Die Mose-exodus-tradition in Den Korintherbriefen: Schriftrezeption Und -verarbeitung 'zwischen Den Welten' (Studies in Education and Religion in ... and Its Environs) (German Edition) 3161600657, 9783161600654


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German Pages 560 [610] Year 2023

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Table of contents :
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Titel
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Zur Rezeption und Verarbeitung der Schrift
1.2 Zur Frage nach Bildung und Bildungsprozessen
1.3 Zur Mose-Exodus-Tradition
1.4 Zu 1 Kor 10 und 2 Kor 3
2 Zur Orientierung: Anlage und Vorgehen
2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm („Erkundung“ und „Skalierung“)
2.1.1 Intertextualität – ein Begriff und ein Problem
2.1.2 Zur textanalytischen Rekonstruktion von Intertextualität
2.1.2.1 Das Modell
2.1.2.2 Sender und Leserschaft
2.1.3 Die konkreten, intertextuellen Rahmenbedingungen
2.1.3.1 Entfaltung der kommunikativen Situation zur Autorenseite hin
2.1.3.2 Entfaltung der kommunikativen Situation zur Seite der Leserschaft hin
2.1.3.3 Zur Textgattung der Bezugstexte
2.1.4 Fazit und Ausblick
2.2 Zur thematisch-strukturellen Analyse (gedankliche „Kartierung“ A)
2.2.1 Thema und Funktion
2.2.2 Akteure und Inventar
2.2.3 Stil und Betonung
2.2.4 Verknüpfung auf der Textoberfläche
2.2.5 Fazit und Ausblick
2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B)
2.3.1 Gängige Ansätze rhetorischer und argumentativer Analyse
2.3.1.1 Klassische Rhetorik
a Darstellung
b Nutzen und Operationalisierbarkeit
2.3.1.2 Die nouvelle rhétorique nach Chaïm Perelman und Lucie Olbrechts-Tyteca
a Darstellung
b Nutzen und Operationalisierbarkeit
2.3.1.3 „Socio-rhetorical Interpretation“ nach Vernon K. Robbins
a Darstellung
b Nutzen und Operationalisierbarkeit
2.3.1.4 Argumentationsanalye nach Josef Kopperschmidt
a Darstellung
b Nutzen und Operationalisierbarkeit
2.3.1.5 Pragma-dialektische Analyse nach Frans van Eemeren und Rob Grootendorst
a Darstellung
b Nutzen und Operationalisierbarkeit
2.3.2 Vorschlag eines Vorgehens zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse
2.3.2.1 Die Frage nach dem kategorialen Rahmen rhetorisch-argumentativer Äußerungen
2.3.2.2 Die Frage nach der Argumentationsebene
2.3.2.3 Die Frage nach der argumentativen Bewegung und argumentativen Mustern
2.3.2.4 Die Frage nach dem globalen Gedankengang
2.3.3 Fazit und Ausblick
3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22
3.1 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang des Götzenopferfleischdiskurses 1 Kor 8,1–11,1
3.1.1 Die Stellung von 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang
3.1.1.1 Überblick über den Gedankengang 1 Kor 8,1–11,1
3.1.1.2 Vier Argumentationsmuster (Volker Gäckle)
3.1.1.3 Zwei Argumentationsebenen (J. Smit und andere)
3.1.1.4 Die verbleibende Aufgabe
3.1.2 Textabgrenzung
3.1.2.1 9,24–27 als Übergangs- und Einleitungsabschnitt zu 1 Kor 10,1–22
3.1.2.2 Die Zusammengehörigkeit von 10,1–13 und 10,14–22
3.1.2.3 10,23–11,1 als Abschluss des Großabschnitts 8,1–11,1
3.2 Die intertextuelle Erkundung: Desintegrationssignale und Möglichkeiten der Digression
3.2.1 Überblick über explizite intertextuelle Markierungen
3.2.2 Durchgang durch den Text unter Berücksichtigung auch schwächerer Desintegrationssignale und möglicher biblischer Bezüge
3.2.2.1 9,24–27
3.2.2.2 10,1–2
3.2.2.3 10,3–4
3.2.2.4 10,5
3.2.2.5 10,6
3.2.2.6 10,7
3.2.2.7 10,8
3.2.2.8 10,9
3.2.2.9 10,10
3.2.2.10 10,11
3.2.2.11 10,12
3.2.2.12 10,13
3.2.2.13 10,14–17
3.2.2.14 10,18–20
3.2.2.15 10,21
3.2.2.16 10,22
3.2.3 Potentielle Bezugstexte, ihr Verhältnis zueinander und zu 1 Kor 10
3.2.3.1 Die Erzählung vom Bundesbruch Ex 32
3.2.3.2 Die Wüstenwanderungserzählungen nach Ex und Num
a Passa und Aufbruch aus Ägypten Ex 12,1–42
b Wolken- und Feuersäule nach Ex 13,17–22
c Die Rettung am Schilfmeer nach Ex 14
d Wasser in Mara nach Ex 15,22–27
e Die Speisung mit Manna Ex 16
f Wasser aus dem Felsen nach Ex 17,1–7
g Aufbruch vom Sinai Num 10
h Die Gräber des Begehrens Num 11
i Das Murren in Num 14
j Das Kultvergehen Num 16
k Num 20,1–13; 21,16–18 und die Tradition vom nachfolgenden Felsen
l Die Schlangenplage Num 21,4–9
m Der Götzendienst Num 25
3.2.3.3 Rückblicke auf die Wüstenzeit in Dtn
a Moselied Dtn 32
b Der gedankliche Zusammenhang Dtn 6–9
3.2.3.4 Exodussummarien und -rückblicke in den Psalmen und Neh 9
a Ps 78(77)
b Ps 81(80)
c Ps 95(94)
d Ps 105(104)
e Ps 106(105)
f Bußgebet Neh 9
g Zusammenfassung
3.2.3.5 Exodusrückblicke in der weisheitlichen Literatur
a Sap 10–15
b Sap 16–19
c Sir 15,3 und Prov 9,1–6
3.2.3.6 Die heilszeitliche Exodusdeutung der Propheten
3.2.4 Zusammenfassung und Ausblick auf den Lektüreschritt der Reintegration
3.3 Gedankliche Kartierung: Thematisch-strukturelle Analyse
3.3.1 Thema und Funktion
3.3.1.1 Vergleich von 9,24–27/10,1 und 10,21–22
3.3.1.2 Ort im Argumentationszusammenhang
3.3.2 Erhebung der Akteure
3.3.2.1 Die vorherrschenden Personenkonstellationen
3.3.2.2 Die Handlungsträger in 9,24–27
3.3.2.3 Die Handlungsträger in 10,1–11
3.3.2.4 Die Handlungsträger in 10,12 und 10,13
3.3.2.5 Die Handlungsträger in 10,14–22
3.3.2.6 Thematischer Abgleich
3.3.3 Erhebung des semantischen Inventars
3.3.3.1 Analyse wiederkehrender Begriffe und verwandter Wortfelder
a Verben geistiger und sprachlicher Tätigkeit
b Begriffe und Bilder aus der Sportwelt, Selbstkontrolle und Begierde
c jeder/alle/alles; einige/viele (die Gesamtheit/Teilmengen einer Gruppe)
d Aufforderungen zum Unterlassen einer Tätigkeit/Warnungen
e Essen/Trinken
f Verbundenheitsbezeugungen
g Vernichtungsaussagen
h Typos- und ????apta?-Aussagen
i Götzendienst
j stehen/setzen/fallen
k Versuchung
l Vermögen
m Gemeinschaft/Anteilhabe
3.3.3.2 Übersicht über semantische Linien und thematischer Abgleich
3.3.3.3 Segmentierung anhand begrifflicher Verdichtungen und markanter Wiederaufnahmen
3.3.4 Stil und Betonung
3.3.4.1 Allgemeine stilistische Merkmale
3.3.4.2 oral patterns und verwandte Strukturen und Markierungen
3.3.4.3 Thematischer Abgleich
3.3.5 Verknüpfung auf der Textoberfläche
3.3.5.1 Gestaltung von Textübergängen
a Metakommunikative Ausdrücke
b Summierende anaphorische Verweise (Substitutionen auf Metaebene)
c Verknüpfende Partikeln
d Hierarchisierung
3.3.5.2 Zusammenführung der Beobachtungen zum Aufbau von 1 Kor (9,24–27)10,1–22
3.3.5.3 Verknüpfung durch die Wiederaufnahme von Akteuren, Begriffen und Motiven und thematischer Abgleich
3.4 Gedankliche Kartierung: Rhetorisch-argumentationslogische Analyse
3.4.1 9,24–27
3.4.1.1 9,24 f.: Der Wettkampf als Bild für das christliche Leben
3.4.1.2 9,26 f.: Paulus vorbildlicher Einsatz
3.4.1.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
3.4.2 10,1–5
3.4.2.1 10,1–4: Das Erleben „unserer Väter“ im Guten …
3.4.2.2 10,5: … wie im Schlechten
3.4.2.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
3.4.3 10,6–11
3.4.3.1 10,6: Die Väter als t?p?? des Begehrens
3.4.3.2 10,7–11: Die Lehre aus den Verfehlungen der Väter
a 10,7 f.: Götzendienst und Sexualsünde
b 10,9 f.: Christus versuchen und murren
3.4.3.3 10,11: Die Warnung am Wendepunkt der Zeiten
3.4.3.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
3.4.4 10,12 f
3.4.4.1 10,12: Warnung vor falscher Sicherheit
3.4.4.2 10,13: Gottes rettende Treue
3.4.4.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
3.4.5 10,14 f
3.4.5.1 10,14: Die zentrale Aufforderung
3.4.5.2 10,15: Der Appell an die Urteilskraft der Adressaten
3.4.5.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
3.4.6 10,16 f
3.4.6.1 10,16: ???????a durch Kelch und Brot
