritt durchgesetzt. Wesen und Wert der ehelichen Gemeinschaft werden i n dem persönlichen Verhältnis der Ehegatten zueinander gesehen, i n ihrer gegenseitigen Liebe, ihrer seelisch-geistigen wie auch ihrer erotischen Erlebnis- und Ergänzungsfähigkeit 11 . Aus Äußerungen 7

„Schöpferische E n t w i c k l u n g " insbesondere S. 93 ff. „Also sprach Zarathustra" I v o n K i n d u n d Ehe. 9 Fechner S. 25. 10 Biot, Tierische Sexualität u n d menschliche Liebe. 11 Mikat, Fam RZ 1962, S. 273. 8

Die

h i s c h e Betrachtung

29

von Melanchton, Erasmus von Rotterdam und dem Dichter John M i l ton 1 2 spricht die hohe Bewertung der Gattenliebe, die aber dann auch zum K r i t e r i u m für den Bestand der Ehe wird. M i t der Bewegung der europäischen Romantik setzt sich das Ideal der Liebesgemeinschaft allgemein durch 13 . Die Romantisierung der Liebe war freilich, wenn auch erst i n höfischen Schichten, schon seit den Troubadours und M i n nesängern unverlierbarer Besitz 14 . Die größere Subjektivität führte zu einer vertieften Auffassung von der Erotik und von ihrer Bedeutung für die Ehe 1 5 . Jeder rechtliche Zwang wurde aus ihrem Bereich ausgeschlossen. Das mittelalterliche Ideal der Askese, das sich i n den christlichen Auffassungen beider Konfessionen noch lange erhielt, wurde abgelöst durch die neue Bewertung der menschlichen Erotik als ethisch positivem Lebenswert. Hier ist eine Umwertung der geltenden Ehemoral zu verzeichnen, die nicht unberücksichtigt bleiben darf. Aus diesem neuen Erleben der Erotik entspringen auch neue gestaltende Kräfte für die Ehe — entspringt „der Wille zur Treue und Beständigkeit, zur opfernden Hingabe, zur unaufhebbaren Verschmelzung des Gesamtdaseins", wie Marianne Weber sagt 16 . Das Erlebnis der innigen Lebensgemeinschaft läßt aber auch die Forderung nach völliger Gleichberechtigung entstehen 17 . Es ergeben sich daraus für die Ehe also schon die wichtigen Merkmale der Ausschließlichkeit, der Dauer und der völligen Einheit. Auch Radbruch weist auf die Beziehung des Eros zur Dauer der Ehe h i n 1 8 : „Der Eros, als seelisches Faktum vergänglich und wandelbar, nimmt doch gerade i n seinen höchsten Formen seinem Bewußtseinsinhalt nach Dauer, ja Ewigkeit für sich i n Anspruch." Nicht nur der rauschhafte Aufschwung, nicht nur die glückliche Liebe kommt der Ehe zu Hilfe, sondern auch die Liebe unter Belastungen hat Dauer und Chancen. „Die Liebe höret nimmer auf: das gilt idealiter auch für die Betrachtung des Ehelebens. Weder objektiv noch subjektiv gibt es absolut bestimmbare Situationen, i n denen auf Grund des heutigen Begriffs der Ehe die ehelichen Zwecke unbedingt realisierbar oder unbedingt unrealisierbar wären . . . Trotz schweren objektiven Zerrüttungsbelastungen kann je nach der Direktion, welche den subjektiven Empfindungen oder Gefühlen vom einen oder anderen Teile oder auch von beiden zusammen gegeben werden, der Wille zur Ehe einseitig oder beidseitig i n seiner integersten 12 13 14 15 16 17 18

V o n Mikat S. 274 - 281 ausführlich zitiert. König S. 135. Schelsky, Sexualität, S. 45. Roth S. 255 f. Die Idee der Ehe u n d die Ehescheidung, S. 57. Hermine Herta Meyer S. 58. Rechtsphilosophie § 20, S. 253.

30

. Die Aussage der e r s c h e n Wissenschaften zum Wesen der Ehe

Gestalt weiterdauern brücken 1 9 ."

und

alle

objektiven

Schwierigkeiten

über-

Aber die Bedeutung des erotischen Bewußtseins für die Dauer der Gemeinschaft darf nicht überschätzt werden. Zwar ist es richtig, daß der dem Eros eigene Ewigkeitswillen durch eine rechtliche Bindung der Ehegatten gestützt und zu realen Aufgaben hingeführt werden kann, die „als Dauerinhalt die Lücken und Wandlungen der erotischen Beziehung überbrücken, i h r Abklingen überdauern" 2 0 . Gehlen beschreibt diesen Vorgang der Objektivation i n der Ehe als Entfremdung, durch die die Subjektivität des Menschen „versachlicht, i n den Gang der Dinge verflochten und gerade nur damit auf Dauer gestellt w i r d " 2 1 . Aber diese Bindung darf nicht überspannt werden bis zur Unauflöslichkeit der Ehe. Wenn es nicht gelingt, den erotisch erlebten Willen zur dauernden Bindung später i n gemeinsamen elterlichen und anderen Interessen zu verfestigen, wenn die Liebe erloschen ist, ohne „ i n Seelentiefen jenseits ihrer Wandelbarkeit hineinzuwachsen" 22 , dann muß das rechtliche Band lösbar sein. Die unauflösliche Ehe kann nicht auf den Eros gegründet werden. I m Gegenteil fordert er ein Scheidungsrecht, das verschieden ausfällt, je nach dem Grade der Zugeständnisse, die man seiner Vergänglichkeit macht 23 . A m weitesten geht i n dieser Richtung die Forderung Wilhelm v. Humboldts 2 4 : „Der Fehler scheint m i r darin zu liegen, daß das Gesetz befiehlt, da doch ein solches Verhältnis nur aus Neigung, nicht aus äußeren Anordnungen entstehen kann, und wo Zwang oder Leitung der Neigung widersprechen, diese noch weniger zum rechten Wege zurückkehrt. Daher dünkt mich, sollte der Staat nicht nur die Bande freier und weiter machen, sondern . . . überhaupt von der Ehe seine ganze Wirksamkeit entfernen." Daß sich hierin utopisches Denken des jungen v. Humboldt ausspricht, lehrte die Geschichte. Die Gesetzgebung der Französischen Revolution gab die Ehescheidung weitgehend frei, mußte aber durch den Code C i v i l korrigiert werden. Das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794, das die Anerkennung eines Zerrüttungstatbestandes und der Konventionalscheidung brachte, wurde i m 19. Jahrhundert heftig angegriffen und von dem strengen Scheidungsrecht des BGB abgelöst. Das sowjetrussische Ehegesetz von 1926 hatte neben der amtlich registrierten Ehe auch die sogenannte faktische Ehe anerkannt und die 19 20 21 22

23 24

Roth S. 94. Radbruch § 20, S. 254. Uber die Geburt der Freiheit aus der Entfremdung, S. 351. M. Weber, Idee, S. 58.

Radbruch, a.a.O. „Grenzen der Wirksamkeit des Staates" I I I 3.

Die

h i s c h e Betrachtung

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Eheauflösung durch bloße Registrierung auch auf Verlangen nur eines Partners. Diese Regelung ist nicht gerade aus liberalem Geist zu verstehen wie der Vorschlag Humboldts, sondern zunächst aus einem Affekt gegen die „bürgerliche" Ehe i n Erfüllung des kommunistischen Manifests: „Die Familie der Bourgeois fällt natürlich weg . . ." 2 5 . Doch geschah diese Regelung nach einem Wort von Engels auch aus dem Gedanken, daß die Geschlechtsliebe zwar ausschließlich sei (die Monogamie wurde beibehalten), aber individuell eine sehr verschiedene Intensität entfalte 26 , also auch aus dem Grunde der Vergänglichkeit des Eros. Dieses Experiment währte nicht lange. Nach 10 Jahren begann m i t dem Bundesgesetz von 1936 eine merkliche Festigung der Familie und eine Erschwerung der Scheidung, bis das Gesetz von 194427 i n Verbindung m i t der Richtlinie des Plenums des Obersten Gerichts der UdSSR vom 16.12.1949 bestimmte, daß eine Scheidung nur nach vorangegangenem Sühneversuch durch gerichtliches Urteil und nur unter Angabe von Gründen erfolgen darf. So wenig die Unlösbarkeit der Ehe auf das erotische Bewußtsein ge* gründet werden kann, so wenig kann es auch die Einehe. Das zur Liebe gehörende Gefühl der Eifersucht scheint die Ausschließlichkeit und die Monogamie zwar zu bestätigen, aber dieses Gefühl (des jeweils anderen Partners!) ist nicht stark genug, u m den Eros selbst eindeutig als monogam zu kennzeichnen. Brunner fragt demgegenüber m i t Recht, ob es wirklich Tatsache sei, daß man nicht mehr als einen Menschen gleichzeitig lieben kann, und ob es wirklich so einleuchtend und schlagend sei, daß die Liebe zum einen die Liebe zum anderen schwächen müßte. „ A u f diesem schwachen Gerüst kann gerade heute, wo der Eros seine Vielgestaltigkeit erkannt hat, nicht das ungeheure Gebäude der monogamen K u l t u r aufgebaut werden 2 8 ." E i n junger Wissenszweig innerhalb der Psychologie ist die Tiefenpsychologie. Sie ist i m ganzen noch nicht wissenschaftlich genügend gesichert, ihre Auswirkungen auf die Rechtsphilosophie i m besonderen sind daher noch nicht abzuschätzen. Hingewiesen sei aber auf den einen von C. G. Jung geprägten wichtigen Begriff des Archetypus. Archetypen sind die i n der menschlichen Seele lebenden Urbilder, die das Leben ständig beeinflussen. Sie entstammen Grunderfahrungen menschlichen Daseins und sind deshalb allgemeiner Grundbestand des menschlichen Bewußtseins. Es ist noch nicht untersucht, aber es ist zu 25 26 27 28

T e i l I I : „Proletarier u n d Kommunisten". Blomeyer S. 39. Bergmann I U I UdSSR, S. 6. Ethik, S. 328.

32

. Die Aussage der e r s c h e n Wissenschaften zum Wesen der Ehe

vermuten, sagt Fechner 29 , daß auch bestimmte Grundformen des M i t einander i n solchen Urbildern i n der Seele verwurzelt sind. So glaubt er, daß auch die Form der Einehe i m kollektiven Unbewußten schon längst angelegt war, bevor sie i n den bewußten Kreis des Rechts trat, und daß Menschen diese Vorstellung der Ehe aus sich hervorbringen würden, auch wenn sie auf gewachsen wären, ohne je von dieser Lebensform erfahren zu haben. „Auch hier handelt es sich um urtümliche Erfahrungen dessen, was sich i n vielen Generationen als das Naturgemäße, den Zwecken des Lebens Angemessene und Entsprechende, als das sachlich Richtige und Sachgerechte herausgestellt hat, das was n u n nicht nur als das Sein-,Sollende 4 und Rechte gilt, sondern was das Rechte ist, als solches einleuchtet und spontan befolgt w i r d 3 0 . " Die Tiefenpsychologie berührt sich m i t den Gedanken der Ethik und kann sogar ein Hinweis auf ontologische Bezüge sein, wenngleich es noch weitreichender und schwieriger Untersuchungen bedarf, inwieweit etwa der Begriff des Gewissens ein Bindeglied zwischen diesen drei Betrachtungsweisen ist.

Die soziologische Betrachtung der Ehe bringt gegenüber der biologischen einen ganz neuen Wesenszug der Ehe ans Licht. Denn es erweist sich, daß die biologischen Determinationen überdeckt werden durch soziologische, daß die Ehe „vorwiegend eine ökonomische Einrichtung und Gemeinschaft" darstellt 3 1 . Die Ehe zieht ihre Stabilität nicht aus den Geschlechtsbeziehungen, sondern i m wesentlichen aus nichtsexuellen Tatbeständen, sagt Schelsky 32 , d. h. aber zunächst aus soziologischen Sicherungen, sodann aus moralischen u n d religiösen Kräften. Die Soziologie befaßt sich daher insbesondere mit dem geschichtlichen Aufbau und Zerfall der die Ehe umgebenden soziologischen Tatbestände. Sie weist darauf hin, daß die Ehe erst allmählich i n der abendländischen Geschichte ihre ausschließliche Herrschaft als Ordnung der Geschlechtlichkeit erlangt hat. So war das Konkubinat als eine auf Dauer und Kinder berechnete „Ehe minderen Rechts" das ganze Mittelalter hindurch von geistlichen und weltlichen Instanzen geduldet. Es wurde erst durch das Lateran-Konzil von 1511 verboten und bald darauf auch von den weltlichen Gewalten unterbunden. Damit wurde zwar das Ansehen der Ehe gestärkt, aber zugleich wurde der große Teil der i m Konkubinat bewahrten Geschlechtsbeziehungen „ i n die dunklen Winkel der Prostitution" gedrängt 33 . Schelsky bezeichnet 29 30 31 32 33

S. 171. Fechner S. 171. Schelsky, Sexualität, S. 28. S. 29. M. Weber, Idee, S. 22.

Die

sche Betrachtung

33

demnach die Prostitution als das Widerspiel der absoluten Monogamie der patriarchalischen Ehe 8 4 . Außer der Prostitution wurden durch diese Entwicklung das Maitressenwesen und die „freien Verhältnisse" gezüchtet 35 , wobei allerdings letztere als Verhältnisse unter „anständigen" Menschen m i t dazu beitrugen, daß die Zahl der Prostituierten wieder stark gesunken ist 3 6 . Die Ehe wurde aber nicht nur zur ausschließlichen, sondern auch zur unlöslichen Ordnung. Diese absolute, rechtlich erzwingbare Festigkeit der Ehe war eine großartige kulturelle Leistung, sie vermochte aber auf die Dauer die Natur des Menschen nicht zu bändigen oder zu bessern. Sondern es drangen n u n die Unordnung u n d die Unreinheit i n die bestehenden Ehen ein. Dieses Mißverhältnis von äußerer Ordnung und innerer Ehemoral kann man i n heutiger Zeit i n den spezifisch katholischen Ländern studieren, die noch immer keinerlei Ehescheidung zulassen und auch eine Trennung nur bei relativ schwerwiegenden Gründen. Aber nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich bestehen dort konkrete Möglichkeiten, dieser zu strengen Ordnung auszuweichen — freilich rechtlich nur für den Mann. So ist es i n Italien rechtens, daß die Frau durch einen Ehebruch ihres Mannes an sich noch nicht gekränkt ist und noch nicht das Recht auf die separazione legale erlangt, sondern erst dann, wenn der Ehebruch von „gröblich beleidigenden" Erscheinungen begleitet ist 3 7 . Das w i r d dann angenommen, wenn der Mann sich beim Ehebruch i m eigenen Haus aufhält oder ein regelrechtes Konkubinat unterhält. Theoretisch und praktisch folgt daraus, daß „leichte" Ehebrüche erlaubt sind, sofern sie der Mann begeht. Ganz ähnlich war die Regelung i n Frankreich nach A r t . 229, 230 des Code Civil. Die Frau konnte gegen den ehebrecherischen Mann nur dann klagen, wenn er seine Geliebte i n der „maison commune", also der Ehewohnung gehalten hatte. Diese Ungleichheit ist hier jedoch durch Gesetz vom 27. 7.1884 abgeschafft worden. Man begegnet hier einem verblüffenden Zuge wahrlich nicht christlichen, sondern antikmediterranen Denkens, das sich bis i n das moderne Recht hinein erhalten hat — der ungleichen Anforderung an die Treuepflicht bei Mann und Frau, einer doppelten Moral, die offen zugegeben und nicht nur von den Männern (als dem Gesetzgeber) behauptet, sondern auch von den Frauen bejaht w i r d 3 8 . Die alte Ordnung erhält sich den modernen soziologischen Umwälzungen zum Trotz — zumindest als Ideal, zu dem man immer wieder gern zurückkehrt. Die Heirat dient w i r k l i c h noch 34

S. 41. Brunner, E t h i k , S. 347 A n m . 7. 36 Schelsky, Sexualität, S. 42, 47; Brunner, E t h i k , S. 351 A n m . 12. 87 Codice Civile 1942 A r t . 151 I I . 88 Vgl. Presseberichte Neue Zeitung v o m 18. 7.1954 „Ehebruch u n d Ehebruch ist nicht dasselbe", u n d Frankfurter Allgemeine Zeitung v o m 28.3. 1959 „Ehen nach alter Ordnung". 85

3 Greiff

. Die Aussage der e r s c h e n Wissenschaften zum Wesen der Ehe

der Fortpflanzung; der Stolz der Frau ist das Kind. U m die Familie und das Haus rein und beständig zu halten, muß die Gattin, die Mutter der Kinder und Hüterin des häuslichen Herdes, unbedingt tugendhaft sein. Deshalb lädt sie schwerere Schuld auf sich als der Mann, wenn sie einen Ehebruch begeht. Die schwerere Schuld zieht schwerere strafrechtliche Folgen und größere Nachteile i m Recht der Ehetrennung nach sich i m Vergleich zu demselben Vergehen des Mannes. Daß aber die geistige Gemeinschaft der Ehegatten i n einer derartigen Ordnung, die der Unlösbarkeit der Ehe und dem Freiheitsdrang des Mannes zugleich dient, zu kurz kommt, ist nur natürlich. U m daher sowohl die für den Europäer so wichtig gewordene völlige Gemeinschaft zu ermöglichen und die Ehe zugleich innerlich reiner und wahrer zu gestalten, w i r d eine soziologisch vergleichende Betrachtung sich gegen die Unlöslichkeit der Ehe und für eine Erleichterung der Scheidung einsetzen, da die damit verbundene geringere Ehebeständigkeit das kleinere Übel ist 3 9 . Marianne Weber übersieht dabei nicht, daß das Ideal der unlöslichen Ehe den großen Verdienst hat, den Schutz der Kinder dem Gefühlswandel und Glücksegoismus der Eltern vorzuziehen 40 . Sie erkennt aber auch, daß dieser K o n f l i k t zwischen eigenem Glück und Wohl der Kinder zu den schwersten Kämpfen des sittlichen Lebens gehört, der eine Gewissensentscheidung der Gatten erfordert, die, wie sie meint, i n Freiheit und nicht unter rechtlichem Zwang erfolgen muß 4 1 . Die Anforderungen an die Ehe sind also i n der geschichtlichen Entwicklung ständig gestiegen, wenn sie zur ausschließlichen und unlöslichen Ordnung der Geschlechtlichkeit erhoben wurden. Die Soziologie weist aber auch noch auf einen anderen geschichtlichen Vorgang hin, der dem ersten geradezu zuwiderläuft, nämlich auf den Abbau vieler ihrer früheren gesellschaftlichen und geistigen Stützen. Der große Wandel von der Agrargesellschaft zur industriellen Gesellschaft, der sich i m 19. Jahrhundert vollzogen hat, bestand zunächst i n einem Wandel von der sozialen Immobilität zur Mobilität. Die Menschen wurden sowohl örtlich wie ständisch von unten nach oben beweglich. M i t der Lösung von alter Starrheit und Enge ging die Zerstörung schützender und tragender Formen einher 4 2 . Es waren vor allem die gemeinsamen wirtschaftlichen Aufgaben, welche die meist noch drei Generationen umfassende Familie m i t eigenem Haus und Hof zusammenschloß zu einer Produktions- und Konsumptionsgemeinschaft. Diese Funktionen, dazu auch die der Alters- und Krankenversorgung, zum 39 40 41 42

Vgl. M. Weber, Idee, S. 61. S. 28. M. Weber, Idee, S. 156. Staatslexikon Ehe u n d Familie I I Soziologie, Sp. 980 ff.

Die soziologische Betrachtung

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Teil die der Erziehung und sogar kultische Funktionen 4 8 , gingen auf andere, größere soziologische Gebilde über. Die Familiengemeinschaft w i r d entleert, u m die Familie herum entstehen neue Gemeinschaften. Die Kinder sind nicht mehr willkommene Helfer i n der Produktion, sondern wegen des an den Vater gezahlten Individualeinkommens werden sie zu einer finanziellen Last. Die patriarchalische Autorität des Vaters w i r d gemindert, die Selbständigkeit der Frau und auch der Kinder erhöht. Mann und Frau, Eltern und Kinder stehen sich unverbunden durch sachliche Aufgaben, i n ausschließlich persönlicher Verbindung „Auge i n Auge" gegenüber 44 . Die Soziologie beschreibt diesen Vorgang als Niedergang der institutionellen Funktionen und als I n tensivierung der persönlichen Beziehungen und Verinnerlichung 4 5 . U m den Verlust der schützenden Kräfte abzugleichen, bedarf es i n der modernen Ehe einer viel größeren Liebesfähigkeit 46 . Das von der Psychologie beobachtete Vordringen der Subjektivität hat die Erwartungen und Ansprüche hinsichtlich der Erfüllung des persönlichen Glücks nur steigen lassen, ohne daß die eigenen Kräfte dem Schritt halten konnten. Zeigt sich aber eine Diskrepanz zwischen dem erhofften Glück und dem wirklichen Eheleben, dann ist das Ausharren i n einer solchen Ehe dadurch besonders erschwert, daß der Sinn und die Empfindsamkeit für das Zusammenpassen oder Nichtzusammenpassen von zwei Individualitäten durch die aufgezeigte Entwicklung der Subjektivität sehr geschärft ist 4 7 . Dazu kommt noch, daß allgemein angesichts der vielen Formen der Zwangsgemeinschaft die Fähigkeit zur freiwilligen Gemeinschaft verkümmert ist 4 8 . Angesichts dieser hochgespannten rechtlichen Forderungen und persönlichen Erwartungen an die Ehe und den geringen soziologischen Sicherungen und menschlichen Fähigkeiten für die Ehe droht die Gefahr einer Überlastung des Instituts 4 9 , droht die Ehe als gültige Form zu zerbrechen. Aber die Soziologie beobachtet trotz der Belastung und Schwächung von Ehe und Familie auch gewisse positive Ergebnisse der großen Wandlungen. Die Untersuchungen von Schelsky 50 haben ergeben, daß sich gerade i n den Notzeiten von Kriegs- und Nachkriegszeit die Familie als Ort der Geborgenheit, der körperlichen und geistigen Heimat erwiesen hat 5 1 . Demgegenüber warnt freilich Baumert 5 2 davor, die Ein43 44 45 46 47 48 49 50

3*

König S. 136. Radbruch, Rechtsphilosophie § 20, S. 250. Schelsky, Wandlungen, S. 17, 19. Gerwig S. 40. Brunner, E t h i k A n m . 5 zu S. 345. Gerwig S. 41. Schelsky, Wandlungen, S. 354 f. Insbes. „Wandlungen der deutschen Familie i n der Gegenwart".

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. Die Aussage der e r s c h e n Wissenschaften zum Wesen der Ehe

flüsse des Krieges auf die Gesamtentwicklung zu überschätzen. Auch Michel 5 3 beurteilt die Lage weniger positiv als Schelsky. Die Destruktion der Familie bleibt vorerst das vorherrschende Moment, aber man erkennt doch, daß sich die Familie i n einem Prozeß der Anpassung an die großen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen befindet, i n dem sie nicht nur alte Bindungen verliert, sondern auch neue Strukturen entfaltet 5 4 . So werden einige Funktionen von Ehe und Familie intensiver erlebt 5 5 . Die Intimsphäre innerhalb der Ehe hat an Bedeutung gewonnen. Planung und Pflege der Familienwohnung ist ein wichtiges Anliegen gemeinsamen Beratens und Wirkens geworden. Die Nahrung w i r d zwar nicht mehr produziert, aber i n Auswahl und Zubereitung bewußter konsumiert. Auch die Erziehung ist bewußter geworden. Die Anteilnahme der Eltern am Leben der Kinder ist intensiver, das Verhältnis zwischen den Ehegatten und auch schon zwischen Eltern und Kindern ist partnerschaftlich-kameradschaftlich ausgeprägt. Die gemeinsame Arbeitszeit ist weggefallen, dafür ist der Anteil an gemeinsam erlebter Freizeit gestiegen. Die moderne Familie hat also ihre Funktionen noch nicht gänzlich eingebüßt. Schelsky 56 spricht von institutionellen Restfunktionen, die die Familie „zum Träger der Verinnerlichung und der neuen Privatheit umbildet, indem sie i n diese Überbleibsel vorwiegend gesamtgesellschaftlich ausgerichteter Verhaltensnormen die Innerlichkeit, Liebe und Zärtlichkeit und all die Sympathiegefühle einströmen läßt, die sich i m personalen K e r n der Familie entwickeln". So ist das soziologische B i l d der modernen Familie nicht nur negativ zu sehen gegenüber dem alten Bild, sondern es sind auch positive neue Züge hinzugekommen. Die Möglichkeiten einer mehr bewußten und freien Entwicklung der Persönlichkeit wie der Familiengemeinschaft sind i m ganzen gesehen größer geworden 57 . M i t der Freiheit wächst die gegenseitige Zuneigung — auf der Liebe ihrer Glieder gründet sich die K r a f t der Familie und gibt ihr auch Bestand für die Zukunft 5 8 . Aber auch die Möglichkeiten und Gefahren des Mißlingens sind gewachsen. Freiheit und Gefahr liegen stets dicht beieinander. Als tragender K e r n 51 52 53 64 55 M 57 58

So auch Wurzbacher S. 15. S. 185. S. 62. Baumert S. 190. Staatslexikon, a.a.O., Sp. 986. Wandlungen, S. 21. Staatslexikon, a.a.O., Sp. 987. Leclercq S. 492 ff.

Die

sche Betrachtung

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der Familie aber w i r d die Ehe wieder ganz besonders wichtig als die einzige permanente und als die zentrale Zone der Familie 5 9 . Wenn die Ehe m i t neuer Lebenskraft ausgefüllt werden kann, dann w i r d sie diese auch i n die Familiengemeinschaft ausstrahlen. So erscheint eine Familienerneuerung nicht möglich, ohne die Überwindung der Ehekrise 6 0 . Diese Überwindung ist aber nicht von erhöhten rechtlichen Forderungen zu erwarten, sondern nur von einem Aufbau neuer soziologischer Bedingungen und sittlicher Kräfte 6 1 . Es gibt auch schon dafür Anzeichen, daß die Ehen fester, erfüllter und glücklicher geworden sind, wie dafür, daß aus der gegenwärtigen Tiefenkrise neue Ordnungskräfte erwachsen 62 . Die Soziologie weist über sich selbst hinaus, wenn sie hinzufügt, die ehe-erneuernde Liebe müsse „glaubensgetragene Liebe" sein 63 . So dürfte der besondere Beitrag des Soziologen zum modernen B i l d der Ehe dies sein, daß er den Finger auf die außerhalb der Ehe selbst liegenden Ursachen der gegenwärtigen Ehenot legt und davor warnt, die Krise nur dadurch beheben zu wollen, daß man die rechtlichen Anforderungen an die Ehe erhöht. Denn wenn man nicht zugleich und i n erster Linie die noch bestehenden und sich neu entfaltenden schützenden Kräfte um die Ehe herum stärkt, dann läßt man die Menschen i n der Ehe büßen für Mißstände, die nicht zu ihrer eigenen, sondern zur Verantwortung der Gesellschaft gehören. I m ganzen gesehen ist die Soziologie nicht i n der Lage, einen vollständigen Begriff der Ehe zu entwickeln. Sie sieht i n ihr eine Interessen- und Wertgemeinschaft 64 und untersucht die Entwicklung, die Gefahren und die Möglichkeiten dieser Gemeinschaft. Die soziologische Betrachtung bedarf aber einer sozialethischen Vertiefung, damit alle Schichten der Ehewirklichkeit i n den Blick kommen.

69 eo β1 02 ω e4

König S. 139 ff. Michel S. 66. Ebenso Müller-Freienfels S. 33 f. Wolf / Lühe / Hax S. 223, 224. Michel S. 78. Sauer S. 469.

C. Die Aussagen der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe Innerhalb der Geisteswissenschaften wäre es möglich, anhand der Kulturgeschichte die Entwicklung der abendländischen Eheauffassung nachzuzeichnen. Das Material schon an persönlichen Selbstzeugnissen von der Antike bis zur Gegenwart ist unerschöpflich. Aber auch an Werken der Dichtung und darstellenden Kunst ließe sich Vieles ablesen von dem, was den Menschen an der Ehe wesentlich erschien. Beides würde die Anwendung der schon erwähnten Methode des einfühlenden Verstehens erfordern. Geschichtliche Zeugnisse und Kunstwerke sind nur aus ihrer Motivation und aus ihren Grundwerten zu verstehen. Insofern es also auf die Werte ankommt, kann man sich der Hilfe der Ethik bedienen, als der zusammenfassenden und grundlegenden Lehre von den Werten, da j a ein historischer oder kunstgeschichtlicher Abriß eine Studie für sich erfordern würde. Die Untersuchung kann sich daher beschränken auf die Frage nach dem ethischen Begriff der Ehe.

Die ethische Betrachtung der Ehe befaßt sich mit den Werten der Ehe. Sauer sagt: „Der kulturelle Beruf der Ehe besteht aber, wie jede kulturell erhebliche Erscheinung, i n der Erzeugung, Erhaltung oder Förderung von Werten 1 ." Die Frage nach den Werten der Ehe kann aber nicht unabhängig von der allgemeinen Frage nach dem Wesen der Werte gestellt werden. Das Wertproblem ist i m wechselnden Strom der abendländischen Geschichte immer wieder neu und anders gelöst worden. Zwischen dem Eudämonismus eines Epikur und der obersten, schon inhaltlosen Idee des Guten bei Plato liegt eine weite Spanne. Sie wurde von Aristoteles i n seiner Nikomachischen Ethik, die der scholastischen Tugendlehre zum Vorbild diente, ausgefüllt durch eine lebendige Anzahl gegeneinander abgestufter Werte und Unwerte. Doch hat die Erfahrung i n haltlich verschiedener Wertordnungen kritisch werden lassen und zu der Frage nach der Werterkenntnis hingeführt. Nach Kant sind der Erkenntnis dadurch Grenzen gesetzt, daß die Anwendung ihrer Kategorien an die Erscheinungswelt i n Raum und 1

S. 470.

Die ethische Betrachtung der Ehe

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Zeit gebunden ist. „Bloße Begriffe ohne Anschauungen" sind leer — eine Erkenntnis „aus reiner Vernunft", d. h. abgesehen von jeder Erfahrung, gibt es nicht 2 . Die Werte gehören aber nicht zur Welt der Anschauung und Erfahrung, zum Gebiet der „theoretischen Vernunft". Sondern sie gehören zu der „übersinnlichen Natur", die nach Gesetzen lebt, „die von aller empirischen Bedingung unabhängig sind" — zum Bereich der „praktischen Vernunft", für die es keine Beweise gibt, sondern nur den Glauben 8 . Dieser Glaube bezieht sich aber bei K a n t nur auf das Bestehen der Sittenordnung, nicht auf eine Verknüpfung m i t der göttlichen Weltordnung. K a n t unterstreicht deshalb den abstrakten Pflichtcharakter. Das Sollen geht von uns selbst aus, der Mensch selbst gibt sich autonom das Gesetz. Das ethische Handeln geschieht auf das Wagnis hin, daß es keine Sanktion dafür gibt, w e i l sie dem Menschen unbekannt ist. Die Werturteile entspringen der Vernunft des Menschen, die keine festgefügte Ordnung enthält, wohl aber den immer neuen Anstoß zum ethischen Handeln gibt. Kant hat auf eine Kasuistik des ethischen Verhaltens verzichtet und statt dessen i n seinem kategorischen Imperativ ein allgemeines Prinzip aufgestellt, dem alle ethischen Handlungen unterstehen. Hier berührt er sich m i t der protestantischen Ethik, die sich ebenfalls nicht i n der Lage sieht, allgemeine Regeln aufzustellen, sondern nur je nach der Situation eine Entscheidung anhand des Grundgebotes der Nächstenliebe fordert — doch w i r d darauf noch zurückzukommen sein. Schon bei dem Neukantianer Rickert verschiebt sich die Vorstellung von dem Ort der Wertungen von der „praktischen Vernunft" Kants weg zum Gefühl und zur Seele, i n der „ A k t e " existieren, i n denen w i r die Werte erleben und uns ihrer bemächtigen 4 . Deutlicher w i r d der Gedanke bei den Phänomenologen. Eine ethische Entscheidung ist ein Erlebnis. Die Ethik als Wissenschaft hat diese Entscheidungen i n t u i t i v nachzuerleben, u m die Werte fassen zu können. Schon Bergson hat auf die zwei Weisen des Erkennens hingewiesen, nämlich durch den rechnenden, zerlegenden, verknüpfenden Verstand und den erratenden, erfühlenden, visionären Instinkt. Auch diese Differenzierung ist bei i h m eine der Aufspaltungen des Lebensstroms, der i n all seinen Adern von derselben Schwungkraft getrieben w i r d — dem élan vital. Für i h n ist die Lebenstheorie zugleich ein Stück Erkenntnistheorie 5 . 2

K r i t i k der praktischen Vernunft, S. 42. Grundlegung der Metaphysik der Sitten 1785, Akademieausgabe Bd. I V , S. 385 ff.; K r i t i k der praktischen Vernunft 1788 Akademieausgabe Bd. V, S. 1 ff., S. 42, 43. 4 Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, S. 689 ff. 5 Schöpferische Entwicklung, S. 5; Einführung i n die Metaphysik 1903. 8

40 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

I m Anschluß an Bergson und Husserl hat Max Scheler Neues über die Erkenntnismöglichkeiten der Werte gebracht. Die Werte werden von uns i n intentionalen A k t e n des „Wertnehmens" gemeint und i n ihrer evidenten Rangordnung erfaßt. „ . . . im fühlenden, lebendigen Verkehr m i t der Welt . . . , i m Vorziehen und Nachsetzen, i m Lieben und Hassen selbst, d.h. i n der Linie des Vollzugs jener intentionalen Funktionen und A k t e blitzen die Werte u n d ihre Ordnungen auf" 6 . Die ethische Erkenntnis muß sich „auf die i m Fühlen und Vorziehen erfolgende Werterfahrung" stützen, „ganz so, wie sich alles theoretische Denken auf Sinneserfahrung zu stützen hat" 7 . Wertungen als Entscheidungen zwischen verschiedenen Werten entspringen nicht einer Überlegung, sondern kommen spontan aus dem Wertgefühl. Dieses zeigt, welches der höhere Wert i m Einzelfall ist. Wie das aber geschehen könne, so sagt Nicolai Hartmann, das sei das innerste Geheimnis des Wertgefühls 8 . Scheler verweist i n seinen Überlegungen zu diesem Gefühl auf das Wort Blaise Pascals vom „ordre du ccer": Die i m Gefühl angelegte, erkennbare Wertordnung i n der Entscheidung zu realisieren — heißt ethisch handeln. „ L e coeur a ses raisons" heißt, das Herz besitze eine Erfahrungsart, für die der Verstand blind sei, die aber doch „echte objektive Gegenstände und eine ewige Ordnung zwischen ihnen" offenbart 9 . Dieses Wertgefühl beruht nach Hartmann auf apriorischer Grundlage 10 . Belehrung kann dem Bewußtsein nichts aufdrängen, sondern nur aus i h m heraufholen, was i n i h m bereits enthalten ist 1 1 . Das Wertgefühl verschafft sich unmittelbare Geltung i m Gewissen. Das Gewissen kann sich m i t der Zeit entwickeln, es kann geschärft und abgestumpft werden, niemals ist es aber aus der Erfahrungswelt abzuleiten, sondern es urteilt a priori — unabhängig und vor jeder Erfahrung 1 2 . „Das Gewissen ist die Ankündigung der sittlichen Werte i m realen Bewußtsein, ihr Eingreifen i n die Wirklichkeit des Menschenlebens 13 ." Sowohl nach Kants wie nach der phänomenologischen Ethik gibt es also i n der Vernunft oder i n dem Herzen und Gefühl des Menschen einen Ort, der für Werturteile die entscheidende Instanz ist. Angesichts des Phänomens der Verschiedenartigkeit und Wandelbarkeit der Wertsysteme kommt Radbruch freilich zu dem Ergebnis, daß eine objektive β

Der Formalismus i n der E t h i k u n d die Materiale Wertethik, S. 89. Scheler S. 339. 8 Hartmann, Vorlesung, S. 168. 0 Der Formalismus, S. 15, 84, insbes. S. 268 ff. 10 Ethik, S. 134 ff. 11 Vorlesung, S. 153. 12 Vorlesung, S. 168. 18 Hartmann, E t h i k , S. 135.

