Die Mutterschule: Teil 1 Muttertändeleien, Uebergang durch Spiel zu ernsteren Beschäftigungen und Anweisung zu beiden [Reprint 2022 ed.] 9783112628423


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Die Mutterschule: Teil 1 Muttertändeleien, Uebergang durch Spiel zu ernsteren Beschäftigungen und Anweisung zu beiden [Reprint 2022 ed.]
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Die

Mutterschule. Bon

Fr. KSHler.

Dafi sie die Kinder erziehen könnten. Müßten die Mütter sein wie die Enten. Sie schwämmen mit ihrer Drut in Ruh, Yber da gehört freilich Wasser dazu.

Goethe.

Erster Theil. Muttertandeleien. Nebergang durch Spiel zu ernsteren Beschäftigungen

und Anweisung zu beiden.

Berlin, Verlag von G. Reimer.

1840.

Gedruckt bei G. Froedel in IhiMfrabt.

Vorrede.

sGZSoher kommt es doch wohl, daß noch immer so viele Kinder der höheren und mittleren Stände die

Bildungsstufe nicht erreichen, die sie in der mensch­ lichen Gesellschaft einnehmen sollen, ja, daß sie so

häufig noch gänzlich mißrathen?

kaun nicht die Ursache sein.

Mangel au Schulen

Die Einrichtung der

Schulen kann auch nicht Schuld daran sein.

Man

läßt sich in den besser eingerichteten Staaten das hö­ here Schulwesen genug kosten, und zweckmäßige Schul­ einrichtung, Unterrichtsmittel, Unterrichtsmethode sind

noch nie auf einer so hohen Stufe der Vollkommenheit

gewesen, als zu nnseren Zeiten.

Woher kommt es

denn, daß sie nicht durchgreifender zum Wohlsein der

Staaten und der Einzelnen wirken? Diese Frage kann aus dem Grunde kein anderer beantworten, als ein Lehrer an den untersten Classen

der Bürger- und Gelehrten-Schulen.

Wer in dieser

Eigenschaft die Erfahmng gemacht hat, in welchem Zustande die Kinder gewöhnlich diesen Schulen über­

geben werden, der muß sich wundern

wie di« Schule

IV

nur noch so viel Verdorbenes wieder gut machen kann. Da sind erst die armen Kleinen einige Jahre lang in den Kinderstuben gehalten, wie die Vögel im Käfige,

von Mutter und Vater verzärtelt, von Ammen und Wärterinnen dagegen geschmähet und gestoßen, oder im glücklichen Falle sich selber überlassen, ohne daß jedoch die jungen, treibenden Kräfte Gelegenheit und

Spielraum zur Entwickelung fänden.

Dazu, und da»

mit man die kleinen unruhigen Gäste aus dem Hause

los wird, werden sie denn so früh, als es irgend gehen will, in Schreib- und Lese?Schulen gebracht, welche größtentheils (die Ausnahmen in Ehren) von

Männern und Frauen ohne allen pädagogischen Takt und ohne Liebe gehalten werden. Auf diesen Unglück­

lichen lasten häufig alle Schmach, aller Kummer, alle Qualen eines verworrenen und verfehlten Lebens,

womit sie genug zu thun haben — wie können sie dabei nur die Bedürfnisse, der Kinder bemerken, ge­ schweige denn befriedigen? heiterste Dasein.

Dazu gehört das reinste,

Sind die Kinder in den Kinder­

stuben ohne Zucht und ohne Uebung und Richtung

ihrer Kräfte ausgewachsen, so werden sie durch die finstere Laune verdrießlicher Lehrer und Lehrerinnen

noch dazu eingeschreckt und verdumpft, und in diesem Zustande kommen sie, wenn sie sieben, acht, neun

Jahre alt sind, in die öffentliche Schule, die dann aus dem verdorbensten Klotze noch einen Merkur bil­

den soll, was denn natürlich häufig nicht mehr ge­

lingen kann.

V

Soll die künstliche Schule ihre Bestimmung er­

füllen: würdige, nützliche und glückliche Menschen für das Leben zu bilden, so muß die natürliche Vorschule

ihre Obliegenheit nicht schuldig geblieben sein,

so

muß die Lebensschule zur Schule vorbereitet, auf die Schule tzingcleitet haben. Die Vorsehung hat auch in ihrer still und ver­ borgen wirksamen Güte für diese natürliche Schule

gesorgt.

Sie hat die Mutter zum Lehrer gemacht,

sie hat HauS, Hof und Garten zur Schulstube auf»

gebauet, sie hat Scherze, Lieder, Spiele, Bilder, Mährchen und andere Erzählungen als Unterrichts-

Material angeboten.

Aber man hat eine Zeitlang

klüger sein wollen, als die Vorsehung.

Man hat

dies ganze, unschuldige, heitere, inhaltsvolle Kinder­ leben beseitigt und seiner Gestaltung keine Aufmerk­

samkeit gewidmet; — die Mutter hatte keine Zeit, ihre

Lehrerstelle anzutreten — sie hatte zu viel mit Putz, Spiel, Tanz, Oper und Gesellschaften zu thun, und es war ja ganz unmöglich, diese nothwendigen Dinge aufzugeben; — die Schulstube ward auf die Kinder­

stube beschränkt, die Unterrichtsmittel wurden ver­ säumt, vergessen, ja verspottet.

Ein anderer Abweg, der in der frühesten Erzie­ hung zuweilen eingeschlagen wird, ist der gerade Ge­ gensatz des vorigen — man beschäftigt sich zu syste­ matisch mit dem Kinde.

Dies System bringt denn

eine einseitige Entwickelung hervor und stört dadurch das Gleichgewicht der Kräfte so früh, daß es nur

VI

schwer und spät, ja in den meisten Fällen gewiß nie

wieder errungen wird.

Besonders schädlich wurde

daS System, welches dem Kinde noch an der Mutter-

Brust, wenn es möglich gewesen wäre, die Regeln der Logik beigebracht hätte, damit es von Anfang an nach

den Regeln der Kunst erkennen und denken lernte. ES kommt aber für die wahre Ausbildung des Kin­ des für seine selbstthätige, vielseitige, thatkräftige und thatenlustige Entwickelung, mit einem Worte, für die

fröhliche und naturgemäße Gestaltung seines Lebens nicht darauf an, daß eö die äußerlichen oder inner­

lichen Merkmale der natürlichen Gegenstände anffaffe

und behalte,

und ihre abstrahirten Verhältnisse zu

einander auswendig lerne, sondern daß es den Platz

deS natürlichen Gegenstandes in der Wechselwirkung der Dinge, durch

äußere oder innere Anschauung

kennen lerne, und eine Ahnung davon bekomme, wie der Gegenstand nothwendig im Ganzen mit verschlun­

gen ist und in welchem natürlichen Zusammenhänge wir mit ihm stehen. wenig Worten,

Das zeigt oft ein Scherz von

ein Räthselchcn,

eine Frage,

ein

Mährlein viel anschaulicher, cindringender und un­

widerstehlicher, als eine gelehrte Abhandlung.

Und

eben weil unsere verflossene und in ihren Wirkungen noch fortdauernde verständige Zeit diesen unmittelbaren

Zusammenhang,

diese unbedeutend scheinende Wirk­

lichkeit übersehen hat und überstehet,

so muß wieder

ein naturgemäßeres Verfahren mit Bewußtsein einge­

schlagen werden.

Wir müssen zurückkehren zu den

VH

Produkten einer einfältigen, naive« Zeit, der Kinder­ zeit Unseres Volkes, Scherzen,

Spielen,

und ihren Regeln,

Sitte«,

Erzählungen re. wieder einen

größeren, obwohl einen genau bemessenen Einfluß auf die Erziehung verstatten. Wir werden die Erfahrung machen,

daß sich an diesen Materialien wiederholt,

was wir im Leben hundert Mal bemerken können:

Das Kind nimmt von einem Kinde eine Erkenntniß, «in Gefühl, ein Streben leicht an und in sich auf,

welche ein Erwachsener mit aller Kunst und Mühe nicht einimpfen würde. I. I. Wagner hat in seinem Systeme deS Unterrichts der Mutterschule in dem Ganzen der

geistcSentwickelnden Erziehung den ihr gebührenden

Platz wieder angewiesen. Graser sucht durch seine UntrrrichtSgymnastik in seiner Elementarschule für das Leben noch nachzuholen, was die Mutter­ schule versäumt hat. Beide konnten in den genannten Büchern nach dem Plane derselbm keine ausführliche

Anweisungen zn der Einrichtung einer Mutterschule

gebe».

Wenige aber möchten im Stande sein, die

Ansichten, welche ein Dritter darüber vorträgt, rich­

tiger zu würdigen, als eben sie. Eben deshalb werden sie hoffentttch dem Publikum

ihr Urtheil über diesen Versuch — den Grund zu einer Muttcrschule gu legen —

nicht voreuchalte«,

und eS so denen, welche auf diesem Grunde fort­ bauen wollen, möglich machen — «in vollkommnerrS

und zweckmäßigeres Gebäude aufzuftihren.

VIII

Denn als ein sehr unvollkommner Versuch ist die

vorliegende MuUerschule nur zu betrachten — daS kann Niemand deutlicher einsehen, als ihr Verfasser.

Es müssen sich

erst Kindersreunde aller Provinzen

unseres deutschen Vaterlandes die Hände bieten, da­

mit die überall verborgenen Elemente, welche für eine Mutterschule benutzt werden können und müssen, an

den Tag kommen.

Scherze, Spiele, Lieder, Räthsel,

Erzählungen, die auf irgend eine Art daS Geistes­

oder Gemüthsleben des Kindes wecken, sind überall

zahlreich in der Tradition vorhanden.

Sie müssen

ausgesucht und allgemein zugänglich gemacht werden, damit sie nicht mit einem alten Mütterchen für einen ganzen Ort, ja für eine ganze Gegend aussterben.

Die kleinen Lieder müssen in Noten gesetzt werden. Die Ansichten über das Ganze und über Einzelnes müssen erst mit einander kämpfen, damit die Wahr­

heit den Sieg bekomme.

Dann erst-wird eine voll­

ständige und durch und durch planmäßige Mutter­

schule an das Licht treten können.

Wollen Einzelne

dafür wirken, so erbietet sich der Verfasser, gern ihre

Beiträge durch die Hellwing'sche Hofbuchhand­

lung zu Hannover anzunehmen und entweder selbst öffentlich zu machen oder demjenigen zur Benutzung

auszuliefern, der rüstigere und geschicktere Hände an

das Werk legen will. Der Verfasser zweifelt daran, daß es gut sei, den

Müttern die Mutterschule in einer anderen Gestalt in die Hände zu geben, als in der Gestalt geordneter

Materialien.

Diese müssen die Mütter inne haben,

ehe sie die Schule halten können; und eS wäre dämm sehr zweckmäßig, daß sie als Töchter in de» Töchter­ schulen sich die Materialien dieser Mutterfchule ein­ prägten.

Die Größeren könnten den Kleineren er­

zählen.

Die Mütter, die Lehrer und Lehrerinnen in

Klein-Kinderschulen, die Elementarlehrer, denen eS. nicht an Zeit mangelt, dürfen die Mühe nicht

scheuen, dasjenige, was sie vortragen wollen, vor­ her auswendig zu lernen, sonst thut es nicht die

halbe Wirkung. Auch würde eine Mutter sehr irren,

wenn sie

meinte, ihre Schule stundenweise halten zu müssen. Jeder Augenblick kann und wird eine Schulstunde

werden, wenn sie die Materialien der Mutterschule wohl inne hat, und nur eine solche Schule paßt für ihr Kind bis zum sechsten Jahre. Ueber den rechten

Gebrauch dieser Materialien kann Niemand einer Mutter eine völlig erschöpfende Anweisung geben, als die Liebe in ihrem Herzen und ihre erleuchtete Vernunft, und damit segne der Gott der Liebe und der Wahrheit alle Mütter.

ES bleibt jetzt nur noch übrig,

den Müttern,

welche dieses Buch gebrauchen wollen, eine kurze

Uebersicht über den Inhalt desselben zu geben, damit sie wissen, wo sie für ihre jedesmaligen Bedürfnisse

Befriedigung zu suchen haben.

X

Der erste Theil enthält drei Hauptabschnitte, welchen die Titel: Tändeleien, Spiel und Ernst vor­ gesetzt sind. In den Tändeleien findet die Mutter zuerst

Wiegenlieder;

zweitens Reiterlicder, Tanzlieder

und dergl. mehr; drittens allerlei Scherze, die man

wohl mit kleinen Kindern zu machen Pstegt; vier­ tens die einfachsten Geschichtchen für Kinder, in denen sich nur eine Vorstellung an di« andere reihet,

ohne Knoten und Lösung des Knotens, ja zuweilen

sogar ohne Abrundung aller Vorstellungen zu einem

Ganzen. Der Abschnitt, der die Aufschrift: Spiel trägt, handelt zuerst von Spielsachen, giebt zweitens Spiele der ersten Kinderjahre an, und drittens

Spiel- und Kinderlieber. In dem dritten Hauptabschnitt ist dann angege­

ben, wir die Mutter allmählig das Kind zu ernster, geistesentwickelnder Beschäftigung leiten kann.

von handeln fünf Aufsätze.

Da­

Der erste spricht von

Bilderbüchem und Erzählungen; der andere unter­

sucht, ob den Kindern auch Mährchen erzählt werden

dürfen; der dritte giebt Anweisung, wie daS erste Zählen und Rechnen anzustellen ist; der vierte spricht

von den ersten Uebungen im Zeichnen, und der fünfte von dem Unterrichte, den jede Mutter in der Religion

ertheilen kann.

Der zweit« Theil der Mutterschule enthält ebenfalls drei Hauptabschnitk. In diese ist mannig-

faltiger Stoff »ertheilt, der von der Mutter zur Ent­

wickelung der Frömmigkeit, Sittlichkeit und

Erkenntniß in ihrem Kinde verwandt werden kann. In dem ersten Abschnitte, der zur Entwickelung

der Frömmigkeit dienen soll, sind Verse enthalten, die sich auf Gottcö Dasein und Eigenschaften beziehen,

Gebete und fromme Betrachtungen. In dem zweiten Abschnitte findet die Mutter Fabeln und Erzählungen zur Entwickelung der Sitt­ lichkeit, und unter denselben kleine Denksprüche, durch welche der Haupteindruck im Gemüthe wie im Ge­

dächtnisse des Kindes befestigt werden soll.

Die

Mutter wird hier die Hauptäußerungen der sittlichen Natur bei dem Kinde berücksichtigt finden.

und Schuld,

Unschuld

Enthaltsamkeit und Unenthaltsamkeit,

Bedachtsamkcit und Leichtsinn, Gehorsam und Unge­ horsam, Liebe und Haß, Berufstreue und Nachläs­ sigkeit sind die Fächer, in welche der Stoff »ertheilt

ist, und die Mutter kann in diesen Fächern finden,

waS ihr nun eben in einem besonderen Falle nöthig ist. Der dritte Abschnitt enthält Stoff zur Entwicke­ lung der Erkenntnißkräfte. Auch dieser ist zur leich­ teren Uebersicht in so fern geordnet, daß unter vier

Rubriken zu finden ist, was sich zuerst auf Thiere, zweitens auf Pflanzen, drittens auf Minerale

und Elemente und viertens aufKunstproducteund

anderswo nicht Unterzubringendes bezieht.

Der dritte Theil der Mutterschule enthält endlich Kinder-Mährchen und Erzählungen, nebst

XII

einigen Vorbildern, an denen die Mutter abnehmen kann, wie sie ihre belehrenden Unterhaltungen mit den Kindern einrichten muß. Dieser Art sind die Erklärung des BildeS vom Löwen und dem Lamme, die Räthselaufgaben, die Geschichten vom kleine» Heinrich und die Reise.

Der Verfasser.

Inhalt

I, Tändeleien. Wiegenlieder, Mutterscherze und AmmenmLhrchen S. 1. Wiegenlieder

---------

3

— 11

2. Reiterlieder, Tanzlieder und dergl. - - -

— 20

3. Allerlei Scherze - -- -- -- -- -- -

— 25

4. Kinder - Geschichten

--------- - — 28

II. Spiel. 1. Ueber Spielsachen - -- -- -- -- -- -- -

— 57

2. Bon Spielen der Kinder und Kinderspiele - -

— 66

1. Scherzspiele im Stillfitzen ------

— 70

2. Sprach - und Dorsprechspiele - -- -- -

— 78

3. Spiel mit Bewegung, besonders im Freien

zu spielen - -- -- -- -- -- -- - — 82 4. Dramatische und pantomimische Spiele 3. Spiellieder und Kinderlieder - -- -- -- --



91

— 100

XIV

HL Ernst. 1. Bilderbücher und Erzählungen

- -- -- --

S.

123

-----



143

- -- -- -- -- -- -



lot

------------



163

5. Religion und Christenthum - -- -- -- --



169

2. Sollen Mährchen erzählt werden? 3. Zählen und Rechnen

4. Zeichnen

I.

II. Spiel.

1. Ueber Spielsachen. kommt Weihnachten heran, und Du gehst auf den Weihnachtsmarkt, gute Mutter, um Spielsachen für Deine Kinder einzukaufen. Aber, hilf Himmel! Da steht Bude an Bude und alles voll, von oben bis unten — was sollst Du nehmen? Womit sollen überhaupt die Kinder spielen ? — das ist eine Frage, die wohl mancher Mutter schwer auf's Herz fällt. Du wirst nickt verlangen, daß ich Dir ein Verzeichniß von Spielsachen hier aufführe, sondern es kann Dir nur um die Grundsätze zu thun sein, nach denen Du bei der Auswahl der Spielsachen zu verfahren, und nach welchen Du sie Deinen Kindern darzubieten hast. Wenn Deine Kinder wirklich Vergnügen und damit den wahren Nutzen von ihren Spielsachen haben sotten, so mußt Du einige Vorsichtsmaßregeln beobachten, die ich hier voranstellen will, ehe ich über die Auswahl der Spielsachen rede. Vor allen Dingen herrsche in allen Spielsachen die größte Einfachheit. Damit meine ich zuerst: Gieb Dein en Kindern ja nicht zu viele Spielsachen auf einmal. Schon der alte Weise, Plato, warnt davor, weil die Kinder dadurch flatterhaft und unzufrieden werden und immer Neues haben wollen. Es wird dadurch der Grund zu dec Unersättlichkeit und zu der Genußsucht gelegt, welche wie ein Krebs an dem Frohsinn und an dem Wohlstände von tausend Familien und Individuen nagt; — es wird dadurch die Geistesform erzeugt, deren ganze- Leben in einem oberflächlichen Hinwegschweben be­ steht und in einem unaufhörlichen Phantasiren, das durch

58 ewig unbefriedigte Wünsche immer von Neuem aufgeregt wird. Gieb ferner Deinen Kindern keine Spiel­ sachen in die Hande, die sie schonen müssen. Du arbeitest Deinen Zwecken damit geradezu entgegen. Das Spiel macht dem Kinde Vergnügen, weil es eine freie Thätigkeit, eine ungehemmte Uebung und Entfaltung seiner kindlichen Kräfte ist. Wenn es nun gezwungen wird, sich in dem freien Laufe seiner Thätigkeit immer wieder durch die Aufmerksamkeit auf sein Spielgeräth und durch die Besorgniß, es zu zerbrechen, aufhalten zu lassen — muß es ihm da nicht zuletzt eine unerträgliche Unlust machen? Solche kostbare und zerbrechliche Spielsachen machen das Kind unfehlbar verdrießlich, ziehen ihm Ver­ weise zu, ja können in einzelnen Fällen wohl gar den Nachtheil haben, dem Kinde eine zu frühe Liebe zu einem todten Besitz einzuflößen. Bei einer dritten Regel, die ich Dir jetzt geben will, befinde ich mich in einiger Verlegenheit, wie ich sie aus­ sprechen soll, damit Du sie nicht mißverstehest. Ich möchte Dir nämlich darin empfehlen, die Theilnahme Deines Kindes für das Spielzeug, das ihm geschenkt wird, durch Deine eigene freund­ liche und fröhliche Theilnahme daran zu er­ höhen. — Ich möchte Dich bitten, durch Mitspielen Deinem Kinde den unterhaltendsten Gebrauch von seinem Spielzeuge machen zu lehren. Aber ich muß Dich dabei auch eben so ernstlich daraus aufmerksam machen, daß das geringste Uebermaß Deiner Theilnahme Deinem Kinde alle seine Lust stören und verleiden kann. Du kannst nicht genug gegen Dich selbst aus Deiner Hut sein, um nicht auf diesen Abweg einer übermäßigen Einmischung zu gerathen, da wir gar zu leicht mit Kindern wieder Kinder werden , und damit endigen, im Ernste mitzuspie­ len, wenn wir auch im Scherze anfangen. Und spielten, wir wirklich noch wie die Kinder, so ließe ich es wohl hin­ gehen, aber wir machen unfehlbar bald unser Uebergewicht geltend, wollen, daß sich das Kind nach unserer Weise

59 vergnügen soll und sind damit schon wieder der Freiheit der Kinder zu nahe getreten, welche die erste Bedingung eines erheiternden und dadurch auch entwickelnden Spieles ist. Durch diese Scylla und EharybdiS möchtest Du viel­ leicht am sichersten hindurch segeln, wenn Du das neue Spielzeug anfänglich dem uneingeschränkten freien Gebrauche Deines Kindes gänzlich, ohne Deine Einmischung, über­ lässest. Siehst Du aber, daß der Kleine sich gar nicht auf eine unterhaltende Weise damit zu beschäftigen weiß, oder ist er einer Unterhaltung damit müde und Du kennst noch eine andere, oder er fordert Dich selbst auf, mitzu­ spielen, dann setze das Mühlwerk seines stockenden Thätigkeitstriebes wieder durch einen leisen Anstoß in Be­ wegung. Bei der Auswahl de- Spielzeuges wirst Du nun vor allen Dingen den Unterschied der Geschlechter vor Augen haben müssen. Die empfängliche Natur deS Mädchens, die Richtung seines Geistes nach innen, seine Beschrän­ kung auf einen kleineren Umkreis des Lebens fordert ganz andere Gegenstände zu seiner spielenden Unterhaltung, als die thatkräftige Natur des Knaben; sein Drang, nach Außen zu wirken und alle Lebensverhältnisse unter seine Herr­ schaft zu bringen. Die sanfte , schonende Behandlung des Mädchens wird auch erlauben, ihm zartere und zerbrech­ lichere Gegenstände in die Hände zu geben, während für den ungestümen, zerstörenden Knaben schon standfestere und zähere Spielsachen nöthig sind, oder doch solche Ge­ genstände, die leicht auch die gewaltsamste Behandlung aushalten. Für Deine kleinen Mädchen kann ich Dir dennoch nichts Anderes Vorschlägen, als was sie wahrscheinlich schon ha­ ben, nämlich Puppen mit Zubehör. Dieses Zubehör kann sehr vollständig sein, kann eine ganze weibliche Einrichtung im Kleinen sein, an Kleidungsstücken, Geräth und son­ stigen Dingen. Nur darf hiebei die erste Regel ja nicht vergessen werden, daß nicht zu viel gegeben werde. Zu viel aber würde gegeben, wenn sich -in Gegenstand meh­ rere Male fände, z. B. mehrere Puppenwiegen, oder

60 Gegenstände, welche d!e Kleine noch nicht in ihrem Spiele mit der Puppe zu gebrauchen wüßte, oder überhaupt so Vieles, daß die Kleine ihren Reichthum nicht übersehen und also auch nicht in Ordnung halten könnte. Denn dazu kannst Du Deine kleinen Mädchen nicht früh genug gewöhnen. Sie dürfen nicht eher an ein anderes Geschäft gehen, nicht eher ein anderes Spiel anfangen, nicht eher zu Bett gehen, bis sie das gebrauchte Spielgeräth sauber und ordentlich an dem einmal dazu bestimmten Orte aus­ gestellt haben. Zu Spielzeug für Mädchen paßt auch vorzüglich alles Küchen- und andere Hausgeräth, und es ist für sie eine unerschöpfliche Quelle von Vergnügungen, damit nachzuthun, was sie die Großen thun sehen. Besonders pflegt sich auch früh die Leidenschaft für die edle Kochkunst zu entwickeln, und es wird gewiß künftig wieder in der Küche gespart, was Du jetzt an Semmeln, Honigkuchen, Ro­ sinen, Eorinthen, Milch u. s. w. Deinen Kleinen reichlich zu Theil werden lassest. Du mußt auch zuweilen von ihren Kuchen mitessen. Daß Blumen ein Lieblings-Spiel­ zeug kleiner Mädchen sind, daß sie gern Kränze daraus winden und sich sonst vielfältig damit vergnügen, darf ich wohl nicht erst erinnern. Ein anderer Kinderfreund hat freundliche Sorge für Mütter getragen, indem er eine ganze Reihe spielender Beschäftigungen der Kleinen angegeben hat und dabei auf passendes Spielgeräth aufmerksam macht. Vieles, "was er aufzahlt, paßt zwar auch für kleine Mädchen, allein das Meiste wird vorzugsweise für Knaben geeignet sein. Da sein Buch („Wilhelmine" von Karl Hahn. Berlin bei Maurer.) wohl nicht in so vieler Mütter Hande ist, wie es sein sollte, so sieht er es gewiß nicht ungern, wenn ich Euch diesen Abschnitt daraus hier mittheile, und Ihr nehmet ihn ohne Zweifel dankbar auf. „Kleine Kinder nehmen gern Dinge in die Hand, die sie bearbeiten können. Ein Stückchen weiches Papier, daß sie zerreißen können, macht ihnen mehr Vergnügen, als ein Püppchen. Altes, was Geräusch auf eine leichte

61 Art hervorbnngt, ist ihnen angenehm. Ein Trommel­ klöppel, mit dem sie auf ein ausgespanntes Leder schlagen; ein hölzerner Hammer, mit dem sie aufpochen; ein paar Stückchen Holz, die sie aufwerfen können, machen ihnen große Freude. Mit Damensteinen, kleinen Hausern, Ke­ geln spielen sie gern, weil sie dieselben hinsetzen, wegneh­ men , niederwerfen und leicht wieder aufheben können. Sind sie zu kriechen oder zu gehen im Stande: so suchen sie sich selbst Spielzeug, es mag nun ein Hölzchen sein oder ein Stock, oder eine Nadelbüchse, oder ein Buch. Unter allen Arten von Spielsachen, welche etwas Leben­ des darstellen, gefallen den kleinen Kindern die Thierstücke am meisten, wenn diese etwas groß sind. Die, welche von den Tyrolern ausgearbeitet werden, sind ihrer Halt­ barkeit und ihres treuen Charakters wegen am meisten zu empfehlen. Am liebsten spielen die Kinder im Sande. Ist er naß, so laßt er sich in allerlei Formen drücken, und hat doch Zusammenhang, obgleich er leicht den klei­ nen Fingern nachgiebt. Du kannst den Kindern Töpfchen aus Zinn oder kleine hölzerne Gefäße geben. Sie werden bald den Sand einfüllen und wieder ausschütten lernen. Du kannst einen Fingerhut nehmen, und in demselben Häufchen Sand abformen, welche Du die Reihe nach auf dem Tisch anbringst. Das Kind freut sich über die ab­ geformten Fingerhüte, es hat aber auch eine Vorstellung vom Abformen erhalten. Es wird Dir bald den Finger­ hut selbst hinreichen, daß Du wieder abformen sollst, und endlich wird es selbst Versuche machen. Es trägt sich übrigens den ganzen Tag mit Sande, streut ihn bald da, bald dorthin, sucht ihn wieder zusammen zu häufen, läßt ihn durch die Finger laufen, legt sich wohl auf ihn hin. Das Spiel mit Sande kannst Du mit dem Kinde bis in das höhere Knabenalter fortsetzen; dieses Spiel erhält nur nach und nach immer mehr Ausbildung und Bedeu­ tung. Ich habe schon mehreren Kindern einen niedrigen Tisch machen lassen. Um das Tischblatt ist ein zwei Zoll hoher Rand angebracht. So gleichet dieser Tisch einem flachen Kasten, der auf niedrigen Füßen steht. In den

62den Aasten wird nasser Sand geschüttet. Die Kinder machen Berge und Thaler aus dem Sande. Ich gebe ihnen Baume aus Moos, und verschiedene andere kleine Moosarten, welche den Rosenstöcken ähnlich sind. Da­ mit wird die Landschaft bekleidet. Die Bäume kann man mit weniger Mühe verfertigen. Es giebt Moos, das wie kleine belaubte Zweige gewachsen ist. Von diesem nimmt man ein Büschchen und bindet es an ein astiges Stück­ chen von einer Birkenruthe, welche dann in den nassen Sand gesteckt werden kann. Diese-Nachbildung wird den Bäumen in der Natur sehr ähnlich, und hat nicht daSteife der Drechslerarbeit. Wenn die Kinder einige Schach­ teln voll Häuser und kleiner Figuren von Menschen und Thieren besitzen, so können sie ihre Landschaft vollends lebhaft machen. Dieser Sandtisch ist von großem Nutzen. Das Kind hat nicht allein hier Gelegenheit, seine bildenden Kräfte zu üben, es lernt auch nach und nach das richtige Verhältniß der Dinge zu einander einsehen, und bildet seinen Geschmack. Ich hatte einmal eine englische Garten­ anlage auf so einem Tische hingestellt. An den Garten zog sich eine Fahrstraße hin, welche mit kleinen Wagen und Reitern belebt war. Ich chatte den kleinen Wilhelm schon vorher darauf aufmerksam gemacht, daß man nicht Figuren wählen dürfe, die höher als die Bäume und die Häuser wären, und das hatte er bald sehr wohl begriffen, und seinen Blick daran gewöhnt. Es kam aber ein drei­ zehnjähriger Knabe, mit Namen Joseph, zu Wilhelm, und besah mit besonderem Wohlgefallen die Gartenanlage, auch wollte er gern das seinige dazu beitragen, darum setzte er eine große Drechslerkanone hinauf auf einen Berg. Da sprach der vierjährige Wilhelm: ,,O Joseph, wie bist Du dumm! Die große Kanone hinauf auf den kleinen Berg!" „Nächst dem Sande ist das Spiel mit bunten kleinen Kugeln aus Holz für kleine Kinder sehr anziehend. Weil die Kugel nie fest ruht, so scheint sie immer Leben zu haben. Und das Bewegliche ist den Kindern sehr will­ kommen. Sie können die Kugeln hinstellen, können sie

63 fortrollen lassen, können sie aufwerfen. Auch kannst Du dem Kinde frühzeitig den Ball in die Hande geben. Das Kind versucht Dir nachzuahmen und den Ball zu werfen. Es macht sich eine heilsame Körperbewegung, und übet auf eine neue Art seine Hand. Ein großes Vergnügen finden Kinder an Zerbrechung des Holzes. Das Holz ist nur splitterig und kann die Händchen leicht verwunden. Ich gebe meinen Kindern Hobelspäne, auch den Abfall von der Drehbank. Damit wissen sie sich auf mancherlei Art zu vergnügen. Kleine viereckige Stückchen Holz in Gestalt gehauener Steine gewähren den Kindern auch manchen Zeitvertreib, besonders wenn sie der Mutter nach­ ahmen und, wie diese, mit den hölzernen Steinen auf dem Tische bauen wollen. „Kleine Kinder fahren auch gern etwas. Aber alle un­ sere Spielsachen zum Fahren, z. B. Tiger, Schlitten, Reiter, Schafe, ein Brett voll zitternder Gänse u. s. w., haben den Fehler, daß die Kinder, wenn sie fahren, die­ selben hinter sich haben. Sie sehen daher zu dem rachkommenden Spielwerk immer rückwärts, und haben nicht nur dadurch einen unbequemen Gang, sondern sie laufen auch Gefahr, durch Hinstürzen oder Anstoßen sich stark zu beschädigen. Der Schiebkarren ist das einzige Spiel­ zeug, welches vor dem Kinde hergeht; aber er ruhet auch nur auf einem Rade und ist daher für das kleine Kind schwer zu handhaben. Am besten ist es, wenn man statt aller Reiter und Kühe zum Nachfahren, ein dauerhaftes Stück mit zwei Nädern und zwei Armen zum Stoßen machen läßt. Vier Räder darf so ein Ding nicht haben, sonst wird die Umwendung verhindert. Dieses Räderwerk muß einen Kasten haben, daß das Kind Sand, Hobel­ späne und Gras einladen kann. Dem Bedürfnisse des Kindes ist nun abgeholfen, und es kann die Maschine vor sich herwandeln sehen. Für die grossem Kinder ist der eigentliche Wagen wieder ein angenehmes Spielwerk. Sie wollen den Wagen nickt laufen sehen, sie wollen mit seiner Hülfe Pserd und Fuhrmann spielen, oder etwas auf ihm fortbringen.

64 „Ich habe die Bemerkung gemacht, daß die kleinen Kinder von einem Vierteljahre schon einen Bücherschrank voll Bücher besonders gern ansehen. Das Gold der Titel auf dem farbigen Grunde gefallt ihnen besonders wohl, und wenn sie anfangen zu greisen, so strecken sie gern die Händchen nach den Büchern aus. Es gelingt ihnen auch wohl, in der Folge ein Buch herauszuziehen. Dann ist die Freude noch größer, und das Bücherhervorziehen bleibt ihnen eine angenehme Beschäftigung, bis sie so weit herangewachsen sind, daß sie sitzend mit einem Buche spielen können. Weil ein Buch sich leicht handhaben, sich mit so wenig Anstrengung auf- und zumachen, mit« hin immer verändern läßt; weil das Kind auch Blätter herausreißen kann, so bleibt ihm immerfort das Buch ein geliebter Gegenstand. Kaufe Dir einige unbrauchbare Bücher, liebe Mutter, und gieb sie Deinen Kindern preis/ So weit Karl Hahn. Ich füge noch einige Spiel­ sachen hinzu, die gewiss bei Deinen Knaben immer eine willkommene Aufnahme finden werden. Dahin gehören zuerst Stöcke zu Steckenpferden und Peitschen; Soldatenmützen, Gewehre, Sabel, aber ja keine Kleidung, welche Ähnlichkeit mit einer SoldatenUniform hat. Mit etwas Seifenwasser und einer zerbrochenen thönernen Pfeife, aus welcher sie dann bunte Seifenblasen her­ ausblasen, können sich Kinder ganze Nachmittage unter­ halten. Kleine Kugeln von Thon, Stein oder Marmor, mit denen die Knaben rollen können, gehören zu ihrem liebsten Spielwerk. Aus Karten lehrt man die Kleinen Kartenhäuser bauen. Auch kann man mit solchen Spielkarten den Kleinen noch eine andere Ergötzlichkeit bereiten, wenn man sie der Länge nach zusammen faltet und sie dann wieder halb ausein­ ander biegt, wodurch sie geschickt werden, sich aufstellen zu lassen. Stellt man solcher Karten viele hintereinander und stößt die hinterste an, daß sie auf die davor stehende fällt, so stürzt die ganze Reihe, oder was für eine Figur

65 man ausgestellt fyu, wie niedergemäht, indem die eine Karte die andere niederschlägt. Die Kinder lassen sich da­ langsame Aufstellen nicht verdrießen, um nur diesen köst­ lichen Anblick des Niederstürzens oft zu genießen. Ferner wissen sie lederne Riemen oder Bindfaden gewöhnlich zu ihrem Vergnügen anzuwenden. Große Freude finden die Kinder auch an bunten Eiern, und, ohne daß ich dem Ausnehmen der Vogeleier daWort reden will, sehe ich doch nicht ein, warum eine Mutter die Eier, welche ihr etwa zum Verkauf angeboten werden, nicht für ihre Kinder kaufen soll. Von den hohlen Stängeln der Dotterblume (Kuhblume, Löwenzahn), die ineinander gesteckt werden, machen kleine Knaben wie Mädchen gern lange Ketten. Auch schleifen die Knaben auf Sandsteinen wohl Kirsch­ kerne von beiden Seiten platt, wodurch am Ende ein kleiner Ring entsteht, deren mehrere ineinander gehäkelt niedliche kleine Ketten bilden. Diese Beschäftigung ist eine treffliche Uebung in der - Beharrlichkeit. Unter Aufsicht der Mutter können den Kleinen auch wohl ohne Bedenken Scheeren in die Hand gegeben wer­ den, um damit Figuren aus Papier auszuschneiden. Man fängt mit den einfachsten Gestalten an, laßt ein vorgezeichneteS Dreieck oder Viereck, oder ein Kreuz, odereinen Stern ausschneiden. Dann giebt man Bilder hinzu, um sie aus der weißen Umgebung herauszuschneiden, und macht am Ende auch wohl schon kleine Forderungen an den Ersindungsgeist. Daß die Bilder auch als Spielzeug dienen, habe ich schon früher bemerkt. Doch sind schon bunte Papierstrei­ fen, die Bedeckung eines Arzeneiglases und dergleichen für kleine Kinder sehr wünschenswerthe Gegenstände. Ueber Alles geht ihnen das Spiel mit lebendigen Ge­ schöpfen, wobei aber ebensowohl Vorsicht anzuwenden ist, als auch besonders bei Knaben der gewaltsamen Behand­ lung der armen Thiere gesteuert werden muß. Für sechs­ jährige Knaben und Mädchen ist es schon eine eben so große Ehre als Freude, wenn man ihnen die Wartung

I.

5

66 und Pflege eines Vogels oder eines anderen lebendigen Geschöpfes übertragt. Doch brauche ich wohl nicht zu erinnern, daß man sich noch nicht auf sie verlassen darf.

2. Vom Spielen -er Kinder und Kinderspielen.

Die Natur hat den Menschen das Kindesalter zum Spielen gegeben, darum wirst Du, gute Mutter, Dein Kind so wenig darin stören wollen, als können. Im Spielen erfüllt es seine Bestimmung während der ersten fünf bis sechs Jahre seine- Daseins, und wir können sein Spielen wahrend dieser Zeit eben so richtig Arbeiten nen­ nen, als alles Arbeiten in diesem Abschnitte seines LebenSpielen. Du wirst der Natur auch selten zu Hülfe zu kommen brauchen, sondern wenn Du nur für SpielRaum sorgst, so wird sich das Spielen schon von selber machen, besonders wenn Du diesen Spiel-Raum auch mit einigen einfachen Spielsachen bevölkerst. . Der Garten oder sonst ein Spielplatz im Freien, die Hausflur, oder wenn das Beides nicht zu haben ist, eine leere, kahle Stube ersetzen Deinen Kindern noch reichlich das Paradies, welches Vater Adam ihnen verloren hat. Sie brauchen den Engel mit dem feurigen Schwerte, der davor steht, auch nicht eher zu merken, als wenn sie ihre gährenden, brausenden Kräfte auch im Wohnzimmer wollen austoben lassen. Es ist eine falsche Nachgiebigkeit, zu leiden, daß an diesem Orte, an welchem die Erwachsenen ihre ernst­ haften Geschäfte treiben, die Kinder das Wort allein führen, das Unterste zu oberst kehren, und Alles in Staubwolken hüllen. Hier müssen sie schon früh fühlen, daß sie eine untergeordnete Rolle spielen, daß es eine höhere Ordnung der Dinge giebt, unter welcher sie sich beugen müssen, daß sie eine uneingeschränkte Freiheit nicht als ein. Recht fordern können, sondern von Zeit ju Zeit

66 und Pflege eines Vogels oder eines anderen lebendigen Geschöpfes übertragt. Doch brauche ich wohl nicht zu erinnern, daß man sich noch nicht auf sie verlassen darf.

2. Vom Spielen -er Kinder und Kinderspielen.

Die Natur hat den Menschen das Kindesalter zum Spielen gegeben, darum wirst Du, gute Mutter, Dein Kind so wenig darin stören wollen, als können. Im Spielen erfüllt es seine Bestimmung während der ersten fünf bis sechs Jahre seine- Daseins, und wir können sein Spielen wahrend dieser Zeit eben so richtig Arbeiten nen­ nen, als alles Arbeiten in diesem Abschnitte seines LebenSpielen. Du wirst der Natur auch selten zu Hülfe zu kommen brauchen, sondern wenn Du nur für SpielRaum sorgst, so wird sich das Spielen schon von selber machen, besonders wenn Du diesen Spiel-Raum auch mit einigen einfachen Spielsachen bevölkerst. . Der Garten oder sonst ein Spielplatz im Freien, die Hausflur, oder wenn das Beides nicht zu haben ist, eine leere, kahle Stube ersetzen Deinen Kindern noch reichlich das Paradies, welches Vater Adam ihnen verloren hat. Sie brauchen den Engel mit dem feurigen Schwerte, der davor steht, auch nicht eher zu merken, als wenn sie ihre gährenden, brausenden Kräfte auch im Wohnzimmer wollen austoben lassen. Es ist eine falsche Nachgiebigkeit, zu leiden, daß an diesem Orte, an welchem die Erwachsenen ihre ernst­ haften Geschäfte treiben, die Kinder das Wort allein führen, das Unterste zu oberst kehren, und Alles in Staubwolken hüllen. Hier müssen sie schon früh fühlen, daß sie eine untergeordnete Rolle spielen, daß es eine höhere Ordnung der Dinge giebt, unter welcher sie sich beugen müssen, daß sie eine uneingeschränkte Freiheit nicht als ein. Recht fordern können, sondern von Zeit ju Zeit

67 einmal als eine liebreiche Einräumung mit Dank anzu< nehmen haben. Im Wohnzimmer sei den Kleinen jedes laute Geschrei untersagt, jede heftige, ungestüme Bewe­ gung, jedes lärmende Spiel; ja man halte sogar streng darauf, daß die Kleinen nicht ohne Noth und aus über­ müthiger Willkühr die Unterredungen der Erwachsenen W terbrechen. Dagegen enthalte Dich aber in dem Gebiete, das Dei­ nen Kleinen zum Spielen vergönnt ist, aller Einmischung in die Angelegenheiten Deiner Kleinen. „Wo kann das Kind seine Herrscherkräfte, seinen Widerstand, sein Ver­ geben, sein Geben, seine Milde, kurz jede Blüthe und Wurzel dec Gesellschaft anders zeigen und zeitigen als im 'Freistaate unter seines Gleichen? — Schulet Kinder durch Kinder! — Es tragt oft einem Knaben mehr ein, Prügel selber auszutheilen, als sie zu erhalten vom Hofmeister, desgleichen mehr, sie von seines Gleichen als sie von' sben herab aufzufangen. — Es regle und ordne der Lehrer rtnt nicht nach den Arbeiten wieder auch die Spiele. UeberHaupt ist's besser, gar keine Spielordnung zu kennen und zu machen, als sie ängstlich zu halten. Thiere und Wilde haben nie Langeweile. Kinder würden auch 'von keiner angefallen, wenn man nicht so sehr daran dachte, jede abzuwehren." (Jean Paul.) Was bei den Spielsachen galt, findet seine Geltung auch bei den Spielen — je weniger Spiele sie zu ihrer Unterhaltung bedürfen, je einfacher diejenigen sind, mit denen sie sich begnügen, desto ersprießlicher sind sie für ihren Geist und für ihren Charakter. Wolltest Du Dei­ nen Kindern unaufgefordert mit der Angabe von Spielen zu Hülfe kommen, so würdest Du auch bald sehen, wie eigensinnig der Geschmack der Kleinen ist, wenn sie näm­ lich natürlich aufgewachsen sind. Du wirst es bei dein beßten Willen erleben, daß sie auf Deine freundlichen An­ weisungen gar nicht achten, und während Du flehst und grübelst, wie es möglich ist, daß sie Dein sinnreiches', künstlich ausgedachtrS Spiel so gering achten, werden sie sich mit ihrer ganzen Seele wieder in die Lust eines

.5*

68 einfachen Spieles eintauchen, das sie schon Jahre lang alle Tage wiederholen. Was soll ich denn mit allen den. Spielen, wirst Du fragen, die ich einige Seiten später aufgeführt finde? Die sollen Dir doch noch wohl zu Statten kommen, Du lie­ benswürdige Fragestellerin; denn Deine Kinder werden endlich auch wohl einmal ihres alten Spieles müde und kommen mit langen Gesichtern zu Dir und klagen: Liebe Mutter, wir wissen nun nicht- mehr zu spielen! Lehre Du uns ein neues Spiel. Wird es Dir da nicht will­ kommen sein, einen kleinen Vorrath einfacher Spiele bei der Hand zu haben? Wenn Du nun dem Begehren Deiner Kinder einige Male gewittsahret hast, so werden die Kleinen unfehlbar glauben, daß Du eine unerschöpfliche Schatzkammer von Spielen bist, und unersättlich sein, neue Spiele von Dir zu lernen. Möchtest Du ihnen ihren süßen Glauben nun wohl durch ein armes, alle ihre Hoffnungen täuschendes: Ich weiß keins mehr — nehmen? Gewiß würde Dir dies eben so schmerzlich sein, als Deinen Kleinen, und darum rathe ich Dir, mit Deinem Vorrathe sehr sparsam umzugeherr, damit er lange genug ausreicht. Wenn Du deshalb Deine Kleinen mit zwei bis drei neuen Spielen bekannt gemacht hast, und sie wollen einige Tage nachher schon wieder ein neues wissen, so vertröste sie auf irgend einen bevorstehenden ausgezeichneten Tag, auf einen Ge­ burtstag , oder auf den Tag, wo Lotte ihren ersten Strumpf fertig hat, oder Fritz die ersten Höschen anziehen wird, oder auf Weihnachten, Ostern oder Pfingsten. Deine Kleinen werden sich so lange geduldig mit den alten Spielen begnügen, werden die Freuden der Hoffnung schmecken und genießen lernen und das lang erwartete neue Spiel mit größerem Vergnügen lernen und spielen. Die Spiele, welche ich Dir zum Gebrauche überliefere, sind freilich alle sehr kunstlos und einfach, aber Du darfst doch nicht glauben, daß Du sie Deinen Kindern durch eine trockene Anweisung beibringen kannst, sondern wenn sie dieselben lernen sotten, so mußt Du sie so lange mit

69 ihnen spielen, bis sie dieselben gefaßt haben. Kannst Du größere Kinder bekommen, denen Du ein solche- Spiet wirst leichter begreiflich machen können, so werden Deine Kleinen das Spiel von ihnen gewiß eher und mit größerer Lust lernen, als von Dir; denn Kinder lernen am liebsten und leichtesten von Kindern. Eine jede der vier Classen, in welche ich die Spiele vertheilt habe, fördert die Entwickelung de- Kindes auf eine eigenthümliche Weise. Die Spiele, im Sitzen zu spielen, üben die Aufmerk­ samkeit, schärfen die Geistesgegenwart, lehren Scherz machen und Scherz vertragen. Die Sprech- und Vorsprechspiele üben die Geläusigkeit im Sprechen, die Kraft des Denkens, und sind die er­ sten, noch willkommenen Gedächtnißübungen. Die Bewegungsspiele stärken und üben den Körper, geben ihm Behendigkeit und Geschmeidigkeit und gewöhnen an Regel und Recht, an Ordnung und Subotdination. Die dramatischen und pantomimischen Spiele sind eine Schule der Phantasie, üben die Combinationsgabe, schär­ fen den Witz, vertreiben die Blödigkeit, geben der Dar­ stellung Freiheit und Leichtigkeit, setzen die Erfindungskraft in eine wohlthätige Bewegung. Kurz, diese Spiele sind eine rechte Vorschule sowohl für die Schule, als" für das Leben. Alle Kräfte, welche die Schule weiter entwickeln, in Harmonie bringen, auf ibr rechtes Ziel richten sott, werden durch diese Spiele ge­ weckt und in eine fröhliche Thätigkeit gesetzt. Und das Leben findet sich in seinen wichtigsten Richtungen und in seinen bleibenden Verhältnissen darin abgespiegelt. Wer sich darein als Kind zu fügen weiß, der wird auch, erwach­ sen, sich in den größeren Lebensverhältnissen leicht zu be­ wegen wissen.* * Erst bei dem Abgänge de- Manuskriptes kommt mir ein Büchlein zu Gesichte, welches seinem Titel vollkommen entspricht, und mich durch seine Wohlfeilheit der undankbaren Mühe über­ hebt , daS Brauchbare daraus hier zusammenzustellen — ich hätte

70

1» Scherzspiele tut Stillfitzen. 1.

Ich sehe was, das Du nicht siehst.

Zwei bis drei Kinder vereinigen sich dazu. Eines faßt einen im Zimmer befindlichen Gegenstand ins Auge und sagt: Ich sehe was, das Du nicht siehst. Die Andern fragen: Wo ist es? Wix sieht es aus? Nach der Ant­ wort wird nun so lange gerathen, bis der Gegenstand ge­ troffen ist, worauf der, welcher gerathen hat, einen an­ deren Gegenstand zu rathen aufgiebt.

2.

Suchen.

Einer sucht. Die Andern verstecken Etwas, das ge­ sucht werden soll. Wenn der Sucher in die Nähe des verborgenen Gegenstandes kommt, so sagt Einer, welcher dazu erwählt ist: Der Busch, dec brennt. Der Busch, der brennt. Kommt der Sucher noch naher, so wird gesungen: Er steht in vollen Flammen. Entfernt sich der Suchende wieder, so heißt es: Es ist kalt. 3.

Das Farbenspiel.

Jedes Kind bekommt einen farbigen Papierstreifen oder wählt sich nur eine Farbe zu der seinigen. Dann fangt

sonst auch beinahe das ganze kleine Buch abschreiben müssen. Der Titel desselben ist: ,,Praktische Anweisung für Aeltern und Erzieher, welche ihre Kinder angenehm beschäftigen und ru nützlicher Wirksamkeit vorbereiten wollen, von I. A. O ehme. Neustadt an der Orla. 1828. (9 Gr.)" Ich bin gewiß, daß jede Mutter, welche sich dieses Büchlein anschafft, mir danken wird, daß ich sie darauf aufmerksam gemacht habe, und wünsche dem Herrn Verfasser zum Lohn für seine Bemühung, eine recht weite Verbreitung seiner so. nützlichen Anweisung.

71 Einer an: Meine Farbe ist eine schöne Farbe, aber nicht die häßliche rothe. Wer nun roth hat, muß aufstehen und dasselbe sagen und eine andere Farbe schmähen. So geht dies fort, so lange die kleine Gesellschaft Belieben findet. Wer nichts sagt und nicht aufsteht, wenn seine Farbe genannt wird, giebt oder leidet Strafe.

4. Das Kochen. Es werden Karten hingelegt, eine weniger, als Mit­ spieler da sind. Dann wird Einer außgezählt, welcher Kochen muß, das heißt: mehrere Gerichte nennen, die er bei einem Schmause gegessen hat, oder die er bei einem Schmause aufsetzen will. Wird nun ein Gericht genannt, welches zu den Suppen gehört, so müssen Alle nach einer Karte greifen. Wer keine Karte bekommt, wird auSgelacht und muß wieder kochen. Zur Abwechselung kann man nun auch bestimmen, daß dies bei einem Gemüse, oder bei einem Braten oder einem beliebigen anderen Ge­ richte geschehen soll.

5. Das Fisch en. Jeder aus der Gesellschaft legt sich den Namen eines Fisches bei. Einer wird vorher ausgezählt, und wenn sich nun Alle einen Fischnamen gewählt haben, so fängt er an zu sprechen: Ich fische, ich fische, Wohl über drei Tische, Wohl über drei Teiche, , Wohl über drei Königreiche, Kann doch nicht mehr finden als einen Aal. Wer sich nun den Namen eines Aales beigetegt hat, steht dann auf und spricht: Aal meiner! der Erste: Was frißt er? Der Andere antwortet nun den Namen eine- anderen Fisches in der Gesellschaft. Sobald er den Namen dieses Fisches, z. B. einen Hecht, genannt hat, so steht der Hecht auf und ruft:

7L Hecht meiner! und so geht es dann fort. Wer aufgerufen wird und nicht gleich aufsteht und ant­ wortet, muß ein Pfand geben oder bekommt den Plump­ sack. Dasselbe widerfährt dem, der den Namen eines Fisches aufruft, welcher sich nicht in der Gesellschaft findet.