3.4.6.2 10,17: Die Einheit der Gemeinde in der Exklusivität ihrer Gottesbeziehung
3.4.6.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
3.4.7 10,18–20
3.4.7.1 10,18: Der neuerliche Verweis auf die Wüstengeneration
3.4.7.2 10,19–20a: Götzenopfer ist Dämonenopfer
3.4.7.3 Zusammenfassung und Aufschlüsselung der Argumentation
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
3.4.8 10,20b–22
3.4.8.1 10,20b: Der Wunsch des Paulus
3.4.8.2 10,21: Dämonen- und Herrenmahl schließen sich gegenseitig aus
3.4.8.3 10,22: Vereindringlichung
3.4.8.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
3.4.9 Übersicht über Ziel und Gang der Argumentation
3.5 Die intertextuelle Skalierung: Möglichkeiten intertextueller Digression und Reintegration
3.5.1 Möglichkeiten intertextueller Digression und Reintegration
3.5.1.1 Die kommunikative Funktion des expliziten Zitats in 10,7
3.5.1.2 Die Exklusivität des Bundes und Dtn 32
3.5.1.3 Christus, die Einheit Gottes und das Grundbekenntnis Israels
3.5.1.4 Theologische Deutungen des Exodusgeschehens
3.5.1.5 Die Gestalt des Mose
3.5.2 Funktion der Schriftbezüge
3.5.3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor 10,1–22 als Bildungsprozess
4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6
4.1 Zusammenhang und Textabgrenzung
4.1.1 2 Kor 2,14–4,6 im Zusammenhang des Briefes und der Apologie
4.1.2 Textabgrenzung
4.2 Die intertextuelle Erkundung: Desintegrationssignale und Möglichkeiten der Digression
4.2.1 Überblick über explizite und halb-explizite Markierungen
4.2.2 Durchgang durch den Text unter Berücksichtigung auch schwächerer Desintegrationssignale und möglicher biblischer Bezüge
4.2.2.1 2,14–16b
4.2.2.2 2,16c
4.2.2.3 2,17
4.2.2.4 3,1–3
4.2.2.5 3,4–6
4.2.2.6 3,7–11
4.2.2.7 3,12–18
4.2.2.8 4,1–6
4.2.3 Die Adaption der Bezugstexte
4.2.3.1 Die Adaption der Primärerzählung Ex 34,29–35
a Text und Bezugstext
b Auslegungsmuster und -methoden
4.2.3.2 Die Adaption weiterer Elemente der Mose-Exodus-Tradition in 3,7–18
a Tafeln und Bund
b d??a jenseits von Ex 34,29–35
c Die Verhärtung und Gottesferne der Israeliten
d Moses vertrauter Umgang mit Gott
4.2.3.3 Die Adaption weiterer relevanter Texte und Motive in 2,14–3,6
a Opferterminologie
b Die Befähigung zum Dienst
c Die Adaption der prophetischen Tradition um die Wiederherstellung des Bundes
4.2.3.4 Auslegungsstrukturen und -methoden in der Verknüpfung der Bezugstexte und Texttraditionen
4.2.3.5 Zusammenfassung und Ausblick auf den Lektüreschritt der Reintegration
4.3 Gedankliche Kartierung: Thematisch-strukturelle Analyse
4.3.1 Thema und Funktion
4.3.1.1 Vergleich von 2,14–16a und 4,5 f
4.3.1.2 Ort im Argumentationszusammenhang
4.3.2 Erhebung der Akteure
4.3.2.1 Die vorherrschenden Personenkonstellationen
4.3.2.2 Die Handlungsträger in 2,14–3,6
4.3.2.3 Die Handlungsträger in 3,7–17
4.3.2.4 Die Handlungsträger in 3,18
4.3.2.5 Die Handlungsträger in 4,1–6
4.3.2.6 Thematischer Abgleich
4.3.3 Erhebung des semantischen Inventars
4.3.3.1 Analyse wiederkehrender Begriffe und verwandter Wortfelder
a Offenbarung (φανέρωσις) und Erkenntnis (γνῶσις)
b Ausdrücke des universellen Wirkungskreises (πάντοτε/πᾶς)
c Tod (θάνατος) und Leben (ζωή)
d Metaphern für die Verkündigung
e Direkte Ausdrücke der Verkündigung (λόγος τοῦ θεου, εὐαγγέλιον, κηρύσσω)
f Ausdrücke der Lauterkeit (εἰλικρίνεια)
g Befähigung (ἱκανότης) und Empfehlung (συνίστημι)
h Die von ἐπιστολή ausgehende Bildwelt
i Ausdrücke des Vertrauens und der Zuversicht (πεποίθησις; ἐλπίς; παρρησίᾳ; οὐκ
ἐγκακοῦμεν)
j Die Verkündigungstätigkeit als Dienst (διακονία)
k Die von δόξα ausgehende Bildwelt
l Lichtschein (φωτισμός) als Metapher für die Verkündigung
4.3.3.2 Übersicht über semantische Linien und thematischer Abgleich
4.3.3.3 Segmentierung anhand begrifflicher Verdichtungen und markanter Wiederaufnahmen
4.3.4 Stil und Betonung
4.3.4.1 Allgemeine stilistische Merkmale
4.3.4.2 oral patterns und ihnen verwandte Strukturen und Markierungen
4.3.4.3 Thematischer Abgleich
4.3.5 Verknüpfung auf der Textoberfläche
4.3.5.1 Gestaltung von Textübergängen
a Metakommunikative Ausdrücke
b Summierende anaphorische Verweise (Substitutionen auf Metaebene)
c Verknüpfende Partikeln
d Hierarchisierung
4.3.5.2 Zusammenführung der Beobachtungen zum Aufbau von 2 Kor 2,14–4,6
4.3.5.3 Verknüpfung durch die Wiederaufnahme von Akteuren, Begriffen und Motiven
4.3.6 Zusammenfassung und Ausblick
4.4 Gedankliche Kartierung: Rhetorisch-argumentationslogische Analyse
4.4.1 2,14–16b
4.4.1.1 Die rhetorische Funktion der Dankesformel
4.4.1.2 Die rhetorische Funktion der ersten Person Plural
4.4.1.3 Gehalt und Funktion der Metaphern
a Das Bild vom Triumphzug (2,14a)
b Das Bild vom Duft (2,14b)
c Die Fortentwicklung der Duftmetaphorik in 2,15a
d Die Fortentwicklung der Duftmetaphorik in 2,15b–16a
4.4.1.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
4.4.2 2,16c–17
4.4.2.1 Die rhetorische Frage 2,16c
4.4.2.2 Die Begründung der Fähigkeit 2,17
a Die Abgrenzung gegen andere Verkündiger
b Die Art und Weise der eigenen Verkündigung
4.4.2.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
4.4.3 3,1–3
4.4.3.1 Die einleitenden rhetorischen Fragen (3,1)
4.4.3.2 Das Bild vom lebendigen Empfehlungsbrief (3,2–3,3)
4.4.3.3 Die Erweiterung der Briefmetapher in 3,3
4.4.3.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
4.4.4 3,4–6
4.4.4.1 3,4: Das Vertrauen Gott gegenüber
4.4.4.2 Die Befähigung durch Gott (3,5 f.)
4.4.4.3 Die Explikation des Handelns Gottes (3,6a)
4.4.4.4 Die Näherbestimmung des Verkündigungsdienstes (3,6b)
4.4.4.5 Die Sentenz vom tötenden Geist und lebendigmachenden Buchstaben (3,6c)
4.4.4.6 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
4.4.5 3,7–11
4.4.5.1 3,7 f.: Der übergeordnete Schluss a minore ad maius
4.4.5.2 3,9 f.11: Der zweite und dritte Schluss a minore ad maius
4.4.5.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
4.4.6 3,12–18
4.4.6.1 3,12–13a: Die Hoffnung und παρρησία der Paulusgruppe
4.4.6.2 3,13b–14a: Die Verhüllung des Mose und Verstockung Israels
4.4.6.3 3,14b–15b: Fortschreibung in die Gegenwart
4.4.6.4 3,15–17: Die Aufhebung der Decke
4.4.6.5 3,18: Verwandlung durch die Schau der dδόξα
4.4.6.6 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
4.4.7 4,1–6
4.4.7.1 4,1–2: Selbstempfehlung durch Offenbarung
4.4.7.2 4,3–4: Ablehnung bedeutet Verblendung
4.4.7.3 4,4–6: Die Verkündigung der Paulusgruppe
4.4.7.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang
a Detailbetrachtung
b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang
4.4.8 Übersicht über Ziel und Gang der Argumentation
4.5 Die intertextuelle Skalierung: Möglichkeiten intertextueller Digression und Reintegration
4.5.1 Möglichkeiten intertextueller Digression und Reintegration
4.5.1.1 Die göttliche Befähigung zum Dienst
4.5.1.2 Die prophetischen Verheißungen
4.5.1.3 Die Gesetzesgabe am Sinai und Moses Rückkehr nach Ex 34,29–35
a Gesetzestafeln
b Moses Begegnung mit Gott, seine Verwandlung und die d??a auf seinem Gesicht
c Israels Ungehorsam und Israels Verhärtung
4.5.2 Funktion der Schriftbezüge
4.5.3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6 als Bildungsprozess
5 Auswertung
5.1 Bezüge auf die Mose-Exodus-Tradition und ihre Bestimmung
5.2 Die kommunikative Funktion der Schriftbezüge
5.3 (Schrift-)Bildung des Paulus
5.4 (Schrift-)Bildung der Adressaten
5.5 Schriftauslegung als Bildungsvorgang
6 Literaturverzeichnis
6.1 Bibel, antike Quellen, Übersetzungen und Hilfsmittel
6.2 Sekundärliteratur
Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen
Autorenregister
Sachregister
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 3161600657, 9783161600654