7

Die ethische Betrachtung der Ehe

41

Unterscheidung zwischen den verschiedenen Wertsystemen nicht möglich sei. Er bekennt sich zu dem erkenntnistheoretischen Realtivismus 1 4 , der zwar nicht den Glauben an die Werte, w o h l aber ihre wissenschaftliche Erkennbarkeit verneint. Die Entscheidung zu den letzten W e r t urteilen überläßt Radbruch dem Gewissen des einzelnen 1 5 . Die moderne E t h i k versucht aber gerade durch den Begriff des Gewissens hindurch den Werten näher zu kommen. Dabei stellt sie fest, daß nicht die Werte selber relativ oder subjektiv sind, sondern n u r die v o n der M o r a l einer bestimmten Epoche oder einer bestimmten Weltanschauung getroffene Auswahl der Werte. H a r t m a n n hat ausgeführt, w i e sich jede Veränderung einer M o r a l durch Entdecken neuer Werte auf der einen u n d Verlieren früher geschätzter Werte auf der anderen Seite vollzieht 1 6 . I m Wandel der M o r a l wechseln die Ausschnitte aus dem Wertreich, da nie alle möglichen Werte zugleich erkannt u n d gelebt werden können. „Tatsache aber ist, daß w i r i m m e r n u r begrenzte Ausschnitte aus dem Wertreich übersehen, f ü r seinen übrigen Umfang aber w e r t b l i n d sind;" und: „Nicht der Wert, w o h l aber der Wertblick ist v a r i a b e l " 1 7 . D a m i t w i r d eine Stellung bezogen, die den Relativismus Radbruchs hinter sich läßt. Ob sie sich endgültig w i r d halten lassen, muß sich erst erweisen. Weischedel weist i n seiner Schrift „Skeptische E t h i k " auf den platonisch-theologischen H i n t e r g r u n d des Schelerschen Denkens h i n : der platonischen Schau der Ideen entspreche bei Scheler die Wesensschau der Werte; der Mensch als sittliches Wesen werde phänomenologisch erschaubar erst unter Voraussetzung u n d unter dem Lichte der Idee Gottes 1 8 . Wenn n u n ein Philosoph w i e Weischedel davon überzeugt ist, daß i n unserer Zeit alle Theologie fragwürdig geworden, alle Gottesgewißheit zerbrochen sei 1 9 , dann muß er auch gegenüber Scheler seine programmatische Skepsis bestätigt finden. Vielleicht zeigt dies aber nur, daß eine „reine Philosophie", d. h. hier eine untheologische E t h i k (und das heißt später: eine untheologische Ontologie) nicht mehr möglich ist. Die moderne Wertlehre hat sich gegenüber Relativismus u n d Skepsis gerade u m den Nachweis bemüht, daß die Werte etwas Objektives sind, daß es ein an sich bestehendes Reich der Werte g i b t 2 0 . „Werte 14

Rechtsphilosophie § 2, S. 100 ff., 104. S. 102. 16 Ethik, S. 43 ff., 142; Vorlesung, S. 176; ebenso Scheler, Der Formalismus, S. 314 ff. 17 Hartmann, Ethik, S. 158. 18 S. 68 ff. 19 S. 71, 77. 20 Hartmann, Ethik, S. 149; Metaphysik der Erkenntnis, S. 208. 15

42 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

haben ein Ansichsein 21 ." Das den Menschen gemeinsame Wertgefühl hebt die Werte aus der Subjektivität heraus i n ein geistig-objektives Sein. Relativ ist nur die Auswahl, die die jeweils geltende Moral aus dem ganzen Bereich der Werte trifft. Die Rechtsphilosophie hat die Bedeutung dieser Lehren für das Recht erkannt, und hat sich um eine neue werttheoretische Rechtsbegründung bemüht. So hat Coing „die obersten Grundsätze des Rechts" erforscht und neu begründet und zugleich damit die große Aufgabe einer „Neubegründung des Naturrechts" unternommen 2 2 . Coing hat auch den Gedanken der fortschreitenden Werterkenntnis übernommen: „Denn m i t jeder Generation kommt auch eine neue Sicht der Werte herauf 2 3 ." Er bekennt sich zu der Existenz und zu der begrenzten Erkennbarkeit der Werte: „ W i r dürfen also davon ausgehen, daß die einzelnen sittlichen Werte, wie sie uns i m sittlichen Bewußtsein gegeben sind, mit einem gewissen Grad von objektiver Richtigkeit umschreibbar sind 2 4 . Bei der Erforschung einzelner Werte w i r d man sich also bewußt sein müssen, daß man selbst m i t seinem Wertgefühl einer bestimmten zeitbedingten Moral zugehört, da das Wertbewußtsein nur eine begrenzte Anzahl von Werten aufnimmt, für andere aber b l i n d ist. Die Grenzen sind bezeichnet m i t dem nach Enneccerus / Nipperdey oben schon zitierten Begriff der „herrschenden Kulturanschauungen". Die für diesen Bereich gefundenen Werte sind dann aber nicht i n der Weise relativ, wie Radbruch meinte, daß sie nur für diesen Bereich Geltung hätten. Werte der einen Moral können nicht Unwerte i n einer anderen sein, sie können lediglich verblassen i m allgemeinen Bewußtsein oder einen anderen Rang i n der Ordnung der Werte erhalten. Also kann gesagt werden, daß die Werte dank des menschlichen Wertgefühls sowohl erkennbar sind wie auch übersubjektive Gültigkeit erlangen, auch wenn sich die geschichtlichen Wertordnungen i n der Auswahl und Einstufung der Werte voneinander unterscheiden. Freilich befinden sich die Bemühungen u m die Gesetzlichkeiten und A n t i nomien i m Reiche der Werte sowie um ihre Rangordnung nach Hartmanns eigenen Worten noch i m Anfangsstadium, da unsere Vorstellungen von der Ordnung des gesamten Wertreiches bisher nur sehr vage sind 2 5 . „Es läßt sich nur wenig Gesetzlichkeit herauslesen 26 ." Und, so ist hinzuzufügen, es ist mehr als fraglich, ob diese Bemühungen je21

Hartmann, Ethik, S. 149. So der T i t e l seiner 1947 erschienenen Schrift. 23 Oberste Grundsätze, S. 33, S. 115 ff. 24 Coing , Rechtsphilosophie, 1. Aufl., 1950, S. 106 ff., S. 108.; 2. Aufl., 1969, S. 124. 25 Vorlesung, S. 168. 26 Ethik, S. 545. 22

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mais zu einem Abschluß gebracht werden können i n dem Sinne, daß eine anerkannte neue Wertordnung am Ende steht. Auch Coings spätere Äußerungen 2 7 sind verhalten: w i r besitzen „keine vollständige Einsicht i n sittliche Zusammenhänge . . . Ethische Erkenntnis bleibt Annäherung, sittliches Handeln Versuch . . . Erst i n dieser Auffassung w i r d der Gedanke der sittlichen Verantwortung ebenso deutlich wie das aus ihr geborene Mitgefühl für die verfehlte Entscheidung". Auch eine materiale Wertethik w i r d sich wahrscheinlich darauf beschränken müssen, die Voraussetzungen und das Zustandekommen von Werturteilen, das grundsätzliche „Funktionieren" der Werte zu durchleuchten, ohne die eigentlichen Entscheidungen vorwegnehmen und fixieren zu können. Denn die Urteile des Wertgefühls lassen sich nicht systematisieren, sondern sie entstehen spontan, i n schöpferischer Freiheit. Es kann der modernen Ethik aus diesem Grunde nur darum gehen, einzelne Ansatzpunkte und Richtlinien für ethisches Verhalten zu liefern, dem auf sich gestellten Menschen eine Hilfestellung bei der von i h m selbst zu treffenden Entscheidung zu bieten. Die Gedanken der Ethik werden aber gerade um das Problem der Ehe kreisen, denn sie ist „das unmittelbare sittliche Verhältnis" 2 8 . So w i r d die ethische Betrachtung der Ehe das Bewußtsein der Ehegatten für die Verantwortung schärfen, die sie einander und ihren Kindern gegenüber übernehmen und die jeder willkürlichen Lösung des ehelichen Verhältnisses widerspricht 2 9 . Die erste ethische Forderung an die Ehe ist die, daß sie eine dauerhafte, j a lebenslange Verbindung sein müsse. Zu allen Zeiten ist der Wert der Treue als sehr hoher Wert erschienen, auch wenn die Bezugspunkte der Treue verschieden waren. I n der modernen Ehe erhielt dieser Wert eine Zuspitzung auf die geschlechtliche Treue hin, wurde dabei aber zugleich inhaltlich eingeengt. Die Treueforderung erscheint nun als Anhängsel zur Bindung der monogamen Ehe, während sich doch sicherlich umgekehrt die strenge Einehe nicht hätte durchsetzen können, wenn die frei bejahte, bis zum Tode und über i h n hinaus gehaltene Treue nicht ein menschliches Grunderlebnis und ein Grundwert gewesen wäre. Die großartigen Darstellungen der Gattentreue von der Orpheus-Sage und der Cornelia-Elegie des Properz 3 0 bis zu Beethovens Fidelio beweisen es. Auch bei Goethe finden w i r die Forderung nach Treue und Unlösbarkeit nicht aus einem abstrakten Imperativ heraus begründet, sondern aus dem warmen Gefühl der Dankbarkeit, wie sein Wort aus den „Wahl27 28 29 30

Rechtsphilosophie, 2. Aufl., S. 125. Hegel, Rechtsphilosophie, § 161, S. 239. Stammler S. 239. Buch 4, 11 seiner Elegien.

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Verwandtschaften" erkennen läßt: „Die Ehe ist der Anfang und der Gipfel aller K u l t u r . Sie macht den Rohen mild, und der Gebildete hat keine bessere Gelegenheit, seine Milde zu beweisen. Unauflöslich muß sie sein: denn sie bringt so vieles Glück, daß alles einzelne Unglück dagegen gar nicht zu rechnen ist . . . Sich zu trennen, gibt's gar keinen hinlänglichen Grund. Der menschliche Zustand ist so hoch i n Leiden und Freuden gesetzt, daß gar nicht berechnet werden kann, was ein Paar Gatten einander schuldig werden. Es ist eine unendliche Schuld, die nur durch die Ewigkeit abgetragen werden kann. Unbequem mag es manchmal sein, das glaube ich wohl, und das ist eben recht. Sind w i r nicht auch m i t dem Gewissen verheiratet, das w i r oft gerne los sein möchten, w e i l es unbequemer ist, als uns je ein Mann oder eine Frau werden könnte 3 1 ?" Aus dem Gefühl der unendlichen Dankesschuld ergibt sich eine stete Erneuerung der Liebe, denn „Dankbarkeit und Liebe sind Geschwister. Dankbarkeit ist Liebe, m i l d doch stet . . ." 3 2 . Die Liebe zum andern Menschen gewährt i h m den Spielraum, i n dem er sich bewegen und äußern kann, gewährt i h m Anerkennung auch i m Anderssein und h i l f t ihm, seine besten Möglichkeiten zu entfalten 3 3 . Zum Geltenlassen kommt die Teilnahme am fremden Leiden, das Mitleid, als dringende ethische Aufgabe 3 4 . Die Wirklichkeit ist voller körperlicher und seelischer Leiden bis zum Schuldbewußtsein. Hier stellt sich die Aufgabe der Verzeihung, und die Bereitschaft zur Verzeihung w i r d schon entstanden sein zugleich m i t der Liebe. Roth sagt, es gibt i n der Ehe sogar eine Pflicht zur Verzeihung 35 . Dasselbe ist gemeint, wenn man von einer Pflicht zur Liebe spricht. Denn dem reinen Gefühl kann man nicht befehlen, wohl aber seinem „guten Willen". Die Betätigung des guten Willens hat dann eine Belebung auch des Gefühls der Liebe zum Lohn. Tolstoi schreibt i n sein Tagebuch: „Verzeiht man einem Menschen, so liebt man i h n auch dann. Verzeihen bedeutet ja: aufhören zu beschuldigen und zu hassen 36 ." Auch das Ehescheidungsrecht beachtet die Verzeihung und zeigt damit an, daß die Reaktion auf eine Eheverfehlung des einen Gatten völlig i n die freie Entscheidung des andern gelegt ist. Es gibt keine aus der sittlichen Ordnung der Ehe ableitbaren Bestimmungen, wann eine 31

Gedenkausgabe, hrsg. v o n Ernst Beutler Bd. 9, S. 78. Der hohe Wert der Ehe u n d ihre Unantastbarkeit ist zentrales Thema dieses Romans, w i e Goethe i n einem Brief an Zelter v o m 29.1.1830 ausführt. 82 Christian Morgenstern, Wer v o m Z i e l nicht weiß, k a n n den Weg nicht haben, München 1953, S. 64. 33 Weischedel S. 206. 84 Weischedel S. 207. 85 S. 115. 36 Tagebuch 1895 - 98 Aufzeichnung 8., 9. Nov. 1895.

Die ethische Betrachtung der Ehe

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Verzeihung möglich und w a n n sie unmöglich ist, sondern der Ehegatte ist frei zu verzeihen, wie schwer auch die Verfehlung des anderen sein mag. Ethisch gesehen kann es also keine Pflicht geben, die Tat etwa des Ehebruchs durch eine Ehescheidung sühnen zu lassen 37 , sondern i m Gegenteil gibt es eine Pflicht zur Verzeihung. Diese Pflicht w i r d sich insbesondere dann ergeben, wenn der schuldige Teil u m Verzeihung bittet. Die sittliche Aufgabe, die die Ehe stellt, hört nicht einfach durch eine schwere Verfehlung des anderen auf, sondern t r i t t gerade dann besonders hervor. Sie erfordert i n jedem Fall eine ernste Prüfung, ob die Möglichkeit der Fortführung der Ehe und der Verzeihung besteht. Das Gewissen darf sich nicht etwa damit beruhigen, daß dies deshalb unmöglich sei, weil die Ehe zerstört sei. Die (vom Recht anerkannte) Möglichkeit der Verzeihung beweist, daß die Ehe nicht immer zerstört wird. Denn echte Verzeihung bedeutet Anknüpfen an die vorherige Liebe, bedeutet stets eine Kontinuität des Gefühls, auch wenn das Gefühl danach nicht wieder ganz das gleiche werden sollte wie vorher, w e i l die Erschütterung nicht ganz überwunden ist. Solange eine Verzeihungsmöglichkeit besteht, so sagt Roth daher 38 , kann eine vollständige Zerrüttung noch nicht eingetreten sein, und: „Die Frage der Zumutbarkeit der Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft ist sehr oft identisch m i t der Frage der Möglichkeit einer nochmaligen Verzeihung." Aus der Totalität der Hingabe, deren „Wahrheit und Innigkeit" nur aus dem Verhältnis einer Einzelperson gegenüber einer anderen Person hervorgeht 3 9 , erwächst als sittliches Grundprinzip die Monogamie. Die Ethik sieht schließlich i n der Ehe eine Offenbarung des allgemein Menschlichen. Dadurch verleiht sie der ehelichen Liebe eine Qualität, die alle anderen Qualitäten der Liebe unvergleichlich überwiegt, wie Kierkegaard i n seiner Betrachtung über „Das Gleichgewicht des Ästhetischen und des Ethischen i n der Ausarbeitung der Persönlichkeit" 4 0 sagt: „Die ethische Betrachtung der Ehe hat also mehrere Vorzüge von jeder ästhetischen Auffassung der Liebe. Sie erklärt das Allgemeine, nicht das Zufällige. Sie weist nicht nach, wie ein einzelnes Paar ungewöhnlicher Menschen durch ihre Ungewöhnlichkeit glücklich werden kann, sondern zeigt, wie jedes Ehepaar glücklich sein kann. Sie sieht das Verhältnis als das Absolute, sucht daher nicht i n der Diffe87 Wie von Scanzoni meint — N J W 49, 742. Dagegen auch FamRZ 54, 9; Frantz, N J W 50, 94. 88 S. 110, 111. 89 Hegel, Rechtsphilosophie, § 167, S. 247. 40 Entweder — Oder, Wiesbaden Dieterich Bd. 40, S. 437.

Habscheid,

46 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

renz eine Garantie des Verhältnisses, sondern erfaßt sie als Aufgabe. Sie sieht das Verhältnis als das Absolute (und) sieht daher die Liebe nach ihrer wahren Schönheit, nämlich nach ihrer Freiheit." Dieselbe Allgemeinheit meint Tolstoi zu Beginn von „Anna Karenina" i n einem auf die Familie bezogenen Wort, das ebenso für die Ehe gelten kann: „ A l l e glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich." Das Glück liegt darin, i m Allgemeinen, i n der Ordnung zu leben. Die Ordnung aber ist eine, die Unordnung oder das Unglück ist ein chaotisches Vielerlei 4 1 , oder wie Aristoteles schon gesagt hat: „Das Böse hat die Natur des Grenzenlosen, . . . das Gute dagegen die Natur des Begrenzten. Das Rechthandeln dagegen ist eingestaltig 42 ." Die sittlichen Pflichten dürfen aber nicht zu Rechtspflichten umgeprägt werden. Das gilt auch für die Pflicht zur unlöslichen Ehe; dann bekäme der eine Ehegatte einen Rechtsanspruch auf die Person des anderen, aus der sittlichen Bindung würde ein unsittliches Besitzrecht. So bezeichnet Marianne Weber es als das „verwerflichste Besitzrecht", das die Rechtsordnung den Ehegatten verleiht, wenn sie sich auf den Grundsatz der Unlösbarkeit der Ehe stellt 4 3 . Ein derartiges Recht des einen an der Person des anderen darf es nicht geben, oder wie Stammler es ausdrückt 44 , die Ehe darf nicht dazu führen, daß der eine zum bloßen Gegenstand der subjektiven W i l l k ü r des anderen werde. Auch die Rechtsphilosophie Kants gründet sich auf den Gedanken, daß der Mensch nie bloßes M i t t e l werden dürfe und daß die eigene Freiheit stets an der Freiheit der Mitmenschen seine Grenze finde. „Handele so, daß du die Menschheit sowohl i n deiner Person, als i n der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als M i t t e l brauchst 45 ." Zweck heißt hier „Zweck an sich selbst". Dies sei hier gleichsam als Entschuldigung gesagt für seine schon von Hegel getadelte Definition der Ehe i n der „Metaphysik der Sitten" 4 6 , wo er die Ehe als „die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften" bezeichnet. Die von Idealismus und Humanismus getragene Ethik bezeichnet also sowohl die sittlichen Aufgaben i m Hinblick auf die Ehe wie auch die Grenzen dieser Aufgabe. Die sittliche Aufgabe der dauerhaften Ehe ist 41 42 43 44 46 46

Vgl. Fechner S. 132. Nikomachische Ethik, Jena 1909, I I . Buch 6, S. 35. Idee, S. 231. Stammler S. 239. Grundlegung der Metaphysik der Sitten 1785, S. 429. 1797, § 24, S. 277. Dazu Hegel, Rechtsphilosophie § 161, S. 240.

Die ethische Betrachtung der Ehe

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als gescheitert anzusehen, wenn es trotz intensiver sittlicher Anstrengung wenigstens der einen Seite zu einer Gemeinschaft i n Freiheit nicht kommt. Es darf nicht verlangt werden, daß der pflichttreue Teil sich durch Selbstaufgabe i n die W i l l k ü r des anderen Teils begibt. Denn die Ethik der „Goldenen Regel", also desjenigen Handelns, dessen Maxime jederzeit allgemeines Gesetz werden könnte, bejaht das Recht auf personhafte Selbstbehauptung. Weischedel sagt, der mögliche K o n f l i k t zwischen der Treue zu sich selbst und der Treue zu dem andern Menschen gehöre zu den unausweichlichen Widersprüchlichkeiten des menschlichen Daseins 47 . (Erst eine religiöse, besonders die christliche Ethik kennt ein Gebot zur Selbstaufopferung und kann diesen Konf l i k t lösen.) U m des ethisch begründeten Rechts zur Selbstbehauptung w i l l e n muß eine Ehescheidung möglich sein. Und diese Scheidung darf, wenn die sittliche Aufgabe wirklich gescheitert ist, nicht über Gebühr erschwert werden. Eine von der Rechtsordnung erzwungene Verbindung hat ethisch keine Bedeutung, so lange die Ehegatten nicht freiwillig ihre Pflicht auf sich nehmen. Das Recht kann nicht ethische Werte selbst verwirklichen, w e i l eine Zwangserfüllung ethischer Normen begrifflich ausgeschlossen ist. Nur auf dem Boden der völligen Gedanken- u n d Gewissensfreiheit können ethische Werte entstehen und von Bestand sein 48 . „ N u r die freiwillig einander dargebrachten Opfer . . . haben ihre Würde als Akte höchster sittlicher Freiheit 4 9 ." Und für die Ehescheidung leitet Roth 5 0 daraus die folgerichtige, aber radikale Forderung ab: „Die ethisch wahre und daher auch glückliche Ehe soll weiterdauern, die unglückliche oder ethisch unwahre Ehe dagegen soll rascher und noch leichter geschieden werden, als es vielfach heute schon geschieht. Die wahre Ehe hat i n ihrem Bestände auch keinen rechtlichen Schutz und Zwang nötig, sonst ist sie ethisch schon nicht mehr einwandfrei." Ähnlich fordert Sauer 51 , „eine Scheidung sollte dann erlaubt, j a notwendig sein, (soll nicht eine Scheinehe bestehen), wenn ihr kultureller Sinn, ihre Existenzberechtigung, für immer wegfällt . . . Eine glückliche, gesunde Ehe trägt dagegen i n sich den K e i m der Unsterblichkeit". Die ethische Betrachtung der Ehe betont also das Allgemeine, durch das die eheliche Liebe gleichsam geweiht wird, sie kreist u m allgemeine Werte wie Verantwortung und Treue, Dankbarkeit und Verzeihung, Freiheit und Wahrheit i n der Ehe. Sie gibt damit den Anstoß, auch und 47 48 49 δ0 51

Skeptische Ethik, S. 219. Roth S. 254. M. Weber, Idee, S. 66. S. 262. S. 470.

48 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

gerade i m Bereich der Ehe ethisch zu handeln (Verantwortung), sie zeigt die Werte auf, i n deren Spannungsverhältnis die Entscheidungen zu treffen sind (wie Treue als Hingabe oder Verzeihung und Selbstbehauptung als Treue zu sich selbst), sie zeigt die Voraussetzungen auf, unter denen ethisches Handeln überhaupt möglich ist (wie Freiheit und Wahrheit). Die Ethik weist schließlich hinaus auf das Gebiet des Glaubens, wenn sie sagt, daß das Gelingen der Ehe als des größten Wagnisses des persönlichen Lebens „nicht Verdienst, sondern Gnade und Schicksal" ist 5 2 . Das ist es, was die Ethik an Hilfestellung leisten kann. Was sie nicht leisten kann, ist eine erschöpfende Aufstellung aller i n der Ehe zu verwirklichenden Werte und eine theoretische Lösung aller ihrer Konflikte untereinander. Aber selbst wenn sie das könnte, ergäbe sich daraus nur der Begriff der Ehe, soweit er sittlich ist — und das ist er nicht nur. Das Gesetz geht zwar zu Recht davon aus, daß die Ehe eine vorwiegend sittliche Ordnung ist. Aber auch die Ethik ist „keine i n sich ruhende letzte Grundlage des menschlichen Lebens, folglich auch nicht der ehelichen Gemeinschaft", wie Wolf m i t Recht sagt 53 . Die Ethik bedarf der Ergänzung durch das, was an der Ehe nicht „Wert", sondern „ N a t u r " oder „reales Sein" ist. Freilich ist es bei den großen methodischen Schwierigkeiten, das natürliche Sein der Ehe zu erkennen, nicht ratsam, die Sphäre der Werte vorschnell beiseitezuschieben.

Die christliche Auffassung von Ehe und Ehescheidung Zunächst könnte man die Frage aufwerfen, ob die religiöse Aussage überhaupt nötig ist für das innerhalb einer juristischen Arbeit zu untersuchende B i l d der Ehe. Genügt es nicht, aus den bisherigen Einzelbetrachtungen einen allgemeinen Begriff der Ehe zu bilden? Ist es nicht erforderlich, sich auf den so gefundenen säkularen Ehebegriff zu beschränken angesichts der unbestreitbaren Tatsache, daß die überzeugten Anhänger des christlichen Glaubens i n unserem Rechtskreis keineswegs die Mehrheit bilden? Aber bei diesem Verfahren der Zusammenstellung der gefundenen Merkmale zu einem einheitlichen Begriff der Ehe würde sich zeigen, daß ein erschöpfender Begriff so nicht zu gewinnen ist. A l l e Einzelmerkmale mögen zutreffend und wichtig sein, sie bilden zusammen doch nur ein Gerüst, dessen Mitte unausgefüllt bleibt. Keine der Einzelauffassungen bekommt das Ganze der Ehe i n den Blick, son52 53

Marianne S. 275.

Weber S. 70.

Die christliche Auffassung von Ehe u n d Ehescheidung

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dern jede nur einen anderen, mehr oder weniger äußeren Teil. A l l e zusammen ergeben vielleicht ein genaues B i l d des äußeren Bezirks der Ehe — der innere Bezirk bleibt ihnen aber verborgen. Dieser innere Bezirk der Ehe ist das Verhältnis der Menschen zu Gott. Z u der Horizontalen i m Verhältnis der beiden Menschen kommt die Vertikale hinzu. t „v Die Erfahrungen und die Aussagen des Glaubens i n der Frage der Ehe bringen nicht nur neue spezialwissenschaftliche (nämlich theologische) Merkmale der Ehe zu den bisher gefundenen hinzu, sondern sie erhellen wie ein Schlaglicht das Zentrum und von da aus das Ganze der Ehe — freilich ohne daß sie die einzelwissenschaftlichen Feststellungen deshalb überflüssig machen könnten. Ähnlich drückt es Kinder aus 54 : Der „christliche Ehestand" bringt nicht eine neue eigene Ehe, die die allgemeine abwerten könnte, sondern „sie schließt innerhalb der allgemeinen Ehe und für sie etwas Neues auf, was so noch nicht da war und was diese erst zu ihrer Eigentlichkeit bringt". Und Wolf sagt 5 5 : „Die christlich-europäische Ehe ist danach keine geschichtlich zufällige »Form' neben anderen, sondern die Verwirklichung eines menschlichen Urgehalts, der zugleich natürliche, aller Vielgestaltigkeit zugrunde liegende Ordnung ist." Der Grund für die Annahme, daß die christliche Eheauffassung so Entscheidendes zu dem B i l d der Ehe beizutragen hat, liegt darin, daß die Ehe mehr als andere Institute i n unserem Kulturkreis vom Christentum als der mächtigsten geistigen K r a f t geprägt worden ist. Es gab die Ehe der griechisch-römischen Antike, die jüdische und die germanische Ehe — die Ehe der europäischen Geschichte seit 1000 Jahren ist die christliche Ehe. König sagt, das B i l d der christlichen Familie und Ehe beginnt um das Jahr 1000 herum feste Formen anzunehmen 56 . Den vorchristlichen Formen der Ehe wurde durch das Christentum nicht nur ein neuer religiöser Zug verliehen, sondern der Begriff der Ehe wurde völlig neu gefaßt; er wurde i n den Dienst der Verkündung des Evangeliums gestellt, er wurde, kurz gesagt, zu einem christlichen Begriff. Als solcher zieht er sich durch unsere Geschichte bis zu den modernen Gesetzgebungswerken. Müller-Lyer stellt ebenfalls als Soziologe fest 5 7 : „Das Christentum stellte die abgekommene Strenge der Einehe wieder her, verschärfte sie bis zum Äußersten und verbreitete sie über alle Völker, die der modernen europäischen K u l t u r und der ganzen neueren Zivilisation angehören, wo sie dann durch staatliche Ge54 55 56 57

Evangelische Besinnung, S. 27. Wolf / Luke / Hax S. 278. I n Gehlen l Schelsky S. 131. S. 55.

4 Greiff

50 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

setze befestigt wurde." Dem christlichen Kirchenrecht beider Konfessionen wurde i n den Gebieten des gemeinen Rechts vom 16. bis zum 19. Jahrhundert unmittelbare Geltung eingeräumt. Das Sächsische B ü r gerliche Gesetzbuch von 1863 enthält i m wesentlichen eine Kodifikation der gemeinrechtlichen Praxis des protestantischen Scheidungsrechts. I n den Motiven zum BGB heißt es: „Der christichen Gesamtauffassung des deutschen Volkes entsprechend" sei „die Ehe als eine von dem Willen der Ehegatten unabhängige sittliche und rechtliche Ordnung anzusehen" 58 und sei „ihrem Begriffe und Wesen nach unauflöslich" 5 9 . Auch die Rechtsprechung bekennt sich zur christlichen Ehe, wenn das Bundesverwaltungsgericht i n zwei Entscheidungen vom 27.11.1959 und 27. 5. I960 60 vom Schutz der Ehe als einer „der christlich-abendländischen Auffassung" bzw. „dem christlich-abendländischen Vorstellungsbild" entsprechenden Institution spricht. Es soll hier nicht entschieden werden, ob es richtig ist, i n die Sprache des staatlichen Gerichtes das Wort „christlich" hineinzunehmen. Das aber ist sicher, daß der unserem Recht zugrunde liegende Begriff der Ehe christliche Prägung hat, und insofern ist der angeführte Sprachgebrauch ein Symptom. Es kommt aber gar nicht darauf an, ob ausdrücklich von christlicher Ehe gesprochen w i r d und wie stark das Bewußtsein des spezifisch Christlichen dabei ist. I n dem Begriff der Ehe steckt durch die christliche Umprägung und den traditionellen Gebrauch dieses nun christlichen Begriffes das Element des Christlichen tief darin. Auch wenn das Zentrum der Ehe, ihre Beziehung zu Gott, nicht mehr gesehen wird, so fällt doch auf ihre sichtbaren Bereiche, auf die Beziehungen der Menschen untereinander, von i h m her immer noch ein besonderes Licht, so wie die sittlichen Lehren des Christentums überhaupt großenteils noch Allgemeingut sind, auch wenn sie nicht mehr vom Glauben getragen werden 6 1 . Die Umprägung des Begriffes der Ehe durch das Christentum ist eine geschichtliche Tatsache, auch wenn die inneren Zusammenhänge sich nur dem Glauben offenbaren: Zum Evangelium und damit zum Glauben gehörte der Satz, daß Mann und Frau i n gleicher Weise unmittelbar Gott gegenüberstehen — i n die Ehe hat dieses Bewußtsein der religiösen Mündigkeit der Frau den Sprengstoff der Gleichberechtigung gebracht 62 . Z u den gleichen Rechten vor Gott traten die gleichen Pflichten i n der Erfüllung der Gebote — erst das Christentum beseitigte die i n allen alten Rechtsordnungen enthaltenen unterschiedlichen Anfor58 59 60 61 62

Motive Bd. I V , S. 562. Ebenda, S. 563. N J W 1960, 449 u n d B V e r w G E 10, 340. Fechner S. 83. Säe S. 296; König, i n : Gehlen / Schelsky S. 131 f.

Die römisch-katholische Auffassung

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derungen an die eheliche Treue von Mann und Frau 6 3 . Zum christlichen Glauben gehörte aber auch die Erfahrung Gottes unendlicher Liebe und Barmherzigkeit — i m Bereich der Ehe wurde dadurch die Voraussetzungen dafür geschaffen, die eheliche Liebe i n einer vorher nicht gekannten Weise zu spiritualisieren 6 4 . Dies sind nur Beispiele dafür, wie die Ehe i n ihrem wirklichen Erscheinungsbild neu geprägt wurde. „Dies ist der unverkennbare Stempel des christlichen Einflusses, der auch i n einem säkularisiert-empirischen Ehemodell als implizierte Wertordnung noch w e i t e r w i r k t " wie Mikat sagt 65 . Und die W i r k k r a f t der christlichen Botschaft ist nicht nur historisch, sie besteht fort und w i r k t weiter an dem Begriff und an dem Erscheinungsbild der Ehe. Daher kann niemand an ihren Aussagen über die Ehe vorbei, der auf der Suche nach dem Wesen der Ehe nicht nur einen vorläufigen, bruchstückhaften Begriff i n Händen haben w i l l , sondern die Ehe i n ihrer ganzen Fülle und Tiefe begreifen w i l l . Richtig sagt Larenz 6 6 , der Jurist müsse sich vielfach m i t einer vorläufigen A n t w o r t begnügen, solange ein allumfassendes philosophisches System uns nicht die A n t w o r t auf alle Sinnfragen etwa der Ehe gewährt habe. Sowenig die vorliegende Studie allumfassend sein kann, so sicher gehört doch die Theologie i n die gesuchte Antwort. Daher soll jetzt ein B i l d von der christlichen Ehe gezeichnet werden, das, ergänzt durch die bisherigen Betrachtungsweisen, das Wesen der Ehe aufzeigen soll.

Die römisch-katholische Auffassung Aus dem geltenden kanonischen Recht ergibt sich, daß die Ehe als Vertrag und als Sakrament zugleich aufgefaßt wird. So heißt es i m Codex Juris Canonici i n can. 1012 § 1: „Christus der Herr hat den Ehevertrag als solchen unter Christen zur Würde eines Sakraments erhoben", und i n § 2: „daher kann unter Getauften kein gültiger Ehevertrag bestehen, ohne daß er eo ipso Sakrament wäre". Eine eigentliche Definition der Ehe gibt aber der Codex ebenso wie das BGB und das Ehegesetz nicht. Doch sind i n der katholischen Lehre die beiden Definitionen, die das Corpus Juris Civilis kannte, wirksam geblieben. Die Stelle Inst. I 9 de patria potestate § 1: „Nuptiae autem sive matrimonium est v i r i et mulieris coniunctio, individuam consuetudinem vitae continens" 63

Gertrude Reidick S. 115. Vgl. Schelsky, Sexualität, S. 45. 65 FamRZ 63, S. 70, 76. Mikat geht auf die christliche Auffassung nicht näher ein, sondern arbeitet eine anthropologisch-soziologische „Realgestalt" der Ehe heraus. 66 Wegweiser, S. 290. 64

4*

52 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

wurde ins Decretum Gratiani aufgenommen und kehrte wieder bei Petrus Lombardus, Thomas von A q u i n und i m Catechismus Romanus. Die ältere Definition i n Dig. X X I I I , 2 de r i t u nuptiarum lib. 1: „Nuptiae sunt coniunctio maris et feminae et consortium omnis vitae, d i v i n i et humani iuris communicatio" hat Papst Pius X I . i n seiner Eheenzyklika „Casti connubii" von Silvester 1930 übernommen. So beherrscht das römische Recht noch immer die katholische Theologie, und zwar nicht nur hinsichtlich der Definition der Ehe, sondern auch der Form der Eheschließung. Nach der Verdrängung der altrömischen sakralen Form, der confarreatio, durch die formlose Eheschließung galt seit Justinian der Satz: „Consensus facit nuptias". Dieser Satz ging ins kanonische Recht ein und verdrängte auch die germanische Kaufehe. Da die Eheschließung somit nur vom Konsens der Eheleute abhing, waren heimlich geschlossene Ehen gültig. Das Problem dieser „klandestinen" Ehen wurde erst auf dem Tridentinum i m Dekret „Tam-etsi" durch Einführung einer Formvorschrift beseitigt 6 7 : Der Konsens mußte nun vor dem Pfarrer und zwei Zeugen abgegeben werden, u m wirksam zu sein. Damit wurde die Eheschließung zu einer kirchlichen Angelegenheit. Die Vertragsnatur des Konsenses wurde davon aber nicht berührt. Inhaltlich bedeutet der Konsens die gegenseitige (und Dritte ausschließende) Einräumung des (nicht dinglich, sondern persönlich zu verstehenden 68 ) Rechts über den Leib des andern sowie das Gelöbnis der Hingabe des eigenen Ich an das andere auf Lebenszeit. Damit w i r d die eheliche Liebe bejaht unter der Voraussetzung, daß von den Eheleuten das K i n d bejaht und intendiert wird. Can. 1013 § 1 bezeichnet die Erzeugung und Erziehung von Nachkommenschaft als den Hauptzweck der Ehe. Unter dieser Voraussetzung w i r d aber zugleich auch zur geschlechtlichen Liebe und Hingabe „ein volles und mutiges Ja" gesagt 69 . Das zweite genannte Element der Ehe, die Sakramentsnatur, ist der K e r n der katholischen Ehelehre, auch wenn diese Bedeutung erst das Ergebnis geschichtlicher Entwicklung ist. Augustin nennt an mehreren Stellen als die drei Güter der Ehe — bona matrimonii: fides, proles, sacramentum. Das bonum sacramenti ist bei i h m die Unauflöslichkeit als Wesensmerkmal der christlichen Ehe 7 0 . I n der späteren Lehre vom Decretum Gratiani über Thomas bis zur Eheenzyklika Pius' X I . w i r d der augustinische Ausdruck sacramentum aber als wahres Sakrament i m Sinne der späteren Dogmatik aufgefaßt. Das ist deshalb etwas Neues, weil die auch von Augustin bejahte Unauflöslichkeit nach gel67 68 69 70

Sess. X X I V , 1563. Reidick S. 115. Herders Sozialkatechismus I I , S. 7. Klein S. 253 f.

Die römisch-katholische Auffassung

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tender Lehre gar nicht aus dem Sakramentscharakter abgeleitet wird, sondern schon naturrechtlich begründet ist — auch die „Naturehe", die Ehe zwischen Ungetauften, ist unscheidbar. Zwar w i r d noch i n der katholischen Lehre teilweise der Standpunkt vertreten, die Unscheidbarkeit der Naturehe sei nicht einwandfrei zu beweisen 71 . Nach can. 1013 § 2 Cod. Jur. Can. und der Lehre der Päpste ergibt sich aber, daß die Unauflöslichkeit wie die Monogamie schon naturrechtlich zur Ehe gehören 72 . Schriftmäßig stützt sich die Lehre vom Sakrament der Ehe auf Eph. 5, Vers. 21 - 33. Dort w i r d das Verhältnis von Mann und Frau m i t dem von Christus und der Gemeinde verglichen. Vers 32 lautet dann: „To μυστήριον τοΰτο μέγα εστίν, εγώ δέ λέγω εις Χριστον και τη ν έκκλη σίαν." „Das Geheimnis ist groß; ich aber deute es auf Christus u n d die Kirche." Die Vulgata übersetzt „mysterion" = Geheimnis m i t „sacramentum". Dieses Wort w i r d verstanden als eine Aussage über das Wesen der Ehe und gewinnt dann die Bedeutung von Sakrament i m Sinne der späteren Sakramentsdogmatik. Lehramtlich wurde der Sakramentscharakter der Ehe erst durch das Florentiner Konzil 1439 festgestellt. Die heutige Lehre führt das Wort „mysterium" = „sacramentum" nicht mehr als Beweis für das sakramentale Wesen der Ehe an 7 3 , sondern leitet die Sakramentalität aus dem der Ehe innewohnenden „Geheimnis" ab, daß sie die Verbindung Christi m i t der Kirche zum U r b i l d u n d Maßbild habe. Das Sakrament der Ehe spenden sich die Eheleute selbst gegenseitig. Auch nach dem Trienter Konzil, das die Form der kirchlichen Eheschließung vorschrieb, gehörte die priesterliche Einsegnung nicht zum Wesen des Sakraments der Ehe. Streitig war i n der frühmittelalterlichen Lehre nur, zu welchem Zeitpuntk die Sakramentsnatur einträte. Nach der von Hinkmar von Reims und später von Gratian vertretenen Theorie war der Konsens der Eheleute nur Eheversprechen und der Abschluß des Vertrages, während die Erfüllung des Vertrages als eigentliche Begründung der Ehe erst i n der ersten Vereinigung, der sogenannten copula carnalis gesehen wurde 7 4 . M i t ihr trat nach dieser Lehre die Sakramentsnatur und auch erst die Unauflöslichkeit der Ehe ein — die sogenannte gallikanische Theorie, die auch i n Bologna aufgenommen wurde. Die jüngere von Paris ausgehende Schule m i t Petrus Lombardus vertrat die strenge Konsenstheorie, nach der i n dem auf gegenwärtige Eheschließung gerichteten Konsens (sponsalia per 71 72 78

74

Herders Sozialkat. I I S. 9. Enzyklika „Casti Connubii", 34. Schmaus, Katholische Dogmatik I V 1 , S. 621 f.

Knecht S. 699.

54 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

verba de praesenti) schon Eheversprechen und Ehebegründung zugleich lagen. Folglich traten Sakrament und Unauflöslichkeit m i t dem Konsens ein. Die römische Kirche übernahm i m 12. Jahrhundert unter Papst Alexander I I I . i m wesentlichen die Theorie des Lombardus, aber auch von der des Gratian einige Elemente. So t r i t t fortan die Unauflöslichkeit der Ehe schon m i t dem Konsens ein, dagegen die Sakramentsnatur erst m i t der copula. Ferner bewirkt die copula bei einem Verlöbnis (sponsalia per verba futura) den Vollzug der nunmehr unlöslichen Ehe. Schließlich besteht bei einer gültigen, aber noch nicht vollzogenen Ehe (matrimonium ratum non consummatum), die also schon unlösbar, aber noch nicht sakramental ist, eine bedingte Lösbarkeit dem Bande nach durch feierliche Ordensprofeß oder bei gerechtem Grund durch päpstlichen Dispens 75 . Die völlige Unscheidbarkeit t r i t t also nach kanonischem Hecht erst nach dem Vollzug der Ehe ein 7 6 , also zugleich m i t dem Sakramentscharakter. Da aber die Unscheidbarkeit nicht aus dem Sakramentscharakter, sondern naturrechtlich bereits aus dem Eheschluß begründet wird, zu dem die copula carnalis nicht erforderlich ist, besteht hier ein gewisser Widerspruch, der sich aus der Übernahme gegensätzlicher Theorien erklärt 7 7 . Ferner ist scheidbar die gültige, selbst vollzogene (aber nicht sakramentale) Ehe zwischen Ungetauften auf Grund des Privilegium Paulinum 7 8 , wenn der Ehepartner, der durch Taufe Christ wird, dann m i t einem Katholiken 7 9 eine neue Ehe eingeht während der andere Teil i m Unglauben verharrt, sofern dadurch die Gefahr der Verunehrung des göttlichen Namens droht 8 0 . Eine weitere Möglichkeit der Ehescheidung gibt es nach katholischer Lehre nicht. Die beiden Stellen Matth. 5, 32 und 19, 9, nach denen Jesu Verbot der Ehescheidung m i t den Worten „es sei denn um Ehebruch" oder „ u m der Hurerei w i l l e n " eingeschränkt wird, werden entweder dahin gedeutet, daß i n diesen Fällen die separatio quoad thorum et mensum zulässig sei 81 , oder sie werden als spätere Einschübe gewertet 8 2 . Auch die gegebenen Möglichkeiten der Scheidung der unvollzogenen Ehe durch feierliches Gelübde und Dispens sowie der Naturehe bei Heirat eines Katholiken sind nicht u m des Menschen w i l l e n gegeben, 75 76 77 78 79 80 81 82

can. 1119; Knecht S. 701. can. 1118. Sehling S. 45. can. 1120 ss. — 1. Kor. 7, 12 ff. Knecht S. 715. Knecht S. 712. Linneborn § 54 I I , I I , S. 421; Knecht S. 696. Linsser S. 7.