6. Das Erbsenspiel. Bei diesem Spiele ist e- aufs Lachen abgesehen. Es kann nur von zwei Kindern gespielt werden. Einer spricht zum Andern: „Gieb mir eine Erbse." Antwort: Ich habe keine. „So geh zum Müller und hol Dir eine." Antwort: Ec giebt mir keine. „So such Dir eine." Antwort: Ich finde keine. „So blas' ich Dich." Antwort: So wehr ich mich. Nun blasen sich die Kinder einander in'S Gesicht, und wer zuerst lacht oder nicht mehr lachen kann, muß dem Andern eine Erbse geben.

7. Das weiße Ei und das schwarze Ei. Nur zwei können dies Spiel spielen. Der Frager faßt die Nase des Gefragten zwischen Daumen und Zeigefinger und fragt: Wo wohnt Niep? Antw.: Auf dem. Deiche. Frage: Was macht sie? Antw.: Legt Eier. Frage: Wie viele? Antw.: Fünfzehn. Frage: Welches soll ich haben? Antwortet nun der Gefragte: das schwarze; so drückt der Frager die Nase etwas fester und zieht den Gefragten daran, bis" er ruft: . Nein, nein, das weiße, das weiße!

73 Giebt der Gefragte aber gleich das weiße her; so muß der Frager die Nase auch gleich loslassen. Es ist aber Ehrensache, zuerst das schwarze herzugeben und der Nase nicht so bald das weiße abpressen zu lassen. — Dann werden die Rollen getauscht.

8. Das Niesespiel. Es gehört dazu eine größere Gesellschaft. Von dersel­ ben werden drei Chöre gebildet. An ein jedes dieser drei Chöre wird eine der drei Sylben: „Haß, Heß, Hiß" vertheilt. Einer zählt nun: Eins, zwei, drei! und bei drei sagt jedes Chor seine Sylbe. Dann ist es, als ob die ganze Gesellschaft nieset.

9. Alle Vögel fliegen. Die kleine Gesellschaft setzt sich um einen Tisch und Zeder legt seinen Zeigefinger oder seine ganze Hand auf den Tisch. Dann fängt der Meister an: Alle Bögel fliegen! und hebt dabei seinen Finger in die Höhe. Dies müssen Alle nachthun. Nun nennt der Meister einzelne Gegen­ stände, die fliegen sollen, z. B. alle Tische fliegen, alle Hühner fliegen, alle Bäume fliegen. Sind es nun Vö­ gel, die genannt werden, so muß Jeder seinen Finger aufheben. Sind es aber andere Gegenstände, die nicht fliegen können, so darf man seinen Finger nicht in die Höbe heben. Wer seinen Finger ruhen läßt, wenn der Meister einen Vogel nennt, oder wer seinen Finger aufhebt, wenn der Meister einen Gegenstand nennt, der nicht fliegen kann, der bezahlt oder leidet Strafe. Der Meister aber darf seinen Finger immer aufheben oder liegen lassen, um die Andern zu verführen.

10. Die Vögel. Die Kinder kleben sich auf die Nägel des Zeigefingers und Mittelfingers an jeder Hand ein kleines Stückchen Papier. Die Finger werden dann auf das Tischblatt

74 gelegt, so daß die Nägel mit den darauf geklebten Stück­ chen Papier zu sehen sind, und die Kleinen fangen an zu singen: Es saßen zwei Vögel auf einem Dache: Der Eine flog weg, Der Andre flog weg. Der Eine kam wieder. Der Andre kam wieder. Bei dem ersten Verse werden die beiden Mittelfinger untergeschlagen und die beiden Zeigefinger etwas aufgeho­ ben und bei dem Worte saßen wieder auf den Tisch gelegt, dann wieder einer zum Fliegen aufgehoben und bei den Worten: auf einem Dach, gleiten sie dann unter das Tischblatt herab, wo man zuerst das Papier des rechten Zeigefingers am Daumen abstreift, und bei dem Verse: Der Eine flog weg, den rechten Zeige­ finger ohne das Papier wieder auf das Tischblatt legt. Indeß streift man unter dem Tische das Papier auch von dem Nagel des linken Zeigefingers, und wahrend man singt: Der Andre flog weg, legt man auch diesen Zeigefinger wieder auf den Tisch, so daß nun die Nägel der beiden Zeigefinger, ohne die Papiervögel zu sehen sind. Bei den Worten Eine und Andre legt man die Finger auf den Tisch. Indem man nun weiter singt: Der Eine kam wie­ der, schlägt man im Aufheben den Zeigefinger unter und streckt den Mittelfinger aus, auf dessen Nagel noch der Papiervogel sitzt, und legt ihn bei dem Worte Eine auf den Tisch. Und so macht man es bei dem Verse: Der Andre kam wieder, mit dem Zeigefinger und Mittel­ finger der linken Hand. Bei dem Worte Andre legt man den Mittelfinger der linken Hand auf den Tisch, so daß dann beide Mittelfinger, mit dem Papiere auf beiden Nägeln darauf liegen.

11. Das Affenspiel. Der Meister spricht: Abraham hat sieben Söhne,

75 Sieben Söhne hat Abraham. Sie waren Alte fröhliglich, Und machten Alte, so wie ich. Dabei macht der Meister irgend eine Bewegung mit Hän­ den oder mit Mienen, und Jeder muß diese Bewegung nachmachen. Wer es unterläßt, giebt oder leidet Strafe.

12.

Vorsingen.

Der Vorsänger singt: Vier Gänse saßen im Stroh. Sie saßen Und fraßen, Und machten's Alle so. Die übrigen singen dies Alle nach, so lange der Vorsän­ ger singt. Sobald aber der Vorsänger aufhört, und wäre es auch mitten in einem Worte, so müssen Alle aufhören. Wer weiter singt, wird gestraft.

13. Kinder- Concert. Die Mutter setzt sich mit den Kindern in einen Kreis und theilt einem Jeden ein Instrument zu, welches es zu spielen hat. Dann singt sie die ersten drei Reihen der Strophe, und wenn sie die dritte gesungen hat, so stimmt das Kind mit den Sylben, die sein Instrument vorstellen, ein, und wiederholt diese Sylben mit der Mutter etwa zwei bis drei Mal. Dann schweigt das Kind und die Mutter fängt wieder von vorn an und setzt das folgende Instrument in Be­ wegung. Während dieses seine Sylben singt, also z.B. die Flöte: Dill, Dill, Dill, geht die Mutter zu dem vorhergehenden Instrumente zurück, zur Trommel, und währen sie singt: Rum, bum, bidi bum, fängt die Trommel an, diese Sylben zu singen, indem die Flöte immer ihre Sylben fortsingt. Je mehr Instrumente in Bewegung kommen, desto voller wird das Chor der In­ strumente, welches die Mutter eine Zeitlang fortsingen läßt, bis sie „Halt!" gebietet, und wenn alle schweigen, ein neues Instrument in Bewegung seht. Jeder darf

76 nur die Sylben singen, die seinem Instrumente gemäß sind.

. Kleines Männele, was kannst Du machen? Ich kann wohl spielen auf meiner Trumm, Rum bum, bidi bum, so macht meine Trumm, Rum, bum, bidi bum. Kleines Männele, was kannst Du machen? Ich kann wohl spielen auf meiner Flöte, Dill, bitt, bitt, so macht meine Flöte, Rum, bum, bidi bum, so macht meine Trumm, Rum, bum, bidi bum; dill, bitt, bitt. Kleines Männele, was kannst Du machen? Ich kann wohl spielen auf meiner Geige, Ging, ging, ging, so macht meine Geige, Dill, bitt, bitt, so macht meine Flöte, Rum bum, bidi bum, so macht meine Trumm. Rum bum, bidi bum; bitt, bitt, bitt; ging, ging, ging. Kleines Männele, was kannst Du machen? Ich kann wohl spielen auf meiner Zitter, Bring, bring, bring, so macht meine Zitter, Ging, ging, ging, so macht meine Geige, Dill, bitt, bitt, so macht meine Flöte, Rum bum, bidi bum, so macht meine Trumm, Rum bum, bidi bum; bitt, bitt, bitt; ging, ging, ging; bring, bring, bring.

Kleines Männele, was kannst Du machen? Ich kann wohl spielen auf meiner Laute, Blum, blum, blum, so macht meine Laute, Bring, bring, bring, so macht meine Zitter, Ging, ging, ging, so macht meine Geige, Dill, bitt, bitt, so macht meine Flöte, Rum bum, bidi bum, so macht meine Trumm. Rum bum, bidi bum; bitt, bitt, bitt; ging, ging, ging; bring, bring, bring; blum, blum, blum.

JjL Kleines Manuele, was kannst Du machen ? Ich kann wohl spielen auf meinem Fagot, Du, du, du, so macht mein Fagot, Blum, btum, blum, so macht meine Laute, Bring, bring, bring, so macht meine Zitter, Ging, ging, ging, so macht meine Geige, Dill, dill, dill, so macht meine Flöte, Num bum, bidi bum, so macht meine Trum. Rum bum, bidi bum; dill, dill, dill; ging, ging, ging; bring, bring, bring; blum, blum, blum; du, du, du.

Kleines Männele, was kannst Du machen? Ich kann wohl spielen auf meiner Leier, Eng, eng, eng, so macht meine Leier, Du, du, du, so macht mein Fagot, Blum, blum, blum, so macht meine Laute, Bring, bring, bring, so macht meine Zitter, Ging, ging, ging, so macht meine Geige, Dill, dill, dill, so macht meine Flöte, Rum bum, bidi bum, so macht meine Trumm. Rum bum, bidi bum; dill, dill, dill; ging, ging, ging; bring, bring, bring; blum, blum, blum; du, du, du; eng, eng, eng. Kleines Mannele, was kannst Du machen? Ich kann wohl spielen auf einer Baßgeig, Zu, zu, zu, so macht meine Baßgeig, Eng, eng, eng, so macht meine Leier, Du, du, du, so macht mein Fagot, Blum, blum, blum, so macht meine Laute, Bring, bring, bring, so macht meine Zitter, Ging, ging, ging, so macht meine Geige, Dill, dill, dill, so macht meine Flöte, Rum bum, bidi bum, so macht meine Trumm. Rum bum, bidi bum; dill, dill, dill; ging, ging, ging; bring, bring, bring; blum,^>lum, blum; du, du, du; eng, eng, eng; zu, zu, zu.

s. Sprach- und Dorfprech - Spiele. Der Vorsprecher spricht von den bei JV& 5. anfnngenden Aufgaben immer einen Sah vor. Bei dem zweiten wiederholt er den ersten, bei dem dritten den ersten und zweiten u. s. w., bis das ganze Stück schnell und geläufig gesprochen werden kann. Wer anstößt oder etwas unrecht sagt, wird gestraft. 1.

Ein klein Kind kann keinen Kirschkern kttacken.

2. Sechs und sechzig Schock sächsische Schuhzwecken. 3. Es ritten drei und dreißig Reiter den Berg Ararat herauf und herunter.

4.

Der Sperber fragt: Was macht die Wachtel? Was fragst Du, Sperber? sagt die Wachtel. Solche und ähnliche schwierige Sätze wetteifern die Kinder schnell hintereinander auszusprechen. Wer sie am öftersten in einem Athem sprechen kann, bekommt einen Preis. 5.

Wenn mancher Mann wüßte, Wer mancher Mann wär, Gab mancher Mann manchem Mann manchmal mehr Ehr. Weil mancher Mann nicht weiß, Wer mancher Mann ist, Drum mancher Mann manchen Mann manchmal vergißt.

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6. Es saßen drei Vögel auf einem Baum. Der Ein« hieß Löhr, Der Zweite hieß Flöhr, Der Dritte Zickchen, Zäckchen, Zank Ziegeler. Da sagte Löhr zu Flöhr, Wo Zickchen, Zäckchen, Zank Ziegeler wär. Da sagte Flöhr zu Löhr, Zickchen, Zäckchen, Zank Ziegler Wäre im Kloster, Aeße was Gares, Tranke waS Klares, Tanzt mit jeder Nonne, die da ist.

7. Hier ist der Schlüssel zum Schiff, Zu Kames und Komment«, Eote Carne, Game Goto; Ist beladen mit Hirse, Mirse, Dinte, Girse, Kris, Kres, Krull. Da kam ein kleiner weißer Mann, Der klopft an die Apotheke an Und fragt, ob Hirse, Mirse, Dinte, Girse, Kris, Kres, Krull Nicht gut Latein wäre?

8. Hier ist der Schlüssel, Worauf drei Jungfrauen warten; Die Erste heißt Binka, Die Zweite Biblia Binka, Die Dritte Ze Ze Knick Knack Knablia Bablia, Biblia Binka. Da nahm Binka einen Stein Und schmiß Biblia Binka an da- Bein.

80 Da weinte Biblia Binka Und Ze Ze Knick Knack Knablia Bablia, Biblia Binka.

9. Ich verkaufe meine Perücke. Ich verkaufe die Ratte, die meine Perücke zernagte. Ich verkaufe die Kaye, welche die Ratte fraß, die meine Perücke zernagte. Ich verkaufe den Hund, der die Katze biß, welche die Ratte fraß, die meine Perücke zernagte. Ich verkaufe den Stock, der den Hund schlug , der die Katze biß, welche die Ratte fraß, die meine Perücke zer­ nagte. . Ich verkaufe das Feuer, das den Stock verbrannte, der den Hund schlug, der die Katze biß, welche die Ratte fraß, die meine Perücke zernagte. Ich verkaufe das Wasser, welches das Feuer löschte, das den Stock verbrannte, der den Hund schlug, der die Katze biß, welche die Ratte fraß, die meine Perücke zer­ nagte. 10. Es schickt der Herr den Jokel aus, S. 37.

Vom Zickelein.

11. S. 39.

12. Töchterleins wunderlich Kleidchen.

S. 42.

13. Der Mutter HauLbestand. S. 43.

14. Ganse-Verkauf. Es wird ein Kreis oder eine Reihe gebildet. fragt seinen Nachbar: 1) Kaust Ihr Gänse?

Der Erste

81 Dieselbe Frage thut der Zweite schnell dem Dritten, und so geht sie von Nachbar zu Nachbar wie ein Lauf­ feuer durch die ganze Reihe oder den ganzen Kreis hin­ durch , bis die Frage wieder an den Ersten kpmmt. Nun entsteht von Nachbar zu Nachbar folgende Unterredung: 2) Der Erste: Kauft Ihr Gänse? Der Andere: Sind sie auch fett? Der Erste: Fett sind sie. Nachdem diese Fragen und Antworten schnell durch die ganze Reihe gefragt und geantwort sind und die Reihe wieder an den Ersten gekommen ist, verlängett sich die Unterredung auf folgende Weise: 3) Der Erste: Kauft Ihr Gänse? Der Andere: Sind sie auch fett? Der Erste: Fett sind sie. Der Andere: Haben sie auch bunte Fedem? Der Erste: Bunte Federn haben sie. Bei dem vierten Umlauf wird folgendes Gespräch ge­ halten : 4) Der Erste: Kauft Ihr Gänse? Der Andere: Sind sie auch fett? Der Erste: Fett sind sie. Der Andere: Haben sie auch bunte Federn? Der Erste: Bunte Federn haben sie. Der Andere: Gehen sie auch Wiegelwageln? Der Erste: Wiegelwageln gehn sie. Bei dem fünften Umlauf kommt noch hinzu: 5) Der Andere: Sagen sie auch Schnater Schnater? Der Erste: Schnater Schnater sagen sie. Bei dem sechsten Umlauf wird allen diesen Fragen und Antworten noch folgende hinzugesetzt: 6) Der Andere: Sind sie auch gestohlen? Der Erste (legt den Finger auf den Mund und sagt): St! Bei dem Wiegelwagel machen Frager und Antworter pantomimisch mik Auf- und Niederziehen der Schultern das Wackeln der GanS nach. I.

82 Bei dem Schnater Schnater verfällt man, so gut wie möglich, in's Schnatern. Die Hauptsache ist aber, daß Fragen und Antworten Mit der möglichsten Schnelligkeit durch die Reihen laufen.

Es bleibt noch übrig, etwas von den Strafen zu sa­ gen, welche bei diesen Sprechspielen, wie bei den anderen die Fehlenden zu leiden öder zu bezahlen haben. Einige lose Schläge mit dem zusammengedrehten Taschenluche auf die flache Hand oder auf den Rücken werden gewiß nicht getadelt werden können, da der Meister bei allen diesen Spielen doch eine vernünftige Person, ein größeres Kind, die Wärterin oder die Mutter selbst sein muß. Ein sanfter Nasenstüber mit einem Kartenblatt kann ein­ mal zur Abwechselung dienen. Hat man aber Pfeffer­ nüsse oder andere Nüsse, oder sonst Etwas, wovon man den Kindern eine gleiche Anzahl zutheilen kann, so laßt man Strafe bezahlen, wobei man sich jedoch wohl zu hüten hat, das Spiel in ein gehässiges Gewinn- und Verlustspiel zu verwandeln. Nach dem Spiele muß einem Jeden seine Anzahl wieder zugetheilt werden.

3. Spiele mit Bewegung, besonders im Freien zu spielen. 1. Lange Reihe. Dies einfache Spiel macht kleinen Kindern, wie man noch täglich sehen kann, immer neues Vergnügen. So viele Kinder, als da sind, fassen sich an der Hand, setzen sich in eine langsame Bewegung, schwingen die ineinander geschlagenen Händchen rückwärts und vorwärts und singen dabei folgendes Lied: Lange, lange Rege! Botter, Botter-Flege, Js de Kukuk noch nich gar? Gif mie en Stückschen von den Draen.

83 Reberfetzung. Lange, lange Reih«! Butter, Butter-Vogel* Ist der Kukuk noch nicht gar? Gieb mir ein Stückchen von dem Braten.

Dies Liedchen wird immer wieder von vom angefangen und das Auf- und Abwandeln und das Schwingen der Aermchen so lange fortgesetzt, bis Beinchen, Aermchen und Stimme müde und matt find, und bei der Mutter ernst­ hafter angefragt wird, ob das Essen noch nicht gar ist?

2.

Riagel - Reih«.

Dies Spiel schließt sich an Einfachheit zunächst an das vorhergehende an. Die Kinder, so viel ihrer sind, fassen sich an und tanzen im Kreise. Dabei wird das folgend« Liedchen gesungen, und wenn die Worte: Sitztnieder, kommen, so setzen sie sich plötzlich nieder und stehen dann schnell wieder auf, und fangen immer wieder von vom an, bis sie müde sind. Das Liedchen habe ich nur Hoch­

deutsch gefunden: Ringel, Ringel-Reihe Sind der Kinder dreie; Sitzen auf den Holderbusch, Schreien alle musch, musch, musch! Sitzt nieder. Es sitzt 'ne Frau im Ringelein Mit sieben kleinen Kindelein. WaS essen sie gerne? Fischekein. WaS trinken sie gerne? Rothen Wein. Sitzt nieder. Oder:

Ringel, Ränzel, Rosenkranz, Macht 'nen Tanz,

* Buttervogel ist int nördlichen Deutschland der Name eines Schmetterlings.

84 Setzt Euch auf die Weide, Spinnet grüne Seide, Als ein Haar, Zwanzig Jahr, Jungfer Lieschen, setz Dich dar. Sagt die Glocke: Kling l

Damit sitzen alle nieder.

3. Kriegen oder Haschen. Es wird Einer ausgezählet, der die übrigen kriegen ober haschen muß. Dieser verfolgt einen der Laufenden so lange, bis er ihm drei Schläge mit der flachen Hand gegeben hat, worauf dieser haschen muß. Es werden dabei eine oder zwei Stellen festgesetzt, wohin der Ver­ folgende nicht kommen darf, sondern wo die Verfolgten einen sicheren Zufluchtsort finden. 4. Kutscher und Pferde.

Zwei bis fünf Kinder können bei diesem Spiele ankom­ men. Aus ledernen Riemen oder Bindfaden werden Zügel gemacht, womit die, welche sich zu Pferden hergeben wollen, angeschirrt werden. Der Kutscher nimmt Zügel und Peitsche in die Hand, und nun trabt das Gespann vorwärts, wohin der Kutscher will und nicht will. Um die Ehrenstelle des Kutschers müssen sich die Kinder ver­ tragen. 6. Verstecken. Einer wird aus der kleinen Gesellschaft ausgezählt, der den Anfang machen muß mit Suchen. Während er in einer Ecke stehend oder mit geschlossenen Augen bis zu einer gewissen Zahl, etwa 40 bis 50, langsam zählt, verstecken sich die Anderen. Haben sich alle verborgen, so fangt der Sucher an zu suchen. Der Erste, der ge­ funden wird, muß das nächste Mal suchen. Wer sich so gut versteckt hat, daß er lange vergebens gesucht wird, muß auf die dreimalige Aufforderung des Suchers: Piep rufen. Wenn der Sucher ein Mitglied der Gesellschaft

85 nicht finden kann und müde wird zu suchen, so muß er noch einmal suchen. Man muß vorher einen gewissen Raum abgränzen, innerhalb dessen die Mitspieler sich hal­ ten müssen. Wer darüber hinausgeht, muß ohne Weiteres das nächste Mal suchen.

6. Blindekuh. Dies Spiel sollte von kleinen Kindern nur in Gegen­ wart einer vernünftigen Person gespielt werden. Es ver­ steht sich ohnehin von selbst, daß man vorher Alles weg­ räumt, woran die Blindekuh sich stoßen oder verletzen könnte. Es wird zuerst wieder die erste Blindekuh aus­ gezählt. Der, welchen die bestimmte Zahl getroffen hat, laßt sich die Augen verbinden. Dann schließen alle einen Kreis, in welchen die Blindekuh von dem, der ihr die Augen verbunden hat, hineingeführt wird. Nachdem einige Male herumgetanzt ist, stehen alle still und es wird folgendes Gespräch zwischen der Blindenkuh und ihrem Führer gehalten": Führer: Blindekuh, ich ziehe Dich. Blindekuh: Wohin? Führer: Nach Peter Nachbars Hause. Blindekuh: Was sott ich da? Führer: Semmel und süße Milch essen. Blindekuh: Ich habe keinen Löffel. Führer: So steck den Kopf in den Kessel. Damit beugt der Führer der Blindekuh den Kopf nieder verlaßt sie — der Kreis geht auseinander, und die Blin­ dekuh fängt an zu suchen. Wen sie ergreift, der muß sie ablösen. Dieser einfache Gang des Spiels ist für kleine Kinder vorzuziehen.

7. Kätzchen und Manschen. Aus den Mitspielenden werden zuerst Kätzchen und Mäuschen ausgezählt. Bon den übrigen wird ein Kreis geschlossen. Die Katze ist innerhalb dieses Kreises, das Mäuschen ist draußen. Die Katze sucht nun herauszu-

86 brechen aus dem Kreise, aber dieser tanzt immer in tu Runde und singt dabei: Mäuschen, laß Dich nicht erwische, Spring' über Bänk' und über Tische; Husch, Mäuschen, husch. Der Kreis hält gegen den Andrang der Katze von innen fest zusammen. Bricht aber die Katze einmal hindurch, so wird gleich die Maus eingelassen und die Katze ausge­ schlossen. Dies geht so lange fort, bis das Mäuschen gefangen wird.

8. Das Hinkespiel. Zwei schlagen die Arme unter, heben das eine Bein in die Höhe, .hinken nun gegen einander an und stoßen sich. Wer das aufgehobene Bein, zuerst yiederläßt, be­ kommt von dem Anderen Schläge mit dem Plumpsack bis zu einem gewissen Ziele.

9. Das Rosinensuchen. Es werden an die Stachel- oder Johannisbeerbüsche oder an anderes Gesträuch Rosinen, Mandeln, Zucker­ werk aller Art, Bilder und was man sonst noch für Spielwerk daran wenden will angebunden. Auf ein ge­ gebenes Zeichen vertheilt sich die ganze Gesellschaft und sucht. Was gefunden wird, muß an einen Sammelplatz gebracht werden, wo es dann nachher in gleiche Haufen vertheilt und verloset wird. Dies ist für die Kinder ein Weihnachtsvergnügen im Sommer und es ist ganz dazu geeignet, einen Geburtstag oder einen anderen festlichen Tag zu verherrlichen.

10. Das Kätzchen. Ein Kätzchen wird ausgezahlt. Die übrigen fassen einen Baum oder einen anderen dazu vorher ausdrücklich be­ stimmten Gegenstand an. Das «Kätzchen steht in der Mitte. Nun fangen Einzelne an, das Kätzchen zu necken, in­ dem sie ihren Baum oder anderen Gegenstand loslassen

und sich davon entfernen, wobei Mmex gerufen oder ge­ sungen wird: Kätzchen, ach Kätzchen, ich habe kein Holz. Kann nun das Kätzchen den verlassenen Gegenstand

eher wieder erreichen und anfasten, als dex, welcher ihn verlassen hatte, so muß dieser des Kätzchens Stelle ein­ nehmen.

11. Der Plumpsack geht um. Die Gesellschaft stellt sich in einen Kreis. Jeder hält die Hände auf den Rücken. Einer, welcher einen Plump­

sack hat, geht außen um den Kreis herum, spricht.: Rundümme, rundümme, Der Knütte geiht ümme. Dar Hohn will leggen, Dat draf ick nig seggen.

indem er

Uebexse-Mg. Rund um, rund um, Der Plumpsack geht um. Das Huhn will legen, Das darf ich nicht sagen.

Wenn dies einige Mal geschehen ist, giebt er seinen Plumpsack insgeheim Jemandem in die Hande, die auf dem Rücken desselben warten, und geht dann noch einmal

um den Kreis, bis er wieder zu dem kommt, der den Plumpsack hat. Dann schiebt er sich in dessen Platz ein, und dieser fällt nun mit dem Plumpsack über seinen Nach­

bar zur Rechten her, der sich dessen gar nicht versieht, und treibt ihn, unter dem Gelächter der übrigen, mit dem Plumpsacke um den Kreis her, bis er wieder an die Stelle kommt, von der er ausgegangen ist. Dann tritt der Verfolgte wieder ein, und der Andere macht es wieder ebenso wie der Erste. Das geht so lange fort, als Lust da ist.

12. Ringsuchen. Es wird ein Ring auf einen Bindfaden gezogen und dieser Bindfaden zusammengeknüpft. Die Gesellschaft

88 stellt sich dann in einen Kreis, und Jeder fasset den Bind­ faden, auf dem der Ring sich befindet, an. Einer wird ausgezählt, um den Ring zu suchen, der von Hand zu Hand geht, und stellt sich zu dem Ende in die Mitte. Dann singt der Chor: Wer den Ring will lieben, Der muß ihn weiter schieben, Sonst muß er geben Pfand, Pfand, Pfand. Während nun der Ring von einer Hand zur anderen geschoben wird, sucht der in der Mitte Stehende denje­ nigen zu finden, der den Ring eben in der Hand hat. Trifft er den Rechten, so muß derselbe an seiner Statt in den Kreis, oder auch dazu ein Pfand bezahlen, oder bekommt einen mit dem Plumpsack. Trifft er einen Un­ rechten, so wird er ausgelacht. 13. Durchkriechen.

Alle Mitspielenden fassen sich an und bilden eine lange Reihe. Dann fangt der Erste an zu singen: Wir woll'n das Haslein jagen, Kriech Hänschen durch den Busch. Dabei kriecht der Erste unter seinem eigenen Arm durch. Dann stimmt der Zweite mit ein in diesen Gesang und der Erste kriecht unter dem Arme des Zweiten durch, welcher unter seinem eigenen Arme dann auch durchkriecht. Nun fangt der Dritte mit an zu singen und kriecht auch durch, und so die ganze Reihe, bis Alle durchgekrochen sind. Wenn nun Alle wieder in einer Reihe stehen, so wird um den Ersten ein Knauel gewickelt, indem die ganze Reihe um diesen Ersten herumläuft, bis, Alle in einen Klumpen stehen, der sich dann unter allgemeinem Jubel mit Stoßen, Schieben und Drängen endlich löset. 14. Der Kiebitztanz.

Zwei oder mehrere kauern nieder, die Arme in die Seite gesetzt. Dann hüpfen sie auf und schlagen die Hände abwechselnd nach dem Takte zusammen oder stemmen sie in die Seite, indem sie singen:

89 Ick shell wiener Mutter «n Äiewitt danzen, Dat könn' eck nig, Do Do Do Do

schlög se mie, wehe ick, geev se mie en Stutenbotter, lach' ick. Uebersetzung.

Ich sollt meiner Mutter einen Kiebitz tanzen, Das konnt' ich nicht, Da schlug sie mich, Da weint' ich, Da gab sie mir ein Butte.rbrod, Da lacht' ich.

Bei den gesperrt gedruckten Sylben wird abwechselnd niedergehocket und wieder aufgesprungen; bei dem Nieder­ hocken werden die Hände in die Seite gestemmt, bei dem Ausspringen wird in die Hände geschlagen. 15. Das HafermLhen.

Die Gesellschaft stellt sich in einen Kreis. Der Hafermäher in die Mitte. Dann singen Alle und tanzen da­ bei herum: Morgen woll'n wir Hafer mähen, Hafer mähen, Wer soll den wohl binden? Das soll uns're Liebste thun, Die wir hier schon finden. Macht nur fort, Hier und dort. Unter diesen Allen Wird uns die gefallen. Bei den letzten Worten fordert der Hafermäher eine Person aus der Gesellschaft auf und tanzt unter dem Gesänge der übrigen einige Mal mit derselben im Kreise herum. Darnach nimmt der Hafermäher den Platz in dem Kreise wieder ein, den der Andere verlassen hat, und um den Zurückgebliebenen geht Tanz und Gesang von Neuem wieder an.

16. Der GLrrsedieb. Die Kinder bilden einen Kreis. Der ausgezählte Gänse­ dieb steht in der Mitte. Um ihn wird herumgetanzt und gesungen: Wer diese Gans gestohlen hat, Der ist ein Dieb. Wer sie mir aber wieder bringt, Den hab' ich lieb. Da steht der Gänsedieb, Dieb, Dieb-! da steht der Gänsedieb. Wenn dies eine Zeitlang gesungen ifl, so wählt der Dieb Jemanden aus dem Kreise, um mit chm zu tanzen. So bald dies geschieht, sucht Jeder einen Anderen zu er­ greifen , um mit ihm herum tanzen — nur darf Nie­ mand seinen Nachbar nehmen. Wer-übrig bleibt, ist der neue Gänsedieb.

17. Die Brücke. Die beiden Größten stellen sich einander gegenüber, fassen sich an den Hanhen.an, und schwingen ihre Arme auf und. ab, indem sie singen : Hol up de Brügge, Hol dal de Brügge, Den letzten will wie fangen, He blift der in behangen. Uebersetznng. Halt auf die Brücke, Halt nieder die Brücke, Den letzten wollen wir fangen, Er bleibet darin hangen. Indeß haben sich die übrigen hintereinander gestellt und sich am Zeuge oder an Taschentüchern, die um hen Leib des Vormannes gelegt werden, angefaßt. So suchen sie in einer langen Reihe unter den Armen der beiden größe­ ren hindurch zu ziehen, welche die Brücke aber über den letzten in der Reihe niederlassen, um ihn zu fangen, wenn er ihnen nicht durch eine geschickte Wendung entgeht.

91 Der Gefangen- wird nun gefragt, ob er in die Sonne oder in den Mond will, womit Einer der beiden größeren gemeint ist, und er muß darauf den beiden leise die Ant­ wort geben, damit die Uebrigen nicht hören, wer von den beiden die Sonne oder den Mond repräsentirt. Sind nun auf diese Art Alle gefangen und dm beiden Parteien zugetheilt, so wird von den Parteiführern auf einem neutralen Platze pantomimisch mit Holzaulegen und Blasen ein Feuer, wie man es nennt, angeheizt. Wenn eS brennt, so bilden beide Parteien wieder eine lange Reihe hinter einander und die beiden Vordermänner suchen sich über das Feuer herüber zu reißen. Die herübergerissen werden, müssen sich zur siegenden Partei schlagen , und dieser Kampf wird so lange fortgesetzt, bis die eine Partei alle Mitglieder der.anderen herübergezogen hat.

4. Dramatische u. pantomimische Spiele. 1. Vom Berg-Ziehn.

Einer steht auf einem Berge oder in einem ahgegränzten Raume, den er gegen die Angriffe der übrigen zu vertheidigen hat. Nachdem der Vertheidiger des Berges ausgewählt oder ausgezählt ist und Besitz genommen hat, sängt er an zu singen: O Berg meiner! Angreifer: Wie lang ist er Deiner-? Vertheid.: Heut und Morgen. Angreifer: Komm' herab, laß mich dafür sorgen. Nun suchen Alle den Vertheidiger herabzuziehen, und wer dann zuerst wieder auf den Berg kommt, spielt von Neuem seine Rolle. Auf ebenem Boden, wo es für Einen zu schwer sein würde, sich gegen Viele in seinem Raume zu vertheidigen, kann man festsetzen, daß nicht mehr als zwei den Vertheidiger anfassen.dürfen, um ihn

92 herauszuziehen. Wer dann von diesen Beiden zuerst einen vorher bestimmten Platz wieder einnimmt, besitzt dm Berg, bis das Glück wechselt.

2. Der Wolf in seinem Garten. Für dm ausgezählten Wolf wird ein Garten abgemarkt, worin er wohnt. Die Andern laufen an den Gränzen dieses Gartens herum oder auch wohl über die Gränze hinüber, und singen dabei: 'Ich wollt' in des Wolfes Garten gehn, Wo schöne krause Kohlköpf stehn. Und wenn der Wolf wohl käme, Und biß mich in die Beine — Schneid' Kohl ab, schneid' Kohl ab! Dabei kauert man nieder, mit der Pantomine des Kohl­ abschneidens. Dann kommt der Wolf gesprungen, und wen er in seinem Garten erhascht, der wird wieder Wolf. Wenn der Wolf über seine Gränze läuft, so bekommt er Schläge mit dem Plumpsack.

3. Der Fuchs und der Gärtner. Der Fuchs und der Gärtner werden zuerst aus der ganzen Gesellschaft ausgezählt. Dann bilden die Anderen einen Kreis, in welchen der Fuchs ausgenommen wird. Der Gärtner bleibt draußen. Der Fuchs macht nun an den Mitgliedern des Kreises die Pantomine des Abpflückens und steckt das Abgepflückte in den Mund. Wenn der Gärtner außer dem Kreise das sieht, so fragt er den Fuchs: Was machst Du in meinem Weingarten? Der FuchS: Ich pflücke Trauben.

Der Gärtner: Wer hat Dir das erlaubt? Der FuchS:

Niemand.

93 Nun kriecht der Gärtner unter den Armen der im Kreise Stehenden durch und verfolgt den Fuchs, bis er ihn hat. Der Fuchs verläßt auf gleiche Weise den Kreis, und schlüpft wieder hinein, wenn ihm der Gärtner zu nahe kommt. Der 'Gärtner muß immer genau den Spuren des Fuchses folgen, sonst hilft es ihm nichts, daß er den Fuchs haschet, sondern er muß immer wieder von vorn anfangen. 4. Der Wolf und die Schafe.

Eins von den Kindern macht den Wolf, ein andereden Schäfer, die übrigen Kinder die Schafe. Der Schäfer stellt sich vor die Schafe und ruft: Schafe, Schafe kommt nach HauS! Die Schafe antworten: Wir dürfen nicht. Der Schäfer: Warum nicht?

Die Schafe:

Es steht ein großer Wolf vor der Thür. Der Schäfer: Was thut er da? Die Schafe: Schleift Messer. Der Schäfer: Was will er damit machen? Die Schafe: Er will uns Allen die Kehle abschneiden. Damit kommt der Wolf gesprungen, um ein Schaf zu fangen. Der Schäfer sucht seine Schafe gegen den Wolf zu schützen. Sie kämpfen so lange miteinander, bis der Wolf endlich ein Schaf fängt, welches dann die Stelle des Wolfes vertritt. Diesem Spiele ähnlich ist das folgende:

5. Weiße Gans und schwarze Gans.

Nachdem beide aus der Gesellschaft herausgezählt sind, oder die beiden größten gewählt sind, stellen sich die übrigen

94 Mitspielenden hinter die weiße Gans und fasse» einander an das Zeug, das hiebei zuweilen nicht wenig leidet. Haben sich Alke hinter die weiße GanS geordnet, so kommt die schwarze Gans und es entsteht folgendes Gespräch: Die schwarze GanS: Guten Tag, weiße Gans. Die weiße Gans: Guten Tag, schwarze Gans. Schwarze G.: Kann ich nicht ein Küken kriegen? Weiße G.: Das sollst Du wohl lassen bleiben. Schwarze G.: Ich nehme es Dir. Weiße G.: So wehr ich mich.

Nun sucht die schwarze Gans den letzten Mitspielende» der Reihe zu ergreifen, was die weiße Gans zu verhin­ dern sucht, wobei der lange Leib hinter ihr ganz ergötz­ liche Schwenkungen zu machen gezwungen wird. Reißt die Reihe, so kann die schwarze Gans einen aus der Reihe nehmen, sonst muß sie so lange manövriren, bis sie den letzten ergriffen hat, der ihr dann in ihr Nest folgen muß, worauf das Spiel wieder von Neuem an­ geht, bis die schwarze Gans der weißen alle ihre Küchlein weggefangen hat. Dann wird die weiße Gans zur schwar­ zen und umgekehrt.

6. Vögelverkaufen. Es wird ein Vogelmeister und ein Vogelkäufer gewählt, der gut laufen kann. Die übrigen wählen sich den Na­ men eines Vogels, je unbekannter, desto lieber. Dann tritt der Vogelkäufer zum Vogelmeister und spricht: Guten Tag, Herr Vogelmeister! Antw.: Guten Tag, Herr Vogclkäufer! Frage: Haben Sie wohl Vögel zu verkaufen? Antw.: O, ja. Frage: Was für welche haben Sie? Der Vogelmeister ruft nun seinen Vögeln zu: Alle meine Vögel, singt einmal! Nun sucht Jeder die Stimme des Vogels nachzumachen, dessen Namen er trägt, und der Vogelmeister spricht zu dem Vogelkäufer: Das sind alle meine Vögel; was für einen wollen Sie?

Hat sich nun der Vogelkäufer einen gewählt, z. B. einen Sperling, so spricht der Vogelmeister zu diesem Vogel: Sperling, flieg aus, Komm wieder in mein Haus.

Sobald der genannte Vogel das hört, läuft er ab, und der Vogelkäufer sucht seiner unterwegs habhaft zu werden. Kann er das nicht und kommt der genannte Vogel glück­ lich wieder nach Haus, so darf er sich noch einmal einen Namen wählen und rann von Neuem laufen. Will der Vogelkäufer einen Vogel haben, der sich nicht unter den Mitspielenden befindet, so bringt der Vogel­ meister allerhand komische Entschuldigungen vor, indem er es den Kaufleuten nachmacht, die sich entschuldigen, wenn eine Waare nicht vorräthig ist, und ersucht einen anderen Vogel zu kaufen.

7. Das Thurmstürmen. Es werden zuerst zwei ausgezählt, eine Königstochter, die im Thurme sitzt, und ihr Befreier. Dann wird ein Kreis um die Königstochter geschlossen und getanzt, wäh­ rend welcher Zeit der Befreier außerhalb des Kreises singt: Kling, klang, gloria,» Wer sitzt denn in dem Thurme da? Die Tanzenden: Da sitzt 'ne Königstochter in, Die kann man nicht zu sehn kriegen.

Der Befreier. Die Mauern will ich brechen, Mit dem Steinbock will ich stechen. Jungfer Braut, Komm heraus, Faß mich hinten ab den Rock. Nun stürmt der Befreier von außen, und die Königstochter sucht von innen zu entkommen. Sobald der Kreis ge­ brochen und die Königstochter herausgekommen ist und ihren Befreier an den Rock gefaßt hat, ist das Spiel

96 auS. Die Königstochter wird nun der Befreier und sucht sich einen anderen aus, der die Rolle der Königs­ tochter spielt. Es darf aber Niemand zum zweiten Male Befreier oder Königstochter sein, ehe es nicht Alle einmal gewesen sind.

8. Mutter Marie. Alle stellen sich hinter einander, und der Ausgezählte fragt bei dem Vordersten: Wo wohnt Mutter Marie? Antwort: Dicht hinter mir. Diese Fragen und Antworten gehen durch die ganze Reihe bis zu dem Letzten. Dann wird gefragt: Guten Tag, Mutter Marie, seid Ihr das? Antwort: Das bin ich schon lange liebe Jahre gewe­ sen und bin es auch noch. Frage: Kann ich wohl bei Euch Herbergen? Antwort: Nein! Fr.: So steck ich Euch Haus und Hof an. Antw.: Das thut 'mal. Der Frager bläst, als ob er Feuer anblasen will. Mutter Marie fragt: He, was macht Ihr da? Frager: Ich steck Euch Haus und Hof an. — Kann ich hier wohl herbergen? Mutter Marie: Ja. Frage: Welches soll meine Herberge sein? Antwort: Der Kuhstall. Frage: Welches soll mein Leuchtenträger sein? Antwort: Der voran steht. Der Frager geht nun zu dem Ersten in der Reihe, tanzt mit ihm herum und singt: Mutter Marie hat mir 'nen Leuchtenträger gegeben, Da soll ich mit in Freuden leben. In Freuden leben mag ich nicht, Spring drei Mal in die Höhe und lache nicht. Der Frager spricht nun zu dem, mit dem er getanzt hat: Mußt sprechen und darfst Deine Zähne nicht zeigen.

97 Frage: WaS fliegt da? Antwort: Vogel. Frage: Was kriecht da? Antwort: Wurm. Bei diesen und anderen beliebigen Fragen bemüht sich der Antwortende, die Zähne nicht zu zeigen. Wer nun von der Gesellschaft etwa über die komische Art der Aus­ sprache lacht, der ist wieder Frager. Und so geht daS Spiel wieder von vorn an.

9. Linnen-Messen. Ein Linnenmesser, ein Dieb und ein Hahn werden ausgezählt. Alle stellen sich in eine Reihe, der Hahn oben an. Der Dieb versteckt sich. Nun kommt der Linnenmesser und mißt mit der Elle die ganze Reihe, um zu sehen, ob noch alles Linnen da ist. Wenn er gemessen hat, spricht er zum Hahn: Hahn, Hahn, verwahr mir auch ja mein Linnen. Dann geht er weg, nach HauS. Indeß kommt der Dieb aus seinem Versteck hervor und nimmt einen aus der Reihe mit zurück. Darnach kommt der Linnenmesser wieder und mißt von Neuem nach. Die Reihe stellt sich anfänglich etwas wei­ ter auseinander, damit die Ellenzahl nicht fehle. Wenn aber der Linnenmesser einige Male dem Hahn den Auf­ trag gegeben hat, ihm Alles zu bewachen, und der Dieb immer mehrere wegholt, so kommt zuletzt an den Tag, daß von der Ellenzahl etwas fehlt. Dann zieht der Lin­ nenmesser den Hahn zur Verantwortung: Hahn, Hahn, wo ist mein Linnen geblieben? Der Hahn lässt zuerst nichts auf sich kommen. Wenn er aber nicht länger läugnen k^nn, daß Etwas abhanden gekommen, so spricht er: Ich war so hungrig, und ging nach Haus, um mir ein Butterbrod zu holen. Da kam der Dieb und hat das Linnen gestohlen. Dazu habe ich mir noch einen großen Dorn in den Fuß getreten. Der Linnenmesser zieht ihn nun pantomimisch den Dorn auS dem Fuße und empfiehlt ihm von Neuem Wachsamkeit.

I.

7

98 Kommt dann wieder an den Tag, daß an der Ettenzahl etwas fehlt, so werden wieder neue Entschuldigungen ge­ macht , bis zuletzt der Dieb auch den Hahn holt. Dann verstecken sich Alle und der Linnenmeffer muß sie wieder zusammensuchen.

10. Buttermilch-Verkaufen.

Alle stellen sich in eine Reihe, und der Buttermilch­ verkäufer fängt an zu handeln, indem er zu dem ersten spricht!: „Guten Tag! Wollt Ihr auch Buttermilch kaufen?" Entweder wird nun gleich ja geantwortet, oder es werden allerhand scherzhafte und neckische Einwendungen gemacht, die entweder von der schlechten Waare, oder vom Unver­ mögen zu bezahlen, oder von einem anderen Vorwande hergenommen werden. Wenn endlich eingewilligt ist, so fragt der Verkäufer: „Für wie viel?" — Der Preis wird angegeben. Der Verkäufer macht nun die Pantomime des Aus­ füllens und sagt dabei: Wenn der Wind weht, Wenn der Habn kräht, Will ich wieder kommen Und mein Geld holen. Dann darfst Du nicht nein sagen Und nicht ja sagen, Und nicht weinen Und nicht lachen. Wenn Alle endlich gekauft haben, fängt der Verkäufer an wie ein Hahn zu krähen, und ein Geräusch mit Mund und Zähnen zu machen, als ob der Wind wehte. Dann geht er von Einem zum Anderen und fordert das Geld ein. Dagegen werden dann wieder scherzhafte Einwen­ dungen gemacht, wobei der Verkäufer es darauf anlegt, den Käufer dahin zu bringen, daß er ja oder nein sagt oder lacht. Geschieht dies nun wirklich, so muß der, welcher es gethan hat, ein Pfand geben, oder bekommt Schläge mit dem Plumpsack.

99 11* Die HandwerkSbnrsche. Die Gesellschaft theilt sich in zwei Parteien. Die eine stellt pantomimisch irgend ein Handwerk vor. Die andere muß aus diesen Pantomimen das Handwerk errathen. Die Handwerker verabreden sich heimlich, waS für ein Handwerk sie darstellen wollen. Wenn sie darüber einig sind, so treten sie zu der andern Partei und sprechen: Es kommen drei reisende Handwerksburschen. „Wo kommen sie her?" Von Sixen und von Sachsen, Wo die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen ; Hätt' ich nur daran gedacht, So hätt' ich auch eine mitgebracht. Zch habe aber nicht daran gedacht, Darum hab' ich auch keine mitgebracht. „Was haben Sie für ein Handwerk?" Die Reisenden stellen nun pantomimisch ihr Handwerk vor. Wenn es nicht errathen werden kann, so wird bet erste Buchstabe des Handwerks gesagt. Drei Mal darf gerathen werden. Wenn die erste Partei es in . drei Malen nicht räth, so haben die Handwerker das Recht, noch ein­ mal aufzutreten. Rath aber die erste Partei das Handwerk, so wttfen die Handwerker pantomimisch ihr Handwerkszeug weg und laufen bis zu einem bestimmten Ziele. Die erste Partei sucht nun die Handwerker zu haschen. Wenn ihr das gelingt, so ist das Agiren an ihr. Kommen aber die Handwerker eher an das Ziel, so dürfen sie noch einmal ein Handwerk darstellen.

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3. Spiel-Lieder und Kinder-Lieder.

1. An den Stier. Bulle, Bulle, böse, Nimm mit up diene Hören, ©miet mit in bat gröne Gras, Wo de geelen Siemen wöss't. Uebersetzung. Stier, Stier, böse, Nimm mich auf deine Hörner, Wirf mich in das grüne Gras, Wo die gelben Blumen wachsen. 2. Lieder an den Storch. 1.

Storch, Storch, Steiner! Mit den langen Beinen, Flieg mir in das Backerhaus, Bring mir einen Semmel heraus. Ist der Storch nicht ein schönes Thier? Hat einen langen Schnabel und säuft kein Bier. 2.

Eber, Langbeen, Hest dienen Nader wol hangen sahn, Hest diene Moder wol sitten sehn Up den lutjen witten Steen? Klapper, klapper an de Där, Bring mit en lutjen Broder her. Uebersetzung.

Eber Langbein, Hast deinen Vater wohl hängen sehn,

101 Hast deine Mutter wohl sitzen sehn Auf dem kleinen weißen Stein? Klappre, klappre an der Thür, Bring mir 'nen kleinen Bruder her. 3. An den Storch im Herbste.

Eber, Langbeen, Wenn ehr wullt du na Hufe tehn? Wenn de Rogge riep is, Wenn de Pogge piep is, Wenn de gelen Beeren In de Kiste gähren, Wenn de roen Appeln In de Lae klappern, Wenn de brunen Zwetschen In de Kiste knetschen, Wenn de glatten Räte In de BüelS klätert — Denn will ick wedder nach Hufe lehn.' Uebersetzung.

Eber, Langbein, Wann willst Du wieder nach Hause ziehn? Wenn der Roggen reif ist, Wenn der Frosch feist ist, Wenn die gelben Birnen In der Kiste gähren, Wenn die rothen Aepfel In der Kiste klappern, Wenn die braunen Zwetschen In der Kiste quetschen, Wenn die gelben Nüsse In dem Beutel schütteln — Dann will ich wieder nach Hause ziehn.

102 3. Schwalben-Lieder.

1. Einladnng an die Schwalbe. Nur keck beteilt, nur keck herein, Du liebes, frommes Schwälbelein, Und baue mit zufriednem Sinn, Wo dir's gefällt, dein Nestchen hin. Wir sind nicht stolze, harte Leut', Und bei unS dürfen ungescheut Des lieben Gottes Vögelein Sich Nester bau'« und fröhlich sein.

2. Schwalbengesang. As ick er düt Mal was, As ick er dat Mal was, Was düt Fack vull, Was dat Fack vull; As ick wedder kam, WaS Alles verloren und verschnürtet. Uebersetznng. AIS ich da dies Mal war, Als ich da da- Mal war, War dies Fach voll, War das Fach voll; Als ich wieder kam, War Alles verloren und verzehrt. 4. Kiebitz-Gesang.

Kiewitt! Wo bliew ick? In 'n Brummelbeerenbusch. Da danz ick« da spring ick, Dar haww' ick miene Lust. Uebersetznng. Kiebitz! Wo bleib' ich? In dem Brommbeerenbusch.

103 Da tanz ich, da spring ich, Da hab' ich meine Lust.

S. An den Schmetterling. Schmetterling, Du loses Ding! Willst an allen Blumen naschen? Wart, dafür will ich dich Haschen.

«. An bi« Schneck«. Schnecke, Schnecke komm heraus, Steck deine vier, fünf Hörner 'raus > Willst du sie nicht ausstrecken, So muß ich dich zerbrechen.

7.

A n da» Sonnenkindchen.

Sonnenkindchen setze dich Auf meine Hand, auf meine Hand, Ich thu' dir nichts zu Leide. Es soll dir nichts zu Leid geschehn, Will nur deine bunten Flügel sehn, Bunte Flügel meine Freude.

Sonnenkindchen fliege weg, Dein Häuschen brennt, die Kinder schrein So sehre, ach, so fehre. Die böse Spinne spinnt sie ein, Lieb Sonnenkindchen, flieg hinein, Deine Kinder schreien sehr«. Sonnenkindchen fliege hin Zu Nachbars Kind, zu Nachbars Kind, Sie thun dir nichts zu Leide; Es soll dir da kein Leid geschehn, Sie wollen deine bunten Flügel sehn. Und grüß sie alle beide.

104 S. Malkäferliever. 1. Maikäfer, fliege weg; Dein Häuschen brennt, Dein Mütterchen flennt, Dein Vater sitzt auf der Schwelle. Flieg in den Himmel aus der Hölle.