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SERAPHIM Studies in Education and Religion in Ancient and Pre-Modern History in the Mediterranean and Its Environs Editors Peter Gemeinhardt · Sebastian Günther Ilinca Tanaseanu-Döbler · Florian Wilk Editorial Board Wolfram Drews · Alfons Fürst · Therese Fuhrer Susanne Gödde · Marietta Horster · Angelika Neuwirth Karl Pinggéra · Claudia Rapp · Günter Stemberger George Van Kooten · Markus Witte

20

Konrad Otto

Die Mose-Exodus-Tradition in den Korintherbriefen Schriftrezeption und -verarbeitung ‚zwischen den Welten‘

Mohr Siebeck

Konrad Otto, geboren 1989; 2009–16 Studium der Ev. Theologie in Hamburg, Jerusalem und Göttingen; 2016–19 wiss. Mitarbeiter an der Universität Göttingen (SFB 1136 – Bildung und Religion); 2016–20 Promotionsstudiengang Theologie in Göttingen; 2019–22 Vikar der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland in Krummesse; seit 2022 Pastor der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland in Brunstorf.

Diese Publikation entstand als Dissertation im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1136 „Bildung und Religion in Kulturen des Mittelmeerraums und seiner Umwelt von der Antike bis zum Mittelalter und zum Klassischen Islam“ an der Georg-August-Universität Göttingen. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 244798977 – SFB 1136, Teilprojekt B 02. ISBN 978-3-16-160065-4 / eISBN 978-3-16-160066-1 DOI 10.1628/978-3-16-160066-1 ISSN 2568-9584 / eISSN 2568-9606 (SERAPHIM) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer aus der Minion gesetzt. Umschlagabbildung: Michael Otto, Eignungsprüfung I. 2004. Öl. Leinwand. 95 × 135 cm. Printed in the Netherlands.

Danksagung Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des DFG-Sonderforschungsbereichs 1136 „Bildung und Religion“ und wurde im Wintersemester 2020/2021 von der theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades angenommen. Zur Veröffentlichung wurde sie geringfügig überarbeitet und gekürzt. Der Kreis der Menschen, an die ich im Zusammenhang ihrer Entstehung mit Dankbarkeit denke, ist im Laufe der Jahre stetig gewachsen. An erster Stelle zu nennen ist mein Doktorvater, Prof. Dr. Florian Wilk, der das ganze Projekt angestoßen hat. Als sein wissenschaftlicher Mitarbeiter im Paulus-Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs durfte ich zugleich außerordentliche Freiheiten und enge Zusammenarbeit genießen. Seine ansteckende Begeisterung für die exegetische Arbeit ist mir ein bleibendes Vorbild geworden. Prof. Dr. Reinhard Feldmeier danke ich für die stetige Begleitung im Kolloquium, eine Fülle weiterführender Denkanstöße und die Bereitschaft, das Zweitgutachten für meine Arbeit auch nach Ende seiner Dienstpflichten anzufertigen. Ebenso danke ich Prof. Dr. Christine Gerber für ihre langjährige Unterstützung, die Einladung in ihr Hamburger Kolloquium und einen immer frischen Blick, der mir an vielen Stellen neue Perspektiven eröffnet hat. Ohne den Sonderforschungsbereich „Bildung und Religion“ hätten meiner Arbeit die äußeren Entstehungsbedingungen gefehlt. Seinem Sprecher, Prof. Dr. Peter Gemeinhardt, danke ich für seinen unermüdlichen Einsatz für den SFB und für die Beteiligung an meiner Disputationsprüfung. Zudem gilt mein Dank Prof. Dr. Susanne Luther und Prof. Dr. Jan Hermelink als anregenden Gesprächspartnern in der Vorbereitung und im Verlauf der Disputation. Dass ich trotz zeitlicher Verschiebungen in der Reihe SERAPHIM veröffentlichen kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Als Reihenherausgebern danke ich neben den bereits Genannten Prof. Dr. Ilinca Tanaseanu-Döbler und Prof. Dr. Sebastian Günther für die Aufnahme – und auf Seiten des Verlags Susanne Mang, Markus Kirchner und Tobias Stäbler, insbesondere für die Geduld im mühsamen Erstellungsprozess. Hinzu kommen viele weitere Menschen, von denen ich gelernt, die mich unterstützt und inspiriert haben. Prof. Dr. Jayeel Serrano Cornelio und Prof. Dr. Richard Landes haben mich durch ihr akademisches und persönliches Vorbild auf je eigene Weise ermutigt, den Weg einer Promotion zu gehen.

VI

Danksagung

Auf diesem Weg sind mir viele Begegnungen am Rande von Tagungen wertvoll geworden. Herzlichen Dank allen, die sich für meine Überlegungen Zeit genommen haben! Ausdrücklich genannt seien Prof.  Dr. Roy Ciampa, Prof.  Dr. Scott Hafemann, Prof. Dr. BJ Oropeza und Prof. Dr. Ross Wagner. Ihnen danke ich für Rat von geistiger wie geistlicher Tiefe. Unabdingbar war für mich auch der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen im Sonderforschungsbereich, am Lehrstuhl sowie in den Kolloquienrunden in Göttingen und Hamburg. Vielen Dank für jede Einladung, alles Miteinander und Mitdenken in Kameradschaft und Kritik! Besonders hervorheben möchte ich Dr. Eduard Käfer, der meine Arbeit im SFB durch detaillierte Vorarbeiten maßgeblich erleichtert hat, und meine SFB-Kolleginnen Dr. Christina Bünger, Dr. Laura Schimmelpfennig und Dr. Levke Bittlinger. Neben den Letztgenannten danke ich für das Korrekturlesen des nicht immer erfreulichen Manuskripts Domenik Ackermann, Friederike Arnold, Dr. Alexander Dietz, Niklas Henning, Dr. Isabell Hoppe, Hanna Jacobs, Dennis Koch, Florian Neitmann, Frederic Richter und Bernhard Schröder. Im privaten Umfeld gilt mein Dank überdies Pastor Michael Schulze für einen immer offenen und sicheren Hafen und eine Bleibe in Umbruchstagen sowie meinen Vikariatseltern, Friederike und Ulrich Schwetasch, für ihre Rückendeckung und die große Freiheit, die sie mir auf den letzten Metern der Fertigstellung und der Vorbereitung auf die corona-gebeutelte Disputation gewährt haben. Großer Dank gilt auch meiner Familie. Unangekündigt in Hamburg erscheinen zu können, regelmäßig vom Trubel meiner Schwestern erschlagen zu werden, Buchpakete aus Hagen zu erhalten und in Friedrichshagen den Klängen der Shakuhachi lauschen zu dürfen, bedeutet mir mehr, als sie alle vermutlich ahnen. Gleiches galt für die Gespräche und Unternehmungen mit meinem Vater. Besonders zu nennen ist mein Onkel Michael Otto, der es mir erlaubt hat, einen Ausschnitt seines Bildes „Eignungsprüfung II“ für den Einband zu verwenden. Auch jenseits des für eine Promotionsschrift treffenden Titels mag das Bild zum aufmerksamen Leser dieser Seiten sprechen. Größer als Worte ist meine Dankbarkeit gegenüber meiner Frau Karoline, deren Liebe und deren Lachen unserem Sohn Johannes und mir eine Heimat geben. Als vertrauteste Freundin begleitet sie mich nun mehr als mein halbes Leben, doch vor allem weist sie mich durch ihr Vorbild immer wieder auf den, der die Mitte aller Schrift ist – und dem zuletzt aller Dank gebührt. Brunstorf, am 15. September 2023

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1.1 1.2 1.3 1.4

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Zur Rezeption und Verarbeitung der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Frage nach Bildung und Bildungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Mose-Exodus-Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu 1 Kor 10 und 2 Kor 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 Zur Orientierung: Anlage und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm („Erkundung“ und „Skalierung“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Intertextualität – ein Begriff und ein Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Zur textanalytischen Rekonstruktion von Intertextualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.1 Das Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.2 Sender und Leserschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Die konkreten, intertextuellen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.1 Entfaltung der kommunikativen Situation zur Autorenseite hin . . . . . . . 2.1.3.2 Entfaltung der kommunikativen Situation zur Seite der Leserschaft hin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.3 Zur Textgattung der Bezugstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.2 Zur thematisch-strukturellen Analyse (gedankliche „Kartierung“ A) . . . . . . . 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5

Thema und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akteure und Inventar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stil und Betonung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verknüpfung auf der Textoberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Gängige Ansätze rhetorischer und argumentativer Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1 Klassische Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Nutzen und Operationalisierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.2 Die nouvelle rhétorique nach Chaïm Perelman und Lucie Olbrechts-Tyteca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Nutzen und Operationalisierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.3 „Socio-rhetorical Interpretation“ nach Vernon K. Robbins . . . . . . . . . . . . a Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Nutzen und Operationalisierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 5 6 7 9 10 10 16 16 20 21 21 24 27 29 30 30 31 32 34 36 36 37 37 37 39 42 42 44 45 45 48

VIII

Inhaltsverzeichnis 2.3.1.4 Argumentationsanalye nach Josef Kopperschmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Nutzen und Operationalisierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.5 Pragma-dialektische Analyse nach Frans van Eemeren und Rob Grootendorst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Nutzen und Operationalisierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Vorschlag eines Vorgehens zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse . . 2.3.2.1 Die Frage nach dem kategorialen Rahmen rhetorisch-argumentativer Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2 Die Frage nach der Argumentationsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.3 Die Frage nach der argumentativen Bewegung und argumentativen Mustern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.4 Die Frage nach dem globalen Gedankengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang des Götzenopferfleischdiskurses 1 Kor 8,1–11,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Die Stellung von 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.1 Überblick über den Gedankengang 1 Kor 8,1–11,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.2 Vier Argumentationsmuster (Volker Gäckle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.3 Zwei Argumentationsebenen (J. Smit und andere) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.4 Die verbleibende Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Textabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.1 9,24–27 als Übergangs- und Einleitungsabschnitt zu 1 Kor 10,1–22 . . . . 3.1.2.2 Die Zusammengehörigkeit von 10,1–13 und 10,14–22 . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.3 10,23–11,1 als Abschluss des Großabschnitts 8,1–11,1 . . . . . . . . . . . . . . .

3.2 Die intertextuelle Erkundung: Desintegrationssignale und Möglichkeiten der Digression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Überblick über explizite intertextuelle Markierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Durchgang durch den Text unter Berücksichtigung auch schwächerer Desintegrationssignale und möglicher biblischer Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1 9,24–27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.2 10,1–2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3 10,3–4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.4 10,5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.5 10,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.6 10,7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.7 10,8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.8 10,9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.9 10,10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.10 10,11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.11 10,12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.12 10,13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.13 10,14–17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 53 53 53 54 56 56 57 58 58 59

61 61 61 61 65 67 69 75 75 78 79 79 80 81 81 81 84 88 90 91 92 93 94 95 96 96 96

Inhaltsverzeichnis 3.2.2.14 10,18–20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.15 10,21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.16 10,22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Potentielle Bezugstexte, ihr Verhältnis zueinander und zu 1 Kor 10 . . . . . . . . . . . 3.2.3.1 Die Erzählung vom Bundesbruch Ex 32 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.2 Die Wüstenwanderungserzählungen nach Ex und Num . . . . . . . . . . . . . . a Passa und Aufbruch aus Ägypten Ex 12,1–42 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Wolken- und Feuersäule nach Ex 13,17–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c Die Rettung am Schilfmeer nach Ex 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d Wasser in Mara nach Ex 15,22–27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e Die Speisung mit Manna Ex 16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f Wasser aus dem Felsen nach Ex 17,1–7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g Aufbruch vom Sinai Num 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h Die Gräber des Begehrens Num 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i Das Murren in Num 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j Das Kultvergehen Num 16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k Num 20,1–13; 21,16–18 und die Tradition vom nachfolgenden Felsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l Die Schlangenplage Num 21,4–9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . m Der Götzendienst Num 25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.3 Rückblicke auf die Wüstenzeit in Dtn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Moselied Dtn 32 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Der gedankliche Zusammenhang Dtn 6–9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.4 Exodussummarien und -rückblicke in den Psalmen und Neh 9 . . . . . . . a Ps 78(77) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Ps 81(80) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c Ps 95(94) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d Ps 105(104) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e Ps 106(105) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f Bußgebet Neh 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.5 Exodusrückblicke in der weisheitlichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Sap 10–15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Sap 16–19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c Sir 15,3 und Prov 9,1–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.6 Die heilszeitliche Exodusdeutung der Propheten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Zusammenfassung und Ausblick auf den Lektüreschritt der Reintegration . . . .