Die römisch-katholische Auffassung

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sondern einmal aus der prinzipiellen Höherbewertung des ledigen Standes und zum anderen i m Interesse des höchsten Wertes schlecht hin, des römisch-katholischen Glaubens. Angesichts der Tragik „jener Ehen, i n denen die Gatten trotz redlichsten Bemühens die wahre Liebe zueinander nicht (wieder) finden", und die die katholische Kirche auch sieht und „auf's Tiefste bedauert" 8 3 , kann sie nur eine „unvollkommene Trennung" gestatten, nämlich jene, „die bei Wahrung des Ehebandes das Kirchengesetz ausdrücklich i n den Kanones über die Trennung von Bett, Tisch und Hausgemeinschaft . . . gewährt" 8 4 . Eine Scheidung kann sie nicht gewähren, denn „sie steht nicht über dem Gesetz Gottes und Christi" 8 5 . Diese Unscheidbarkeit „nach dem Gesetz Gottes und Christi", die, wie gesagt, keine unmittelbare Beziehung zur Sakramentsnatur der Ehe hat und deren naturrechtliche Begründung nicht ganz zweifelsfrei ist, erfährt i n der katholischen Lehre aber noch eine andere Begründung, wie sie beispielhaft i n der Schrift von Gertrude Reidick „Die hierarchische Struktur der Ehe" zu sehen ist 8 6 . Die Stelle Eph. 5, 21 - 33, i n der die Ehe als Gleichnis des Bundes Christi m i t seiner Gemeinde verstanden wird, ist schon erwähnt worden. Aus diesem Gleichnis werden unmittelbare Aussagen über die Ehe abgeleitet, und zwar deshalb w e i l die Ehe von Getauften „ i n seinshafter Weise durch den Christus-Kirche-Bund geprägt und bestimmt" wird, „real der Formkraft der Christusehe unterliegt". Reidick leitet so gerade die absolute Unauflöslichkeit der vollzogenen Christenehe aus der „Unaufhebbarkeit des Ein-Leib-Seins von Christus und Kirche" ab 8 7 . A u f ähnliche „Formkräfte" zwischen Gottesbund und Menschenbund stützt sich auch die protestantische Ehelehre, wie gleich zu zeigen sein wird. Das Denken nicht von Natur- und Schöpfungsordnung her, sondern vom Handeln und der Botschaft Christi, also vom Evangelium her, ist j a spezifisch „evangelisches" Denken. Dieselbe christologische Deutung vollzieht Berg am Beispiel der Familie 8 8 . Von Christus heißt es i m Prolog des Johannes-Evangelium 89 : „ U n d das Wort ist Fleisch geworden." Dasselbe Wort hat aber den Segen der Fruchtbarkeit zu den ersten Menschen gesprochen, das Wort, „durch das alles geworden ist" 9 0 . Zwischen der natürlichen und der übernatürlichen Familie w i r d hier 83 84 85 86 87 88 89 90

Herder's Sozialkat. I I , S. 21. Enzyklika „Casti connubii", 93. Herder's Sozialkat. I I , S. 21. s. ferner Schmaus, K a t h . Dogmatik I V 1, S. 615, 642 ff. Reidick S. 164. S. 30 ff. Joh. 1, 14. Joh. 1, 3.

56 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

eine theologische, christologische, freilich auch mariologische Verbindung geschaffen. Daraus entfaltet sich auch eine Familienordnung. Wenn die katholische Lehre das Verhältnis der Ehegatten als hierarchische Struktur auffaßt, deren Spitze der Mann bildet, so w i r d das nicht nur aus der Schöpfungsordnung 91 abgeleitet, sondern auch aus dem neutestamentlichen Vergleich m i t Christus — Eph. 5, 23: „Denn der Mann ist des Weibes Haupt, gleichwie auch Christus das Haupt ist der Gemeinde." (Diese Über- und Unterordnung gehört aber nicht zum K e r n der Ehe. Denn i m Bereich der Leibesgemeinschaft, also i n den Fragen, die das eigentliche Wesen der Ehe betreffen, herrscht auch nach katholischer Lehre völlige Gleichheit unter den Ehegatten 92 . Daher kann das Problem der Familienordnung hier ausgeklammert werden.) Die theologische Besinnung u m das große Gleichnis von Christusbund und Ehe w i r d aber einsetzen müssen bei der Frage der Methodik, und i n ihr t u n sich Unterschiede zwischen dem katholischen und dem evangelischen Verständnis auf. Einigkeit besteht i n den beiden Konfessionen darüber, daß alle Aussagen über Gott auf einer Analogie zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen beruhen, auf der analogia entis, wie die klassische Lehre sagt. Wenn die protestantische Theologie gegenüber dem Begriff der analogia entis Vorbehalte macht, dann nur i n folgenden zwei Punkten: Einmal widerspricht sie jeder natürlichen Theologie, die durch Schlußfolgerungen vom Endlichen auf das Unendliche zu unmittelbarer Gotteserkenntnis strebt 9 3 . Die Möglichkeit einer solchen natürlichen Gotteserkenntnis w i r d i n katholischer Lehre seit alters her bejaht 9 4 . Wenn K a r l Barth sich aber aus diesem Grunde gegen den Begriff der „analogia entis" überhaupt wendet 9 5 , und i h n durch den der „analogia fidei" ersetzt, so verkennt er, daß auch nach katholischem Denken die analogia entis durchaus als analogia fidei aufgefaßt werden kann. Hans Urs von Balthasar deutet die analogia entis nämlich als „die i n Christus ein für allemal erwiesene Vereinbarkeit göttlicher und geschöpflicher N a t u r " 9 6 , und bleibt damit i n der von Barth geforderten christologischen Anschauung seiner analogia fidei 9 7 . Ähnlich sagt Schmaus: „ I m Glauben gewinnen w i r die Gewißheit, daß die Welt Gott i n einer unähnlichen Weise ähnlich ist 9 8 ." 91 Gen. 2, 7; 1 8 - 2 4 ; Gen. 3, 16: „ u n d dein Verlangen soll nach deinem Manne sein u n d er soll dein H e r r sein". 92 Kerst S. 74 m i t Nachweisen. 93 Tillich, Syst. Theologie I, S. 158 f., 283. 94 Papst Pius XII., E n z y k l i k a „ H u m a n i generis" (2, 29) ν. 12. 8.1950. 95 Dogmatik 11, S. 255, 257. 98 I n : „ K a r l B a r t h " , S. 394. 97 Dogmatik 11, S. 323. 98 K a t h . Dogmatik I , § 37 Ziff. 6.

Die römisch-katholische Auffassung

57

Zum zweiten wendet sich die protestantische Theologie dagegen, daß i m Wege der (christusbezogenen) analogia entis Aussagen über die Welt gemacht werden, die etwas anderes darstellen als Evangelium. Die Analogie ist Form der Gotteserkenntnis und Sprache der Verkündigung. Sie ist nicht Formgesetz der Wirklichkeit. Sie gilt i m Bereich des Glaubens, nicht i m Bereich des Seins. Auch das wollte Barth zum Ausdruck bringen, wenn er der „Analogie des Seins" die „Analogie des Glaubens" entgegenstellt. Er wollte die Gefahr der Identität, der Ineinssetzung von Göttlichem und Menschlichem treffen, die er ausdrücklich beschwört". Diese I n einssetzung von Gnadenordnung und Naturordnung würde zugleich das Spezifische der lutherischen Theologie zerstören, nämlich die scharfe Trennung von Gesetz und Evangelium. Nach evangelischer Lehre ist sowohl der (kognitive) Weg vom natürlichen Sein zu Gott wie auch der umgekehrte (normative) Weg von Gott zum natürlichen Sein nicht gangbar. Erst Christus hat die Gottähnlichkeit des Menschen wiederhergestellt. Sein Reich ist zwar angebrochen, aber noch nicht auf Erden verwirklicht. Bis zur Verwirklichung gibt es daher eine analogia entis nur im Glauben (d. h. nicht i n natürlicher Theologie) und nur für den Glauben (d. h. nicht für die Natur). Angewandt auf die Stelle Eph. 5, 21 ff., bedeutet dies, daß aus dem lebendigen Verhältnis Christi und seiner Gemeinde analoge Aussagen über die Ehe durchaus möglich und sogar ganz besonders fruchtbar sind, sofern sie Evangelium bleiben und weder zum religiösen noch zum ontischen Weltgesetz gemacht werden. Das letztere geschieht aber bei Reidick, bedingt durch das katholische, sakramentale Eheverständnis: „Es ist die durch die Taufe verliehene Christusähnlichkeit, aus der jene „Rollenfähigkeit" erwächst, welche Mann und Frau zur sakramental-wirksamen Repräsention der Christus-Kirche-Einheit befähigt" 1 0 0 . Die Ehe w i r d nach den angeführten Worten der Verfasserin „ i n seinshafter Weise . . . geprägt und bestimmt" und unterliegt „real der Formkraft der Christusehe". Hier w i r d Evangelium zum Seinsgesetz, eine Identität von Gnade und Natur w i r d hergestellt, m i t der Folge, daß schon i n der menschlichen Ehe von Christen das un-bedingte, das göttlich-absolute Verhältnis gelebt w i r d — und gelebt werden muß! Daher die direkte Anwendung der absoluten Unlösbarkeit des Christusbundes auf die Ehe: Die Ehe ist göttlicher Bereich inmitten des menschlichen Lebens. Ebenso erklärt Berg die natürliche Familie durch ihren Bezug auf die geistliche Familie als „heilig, gültig und verbindlich" 1 0 1 . 99

Dogmatik 11, S. 255. Reidick S. 163. 101 S. 32. 100

58 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

Als Ergebnis dieses methodologischen Vergleiches ist festzuhalten: Katholische und evangelische Theologie gewinnen ihre Glaubensaussagen über dieselbe Methode der analogia entis. Sodann sei hier zunächst als Behauptung aufgestellt, was i m folgenden noch zu beweisen ist: Sie kommen auch i m wesentlichen zu denselben Glaubensaussagen über die Ehe, so wie überhaupt 1 0 2 zwischen der katholischen und evangelischen Gotteslehre inhaltlich kein Unterschied besteht. Die Unterschiede ergeben sich erst i n der „Anwendung" des so Gefundenen auf die Wirklichkeit. Auch die Lehre von der Sakramentsnatur beeinflußt ja den Inhalt der Ehe nicht, sondern stellt nur einen gnadenhaften engen Bezug zwischen Göttlichem und Irdischem her. Derselbe enge Bezug führt zur Jurisdiktion der Kirche und zur unmittelbaren Anwendung göttlichen Hechts (wie der Unscheidbarkeit) auf irdische Wirklichkeit. Luthers grundlegende Lehre von den zwei Reichen trennt dagegen diese drei großen Verklammerungen. Es ist i m folgenden daher zunächst die evangelische Glaubenslehre über die Ehe zu entfalten, die i m wesentlichen die gleichen Ergebnisse wie die katholische bringen wird, und danach auf die reformatorische Sicht von Evangelium und Gesetz m i t ihren folgenreichen Unterschieden einzugehen. Die evangelische Auffassung vom Wesen der Ehe Die protestantische Theologie hat noch weniger als die katholische eine feste Definition der Ehe zur Verfügung, sie sieht sich vielmehr unmittelbar auf die Schrift angewiesen. Daß die Ehe dem Wort und Willen Gottes untersteht, ist nie i n Zweifel gezogen worden, auch wenn Luther die Ehe als „äußerlich weltlich Ding" bezeichnet hat 1 . Dieses viel zitierte und oft mißverstandene Wort bedeutet nicht die Profanität der Ehe, sondern richtet sich einmal gegen ihren Sakramentscharakter 2 , zum anderen besagt es, daß die Ehe nicht dem kanonischen Recht unterstellt ist 3 , sondern „weltlicher Oberkeit unterworfen", wie es noch i m selben Satze bei Luther heißt. Luther sagt aber zugleich: „Die Ehe ist nicht ein natürliches Ding, sondern Gottes Gabe" 4 und „ein seliger Stand und Gott gefällig" 5 . 102 1 2 3 4 5

Echternach, Einleitung, S. 3. V o n Ehesachen W A 30 I I I , 205; V o m ehelichen Leben W A 10 I I , 283. Ernst Wolf, Gutachten, S. 15; Dombois, i n : R G G Ehe V I , 3 a. So e S. 166. Tischreden Bd. 8 der Werke, S. 238. Werke Bd. 3, S. 174.

Die evangelische Auffassung vom Wesen der Ehe

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Ausgangspunkt für die Erforschung von Gottes W i l l e n über die Ehe ist für den christlichen Glauben das Neue Testament. Christliche Ehe ist Ehe unter Christus, wie er sich nur i m Neuen Testament offenbart. D a r i n w i r d w o h l das A l t e Testament einbeschlossen, aber auch verwandelt. Das A l t e Testament bezeugt die Ehe als Schöpfungsordnung. Gleich am Ende des Schöpfungsberichtes heißt es 6 : „ D a r u m w i r d ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen, und sie werden sein ein Fleisch." Dasselbe W o r t w i r d aufgenommen i n Eph. 5, 31, jedoch i m folgenden Vers 32 auf Christus h i n gedeutet: „Das Geheimnis ist groß; ich aber deute es7 auf Christus und die Gemeinde." So werden wie hier die Ordnung der Ehe auch die anderen alttestamentlichen Schöpfungsordnungen i m Neuen Testament i n einen neuen Bezug gestellt, i n die Beziehung zu Christus. V o n diesem Bezugsp u n k t her müssen sie daher auch verstanden werden — also nicht von sich heraus, als Ordnung, Institution, sondern „christologisch" als Bezug und Funktion. Es ist nicht ratsam, von dem neuerdings i n den M i t t e l p u n k t theologischer und juristischer Diskussionen gerückten Begriff der Institution auszugehen, da die Gefahr besteht, offene Fragen m i t einem ungeklärten Begriff eher zu verdecken als zu ergründen. Zunächst ist nämlich zu beachten, daß der Begriff der Institution eine mehrschichtige S t r u k t u r hat. Gloege weist darauf hin, daß die I n stitution der Ehe sowohl ein Seins- (oder Verbundenheits-)gefüge wie auch ein Soll-(oder Verbindlichkeits-)gefüge ist 8 . Ontologische Aussagen stehen i n i h m neben ethischen. Zwischen beide schiebt sich ein rechtliches Verständnis, wie sich aus Elluls Definition ergibt, die alle drei Elemente enthält: „Unter einer ,Institution' versteht man i n der Regel e i n organisches Gefüge

von rechtlichen

Vorschriften,

das a u f e i n

einheitliches Ziel ausgerichtet ist, ein beständiges und vom menschlichen Willen unabhängiges Ganzes bildet und sich dem Menschen unter bestimmten Verhältnissen verpflichtend auferlegt 9." Das Verhältnis dieser verschiedenen Schichten zueinander müßte geklärt werden, was aber bisher noch nicht gelungen ist 1 0 . Z u einer K l ä r u n g trägt der Begriff selbst nicht bei, i m Gegenteil kann er sie verhindern, indem er wesensverschiedene Aussagen zu scheinbarer Harmonie zusammenschließt. 6

Gen. 2, 24. Wie Barth III/4, S. 138. L u t h e r übersetzt: „Ich sage aber von Christo und der Gemeinde". 8 S. 348. 9 Begründung, S. 56 f., Hervorhebungen vom Verfasser. Ähnlich sieht Müller-Freienfels (S. 63) das Wesen eines Rechtsinstituts, das er „als eine A r t gestalthaftes Sinngebilde" beschreibt, „das i m Recht u n d außerhalb des Rechts Verbindungen von Sein u n d Sollen darstellt". 10 Schumann S. 37; Müller-Freienf els S. 74. 7

60 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

Es ist daher notwendig, von dem Begriff der Institution zunächst abzusehen und die ethisch-theologischen wie die ontologischen Elemente, die er enthält, getrennt zu untersuchen. Es könnte sein, daß am Ende derartiger Untersuchungen ein neuer, geklärter Institutionsbegriff steht — wenn man dann seiner überhaupt noch bedarf. Sodann darf nicht übersehen werden, daß der Institutionsbegriff ein formaler Begriff ist, der aus sich heraus keine inhaltlichen Bestimmungen der Ehe zuläßt. Die Versuchung ist groß, dem formalen Begriff irgendwelche materialen Aussagen zuzuschreiben, die i n Wahrheit nicht ihm, sondern einem unkritisch genommenen Naturrecht entstammen. Das institutionelle Denken ist i n der Regel statisch und w i r d daher von der Schöpfungsordnung ausgehen, mündet dann aber unversehens i n naturrechtliches Denken ein, wie sich bei E i e r t 1 1 deutlich, aber auch bei Brunner zeigt 12 . Für den Christen ist der Rückgang auf die Schöpfungsordnung der ungewissere Weg. Denn das Vorstoßen bis zu den natürlichen, seins- und schöpfungsmäßigen Grundlagen führt i n das Dunkel des Ursprungs, während die Botschaft Christi verständlich vor uns liegt. Darum sagt Zwicker m i t Recht: „Nie dürfen w i r von Schöpfungsordnung sprechen, ohne zugleich die Erlösungsbotschaft mitzuhören 1 8 ." Die Schöpfung i n Jesus Christus ist aber nicht festgelegte Ordnung, sondern ständige Neuschöpfung. I n diesem Sinne hat auch Luther die „Schöpfimgsordnung Ehe" verstanden, nicht als „statisch-starres Gebilde, sondern (als) eine sich stets erneuernde Ordnung des immer neuen göttlichen Wirkens und Schaffens" 14 . Bonhoeffer vermeidet ganz das Wort „Ordnung" und betont m i t dem Begriff „Mandat" den Charakter des göttlichen Auftrages i m Gegensatz zu jeder Seinsbestimmung 1 5 . I m Anklang an Luther nennt Bonhoeffer die Ehe auch „Stand" und „ A m t " oder „Gottes heilige Stiftung, durch die er die Menschen bis ans Ende der Tage erhalten w i l l " 1 6 . Ernst Wolf (theol.) spricht von dem der Ehe „als göttlicher Stiftung eignenden Bundescharakter" 17 . Dies ist eine Redeweise, die auf persönliche Verantwortung („Stand" und „Auftrag") oder auf die Versöhnung von Gott und Mensch hinweist (in der „Stiftung" des „Neuen Bundes") und damit christologisch ist. 11

Das christliche Ethos § 14, 2. Das Gebot u n d die Ordnungen, S. 329 ff. Das zeigt sich auch bei den französischen katholischen Staatsrechtslehrern Hauriou (1910) u n d Renard (1930), referiert von Müller-Freienfels S. 74 - 78. 13 Ethik, S. 249. 14 Lähteenmäki S. 121. 16 Ethik, S. 70. 16 Widerstand u n d Ergebung, S. 42. 17 Gutachten, S. 15. 12

Die evangelische Auffassung v o m Wesen der Ehe

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Wollte man also den Begriff Institution dennoch verwenden, so müßte man i h n gleichfalls auf Christus beziehen. Das unternimmt der französische evangelische Jurist Ellul, wenn er sagt, daß „unsere Institutionen keinerlei Wert außerhalb der Tatsache der Fleischwerdung und der Erlösung besitzen, daß sie nur auf sie h i n und u m ihretwillen i h r Dasein haben und daß sie ein Wesen nur soweit besitzen, wie sie an diesem Werk Jesu Christi teilhaben . . . Die Institutionen sind nicht bloß m i t dem Heilswerk verbunden . . . Sie sind vielmehr organisch an Jesus Christus gebunden . . . (Es) liegt hier eine notwendige Wahl der Institutionen vor, die um der Herrschaft Jesu Christi w i l l e n erfolgt. Nicht umsonst w i r d die Gemeinschaft zwischen Christus und der Kirche m i t der Ehe verglichen . . ," 1 8 . N u r i n diesem vom üblichen Verständnis abweichenden Sinne kann auch die folgende Untersuchung unter den Begriff Institution gestellt werden, nämlich wenn der Inhalt der Ehe gerade nicht aus der einmaligen Schöpfung, sondern aus der lebendigen Gemeinschaft Christi m i t seiner Kirche erschlossen werden soll. Es bleibt dann sowohl die formale Natur des Begriffs gewahrt, der eine inhaltliche Bestimmung des Wesens der Ehe nicht aus sich heraus erfährt, sondern nur aus der Botschaft, i n deren Dienst er steht; und es bleibt die Mehrschichtigkeit erhalten, da christliche Offenbarung es nicht nur m i t Ethik zu t u n hat, sondern auch m i t Ontologie. Zwischen dem großen Bunde des Neuen Testaments von Gott (Christus) und der Gemeinde und dem Bunde zweier Menschen i n der Ehe w i r d dadurch eine Verbindung geschaffen, daß der Menschenbund i n geheimnisvoller Weise ein Gleichnis des Gottesbundes sein darf. Der Vergleich des Verhältnisses Mensch und Gott m i t der Ehe zieht sich durch die ganze Schrift 1 9 . Er unterscheidet sich aber von den anderen biblischen Gleichnissen. So ist die Liebe des irdischen Vaters zu seinem K i n d ein Gleichnis für Gottes Liebe, aber doch nicht i n demselben Maße wie es die Ehe für Gottes Bund ist 2 0 . Das Gleichnis der Ehe ist nach Eph. 5, 32 ein Mysterion, ein Geheimnis, und die Ehe ist dadurch hervorgehoben vor anderen Ständen. Sie w i r d freilich nicht selbst zum Heilsgeschehen, zum Sakrament. Nur die zwei Sakramente Taufe und Abendmahl sind von Christus als solche eingesetzt 21 . Das Wort Mysterion bezieht sich hier nicht auf das Wesen der Ehe selbst, sondern auf das Gleichnis und auf den allegorischen Gehalt, der schon i n dem alttestamentlichen Wort Gen. 2, 24 von der Einheit des Fleisches gese18

Theolog. Begründung des Rechts (1948), S. 58. ζ. B. Jesaja 54, 4 ff.; 62, 4 f.; Ez. 16, 7 ff.; Hosea 2, 21; M a t t h . 9, 15; 22, 1 ff.; 2. Kor. 11, 2; Eph. 5, 21 ff.;Off. Joh. 19, 7; 22, 7. 20 de Quervain, Ehe u n d Haus, S. 48. 21 M a t t h . 28, 19 u n d 26, 26. 19

62 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften z u m Wesen der Ehe

hen w i r d 2 2 . Paulus hat auch an anderen Stellen das Alte Testament allegorisch verstanden 23 . Nicht die Ehe selbst ist also das Mysterium, sondern ihre Beziehung zum Bunde Christi und seiner Gemeinde. „Jene meinen, es sei von der Ehe geredet, während Paulus selbst diese Worte m i t Bezug auf Christus und die Kirche angezogen und sich deutlich erklärt hat, indem er sagt: Ich sage aber von Christo und der Kirche 2 4 ." Das Geheimnis, das die Ehe i m A l t e n Testament noch umgibt, erschließt sich i n Christus 25 . I n der Stiftung der menschlichen Ehe ist die Gemeinschaft zwischen Christus u n d der Kirche vorausverkündet, sagt auch kath. Lehre 2 6 . I n Römer 16, 25 spricht Paulus unter Verwendung desselben Wortes Mysterion von dem „Evangelium und der Predigt von Jesu Christo, durch welche das Geheimnis offenbart ist" 2 7 . Wenn es dieser Offenbarung und des Glaubens nicht mehr bedürfte, um das Geheimnis zu erkennen, wenn es „ex opere operato, durch ein Gemeinschaftserlebnis oder durch einen consensus mutuus, zu erschließen, i n Besitz und gewissermaßen i n eigenen Betrieb zu nehmen" ginge, dann bestünde kein Geheimnis mehr 2 8 ! Daher muß die evangelische Lehre den Satz ablehnen, daß unter Getauften kein gültiger Ehevertrag bestehen könne „ohne daß er eo ipso Sakrament wäre" 2 9 . Die Ehe ist Gleichnis für Gottes Gnade und ein von Gott aufgerichtetes Zeichen 30 , sie ist Abbild, Sinnbild, Veranschaulichung und Zeichen der Gemeinschaft von Gott und Mensch 31 . Göttliches Handeln geschieht parallel zu menschlichem Handeln, wie Klepper es i n seiner Ehe erfährt: „Immer mehr begreife ich den Symbolgehalt der Ehe: daß man sich selbst nur erkennen, die Identität m i t sich nur erlangen kann i n der völligen Auslieferung der ganzen Existenz an eine andere. Das Im-Innerstenaufgedeckt-Werden i n der Ehe, das leitet die Gedanken nur zu häufig zu dem größeren Vorgang 3 2 ." I m Wort Symbol steckt die Bedeutung von Zusammenfließen. Die Ehe ist Symbol, weil menschliches Sichoffenbaren zusammenfließt m i t göttlicher Offenbarung. Und das ist ihr Geheimnis. 22

Greeven, R G G Ehe I I I A 2 u n d i n Zeitschr. f. ev. E t h i k , S. 123. So 1. Kor. 9, 9; Gall. 4, 24 ff. 24 Luther, Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche, Werke Bd. 2, S. 472; W A 6, 550 ff. 25 Thimme, Ev. Kirchenlexikon Ehe I I I ; Wilkens, ebenda Ehe I V . 26 Schmaus, Kath. Dogmatik I V 1, S. 620. 27 Vgl. Piper S. 119. 28 Barth III/4, S. 138. 29 Cod. j u r . can., can. 1012 § 2. 30 de Quervain, Ehe u n d Haus, A . 48. 31 Barth III/4, S. 138. 32 Tagebuch v o m 6.1.1935. 23

Die evangelische Auffassung v o m Wesen der Ehe

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Das Gleichnis darf freilich nicht zur Gleichung werden. „Die tröstliche und richtunggebende Analogie dieses Verhältnisses zu dem z w i schen Christus u n d seiner Gemeinde f ä l l t offenbar dahin i n dem Maß, als aus der Analogie Identität w i r d 3 3 . " Daher sagt die evangelische Lehre: „ M a n lasse die Ehe auf der Erde unter dem H i m m e l i m Lichte der Analogie v o n Eph. 5, 32, aber ohne diese Analogie offen oder versteckt zur Gleichung zu erheben 3 4 ." Wenn L u t h e r davon spricht, daß Eheleute „ i n den beiden göttlichen Ständen" leben: „nämlich i n der hohen, geistlichen Ehe m i t dem H e r r n Christo u n d i n dieser niedrigen leiblichen Ehe i n der Welt oder i m Fleisch", dann bewahrt er gerade diese Trennung zwischen den beiden Ebenen oder Ständen 3 5 . Was bedeutet es n u n f ü r die Frage nach dem Wesen der Ehe, w e n n sie unter der „richtunggebenden Analogie" zum Verhältnis Christi u n d seiner Gemeinde gesehen wird? Es bedeutet, daß es n u n nicht mehr auf einzelne Worte u n d isolierte Sätze ankommen kann, die i n der Schrift von der Ehe handeln, sondern auf den Zusammenhang des Ganzen, auf das Wesentliche der neutestamentlichen Botschaft, die v o m W o r t u n d Handeln Christi redet 3 6 . Die Ehe kann i n diesen großen Zusammenhang gestellt werden, sie erfährt v o n i h m her ihre Richtung u n d Prägung* Es sind daher i m folgenden die Wesensmerkmale der Ehe stets i m Blick auf das Ganze des Evangeliums zu entwickeln. Die Ehe w i r d begründet durch eine freie Entschließung u n d Tat des Menschen, sie beruht auf freier Wahl, so w i e Christus seine Gemeinde w ä h l t : „ w e i l i h r aber nicht von der W e l t seid, sondern ich habe euch von der Welt erwählt, darum haßt euch die W e l t " 3 7 . I n Matth. 22, 1 - 1 4 vergleicht Jesus sich m i t dem Bräutigam, der zur Hochzeit lädt und die Gäste erwählt oder auch ausschließt: „ D e n n viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt" (Vers 14). I m A l t e n Testament w ä h l t Jahve sein V o l k m i t den Worten „Ich w i l l mich m i t dir verloben i n Ewigkeit, ich w i l l mich m i t dir vertrauen i n Gerechtigkeit und Gericht, i n Gnade u n d Barmherzigkeit. Ja i m Glauben w i l l ich mich m i t dir verloben und d u w i r s t den H e r r n erkennen" 3 8 . Auch andere Stellen handeln von dem Ehebund, den Gott m i t Israel abschließt: „ U n d ich gelobte Dir's und begab mich m i t d i r i n einen B u n d spricht der Herr Herr, daß du solltest mein sein 3 9 ." 33 34 35 36 37 38 39

Barth III/4, S. 138. Barth III/4, S. 143. Hochzeitspredigt, Werke Bd. 5, S. 489 f. Thimme, ev. Kirchenlexikon Ehe I I I . Joh. 15, 19. Hosea 2, 21 und 22. Ez. 16, 8; ferner Jes. 54, 4 ff.; 62, 4 f.

64 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften z u m Wesen der Ehe

Diese Wahl geschieht also i n Freiheit, w e i l der Ehepartner ausgewählt werden darf, i m Gegensatz zu dem Leben des Christen m i t seinem Nächsten, der i h m ohne eigene Auswahl „vor die Füße gelegt" w i r d 4 0 . Diese Freiheit wäre nicht vollkommen, wenn der Christ nicht auch die ernste Möglichkeit hätte, nicht i n die Ehe zu treten 4 1 . Die aber ergibt sich aus der Erkenntnis, daß „das Wesen dieser Welt vergeht" 4 2 . Auch die Ehe w i r d dadurch relativiert, denn sie gehört zu dieser: „ I n der Auferstehung werden sie weder freien noch sich freien lassen, sondern sie sind gleich wie die Engel Gottes i m Himmel 4 3 ." Sie ist keine allgemein verpflichtende Schöpfungsordnimg — der Freiheit zur Ehe entspricht eine Freiheit von der Ehe 4 4 . Das entscheidende Motiv dieser Wahl aber ist die beiderseitige Liebe, so wie das lateinische Wort diligere die Bedeutung von wählen und lieben zugleich umschließt. Gott hat seine Liebe zur Gemeinde durch Wort und Tat bezeugt. Von dieser Liebe w i r d auch die menschliche Liebe gestärkt und getragen, sie w i r d i h r zum A n r u f und zur Mahnung: „ I h r Männer, liebet eure Weiber, gleich wie Christus auch geliebt hat die Gemeinde und hat sich selbst für sie gegeben 45 ." Schon i m U r sprung der Schöpfung begegnet uns die Liebeswahl i n dem Anruf, m i t dem Adam seine Gehilfin empfängt: „Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch 46 ." Auch dieser Gedanke, der auf die enge körperliche Verbundenheit, ja körperliche Identität gegründeten Liebe w i r d i m Neuen Testament übernommen und auf Christus gedeutet: „Also sollen auch die Männer ihre Weiber lieben w i e ihre eigenen Leiber. Wer sein Weib liebt, der liebt sich selbst. — Denn niemand hat jemals sein eigen Fleisch gehaßt, sondern er nährt es und pflegt sein, gleichwie auch der Herr die Gemeinde. — Denn w i r sind Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinem Gebein 47 ." Unüberhörbar schwingt i n diesen Worten bereits die Liebe der Sinne, der menschliche Eros m i t 4 8 . Noch stärker w i r d es i n dem nun folgenden Vers 30, der den auf Adams Ausruf folgenden Satz 49 wiedergibt: „ U m 40

de Quervain, E t h i k I I , S. 64. Der Mensch des A l t e n Testaments hatte diese Möglichkeit noch nicht: für i h n galt es als Sünde, ohne Weib u n d K i n d zu sein — Althaus, Luthers W o r t von der Ehe, S. 10. 42 1. Kor. 7, 31. 43 Matth. 22, 30. 44 Barth I I I / 4 , S. 164. 45 Eph. 5, 25. 46 Gen. 2, 23. 47 Eph. 5, 28 - 30. 48 Freilich steht auch f ü r diese Liebe zwischen M a n n u n d F r a u nicht das zu Eros gehörende W o r t εραν, das i m ganzen Neuen Testament nicht v o r kommt, sondern das auf die Agape bezogene W o r t αγαπάν. 49 Gen. 2, 24. 41

Die evangelische Auffassung v o m Wesen der Ehe

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des w i l l e n w i r d ein Mensch verlassen Vater und Mutter und seinem Weibe anhangen und werden die zwei ein Fleisch sein." Hier spricht die Schrift von dem Verlangen, das m i t der Liebeswahl verbunden ist. Es darf daher hierin eine offene Anerkennung des Hechts der erotischen Liebe gesehen werden 5 0 . Der Eros selbst gehört zur Schöpfung, i n i h m würdigt Adam das Werk des Schöpfers, der Mann und Weib so zueinander hingeschaffen hat, daß sie einander anhangen 51 . Nicht nur der Geist ist göttliche Schöpfungsgabe, auch die Sinne sind es. Nicht sie dürfen als solche abgewertet werden als Sphäre der Sünde gegenüber der „reinen Sphäre des Geistes", wie es die Kirche unter dem Einfluß heidnisch-antiken dualistischen Denkens getan hat. Auch Luther hatte sich noch nicht ganz frei gemacht von diesem Denken, das den Geschlechtsverkehr auch unter Eheleuten als Sünde ansah, die Gottes Barmherzigkeit nur nicht anrechnete 52 , i n Erinnerung auch an das Psalm wort: „Siehe, ich b i n i n sündlichem Wesen geboren und meine Mutter hat mich i n Sünden empfangen 53 ." Sondern der Sünde unterliegen Sexus wie Geist, nämlich der ganze Mensch. I m Bereich des Erotischen liegt die besondere Sünde i n der Emanzipation des Geschlechtlichen von der personhaften, verantwortungsvollen Liebe. Das Böse ist nach Brunner „verantwortungslose, nicht-personhafte, gemeinschaftslose Geschlechtsbeziehung" 54 , aber nicht der Eros an sich. Die geschlechtliche Liebe, m i t der der Mann sein Weib liebt wie sich selbst, w i r d damit ausgezeichnet, daß sie als Verdeutlichung dessen dienen darf, was es heißt, seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben 5 5 . Und Piper wagt den Satz, die Geschlechtlichkeit sei Gottes Mittel, den Menschen zum Bewußtsein der Liebe zu führen, die Gott für i h n hat. „Es ist Gott, der sie beide zusammen gebracht hat, damit sie i n ihrer geschlechtlichen Gemeinsamkeit erkennen sollen, daß Gemeinsamkeit und Liebe die Wege sind, auf denen der Mensch hier auf Erden seine Gemeinschaft m i t Gott erlebt 5 6 ." Noch vor der Liebe, m i t der die Wahl des anderen vollzogen wird, steht aber das gegenseitige Sich Erkennen. I n dem zitierten Wort Hosea 2, 22 heißt es: „Ja i m Glauben w i l l ich mich m i t dir verloben und du 50

Dehn, Ev. Soziallexikon, Sp. 239 f. Brunner, Eros u n d Liebe, S. 30. 52 Handwörterbuch Ehe I V , Sp. 30; Luther, V o m ehelichen Leben W A 10 I I , 304; Althaus, Luthers W o r t v o n der Ehe, S. 9; Lähteenmäki läßt dies freilich insgesamt f ü r Luthers Auffassung nicht gelten, sondern sagt, seine G r u n d these sei es gewesen, daß der Geschlechtsverkehr i n der Ehe keine Sünde sei (S. 49, 170). 58 Psalm 51, 7. 54 Eros u n d Liebe, S. 32. 55 Piper S. 124. 56 Piper S. 125. 51

5 Greift

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wirst den Herrn erkennen." Ganz deutlich spricht aus Adams erstem Satz zu Eva das Erkennen: „Das ist doch Bein von meinem Bein." Das „Mein" w i r d erkannt i m gegenüberstehenden „Dein". Ebenso zeigt das Hohe Lied Salomos, das „Hohe Lied auf den Eros", wie es auch genannt wird, diese Wahl und das Erkennen, wenn es i n Kap. 6 Vers. 3 heißt: „Mein Freund ist mein, und ich bin sein." Von diesem m i t jeder Liebeswahl verknüpften Erkennen her könnte sich auch der tiefere Sinn des biblischen Sprachgebrauchs enthüllen, der die geschlechtliche Vereinigung ebenfalls „erkennen" nennt: „ U n d Adam erkannte sein Weib Eva und sie ward schwanger und gebar den K a i n 5 7 . " Die Zusammenfassung dieses Abschnitts möge ein Wort aus Barths Dogmatik bilden: „Die Ehe aber lebt davon, daß ein Mann und eine Frau miteinander i n ihrem menschlichen Sicherkennen, Sichwählen und Sichlieben jene unvergleichliche Geschichte — wie Gott und der Mensch wirklich und wirksam und endgültig zusammenkommen und Freunde werden — unter sich wenigstens nachahmen, abbilden und darstellen dürfen 5 8 ." Christus und seine Gemeinde sind eins, sind Haupt und Glieder desselben Körpers: „ I h r seid aber der Leib Christi und Glieder, ein jeglicher nach seinem T e i l " 5 9 und Eph. 5, 30: „Denn w i r sind Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinem Gebein." Ebenso werden Mann und Frau i n der Ehe i n eine völlige Einheit geführt. Das alttestamentliche Wort sagt: „ u n d sie werden sein ein Fleisch" 6 0 . Und Markus 10, 8 fährt fort: „So sind sie nun nicht zwei, sondern ein Fleisch." Die Gatten gehören nun leiblich einer dem anderen: „Das Weib ist ihres Leibes nicht mächtig, sondern der Mann. Desgleichen der Mann ist seines Leibes nicht mächtig, sondern das Weib 6 1 ." M i t dem Wort von dem einen Fleisch ist zunächst auch die körperliche Vereinigung gemeint, aber nicht nur sie. Das griechische Wort σάρζ bezeichnet wie auch an anderen Stellen des Neuen Testaments den ganzen Menschen i n der Einheit seines leiblichen und geistigen Seins. Daher bedeutet die Einheit des Fleisches die Vereinigung des totalen Seins zu totaler Gemeinschaft 62 , bedeutet die Einheit des gesamten natürlichen Daseins der beiden Personen 63 . Diese Einheit unterscheidet sich grundlegend von allen anderen Einheitsbeziehungen, i n die der Mensch schon durch Geburt gestellt wird, wie Einheit der Familie oder der Rasse, und t r i t t 57 58 59 60 61 62 63

Gen. 4, 1. III/4, S. 242. 1. Kor. 12, 27. Gen. 2, 24; bei Eph. 5, 31. 1. Kor. 7, 4. Barth III/4, S. 148. Piper S. 54.