2. Maikäwer, flüg up, up, up. In den hegen Himmel, Bring mit en Korf vul Kringel; Mi een, Di een, Lütje Sofie ock een.

Uebersetzung. Maikäfer, flieg auf, auf, auf. In den hohen Himmel, Bring mir 'nen Korb voll Krengel; Mir einen, Dir einen, Der kleinen Sophie auch einen. 3.

Türkenmännchen, flieg hinweg, Die Weiber mit den Stangen, Die wollen dich empfangen. Türkenweibchen, flieg hinweg, Die Männer mit den Spießen, Die wollen dich erschießen.

Flieg in den Himmel, Bring mir 'n Sack voll Kümmel, Tunk ich meinen Weck hinein Bei dem rothen, kühlen Wein.

105 9. L i n s e n l i e v.

Die Linse, Wo sm se? Im Tüpsen, Sie Hüpfen. Deck sie zu, So Han sie gute Ruh.

10. Die Bretzel. Die Bretzel ist ein liebe- Buch, Du wirst's bald ausstudieren, Du kennst's von weitem am Geruch Und wirst's drum nicht verlieren. Du kannst es schon bis zu dem S, Wird Dir's nicht abgenommen, Du lerntest also ungemäß, Daß Du zum W thatst kommen.

11. Die Würste.

Droben in der Haussirst Hängen die langen Mettwurst; Gebt uns von den langen, Laßt die kurzen hangen, Sind sie etwas kleine, Gebt uns zwei für eine; Sind sie ein wenig zerbrochen, So sind sie leichter zu kochen; Sind sie etwas fett, Je besser es uns schmeckt. 12.

Sonnenlied.

Sonne, Sonne scheine, Fahr über Rheine, Fahr über's Glockenhaus, Gucken drei schöne Puppen heraus.

106 Eine die spinnt Seide, Die Andre wickelt WeidenDie Dritte geht an's Brünnchen, Find't ein goldig Kindchen; Wer soll's haben? Die Töchter aus dem Löwen. Wer soll die Windlein Wäschen? Die alte Schnappettäschen. 13. Wenn der Säewann säet. Hutsch he! hutsch he! Der Ackermann säet, Die Bögelein singen, Die Kemlein zerspringen, Hutsch he! hutsch he!

14. Wenn es regnet. Regen, bliew wege Mit diener langen Nase. Sünne, kumm wedder Mit diener goldnen Fedder. Übersetzung. Regen, bleib weg Mit deiner langen Nase. Sonne, komm wieder Mit deiner goldnen Feder.

15. Wenn die Pfeifen aus Weidendast gemacht werden.

Zapp, zapp, Piepe, Up 'n Mölen-Dieke, Da steiht en Mann, De heet Johann, De hett so roe Stkümpe an. *

• Der Storch.

107 Uebersetzung. Zapp, zapp, Pfeife, Auf dem Mühlendeiche, Da steht ein Mann, Der heißt Johann, Der hat so rothe Strümpfe an.

16.

Beim Sagen.

Siege, sage, Hott de Kare! Mann hat sicne Fro verlaren Up den groten Felde, Mit en Büdel vull Gelde. Har h« fiene Fro man wedder, Frög he nicks na 'n Gelde.

Utbersetzung. Siege, sage Hott der Karren! Mann hat seine Frau verloren Auf dem großen Felde, Mit einem Beutel voll Gelde. Hätt' er seine Frau nur wieder, So fragt' er nicht nach dem Gelde.

17.

Bei der Mühle.

Müller, Müller, mahle, De Mäkens kostet en Daler, De Jungens kostet en Müllerpeerd, Dat is dre Düsend Daler werth. Uebersetzung. Müller, Müller, mahle, Die Mädchen kosten «inen Thaler, Die Jungen kosten ein Müllerpferd, DaS ist drei Tausend Thaler werth.

108 18. Wenn angespannt wir». Johann, spann an, Die Katze voran, Den Kater vorauf, Den Blocksberg hinauf.*

19. Wenn die Kinder Steine in« Wasser werfen. Ist ein Mann in den Brunnen gefallen, Hab' ihn hören plumpen. Wär' der Narr nicht hineingefallen, Wär' er nicht ertrunken.

20. Wenn die Schuh zerrissen sind. Schusterbu', Flick mir die Schuh, Gieb mir auch das Leder dazu. Es ist kein Gerber in der Stadt, Der so gutes Leder hat. Ein lustiger Bu' Braucht oft ein Paar Schuh, Ein trauriger Narr Hat lang an einem Paar.

21. Fuhrmann-lied. Zieh, Schimmel, zieh! Im Dreck bis an die Knie; Schieb dich fein in diesen Karren, Wollen hin nach Bremen fahren. Zieh, Schimmel, zieh! Wart, Schimmel, wart! Das Stroh ist dir zu hart. Morgen woll'n wir Haber dreschen, Den soll unser Schimmel fressen.

‘ Plattdeutsch.

109 Friß, Schimmel, friß! Fehlt es dir an dem Biß, Sollt' dich der Haber in die Lungen stechen, So laß ich ihn bei'm Mütter brechen. Zieh, Schimmel, zieh! So hast du's alle Tag, So lang, als ich's vermag, So lang du wirst die Adern rühren, Laß ich dich nicht zum Schinder führen. Zieh, Schimmel, zieh! 22.

Steckenpferd-Lieder.

1.

Hopp, hopp, hopp! Pferdchen, lauf Galopp. Ueber Dornen, über Steine, Thun dir ja nicht weh die Beine; . Immer im Galopp. Hopp, hopp, hopp! Tippti, tappti, tapp! Wirf mich ja nicht ab; Sonst bekommst du Peitschenhiebe. Pferdchen thu mir's ja zu Liebe, Wirf mich ja nicht ab. Tippti, tappti, tapp!

Pitschi, patschi, patsch! Klatsche, Peitsche, klatsch. Mußt recht um die Ohren knallen. Ha! Das kann mir recht gefallen, Klatsche, Peitsche, klatsch. Pitschi, patschi, patsch! Ha, ha, ha, ha, ha! Juch, nun sind wir da. Diener, Diener, liebe Mutter.

110 Findet auch mein Pferdchen Futter? Juch, nun sind wir da. Ha, ha, ha, ha, ha! Burr, Burr, he! Steh doch, Pferdchen, steh. Sollst noch heute weiter springen, Muß dir doch erst Futter bringen, Steh, mein Pferdchen, steh, Burr, Burr, he!

2. Auf schlanken Stecken Reiten wir her, Wir kleinen Gecken Können nicht mehr. Zwar auf der Erde Reitet sich's knapp; Doch große Pferde Werfen uns ab.

Indeß zuweilen Wagt man sich schon, Trägt ein paar Beulen Gerne davon. Da wächst dem Knaben Mächtig der Sinn; Schier möcht' er traben Meilen dahin.

Allein urplötzlich Bäumt sich das Thier, Erhebt entsetzlich Helles Gewiehr.

Dann schreit der Reiter: Weh mir! Der Rapp! Ich mag nicht weiter; Helft mir herab.

111 Und auf. die Letzte Wird's wieder werth DaS schlechtgeschätzte Hölzerne Pferd. So bleibt'- beim Stecken, Wißt Ihr, woher? Wir kleine Gecken Können nicht mehr.

3. Komm, mein Pferdchen, her zu mir, Sollst einmal mich tragen; Aber rasch, da- sag' ich dir, Sonst muß ich dich schlagen. Lustig in die Welt hinein. Lustig über Stock und Stein, Heisa, lustig, hopp, hopp, hopp, Bald im Trapp, bald im Galopp.

4. Hinaus in das Freie Geht's lustig, hopp, hopp, Da- Pferdchen, das neue, Muß springen Galopp.

23. Kriegslieder.

1. Husaren kommen reiten Den Säbel an der Seiten. Hau dem Schelm ein Ohr ab. Hau's ihm nicht zu dicht ab, Laß ihm noch ein Stückchen dran, Daß man den Schelm erkennen kann.

112 2. Auf, auf, ihr Knaben, eilt herbei, Marschiret Mann für Mann! Der kleinen Trommeln sind hier zwei; Es pfeife, wer da kann.

Und einen schönen schlanken Stab Bricht sich die Reiterei Vom nächsten Weidenbusche ab Und tummelt wild herbei.

Von unsren Säbeln fließt nicht Blut, Sie sind aus Holz gemacht, Und der Gefangne hat e- gut, Er wird nur ausgelacht. Drum, lieben Brüder, drückt den Hut Recht grämisch ins Gesicht; Geht auf den Feind mit tapfrem Muth Und fürchtet Erbsen nicht.

Auf, auf, ergreifet das Gewehr, Marschiret Mann bei Mann! Geschlagen wird des Feindes Heer, Rückt unser Haufen an.

24.

A n d e n K r e i s e l.

Kreisel, tanze mir einmal, Und mit lautem Summen Auf und ab den ganzen Saal, Ohne zu verstummen. Ha, so recht, nur immer flink, Kreisel, fort auf meinen Wink. Hörst du, wie die Peitsche knallt? Fort, sonst schlage ich dich bald.

113 SS. FrühlingS-Lieder. 1. Die Lust ist blau, das Thal ist grün, Die kleinen Maienglocken blühn Und Schlüsselblumen drunter; Der Wiesengrund Ist schon so bunt Und malt sich täglich buMer. Drum komme, wem der Mai gefällt, Und freue sich der schönen Welt Und Gottes Vatergüte, Die diese Pracht Hervorgebracht, Den Baum und seine Blüthe.

2. Der Schnee zerrinnt, Der Mai beginnt, Die Blüthen keimen Auf Gartenbäumen, Und Vögelschall Tönt überall. Drum werdet froh! Gott will es so, Der uns dies Leben Zur Lust gegeben. Genießt die Zeit, Die Gott verlecht. 3.

Die Schöpfung lacht, Der Wald erwacht, Und alle Vögel loben. So wunderschön In Wald und Höhn, Den guten Vater droben.

I.

8

114 Zhn lobt die Flur, Und die Natur Singt ihrem Schöpfer Lieder.

Er ist so treu, Und immer neu Kommt seine Güte wieder.

26. Mai-Lieder.

1. Willkommen, lieber Mai, so schön Hab ich dich wahrlich nie gesehn. Warm ist die Lust, der Himmel blau, Der Baum ist grün und grün dir Au.

Die Nachtigall und Lerche singt, Der Käfer schwirrt, das Lämmchen springt; Und Jung und Alt und Groß und Klein Freut sich im lieben Sonnenschein.

Wie froh ist Alles, was da lebt, Der Vogel, der in Lüsten schwebt, Und ich auf meiner Rasenbank Bei aller Vögel Waldgesang.

2. Seht den Himmel, wie heiter! Laub und Blumen und Kräuter Schmücken Felder und Hain! Balsam athmen die Weste Und im schattigen Neste Girren brütende Vögelein.

Kommt, Gespielen, und springet, Wie die Nachtigall singet! Hört, sie singet zum Tanz! O, geschwinder, geschwinder, Rund herum, wie die Kinder. Ringel, Ringelein Rosenkranz.

115 Alles tanzet vor Freude. Dort das Reh auf der Heid«, Hier das Lämmchen im Thal; Vögel hier im Gebüsche, Dort im Teiche die Fische, Tausend Mücken im Sonnenstrahl.

27. Sommer»Lird. Tra, ri, ra, Der Sommer, der ist da! Wir woll'» hinaus zum Garten Und woll'n des Sommers warten. Za, jfl, j Sein Naschen brachte Fritzen um. Was er für Zucker angesehen, War giftiges Arsenikum.

Denkspruch. Du sollst nicht naschen oder stehlen Und was Du findest, nicht verhehlen.

9.

Misekätzchen.

Misekätzchen ging spazieren Auf dem Dach am hellen Tag, Macht sich an den Taubenschlag, Eine Taube aufzuspüren. Miau! Nun kriecht sie in's Loch hinein. Aber kaum ist sie darin, Ist der Hunger ihr vergangen. Eine Schlinge, siehst du, fällt, Für den Marder aufgestellt, Und mein Kätzchen muß d'rin hangen. Und im Sterben schreit sie; Trau' Nicht auf Diebstahl je. Miau! 10.

Ernst

und

das

Kätzchen.

Ernst hatte einst ein Kätzchen, Das Kätzchen war ihm lieb. Er gab ihm manches Schmätzchen, Allein es war ein Dieb. Es schlich sich in den Keller Und naschte, was cs fand,

26 Von Schüssel und von Teller, Und wo noch sonst was stand. Da sprach Ernst: Geh, tu Kätzchen, Du ausgemachter Dieb! Du bist nicht mehr mein Schätzchen, Ich hab' dich nicht mehr lieb.

11. Luischen Fast wilder Schlug alle Die ihr die

Luischen.

war ein wildes Kind, noch als Knaben, Lehren in den Wind, Eltern gaben.

Einst lärmte sie in Blindekuh, Wie Trunk'ne in der Schenke, Schrie, wie ein Fuhrmann, he und hu! Sprang über Tisch und Bänke.

Der Schweiß floß von der Stirn auf's Kleid Wie große Regentropfen. Man hörte viele Schritte weit Ihr Herz im Busen klopfen. So schlich sie heimlich fort und lies, Frisch einen Trunk zu wagen; Ihr Bruder Karl ging nach und tief: Laß das, sonst must ich's sagen.

Luischen droht' ihm, nahm das GlaS, Und trank mit vollen Zügen; Karl, sprach sie drauf, sagst du etwas, Gewiß, so sollst du's kriegen. Karl schwieg und dacht': Ein wenig Bier Wird keinen Mhaden bringen. Und damit lief er weg von ihr, Um noch herum zu springen.

Am andern Morgen kam er früh 3n seiner Schwester Kammer,

JL7 Ach, ivie erschrak er über sie, Was sah er da für Jammer! Luischen konnte jetzo schier Nicht stehen, liegen, sitzen; Bald stach sie's dort, bald wieder hier, Wie lauter Nadelspitzen.

Man rührte schnell ihr Tropfen ein, Tie gut, doch bitter waren; Da half kein Bitten und kein Träu'n, Sie ließ den Löffel fahren, Und schrie; Ich kann im Leben nie Das Zeug hinunter bringen! Doch freundlich bat die Mutter sie: Versuch's, du mußt dich zwingen.

Ja, sprach der Doctor, liebes Kind, Sonst dringt der Tod zum Herzen. Was half's? Sie schlug es in den Wind, Und litt viel lieber Schmerzen. Erfüllt ward, leider, nur zu bald, Was ihr der Doctor sagte; Luischen lag schon, starr und kalt, Noch eh' es wieder tagte.

Denkspruch. Es ist nichts so fein gesponnen, Es kommt endlich an die Sonnen.

12.

Die

Amsel.

Eine Amsel, schwarz wie Kohlen, Mit dem Schnabel gelb wie Gold, Wohnte dort, wo aus dem hohlen Fels das klare Brünnlein rollt; Und ihr lieblich Lied erschallte Flötend rings im ganzen Walde.

Sieh da, zwischen grünem Laube, Scharlachroth und schön und frisch, Lacht der Vogelbeeren Traube Aus dem schattigen Gebüsch; Und die Amsel, gleich dem Pfeils Fliegt d'rauf zu in wilder Eile. Aber bei den schönen Beeren Hängt das böse Schlingen-Paar, Sicherer sie zu bethören, Fest gedreht aus feinem Haar. Ach, kaum picht sie in die Traube, Wird sie selbst dem Tod zum Raube. Denkspruch.

Genieße Alles, was Dich freut, Mit Vorsicht und mit Mäßigkeit, Damit Du morgen nicht verdrossen Bereust, was heute Du genossen.

13. Der Schosshund und der Kettenhund. Ein liebes Hündchen war Finette, Klein, niedlich, weißer, als der Schnee; Es schlief auf einem seid'nen Bette, Aß Zuckerbrod und ttank Kaffe. Allein ttotz aller guten Tage, Selbst bei dem schönsten Leibgericht Ward ihm das Leben oft zur Plage. Warum? Das wußt' es selber nicht. Mit manchen Seufzerchen erzählet Es einstens dies dem Kettenhund Und spricht: Sag mir es, was mich quälet Warum bin ich nie ganz gesund? Du bist so lustig an der Kette, Hast doch nur Brod, und schläfst auf Stroh; Mich nährt Confect, ich hab' ein Bette, Und doch bin ich so selten ftoh.

29

Hm, spricht der Freund, das wußt' ich lange, DaS zu ergründen ist nicht schwer. DaS kommt, mein Freund, vom Müssiggänge Und von den guten Tagen her.

Denksprüche.

Hinaus, Ihr Kinder, in das Freie, Es regne, friere oder schneie; Ertragt ein kleines Ungemach, Gesundheit, Freude folgt Euch nach.

Gesundheit, Stärke, Fröhlichkeit Erlangt man nie bei Weichlichkeit.

Willst Du gesund und stark und frischt und fröhlich sein, So mußt Du, liebes Kind, nie Wind und Wetter scheu'n.

Ein ftohes Herz, gesundes Blut Ist besser, denn viel Geld und Gut.

Salz und Brod Macht die Backen roth.

Die Morgenstunde Hat Gold im Munde. Drum mußt Du Morgens ftüh aufstehn Und nicht zu spät zu Bette gehn.

30

Bedachtfamkeit, Genügsamkeit und Leichtsinn. 14,

Daö

Geburtsgeschenk.

Fräulein Cäcilie feierte ihren vierzehnten Geburts­ tag. Vater, Mutter und Geschwister wünschten ihr Glück, imb beschenkten sie reichlich. Die Großmutter aber über­ reichte ihr einen Vellchenkrcmz, ter. mit einer Perlenschnur umwunden und mit einer Schleife von rosenfarbenem Band geziert war. „Meine liebe Enkelin,'sagte sie gütig und mit gerührtem Herzen, möchten die Perlen ein Sinnbild deiner Tugenden, und die Veilchen ein Sinnbild deiner Demuth werden." Cäcilie warf einen verächtlichen Blick auf den Kranz, und dachte bei sich: „Ich hätte von meiner Großmutter etwas Besseres erwartet, als Blumen, die man umsonst haben kann, und als solche Perlen, die lange nicht so hell glänzen, als die wohlfeilsten Glasperlen." Sie nahm den Kranz, setzte ihn geschwind ihrem kleinen Schwe­ sterchen auf, und sagte mit boshaftem Lächeln: „Julchen! Der blaue Kranz stehet in deinen gelben Haaren unvergleichlich schön. Ich wüßte nichts damit anzufangen; für ein Kind aber, wie du, ist er ein prächtiges Geschenk." Die Groß­ mutter sprach: Cäcilie hat Recht! das Geschenk schickt sich besser für ein anspruchloses Kind, als für ein hochmüthiges, eigennütziges Fräulein. Die Perlen, die Cäcilie nicht kannte, und sie deßhalb verschenkte, find echt und kosten mir baare hundert Thaler. Cäcilie, der dieses Geschenk zu schlecht war, hat sich für ihren Eigennutz und Stolz selbst bestraft. Du aber, gutes Zulchen, merke dir das Sprüchlein, das hier auf dem rothen Bande mit goldnen Buchstaben gestickt und wohl mehr Werth ist, als Gold und Perlen:

„Sei stets an Perlen echter Tugend reich, An Demuth holden Veilchen gleich."

31 15. Frltz und der Schrnetrerl l n a. Fritz sah einen Schmetterling Von den schönsten Blumen naschen. Ach, sprach er, das Lunte Ding, 3a, das will und muß ich Haschen. Heisa, lustig, hopsasa Ging es über Stock und Steine» Aber, eh' er's sich versah, Stolpert er mit einem Beine; Und da lag er auf der Nase In dem kalten, nassen Grase.

Denkspruch. Lauf und springe mit Bedacht, Nimm vor Fallen Dich in Acht.

16. Die Geis. Es war einmal eine Geis, Der war's zu wohl im Stall; Da ging sie hin auf's Eis, That einen Lösen Fall; Und als die Geis gefallen war, Da kam das alte Mütterlein dar, Und sprach: Du albernes Geiselein, Hättest wohl können vorsichtig sein; Sieh, hast gebrochen ein Bein. Ach, ach, sprach d'rauf das Geiselein, Ach, allerliebstes Mütterlein, Hätt' ich gewußt, wie's BeinLrechen thäl, Nimmermehr ich so gesprungen hätt'. Das merk' sich wohl die Jugend an; Bald ist ein kecker Stteich gethan, Und reut den Thäter hinterher; Hätt's noch zu thun, thät's wohl nicht mehr.

32 17. Der kleine VogelfängerPin Knabe, kaum fünf Sommer alt, Zog einst, von kindischem Verlangen Beflügelt, in den nahen Wald, Ein Vögelchen stch dort zu fangen. Denn, wie er wähnte, saßen die Zu Dutzenden auf allen Zweigen, Und ließen ohne große Müh* Sogar von Knäbchen stch beschleichen. Rasch trabt er fort im süßen Traume, Und fühlt im Geist schon einen Schwarm Von kleinen Sängern in der Tasche, Die von dem ersten besten Baume Abschüttelte sein zarter Arm. „Damit ich sich'rer euch erhasche, Ihr kleinen Närrchen! — rief daö Kind — Verberg' ich mich in dieser Hecke, Sie scheint dazu bestimmt, und strecke Die Hand hervor. Fliegt einer drauf, geschwind Mach' ich sie zu! dann hilft kein Sträuben; Dem kleinen Naseweis, er muß, Und kost's ihm noch so viel Verdruß, Von jetzt an mein Gefangner bleiben."— Gesagt, gethan! — doch aus der Sänger Schwarm, Die dicht an ihm vorüberzogen, Kam keiner auf die Hand geflogen, Und schon erstarrt des Knaben Arm. Vettogen fängt er an zu weinen, Kehrt matt und kraftlos -zu den Seinen Zurück, und klagt mit nassem Blick Dem Elternpaar sein Mißgeschick.

18. Der Goldfasan. ES war einst eine Hungersnoth, 3m Thierreich, alles schrie nach Brod; Die Vögel fielen aus der Lust, Wie Mücken in die weite Gruft.

33 Ein Goldfasan schlich matt und schwer Uiib ächzend in dem Hain umher, 3hm sah ein Specht von weitem zu, llnd sagte: Freund, was ächzest S)u?

An deiner Stelle hätt' ich bald Den fettsten Tisch im ganzen Wald; Verkaufe nur dein reiches Kleid, So hast du Vrod mif Lebenszeit. Dem Goldfasan gefiel der Rath, Er setzte seinen ganzen Staat Bei einem alten Hamster ab, Der ihm zehn Scheffel Korn drum gab.

Nun pstegt' er sich bei Fürstenkost. Doch Plötzlich kam ein Winterfrost; Da war nun bald der arme Narr Am ganzen Leibe blau und starr. O weh mir, sprach er nun zum Specht, Mein guter Freund, dein Rath war schlecht; Ich weiß, man stirbt aus Hungersnoth, Doch wer erfriert, ist gleichfalls todt.

Denksprüche.

Vorgethan und nachbedacht Hat Manchen in groß Leid gebracht.

Kannst Du mit eignen Füßen wandern, So leihe keine Krücke von Andern.

18.

Der Kühler und der Bär.

Ein Köhler und ein Bär wohnten in einem Walde nicht weit von einander und hielten mit einander gute Nachbarschaft. Einst hielt der Köhler an einem schwülen

II.

3

34 Sommertage unter einem Baume seinen Mittagsschlaf. Da kamen die Fliegen herzu und störten den Köhler in seinem Schlafe. Der Bär saß bei dem Köhler und ver­ scheuchte die Fliegen mehrere Male. Aber eine von ihnen kam immer wieder und setzte sich bald auf die Lippe, bald auf die Nase, bald auf die Stirn des Köhlers. Warte, sagte endlich der ergrimmte Bär/ ich will Dich schon fas­ sen. Nun nahm er einen großen Stein, schlich sich leise zu dem Köhler heran und paßte der Fliege auf. Die Fliege batte sich eben recht auf die Stirn des Köhlers ge­ setzt. Als dies der Bär sah, warf er die Fliege mit aller Kraft todt, aber auch seinen Freund.

19.

Eile mit Weile.

Hänschen jagte einst im Garten Einen bunten Schmetterling. Willst Du nicht ein^Wenig warten, Sprach er, kleines, schwaches Ding?

Ei, ich will Dich doch wohl kriegen! Er verfolgt' ihn überall. Konnte was im Wege liegen, Hänschen denkt an keinen Fall. Ich will Dich doch endlich haben! Rief er, und sah in die Höh'; Doch da war ein großer Graben, Hänschen fällt hinein — o weh!

20.

Der vorwitzige Asse.'

Herr Petz, ein Affe, sah einmal, Daß sich sein Herr mit einem scharfen Stahl Von seinem starken Bart befreite. Entfernt hat sich nun dieser kaum, So greift Herr Petz mit großer Freude Nach Seif' und Messer, schlägt sich Schaum

35 3nt Becken, seift sich Maul und Kinn, Und hüpft vor einen Spiegel hin, Des Stahles Schärfe zu versuchen. Doch kaum hat er ihn angesetzt, So fängt er an zu schreien und zu fluchen; Denn ach! die Oberlippe liegt voll Blut Am Boden, Blut besudelt sein Gesicht. (5t schreit, er springt, er weiß vor Schmerz sich nicht Zu helfen, läßt in voller Wuth Das Messer nun den Frevel büßm Und beißt darauf; doch schrecklicher ertönt Sein Jammern jetzt; er heult, — er stöhnt, — Er schlägt mit Händen um sich und mit Füßen, Springt wild auf Tisch' und Bänk' und Stühle, Und stürzt in seinem Schmerzgefühle Verzweifelt endlich aus dem Fenster sich, Und bricht den Hals. — Vorwitz'ger, spiegle Dich An Petzens jammervollem Ende, Und nimm nicht Alles in die Hände.

Gehorsam und Ungehorsam. 21.

Die junge Fliege.

Ein großer Fliegenschwarm saß um dm Rand Von einem Topfe Milch, der ohne Deckel stand. Die meisten unter ihnen waren Jung, unbedachtsam, unerfahren, Und ungeschickt, sich vorzusehn. Drum sprach die eine von den Alten: „Ihr, Kinder! müßt euch ja, wie wir, am Rande halten; „Sonst ist's um euch geschehn! „Zwar seyd ihr noch zu jung, dies selber einzusehn; „Doch glaubt mir nur, sonst werdet thr'S beklagen!" Die jüngste schlug die Warnung in de« Wind • Und sprach: „Wie furchtsam doch die Alten sind

3*

35 3nt Becken, seift sich Maul und Kinn, Und hüpft vor einen Spiegel hin, Des Stahles Schärfe zu versuchen. Doch kaum hat er ihn angesetzt, So fängt er an zu schreien und zu fluchen; Denn ach! die Oberlippe liegt voll Blut Am Boden, Blut besudelt sein Gesicht. (5t schreit, er springt, er weiß vor Schmerz sich nicht Zu helfen, läßt in voller Wuth Das Messer nun den Frevel büßm Und beißt darauf; doch schrecklicher ertönt Sein Jammern jetzt; er heult, — er stöhnt, — Er schlägt mit Händen um sich und mit Füßen, Springt wild auf Tisch' und Bänk' und Stühle, Und stürzt in seinem Schmerzgefühle Verzweifelt endlich aus dem Fenster sich, Und bricht den Hals. — Vorwitz'ger, spiegle Dich An Petzens jammervollem Ende, Und nimm nicht Alles in die Hände.

Gehorsam und Ungehorsam. 21.

Die junge Fliege.

Ein großer Fliegenschwarm saß um dm Rand Von einem Topfe Milch, der ohne Deckel stand. Die meisten unter ihnen waren Jung, unbedachtsam, unerfahren, Und ungeschickt, sich vorzusehn. Drum sprach die eine von den Alten: „Ihr, Kinder! müßt euch ja, wie wir, am Rande halten; „Sonst ist's um euch geschehn! „Zwar seyd ihr noch zu jung, dies selber einzusehn; „Doch glaubt mir nur, sonst werdet thr'S beklagen!" Die jüngste schlug die Warnung in de« Wind • Und sprach: „Wie furchtsam doch die Alten sind

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36 „Auf die Gefahr wollt' ich'S wohl wagen. „Man bricht doch," fuhr fie fort zu schrein, „Man bricht doch in der Milch nicht etwa gar ein Bein! „Frisch zu! ich wage mich hinein; „Wer Herz hat, folge mir, es wird ihn nicht gereun!" Die Alte rief: du wagst dich in Gefahr des Lebens! Doch ihre Warnung war vergebens. „Bin ich nicht selber groß genug? „Und sind denn nur die Alten klug?" Die Alte bat; umsonst war ihre Bitte. Die Junge setzte sich recht irr des Topfes Mitte. Hier schwamm sie in der Milch (fite sie war das ein See), Sank unter, sträubte sich, kam wieder in die Höh', Arbeitete, nicht wieder zu versinken: Vergebens; denn sie mußt' ertrinken.

Denkspruch.

Brich Deinen Willen, Kind, schon früh, Im Alter kostet's große Müh.

22.

Die Wasserrose.

Es spielte ein Knäblein Im blumigen Klee, Am grünenden Walde, Am bläulichen See, Und sich, in den Binsen Des Uferö da lacht Die schönste Seerose In goldener Pracht.

Mein Knäblein, das watet Mit frevelndem Muth, Die Blume zu pflücken, Hinein in die Fluth,

37 „Halt," rief ihm die Mutter Mit warnendem Mund, „O bleibe zurücke, Sonst gehst Du zu Grund!" DaS Knäblein verachtet Ihr Warnen und Flehn. „Ei," ruft es, „eS wird mir So leicht nichts geschehn!" Schon pflückt es die Blume, Da finkt es hinab, Und findet im Wasser Ein schauerlich Grab.

23, Die Geis und das Geiselein. Kind, sprach die alte. Mutter Geis, Ach, liebeS Kind, geh' nicht auf's Eis, Du könntest sonst ein Beinchen brechen. „Wie könnt Ihr doch so albern sprechen? Bin alt genug, werd' schon behutsam sein; Man ist jetzt klüger, als vor Zeiten." — „Nun, nun, ich will nicht mit Dir streiten; So geh' denn, liebes Geiselein." Es ging und fiel und brach ein Vein. Denksprüche. Ein Kind, das nicht auf Rath und gute Worte hört, Das ist der Ruthe werth.

Kinder, laßt den Eigensinn, Laßt den Trotzkopf bleiben, Denn die Ruthe würde ihn Endlich doch vertreiben.

38 Wenn Du was haben willst, so gieb ein gutes Wort, Mit Trotz und Eigensinn, Kind, kommst Du nimmer fort.

Zunge Lente sollen bei den Alten Die Ohren auschun und den Dkmd halten. Bedenke, waS Du sprichst, und schweig bescheiden still, Sobald ein Aelterer und Klügrer reden will.

24.

Fritz geht ausö Eis.

Fritz, sprach die Mutter zu dem Sohn, Geh' nicht auf's Eis; Du weißt es schon, Das Eis ist glatt, und Du bist klein, Du fällst und brichst wohl gar ein Bein.

Fritz hört es, was die Mutter spricht, Allein er folgt der Mutter nicht. Er geht auf's Eis und bricht ein Bein, Das mußte seine Strafe sein. D e n k s p r u ch. Wenn Du gefehlet hast, gestehe Deine Schuld, Folg' ohne Eigensinn und leide mit Geduld.

-5.

Die Katze, die Maus und das Mäuselein.

Die Katze. Mein allerliebstes Mäuselein, Komm, komm doch her zu mir: Sollst ruhdn in den Armen mein, Scharmantes, kleines Thier.

Die alte M a u 6. Geh' nicht zu ihr, mein Töchterlein! Geh' nicht, ich rath'eö dir.

39Die Katze hascht das Mäuselein, Bleib, Töchterchen, bei mir!

Die K a y e. So komm doch, liebes Mäuselein! Siehst du die schöne Nuß? Die schöne Nuß soll deine seyn Für einen einz'gen Kuß. DaS Mäuselein. O laß mich, liebes Mütterlein! Sieh nur die schöne Nuß! Die schöne Nuß soll meine seyn Für einen einz'gen Kuß. Die alte Maus. Geh' nicht zu ihr, mein Töchterlein! Stimm ja nicht ihre Nuß! Die Katze beißt das Mäuselein, Fleuch, fleuch vor ihrem Kuß! Die Katze Kommst noch nicht, liebes Mäuselein? Sieh nur, was hab' ich hier? — Schön Zuckerbrod und Brezelein; Das alles geh' ich Dir!

DaS M a u s e l e i n. O laß mich, laß mich, Mütterlein! Ich muß, ich muß zu ihr! Vom Zuckerbrod und Brezelein Geb' ich die Hälfte dir!

Die alte MauS. O geh' nicht, geh' nicht,- Töchterlein! Noch einmal rath' Lch's dir: Die Katze würgt das Mäuselein, Sie frißt dich, armes Thier! Die Katze. Dich ftessen, liebes Mäuselein? Dich würgen, liebes Thier?

40 O glaub'ö nicht deinem Mütterlein, Und komm, o komm zu mir!

Das Mäuselein. Da bin ich: gieb mir Brezelein! — O weh! ich armes Thier! Sie würgt mich,, liebes Mütterlein! Ach Hülfe, Hülfe mir!

D i e a l t e M a u 5. Nun ist's zu spät, mein Töchterlein! Zu spät, zu helfen dir! Du folgtest nicht dem Mütterlein, Das ist der Lohn däfur!

D e n k s p r u ch. Ein Kind, das Alles nur nach seinem Willen macht, Zeigt seinen Unverstand und wird ost ausgelacht.

26.

Das milchweiße Mäuschen.

Ein mllchweiß Mäuschen war einmal Von einer großen Mäusezahl Die einz'ge ihrer Art; Ihr Fellchen war denn Atlas gleich, So glatt, so schimmernd und so w.eich, Sie selbst war klein und zart.

Kind! sprach die Mutter einst zu ihr, Noch kennst du nicht daö böse Thier, Die Katze, unsern Feind; Sie lau'rt mif uns in finstrer Nacht Mein Rath ist gilt gemeint. Auch vor der Eule hüte dich; Dir fehlt Erfahrung, wie man sich Gefahren klug entzieht.

41 Das Mäuschen dünkt sich klug und spricht. O Mutter! sorgt für mich nur nicht, Ich weiß schon, wie man flieht.

Nun ging es meistens aus den Schmauö Des Abends ohne Mutter aus, Und tanzte frisch intb keck; Doch da es wieder heimwärts ging, Da kam die husch! und fing Mein wrißeö Mäuschen weg. Ach! rief's, wie war ich doch bethört. Hätt' ich der Mutter Rath gehört, So litt ich nicht den Tod! Allein das weiße Mäuschen schrie Umsonst; die Eule speiste sie 3ii Lhrent^ Abendbrod.

Denkspruch. Die Reu' über das Böse ist gut, Aber besser ist'ö, wenn man'ö gar nicht thut,

87.

Die junge Maus und die Falkr.

Mutter, rief die junge Maus, Sieh doch, Mutter, welch ein Schmauö Liegt hier in den; kleinen Kasten! Laß mich nun nicht länger fasten. Wie durchwürzt der süße Duft Des gebratnen Specks die Lust!

Doch die klügre Mutter spricht: Dummes Kind, bei Leibe nicht! Weißt du wohl, das Kästchen ist Eine Falle, die mit List Manche Maus gefangen hat, Der zum Speck die Lust antrat

42 Was du sagst! versetzt die Kleine. Eine Falle ist's? Doch, — ich meine, D'ran zu riechen wird mir eben Weiter keinen Schaden geben. Mit den Worten lief sie hin, Roch daran und — saß darin; Denn die Klappe fiel im Nu, Ebe sie es dachte, zu; Und zu spät ist alles Klagen: Warum läßt du dir nicht sagen!

Denkspruch. Wer sich nicht will lassen rathen, Sitzt am Tische und verschläft den Braten.

28.

Die alte Ziege und ihr Böckchen.

Liebes Kind! hör' an, ich scheide Jetzt von dir, und geh' zur Weide; Auf den Abend komm' ich wieder, Leg' dich still so lange nieder. Doch verschließ die Thür von innen; Denn die bösen Wölfe sinnen, Wie es ihnen möge glücken, Schaaf' und Ziegen zu berücken. Eh' ich selber Wiederkehre, Und ich's selbst von dir begehre, Oeffne ja die Thüre nicht! Und wenn jemand kömmt und spricht. Kleiner, mach' die Thüre auf! Dann sprich: „Hier ist nichts zu Kauf!"

Also sprach zu ihrem Sohne Eine Zieg' im Warnungstone; Und das kleine Böckchen that ÄlleS nach der Mutter Rath.

43 Es verschloß die Thür von Lnnm Und die Mutter ging von hinnen» Als zwei Stunden nun verstrichen, Kam ein Wolf zum Stall geschlichen, Ahmt' der Mutter Stimme nach Sehr natürlich: „Kleiner, mach' Mir die Thür ein wenig offen, Ich bin wieder eingetroffen." Auf vom Lager stand der Kleine, Stellt sich lauschend auf zwei Beine, Guckt durch einen Spalt und sah, Ob die Mutter wirklich da. Als er nun den Wolf entdeckte Der schon mit der Zunge leckte, Rief er wieder: „Lauf nur, lauf! Hier ist nichts für dich zu Kauf! Deine Worte gleichen zwar Dem der Mutter auf ein Haar, Aber, lacht der kluge Bock, — Miss', ich kenne deinen Rock." Schamvoll muß der Wolf entweichen, Und zurück zum Walde schleichen; Denn der Bock mied die Gefahr, Weil er fein gehorsam war. Denksprüche. Ein gutes Kind Gehorcht geschwind.

Die rechte Folgsamkeit wohnt nux in guten Herzen; Wer sich erst zwingen läßt, macht Schande sich Schmerzen.

29.

Der Fischer.

Saß ein Fischer an dem Bach, Wollte Fischlein fangen;

unV

44 Doch cd blieb den ganzen Lag Leer die Angel hangen.

Endlich zuckt es, und er sah Fischlein zappelnd schweben. Goldenröthlich hing es da, Fleht ihn um sein Leben.

Lieber Fischer, laß mich los, Sprach's mit glatten Worten, Laß mich in der Wellen Schooß, Vis ich groß geworden. Fischlein, daS karK nicht geschehn, Hier hilft kein Beklagen. Ließ ich dich jetzt wieder gehn, Möcht' ich zu viel wagen.

„Denke doch, wie klein ich bin, „Hast ja kaum drei Bissen. „Laß mich in die Ruth dahin, „Wirst mich nicht vermissen."

Weil du gar zu niedlich bist Und so jung am Leben, Sey dir eine Heine Rist Noch von mir gegeben. Wirst du aber größer seyn, Denk' an deine Worte, Stelle dich zum Fange ein Hier an diesem Orte.

Fröhlich sprang das Fischchen hm In die Wellenkühle, Trieb mit heiterm, frohen Sinn Seine lust'gen Spiele.

Ms ein Jahr vorüber war, Dacht' eö seiner Worte, Stellte sich dem Fischer dar Mr dem alten Orte.

45 Doch der sprach: Weil du so treu An dem Wort gehaügen, Laß ich dich auf immer frei, Will dich niemals fangen.

Denksprüche. Versprechen und halten Steht fein bei Jungen und Alten.

Was Du sagest, das seh wahr, Bleibe ehrlich immerdar, Halte Wort in jedem Fall, Dann traut man Dir überall.

Was leicht zu halten ist, versprich; Auf's Schwere, Kind, besinne Dich.

Wer Lügen spricht, Dem glaubt man nicht.

Rede wenig, aber wahr. Vieles Reden bringt Gefahr.

Die Wahrheit rede stets, und wage nicht zu lügen. Du kannst die Menschen wohl, doch niemals Gott belügen.

Ein gutes Kind giebt niemals Andre an, Nur wo das Schweigen schaden kann; Wenn Lehrer oder Eltern fragen, Da mußt Du frei die Wahrheit sagen.

46 30.

DaS

Lämmchen.

(5 in junges Lämmchen, weiß wie Schnee, Ging einst mit auf die Weide; Muthwillig sprang es in den Klee Mit ausgelass'ner Freude. Hopp, Hopp, ging's über Stock und Stein Mit unvorsicht'gem Springen; Kind! rief die Mutter, Kind! halt ein, Es möchte Dir mißlingen. Allein daS Lämmchen büpste fort, Berg auf, Berg ab,^r Mreuden;

Doch endlich mußt's am Hügel dort Für seinen Leichtsinn leiden. Am Hügel lag ein großer Stein, Den wollt' es überspringen. Seht da! es springt und bricht ein Bein; Aus war nun Lust und Springen!

Liebe und Haß. 31.

D.er Löwe und das Lamm. Der

Löwe.

Lamm, wehr Dich, oder stirb! DaS L a m m.

Ach, ich mich wehren? Mir gab, Du weißt's ja, die Natur Sticht Kräfte, gab mir Unschuld nur. Der

Löwe.

An Deine Unschuld werd' ich mich nicht kehren.

Das Lamm. Thu', was Du willst, ich kann's nicht wehren; Nur leiden kann ich fromm und still, Wenn Unschuld mir nicht helfen will.

46 30.

DaS

Lämmchen.

(5 in junges Lämmchen, weiß wie Schnee, Ging einst mit auf die Weide; Muthwillig sprang es in den Klee Mit ausgelass'ner Freude. Hopp, Hopp, ging's über Stock und Stein Mit unvorsicht'gem Springen; Kind! rief die Mutter, Kind! halt ein, Es möchte Dir mißlingen. Allein daS Lämmchen büpste fort, Berg auf, Berg ab,^r Mreuden;

Doch endlich mußt's am Hügel dort Für seinen Leichtsinn leiden. Am Hügel lag ein großer Stein, Den wollt' es überspringen. Seht da! es springt und bricht ein Bein; Aus war nun Lust und Springen!

Liebe und Haß. 31.

D.er Löwe und das Lamm. Der

Löwe.

Lamm, wehr Dich, oder stirb! DaS L a m m.

Ach, ich mich wehren? Mir gab, Du weißt's ja, die Natur Sticht Kräfte, gab mir Unschuld nur. Der

Löwe.

An Deine Unschuld werd' ich mich nicht kehren.

Das Lamm. Thu', was Du willst, ich kann's nicht wehren; Nur leiden kann ich fromm und still, Wenn Unschuld mir nicht helfen will.

47 Der Löwe. Ich liebe Dich mit Deinem frommen MuthSo lebe denn, es reut mich meine Wuth. Wer schwacher Unschuld Leides thut, 3n dessen Adern fließt kein edles Blut. Geh, frommes Lamm, und bleibe ferner gut.

Denkspruch. Du sollst nicht schelten, stoßen, schlagen, Und schilt man Dich, es still ertragen.

32.

Karl neckt den Pudel.

Der Pudel lag in seinem HauS Und guckte mit dem Kopf heraus. Da kam der kleine Karl und sprach: Mein lieber Pudel, guten Tag! Montm doch ein Bischen her zu mir, Ich spielte gar zu gern mit Dir. Allein der Pudel wollte nicht, (vr machte gar ein bös Gesicht, lind als ihn Karl nun zog beim Ohr, Da fuhr er wild und bös hervor, Und biß ihn so in seine Hand, Daß er den größten Schmerz empfand.

Denkspruch. Viele wollen Andern sein ein Licht Und leuchten selber nicht.

33. Der junge Zeisig. Ein junger Zeisig, der recht schöne gelbe und grüne Fe­ dern hatte, verspottete' luit) neckte alle die kleinen Vögel,

48 die in seine Nähe kamen. Die Mutter wurde darüber ganz betrübt, denn sie sah wohl, daß ihn keiner wegen seiner Spöttereien und Neckereien leiden mochte. Sie ftagte darum den alten ernsthaften Uhu, der die Kinder des Königs erzogen hatte, wie sie ihren Sohn die Unart wohl abgcwöhnen könnte? Der alte verständige Uhu sagte: Laß Deinen wilden Knaben nur einige Zeit in die Fremde ziehn, da wird man ihm so böse Sitten wohl abgewöhnen. Die Mutter hörte auf diesen Rath und erlaubte ihrem naseweisen Söhnchen, der dies schon längst gern gewollt hatte, in die weite Welt zu reisen. Kaum daß er einmal seiner Mutter ein Lebewoh^sagte. Mit ausgelassener Freude flog er gerade auf eMn dicken Wald zu, wo ge­ rade ein Grünspecht seine Stimme erschallen ließ. Der Zeisig machte ihm Alles nach. Das nahm aber der Grün­ specht übel, flog auf ihn zu und riß ihm ein Dutzend Fe­ dern aus dem Felle. Aur andern Tage kam er vor einem großen Eichbaum vorbei, worauf gerade ein schwarzer Staar saß, der im Sonnenschein vergnügt sang. Der kleine Zeisig setzte sich unten in den Baum und neckte und verhöhnte ihn. Da flog der Staar zornig herab und hackte ihn mit seinem spitzen Schnabel beinahe ein Auge aus. Nun nahm sich der kleine Zeisig schon etwas mehr in Acht. Aber weil er sich sehr viel auf seine schöne Stimme einbildete, so hatte er einst an dem Gesänge der Nachti­ gall gar sehr viel zu tadeln, und wettete, daß er viel schö­ ner sänge als sie. Alle Vögel wurden herbeigerusen , um zu entscheiden. Aber kaum hatte er seinen Schnabel auf­ gethan, so zischten die Vögel ihn aus, und jagten ihn fort und lachten hinter ihn her. Das konnte der kleine Zei­ sig nicht ertragen und flog zu seiner Mutter zurück, wo er nun aber viel artiger und bescheidner war. D e n k s p r u ch.

Den Freundlichen hat Jeder gern, Den Zänkischen hält man' sich fern.

49 34, Der flüchtige Fritz. Spiele nicht mit fremden Hunden, Rief der Vater seinem Fritz. Aber ach, der flücht'ge Fritz Läuft davon, neckt Nachbars Spitz. Dieser ist nicht fest gebunden, Reißt sich los und beißt den Fritz. Ach wie schmerzten ihn die Wunden!

33. Der Hund und die Kuh. Ein Spitz hielt MittagSruh Auf einem weichen Bunde Von Grummet. Eine Kuh Schlich hungrig sich herzu. Kaum zeigt sie sich dem Hunde, So bellt er wild sie an Und wehrt ihr, sich zu nah'n. Das Heu kann dich nicht nähren, Sprach sie voll Traurigkeit, Und mir willst du es wehren? Wie häßlich ist der Neid.

Denkspruch. Sei deS Armen Rath und Freund, Gieb ihm, eh' er fleht und weint.

36. Der Löwe und die Maus. Einige Mäuse spielten mit einander nicht weit von einem Baume, unter welchem ein großer Löwe schlief. Als sie nun so hin und her liefen, kam auch eine dicht an den Löwen, und weil sie von einer andern gejagt wurde, lief sie unvorsichtiger Weise über den Rücken des Löwen. Der Löwe wachte davon auf und erwischte sie. Ach, lieber

IL

4

50 Herr Löwe, bat die Maus, la^t mich doch leben. Ich bin eine schlechte Speise für Euch, und für einen so großmütbigen Löwen würde es sich auch schlecht schicken, wenn er ein so kleines Thier, als ich bin, erwürgen wollte. Lauf nur hin, Du kleines Närrchen, sagte der Löwe, aber beunruhige mich nicht wieder. Einige Zeit nachher war der Löwe in die Netze eines ZägerS gefallen, aus welchen ihn alle seine Stärke nicht retten konnte. In seiner Ängst fing er an, fürchterlich zu brüllen. Die MauS hörte daS und lief eilig herzu, und sah, daß der Löwe in dem Netze lag. Ohne fich lange zu besinnen, fing sie an, vaS Netz zu zernagen. Äls erst

einige Knoten zerrissen waretk, so bekam der Löwe seine Klauen frei. Daynt zerriß er nun daS Netz und sprang vergnügt wieder in den Wald!

D enkspruch. Den, der durch Wohlthat Dich erfreut, Erfreue Du durch Dankbarkeit.

37.

Der Bauer und Vie Schlange.

Ein Ackersmann fand eine Schlange, Die fast erstarrt von Kälte war. Der gute Mann entriß sie der Gefahr Und ihrem nahen Untergange. Er nahm sie mit sich in sein Haus, Und sucht ihr einen Winkel aus, Wo noch ein Rest von Reisern glühte. Allein so bald der Frost ihr aus den Gliedern wich, Erhob die schöne Schlange sich, Und lohnte dem mit Biß und Stich, Der sie zu retten sich bemühte.

Denkspruch. Wer Pech angreift, besudelt sich.

51 38.

Der Hengst und die Wespe.

Eine kleine Wespe stach Einen Hengst. Er schlug darnach; Doch die kleine Wespe sprach: „Liebes Hengstchen, nur gemach! Denn ich sitz' am sichern Orte; Glaube mir, du triffst mich nicht."

Endlich giebt er gute Worte, Und d.e kleine Wespe spricht: „Sanftmuth findet doch Gehör. Sieh, nun stech' ich dich nicht mehr."

Denkspruch.

Kinder, die sich nicht vertragen, Die sich ohne Unterlaß Zanken, streiten und verklagen, Und vergelten Haß mit Haß. Haben keine guten Herzen Und sind ihrer Eltern Schmerzen.

39.

Karl und die Bienen.

Als einst Karl im Grase schlief, Wagt's ein Bienchen, ihn zu stechen. Zornig sprang er auf und rief: Wart' nur, wart', ich will mich rächen! Drauf brach er mit kühner Hand Von dem nächsten Busche Reißer, Schlug und warf mitunter Sand An die armen Bienenhäuser. Doch der kleinen Bienen Heer Ließ die Schmach nicht ungerochen. Alles fiel ihn an, und er Wurde jämmerlich zerstochen.

52 Denkspruch. Tie schlechtste Entschuldigung führst Du an, Sagst Du: Ein Andrer hat's auch gethan.

40.

Großmuth.

Als jüngst FritzchenS kleine Hand Sich ein Blumenst^äußchen band, Stach ein Bienchen ihn. Ach, wie ich erschrocken bin! Rief er, warf die Blumen hin, Lief davon und Bienchen, warum stichst Du mich? Fang' ich Dich, so tödt' ich Dich Sieh, nun bist Du mein! Aber wie, ich räche mich? Bienchen, ich befreie Dich) Süßer ist verzeihn!

41. Das Pferd und der Esel. Einst trug auf seinem schmalen Rücken Ein Esel eine schwere Last, Die fähig war, ihn todt zu drücken. Ein ledig Pferd ging neben ihm. „Du hast Auf deinem Rücken nichts, sprach das geplagte Thier. Hilf, liebes Pferdchen, hilf! hilf doch mir!" Was? helfen? rief der grobe Gaul, Du bist der rechte Gast, Du bist nur gar zu faul! Trag zu! — „ Ich sterbe, liebes Pferd, — Die Last erdrückt mich, rette mich; Die Hälfte wär' ein Spiel für Dich." Ich kann nicht! sprach das Pferd, — Kurz, unter dem zu schweren Sack Erlag der Esel. Sack und Pack Lud man sogleich dem Rappen auf, Des Esels Haut noch oben drauf.

53 Denkspruch. An jedem Ort, zu aller Zelt Behüte Dich vor Ungefälligkeit.

42.

Dienstfertigkeit.

Der amu kleine Heinrich fällt, Und ruft: Mein Bein, es ist zerschellt! Und Jacob sieht's und lacht. Auch Anton sieht's; in vollem Lauf Springt er herzu und hilft ihm auf. Wer hat's nun recht gemacht?