IX 97 98 99 100 101 105 105 106 107 109 109 111 112 112 113 114 115 117 117 118 118 124 129 129 132 132 133 134 135 136 137 137 138 140 140 142

3.3 Gedankliche Kartierung: Thematisch-strukturelle Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3.3.1 Thema und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.1 Vergleich von 9,24–27/10,1 und 10,21–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.2 Ort im Argumentationszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Erhebung der Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.1 Die vorherrschenden Personenkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.2 Die Handlungsträger in 9,24–27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.3 Die Handlungsträger in 10,1–11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.4 Die Handlungsträger in 10,12 und 10,13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.5 Die Handlungsträger in 10,14–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.6 Thematischer Abgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

146 146 148 148 148 150 151 153 154 156

X

Inhaltsverzeichnis 3.3.3 Erhebung des semantischen Inventars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.1 Analyse wiederkehrender Begriffe und verwandter Wortfelder . . . . . . . . a Verben geistiger und sprachlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Begriffe und Bilder aus der Sportwelt, Selbstkontrolle und Begierde c jeder/alle/alles; einige/viele (die Gesamtheit/Teilmengen einer Gruppe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d Aufforderungen zum Unterlassen einer Tätigkeit/Warnungen . . . . . . e Essen/Trinken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f Verbundenheitsbezeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g Vernichtungsaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h Typos- und γέγραπται-Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i Götzendienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j stehen/setzen/fallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k Versuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . m Gemeinschaft/Anteilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.2 Übersicht über semantische Linien und thematischer Abgleich . . . . . . . 3.3.3.3 Segmentierung anhand begrifflicher Verdichtungen und markanter Wiederaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Stil und Betonung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4.1 Allgemeine stilistische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4.2 oral patterns und verwandte Strukturen und Markierungen . . . . . . . . . . 3.3.4.3 Thematischer Abgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Verknüpfung auf der Textoberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5.1 Gestaltung von Textübergängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Metakommunikative Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Summierende anaphorische Verweise (Substitutionen auf Metaebene) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c Verknüpfende Partikeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d Hierarchisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5.2 Zusammenführung der Beobachtungen zum Aufbau von 1 Kor (9,24–27)10,1–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5.3 Verknüpfung durch die Wiederaufnahme von Akteuren, Begriffen und Motiven und thematischer Abgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

156 156 156 157 162 163 163 166 166 168 170 172 173 174 174 177 182 182 182 183 191 191 191 191 191 192 192 193 197

3.4 Gedankliche Kartierung: Rhetorisch-argumentationslogische Analyse . . . . . 198 3.4.1 9,24–27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1.1 9,24 f.: Der Wettkampf als Bild für das christliche Leben . . . . . . . . . . . . . 3.4.1.2 9,26 f.: Paulus vorbildlicher Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 10,1–5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.1 10,1–4: Das Erleben „unserer Väter“ im Guten … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.2 10,5: … wie im Schlechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . .

199 199 200 202 202 204 204 204 209 211 211 212

Inhaltsverzeichnis 3.4.3 10,6–11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.1 10,6: Die Väter als τύποι des Begehrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.2 10,7–11: Die Lehre aus den Verfehlungen der Väter . . . . . . . . . . . . . . . . . . a 10,7 f.: Götzendienst und Sexualsünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b 10,9 f.: Christus versuchen und murren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.3 10,11: Die Warnung am Wendepunkt der Zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 10,12 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4.1 10,12: Warnung vor falscher Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4.2 10,13: Gottes rettende Treue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5 10,14 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5.1 10,14: Die zentrale Aufforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5.2 10,15: Der Appell an die Urteilskraft der Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.6 10,16 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.6.1 10,16: κοινωνία durch Kelch und Brot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.6.2 10,17: Die Einheit der Gemeinde in der Exklusivität ihrer Gottesbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.6.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.7 10,18–20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.7.1 10,18: Der neuerliche Verweis auf die Wüstengeneration . . . . . . . . . . . . . 3.4.7.2 10,19–20a: Götzenopfer ist Dämonenopfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.7.3 Zusammenfassung und Aufschlüsselung der Argumentation . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.8 10,20b–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.8.1 10,20b: Der Wunsch des Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.8.2 10,21: Dämonen- und Herrenmahl schließen sich gegenseitig aus . . . . . 3.4.8.3 10,22: Vereindringlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.8.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.9 Übersicht über Ziel und Gang der Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI 213 213 216 216 219 221 223 223 226 226 227 228 231 231 232 232 232 234 235 235 236 236 236 239 241 241 242 243 243 245 248 248 249 250 250 250 251 252 252 253 253

XII

Inhaltsverzeichnis

3.5 Die intertextuelle Skalierung: Möglichkeiten intertextueller Digression und Reintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 3.5.1 Möglichkeiten intertextueller Digression und Reintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1.1 Die kommunikative Funktion des expliziten Zitats in 10,7 . . . . . . . . . . . . 3.5.1.2 Die Exklusivität des Bundes und Dtn 32 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1.3 Christus, die Einheit Gottes und das Grundbekenntnis Israels . . . . . . . . 3.5.1.4 Theologische Deutungen des Exodusgeschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1.5 Die Gestalt des Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Funktion der Schriftbezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor 10,1–22 als Bildungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259 259 261 264 267 270 272 274

279

4.1 Zusammenhang und Textabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 4.1.1 2 Kor 2,14–4,6 im Zusammenhang des Briefes und der Apologie . . . . . . . . . . . . . 280 4.1.2 Textabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

4.2 Die intertextuelle Erkundung: Desintegrationssignale und Möglichkeiten der Digression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 4.2.1 Überblick über explizite und halb-explizite Markierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Durchgang durch den Text unter Berücksichtigung auch schwächerer Desintegrationssignale und möglicher biblischer Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.1 2,14–16b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.2 2,16c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.3 2,17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.4 3,1–3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.5 3,4–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.6 3,7–11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.7 3,12–18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.8 4,1–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Die Adaption der Bezugstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.1 Die Adaption der Primärerzählung Ex 34,29–35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Text und Bezugstext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Auslegungsmuster und -methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.2 Die Adaption weiterer Elemente der Mose-Exodus-Tradition in 3,7–18 a Tafeln und Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b δόξα jenseits von Ex 34,29–35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c Die Verhärtung und Gottesferne der Israeliten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d Moses vertrauter Umgang mit Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.3 Die Adaption weiterer relevanter Texte und Motive in 2,14–3,6 . . . . . . . a Opferterminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Die Befähigung zum Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c Die Adaption der prophetischen Tradition um die Wiederherstellung des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.4 Auslegungsstrukturen und -methoden in der Verknüpfung der Bezugstexte und Texttraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.5 Zusammenfassung und Ausblick auf den Lektüreschritt der Reintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285 287 287 288 288 289 291 294 295 298 299 300 300 310 312 312 315 318 324 325 325 326 328 333 335

Inhaltsverzeichnis

XIII

4.3 Gedankliche Kartierung: Thematisch-strukturelle Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 4.3.1 Thema und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1.1 Vergleich von 2,14–16a und 4,5 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1.2 Ort im Argumentationszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Erhebung der Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.1 Die vorherrschenden Personenkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.2 Die Handlungsträger in 2,14–3,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.3 Die Handlungsträger in 3,7–17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.4 Die Handlungsträger in 3,18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.5 Die Handlungsträger in 4,1–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.6 Thematischer Abgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Erhebung des semantischen Inventars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3.1 Analyse wiederkehrender Begriffe und verwandter Wortfelder . . . . . . . . a Offenbarung (φανέρωσις) und Erkenntnis (γνῶσις) . . . . . . . . . . . . . . . b Ausdrücke des universellen Wirkungskreises (πάντοτε/πᾶς) . . . . . . . . c Tod (θάνατος) und Leben (ζωή) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d Metaphern für die Verkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e Direkte Ausdrücke der Verkündigung (λόγος τοῦ θεου, εὐαγγέλιον, κηρύσσω) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f Ausdrücke der Lauterkeit (εἰλικρίνεια) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g Befähigung (ἱκανότης) und Empfehlung (συνίστημι) . . . . . . . . . . . . . . h Die von ἐπιστολή ausgehende Bildwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i Ausdrücke des Vertrauens und der Zuversicht (πεποίθησις; ἐλπίς; παρρησίᾳ; οὐκ ἐγκακοῦμεν) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j Die Verkündigungstätigkeit als Dienst (διακονία) . . . . . . . . . . . . . . . . . . k Die von δόξα ausgehende Bildwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l Lichtschein (φωτισμός) als Metapher für die Verkündigung . . . . . . . . 4.3.3.2 Übersicht über semantische Linien und thematischer Abgleich . . . . . . . 4.3.3.3 Segmentierung anhand begrifflicher Verdichtungen und markanter Wiederaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Stil und Betonung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.1 Allgemeine stilistische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.2 oral patterns und ihnen verwandte Strukturen und Markierungen . . . . 4.3.4.3 Thematischer Abgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Verknüpfung auf der Textoberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5.1 Gestaltung von Textübergängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Metakommunikative Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Summierende anaphorische Verweise (Substitutionen auf Metaebene) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c Verknüpfende Partikeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d Hierarchisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5.2 Zusammenführung der Beobachtungen zum Aufbau von 2 Kor 2,14–4,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5.3 Verknüpfung durch die Wiederaufnahme von Akteuren, Begriffen und Motiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

339 339 341 341 341 345 346 349 349 350 351 351 351 352 353 354 355 356 356 358 359 360 362 369 370 374 375 375 375 385 385 386 386 386 386 387 388 392 394