Die evangelische Auffassung v o m Wesen der Ehe

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sogar zu ihnen i n Gegensatz: „Darum w i r d ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen." Die Lebensgemeinschaft Ehe ist zugleich die Erfüllung und die Bewährung der Liebe. Was die Liebe suchte und erstrebte, die völlige Lebensgemeinschaft, das w i r d i n der Ehe möglich und zugleich auch zur Pflicht und Aufgabe. „Das Leben kommt w o h l von selbst, ungefragt, ungesucht und auch unerwartet, wie eben das Leben ist. Die Lebensgemeinschaft aber fällt niemandem i n den Schoß." Wegen dieser bewußt zu ergreifenden Aufgabe der Ehe bezeichnet Barth jede rechte Ehe auch als eine „Vernunftehe" 6 4 . Die idealistische Ethik begrenzt diese Gemeinschaft durch das Recht auf Behauptung der eigenen personhaften Freiheit, wie w i r oben sahen. Auch die christliche Ethik erkennt an, daß sich die seelische Gemeinschaft am reichsten entfalten kann, wenn Mann und Frau sich i m wesentlichen m i t gleichem Recht und gleicher Freiheit gegenüberstehen 65 . Sie w i r d stets beide Teile zu der Liebe ermahnen, die nicht herrschen, sondern dienen w i l l . Aber ein Recht darauf, von dem anderen nicht beherrscht zu werden, kann sie nicht grundsätzlich anerkennen, weil es eine Begrenzung der dienenden Liebe durch ein Recht der Selbstbehauptung für den christlichen Glauben nicht gibt. Die Ehe ist kein Verhältnis von Leistung und Gegenleistung, sondern eine lebendige Gemeinschaft 66 , i n die jeder alles einbringt. Die Forderung zur Hingabe i n die völlige Gemeinschaft kann so w e i t gehen, daß ein Ehegatte sein Selbst oder sogar sich selbst hingibt. Hierin offenbart sich der ganze Ernst dessen, daß die Ehe Gleichnis der Gottesehe ist: „ I h r Männer, liebet Eure Weiber, gleich wie Christus auch geliebt hat die Gemeinde und hat sich selbst für sie gegeben 67 ." Unbegrenzt ist also die Gemeinsamkeit zwischen Mann und Frau i n der Ehe, aber sie bleibt beschränkt auf diese beiden Menschen. Sie greift nicht über das Natürliche hinaus, sie schafft keine mystische Verbindung zum Überpersönlichen und keine Einheit mit Gott. Sie birgt keine Möglichkeit, „ m i t dem Quell des Lebens, dem K e r n der Welt, dem Göttlichen eins zu werden" 6 8 . Das Leben i n der Einheit ist aber zugleich ein Leben i n der Ordnung. Hier wäre der Ort, über die christliche Haltung zur Frage der Gleichberechtigung der Ehegatten zu sprechen. Es wurde schon angedeutet, daß die Frau durch das Christentum aus ihrer religiösen Vormund64 65 ββ 67 68

*

Barth III/4, S. 210. Vgl. Soe S. 296. Piper S. 231. Eph. 5, 25. Piper S. 55.

68 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

schaft befreit wurde. „Durch den Glauben an Christum Jesum" sind alle i n gleicher Weise „Gottes K i n d e r " 6 9 ; die Unterschiede fallen dahin: „Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib 7 0 ." Andererseits werden aber gerade aus der Stelle Eph. 5 die Verse 22 - 24 herangezogen: „Die Weiber seien Untertan ihren Männern wie dem Herrn, denn der Mann ist des Weibes Haupt gleich w i e auch Christus das Haupt ist der Gemeinde u n d er ist seines Leibes Heiland. Aber wie nun die Gemeinde ist Christo Untertan, also auch die Weiber ihren Männern i n allen Dingen." Dazu gehört noch 1. Kor. 11, Vers. 3: „Christus ist eines jeglichen Mannes Haupt; der Mann aber ist des Weibes Haupt, Gott aber ist Christi Haupt." Die katholische Lehre leitet hieraus die „hierarchische Struktur der Ehe" ab, also gerade nicht die Gleichberechtigung. Aber auch Barth bestimmt das Verhältnis der Ordnung als „Vorordnung und Nachordnung", als eine ordnungsmäßige Ungleichheit von Mann und Frau, wobei der Mann jedoch i n der Verantwortung und i n dem Dienst an der gemeinsamen Sache der Erste sein soll, nicht i n seinen Rechten 71 . Diese wenigen Andeutungen mögen hier genügen, da die Frage der Gleichberechtigung weniger eine Frage des Verhältnisses der Ehegatten zueinander als vielmehr eine Frage ihrer Stellung zu den K i n dern, also i n der Familie ist 7 2 . Weitere evangelische Stimmen, die überwiegend eine (insbesondere rechtlich verankerte) Vorrangstellung des Mannes ablehnen, sind zusammengestellt bei Kerst 7 3 . I n den Stellen des Neuen Testaments, die man seit Luther „Haustafeln" nennt 7 4 , w i r d Mann und Frau i n ihrem Hause, dem οίκος, das die Familie i m weiten Sinne und das Gesinde umfaßt, ihre Stellung nach ihrer geschöpflichen Eigenart zugewiesen 75 . I m Rahmen dieser Arbeit kann aber der weite Komplex einer Familienordnung außer Betracht bleiben. Aus dem einmaligen und einzigartigen Bund von Christus u n d seiner Gemeinde ergibt sich sodann die Ausschließlichkeit des Eheverhältnisses — die Forderung der Einehe. Der monogame Charakter der Ehe ist i n der Bibel eigenartigerweise nirgendwo ausdrücklich behandelt. I m Gegenteil ist die Polygamie i n der alttestamentlichen Gesetzgebung anerkannt. Dennoch w i r d die Einehe i m Neuen Testament überall vorausgesetzt und fast als selbst69 70 71 72 73 74 75

Gal. 3, 26. Gal. 3, 28. Dogmatik I I I / 4 , S. 188 ff., 216. Vgl. Rengstorf S. 51. S. 77 - 86. 1. Kor. 14, 34; Kol. 3, 18; Eph. 5, 22; T i t . 2, 5; 1. Petr. 3,1. Siehe dazu Rengstorf, M a n n u n d F r a u i m Urchristentum.

Die evangelische Auffassung v o m Wesen der Ehe

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verständlich angesehen 76 . Jesu Wort: „Wer sich scheidet von seinem Weibe und freit eine andere, der bricht die Ehe an i h r " 7 7 ist ohne die Voraussetzung der Einehe nicht zu verstehen. Ebenso weist seine Auslegung von Gen. 2, 24 i n Markus 10, 8: „so sind sie n u n nicht zwei, sondern ein Fleisch" auf die Einehe hin. Dasselbe kann man vom Schöpfungsbericht selbst nicht unbedingt sagen, da ja zur Schöpfung ein Menschenpaar genügte, ohne daß feststeht, daß dies die endgültige Ordnung sein sollte. Offenbar ist der große Text Genesis 2 nicht an einer Phänomenologie der Ehe und an ihrer idealen Strukturbeschreibung interessiert, sondern an der Verherrlichung des geheimnisvollen Wunderwirkens des Schöpfers 78 . I h r klare Begründung und ihren zwingenden Charakter erfährt die Einehe i n Gottes Wahl und Gottes Bund m i t den Menschen, nicht nur vom Neuen, sondern auch schon vom A l t e n Testament her. Der eine Gott Jahve, der keine anderen Götter neben sich hat, oder der eine Sohn, Jesus Christus, begegnet dem menschlichen Bundespartner als jeweils Einziger. Aber auch der menschliche Partner ist jeweils durch die Geschichte ein Einziger: Das Volk Israel unter allen Völkern, i n Israel Juda, darin das Haus Davids, darin der Sohn der Maria — später die Gemeinde Christi, die „ i n allen ihren Trennungen die eine, die überall dieselbe ist, die eine heilige katholische Kirche, außer der und neben der es keine andere g i b t " 7 0 . Die Propheten schärfen es dem auserwählten Volk immer wieder ein, daß es Ehebruch begeht, wenn es außer Jahve noch andere Götter verehrt, so bei Hesekiel 16: „Über alle diese deine Bosheit . . . bautest du dir Götzenkapellen und machtest dir Altäre auf allen Gassen; und vornan auf allen Straßen bautest du deine Altäre und . . . triebst große Hurerei . . . D u Ehebrecherin, die anstatt ihres Mannes andere zuläßt 8 0 !" Von derselben Ausschließlichkeit des Bundesverhältnisses spricht Paulus i m Neuen Testament: „Denn ich habe euch vertraut einem Manne, daß ich eine reine Jungfrau Christo zubrächte 81 ." Aus der jeweiligen beiderseitigen Ausschließlichkeit ist auch die Ausschließlichkeit der wahren Ehe zu folgern 8 2 . Die Einehe dürfte dasjenige Merkmal der Ehe sein, das am weitesten i n die Geschichte zurückreicht. Die Anschauung, daß die Einehe sich erst allmählich aus der Vielehe entwickelt habe, ist durch neuere Forschungen erschüttert worden und es ist möglich, daß doch die Einehe und nicht 76 77 78 79 80 81 82

Soe S. 293; Greeven, R G G Ehe I I I A 3. M a r k . 10,11. Gloege S. 338. Barth III/4, S. 222. Vers 23 - 25, 32. 2. Kor. 11, 2. Piper S. 241.

70 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

die Vielehe am Anfang stand 83 . Piper erklärt diese Tatsache, daß die Monogamie sich überall i n der Welt "und wohl seit prähistorischen Zeiten findet, damit, daß die Gottesehe die Urform der menschlichen Ehe ist und daß Gott den Menschen ein instinktives Verlangen nach solcher ausschließlichen Gemeinschaft ins Herz gelegt hat 8 4 . Die Einehe ist nicht eine Beschränkung der menschlichen Liebe, sondern eine Auszeichnung, ebenso wie der Monotheismus die höhere Form der Religion ist i m Vergleich zum Polytheismus. Die Ausschließlichkeit erstreckt sich aber nicht nur auf weitere eheliche Beziehungen (Prinzip der Einehe), sondern auch auf außereheliche Beziehungen und w i r d so zur Forderung nach Treue. „Die Treue macht wesentlich das eheliche Leben aus", sagt Luther. Nicht i n der Liebe allein kann es bestehen, „sondern es besteht i n der Treue, daß einer zum anderen sagt: Ich b i n dein und du bist mein. Das ist die Ehe" 8 5 . Die Treue ist aber nicht als drückende Verpflichtung der Ehegatten aufzufassen, sondern als natürlicher Ausfluß ihres Handelns und ihrer Liebe, denn: „Nicht weil an den Grenzen meines Lebens ein drohendes „ D u sollst nicht . . . " steht, sondern weil ich die i n der Mitte und Fülle des Lebens m i r begegnenden Begebenheiten Eltern, Ehe, Leben, Eigentum als Gottes heilige Satzimg selbst bejahe, weil ich i n ihnen lebe und leben w i l l , ehre ich die Eltern, halte ich die Ehe, achte ich fremdes Leben und Eigentum", sagt Bonhoeffer i n seiner posthum erschienenen E t h i k 8 6 , und weiter: „Das göttliche Verbot des Ehebruchs ist dann nicht mehr der Mittelpunkt, u m den mein ganzes Denken und Handeln i n der Ehe kreist — als ob Sinn und Ziel der Ehe geradezu i n der Vermeidung des Ehebruchs bestünde! —, sondern die gehaltene und frei bejahte Ehe, also das Hintersichlassen des Verbotes des Ehebruchs, ist vielmehr die Voraussetzung für die Erfüllung des göttlichen Auftrages der Ehe. Das göttliche Gebot ist hier zur Erlaubnis geworden, frei und gewiß i n der Ehe zu leben 8 7 ." Diese ausführlichen Zitate waren wichtig, w e i l sie besonders anschaulich die Haltung des Christen gegenüber den Geboten schildern — des Christen, der nicht mehr unter dem Gesetz steht, sondern unter dem Evangelium, das i h n zur Erfüllung der Gebote befreit. I n demselben „evangelischen" Denken sagt Barth, die Forderung der Treue sei i m Grunde eine Einladung, eine Erlaubnis und Befreiung zur Treue, und Treue wie Einehe seien nicht gesetzlich, sondern evangelisch gefordert 88 . 83 84 85 86 87 88

Staatslexikon Ehe u n d Familie I I Soziologie, Sp. 981. S. 242. W A 9, 216. S. 217. S. 218. Barth III/3, S. 222.

Die evangelische Auffassung v o m Wesen der Ehe

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Auch der Zweck der Ehe t r i t t auf dem christologischen Hintergrunde hervor. Die Gemeinde erfüllt ihren Zweck i n der lebendigen Gemeinschaft m i t Christus. Gott hat Christus „gesetzt zum Haupt der Gemeinde über alles, welche da ist sein Leib, nämlich die Fülle des, der alles i n allen erfüllt" 8 9 . Ebenso liegt auch der Zweck der Ehe i n der Fülle der menschlichen Gemeinschaft, also in ihr selbst. Die weiteren i n der Bibel beschriebenen Zwecke sind sekundärer A r t . Das gilt zuerst und muß auch besonders betont werden für die Kindererzeugung, obwohl die große Mehrzahl der römisch-katholischen, aber auch ein Teil der protestantischen 90 Ethiker hier einen anderen Standpunkt vertritt. Das Wort Gottes an Adam und Eva Gen. 1, 28 „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde" kann nicht als eine Aufforderung an die Menschen verstanden werden 9 1 — das wäre wieder nicht biblisch, sondern naturrechtlich und gesetzlich gedacht 92 . Es würde voraussetzen, daß der Mensch es überhaupt i n der Macht hätte, Leben hervorzubringen 93 , eine zumal dem biblisch-irrationalen Denken unmögliche Vorstellung 9 4 . Sondern es ist ein Segensspruch Gottes, der nicht Pflicht zum Kinde, sondern die Verheißung von K i n dern zum Inhalt hat. Denn eingeleitet w i r d der Vers 28 m i t den Worten: „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen . . . " . Die i n sich schon erfüllte Ehe w i r d gesegnet durch die Gabe der Kinder, wie es auch i n Psalm 127 Vers 3 ausgesprochen ist: „Siehe, Kinder sind eine Gabe des Herrn, und Leibesfrucht ist ein Geschenk." Die Geschlechtlichkeit ist nicht nur M i t t e l der Fortpflanzung, sondern hat ihren Sinn und Wert i n sich. Nach dem Schöpfungsbericht i n Gen. 2 w i r d die Frau geschaffen als Gehilfin des Menschen, des Adam. Vers 18 lautet: „Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich w i l l i h m eine Gehilfin machen, die u m i h n sei" und Vers 20: „Aber für den Menschen ward keine Gehilfin gefunden, die um i h n wäre". Von K i n d und Familie ist bei der Schaffung der Frau nicht die Rede, wohl aber von der Gemeinschaft der Frau m i t dem Manne, von dem „Um-ihn-sein", von der Lebensgemeinschaft, die auf der Geschlechtsgemeinschaft aufbaut und ihr ihren vollen Sinn verleiht. Ehe ist notwendig coniugium, sagt Barth 9 5 , aber nicht notwendig 89

Eph. 1, 22 f. Dibelius S. 7 sagt, die Ehe sei nicht „Privatangelegenheit zwischen zwei Personen, bei der es lediglich u m das Glück u n d die Selbstentfaltung dieser zwei Menschen geht", — i h r Zweck sei, „ K i n d e r n das Leben zu schenken". 91 Berg S. 7 spricht sogar v o n einem „Befehlswort"! 92 de Quervain S. 78. 03 Piper S. 61. 94 Bonhoeffer, Ethik, S. 122 A n m . 10. 95 Barth III/4, S. 211. 90

72 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

matrimonium 9 6 . „Ehe als Lebensgemeinschaft ist ein gewaltiges Werk für sich." Es besteht Gefahr, wenn sie nicht zunächst und immer wieder als Selbstzweck ernst genommen w i r d 9 7 . Die christliche Ethik muß sich frei machen von jeder asketischen Verdächtigung des Geschlechtlichen, die auch darin ihren Ausdruck findet, daß es i n der Ehe zwar geduldet, aber unter die einengende Bedingung der Zeugung gestellt wird. Die Bibel ist von dieser Engherzigkeit frei und begründet die Geschlechtsgemeinschaft nicht auf die Zeugung, sondern auf die Geschlechtsnatur des Menschen 98 . Die Geschlechtsnatur ist nur ein Teil der Leiblichkeit des Menschen. Der Leib ist aber nicht nur M i t t e l zum Zweck, zur Erhaltung der unsterblichen Seele — wie die idealistisch-dualistische Auffassung sagen würde. Sondern Leiblichkeit ist die von Gott gewollte Existenzform des Menschen und hat somit Selbstzweck, der sich ausdrückt i n einem Recht auf leibliche Freuden, wie Bonhoeffer sagt 99 . So wie Wohnen, Essen, K l e i dung und Erholung des Menschen nicht nur M i t t e l zum Zweck, sondern selbstzweckliche Möglichkeiten der Lebensfreude sind, so ist auch die Geschlechtlichkeit nicht nur M i t t e l zur Fortpflanzung, sondern erfüllt innerhalb der Ehe den i h r innewohnenden Anspruch auf Freude i n der Liebe zweier Menschen zueinander 1 0 0 . Würden die Ehegatten nicht zuerst auf i h r „Glück" und ihre „Selbstentfaltung" bedacht sein 1 0 1 , so könnten sie ihren Kindern i n entscheidenden Punkten wenig geben, sagt Wolf m i t Recht 102 . Es kommt letztlich den Kindern zugute, wenn die Eltern nicht nur zweckhaft auf das K i n d gerichtet sind. Auch bei einem katholischen Autor ist dieser Schritt zur selbständigen Bejahung des Geschlechtlichen vollzogen, wenn Ernst Michel schreibt: „Die Bibel sieht die Fortpflanzimg nicht als die eigentliche Sinngebung des Geschlechtlichen an, sondern als einen hinzutretenden Segen Gottes 1 0 3 ." M i t den Stimmen verschiedener katholischer Theologen, die gleichfalls die Zweckimmanenz der erfüllten Zweieinheit von Mann und Frau betonen, setzt sich Schmaus auseinander 104 . Wenn er demgegenüber i n der Analogie zur Christus-Kirche-Einheit darauf hinweist, daß auch sie fruchtbar sei, „insofern aus ihr immer neue Gotteskinder hervorgehen 96 Vgl. dazu die ältere Definition des Corpus Juris i m Gegensatz zur j ü n geren — oben zitiert zu Beginn der römisch-katholischen Auffassung der Ehe. 97 Barth I I I / 4 , S. 211. 98 Brunner, Eros u n d Liebe, S. 35. 99 E t h i k , S. 103. 100 Bonhoeffer, E t h i k , S. 104, 121. 101 Vgl. Dibelius, oben A n m . 90. 102 Wolf l Lühe / Hax S. 262. 103 S. 134. 104 Kath. Dogmatik I V 1, S. 631.

Die evangelische Auffassung v o m Wesen der Ehe

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(durch die Sakramente)" 1 0 5 , so w i r d i n die geistliche Einheit künstlich ein Zweck hineingetragen, der sich überdies n u r i n sehr unähnlicher Weise auf die Ehe anwenden läßt. I m Ergebnis muß christliche E t h i k das Erotische i n der Ehe als Ausdruck der völligen Liebe u n d Gemeinschaft dem biologischen Zweck über- u n d nicht unterordnen 1 0 8 . E i n weiterer i n der Geschichte zu findender Zweck der Ehe ist der Gedanke des remedium libidinis, w i e er i n 1. Kor. 7, 2 ausgedrückt ist: „ U m der Unzucht w i l l e n habe ein jeglicher sein eigen Weib u n d eine jegliche ihren eigenen Mann." Auch das ist e i n Zweck der Ehe, oder besser gesagt, eine ihrer Folgen, nämlich daß sie eine Hilfeleistung darstellt f ü r den immer wieder angefochtenen Menschen. M a n muß sich aber auch hier von der Vorstellung freimachen, als sei das Geschlechtliche etwas Böses, das durch die Ehe eingedämmt u n d gemildert w e r den müßte. Angesichts der strengen Ideale v o n Zölibat u n d Jungfräulichkeit auf der einen und der öffentlichen Unmoral seiner Zeit auf der anderen Seite mußte L u t h e r freilich die Ehe als wahre Arznei gegen die Sünde u n d als Befreiung des Menschen empfinden 1 0 7 . I n der späteren protestantischen Lehre w a r die Betonung des Remedium-Gedankens aber gerade einer der Punkte, i n denen von Lüthers Eheauffassung Abstriche gemacht wurden. Wenn m a n die Geschlechtsnatur des Menschen als eine Schöpfungsgabe bejaht, dann ist die Ehe kein „ H e i l m i t t e l " (remedium) mehr, sondern der Ort, an dem sie sich am n a t ü r lichsten und schönsten auswirken kann. Ehe ist dann kein M i t t e l gegen, sondern ein M i t t e l für die Geschlechtlichkeit. I n dieser F o r m sagt der Satz aber nicht Neues gegenüber dem, was bisher über die Ehe gesagt worden ist. B e i Paulus k l i n g t freilich ein T o n m i t , der sich gegen die Ehe zu richten scheint, w e n n er i n Vers 7 des gerade zitierten 1. K o r . 7 sagt: „ I c h w o l l t e aber lieber, alle Menschen wären w i e ich b i n " — nämlich ledig. Diese H a l t u n g ist daher zu verstehen, daß Paulus unter der konkreten E r w a r t u n g der Wiederkunft Christi u n d des Weltendes stand 1 0 8 . Unter dem eschatologischen Aspekt w i r d aber die Ehe i n ihrer Bedeutung relativiert, denn „ i n der Auferstehung werden sie weder freien noch sich freien lassen" 1 0 9 . Paulus hat aber deshalb die Ehe nicht abgewertet zugunsten des ledigen Standes, sondern er hat n u r v o n der christlichen Freiheit, nicht i n die Ehe zu treten, f ü r sich Gebrauch gemacht. Daher f ä h r t er fort: „ A b e r ein jeglicher hat seine 105

S. 635. Schlatt er, Ethik, S. 394; Brunner, Ethik, S. 353. 107 Lähteenmäki S. 61 f. tos sich aus 1. Kor. 15, 51 und 1. Tess. 4,15 und 17 ergibt. 106

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Matth. 22, 30.

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eigene Gabe von Gott, einer so, der andere so 1 1 0 ." Die Ehe ist bei Paulus daher nicht nur eine Notlösung für die Bedürfnisse des Fleisches, sondern eine durch die Möglichkeit des Ledigbleibens zwar begrenzte, i n ihrer Weise aber „unter den Vorzeichen höchster Dignität stehende" Möglichkeit 1 1 1 . Man kann sodann i m Abschluß an das Wort von der Gehilfin 1 1 2 davon sprechen, daß ein Zweck der Ehe die gegenseitige Hilfeleistung sei 1 1 3 . Doch angesichts des allem übergeordneten Zweckes der durch Liebe und Hingabe zu verwirklichenden Lebensgemeinschaft bringt dieser Gedanke nichts Neues, da diese Gemeinschaft das Füreinander-dasein und die Hilfeleistung bis zur Selbsthingabe bereits einschließt. Die Unauflöslichkeit

der Ehe

Der Bund Christi m i t seiner Gemeinde ist nicht nur einzigartig und einmalig, er besteht „ein für alle" Mal, er ist auf Ewigkeit angelegt. Von da her ergibt sich die einzig mögliche Folgerung, daß auch die Ehe von unbeschränkter Dauer sein soll, unauflösbar, zwar nicht für die Ewigkeit, aber doch für die ganze gemeinsame Zeit — bis zum Tode eines Ehegatten. So sagt Jesus: „Was denn Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden 1 ." Wie beim Merkmal der Einehe findet sich bei der Unauflöslichkeit i m A l t e n Testament eine abweichende Haltung. Nach Moses Gesetzen war eine Scheidung zugelassen2. „Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden 3 ." Auch Jeremia erwähnt die Möglichkeit der Ehescheidung 4 . Man hat i n der Stelle Maleachi 2, 10 ff. einen Beweis dafür gesehen, daß auch schon i m Alten Testament die Scheidung geächtet worden ist, und zwar i n folgenden Versen: 10 „Haben w i r nicht alle einen Vater? Hat uns nicht ein Gott geschaffen? Warum verachten w i r denn einer den anderen und entheiligen den Bund, m i t unseren Vätern gemacht?" — 14 „ U n d so sprecht ihr: Warum das? Darum, daß der Herr zwischen dir und dem Weib deiner Jugend Zeuge war, die du verachtest, so sie doch deine Gesellin und ein Weib deines Bundes ist." — 15 „Darum so sehet euch vor vor eurem Geist und verachte keiner das Weib seiner Jugend" — 16 5 „Denn ich hasse die Scheidung, spricht der Herr, der Gott 110

1. Kor. 7, 7. Barth III/4, S. 161. 112 Gen. 2, 18. 113 Vgl. Eiert, Morphologie, S. 84. 1 Markus 10, 9; Matth. 19, 6. 2 Deut. 24, 1 - 4 , worauf i n Matth. 5, 31; 19, 7 u n d Markus 10, 4 hingewiesen wird. 3 Markus 10, 4. 4 Jer. 3, 1. 5 I n der Ubersetzung von Menge. 111

Die evangelische Auffassung v o m Wesen der Ehe

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Israels, und daß man mit Frevel sein K l e i d bedeckt, spricht der Herr der Heerscharen." Sicherlich kann man diesen Worten soviel entnehmen, daß die große Parallele zwischen Gottesbund und Menschenbund i m Alten Testament nicht nur gesehen wird, sondern daß aus ihr bereits Folgerungen für die Ehe gezogen werden, etwa i n dem Sinn: achte und heilige den Bund deiner Ehe wie den Bund Gottes. Damit ist viel gesagt für die an Eph. 5 entwickelte allgemeine Möglichkeit, das Wesen der Ehe anhand der Merkmale des Gottesbundes zu verstehen und zu erläutern. Es ist aber damit noch nichts gesagt über das besondere Merkmal der Unauflöslichkeit der Ehe, wie sich aus dem Zusammenhang des Textes ergibt. Der Prophet richtet seine Strafpredigt zwar dagegen, daß die Israeliten die Frauen ihrer Jugend verachten und sich von ihnen getrennt haben. Aber nicht die Scheidung an sich ist das Strafwürdige i n seinen Augen, sondern, daß sie sich von den Israelitinnen gelöst haben, um Töchter „eines fremden Gottes" zu freien, wie aus Vers 11 hervorgeht, d. h. Frauen von fremden Völkern 6 . Die Tat richtete sich also gegen ihr eigenes Volk und die ihm gegebenen Verheißungen als das Bundesvolk Gottes, wie sich auch aus Esra 9, 2 ergibt: „Denn sie haben derselben Töchter genommen sich und ihren Söhnen und den heiligen Samen gemein gemacht m i t den Völkern i n den Ländern." Und wenn Gott nach Mal. 2, 16 sagt: „Ich hasse die Scheidung", dann ist zu ergänzen, die Scheidung von den Frauen Israels. Denn von den neuen ausländischen Frauen sollen sie sich sogar wieder scheiden. Esra 9 und 10 beschreibt ausführlich, wie das Volk als Buße zur massenweisen Scheidung aufgefordert w i r d : „So bekennet nun den Herrn, Eurer Väter Gott und tut sein Wohlgefallen und scheidet auch von den Völkern des Landes und von den fremden Weibern 7 ." Auch eine derartige Scheidung von heidnischen Ehefrauen ist vom Neuen Testament nicht gewollt, wie sich aus 1. Kor. 7, 12-13 eindeutig ergibt: „So ein Bruder ein ungläubiges Weib hat und sie läßt es sich gefallen bei i h m zu wohnen, der scheide sich nicht von ihr." Folglich bleibt der Gegensatz zwischen Altem und Neuem Testament i n der Frage der Lösbarkeit der Ehe bestehen wie i n der Frage der Einoder Vielehe. Die Lösung des Gegensatzes findet sich aber auch hier i n der Christologie, i n dem Wort und Gleichnis von Christus und seiner Gemeinde, das i n dem Verhältnis von Gott zum Bundesvolk auch über das Alte Testament hinweg zurückgreift bis zur Schöpfungsgeschichte, i n der das Geheimnis bereits enthalten ist, das i m Neuen Testament erst offenbar wurde 8 . Unter diesem Aspekt ergibt sich, wie eingangs gesagt, die Unlöslichkeit der Ehe. 6 7

Barth III/4, S. 228. Esra 10, 11.

76 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

Außer i m Wege der Christologie finden w i r dieselbe Forderung von Christus unmittelbar ausgesprochen — und zwar m i t derselben Begründung i m Rückgang auf die Schöpfung. Das Wort: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden" sagt Jesus i m unmittelbaren Zusammenhang m i t dem alten Wort vom Ein-Fleisch-sein 9 . I n aller Schärfe sagt er es sodann i m Anschluß daran 1 0 : „Wer sich scheidet von seinem Weibe und freit eine andere, der bricht die Ehe an ihr, und so sich ein Weib scheidet von ihrem Manne und freit einen anderen, die bricht die Ehe." Diese Weisung ergeht ohne jede Bedingung und Ausnahme. Dieser Satz scheint i n Widerspruch zu stehen zu den beiden weiteren Parallelstellen 11 , die nämlich eine auffallende Einschränkung bringen: „Wer sich von seinem Weibe scheidet, es sei denn um Ehebruch, der macht, daß sie die Ehe bricht" und: „es sei denn um der Hurerei willen". Aus diesen Worten hat die reformatorische Lehre abgeleitet, daß eine Scheidung wegen Ehebruchs möglich sei, und hat aus diesem wie aus einem weiteren Wort des Neuen Testaments die ganze Lehre von den „biblischen" Ehescheidungsgründen abgeleitet, wie noch zu zeigen sein wird. Die neuere T e x t k r i t i k kommt jedoch überwiegend zu dem Ergebnis, daß es sich bei diesen Beschränkungen bei Matth, nicht u m ursprüngliche Worte Christi handelt, sondern um spätere Einschübe aus der Zeit und der Tradition der palästinensischen Gemeinde 12 . Die Einschränkung beim Verbot der Ehescheidung widerspricht 1 3 auch der radikalen und unbedingten A r t , i n der Jesus die Gebote des A l t e n Testaments i n der Bergpredigt auslegt — und die Stelle Matth. 5, 32 steht inmitten der Bergpredigt. Ihrem Geist entspricht allein der von Markus und Lukas überlieferte Text, der jede Ehescheidung ausnahmslos als Ehebruch bezeichnet. Die zweite Stelle des Neuen Testaments, aus der seit je her die Möglichkeit einer Ehescheidung abgeleitet wurde, ist 1. Kor. 7, 15, die Scheidung von dem ungläubigen Ehepartner, das sogenannte Privilegium Paulinum: „So aber der Ungläubige sich scheidet, so laß ihn sich scheiden. Es ist der Bruder oder die Schwester nicht gefangen i n solchen Fällen." Paulus gestattet also den Christen, die i n einer Mischehe m i t Heiden leben, sich zu scheiden, wenn der ungläubige Teil darauf 8

Eph. 5, 31 - 32. Markus 10, 2 ff.; Matth. 19, 3 ff.; — Gen. 2, 24. 10 Markus 10,11 f.; L u k . 16,18. » Matth. 5, 32 u. 19, 9. 12 Beckmann, Ev. Soz. Lexikon, Sp. 260 ff.; Schumann, R G G Ehescheidung 2; Barth, Dogmatik I I I / 4 , S. 229; Brunner, Ethik, S. 346 A n m . 6; Greeven S. 113; Gloege S. 341 läßt diese Frage dahingestellt. 18 Dies s t i m m t überein m i t dem katholischen Standpunkt bei Schmaus (Kath. Dogmatik I V I , S. 659 f.), obwohl er die Zusätze als echt bestehen läßt u n d sie i h m „große Schwierigkeit" bieten. 9

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besteht. Das letztere ist entscheidend, also der eheauflösende Wille des Ungläubigen. Es gibt danach kein Recht des Christen, den Ungläubigen gegen seinen Willen zu verstoßen, wie aus dem vorangehenden Vers 12 f. hervorgeht: „So ein Bruder ein ungläubiges Weib hat und sie läßt es sich gefallen bei i h m zu wohnen, der scheide sich nicht von ihr. Und so ein Weib einen ungläubigen Mann hat und er läßt es sich gefallen bei ihr zu wohnen, die scheide sich nicht von ihm." E i n i n der K i r chengeschichte entwickeltes Recht, den ungläubigen Ehepartner auch gegen seinen Willen zu verstoßen, u m eine neue Ehe mit einem Gläubigen einzugehen, ist also nicht auf die Bibel zu stützen. Aber auch i n dem eingeschränkten Sinne der Trennung auf Betreiben des Ungläubigen bleibt es zweifelhaft, ob Paulus eine echte Scheidung gemeint hat m i t dem Recht der Wiederverheiratung oder nur eine begrenzte Lösung der Ehe. Die zitierten Worte über die Scheidung werden eingeleitet durch einen Hinweis darauf, daß Jesus die Scheidung und damit auch die Wiederverheiratung getrennter Eheleute verboten hat 1 4 : „Den Ehelichen gebiete aber nicht ich, sondern der Herr, daß das Weib sich nicht scheide von dem Manne; so sie sich aber scheidet, daß sie ohne Ehe bleibe oder sich m i t dem Mann versöhne; und daß der Mann das Weib nicht von sich lasse." I m selben Kapitel noch sagt Paulus selbst 15 : „ E i n Weib ist gebunden durch das Gesetz, so lange ihr Mann lebt; so aber ihr Mann entschläft, ist sie frei zu heiraten, wen sie w i l l ; nur daß es i n dem Herrn geschehe." Das paulinische Scheidungsprivileg ist also umrahmt von diesen beiden i n sich deutlichen und uneingeschränkten Verboten der Wiederverheiratung. Es w i r d daher nicht losgelöst von ihnen betrachtet werden dürfen 1 6 . I n diesem sehr begrenzten Sinne bleibt jedoch die Möglichkeit einer Ehescheidung bestehen, wenn sie wegen der Intoleranz des ungläubigen Teils um des eigenen Glaubens w i l l e n unvermeidbar ist. Das ist für sich noch kein Einbruch i n die göttliche Eheordnung, sondern nur der Ausdruck dessen, daß das Bekenntnis zu Christus der Eheordnung grundsätzlich überlegen ist 1 7 . Diese Rangordnung findet sich i n Jesu eigenen Worten, wenn er sagt: „Es ist niemand, der ein Haus verläßt oder Eltern oder Brüder oder Weib oder Kinder u m des Reiches Gottes Willen, der es nicht vielfältig wiederempfange i n dieser Zeit und i n der zukünftigen Welt das ewige Leben" 1 8 oder i n letzter Schärfe: „So jemand zu m i r kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, 14

Vers 10 - 11. Vers 39. 16 Gegen einen Zusammenhang dieser Stellen m i t dem Privileg Greeven S. 120. 17 Beckmann, a.a.O.; Greeven S. 119. 18 Lukas 18, 29 f.; ähnlich Markus 10, 29 f. 15

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Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein 19 ." So ist es nur folgerichtig, aus dem erhabenen Vorbild des Bundes Christi mit der Gemeinde und aus den angeführten besonderen Bibelstellen auf die Unauflösbarkeit der christlichen Ehe zu schließen. A n diesem Ergebnis muß auch festgehalten werden: Gottes Wille i n der Stiftung der Ehe ist ihre Unscheidbarkeit 20 . Aber damit ist noch nicht die ganze Wahrheit der Ehe gesagt. Zur Wahrheit und Wirklichkeit der Ehe gehört noch, daß auch sie ihre ursprüngliche Reinheit verloren hat, daß sie als umfassendes Substrat des Menschlichen unausschließbaren A n t e i l hat an der Sünde des Menschen. „ U n d wenn Adam nicht gefallen wäre, so wäre es das lieblichste Ding gewesen: Braut und Bräutigam; aber nun ist die Liebe auch nicht rein 2 1 ." Schon vom Ursprung her fällt ein dunkler Schatten auf die Ehe, weil sie fern vom Paradies gelebt werden muß, und w e i l K a i n als erster Sohn des ersten Menschen zum Brudermörder w i r d 2 2 . Der Vergleich der Ehe m i t dem Bunde von Christus und seiner Gemeinde w i r d zwar hier nicht hinfällig, aber er stößt doch an eine i h m innewohnende Grenze, weil die Ehe-Wirklichkeit wegen der Sünde einen tiefgreifenden Unterschied zum Christusbund aufweist. Zwar kennt auch die m i t Christus verbundene Gemeinde noch die Sünde. Sie kennt den Zweifel und den Aufruhr gegen Gott, das Absondern von ihm, d. h. die „Sünde" — nur zu oft beklagen die Propheten des Alten Testaments den Abfall Israels von seinem Gott, aber auch i n der christlichen Kirche gibt es Irrwege und Abfall. Aber die Gemeinde w i r d gehalten und immer wieder gerufen von der stets gleichbleibenden treuen Liebe ihres Herrn. Er ist der Garant des Bundes. Seine Vollkommenheit verleiht dem schwachen Menschen Vollkommenheit, seine Heiligkeit macht sie zu „Heiligen". I n der Ehe dagegen stehen sich zwei Menschen gegenüber, die von Natur aus gar keine Heiligen sind, die zwar zunächst die Fähigkeit haben, zu lieben und auch zu verzeihen, die aber bald i n ihrer Liebe matt und des Verzeihens müde werden. I n der Ehe gibt es zunächst keinen Garanten, der alles zum Guten wendet, der die sich aufhäufende Schuld beseitigt. Sondern mehr und mehr unbewältigte Schuld häuft sich an und steht dann als unüberwindlicher Berg zwischen den Menschen. Jede Ehe hat auf Grund der menschlichen Natur den Keim des Verderbens und Scheiterns i n sich. Und auch ein Christ w i r d nicht ein für allemal von seiner menschlichen Natur erlöst, w i r d nicht vor fernerem Fehlen und vor mensch19 20 21 22

Lukas 14, 26. Beckmann, Ev. Soz. Lexikon, Sp. 260 ff. L u t h e r bei Strampff S. 10. Bonhoeffer, Ethik, S. 72.