Denksp rüche. 3ch helfe, wo ich kann; ist gleich mein Dienst noch klein, So kann ich Manchem doch schon jetzt gefällig fein.

Bist Du mit zwei Händen zu helfen im Stand', So hilf nicht bloß mit einer Hand.

43.

Der Hamster und der Igel.

Den Hamster bat ein loser Bube, Ein Igel, um ein Nachtquartier. Recht gern, sprach dieser, meine Stube Ist groß genug für unser Vier. Der Hamster trug mit vollen Tatzen Dem Freunde Waizenkörner zu; Der Igel schmauste bis zpm Platzen, Und beide legten sich zur Ruh. Der Fremde nahm die hefte Stelle, Der Hanlster einen Winkel ein. Allein bald war die weite Zelle Dem unverschämten Gast zu klein. (5t wälzte stets sich hin und wieder; Der Hamster wich, er rückte nach,

54 Bis er dem Wirth die zarten Glieder Mit seinen Dornen blutig stach. Er seufzt, er klagt, doch nichts beweget Den Gast, er treibt den Hamster auS. Denksprüche.

Wirst du mürrisch, zänkisch sein, Wird fich Niemand mit dir freun.

Den Menschen schänden grobe Sitten, Nur Höflichkeit ist wohl gelitten.

44.

Die Schwalbe und der Sperling.

Mit unverdroßner Mühe hatte Die Schwalbe sich ihr Nest gebaut, ES weich gemacht mit Seid' und Watte Und dann mit vieler Lust beschaut. Noch lieblicher es auszuschmücken, Flog sie noch einmal sorgsam auS. Sie kehrt zurück. Doch ach, was muß sie nun erblicken/ Besetzt vom Sperling ist ihr Haus. Der Räuber wankte nicht. Das wanne Gestohlne Nest war weich und schön, Und schadenfroh kann er die Arme Vergeblich seufzen, flattern sehn. Mit vielen Bitten,^lauten Klagen Umfliegt die Schwalb' ihr theureS Nest. Umsonst, sie kann ihn nicht verjagen, Er fitzet unbeweglich fest Und fliegt nicht aus. Vergebens lauert Die Sckwalb' auf seinen Flug. Und nun, Da ihr die Zeit zu lange dauert, Was soll zuletzt die Anne thun? Sie" baut den Eingang eng und enger, Baut endlich ganz den Sperling ein.

55 Der seufzet bang und immer bänger, Und muß zuletzt des Todes Beute sein.

Denkspruch. Wer eines Menschen Freude stört, Der Mensch ist keiner Freude werth.

45.

Der Rabe.

Ein Nab' entwandte hier und da So viel er konnte: — Gold und Ringe, Band, Ohrgehäng' und hundert andre Dinge. Als dieß der klüg're Haushahn sah, So fragt' er ihn: „Ich bitte, sage mir, Wozu nützt denn das Alle- dir?" — „ Das weiß ich selbst nicht, spricht der Rabe; „Ich nehm' eS nur, damit ich'S habe!"

46.

E l l a.

Ein ausgestos'neS Hündchen lief Verirrt umher in Sturm und Regen. DaS jammert Ella, und sie rief: Komm, armeS Thier, ich will dich pflegen! Ich will von meinem Kuchen dir, Ich will von meiner Milch dir geben! Da rettete daS kleine Thier In Ella'S Schoos sein armeS Leben. Sie nannt' ihn Libu. Libu wich Nun nimmermehr von Ella'S Seite, Umhüpfte sie und freute sich, Wenn seine Retterin sich freute. Einst saß sie ftoh am Gartenteich Und horchte nach dem Waldgesange, Da kroch hervor aus dem Gesträuch Ein böses Unthicr, eine Schlange.

56 Und Ella sehne. 3m Augenblick Fuhr Libu bellend auf und jagte Das Unthier in's Gebüsch zurück, Das nie an's Licht sich wieder wagte.

47.

Der Kafer.

Ein kleiner Käfer schwirrte Vergnügt um's Bäumchen her. Allein im Garten irrte Ein wilder Bub' umher.

Er fing das arme Thierchen, Und packt's bei seinem Bein, Und bindet's an ein Schnürchen Das arme Käferlein. Er spottet seiner Wunden, Er freut sich seiner Noth. Doch ach! in wenig Stunden War's arme Thierlein todt.

Du schlimmer Mensch, was haben Die Käfer dir gethan? Ach, aus dem bösen Knaben Ward bald ein böser Mann.

Denks p rüche.

Quäle nie ein Thier zum Scherz, Denn es fühlt, wie Du, den Schmerz.

Nimm auch dem kleinsten Wurm unnöthig nie sein Leben, Er hat es nicht bon Dir, Gott hat es ihm gegeben.

48.

Sie Biene und die Taube.

Ein Bienchen fiel in einen Bach, Dies sah von oben eine Taube,

57 Und brach ein Blättchen von der Laube Und warf^s ihr zu. Sie schwamm danach

Und half sich glücklich auS dem Dach. Nach kurzer Zeit saß unsre Taube ' Zufrieden wieder auf der Laube; Ein Jäger hatte schon den Hahn auf sie gespannt; Mein Bienchen kam — Pik, stach'ö ihn in die Hand ; Puff, ging der ganze Schuß daneben.' Die Taube flog davon. Wem dankte sie ihr Leben?

Denkspruch. Verlangt man Deinen Dienst, so öffne schnell Dein Ohr, Und eile liebreich selbst dem Bittenden zuvor.

Berufstreu« »»- Nachlässigkeit. 49.

D i e

Gqns.

Ein Gänschen war so weiß, wie Schnee; Das reckt' das Köpfchen in die Höh, lind dacht', es wär' ein Schwan, ssürwahr, mir fehlt nichts weiter, als Der lange, schön gekrümmte Hals! So hub das Närrchen an. Jetzt trennt es von den Schwestern sich Und streckt den Hals und zierte sich, Und ward als Gänschen lächerlich Und wurde doch kein Schwan.

Denkspruch. Ein Strauß legt ein groß Ei, Und schweigt dabei; Hühner legen kleine Eier, Und sind dennoch große Schreier.

57 Und brach ein Blättchen von der Laube Und warf^s ihr zu. Sie schwamm danach

Und half sich glücklich auS dem Dach. Nach kurzer Zeit saß unsre Taube ' Zufrieden wieder auf der Laube; Ein Jäger hatte schon den Hahn auf sie gespannt; Mein Bienchen kam — Pik, stach'ö ihn in die Hand ; Puff, ging der ganze Schuß daneben.' Die Taube flog davon. Wem dankte sie ihr Leben?

Denkspruch. Verlangt man Deinen Dienst, so öffne schnell Dein Ohr, Und eile liebreich selbst dem Bittenden zuvor.

Berufstreu« »»- Nachlässigkeit. 49.

D i e

Gqns.

Ein Gänschen war so weiß, wie Schnee; Das reckt' das Köpfchen in die Höh, lind dacht', es wär' ein Schwan, ssürwahr, mir fehlt nichts weiter, als Der lange, schön gekrümmte Hals! So hub das Närrchen an. Jetzt trennt es von den Schwestern sich Und streckt den Hals und zierte sich, Und ward als Gänschen lächerlich Und wurde doch kein Schwan.

Denkspruch. Ein Strauß legt ein groß Ei, Und schweigt dabei; Hühner legen kleine Eier, Und sind dennoch große Schreier.

58 50. Der Schmetterling. ES war einmal ein hübsches Ding Von Farben und Gestalt, Ein kleiner, bunter Schmetterling, Erst wenig Stunden alt. Sein ausgeschweiftes Flügelpaar War'purpurroth und blau; Gesäumt war eS mit Golde gar, Und er trug's recht zur Schau.

Zu allen Blumen flog er hin, Und rief (wie'S Mährchen spricht) Den andem zu: Wie hübsch ich bin! Bewundert ihr mich nicht? Gewiß, kein Vogel ist so schön, So liebenswerth, als ich. Sagt, habt ihr einen je gesehn So ausgeputzt, als mich?

Hier traf nun auch von ungefähr Der kleine bunte Mann 3in Klee, von süßer Bürde schwer, Ein muntres Bienchen an. Weg! Biene, schrie er, packe dich! Wie häßlich flehst du auS! — Thor, sprach sie lächelnd, kennst du mich Komm erst und sieh mein Haus.

Geschicklichkeit ist wahre Zier, Und Güte nur gefällt! Allein dein Putz — was nützt et fcir ? Was nützt er wohl der Welt?

Denksprüche. In Worten nichts, in Werken viel, Bringt am geschwindesten zum Ziel.

59 DaS Werk lobt den Meister.

DaS beste Spiel ist, das dem Leibe Kraft, Dem Geiste fronen Muth verschafft.

Die Stärke macht es nicht allein; Brauchst Du die Füße oder Hände, Du mußt geschickt, Du mußt behende 3n allen Deinen Werken sein.

51.

Das

Bäumchen.

Ein Bäumchen trug schon, .jung und zart, Viel Früchte von der besten Art. Der Gärtner säh'S mit Freuden an, Und Alle freuten stch, die's sah'n. Wer ist wohl diesem Bäumchen gleich? Wer räth es, Kinder, unter Euch? Seid Ihr nur srüh am Guten reich, So seid ihr selbst dem Bäumchen gleich.

Denksprüche. Fleiß und Abeit will ich lieben Und mich stets im Lernen üben; Bin ich gleich noch jung und klein, Fleißig kann ich doch schon sein.

52.

Christinchen liefet.

Christinchen hatt' ein schönes Buch, Darin stand mancher schöne Sprucl), Und auch viel Bilder standen drin, Das war so ganz nach ihrem Sinn Drum laS Christinchen immer fort

GO Manch leichtes und manch schweres Wort, Und freute sich darüber sehr Und lernte alle Tage mehr.

Denksprüche. Lust und Liebe zum Dinge Macht Mühe und Arbeit geringe. Frisch gewagt ist halb gewonnen. Drei Dinge machen, einen guten Meister Wissen, Können und Wollen.

53.

D e r

Esel.

Ein Esel kam auf einer Reise An einen Strom. Am Ufer jenseits sah Er schöne Disteln: — Ei, wie ging ihm dieses nah. Er konnte schwimmen, doch nach seiner lieben Wehe War er zu faul dazu. 3a, dacht er, hier will ich in Ruh Indessen mich bloß an der Aussicht laben, Bis dieser Strom sich wird verlaufen haben. Er lag den ganzen Tag, der Fluß verlief sich nicht. WaS sollt' er thun? am Abend überschwimmen, Da ihm vor Hunger Kraft gebricht? Und wollt' er gleich, das konnt' er nicht. Denksprüche.

Ruft die Arbeit — frisch daran! Fleiß und Kunst liebt Jedermann. Was Hänschen nicht lernt, Lernt Hans nimmermehr.

Müssiggang Ast aller Laster Anfang.

Zwischen heut' und morgen Liegt eine lange Frist. Lerne schnell besorgen, Weil Du noch munter bist.

54. Der beladene Esel. Ein Esel war mit Salz beladen Und mußte durch ein Bächlein Waden. Hier legt er sich zur Kühlung nieder Und hob sich leicht und fröhlich wieder; Denn weggefchmolzen in der Muth War alles Salz. Da dacht er: Gut, Werd' ich hieher einst wieder kommen, So soll mir dieser Kunstgriff frommen. Und es geschah nach wenig Tagen, Da mußt er eben Schwämme tragen. Er kam zum selben Bächlein wieder, Und legt sich in der Hoffnung nieder, Daß, wie vor Kurzem, seine Bürde Auch diesesmal verschwinden würde. Allein der Langohr war betrogen; Denn, siehe da! die Schwämme zogen Das Wasser ein. Nun half kein Streben Und keine Mühe, sich zu heben: Er mußte kläglich untersinken, Und jämmerlich im Bach ertrinken.

55. Der Jagdhund und die zwei Hasen. Ein junger Hase lag auf einer Heide recht warm und bequem in seinem Lager. Er hatte freilich seine Augen offen, aber er schlief doch, und sah nicht den Jagdhund,

62 welcher seine Fährte roch. Erst, als der kleine Hase den Jagdhund keuchen hören konnte, ward er ihn gewahr, und lief mit weiten Sprüngen fort. Der Jagdhund verfolgte ihn und konnte das kleine Thier schon beinahe am Beine packen. Da sprang Plötzlich ein alter und großer Hase auf. Halt, dachte der Hund, der ist größer, der wird meinem Jäger lieber sein. Er ließ nun den kleinen Ha­ sen laufen und setzte hinter dem großen her. Aber er hatte sich schon müde gelaufen, und der alte Hase war noch ganz, ftisch auf den Beinen. So mußte der Jagd­ hund wieder zu seinem Jäger zurückkehren, und hatte gar leinen Hasen gefangen.

Denkspruch.

WaS hilf Dir gut bedacht, Wenn'S nicht auch gut gemacht?

56.

Die zwei durstigen Staare.

An einem heißen Sommertage flogen zwei durstige Staare umher, um Wasser zu suchen. Endlich sanden sie neben einem Brunnen eine Flasche mit Wasser. Die Flasche hatte Mr einen so engen Hals, daß die Staare mit ihren: Schnabel nicht bis zum Wasser hinab reichen konnten. Sie wollten die Flasche umstoßen oder zerbrechen, aber dazu waren sie nicht stark genug. Als sie lange genug um die Flasche herumgehupst waren, flog der eine Staar mißmuthig weg. Der andre aber dachte noch ein Wenig nach, und, bekam nun einen glücklichen Einfall. Er hob mit seinem Schnabel kleine Steine auf und warf einen nach dem andern in die Flasche. Das Wasser stieg davon in der Flasche bald so hoch, daß der Staar mit seinem Schnabel daran reichen konnte. Nun trank er sich recht satt, aber der andre wäre beinahe vor Durst gestorben.

J>3 Denkspruch. Nach gethaner Arbeit ist gut ruhen.

57.

Iettchen und die Wachtel.

Eine Wachtel hatte Iettchen, Ein Geschenk von Bruders Hand; Gar nicht weit von ihrem Bettchen Hing die Wachtel an der Wand.

Wenn die Morgenröthe lachte, Schlug die Wachtel: pickperick, Und wenn Iettchen dann erwachte, Stand sie auf den Augenblick.

Dann gab sie der Wachtel Futter, Wusch sich rein und zog sich an, Und bei ihrer guten Mutter War sie auch recht fleißig dann. Und wenn nun die Mutter fragte. Sprich, was ist Dein größter Schatz § Wißt Jbr wohl, was Iettchen sagtet Ei, mein lieber WachMmatz.

Denksprüche. Hast Du ein Amt, so warte sein, DieS gilt für Alle, Groß und Klein.

Lerne Ordnung, liebe sie, Ordnung spart Dir Zeit und Müb'.

Ein Zeder thue seine Sachen! Dem Jäger ziemt die Jagd allein;

64 Der Hirt muß bei der Heerde sein; Der Wächter muß die Stadt bewachen. So muß ein Zeder, Groß und Klein, Mit seiner Pflicht beschäftigt sein.

58,

Fritz und das Lamm.

Fritz zog ein weißes Lamm sich auf, Das Lamm war seine Freude. ES aß und trank aus seiner Hand, Er führt' es selbß zur Weide. Doch er vergaß am Abend einst Es unter Dach zu schließen, Und alS er hin am Morgen kam,

Da war das Lamm zerrissen.

Denksprüche. Aufschub einer guten That Hat schon oft gereut. Thätig leben ist mein Rath, Flüchtig ist die Zeit.

Halt Ordnung, liebes Kind, in allen Deinen Sachen, Man kann durch Ordnung sich das Leben leichte machen,

Gute Sprüche, weise Lehren Muß man üben, nicht blos hören.

59.

Erdbeerlied.

Ein Mägdlein an des Felsens Rand Ein nacktes Erdbeersträuchlein fand, Von Sturm und Regengüssen Zerzaust und abgerissen.

65 Da sprach das Mägdlein leise: Du arme nackte Waise, Komm mit mir in das Gärtchen mein, Du sollst mir wie ein Kindlein sein.

Drauf macht es wohl die Würzlein los Und trug das Pflänzchen in dem Schooß, Und spähte still und wonnig Ein Plätzchen kühl und sonnig, Und wühlte in der Erde Mit emsiger Geberde, Und pflanzte nun das Pflänzchen drein Und sprach: Das soll dein Bettchen sein. Und als die .Frühlingszeit' erschien, Begann das Pflänzchen schon zu blühn. Wie sieben weiße Sterne; Das sah das Mägdlein gerne, Die wurden sieben Beeren, AlS ob's Rubinen wären. Gelt, sprach es, cd will dankbar sein, Und meint, ich sei sein Mütterlein.

Denkspruch. Das Blatt, die Blume und der Baum Rings in der weiten Schöpfung Raum. Es sei so schwach, sei noch so klein, Es soll uns Alles heilig sein.

ui. Jur Entwickelung der

Erkenntuißkräfte.

69

I. Thiere. L

D i e

Kuh.

Di- Kuh ist freilich nur ein Thier, Allein, wie nützlich ist sie Dir! Sei reich, sei arm, sei groß, sei klein, Du kannst doch ohne sie nicht sein.

L.

Die

Milch.

Die Milch ist gesünder, Ist lauter und rein; Drum trinken wir Kinder Sie lieber, als Wein.

Sie schaffet uns Kräfte, Hält frisch und gesund, Verdünnet die Säfte, Macht wohl und macht rund.

3. Der Ochs und das Oechscheu. O e ch s ch e x.

Ach, wär' ich doch so stark und groß Wie du, und hätte solche Hörner; D ch k.

Und dann? £ e dfr 6 d) c n.

Ei, dann riff’ ich mich von der Krippe los Und lief auf's freie Feld und speiste £olm und Körner.

70 OchS.

O bilde dir ja nicht ein solches Leben ein, Du wünschest, glaub' es mir, einst wieder jung zu sein. Denn bist du stark und groß, so wird auf deinen Nacken Ein schweres Joch gelegt; man spannt dich Morgens früh Vor einem Pflug und schreit in Einem fort: Ochs, zieh! Das Korn, das dann erwächst, das wird zu Brod gebacken, Dich aber speiset man mit Gras und Stroh nur ab; Und hast du ausgepflügt, so schenkt man dir ein Grab Für deinen sauren Schweiß m deines — Herren Magen. O freu' dich deines Glücks in deinen jungen Tagen, Und schick' dich jetzt 'schon an, einst Lasten leicht zu tragen.

4.

Was

ist

das?

Grün unten, blau oben, Haut unten, Haut oben, Vier Hangels, zehn Langels Und eiu hölzern Schnappauf? --

Das Alles findet fich, wo ein Mädchen auf einer Wiese eine Kuh melkt. Grün unten = die Wiese, Blau oben = der Himmel, Haut unten — die Schuhe, Haut oben — die Kuhhaut, Vier Hangels — die vier Milchwarzen, Zehn Langels — die Finger Das hölzerne Schnappauf — der Milcheimer.

S.

Das

Licht.

Ich bin von einem Thier; Am Abend dien' ich Dir.

') Plattdeutsch.

7^

Ach zehre selbst ton mir Und leuchte Abends Dir.

Annen rauh, außen glatt, Oben ein goldner Knopf drauf stack.

Der kleine 3an Brühlchen Saß auf seinem Stühlchen» Je länger er saß, Je kürzer er ward. *)

6.

Das

Schäfchen.

Das Schäfchen auf der Weibe Hat Wolle, weich, wie Seide, Und um den Hals ein rothes Band; Frißt Bröckchen aus der Kinder Hand, Lieb' Schäfchen, lieb' Schäfchen.

Hopps, kann das Schäfchen springe»!. Am Hals die Glöckchen klinge»». Die Mutter hing mit eigner Hand Die Glöckchen an das rothe Band. Lieb' Schäfchen, lieb' Schäfchen. Bä, ba, schreit es vor Freuds-, Thut Niemand was zu Leide; Es ist so sanft, eS ist so fromm, Ach, laß dich streicheln, Schäfchen, fomm, Lieb' Schäfchen, lieb' Schäfchen.

7.

Der Hund.

Der Hund sagt: Ich bleib' an der Thur, Zu schauen, wer wandert dafiir.

*) Plattdeutsch.

72 8.

Der junge Hund.

Der Morgen graut, der Jäger stößt Jn's krumme Horn, und aufgelößt Zerstreuen sich in schnellem Lauf die Hunde, Und schnüffeln stumm in dem bethauten Grunde. Ein junger Hund, den man zur Probe nur Mitlaufen ließ, ahmt ihre Rolle Geschäftig nach, beriechet jfde Scholle. Man findet lange keine Spur. Der Lehrlittg, müde, mehr zu schwelgen giebt das Zeichen Des Fundes, Alles läuft mit Keuchen Herbei, und sucht und findet — nichts, Und lacht des Plauderhaften Wichts. . Doch er beharrt bei seinem eitlen Bellen. Der Jäger kommt, packt den Gesellen Beim Fell, und gerbt ihn wacker durch und spricht. „Da merke dir'S! wenn zu erfahrnen Alten Ein junger Tölpel kömmt, so ist es seine Pflich, Zum wenigsten das Maul zu halten."

9.

Der große und der kleine Hund.

Ein kleiner Hund, der lange nichts gerochen Und Hunger hatte, traf es nun, Und fand sich einen schönen Knochen, Und nagte herzlich dran, wie Hunde denn wohl thun.

Ein großer nahm sein wahr von fern: „Der muß da was zum Besten haben. Ich fresse auch dergleichen gern; Will doch des Weg's einmal hintraben."

Alard, der ihn des Weges kommen sah, Fand es nicht rathsam, daß er weilte, Und lief betrübt davon und heulte, Und seinen Knochen ließ er da. Und Packan kam in vollellr Lauf Und fraß den ganzen Knochen ausi

73 Hk

Drr Jagdhund und der Miß. Der Jagdhund.

Ha, Taubenwürger, hab' ich Dich? Der I l t i ß.

O weh!

Laß ab!

Verschone mich!

Der Jagdhund.

Ich Deiner schonen, alter Sünder, Und schontest selbst der armen Täubchen nicht? Der I l t i ß.

Ach, übe kein so streng Gericht! Bedenk, ich habe Weib und Kinder. Der Jagdhund.

Die Tauben auch, doch würgst Du sie! Der I l t i ß.

Ach, gnäd'ger Hund, ich fühlte nie, Wie's Beißen thut. O weh! Au!

Au!

Der Jagdhund.

So fühl' es nun und stirb!

Hau! Hau!

11. Die Katze. Die Katz' sagt: Ich fitz' auf dem Heerd, Ob mir ein Mäuslein wär' bescheert, Das nach der Speise Geruch amäm' Und ich zu meiner Speis' annähm'. Ich sitz' ohn' das gern in der Wärm', Ob ich gleich auch des Nachts umschwärm'.

12.

Die

Mäuse.

Die Mäuse kamen einmal auf einem Boden zusanunen, und überlegten, wie sie sich vor der Katze schützen könnten. Dazu weiß ich ein Mittel, sagte ein junges Mäuschen. Wir wollen der Katze eine kleine Glocke anhängen. Dann hören wir sie immer klingeln, ehe sie kommt, und können

74 «ns stüh genug in unsre Löcher verstecken. Alle Mäuse freuten sich über diesen klugen Einfall, und pipten und sprangen und tanzten vergnügt durch einander und riefen: Nun kann uns die Katze nichts mehr thun. Zn der Ecke auf dem Boden-lag das kleine Halsband, welches sonst der kleine Joli um seinen Hals getragen hatte, und daran waren noch mehrere kleine Glöckchen. Alle Mäuse fingen nun an zu nagen, und hatten bald ein Glöckchen abge nagt. Und nun hieß eS: Wer soll der Katze denn das Glöckchen anhängen? Dazu wollte sich aber Keiner finden, mit) Alle schlichen traurig in ihre Löcher zurück.

13.

Die

Maus.

Ich esse wenig, bin ohnmächtig, klein und schwach» Doch stellet mir der Mensch mit Gift und Eisen nach, Hält Thiere, welche mich verzehren, Und weit mehr kosten, sie zu nähren.

14.

D e r

I g e l.

Ich habe einen Kopf und vier gesunde Beine, Doch ost, wenn Du mich siehst, erschein' ich ohne Beme. Ein wahrer Knäul. Rührst Du mich an, So ist Dein Finger übel dran.

15. Der

Maulwurf.

Der kleine 3an wacker Pflügte stillen Acker. Ohne Schaufel und ohne Pflug Brach er doch seinen Acker um. j

') Plattdeutsch.

75 16, Das

Eichhörnchen.

Es hat sein Nest auf den Bäumen und hüpft auf tcn Aesten, und ist doch kein Vogel.

17. Die beiden Hasen. Zwischen Berg und tiefem Thal Saßen einst zwei Hasen; Sie fraßen ab das grüne GraS Bis auf den Rasen.

Als sie sich gefressen satt, Setzten sie sich nieder. Saßen, bis der Jäger kam Und schoß sie nieder.

18. D e r Hase. Gestern Abend ging ich aus, Ging wohl in den Wald hinaus, Saß ein HäSlein in dem Straus; Guckt mit seinem Aeuglein 'rauS. Ließ ich meine Flinte knallen, HäSlein thät zur Erde fall'n, Richt't sich wieder auf und spricht. Weh' mir, ach, ich armer Wicht!

Hab' ein Schwänzlein, das ist klein, Wünscht' wohl, es möcht' größer sein; Graue Augen, langen Bart, Als wär' ich von Katzenart; Spitze Zähn', das Maul ist breit Und der Kopf nicht ungescheidt; Ohren, Speiselöffeln gleich, Und ein Kleid, wie Seide welch.

Nun bin ich lobt, ich armer Has, Darf nicht fressen mehr kein Gras,

76 Darf dem Bau'r nicht gehn in'S Kraut, Hab's bezahlt mit meiner Haut. Wenn es aber so sollt' sein, Wer mag da ein Häslein sein! So klagt Häslein mehr und spricht; Weh' mir, ach, ich armer Wicht! Wenn ich dann geschossen bin, Trägt man mich zum Koche hin, Der legt mich auf's Kuchenbrett, Spickt den Buckel wohl mit Fett, Steckt den Spiest zum Leib hinein; Ei! wie mag so grob er sein! So klagt Häschen mehr und spricht: Weh' mir, ach, ich armer Wicht! Wenn ich dann gebraten bin, Trägt man mich zur Tafel hin; Vorderleib und Hinterbein' Schneidet man in Stücke fein; Zeder sucht heraus daS Best': Nehmt vorlieb, ihr trauten Gäst'1 Häschen klagt nicht mehr und spricht. Weh' mir, ach, ich armer Wicht!

19.

I a g e r l i e d»

Ich bin ein Jäger, rasch und jung. Früh, wenn der Morgen graut, Und Abends, wenn durch Dämmerung Der Mond vom Himmel schaut, Durchwand? ich schon mit leisem Tritt Das traurige Gefild, Und horche wol bei jedem Schritt Auf das verscheuchte Wild.

Den Eber, der mit wildem Zahn Den Wald beherrscht voll Wutb,

77 Stürzt mein Geschoß, und der Tyrann Fällt ui sein eignes Blut. Der Rehbock, der auf Flügeln eilt; Der Hirsch, so schlank und schön; Der Dachs, der in den Klüften weilt; Nichts, nichts kann mir entgehn.

Mein ist der Vogel in der Lust; Der Entrich auf deni Teich; Mein Feuerrohr, sobald es pufft, Erleget fie sogleich. Ein Weidmann scheuet nicht Gefahr,' Nicht Kälte und nicht Schweiß» Ihm ist es eins, durch's ganze Jahr Bei Regen oder Eis.

50,

Der Fuchs und die Katze.

Es trug sich zu, daß die Katze in einem Walde dem Herrn Fuchs begegnete, und weil sie dachte, er ist gescheidt und wohl erfahren und gilt viel in der Welt, so sprach fie ihm freundlich zu: Guten Tag, lieber Herr Fuchs, wie steht's? Wie geht'S? Wie schlagt Ihr Euch durch in dieser theuern Zeit? Der Fuchs, alles Hochmuths voll, sah sie an vom Kops bis zum Fuß, und wußte lange nicht, ob er etwas antworten sollte. EndliA sprach er; O du armer buntscheckiger Wicht, du Hungerleider und Mäuse­ jäger, was kommt dir in den Sinn? Fragst, ob mir's wohl gehe, und bin Herr über hundert Künste? Die Katze wollte ihm bescheidentlich antworten, aber in dem Augenblicke kam ein Dachshund daher gelaufen. Wie der FuchS den sah, machte er, daß er in seine Hohle kam; die Katze aber sprang behend auf eine Buche und setzte sich in den Gipfel, wo Aeste und Laubwerk sie ganz ver­ bargen. Bald kam der Jäger, und der Dachshund spürte den Fuchs und packte ihn. Wie die Katze daS sah, rief sie ihm hinab: Ei, Herr FuchS, seid Ihr doch mit Euren

hundert Künsten stecken geblieben! Hättet Ihr herauf kriechen können, wie ich, so wär's nicht um Euer Leben geschehen.

2t.

Der Wolf und die Ziege.

Auf eines Felsen steiler Höh', Die weder Gras noch fetten Klee Dem Hungrigen zur Speise gab, Stand eine Ziege.

„ Konnn herabr „Du kleine schlanke Liebliche!" Rief Ränder Wolf zu ihr hinauf ; „Was stehst du doch oben drauf? „ Dort triffst du keinen guten Fraß „ Hier unten wächst so schönes Gras; „ Auch stehn an kleinen Wasserfällen „ Viel junge Bäumchen abzuschälen ’ „Komm, Liebliche!" „Herr Wolf, Sie sind „Mir gar zu gütig: Geben Sie „ Sich aber doch nur keine Müh' „ Um meinen Magen! denn ich bin „ In Wahrheit keine Schmauserin! „ Ich halt' es mit gesunden Kräutern, „Und mag mit fettem Gras und Klee „Nicht eben meinen Leib erweitern! „Ich klettre gern! Herr Wolf, Adieu'"

22.

Vom Kind unter den Wölfen.

Auf dem Riesengebirge lebte einmal eine arme Frau, die hatte ein kleines Kind und auch eine große Heerde. Die Heerde aber gehörte nicht der Frau, sondern sie hütete sie nur. Und da saß sie einmal mtt ihrem Kinde in dem Walde, und gab dem Kinde Brei aus dem Napfe, und die Kübe weideten unterdessen auf dem Grafe. In den:

Walde aber waren böse Wölfe, und als die Kühe von dem Gras in dpn Wald gingen, wo eö kühl war und viel Gras wuchs, dachte die Frau,, der Wolf könnte kommen und könnte die Kühe fressen. Und da gab sie dem Kinde den Napf mit dem Brei und einen hölzernen Löffel dazu, und sagte: „Da, Kindchen, nimm und iß; nimm aber den Löffel nicht zu voll." Und nun stand sie auf und ging in den Wald und wollte die Kühe heraustreiben. Und wie nun das Kind so allein da saß und aß, kam eine große, große Wölfin aus dem Walde herausgesprungen und gerade auf das Kind los, und faßte es mit den Zäh­ nen hinten an der Jacke, und trug es in den Wald. Und da die Mutter wieder kam, war kein Kind mehr da, und der Napf lag auf der Erde, aber der Löffel lag nicht dabei; denn den hatte das Kind in der Hand fest gehalten. Und wie das die Mutter sah, dachte sie gleich, daS hat Niemand anders gethan, als der Wolf, und lief in das Dorf und schrie entsetzlich, daß die Leute herauskämen. Unterdessen kam ein Bote durch den Wald gegangen, der hatte sich verirrt, und wußte nicht, wo er war. Und wie er so durch die Büsche geht und den Weg sucht, hört er etwas sprechen, und denkt gleich, da müssen doch wohl Leute sein! Und es sagte immer: „Geh, oder ich geb' dir was!" Und wie er mm das Gebüsch von einander thut und seben will, was es ist, sitzt ein Kindchen auf der Erde und sechs kleine Wölfchen drum herum, die fahren immer auf das Kind zu und schnappen ihm nach dew Händen, — aber die alte Wölfin war nicht dabei, die war wieder in den Wald gelaufen; - und wenn i^rn nun die Wölf­

chen nach den Händen schnappen, schlägt daS Kind sie mit dem hölzernen Löffel' auf die Nase, und sagt immer dazu: „Geh, oder ich geb' dir was!" Und der Bote wunderte sich und lies geschwind hin und schlug mit dem Stock unter die kleinen Wölfe, daß sie alle davon liefen, und das Kind nahm er geschwind von der Erde in die Höhe und lief und lief; denn er dachte die alte Wölfin könne wieder kommen. Und währte es gar nicht lange, da kamen die Bauern auS dem Dorfe mit

80 Heugabeln und Dreschflegeln, und wollten den Wolf todt machen. Und die Mutter kam auch mit, und da fle sah, baß der Wolf das Kind nicht gefressen hatte, war sie sehr vergnügt, und dankte, dem guten Manne tausendmal, und noch mehr dem kleben Gotte, daß er ihr Kind nicht hatte fressen lassen.

23. Der Tanzbar. Ein Kinderlieb. Ei, sehet doch, der Bär, der Bär, Mit schwerem Tritt jrccht er daher! Der Mann dort mit dem Ranzen, Der lässet ihn hübsch tanzen; Die Trommel brummt, die Pfeife quikt, Wie sich's zu solchen Tagen schickt. Der Bär ist gar ein faules Thier, Er schläft sein halbes Leben schier; Darum bekömmt der Träge Vom Treiber viele Schläge. Wollt ihr vor Strafen sicher sein, Arbeitet brav und lernet fein.

Der Bär, der ist ein Leckermaul, Im Honigrauben gar nicht faul; Die Bienen, sich zu rächen, Mit manchem Stich ihn stechen. Seht, solchen schmerzenvollen Lohn Trägt ost die Leckerei davon. Der Bär, der brummt ohn' Unterlaß Im zornigen, ergrimmten Baß; Drum, Kinder, laßt euch wehren, Und brummt nicht, wie die Bären, — Sonst fügt man in die Näschen klein Euch hübsche Eisenringlein ein. Der Bär, der Bär, der grobe Bär Ist naschhaft, faul, und brummt gar sehr,

81 Drum kann er wieder gehen, Wir Haven g'nug gesehen; Wir wollen fleißig, mäßig sein, Und feine Brummelbären sein.

24.

Der Bär und die Bienen. .

Holla, ihr Bienen! brummt der Bär, Gleich gebt mir euren Honig her; Sonst werd' ich euch mit sammt dem Korb verzehren' Doch wie, gestrenger Herr, wenn wir uns wehren? Euch wehren, Jüngferchen! darüber muß ich lachen; Werd' gleich dem Ding ein Ende machen. Da streckt er seine Tatzen aus, Wollt' schon beginnen seinen SchmauS. Allein die Unschuld ward gerochen, Das llnthier jämmerlich gestochen.

25.

Der Bar und die Bienen.

3n Polen brummt ein wilder Bär: Ihr Bienen, gebt mir den Honig her! Ich bin so groß und ihr so klein; Ihr sollt mir wahrhaftig nicht hinderlich fein!

Und eh' die Bienlein sich's versah'n, So klettert der Bär den Baum hinan. Er klammert flch fest und brummt und brummt. Das Bienlein summt, das Bienlein summt.

Ihr Bienen, gebt mir den Honig her. Es wird nichts, Herr Bär! Es wird nichts, Herr Bär! Der Bär steckt schon die Nase hinein: Weg da, ihr Bienen, der Honig ist mein! Pie Bienlein stechen ftisch drauf los: Sind wir gleich klein und du bist groß,

II

G

82 Doch soll's deiner Nase gar schlimm ergehn, Läßt du nicht gleich den Bienenstock stehn.

Der Bär wird bös. Es hilft Alles nicht. Er knurrt und brummt. Das Bienlein sticht. Wie juckt's ihm auf Zunge, auf Nase und Ohr Er muß entlaufen, der arme Thor. Die Bienlein jubelten fiini, sum, sum; Der Bär, der knurrte brum, brum, brum. Und als er floh, rief's Bienchen ihm zu: Soll's dich nicht tzrckm, laß Andre in Ruh.

26.

Die Stube mit Vögeln.

„Heda! Karoline, Lotte, Ernestine! wollt ihr schöne Vögel sehen?" rief Herr Wahlberg seinen Kindern zu. „Vögel?" sagten die Kinder, „o die wollen wir gern sehen. Aber wo sind denn Vögel? du hast ja keine." „Werdet es schon sehen," antwortete der Vater, und ging voran. Die Kinder folgten dem Vater, und selbst der kleine Ludwig rief: „Mit, Vater, mitnehmen!" und der Vater nahm ihn auch mit. Er trug ihn aus seinem Arme. „Ob das wohl weit sein wird?" fragte Lotte; „was mögen es wohl für Vögel sein? " ftagte Karoline; „wer­ den sie schön aussehen? werden sie hübsch singen?" sprach Ernestine. Indem ging der Vater in das Haus des nächsten Nach­ bars, und die Kinder wunderten sich darüber; denn der Nachbar war erst vor einigen Tagen hieher gezogen. Aber sie wunderten sich noch mehr, wie sie in die Stube traten und überall Vögel sahen. „Voll Erstaunen, voll Auftnerksamkeit betrachteten die Kinder diese kleinen Thiere. Kein Laut, kein Wort entfuhr den kleinen Leuten. 3n einer Ecke war ein großer Käfig voll lauter Kanarien­ vögel. Sie hatten ihre Nester in dem Käfige, und kleine

83 Näpfchen mit Futter und Wasser. Munter hüpften die Vögel auf den Stangen umher, die im Käfige befestigt waren; und wie der Herr Nachbar einige Stücke Zucker zwischen die Stäbe des Käfigs einklemmte, da kamen fie alle herbei, pickten und knabberten an dem Zucker, und ei­ ner suchte den andern zu verdrängen.

Ueberall in der Stube hingen in kleinern Käfigen ein­ zelne Kanarienvögel. Mitten unter ihnen hing ein anderer größerer Vogel mit kurzem dicken Schnabel, unter dem Halse und dem Bauche ganz blaßroth und auf dem Kopfe mit einer schwarzen Platte. Die Kinder wollten den Namen des Vogels wissen, und fragten, ob er auch fingen könne. „ Der Vogel heißt Dompfaffe oder Blutfinke, auch nennt man ihn wol Gimpel," sagte der Herr Nachbar, „und fingen kann er recht angenehm. Man muß ihn aber erst dazu abrichten. — Vielleicht kann ich ihn dazu bringen, daß er gleich jetzt fingt." Der Nachbar stellte fich vor den Vogel hin, pfiff ihr» einige Mal vor und bewegte den Kopf dabei von einer Seite zur andern. Nicht lange dauerte es, so fing der Vogel an, unruhig zu werden, hüpfte einige Mal auf seiner Stange hin und her, strich dm Schnabel auf der Stange ein paar Mal, wackelte mit dem Kopfe und fing an, einen einzelnen, >ber sehr sanften Ton hören zu lassen. Nach­ dem er dieses einige Mal gethan hatte, so pfiff er mit sehr angenehmer Stimme eine artige Melodie, indem er immer mit dem Kopfe und Schwänze wackelte und zuweilen auch den Schnabel dazu putzte. „Bist ein guter Kerl," sagte der Nachbar, wenn der Vogel fertig war, und hielt ihm den Finger hin, und das kleine Geschöpf legte freundlich den Kopf auf den Finger seines Herrn und biß ganz sanft in den Finger. Jetzt hörten die Kinder ein Geräusch in der Höhe, und sahen auf. „Ei," riefen sie verwundert auS, „das ist artig." Ein schöner bunter Vogel, ein Stieglitz war es, der ihre Verwunderung erregte. Er saß auf einem hölzernen Ge-

6*

84 stelle. Unten stand em Schälchen mit Wasser, km mn gerhut, welcher an einem Kettchen befestigt war, lag in dem Schälchen. So ost nun der Vogel trinken wollte, zog er fich den Fingerhut mit Wasser an dem Kettchen in die Höhe. Auf eine ähnliche Weise holte sich auch der Vogel sein Futter, welches in einem kleinen Wagen lag, der auf einem schrägen Brettchen in die Höhe gezogen wurde. Er zog den Wagen ebenfalls an einem Kettchen zu sich hinauf, und ließ ihn, wenn er satt war, wieder herunterrollen.•

Der' Bogel konnte ganz frei umher fliegen, und hätte nicht nöthig gehabt, sein Futter und sein Wasser an dem Kettchen heraufzuziehen; aber er fraß und soff nie anders, als auf diese Weise, an welche er von Jugend auf ge­ wöhnt war. Noch sahen die Kinder einige Nachtigallen und Grase­ mücken, die begierig die Mehlwürmer verschluckten, welche ihnen ihr Herr mit dem Finger hinhielt.

Unten auf dem Boden der Stube liefen einige Staaren, eine Amsel oder Schwarzdrossel, einige Lerchen und Sper­ linge frei herum. Sie waren so dreist, daß sie fast Nie­ mandem aus dem Wege gingen.

Jetzt hatten die Kinder Alles genau betrachtet, und Herr Wahlberg nahm Abschied von dem Nachbar, und dankte für das Vergnügen, das er ihnen mit seinen Vögeln ge­ macht hatte. Eben wollten sie die Hausthür aufmachen, als es auf einmal hinter ihnen mit einer wunderlichen Stimme rief: „Adieu; bleibt noch ein Bischen; schön Jacöbchen; Hundsfott, Hundsfott? schön Jacöbchen: ei, ei, seht doch, schön Jacöbchen!" Die Kinder wußten nicht, was das für wunderliches Zeug war und woher es kam. Sie sahen sich überall um, und da entdeckten sie bald die Stimmen. Sie kamen von einer Elster, die über der Hausthür hing und unaufhör­ lich fortplauderte. Da standen sie nun doch noch eine Weile, und betrachteten den geschwätzigen Vogel, der alle Augenblicke sein: „schön Jacöbchen" wiederholte.

85 Wie sie za Hause waren, da wollte jeder der Mutter er. zählen, was sie gesehen hatten. Die Vögel hatten den Kindern so wohl gefallen, daß sie den Herrn Nachbar sehr oft besuchten.; und gewöhnlich brachten sie auch den Vö­ geln etwas mit, was sie gern fraßen; denn darüber hatten sie den Vater befragt. Den Kanarienvögeln brachten sie Zucker, die Herzen von Sallatköpfen und andere grüne Kräuter aus dem Garren; dem Dompfaffen ein Stück Borstorferapfel, oder Vogelbeeren, oder einige KuoSpen vom Birnbaum; dem Stieglitz den Saamen von Distelköpfen; den Staaren verschiedene Würmer aus dem Gar ten; der Elster einen Knochen, an-welchem noch einiges Fleisch saß; und den Nachtigallen einige Mehlwürmer und sogenannte Ameiseneier. Die Vögel hatten es bald gemerkt, daß ihnen die Kin­ der fast jedesmal etwas mitbrachten; und sobald sie nur in die Stube ttaten, so schien jeder auf einen Leckerbissen zu warten. Vorzüglich bekannt war mit ihnen der Dom. pfaffe. Er litt es, Faß die Kinder ihren Finger durch den Käfig steckten, und ibn damit berührten und streichelten

27.

Der gewissenhafte Kater.

Eine Frau hatte einen sehr schönen, fast ganz gelben Kater, auf welchen sie ungemein viel hielt. Er hatte die gute Eigenschaft, nie zu naschen, und wenn ganze Schüs­ seln voll Fleisch vor ihm gestanden hätten; Milch indessen durfte man nicht stehen lassen. @r lief der Frau fast überall nach, beinahe wie ein Hund, und er war niemals falsch und tückisch gegen das Kind im Hause. Man hatte keinen Fall, daß er dasselbe jemals gekratzt oder gebissen hätte. War der Kater einmal über einen Milchtopf gerathen, so war es auch gewiß, daß er sich in einigen Tagen nicht wieder sehen ließ. Gewöhnlich kam er erst am brüten Tage wieder, aber nicht sogleich unten in's Haus, wo die Frau wobnte, sondern er stellte sich, wenn er die Frau in

86

der Küche merkte, oben auf der Treppe, und sing ganz kläglich an zu miauen. • Erst, wenn die Frau zu ihm sagte „nun, eS ist gut, komm' nur wieder;" kam er die Treppe herab, aber sehr langsam und ängstlich und unter bestän­ digem Zuruf der Frau: „komm' nur, ich thue dir nichts." Die Haupteigenschaft aber, um derentwillen dieser Kater der Frau so werth war, war die, daß er die Ratten und Mäuse, mit welchen ihr Haus sehr geplagt war, tödtete, obwohl sie nie bemerkte, daß er eine davon gefressen hätte. Auch fing derselbe die jungen wilden Kaninchen, welche in dem Walle, an welchem das HauS lag, sehr häufig waren. Hatte er des Nachts eine gute 3agd gehalten, so konnte eS die Frau gleich am andern Morgen sehr leicht wissen. Wenn sie nämlich früh in die Küche kam, um Kaffee zu kochen, so lagen auf dem Heerde alle tpdt gebissenen Ka­ ninchen, Ratten und Mäuse in einer Reihe hingelegt, und der Kater war ebenfalls in der Küche. Er sprang alsdann auf den Heerd hinauf und wieder herunter; er streichelte fich an die Hand und den Rock der Frau an, und ging an den getödteten Thieren einige Mal hin und her. Gewöhnlich trieb er dies so lange, bis die Frau ihm einige Mal den Rücken streichelte und ihn lobte. Sie gab ihm auch meistens ein Näpfchen voll Milch für seine treuen Dienste. Sobald er mit dieser fertig war, trug er die Kaninchen, Ratten und Mäuse wieder vom Heerde fort auf den Hof. Die Kaninchen wurden als ein Leckerbissen von ihm aufgezehrt, die Ratten und Mäuse aber blieben liegen. 3n der Stube hatte die Frau den Winter über gewöhn­ lich einige Rothkehlchen, mit welchen aber der Kater alle­ zeit in gutem Vernehmen lebte. Ein Rothkehlchen, welches nur ein Bein hatte, dem überdem auch die Flügel stark beschnitten waren, hat an zwei Jahre bei der Frau gelebt, und in der ganzen Zeit hat der Kater keinen einzigen Ver­ such gemacht, demselben etwas zu Leide zu thun. Er litt es sogar, daß der Vogel von seinem Teller fraß, aus sei­ nen Schwanz loshackte und dicht bei ihm vorbeiging, ohne nur eine Bewegung zu machen.

87 28,

Wunsch.

Wenn ich nUr ein Vöglein wäre, Ach, wie wollt' ich lustig fliegen, Alle Vögel weit besiegen. Wenn ich so^ein Vogel bin, Darf ich Alles, Alles haschen, Und die schönsten Kirschen naschen. Fliege dann zur Mutter hm; 3st sie bös in ihrem Sinn, Kann ich leis' mich an sie schmiegen Ihren Ernst gar bald besiegen.

Bunte Federn, leichte Flügel, Dürst' ich in der Sonne schwingen. Daß die Lüste laut erklingen, Wüßte nichts von Band und Zügel. Wär' ich über jene Hügel, Ach, dann wollt' ich lustig fliegen Alle Vögel weit besiegen.

29. Die Vögel (m Walde. Ich gehe mit Lust durch den grünen Wald Und höre die Vöglein singen; Sie singen so jung, fie singen so alt, Die kleinen Vögelein in dem Wald, Wie gerne hör' ich fie fingen!

30.

Der Hahn und die Henne«

Die Henne macht ein groß Geschrei, Die Bäurin hört's und holt das Ei. Der Hahn weckt früh den Knecht, die Magl Sobald der liebe Morgen tagt.

88 31.

Der

Hahn.

Der Hahn sagt: Vor des Fuchses List Auf dem Balken meine Schlafstätt' ist. Und daß mich Niemand müssig find't, Ruf ich die Stund' aus und den Wind.

32.

Der

Hahn.

Ich habe ein Volk, aber ich bin gerade kein König uns kein Fürst, wiewohl ich eine Krone trage. Ich trage stets Sporen, aber ich bin weder Ritter noch Reiter. Ich habe einen Hof, aber keine Hofleute. Ich habe ein glänzendes

Kleid, aber ich wohne schlecht.

33.

D a s

Gr.

Ich kenn' ein kleines weißes Haus, Hat weder Fenster, Thür noch Thor; Will dann der kleine Wirth heraus,

So muß er erst die Wand durchbohren.

34.

Daö

Ei.

Ich kenn' ein kl«nes Schlösselein, Wie Kreid'und Schnee, so weiß und rein; Es ist keine Thür zu diesem Schloß, Man kommt hinein mit hartem Stoß. Auch ist ein rothes Kügelein In dem marmelsteinernen Schlösselein. Um diese Kugeloschwimmt umher Ein schönes, weißes, klares Meer. Die Kugel leuchtet wie gelbes Gold, Ihr ist wohl Mancher günstig und hold. Aus diesem Schlößlein bricht hervor, Und schwingt sich manchmal hoch empor, Thut vielen Leuten sehr viel gut Und Arm' und Reiche speisen thut.

89 @in — rathe, waS mag bas wohl fein, Das kommt aus diesem Schlossklein?

36. Die Gans. Der beste Vogel, den ich weiß, Das ist die fette Gans; Sie hat zwei breite Füße, Dazu den langen Hals, Uni) noch ihr Stimmlein süße. Ihre Füße find gehl, Ihre Stimm' ist hell, Der Hals ist lang, Durch die ganze Stadt schreit ihr Gesang Die Federn find weich, Der Leib an Aepfeln und Pflaumen reich.

37. Warum gehen die Ganse barfuß ? Barfuß gehen Gans' und Hennen, Weil sie nichts, als schlucken können. Und das Stricken nicht verstehn. Nur die Menschen können nähen, Stricken und das Spinnrad drehen, Und deshalb bekleidet gehn.

38. Der S t o r ch^ Ein ftemder Reisender, mir ist fürwahr Sein Name ganz und gar entfallen, Besucht uns, wie die Nachtigallen, Mit seinen Brüdern Jahr für Jahr. Ein Nest von Reisern, Torf und Moor Erbaut er sich aus unsren Scheunen; Mit rothem Schnabel, langen Beinen Geht er einher durch Sumpf und Moor.

90 Sein Kleid sieht weiß und dunkel aus. Er kann nicht singen, auch nicht plappern, Sein Ton ist nur ein lautes Klappern, Und Frösche sind sein liebster Schmaus. 3hm droht nicht Schlinge, noch Geschoß, Er ist dem Landmann lieb und theuer; Ganz sorglos legt er seine Eier Und zieht dann seine Jungen groß. Verschwindet nun der Sonnenblick, Verstummen unsres Waldes Lieder, Dann sucht er warme Länder wieder, Und läßt das leere Nest zurück.

39. Muttertreue. Airs dem Schornstein eines großen VauemhauseS stand von alter: Zeiten her ein Storchnest. Irr jedem Frühjahre kamen mit den Thauwinden aus dem wärmern Afrika herüber auch zwei alte Störche, die während des Sommers das Nest bewohnten. Was die Stürme des Sommers und Winters daran verdorben hatten , besserte:: sie dann gemeinschaftlich aus, trugen allerlei weiches Geniste zusam­

men, um bequemer darin zu sitzen, unb endlich legte die Störchin ihre Eier darein, und brütete ihre Jrrngen aus, die sie dann wieder gemeinschaftlich im Fliegen unterwiesen, und gegen Ende des Sommers mit sich in ihre andere Heimath zurückführten.