XIV

Inhaltsverzeichnis

4.4 Gedankliche Kartierung: Rhetorisch-argumentationslogische Analyse . . . . . 394 4.4.1 2,14–16b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.1 Die rhetorische Funktion der Dankesformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.2 Die rhetorische Funktion der ersten Person Plural . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.3 Gehalt und Funktion der Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Das Bild vom Triumphzug (2,14a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Das Bild vom Duft (2,14b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c Die Fortentwicklung der Duftmetaphorik in 2,15a . . . . . . . . . . . . . . . . d Die Fortentwicklung der Duftmetaphorik in 2,15b–16a . . . . . . . . . . . . 4.4.1.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 2,16c–17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.1 Die rhetorische Frage 2,16c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.2 Die Begründung der Fähigkeit 2,17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Die Abgrenzung gegen andere Verkündiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Die Art und Weise der eigenen Verkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 3,1–3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3.1 Die einleitenden rhetorischen Fragen (3,1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3.2 Das Bild vom lebendigen Empfehlungsbrief (3,2–3,3) . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3.3 Die Erweiterung der Briefmetapher in 3,3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 3,4–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4.1 3,4: Das Vertrauen Gott gegenüber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4.2 Die Befähigung durch Gott (3,5 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4.3 Die Explikation des Handelns Gottes (3,6a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4.4 Die Näherbestimmung des Verkündigungsdienstes (3,6b) . . . . . . . . . . . . 4.4.4.5 Die Sentenz vom tötenden Geist und lebendigmachenden Buchstaben (3,6c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4.6 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.5 3,7–11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.5.1 3,7 f.: Der übergeordnete Schluss a minore ad maius . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.5.2 3,9 f.11: Der zweite und dritte Schluss a minore ad maius . . . . . . . . . . . . . 4.4.5.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.6 3,12–18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.6.1 3,12–13a: Die Hoffnung und παρρησία der Paulusgruppe . . . . . . . . . . . . 4.4.6.2 3,13b–14a: Die Verhüllung des Mose und Verstockung Israels . . . . . . . .

395 395 396 396 397 399 401 403 405 405 406 407 407 408 409 411 411 411 413 413 413 416 418 422 422 425 425 426 427 429 431 432 434 434 436 437 440 442 446 446 447 448 449 451

Inhaltsverzeichnis 4.4.6.3 4.4.6.4 4.4.6.5 4.4.6.6

3,14b–15b: Fortschreibung in die Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3,15–17: Die Aufhebung der Decke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3,18: Verwandlung durch die Schau der δόξα . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.7 4,1–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.7.1 4,1–2: Selbstempfehlung durch Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.7.2 4,3–4: Ablehnung bedeutet Verblendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.7.3 4,4–6: Die Verkündigung der Paulusgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.7.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.8 Übersicht über Ziel und Gang der Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV 456 460 464 467 467 470 470 470 473 475 479 479 481 482

4.5 Die intertextuelle Skalierung: Möglichkeiten intertextueller Digression und Reintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 4.5.1 Möglichkeiten intertextueller Digression und Reintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1.1 Die göttliche Befähigung zum Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1.2 Die prophetischen Verheißungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1.3 Die Gesetzesgabe am Sinai und Moses Rückkehr nach Ex 34,29–35 . . . a Gesetzestafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b Moses Begegnung mit Gott, seine Verwandlung und die δόξα auf seinem Gesicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c Israels Ungehorsam und Israels Verhärtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Funktion der Schriftbezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6 als Bildungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5 Auswertung 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

486 486 489 495 495 496 501 504 508

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515

Bezüge auf die Mose-Exodus-Tradition und ihre Bestimmung . . . . . . . . . . . . . Die kommunikative Funktion der Schriftbezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Schrift-)Bildung des Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Schrift-)Bildung der Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriftauslegung als Bildungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6 Literaturverzeichnis

515 518 521 523 525

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527

6.1 Bibel, antike Quellen, Übersetzungen und Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 6.2 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

557 585 587

1 Einleitung Die vorliegende Untersuchung möchte verstehen, inwiefern Schriftbezüge in den Korintherbriefen dazu dienen, zwischen der gedanklichen Welt des Paulus und der seiner Adressaten zu vermitteln. Entstanden im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1136 – Bildung und Religion, betrachtet sie Schriftauslegung als Bildungsvorgang und fragt gleichermaßen nach der im Text bezeugten (Schrift-)Bildung des Paulus, der durch den Text vorausgesetzten (Schrift-)Bildung auf Seiten seiner Adressaten, sowie nach den Bildungsprozessen, die durch den Text mutmaßlich vermittelt oder angestoßen werden. Dabei ist das Schlagwort „zwischen den Welten“ in mehrfacher Hinsicht programmatisch. Nicht nur erlaubt es der dreifache Fokus der Untersuchung, methodisch zwischen eingefahrenen Alternativen in der Debatte um die Schriftverwendung des Paulus zu vermitteln. Indem sie dies am Beispiel der Mose-Exodus-Tradition in den Korintherbriefen tut, richtet sie ihr Augenmerk auf die archetypische Erzählung von Gottes Handeln an seinem Volk zwischen der abgestreiften Vergangenheit und der ausstehenden Verheißung und betrachtet, wie Paulus die Kluft zwischen der Gegenwart seiner Hörerschaft und dieser erinnerten Vergangenheit Israels zu überbrücken sucht, um sie, „auf die die Enden der Äonen gekommen sind“ (1 Kor 10,11), anhand der Schriften zu unterweisen. Bei all dem ist die Schriftverwendung des Paulus ebenso durch das Anliegen bestimmt, die heiligen Schriften Israels einer wohl mehrheitlich pagan geprägten Gemeinde als Normativ ihrer Existenz in Christus auszulegen und einsichtig zu machen, wie durch die eschatologische (Zwischen-)Zeit, in der er schreibt. Soll das Vorhaben gelingen, müssen die zugrundeliegenden Parameter zunächst näher bestimmt werden.

1.1 Zur Rezeption und Verarbeitung der Schrift Die Schriftverwendung des Paulus ist Gegenstand anhaltender Forschungsbemühungen und hat eine Fülle von Literatur hervorgebracht.1 In vielen Punkten konnte ein stabiler Konsens erzielt werden: 1 Vgl.  für eine Auswahl aus den letzten Jahren: Wilk 2020a; Bünger 2020; Porter/Land 2019; Belleville/Oropeza 2019; Wilk 2019; Capes 2018; Wilk 2018b; Böhm 2017; Wilk/Öhler 2017; Das 2016; Lanzinger 2016; Cover 2015; Evans/Johnston 2015; Lucas 2014; Vegge 2014; Works 2014; Aernie 2013; Rosik 2013; Wilk 2013; Bates 2012; Stanley 2012a; Basta 2011; Wagner 2011; Lincicum 2010; Mitchell 2010; Moyise 2010; Moyise 2009; Porter/Stanley 2008; Waaler 2008; Wilk 2008a;

2

1 Einleitung

Paulus begegnet der Schrift mit einem hermeneutischen Programm, das als „Reading outward from the Christ event“2 beschrieben werden kann. Dietrich-Alex Koch hat dies auf die prägnante Formel gebracht, Paulus lese die „Schrift als Zeuge des Evangeliums“3. Diese hat Florian Wilk schon 1998 zu „Zeugnis und Interpretament“4 geschärft, handelt es sich doch keineswegs um eine einseitige, sondern um eine „wechselseitige Erschließung von Christusbekenntnis und Schrift“5. Wie dieser Wechsel sich gestaltet, ist je und je neu, so auch in dieser Untersuchung, zu erheben. Weitgehende Einigkeit herrscht darin, Paulus eine hohe Schriftbildung zuzuschreiben.6 Im Allgemeinen orientiert er sich bei der Wiedergabe von Schriftworten an der Septuaginta bzw. der LXX-Überlieferung, die er in ihrer ganzen Breite anzuführen versteht.7 Bisweilen scheint eine Textvorlage durch, die um Angleichung an den hebräischen Text bemüht ist.8 Inwiefern Paulus dabei seine Bezugstexte memoriert hat, konsequent auf schriftliche Vorlagen zurückgreift oder sich auf Florilegien und private Notizensammlungen stützt, ist unklar.9 Anhand einzelner Stellen lässt sich jedoch ein wiederholtes Textstudium wahrscheinlich machen.10 Insgesamt erweist Paulus sich im Umgang mit der Schrift – sieht man von dessen christologischem Fokus ab – als typisches Kind seiner Zeit. Die Autorität der Schrift ob ihrer göttlichen Herkunft ist ihm selbstverständlich und wird von ihm beständig vorausgesetzt.11 Die gehäufte Verwendung bestimmter biblischer Bücher und Passagen entspricht zumindest ebenso sehr zeitgenössischer Konvention wie theologischem Programm.12 Auch ein Changieren zwischen dem überlieferten LXX-Text und gelegentlichen Abweichungen spiegelt sich andernorts in der zeitgenössischen Abasciano 2007; Aageson 2006; Brodie u. a. 2006; Waters 2006; Hays 2005b; Heil 2005; Reinmuth 2005; Wilk 2005a; Wilk 2005b; Stanley 2004; Watson 2004 u. v. a.  2 Wagner 2011, 168.  3 Koch 1986. Für diese Einschätzung stützt er sich wesentlich auch auf 2 Kor 3,12–19 (vgl. Koch 1986, 197 f.322–352).  4 Wilk 1998, 380.  5 Wilk 2017, 169; Vgl. auch Kirk 2015, 232 f.; Wilk 2013, 490;  6 Vgl. Wagner 2011, 163 f.  7 Vgl. Kautzsch 1869, 108–110; mit weiteren Differenzierungen Vollmer 1895, 9–48; Wilk 2013, 480, allgemeiner Hanhart 1984.  8 So Schaller 1980 am Beispiel der Hiobzitate. Vgl. Hanhart 2004, 6 f.14–16 zu entsprechenden Bearbeitungen. Dazu auch Stanley 1992, 14–16; Schaller 2001, 189; Wagner 2002, 344–346. Eigene Hebräischkenntnisse werden durch Apg 22,3 zwar nahegelegt, sind in der Art seiner Schriftanführung jedoch nicht greifbar (vgl. Wagner 2011, 164).  9 Vgl. Koch 1986, 100 f.; Stanley 1992, 16 f.; Wagner 2011, 163 f. Für die letzte Option Stanley 1992, 341. 10 Vgl. Wilk 1998, 404 f. Zumindest können die Optionen nicht gegeneinander ausgespielt werden (vgl. Wilk 2013, 482–484). 11 Vgl. Koch 1986, 89; Wagner 2011, 158; Fisk 2012, 67; Wilk 2013, 480 f. Zu ihrer Selbstauslegung vgl. Cover 2016. 12 Vgl. Koch 1986, 47; für Jesaja Wilk 1998; Wagner 2002; Wagner 2005; Wilk 2005a; Wilk 2005b; Wilk 2012; sowie bedingt Oropeza 2002; für Deuteronomium Wagner 2006; Waters 2006; Waaler 2008; Lincicum 2010.