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lichem Scheitern grundsätzlich bewahrt. Auch die christliche Ehe ist i m Raum der Welt beständig bedroht und gefährdet und kann durch eigene oder fremde Schuld zerbrechen. Von dieser Wirklichkeit her fällt auf die Forderung der unlöslichen Ehe ein neues Licht. Man spürt, daß die Aussage der Bibel nicht richtig verstanden wird, wenn sie als allgemein geltendes Gesetz aufgefaßt, geschweige denn, wenn sie rechtlich festgelegt wird. Aber wo liegt das richtige Verständnis? Es ist zu suchen i n dem engen Zusammenhang, i n dem Jesu Scheidungsverbot m i t den anderen von i h m zugespitzten Geboten der Bergpredigt steht. Die eine Stelle steht ja inmitten der Bergpredigt 2 3 . Daneben stehen die Verbote des Tötens, des Ehebrechens, das Verbot der Rache und das Gebot der Feindesliebe. Die Gebote des A l t e n Testaments werden hier nicht aufgehoben, sondern sie werden gerade verschärft, fortgeführt aus dem Bereich des äußeren Tuns bis hinein i n das menschliche Herz, bis zur Wurzel des guten oder bösen Tuns: Sie werden „radikalisiert". Dieser Zusammenhang des Scheidungsverbots m i t den anderen neuen un-erhört scharfen Geboten zwingt nun zu der Frage, wie diese zu verstehen sind — und führt damit zu einem ganzen Kapitel Theologie und Geschichte von der Auslegung der Bergpredigt. Einigkeit besteht aber darin, daß eine wörtliche Verwirklichung dieser Gebote als allgemeine Ordnung zur Neugestaltung der Welt nicht i n Frage kommen kann 2 4 . Gottes i m Neuen Testament verkündeter Wille ist nicht Recht und Gesetz für die unter der Sünde stehende und vergehende Welt. Gottes Wille ist nicht j u d i ziabel. K e i n menschliches Gericht kann feststellen, ob einer ein fremdes Weib angesehen hat, „ihrer zu begehren" 25 , um danach zu entscheiden, ob er Ehebrecher ist. Kein Gericht kann die Strafe des Höllenfeuers verhängen für den, der zu seinem Bruder sagt: „ D u N a r r 2 6 ! " Die Welt lebt unter einem anderen Recht, das nötig ist, um sie zu erhalten. I n ihr regiert nicht die Liebe, sondern die Macht. Ihr Recht ist bezogen auf die menschliche Sünde, ist Notordnung des alten Äon 2 7 . Luther erklärt dieses Spannungsverhältnis zwischen Liebes- und Machtordnung, zwischen Evangelium und Gesetz durch das B i l d von den zwei Reichen, denen zwei verschiedene Ordnungen oder Regimente zugekehrt sind 2 8 : Neben dem Reich der Gläubigen unter der Haupt23

Matth. 5, 32. Barth III/4, S. 230 ff.; Albrecht S. 172; ebenso Pollard S. 47 i n der Auseinandersetzung m i t der scheidungsfeindlichen H a l t u n g der anglikanischen Kirche. 25 Matth. 5, 28. 26 Matth. 5, 22. 27 Bornkamm S. 284. 28 Dazu klärend: Joh. Heckel, „ I m Irrgarten der Zwei-Reiche-Lehre", 5 f., 14. 24

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schaft Christi steht das Reich dieser Welt, d. h. der Gott entfremdeten Menschheit, deren mystisches Haupt der Satan ist. Das Reich der Gläubigen regiert Christus durch seine Kirche und sein Evangelium. Dies ist das Regiment der Gnade oder, i n der alten Symbolsprache, Christi Regiment zur Rechten. Das Reich der Ungläubigen, über deren Herzen Christus keine Macht hat (sondern nur der Satan), regiert gleichfalls Christus (da der „Diabolus" nicht Ordnung stiften, sondern nur „verwirren" kann), aber m i t Hilfe der äußeren M i t t e l von Macht und Gesetz, kurz m i t dem Schwert, das aller Obrigkeit gegeben ist. Hier soll der Unordnung und Sünde gesteuert werden, daher ist es das Regiment des Zornes oder auch Christi Regiment zur Linken. Zugleich ist es aber ein Ausdruck von Gottes Geduld, indem j a notwendigste Ordnung und begrenzter Friede erhalten bleiben. Christi Gebote i m Neuen Testament sind nicht Gesetz für das Reich zur Linken. Sie sind Evangelium. Als solches sind sie aber auch dann nicht recht verstanden, wenn man sie nicht wörtlich nimmt, als wären sie nur für die innere Gesinnung gedacht, da sie j a praktisch undurchführbar seien. Das wäre eine ethische Spiritualisierung, die genau so falsch wäre wie der ethische Biblizismus, der die Bibel zum Gesetzbuch macht 29 . Sondern die neuen Gebote gelten wörtlich, aber nicht als Maßstab der alten vergehenden Welt, sondern als Zeichen der neuen, der kommenden Welt. Christi Worte stehen unter der nahen Erwartimg des Reiches Gottes. So sagt er selbst: „Wahrlich ich sage euch: Es stehen etliche hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis daß sie sehen das Reich Gottes m i t K r a f t kommen 3 0 ." Das neue Reich ist angebrochen mit Christus, es w i r d verwirklicht i m T u n der neuen Gebote und i n der einzelnen Herausforderung zu diesem T u n — insofern ist die Bergpredigt das „Gesetz" des neuen Reiches. Zugleich aber ist Christus die frohe Botschaft von der Erlösung des Menschen, das „Evangelium", das den Menschen frei macht und einlädt, das Gesetz zu erfüllen. „ V o n Christus her denken", so sagt Barth 3 1 , „heißt nicht: von einem fürchterlich verschärften Gesetz her . . . , sondern: vom offenbar gewordenen Evangelium her i n Form der Proklamation der unbegreiflichen, der unbedingten Freiheit zu einer Ehe i n Konformität m i t dem U r b i l d Gottes und seines Tuns, die denen gegeben wird, die dem Evangelium ihr Gehör und ihr Herz schenken wollen — und also i n Form der Einladung, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen". Unter eschatologischem Aspekt w i r d das Gesetz des Neuen Testaments sowohl wörtlich gültig, wie auch erfüllbar für den Menschen und durchführbar i n der besonderen Situation — freilich nicht als Regel für das Leben i n dieser 29 30 31

Gloege S. 346. M a r k . 9, 1. I I I / 4 , S. 230.

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Welt, sondern für das Leben i n der neuen Welt, die schon jetzt eh und je i m Leben aufleuchtet, sobald eine Entscheidung nach dem neuen Gesetz getroffen wird, sobald ein Mensch zu diesem Gesetz herausgerufen wird. Die Kirche = εκκλη σία ist die herausgerufene Gemeinde. Gesetz und Evangelium bilden dann keinen Gegensatz mehr, sondern verschmelzen zu einer Einheit. Indem das Gesetz durch das Evangelium erfüllbar wird, w i r d es nicht aufgehoben, sondern erfüllt — wie Jesus sagt 3 2 : „ I h r sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich b i n nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen." Es war, wie w i r oben sahen, Gottes Wille, daß die Ehe unscheidbar sei. Dieser Wille gilt, so ist nun zu folgern, nicht einfach als Rechtssatz irdischer Sozialordnung — auch er ist nicht judiziabel 3 3 ! — sondern er gilt i m Blick auf das angebrochene Reich Christi. I n i h m aber sind Gesetz und Evangelium eins, das Gesetz ist erfüllt und erfüllbar durch das Evangelium. Das Evangelium aber ist der Glaube an Christus. So ist das Gebot erfüllbar i m Glauben und nur erfüllbar i m Glauben. Der Glaube aber ist i m letzten Gnade. Die unauflösliche Ehe muß daher wesentlich von der Gnade leben 34 . So aber bekommt die schwache menschliche Liebe einen festen Halt, so w i r d Gott zum Garanten ihrer Unauflöslichkeit 35 . Das B i l d vom Bunde Christus und Gemeinde behält unter dieser Voraussetzung seine Vergleichbarkeit und normierende K r a f t bei: Ist Gott als der Garant der Ehe erkannt, dann bezieht auch das Menschenbündnis seine Festigkeit und Dauer aus seiner gleichbleibenden Liebe, und die Sünde kann i h m nichts anhaben, so wenig sie die Gemeinde von Christus zu trennen vermag. Dann werden die Menschen i n der Ehe auch Gottes Willen vernehmen und das Gebot der lebenslangen Ehe frei bejahen und als Gnade für sich selbst empfinden, w e i l nur sie die ganze Erfüllung der Gemeinschaft zu bieten vermag. Hier w i r d das wichtig, was schon oben zu der Haltung des Christen gegenüber den Geboten gesagt wurde. Da der Christ nicht mehr unter dem Gesetz allein, sondern unter dem Evangelium steht, das ihn zur Erfüllung befreit und befähigt, verliert das Gebot den streng und aufdringlich fordernden Charakter — der Christ kann es hinter sich lassen, i n dankbarer Annahme dessen was i h m inmitten der lebenslangen Ehe an Fülle begegnet.

32 33 34 35

M a t t h . 5,17. Greeven S. 116. Dombois S. 59. Bonhoeffer, Widerstand u n d Ergebung, S. 43.

6 Greiff

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Die Ehewirklichkeit wurde i m Vorangehenden umschrieben m i t Stiftung, Sünde und Aufhebung der Sünde. I m Lichte oder besser i m Schatten der Sünde ergab sich, daß das Scheidungsverbot Gottes nicht allgemein für das Leben i n der alten Welt gelten konnte. I m Lichte des Evangeliums dagegen wurde klar, daß sich das Gebot an den Menschen wendet, der i m Glauben von Christus her und auf sein Reich h i n lebt. Der Christ ist Bürger des Reiches Christi u n d untersteht insofern nur dem Regiment zur Rechten, dem Gesetz der Freiheit und Liebe; er ist i m Genuß der Freiheit eines Christenmenschen. Der Christ ist aber doch auch aufgerufen, an Gottes Regiment zur Linken, das zur Erhaltung der Menschheit eingesetzt ist, aus Liebe zum Nächsten mitzuarbeiten. Diese Mitarbeit und Mitverantwortung erfordert es, daß sich der Christ freiwillig auch dieser Ordnung unterwirft. Daher kann auch die Ordnung der Welt fordernd an den Christen herantreten: „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist 3 6 ." Der Christ untersteht damit zweierlei Ordnung. Nicht ist er dagegen, wie vielfach gesagt wird, Bürger zweier Reiche. Nach der oben skizzierten Trennung von Reichen und Regimenten kann ein Christ nur Untertan zweier verschiedener göttlicher Regimente sein, nicht aber zugleich Bürger i n Christi und i n Satans Reich 37 . Welcher Ordnung der Christ i m Einzelfall untersteht, das kann nur er selber wissen. Z u entscheiden, was dem Kaiser und was Gott gehört, ist eine ständig neue Gewissensfrage. Es gibt keine allgemeinen Richtlinien dafür, wann das Gesetz des einen und wann das des anderen Regimentes befehlend eingreift. Die Ehe des Christen kann keinesfalls als Ganzes dem einen oder anderen Herrschaftsbereich zugewiesen werden. Christi Gesetz ist die unscheidbare Ehe. Zur Notordnung gehört die eingeschränkte Erlaubnis zur Ehescheidung (genau so wie die eingeschränkte Erlaubnis des Tötens entgegen dem 5. Gebot) 38 . Die erwähnten Einschübe bei Matthäus, die bei Ehebruch eine Scheidung freigeben, stellen demnach sachgemäße I n terpretationen von Jesu Scheidungsverbot dar, sofern man sie nicht auf sein Evangelium, sondern auf das Gesetz und die Notordnung bezieht 3 9 . Dann aber ist es i m Grund unerheblich, ob erst die Gemeinde oder schon Jesus selbst diese Auslegung gegeben hat, wie Gloege zu dem textkritisch ungelösten Streit zutreffend bemerkt 4 0 . I n der Geschichte seit der Reformation gelangten unter dem Druck der Verhältnisse noch andere Tatbestände zur Anerkennung als Scheidungsgrund. Luther hat sich zunächst 41 sehr zurückhaltend zur Ehe36 37 38 39 40 41

Matth. 22, 21. Heckel, Irrgarten, S. 25 ff. von Scheurl S. 552. Vgl. Bornkamm S. 283 ff.; Gloege S. 342. S. 341. V o n der babylonischen Gefangenschaft d. Kirche — 1520, W A 6, 559.

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Scheidung geäußert — ob sie „statthaft sei, wage ich selbst nicht zu entscheiden". Später findet sich bei i h m schon als dritter biblischer Grund die von der Paulusstelle her entwickelte „bösliche Verlassung" 42 . Späterhin werden der Ehebruch und die Verlassung analog auch auf die Fälle der Quasidesertion, der Insidien, Sävitien, Verbrechen und Strafen sowie auf wissentliche falsche Anschuldigung ausgedehnt. Dieses protestantische Scheidungsrecht galt i n den großen Gebieten des gemeinen Hechts neben dem katholischen Eherecht auf Grund staatlicher Anerkennung auch als staatliches Recht. Es konnte durch Staatsgesetz abgeändert werden: so durch das Reichspersonenstandsgesetz vom 6. 2. 1875, und es wurde von dem seit 1879 amtierenden Reichsgericht überwacht. So lehnte gerade das Reichsgericht eine Ausdehnung der Scheidungsgründe über die Fälle des Verschuldens ab und hielt daran fest, „daß i n der Regel nur solche Gründe der Ehescheidung anzuerkennen sind, welche i n irgendwelcher Analogie zum Ehebruche oder zur böslichen Verlassung stehen und darum irgendwelches Verschulden von Seiten des einen Gatten voraussetzen" 43 . Es würde zu weit führen, die Geschichte des protestantischen Scheidungsrechts hier nachzuzeichnen, da sie nichts Wesentliches für das heutige Verständnis von „evangelischem" Scheidungsrecht hergibt. Alle die so sorgfältig angeknüpften Erweiterungen der Scheidungstatbestände ruhen auf einer sehr engen und unsicheren Schriftbasis und stehen i m Grunde nur i n äußerlichem Zusammenhang m i t dem Worte Gottes 44 . Eine derartige biblizistische Kasuistik der Ehescheidungsgründe ist Ausdruck eines gesetzlichen Verständnisses des Neuen Testaments, wie es heute überwunden ist 4 5 . Die moderne protestantische Ethik muß allen Versuchen, bestimmte Scheidungstatbestände aufzustellen, grundsätzlich widersprechen. Wenn den genannten Texten etwas zum Scheidungsrecht entnommen werden kann, dann nur der Satz, daß die Möglichkeit der Ehescheidung i m Bereich der christlichen Lehre liegt — und damit ist nicht wenig gesagt. Wann aber eine Scheidung i m Einzelfall zulässig ist, das muß sich nach den Grundsätzen bestimmen, die zur Ableitung der Scheidungsmöglichkeit an sich herangezogen wurden. 42

V o m ehelichen Leben, W A 10 I I , 275 ff. RGZ 7, 154 (158); ferner RGZ 1, 324; 15, 188. 44 Albrecht S. 175. 45 I n dem Vortrag v o n Altmann, i n : „Eherecht u n d Menschenrechte", S. 20 ff. k a n n das gesetzliche Mißverständnis noch i n seiner ganzen Fragw ü r d i g k e i t studiert werden, w e n n dort der Ehebruch als einziger biblischer Scheidungsgrund anerkannt w i r d , zugleich aber über das W o r t Matth. 5, 28 „Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon m i t i h r die Ehe gebrochen i n seinem Herzen" begrifflich ausgedehnt w i r d auf alle sexuellen Ehewidrigkeiten (S. 22) — ein ungeheuerlicher Einbruch i n das göttliche Scheidungsverbot ! 43

6*

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Schuld kann die Ehe endgültig zerstören und es gibt wohl keine Zerstörung, an der nicht beide Ehegatten schuld sind. Eine Scheidung offenbart das geschehene Unrecht und die fortbestehende Schuld beider Menschen 46 . Die Scheidung ist stets Anklage und Eingeständnis von zurückliegender Schuld. Wenn die eheerhaltende K r a f t des Glaubens nicht ausreicht, wenn die menschliche Schwachheit obsiegt und die Sünde die Ehe zerstört hat, dann muß eine Scheidung möglich sein, um des Menschen willen. Mose hat die Scheidung zugelassen „auf eure Herzenshärtigkeit h i n " 4 7 . Προς τη ν σκλη ροκαρδιαν υμών bedeutet nicht ein kausales, sondern ein finales Verhältnis. Die Sündhaftigkeit des Menschen ist nicht der Grund, um dessen Willen Mose resigniert, sondern sie ist das Ziel, das er treffen w i l l . Der Scheidebrief ist das Zeugnis der Herzenshärtigkeit und des Verstoßes gegen Gottes Gebot, er ist A n klage gegen den, der i h n ausstellt 48 . Aber i n diesem Sinne ist er zugleich Ausdruck des Zustands, i n dem diese Welt und i n dem die Ehe lebt. I n derselben Herzenshärtigkeit werden die Menschen auch heute schuldig, bedürfen sie aber auch heute noch des Mitleids. Nicht nur Gottes Gerechtigkeit soll i m Bereich des menschlichen Handelns w i r k sam sein, auch seine Barmherzigkeit darf und soll nach menschlichen Kräften nachvollzogen werden. Gott ist jedenfalls barmherziger als manche theologische E t h i k 4 9 . „ U m der Nächstenliebe w i l l e n kann es sogar sittlich erforderlich sein, eine Ehe aufzulösen, nämlich wenn das Festhalten an der Ehe die größere Schwachheit bedeutet" 5 0 , wenn es die lebenszerstörende Sünde vermehrt 5 1 . Es kann eine Trennung dann wahrhaftiger sein und das Wesen der Ehe durch sie mehr bezeugt und geehrt werden als durch das Nichtscheiden 52 . Die Scheidung kann Herstellung von Ordnung mitten i n der Unordnung sein, und Rückkehr auf einen Punkt, von dem her die Menschen einen neuen Weg i m Gehorsam finden 5 3 . 48

G. Bornkamm S. 285. Mark. 10, 5. 48 Greeven S. 114 f.; Gloege S. 340. 49 Brunner, Ethik, S. 339. 50 Brunner, a.a.O., S. 346. 51 Althaus S. 120. E i n erschreckendes B i l d dieser Schwachheit i m F o r t führen einer zerstörten Ehe zeichnet Tolstoi i n der ,Kreutzersonate' (Kapitel 17): „Ich hätte diesen A b g r u n d von Unglück, diese feige Lüge, i n die ich verstrickt war, nicht erkannt. U n d w i r waren doch nicht besser daran als zwei Sträflinge, die an eine Kette geschmiedet sind, die einander hassen und die einander das Leben vergiften u n d sich alle Mühe geben, sich das nicht bewußt werden zu lassen." 52 Althaus, a.a.O. 53 Barth III/4, S. 238. B a r t h begründet die Scheidung allerdings damit, daß manche Ehen v o n Anfang an nie echte Ehen waren, daß sie nicht von Gott zusammengefügt wurden,, während solche Ehen unlösbar seien, die w i r k l i c h von Gott gestiftet sind (III/4, S. 234 ff. insbes. 236). Diese Unterscheidung 47

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Allerdings w i r d sich der Ehegatte, dem Unrecht geschah, fragen müssen, wie es denn m i t seiner Liebe zu i h m steht und gestanden hat — zu i h m als seinem Nächsten und Allernächsten 54 . „Es könnte sein, daß die christliche Liebe von i h m fordert, m i t viel Geduld den anderen dahin zu bringen, daß er seinen Fehltritt bereut und so den Weg zur Wiederherstellung der zerbrochenen Gemeinschaft zu bahnen, ja vielleicht auch dann bei seinem Ehegefährten zu bleiben, wenn das nicht gelingt" sagt S0e 55 , und er weist vor allem darauf hin, daß der Christ sich aufrichtig fragen muß, ob die Schuldfrage nicht verwickelter sei, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Ethisch gesehen, so sagt Gloege, könne die Schuld des vor dem Ehegatten und der Öffentlichkeit „schuldlosen" Teiles schwerer wiegen als die Schuld des „schuldigen" Teiles, und es sei „Ernst zu machen m i t der Erkenntnis von der Unteilbarkeit der gemeinsamen Schuld" 5 6 . Die Verzeihung, die schon von der nichtchristlichen Ethik als Problem und Aufgabe erfaßt wurde, bekommt i n der christlichen eine zentrale Bedeutung. Dem Christen erwächst aus der Erfahrung der vergebenden Liebe Gottes die K r a f t und die Verpflichtung zu gleicher vergebender Liebe, wie es auch an der Bitte des Vater-Unser zu erkennen ist 5 7 . „Nehmet euch untereinander auf", so sagt es Bonhoeffer nach Römer 15, 7, und „lebt miteinander i n der Vergebung eurer Sünden, ohne die keine menschliche Gemeinschaft, erst recht keine Ehe bestehen kann 5 8 . Es besteht also von Anfang an eine Pflicht zur Verzeihung 5 9 . Freilich w i r d damit auch eine gewisse Pflicht für den schuldigen Gatten begründet, nämlich die, u m Verzeihung zu bitten 6 0 . Piper sagt, daß viele Ehen, die schließlich scheitern, zu retten gewesen wären, wenn der schuldige Teil es rechtzeitig über sich gebracht hätte, m i t dem Partner zu reden und ihn um Verzeihung zu bitten. Denn die Beichte sei zugleich ein Beweis seiner Liebe und schaffe deshalb gerade eine Möglichkeit für die Verzeihung. Luther sagt den Pfarrern, sie sollten i m Falle des Ehebruchs „Fleiß tun, daß das schuldige Teil (so es die Oberkeit nicht w i r d jedoch von Soe als unbiblisch abgelehnt (S. 293 u n d 307 Anm. 22). Auch Piper sagt (S. 193): „Ehen werden w i r k l i c h i m H i m m e l geschlossen. Dieser Satz gilt ausnahmslos." Gegenüber Barths Auffassung muß festgehalten werden, daß auch die von Gott zusammengefügte Ehe zerbrechen k a n n u n d daß das Gebot der Unlösbarkeit an jede Ehe ergeht. Diese Spannung k a n n n u r i n der Gewissensentscheidung des einzelnen aufgelöst w e r den, nicht aber durch eine Unterscheidung i n lösbare u n d unlösbare Ehen. 64 Handwörterbuch Ehe I V , Sp. 32 2 c. 55 Ethik, S. 307. 5β S. 353. 57 Matth. 6, 13. 58 Widerstand u n d Ergebung, S. 48. 59 Vgl. auch Piper S. 383. 80 Piper S. 382.

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straft) sich demütige gegen das unschuldige, und u m Gnade bitte" 6 1 . Diese Pflicht zur Verzeihung kann nicht eingeschränkt werden, denn „nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal", d. h. unendlich oft, sollen w i r dem anderen verzeihen 62 . Auch kann man nicht einzelne besonders schwere Vergehen als von vornherein unverzeihlich ausnehmen. Es gibt keine Schuld unter Menschen, die nicht verziehen werden kann, und folglich gibt es keinen Grund, der notwendig die Ehe zerstört und zur Scheidung führt: „Wenn die Gattenliebe des Christen als eine der Formen der christlichen Liebe jedes Hindernis des natürlichen Gefühls zu überwinden hat, so läßt sich keine Schuld des Gatten denken, die sie nicht verzeihen und nach deren Überwindung sie nicht streben müßte 6 3 ." „Auch eine durch sündhaftes Versagen und Verfehlen, selbst durch Ehebruch zerrüttete Ehe kann durch Vergebung und Versöhnung einen neuen Anfang finden", sagt Althaus 6 4 , und bei Barth heißt es, es gebe „kein noch so erschreckendes Indizium" dafür, daß die Ehe geschieden werden darf, das nicht auch täuschen könnte 6 5 . Ebenso widersprechen Soe und Brunner ausdrücklich der Auffassung, als ob der Ehebruch dem anderen Teil das selbstverständliche Recht verleihe, die Scheidung zu verlangen 66 . Es gibt somit nach der evangelischen Verkündigung keinen positiven Scheidungsgrund 67 , denn „die sittlichen Voraussetzungen der Ehescheidung sind — i m Unterschied zu den rechtlichen — i n kein Gesetz zu fassen" 68 . Erst recht gibt es keine Pflicht zu Scheidung wegen Ehebruchs wie i n frühchristlicher Lehre teilweise behauptet wurde. Man darf die Worte bei Matth., die eine Ausnahme vom Scheidungsverbot „ u m der Unzucht willen" zulassen, keinesfalls umkehren i n eine Scheidungspflicht 69 . Luther sagt: „ W i r heißen weder solche Scheidung gut noch verwehren w i r sie, sondern vertrauen der Obrigkeit an, darin zu handeln, und lassen demnach gehen, wie weltlich Recht hierin entscheidet 70 ." Auch für Luther gibt es also kein christliches Gesetz i n dieser Frage. Es gibt also keinen Scheidungsgrund — wohl aber gibt es eine Grenze i n der menschlichen K r a f t des Verzeihens und i n der Fähigkeit des 61 62 83 84 85 88 87 88 89 7Ü

Strampff S. 368. Matth. 18, 22. Gottschick, Realenzyklopädie Ehe christl., S. 197. S. 119. III/4, S. 236. Soe S. 307; Brunner, Ethik, S. 346. de Quervain, E t h i k , S. 98. Brunner, a.a.O. Barth I I I / 4 , S. 236. W A 32, 379.

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Ertragens. „Die K r a f t zum Tragen ehelichen Unglücks ist verschieden groß. Was dem einen zur Bewährung dient, w i r d einem anderen ständiger Anstoß zur Sünde 71 ." Diese Grenze gilt es zu beachten. Auch wenn es zunächst die Aufgabe der Kirche ist, die Gewissen zu schärfen, so hat sie jenseits dieser Grenze doch Freiheit zu geben und auch das Gewissen zu lösen von der Anforderung, wie Luther i m Anschluß an die zitierte Stelle schreibt 72 : Man soll „dem unschuldigen Teil getrost zusetzen mit der Schrift, da Gott gebeut, man solle vergeben, und damit das Gewissen hart drängen und anzeigen, wie schwere Sünde es sei, wo es seinem Gemahl . . . nicht vergibet und wieder annimmt auf Besserung. Denn es ist m i t uns allen gar leicht geschehen, daß w i r fallen. Und wer ist ohne Sünde? Auch, wie wollten w i r gegen uns den Nächsten haben, so w i r gefallen wären? Also sollen w i r wiederum t u n gegen andere, und so fortan die christliche Liebe und Pflicht, die w i r eins dem anderen, so sich's bessert, zu vergeben schuldig sind, gewaltiglich hier treiben, und also dies Recht der Ehescheidung helfen aufhalten, so viel man vermag. W i l l das nicht helfen, wohlan, so laß Recht gehen"! Die Frage, wann die Grenze erreicht ist, jenseits derer man „das Recht gehen lassen" kann, — Dölle spricht von der Opfergrenze, deren Überschreitung die Personwürde oder die Existenz eines Ehegatten gefährden würde 7 3 — diese Frage kann nicht durch den Hinweis auf äußere Tatbestände, sondern nur i m Gewissen des einzelnen beantwortet werden. Niemand, kein Urteil eines weltlichen oder geistlichen Gerichtes, eines Arztes oder Psychologen kann dem Menschen die Verantwortung für diese Entscheidung abnehmen 74 . Diese Entscheidung fällt nicht nur i m Blick auf das eigene Schicksal, sondern i m Blick auf die Ehe i n ihrer konkreten und zugleich i n ihrer idealen Gestalt; sie richtet sich nicht so sehr nach dem subjektiven Recht des Ehegatten, als nach dem objektiven Recht der Ehe. Die Ehe ist es und ihre mannigfachen Möglichkeiten der Sinnerfüllung 7 5 , die es dem verletzten Ehegatten „zumuten", weiterhin m i t dem anderen zusammen zu bleiben. Sinnerfüllung ist nicht ein auf den Menschen einfach zukommendes Glück, sondern es bedarf einer „Anstrengung des Herzens willens, u m die Güter Gottes zu ergreifen und damit das Leben sinnvoll zu gestalten" 7 6 .

71 72 78 74 75 79

Althaus, a.a.O. Bei ν . Strampff S. 368. S. 30 f. de Quervain, Ethik, S. 100. Dölle S. 26, 30. Piper S. 227.

88 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

So ergibt sich am Ende der Frage nach der Lösbarkeit der christlichen Ehe, daß sie unauflösbar ist für alle Menschen, die sich die K r a f t der vergebenden Liebe schenken lassen, aber auflösbar, wenn ihre innere Lebenskraft durch die Schuld der Ehegatten endgültig zerbrochen ist und die Aufrechterhaltung der äußeren Form nicht mehr der gegenseitigen Liebe und Achtung dient, sondern der Zerstörung ihres personhaften Seins. Aus dem Bezug der christlichen Ehe auf den Bund Christi m i t seiner Gemeinde haben sich als wesentliche Merkmale ergeben: 1. die Freiheit und Liebe, i n der Mann und Frau einander erkennen und wählen, 2. die völlige Einheit, i n die sie geführt werden, die aber zugleich eine bestimmte Ordnung ist, 3. die Ausschließlichkeit, m i t der sie sich i n Bezug auf andere eheliche (Einehe) wie auf außereheliche Beziehungen (Treue) angehören, 4. die Immanenz ihres Zweckes, 5. ihre Unauflöslichkeit. Kein Wesensmerkmal der christlichen Ehe ist die kirchliche Einsegnung. Sie ist zwar ein wohlbegründeter sinnvoller Brauch 7 7 , aber weder für den Beginn der Ehe noch für ihren Bestand 78 von Bedeutung. Die Trauung ist schon nach Luther nur noch öffentliche Bestätigung „vor Gott und der Welt" einer zuvor geschlossenen Ehe 7 9 . Trotz der Einwirkung der großen Gottesehe auf jede einzelne Menschenehe blieb doch auch die Sünde eine wirksame Macht, die eine Ehe zum Zerbrechen und Scheitern bringen kann. Damit aber nicht unter ihr auch der Mensch zerbreche, gibt es entgegen der göttlichen Ordnung eine Scheidung — denn Gott w i l l den Menschen nicht zerstören, sondern trotz seiner Schuld erhalten. Die göttliche Eheordnung w i r d damit nicht aufgehoben, ebensowenig wie das menschliche Recht aufgehoben w i r d durch einen Gnadenerweis 8 0 . M i t Recht sagt Bruns 8 1 , das Institut der Scheidung sei ein Gnadenakt der staatlichen Ordnung. Zu ergänzen ist: es ist auch ein Gnadenakt der göttlichen Ordnung. Es ist Gottes Gnade m i t der sündigen Welt, daß sie nicht unter dem für sie rigorosen, unerfüllbaren Gesetz verderben muß. Gnade aber beseitigt das Recht nicht, sondern läßt es i n seiner Gültigkeit bestehen. Sie eröffnet vielmehr eine ganz neue 77 78 79 80 81

Brunner, E t h i k , S. 343. Barth I I I / 4 , S. 232. Lähteenmäki S. 107. W o h l aber durch eine allgemeine Gnadenpraxis! SJZ 47, Sp. 654.

Die evangelische Auffassung v o m Wesen der Ehe

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über dem Hecht liegende Dimension. Über dem menschlichen Recht werden rechtsfremde Werte sichtbar — „religiöse Barmherzigkeitswerte, ethische Duldsamkeitswerte", wie Radbruch sagt 82 . I n Gottes Gesetz aber w i r d die Liebe sichtbar, die i m Evangelium das Gesetz selbst erfüllt, die aber für die unter der Sünde lebende Welt als Gnade erscheint. Neben Gottes Ordnung t r i t t die Sphäre seiner Geduld. Die Notordnung des menschlichen „Rechts", das i m Angesicht von Gottes Gerechtigkeit immer ungerecht sein muß, ist doch auch Gnadenordnung und hat als solche einen Zusammenhang m i t der göttlichen Gerechtigkeit 83 . Die beiden so spannungsreichen Ordnungen bauen nicht i n den Stufen der lex positiva, lex naturalis u n d lex divina aufeinander auf, wie die Scholastik lehrte, sondern sie sind i m Verhältnis von Gnade zu Recht aufeinander bezogen. Sie fügen sich zusammen erst i n der Hand des göttlichen Richters, von der sowohl Recht wie Gnade ausgeht. Es ergibt sich also aus der christlichen Sicht, daß das Wesen der Ehe nicht m i t einem einschichtigen Begriff erschöpfend umrissen werden kann. Die fünf aufgezeigten Merkmale könnten zusammengefaßt werden zu einem für beide Konfessionen gemeinsamen Begriff der Ehe, wie er den Worten Christi zu entnehmen ist, wenn er Gottes Willen i m Blick auf das kommende Reich auslegt. Ein „christlicher" Begriff der Ehe muß aber die Wirklichkeit dieser Welt, muß die Sünde m i t umfassen. Da protestantische Theologie die sakramentale Verknüpfung von göttlicher und menschlicher Ebene ablehnt, w i r d für sie der Begriff der Ehe zweischichtig. Er enthält dann inhaltlich i m wesentlichen dieselben Glaubensaussagen aus katholischer und evangelischer Lehre und schließt sich nur i n deren Verhältnis zur Welt der protestantischen Auffassung an, die nicht Einheit beider Ordnungen, sondern Polarität annimmt. Diese zwei Schichten sind aber nicht i n einer festgelegten Struktur zu beschreiben, sondern sie bewegen sich gegeneinander — die eine i m Werden, die andere i m Vergehen. Der Begriff der Ehe w i r d damit zum Begriff einer Bewegung, aus dem naturrechtlich-statischen Begriff w i r d ein dynamischer Begriff der Ehe 8 4 . Das Wesen der Ehe enthüllt sich nicht i n einem ruhenden Sein, sondern i n einem Geschehen. Ehe ist Leben, und wie dieses ein „Wandern zwischen beiden Welten", so ist sie ein Leben unter zweierlei Bestimmung. So ergeht an jede Ehe der ernste Ruf zur lebenslangen, unlösbaren Dauer, und doch kann 82

Rechtsphilosophie § 24, Die Gnade, S. 278. Ebenso Ellul, Begründung, S. 30, 44. 84 Entsprechendes g i l t für das Recht allgemein: Ellul, Begründung, S. 43, 51; Kaufmann S. 500: „Das Naturrecht ist nicht statischer, sondern durch u n d durch dynamischer Natur, es muß ständig neu v e r w i r k l i c h t werden." 83

90 C. Die Aussage der wertforschenden Wissenschaften zum Wesen der Ehe

jede Ehe i n die Lage kommen, i n der die Scheidung der richtige Weg ist. Aber nicht nur i n dem Merkmal der Dauer, auch i n den anderen Merkmalen der Liebe, der Einheit und der Treue läßt sich diese A n t i nomie nachweisen. Die i n sich unbegrenzte Forderung der Hingabe kann bis zu dem ernst gemeinten Befehl der Selbsthingabe führen, es kann aber auch erlaubt sein, und sei es i m Eingeständnis der eigenen Schwachheit, sich selbst zu bewahren, dem anderen für einen bestimmten Augenblick seine Liebe zu versagen. Der großen endgültigen Trennung i n der Scheidung entspräche hier eine zulässige geringere, vorübergehende Trennung, die nur i n einem Wort oder Gedanken zu bestehen braucht. So viel oder auch so wenig läßt sich also zu dem christlichen Begriff vom Wesen der Ehe sagen. Es zeigt sich aber jetzt deutlich, daß er die nichtchristlichen Auffassungen von der Ehe nicht ausschließt, sondern einbeziehen kann, sofern sie sich nicht selbst absolut setzen wollen. Die Werte des freischöpferischen Lebens, der subjektiven Liebe u n d Erotik, der soziologischen Bindungen, der ethischen Verantwortung gehen i n dem christlichen Begriff auf. Sie werden bejaht und zugleich neu und tiefer be- oder gegründet.

D. Ontologische Aussagen über die Ehe Eingangs wurde von der anerkannten Auffassung gesprochen, daß die Ehe nur zum Teil vom Recht gestaltet wird, zum wichtigeren Teil aber eine dem Recht vorgegebene Erscheinung oder Ordnung ist. Es wurde auf die naturwissenschaftliche Methode verwiesen, die den empirischen Bereich der Ehewirklichkeit erforscht, und auf die geisteswissenschaftlich-wertbeziehende Methode, das Werkzeug für Ethik und Theologie. Es gibt noch eine andere Frageweise, die durch die Erscheinungen und durch die Werte hindurch nach den letzten Ursachen alles Seienden fragt, die Ontologie. Es sind nur sehr wenige Fragen innerhalb des Rechtssystems, die erst i n diesem Bereiche ihre Klärung finden. Es sind dies die „letzten Fragen", die ihre Beantwortung nicht wie die meisten anderen i n den bereitliegenden rechtlichen und sittlichen Entscheidungen finden. Diese Entscheidungen können fragwürdig geworden sein oder noch ganz fehlen wie bei einer neuen Frage. Dann muß die Untersuchung nach den ontologischen Wurzeln fragen 1 . Überall i m Rechtsgebiet können derartige grundsätzliche Fragen auftauchen. Daneben gibt es einige wenige Begriffe, denen es unmittelbar zukommt, sich auf das Sein zu beziehen. Tillich sagt, sie besäßen ontologische Würde, und nennt dafür die Dreiheit: Liebe, Macht, Gerechtigkeit 2 . Dies sind Begriffe, die eine Relation bezeichnen, also gleichsam zusammengesetzte sind. Daneben gibt es ontologisch einfache Begriffe wie Person oder menschliche Handlung und Schuld 3 , die man ebenfalls weder empirisch noch axiologisch ganz i n den Griff bekommt. Die Ehe ist eine Relation und ein Ort für das Handeln i n Gerechtigkeit, für Liebe und Schuld von Personen — all das sind Hinweise auf ihre ontologische Struktur. Die Erkenntnis des Seinsgrundes entzieht sich freilich dem rein juristischen Denken. Auch für den Philosophen liegt nicht eine fertige Methode bereit, sondern es handelt sich hier um ein philosophisches Problem erster Ordnung. Aber auch der Jurist bekommt diese Grundlagen des Rechts i n den Blick. Sobald er eine Entscheidung auf die „Natur der Sache" stützt und dabei nicht an die vordergründige Eigenart der Erscheinungswelt denkt, sondern an einen i n ihr verborgenen, 1 2 8

Fechner S. 278 - 281. I n der gleichnamigen Schrift, S. 21. Welzel, Naturrecht u n d materiale Gerechtigkeit, S. 197 f.

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D. Ontologische Aussagen über die Ehe

hintergründigen Sinn, liegt ein Versuch vor, sich i n t u i t i v dem Wesen der Dinge zu nähern und die Ordnung des Seins zur Ordnung des Rechts zu machen. Radbruch nennt als Beispiel für die „auch dem Gesetzgeber unumgehbare" Natur der Sache den natürlichen und sozialen Tatbestand der Ehe, den das Recht „nicht selbstherrlich zu formen vermag, mit dem es sich vielmehr auseinanderzusetzen hat" 4 . Auch dieser natürliche Tatbestand der Ehe kann aber, so wie die Natur der Sache selbst, etwas Doppeltes bedeuten: den erfahrungswissenschaftlich feststellbaren (äußeren) Tatbestand der Ehe und die von ursprünglichen Ordnungstendenzen gebildete immanente Struktur der Ehe. U m den äußeren Tatbestand bemühen sich Soziologie, Psychologie und Biologie. Dieser ist nicht gemeint, wenn i m folgenden vom natürlichen Tatbestand der Ehe gesprochen wird, sondern der innere Tatbestand, das seinsmäßige Gefüge der Ehe. Wie aber dies innere Gefüge aufzudecken sei, blieb bisher offen. A u f die methodischen Schwierigkeiten wurde hingewiesen und auch darauf, daß nur die ontologische Fragestellung hier weiterführen kann. Bevor aber die ontologische Methode näher dargelegt werden soll, muß auf das zurückgestellte Problem der Rangordnung der rechtsphilosophischen Methoden eingegàngen werden. Das formale Problem der Rangordnung der Methoden kann nur i n einer Durchleuchtung des materiellen Gehalts gelöst werden, dem sie zugeordnet sind. I n der Gegenüberstellung der verschiedenen Materien w i r d der relative Wert jeder einzelnen Methode und damit überhaupt die Berechtigung der ontologischen Auslegung hervortreten. Die Ausrichtung der konkreten Entscheidung nach den Werten ist die dem Recht am ehesten gemäße Methode. Denn das juristische Urteil ist keine naturwissenschaftlich-kausale Schlußfolgerung, sondern es ist stets eine Bewertung der zugrundeliegenden Lebensverhältnisse. Es handelt sich „bei der Rechtsanwendung nicht um Wahrheitsurteile, sondern um Werturteile" 5 . Die Auslegung des Rechts „besteht i n einem wertenden Urteil, nicht bloß i n einer logischen Folgerung" und ist „wie Rechtsetzung eine schöpferische Tätigkeit" 6 . Wie die anderen Geisteswissenschaften, so hat auch die Rechtswissenschaft die Erscheinungen ihres Bereiches zu bewerten. Darin unterscheidet sich ihr Verfahren wesentlich von dem der Naturwissenschaften 7 . Sooft das positive Recht und auch die i m Rechtssystem enthaltenen Wertentscheidungen eine Lösung des Falles nicht enthielten, war 4 5 6 7

Rechtsphilosophie § 20, S. 248. Gmür S. 140. Burckhardt S. 280. Müller-Erzbach S. 68.