Während die Störchin auf den Eiern brütete, flog meist nur der Storch allein rhinaus und sammelte auf den fuuv pfigen Wiesen und in den Wassergräben Schlangen und Frösche und brachte sie seiner Störchin zur Nahrung. Denn wenn sie. selbst auf längere Zeit ihr Nest verlassen hätte, wären die Eier erkaltet, und die halb ausgebrüteten Störchlein wären in den Eierschalen gestorben. Nur dann flog sie zuweilen nach Nahrung aus, wenn sie fühlte, daß der Rauch von dem Heerde durch den Schomstein zog und das Nest durchwärmte.

91 Emst hatte fie auch wieder junge SÄrchlem aus ihren Eiern gebrütet und pflegte sie mit treuer Liebe. Sie suchte ihnen die zartesten jungen Frösche zur Nahrung, trug fie ihnen in's Nest und fütterte fie. Die jungen Störchlein wußten schon, daß fie ihnen immer etwas mitbrachte, wenn sie von einem Ausfluge zurückkehrte. Wenn die treue Mut­ ter heimkam, da schwangen fie darum auch begierig die nackten Flügel, und sperrten quikend ihre Schnäbel nach ihr auf. Und sie theilte treulich aus ihrem langen Schna­ bel die Nahrung gleich unter sie aus. Es war damals aber ein sehr heißer und trockner Som­ mer. Das Wasser der Pfützen und Gräben trocknete ein; auch die sumpfige Wiese war den Fröschen bald zu dürr geworden, daß sie alle auswandern mußten, sich einen neuen Wohnort zu suchen. Da mußten die alten Störche denn auch immer weiter hinausfliegen, um ihre Nahrung zu finden, als ehedem. Eines Tages waren fie sehr weit von ihrem Neste, und sammelten Frösche und Schlänglein für sich und ihre Jun­ gen. Nachdem sie schon eine Meile weg waren, sagte die Störchin zu dem alten Storche, der eben mit großen Schrit­ ten durch eine sumpfige Wiese stieg: „Höre, lieber Mann, „ gib du mir nun einstweilen, waS du für die Kleinen zur „ Nahrung gesammelt hast, zu meinem Vorrathe. Ich fliege „ dann heim und bring's ihnen. Die Armen haben ge„stem Abmd sehr wenig bekommen und werden gewiß „ hungern. Du kannst auf diese Art dann noch recht lange „bleiben und einen guten Vorrath sammeln." Der Storch gab ihr, was er hatte, und sie flog damit nach ihrem Neste zu. Als sie aber über den kleinen Hügel hinaufflog, hinter welchem das Haus mit ihrem Neste stand, da sah fie einen dicken, qualmenden Rauch auS den Dach­ läden des Hauses hervordringen. Sie flog schnell hinzu. Da riefen ihr die Jungen schon jammernd entgegen: „Mut„ter, Mutter, hilf! eS wird so heiß im Neste."

Kaum hatten fie dieses gesagt, so sprangen mit einem Male auch schon die Ziegel von dem Dache, und eine hohe

92 Flamme schlug aus den Sparren empor, und kleine Slämm lein leckten an den Sparren und Latten umher. „Mutter, Mutter! schrieen dse Kleinen wieder. Dieft war aber, von dem plötzlichen Ausbruche des Feuers er­ schreckt, in die Höhe geflogen. Jetzt kam sie aber sogleich wieder und flog ängstlich im Kreise um das Nest. „Ver. „sucht es," rief sie, „schwingt euch auf!" Die kleinen Störche versuchten es, allein vergebens. Die Schwung­ federn ihrer Flügel waren noch nicht lang genug. Sie flat­ terten nur, doch ihre langen Beine standen immer in dem Neste fest. Der Brand aber nahm mit jedem Augenblicke zu. Es lag viel Heu unter dem Dache; dieß wurde von den Flam men ergriffen, und sie reichten scholl hinauf in das Nest und zündeten es am Rande an. Da flog die alte Stör­ chin abermals in Schrecken in die Höhe, und die Kleinell jammerten laut: „O Mutter, Mutter, verlaß uns nicht!" Die dürren Reiser des Nestes brannten indessen in lichten Flammen. Da überwand die alte Störchin aber ihren Schrecken vor den flackernden Flammen. „ Nein," rief sie, „kann ich euch auch nicht retten, so will ich euch doch nicht verlassen! " und sie stürzte sich in trostloser Verzweiflung auf das brennende Nest, und verbrannte mit ihren Jungen.

Erst spät kehrte der alte Storch, beladen mit Nahrung aus dem fernen Sumpfe, zurück. Er freute sich auf dem Wege schon, wie- sich seine Kinder um ihn her drängen würden, ihre Schnäblein nach ihm aufsperren und wie treff lich es ihnen schmecken würde. Als er aber an die Stelle kam, war das Haus mit dem Neste niedergebrannt, und er stellte sich traurig auf die rauchende Trümmer. Und er baute sich kein neues Nest mehr, sondern stand jeden Abend auf der verödeten Brandstelle, bis die Zeit kam, daß er mit den andern Störchen nach Afrika zurückwandette. Da flog er mit dem Zuge fort, und soll auch nie wiederge kommen sein.

93 40.

Der

N h u.

Der Uhu fleht gar ernsthaft aus. Als hätt' er hoch studirt, Geht nicht aus seiner Höhl' heraus Bis Nacht und finster wird, All' Dunkelheit ist ihm ganz hell, Doch fleht er nichts bei Tag, Drum ist er auch ein solch' Gesell', Den qar kein Vogel mag.

41. Der Uhu. Ich fliehe vor dem Tageslicht, Und geh' Lei Nacht nur aus; Das Wilbpret ist mein LeibgerichtIn Klüften ist mein HauS. Lies Du auch vor- und rückwärts mich Mein Nam' ist unveränderlich.

42. Die alte und die junge Wachtel. Ein Wachtelchen, im Lenz geboren, Das noch die große Reife nicht gethan, Kanr zitternd zu der Mutter und hub an: Ach Mutter, weißt du schon, wir sind verloren' Ach Mutter, Mutter, drüben stehn Zwei Menschen im Gefild und drehn Zwei große Schwerter hin und wieder, Die Halme fallen rauschend nieder!---------Die Mutter sprach: Mein Kind, die Menschen mähen Ach Mutter! ries das Kind, sieh, wo sie gehen, Da wird der Bod^n glatt und kahl! Bald, sprach die Mutter, wird das ganze Thal Statt Halmen dürre Stoppeln zeigen. Das Küchlein sah mit bangem Schweigen Der Mutter Ruh' und heitres Antlitz an. Ach Mutter! seufzt' es, was soll dann

94 UnS Arme schützen und ernähren, Wenn vor der Sichel Halm' und Aehren Gefallen sind?---------Die Mutter lächelte und sprach: Mein liebes Kind. Das wird die Zeit dich lehren.

43.

Schwalbe.

Schwätzerlein, wie schwätz'st so toll Und plauderst hin und her, Früh hast du Kisten und Kasten voll, Des Abends find fie keer. Zu Morgen, eh' die Sonn' aufsteht, Erzählst du deinen Traum, Und Abends, wenn sie niedergeht, Haß du geredet kaum.

44.

Die

Schwalbe.

Kommen ist die liebe Schwalbe; Seht daS schöne Vögelein, Dessen Bauch ist weiß und falbe, Dessen Rücken schwarz und fein. Schauet, wie eS 'rummer flieget Und sich bittend zu Euch fuget.

45. Das

Rothkehlchen

Ein niedliches Rothkehlchen kehrte, Wenn es die Winterstürme hörte, Bei einem ftommen Landmann ein. Sobald es an sein Fenster pickte, Kam gleich der gute Mann und nickte 3hm freundlich zu, und nahm es ein. 3m Lenz verließ es daun fein Zimmer, Fing an, so froh und stei wie immer,

95 Sein kleines Nestchen sich zu baun, Und sang zuftieden seine Lieder, Und sang: „man traut uns gerne wieder, „ Wenn wir auch andern gerne trau'n."

46.

Die

Nachtigall.

Kukuk hat sich zu Tode gefall'n Don einer hohlen Weide. Wer soll uns nun den Sommer lang Die Zeit und Weil' vertreiben? Ei, das soll thun Frau Nachtigall, Die fitzt auf grünem Zweige. Sie fingt und springt mit süßem Schall, Wenn qndre Vögel schweigM.

47. Der

Zaunkönig.

Ich habe sehr wenig Und heiße doch König; Mein HauS ist groß, Von zartem MooS; Indessen bin Ich wenig drin. Ich liebe die freie Natur, Bin lieber in Wald und Flur Schaue nicht kalt noch naß, Fröhlich ohn' Unterlaß, Und, ist die Fabel' wahr, Kämpfte mein Ahnherr gar Einst mit dem stolzen Aar.

48. Der

Zaunkönig.

ES wollten einst die Vögelekn Beherrscht von einem König sein,

96 Und luden alle, groß und klein, Zum königlichen Wettflug ein; Und alle schwangen flch empor, Doch allen that's der Adler vor« Schon huldigt ihm der Vögel Chor Als plötzlich unter ihm hervor Der allerklelyste Vogel flog, Und ihn um's Königthum betrog. Es batte nämlich dieser Kleine Sich zwischen seine großen Beine, Non ihm und allen unentdeckt, Bis dahin listiglich versteckt, Und flatterte jetzt keck hervor, That's ohne Mich' dem Adler vor Und wollte selbst nun König sein. Er ward's; allein zu seiner Schande; Denn alle Vögel, groß und klein, Verhöhnten ihn im ganzen Lande. Wohin er flog, da flog die Schmach Dem kleinen König spottend nach. Da fühlt die kleine Majestät, Wie schlecht erlogne Würde steht, Und wohnt seitdem, um vor der Spötter Necken Geschützt zu sein, in Zäunen und in Hecken,

49. Der

Stieglitz.

Merk auf, wie fingt so lieblich hin Der schöne Distelfink; Beißt Disteln auf und sticht fich nie, Seine Kunst ist nicht gering. Gar schön ist er gezieret, Schwarz, gelb und roth sein Kleid, Die Stimm' er nie verlieret, Singt fröhlich alle Zeit.

jn 60,

Der

&i

a,a t.

Der Staat schwatzt, pfeift und finget, Er ist's, der AlleS samt; Sn den Kopf er Alles bringet, 9Mmmt, was er höret, an. Er ist gar schlau und lose Und merket auf mit Fleiß, Wäscht ost setne schwarze Hose *) Und kriegt sie niemals weiß. 51.

Der

Adler

und

der Rabe.

Ein Adler schwebte in der blauen Lust und sah von da emen Hammel unter sich auf einer Wjese weiden. Daö soll mir eine rechte Mahlzeit sein, dachte er, und schoß von oben herunter und packte den Hammel mit feinen scharfen Klauen und flog mit ihm davon. Als dieß ein Rabe sah, dachte er, das kann ich ja auch thun, und siel sogleich mit aller Kraft auf ein Schaf herab. Aber er konnte es nicht von der Stelle bringen, und da er den Hirten kom­ men sah, wollte er wieder auffliegen. Doch hatte er mit seinen Krallen so fest in^ die Wolle hinein gegriffen, daß er nicht wieder loskommen konnte, und als der Schäfer kam, erhaschte er jhn bei den Flügeln, nahm ihn mit nach Haus und steckte ihn in einen Käfig. 52.

D i e

Amsel.

Wenn ich schon schwarz bin, Schuld ist nicht mein allein, Schuld hat meine Mutter gehabt, Weil sie mich nicht gewaschen hat, •) Der Staat halt sich ost an feuchten Oertern auf, geht sogar in'S Wasser.

II.

und

98 Da ich noch klein, Da ich wunderwinzig

bin gesein.

53. Die Bachstelze. Die Bachstelz’ thut oft schnappen Und fängt der Mücken viel. ES hört nicht auf zu knappen Ihr langer Pfannenstiel. Den Schweif thut sie stets schwingen, Sie läßt ihm niemals Ruh', Wenn andre Vögel singen, Schlägt sie den Takt dazu.

54.

Der G o l d a m m c r.

Der Ammer singt bis -Abends spat. Die Hungerzeit ist hin. Er sagt: Wenn’S Feld nur Aehren hat, Ich auch ein Schnitter bin. Im Feld thut er sich nähren, Bleibt Tag und Nacht darauf, Was Gott ihm thut bescheeren, DaS klaubt er fleißig auf.

55. Der Finke. Der Fink' im Frühling fröhlich singt: Sa, fa, sa, sa, hui Dieb! 3m ganzen Wald fein' Stimm' erklingt, Wenn's Wetter nicht zu tritt’. Die Dieb’ will er verjagen, Die rund heraus er schilt. Dem Sperling thut er sagen, Daß er viel Waizen stiehlt.

SS D i e

56.

Meise.'

Die Meise hängt am Tannenast,

Ms ob sie sich verberg'; Rust allezeit: WaS giebst? WaS basti Singt ewig: Zizerberg» Man thut sie freundlich locken, Bis sie zur Falle springt. Da hüpft sie unerschrocken, Bis man sie gar umbringt.

Der Kanarienvogel.

57.

Das Vöglein kommt aus fremden Land, Singt schön und hell, wie Euch bekannt; Den Zucker eS besonders liebt, Doch frißt's auch Hanf, dm man ihm giebt.

58.

Papagei.

Papagei Zuckerstesser, Ruft dir der Schulknab' zu, Geh' in die Schul' und lern' besser, Giebst ihm zur Aniwort Du.

59.

Der

Strauß.

Der Vogel Strauß hat große Bein', Doch klein ist sein Verstand. Es brütet ihm der Sonnenschein Die Eier aus im Sand. Oft Stein und Eisen er verschluckt, Sein Magen, der ist gut; Seine Federn sind der Frauen Schmuck, Sie stecken sie auf den Hut.

100 60.

Bogel

P h ö n i r.

Phönir, der edle Vogel werth, Hat seines Gleichen nicht auf Erd'. Um seinen Hals ist's goldgelb klar, Sein Leib und Flügel Purpur gar; Hat aus dem Haupte eine Kron'; Der höchste Baum sein hoher Thron. Er wohnt und lebet ganz allein. Dann stellen sich viel Vögel ein. Die Vögel sammeln für ihn frei Den Weihrauch und die Specerei, Von edlem Holz wohlriechend' Aest', Sie machen aus dem All'n ein Nest. Dann schwingt er drüber sein Gefieder Am Sonnenglanze auf und nieder. Wenn er das Rauchwerk so gezünd't, Die Flamme sich zur Höhe wind't. Dann läßt er sich herab, zur Gluth, Verbrennt sich willig wohlgemuth. Alsdann in seiner Asche wird Ein leuchtend Würmlein erst formirt. Darnach ein Vogel rein und pur, Dem vor'gen gleich in der Natur.

61.

D i e

Bienen.

Kleine Vögel sehn wir fliegen, Honigvögelein genannt, Setzen sich auf ihren Zügen Auf der Blumen bunten Rand. Und sie schmausen auf der Weide Zn der warmen Sonne Strahl, Küssen auf der bunten Heide Rothe Blümchen oh,re Zahl. Doch der Winter hält gefangen Unser kleines Bienenvolk,

101 Bis der weiße Schnee zergangen, Eis und Frost und Nebelwolk'. Ist der Frühling nun erschienen, Weht in seiner milden Art, Machen sich die fleißigen Bienen Gleich auf ihre Blumenfahrt. Krieg'risch kommen sie gezogen, Trommeln nach Soldatenart. Schaaren kommen angcstogen, Tragen Schwerter, wohl verwahrt; Doch sie nehmen ohne Morden Ihren zarten Blumenraub, Ihre Beute ist geworden Honigsüßer Blüthenstaub.

Zn des Korbes dunkler Höhle Zimmern sie geheim den Bau, Fügen viele Tausend Säle Für die königliche Frau. Jedes Zimmer hat sechs Wände Zn dem Honigkönigreich; Keines Künstlers Meisterhände Bildeten sie diesen gleich. Immerdar steht man fle leben Ohne Hader, ohne Streit; Sind der Arbeit stets ergeben 3« der Lenz - und Sommerzeit. Emsig sind sie, einzutragen Süßer Blumen Saft und Thau, Zimmern so mit Wohlbehagen Ihren wunderbaren Bau.

62.

Die

Fliege.

Kommt ein Gericht zu Tische, Sei's sauer oder süß,

102 Sie fallen drauf ganz frische Mit Händen und mit Füst'. Wo man hat Bier und Mete, Da ist den Fliegen wohl, Sie kommen ungebeten Und trinken sich auch voll.

Daß manche muß ertrinken Im Becher und im Glas, Kommt sie 'raus, so muß sie hinken, Die Kleider sind ihr naß.

Es muß sich Einer ost wehren, Will er Fried' vor ihnen han; Sie stechen Fürsten und Herren, Es hilft dafür kein Zaun.

63.

Die

Gärtnerin

und

die

Diene.

Eine kleine Biene flog Emsig hin und her, und sog Süßigkeit aus allen Blumen. „ Bienchen!" spricht die Gärtnerin, Die sie bei der -Arbeit trifft, „Manche Blume hat doch Gift, „ Und du saugst aus allen Blumen?" „ 3a," sagt sie zur Gärtnerin, „3a, das Gift laß ich darin."

64.

Ganz sicher ruht' Da kam ein kleines Der Hausherr kam, llnt) läßt mich jetzt

D a S

W a ch S.

ich einst in einer Blume Schoos; Thier und baut' aus mir sein Schloß. das Schlößchen zu zerstören, durch Feuer gar verzebren.

103

65. D i e

Spinne.

Ich, ein kleines Thierchen, Lin Die geübteste Jägerin; 3n den Winkeln, an den Mauern Pfleg' ich auf das Wild zu lauern Ohne Hund und Schießgewehr. Netze spann' ich um mich her, Und mein Tisch bleibt selten leer.

66.

Der

Krebs.

Zum Lausen bin ich reich versehen, Und dennoch will's nicht vorwärts gehen. Im Leben bin ich grau, — und todt Färb' ich mich meistens scharlüchroth.

67. Die Schnecke. Ich baue ohne Hand und Fuß mein eignes Haus. Doch nehm' ich Niemand ein und füll' allein es aus. Im Winter grab' ich's ein, schließ dann mein Thürchen zu, Und lebe ohne Kost in ungestörter Ruh'.

II. Pflanzen 68. Das H a f e r k o r n. *) Dlunter ziehn die Pferde den Pflug im Frühjahr und öffnen die Furchen. Danach säet der Landmann den Ha-

*) Hiebei bringt die Mutter dem Kinde natürlich einige Haferkörner vor Augen, und weiset an ihm die Einzelnheiten nach, die in der Geschichte des Haferkornes angeführt werden.

103

65. D i e

Spinne.

Ich, ein kleines Thierchen, Lin Die geübteste Jägerin; 3n den Winkeln, an den Mauern Pfleg' ich auf das Wild zu lauern Ohne Hund und Schießgewehr. Netze spann' ich um mich her, Und mein Tisch bleibt selten leer.

66.

Der

Krebs.

Zum Lausen bin ich reich versehen, Und dennoch will's nicht vorwärts gehen. Im Leben bin ich grau, — und todt Färb' ich mich meistens scharlüchroth.

67. Die Schnecke. Ich baue ohne Hand und Fuß mein eignes Haus. Doch nehm' ich Niemand ein und füll' allein es aus. Im Winter grab' ich's ein, schließ dann mein Thürchen zu, Und lebe ohne Kost in ungestörter Ruh'.

II. Pflanzen 68. Das H a f e r k o r n. *) Dlunter ziehn die Pferde den Pflug im Frühjahr und öffnen die Furchen. Danach säet der Landmann den Ha-

*) Hiebei bringt die Mutter dem Kinde natürlich einige Haferkörner vor Augen, und weiset an ihm die Einzelnheiten nach, die in der Geschichte des Haferkornes angeführt werden.

104 ser hinein und egget ihn unter. Aber, daß er nun wächst und reif wird, — dazu kann der Bauer nichts thun, das thut der Vater im Himmel. Denket nur an, ihr Kinder, es liegt im mehligen Körnlein ein kleines, zartes Keimchen verborgen. Man hört es nicht athmen; nein, eS schläft und saget kein Wort und ißt nicht und trinkt nicht, biS es in der Furche liegt im lockeren Boden. Aber in der Furche und in der feuchten Wärme wacht es heimlich auf aus feinem Schlafe, und strecket die Glieder dann auS und sauget am saftigen Körnlein, wie ein Mutterkind thut, ganz so, nur daß eS nicht weinet. Mit der Zeit wird es größer und heimlich schöner und stärker und schlüpft aus den Windeln und streckt das Wür­ zelchen tiefer hinab in den Grund und suchet sich Nah­ rung und findet sie. Aber nun möcht' es so gern auch wissen, wie es denn weiter nach oben zu ist. Ganz heim­ lich siehet es aus dem Boden hervor und herrlich gefällt es ihm. Und der liebe Gott sieht es und spricht zu ei­ nem Engelein: Bring' ihm ein Tröpflein Thau uud heiße es freundlich willkommen. Und eS trinkt und es schmeckt ihm gut, und es streckt sich recht fröhlich. Nun kämmt sich die Sonne, und ist sie gekämmt und gewaschen, so kommt sie mit dem Strickzeug hervor hin­ ter den Bäumen, und wandelt dann ihren Weg hoch an der himmlischen Straße. Fleißig strickt sie und siehet herab, wie eine freundliche Mutter nach den Kinderchen schauet. Und sie lächelt hin nach dem Keimchen, und daö thut ihm wohl bis tief in die Wurzel hinunter. Aber was stricket sie denn? Gewölke voll nährenden Regens. Und er tröpfelt herab, und das Keimlein trinkt sich satt. Darauf weht ein Lüstchen und trocknet eS, und es sagt. Jetzt ginge ich nicht wieder hinab in die Erde um keinen Preis! Hier bleibe ich und will einmal sehen, was auS mir werden will! Aber nun wartet eine traurige Zeit aus das Keimlein. Wolken an Wolken stehn am Himmel bei Tag und Nacht; die Sonne verbirgt sich; aus den Bergen schneit es, und weiter herunter hagelt es. Hu, hu, hu, wie zittert eö

jetzt, wie weinet da- Keimlein I Und He Erde ist zu, und es hat nur wenige Nahrung. Ist denn, sagt es, die Sonne gestorben, daß sie nicht hervorkommt? Oder fürch­ tet sie sich auch vor der Kälte? Wäre ich doch geblieben, wo ich war, ganz still und klein im mehligen Körnlein, unkn im Boden und in der feuchten Wärme! Aber das böse Wetter nimmt auch ein Ende, und eS wird wieder besser. Am heiteren Maitag weht ein warmer Wind, und die Sonne steigt so strahlend vom Berge auf und sieht zu, was das Kcimlein macht und giebt ihm ein Küßchen. Nun ist ihm wieder recht wohl, und es kann sich nicht taffen vor Freude. Darauf prangen die Wiesen mit GraS und farbigen Blumen, und der Kirsch­ baum blüht, und der Pflaumenbaum grünt, und der Rog­ gen bufcht sich zuerst, dann Waizen und Gerste, und mein Häferchen spricht: Da bleib' ich auch nicht dahinter! Nein, es breitet die Blätter auS, und nun schießet der Halm und endlich schlüpfet die Aehre hervor und schwankt in die Lüfte. Sage mir doch ein Mensch, wer hat an seidenen Fäden so die Knöspchen gehängt mit künstlichen Händen? Engelein! Wer denn sonst? Sie wandeln zwischen dell Furchen auf und ab, von Halm zu Halm und sind immer geschäftig. Bald hängt Blüthe an Blüthe am zarten, schwankenden Aehrchen; dank kommen zarte Körnchen hinein und wachsen im Stillen, und mein Häferchcn merkt allmählig so, waS eS will werden. Und die Käserlein kommen und fliegen und wollen auch sehen, waS cs macht, mld singen ihm Lieder. Und der Leuchtwurm kommt noch Abends um neun mit der Laterne, wenn Flie­ gen und Käferlein schlafen. Darauf heuet man und pflücket Kirschen nach Pfingsten; darauf schüttelt man Pflaumen und schneidet den Roggen und Waizen und Gerste; und die Kinder der Armen gehen barfuß zwischen den Stoppeln, um Aehren zu lesen. Daraus bleicht auch der Hafer. Voll mehliger Körner schwankt er und sagt: Nun wird mir das Leben zuwider. Ich merke wohl, meine Zeit ist aus. Was soll ich allein thun zwischen den Stoppelfeldern und zwischen

t«6 den Winterkartoffeln? Dann gehet der Knecht hinaus und mähet ihn mit der Sense, und die Magd bindet Garben davon. Endlich wird er gebracht und in der stau­ bigen Scheune tüchtig gedroschen. Dann kommt des Mül­ lers Esel gegangen und holt ihn zur Mühle, und dann bringt er ihn wieder zu kleinen Körnern gemahlen, und die Mut­ ter kocht ihn mit herrlicher Milch im Töpflein am Feuer.

69. Lied zur Saatzeit. Wir Pflügen und wir streuen Den Saamen auf das Land, Doch Wachsthum und Gedeihen Steht in des Höchsten Hand. Er sendet Thau und Regen, Und Sonn- und Mondenschein; Von ihm kommt aller Segen, Von unserm Gott allein. Was nah' ist und waS ferne, Von Gott kommt Alles her; Der Strohhalm und die Sterne, DaS Sandkorn und daS Meer.

Von ihm stnd Busch und Blätter, Und Korn und Obst von ihm; Das schöne Frühlingswetter, Und Schnee und Ungestüm.

Er läßt die Sonn' aufgehen, Er stellt des Mondes Lauf; Er läßt die Winde wehen Und thut die Wolken auf. Er schenkt uns so viel Freude, Er macht uns frisch und roth; Er giebt dem Viehe Weide, Und seinen Menschen Brod. Wir wollen darum loben, Und loben immerdar

J°L Den großen Geber oben, (tr ist's, er ift’d fürwahr.

70.

Erndtelied.

Kein Klang von Allem was da klingt, Geht über Sensenklang, Wenn sie der rasche Schnitter schwingt, Zum fröhlichen Gesang. Das Aehrenfeld in gold'ner Pracht Nauscht, Halm an Halm gefügt. Wie da des Schnitters Auge Lacht, Wie ist er so vergnügt!

Er sieht den reichen Segen an, Womit ihn Gott beglückt; Denkt, wie er Andern helfen kann Und fühlt sich hoch entzückt.

Er singt; es zirpt in seinen Ton Die kleine Grille mit, Und nieder sinkt die Garbe schon Von seiner Sensen Schnitt. Da liegt sie nun, die ganze Schaar Der Halme, lang und schwer; Die Schwaden liegen Paar bei Paar 3n Reihen rings umher. Da steht der Schnitter mitten drin Und jauchzet in das Thal; Nun hüpft die frohe Binderin Daher, und ruft znm Mahl.

Die Schüssel dampft, die Kanne blinkt Das Mahl schmeckt königlich; Und seht, der nutnfre Schnitter winkt, Und Alles rüstet sich.

Und wieder hin auf'ö hohe Feld, Die Garben aufgesaßt,

108 Gebunden und empor gestellt, Und immer keine Rast.

Und endlich kommt im vollen Lauf Der Wagen angerollt. Er nimmt die reiche Ladung auf Und glänzt wie Helles Gold. Und dann geht's fort im raschen Trab, Getümmel hinterdrein, Das stoppelvolle Feld hinab, Zum Scheuerthor hinein. Zuletzt lohnt dann des LandmannS Schweiß Ein frohes Erndtefest. Er feicrt's froh zu Gottes Preis, Der Korn ihm wachsen läßt.

71.

Das Leben des Bauern.

Ich bi« das ganze Jahr vergnügt. Im Frühling wird das Feld gepflügt, Da steigt die Lerche hoch empor Und singt ihr frühes Lürd mir vor.

Und kommt die liebe Sommerzeit, Wie hoch wird da mein Herz erfteut, Wenn ich vor meinem Acker steh' Und so viel tausend Aehren seh'.

Rückt endlich Jacobstag heran, So muß die blanke Sense dran; Dann zieh' ich in daS Feld hinaus Und schneid' und fahr' die Frucht nach HauS.

Im Herbst 'seh' ich die Bäume an, Schau Aepfel, Birnen, Zwetschen dran; Und sind sie reif, so schüttl' ich sie. So lohnet Gott des Menschen Müh'. Nun kommt die kalte Winterzeit > Da ist mein Hüttchen überschneit;

109 DaS ganze Feld ist kreideweiß, Und auf den Wiesen nichts wie Eis.

3ch aber habe guten Muth, Mein warmes Bier bekommt mir gut: Da wird auch mancher Spahn geschnitzt, 3ndeß die Frau bei'm Rocken sitzt. Und kommt der Sonntag denn heran, Zieh' ich mich nett und reinlich an, Und geh' zur Kirch' in stiller Ruh Unb hör' der lieben Predigt zu.

Und nach der Kirche sprech ich dann Mit manchem braven Nachbarsmann z Und komm' ich heim, so wird verzehrt, Was mir der liebe Gott bescheert. Dann geh' ich in die Kinderlehr' Und hör und lerne immer mehr, Und an dem Abend les' ich fehl 3m schönen Noth- und Hülfsbüchlein.

So geht's 3ahr aus Jahr ein mit mir, 3ch danke meinem Gott dafür; Und habe immer guten Muth, Und denke: „Gott macht Alles gut."

72.

Der

L a n d m a n n.

Der Landmann hat viel Freude, Und lebt dabei in Ruh. Geräth ihm das Getraide, Führt er's dem Städter zu. Schon mit dem frühsten Morgen Erwacht er sorgenlos, Und hat er ja zu sorgen: Die Sorgen find nicht groß.

Er denkt: „Gott ist mein Hüter, Der Haus und-Hof beschirmt;"

no Und fnh]t dem Weltgebieter, Wenn's donnert oder stürmt. Kommt Böses, oder GureS, Er thut, was Gott gebot, Und bleibt getrosten MutheS Bei Milch und schwarzem Brod. In seiner stillen Hütte Erzieht ein treues Weib Ahm Kinder sronuner Sitte, Gesund an Seel' und Leib. „Viel Kinder, viele Beter," Sagt unser Sittenspruch. Gewiß, ihr guten Stadter, Der Landmann hat genug.

73.

Der

Flachs.

Ich wachse auS der Erde Und kleide Jedermann, Den König wie den Kaiser Und auch den Edelmann.

74.

DaS

Korn.

Ich bin das Nützlichste für dich wohl auf der Erde. Doch gleichet dem auch nichts, wie ich gemartert werde. Dem Prügel und das Nad hab' ich erst auszustehn, Ich muß durch's Wasser jetzt und dann durch'S Feuer gebn; Und Alles, was man mir nur Hartes angethan, Beschließt das Wasser und der Zahn.

75.

Das

Korn.

Flegel schlagen aus mich frisch. Ich versorge Deinen Tisch. Mache mich vom Staube rein,

ill Wenn ich Dir soll nützlich sein. Laß es auch nicht unterbleiben, Mich mit Steinen zu zerreiben ; Laß mich dann mit Wasser stampfen Und in starker Hitze dampfen. So erhalt ich Dir daS Leben, Kann Dir Kraft und Stärke geben.

76. Der Wein. Die Sonne kocbt'S, Die Hand bricht's, Der Fuß tritt's, Der Mund genießt's.

77. H e u l i e d. Wenn kühl der Morgen athmet, gehn Wir schon auf grüner Au' Mit rotbbeglänzter Sens' und mähn Die Wies' im blanken Thau. Wir Mäher, dalderaldei! Wir mähen Blumen und Heu! Juchhei! Die Lerche singt aus blauer Lust, Die Grasemück' im Klee, llnd dumpf dazu als Brumbaß ruft Rohrdommel fern am See. Wir Mäher, dalderaldei! Wir mähen in Schwaden das Heu! Juchhei!

Und scheint die liebe Sonne warm, Dann kommt der Mägdlein Schaar, Den Rock geschürzt, mit leichtem Arm, Strohhüt' auf glattem Haar. Die Mägdlein, dalderaldei! Sie Harken Blumen und Heu! Juchhei!

Der Bursch', umweht vom Dust des Heu's, Trinkt ost dem Freunde zu,

llL Und Und Die Sie

streicht die Sens' und wischt den Schweiß denkt: bald kommt die Ruh'! Mägdlein, dalderaldei! häufen Schober von Heu! Juchhei!

Ist weit hinab die Wiese kahl, Dann lagern wir uns frisch Zn bunter Reih' zum frohen Mahl Am blühenden Dorngebüsch. Die Mäher, dalderaldei! Ruhn gern im duftenden Heü! Juchhei! Bepackt wird dann der Wagen ganz. Daß Achs' und Leiter knackt; Die muntre Dirn' im Blumenkranz Wird oben drauf gepackt. Da sitzt sie, dalderaldei! Gewiegt vom duftenden Heu! Juchhei! Zum Bodenloch hineingebrachr Wird dann die Last des Heu'S, Und brav gesungen und gelacht; Denn Singen spornt den Fleiß. Am Giebel, dalderaldei! Stehn wir und rasseln im Heu. Juchhei!

Zuletzt beim Schmauß und Reigen tönt Schalnrein- und Fiedelklang. Da tanzt man, daß der Boden dröhnt Den ganzen Abend lang! Und schläft dann, dalderaldei! Wir Bursche schlafen im Heu. Juchhei!

78. Kartoffel-Lied. Pasteten hin, Pasteten her, Was kümmern uns Pasteten? Die Schüssel hier ist auch nicht teer Und schmeckt so gut, als aus dem Meer Die Austern und Lampreten.

113 Und viel Pastet' und Leckerbrod Verderben Blut und Magen. Die Köche kochen lauter Noth, Sie kochen uns viel eher todt; Ihr Herren, laßt Euch sagen!

Schon röthlich die Kartoffeln sind Und weiß, wie Alabaster, Verdau'n sich lieblich und geschwind Und sind für Mann und Frau und Kind Ein rechtes Magenpflaster.

79. Der Baum. Im Lenz erquick' ich Dich; 3m Sommer kühl' ich Dich, 3m Herbst ernähr' ich Dich, 3m Winter wärm' ich Dich.

80. Der Schwa m in. Von Allem, was ich kriege, trinke 3ch mich so voll, daß ich zu Boden finke, Doch gönnst Du mir es nicht, im Augenblick Geb' ich's auf einen Druck zurück.

81.

Der

Stock.

Dem 3üngling bin ich ost zum Schmuck und Spiele gut; Dem Zornigen dien' ich in seiner Wuth; Dem Angefallenen, daß ich ihn schütze; Dem Greis, daß ich ihn unterstütze.

82.

Der Tannenbaum.

O Tannenbaum, o Tannenbaum, Wie treu sind deine Blätter.

II.

8

114 Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, 3m Winter auch- wenn's friert und sctmeir. O Tannenbaum, o Tannenbaum, Wie treu sind deine Blätter.

83.

Die

Kirsche.

Erst weiß, wie Schnee, Dann grün, wie Gras, Dann roth, wie Blut, Wenn man'S ist, so schmeckt eS gut.

84.

Die

Kirsche.

Weiß kam ich auf die Welt; ich ward Ganz grün, doch Du verschmähtest mich. Dann ward ich roth, mein Herz, wie Stein so hart, Nun nahmst Du mich, und da erquickt' ich Dich.

8S. Die Geschichte von Strohhälmchen, Köhlchen und Böhnchen. Strohhälmchen, Köhlchen und Böhnchen thaten sich zu­ sammen und wollten auf die Wanderschaft ziehen. Da kamen sie an ein Bächlein ohne Brücke und konnten nicht hinüber. Das war ein Unglück! Endlich wußte Stroh­ hälmchen guten Rath, legte sich quer über das Bächlein, und die andren sollten darüber hingehen, erst Köhlchen und dann Böhnchen. Als Köhlchen aber mitten auf Stroh­ hälmchen kam, riß dieses entzwei, und Köhlchen fiel zischend in's Wasser und gab seinen Geist auf. Wie Böhnchen das sieht, lacht Böhnchen und lacht, bis daß ihm der Bauch zerplatzt. Da kam noch zum Glück ein wandern­ der Schneidergesell daher Md flickte ihm den Bauch wieder zu. Davon stehst Du noch die rothe Rath.

115 Die W a l l n u ß. Hoch, wie ein HauS, Klein, wie eine MauS, Grün, wie Gras, Weiß, wie Flachs — Was ist daS? *)

86.

87. Das Schneeglöckchen. Ein Glöckchen ist mir wohl bekannt Es schimmert hell im ganzen Land. Aus Silber scheint es Dir gegossen, Doch ist es aus der Erd' entsprossen. Mit einem Klöppel ist's versehn, Doch hörte Niemand sein Getön; Auch ist's auf keinen Thurm gehangen, ES kann nur in der Tiefe prangen.

88. Die Zwiebel. Es steht im Acker, Hält stch grün und wacker,

allein das Hühnchen war neidisch, hat nicht theilen wollen und hat aus Neid den Nußkern ganz verschluckt. Der ist aber im Halse stecken geblieben und wollte nicht hinter sich und nicht vor sich. Da hat es geschrieen: Lauf zum Born und hol' mir Wasser! Hähnchen ist zum Born gelaufen „Born, du sollst mir Wasser geben," Hühnchen liegt an jenem Berg lind schluckt an einem Nußkern. Und da hat der Born gesprochen. „Erst sollst zur Braut hinspringen Und mir klare Seide bringen." Hähnchen ist zur Braut gesprungen „Braut, du sollst mir Seide geben, Seide soll ich Brunnen bringen, Brunnen soll mir Wasser geben Wasser soll ich Hühnchen bringen, Hühnchen liegt an jenem Berg Und schluckt an einem Rußkern." Und da hat die Braut gesprochen: „Sollst mir erst mein Kränzlein langen, Blieb mir in den Weiden hangen." Hähnchen ist zur Weide flogen, Hat das Kränzlein runter zogen: „Braut ich komm dirs Kränzlein bringen t Sollst mir klare Seide geben, Seide soll ich Brunnen bringen, Brunnen soll mir Wasser geben, Wasser soll ich Hühnchen bringen, Hühnchen liegt an jenem Berg Und schluckt an einem Nußkern." Braut gab für das Kränzlein Seide, Born gab für die Seide Wasser,

4 Wasser bringt er zu dem Hühnchen. Aber Hühnchen war erstickt, Hat den Nußkern nicht verschluckt! Da war das Hähnchen sehr traurig, und hat ein Wägelchen von Weiden geflochten, hat sechs Mäuschen davor gespannt und das Hühnchen darauf gelegt, um.es zu Grabe zu fahren, und wie es so fortfuhr, kam eine Gans: „Wohin, Hähnchen?" Mein Hühnchen begraben. „Darf ich aufsitzen? Sitz' hinten auf dem Wagen! Bornen können's meine Pferdchen nicht ertragen. Da hat sich die Gans aufgesetzt. Kam ein Fuchs: „Wohin, Hähnchen?" Mein Hühnchen begraben. „Darf ich aufsitzen?" Sitz' hinten auf den Wagen! Bornen können's meine Pferdchen nicht ertragen. Da hat sich der Fuchs aufgesetzt. Kam ein Wolf: „Wohin, Hähnchen?" Mein Hühnchen begraben. „Darf ich aufsitzen?" Sitz' hinten auf den Wagen! Bornen können's meine Pferdchen nicht ertragen. Da hat sich der Wolf aufgesetzt. Kam ein Löwe: „Wohin, Hähnchen?" Mein Hühnchen begraben. „Darf ich auffltzen?" Sitz' hinten auf den Wagen! Bornen können's meine Pferdchen nicht ertragen. Da hat sich der Löwe aufgesetzt. Kam ein Floh: „Wohin Hähnchen?" Mein Hühnchen begraben. „Darf ich aufsitzen?" Sitz' hinten auf den Waaen! Bornen können's meine Pfeddchen nicht ertragen. Da hat sich der Floh auch aufgesetzt. Allein der war zu schwer! Der hatte gerade noch gefehlt. Das ganze

5 Wägelchen mit allen Gepäck, mit Mann und Maus, ist in dem Sumpfe versunken. Das Hähnchen ist allein davon gekommen und ist auf den Kirchthurm geflogen. Da steht es noch und dreht sich überall herum und paßt auf schön Wetter, daß der Sumpf austrocknet. Dann will es wieder hin und will sehen, ob es nicht das Wägelchen mit dem Hühnchen wieder findet. Wird aber wohl zu spät kommen! Denn es ist allerlei Kraut und Gras darüber gewachsen: Hahnenfuß und Hühnerdarm, Gänseblümchen und Fuchs­ schwanz, Wolfsmilch und Löwenzahn, und lauter solche Geschichten: Werste nicht weiß, muß sie erdichten.

3.

Geschichte von dem Herrn Katzmann und von der

Frau Katze. Es war einmal ein Herr Katzmann und eine Frau Katze. Die gingen einmal über Feld und kamen an einen Haselnußbaum. Da hatte die Frau Katze einen großen Appetit nach Nüssen und bat ihren Mann, daß er ihr doch einige von dem Baume holen möchte. So sauer es ihm nun auch wurde, so stieg Herr Katzmann doch hinauf. Aber als er nun darauf war, so warf er seiner Frau gar keine Nüsse herunter, sondern aß immer nur selber und konnte gar nicht aufhören. Endlich sagte seine Frau zu ihm: Lieber Katzmann, kommst du noch nicht bald wieder herunter? Ach, schrie Katzmann, ich kann ja nicht, liebe Frau. Da rieth ihm Frau Katze, daß er herunter springen möchte, und als er dies thun wollte, blieb er an einem Zweige hängen. Da sagte Frau Katze Ich will geschwind ein wenig Stroh holen, damit du dich nicht todt fällst. Also ging sie zu einem Bauern und sprach: Bauer, sollst mir Stroh geben, Stroh will ich unter'n Baum legen, Katzmann wollte Nüsse langen, Blieb im Haselbüsche hangen. Ach, mein lieber Katzemann, Wie lange mußt du noch hangen.

5 Wägelchen mit allen Gepäck, mit Mann und Maus, ist in dem Sumpfe versunken. Das Hähnchen ist allein davon gekommen und ist auf den Kirchthurm geflogen. Da steht es noch und dreht sich überall herum und paßt auf schön Wetter, daß der Sumpf austrocknet. Dann will es wieder hin und will sehen, ob es nicht das Wägelchen mit dem Hühnchen wieder findet. Wird aber wohl zu spät kommen! Denn es ist allerlei Kraut und Gras darüber gewachsen: Hahnenfuß und Hühnerdarm, Gänseblümchen und Fuchs­ schwanz, Wolfsmilch und Löwenzahn, und lauter solche Geschichten: Werste nicht weiß, muß sie erdichten.

3.

Geschichte von dem Herrn Katzmann und von der

Frau Katze. Es war einmal ein Herr Katzmann und eine Frau Katze. Die gingen einmal über Feld und kamen an einen Haselnußbaum. Da hatte die Frau Katze einen großen Appetit nach Nüssen und bat ihren Mann, daß er ihr doch einige von dem Baume holen möchte. So sauer es ihm nun auch wurde, so stieg Herr Katzmann doch hinauf. Aber als er nun darauf war, so warf er seiner Frau gar keine Nüsse herunter, sondern aß immer nur selber und konnte gar nicht aufhören. Endlich sagte seine Frau zu ihm: Lieber Katzmann, kommst du noch nicht bald wieder herunter? Ach, schrie Katzmann, ich kann ja nicht, liebe Frau. Da rieth ihm Frau Katze, daß er herunter springen möchte, und als er dies thun wollte, blieb er an einem Zweige hängen. Da sagte Frau Katze Ich will geschwind ein wenig Stroh holen, damit du dich nicht todt fällst. Also ging sie zu einem Bauern und sprach: Bauer, sollst mir Stroh geben, Stroh will ich unter'n Baum legen, Katzmann wollte Nüsse langen, Blieb im Haselbüsche hangen. Ach, mein lieber Katzemann, Wie lange mußt du noch hangen.

Ü

Da sagte der Bauer: Erst geh hin zum Mädchen, daß sie mir Linnen giebt. Da sagte die Katze zum Mädchen: Mädchen sollst mir Linnen geben, Linnen will ich dem Bauern geben, Bauer soll mir Stroh geben, Stroh will ich unter'n Baum legen; Katzmann wollte Nüsse langen, Blieb im Haselbüsche hangen. Ach, mein lieber Katzemann, Wie lange mußt du noch hangen. Da sagte das Mädchen: Geh erst nach der Kuh, dap sie mir Milch giebt. Da sagte die Katze: Kuh, sollst mir Milch geben, Milch will ich dem Mädchen geben, Mädchen soll mir Linnen geben, Linnen will ich dem Bauer geben, Bauer soll mir Stroh geben, Stroh will ich unteren Baum legen; Katzmann wollte Nüsse langen, Blieb im Haselbüsche hangen. Ach, mein lieber Katzemann, Wie lange mußt du noch hangen. Da sagte die Kuh: Geh erst nach dem Mäher hin, daß er mir Gras giebt. Da sagte die Katze: Mäher, sollst mir Gras geben, Gras will ich der Kuh geben, Kuh soll mir Milch geben, Milch will ich dem Mädchen geben, Mädchen soll mir Linnen geben, Linnen will ich dem Bauer geben, Bauer soll mir Stroh geben, Stroh will ich unter'n Baum legen, Katzmann wollte Nüsse langen, Blieb im Haselbüsche hangen. Ach, mein lieber Katzemann, Wie lange mußt du noch hangen. Da giebt der Mäher Gras, Gras giebt sie der Kuh, die Kuh giebt ihr die Milch, die Milch giebt sie dem

/

Mäochen, daS Mädchen giebt ihr ginnen, das ginnen giebt sie dem Bauer, der Bauer giebt ihr Stroh. Und als sie zu dem Baume hinkommt, da liegt ihr lieber Katzemann schon todt darunter. Da nimmt sie ein Brett, bindet ihren lieben Katzemann darauf fest, trägt ihn nach Haus und setzt sich auf ihre Kammer, beweinet ihren Jammer, ihr Elend und ihre große Nothz denn ihr lieber Katzemann ist mausetodt. Nach drei Tagen kommt ein Fuchs, der will die Frau Katze heirathen. Da ging die Magd den Tripperling, den Trillerling, bis sie auf die Kammer kam. „Gnädige Frau, was macht Sie? „Schläft sie oder wacht Sie?" „Ach nein, ich wache. „Ich sitze hier auf dem Bett „Und hab ihn auf dem Brett, „Der mir so oft gebracht zu Haus „Eine dicke, dicke fette Maus." „Hier ist ein Fuchs, der wünscht die gnädige Frau zu heirathen." „Ach, sag nur, ich wollte nicht heirathen." Da ging die Magd den Tripperling, den Trillerling, bis sie von der Kammer war. „Die gnädige Frau will Sie nicht." Da kam ein Hase und wünschte die gnädige Frau zu heirathen. Da ging die Magd den Tripperling, den Trillerling, bis sie auf die Kammer kam. „Gnädige Frau, was macht Sie? „Schläft Sie oder wacht Sie?" „Ach nein, ich wache. „Ich sitze hier auf der Kammer, „Beweine meinen Jammer, „Mein Elend und meine große Noth, „Denn mein lieber, guter Katzmann ist mausetodt. „Hier ist ein Hase, ein gar feiner Herr, der wünscht „die gnädige Frau zu heirathen." „Ach, laß ihn nur gehen, ich will ihn nicht." Da ging die Magd den Tripperling, den Trillerling'

8 bis sie von der Kammer kam. „Die gnädige Frau will Sie nicht." Da kommt aber ein Katzmann, ein gar seiner Katzmann, der wünscht auch die gnädige Frau zu heirathen. Da ging die Magd den Tripperling, den Trillerling, bis sie auf die Kammer kam. „Gnädige Frau was macht Sie? „Schläft Sie, oder wacht Sie? „Ach nein, ich wache „Ich fitze hier auf der Kammer, „Beweine meinen Jammer, „Mein Elend und meine große Noth, „Denn mein lieber, lieber Katzmann ist todt. „Hier ist ein Katzmann, ein gar feiner Katzmann, noch schöner als der vorige, der wünscht bie gnädige Frau zu heirathen." „Ach nein, ich will ihn nicht." „Gnädige Frau, es ist aber ein so feiner und schöner Herr." „Nun, so nimm das Thier „Und wirf es hinter die Thür, „Und laß den Freier kommen."

4.

Vom

süßen Brei.

Es war einmal ein armes frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein, und sie hatten nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald und begegnete darin einer alten Frau, die wußte seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollt es sagen: „Töpfchen koch!" so kocht es guten, süßen Hirsen­ brei, und wenn sie sagte: „Töpfchen steh!" so hört es wieder auf zu kochen. Das Mädchen brachte den Topf seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer Armuth und ihres Hungers ledig, und aßen süßen Brei, so ost sie wollten. Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter: „Töpfchen koch!" da kocht es und die Mutter aß sich fett; nun will sie, daß das Töpfchen

8 bis sie von der Kammer kam. „Die gnädige Frau will Sie nicht." Da kommt aber ein Katzmann, ein gar seiner Katzmann, der wünscht auch die gnädige Frau zu heirathen. Da ging die Magd den Tripperling, den Trillerling, bis sie auf die Kammer kam. „Gnädige Frau was macht Sie? „Schläft Sie, oder wacht Sie? „Ach nein, ich wache „Ich fitze hier auf der Kammer, „Beweine meinen Jammer, „Mein Elend und meine große Noth, „Denn mein lieber, lieber Katzmann ist todt. „Hier ist ein Katzmann, ein gar feiner Katzmann, noch schöner als der vorige, der wünscht bie gnädige Frau zu heirathen." „Ach nein, ich will ihn nicht." „Gnädige Frau, es ist aber ein so feiner und schöner Herr." „Nun, so nimm das Thier „Und wirf es hinter die Thür, „Und laß den Freier kommen."

4.

Vom

süßen Brei.

Es war einmal ein armes frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein, und sie hatten nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald und begegnete darin einer alten Frau, die wußte seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollt es sagen: „Töpfchen koch!" so kocht es guten, süßen Hirsen­ brei, und wenn sie sagte: „Töpfchen steh!" so hört es wieder auf zu kochen. Das Mädchen brachte den Topf seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer Armuth und ihres Hungers ledig, und aßen süßen Brei, so ost sie wollten. Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter: „Töpfchen koch!" da kocht es und die Mutter aß sich fett; nun will sie, daß das Töpfchen

s wieder aufhöpen soll, aber sie weiß das Wort nicht. Also kocht es fort und der Brei steigt üoer den Rand heraus, und kocht immer zu, die Küche und das ganze Haus voll, und das zweite Haus und dann die Straße, als wollte es die ganze Welt fett machen, und ist die größte Noth und kein Mensch weiß sich da zu helfen. Endlich wie noch ein einziges Haus übrig ist, da kömmt das Kind herein und spricht nur: Töpfchen steh!" da steht es und hört auf zu kocben, und wenn sie wieder in die Stadt wollten, haben sie sich durchessen müssen.

5.

Vom Bäumlein, das andre Blätter hat gewollt.