1.1 Zur Rezeption und Verarbeitung der Schrift

3

Praxis der Diaspora.13 Dies steht keineswegs im Widerspruch zur Hochschätzung der Schrift, sondern zeugt im Gegenteil von einem lebendigen Umgang mit ihr innerhalb der Auslegungstraditionen der Zeit und ihrer hermeneutischen Voraussetzungen: „the Scripture that Paul knew […] was always Scripture-interpreted“.14 Ebenso ist die Schrift, die Paulus bietet, stets interpretierte. Besonders deutlich wird dies auf dem bisher am ausgiebigsten untersuchten Feld paulinischer Schriftverwendung, seiner Anführung ausdrücklicher Zitate.15 Während Paulus Zitationsformeln durchweg frühjüdischen und neutestamentlichen Gepflogenheiten entsprechen,16 hat sein kaum verhülltes, interpretierendes Eingreifen in den Wortlaut seiner Zitate Anlass zu lebhaften Debatten gegeben. In der Tat war jedoch auch dies verbreitete und akzeptierte Praxis17 und darf weder in Anbetracht der unscharfen Trennlinie zwischen Text und Interpretation im Frühjudentum18 noch im Hinblick auf die mündlich geprägte Textkultur verwundern.19 Wenn im Titel der vorliegenden Untersuchung der Begriff Verarbeitung neben den der Rezeption tritt, trägt dies diesem aneignenden und interpretierenden, gleichsam aktiv gestaltenden Schriftumgang, den Paulus ausübt und in den er selbst eingebunden ist, Rechnung.20 Bereits der bloße Begriff „Schrift“ ist im Wissen um deren gewissermaßen flüssige Gestalt in großer Offenheit zu verstehen, auch wenn Paulus nur aus den kanonisch gewordenen Büchern zitiert. Ist hier ein weitreichender Konsens erreicht, wird dieser allerdings schnell brüchig, sobald man das Feld deutlich lokalisierbarer Zitate verlässt. Nicht nur fehlt eine verbindliche Konvention zur Benennung auch weniger expliziter Schriftbezüge,21 es fehlt auch jedes allgemein anerkannte Vorgehen, solche Bezüge zuallererst zu erheben. Richard Hays Set von sieben flexibel zu handhabenden Kriterien, das 13 So Stanley 1992, 340. Er geht von einer autoritativen LXX-Fassung, einigen kursierenden Revisionen und einzelnen stilistisch oder hebraisierend „korrigierten“ Fassungen aus. 14 Fisk 2012, 56 f. Vgl.  auch Wilk 2013, 480–482. Zur historischen Verortung der Auslegungsmethoden des Paulus vgl. Basta 2011; Wilk 2013, 483 f.; Cover 2015; Lanzinger 2016. Allzu geradlinige Einzeichnungen in Phänomene wie Midrasch (Ellis 1957), Pescher (Sanders 1959; Black 1971) oder die Middot des Hillel (kritisch Avemarie 2015) sind jedoch mittlerweile problematisiert worden. 15 Maßgeblich Koch 1986; Stanley 1992. Bünger 2020 fasst den Fortschritt der Forschung zusammen und setzt einen neuen Akzent. 16 Vgl. Fitzmyer 1961, 330; Stanley 1992, 347. 17 So ein wesentliches Ergebnis von Stanley 1992 (vgl. insb. S. 343 f.347 f.). Gleichwohl bewegt sich Paulus am oberen Ende der Skala, was Veränderungen an der Vorlage anbelangt (vergleichbar etwa mit CD, LAB u. a.). Für analoge Phänomene im paganen Raum vgl. Stanley 1990. 18 „[…] the blurring of the lines between text and interpretation in early Judaism“ (Stanley 1992, 352). 19 Dazu s. u. S. 32. 20 Vgl. zum Schriftgebrauch des Paulus im Horizont von rewritten bible Fisk 2012. 21 Porter 2017, 24–36, fasst die missliche Lage zusammen. Vgl. auch Wagner 2011, 164–167; Wilk 2013, 485 f.; Lincicum 2017. Für die Arbeit des Sonderforschungsbereichs hat sich die grobe Einteilung in Zitate und selbst gebildete Gottesworte, Paraphrasen, zitatähnliche Formulierungen, Anspielungen und thematische Verweise bewährt (vgl. Wilk 2017, 151 f.).

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1 Einleitung

er zusammen mit dem Begriff „Intertextualität“ in die Debatte eingebracht hat, um „Echoes of Scripure“ zu prüfen, ist nach wie vor ebenso verbreitet wie umstritten.22 Und auch nach mehrjährigem, intensivem Ringen im „Paul and Scripture“-Seminar der SBL muss Christopher Stanley festhalten, dass die Frage, welche Schriftkenntnis Paulus bei seinen Lesern voraussetzt, ebenso strittig bleibt wie die Frage, inwiefern Paulus den Zusammenhang seiner Bezugstexte beherzigt.23 Beide Fragen sind indes nicht nur relevant für das Anliegen dieser Arbeit, sondern stehen exemplarisch für zwei unvereinbar scheinende Mentalitäten, die den Diskurs bestimmen und sich etwas überspitzt als „Maximalismus“ und „Minimalismus“ bezeichnen lassen. Hier gilt nach wie vor zu oft: „Scholars who approach the subject using different methods are either dismissed or ignored.“24 Anhänger einer „maximalistischen“ Herangehensweise neigen dazu, auch kleinste sprachliche oder konzeptuelle Berührungspunkte als für den Aussagegehalt konstitutives biblisches Echo zu begreifen. Dazu verweisen sie mitunter auf die hohe Schriftkenntnis des Paulus  – „Israel’s scriptures were as familiar to Paul, and as readily available in his well-stocked mind, as Beethoven’s sonatas to a concert pianist“25 – und schließen daraus auf den biblischen Sättigungsgrad seiner Briefe. Auf diesem Wege öffnet sich ein weiter Raum möglicher Anspielungen, der oft über die Grenzen des methodisch Nachprüfbaren hinausführt. Eher wird mit theologischen Plausibilisierungen argumentiert. Dem setzen eher „minimalistisch“ denkende Exegeten gern die mutmaßlich begrenzte Schriftkenntnis des Adressatenkreises oder aber den mutmaßlich eingeschränkten Textzugang und damit auch die begrenzte Textkenntnis des Paulus entgegen.26 In jedem Falle sind sie zurückhaltend, ihren Gesichtskreis über deutlich markierte oder sprachlich eindeutige Schriftbezüge hinaus zu öffnen. Nur diese seien für den Gedankengang des Paulus verlässlich auszuwerten, möchte man nicht ins uferlose Spekulieren geraten. Von einer solchen Einstellung zeugen etwa Warnungen vor „Parallelomanie“27 oder übermäßiger „Schrifttüftelei“28. Ein Anliegen der Untersuchung ist es, sich in einem dritten Raum zwischen diesen Alternativen zu positionieren, indem sie Schriftauslegung als Bildungsvorgang

22 Hays 1989, 29–32, nennt: „Availability“, „Volume“, „Recurrence“, „Thematic Coherence“, „Historical Plausibility“, „History of Interprescvanscantation“ und „Satisfaction“. Vgl.  ausführlicher Hays 2005a; zur Kritik Porter 1997, 82–85, und wiederum Lucas 2014. 23 Vgl. Stanley 2012b, 324–327. Für eine positive Antwort auf die zweite Frage vgl. Wilk 1998, 207–266. 24 Stanley 2008, 8. 25 Wright 2013, 13. 26 Vgl. jeweils Stanley 2004, 39–60; Vegge 2014. 27 Vgl. Porter 1997, 87, und auch Sanders 1977, 11: „Parallels are often illuminating, as long as one does not jump from ‚parallel‘ to ‚influence‘ to ‚identity of thought‘“. Der Begriff geht zurück auf Sandmel 1962. 28 Zeller 2010, 331, Anm. 325.

1.2 Zur Frage nach Bildung und Bildungsprozessen

5

begreift. Das heißt, sie möchte Schriftbezüge bestimmen und verorten, indem sie die Pole Autor, Adressaten und Text miteinander ins Gespräch bringt. Dies ist gerade auch dann nötig, wenn man sich einer weiteren offenen Frage auf dem Feld der paulinischen Schriftverwendung stellen möchte und nach den Gründen für deren eklatante Ungleichverteilung fragt – zwischen den Briefen wie auch innerhalb einzelner Briefe.29 Übertragen auf den begrenzten Rahmen dieser Untersuchung: Was veranlasst Paulus, die Schrift dort, wo er es tut, anzuführen und dabei so vorzugehen, wie er es tut? Welche Funktion haben explizite Bezugnahmen gegenüber impliziten, simple gegenüber komplexen? Und orientiert Paulus sich bei all dem maßgeblich an der Schriftkenntnis seiner Adressaten,30 gerät ihm die Dringlichkeit, sich in komplexen Zusammenhängen zu erklären, zum Anlass, auf die Schrift zu rekurrieren,31 oder sind die Gründe woanders zu suchen?