." ~

D. Ontologische Aussagen über die Ehe

man auf die sich als überpositives Recht darstellenden Werte angewiesen. Die Naturrechtsfrage war weithin durch die Geschichte ein Wertproblem. Neu ist die entschlossene Hinwendung zur Wirklichkeit m i t Hilfe der Soziologie, der Wirtschaftswissenschaft 8 und der anderen Hilfswissenschaften. Man hat erkannt, i n welch hohem Maße das Recht von den objektiven Gegebenheiten, von den Bedürfnissen und Interessen, von seinen „Realien" abhängig ist, und daß es ihnen dienen und sich ihnen anpassen soll. Aber das juristische Urteil ist dennoch nicht einfach aus den realen Faktoren und Interessen abzuleiten, wie eine Resultante aus verschiedenen soziologischen Kräften. „Das Verhältnis ist nicht Ursache und Folge, sondern Problem und Lösung", sagt Coing i m Anschluß an Bergson 9 und Toynbee 10 , und: „Die Rechtsregel ist die schöpferische A n t w o r t auf das i n der soziologischen Situation gestellte Problem 1 1 ." Indem das Recht aber die Lebensverhältnisse schöpferisch bewertet, schafft es sich Distanz und bewahrt es sich Freiheit. Ordnend und wertend hat es einzelne Faktoren zu fördern oder gelten zu lassen, andere einzudämmen. „Die Rolle des Rechts, das ja teilhat an der Erhaltung der Welt, besteht sowohl darin, den gerechten Ansprüchen Rechnung zu tragen, wie darin, selbstzerstörerische A n sprüche i n der Gesellschaft zu bekämpfen" wie E l l u l sagt 12 . I m Dienst der Werte und der Gerechtigkeit als oberstem Wert kann das Recht verpflichtet sein, sich einer tatsächlichen Entwicklung entgegenzustemmen oder sie voranzutreiben. Das hat das Recht i n der Geschichte getan, sooft es als konservative oder als liberal-propagierende Macht i n Erscheinung trat. Die Wirklichkeit beeinflußt das Recht also nicht unmittelbar, sondern unter dem Regulativ der Rechtsidee. Eine Erkenntnis aus den empirischen Gegebenheiten kann nur den Sinn haben, die Entscheidung so weit nach den Realien zu richten, wie es anhand der Wertmaßstäbe möglich ist. Dieses Verfahren hat eine große Bedeutung, indem es das Recht lebensnah gestaltet. Es ist aber ergänzungsbedürftig. Die empirische Auslegung steht i m Range unter der wertmäßigen Auslegung. Neu ist aber auch die Hinwendung zur Ontologie. Das Naturrecht w i r d dabei von einem Wertproblem zu einem Problem der Rechtsontologie 13 . Die Wertphilosophie hatte jede logische Beziehung zwischen Sollen und Sein geleugnet. Sie hat m i t ihrem Satz, daß Werturteile nicht aus der Wirklichkeit abgeleitet werden können, einen, wie sie 8

Müller-Erzbach S. 70. Schöpferische Entwicklung, S. 58. 10 A Study of History V, S. 67. 11 Coing , JZ 51, 484. 12 Réalité Sociale et Theologie d u Droit, i n : Existenz u n d Ordnung, S. 52. 13 Vgl. Fechner S. 179 f. 9

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D. Ontologische Aussagen über die Ehe

meinte, unüberbrückbaren A b g r u n d zwischen beidem aufgerissen. Die zum Wertsetzen u n d Wertforschen aufgerufene juristische Auslegung müßte demnach bei den Werten stehen bleiben, eine Auslegung aus dem Sein u n d aus der N a t u r der Sache wäre dem Juristen verwehrt. Dagegen wehrte sich aber das denkende Bewußtsein immer wieder i n der A h n u n g eines Zusammenhanges von Wert und Wirklichkeit, i n der Ahnung, daß E t h i k u n d Ontologie füreinander nicht v ö l l i g indifferent sein können. Dieses „Gefühl" weist den Weg zu einem Fundierungsverhältnis: I n irgendeiner Weise hängen die Werte von den bewerteten Dingen ab. Eine E r k l ä r u n g dieses Zusammenhangs liegt n u n darin, daß die Werte auf bestimmte tatsächliche Verhältnisse hingeordnet sind. Radbruch 1 4 gebraucht dafür die Bezeichnung „Stoffbestimmtheit der Idee" i n ihrem Doppelsinn: „durch den Stoff bestimmt, w e i l für den Stoff bestimmt". Er weist dasselbe Verhältnis nach f ü r Idee u n d Material auf künstlerischem Gebiet u n d räumt die Möglichkeit ein, daß w i e der Künstler i m Material die Idee vorgeformt erschaue, so auch der Jurist aus der N a t u r der Sache das Ideal des Rechts erkennen könne 1 5 . D a m i t w i r d ein erster Brückenschlag über die K l u f t v o n Sein u n d Wert gewagt. Radbruch glaubte zunächst noch, diese Methode sei rein i n t u i t i v u n d für die Rechtsfindung daher nicht gangbar. Später hat er sich aber noch wiederholt m i t dem Problem der „ N a t u r der Sache" befaßt u n d ist zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Entscheidung nach der N a t u r der Sache ein Zuendedenken des Sinngehaltes von Lebenstatsachen bedeutet 1 6 . Dieses Verfahren ist n u n nicht mehr ein „Glücksfall der I n t u i t i o n " , sondern „das Ergebnis einer streng rationalen Methode" 1 7 . Dieses Zuendedenken der S t r u k t u r e n des sozialen Lebens w i r d zunächst noch phänomenologisch verstanden. Das phänomenologische Denken ist aber noch k e i n Wertdenken, da ein innerer, logisch z w i n gender Zusammenhang zwischen den geschauten S t r u k t u r e n u n d den Werturteilen noch nicht nachgewiesen ist. So sagt auch Radbruch selbst, daß das Problem der Phänomenologie des Rechts ein anderes sei als dasjenige der Wertphilosophie des Rechts 18 , denn „die von dem posit i v e n Recht aufgestellten Sollensbestimmungen können m i t guten Gründen von den von der Phänomenologie ermittelten Seinsgesetzen abweichen" — oder w i e oben gesagt wurde, sie können sich ihnen sogar entgegenstemmen. Später 1 9 gelangt Radbruch i m Anschluß an das ideal14

Rechtsphilosophie § 2, S. 98. S. 99. 16 „Die Natur der Sache", S. 162; vgl. Erik Radbruch Rechtsphilosophie, S. 70. 17 Natur der Sache, S. 162. 18 Rechtsphilosophie § 3, S. 120. 19 Natur der Sache, S. 172. 15

Wolf, Einleitung, S. 12; und

D. Ontologische Aussagen über die Ehe

typische Verfahren Max Webers dazu, „aus der Welt der Wirklichkeit i n die Welt der Werte hinüber(zu)tasten, u m i n ihr die sinngebende Idee für diese empirische Erscheinung zu finden". Damit w i r d der Zusammenhang der Erscheinungen m i t den Werten bejaht, das phänomenologische Verfahren w i r d wertmäßig fundiert, eine Entscheidung durch die Werte hindurch nach der Natur der Sache taucht als ferne Möglichkeit auf. Das Verhältnis von Wert und Wirklichkeit muß aber noch enger geknüpft werden — und das geschieht m i t Hilfe der logischen Beziehung, i n der beide zueinander stehen. Die Idee des Hechtes ist bezogen auf den Stoff des sozialen Lebens. I n dem Leben des Menschen m i t anderen Menschen und m i t Gemeinschaften sollen Gerechtigkeit und die ihr zugeordneten Werte des Hechts „verwirklicht" werden — sie sollen also i n irgendeiner Weise i n die Wirklichkeit des Lebens eingehen. Dieser Vorgang ist aber nicht erklärbar, wenn zwischen beiden Bereichen ein unüberbrückbarer A b grund liegt. E i n von jenseits der Existenz kommendes, ein ihr i m Wesen fremdes Gesetz könnte allenfalls tyrannisieren, könnte aber keine Erfüllung von innen heraus, keine dem Leben angepaßte, vom Menschen frei bejahte Erfüllung finden. Eine erzwungene Wertdurchsetzung ist keine Wertverwirklichung, sondern eine Wertvernichtung. Etwas ganz anderes als ein fremdes, aufgezwungenes Gesetz zeigt die Erfahrung. Nicht fremd, sondern „natürlich" erscheint dem Menschen das Gesetz. Es verkörpert seine wahre Natur. Wäre der Mensch nicht von sich selbst entfremdet, durch die Sonderung der „Sünde" von seiner wahren Natur getrennt, dann stünde i h m gar kein Gesetz gegenüber. „Jedes gültige sittliche Gebot ist ein Ausdruck der essentiellen Beziehung des Menschen zu sich selbst, zu Anderen und zum Universum 2 0 ." I n dem Gesetz ist der Mensch selbst bestätigt und bewahrt. I m Handeln gegen das Gesetz übertritt er nicht nur ein abstraktes Gebot, sondern zerstört seine eigene Existenz. „Unrecht w i r d beschrien, während das Rechte geschieht, ohne daß viel Aufhebens davon gemacht zu werden pflegt", i n dieser Beobachtung drückt Fechner 21 die Entsprechung von Recht und Sein aus, und er fährt fort: „Die Selbstverständlichkeit', m i t der das Recht hingenommen wird, ist tiefer begründet und bestätigt den Charakter des richtigen Rechts als ,Seinsgerechtigkeit'. Das Rechte ist i n der Tat das Natürliche, Angemessene und damit Selbstverständliche, w e i l es sich aus der Sache versteht. Daß es zugleich dennoch auch etwas Erstaunliches ist, weil es dem Menschen anheim gegeben war, auch das Unrecht zu wählen, w i r d dabei allerdings oft übersehen." Das Gesetz steht also i n einer wesentlichen, i n einer essentiellen Beziehung zum Leben und damit zum Sein. Nicht ein Abgrund besteht 20 21

Tillich S. 79. S. 203 f.

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D. Ontologische Aussagen über die Ehe

zwischen Werten und Sein, sondern eine notwendige, eine ontologische Verbindung. Nur so ist es zu erklären, daß die Werte auf die Existenz einen Einfluß haben. Was sie als fremde Normierungen nicht bewirken könnten, das vermögen sie auf Grund ihrer seinsmäßigen Teilnahme an der Existenz. Aus dieser Teilnahme ergibt sich auch der für Kant noch unerklärliche verpflichtende Charakter und die unbedingte, wenn auch zunächst nur formale Gültigkeit des kategorischen Imperativs — dessen Inhalte geschichtlich bedingt sein mögen. Wenn aber das Wesen des richtigen Rechts i n seiner Seinsgerechtigkeit zu sehen ist, dann ergibt sich auch die Berechtigung einer seinsgerechten oder ontologischen Auslegung. Die Rechtswissenschaft hat das Verhältnis von Wert und Wirklichkeit erkannt — ebenso die grundsätzliche Notwendigkeit der Seinsbetrachtung als juristischer Methode. Die Frage des Rangproblems w i r d aber noch verschieden beantwortet. Radbruch hatte die Methode erst als i n t u i t i v abgelehnt, dann zwar bejaht, aber m i t der Einschränkung, daß die Natur der Sache „nicht etwas aus eigener K r a f t Geltendes, keine Rechtsquelle" sei 22 , sondern nur insoweit gelte, als eine Rechtsquelle ihr ausdrücklich oder stillschweigend Raum gewähre. Diese Warnung vor übereilter Anwendung der Natur der Sache ist berechtigt, da das Recht auf positiven Entscheidungen und greifbaren Bewertungen beruht, die nicht ohne Not durch einen Rückgang auf die Natur der Sache oder auf ein „natürliches Recht" erschüttert werden sollte. Die Beziehung auf den natürlichen Stoff kann dem Recht eine neue Wahrheit, eine besondere „Realität" verleihen, aber diese Beziehung bringt für sich allein keine höhere Geltungskraft m i t sich. Dennoch ist die Natur der Sache auch für Radbruch ein unentbehrliches M i t t e l der Auslegung und Lückenfüllung, wenn man „ f ü r die Regelung eines Lebensverhältnisses eine von dem konkreten Gesetzgeber gemeinte Idee nicht nachweisen kann, vielmehr genötigt ist, sich auf den „Gesetzgeber überhaupt", den Gesetzgeber i n abstracto zu berufen" 2 3 . Der französische Jurist Ellul sagt, es gebe ein natürliches Recht, das „Ausdruck eines gewissen natürlichen Gleichgewichts ist und gewissen natürlichen Erfordernissen des Menschen oder der Gesellschaft entspricht", eine zeitliche und zeitgebundene, fragmentarische Ordnung, die i n den Institutionen verkörpert ist, und die er „das Naturrecht als Phänomen" nennt 2 4 . Wie Radbruch kommt E l l u l zu dem Ergebnis, daß dieses natürliche Recht nicht normativ sein kann: „ W e i l es vielleicht der Natur entspricht, ist es wirklich noch nicht g e r e c h t . . . Die Natur des 22 23 24

N a t u r der Sache, S. 162. a.a.O. Die theologische Begründung des Rechts, S. 53, 79.

D. Ontologische Aussagen über die Ehe

Menschen ist böse, w e i l der Mensch von Natur Sünder ist. Was seiner Natur entspricht, kann also nicht recht sein 2 6 ." Dennoch steht dieses Recht i n einer engen, j a heilsamen Beziehung zum Leben des Menschen. Staat oder Ehe, so sagt Ellul, sind Daseinsweisen für den Menschen, die sich i h m genau so konkret aufdrängen, wie die Tatsache, daß er einen Leib hat. „Gewiß kann er seinen Leib schön und häßlich machen, er kann i h n gebrauchen oder zerstören — womit er freilich sein Leben zerstört! — Und ebenso kann der Mensch diese Institutionen verderben, er kann sie annehmen oder zerstören — womit er ebenfalls sein Leben zerstört 2 6 ." Diese Institutionen reichen zwar nach E l l u l zur Schaffung von Recht nicht h i n und es verbleibt der Rechtsbetätigung des Menschen beträchtlicher Spielraum. Sie sind aber für die Herausarbeitung der Rechtsordnung die festen Beziehungspunkte 27 . Ähnlich begreift Welzel das Verhältnis vom Recht zu den, wie er sagt, „sachlogischen Strukturen" 2 8 . Dieser Begriff deckt sich mit dem der Natur der Sache dann, wenn man diese weder entelechial noch normat i v auffaßt. Es gibt, so sagt Welzel, bestimmte „ontologische Grundgegebenheiten, an die jede denkbare Wertung gebunden ist und die darum jeder Wertimg feste Grenzen setzen". A m Beispiel der menschlichen Handlung macht Welzel klar, daß der Gesetzgeber nicht nur an die Gesetze der physikalischen Natur, sondern auch an „sachlogische Strukturen i m Objekt seiner Regelung" gebunden ist. Diese Strukturen könne kein Gesetzgeber der Welt abändern. Er könne sie wohl ignorieren, denn er brauche nicht an sie anzuknüpfen. Habe er eine solche Struktur aber übernommen, dann müsse das Rechtssystem konsequent darauf aufgebaut werden. Diese Strukturen seien daher „das bleibende Objekt der Rechtswissenschaft"; und Welzel fährt fort: „Sie bilden zwar kein geschlossenes System, wie das Naturrecht meinte, sondern durchsetzen punktförmig den ganzen Rechtsstoff und geben i h m den bleibenden Halt innerhalb der nur i m Hier und Jetzt zu treffenden Entscheidungen 29 ." Fechner spricht davon, daß der Gesetzgeber i n großen allgemeinen Aussagen die seinsgemäße Ordnung sichtbar werden lasse, daß aber auch der Richter „dem Einzelfall seine seinsgerechte Ausrichtung gibt"30. Sauer sagt, neben der Wert- bedürfe es der Seinsbetrachtung, an der es der Philosophie des deutschen Idealismus i n weiten Strecken gefehlt 25 26 27 28 29 80

S. 53. S. 58. S. 79. Naturrecht u n d materiale Gerechtigkeit, S. 197 f. S. 198. S. 218.

7 Greiff

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D. Ontologische Aussagen über die Ehe

habe. „Denn die Zielsetzungen, die Aufstellung regulativer Ideen, die Gestaltung von Gesetzen und Maßstäben geschehen nicht allein vom Menschen aus und als sein Erleben, sondern müssen auch den Dingen adäquat sein 3 1 ." Nach Coing kann eine gerechte Ordnung nie geschaffen werden, ohne eine Beachtung der i n der Natur der Sache liegenden Seinszusammenhänge 32 . Allerdings könne man aus der Betrachtung der Natur der Sache nicht die Einsicht i n eine geschlossene Ordnung gewinnen. Die Natur der Sache biete Ordnungselemente, aber keine Ordnung selbst. Die Feststellung der Strukturen enthebe uns nicht der Aufgabe, selbst wertend und ordnend einzugreifen. Coing meint daher, daß die Natur der Sache das Recht doch wieder auf Wertungen verweist, und sagt abschließend: „Die ,Natur der Sache' führt also ihrerseits auf eine sittliche Rangordnung zurück. Nur i n ihr kann die Gerechtigkeit die Maßstäbe finden, nach denen sie mißt 3 3 ." Obwohl auch Coing die beiden Ebenen der Natur der Sache trennt, nämlich die objektive Beschaffenheit der Sache und ihre immanente Ordnung, so ist doch hier zu fragen, ob das Verhältnis von Sein und Wert i n dieser allgemeinen Form richtig beschrieben ist. T r i f f t die Höherstellung des Wertes nicht nur für das empirisch erfaßbare, gegenständliche Sein (also für die erste Ebene der Natur der Sache) zu?, und gilt nicht für die andere Ebene (die der ontologischen Struktur) das umgekehrte Verhältnis, nämlich daß die Werte abhängig sind vom Sein? Wenn das zutrifft, und dahin geht die hier vertretene Auffassung, dann besteht eine Möglichkeit, die Werte hinter sich zu lassen i m Verfahren einer eigenständigen ontologischen Forschung. Zwar ist auch dann das Recht nicht an die so zu ergründende Ordnung einfach gebunden. Es behält als Menschenwerk die Freiheit. Aber diese Freiheit besteht i n der Wahl zwischen der seinsgerechten, heilsamen und der seinswidrigen, zerstörenden Regelung des Zusammenlebens. Stratenwerth geht über Coing hinaus, wenn er sich gegen die A u f fassung wendet, als könne das positive Recht i n seinen Wertungen nicht durch Seinsstrukturen gebunden werden, die ihrerseits wertfrei sind (auch wenn sie sich nur unter besonderen Wertgesichtspunkten aus der Masse der rein ontischen Daten herausheben) 34 . Diese Bindung zwischen Wert und Sachstruktur w i r d hier aber nicht ihrerseits seinsmäßig, sondern nur erkenntnismäßig begründet: Unter einem bestimmten Wertgesichtspunkt kommt der ontische Sachverhalt überhaupt erst i n den 31

S. 68. Rechtsphilosophie, 2. Aufl., S. 185. 33 1. Aufl., S. 129, 2. Aufl., S. 187. Ebenso Müller-Freienfels S. 68 f., obwohl er v o m Rechtsinstitut Ehe als Verbindung von Sein u n d Sollen spricht (S. 63). 34 Das Rechtstheoretische Problem der „ N a t u r der Sache" S. 24 ff. 32

D. Ontologische Aussagen über die Ehe

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Blick. Zuerst fällt die grundsätzliche Wertentscheidung, danach erst liegt die Seinsstruktur fest 35 . Da die Wertgesichtspunkte aber oft unbewußt bleiben, lassen sich nach Stratenwerth aus der Natur der Sache unmittelbar rechtliche Schlüsse ziehen. Durch diese Schlüsse „werden die i n den Sachen selbst liegenden Merkmale aufgedeckt, die unter dem vom positiven Recht unausgesprochen und meist sogar unbewußt aufgenommenen Wertgesichtspunkt bedeutsam sind" 3 6 . Die hier versuchte seinsmäßige Verknüpfung von Wert und Sein geht i m Prinzip über die Auffassung Stratenwerths hinaus, kommt aber zu den gleichen Ergebnissen. Die Auslegung aus den Seinsstrukturen soll ebenfalls die maßgebenden Wertgesichtspunkte „ermitteln". Stratenwerth behauptet ein prius der Wertentscheidung, die „unbewußt" vom Recht getroffen sei, die also jetzt nur i n das rechtliche Bewußtsein zurückzurufen wäre. Hier w i r d behauptet, es seien auch neue Wertentscheidungen oder -ausfüllungen i m Angesicht der gegebenen Strukturen, also posterior, auf Grund der ontologischen Gemeinsamkeit von Wert und Sein möglich — gerade i m Dienst der auch von Stratenwerth geforderten 37 Überwindung des neukantischen Dualismus von Sein und Sollen. Wahrscheinlich ist aber auch das kein tiefgreifender Unterschied, nämlich dann, wenn man annimmt, daß Erkenntnis eines Gegenstands eine letzte Seins Verbundenheit von Subjekt u n d Objekt voraussetzt, um einer sich anschließenden Erwägung vorzugreifen. Dann kann nämlich auch unter dem Wertgesichtspunkt nur das als Sachstruktur erkannt und vom übrigen Sein ausgesondert werden, was m i t i h m strukturgleich oder wesensverwandt ist. Als Ergebnis dieser Darstellung und Auseinandersetzung kann für das angeschnittene Rangproblem festgehalten werden, daß die empirische Methode ergänzt werden muß durch die axiologische und daß diese ihrerseits i n gewissen Fällen durch eine ontologische Methode vertieft werden kann. Es bedarf nun nur noch einiger Hinweise zur ontologischen Methode selbst. Wie schon bei der Darlegung der wertforschenden Methode, so können auch hier nicht entfernt alle dazugehörigen Probleme der Erkenntnistheorie behandelt werden. Es kann nur darum gehen, anzudeuten, daß es überhaupt eine Methode gibt. I m Anschluß an Fechner 38 ist davon auszugehen, daß weder die naturwissenschaftlich-empirische Methode i n Frage kommt, weil sie nur 35 S. 20. Insoweit sagt Maihof er (Die N a t u r der Sache, S. 155 A n m . 39) m i t Recht, Stratenwerth bleibe noch i m konsequenten Wertrelativismus, v o n dem Radbruch ausging. 36 S. 27. 37 S. 30. 38 Rechtsphilosophie, S. 286 ff. 7*

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D. Ontologische Aussagen über die Ehe

die vordergründigen Fakten der Umwelt „begreifen" kann, noch auch die einseitig aprioristische Denkweise, die ein „allgemein gültiges und denknotwendiges" System entwerfen w i l l , ohne dabei der durchaus nicht rationalen Rechts Wirklichkeit gerecht zu werden. Es gilt, „die Flachheiten des Empirismus und die Verstiegenheiten des Apriorismus gleichermaßen zu meiden" 3 9 . Das geschieht durch ein Vorgehen, das von der Erfahrung ausgeht und sich vermutend und vergewissernd i n Bereiche jenseits der Erfahrung vortastet, i m Wechsel von ratio und intuitio, i n der Mitte zwischen den Extremen der bloßen Aufklärung des Verstandes und der reinen Mystik: „Es knüpft an das Erfahrbare an und sucht von vorgefundenen Daten über die Erfahrung hinaus i n tiefere Schichten des Seins einzudringen, die unmittelbarem Zugang verschlossen sind. Die hierbei sich ergebenden Wahrscheinlichkeiten sind jeweils wieder an der Wirklichkeit des Erfahrbaren nachzuprüfen und auf die Härte ihres Wahrheitsgehaltes zu untersuchen, wobei sie entweder sich bewähren und zu neuer Erkenntnis hinleiten oder zu W i dersprüchen und Sinnlosigkeiten führen, die ihre Unhaltbarkeit dartun. I m Verzicht auf anfängliche Denknotwendigkeit und Allgemeingültigkeit w i r d der größere Spielraum des Fragens und die Möglichkeit der Korrektur gewonnen 40 ." Das intuitive Erfassen vermittelt das Erlebnis von „Wirklichem" ebenso wie das Rechtsgefühl. Ein solches Erlebnis ist aber ebenfalls Erfahrung, nur i n einer anderen Dimension. Es ist „metaphysische Erfahrung" 4 1 . I m letzten Grunde w i r d die hier mehr praktizierte als deduzierte Methode ihre Rechtfertigung ebenfalls i n einem ontologischen Bezug finden, auf den auch Fechner vermutend hinweist 4 2 . Marcie sagt 43 , i m Denken des Menschen w i r k e ein Ur-wissen jeder Erfahrung voraus. Dieses Vorauswalten sieht Hartmann 4 4 i n einer Gemeinschaft zwischen erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt, i n ihrer Einbettung i n eine gemeinsame Seinssphäre. Subjekt wie Objekt sind als Seiendes bedingt und bestimmt durch andres Seiende. Erkenntnis ist 39

S. 288. S. 288. 41 S. 289. Scheuerle meint, die von den Phänomenologen entwickelte u n d von Juristen seit den dreißiger Jahren angewandte Methode der Wesensschau entbehre der K l a r h e i t u n d damit der Evidenz, sie könne keine rechtsstaatlich-juristische Methode sein (S. 460 ff., 471). Er empfiehlt die offene Darlegung des Evidenzmangels u n d den Gebrauch der klassischen logischen Begründungsformen. Scheuerle argumentiert aber nicht philosophisch u n d läßt die Methode gelten f ü r rechtsphilosophische Gedanken (S. 470). Er übersieht, daß i n manchen Fällen der richterlichen Praxis eine — kritische — Rechtsphilosophie allein zur Gerechtigkeit des Einzelfalles führt. 42 S. 290. 43 U m eine Grundlegung des Rechts, S. 544. 44 Metaphysik, S. 310. 40

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dann aber „Bestimmung des Subjekts durch ein anderes Seiendes, das Objekt" 4 5 . Die Tatsache, daß Erkenntnis möglich ist, beweist eine Beziehung zwischen Erkennendem und Erkanntem 4 6 . Denn bei völliger Trennung beider i n beziehungslose Sphären wäre eine Erkenntnis nicht möglich. Subjekt und Objekt sind folglich „ontologisch homogen" 4 7 . Tillich bezeichnet die Gemeinschaft zwischen erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt als Einung trotz der zwischen beiden bestehenden Trennung 4 8 , als Partizipation 4 9 . Es partizipiert die ganze Existenz des Erkennenden an der Existenz des anderen. Erkenntnis w i r d zur Begegnung, sei es m i t einer Person, m i t der Geschichte oder einer geistigen Schöpfung. I n der Begegnung der so geforderten existenziellen Erkenntnis werden sowohl Objekt wie auch Subjekt verändert. Die i m Erkennen liegende „tätige Teilhabe am Wirklichen" schafft nach Fechner 50 Verwandlung und Fortentwicklung: „ I n diesem Vorgang intensivieren sich beide Pole." Die existentielle Erkenntnis des anderen führt zur Erkenntnis und Formung des eigenen Selbst, wie Klepper es durch die Ehe erfährt 5 1 . Hartmann beschreibt 52 die Bestimmung des Subjekts durch das Objekt so, daß das Objekt selbst nicht ins Subjekt übergeht und dort zum „ A b b i l d " wird, sondern daß das Objekt i n i h m mittelbar ein Erkenntnisgebilde bestimmt, welches dadurch zur Repräsentation des Objekts w i r d — also als ein reines ontologisches Bedingungsverhältnis, das den Gegensatz von Subjekt und Objekt nicht aufhebt, sondern nur überbrückt. Wie aber das Gesetz dieses Bedingungsverhältnisses beschaffen ist, sagt Hartmann, bleibt ein tief irrationales Problem, ja ein „unlösbares Restproblem" 53 . Der Anfang der Philosophie der Neuzeit liegt i n dem radikalen Zweifel an aller Objektivität und i n dem Rückgang auf das denkende Ich als unumstößlichen Ausgang aller Erkenntnis, liegt i n dem „cogito 45

Hartmann S. 312. Klepper spricht von der Möglichkeit, das Große zu erkennen, u n d fährt fort: „Etwas davon muß i n einem sein, sonst wäre diese Erkenntnis nicht möglich; es fragt sich nur, w i e verschüttet, verborgen u n d verlogen, geschwächt u n d v e r w i r r t u n d verfälscht dieses ,Große' i n einem ist" (Tagebuch v o m 15. 4.1934). 47 Hartmann S. 313. 48 Der M u t zum Sein, S. 91 f. 49 Systematische Theologie I, S. 115 f. 60 S. 290. 51 „ I m m e r mehr begreife ich den Symbolgehalt der Ehe: daß man sich selbst n u r erkennen, die Identität m i t sich n u r erlangen k a n n i n der völligen Auslieferung der ganzen Existenz an eine andere" (Tagebuch v o m 6.1.1935). 62 Metaphysik, S. 314 f. 58 S. 314. 46

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ergo sum" des Descartes 54 . Seitdem kann das Denken nicht mehr einfach beim Sein beginnen, sondern es muß vom Subjekt ausgehen. Diese „Subjektivität" begründete das Selbstvertrauen der ratio und leitete die ganze neuzeitliche Entwicklung der Wissenschaften ein. Zugleich aber wurde der Mensch entwurzelt. Die Selbstgewißheit der Vernunft wurde i m Bodenlosen gegründet, nachdem man den Boden der mittelalterlichen Philosophie verlassen hatte. Hinter diesem Schritt kann auch die moderne Philosophie nicht zurück. I h r Bemühen ist es aber, durch das Subjekt hindurch wieder zu einem tragfesten Boden, d. h. zu einer seinsmäßigen Verbindung zum Objekt zu gelangen, ohne die so fruchtbare Spannung zwischen beiden aufzuheben. Angesichts dieser Entwicklung spricht Marcic von einem Kairos der Philosophie 55 , von einem für sie glücklichen Zeitpunkt. Wenn die Philosophie jetzt vorsichtig tastend zu der Feststellung kommt, daß Erkenntnis als eine Bestimmung des Subjekts durch das Objekt nur möglich ist auf Grund eines gemeinsamen Seins von E r kennendem und Erkanntem, dann kann sie eine Bestätigung und Bekräftigung (keinen Beweis!) i n der A r t und Weise finden, i n der die (nun nicht mittelalterliche, sondern durch die Reformation hindurchgegangene) Theologie ihre eigene Erkenntnis begreift: Auch der Glaube ist vernunftmäßige Erkenntnis. „Der christliche Glaube ist nicht irrational, nicht antirational, nicht supra-rational, sondern recht verstanden rational 5 6 ." Aber die Annäherung an Gott gelingt nicht von der eigenen Vernunft, vom eigenen Ich her — i h m ist höchstens ein absolutes Wesen, ein „Ding an sich" begreiflich, das m i t Gott nichts zu t u n hat; sondern Erkenntnis geschieht, wenn Gott i n seiner eigenen Freiheit sich vernehmbar macht. „Gotteserkenntnis ist eine schlechterdings von ihrem Gegenstand, von Gott her gewirkte, bestimmte Erkenntnis. Aber gerade so ist sie echte Erkenntnis, gerade so ist sie i m tiefsten Sinne freie Erkenntnis 5 7 ." Auch hier ist also Erkenntnis „Bestimmung des Subjekts durch ein anderes Seiendes, das Objekt", wie Hartmann sagte, und erst recht ist sie Begegnung. Auch und gerade die religiöse Erkenntnis hat existenziellen Charakter 5 8 . Das gemeinsame Sein, auf dem diese Erkenntnis beruht, ist nun nicht die schöpfungsmäßige naturhafte Einheit von Mensch und Gott. Diese Einheit ist zerbrochen i m großen Fall des Menschen, eine „natürliche" Gotteserkenntnis 59 gibt es nicht. Diese Einheit w i r d aber wiederherge54

Meditationes de p r i m a philosophia — 1641. S. 512. 56 Barth, Dogmatik i m Grundriß, S. 24. 57 Barth, a.a.O., S. 25, Hervorhebungen v o m Verfasser. 58 Tillich, Systematische Theologie I, S. 115 f. 59 F ü r die sich z. B. die Enzyklika Papst Pius' X I I . „ H u m a n i generis" v o m 12. 8.1950 einsetzt. 55

Der natürliche Tatbestand der Ehe

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stellt durch die Versöhnung i n Christus 60 , durch i h n erhält der Mensch wieder Teil an der göttlichen Natur, durch i h n w i r d die Erkenntnis Gottes möglich, wie es 2. Petr. 1, Vers 3 und 4 heißt: „nach dem allerlei seiner göttlichen Kraft, was zum Leben und göttlichen Wandel dient, uns geschenkt ist durch die Erkenntnis des, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Tugend, durch welche uns die teuren und allergrößten Verheißungen geschenkt sind, nämlich, daß ihr dadurch teil« haftig

werdet

der göttlichen

Natur

..

Philosophie und Theologie, die sich m i t gleicher Schärfe vom mittelalterlichen Weltbild gelöst haben, schwingen i n der Frage der Erkenntnis i n den gleichen Rhythmus ein. Was dem Philosophen ein „unlösbares Restproblem" blieb, nämlich das Gesetz des ΒedingungsVerhältnisses von Subjekt und Objekt oder Mensch und Sein, ist dem Theologen offenbar, sobald er zugleich Christologe ist. Aus diesen Erwägungen ergibt sich also, daß eine juristische Interpretation nicht unbedingt bei den Werten ihren Abschluß findet, sondern daß es möglich und zuweilen erforderlich ist, fragend durch sie hindurch bis zu den seinsmäßigen Grundlagen vorzustoßen, um aus ihnen Gewißheit über die anzuwendenden Werte zu gewinnen — oder auch um neue Werte schöpferisch entstehen zu lassen. Einer wertforschenden oder axiologischen schließt sich daher als letzte Methode eine die seinsmäßigen Grundlagen betrachtende oder ontologische an.

Der natürliche Tatbestand der Ehe Wenn also jetzt der natürliche Tatbestand der Ehe erforscht werden soll, so sieht sich diese Aufgabe großen Schwierigkeiten gegenüber. Denn der natürliche Ehetatbestand ist verdeckt und überlagert durch eine jahrtausendealte K u l t u r , durch eine soziologische Schicht, die sich nicht einfach den natürlichen Gegebenheiten angepaßt, sondern eigengesetzliche Formen entwickelt hat. Es wurde oben auf die Entwicklung hingewiesen, die die Ehe zur alleinigen Ordnung des Geschlechtsverhältnisses machte und das Konkubinat seiner früheren Rechte entkleidete 61 . Diese unterschiedliche Bewertung war nicht durch die natürliche Grundlage bestimmt, da Ehe und Konkubinat als ursprüngliches Geschlechtsverhältnis gleichwertig waren 6 2 , sondern eine neue religiös 60 Wenn Hans Urs von Balthasar unter analogia entis „die i n Christus ein f ü r allemal erwiesene Vereinbarkeit göttlicher u n d geschöpflicher N a t u r " versteht ( „ K a r l B a r t h " S. 394), dann t r i t t er innerhalb des katholischen Denkens i n deutliche Polarität zu der Bewertung der Vernunft nach der zitierten Enzyklika. 61 s. oben bei der soziologischen Betrachtung der Ehe. 62 Vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie § 20, S. 249.

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D. Ontologische Aussagen über die Ehe

geprägte Eheauffassung hatte sich Geltung erzwungen. Man müßte also diese Differenzierung rückgängig machen, um auf die gemeinsame Grundlage zu stoßen. Ebenso müßten viele andere kulturbedingte Ausprägungen der Ehe zurückgeführt werden auf ihre natürliche W u r zel. Nicht alle Merkmale, die sich als naturgemäß und ursprünglich geben, haben überhaupt diesen Zusammenhang m i t dem Natürlichen. So weist Schelsky bei der Untersuchung des Unterschiedes der Geschlechter nach, daß die meist für natürlich angesehenen Geschlechtsunterschiede i m wesentlichen eine „soziale Superstruktur" darstellen, während die w i r k l i c h vorhandenen biologischen Unterschiede dagegen verhältnismäßig belanglos sind 6 3 . Es w i r d sich daher jedenfalls nur ein sehr elementarer, karger Begriff der natürlichen Ehe ergeben 64 , wenn man ihn überhaupt noch ergründen kann. Der Weg zu i h m führt zurück i n den dunklen Anfang der Menschheitsgeschichte oder, w i l l man den Weg unhistorisch verstehen, zu der Frage nach den Grundstrukturen des Lebens. Er w i r d uns zwar erhellt durch einige wenige große Bilder und Worte i m Schöpfungsbericht der Bibel. Doch reichen auch diese Aussagen nicht aus, um einen vollständigen Eindruck von den seinsmäßigen Grundlagen der Ehe zu gewinnen. Deshalb wurde es oben 65 auch abgelehnt, die christliche Ehe aus der Schöpfungsordnung zu begründen, und zwar nicht deshalb, weil es eine Schöpfungsordnung und ein ursprüngliches Sein der Ehe nicht gäbe, sondern w e i l die Gefahr zu groß ist, daß spätere kulturbedingte Züge unbewußt i n sie hinein verlegt werden. Brunner unternimmt den Versuch, die monogame Ehe i n der göttlichen Schöpfungsordnung zu begründen. Seinen Voraussetzungen dafür ist noch zuzustimmen: „Jede Schöpfungsordnung ist eine dem Geschaffenen mitgegebene Ordnung, die durch die Sünde wohl verdeckt und außer acht gelassen, aber nicht aufgehoben werden kann, eine Ordnung, die auch vom ,natürlichen 4 Menschen irgendwie gewußt, wenn auch nicht recht erkannt werden kann, sondern erst dem Glauben nach ihrem wahren Sinn sich erschließt 66 ." Aber schon seine Folgerungen sind angreifbar, wenn er etwa aus der schöpfungsmäßigen Dreiheit von Vater, Mutter und K i n d und aus deren einzigartiger Verbunden68

Sexualität, S. 16 ff. Daher hat Larenz recht, w e n n er davor warnt, von der N a t u r der Sache zu v i e l zu erwarten: „Sie gibt zumeist doch n u r den allgemeinen »Rahmen1 u n d die ,Grundzüge' einer Ordnung her" (Wegweiser, S. 291). Ä h n l i c h sagt Henkel (S. 383), k a u m je dürfte die E i n w i r k u n g der N a t u r der Sache auf die Rechtsetzung den Charakter einer totalen Determinierung der Rechtsregel aufweisen, u n d (S. 384), die B i n d u n g des Normgebers an die i m Regelungsstoff enthaltene N a t u r der Sache könne n u r fragmentarischen Charakter haben. 65 Bei der evangelischen Auffassung der Ehe. M Ethik, S. 329. 64

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heit darauf schließt, daß nur ein Mann m i t einer Frau verbunden sein soll i n der Einehe 67 . Denn so wie m i t jedem K i n d derselben Ehe diese Dreiheit i n anderer Konstellation wiederholt wird, so könnte sie auch m i t einem anderen Ehepartner wiederholt werden. Man müßte dann schon die „natürliche" Aufgabe der Eltern hinzunehmen, das K i n d zu erziehen und es i n einer Familie zu schützen, um eine Kontinuität herzustellen. Aber abgesehen davon, daß dann die Einehe nur bis zur Reife des Kindes nötig wäre, ist diese Begründung auch deshalb nicht zwingend, weil eine Gesellschaftsordnung auch die Verantwortung für das K i n d nur einem Elternteil übertragen oder gar selbst übernehmen könnte 6 8 , worauf Soe hinweist 6 9 . Es ist jedenfalls problematisch, die Einehe vom K i n d her zu begründen, da sie doch auch ohne das schon als solche bestehen soll. Daher hat der Gesichtspunkt der geschlechtlichen Liebe, den Brunner als zweiten Hinweis auf die Einehe heranzieht, schon mehr Gewicht. Er sagt, die menschliche Liebe ist ihrem Wesen nach „monistisch". Starke und echte Liebe wisse, daß ihre Verbundenheit von unbegrenzter Dauer sei. Hier aber sind die Einwände zu erheben, die schon oben 70 auch von Brunner selbst der Begründung der dauernden Einehe aus dem erotischen Bewußtsein entgegengehalten wurden. Es bedarf weiterer Kräfte, u m die Liebe zu erhalten, denn von Natur ist sie auch wandelbar. So sagt Soe m i t Recht, daß die Liebe „nicht i n ihrer natürlichen Gestalt, sondern wie sie i m Licht der neutestamentlichen Liebesbotschaft gelebt und gestaltet w i r d " , die Grundlage für die Ehe sei 71 . „Der natürliche Befund", so sagt er an anderer Stelle, „weist gewiß dunkel auf das hin, was der christliche Glaube fordert, aber wenn er zur Achtung vor dem monogamen Charakter der Ehe ruft, t u t er das nicht von diesen Erwägungen aus" 7 2 . Das Wesen der Ehe zeigte sich i m Evangelium von Jesus Christus. Damit w i r d aber der Rückgriff auf die Schöpfungsordnung für den christlichen Glauben entbehrlich 73 . Führt also der Weg der Ontologie überhaupt nicht weiter, da sich das Sein der Ehe dem erkennenden Zugriff entzieht? A u f diese Frage ist zu antworten, daß die ontologische Betrachtung auch dann von Wert ist, wenn sie zwar nicht bis zu einem sicheren positiven Ergebnis führen sollte, wenn sie aber auf ihrem Wege dorthin i n negativer Weise dadurch Klarheit schafft, daß sie ontologisch falsche Bilder von der Ehe beseitigt. 67 68 69 70 71 72 73

S. 330. Nicht i m Geltungsbereich der A r t . 6 I I GG. S. 294. Bei der psychologischen Betrachtung der Ehe. S. 294. S. 284. Barth I I I / 4 , S. 224.