Es ist ein Bäumlein gestanden im Wald Sn gutem und schlechten Wetter; Das hat von unten bis oben Nur Nadeln, gehabt statt Blätter; Die Nadeln, die haben gestochen, Das Bäumlein hat gesprochen; Alle meine Kameraden Haben schöne Blätter an, Und ich habe nur Nadeln; Niemand rührt mich an; Dürft ich wünschen, wie ich wollt', Wünscht ich mir Blätter von lauter Gold. Wie's Nacht ist, schläft das Bäumlein cm Und früh ist's wieder aufgewacht, Da hatt' es goldene Blätter fein; Das war eine Pracht! Das Bäumlein spricht: Nun bin ich stolz, Goldne Blätter hat kein Baum im Holz. Aber wie es Abend ward, Ging der Sude durch den Wald Mit großem Sack und langen Bart. Der sieht die goldnen Blätter bald; Er steckt sie ein, geht eilends fort Und läßt das leere Bäumlein dort.

s wieder aufhöpen soll, aber sie weiß das Wort nicht. Also kocht es fort und der Brei steigt üoer den Rand heraus, und kocht immer zu, die Küche und das ganze Haus voll, und das zweite Haus und dann die Straße, als wollte es die ganze Welt fett machen, und ist die größte Noth und kein Mensch weiß sich da zu helfen. Endlich wie noch ein einziges Haus übrig ist, da kömmt das Kind herein und spricht nur: Töpfchen steh!" da steht es und hört auf zu kocben, und wenn sie wieder in die Stadt wollten, haben sie sich durchessen müssen.

5.

Vom Bäumlein, das andre Blätter hat gewollt.

Es ist ein Bäumlein gestanden im Wald Sn gutem und schlechten Wetter; Das hat von unten bis oben Nur Nadeln, gehabt statt Blätter; Die Nadeln, die haben gestochen, Das Bäumlein hat gesprochen; Alle meine Kameraden Haben schöne Blätter an, Und ich habe nur Nadeln; Niemand rührt mich an; Dürft ich wünschen, wie ich wollt', Wünscht ich mir Blätter von lauter Gold. Wie's Nacht ist, schläft das Bäumlein cm Und früh ist's wieder aufgewacht, Da hatt' es goldene Blätter fein; Das war eine Pracht! Das Bäumlein spricht: Nun bin ich stolz, Goldne Blätter hat kein Baum im Holz. Aber wie es Abend ward, Ging der Sude durch den Wald Mit großem Sack und langen Bart. Der sieht die goldnen Blätter bald; Er steckt sie ein, geht eilends fort Und läßt das leere Bäumlein dort.

10 Das Bäumlein spricht mit Grämen: Die goldnen Blätter dauern mich, Ich muß vor den Andern mich schämen, Sie tragen so schönes Laub an sich; Dürft ich mir wünschen noch etwas, So erwünscht ich mir Blätter von Hellem Glas. Da schlief das Bäumlein wieder ein Und früh ist's wieder aufgewacht. Da hatt' es gläserne Blätter fein; Das war eine Pracht! Das Bäumlein spricht: Nun bin ich froh; Kein Baum im^ Walde glitzert so. Da kam ein großer Wirbelwind Mit einem argen Wetter, Der fährt durch alle Bäume geschwind, Und kömmt an die gläsernen Blätter; Da lagen die Blätter von Glase. Zerbrochen in dem Grafts Das Bäumchen spricht mit Trauern; Mein Glas liegt in dem Staub; Die andern Bäume dauern Mit ihrem grünen Laub; Wenn ich mir noch was wünschen soll, Wünsch' ich mir grüne Blätter wobl. Da schlief das Bäumlein wieder ein, Und früh ist wieder aufgewacht; Da hatt' es grüne Blätter fein. Das Bäumlein lacht Und spricht: Nun hab' ich doch Blätter auch, Daß ich mich nicht zu schämen brauch. Da kommt mit vollem Eifer Die alte Geis gesprungen; Sie sucht sich Gras und Kräuter Für ihre Jungen; Sie sieht das Laub und fragt nicht viel, Sie frißt es ab mit Stumpf und Stiel. Da war das Bäumlein wieder leer, Es sprach mm zu sich selber-

11 Ich begehre nun keiner Blätter mehr, Weder grüner, noch rother, noch gelber; Hätt' ich nur meine Nadeln, Ich wollte sie nicht tadeln. Und traurig schlief das Bäumlein ein, Und traurig ist es aufqewacht. Da besieht es sich im Sonnenschein, Und lacht und lacht. -Alle Bäume lachen's aus, Das Bäumlein aber macht sich mcfttä daraus. Warum hat das Bäumlein denn gelacht? Und warum seine Kameraden? Es hat bekommen in einer Nacht Wieder alle seine Nadeln, Daß Jedermann es sehen kann; Geh' hinaus, sieh' nach, doch rühr'S nicht an.

6.

Das

Lumpengesindel.

Hähnchen sprach zum Hühnchen: die Nüsse sind reis geworden, da wollen wir miteinander auf den Berg gehen und uns einmal recht satt davon essen, eh' sie das Eich­ horn alle weggehost. „Ja, antwortete das Hühnchen, komm, wir wollen uns eine Lust mit einander machen." Da gingen sie zusammen fort auf den Berg, und weil es ein heller Tag war, blieben sie bis zum Abend; nun weiß ich nicht, ob sie sich so dick gegessen, oder ob sie so übermüthig geworden waren, kurz, sie wollten nicht, zu Fuß nach Haus gehen, und das Hähnchen mußte einen kleinen Wagen von Nußschaalen bauen. Als er fertig war, setzte sich Hühnchen hinein und sagte zunr Hähnchen: „Du kannst dich nun immer vorspannen." „Nein, sagte das Hähnchen, das wäre mir recht! lieber geh ich zu Fuß nach Haus, als daß ich mich vorspannen lasse; so haben wir nicht gewettet; Kutscher will ich wohl sein und auf dem Bock sitzen, aber selbst ziehen, das thue ich nicbt!"

11 Ich begehre nun keiner Blätter mehr, Weder grüner, noch rother, noch gelber; Hätt' ich nur meine Nadeln, Ich wollte sie nicht tadeln. Und traurig schlief das Bäumlein ein, Und traurig ist es aufqewacht. Da besieht es sich im Sonnenschein, Und lacht und lacht. -Alle Bäume lachen's aus, Das Bäumlein aber macht sich mcfttä daraus. Warum hat das Bäumlein denn gelacht? Und warum seine Kameraden? Es hat bekommen in einer Nacht Wieder alle seine Nadeln, Daß Jedermann es sehen kann; Geh' hinaus, sieh' nach, doch rühr'S nicht an.

6.

Das

Lumpengesindel.

Hähnchen sprach zum Hühnchen: die Nüsse sind reis geworden, da wollen wir miteinander auf den Berg gehen und uns einmal recht satt davon essen, eh' sie das Eich­ horn alle weggehost. „Ja, antwortete das Hühnchen, komm, wir wollen uns eine Lust mit einander machen." Da gingen sie zusammen fort auf den Berg, und weil es ein heller Tag war, blieben sie bis zum Abend; nun weiß ich nicht, ob sie sich so dick gegessen, oder ob sie so übermüthig geworden waren, kurz, sie wollten nicht, zu Fuß nach Haus gehen, und das Hähnchen mußte einen kleinen Wagen von Nußschaalen bauen. Als er fertig war, setzte sich Hühnchen hinein und sagte zunr Hähnchen: „Du kannst dich nun immer vorspannen." „Nein, sagte das Hähnchen, das wäre mir recht! lieber geh ich zu Fuß nach Haus, als daß ich mich vorspannen lasse; so haben wir nicht gewettet; Kutscher will ich wohl sein und auf dem Bock sitzen, aber selbst ziehen, das thue ich nicbt!"

12 Wie sie so stripen, schnatterte eine Ente daher- „Ihr Diebsvolk, wer hat euch geheißen in meinen Nußberg zu gehen, wartet das soll euch schlecht bekommen," ging damit auf das Hähnchen los. Aber Hähnchen war auch nicht faul, und stieg der Ente tüchtig zu Leibe; endlich hackte es mit seinen Sporn so gewaltig, daß sie um Gnade bat und sich gern zur Strafe vor den Wagen spannen ließ. Hähnchen setzte sich nun auf den Vock und war Kutscher, und darauf ging es fort in einem Jagen: „Ente lauf zu, was du kannst!" Als sie ein Stück Weges gefahren waren, begegneten sie zwei Fußgängern, einer Stecknadel und einer Nähnadel. Die riefen halt! halt! und sagten, es würde gleich stichdunkel werden, da könnten sie keinen Schritt weiter, dabei wäre es so schmutzig auf der Straße, ob sie nicht ein wenig einsitzen könnten; sie wären auf der Schneiderherberge vor dem Thore gewesen und hätten sich beim Vier verspätet. Das Hähnchen, da es magere Leute waren, die nicht viel Platz einnahmen, ließ sie beide ein­ steigen, doch mußten sie versprechen, ihm und seinem Hühn­ chen nicht auf die Füße zu treten. Spät Abends kamen sie zu einem Wirthshaus, und, weil sie die Nackt nicht weiter fahren wollten, die Ente auch nicht gut zu Fuß war und von einer Seite auf die andere fiel, kehrten sie ein. Der Wirth machte anfangs viel Einwendungen, sein Haus sei schon voll, gedachte auch wohl, es möchte keine vornehme Herrschaft sein; endlich aber, da sie süße Reden führten, er solle das Ei haben, welches das Hühnchen unterwegs gelegt hatte, auch die Ente behalten, die alle Tage eins lege, so gab er nach. Nun ließen sie sich wieder frisch auftragen, und lebten in Saus und Braus. Früh Morgens, als es erst dämmerte und noch Alles schlief, weckte Hähnchen das Hühnchen, holte das Ei, pickte es (ins und sie verzehrten es zusammen; die Schaalen aber warfen sie auf den Feuerheerd. Dann gingen sie zu der Nähnadel, die noch schlief, packten sie beim Kops und steckten sie in das Stuhlkissen des Wirths, die Steck­ nadel aber in sein Handtuch, darauf flogen sie mir nichts dir nichts über die Heide davon. Die Ente, die unter

13 freiem Himmel schlafen wollte und im Hof geblieben war, hörte sie fortschnurren, machte sich munter und fand einen Bach, auf dem sie hinausschwamm, und das ging ge­ schwinder, als vor dem Wagen. Ein paar Stunden darnach hob sich der Wirth aus den Federn, wusch sich und wollte sich am Handtuch abtrocknen, da zerriß er sich das Gesicht mit der Stecknadel; dann ging er in die Küche und wollte seine Pfeife anstecken, wie er aber an den Heerd kam, sprangen ihm die Eierschaalen in die Augen. „Heute Morgen will mir Alles an meinen Kopf," sagte er, und setzte sich ärgerlich in seinen Großvaterstuhl — auweh? Da traf ihn die Nähnadel noch schlimmer, und nicht an seinen Kopf, so daß er vor Schrecken auffuhr. Nun war er vollends böse und hatte Verdacht auf die. Gäste, die so spät gestern Abend gekommen waren, und wie er ging und sich nach ihnen umsah, waren sie fort. Da that er einen Schwur, kein Lumpengesindel mehr in sein Haus zu nehmen, das viel verzehrt, nichts bezahlt und obendrein zum Dank noch Schabernack treibt.

7.

Das Lämmchen und Fischchen.

Es war einmal ein Brüderchen und ein Schwesterchen, die batten sich herzlich lieb, ihre rechte Mutter aber war todt und sie hatten eine Stiefmutter, die war ihnen nicht gut, und that ihnen heimlich alles Leid an. Es trvg sich zu, daß die zwei mit andern Kindern auf einer Wiese spielten, und an der Wiese war ein Teich, der ging bis an die eine Seite vom Haus. Die Kinder liefen da herum, kriegten sich und spielten. Wie sie so fröhlich dahin sprangen, sah's die Stief­ mutter vom Fenster mit an und ärgerte sich. Weil sie aber Zauberkünste verstand, so verwünschte sie Beide, das Brüderchen in einen Fisch und das Schwesterchen in ein Lamm. Da schwamm das Fischchen im Teich hin und her und war traurig, mnd das Lämmchen ging aus der Weide hin und her, und war traurig und fraß nicht, und

13 freiem Himmel schlafen wollte und im Hof geblieben war, hörte sie fortschnurren, machte sich munter und fand einen Bach, auf dem sie hinausschwamm, und das ging ge­ schwinder, als vor dem Wagen. Ein paar Stunden darnach hob sich der Wirth aus den Federn, wusch sich und wollte sich am Handtuch abtrocknen, da zerriß er sich das Gesicht mit der Stecknadel; dann ging er in die Küche und wollte seine Pfeife anstecken, wie er aber an den Heerd kam, sprangen ihm die Eierschaalen in die Augen. „Heute Morgen will mir Alles an meinen Kopf," sagte er, und setzte sich ärgerlich in seinen Großvaterstuhl — auweh? Da traf ihn die Nähnadel noch schlimmer, und nicht an seinen Kopf, so daß er vor Schrecken auffuhr. Nun war er vollends böse und hatte Verdacht auf die. Gäste, die so spät gestern Abend gekommen waren, und wie er ging und sich nach ihnen umsah, waren sie fort. Da that er einen Schwur, kein Lumpengesindel mehr in sein Haus zu nehmen, das viel verzehrt, nichts bezahlt und obendrein zum Dank noch Schabernack treibt.

7.

Das Lämmchen und Fischchen.

Es war einmal ein Brüderchen und ein Schwesterchen, die batten sich herzlich lieb, ihre rechte Mutter aber war todt und sie hatten eine Stiefmutter, die war ihnen nicht gut, und that ihnen heimlich alles Leid an. Es trvg sich zu, daß die zwei mit andern Kindern auf einer Wiese spielten, und an der Wiese war ein Teich, der ging bis an die eine Seite vom Haus. Die Kinder liefen da herum, kriegten sich und spielten. Wie sie so fröhlich dahin sprangen, sah's die Stief­ mutter vom Fenster mit an und ärgerte sich. Weil sie aber Zauberkünste verstand, so verwünschte sie Beide, das Brüderchen in einen Fisch und das Schwesterchen in ein Lamm. Da schwamm das Fischchen im Teich hin und her und war traurig, mnd das Lämmchen ging aus der Weide hin und her, und war traurig und fraß nicht, und

14 rührte k.m Hälmchen an. So ging eine lange Zeit hin, da kamen fremde Gäste auf das Schloß. Die falsche Stiefmutter dachte, jetzt ist die Gelegenheit gut, rief den Koch und sprach zu ihm: „geh und hol das Lamm von der Wiese und schlacht's, wir haben sonst nichts für die Gäste." Da ging der Koch hin und holte das Lämmchen und führte es in die Küche, band ihm die Füßchen, daö litt es Alles geduldig, und wollte es abstechen. Wie er nun sein Messer herausgezogen hatte und auf der Schwelle wetzte, sah es, wie ein Fischlein in dem Wasser vor der Küche hin und her schwamm und zu ihm heraufblickte. Das war aber das Brüderchen; denn als das Fischlein gesehn: hatte, wie der Koch daS Lämmchen fortführte, war es mitgeschwommen im Teiche bis zum Hause. Da rief das Lämmchen hinab: „Ach Brüderchen in: tiefen See! Wie thut mir doch mein Herz so weh! Der Koch der wetzt das Messer, Will mir mein Herz durchstechen!" Daö Fischchen antwortete: „Ach Schwesterchen in der Höh! Wie thut mir doch mein Herz so weh Jn diesem tiefen See!" Wie der Koch hörte, daß das Lämmchen sprechen konnte und so traurige Worte zu dem Fischchen hinabrief, erschrak er und dachte, es müßte kein natürliches Lämmchen sein, sondern von der bösen Frau im Hause verwünscht. Da sprach er: „sei ruhig, ich will dich nicht schlachten," nahm ein anderes Thier und bereitete das für die Gäste, und brachte das Lämmchen zu einer guten Bäuerin, der erzählte er Alles, was er gesehen und gehört hatte. Die Bäuerin war aber gerade die Amme von dem Schwesterchen gewesen, verrMthEte gleich, wer es sein würde, und ging mit ihm zu. einer weisen Frau. Da sprach die weise Frau einen Segen über das Lämmchen und Fischchen, wovon sie ihre menschliche Gestalt wieder bekamen, und darnach führte sie Beide in ehten großen Wald in ein klein Häuschen, wo sie zufrieden und glücklich lebten.

15 S.

Die Geschichte von dem Wolf und ven sieben Geislein.

(fine Geis hatte sieben Junge, die sie gar lieb hatte, und sorgfältig vor dem Wolfe hütete. Eines Tages, als sie ausgehen mußte, Futter zu holen, rief sie Alle zusammen und sagte: „Liebe Kinder, ich muß ausgehen und Futter holen, wahrt euch vor dem Wolf und laßt ihn nicht herein! Gebt auch Acht, denn er verstellt sich oft, aber ihr könnt ihn erkennen an seiner rauhen Stimme und an seinen schwarzen Pfoten. Hütet euch! wenn er erst einmal im Haus ist, so frißt er euch Alle mit einander!" Daraus ging sie fort. Da kam der Wolf vor die Haus­ thür und rief: „Liebe Kinder, macht mir auf, ich bin eure Mutter und hab euch schöne Sachen mitgebracht." — Die sieben Geiserchen aber sprachen: Unsre Mutter bist du nicht, die hat eine feine, liebliche Stimme; deine Stimme aber ist rauh: Du bist der Wolf, wir machen dir nicht auf! — Der Wolf ging fort zu einem Krämer und kaufte sich ein großes Stück Kreide, die aß er und machte seine Stimme fein damit. Darnach ging er wieder vor die Hausthür der sieben Geiserchen und rief mit lauter Stimme: „Liebe Kinder laßt mich ein, ich bin eure Mutter! Jedes von euch soll was haben." Er hatte aber seine Pfoten in das Fenster gelegt, das sahen die sieben Geiserchen und sprachen: Unsre Mutter bist du nicht, die hat keinen schwarzen Fuß, wie du; du bist der Wolf, wir machen dir nicht auf!

Der Wolf ging fort zu einem Bäcker und sprach: „Bäcker, bestreich mir meine Pfoten mit frischem Teig!" Der Bäcker sagt „Ja" und schmierte ihm Teig auf die Pfote. Dann ging der Wolf zum Müller und sprach: „Müller; streue mir ein weißes Mehl auf meine Pfote!" — Der Müller sagte „Nein". „Wenn du es nichtthust, so freß ich dich!" Da mußte es der Müller thun. Darauf ging der Wolf wieder vor die Hausthür der sieben Geiserchen und sagte: „Liebe Kinder, laßt mich ein, ich bin eure Mutter; jedes von euch soll etwas geschenkt kriegen." Die sieben Geisercben wollten aber erst die

16 Pfote sehen, und wie sie sie sahen, daß sie ganz schneeweiß war, und daß der Wolf so fein sprach, glaubten sie, es wäre ihre Mutter und machten die Thür auf, und da kam — der Wolf herein. Wie sie ihn erkannten, ver­ steckten sie sich geschwind, so gut es ging, das eine unter den Tisch, das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Küche, das fünfte in den Schrank, das sechste unter einer großen Schüssel, das siebente in die Wanduhr. Aber der Wolf fand sie Alle und verschluckte sie, außer das Jüngste in der Wanduhr, das blieb am

Leben. Als der Wolf seine Lust gebüßt hatte, ging er fort. Bald darauf kam die alte Geis nach Hause. Was für ein Jammer! Der Wolf war da gewesen und hatte ihre lieben Kinder gefressen. Sie glaubte, sie wären Alle todt. Da sprang das jüngste aus der Wanduhr und er­ zählte, wie das Unglück gekommen war. Der Wolf aber, weil er sich so voll gefressen, war aus die grüne Wiese gegangen, hatte sich in den Sonnenschein gelegt und war in einen tiefen Schlaf gefallen. Die alte Geis dachte daran, ob sie ihre Kinder nicht noch erretten könnte, und sagte zu dem jungen Geislein: „Nimm Zwirn, Nadel und Scheere und folge mir nach!" Darauf ging sie hinaus und fand den Wolf schlafend auf der Wiese liegen. „Da liegt der garstige Wolf, der mir meine sechs Kinder zum Nachmittagsbrod gefressen hat," sagte sie und betrachtete ihn von allen Seiten. Gib mir einmal die Scheere her! Ach, wenn sie noch lebend in seinem Leibe wären!" — Damit schnitt sie ihm den Bauch auf, und die sechs Geiserchen, die er in der Gier ganz verschluckt hatte, sprangen unversehrt heraus. Sie ließ sie gleich hingehen und große, schwere Kieselsteine herbeitragen. Damit füllten sie dem Wolf den Leib, machten ihn wieder zu, liefen fort und versteckten sich hinter eine Hecke. Als der Wolf ausgeschlafen hatte, so fühlte er es so schwer in seinem Leib und sprach: „Es rumpelt und pumpelt mir im Leibe herum! Was ist das? Ich habe nur sechs Geiserchen gegessen!" Er dachte, er wolle einen

17 frischen Trunk thun, das möchte ihn helfen, und suchte einen Brunnen. Aber wie er sich darüber bückte, konnte er sich vor der Schwere der Steine nicht mehr haltm und stürzte ins Wasser. Wie das die sieben Geiserchen sahen, kamen sie vor Freude herbeigelaufen und tanzten vor Freu­ den um den Brunnen.

9.

Vom Bäumlein, das spazieren ging.

Das Bäumlein stand im Wald In gutem Aufenthalt; Da standen Busch und Strauch Und andre Bäumlein auch; Die standen dicht und enge, Es war ein recht's Gedränge; Das Bäumlein mußt' sich bücken Und sich zusammen drücken. Da hat das Bäumlein gedacht Und mit sich ausgemacht: Hier mag ich nicht mehr stehn, Ich will wo anders gehn, Und mir ein Oertlein suchen Wo weder Birk' noch Buchen, Wo weder Tann' noch Elchen Und gar nichts desgleichen; Da will ich allein mich pflanzen Und tanzen. Das Bäumlein das geht nun fort, Und kommt an einen andern Ort, In ein Wiesenland, Wo nie ein Bäumlein stand; Da hat sich's hingepflanzt Und hat getanzt. Dem Bäumlein hat's vor allen An dem Oertlein gefallen, Ein gar schöner Bronnen Kam zum Bäumlein geronnen;

UL

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17 frischen Trunk thun, das möchte ihn helfen, und suchte einen Brunnen. Aber wie er sich darüber bückte, konnte er sich vor der Schwere der Steine nicht mehr haltm und stürzte ins Wasser. Wie das die sieben Geiserchen sahen, kamen sie vor Freude herbeigelaufen und tanzten vor Freu­ den um den Brunnen.

9.

Vom Bäumlein, das spazieren ging.

Das Bäumlein stand im Wald In gutem Aufenthalt; Da standen Busch und Strauch Und andre Bäumlein auch; Die standen dicht und enge, Es war ein recht's Gedränge; Das Bäumlein mußt' sich bücken Und sich zusammen drücken. Da hat das Bäumlein gedacht Und mit sich ausgemacht: Hier mag ich nicht mehr stehn, Ich will wo anders gehn, Und mir ein Oertlein suchen Wo weder Birk' noch Buchen, Wo weder Tann' noch Elchen Und gar nichts desgleichen; Da will ich allein mich pflanzen Und tanzen. Das Bäumlein das geht nun fort, Und kommt an einen andern Ort, In ein Wiesenland, Wo nie ein Bäumlein stand; Da hat sich's hingepflanzt Und hat getanzt. Dem Bäumlein hat's vor allen An dem Oertlein gefallen, Ein gar schöner Bronnen Kam zum Bäumlein geronnen;

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18 War's dem Bäumlein zu heiß, Kühlt's Brünnlein seinen Schweiß.

Schönes Sonnenlicht War ihm auch zugericht. War's dem Bäumlein zu kalt, Wärmt die Sonne es bald; Auch ein guter Wind War ihm hold gesinnt, Der half mit seinem Blasen Ihm tanzen auf dem Rasen.

Das Bäumlein tanzt' und sprang Den ganzen Sommer lang, Bis es vor lauter Tanz Hat verloren den, Kranz; Der Kranz mit den Blättlein allen Ist ihm vom Kopf gefallen; Die Blättlein lagen umher Das Bäumlein hat keines mehr; Die einen lagen im Bronnen, Die andern in der Sonnen, Die andem Blättlein geschwind Flogen umher im Wind. Wie's Herbst nun war kalt. Da sror's das Bäumlein bald; Es ries zum Brunnen nieder: Gieb mir meine Blättlein wieder. Damit ich doch ein Kleid Habe zur Winterszeit. Das Brünnlein sprach: Ich kann eben Die Blättlein dir nicht geben; Ich habe sie Alle getrunken Sie sind in mich versunken. Da kehrte von dem Bronnen Das Bäumlein sich zur Sonnen: Gieb mir die Blättlein wieder, Es stiert mich an alle Glieder. Die Sonne sprach: Nun eben

19 Kann ich fie dir nicht geben; Die Blättlein sind verbrannt 3n meiner heißen Hand. Da sprach das Bäumlein geschwind Zum Wind: Gieb mir die Blättlein wieder, Sonst fall' ich todt darnieder. Der Wind sprach: 3ch eben Kann dir die Blättlein nicht geben; 3ch hab' sie über die Hügel Geweht mit meinem Flügel.

Da sprach das Bäumlein ganz still: Nun weiß ich, was ich will; Da haußen ist mir's zu kalt, 3ch geh' in meinen Wald, Da will ich unter die Hecken Und Bäume mich verstecken. Da macht sich'S Bäumlein auf Und kommt im vollen Lauf, Zum Wald zurück'gelaufen Und will sich stellen in den Haufen. Es fragt gleich beim ersten Baum: Hast du keinen Raum? Der sagt: Ich haben keinen. Da frägt das Bäumlein noch einen Der hat wieder keinen; Da frägt das Bäumlein noch einen. Es fragt von Baum zu Baum, Aber kein einz'ger hat Raum. Sie standen schon int Sommer Eng' in ihrer Kammer, Jetzt im kalten Winter Stehn sie noch enger dahinter. Dem Bäumlein kann nichts frommen, Es kann nicht unterkommen. Das Bäumlein spricht schnell Zum Holzhacker-Gesell.

20 Dich friert'S so sehr wie mich, Und mich so sehr wie dich. Villeicht kannst du mir Helfen, und ich dir. Komm hau mich um, Und trag mich in deine Stube, Schür ein Feuer an Und leg mich dran; So wärmst du mich Und ich dich. Das dünkt den Holzhacker nicht schlecht, Er nimmt sein Beil zurecht; Haut's Bäumlein in die Wurzel, Und fällt's mit Gepurzel; Nun hackt er's klein und krauS Und trägt das Holz nach Haus, Und legt von Zeit zu Zeit In den Ofen ein Scheit. Das größte Scheit von Allen Ist uns vor's Haus gefallen. Das soll die Magd uns holen, .So legen wir's auf die Kohlen; Das soll die ganze Wochen, Uns unsre Suppen kochen. Oder willst du lieber Brei i DaS ist mir einerlei.

10.

Der

kleine

Däumling.

Es war einmal ein Holzhauer, der hatte sieben Kinder — lauter Knaben. — Der Jüngste davon wollte nicht größer werden, sondern war und blieb nur einen Daumen lang. Darum nannten sie ihn Alle im Hause den kleinen Däumling. Nun war einmal eine große Theurung im Lande, und der Holzhauer und seine Kinder mußten ost hungrig zu Bett gehen. Ms sie nun gar kein Brod mehr hatten.

20 Dich friert'S so sehr wie mich, Und mich so sehr wie dich. Villeicht kannst du mir Helfen, und ich dir. Komm hau mich um, Und trag mich in deine Stube, Schür ein Feuer an Und leg mich dran; So wärmst du mich Und ich dich. Das dünkt den Holzhacker nicht schlecht, Er nimmt sein Beil zurecht; Haut's Bäumlein in die Wurzel, Und fällt's mit Gepurzel; Nun hackt er's klein und krauS Und trägt das Holz nach Haus, Und legt von Zeit zu Zeit In den Ofen ein Scheit. Das größte Scheit von Allen Ist uns vor's Haus gefallen. Das soll die Magd uns holen, .So legen wir's auf die Kohlen; Das soll die ganze Wochen, Uns unsre Suppen kochen. Oder willst du lieber Brei i DaS ist mir einerlei.

10.

Der

kleine

Däumling.

Es war einmal ein Holzhauer, der hatte sieben Kinder — lauter Knaben. — Der Jüngste davon wollte nicht größer werden, sondern war und blieb nur einen Daumen lang. Darum nannten sie ihn Alle im Hause den kleinen Däumling. Nun war einmal eine große Theurung im Lande, und der Holzhauer und seine Kinder mußten ost hungrig zu Bett gehen. Ms sie nun gar kein Brod mehr hatten.

21 sagte der Vater zu der Mutter, da die Kinder alle zu Bett waren: Frau, unsre Kinder müssen wir dem lieben Gott befehlen; denn wir haben nichts mehr für sie zu essen. Ich kann sie nicht vor meinen Augen verhungern sehen. Morgen will ich sie mit in den Wald hinein nehmen, wo er am dicksten ist, und will sie da lassen, daß wir den Jammer nicht länger vor Augen haben. Die Mutter machte noch erst viele Einwendungen. Aber weil sie auch keinen Nath wußte, so gab sie zuletzt mit vielen Thränen nach. Aber der kleine Däumling hatte noch nicht geschlafen, sondern Alles mit angehört. Ehe der Morgen grauete, stand er auf, ging an den Bach und suchte kleine weiße Steine, seine ganze Tasche voll. Als er nun wieder nach Haus kam, sagte der Vater: Kommt Kinder, ihr sollt mit mir in den Wald gehen und trockene Reiser auflesen. Damit ging's fort und mitten in den Wald hinein, wo er am dicksten war. Hier könnt ihr nur bleiben, sagte der Vater und suchen. Ich will euch schon wiederholen, wenn es Zeit ist. Und damit ging er fort. Die Kinder warteten, bis es Mittag war, aber der Vater kam nicht wieder. Da wurde ihnen bange in dem Walde und sie schrieen so laut sie nur konnten. Aber der kleine Däumling sagte: Seid nur still, ich will euch schon nach Haus bringen. Der kleine Däumling hatte nämlich die kleinen weißen Steine auf den Weg hingestreut, den sie am Morgen gekommen waren, und konnte daran leicht wieder den Weg nach Haus finden. Aber der kleine Däumling hatte seinen Brüdern nun unterwegs erzählt, daß der Vater sie nicht mehr ernähren könnte, und daß er sie darum in dem Walde gelassen habe. Deshalb getraueten sie sich nicht in das HauS hinein, sondern horchten nur vor der Thür, was Vater und Mutter mit einander sprächen. Die hatten gerade einen Hirsch im Walde gefunden, der sich das Bein zerbrochen hatte und waren nun eben dabei, sein Fleisch zu zerschneiden. Dabei weinte die Frau

22 bitterlich und tief: Ach, meine armen Kinder, wenn sie doch nur wieder hier wären! Da riefen alle Kinder vor der Thür aus einmal: Hier sind wir, liebe Mutter, hier stehen wir Alle vor der Thür. Mache aus und laß uns herein. Da freueten sich die Eltern und herzten und drückten die Kinder, und sie aßen sich Alle einmal wieder recht satt. Aber als der Hirsch aus war, da war die alte Noth wieder da. Der Vater und die Mutter sahen wohl, daß sie ihre Kinder wieder in den Wald führen mußten, wenn sie nicht erleben wollten, daß sie vor ihren Augen ver­ schmachteten. Aber Däumling hörte wieder, was Vater und Mutter darüber sprachen, und stand am Morgen früh auf, um sich eine Tasche voll Steine zu holen. Doch als er an die Thür kam, war diese fest verschlossen. Da zerkrümelte der kleine Däumling das letzte Butterbrod, was ihm seine Mutter gab, und streuete die Krümchen aus den Weg, auf dem sie der Vater in den allertiefsten Wald bineinführte. Als sie da angekommen waren, sagte der Vater wieder: Hier könnt ihr nun bleiben und suchen. Ich will euch schon wiederholen, wenn es Zeit ist. Und damit ging

er weg. Geh du nur, dachte Däumling, als der Pater wegging, wir wollen den Weg nach Hause schon wieder finden. Aber als der Vater gar nicht wiederkam, und der kleine Däumling nun anfing, den Weg wieder zu suchen, da hatten die Vögel alle Krümchen aufgefressen. In der Angst kamen die Kinder immer tiefer in den Wald, und selbst der kluge Däumling wußte nicht mehr, wo aus noch ein. Dazu wurde es Nacht. Der Wind fing an zu heulen und zu brausen. Ein Platzregen stürzte herab und die hungrigen Wölfe heulten um sie her. Da ward Allen recht bange. Der kleine Däumling stieg zuletzt auf einen Baum und sah sich überall um, ob er nicht Licht gewahr würde. Endlich sah er ein Licht, und als er wieder heruntergestiegen war, gingen sie gerade darauf los.

23 Das Licht brannte in einem Hause« Als sie davor angekommen waren, klopften sie an. Eine Frau sah heraus und fragte, was sie wollten. Da fingen sie Alle an zu jammern und zu klagen, und baten die Frau, daß sie ihnen doch ein Butterbrod geben und sie diese Nacht behalten möchte. Aber die Frau sagte: Ach, ihr armen Kinder, wenn ich euch hier behielte, da würdet ihr übel wegkommen. Hier wohnt ein Menschenfresser, der frißt die kleinen Kinder am liebsten. Und ei könnte euch auch gar nicht einmal helfen, daß ich euch versteckte; denn er riecht das Menschenfleisch schon von weitem. Da sagte der kleine Däumling: Wenn wir den Menschen­ fresser recht bitten, so läßt er uns vielleicht noch am Leben. Aber wenn wir im Walde bleiben, so fressen uns die Wölfe, oder wir müssen verhungern. Laß uns nur herein. Da machte die Frau die Thür auf und ließ die Kinder alle herein. Auf dem Heerde brannte ein helles Feuer, daran wärmten sich die Kinder und trockneten ihre Kleider. Die Frau kochte ihnen eine süße Milchsuppe und sie lie­ ßen es sich Alle wohl schmecken. Aber sie waren noch nicht einmal ganz satt, da klopfte es draußen dreimal heftig an die Thür. Das ist der Menschenfresser, rief die Frau. Geschwind, versteckt euch. Die Kinder krochen alle unter ein großes Bett, und nun machte die Frau die Thür auf. Wo ist das Essen? war das erste Wort, das der Menschenftesser sagte. Die Frau holte ihm einen gebratenen Hammel und setzte ihm einen Eimer Wein hin. Damit war er in einer Viertelstunde fertig. Als er sich nun den Mund abgewischt hatte, schnüffelte er mit seiner Nase in der Stube herum und sprach: Ich riech', ich rieche Menschenfleisch. Nein! sagte die Frau, das ist das Kalb, das ich eben erst für dich geschlachtet habe. Aber der Menschenfresser sagte noch einmal: Ich riech', ich rieche Menschenfleisch, und stand auf und witterte in der ganzen Stube umher, und kam an's Bett und zog

24 Die sieben Kinder ems nach dem Andern unter dem Bette hervor. Ei, ihr kommt mir eben gelegen, sagte der Menschen­ fresser, als sie nun Alle zitternd und bebend vor ihm stan­ den. Auf Morgen habe ich ein paar gute Freunde gebeten, Damit wir einmal einen vergnügten Tag zusammen haben. Da sollt ihr dran. Das wird rechte Leckerbissen geben. „Frau, füttere sie nur ordentlich, und bring sie dann zu Bett, daß sie morgen früh gut bei Leibe sind." Die Frau brachte nun Die Kinder in eine andre Kammer und legte sie in ein großes geräumiges Bett. In derselben Kammer schliefen auch die Kinder des Menschenfressers, lauter Mädchen, die auch schon rohes Menschenfleisch essen konnten und kleine Kinder mit ihren scharfen, spitzen Zäh­ nen bissen, um ihnen das Blut auszusaugen. Darüber hatte der Menschenfresser seine Freude, wenn er es sah, und harre seinen kleinen Mädchen eine kleine goldene Krone machen lassen. Die durften sie auch nicht einmal im Bette absetzen. Der kleine Däumling und seine Brüder konnten vor Angst gar nicht 'einschlafen. Wenn der Menschenfresser nun schon diese Nacht käme und wollte uns abschlachten, sagte einer. Davor wollen wir uns wohl in Acht nehmen, sagte der kleine Däumling. Damit stand er auf und ging an das Bett, wo die kleinen Mädchen schliefen, und nahm ihnen ihre Kronen vom Kopf und setzte die kleinen Mützen, die er und seine Brüder hatten, wieder darauf. Die goli)nen Kronen aber setzte er sich und seinen Brüdern auf den Kopf, und so schliefen sie Alle sanft und süß ein. Aber das währte nicht lange. Der kleine Däumling, der keinen festen Schlaf hatte, hörte, daß Jemand in die Kammer kam und sagte: Ich will die kleinen Gäste nur gleich abschlachten, sonst möchte meine Frau sie noch erst laufen lassen. Damit tappte er nach dem Bette, worin der kleine Däumling und seine Brüder lagen. Aber weil es dunkel war, so fühlte er ihnen erst einmal nach dem Kopfe, ob er auch an die Rechten gekommen wäre. Als er nun die goldnen Kronen fühlte, murmelte er vor sich

25 bin : Das wäre bald eine schöne Geschichte geworden. Da hätte ich beinah meine eigenen Kinder geschlachtet. Nun ging er an's andre Bett und suhlte da die Mützen, und schlachtete Einen nach dem Andern ab. Als er damit • fertig war, legte er sich wieder zu Bett. Der kleine Däumling weckte nun seine Brüder und sagte: Jetzt ist'S Zeit, daß wir uns davon machen. Denn wenn der Menschenfresser sieht, daß er seine eigenen Kinder ge­ schlachtet hat, so ist es mit uns auch aus. Geschwind zogen sie sich nun an, sprangen aus dem Fenster, und liefen auf gutes Glück in den Wald hinein. Als es nun Morgen ward, sagte der Menschenfresser zu seiner Frau: Frau, steh auf und mach die kleinen Zungen aus Mittag zurecht. Ich habe sie diest Nacht abgeschlachtet, daß sie nicht winseln und wimmern sollten. Die Frau ging hin und sand alle ihre steinen Mädchen abgeschlachtet. Da lief sie mit Weinen und Schreien nach dem Menschenfresser und sagte ihm, was er gemacht hätte. Der Menschenfresser sprang gleich auf und sagte zu seiner Frau: Frau, hol mir die Meilenstiefeln her, daß ich den Hallunken nachsetze. Ihre List soll ihnen nicht gut be­ kommen. In diesen Meilenstiefeln machte der Menschen­ fresser mit jedem Schritt eine Meile, ging links und rechts, kreuz und quer, vorwärts und rückwärts, um den kleinen Däumling mit seinen Brüdern zu finden. Die hatten einen Weg nach Hause gefunden und gingen eilig ocrwärts. Der kleine Däumling aber hatte seine Augen überall und sah den Menschenfresser von einem Berge herabsteigen. Zirm Glück war unter dem Berge eine Höhle, darin versteckten sie sich. Der Menschenfresser war indeß von dem Hin- und Her­ laufen müde geworden, und legte sich gerade über der Hohle hin, um auszuschlafen. Als ihn der kleine Däum­ ling nun schnarchen hörte, kam er heraus und zog ihm seine Meilenstiefeln aus, und lief nun mit seinen Brüdern schnell nach Haus. Ms sie nun nach Haus gekommen waren, sagte der kleine Däumling zu seinen Eltern: Ihr braucht jetzt nicht

26 mehr um Brod in Sorgen zu sein. Mit diesen Meilen­ stiefeln will ich schon mehr verdienen, als wir verzehren können. Am andern Tage ging er nun in seinen Meilenstiefeln zu dem Könige und .'erbot sich, ihm als Briefträger zu dienen. Der König hatte gerade einen Krieg mit einem andern Könige. Da war ihm denn der kleine Däumling mit seinen Meilenstiefeln ganz willkommen. ($t brachte Briefe bin und her und verdiente damit so viel Geld, daß er und seine Eltern und seine Brüder lauter reiche Leute wurden.

11.

Die Bremer Stadtmusikanten.

Es hatte ein Mann einen Esel, der ihm schon lange Jahre treu gedient, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so daß er zur Arbeit immer untauglicher ward. Da wollte ihn der Herr aus dem Fritter schaffen, aber der Esel merkte, daß kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen; dort, dachte er, kannst du ja Stadtmufikant werden. Als er ein Weilchen fort­ gegangen war, fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der jappte wie einer, der sich müde gelaufen. „Nun, was jappst du so?" sprach der Esel. „Ach, sagte der Hund, weil ich alt bin und jeden Tag schwächer werde, und auf der Jagd nicht mehr fort kann, hat mich nrein Herr wollen todtschlagen, da habe ich Reißaus genommen; aber womit soll ich nun mein Brod verdienen?" „Weißt du was, sprach der Esel, ich gehe nach Bremen, dort Stadtmusikant zu werden, geh mit und laß dich auch bei der Musik annehmen." Der Hund war's zuftieden und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so saß da eine Katze auf dem Wege und machte ein gar trübselig Gesicht. „Nun, was ist dir denn in die Quere gekommen?" sprach der Esel. „Ei, antwortete die Katze, wer kann da lustig sein, wenn's einem an den Kragen geht? Weil ich nun zu Jahren komme, meine Zähne stumpf werden und

26 mehr um Brod in Sorgen zu sein. Mit diesen Meilen­ stiefeln will ich schon mehr verdienen, als wir verzehren können. Am andern Tage ging er nun in seinen Meilenstiefeln zu dem Könige und .'erbot sich, ihm als Briefträger zu dienen. Der König hatte gerade einen Krieg mit einem andern Könige. Da war ihm denn der kleine Däumling mit seinen Meilenstiefeln ganz willkommen. ($t brachte Briefe bin und her und verdiente damit so viel Geld, daß er und seine Eltern und seine Brüder lauter reiche Leute wurden.

11.

Die Bremer Stadtmusikanten.

Es hatte ein Mann einen Esel, der ihm schon lange Jahre treu gedient, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so daß er zur Arbeit immer untauglicher ward. Da wollte ihn der Herr aus dem Fritter schaffen, aber der Esel merkte, daß kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen; dort, dachte er, kannst du ja Stadtmufikant werden. Als er ein Weilchen fort­ gegangen war, fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der jappte wie einer, der sich müde gelaufen. „Nun, was jappst du so?" sprach der Esel. „Ach, sagte der Hund, weil ich alt bin und jeden Tag schwächer werde, und auf der Jagd nicht mehr fort kann, hat mich nrein Herr wollen todtschlagen, da habe ich Reißaus genommen; aber womit soll ich nun mein Brod verdienen?" „Weißt du was, sprach der Esel, ich gehe nach Bremen, dort Stadtmusikant zu werden, geh mit und laß dich auch bei der Musik annehmen." Der Hund war's zuftieden und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so saß da eine Katze auf dem Wege und machte ein gar trübselig Gesicht. „Nun, was ist dir denn in die Quere gekommen?" sprach der Esel. „Ei, antwortete die Katze, wer kann da lustig sein, wenn's einem an den Kragen geht? Weil ich nun zu Jahren komme, meine Zähne stumpf werden und

~J>7^

ich lieber hinter dem Ofen sitze und spinne, als nach den Mäusen herumjage, hat mich meine Frau ersäufen wollen; ich habe mich zwar noch fortgemacht, aber nun ist guter Rath theuer; wo soll ich hin?" Geh mit uns nach Bremen, du verstehst dich doch auf die Nachtmusik, da kannst du Nachtmustkant werden." Die Katze war's zufrieden und ging mit. Darauf kamen die drei Landflüchtigen an einem Hof vorbei, da saß auf dem Thore der Haushahn und schrie aus Leibeskräften. „Du schreist einem durch Mark und Bein, sprach der Esel, was hast du vor?" „Da habe ich gut Wetter prophezeit, sprach der Hahn; lange liebe Jahre, aber weil Morgen zum Sonntag Gäste kommen, so hat die Hausfrau doch kein Erbarmen und der Köchin gesagt, sie wollte mich Morgen in der Suppe essen, und da soll ich mir heute Abend den Kopf abschneiden lassen. Nun schrei ich aus vollem Halse, so lange ich noch kann." „Ei was, du Rothkopf, sagte der Esel, zieh lieber mit uns fort nach Bremen, etwas Besseres, als den Tod fin­ dest du überall, du hast eine gute Stimme, und wenn wir zusammen musiciren, so muß es eine Art haben." Der Hahn ließ sich den Vorschlag gefallen, und sie gingen alle vier zusammen fort. Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tage nicht erreichen und kamen Abends in einen Wald, wo sie übernachten wollten. Der Esel und der Hund legten sich unter einen großen Baum, und die Katze und der Hahn machten sich hinauf; der Hahn flog bis in die Spitze, wo's am sichersten für ihn war und sah sich, ehe er ein­ schlief, noch einmal nach allen vier Winden um. Da däuchte ihn, er sähe in der Ferne ein Fünkchen brennen, und rief seinen Gesellen zu, es njüßte nicht gar weit ein Haus sein, denn es scheine ein Licht. Sprach der Esel: „so müssen wir uns aufmachen und noch hingehen; denn hier ist die Herberge schlecht," und der Hund sagte: „ja ein paar Knochen und etwas Fleisch daran thäten mir auch gut!" Nun machten sie sich auf den Weg nach der Gegend, wo das Licht war und sahen es bald heller schim­ mern, und es ward immer größer, bis sie vor ein hell

28^ erleuchtetes Räuberhaus kamen. Der Esel, als der größte, machte sich ans Fenster und schaute hinein. „Was siehst du? Grauschimmel," fragte der Hahn. „Was ich sehe?" antwortete der Esel, „einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken, und Räuber sitzen daran und lassen's sich wohl sein." „Das wäre was für uns," sprach der Hahn. „Za, Da, ach wären wir da!" sagte der Esel. Da rathschlagten die Thiere, wie's anzufangen wäre, um die Räuber sortzubringen; endlich fanden sie ein Mittel. Der Esel mußte sich mit den Vorderfüßen auf das Fenster stellen, der Hund aus des Esels Rücken, die Katze aus den Hund klettern, und endlich flog der Hahn hinauf und setzte sich der Katze auf den Kopf. Wie das geschehen war, fingen sie insgesammt aus ein Zeichen an, ihre Musik zu machen; der Esel schrie, der Hund bellte, die Katze miaute und der Hahn krähte; indem stürzten sie durch das Fenster in die Stube hinein, daß die Scheiben klirrend niederfielen. Die Räuber, die schon über das entsetzliche Geschrei erschrocken waren, meinten nicht anders, als ein Gespenst käme herein, und entflohen in größter Furcht in den Wald. Nun setzten sich die vier Gesellen an den Tisch, nahmen mit dem vorlieb, was übrig ge­ blieben war, und aßen, als wenn sie vier Wochen hun­ gern sollten. Wie die vier Spielleute fertig waren, löschten sie das Licht aus und suchten sich eine Schlafstätte, jeder mich seiner Natur und Bequemlichkeit. Der Esel legte sich auf den Mist, der Hund hinter die Thür, die Katze auf den Heerd bei der warmen Asche und der Hahn setzte sich aus den Hahnenbalken, und weil sie müde waren von dem Weg, schliefen sie auch bald ein. Als Mitternacht vorbei war, und die Räuber von weitem sahen, daß kein Licht mehr im Hause war, auch Alles ruhig schien, sprach der Hauptmann: „wir hätten uns doch nicht sollen ins Bocks­ horn jagen lassen," und hieß Einen hingehen und das Haus untersuchen. Der Abgeschickte fand Alles still, ging in die Küche, wollte ein Licht anzünden und nahm ein Schwefelhölzchen, und weil er die glühenden, feurigen

29 Augen der Katze für lebendige Kohlen ansah, hielt er es daran, daß es Feuer fangen sollte. Aber die Katze ver­ stand keinen Spaß, sprang ihm in das Gesicht, spie und kratzte. Da erschrak er gewaltig, lies und wollte zur Hinterthür hinaus; aber der Hund, der da lag, sprang auf und biß ihm ins Bein, und als er über den Hof an den Mist vorbei rennte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen Schlag mit dem Hinterfuße; der Hahn aber, der vom Lärmen aus dem Schlafe geweckt und munter ge­ worden, rief vom Balken herab: „Kikeriki!" Da lief der Räuber, was er konnte, zu seinem Hauptmanne zurück und sprach: „ach, in dem Hause sitzt eine gräuliche Here, die hat mich angehaucht und mit ihren langen Singern mir das Gesicht zerkratzt, und vor der Thür steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen, und auf dem Hofe liegt ein schwarzes Ungethüm, das hat mit einer Holzkeule auf mich losgeschlagen, und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: „bringt mir den Schelm her!" Da machte ich, daß ich fort kam." Von nun an getrauten sich die Räuber nicht wieder in das Haus; den vier Bremer Musikanten gefiel es aber so wohl darin, daß sie nicht wieder heraus wollten, und der das zuletzt erzählt hat, dem ist der Mund noch warm.

12.

Das Schlaraffenlanv.

Das Königreich Schlaraffenland Ist faulen Leuten wohl bekannt. Der Eingang aber ist gar schwer; Denn um die ganze Gegend her Zieht ein Gebirg von Hirsenbrei Breit wohl zwei Meilen oder drei. Wer einziehn will, muß- sich vermessen, Durch dies Gebirg sich durch zu essen. Hat er dazu Kraft und Geschick, So ist er drin im Augenblick.

29 Augen der Katze für lebendige Kohlen ansah, hielt er es daran, daß es Feuer fangen sollte. Aber die Katze ver­ stand keinen Spaß, sprang ihm in das Gesicht, spie und kratzte. Da erschrak er gewaltig, lies und wollte zur Hinterthür hinaus; aber der Hund, der da lag, sprang auf und biß ihm ins Bein, und als er über den Hof an den Mist vorbei rennte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen Schlag mit dem Hinterfuße; der Hahn aber, der vom Lärmen aus dem Schlafe geweckt und munter ge­ worden, rief vom Balken herab: „Kikeriki!" Da lief der Räuber, was er konnte, zu seinem Hauptmanne zurück und sprach: „ach, in dem Hause sitzt eine gräuliche Here, die hat mich angehaucht und mit ihren langen Singern mir das Gesicht zerkratzt, und vor der Thür steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen, und auf dem Hofe liegt ein schwarzes Ungethüm, das hat mit einer Holzkeule auf mich losgeschlagen, und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: „bringt mir den Schelm her!" Da machte ich, daß ich fort kam." Von nun an getrauten sich die Räuber nicht wieder in das Haus; den vier Bremer Musikanten gefiel es aber so wohl darin, daß sie nicht wieder heraus wollten, und der das zuletzt erzählt hat, dem ist der Mund noch warm.

12.

Das Schlaraffenlanv.

Das Königreich Schlaraffenland Ist faulen Leuten wohl bekannt. Der Eingang aber ist gar schwer; Denn um die ganze Gegend her Zieht ein Gebirg von Hirsenbrei Breit wohl zwei Meilen oder drei. Wer einziehn will, muß- sich vermessen, Durch dies Gebirg sich durch zu essen. Hat er dazu Kraft und Geschick, So ist er drin im Augenblick.