1.2 Zur Frage nach Bildung und Bildungsprozessen Wenn die vorliegende Untersuchung Schriftauslegung als einen Bildungsvorgang betrachtet, bedient sie sich einer „analytischen, von den Quellensprachen unterschiedenen Begrifflichkeit“32. Sie folgt damit dem Programm des Sonderforschungsbereichs, in dem sie entstanden ist.33 Zwar lässt sich die paulinische Schriftverwendung durchaus anhand antiker Entsprechungsbegriffe zu „Bildung“ erhellen, etwa παιδεία.34 Die Vielschichtigkeit des deutschen Begriffs „Bildung“ ermöglicht jedoch in besonderer Weise eben die Rückfrage, die diese Arbeit leitet: Inwiefern dienen Schriftbezüge dazu, zwischen der gedanklichen Welt des Paulus und der seiner Adressaten zu vermitteln? „Bildung“ konnotiert gleichermaßen den Prozess der Bildung, dessen Ergebnis bzw. Ziel sowie die Inhalte des Bildungsprozesses (wer Bildung erfahren hat, ist gebildet, weil ihm Bildung in der Auseinandersetzung mit bestimmten Gehalten zuteil geworden ist).35 Sie zielt dabei stets auf eine Veränderung im Selbst- und Weltverhältnis dessen, der sich bildet bzw. Bildung erfährt.36 Dass der deutsche Begriff Prominent angemerkt von Harnack 1928. Vgl. auch Stanley 2004, 2 f. So Stanley 2004. 31 So etwa Koch 1986, 101. 32 Gemeinhardt 2019b, 6. 33 Zum zugrundeliegenden Bildungsbegriff vgl.  Gemeinhardt 2017a, 166–169; Gemeinhardt 2017b, 326 f.; in historischer Perspektive Gemeinhardt 2019a; in Anwendung auf die Schriftverwendung des Paulus Wilk 2018a, 1 f.; Wilk 2018b; Wilk 2019. 34 Vgl. für παιδεία und die hier untersuchten Texte Works 2014, 27–39; allgemeiner für παιδεία und Paulus Lietaert Peerbolte 2008; vgl. für die Frage, was für die Antike unter „Bildung“ zu verstehen sei die Überlegungen bei Gemeinhardt 2019b sowie die Einzeluntersuchungen in Gemeinhardt 2019a; ferner Christes/Klein/Lüth 2006. 35 Vgl. Gemeinhardt 2017, 167; Gemeinhardt 2019b, 10. 36 Vgl. Dressler 2006, 20–33; 85; Schröder 212, 230. 29 30

6

1 Einleitung

„Bildung“ sich der Vorstellung einer „Wiedereinbildung“ der Gottebenbildlichkeit in den Menschen verdankt und in dieser Verwendung bis zu den Mystikern des Mittelalters und ihrer Rezeption der hier untersuchten Texte zurückverfolgt werden kann (vgl. 2 Kor 3,18; 4,6),37 ist dabei mehr als eine schöne Beigabe. Beide Korintherbriefe sind in der Absicht verfasst, die Adressaten zu einem Sinnes- bzw. Lebenswandel zu bewegen, der der neugewonnenen Existenz in Christus nach Ansicht des Paulus angemessen ist.38 Dabei wird die Frage von Bildung und Bildungsgehalten nicht nur offen thematisiert.39 Insbesondere die fortwährenden Bezüge auf die heiligen Schriften Israels bezeugen, wie die Hinwendung zur Gemeinde mit dem Eintritt „in eine bereits ausgebildete Lehr- und Sprachwelt“40 einherging.41 Der Kommunikationsform des Briefes entsprechend kommt Paulus dabei zuvorderst als der Gebildete und die Briefempfänger als die Zu-bildenden in den Blick. Medium dieser Bildung ist der Brief selbst. Folglich ist zunächst zu fragen, welche Rückschlüsse auf die (Schrift-)Bildung des Paulus die Texte erlauben, sodann was sie für die (Schrift-)Bildung seiner Adressaten implizieren und schließlich, inwiefern sie eine solche (Schrift-)Bildung nicht nur voraussetzen, sondern selbst deren Vermittlung befördern.

1.3 Zur Mose-Exodus-Tradition Möchte man Schriftauslegung als Bildungsvorgang denken, entfaltet die Betrachtung der Mose-Exodus-Tradition einen besonderen Reiz. Zunächst schwankt die Untersuchung des paulinischen Schriftgebrauchs häufig zwischen einer Vernachlässigung narrativer Traditionen oder deren Überhöhung in theologische Deutungsmuster.42 Sodann handelt es sich bei der Mose-Exodus-Tradition nicht nur um eine zentrale identitätsstiftende Erzählung des Judentums,43 sondern auch um 37 Vgl. Schröder 2012, 215 f.222 f.; Gemeinhardt 2020, 210; mit besonderem Augenmerk auf paulinische Texte Söding 2016, 20–22. 38 Vgl. für 1 Kor ausführlich Wilk 2018b; Wilk 2019. 39 Vgl. etwa den Weisheitsdiskurs in 1 Kor, die Frage nach der Verständigkeit der Korinther (1 Kor 4,10; 10,15; in anderem Zusammenhang 2 Kor 11,19) und ihrer Erkenntnis (programmatisch 2 Kor 1,13), aber auch die wiederkehrende Frage οὐκ οἴδατε (1 Kor 3,16; 5,6; 6,2 f.; 6,9; 6,15 f.; 9,13; 9,24; anders 12,2) oder verwandte Mitteilungsformeln (1 Kor 10,1; 12,1 f.; 2 Kor 1,8). 40 Schnelle 2015, 113. 41 Vgl. Wilk 2017; vgl. zur Bildungsfunktion der Schriftbezüge auch den vielsagenden Titel von Hays 2005b: „The Conversion of the Imagination“. 42 Entsprechend der Verteilung expliziter Zitate liegt der Fokus der meisten Detailuntersuchungen auf Jes oder Dtn. Für eine Auswertung von Exodusbezügen hinsichtlich eines „New Exodus“ vgl. hingegen Keesmaat 1999; Wright 1999; Morales 2010; Wright 2013; kritisch: Moyise 2016; Das 2016. 43 Vgl. Macaskill 2019, 77–82. Die Auseinandersetzung mit der Mose-Exodus-Erzählung kann schon innerkanonisch als „literary search for identity“ bezeichnet werden: „in these texts a community comes to an understanding of themselves“ (Klein 2015, 420.423).

1.4 Zu 1 Kor 10 und 2 Kor 3

7

die über die Grenzen des Judentums hinaus bekannteste.44 Sie ist folglich von jeher in verschiedene „Bildungsprozesse“ eingebunden45 und eignet sich in besonderer Weise, um zu untersuchen, inwiefern sich Paulus auch gegenüber einer mehrheitlich pagan geprägten Gemeinde auf „narrative Abbreviaturen als argumentative Bezugsgrößen“46 beziehen kann. Vor dem Hintergrund des flexiblen Schriftgebrauchs bei Paulus und seinen Zeitgenossen ist der Begriff Mose-Exodus-Tradition bewusst offen gewählt und nicht auf konkrete biblische Texte beschränkt. Vielmehr umfasst er all jene zeitgenössisch bekannten und für uns greifbaren Texte und Auslegungstraditionen, die sich deutlich auf die Erzählungen von Auszug aus Ägypten, Sinaioffenbarung und Wüstenwanderung beziehen, indem sie die Handlungsfolge, einzelne Episoden oder die Gestalt des Mose in den Blick nehmen.47

1.4 Zu 1 Kor 10 und 2 Kor 3 Mit 1 Kor 10 und 2 Kor 3 beziehen sich zwei Passagen auf die Mose-Exodus-Tradition, die sich in verschiedenen, an den gleichen Adressatenkreis gerichteten Briefen finden. Bei beiden Texten handelt es sich um ausführliche, mitunter „midraschartige Stücke“48, deren Analyse tieferen Einblick in Schriftkenntnis und -verständnis des Paulus verspricht. Hinsichtlich 1 Kor 10 lässt sich Berndt Schaller gar zur Behauptung hinreißen, „daß es kaum einen anderen Paulustext gibt, der uns so umfassend Einsicht vermittelt in die hermeneutischen und materiellen Eigenheiten und Voraussetzungen des Paulus als Schriftausleger“49. Aber auch der ausgeprägt schriftgelehrte Charakter von 2 Kor 3 gibt weiterhin Rätsel auf.50 In den vergangenen Jahren hat Florian Wilk wiederholt auf den programmatischen Bildungscharakter des Schriftgebrauchs in 1 Kor hingewiesen: „[Die Korinther] sollen lernen, die ‚Schrift‘ als Maßstab für die Gestaltung ihrer Existenz ‚in Christus‘ zu begreifen und zu nutzen“51, wie es angesichts der eschatologisch Vgl. Lierman 2004, 206; Cook 2017. Für die Mose-Exodus-Tradition als paideia in 1 Kor vgl. Works 2014. 46 Reinmuth 2005, 57. Dazu Reinmuth 2005, 61: „[D]as Stichwort ‚narrative Abbreviatur‘ […] setzt intertextuelle Kompetenz als die Fähigkeit, die Bedeutung von Erzähltexten zu kommunizieren, voraus, nicht jedoch die Fähigkeit, narrative Prätexte vollständig und textgemäß rekapitulieren zu können.“ 47 Damit ist der Begriff zugleich jedoch enger als das Postulat eines theologieprägenden „New Exodus“-Motivs und setzt ein solches nicht voraus (vgl. Anm. 42). 48 So die nicht unproblematische Bezeichnung bei Windisch 1924, 112. 49 Schaller 2001, 185. 50 Vgl. zuletzt Cover 2015. 51 Wilk 2019, 21. Vgl. auch Wilk 2018b. Beide Arbeiten demonstrieren, wie pauschale Einschätzungen wie: „[T]he letters of Paul were preeminently instruments of resocialisation” (Meeks 2002, 197) sachgemäß zu füllen sind. 44 45

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1 Einleitung

qualifizierten Gegenwart nötig und in Anbetracht von Fehlentwicklungen in der Gemeinde dringlich geworden ist.52 Aus Bildungsperspektive ist die Kommunikationssituation auch dadurch von besonderem Interesse, dass Paulus sich mit Texten, die auch über die starke Rolle der Schrift hinaus vielfach explizit jüdisches Gepräge tragen,53 an eine mehrheitlich nicht-jüdisch geprägte Gemeinde wendet. Dies gilt zumal, wenn man eine Konfliktlinie gegenüber einer anders (alexandrinisch/hellenistisch) geprägten Schriftauslegungstradition im Gefolge des Apollos annehmen möchte.54 Bei all dem ermöglicht das Nebeneinander von 1 Kor 10 und 2 Kor 3 nicht nur die punktuelle Untersuchung der bei den Adressaten vorausgesetzten Schriftkenntnis und des bei ihnen vorausgesetzten Schriftverständnisses, sondern erlaubt es, auch nach Entwicklungen zu fragen. Auch nach ausführlicher Behandlung der Mose-Exodus-Tradition in den Korintherbriefen blieb in SERAPHIM 11 festzuhalten: „More studies of this kind will be needed.“55 Dieser Aufforderung möchte die vorliegende Untersuchung folgen. Sie wird ihr Ziel erreicht haben, wenn es ihr gelingt, am Beispiel der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor 10 und 2 Kor 3 – die im Text vorausgesetzten Schriftbezüge zu erheben und – ihre kommunikative Funktion auf eine Art und Weise zu bestimmen, die es erlaubt a) Schriftkenntnis und -verständnis des Paulus zu beschreiben, b) auf Schriftkenntnis und -verständnis der Adressaten zu schließen und c) den Schriftgebrauch des Paulus in seiner Logik als Bildungsvorgang „zwischen den Welten“ nachzuzeichnen.