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Es ist eine verbreitete Anschauung, daß der Ehebruch die Ehe entgegen fortbestehenden Liebesempfindungen und menschlichen Verpflichtungen doch faktisch, i n ihren tatsächlichen Grundlagen, aufhebe. Rilk weist darauf hin, daß das „Volksempfinden" m i t dem Wort Ehebruch den Begriff der bereits erfolgten Eheauflösung verbinde, die dann durch das Scheidungsurteil nur bestätigt werde, und macht sich diese Auffassung zu eigen 74 . Auch i n der Entscheidung des B G H i n Band 18 Seite 190, die freilich schon die Bedeutung der subjektiven Seite für das Recht der Ehescheidung sieht, findet sich diese Auffassung, wenn es heißt: „Es ist allerdings geboten, daß der objektiv ehezerstörende Charakter des Ehebruchs i n der Rechtsordnung eindeutig gekennzeichnet wird." Dies ist ein Argument, das nicht aus dem Bereich des mit Sinnen Erfahrbaren kommt, da ja der Ehebruch — anders als etwa die dauernde mutwillige Trennung — an dem äußeren Bestand der Ehe nichts ändert. Er läßt anscheinend alles beim alten. Eine etwa empfundene Ä n derung i m Verhältnis der Gatten ist nicht sichtbar, sie betrifft eine tiefere Daseinsschicht. Der Gedanke der faktischen Zerstörung der Ehe kommt auch nicht aus dem Bereich der Werte. Denn die Werte der Ehe zeigen sich auch für die konkrete betroffene Ehe gerade als beständig, Sie sind ja Anweisungen zum Handeln und lassen sich nicht einfach außer Kraft setzen. W i r d gegen die Gebote verstoßen, dann stellt sich die Frage der Verzeihung m i t sittlichem Ernst. Das Argument der objektiven Zerstörung kommt aber aus dem Bereich des Seins. Es ist das dunkle Wissen davon, daß die Ehe jenseits aller sichtbaren Umstände und anerkannten Werte auf seinsmäßigen Grundlagen ruht, die dem menschlichen Willen nicht verfügbar sind, bei deren Zerbrechen die Fortsetzung der Ehe selbst bei gutem Willen nicht möglich ist.

Ontologisch falsche Bilder von der Ehe Auch ohne bereits über einen positiven Begriff vom Sein der Ehe zu verfügen, kann gesagt werden, daß die Auffassung von der objektiven Ehezerstörung auf drei ontologisch falschen Überlieferungen beruht. Die eine davon ist die alte Anschauung, wonach die Ehe dem Mann ein einseitiges Recht zum Besitz der Frau verschafft. Sie spiegelt sich deutlich wider i m A l t e n Testament. Das Alte Testament kennt den Ehebruch nur als Angriff auf die Rechtsstellung des Mannes. Ehebruch war stets die Handlung eines Mannes m i t einer verheirateten Frau, nicht auch die eines verheirateten Mannes mit einer ledi74

Rilk § 47, S. 208; ebenso Eiert, Das Christliche Ethos §14, 2; 4.

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gen Frau, wie sich aus Levit. 20, 10 ergibt: „Wer die Ehe bricht m i t jemandes Weib, der soll des Todes sterben, beide Ehebrecher und Ehebrecherin, darum daß er mit seines Nächsten Weibe die Ehe gebrochen hat." Noch deutlicher heißt es i n Deut. 22, 22: „Wenn jemand gefunden wird, der bei einem Weibe schläft, die einen Ehemann hat, so sollen sie beide sterben, der Mann und das Weib, bei dem er geschlafen hat." Für den Mann ist also Ehebruch stets Brechen einer fremden Ehe. Hinsichtlich der eigenen Ehe konnte nur die Frau für Ehebruch bestraft werden. „Ehebruch bedeutet beim Manne ,Einbruch' i n fremdes, bei der Frau ,Ausbruch' aus eigenem Besitz Verhältnis", sagt Gloege 1 . Die Strafe w a r Todesstrafe, das Verfahren der Steinigung zeigt Hes. 16, 38 - 40. Es w i r d aktuell i n Joh. 8, 3 - I I 2 , wo die Pharisäer ein i m Ehebruch ertapptes Weib vor Jesus bringen m i t den Worten: „Meister, dies Weib ist ergriffen auf frischer Tat i m Ehebruch. Mose aber hat uns i m Gesetz geboten, solche zu steinigen; was sagst du?" Die Rechtsstellung des Ehemannes ist nach dem A l t e n Testament nicht als Ausfluß eines übergeordneten Rechtsbegriffs Ehe, sondern als Individualrecht zu verstehen. Das Gebot: „ D u sollst nicht ehebrechen" steht zwischen den Geboten über Mord und Diebstahl 3 . Es sagt mehr aus über den Schutz eines Rechtes (des Mannes) als einer Institution (der Ehe). Dieses Individualrecht war der Besitz. Die Ehe wurde unter besitzrechtlichen Bedingungen geschlossen, und zwar i n der Form des Brautkaufes. Der Mann w i r d Besitzer, die Frau sein Besitz 4 . Aber nicht nur i m alttestamentlich semitischen Rechtskreis, auch i m römischen Recht und i n den germanischen Formen der Kauf- und Raubehe wurde das Objekt des Ehebruchs i n dem Recht des Ehemannes auf die geschlechtliche Treue seiner Frau gesehen5, auch da w a r die Ehe ein Besitzverhältnis. Diese Auffassung der Ehe als Besitzrecht legt den Gedanken des Ehebruchs als Besitzraub und Rechtsverlust, als Diebstahl und somit räumlich-reale Trennung und gründliche Zerstörung der Ehe nahe. Luther sagt: „Der Ehebruch ist der größte Raub und Diebstahl auf Erden. Denn er gibt den lebendigen Leib dahin, der nicht sein ist, und n i m m t auch einen lebendigen Leib, der ebenso nicht sein ist" 6 , sondern, so ist zu ergänzen, jeweils dem anderen Ehegatten gehört. Ob dieser 1

S. 337. Diese Stelle gehört zwar nicht zum Originaltext des Johannes-Evangeliums, ist jedoch nach F o r m u n d I n h a l t alte Überlieferung — Greeven S. 112 A n m . 8; Gloege S. 343 A n m . 15. 3 Ex. 20, 13 - 15. 4 Gloege S. 337. 5 Lebedkin S. 7. 6 W A 12, 101. 2

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Gedanke der schweren Zerstörung die harte Strafe der Tötung nach sich gezogen hat oder ob die Todesstrafe erst das B i l d der Zerstörung nachträglich vollendet hat, w i r d sich kaum noch feststellen lassen. Später hat die Tatsache der Strafen jedenfalls auf die Beurteilung des Ehebruchs zurückgewirkt. So w u r d e von verschiedenen frühkirchlichen Schriftstellern und Synoden gefordert, daß der Ehebrecher wegen der öffentlichen Strafen aus der Ehe entlassen werden müsse 7 . Teilweise wurde bestimmt, daß ein K l e r i k e r sein A m t verlor, w e n n er seine des Ehebruchs schuldige Frau nicht verstieß 8 . So konnte eine regelrechte Scheidungspflicht entstehen. Eine ähnliche Scheidungspflicht kannte auch das römische Recht 9 . Luther beruft sich auf das alttestamentliche Gebot, den Ehebrecher zu töten, und sagt 1 0 : „Wer seine Ehe bricht, der hat sich schon selbst geschieden und ist für einen toten Menschen zu achten." U n d ferner: „Denn Gottes Gebot u r t e i l t u n d straft den Ehebruch m i t dem Tode. D a r u m so ist ein Ehebrecher schon durch Gott selbst u n d sein W o r t geschieden von seinem Gemahl, w e i l es nicht ohne Gottes W o r t geschieht 11 ." A n der zuvor zitierten älteren Stelle gibt L u t h e r sogar zu seiner Zeit noch der Obrigkeit das Recht, den Ehebrecher m i t dem Tod zu bestrafen. M i t dem Tod des Ehebrechers ist aber seine Ehe auf natürliche Weise geschieden. Luther begründet also die faktische Aufhebung der Ehe m i t dem alten Gebot der Todesstrafe. Daher findet sich bei L u t h e r der Gedanke, daß auch der einmalige Ehebruch ein meist unwiderrufliches Verhängnis 1 2 u n d schlechterdings ehezerreißend sei 1 3 . Auch L u t h e r steht somit noch i n der Tradition des alttestamentlichen Denkens. War der Ehebruch ein A n g r i f f auf die Besitzstellung des Mannes, so war die Ehescheidung nach dem frühesten Recht eine A r t Besitzverzicht: 14. Der M a n n hatte das alleinige Recht, die Frau zu verstoßen. Es ist möglich, daß sich die Verstoßungsformel noch i n Hosea 2 Vers 4 erhalten hat: „Sie sei nicht mein Weib, u n d ich w i l l sie nicht haben!" Erst die spätere Gesetzgebung hat die F o r m der Scheidung erschwert 1 5 : „ W e n n jemand ein Weib n i m m t und ehelicht sie und sie nicht Gnade findet vor seinen Augen, w e i l er etwas Schändliches an i h r gefunden hat, so soll er einen Scheidebrief schreiben und i h r i n die Hand geben und sie aus seinem Hause entlassen." Aber auch die Vorschrift des 7

Linneborn § 54 I. Linsser S. 140. 9 Lex Julia de adulteriis D 48, 5. 10 V o m ehelichen Leben, W A 10 I I , 289 (1522). 11 Von Ehesachen, W A 30 I I I , 241 (1530). 12 Lähteenmäki S. 70. 13 Sprengler S. 166. 14 Bardte, i n : Ev. Kirchenlexikon Ehe I I i m AT. 15 Deut. 24,1. 8

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Scheidebriefs ist eine völlig einseitige Befugnis des Mannes und kennzeichnet die Frau als Rechtsgut des Mannes. Noch K a n t kann für die Auffassung von der Ehe als Besitzrecht zitiert werden. I n der Metaphysik der Sitten beschreibt er die Ehe i m Anschluß an die schon erwähnte Definition der Ehe als „lebenswidrigen wechselseitigen Besitzes" der Geschlechtseigenschaften 16 zugleich als persönliches wie als dingliches Recht. Und das „gründet sich darauf, w e i l wenn einer der Eheleute sich verlaufen oder sich i n eines anderen Besitz gegeben hat, das andere es jederzeit und unweigerlich gleich als eine Sache i n seine Gewalt zurückzubringen berechtigt ist" 1 7 . Die Subjekt—Objekt-Beziehung ist hier ausgedehnt auf Gegenseitigkeit. Das der Menschenwürde Widerstreitende an dieser Auffassung w i r d erkannt. K a n t gleicht es durch eine ungenügende Konstruktion aus, indem er sagt: „ N u r unter der einzigen Bedingung ist dies möglich, daß, indem die eine Person von der anderen gleich als Sache erworben wird, diese gegenseitig wiederum jene erwerbe; denn so gewinnt sie wiederum sich selbst und stellt ihre Persönlichkeit wieder her." A u f der Grundlage dieser alten Anschauung, daß der Ehebruch die Todesstrafe nach sich zieht, w e i l er das Besitzrecht des Ehemannes zerstört hat, ist es nur folgerichtig, dem Ehebruch eine objektiv ehezerstörende W i r k i m g beizumessen. Eine Ehescheidung ist dann nicht mehr notwendig. Wenn der Besitzverlust schon durch den Ehebruch eingetreten ist, bedarf es keines Besitz Verzichtes mehr! Darum gibt es den Ehebruch als Scheidungsgrund nicht i m Alten, sondern erst i m Neuen Testament, als Ausdruck des völlig neuen Denkens. Luthers gerade zitiertes Wort verrät noch das alte Denken — auch bei i h m erscheint eine Scheidung als nicht erforderlich, da sie schon durch Gottes Wort von der Todesstrafe vollzogen ist. Aus dem wirklichen Tod des Ehebrechers ist der moralische Tod geworden, der die Ehe i n derselben Weise aufzulösen vermag. Die Theologie der Ostkirche hat an dieser Gleichstellung festgehalten 18 . I m protestantischen Kirchenrecht ist man allerdings dann zur begrifflichen Anerkennung der Scheidung gelangt. Jesus selbst hat den Weg zum neuen und richtigen Verständnis gewiesen. A u f die Frage der Pharisäer, ob das i m Ehebruch ertappte Weib nach altem Gesetz gesteinigt werden dürfe 1 9 , sagt er: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie." Die umherstehenden Pharisäer hatten sicher noch keinen Ehebruch begangen. Aber sie fühlten sich der kleineren Sünden gegen die Ehe schuldig, die vor 16 17 18 19

§ 24, S. 277. § 25, S. 278. Linsser S. 46. Joh. 8, 3 - 1 1 .

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Jesus alle gleich schwer wiegen 2 0 . So heißt es i n Vers 9: „Da sie aber das hörten, gingen sie hinaus, von ihrem Gewissen überführt, einer nach dem anderen . . Λ Jesus hebt damit die Todesstrafe auf. Er läßt zwar den Ehebruch als Sünde stehen (vgl. Vers 11) aber er nimmt i h m seinen besonderen, seinen eheauflösenden Charakter. Auch hier verlegt Jesus das äußere Gesetz i n das Innere des Menschen. Nicht i n der Tat, i m Herzen entscheidet sich's, ob eine Ehe gebrochen oder gehalten wird. I m modernen Denken ist die Vorstellung von der endgültigen Zerstörung des Besitzes wie von der endgültigen Strafe des Todes verblaßt. Geblieben ist aber die nachwirkende Erinnerung daran, daß der Ehebruch etwas Endgültiges bewirke. Diese Erinnerung w i r d gespeist von den Uberlieferungen, die, wie man heute weiß, falsch sind. Die Ehe als Besitzrecht des Mannes ist Teil eines gänzlich vom Mann her konstruierten Weltbildes, i n dem unter seine verschiedenen Eigentumsrechte auch die Frau eingeordnet werden konnte. Der Mensch erkannte aber, daß die Welt, die er sich Untertan machen wollte, nicht nur aus Gegenständen und Rechtsgütern bestand, sondern daß i h m i n dieser Welt der andere Mensch als personhaftes Gegenüber, daß dem Ich das D u begegnete. Damit wurde aber zugleich die Ehe aus einem, wenn auch patriarchalisch gemäßigten, so doch objektivierten Rechtsverhältnis i n eine subjektiv begründete Beziehung von Mensch zu Mensch gehoben. Das „Sein" der Ehe ist zwar noch nicht klar zu erkennen, aber soviel kann schon gesagt werden, daß es nicht gegenständlich-äußerliche Rechtsbindung zwischen Mann und Frau ist, sondern subjektiv-innerliche Bindung, unmittelbare Beziehung zwischen Subjekt und Subjekt, die begleitet w i r d von einer ursprünglichen Anziehungskraft. Diese Subjekt—Subjekt-Beziehung ist aber unvergleichbar m i t jeder Subjekt—Objekt-Beziehung. Der gegenständliche Besitz mag durch Bruch und Wegnahme des Besitzes verloren gehen. Die Ehe aber kann nur dadurch zerstört werden, daß die intersubjektive Spannung außer K r a f t gesetzt w i r d . Das kann geschehen zugleich m i t einer Ehebruchshandlung, braucht es aber bei weitem nicht. Dadurch, daß sich ein Subjekt ein Stück weiter vom anderen entfernt, hört die Anziehungskraft zwischen ihnen noch nicht auf. Wenn man die Ehe so versteht, w i r d es verständlich, daß sie tatsächlich i m Leben so viele kleine wie große Trennungen überdauert. Ehe ist eine i n veränderlicher Spannweite erlebte K r a f t — nicht ein starres Rechtsverhältnis. I n der rationalistisch verwandelten Vorstellung von der Ehe als Vertrag und vom Ehebruch als Vertragsbruch i n der Zeit Pufendorfs bis h i n zu K a n t werden die Ehepartner bereits als Subjekte anerkannt 2 1 . 20 21

Piper S. 247. Vgl. Albrecht S. 65.

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Trotz ihrer Einseitigkeiten hatte diese Lehre schon einen richtigen Kern. Denn sowenig eine wenn auch schwere Vertragsverletzung den Vertrag selbst aufhebt, sowenig w i r d die Ehe durch den Ehebruch aufgehoben. Die Verletzung gibt allenfalls einen Anlaß zur Lösung, ist aber keinesfalls selbst „faktische" Aufhebung des Vertragsverhältnisses. I n der Sprache der Bibel ist die Ehe ein Bund wie der Bund Gottes m i t den Menschen. Für die Ehe als Bund gilt aber ganz entsprechend der Satz: „Der Bundbruch hebt den Bund nicht einfach auf 2 2 ." Eine andere Tradition, die zu der Annahme einer faktisch ehezerstörenden Wirkung des Ehebruchs geführt hat, und die schon größere ontologische Wahrheit, daneben aber auch gefährliche Einseitigkeit enthält, ist die mittelalterliche Betonung der physischen Seite an der Ehe, ist die Betonung des Geschlechtlichen. Sie zeigt sich namentlich i n der Frage der Ehebegründung. Der ersten geschlechtlichen Vereinigung der Ehegatten wurde große Bedeutung eingeräumt, besonders i n der gallikanischen Lehre. Ihre Auseinandersetzung m i t der strengen Konsenstheorie wurde oben 23 geschildert und auch das Ergebnis, wonach die copula für den E i n t r i t t der Sakramentsnatur der Ehe, aber auch für die endgültige Unscheidbarkeit ihre Bedeutung behielt. E i n Verlöbnis w i r d nach kanonischem Recht durch sie zur unlöslichen Ehe 2 4 . K a n t sagt 2 5 : „Der Ehevertrag w i r d nur durch eheliche Beiwohnung (copula carnalis) vollzogen." Es bleibt also bis i n die Neuzeit hinein die Vorstellung lebendig, daß der A k t des ersten Beiwohnens für das objektive Geschehen von Ehebegründung und Sakramentseintritt eine entsprechend objektive Wirkung entfalte. Dieser A k t w i r d herausgehoben und vereinzelt aus dem Fluß des Lebens i n einer positiven, fast magischen Wirkkraft. Es bedarf dann nur der Umkehrung dieses Gedankens, um den Ehebruch als ebenso vereinzelten A k t von physisch gleicher Natur dem ersten positiven A k t als negativen, die Wirkμng des ersten aufhebenden, rückläufigen A k t gegenüberzustellen. Aus dem Glauben an den objektiv ehebegründenden Geschlechtsakt w i r d die korrespondierende Vorstellung von der objektiv ehezerstörenden Ehebruchshandlung genährt. Hier findet sich ihre zweite verborgene Wurzel. Ebenso wie die Vorstellung von der Ehe als Besitz Verhältnis, ist die auf der Geschlechtsgemeinschaft aufbauende Deutung eine ontologische Aussage. Beide befassen sich nicht m i t dem, was Ehe sein soll, sondern m i t dem, was Ehe „ist". Zum Unterschied zur ersten bekommt die zweite Deutung aber bereits das Verhältnis von Person zu Person i n den Blick: Sie bezeichnet die 22 23 24 25

Dombois S. 51. Bei der römisch-katholischen Auffassung. Jetzt Cod. Jur. Can. can. 1118 ff. Metaphysik § 27, S. 279.

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zwischen ihnen bestehende Anziehungskraft als Geschlechtsliebe und als ihr Ziel die geschlechtliche Vereinigung. Darin findet sich eine tiefe Wahrheit. Die Ehe ist nicht nur Beziehung von Mensch zu Mensch wie viele andere Beziehungen auch. Sie beruht nicht nur auf gegenseitiger Anziehungskraft wie die Freundschaft auch, sondern sie schafft einen leiblichen Tatbestand, der nur noch vergleichbar ist dem Blutzusammenhang zwischen Eltern und Kindern 2 6 ; als Seinsgefüge der Ehe ist die leibliche Einheit anzusehen: „ U n d sie werden sein ein Fleisch". Auch W o l f 2 7 kommt zu einem wesentlich auf die Geschlechtsgemeinschaft gegründeten Begriff der Ehe. Die Ehe ist, so sagt er, „eine U r verbindung von Mann und Frau zu natürlicher Wesenserfüllung und Gemeinschaft, eine auf letzter Selbsthingabe beruhende Tiefenverschmelzung der Körper und Seelen, deren Inhalt u n d Gestalt i m geschlechtlichen Wesen der Gatten angelegt ist". Auch Wolf befindet sich damit auf dem Boden der Ontologie. Das zeigt sich an Worten wie „Wesenserfüllung" und „Tiefenverschmelzung". Das Wesen des Menschen ist nicht naturwissenschaftlich erschöpfend zu beschreiben. Seine Tiefe ist nicht auszumessen. Die Verschmelzung zweier Tiefen ist kein objektivierbarer Vorgang. Sie ist auch keine psychologisch-empirische Tatsache. Das an sich sehr inhaltsreiche Wort „Tiefenverschmelzung" muß dem Naturwissenschaftler und auch dem Psychologen ein reines B i l d ohne jede Verbindlichkeit bleiben. Soll dieses B i l d zu einem gültigen Begriff von der Wirklichkeit werden, dann muß man zurückgreifen auf die zutiefst persönliche Evidenz, auf die jede sinnliche Erfahrung hinter sich lassende innerliche, über-sinnliche oder metaphysische Erfahrung 2 8 . Auch andere Worte erweisen sich als ontologische Redeweise, nämlich, wenn sich nach Wolf aus den „natürlichen Tatsachen" und aus dem „tatsächlichen Sein der ehelich verbundenen Menschen" „bei richtiger Auswertung" ergibt, „daß i m Wesen des Menschen die Einehe vorgezeichnet ist" 2 9 , als „natürliche, aller Vielgestaltigkeit zugrunde liegende Ordnung" 3 0 . Der Schluß vom Phänomen der Einehe auf eine „natürliche Ordnung" der Einehe ist, wenn damit mehr als eine statistische Bilanz gemeint ist, kein wissenschaftlich zwingender, sondern ein metaphysischer Schluß. Unseres Erachtens bleibt die seins2e

Eiert, Das christliche Ethos, § 14, 2. Wolf / Luke / Ha χ S. 277. 28 Vgl. dazu oben die Darlegung der ontologischen Methode. Gegen die mißverständliche Verwendung des Wortes „empirisch" bei Wolf s. oben zum kausalen Rechtsdenken. Auch Raiser sagt i n seiner Besprechung (Zeitschr. f. ev. Kirchenrecht 1960, S. 318), Wolfs Begriff der Ehe könne offenbar nicht „naturalistisch", sondern n u r „anders" gemeint sein. Dies „anders" sieht Raiser i n der Nähe der Institutionenlehre. Richtiger ist es w o h l ontologisch zu verstehen. 29 S. 277. 80 S. 278. 27

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mäßige Fundierung der Monogamie unsicher. Deshalb kommt der ethisch begründeten Forderung der Einehe erhöhte Bedeutung zu. Denn tatsächlich deckt sich die Sphäre der Werte und des idealen Seins nicht mit der Sphäre des realen Seins. Es gibt nach Hartmann „ganze Teile der idealen Sphäre, denen kein reales Sein entspricht"; und „die ideale Sphäre enthält mehr Möglichkeiten als die reale" 3 1 . Man w i r d sich daher i n einigen Fragen m i t wertbestimmten Antworten begnügen müssen, w e i l eine seinsmäßige Fundierung nicht ersichtlich ist. Ist also die Einheit des Fleisches das ontologische Wesen der Ehe, so ist doch dabei zu beachten, daß der biblische Sprachgebrauch unter der Einheit des Fleisches die Einheit des gesamten leiblichen und geistigen Seins beider Menschen umfaßt. Eheschluß ist daher Herstellung der totalen Gemeinschaft, ist „Tiefenverschmelzung der Körper und Seelen", u m bei Wolfs Begriff zu bleiben. Die geschlechtliche Vereinigung ist darin eingeschlossen, sie bildet aber nicht das entscheidende Moment. Die Begründung der Ehe, so sagt Piper 3 2 , geschieht „durch die Bereitschaft zweier Menschen verschiedenen Geschlechts, eine dauernde Gemeinschaft zu bilden, die auf ihrer geschlechtlichen Vereinigung beruht — nicht hat die geschlechtliche Vereinigung als solche eine ehebegründende Wirkung". Wichtiger als das objektive ist das subjektive Element der Gemeinschaft. Hier ist auf die andere Strömung der m i t telalterlichen Theologie hinzuweisen. Schon Augustin knüpfte das Zustandekommen der Ehe keineswegs an die copula, „quia non sibi carnaliter commiscentur sed cordibus connectuntur" und: „Coniugium facit non commixtio carnalis, sed Charitas coniugalis 33 ." Nach Petrus Lombardus kam die Ehe durch den bloßen Konsens zustande. Auch i m protestantischen Eherecht galt die copula für den Eheschluß nicht als wesentlich. Luther sagt: „Copula carnalis non est de coniugii essentia 34 ." Ähnlich wie schon i m germanischen Recht 35 genügte für den Eheschluß der bloß symbolische Vollzug des Beilagers 36 . Nicht nur für das Zustandekommen einer Ehe, sondern auch für den Übergang eines Verlöbnisses i n eine Ehe verliert die Vereinigung i m protestantischen Recht ihre Bedeutung. Staehelin folgert aus einem Urteil des Baseler Ehegerichts (das auch m i t zwei Geistlichen besetzt war) vom 10. 5.1541, daß ein einzelner Beischlaf i m Gegensatz zum kanonischen Recht das bedingte Versprechen (Verlöbnis) nicht zu einem unbedingten (Ehe) werden lasse 37 , und von Scheurl weist nach, daß Luther i n derselben 31 32 33 34 35 36 37

Metaphysik, S. 546. S. 220. Sermones L I , 13. Zit. b. Sehling S. 77. Dittenberger S. 6. Sehling S. 81. Staehelin S. 44 f.

8 Greiff

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Weise Stellung genommen hat 3 8 . Luther macht eine Ausnahme dann, wenn auf Grund einer copula die Geburt eines Kindes zu erwarten ist 3 9 . Dann aber schafft nicht die copula die Ehe, sondern Rücksicht und Liebe für die Frau lassen die eheliche Bindung eintreten. Auch die spätere evangelische Lehre hat die enge Auffassung des kanonischen Rechts bekämpft als eine Überbewertung des fleischlichen Bandes für die Bestimmung des Zustandekommens und somit des ganzen Wesens der Ehe 4 0 . Dieselbe einseitige Betonung der physischen Seite wie beim Zustandekommen der Ehe drückt sich aber i n der Behauptung aus, der Ehebruch bewirke unter allen Umständen die faktische Aufhebung der Ehe 4 1 . Hier ist wie bei der Ehebegründung darauf hinzuweisen, daß die Ehe nicht allein und nicht i n erster Linie Geschlechts-, sondern vor allem Lebensgemeinschaft ist. So wenig ein Geschlechtsakt die Ehe aus sich heraus begründet, so wenig kann er allein sie vernichten. Wenn es i n den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch heißt, der Ehebruch zerstöre die i m Wesen der Ehe begründete Ausschließlichkeit der Geschlechtsgemeinschaft unwiederbringlich 4 2 , so ist das unbestreitbar. Es folgt aber daraus noch nicht die Notwendigkeit, i h n als absoluten Scheidungsgrund zu behandeln, weil m i t der Ausschließlichkeit der Geschlechtsgemeinschaft noch nicht die Ehe selbst zerstört ist. I n den Motiven ist auch bereits die Möglichkeit eingeräumt worden, daß der Ehebruch eine Zerrüttung nicht bewirkt 4 3 . Ist Ehebegründung die Herstellung der gesamten leiblich-geistigen Einheit, so ist Aufhebung der Ehe erst die Zerreißung dieser auch und gerade das Geistige umfassenden Verbindung. Nach Wolf bedeutet die Heraushebung des Ehebruchs als einzigem Scheidungsgrund, „daß der zerstörbare Wesensgehalt der Ehe nur i n der geschlechtlichen Treupflicht gesehen wird. Die Ehe wäre danach nur eine ausschließliche Geschlechtsgemeinschaft der Gatten, ein remedium libidinis . . ." 4 4 . Wolf weist also ebenfalls auf diese Verengung des Ehebegriffs hin, die er auf die spiritualistischnaturalistische Zerteilung des Menschen i n der A n t i k e bis zum Mittelalter zurückführt. Sobald ein Recht auf Ehescheidung nicht aus der inneren Lösung der Ehegatten, sondern aus einem äußeren Verfehlungstatbestand wie Ehebruch hergeleitet wird, werden Abgrenzungen und Distinktionen nötig, die zu einem Naturalismus i m Umgang m i t 38 39 40 41 42 43 44

S. 507. Lähteenmäki S. 101. Sprengler S. 276. Gottschick, i n : Realenzyklopädie Ehe christl., S. 197. Motive Bd. I V , S. 583. Ebenda S. 584; 547 f. Wolf / Luke / Hax S. 344.

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objektiven Kriterien und zu einem unsittlichen Materialismus führen, wie die geschichtliche Entwicklung der Ehescheidungsgründe es zur Genüge bewiesen hat 4 5 . Aber auch die andere Entwicklung ist für das Ehescheidungsrecht festzustellen, i n der nicht mehr die Zerreißung der geschlechtlichen Gemeinschaft betont, sondern das Gewicht auf die innere Seite der ehelichen Gemeinschaft gelegt w i r d 4 6 , ganz i m Sinne von Augustins Wort: nicht i m Fleisch, sondern i n den Herzen werden die Ehegatten verbunden und, wie man fortfahren könnte, nur i n den Herzen werden sie geschieden. Nicht die äußere Tat ist es also, die eine Ehe begründet oder scheidet, sondern der innere Drang zur Vereinigung des ganzen Wesens m i t dem Wesen des anderen Menschen oder das Scheitern und Erlöschen dieses Dranges. Wenn man also das Seinsgefüge der Ehe in dem Begriff von der Einheit des Fleisches erblickt, dann ist dieser Begriff zu reinigen von einer Überbewertung des geschlechtlichen Bereichs. Diese Überbewertung erklärt sich aus der gespannten Haltung, die das mönchisch geprägte mittelalterliche Denken dem Geschlechtlichen gegenüber einnahm und die zur Verdächtigung, aber auch zur Betonung dieser Dinge führte 4 7 . Freilich liegt hier ein Mißverständnis nahe, nämlich als ob m i t der Verlagerung des Gewichts vom geschlechtlichen zum geistigen Einswerden und von der äußeren Tat zum inneren Streben die Ehe ihres Tatbestandscharakters beraubt und i n eine geistig-unwirkliche Beziehung aufgelöst würde. Eine derartige subjektivistisch relativierende Auffassung läge i m Zuge der Zeit, die den Blick für objektive Ordnungen verloren hat. Demgegenüber ist aber auch zu beobachten, daß das Interesse an der Ontologie wieder erwacht, das Interesse an der uralten Frage nach den objektiven Strukturen des Seins i n allem Seienden 48 . Die Erfahrung des Seins i n der Ehe ist aber nicht nur das elementare große Erlebnis der leiblich-geistigen Einheit von Ich und Du, sondern erfahren w i r d auch ihr Tatbestandscharakter, indem diese Einheit das Verhältnis der beiden Menschen zueinander verändert, indem sie ihnen für die Zukunft h i n anhaftet und indem sie eine Verbindung schafft auch gegen ihren Willen und jedenfalls unabhängig von ihrem Willen zu einer regulären Ehe. Paulus hat diesen Tatbestandscharakter besonders scharf herausgestellt, wenn er i h n sogar auf das Verhältnis zu einer Hure anwendet 4 9 : „Oder wisset ihr nicht, daß wer an der Hure hangt, der ist ein Leib m i t ihr? Denn ,es werden die 45 46 47 48 49



Vgl. Brunner, E t h i k , S. 335, S. 346 A n m . 6. Albrecht S. 175. Vgl. Eiert, Morphologie, S. 82. Vgl. Tillich S. 19. 1. Kor. 6, 15 - 17.

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zwei ein Fleisch sein 4 . Wer aber dem Herrn anhangt, der ist ein Geist m i t ihm." Hier ist auch daran zu erinnern, daß Ehe und Konkubinat als gleichwertige Geschlechtsverhältnisse angesehen wurden und somit den gleichen Tatbestand haben. Die Ehe ergibt sich erst aus dem Willen der beiden Menschen zur Ehe, aus der Bereitschaft zur dauernden Gemeinschaft. Die katholische Lehre, daß die copula ein Verlöbnis zur Ehe macht, obwohl i n Wahrheit ein Ehewillen noch nicht vorgelegen hat, muß deshalb hier m i t einer unwiderleglichen Vermutung des ehelichen Konsenses helfen 5 0 , eben weil sonst nur der Tatbestand Ehe, nicht aber ihre volle geltende Form verwirklicht wird. Es w i r d also durch die leiblich-geistige Einswerdung eine tatbestandsmäßige Verbindung zwischen zwei Menschen geschaffen. Das ist die ontologische Wahrheit auch i n der Betonung des Geschlechtlichen für die Ehe. Falsch ist daran, den Tatbestand zu vordergründig i m Physischen zu sehen, statt i n den Ereignissen des an der Vereinigung beteiligten Seins. Neben der Vorstellung von der Ehe als Besitz und vom Ehebruch als endgültigem Besitzbruch und dem Glauben an eine W i r k k r a f t der geschlechtlichen Vereinigung für Begründung und Zerstörung der Ehe waren es magische Vorstellungen, die dem Ehebruch eine besondere Wirkung beilegten — und damit kommen w i r zu der dritten, m i t der zweitgenannten zusammenhängenden Wurzel des Glaubens an die objektiv-ehezerstörende Wirkung des Ehebruchs. Der Bereich des Geschlechtlichen wurde von den Menschen schon immer zugleich als Bedrohung der Alltagsordnung und des Gewohnten empfunden, wie auch als Möglichkeit eines das Gewohnte weit übersteigenden Gefühlszustandes. Daraus ergab sich eine Haltung gegenüber der Sexualität, die aus einer Mischung von „Scheu, Furcht, Schrecken einerseits und Verehrung, Hingezogenheit und Hingabe andererseits" bestand 51 . Diese ambivalenten Empfindungen wurden aufgenommen und verfestigt i n dem allgemeinen gesellschaftlichen Tabu, m i t dem die Sexualität umgeben wurde. Das Tabu schuf einen unanrührbaren, vom Alltagsleben der Gesellschaft verborgenen Ort, und es band zugleich den an sich gefährlichen Zugang zu seinem Bereich an bestimmte Sicherheitsmaßnahmen und an strenge Sanktionen für deren Übertretung. Das Tabu schützt die Gesellschaft vor der dämonischen Macht des Geschlechtlichen, es schützt aber zugleich die einzelne Ehe. Das Eindringen i n eine Ehe ist Bruch ihres besonderen Geschlechtstabus. Dieser Bruch hat offenbar etwas Endgültiges und Zerstörendes an sich. Hier gilt die zitierte Bemerkung aus den Motiven, daß die Ausschließlich60 51

Staehelin S. 4; can. 1118 ff. Schelsky, Sexualität, S. 94.

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keit der Geschlechtsgemeinschaft „unwiederbringlich" zerstört ist. Dabei ist es aber aufschlußreich, die Wirkungsweise der m i t dem Tabu verbundenen Sanktionen zu beobachten, wie es Schelsky 52 i m Anschluß an Margaret Mead 5 3 tut. Er sagt, es fehle den Tabus weitgehend an äußerlichen sozialen Sanktionen i n Form von Gesetzen oder Sitten, und es sei deshalb ihnen gegenüber ein Gemütszustand erforderlich, der seine Sanktionen beim Bruch der Tabus aus sich selber produziert, so daß man glaube, die Strafe entspringe automatisch dem Bruch des Tabus. Diese Verknüpfung von (strafender) Wirkung und Tat ist Magie. Sie mag auf tiefer volkserzieherischer Weisheit beruhen, ist aber nicht ontologische Wahrheit. Das geht aus der Beobachtung hervor, daß die Sanktion vom Menschen selbst i n Form von Angst und Schuldgefühl „produziert" wird. Der Ehebruch ist ein Tabubruch. Auch bei i h m glaubt der Mensch, die Zerstörung der Ehe sei die unausweichliche Strafe, zumindest jedoch die automatische Wirkung der Tat. Dieser Glaube hat i n der Wirklichkeit keine Entsprechung. Er entstammt, soweit er nicht von den jeweiligen Weisen eines Volkes bewußt geformt wurde, einem heidnischen Götzenglauben. Nachdem nun bei der Annäherung an den ontologischen Begriff der Ehe i m negativen Verfahren einige noch wirksame Vorstellungen als nicht seinsgerecht ausgeschlossen worden sind, die Tatbestandsmäßigkeit der Ehe aber anerkannt werden mußte, drängt die Untersuchung zu weiteren Fragen: K o m m t etwa dem Ehebruch ebenfalls Tatbestandscharakter zu? W i r sahen, daß der Ehebruch weder als Hechtsverletzung noch als actus contrarius zur Ehebegründung oder als Tabubruch ontologisch richtig gekennzeichnet ist. Aber was ist er? Und wenn die Ehe ein Tatbestand ist, kann dieser Tatbestand nicht doch zerstört und aufgehoben werden durch ihn? Die letztere Frage w i r d bejaht von Eiert 5 4 . Er sagt, der Ehebruch ist „Bruch des von Gott selbst zusammengefügten Seinsgefüges", und ausführlicher an anderer Stelle 5 5 : „Auch ohne das Wort Matth. 19, 9 ist die Frage, ob Ehebruch die Ehe tatsächlich zerstört, zu bejahen. Wäre die Ordnung Ehe eine Vorschrift, d. h. ein Sollgefüge, so könnte eine Übertretung der Vorschrift die Ordnung nicht aufheben. Sie ist aber ein Tatbestand. Durch Ehebruch w i r d das Seinsgefüge der una caro tatsächlich zerstört. Er begründet also nicht eine mögliche Ehescheidung, sondern er ist es." 52 53

1934. 54 55

S. 95. A r t . „Tabu", i n : Encyclop. Soc. Sciences Bd. X I V , S. 502 ff., New Y o r k Das christliche Ethos § 14, 2. § 14, 4.