30 Die Dächer sind von Zuckerfladen Und Honigkuchen Thür und Laden; Speckkuchen sind die Dielen, Wände. Um jedes Haus flicht man behende Rings einen hohen, schönen Zaun Von Leberwürsten fett und braun. Voll Sekt sind alle Büch' und Flüsse, Und wenn es schloßt, schloßt's Pfeffernüsse. Auf Tannen, Fichten, Birken, Eichen Giebt's Mandeln, Bräzeln und dergleichen. Ein Schinkenschnitt ist jedes Blatt, Und ausgepflastert jede Stadt Mit Eierkuchen und mit Torten, Von Marzipan sind Thor und Pforten. Ein Schweizerkäs ist jeder Stein, Und wenn es regnet, regnet's — Wein. Die Dornenhecken ttagen Trauben, Zimmt und Makronen sind die Lauben. Auf Weidenbäumen Semmeln stehen An Bächen Milchs. Die Winde wehen; Die Semmeln fallen plumps hinein, Und Alles schmaust, so groß, als klein. Gekocht, gesalzt, gebraten gehen Die Fisch' in Teichen und in Seen. Am Ufer stehn sie Alle still, Man sängt, so viel man immer will. Auch fliegen um — ihr könnt es glauben Gebrat'ne Hühner, Gäns' und Tauben: Wer sie zu fangen ist zu faul, Dem fliegen, schnurr! sie in das Maul. Die Säu' alljährlich wohl gerathen: Sie gehn umher und sind gebraten; Ein Messer steckt in ihren Rücken. Der Erste nimmt die besten Stücken Und steckt das Messer wieder ein, Damit auch Andre sich erfreun. Die Menschen wachsen an den Aesten, Wie Pflaumen, flugs mit Stiefeln, Westen

31 Und Kleidern von Damast und Drap, Und fallen, wenn ste reif sind, ab. Auch ist ein Zugendbad im Reiche, Und wer sich badet, wird verjüngt. O, da giebt's Lust! man tanzt und singt. Es schießen nach dem Ziel die Gäste, Der Weitste abgewinnt das Beste, Im Lauf gewinnt der Letzt' allein. Wer trag ist, schläft beim Sonnenschein, Dem giebt man für die Stund 'n Thaler. Reich wird der schlechteste Bezahler: Denn steht die Schuld in's andre Jahr, Reicht man die Schuld ihm dreifach dar! Hast du gespeiset einen Braten, So zahlt man dir flugs vier Dukaten. Vor Einem nur mußt du dich wahren, — Vernunft allhier zu offenbaren. Wer Sinn und Witz gebrauchen wollig Dem wär kein Mensch im Lande hold. Wer Lust an Zucht und Arbeit hat, Dem untersagt man Land und Stadt. Wer aber thut, was Weisheit tadelt, Der wird in diesem Reich geadelt. Wer wüst, wild und unsinnig ist, Grob, unverständig, säuft und frißt, Der wird hier flugs gemacht zum Fürsten. Wer trefflich fischt mit Leberwürsten, Der wird zum Ritter auserkohren Und heißet „Euer Hochwohlgeboren!" Wer seinen Tag verbringt mit Schlafen, Den macht man hier alsbald zum Grafen. Wer tölpisch ist, und gar nichts kann, Der wird des Kaisers Hofkaplan. Wer aber schlechter ist, als Alle, Dm rufet man mit großem Schalle Zum Landesherm und Kaiser aus: Sein Wappen ist das Schellendaus.

32 13.

Frau

Holle.

Eine Wittwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleißig, die andre häßlich und faul. Sie hatte aber die häßliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere mußte alle Arbeit thun, und war recht der Aschenputtel im Hause. Das Mägdlein mußte sich täglich hinaus auf die Sttaße an einen Brun­ nen setzen und so viel spinnen, daß ihm das Blut aus den Fingern floß. Nun trug es sich zu, daß die Spuhle einmal ganz blutig war, da bückte es sich damit in den Brunnen, und wollte sie abwaschen; sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab. Weinmd lief es zur Stief­ mutter und erzählte ihr das Unglück; sie schalt es aber heftig und war so unbarmherzig, daß sie sprach: „Hast du die Spuhle hinunter fallen lassen, so hol sie auch wieder herauf!" Da ging das Mädchen zu dem Brunnen zurück, und wußte nicht, wie sie eö anfangen sollte, und sprang in seiner Angst in den Brunnen hinein. Als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer schönen Wiese, da schien die Sonne und waren viel tau­ send Blumen. Auf der Wiese ging es fort und kam zu einen Backofen, der war voller Brod, das Brod aber ries: „Ach! zieh mich heraus, zieh mich heraus, sonst verbrenne ich, ich bin schon längst ausgebacken!" Da trat es fleißig herzu und holte Alles heraus. Darnach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing voll Aepfel und rief ihm zu: „Ach! schüttele mich, schüttele mich, die Aepfel sind alle miteinander reif!" Da schüttelte es den Baum, daß die Aepfel fielen, als regneten sie, so lang bis keiner mehr oben war, darnach ging es wieder fort. Endlich kam es zu einem kleinen Hause, daraus guckte eine alte Frau; weil sie aber so große Zähne hatte, ward ihm angst, und wollte fortlaufen. Die alte Frau aber rief ihm nach: „Fürchte dich nicht, liebes Kind, bleib bei mir; wenn du alle Arbeit im Hause ordentlich thun willst, so soll dir's gut gehen; nur mußt du Acht haben, daß du mein Bett gut machst und es fleißig aufschüttelst,

33 daß die Federn fliegen; dann schneit es in der Welt, ich bin die Frau Holle." Weil die Alte ihm so gut zusprach, willigte das Mädchen ein und begab sich in ihren Dienst. Es besorgte auch Alles zu ihrer Zufriedenheit und schüt­ telte das Bett immer gewaltig auf; dafür hatte eö auch ein gut Leben bei ihr, kein böses Wort, und alle Tage Gesottenes und Gebratenes. Nun war es eine Zeitlang bei der Frau Holle, da ward es traurig in seinem Herzen, und ob es hier gleich viel tausendmal besser als zu Hause hatte, so hatte es doch ein Verlangen dahin. Endlich sagte es.zu ihr: „Ich habe den Jammer nach Haus ge­ kriegt, und wenn es mir auch noch so gut hier geht, so kann ich doch nicht länger bleiben." Die Frau Holle sagte: „Du hast Recht, und weil du nur so treu gedient hast, so will ich dich selbst hinaufbringen." Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein großes Thor. Das ward aufgethan, und wie daS Mädchen dar­ unter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihm hängen, so daß es damit über und über bedeckt ward. „Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist," sprach die Frau Holle, und gab ihm auch noch die Spuhle wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Thor verschlossen, und das Mädchen war oben auf der Welt, nicht weit von seiner Mutter Haus, und als es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem Brunnen und rief: „Kikeriki Unsre goldene Jungfrau ist wieder hie!" Da ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es mit Gold bedeckt ankam, ward es gut ausgenommen. Als die Mutter hörte, wie es zu den Reichthum ge­ kommen, wollte sie der andern häßlichen und faulen Tochter gern dasselbe Glück verschaffen, und sie mußte sich auch an den Brunnen setzen und spinnen. Damit ihr die Spuhle blutig ward, stach sie sich in die Finger und zer­ riß sich die Hand an der Dornenhecke. Darnach warf sie sie in den Brunnen und sprang selber hinein. Sie kam wie die Andere auf die schöne Wiese, und ging auf III.

3

34 demselben Pfad weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brod wieder: „Ach! zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenne ich, ich bin schon längst ausgebacken!" Die Faule aber antwortete: „Da hätte ich Lust, mich schmutzig zu machen!" und ging fort. Bald kam sie zu dem'Äpfelbaum, der rief: „Ach! schüttele mich, schüttele

mich, wir Aepfel sind alle miteinander reif!" Sie ant­ wortete aber: „Du kömmst mir recht, es könnte mir einer auf den Kopf fallen!" und ging damit weiter. Als sie vor der Frau Holle ihr Haus kam, fürchtete sie'sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon gchört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr. - Am ersten Tage that sie sich Gewalt an, und war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte; denn sie gedachte an das viele Gold, das sie ihr schenken würde. Am zweiten Tage aber fing sie schon an zu faullenzen. An: dritten noch mehr, da wollte sie Morgens gar nicht aufstehen, sie machte auch der Frau Holle das Bett schlecht, und schüttelte es nicht recht, daß die Federn aufflogen. Das ward die Frau Holle bald müde und sagte der Faulen den Dienst auf. Die war es wohl zufrieden und meinte, nun werde der Goldregen kommen. Die Frau Holle führte sie auch zu dem Thor; als sie aber darunter stand, ward statt des Goldes ein großer Kessel voll Pech ausgeschüttet. „Das ist zur Belohnung deiner Dienste," sagte die Frau Holle, und schloß das Thor zu. Da kam die Faule heim, ganz mit Pech bedeckt, und das hat ihr Lebtag nicht wieder abgehen wollen. Der Hahn aber auf dem Brunnen, als er sie sah, rief: „Kikeriki Unsre schmutzige Jungfrau ist wieder hie!"

14.

Der Ritter Martin.

Der junge Ritter Martin ritt Auf seinem schwarzen Rosse.

34 demselben Pfad weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brod wieder: „Ach! zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenne ich, ich bin schon längst ausgebacken!" Die Faule aber antwortete: „Da hätte ich Lust, mich schmutzig zu machen!" und ging fort. Bald kam sie zu dem'Äpfelbaum, der rief: „Ach! schüttele mich, schüttele

mich, wir Aepfel sind alle miteinander reif!" Sie ant­ wortete aber: „Du kömmst mir recht, es könnte mir einer auf den Kopf fallen!" und ging damit weiter. Als sie vor der Frau Holle ihr Haus kam, fürchtete sie'sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon gchört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr. - Am ersten Tage that sie sich Gewalt an, und war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte; denn sie gedachte an das viele Gold, das sie ihr schenken würde. Am zweiten Tage aber fing sie schon an zu faullenzen. An: dritten noch mehr, da wollte sie Morgens gar nicht aufstehen, sie machte auch der Frau Holle das Bett schlecht, und schüttelte es nicht recht, daß die Federn aufflogen. Das ward die Frau Holle bald müde und sagte der Faulen den Dienst auf. Die war es wohl zufrieden und meinte, nun werde der Goldregen kommen. Die Frau Holle führte sie auch zu dem Thor; als sie aber darunter stand, ward statt des Goldes ein großer Kessel voll Pech ausgeschüttet. „Das ist zur Belohnung deiner Dienste," sagte die Frau Holle, und schloß das Thor zu. Da kam die Faule heim, ganz mit Pech bedeckt, und das hat ihr Lebtag nicht wieder abgehen wollen. Der Hahn aber auf dem Brunnen, als er sie sah, rief: „Kikeriki Unsre schmutzige Jungfrau ist wieder hie!"

14.

Der Ritter Martin.

Der junge Ritter Martin ritt Auf seinem schwarzen Rosse.

35 3m Kriegsdienst mit scharfem Schritt Nach einem fernen Schlosse. Bedeckt mit Schnee war Berg und Thal, Von Frost der Boden hart, wie Stahl. Des Rosses Hufschlag schallte, Daß es den Wald durchhallte. Der Nordwind pfeift durch Strauch und Ast Und jagt die weißen Flocken, Saus't um den Helmbusch sonder Rast Und durch die goldnen Locken. An Helm und Schild setzt Eis sich an, Der dichte Purpurmantel kann, So reich er auch an Falten, Kaum mehr den Frost abhalten.

Sieh da, ein armer, schwacher Greis, Fast ohne Kleid und Decke, Sitzt auf dem Boden, hart von Eis An der bereiften Hecke; Und strecket — ach, daß Gott erbarm l Den langen, nackten, hagren Arm Lautflehend ihm entgegen, Sein Mitleid zu erregen.

Der Ritter hält den Rappen an, Vom Mitgefühl ergriffen, Und zieht, so schnell er immer kann, Sein Schwert, erst scharf geschliffen, Theilt seinen Mantel in zwei Stück' Und reicht mit Tbränen in dem Blick Die Halste, voll Erbarmen, Dem halberstarrten Armen. „Da, Alter," spricht der junge Held, Schütz' vor dem Frost dein Leben, Gern wollt' ich dir, hätt' ich noch Geld, Den letzten Heller geben. Verlaß dich auf den lieben Gott, Der rettet dich aus aller Noth l

36 Dann ritt er froh und heiter 3ni halben Mantel weiter.

ZS.

Prinzessin

Mickmack.

Es war einmal ein König, der hieß Mack, und eine Königin, die hieß Mick, und die bekamen eine Prinzessin, die nannten sie Mickmack. Die Prinzessin war wunder­ schön, aber auch entsetzlich stolz. Den ganzen Tag stand sie vor dem Spiegel und putzte sich, und ftagte alle Leute, ob es wohl eine schönere Person in 'der Welt gäbe, als sie. Und sie wurde noch immer stolzer und immer böser, und plagte alle Menschen, so daß ihre Eltern recht traurig waren, und sich alle Mühe gaben, sie gut zu machen. Aber es half nichts. Da gingen denn die armen Eltern in ihrer Betrübniß zu einer großen Frau, die sehr groß war, die sehr klug war, und erzählten der, was sie fiir Noth mit ihrer Tochter hätten, und baten sie, ihnen zu helfen und zu machen, daß die Prinzessin Mickmack besser würde. Da sagte die Frau: Das ist sehr schwer; denn eure Tochter ist schon dreizehn Jahr alt, und da bessert man sie nicht mehr so leicht. Ich weiß nur ein Mittel, aber das ist hart, und wird euch darum nicht einmal recht sein. Da baten nun der König und die Königin die Fee himmelhoch, sie möchte doch das Mittel brauchen, es möchte sein, was es wolle, wenn es nur hülfe. Da sagte die gute Fee: Nun, wenn ihr es ver­ langt, so will ich euch helfen. Aber kommt mir nachher nicht und klagt; Euer Wille ist jetzt schon erfüllt. Wenn ihr nach Haus kommt, so werdet ihr es schon erfahren. Wie nun der König und die Königin nach Hause gingen, sagten sie zu einander: Was mag das wohl für ein Mittel sein? Und die Königin antwortete: Es wird wohl etwas einzunehmen sein, das recht häßlich schmeckt, und das wird Mickmack nicht nehmen wollen. Nun wir werden ja sehen, sagte der König. Ich kann mir nichts denken, was so schnell helfen könnte.

36 Dann ritt er froh und heiter 3ni halben Mantel weiter.

ZS.

Prinzessin

Mickmack.

Es war einmal ein König, der hieß Mack, und eine Königin, die hieß Mick, und die bekamen eine Prinzessin, die nannten sie Mickmack. Die Prinzessin war wunder­ schön, aber auch entsetzlich stolz. Den ganzen Tag stand sie vor dem Spiegel und putzte sich, und ftagte alle Leute, ob es wohl eine schönere Person in 'der Welt gäbe, als sie. Und sie wurde noch immer stolzer und immer böser, und plagte alle Menschen, so daß ihre Eltern recht traurig waren, und sich alle Mühe gaben, sie gut zu machen. Aber es half nichts. Da gingen denn die armen Eltern in ihrer Betrübniß zu einer großen Frau, die sehr groß war, die sehr klug war, und erzählten der, was sie fiir Noth mit ihrer Tochter hätten, und baten sie, ihnen zu helfen und zu machen, daß die Prinzessin Mickmack besser würde. Da sagte die Frau: Das ist sehr schwer; denn eure Tochter ist schon dreizehn Jahr alt, und da bessert man sie nicht mehr so leicht. Ich weiß nur ein Mittel, aber das ist hart, und wird euch darum nicht einmal recht sein. Da baten nun der König und die Königin die Fee himmelhoch, sie möchte doch das Mittel brauchen, es möchte sein, was es wolle, wenn es nur hülfe. Da sagte die gute Fee: Nun, wenn ihr es ver­ langt, so will ich euch helfen. Aber kommt mir nachher nicht und klagt; Euer Wille ist jetzt schon erfüllt. Wenn ihr nach Haus kommt, so werdet ihr es schon erfahren. Wie nun der König und die Königin nach Hause gingen, sagten sie zu einander: Was mag das wohl für ein Mittel sein? Und die Königin antwortete: Es wird wohl etwas einzunehmen sein, das recht häßlich schmeckt, und das wird Mickmack nicht nehmen wollen. Nun wir werden ja sehen, sagte der König. Ich kann mir nichts denken, was so schnell helfen könnte.

37 Sie kamen nun nach Haufe und hörten schon unten an der Thür ein entsetzliches Geschrei. Da sagte die Kö­ nigin: Das ist ja unsre Tochter Mickmack; was mag denn der begegnet sein? Und nun lief sie die Treppe spornstreichs hinauf und der König hinterdrein. Aus der Treppe be­ gegneten ihnen Bediente und Mägde und andre Leute, die sich Schnupftücher vor's Gesicht hielten, und wie sie den König und die Königin sahen, riefen sie: Ach, das Un­ glück, das Unglück! und stellten sich, als ob sie weinten, eigentlich aber lachten sie. Und da der König sie fragte, was denn das Geschrei bedeute, und was seiner Tochter widerfahren wäre, konnten sie nicht antworten, sondern dachten: 3hr werdet es schon selbst sehen. Nun will ich euch aber sagen, was geschehen war; denn errathen kann es kein Mensch. Während der König und seine Frau bei der Fee waren, ging die stolze Prinzessin mit ihren beiden Mägden im Garten spazieren. Von den Mägden mußte immer Eine einen Spiegel bei sich haben, damit sich Mickmack darin besehen könnte, wenn sie Lust hätte. Nun kam sie in dem Garten an ein Beet, auf denl schöne blaue Blumen wuchsen. Von denen riß sie welche ab und machte einen Kranz daraus und sagte: Das muß mir schön in meinen blonden Haaren stehen. Gebt mir den Spiegel her! — Den hatten die Mägde vergessen. Da wurde die Prinzessin so böse, daß sie die alte Magd mit geballter Faust ins Gesicht schlug, und ihr befahl, auf der Stelle den Spiegel herzuschaffen. Da hätte keine Widerrede geholfen, und da Mickmack so böse war, so lief die andre Magd auch nach, und die Prinzessin blieb

allein im Garten. Nun war im Garten ein Teich, der war so hell, wie der schönste Spiegel; und, da Mickmack allein war und ihr die Zeit lang wurde, Üef sie an den Teich und wollte sich darin besehen, und wie ihr der blaue Blumenkranz stände. Wie sie sich nun so an das Wasser stellte und hineinsah, sah ein abscheuliches Ungeheuer heraus. Sie kubr natürlich

38 zurück, sah aber doch wieder hin und erschrack nun noch ärger; denn es kam ihr vor, als ob das häßliche Bild jtc selber wäre. Das hatte nun ein altes, altes verschrumpftes Gesicht, ein spitziges Kinn mit zwei großen Warzen darauf und in dem Munde lauter Zahnlücken, und die Zähne, die sie noch hatte, waren groß und gelb und garstig, und standen ihr überall über die Lippen heraus. Doch das war noch nicht genug. Ihr kleines kirschrotbes Mündchen war so groß und weit geworden wie ein lederner Beutel, und die Unterlippe hing lang und dick herunter, und die rothe spitzige Nase krümmte sich darüber her, wie ein Vogelschnabel. Ach, .und die blonden Locken, die so schön kraus um bi* Stirn gehangen hatten, waren jetzt.weg, uud es hingen ihr nur einzelne graue Haare recht garstig um den kahlen Kopf. Nun konnte sie lange gar nicht glauben, daß sie das wäre, sondern meinte, das Wasser wäre behert; denn sie mochte so oft hineinsehen, als sie wollte, immer war es das nämliche. Endlich griff sie sich in's Gesicht, und da sie ihr spitziges Kinn und ihre rothe Nase und ihre garstigen Runzeln fühlte, fing sie so entsetzlich an zu schreien, daß alle Leute zusammen­ liefen und die beiden Mägde auch. Die konnten nun gar nicht glauben, daß das die schöne Prinzessin Mickmack wäre und wollten wieder davon laufen, um die wahre Prinzessin zu suchen. Die schrie aber immer ärger, weil die Leute nicht glauben wollten, daß sie es wäre, und schlug und trat wüthend um sich, bis endlich Alle weg­ gingen, und sie allein stehen ließen. Da lief sie nun auch fort ins Schloß hinein und in ihre Stube, und da war es denn, wo der König und die Königin sie so schreien hörten. Wie die armen Eltern sahen, was aus ihrer Tochter geworden war, wollten sie sich gar nicht zufrieden geben, uud die Königin riß sich die Haare aus und schinlpfte auf die Fee, und Beide weinten Tag und Nacht über das Unglück und über die Fee; denn sie dachten, sie hätte ihre schöne Tochter nur aus Neid und Bosheit so häßlich gemacht.

39 Die Prinzessin tobte noch eine Zeitlang, und wenn sie vor einem Spiegel vorbei ging, so schlug sie ihn in Stücken, und trieb es so arg, daß gar Niemand mehr zu ihr gehen wollte. Wie sie aber sah, daß ihr Alles nichts half, fing sie erst an zu weinen, und wie sie lange genug geweint hatte, wurde sie ganz still, und dann, weil sie lange Weile hatte, fing sie an zu spinnen und zu stricken, was sie sonst nie hatte thun wollen, und ihre Mägde mußten ihr helfen. Und wenn ihr dann die Arbeit recht von Statten ging, wurde sie manchmal recht vergnügt, wie sie nie vorher gewesen war. Aber immer arbeiten konnte sie doch auch nicht. Da ließ sie arme Kinder zu siet) kommen, und schenkte ihnen, was sie gestrickt und gesponnen hatte, und erzählte ihnen auch schöne Geschichten, so daß die Kinder .die Prinzessin Mickmack so lieb hatten, wie ihre Mutter und gar nicht daran dachten, daß sie so alt und so häßlich aussah. Weil sie nun aber immer in der Stube saß und gar nicht ausging, denn sie schämte sich vor den Leuten, wurde sie ganz kränklich, und der Doetor sagte, sie müßte spazieren gehen. Das kam ihr freilich sauer an, und sie hing auch einen dicken Schleier über, so daß Niemand das häßliche Gesicht darunter sehen konnte. Aber da half ihr auch die Luft nicht viel, und sie wurde immer elender. Endlich dachte sie: Ich habe es wohl verdient. Weil ich sd stolz gewesen bin auf meine Schönheit, hat mich der liebe Gott häßlich gemacht. So will ich auch meine Strafe geduldig erttagen und es nicht mehr vor den Leuten verbergen. Und nun ging sie ohne Schleier herum. Zuerst blieben freilich die Leute stehen und sahen sie an. Da sie aber Allen freundlich zusprach und den Armen immer Etwas schenkte und überhaupt gegen Jeder­ mann gut war, verspottete sie Niemand, sondern die Leute hatten Mitleid mit ihr. Mancher dachte auch: Die ist wohl bart gestraft; aber ohne die Strafe wäre sie auch nimmermehr gut geworden. Das währte nun wohl zwei Jahre — da wurde Vtc Prinzessin krank, und der Doctor sagte ihr, er könnte ihr nicht helfen — sie müßte sterben. Da war ein Jammer

40 im Schloß! Der König und die Königin wollten sich gar nicht zufrieden geben, daß ihre gute Tochter sterben sollte, und alle Mägde weinten, und es wurde den ganzen Tag weder gekocht noch gebraten; denn kein Mensch hatte Hunger. Sie hatten die Prinzessin gar zu lieb. Auch in der Stadt war eine große Traurigkeit, und es kamen immer Leute, die fragten, ob eö^mit der guten Prinzessin noch nicht bald besser würde, der König aber, auf'S Höste erzürnt über die vermeintliche Frechheit des Kleinen, rief aus: „wie, Elender! Du willst Deinen König so dumm und schändlich belügen, nachdem Du ihn bestohlen hast? Schatzmeister Archaz! ich fordere Dich auf, zu sagen, ob Du diese Summe Geldes für die nämliche erkennst, die in meinem Schatze fehlt." Der Schatzmeister aber antwortete: er sei seiner Sache ganz gewiß; so viel und noch mehr fehle seit einiger Zeit in dem königlichen Schatz, niib er könne einen Eid dar­ aus ablegen, daß dies das Gestohlene sei. Da befahl der König, den kleinen Muck in eiserne Ket­ ten zu legen und in den Thurm zu führen; dem Schatz­ meister aber übergab er das Gold, um es wieder in den Schatz zu tragen. Vergnügt über den glücklichen Aus­ gang der Sache, zog dieser ab, und zählte zu Haufen die blinkenden Goldstücke; aber das hat der schlechte Narr niemals angezeigt, daß unten in dem Topf ein Zettel lag, der sagte: „Der Feind hat mein Land überschwemmt, doch ver­ berge ich hier einen Tbeil meiner Schätze; wer eS auch

142 finden mag, den treffe der Fluch seines Königs, wenn er es nicht sogleich meinem Sohn ausliesert. — König Sadi." Der kleine Muck stellte in seinem Kerker traurige Be­

trachtungen an; er wußte, daß aus Diebstahl an königli­ chen Sachen der Tod gesetzt war; und doch mochte er das Geheimniß mit dem Stäbchen dem König nicht verra­ then, weil er mit Recht befürchtete, dieses und seiner Pantoffeln beraubt zu werden. Seine Pantoffeln konnten ihm leider auch keine Hülfe bringen; denn da er in en­ gen Ketten an der Mauer geschloffen war, konnte er, so sehr er sich quälte, sich nicht auf dem Absätze umdrehen. Als ihm aber am andern Tage sein Tod angekündigt wurde, da gedachte er doch, es sei besser, ohne das Zau­ berstöckchen zu leben, als mit ihm zu sterben; ließ den König um geheimes Gehör bitten, und entdeckte ihm das Geheimniß. Der König maß im Anfänge seinem Geständniß keinen Glauben bei; aber der kleine Muck versprach eine Probe, wenn ihm der König zugestände, daß er nicht getödtet werden sollte. Der König gab ihm sein Wort darauf, und ließ, von Muck ungesehen, einiges Gold in die Erde graben, und befahl diesem, mit seinem Stäbchen zu suchen. 3n wenig Augenblicken hatte er es geftmden; denn daS Stöcklein schlug dreimal deutlich auf die Erde. Da merkte der König, daß ihn sein Schatzmeister betrogen hatte, und sandte ihm, wie es im Morgenlande gebräuch­ lich ist, eine seidene Schnur, damit er sich selbst erdrossele. Zum kleinen Muck aber sprach er: „3ch habe Dir zwar. Dein Leben versprochen, aber es scheint mir, als» ob. Du nicht nur allein dieses Geheimniß mit dem Stäbchen besitzest; darum bleibst Du in ewiger Gefangenschaft, wenn Du nicht gestehst, was für eine Bewandniß. es mit Deinem Schnelllausen hat. Der kleine Muck, dem die einzige Nacht» im Thurm alle Lust zu längerer Gefangenschaft benommen hatte, bekannte, daß seine ganze Kunst in den Pantof­ feln liege; doch lehrte er dem König nicht das Geheim­ niß von dem dreimaligen Umdrehen auf dem Absatz. Der König schlüpfte selbst in die Pantoffeln, um die Probe.

143 zu machen, und jagte wie unsinnig im Garten umher; oft wollte er anhalten, aber er wußte nicht, wie man die Pantoffeln zum Stehen brachte, und der kleine Muck, der diese kleine Rache sich nicht versagen konnte, ließ ihn laufen, bis er ohnmächtig niederfiel. Als der König zur-Besinnung wieder zurückgekehrt war, war er schrecklich aufgebracht über den kleinen Muck, der ihn so ganz außer Athem hatte laufen lassen; „Ich habe Dir mein Wort gegeben, Dir Zweiheit und Leben zu

schenken, aber innerhalb zwölf Stunden mußt Du mein Land verlassen haben, sonst lasse ich Dich aufknr'ipfen." Die Pantoffeln und das Stäbchen aber ließ er in seine Schatzkammer bringen. So arm als je, wanderte der kleine Muck zum Land hinmls, seine Thorheit verwünschend, die lhm vorgespiegett hatte, er könne eine bedeutende Rolle am H«fe spielen. Das Land, qus dem er gejagt wurde, war zum Glück nicht groß, daher war er schon nach acht Stunden auf der Grenze, obgleich ihm das Gehen, da er an seine lie­ ben Pantoffeln gewöhnt war, sehr sauer ankam. Als er über die Grenze war, verließ er die gewöhn­ liche Straße, um die dichteste Einöde der Wälder aufzu­ suchen, und dort nur sich zu leben, denn er war allen Menscheck gram. In einem dichten Walde traf er auf ei­ nen Platz, der ihn zu dem Entschluß, den er gefaßt hatte, ganz tauglich schien. Ein klarer Bach, von großen schattigen Feigenbäumen umgeben, ein weicher Rasen, luden ihn ein. Hier warf er sich nieder, mit dem Entschlüsse, keine Speise mehr zu sich zu nehmen, sondern den Tod zu erwarten. Ueber traurigen Todesbetrachtungen schlief er ein; als er aber wleder aufwachte und ter Hunger ihn zu quälen an­ fing, bedachte er sich doch, daß der Hungertod eine ge­ fährliche Sache sei, und sah sich um, ob er nirgends et­ was zu essen bekommen könnte. Köstliche reife Feigen hingen an dem Baum, unter wel­ chem er geschlafen hatte; er stieg hinauf, um sich einige zu pflücken, ließ es sich trefflich schmecken, und ging dann hinunter an den Bach, um seinen Durst zu löschen.

144^ Aber wie groß war sein Schrecken, als ihm daS Wasser seinen Kopf mit zwei gewaltigen Ohren und einer dicken langen Nase geschmückt zeigte. Bestürzt griff er mit den Händen nach den Ohren, und wirklich, sie waren über eine halbe Elle lang. „Ich verdiene Eselsohren! ries er- aus, denn ich habe mein Glück wie ein Esel mit Füßen getreten." — Er wanderte nun unter den Bäumen umher, und als er wie­ der Hunger fühlte, mußte er noch einmal zu den Feigen seine Zuflucht nehmen, denn sonst fand er nichts Eßbares an den Bäumen. Als ihm über der zweiten Portion Fei­ gen einfiel, ob wohl seine Ohren unter seinem großen Tur­ ban Platz hätten, fühlte er, daß seine Ohren verschwun­ den seien. Er lief gleich an den Bach zurück, um sich davon zu überzeugen, und wirklich, es war so; seine Oh­ ren hatten ihre vorige Gestalt, seine lange unförmliche Nase war nicht mehr. Jetzt merkte er aber, wie dies ge­ kommen sei; von dem ersten Feigenbaum hatte er die lange Nase und Ohren bekommen, der zweite hatte ihn geheilt; freudig erkannte er, daß sein gütiges Geschick ihm noch einmal ein Mittel in die Hand gebe, glücklich zu sein. Er pflückte daher von jedem Baume so viel er tragen konnte, und ging in daS Land zurück, das er vor Kur­ zem verlassen hatte. Dort machte er sich in dem ersten Städtchen durch andere Kleider ganz unkenntlich, und ging dann wieder auf die Stadt zu, die jener König bewohnte, und kam auch bald dort an. Es war gerade zu einer Jahreszeit, wo reife Früchte noch ziemlich selten waren; der kleine Muck setzte sich da­ her unter das Thor des Palastes; denn ihm war von früherer Zeit sehr wohl bekannt, daß hier solche Seltenheiten von-dem Küchenmeister für die königliche Tafel eingekauft wurden. Muck hatte noch nicht lange gesessen, als er den Küchenmeister über den Hof herüberschreiten sah. Er musterte die Waa­ ren der Verkäufer, die sich am Thore des Palastes einge­ funden hatten, endlich fiel sein Blick auf Mucks Körbchen. , Ach!- ein seltener Bissen, sagte er, der Ihrer Majestät gewiß behagen wird; was willst Du für den ganzen Korb

145 Der kleine Muck bestimmte einen mäsigen Preis, und sie waren bald des Handels einig. Der Küchenmeister über­ gab den Korb einem Sklaven und ging weiter; der kleine Muck aber machte sich einstweilen aus dem Staube, weil er befürchtete, wenn sich das Unglück an den Köpfen deS königlichen Hofes zeigte, möchte man ihn als Verkäufer auffuchen und bestrafen. Der König war bei Tische sehr hetter gestimmt und sagte seinem Küchenmeister einmal über das andere Lob­ sprüche wegen seiner guten Küche und der Sorgfalt, mit der er immer das Seltenste für ihn aussuchte; der Küchen­ meister aber, welcher wohl wußte, welchen Leckerbissen er noch im Hintergrmrd habe, schmunzelte gar freundlich und ließ nur einzelne Worte fallen, als: „es ist erst noch nicht aller Tage Abend, oder: „Ende gut, alles gut," so daß die Prinzessinnen sehr neugierig wurden, was er wohl noch bringen würde. Als er aber die schönen einladenden Fei­ gen aufsetzen ließ, da entfloh ein allgemeines Ach! dem Munde der Anwesenden. „Wie reif, wie appetitlich! rief der König; Küchenmeister, Du bist ein ganzer Kerl, und verdienst unsre ganz besondere Gnade!" Also spre­ chend, theilte der König, der mit seinen Leckerbissen sehr sparsam zu sein pflegte, mit eigner Hand die Feigen an seiner Tafel aus. Jeder Prinz und jede Prinzessin bekam zwei, die Hofdamen, die Vezirs und Aga's eine; die übrigen stellte er vor sich hin und begann mit großem Behagen sie zu verschlingen. „Aber Du lieber Gott, wie siehst Du so wunderlich aus, Vater," rief die Prinzessin Amarza. Alle sahen den König erstaunt an; ungeheure Ohren hingen ihm am Kopf, eine lange Nase zog sein Kinn herunter; auch sich selbst betrach­ teten sie unter einander mit Staunen und Schrecken; Alle wa­ ren mehr ober minder mit dem sonderbaren Kopfputz geschmückt. Man denke sich den Schrecken des Hofes. Man schickte sogleich nach allen Aerzten in der Stadt; sie kamen hau­ fenweise, verordneten Pillen und Mirturen, aber die Oh­ ren und die Nasen blieben. Man nahm einen der Prin­ zen die Ohren ab, aber sie wuchsen nach.

III.

146^ Mnck hatte die ganze Geschichte in feinem Versteck, wo­ hin er sich zurückgezogen hatte, gehört, und erkannte, daß eS jetzt Zeit sei, zu handeln. Er hatte sich schon vorher aus dem von den Feigen gelösten Geld einen Anzug verschafft, der ihn als Gelehrten darstellen konnte; ein langer Bart aus Ziegenhaaren vollendete die Täuschung. Mit einem Säckchen voll Feigen wanderte er in den Pa­ last des Königs, und Lot alS ftemder Arzt seine Hülfe an. Man war im Anfang sehr ungläubig; als aber der kleine Muck eine Feige einem der Prinzen zu essen gab, und Ohren und Nase dadurch in den alten Zustand zurückbrachte, da wollte Alles von dem fremden Arzte ge­ heilt sein. Aber der König nahm ihn schweigend bei der Hand und führte ihn in sein Gemach; boti schloß er eine Thür auf, die in die Schatzkammer führte, und winkte Muck, ihm zu folgen. „Hier sind meine Schätze, sprach der König; wähle Dir, was es auch sei, es soll Dir ge­ währt werden, wenn Du mich von diesem schmachvollen Uebel befreist." Das war süße Musik in des kleinen MuckS Ohren; er hatte gleich beim Eintritt seine Pantoffeln auf dem Boden stehen sehen, gleich daneben lag auch sein Stäbchen. Er ging nun umher in den Saal, wie wenn er die Schätze des Königs bewundern wollte; kaum aber war er an seine Pantoffeln gekommen, so schlüpfte er ei­ lends hinein, riß seinen falschen Bart herab, und zeigte dem erstaunten König das wohlbekannte Gesicht seines ver­ stoßenen MuckS. „Treuloser König, sprach er, der Du treue Dienste mit Undank lohnst, nimm als recht verdiente Sttafe die Mißgestalt, die Du trägst. Die Ohren laß ich Dir zurück, damit sie Dich täglich erinnern an den kleinen Muck." Als er so gesprochen hatte, drehte er sich schnell auf dem Absätze herum, wünschte sich weit hinweg, und ehe noch der König um Hülfe rufen konnte, war der kleine Muck entflohen.

147 SS.

Löwe und Lamm?)

„Zeige mir Bilder, liebe Goldmutter," bittet Wilhelm, „Bilder, weißt Du, seh ich so gern." Die Mutter holt ein Bild und zeigt es dem Kinde. „O Mutter, das weiß ich! das kenn' ich! — Das hier ist ein Löwe, und das ist ein Lämmchen." „Ja, mein Kind, so ist es," spricht die Mutter. „Aber sieh doch: das kleine Lamm hat sich bittend und demüthig vor dem Löwen niedergelegt. Du weißt aber nicht, warum?" „Nein Mutter, ich weiß nicht! Sage es mir." „Ich will es Dir sagen," verspricht die Mutter. „Das Lämmchen ging auf die Weide und suchte sich Kräuter und Gras. Im Walde daneben wohnte ein Löweder schon viele große Thiere erwürgt hatte, und hatte sie verzehrt." „Jetzt hatte der Löwe Hunger z er hatte beute nichts ge­ gessen, und gestern auch nichts. Der Hunger quälte ihn sehr, gar sehr. Still und lauernd lag er in seinem Busche und schaut mit seinen großen funkelnden Augen umher, ob kein Thier sich nabe, das er verzehren könne. Da kommt das Lamm." „Ach Mutter, das arme Lamm', der Löwe wird es ge­ wiß fressen." „Der Löwe sieht das Lamm. Er wendet die Augen hin und her, wie das Lamm hin und her geht. — Dann erhebt er sich langsam und schleicht aus dem Busche hervor. Jetzt thut er einen gewalttgen Satz, und noch einen — und jetzt steht er vor dem Lamm." „Das arme Lämmchen! Cs zittert. Es sieht erschrocken den Löwen an, und kann anfangs, vor Angst und Ent­ setzen, kein Wort sagen. Aber nach einigen Augenblicken wirft es sich vor dem Löwen nieder." „„Mächtiger Löwe! spricht eS, Du bist so stark und ich

Diese Erzählung kann der Mutter als Vorbild dienen, wie sie Bilder, auf denen Handlungen dargestellt sind, in der Unter­ haltung mit Kindern benutzen muß.

148 bin so jung und schwach; ich kann mich nicht wehren. Ach würge mich nicht." " Der Löwe sieht das Lamm an. Der Hunger quält ihn; er hat die starke Tatze schon aufgehoben, womit er daS Lamm erwürgen will; aber das Lamm bittet ihn um Schonung — das Lamm ist schwach und klein, und kann sich nicht wehren; es kann ihm auch nicht entlaufen. „Geh nur, kleines Ding, spricht der Löwe; mich hun­ gert gar zu sehr, aber Du kannst Dich ja nicht wehren! Geh nur, aber komm nicht wieder hierher." „Da geht der Löwe wieder in den Wald zurück.'— Ich will lieber hungern, sagt er, ich will mir ein Thier su­ chen, das sich wehren kann. ES wäre eine schlechte Ehre, wenn ein Löwe ein schwaches kleine- Lamm erwürgt hätte. Den Schwachen muß man schonen." „O Mutter, sagt Wilhelm, nun bin ich dem Löwen recht gut." „Aber Mutter," fing Wilhelm nach einigen Augen­ blicken an, „nun wird das Lamm wohl nicht wieder an den Wald gehen." „Wohl nicht! denk' ich, wenn es verständig ist. Aber eS hätte auch diesmal nicht hingehen sollen." „O Mutter, eS wird eS wohl nicht gewußt haben, daß der große Löwe im Walde wohnt," sagt Wilhelm. „O doch, das hat er gewußt. Seine Mutter hat'S ihm gesagt. Siehst Du wohl, dort weit hinten ist ein Hirte mit seiner Heerde. Unter dieser Heerde ist die Mut­ ter vom Lamm. — Kind, hat die Mutter oft gesagt, geh' nicht so nahe an den Wald hin; der Löwe lauert dort. Der Löwe ftißt die Lämmer!" „Aber das Kind hört nur so halb und halb darauf. Hm! denkt eS, so schlimm wird's auch nicht sein, wie die Mutter sagt. — Dort am Walde steht viel bessere Weide. -------- Ich gehe hin." „Lämmchen ging hin an den Wald. Schönes Gras und und recht wohlschmeckende Kräuter fand es dort auf der Weide. Es sprang vor Vergnügen, es wälzte sich vor

149 Freuden in dem fetten Grase. ,,„O ihr Narren dort, sagte es, und sah nach der Heerde hin, hierher solltet ihr kom­ men, hier ist es viel besser."" „„Mutter, sagte es schelmisch und lustig, wie eS daS tu stemal zurückkam, ich bin dort gewesen, am Walde bin ich gewesen. Aber der Löwe war nicht da."" „Kind, warnte die Mutter, Du glaubst mir nicht; Du wirst es sehen, wenn es zu spät ist. — Sieh, wir wür­ den ja auch dorthin gehen, wenn es gut wäre. — Act­ bleib doch, Kind, bleib. Sieh, es ängstigt mich so, wenn Du nicht da bist." „Aber das Lamm ging noch einmal, und dann wieder noch zweimal bis an den Wald; und immer war kein Löwe da. Und das Lamm dachte: „„die Mutter spricht nur so; es ist so arg nicht, wie sie denkt.""

„Aber Mutter, wie nun der Löwe gekommen war?" fragte Wilhelm. „3a, wie er gekommen war," antwortete die Mutter, „da sagte es nicht mehr: Es ist kein Löwe da." „Mutter, was sagte eö denn da?" fragte Wilhelm. „Wie der Löwe in den Wald ging," erzählte die Mut­ ter," da blieb eS noch so demüthig und so erschrocken eine Weile liegen; es sah dem Löwen nach; es konnte vor Angst und Entsetzen nicht aufstehen. — Dann, als eS dem Löwen nicht mehr sah, stand es auf und lief, lief so stark eS konnte, nach der Heerde zurück, wo die Mutter war." „Es war so sehr gelaufen, daß eS keinen Athem mehr hatte; es fiel erschöpft hin, wie eS bei der Heerde ankam, und das Herz schlug ihm so gewaltig, daß man sein Po­ chen hörte." „Kind, waS ist Dir? — was ist Dir?" rief die herbeiei­ lende Mutter. Aber daS arme Lanun konnte keinen Laut hervorbringen, so erschrocken war es noch und so matt. ES zitterte nun am ganzen Leibe; und die Augen sahen die Dkutter so traurig und so bittend an." „Kind, sprich doch nur ein Wort! Was ist Dir? fragte die Mutter wieder. — Du zitterst ja so."

150 „Ach Mutter! ächzte das Lamm. Der Löwe! — der Löwe!" „Hast Du ihn gesehen? war er da? — Wie bist Du ihm entkommen ? Er hat Dir was gethan? " — „Nein! gethan nicht, fuhr das Lamm fort, er hat mich diesmal gehen lassen. — Er hat gesagt: komme nicht wie­ der her. -T- Mutter, ich gehe nie wieder an den Wald." „Die Mutter erfuhr so nach und nach, wie fich das Lamm erholte, Alles, und freute sich, daß ihr Kind dies­ mal davon gekommen war. Ach, nun wirst Du nicht wie­ der hingehen, rief sie, mit) wirst mir folgen." „Ja, Mutter, ja, verspmch daS Lamm, nun geh' ich nicht wieder hin, nun folg' ich Dir immer."

„Mittler," sagte jetzt Wilhelm, „ich wäre auch nicht wieder hingegangen. Aber das Lamm hatte gleich folgen sollen." „Freilich! freilich! hätt' es sollen gleich folgen, mein liebes Kind, da hätt' es den Schrecken, und die Mutter hätte die Angst nicht gehabt. Die Kinder sollen den Müttent immer folgen; und die guten und verständigen thun das auch." „Mutter," sagte jetzt Wilhelm, „ich will Dir immer fol­ gen, und drückte sich an die Mutter."

33. Die Räthsel. „Nun, Vater, gib uns einmal Räthsel auf, Vater," sagen Emnw, Ludwig und Julie. „Aber leichte, Vater, recht leichte," setzt Gustav hinzu, „denn die schweren können wir nicht errathen." „Wohl, wohl!" antwortet der Vater, „ich verstehe schon; also recht leichte. Nun dann." V a t. Ich weiß Jemand, der immer einen Petz trägt. Emmy. £) Vater, den weiß ich auch. Das ist Herr Wöhrmann, der trägt immer einen Pelz.

150 „Ach Mutter! ächzte das Lamm. Der Löwe! — der Löwe!" „Hast Du ihn gesehen? war er da? — Wie bist Du ihm entkommen ? Er hat Dir was gethan? " — „Nein! gethan nicht, fuhr das Lamm fort, er hat mich diesmal gehen lassen. — Er hat gesagt: komme nicht wie­ der her. -T- Mutter, ich gehe nie wieder an den Wald." „Die Mutter erfuhr so nach und nach, wie fich das Lamm erholte, Alles, und freute sich, daß ihr Kind dies­ mal davon gekommen war. Ach, nun wirst Du nicht wie­ der hingehen, rief sie, mit) wirst mir folgen." „Ja, Mutter, ja, verspmch daS Lamm, nun geh' ich nicht wieder hin, nun folg' ich Dir immer."

„Mittler," sagte jetzt Wilhelm, „ich wäre auch nicht wieder hingegangen. Aber das Lamm hatte gleich folgen sollen." „Freilich! freilich! hätt' es sollen gleich folgen, mein liebes Kind, da hätt' es den Schrecken, und die Mutter hätte die Angst nicht gehabt. Die Kinder sollen den Müttent immer folgen; und die guten und verständigen thun das auch." „Mutter," sagte jetzt Wilhelm, „ich will Dir immer fol­ gen, und drückte sich an die Mutter."

33. Die Räthsel. „Nun, Vater, gib uns einmal Räthsel auf, Vater," sagen Emnw, Ludwig und Julie. „Aber leichte, Vater, recht leichte," setzt Gustav hinzu, „denn die schweren können wir nicht errathen." „Wohl, wohl!" antwortet der Vater, „ich verstehe schon; also recht leichte. Nun dann." V a t. Ich weiß Jemand, der immer einen Petz trägt. Emmy. £) Vater, den weiß ich auch. Das ist Herr Wöhrmann, der trägt immer einen Pelz.

IM Vat. Rein, der ist'S nicht. Der, wetchen ich meine, trägt auch im wärmsten Sommer seinen Pelz. Ludw. Das muß ein schnurriger Mann sein; der muß ja ersticken vor Wärme. V a t. ($T erstickt nicht, sondern sucht, trotz seines Pel­ zes, oft noch die Sonne. — Dann trägt er auch bestän­ dig einen Schnurrbart. Gustav. Das wird ein Kutscher sein. — Oder ein Soldat, fiel Emmy ein. Vat» Nein, ein Kutscher ist eS nicht, ein Soldat ist eö auch nicht, wiewohl er immer im Krieg lebt. Emmy. Mit wem lebt er denn im Krieg, wenn er doch kein Soldat ist? Vat. Er hat gewisse Geschöpft, die er durchaus nicht leiden kann, und die er anfällt, wo er sie findet. — — Wiewohl man es nun bei Kriegsfahrten mit der Net­ tigkeit und Sauberkeit im Anzuge nicht so genau nimmt, so putzt er sich doch beständig und hält sich äußerst rein­ lich. Alle Augenblicke wischt er sich das Gesicht, macht sich glatt, sorgt, daß kein Schmutz an seinen Füßen ist, daß die Haare glatt und ordentlich liegen. Aber niemals hat er eine Bürste, einen Kamm, einen Spiegel und der­ gleichen Dinge. Julie. Ohne Bürste, ohne Kamm? daö begreift ich nicht gut, wie er das macht. — Sag' es uns, Vater. Vat. Nein, daö mußt Du ja eben errathen. Im Klettern ist er überaus geschickt. Auf einem Baum ist er hinauf, man weiß kaum wie. Gustav. Da kann er den Leuten daS Obst stehlenz die Kirschen und Pflaumen. Vat. Obst stiehlt er nun doch nicht, obwohl sich nickt leugnen lüßt, daß das Mausen gerade seine Hauptsache ist. Kinder. Er maust also doch? Er maust wirklich? Vat. Freilich! — wenn er daS nicht thut, so taugt er gar nichts. Er muß mausen. Kinder. Er muß? Vater, er muß? Vat. Gewiß, und ihr könnt nun leicht errathen, wer er ist.

152 Kind. WaS ist eö? — Ein Mensch?—Lin Thier? — oder sonst etwas? V a t. Ihr müßt es errathen. Vat. Ich kenne eine Gabel mit zwei Zinken. -• — Gusta v. So eine hab' ich, und — Vat. So eine, wie ich meine, hast Du nicht; denn sie wird nicht zum Essen gebraucht. Gustav. 3a so, da kenn' ich sie nicht. Vat. Du kennst sie recht gut, aber Du hast sie nur nicht. Braucht man sie auch nicht zum Essen, so bedient man sich ihrer doch da, wo.etwas verzehrt werden muß. Ludw. Nicht zum Essen, und doch verzehrt? Vat. O ja. Warum denn nicht? ES wird man­ ches in der Welt verzehrt, waS nicht gegessen wird. — Mall steckt diese Gabel in ein großes Maul, in einen Schlund, in einen Rachen hinein, um ihm vermittelst der­ selben Speise zuzuführen. Emmy. Speise führt man dem Schlunde zu, mit der Gabel? — und doch wird sie nicht zum Essen gebraucht? das ist sonderbar. Vat. Es scheint wohl so, ist es aber in der That nicht. Und ihr könnt leicht errathen, was für eine Ga­ bel es sein mag, wenn ihr nur merken lvollt, daß der Rachen, in welchen sie hineingeschoben wird, gleich an­ fängt, einen dicken Dampf auszuspeien, sobald er seine Speisen zu verzehren beginnt. 3ulie. Das weiß ich für wahr nicht, was das für ein Rachen sein muß. Vat. Ich meine doch, Du weißt es. Dieser Rachen bekommt seine Speise mir in der einen Hälfte des Jah­ res; in der andern bekommt er nichts. Gustav. Ach! da muß er ja recht lange hungern. Vat. Er hungert nicht — er hat keinen Hunger; er darbt nur. — Ludw. Vater! haben wir eine solche Gabel? Vat. Vielleicht wohl mehr als zwei; die Mutter und die Marie werden daS am besten wissen.

153 Kudw. Nicht wahr, im Sommer braucht man fle gar nicht, sondern nur---------Vat. Still! Du hast es. Laß die Andern auch rathen. Dat. Wer kennt ein Pferd, daS kein Pferd ist? Kinder. 3ch nicht. Ich auch nicht — Ich auch nicht. V a t. Ein Pferd, auf welchem Niemand reitet. Von einer Frabe, wie man wohl nie ein Pferd getroffen hat, fast ganz Froschfarbe. — Es steht oft im Heu bis über die Ohren, aber eS frißt keinen Halm davon.,— Nun, wer kennt's jetzt? Kinder. Ich noch nicht! Ich auch noch nichtj Emmy. Und Froschfarbe? — So eine Farbe femf ich nicht. Val. Nun so wollen wir weiter hören.— Es hat zwei Füße mehr, M ein Pferd braucht, und gleichwohl, und ob es schon gewaltige Sätze macht, wird es doch beinahe von jedem Kinde eingeholt. 3a, selbst die Flügel, die es hat, helfen ihm zu seiner Rettung nichts. — Auch ein grim­ miges Thier ist es, was sogar andere seines Gleichen mir nichts, Dir nichts auffrißt, und fürchtet sich kein Kind vor seinem Grimm. Es wird sehr leicht, von jedem Vo­ gel sogar, überwältigt. — Und was gewiß recht sonderbar ist, es singt auch. Kinder. Es singt? Es singt? Vat. 3a, ja, es fingt. Wenigstens kann man es so nennen, und nennt es auch zuweilen wirklich also. ES ist ein wahres Wunderpserd •, und um das Wunder voll zu machen, so singt es vorzüglich nut mit den Füßen und mit den Flügeln. Emmy. Vater, wohnt es im Stalle? Vat. 3m Stalle nicht; eher noch auf einen: Heubo­ den; am liebsten auf Wiesen und Feldern, in Kraut und Kohlbeeten, und oft sitzt es auf der Spitze eines Grashalms. Ludw. Vater — es sieht grasgrün aus — 3ch weiß eS. Emmy und 3nlie. 3ch auch — 3ch auch — Es ist---------V a t. Pst ! — Gustav weiß es noch nickt.

154 93 a t. Ich seltne ein kleines Geschöpf, und Ne Kinder kennen es alle auch. Ein kleines Geschöpf, sage ich, daS nur ein kurzes Leben lebt. — DaS kleine Geschöpf hat Homer, mit welchen es aber Niemand stößt, sondern die es vielmehr ängstlich einzieht, wenn es nur berührt wird. — Es hat ein Schild, unter dem es ganz wohl verwahrt ist, wiewohl das Schild nur von leichtem Horn, und nicht von festem Stahl und Eisen gemacht ist; denn das Schild braucht nicht gegen Schuß und Stich zu halten. Das kleine Geschöpf trägt Ringe, aber nicht am Finger, weil es keine Finger hat. Julie. Vater, es hat keine Finger? V at. Muß den jedes Geschöpf Finger haben? — Es hat nur Füße, aber keine Hände, und eben darum auch keine Finger. — Es hat seine Ringe am Bauch. Julie. Nun, hab' ich in meinem Leben doch Ringe am Bauche gesehen? Vat. Ja, Ja, es mag auch wohl ganz selten sein; an den Singern und in den Ohren steht man sie freilich weit eher; hier aber sitzen sie einmal am Bauche. DaS kleine Wesen brummt und schnurrt, wmn eS ihm wohl ist!, falls es sonst seine Freiheit hat. Da hingegen wir Menschen murren und brummen, wenn wir zürnen und wenn unS was zuwider ist. Aber es hat eine etwas wunderliche Lebensordnung. Still und ruhig sitzt cs den Tag über da; nur mit dem hereinbrechenden Abend, wenn die Nachtigall anfängt zu schlagen, lebt es auf und streicht in den Lüften umher. Gustav. Wenn die Nachtigall schlägt? — Hört eS die Nachtigall gern? Vat. Ich glaube nicht, daß es eben auf die Nachti­ gall hört; aber es macht cs doch in manchen Stückchen, wie die Nachtigall; kommt bald nach dieser, und lebt und wohnt bei uns, und wird nicht mehr gefundett, wenn die Nachtigall ihre Stimme nicht mehr hören läßt. Emmy. Vater, es hat Flügel? — Es hat sechs Füße, gewiß sechs Füße, schwärmt des Abends umher, frißt Laub, die Kinder fangen cs---------- Es ist der —

155 Bat. Richtig, richtig! Der ist eS — eben der. Aber wart' nur, ob eS die andern auch wissen?

Bat.

Es gibt einen Bock, Kinder, der gar keine Hör­

ner hat. Emmy. O, solcher hab' ich mehr als einen gesehen. Die Böcke müssen ja nicht gerade alle Hömer haben. Bat. 3a, das ist wahr. Aber wenn ich's recht be« trachte, so hat er doch Hörner. — Er hat vier Hörner. Emmy. 3a , so einen hab' ich nicht gesehen. — Der muß gut stoßen können. Val. Stoßen? — Nein, dieser Bock stößt gor nicht. Auch hat er seine Hörner nicht zum Stoßen, sondern mehr, um damit fest zu halten. Ludw. Das versteh' ich nicht. Hat er denn niemals Jemand gestoßen? Oder ist er etwa so fest angebunden? Bat. Alles nicht. Es ist ihm niemals eingefallen, 3emand zu stoßen; er kann gar nicht stoßen. Angebun­ den ist er eben so wenig, als höchstens an seinen vier Füßen. Julie. Nun, da ist's eine Kunst, da kann er ja frei­ lich nicht von der Stelle. Bat. Das würde ihn doch allein nicht am Stoßen hin­ dern; aber wenn er auch nicht an den Füßen gebunden ist, so geht er doch nicht von der Stelle; er bleibt in sei­ nem Stalle stehen, wo er einmal steht, und rührt sich und regt sich nicht; man müßte ihn denn forttragen. Emmy. Trägt man ihn denn? Er muß recht schwer sein. V a t. Allerdings muß man ihn tragen, wenn er fort­ kommen soll. Aber er ist nicht schwer, er läßt sich leicht forttraqen. Gustav. Wo tragen sie ibn denn hin? Vat. Aus dem Stall auf den Hof; auch wohl zuweilen auf die Straße, und des Abends trägt man ibn wieder in den Stall zurück. Gustav. Da bekommt er dann wohl zu fressen? Vat. Nichts von Fressen. Mein Bock frißt meins.

156 Er hat ntcht emmal einen Zahn, mit welchem er beißen kann. Gustav. Keine Zähne hat er? Vat. Weder Zähne noch Maul. — Aber er dient ei­ nem andern Dinge, welches aus nichts besteht, als auS lauter spitzen, scharfen Zähnen, und Alles zerreißt urrd zer­ beißt. Emmy. Nun, Vater, da werd ich nicht klug daraus. So einen Bock hab' ich niemals gesehen. Vat. Niemals? Ei, ei! Und wir haben selbst ei­ nen solchen Bock; nur ihr thut gar nicht, als ob es et­ was besonderes wäre. — Ihr geht ganz gleichgültig vor­ bei und betrachtet ihn nicht einmal. Ludw. Ein Ziegenbock ist'S nicht! Gustav. Kein Ziegenbock? Vat. Nein, gewiß nicht. Ludw. Wo steht der Bock bei und? Vat. Wo der Bock hingehört! 3m Stalle. Ludw. 3m Holzstalle? Vater, im Holzstalle? Vat. Allerdings — allerdings! — Wo daS Hotz ist, da gehört dieser Bock-------------Emmy und 3ulie. Oh! oh! Nun wissen wlr'S;. das ist der ------------Vat. 3a, ja, aber ihr braucht's nicht zu sagen. Ludw. Und ich hab's schon eher gewußt, wie ich fragte, ob's ein Ziegenbock sei? Vat. Ganz richtig, Du hast es schon gewußt.

Kinder. Vater! das war aber schwer; das war der Sägebock. Vat. 3a, im Anfang, weil ihr blos an den Ziegen­ bock dachtet; aber zuletzt wurde es doch leicht genug, wie ihr erst wußtet, daß es kein Ziegenbock war. — Und vol­ lends nun da, wie ihr vom Holzstalle-------Kinder. 3a da! — Da war eS recht leicht. Da wußten wir's alle. G u st a v. Nun gib uns einmal ein recht leichtes, das ich gleich errathen sann.

157 Bat. Nun so gtb recht Acht, und sinne hübsch nachIch kenne eiye Art Hüte, die man nie auf den Kopf setzt. Gustav. Du meinst die kleinen Hütchen, die an al­ len Ecken spitz sind, und die man — ich kann nur den Namen nicht behalten — Vat. Hör' nur erst weiter. — Der ist es nicht. Diese Hüte nimmt man nicht unter den Arm; man trägt sie nicht in der Hand, man macht sie auch nicht von Filz, nicht von Sammt und Seide, oder anderm feinen Zeuge. Gustav. Aber von Stroh? Vater. Gewiß von Stroh. Vat. Nein, auch nicht von Stroh, gewiß nicht. Man macht ste von Silber, oder Messing, oder Elfenbein, oder Horn. Gustav. Das ist doch eben nicht leicht. Vat. Das macht, Du besinnst Dich nicht recht. — Aber höre nur weiter. Den Hut, den ich meine, setzen nur Frauen und Mädchen auf. Gustav. Setzt ihn die Mutter auch auf? — Und Ka­ roline und Emmy und Julie? Vat. Die Mutter sehr ost — Karoline auch. Emmy schon nicht so ost, und Julie fast gar nicht. Julie. Ei Vater! ich habe auch so einen Hut wie die Mutter; den mit dem rothen Bande. Vat. Ich glaub'S wohl. — Aber Du hast vergessen, daß mein Hut nicht auf den Kopf gesetzt wird. Gustav. Ja, das ist wahr; auf den Kopf nicht. — Aber, wo kann man denn eitlen Hut sonst hinsetzen? Vat. Das ist eben mein Räthsel. L u d w. O Gustav! besinne Dich nur. Wenn sich die Mutter dort an das kleine Tischchen setzt, und die Scheere und - -------------Dat. Halt! halt! — Das ist mir zu deutlich. Emmy. O, es ist so leicht! so leicht! — Wenn ich's nur sagen dürste. Vat. Komm, sag' mir'S heimlich in's Ohr, dann bist Du eS los. Emmy (sagt's dem Vater in's Ohr).

158 V at.

Richtig! — der ist'S.

Gustav und Julie erriethen eS bald hinterher auch« Bat.

Heut'

früh

hab' ich einen König gesehen,

wie

ich im Garten war.

Einen König?

Ludw.

Einen König?

Und Du hast

unS nicht gerufen? Bat.

Wie ich Euch rufen wollte,

alle Berge. — Und

war er schon über

schien mir's weiter auch nicht

dann

merkwürdig. O, einen König hätten wir gern auch gesehen.

Ludw.

Ich möchte wohl einmal einen sehen. Bat. 3a; aber dieser hatte Feinen Stern uud Ordens­

band, kein Gefolge von Köchen, Lackayen, Kutschen und

Pferden. Gustav. Bat.

Aber er ritt doch auf einem Pferde?

Nein, auf einem Pferde ritt er nicht.

gar kein Pferd. Emmy. O! da konnt'

Erhalte

da hättest Du uns wohl rufen können;

er doch so

hurtig nicht über alle Berge sein,

wie Du sagst? Bat.

Ich

sage Dir,

er

war schneller fort,

als ob

er den schnellsten Läufer unter den Pferden geritten hätte.

Kein König wird

je so schnell fortkommen, und wenn er

die besten Pferde nimmt. Julie.

Nun,

so

muß

er

Fuße gelaufen sein. Bat. Wo denkst Du hin!

ganz

entsetzlich

ein König

wird

schnell zu auch zu

Fuße laufen! Ludw.

Nun, das ist mir ein Bischen zu hoch.

Bat. Zu Aber freilich, als

hoch? — daS ist's nun wohl nicht. — mein König ist hoch, und oftmals höher,

alle Könige,

wiewohl er der kleinste unter allen Kö­

nigen ist, und so wenig, daß kein armes Bauernkind ge­ ringer sein kann. Emmy. Das

muß

ein

erbärmlicher König sein, der

nichts zu befehlen hat. Bat. Ja, daS ist wahr; zu befehlen hat er gar nichts.

159 Er fyat nicht Land noch Leute; aber bei alle dem' doch ein großes Gebiet, ein weites Reich, in welchem er um* herzieht. Ludw. Wo wohnt Dein König? Vater, wo hält er sich auf? V a t. Er hat keine Paläste — er wohnt an Bächen und Zäunen. Und wenn's ihm an einem Orte nicht gefiele, so kann er in wenig Tagen hundert Meilen weit weg sein. Julie. O, daS ist gewiß kein ordentlicher König. Vat. Kein ordentlicher König? WaS nennst Du denn einen ordentlichen König? Julie. I nu — so einen — der — der — über die Menschen etwas zu befehlen hat. Vat. Nein, so einer ist's nicht. Es ist gar kein Mensch. Kinder. ES ist kein Mensch? kein Mensch? Vat. Nein, — daran hättet ihr gleich denken müssen. Ein Mensch ist es gar nicht. Emmy. Nun? was ist es denn? Jst's denn ein Thier? Vat. ES ist ein Thier. Kinder. Er kommt schneller fort, als das schnellste Pferd. — Er ist höher, als alle Könige. Ich denke, es kann nur ein Vogel sein. Ludw. Da ist es der Adler; — es kann nur der Adler sein. Das ist der König der Vögel. Vat. Ich hab' aber gesagt: mein König hält sich an Zäunen und Bächen auf. Da hält sich der Adler nicht auf. Ludw. Ein Bachkönig? — Nein, so einen Vogel kenn' ich nicht. Vat. Ich auch nicht.

Aber mein König hält sich an

Zäunen aus. Ludw. Ach! Nun! — Vat. Ja nun! — Nun wissen wir's alle.

34.

Der gute

Heinrich.

Aber Mutter, spricht Wilhelm, Du hast mir einmal lange nichts erzählt. Von einem guten Kinde möcht' id> gern einmal hören.

159 Er fyat nicht Land noch Leute; aber bei alle dem' doch ein großes Gebiet, ein weites Reich, in welchem er um* herzieht. Ludw. Wo wohnt Dein König? Vater, wo hält er sich auf? V a t. Er hat keine Paläste — er wohnt an Bächen und Zäunen. Und wenn's ihm an einem Orte nicht gefiele, so kann er in wenig Tagen hundert Meilen weit weg sein. Julie. O, daS ist gewiß kein ordentlicher König. Vat. Kein ordentlicher König? WaS nennst Du denn einen ordentlichen König? Julie. I nu — so einen — der — der — über die Menschen etwas zu befehlen hat. Vat. Nein, so einer ist's nicht. Es ist gar kein Mensch. Kinder. ES ist kein Mensch? kein Mensch? Vat. Nein, — daran hättet ihr gleich denken müssen. Ein Mensch ist es gar nicht. Emmy. Nun? was ist es denn? Jst's denn ein Thier? Vat. ES ist ein Thier. Kinder. Er kommt schneller fort, als das schnellste Pferd. — Er ist höher, als alle Könige. Ich denke, es kann nur ein Vogel sein. Ludw. Da ist es der Adler; — es kann nur der Adler sein. Das ist der König der Vögel. Vat. Ich hab' aber gesagt: mein König hält sich an Zäunen und Bächen auf. Da hält sich der Adler nicht auf. Ludw. Ein Bachkönig? — Nein, so einen Vogel kenn' ich nicht. Vat. Ich auch nicht.

Aber mein König hält sich an

Zäunen aus. Ludw. Ach! Nun! — Vat. Ja nun! — Nun wissen wir's alle.

34.

Der gute

Heinrich.

Aber Mutter, spricht Wilhelm, Du hast mir einmal lange nichts erzählt. Von einem guten Kinde möcht' id> gern einmal hören.

JöO Nun, antwortet die Mutter, so will ich Dir einmal vom guten Heinrich erzählen. 3st das der gute Heinrich, der auf meinem Bilde steht? frugt Wilhelm. 3ch weiß das nicht gewiß, ob's derselbe ist, antwortet die Mutter. Aber das weiß ich gewiß, daß eö ein eben so guter 3unge ist, wie der aus dem Bilde; und ich glaube beinahe, eö ist derselbe. — Hör' nur einmal. Heinrich hat eine kleine Schwester, die Luise heißt und noch nicht laufen kann; die muß er warten und tragen, wenn die Mutter nicht zu Hause ist, und muß Achtung auf sie geben, daß sie keinen Schaden nimmt. Ist denn der Heinrich schon so groß, Mutter, daß er die kleine Schwester tragen kann? ftagt Wilhelm. 3ch dacht', er wär' noch ein kleiner Junge. Groß, antwortete die Mutter, ist Heinrich gar nicht. Er ist nicht viel größer als Du; aber er ist das gewohnt. Heinrich wartet und trägt das Schwesterchen recht gern. ES wird ihm wohl sauer, dem kleinen 3ungen, aber er thut eS doch recht gern. Die Mutter muß oft einen gan­ zen Tag aus dem Hause sein; da läuft aber Heinrich nicht von der kleinen Schwester fort, um mit andern Knaben zu spielen. Aber, liebe Mutter, wenn nun die Schwester schläft, da kann er doch ein Bischen hinausgehen und mit den andern Kindern spielen. Nein, lieber Wilhelm, da geht er nicht hinaus. Die andern Kinder kommen zuweilen und sprechen: „Geh' mit, Heinrich; die Schwester schläft ja." — „ Nein, sagt aber Heinrich, ich kann nicht mitgehen. Die Mutter ist ja nicht da, und wenn meine liebe Luise aufwacht und mich nicht sieht, so wird sie sehr schreien." Ohl oh! warum geht auch seine Mutter den ganzen Tag lang fort! ruft Wilhelm, da kann ja der arme Hein­ rich nicht spielen. Warum bleibt seine Mutter nicht da ? Kind, seine Mutter ist auch eine arme, arme Frau, wie die auf dem Bilde. Die muß auögehen und arbeiten bei

161 andern Leuten; sonst könnte sie ihren Kindern nicht- zu essen schaffen. — Aber Heinrich braucht darum nicht imiiter in der Stube zu sitzen. Wenn die Schwester aufge­ wacht ist, und es ist draußen hübsch, so trägt er sie hin­ aus vor die Thür, und setzt sich dort mit ihr hin; oder er setzt die Schwester auf die Erde nieder, wenn Alletrocken und rein ist, und sucht ihr bunte Steine und Hölz­ chen. — Und gibt ihr Spielsachen, Mutter, fiel Wilhelm ein, Puppen, Tellerchen, Männerchen. * Nein, fuhr die Mutter fort, Spielsachen kann die arme Frau dem Kinde ja nicht kaufen. Er sucht ihr ein Paar Steinchen, ein Bäumchen, oder einen Grashalm, womit sie ein Bischen spielen kann. Sieh, Mutter, und dann kann Heinrich auch ein Bis­ chen spielen. 3(i, Kind, das thut er auch; aber er sieht immer nach seinem Kinde hin; er läuft gleich aus dem Spiele heraus, wenn es unruhig wird und schreien will. Dann redet er dem Kinde mit freundlichen Worten zu; dann hebt er es auf und trägt's, oder setzt sich hin und spielt mit ihm.— Siehst Du, so macht es Heinrich. Mutter, das ist ein guter Heinrich! — Aber erzähle mir noch mehr.

Heinrich denkt, er hat sein Kind verloren. Einmal ist Heinrichs Mutter einen ganzen Tag nicht zu Hause. Sie hat weit weg gehen müssen. Heinrich wartete seine Luise, und wie es Mittag wurde, da fütterte er die Kleine. Wenn die Mutter auf einen ganzen Tag weg ging, so ließ sie allezeit etwas zu essen da für die Kinder. — Konnte sie, so kam sie des Mittags und kochte den Kindern ein Süppchen, und gab ihnen Brod dazu, oder ein Paar Kartoffeln. Und was denn noch? liebe Mutter, was denn noch? Noch mehr? meinst Du? — Ach, mein lieber Junge, mehr hatte ja die arme Frau nicht. Sie war schon recht froh, wenn sie nur genug Brod hatte, daß die Kinder

III.

11

162J nicht hungern mußten — und ein paar Mal hatten die Kinder hungern müssen. O Mutter, hat denn den (innen Kindern keiner etwas gegeben? Konnten sie denn nicht zu uns kommen? — Ich hätte ihnen mein Mirtagöessen gegeben. Ja, ich glaub' es, mein lieber Wilhelm, Du hättest es ihnen gegeben. Aber hör' nur weiter. Des Tags, wie die Mutter so weit gegangen war, da hatten die Kinder des Mittags satt zu essen, und Heinrich hatte keine Sorge. Zu Abend, dachte er, kommt die Mut­ ter wieder, sie hat es gesagt, und die Mutter bringt das Abendbrod mit. Aber der Abend kam, und die Mutter war noch nicht da; Heinrich trug die Kleine vor die Hausthür und sah immer auf den Weg hin, den die Mutter her kommen sollte. Aber die Mutter blieb aus. Ach! die armen Kinder! rief Wilhelm. Die Mutter wird doch nicht ausbleiben! O sie muß wieder kommen! Ja, sie muß wieder kommen, mein Sohn. Aber ehe sie wiederkommt, hat der arme Heinrich eine große, große Angst. Es wird immer dunkler und immer dunkler, und die Mutter kommt noch nicht. ES wird so finster, daß er nichts mehr sehen kann, und es wird Alles still auf den Straßen, und der arme Heinrich sitzt immer noch mit der kleinen Schwester vor der Thur und wartet mit Angst. Und wenn er einen Fußtritt hört, da denkt er, das ist die Mutter. — Und immer ist's Jemand anders. O Mutter! Mutter! rief Wilhelm, wenn sie doch käme. Mir wird recht angst. Ach, liebes Kind, sie kommt noch nicht. — Der arme Heinrich weiß nicht mehr, was er anfangen soll. Alle Hausthüren sind schon verriegelt, alle Fensterladen sind zu. — Ach, lieber Gott, seufzt Heinrich, ach, wenn die Mut­ ter nicht wieder käme! — ich armes Kind, o, die arme Luise. Sende die Mutter her, lieber Gott, laß sie wieder kommen. Und die Kleine fängt bitterlich an zu weinen. Es hun­ gert sie so sehr. Sie hatte schon lange angesangen zu

163 wimmern, aber Heinrich hatte fie immer wieder beruhigt. Aber jetzt weinte die Kleine laut, und Heinrich weinte auch laut Es hatte ihn sehr gehungert, aber er vergaß seinen Hunger aus Angst über der Mutter Ausbleiben. Heinrich schleicht weinend, mit der Kleinen auf dem Arm, in das dunkle Stübchen zurück; er tappt nach feit wem Bette, er legt sich mit Thränen nieder und nimmt die jammernde Kleine in seinen Arm. Die armen Kinder! Sie schluchzen und weinen noch eine lange Zeit. Aber endlich hat sich die Kleine müde geschrieen, sie wird ruhig, sie schluchzt nur noch einigemal und schläft dann ein. Und Heinrich schläft auch ein. ,Ach Gott Lob, daß sie nun schlafen! sagt Wilhelm. Ja sie schlafen nun, fährt die Mutter fort, und haben keine Angst mehr; aber die Mutter hat desto größere Gingst. In der finstern Nacht ist sie noch unterwegs mib denkt nur an ihre Kinder, die nichts zu essen gehabt haben, und es jammert sie, und sie geht immer stärker imb stär­ ker, um bald nach Hause zu kommen. Mitten in der Stacht kommt sie in ihre Wohnung zu­ rück. Sie denkt die Kinder weinend zu treffen, und trifft sie im festen, süßen Schlaf. — Da freut sich die Mutter. Die Mutter ist recht müde, aber sie legt sich doch nicht nieder. Nein, denkt sie, die Kinder müssen erst essen; Ge­ wiß, es muß sie sehr gehungert haben. — Und sie macht Feuer an und kocht den Kindern Muß von Mehl. Die Kinder schliefen aber fest und merkten es gar nicht, daß die Mutter wieder heim gekommen ist. Der Brei ist fertig. Ganz leise nimmt die Mutter bad kleine Mädchen aus Heinrichs Annen und weckt eS lieb­ kosend auf. Das Kind macht große Augen; eS sieht die Mutter an und streckt die kleinen Hände auS, die Mutter zu streicheln, und'schmiegt sich freundlich an sie an. Und wie freute es sich, als es den Teller mit Essen sah. Mit Hast und Begier nahm es einen Löffel voll nach dem an­ dern, und wollte kaum satt werden. Die Kleine war satt und blieb aus dem Arm der Mitt­

el

164 ter, die sie liebkosete. Die Mutter weckt nun auch den Knaben. Heinrich! ruft sie, und fährt ihm sanft mit den Händen über das Gesicht; wach auf, lieber Junge, wach auf! die Mutter ist da. Heinrich wacht auf, aber nur erst so halb und halb. Heinrich sah noch nichts, er dachte nur an die Schwester. Er greift nach ihr; er hat sie in feinen Armen gehabt und er findet sie nicht. — Wo ist mein Kind! — Wo ist mein Kind? ruft er erschrocken. Hier! mein guter Sohn, sagt seine Mutter, hier ist es, und die Mutter auch. Da wacht der Knabe völlig auf. Er sieht die Mutter, und die Schwester auf ihrem Arm. Er springt mit ei­ nem lauten Schrei aus dem Bette. Er fällt der Mutter um den Hals. Ach Gott Lob, daß Du da bist, und daß die Schwester da ist. Ich war recht erschrocken. Vor Freude dachte er nicht an's Essen. Er war so glücklich, das dieMutter wieder da war, und daß die Schwe­ ster nicht fort war. Erst mußte er ja die Mutter recht lange liebkosen, und nachmals erst aß er etwas. O Mutter! rief Wilhelm, das Essen hätt' ich Dir auch vergessen! O wie freu ich mich, daß die Mutter wieder da ist.

Heinrich lernt stricken. Mutter, sagt Wilhelm, wenn Du noch mehr vom gu­ ten Heinrich weißt, so erzähl' mir es doch. — Und die Mutter erzählt ihm. Es war eine recht schwere theure Zeit, und die armen Leute wußten ost nicht, wo sie Brod hernehmen sollten. Es war alles so theuer, wie jetzt. Ach ja, Mutter, wo die armen Leute zu Dir kommen und bitten Dich, und thun so kläglich. Und Du gibst ihnen dann Brod, Kartoffeln oder Geld. Ja, so eine schwere Zeit war es, und Heinrichs arme Mutter konnte nicht immer so viel verdienen, daß ihre Kinder ganz satt werden konnten.

163 Da saß die arme Frau einmal an ihrem Strickstrumpfe; — denn sie strickte für andere Leute, wenn sie nichts an­ ders thun konnte. — Da saß sie nun und dachte, daß sie kaum so viel verdiente, um nur das trockene Brod zu kaufen. Schon seit vielen Tagen hatte sie nichts gehabt, als eitles Brod, und hatte es nicht einmal satt gehabt. Die Kinder hatten zwar wohl noch nicht gehungert, aber die arme Mutter hatte manchen Abend gehungert, damit sie den Kindern Brod geben konnte. Da saß sie und dachte: Ach Gott! wie soll's nur wer­ den, wenn ich den armen Kindern kein Brod mehr geben kann. — Wenn sie mich so hungrig werden ansehen, und ich habe dann nichts. — Und da wurde der Mutter das Herz so schwer, und sie weinte, und eine Thräne nach der an­ dern fiel aus dem Auge. Heinrich sah die Mutter weinen, und es kamen ihm auch die Thränen. O Mutter, was weinst Du? fragte er wehmüthig. Kind! das verstehst Du noch nicht, antwortete die Mut­ ter, und ihre Thränen brachen viel stärker hervor, Du verstehst es noch nicht. — Es ist alle- so theuer, und ich kann allein nicht so viel verdienen, als wir brauchen. Da stand der gute Heinrich und wußte nicht, wie er die Mutter trösten sollte; Heinrich weinte mit. Ach liebe, liebe Mutter, sagte Heinrich nach einer Weile, könnt ich Dir denn nichts helfen verdienen? O Du guter Sohn! sagte die Mutter recht traurig, und drückte ihn ans Herz. — Aber Du kannst mir nichts hel­ fen, als Luisen warten und tragen; und das thust Du ja. — Ja, wemr Du ein Mädchen wärst, dann könntest Du schon ein Strümpfchen stricken und ein paar Groschen verdienen. Stricken? sagte Heinrich, und sah die Mutter an; Stricken? — O Mutter, ich kann es ja lernen. Ich will es recht gern lernen, liebe Mutter, und ich will recht fleißig 'fein. — Zeig eS mir nur. Fester drückte die Mutter den Knaben an sich, und da er seine Bitte wiederholte, so versprach sie ihm, ihm stri­ cken zu lehren.

166 3n wenigen Lagen hatte es Heinrich gelernt, deyn er gab genau Achtung. Ar acht Lagen strickte er fertig, und in einigen. Wochen hatte er schon mehr als ein Paar Strümpfe gestrickt, und mit jedem Pgare zwei Groschen verdient. Heinrich strickte recht fleißig, und die Mutter brauchte es ihm nicht erst zu heißen; aber sie mußte ihm ost sagen: Sinn höre aus, mein Kind, nun ist's wirklich genügt denn Heinrich strickte immer und immer, um der Mutter verdienen zu helfen, und spielte saft gar nicht mehr, und ging auch später zu Bette. Und wenn die Mutter ihn abhalten wollte, dann sagte Heinrich; Ach Mutter! es wird Dir ja so schwer! Ich muß Dir ja helfen, Du hast ja sonst niemand. L) Du lieber Junge, dachte die Mutter dann, Gott laß cs Pip wohl gehen!

Mutter, sagte jetzt Wilhelm, ich will Dir auch helfen, wenn ich kann. Sage mir, kann ich Dir helfen? Sletn, antwortete die Mutter, ich brauche, Gott Lob, Dei­ ner Hülfe nicht. Mer wenn Du mir so viel Freude machen willst, Ivie Heinrich seiner Mutter, so lerne nur fleißig Alles, was gut ist; das ist mir eben so lieb. 3a, Mutter, ich will's recht gern lernen, sagte Wilhelm. Und wenn's noth ist, so sag' es nur, da ferne ich auch stricken. Aber Mutter! Nun, mein lieber Wilhelm, was willst Du mir denn noch sagen? Ach Mutter, sprach Wilhelm, stehst Du, rvenn's Stricken nkcht so nöthig ist, da möcht' ich's nicht gern lernen. Aber Sohn, fragte die Mutter, wenn ich nun ann würde? wenn ich für Euch nun auch mit Stricken das Brod ver­ dienen müßte? Mutter, sprach Wilhelm, da lern' ich es. Gewiß, da helf ich Dir, und da will ich so fleißig sein, wie Heinrich.

167 Heinrich sorgt für die Schwester. Vkrttert spricht Wilhelm freundlich, nun weißt Du wohl nichts mehr vom guten Heinrich? Nein, antwortete lächelnd suchten diese bösen Gäste auf. Ein Wolf kam ihnen bald zu Ge­ sichte ; da legte ein Jäger seine Flinte an und drückte sie los. Es ging Puff! da lag der Wolf und stahl nun mehr kein Schaf, kein Lamm von einer Heerde. Doch, ein Paar Wölfe blieben noch am Leben, und strichen in der Gegend herum. Die jungen Wanderer erzählten sich von Wölfen.') Ein kleiner Mann kam zu Herrn Hill, der auch mit ge*) Die Mutter, welche ähnliche Reisen erzählen will, kann dabei gebrauchen: Löhr' 6 : Ludwig und seine Gespie­ len, oder: Leichte Uebungen für Verstand und Herz. Von 19 Thieren ist hier etwas erzählt. Auch lassen sich die andern Scherze dieses Buchs wohl in eine Reise verflechten.

176 gangen war, und sagte; Herr Hill! hast Du schon einen lebendigen Wolf gesehen? Schon mehr als einen, erwiedert Herr Hill; und Du, mein Kind? Ich habe noch keinen gesehen, antwortete der kleine Mann. Wie sieht er aus? Herr Hill. Hast Du schon einen großen Schäfer­ hund gesehen? Der kleine Mann. Schon mehr als einen. Herr Hill. Beinahe so sieht auch der Wolf aus> nur ist er größer, hat lange graue Haare und steht wild, recht wild aus, wie mancher Mensch, der zornig ist. Der kleine Mann. Was frißt er wohl am liebsten? Herr Hill. Kann er ein Lamm oder ein Schaf von einer Heerde bekommen, so fteut er sich so sehr, als Du, wenn Du ein Stück Pflaumenkuchen bekömmst. Der kleine Mann. Herr Hill! Herr Hill! Herr Hill. Doch schmeckt dem Wolf auch daS Fleisch der Kühe, Pferde und Hunde gut. Und es darf eben nicht frisch sein; eS bekommt ihm auch wohl, wenn eS schon stinkend ist. Der Wolf hat einen scharfen Geruch, und viele hundert Schritte weit riecht er sehr gut seine Nahrung, gerade wie Du, »kleiner Mann, auf Deiner Stube den Kuchen riechst, der noch im Ofen stebt. Der kleine Mann. Herr Hill! Herr Hill! Herr Hill. Der Wolf hält sich nur in kalten Län­ dern auf, in Rußland, Pohlen, auch in den kalten Ge­ genden von Ungarn, die bei Pohlen liegen. Er streicht oft in Gesellschaft auf Bergen und in Wäldern herum, und bekömmt er ein Pferd, einen Ochsen, eine Kuh, oder ein Schaf, dann fällt er das arme Thier mit seinen spitzen scharfen Zähnen an, beißt es todt und frißt es auf. Auch mit dem größten Fleischerhund nimmt er es auf, packt ihn an dem Rachen und macht ihn kalt. Deswe­ gen bindet man den großen Hunden um ihren Hals ein eisernes Band mit spitzen Stacheln. Packt sie ein Wolf dann an, so stechen ihn die Stacheln und er ver­ liert allen Appetit nach dem Hunde.

1773ii vielen Gegenden sind die Wölfe sehr kühn. Wenn cd sehr kalt ist und sie können in dem freien Felde nichts zu fressen bekommen, so machen sie den Schafen und den Kühen in den Ställen Besuch. Der kleine Mann. Ei! ei! die bösen Wölfe. Herr Hill. Sie laufen ost im Dorfe herum wie die Hunde. Der kleine Mann. In einem solchen Dorfe möcht' ich nicht wohnen. Thun sie den Menschen nichts? Herr Hill. Die Menschen bleiben hübsch in ihren Stuben und lassen die Wölfe draußen herum laufen. Die Wölfe sollen sich, sagt man, vor den Menschen fürchten, besonders wenn sie bei ihnen Feuer sehen. Denn vor dem Feuer fürchtet sich der Wolf gar sehr. Doch, ist der Winter gar zu hart, und sind die Wölfe dazu hungrig, so fallen sie vor Hunger auch die Menschen an. Da weiß ich ein Geschichtchen. Der kleine Mann und noch viele andere baten Herrn Hill, das Geschichtchen zu erzählen. Herr Hill erzählte folgendes: In Pohlen war einmal ein harter Winter. Da liefen die hungrigen Wölfe in den Dörfern herum, heulten und nahmen mit sich Hunde, Gänse, Enden, Schafe. Die, fraßen sie. Zwölf Personen aus Pohlen, fünf Männer und sieben Frauen, mußten in diesem harten Winter eine Reise ma­ chen. Sie kamen in ein Wirthshaus, das im Walde stand. Der Abend war angekommen, es wurde immer dunkler und dunkler, und endlich ganz Nacht. Soll ich eine Streu machen ? fragte der Wirth die zwölf Reisenden. Nein! sagten sie, wir wollen noch weiter. Der Mond wird scheinen und da läßt sich's gut reisen. O, gehet, lieben Freunde! nicht weiter, sagte der Wirth, eS ist jetzt gar gefährlich; die Wölfe streichen heerdenweis im Walde herum und machten mir schon dreimal Nacht­ musik. Doch die Reisenden wollten nicht bleiben. Wir müs-

III.

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178 fm morgen Mittag zu Hause fein, sprach eine junge Frau. Ach! wie wird sich mein Andreas und mein Jakob freuen, wenn sie mich wieder sehen. Ein Mann sagte: Meine Frau und meine Kinder werden mich schon mit Schmer­ zen erwarten. Wir müssen fort, sonst kommen wir Mor­ gen zu Mittag nicht nach Hause. Adieu! adieu! Herr Wirth. Wir wünschen ihm eine gute Nacht und keine Nachtmusik. So sprachen die Reisenden und gingen ab. Am andern Tage ging der Wirth im Wald spatzieren, und als er an einen Platz kam, fiel er vor Schrecken beinahe zu Boden. Er fand Stücke von Kleidern, halbe Stiefeln, hie und da einen Hut, auch lagen Knochen, halbe Beine, Hände, Rippen und zerfressene Köpfe herum. Auch sah er im Schnee die Spuren von etlich zwanzig Wölfen. Er schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und jammerte. Doch es half nichts. Die armen zwölf Reisenden, die sich schon so sehr auf daö Wiedersehen ihrer Weiber, Männer und Kinder gefteut hatten, waren nun dahin, waren eine Speise der Wölfe geworden. Die armen Menschen! sagten Alle, die Herrn Hill zuge­ hört hatten. Die armen Menschen! Sag' mir, Herr Hill, sprach darauf der kleine Mann kann man die Wölfe sich nicht vom Halse schaffen? Herr Hill. Daran läßt man es nicht fehlen. In vielen Gegenden, wo sonst sehr viel Wölfe heulten, wird man jetzt keinen einzigen mehr finden. Und da, wo eS noch welche giebt, bringt man gar viele um's Leben. Man macht es so. Es wird vor dem Dorfe oder vor der Stadt eine tiefe Grube gegraben; über diese Grube macht man ein Dach von Bretern und schüttet Erde darauf, daß man es nicht bemerkt. Blos zwei kleine Löcher läßt man. In die Grube trägt man Stroh, und es sieht darin aus, wie in einer Stube, nur daß sie nicht schön ist. Das beißt man dann eine Lauergrube. Zehn oder zwanzig Schritte von dieser Lauergrube läßt man Fleisch hinfahren. Ist nun der Winter da, und scheint in

179 der Nacht der Mond, so gehn des Abends zwei oder noch mehrere Jäger in die Lauergrube, sind mäuschenstill und lauern, ob kein Wolf herbeigeschlichen kommt. Oft kom­ men tnehr als zehn. Da legt der Jäger seine Flinte an, zielt und drückt ab. Hat der Jäger gut gezielt und schießt die Flinte gut, so purzelt gewiß der Wolf zu Boden. Die andern nehmen Reißaus. Der Jäger springt nun aus der Lauergrube mit einem dicken, dicken Knüttel, und schlägt damit den Wolf ganz todt, wenn ihn die Kugel noch nicht völlig getödtet hat. Dann schleppt er ihn zur Lauergrube und am andern Tage läßt er ihn nach Hause fahren, wo ihm das Fell abgezo­ gen wird, für welches man fünf bis zehn Thaler zahlt. Der kleine Mann. Ich möchte dabei sein, wenn das Thier zur Erde stürzt und nicht mehr beißen kann. Herr Hill. Doch auch lebendig fängt man hie und da Wölfe. Der kleine Mann. Herr Hill! Herr Hill! da bin ich nicht dabei. Herr Hill. Hör mich nur an. Man gräbt sehr tiefe Gruben, und legt darauf dürre Reiser. In der Mitte steht ein langer Pfahl; an diesen bindet man ein Stück Fleisch, oder noch besser, eine lebendige Gans oder Ente. Kommt nun eilt Wolf, so flattert die Gans oder Ente und er glaubt, sie wolle fortfliegen. Nun springt er, was er springen kann, daraus los und patsch! da liegt er in der Grube und kann nicht, hinaus. Der kleine Mann. Hahaha! Da hast bu’d, Herr Wolf. Herr Hill. So fängt man auch die Bären. Dabei fällt mir wieder ein Gcschichtchen ein. Soll ich's erzählen? Alle. O ja! o ja! H e r r H i l l. In einem Walde war eine Bärengrube. In diese fiel ein feister Bär in einer fniflmi Nacht hin­ ein. Darauf kam ein Mann, der auf der Geige spielt, man heißt ihn Musikant. Der Musikant trug auf dem Rücken eine Baßgeige. In seinem Kopfe war es nicht richtig. Er hatte ein Glas zu viel getrunken. Drum

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180 verlor er den richtigen Weg und taumelte im Walde herum; er taumelte und taumelte und kam auch an die Bären­ grube, und fiel — o weh! — hinein. Er fand darin ei­ nen unhöflichen Stubengesellschafter; denn der Bär fing an zu brummen, und wollte ihn mit seiner breiten Tatze streicheln. Der Musikant schwitzte vor Angst, nahm schnell seine Baßgeige vom Rücken, fing an, einen polnischen Tanz zu geigen. Das gefiel seinem Stubenkameraden so wohl, daß er die Tatze gleich zurückzog. Wenn der Bär den Musikanten dann wieder anbrummte, so fing dieser nur gleich an, auf der Baßgeige zu spielen, und der Brummer wurde wieder still. Sim zweiten Tage ward der Mann mit der Baßgeige herausgezogen und der Bär blieb auch nicht drinnen. Ich kann es Euch nicht sagen, ob sich das wirklich zu» getragen. Was meint Ihr? kann man's wohl glauben? Die Zuhörer sagten ihre Meinung, und unter solchen Gesprächen kamen die Reisenden dem Orte immer näher, wohin Herr Herbst sie führen wollte. Als Herr Herbst mit seiner Gesellschaft aus dem Walde kam, durch welchen man ging, hörte man ein großes Ge­ klopfe. Es ging: Poff! — Poff! — Poff! — Da zupfte Ernst den Vater bei dem Rock und fragte: was hat das zu bedeuten? Vater. Das sollst Du bald sehen, sagte Herr Herbst. Es dauerte nicht lange, so stand man vor einem Hause. Es floß ein Bach vorbei, und in dem Hause brannte ein großes Feuer. Herr Herbst ging in das Haus und fragte den Aufse­ her desselben, ob er wohl mit seinen Kindern hereinkom­ men dürfe. Der Aufseher war ein gefälliger Mann und sagte: ja. Da marschirte Alles, groß und klein, in das Haus. In diesem Hause sah man ein Gemäuer, auf welchen ein großes Feuer brannte. Das Feuer wurde von einem gewaltig großen Blasebalg angeblasen. Sich'! steh'! sagte Wilhelm zu Franz, das ist dir ein

181 Blasebalg! der ist ein-Bischen größer als der, mit dem wir das Feuer im Ofen anblasen. Der Blasebalg ward von einem großen Rade bewegt und dieses Rad vom Wasser getrieben.

Ein großer starker Mamr trat zu dem Gemäuer, wo das Feuer brannte. Der Mann war noch einmal so groß, als Franz und noch einmal so dick, als Wilhelm. Dieser große, dicke Mann nahm ein großes, dickes Stück Eisen und legte es in das Feuer.

Nach einer Weile nahm der dicke Mann das Stück Eisen aus dem Feuer, nicht mit bloßen Händen, sondern mit einer Zange. Das Eisen war glühend, und niemand hatte Lust, es anzugreifen. Der große Mann trug das rothe Eisen auf den AmboS. Ueber dem AmboS hob sich ein mächtig großer Hammer in die Höhe, dann fiel er nieder auf das glühende Eisen. ES ging: Poff! und viele Feuerfunken sprühten um den AmboS hemm. Franz hielt sich die Hand vor das Gesicht und lief davon, weit von dem Ambos hinweg.

Auch dieser große Hammer, den gewiß Franz, Emst und Wilhelm zugleich nicht hätten heben können, ward von einem Wasserrade in Bewegung gesetzt. Franz kam zu Herrn Herbst und guckte ihm hinauf in'S Gesicht und fragte: Vater, wie heißt das Haus? Das ist ein Eisenhammer, mein Kind, antwortete Herr Herbst. Als die Reisenden Alles gesehen hatten, ging Herr Herbst zu dem Aufseher über den Eisenhammer und dankte ihm für seine Gefälligkeit; dann gingen sie weiter. Als man einige hundert Schritte weiter war, kam man in eine kleine Stadt. Herr Herbst kehrte mit der Reise­ gesellschaft in einem Gasthose ein und bestellte ein MittagSessen. Denn alle waren schon hungrig. Da aber das Essen etwas lange ausblieb, sagte Herr Herbst: Komntt, lieben Freunde! wir wollen noch ein wenig auSgehen und etwas besehen. Und nun ging's fort. Die Reisenden kanten in ein Gebäude, wo sie viele

182 schöne Thiere fanden, über die sich Alle freuten. ES waren Pferde. Wohl über hundert waren cs. Das war gar ein herrlicher Anblick für die größern und klei­ nern Männer. Die Pferde waren alle rein geputzt und glänzten sehr. Eines war schöner als das andere. Ein jedes Pferd hatte seinen eignen Stall, der viel reinlicher aussah, als manche Stube, in welcher Kinder wohnen, die die Reinlichkeit und Ordnung nicht lieben.

An jedem Stalle war der Name des Pferdes angeschrie­ ben; denn jedes hatte einen Namen. Das eine hieß Alerander, das andere Bucephalus, das dritte Diana, daS vierte Sirius n. s. w. Die größern und kleinern Männer bewunderten die schö­ nen schlanken Thiere, und jeder sagte, welches ihm am besten gefiele.

Die vielen schönen Pferde gehörten einem großen Herrn, dem auch die kleine Stadt und ein ganzes Land gehörte. So einen Herrn heißt man einen Fürsten, und ein Ge­ bäude, worin so viele Pferde sind, einen Marstall. Als die Reisenden alle Pferde gesehen und bewundert hatten, sagte Herr Herbst: nun gehen wir in unser Quartier.

Ms man in dem Wirthshause angekommen war, setzte man sich zu Tische. O wie schmeckte nach dem Marsche das Essen. Als man sich satt gegessen hatte, sagte Herr Herbst: Wir wollen in einer halben Stunde einen braven Mann besuchen, bei dem wir manche artige Sachen sehen werden. Darüber freuten sich Alle. Herr Herbst schickte zu diesem Manne einen Bedienten mit) ließ ihn fragen, ob er ihn wol mit seiner Gesell­ schaft auf ein halbes Stündchen besuchen dürste? Der Mann ließ Herrn Herbst sagen, er sollte nur fmmen, er werde ihm willkommen sein. Als sie hinkamen, empfing der Mann die großen und kleinen Gäste sehr höflich und führte sie in ein großes Zimmer.

183 Ah! sagten viele, als sie in das Zimmer traten und die Sachen sahen, die darin aufgestellt waren. Da gab es eine Menge Vögel, die in Deutschland und auch ei­ nige, die außer Deutschland lebten. Die Vögel waren gar nicht wild und flogen nicht von der Stelle, als so viele Personen in die Stube traten; denn es waren nur ausgestopste Vögel.

In einem andern Zimmer fanden die Reisenden nicht nur Vögel, sondern auch ausgestopste vierfüßige Thiere. Unter andern war auch ein Fuchs darunter, mit seinen langen haarigtem Schwänze. In seiner Schnauze hielt er eine Taube, denn die Tauben schmaust er so gern, wie viele Kinder die Eierkuchen. Ernst! Ernst! sieh dock einmal her, sagte Wilhelm und zog seinen Kameraden herbei. Er zeigte ihm in ei­ nem Winkel ein ausgestepstcs Eichhörnchen. ES sah allerlkebst aus. Das Eichhörnchen saß auf den Hinterbei­ nen und in den Vorderpfoten hatte es eine Haselnuß, die es gern frißt. Der lange Schwanz war in die Höhe gerichtet. Das machte Allen vielen Spaß.

Der Mann, dem dies Alles gehörte, zeigte den Reisen­ den auch noch kleine Stücke von verschiedenem Holze und allerhand seltene Wurzeln. Alles hatte sich dieser Mann allein gesammelt und die Vögel und die vierfüßigen Thiere selbst ausgestopft.

Als die Reisenden Alles besehen hatten, dankte Herr Herbst recht freundlich dem gefälligen Manne, der chnen Alles gezeigt hatte, und nun ging's weiter. Herr Herbst führte seine Reisegesellschaft auch in eine Mühle, wo Bretter gemacht oder geschnitten wurden. Man hcißt eine solche Mühle eine Säg- oder Schneidemühle. Hier fand man eine große Säge, die aufrecht stand, scharfe spitze Zähne hatte und von einem Wasserrads be­ wegt wurde. Sie ging auf und ab, blieb aber immer auf einer Stelle. An dieser Säge liegt ein Stück von einem Baume, dessen Aeste abgehauen worden sind. Wenn die Säge sich bewegt, bewegt sich auch dieser Baum, der

184 der Länge nach auf dem Boden liegt. Er wird durch Räder immer weiter geschoben, und von der Säge in mehrere Theile zerschnitten; diese Theile nennt man dann Bretter. Als man die Sägemühle genug besehen hatte, ries Herr Herbst: Sammelt Euch! stellt Euch! richtet Euch! Alle standen im Miede. Herr Herbst sah nach, ob niemand verloren gegangen fei, und als kein einziger fehlte, sagte Herr Herbst: 9hm marschiren wir rechts, immer unserm Hause zu. Die Sonne senkte sich immer tiefer und der Abend war nicht weit. Die Reisegesellschaft war lustig, warf sich mit Schneekugeln und sang. Man kam durch ein paar Dörfer, wo man sich aber nicht aufhielt.

Als man schon eine gute Weile gegangen war, hieß eS: wenn wir noch eine gute Stunde tüchtig daraus los gehen, fo sind wir zu Hause. Man kam an einen Graben, über den gesprungen wer­ den mußte. Karl, der größte, machte den Anfang. Hopp! ging's, und die andern folgten ihm nach. Ernst, der größere, der etwas untersetzt war, wollte auch einen Hopp! machen. Aber sein Fuß glitschte aus und patsch! da lag er im Bache. Das Eis brach ein, und Emst der dicke, stand bis an den Bauch im Wasser.

Was war zu thun? Ernst machte ein klägliches Ge­ sicht; aber das hals nichts. Herr Hill kam zu ihm und sagte: Wenn Du nicht ersrierm willst, Ernst, so nimm Dich zusammen und lauf mit mir, was Du kannst, da­ mit Du immer hübsch warm bleibst. Hierauf nahm HerrHill Ernsten bei der Hand und galoppirte mit ihm im»ner vorwärts. Ernst hielt sich wacker, er marschirte drauf los, daß Herr Hill seine Freude daran hatte. Die übrigen blieben weit, weit zurück. Warte nur noch ein klein wenig, Emst, sagte Herr Hill, es dauert nicht lange, so sind wir zu Haufe; da kleidest Du Dich frisch an, wärmst Dich am Ofen, und

185 die andern sind lange noch nicht da. Wenn sie dann kommen, wollen wir ihnen entgegen laufen und rufen' Aha! Wir find doch eher zu Hause, als ihr^

Herr Hill und Ernst kamen in einen dicken, finstern Wald. Es war ganz still, der Mond ging auf und guckte durch die Bäume auf die zwei Wanderer. Kein Mensch begegnete ihnen. Auf einmal hörten fie hinter zfich ein hau! hau! Sie sahen sich um und erblickten — den treuen weißen Spitz, der ihnen nachgelaufen kam, und gar freundlich zu ihnen sprang und mit seinem Schwänze wedelte.

Man ging und ging und kam noch immer nicht aus dem dicken, finstern Walde. Herr Hill rief, und Ernst rief auch; sie riefen: Herr Herbst! Herr Herbst! herbei! herbei! wir sind hier! wir sind hier! Doch, sie bekamen keine Antwort. Man war nun schon über eine Stunde marschirt, und noch immer war man in dem schauerlichen Walde. Nun sah Herr Hill wohl ein, daß sie den rechten Weg verfehlt und sich verirrt hatten. Endlich kamen sie an ein Dorf. Sie sahen einen jun­ gen Mann aus dem Dorfe und fragten ihn, wie der Ort hieße ? Der junge Mann sagte es ihnen. Da machte Herr Hill große Augen. Denn auf dieses Dorf wollte er nicht kommen. Er hatte sich fast eine Stunde weit verirrt. Der junge Mann erbot sich, den Wanderern den Weg zu zeigen, auf dem sie am kürzesten nach Hause kommen könn­ ten. Man kletterte über einen kleinen Berg und watete durch tiefen Schnee. Nun ging der junge Mann in's Dorf zurück. Herr Hill dankte ihm recht herzlich für seine Dienstfertigkeit, und nun gingen sie rasch vorwärts.

In einer halben Stunde waren die verirrten Wanderer zu Hause. Die andern waren schon lange da; sie kamen vergnügt Herrn Hill und Ernsten entgegen gesprungen und riefen: endlich seid ihr einmal hier. Ihr habt uns viel Angst gemacht. Wir riefen in dem Walde. Doch Ihr habt unS nicht gehört. Auch Herr Herbst kam herbei

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und sagte; willkommen ihr zwei Wanderer! es waS mir bang' um Euch. Ich wollte Euch schon suchen lassen. Ernst war munter, zog sich frisch an, und der Reis­ brei, der zum Abendessen aufgetragen wurde, schmeckte ihm herrlich.