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Zunächst ist an dieser Stelle anzumerken, daß Eiert den Tatbestand der Ehe gleichsetzt m i t Ehe überhaupt. Das ist aber nicht angängig. Denn Tatbestandscharakter hatte, wie w i r sahen, w o h l die leiblichgeistige Vereinigung. Dieser Tatbestand kann aber unabhängig vom Ehewillen (nämlich extrem: auch mit der Hure) zustande kommen. Z u diesem Tatbestand der Einheit kommen normative Inhalte des Ehebegriffs hinzu, an denen es zunächst schwer ist, einen Tatbestandscharakter zu entdecken — wie gerade bei den Merkmalen der Einehe und der Unauflöslichkeit. Zwar w i r d bei jeder tiefen Liebe auch der Wille zur Dauer und der Wunsch zur Ewigkeit erlebt. Darauf allein aber eine ontologische Aussage zu stützen, verbietet sich wegen der ebenso realen Erfahrung der Vergänglichkeit des Eros. Man könnte allenfalls feststellen, daß nach der Erfahrung beides i n der Ehe angelegt ist: Dauer und Vergänglichkeit. Eine Deutung dieser paradoxen Aussage ergibt sich erst aus der Analyse des anderen Merkmals: der Einheit, wie sich i m Laufe der Untersuchung zeigen wird. Ebenso bleibt die Aussage über die Seinsgrundlage der Einehe i n der Schwebe. Der Erfahrung der Ausschließlichkeit und Einzigkeit des Liebeserlebnisses steht die Tatsache gegenüber, daß der Mensch (wenn auch nicht i n aller Tiefe nebeneinander, so doch sicher nacheinander) mehr als ein solches Erlebnis haben kann. Auf deren Verhältnis zueinander w i r d noch bei der Prüfung des Ehebruchs zurückzukommen sein. Das bestehende Seinsgefüge w i r d also noch überlagert durch ein Sollensgefüge, das anscheinend nur teilweise auf einem Sein aufruht. Deshalb wurde gesagt, der ontologische Begriff der Ehe, der also das reine Seinsgefüge umfaßt, dürfte ein sehr karger sein. Er nimmt, wenigstens soweit sich bisher erkennen läßt, nicht alle als wesentlich erkannten Normen der Ehe i n sich auf. Sollte also eine Zerstörung des Tatbestandes Ehe möglich sein, wie Eiert meint, dann ist damit noch nicht ohne weiteres eine Ehescheidung indiziert. Das bedürfte einer weiteren Begründung, etwa der A r t , daß eine Ehe ohne leibliche und seelische Gemeinschaft keine Ehe mehr ist. Daß diese Folgerung nicht etwa selbstverständlich ist, zeigt die gesamte katholische Ehelehre 56 . Das der Sollenssphäre entnommene Merkmal der Unauflöslichkeit w i r d dort so gefestigt, daß es die Ehe trägt auch ohne zugrundeliegende tatsächliche Gemeinschaft. Die Frage der Moderne an die katholische Lehre war daher auch die, ob das normative Element damit nicht überlastet worden ist. Durch die Lehre von der Sakramentsnatur, von der auch die endgültige Unscheidbarkeit abhängt, w i r d freilich auch dieses Merk56 Das zeigt aber auch ein Satz aus der Entscheidung des B G H (BGHZ 8, 118 - 126 —) w i e folgender: „Das F o r t w i r k e n der Ehe i m sittlichen Bewußtsein der Ehegatten setzt niòht . . . voraus, daß beide noch i n einem, w e n n auch schwachen Gefühl gegenseitiger Achtung, Liebe oder Zuneigung verbunden sind."

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mal i n einen Seinszusammenhang verwoben. Diese Lehre ist aber schon theologisch nicht unbestritten (Protestantismus) und sie entzieht sich jedenfalls der philosophischen Erkenntnis. Sodann aber w i r d von Eiert behauptet, daß das Seinsgefüge der Ehe durch den Ehebruch zerstört wird. Für diese Frage kommt es zunächst auf die Charakterisierung des Ehebruchs selbst an. Denn falls er keinen irgendwie vergleichbaren Tatbestandscharakter besitzt, falls er also nichts „Wirkliches" ist, kann er auch nicht i n dieser Weise auf die Ehe „einwirken". Die A n t w o r t darauf fällt zwiespältig aus. Es leuchtet ein, daß der Ehebruch Tatbestandscharakter haben kann, nämlich wenn i n i h m eine neue leiblich-geistige Einheit von Mann und Frau begründet wird. Ebenso wie eine neue Gemeinschaft nach dem Tode eines Ehegatten oder nach der Ehescheidung begründet werden kann, so kann sie auch während noch bestehender Gemeinschaft entstehen. Die Folgen, nämlich daß ein Mensch dann zweifach i n einer Einheitsbeziehung und Bindung steht, müssen i n jedem Fall getragen werden. Sie sind i n den genannten Fällen möglicherweise die gleichen, da ja nicht feststeht, ob die Scheidung oder gar der Tod diesen Tatbestand der Einheit einfach aufgelöst haben. Gloege weist darauf hin, daß empfindsame Menschen i n der zweiten Ehe „den Stachel des Versagens, den die erste Ehe zurückläßt, zeitlebens spüren", und sagt, das gelte auch für die zweite Ehe von Verwitweten 5 7 . Der Verwitwete w i r d i n der zweiten Ehe nicht gerade das Gefühl eines Versagens bezüglich der ersten Ehe empfinden, wohl aber deutlich das Gefühl einer fortbestehenden Bindung. Die i n der alten Kirche entwickelte und i m kanonischen Recht bis heute fortwirkende Auffassung der Witwenehe als „bigamia successiva" w i r d i n diesem Tatbestand ihre ontologische Grundlage haben. Papst Pius X I I . hat i n einer Ansprache am 17. 9.1957 laut Pressebericht erklärt 5 8 , die katholische Kirche „verurteile" eine zweite Heirat von Witwen zwar nicht, würde es aber lieber sehen, wenn sie allein blieben. „Das Wichtigste scheint uns die feste Überzeugung zu sein, daß der Tod die Bindungen der menschlichen und übernatürlichen Liebe, wie sie i n der Ehe eingegangen werden, nicht etwa zerstört, sondern sie vielmehr vervollkommnen und verstärken kann." Zwar bestehe die Ehe nach dem Tod eines der Ehegatten juristisch als Institution nicht mehr, sagte der Papst, aber „das, was sie i n der Sache war, das was ihre K r a f t und Schönheit ausmachte, die eheliche Liebe, m i t all ihrem Glanz und ihrem Verlangen nach Fortdauer, bleibt".

57 58

S. 356 u n d A n m . 70. F A Z V. 18. 9.1957.

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Eine doppelte Bindung kann, soviel w i r d man sagen können, wie beim Ehebruch so auch beim Eheschluß eines Geschiedenen oder sogar eines Verwitweten entstehen. Dann aber w i l l nicht so sehr die zweifache eheliche Beziehung als das Ungewöhnliche, Unnatürliche und Unmögliche erscheinen — sondern vielmehr die Lösung der einen (der ersten) Bindung. I n Luthers früher Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche" von 152059 drückt sich dieser Gedanke so aus, daß er die Doppelehe einer Ehescheidung vorziehen wollte: „Ego quidem ita detestor divortium, ut bigamiam malim quam divortium." Jedenfalls ist Voraussetzung der neuen Bindung eine leibliche und geistige Vereinigung. Bezeichnet man vorläufig die zu der Einheit hintreibende und sie erhaltende K r a f t m i t dem (hier nicht romantisch, sondern ontologisch verstandenen) Wort Liebe, dann kann man sagen, ein von Liebe getragener Ehebruch hat Tatbestandswirkung. Anders ist es dagegen bei dem Ehebruch, wie das Gesetz i h n für ausreichend hält. Das Gesetz spricht nicht von Liebe, sondern nur vom Vorsatz zur Tat (ohne Vorsatz, also unter Zwang oder i m Irrtum, gibt es für den Betreffenden keinen Ehebruch). Einer solchen (vorsätzlichen) Handlung an sich kann ein Tatbestandscharakter noch nicht beigemessen werden, wie gerade bei der Lehre der Ehebegründung dargelegt worden ist. Die bloße copula ist ontologisch ein Nichts. Sie hat als solche auf die leibgeistige tatbestandsmäßige Einheit der Ehe keine Wirkung, auch wenn sie schon einen Verstoß gegen die eheliche Treuepflicht darstellt. Hieraus ergibt sich, daß der Ehebruch, wie das Gesetz i h n gefaßt hat, für sich allein keine faktische Zerstörung der seinsmäßigen Grundlage der Ehe herbeiführen kann. N u n mag ein solcher „ n u r willentlicher" Ehebruch i n der Praxis vorkommen. Z u denken wäre vor allem an das weite Gebiet der Prostitution (und hier darf das zitierte Pauluswort nicht überspannt werden!). Der i n der Scheidungspraxis wichtigere Fall des Ehebruchs ist aber gerade von der zuerst bezeichneten A r t , ist kurz gesagt ein Ehebruch aus Liebe zu der dritten Person. Dieser hat Tatbestandscharakter. Es besteht daher wenigstens die Möglichkeit, daß er als neues Seinsgefüge auf das bestehende Seinsgefüge der Ehe einwirkt. Hier kommt es also auf das Verhältnis der beiden Tatbestände zueinander an. Dieses Verhältnis ist nicht einfach so zu umschreiben, daß die eine Einheitsbeziehung die andere ausschließt und damit vernichtet. Gerade weil sich die Tatbestandswirkung einmal i m Verhältnis der Ehegatten, einmal i m Verhältnis zu dem Dritten entfaltet, berühren sich beide nicht unmittelbar, ist die eine nicht actus contrarius zur anderen. Deshalb kann der neue Tatbestand den alten nicht einfach überlagern, 59

W A 6, 559.

Das Sein der Ehe

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sondern er t r i t t neben ihn. Bindeglied ist die eine Person. Aber i n der Hinwendung zum Dritten liegt notwendig eine Abwendung vom Ehegatten, mag sie auch vorübergehend sein. Die tatbestandsmäßige Einheitsbeziehung des Ehebruchs schafft eine tatbestandsmäßige Entfernung der Ehegatten voneinander. Es bleibt die Kernfrage bestehen, ob diese Entfernung das Seinsgefüge der Ehe zerbricht oder nicht.

Das Sein der Ehe M i t dieser Frage w i r d die Untersuchung aber bereits mitten hineingeführt i n das Problem, was denn das Sein der Ehe positiv sei. Dies ist die letztmögliche Frage gegenüber dem Phänomen Ehe. Weiter führt nur noch die Frage nach dem, was denn das Sein selbst sei — die fundamental-ontologische Frage nach den Strukturen des Seins als solchem. Es besteht Grund für die Annahme, daß zwischen beiden Fragen ein Zusammenhang besteht, daß das Seinsgefüge der Ehe zugleich eine Erklärung des Seins selbst bringt, so wie auch die anderen ontologischen Begriffe wie Macht 6 0 und Gerechtigkeit i n sich schon eine Aussage über das Sein darstellen. Es ist anzuknüpfen an das Obengesagte: Das Sein der Ehe kann nicht i n einem (Rechts-)Verhältnis von Subjekt zu Objekt bestehen, weder einseitig vom Mann aus wie i n der alten Auffassung von der Frau als Besitz des Mannes, noch auch zweiseitig w i e i n der erwähnten Kant'schen Definition der Ehe als wechselseitigem Besitz. Sondern die Ehe ist zutiefst innerliche Beziehung von Subjekt zu Subjekt, die sich als ursprüngliche Anziehungskraft auswirkt. Diese Anziehungskraft hat zum Ziel die „Einheit des Fleisches", verstanden i m leiblichen wie i m geistigen Sinne. Sie ist daher, so ist fortzufahren, m i t dem Wort Liebe richtig bezeichnet, wenn man die Liebe nicht als reines Gefühl auffaßt, sondern sie als die zu der Einheit hintreibende Kraft, damit ontologisch begreift. Das emotionale Element w i r d dadurch nicht ausgeschlossen und kann gar nicht ausgeschlossen werden, aber es w i r d unterschieden von seiner ontologischen Grundlage. W i l l man beides i n Beziehung setzen, so müßte man sagen, die Liebe als Gefühl ist die Vorwegnahme der Einheit, ist Vorerfahrung des Glückes, das die seinsmäßige Vereinigung i n jeder Liebesbeziehung m i t sich bringt 6 1 . Der ontologische Begriff der Ehe läßt sich also auf den ontologischen Begriff der Liebe zurückführen. Damit w i r d zugleich deutlich, daß der ontologische Begriff der Ehe enger ist als der werterfüllte Ehebegriff, 60 „Leben ist W i l l e zur Macht", i n diesem Satz Nietzsches sieht Weischedel die G r u n d s t r u k t u r alles Wirklichen (S. 85). 61 Tillich S. 27.

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D. Ontologische Aussagen über die Ehe

aber auch, daß man mit der Liebe nicht nur irgend ein Bruchstück, sondern immer noch den festen K e r n der Ehe i n der Hand hat. A u f diese Liebes- oder Einheitsbeziehung nun w i r k t der Ehebruch tatbestandsmäßig trennend ein. Das Wesen dieser Trennung kann aber i m Anschluß an die von Tillich vorgelegte ontologische Analyse der Liebe i n folgender Weise umschrieben werden 6 2 : Die Liebe ist die zur Vereinigung drängende Kraft. Das was vereinigt werden soll, muß vorher getrennt sein. So sind denn die beiden Menschen zunächst jeder ein auf sich selbst bezogenes Selbst, sind unabhängige, voneinander vollkommen getrennte Individuen. Die Größe dieser Trennung macht die Stärke der Liebe deutlich, die diese Trennung überwindet. Und doch ist diese Trennung nicht absolut, nicht wesenhaft, nicht essentiell. Die Erfahrung der Liebesbegegnung zeigt wohl die Fremdheit des anderen, aber sie enthüllt auch i m tiefsten eine Verwandtschaft des Wesens. Eine Vereinigung von essentiell Getrenntem ist nicht denkbar 6 3 . Man kann sich die Vereinigung eines Dinges m i t einem anderen nicht vorstellen, ohne daß eine letzte Zusammengehörigkeit zwischen ihnen bestünde. Dasselbe Verhältnis wurde oben nachgewiesen für Wert und Wirklichkeit und für das erkennende Subjekt i m Verhältnis zum Objekt. Die Werte stehen nicht absolut getrennt und fremd der Wirklichkeit gegenüber, sondern haben teil an ihr. Sonst könnten sie nicht i n die Wirklichkeit des Lebens eingehen, sich nicht mit i h m i m besonderen Akte der „WertVerwirklichung" vereinigen lassen, sondern könnten höchstens tyrannisieren. Ebenso setzt die Erkenntnis eine letzte, schon bestehende Teilhabe am Erkannten voraus. Zu der Einheitsbeziehung zwischen Wert und Sein als Objekt zu Objekt und der zwischen erkennendem Subjekt und Objekt kommt nun als dritte und letzte die zwischen Subjekt und Subjekt hinzu. Die aus der Erfahrung und nicht aus einem vorgefaßten System abgeleiteten Strukturen stimmen auffallend überein und dienen einander zur Bestätigung. Noch etwas anderes fällt auf. Der oben angedeutete Zusammenhang von Erkennen und Liebesvereinigung nach dem alttestamentlichen Sprachgebrauch w i r d jetzt ontologisch durchsichtig: Erkennen beruht ebenso wie Liebe auf gemeinsamer tätiger Teilhabe am Sein, es ist ebenso wie diese: beglückende Vereinigung von (nicht wesentlich) Getrenntem — nur einmal zwischen Subjekt und Objekt, zum anderen zwischen Subjekt und Subjekt. Die tiefe Beziehung zwischen Erkenntnis und Liebe ist immer wieder erfahren und ausgesprochen worden. „Res i n tantum intelligitur, i n quantum amatur" — dieser Satz w i r d Bernard von Clairvaux i n den Mund gelegt. Scheler bringt ähn62 63

Liebe — Macht — Gerechtigkeit, S. 24 ff. Tillich, Der M u t zum Sein, S. 66 f.

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liehe Worte von Pascal, Leonardo und Goethe 64 . Anselm von Canterbury spricht i m Blick auf das Jenseits: „Wie gewaltig werden sie dich dereinst erkennen, Herr! Wie gewaltig werden sie dich lieben 6 5 !" Anselm und Bernard stehen i n augustinischer Tradition. Augustin brachte, auf Plato aufbauend, eine neue, spezifisch christliche Bestimmung von Liebe und Erkenntnis, indem nun sowohl die Liebe wie auch die Erkenntnis nicht mehr bloße Tätigkeit des Subjekts, sondern gleichzeitig eine Antwortsreaktion des Gegenstandes, ein Sichoffenbaren des Objekts ist 6 6 . Die jetzt zu beobachtende Annäherung moderner philosophischer und theologischer Erkenntnis war also i n den Einsichten Augustins schon vorgezeichnet. Auch ein Selbst könnte also das andere nur tyrannisieren, nur vernichten, wenn es i h m als absolut Fremdes begegnen würde, es könnte nicht m i t ihm i n eine Gemeinschaft eingehen. Aus diesem Wesenszusammenhang der getrennten Subjekte ergibt sich aber, daß sie nicht eigentlich fremd, sondern nur entfremdet sind, d. h. von einem gemeinsamen Sein herkommen, an dem sie noch Anteil haben und das sie danach streben läßt, die Einheit „wiederherzustellen. Liebe als der Drang zur Einheit ist nicht zu erklären als Vereinigung des Fremden, sondern nur als Wiedervereinigung des Entfremdeten. Liebe beruht dann auf dem ursprünglichen Einssein. Die Trennung führt von diesem Einssein weg. Sie ist also eine Kraft, die der Liebe entgegenwirkt und von der Liebe überwunden werden muß. Aber diese Trennung hat nicht dieselbe Stärke wie die Wiedervereinigung, denn sie steht nicht am Anfang, ist nicht das Primäre, sondern gegenüber der ursprünglichen Einheit das Sekundäre. Läge aller Anfang i n der Trennung, dann wäre es nicht zu erklären, woher die von der Erfahrung bezeugte Kraft zur Vereinigung kommen sollte, um plötzlich auf das Getrennte einzuwirken. Liegt der Anfang aber i n der Einheit, dann ergibt sich von selbst der Drang zur Wiedervereinigung des Getrennten. Man könnte dann höchstens fragen: woher kam die Trennung? Darauf ist zu antworten: die Trennung ist schon i n dem Begriff der Einheit mitgegeben. Logisch ist die Trennung die Verneinung der Einheit und die Begrenzung der Einheit, so wie das Nichtsein die Verneinung und Begrenzung des Seins ist. I n den Schritten von Einheit, Trennung und Wiedervereinigung vollzieht sich die Liebe, so wie das Leben i n Sein, Nichtsein und Seinsbehauptung abläuft — zwei Vorgänge von der gleichen ontologischen Struktur. Diese Gleichheit der Struktur ist nicht zufällig, sondern sie ist wesentlich. Denn der Grund alles Seienden ist nicht tote Identi64 65 66

Liebe u n d Erkenntnis, S. 5. Proslogium X X V I , zitiert nach Echternach S. 375. Scheler S. 17 f., 25 - 28.

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D. Ontologische Aussagen über die Ehe

tät, sondern lebende Kreativität 6 7 . Die wiedervereinigende Liebe treibt alles Seiende zu allem anderen Seienden h i n — sie ist damit die bewegende Macht des Lebens überhaupt. Leben ist Sein i n der Aktualität. Das Sein kommt aber zu der Aktualität durch die Liebe. I n der Erfahrung der Liebe, i n der die ursprüngliche Einheit die Trennung überwindet, um sich selbst wiederzufinden, erfährt der Mensch zugleich die Natur des Lebens, i n dem das Sein das Nichtsein besiegt, um zu sich selbst zurückzukehren 68 . So w i r d die Aussage über das Wesen der Liebe zugleich eine der möglichen Aussagen über das Wesen des Seins. Wenn aber sowohl die Trennung schon i m Begriff der Einheit wie das Nichtsein i n dem des Seins enthalten ist, dann ist noch zu klären, w a r u m die Einheit und das Sein stärker sind als die von Anfang schon i n ihnen liegenden und wieder i n sie eingehenden Elemente der Verneinung, und nicht etwa i m Gleichgewicht mit ihnen stehen. Diese Frage ist jedoch nicht mehr deduktiv zu lösen. Es ist nicht eine A n t w o r t des Verstandes, sondern eine A n t w o r t des Mutes und des Glaubens, die das letztliche Übergewicht des Seins über das Nichtsein bej a h t 6 9 und ebenso das Übergewicht der Einheit über die Trennung. Diese Entscheidung zum Sein w i r d bestätigt i n der Erfahrung des Lebens, das sich ständig selbst bejaht i m Kampfe gegen die Verneinung seines Seins und ebenso i n der Erfahrung der Liebe, die immer neue Trennung überwindet. Jede menschliche Erfahrung enthält ein unbedingtes Element, das besonders i n der Grenzsituation gegenüber dem Tod, der Trennung, der Sinnlosigkeit spürbar w i r d 7 0 . Daher ist es zwar nicht beweisbar, aber dennoch überzeugend, wenn Tillich sagt 71 , es sei falsch, der Trennung denselben ontologischen Rang zu geben wie der Wiedervereinigung. Die rein philosophische Analyse stößt hier ebenso auf ein für sie „unlösbares Restproblem" wie bei der ontologischen Deutung der Erkenntnis. Dem christlichen Glauben ist es vorbehalten, das wahre Stärkeverhältnis von Sein und Nichtsein, von Leben und Tod zu erkennen: „Der Tod ist verschlungen i n den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? — Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unseren Herrn Jesus Christus 7 2 ." I m Blick auf Christus offenbart sich die K r a f t des Seins wie auch die K r a f t der wiedervereinigenden Liebe. Hier zeigt sich noch einmal, nun i n ontologischer Sicht, die Berechtigung der oben durchgeführten christologischen Deutung des Wesens der Ehe. Noch mehr: Christus selbst gründet 67 68 69 70 71 72

Tillich, Der M u t zum Sein, S. 29. Nach Tillich S. 25, 50. Tillich S. 40. M u t zum Sein, S. 123. S. 25. 1. Kor. 15, Vers 55 u n d 57.

Das Sein der Ehe

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das neue Ethos der Ehe auf eine neue „Ontologie der Ehe" 7 3 . Christologie w i r d zur Ontologie. Hier wiederholt sich aber auch die Erkenntnis von dem fortbestehenden Spannungsverhältnis zwischen den beiden Polen von Göttlichem und Natürlichem: nur unter dem Kreuz und Sieg Christi ist das Nichtsein endgültig verschlungen i n das Sein. Für die außerhalb des Kreuzes lebende natürliche Welt behält das Nichtsein die von i h m ausgehende, alles Sein bedrohende Macht. Auch für den Christen ist der Sieg Christi nicht ständig gegenwärtig. Die Aufhebung des Natürlichen i m Göttlichen ist noch nicht stabilisiert, die beiden Ordnungen der Realität 7 4 , die zeitliche und die überzeitliche, sind noch nicht zur Identität verschmolzen. Es bleibt daher auch für den ontologischen Begriff der Ehe die Polarität oder Zweischichtigkeit erhalten. Der Glaube verhilft jedoch nicht nur zur Einsicht i n die wahre Struktur von Sein und Einheit, sondern schafft auch die Voraussetzung, u m zu beidem zu gelangen. Glaube ist wesensmäßig nicht nur Lebenserkenntnis, sondern zugleich Lebenshilfe. Der Mensch ist seinem Sein entfremdet, er ist nicht frei für dieses Sein, sondern gebunden, i h m zu widersprechen 75 . Gleichfalls ist er nicht frei für die Einheit, sondern gebunden, sich der Liebe durch Trennungen zu widersetzen. Das ontologische Prinzip von Trennung und Wiedervereinigung ist kein den Menschen zwingender Mechanismus. Es liegt an ihm, ob er die i m Sein angelegten Möglichkeiten, die er wohl spürt, ergreift und für sich oder auf sich wirken läßt. Er hat die Freiheit, sich auch „seinswidrig" zu verhalten, und er w i r d es tun, weil seine ethischen Fähigkeiten verdorben sind. A u f die Parallele von Sünde und Seins Widrigkeit als „Sonderung" von den Möglichkeiten des Seins wurde schon einmal hingewiesen. Diesem i m Innersten fortwirkenden Nichtsein gegenüber bedarf es großen Mutes, sein eigenes Sein dennoch zu bejahen, und ebenso bedarf es großen Mutes, die Einheit zu ergreifen, trotz der spürbaren Trennung. Konkret gesprochen: Die i m Ehebruch liegende Entfernung der Ehegatten voneinander schwindet nicht von allein, sondern muß durch mutigen Entschluß beider Menschen überwunden werden. Diesen M u t können nicht alle Menschen aus eigener K r a f t aufbringen. Hier zeigt sich der Ernst des ganzen Problems: Der Ehebruch kann eine so große Trennung bewirken, daß sie nach dem vorhandenen Maß der beiderseitigen Kräfte nicht mehr überbrückt werden kann. Und noch mehr muß anerkannt werden: Die Trennung kann so groß sein, daß sie menschliche Kräfte überhaupt übersteigt. Dann muß der Mut, der diese Trennung i n eine neue Einheit hineinnimmt, i n einer Macht der 73 74 75

Gloege S. 341. Tillich, M u t zum Sein, S. 123. Tillich, a.a.O.

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D. Ontologische Aussagen über die Ehe

Vereinigung wurzeln, die größer ist als die Macht des eigenen Selbst. Der Glaube sieht auf die von Gott her gewirkte Einheit m i t dem Menschen wie auf die mystische Einheit Christi m i t seiner Gemeinde. Der M u t dieses Glaubens kann die größte Trennung überwinden. Ohne i h n kann schon eine geringere Trennung irreparabel sein. Es gibt also auch ontologisch gesehen die Zerstörung einer Ehe. Aber es ist nun deutlich geworden, daß nicht jede Entfernung zur Zerstörung führt, daß es kein objektives Maß der Entfernung dafür gibt, wann man eine unheilbare Zerstörung annehmen muß, daß vielmehr i n jedem Einzelfall die Fähigkeiten der beiden Menschen darüber entscheiden, ob ihre Ehe über der Verfehlung des einen Partners (oder gar beider) zerschellt oder nicht. Das aber bedeutet für unsere Frage, daß die i n jedem Ehebruch liegende Trennung das durch die Vereinigung geschaffene Seinsgefüge der Ehe nicht grundsätzlich zerstört. Der Impuls zur Wiedervereinigung bleibt bestehen auch über große Trennungen hinweg. Ganz ist diese Trennung ja ohnehin nie aufgehoben, denn die Liebe bewahrt das Individuum 7 6 , auch die Ehe bleibt Verhältnis von Person zu Person 77 . Die ursprüngliche Entfernung ist ein Maßstab für die Größe der vereinigenden Kraft. Die fortbestehende Trennung erhält sie am Leben. Eine neue stärkere Trennung w i r d auf ihren Widerstand stoßen. I m Widerstand kann sie so erstarken, daß auch die größte Trennung wieder überwunden wird. Größer als vor ihrer Ehe kann die Entfernung zwischen den beiden Menschen nicht werden, eine essentielle Trennung ist 76

Tillich S. 28. Dies ist gegenüber Hegels dialektischer Auffassung festzustellen, nach der die Persönlichkeit der Ehegatten i n der Ehe aufgehoben und zu einer gewollten Einheit emporgehoben w i r d , so daß die Ehe selbst eine neue übergeordnete Person w i r d (Rechtsphilosophie §§ 161 ff., S. 239 ff., Z i t a t § 162, S. 240): Ehe ist die freie E i n w i l l i g u n g der Personen „Eine Person auszumachen, ihre natürliche u n d einzelne Persönlichkeit i n jener Einheit aufzugeben . . . " . Der Unterschied zu Hegels Auffassung ist aber insofern gering, als der Drang zur Aufgabe der eigenen Person auch hier bejaht w i r d . N u r ist die Ehe nicht als vollkommene Einheit, als „Eine Person" aufzufassen, sondern als stets spannungsvolle Einheitsbeziehung, i n der das Element der Trennung bewahrt bleibt. I m übrigen findet sich bei Hegel dasselbe ontologische Verfahren, w i e es hier angewandt w i r d , w e n n er zu der Ehe unter Blutsverwandten Stellung n i m m t (§ 168, S. 248) und dabei v o n dem Gefühl der Scham ausgeht, das sich einer solchen Verbindung entgegensetzt, also von der inneren Erfahrung, u n d dann fortfährt: „ A b e r dieses Zurückschauern ist i m Begriffe der Sache gerechtfertigt. Was nämlich schon vereinigt ist, k a n n nicht erst durch die Ehe vereinigt werden." Oben wurde gesagt, die Ehe schafft einen der Blutsverwandtschaft vergleichbaren Tatbestand. Es ist dann folgerichtig, daß eine Ehe ausgeschlossen ist, sofern eine Blutsverwandtschaft (schon) vorliegt. Aber auch denselben Begriff der Trennung gebraucht Hegel (ebenda): „Was sich vereinigen soll, muß ein vorher Getrenntes sein; die K r a f t der Zeugung w i e des Geistes ist desto größer, je größer auch die Gegensätze sind, aus denen sie sich wiederhergestellt." 77

Das Sein der Ehe

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nicht möglich. Die gemeinsame Grundlage i n der ursprünglichen Einheit bleibt ja bestehen. Die K r a f t der wiedervereinigenden Liebe kann sowohl aus der zurückliegenden ehelichen Vereinigung wie auch aus der ursprünglichen Einheit, also gleichsam neu geschöpft werden. Es gibt keine seinsmäßig zu bestimmende Situation, i n der eine derartige „Fortsetzung" einer Ehe, mag sie auch als Neuanfang erscheinen, unmöglich ist. Die ontologische Disposition zur Ehe ist stets gegeben. Dies ist die Wahrheit an dem Satz von Piper: Die ontologische Grundlage der Ehe ist unzerstörbar 78 . Nicht die Ehe als bestehende Einheit, als fester Status oder als Institution ist unzerstörbar, sondern die Ehe als Möglichkeit zur innigsten Einheit und als Ausgangslage zur Gemeinschaft von Leib u n d Seele. A u f diesem Hintergrund w i r d es auch verständlich, wenn Christus die Ehescheidung verbietet i m Rückgang auf die ontologische Einheit des Fleisches 79 : „So sind sie nun nicht zwei, sondern ein Fleisch. Was denn Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden." Die oben behandelte letzte Einheit von Wert und Wirklichkeit, von Sollen und Sein w i r d i n diesem einen Punkt schlaglichtartig erhellt, wenn Jesus das zu scheiden verbietet, was doch seinsmäßig gar nicht geschieden werden kann. Das Verbot der Scheidung ist so wahr wie die Feststellung, daß die Scheidung nicht möglich ist: „Was Gott zusammengefügt hat, das kann der Mensch nicht scheiden 8 0 ." Die ontologische Betrachtung macht also folgendes deutlich: Da die Ehe nach ihrem seinsmäßigen Gefüge durchaus fest oder genauer: elastisch ist und durch einen „Ehebruch" nicht notwendig zerstört oder zerbrochen wird, kann es für die Begründung einer Ehescheidung keineswegs auf den „objektiven, wirklichen oder faktischen" Zustand dieser Ehe und auch nicht auf eine „objektive" Zerrüttung ankommen, sondern lediglich auf ihre subjektiven, inneren Möglichkeiten. Eine vom Willen und Bewußtsein der Ehegatten unabhängige Zerstörung der Ehe ist nicht denkbar 81. Wie schon die wertenden Betrachtungen der Ehe, so kommt also auch die ontologische Untersuchung zu dem Ergebnis, daß dem Ehebruch oder auch andern Verfehlungen keine objektiv ehezerstörende Wirkung zukommt. Blieben die biologischen, psychologischen, soziologischen, ethischen und religiösen Möglichkeiten einer Sinnerfüllung 78 79 80

S. 14. 81

Piper S. 247. Matth. 19, 4 - 6 . Bonhoeffer, Widerstand u n d Ergebung, S. 43, auch Kinder,

Die Ehe,

Ebenso Müller-Freienfels S. 135 A n m . 2: „Es gibt keine n u r objektive Ehezerrüttung. Stets gehört zu ihr, daß der andere die Eheverfehlung als ehezerstörend empfunden haben muß."

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D. Ontologische Aussagen über die Ehe

bestehen, so erweist sich die natürliche Grundlage der Ehe, soweit sie überhaupt zu fassen ist, sogar als unzerstörbar. K r a f t der Hinordnung der Werte zur Wirklichkeit bestätigt jetzt das eine Ergebnis das andere. Dieselbe Einheit der Betrachtungsweise offenbart sich i n der Erkenntnis des dynamischen Charakters der Ehe. Was i n der christlichen A n schauung Ordnung des Reiches Gottes und Ordnung der Sünde war, zwischen denen die Ehe sich „bewegen" muß, das ist hier Sein und Nichtsein oder Einheit und Trennung, aus deren Spannung die Ehe ihr Leben und Wesen erhält. Auch die ontologische Grundlage der Ehe ist kein i n sich ruhendes Sein, sondern ist Sein i n der Aktualität, ist Bewegung zu sich selbst, i n der Überwindung von Nichtsein und Trennung durch die Liebe. Hier nun ergibt sich auch eine Erklärung der widersprüchlichen Erfahrung von Dauer und Vergänglichkeit der Ehe oder Liebe. Aus der Dynamik von Einheit und Trennung und Wiedervereinigung erwächst das Zeitmoment, erwächst die Dauer. Wenn die K r a f t zur Vereinigung immer wieder die Trennung zu überwinden vermag, dann erhält sie i m ganzen gesehen auch Dauer, aber nicht die Dauer eines Ruhenden, sondern die der Bewegung und des Impulses, der abwechselt m i t einem Moment des Nachlassens und der Ermüdung mit dem sie begleitenden Gefühl der Vergänglichkeit. Nach der ganzen bisherigen Konzeption des Eheverhältnisses muß aber zugleich m i t dem Übergewicht der Einheit über die Trennung auch das ontologische Übergewicht der Dauer über die Vergänglichkeit angenommen werden. Der Weg zurück zum ontologischen Begriff der Ehe hat also zu einem Erfolg geführt, wenn die Anschauung von einer faktischen Aufhebung der Ehe durch den Ehebruch als auf verschiedenen ontologisch falschen Vorstellungen beruhend verworfen werden konnte. Der Weg hat darüber hinaus bereits das Ziel sichtbar werden lassen, wenn er bis zu einer Stelle geführt hat, von der aus es nur noch eines Schrittes des persönlichen Mutes, einer existentiellen Entscheidung bedarf, u m sich der Grundstruktur der Ehe zu bemächtigen — einer Struktur, die die gleiche ist für das zum Sein drängende und das Nichtsein besiegende Leben wie für die zur Einheit strebende und jede Trennung überwindende Liebe.

E. Die Haltung des Richters Eingangs wurde der Satz zitiert, der, dem RGR-Kommentar entnommen, von der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung getragen ist, nämlich daß nur der Richter, dem der innerste Sinn des Eherechts lebendig sei, den Rechtsuchenden das ihnen zukommende Recht geben könne nach der Ordnimg, der er und sie unterstünden. Es wurde versucht, die innere Ordnung der Ehe darzustellen i n den Ausdrucksweisen der verschiedenen Wissenschaften. Der Richter, der jedem das i h m Zukommende geben soll, muß noch eines mehr wissen, und zwar, daß er Recht geben kann, aber nicht mehr. Das Recht hat nicht direkten Einfluß auf die Werte selbst. Als Not- und Friedensordnung hat das Recht die Aufgabe, die Not des Menschen zu bannen, den Frieden zu gewähren und Freiheit als Grundlage allen person- und werthaften Daseins zu erhalten. Es soll Raum und Freiheit schaffen für die Werte — nicht w i r d es selbst zum Wert. „Die Herstellung geistiger und seelischer K u l t u r selbst ist ihrem Inhalt nach nicht-staatlich 1 ." Das moderne Eherecht ist offen gegenüber allen, auch den höchsten Ansprüchen an die Ehe. Es gibt den Rahmen für die Entfaltung tiefster Bindungen — aber es kann die sittlichen Befehle nicht zu seinen eigenen machen. Nicht jede Forderung der Sittenordnung ist für das Recht beachtlich. Die Ehescheidung kann i n den Gegensatz zur sittlichen Ordnung treten i m Verfolg der ursprünglichsten Aufgabe des Rechts, nackten Frieden und personhafte Freiheit zu schaffen. Die Scheidung, die gegenüber dem göttlichen Gesetz als A k t der Gnade erscheint, w i r d für das Recht zu einer legitimen Aufgabe. Das Recht soll verhindern, daß die Erde zur Hölle w i r d — es kann aber nicht bewirken, daß die Erde zum Himmel werde. Es kann einen Menschen aus einer Ehe erlösen, die i h m unerträglich geworden ist; es kann nicht die werterfüllte, lebenslange Ehe schaffen. Hier muß der Richter bescheiden bleiben. Genauso wie das Recht zwar die Unfreiheit verhindern, aber die wahre höchstpersönliche Freiheit nicht selbst schaffen, sondern nur ermöglichen kann (weil es auf den Menschen ankommt, ob er für sich von ihr Gebrauch macht), ebenso geschieht die tiefe Bindung i n der Ehe nicht durch das Recht, sondern i n seinem Schutze. 1

Müller-Freienfels

9 Greiff

S. 34.

130

E. Die H a l t u n g des Richters

So begrenzt die Macht des Rechtes ist, die Eheleute aneinander zu binden, so begrenzt ist auch seine Fähigkeit, die Ehe zu scheiden. Es hatte sich ergeben, daß die Ehescheidung zwar grundsätzlich i m Einklang m i t der sittlichen und christlichen Wertung der Ehe steht, daß aber schon die ethische Pflicht zur Verzeihung und erst recht das christliche Gebot zur unbegrenzten Nächstenliebe jede Sicherheit für die Beurteilung der Ehezerstörung anhand fester Kriterien beseitigen mußten. Wann eine Ehescheidung sittlich erlaubt ist, kann nur i n dem Gewissen des Einzelnen entschieden werden. Die Verantwortung für diese Entscheidung trägt er allein, sie kann i h m nicht durch den richterlichen Ausspruch der Scheidung abgenommen werden, denn der Richter sieht nicht bis ins Herz. Das Recht muß sich für die Frage, ob eine Ehe zerrüttet ist, an Indizien halten, die diese Zerrüttung anzeigen können. Es gibt aber kein noch so deutliches Indiz, das nicht trügen könnte. Da aber nur die innerste wirkliche Zerrüttung die Scheidung rechtfertigt, so bekommt jedes Scheidungsur teil von vornherein den Stempel des nur bedingt Wahren aufgedrückt. Die Entscheidung des Gerichts bleibt trotz ihrer rechtlichen Wirkung doch i n einer Vorläufigkeit und erreicht nicht die Autorität einer eigenen Gewissensentscheidung, die i n letzter subjektiver Wahrheit gefällt wird. Sie kann daher eine Gewissensentscheidung auch nicht ersetzen. Es i r r t derjenige, der sich nach Erlangung eines Scheidungsurteils schon dadurch vor dem Sittengesetz oder, religiös gesprochen, vor Gott gerechtfertigt glaubt. Es i r r t aber auch die staatliche Gewalt, die meint, sie könne durch ihr U r t e i l den anscheinend unschuldigen Ehegatten von seinen Ehepflichten wirksam entbinden. Es ist nicht Sache des Staates, die Gewissen zu binden oder zu lösen. Es ist nicht ein Priesteramt, das der Richter ausübt. Wohl aber ist es ein Hüteramt. Die Glücks- u n d Heilsmöglichkeiten, die dem Menschen i n der Ehe eröffnet sind, soll der Richter i m einzelnen Streitfall sich und den Beteiligten bewußt machen. E r soll ihnen helfen, eigene Kräfte zu erkennen und zu entwickeln, die eine kranke Ehe heilen können. Zumal bei der Wortkargheit moderner Scheidungsgesetze muß der Richter es verstehen, zu den Menschen zu sprechen als Hüter ihrer Ehe.

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Prolegomena

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einer

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