Vgl. Wilk 2017, 160–166. Ausführlicher Fitzmyer 1981, 631. 54 Vgl. Wilk 2017, 162–164. 55 Oropeza 2020 im Hinblick auf die Schwierigkeit, den Bildungshorizont der Adressaten zu erheben. 52 53

2 Zur Orientierung: Anlage und Vorgehen Um Schriftauslegung als Bildungsvorgang beschreiben zu können, muss die Untersuchung der Texte gleichermaßen intertextuell wie rhetorisch erfolgen: intertextuell, weil es ihr um die Verarbeitung von Schriftbezügen geht, rhetorisch, weil Rhetorik letztlich nichts anderes tut als sprachlich vermittelte „Bildungsprozesse“ zu befördern. Ihr Anliegen ist die zielgerichtete und transformative Interaktion mit der Vorstellungswelt des Gegenübers. Anders ausgedrückt: Die intertextuelle Fragestellung ermöglicht es, potentielle Schriftbezüge zu erheben, aber erst die Untersuchung des paulinischen Gedankengangs und seiner rhetorischen Anlage erlaubt es, die Schriftbezüge nach Wert und Funktion zu beurteilen. Für den Aufbau der Untersuchung ergibt sich daraus ein Dreischritt, zu dessen Benennung sich im Anschluss an den Titel der Arbeit topographische Bilder nahelegen: „Erkundung“, „Kartierung“ und „Skalierung“. Die drei Punkte entsprechen schwerpunktmäßig je einem der Pole „Autor“, „Text“ und „Leser“, gehen jedoch nicht darin auf. Vielmehr sind sie aufeinander angewiesen und erhellen sich wechselseitig. Der „Erkundung“ potentieller intertextueller Bezugnahmen und ihres Verhältnisses zu den jeweiligen Bezugstexten in 1 Kor 10 und 2 Kor 3 („Was hat Paulus in den Text hineingelegt?“), folgt eine Phase der „Kartierung“ des Textes im Hinblick auf seine Aussageintention und sein rhetorisches Gefälle („Was sagt der Text?“). Dieser Arbeitsschritt versucht, die Absicht des Autors durch eine detaillierte thematische, strukturelle, gedankliche und argumentative Analyse zu erheben. Da an dieser Stelle exegetische Untiefen mit einer unübersichtlichen Forschungslage zusammentreffen, ist der Untersuchung ein strenges methodisches Vorgehen auferlegt, das Nachvollziehbarkeit gewährleisten und Zirkelschlüssen vorbeugen soll. So gliedert sich die „Kartierung“ in eine A-Phase der thematisch-strukturellen Analyse und eine B-Phase der rhetorisch-argumentationslogischen Analyse. Die thematisch-strukturelle Analyse fragt nach dem Skopus des Texts und versucht, ihn anhand überwiegend formaler Kriterien zu segmentieren. (Im Bild gesprochen erhebt sie das Inventar der Landschaft, füllt die Karte mit markanten Punkten, zeichnet wesentliche Orte und ein provisorisches Koordinatensystem ein.) Darauf baut die rhetorisch-argumentationslogische Analyse auf und bringt die erhobenen Segmente in eine gedankliche Hierarchie, indem sie das Anliegen des Textes erhebt und die Art und Weise, wie er dieses Anliegen verfolgt. (Im Bild gesprochen werden Höhenlinien und Straßen eingezeichnet, die deutlich machen, welche gedanklichen Wege gangbar sind.) Die Kartierung in zwei Phasen bedingt zwar gelegentliche Wiederholungen und Querverweise, die nachfolgende methodische Reflexion wird jedoch ihre Notwendigkeit erweisen.

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2 Zur Orientierung

Das gewonnene Bild des Gedankengangs kann mit den zuvor erhobenen biblischen Bezügen abgeglichen werden. Sobald ein biblischer Bezug genau genug auf dieser argumentativen „Karte“ verortet ist, werden Rückschlüsse auf seine Funktion und Intentionalität möglich. Ein abschließender dritter Schritt der „Skalierung“ betrachtet den Text aus der Perspektive hypothetischer Leserschaften und beobachtet etwaige Sinnverschiebungen bei unterschiedlich hoher biblischer Allusionskompetenz und unterschiedlicher kultureller Prägung („Was werden die Leser mutmaßlich verstanden haben?“). Auf diesem Wege treten sowohl intertextuelle Details als auch die Strategie der Schriftverwendung und der Charakter der intendierten Leserschaft deutlich hervor. Die Wahl eines solchen Vorgehens erschließt sich besonders klar in der Reflexion auf den Begriff Intertextualität, die zugleich als methodische Grundlegung für die Schritte von „Erkundung“ und „Skalierung“ dienen kann. Die Phasen der gedanklichen „Kartierung“ werden im Anschluss methodisch zu begründen sein.

2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm („Erkundung“ und „Skalierung“) 2.1.1 Intertextualität – ein Begriff und ein Problem Die grundsätzliche Anlage der Untersuchung und die Probleme, denen sie gegenübersteht, lassen sich besonders plastisch entlang des Begriffs „Intertextualität“ demonstrieren. Die Frage nach der Rezeption der Mose-Exodus-Tradition in den Korintherbriefen ist dem gängigen Sprachgebrauch nach eine „intertextuelle“ Frage. Ob und inwiefern sie tatsächlich intertextuell ist, ist bei genauerem Hinsehen jedoch nicht einfach zu beantworten. Spätestens seit Richard Hays Echoes of Scripture in the Letters of Paul (1989) ist der Begriff Intertextualität auch in der neutestamentlichen Wissenschaft in aller Munde. Keineswegs herrscht jedoch Einigkeit darüber, worum es sich dabei handelt oder wie Intertextualität zu untersuchen ist. Dabei ist die Bibelwissenschaft nicht als einzige mit diesem Problem konfrontiert. Vielmehr spiegelt die begriffliche und methodische Unschärfe eine tiefe Uneinigkeit der Intertextualitätsforschung überhaupt wider. Sein Debut auf der Bühne von Sprachphilosophie und Literaturtheorie feierte der Begriff Intertextualität in Julia Kristevas Aufsatz Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman von 1966.1 Im freien Anschluss an Michail Bachtins Arbeiten zur dialogischen Anlage der Romane Dostojewskis, in denen Bachtin den russischen Formalismus überwinde, indem er „die statische Zerlegung der Texte durch ein Modell ersetz[e], in dem die literarische Struktur nicht ist, sondern sich erst aus der

1

Vgl. deutsch u. a. Kristeva 1996.

2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm

11

Beziehung zu einer anderen Struktur herstellt“2, begreift sie jeden Text „als Mosaik von Zitaten […], Absorption und Transformation eines anderen Textes“3. Ganz im Geiste des beginnenden Poststrukturalismus radikalisiert Kristeva dabei „den Textbegriff, der nun auch die Gesellschaft, Geschichte und Kultur als Zeichensysteme umfaßt“.4 Alles ist Text und alles interagiert mit allem. Der Begriff „Intertextualität“ bezeichnet in Kristevas Diktion dieses Phänomen, die „Transposition eines Zeichensystems in ein anderes“.5 Auf diesem Wege entstehe nicht nur Bedeutung; auf diesem Wege entstehe eine Fülle von Bedeutungen, die ein literarischer Text im Gegenüber zu verschiedenen Rezipienten mit ihrem je individuellen Vorwissen, ihrer Prägung und ihren Enzyklopädien freisetze. Und zwar ganz unabhängig von jeder steuernden Absicht seines Autors.6 So verstanden ist Intertextualität keine Eigenschaft bestimmter Texte, sondern ein Grundgesetz von Textualität überhaupt.7 Seiner in erster Linie kulturkritischen Funktion nach führt ein solcher Ansatz „zu einer die Sinnvorgaben von Texten ignorierenden radikal dekonstruierenden intertextuellen Schreib- und Lektürepraxis“.8 In Abgrenzung zu diesem poststrukturalistisch weiten Intertextualitätsbegriff wurden in seiner Rezeption jedoch Intertextualitätskonzepte entwickelt, die nicht auf der literatur- bzw. kulturkritischen Ebene, sondern auf einer texttheoretischen oder textanalytischen Ebene operieren.9 Mit ihnen geht notwendigerweise eine (bewusste) Verengung des Begriffes einher, insbesondere dort, wo Intertextualität zu einem textanalytischen Begriff wird, um „konkret lokalisierbare und beschreibbare Aktualisierungen“ von Bezugstexten durch einen „absichtsvoll agierenden Autor“10 darzustellen. Denn so verstanden handelt es sich bei Intertextualität eben doch um ein lokalisierbares Phänomen in einer durch die Autorenintention kontrollierten Textwelt. Diese vermeintliche Banalisierung des Begriffs führte wiederholt zu scharfen Invektiven zwischen den Vertretern beider Lager und zu seiner Aufgabe von Seiten Kristevas.11 Unbeschadet dessen hat ein großer Teil der Intertexualitätsforschung diesen Weg eingeschlagen  – und hält an ihm fest.12 Seinen Kritikern wird entgegengehalten, dass die Kristeva 1996, 335. Kristeva 1996, 337.  4 Stiegler 1996, 328.  5 Kristeva 1987, 69.  6 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Roland Barthes klassisch gewordenen Aufsatz vom „Tod des Autors“ (deutsch u. a. Barthes 2015); ferner Schmitz 2002.  7 Vgl. Pfister 1985, 8.  8 Merz 2004, 12.  9 Zur Unterscheidung dieser drei Ebenen im Intertextualitätsdiskurs vgl. Lachmann 1984, 134. 10 Helbig 1996, 58. 11 Kristeva schlug in Kristeva 1987, 69, vor, den Begriff Intertextualität durch „Transposition“ zu ersetzen. 12 Vgl. etwa die bei Helbig 1996, 17–57 untersuchten Autoren und nicht zuletzt Helbig selbst. Zur Begriffsgeschichte auch im englischen Sprachraum vgl. Allen 2000. Vgl. für die exegetische Wissenschaft abwägend Hübner 1991, 884.  2  3

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2 Zur Orientierung

vermeintlich „(unzulässige) Verengung der Intertextualitätstheorie“13 alternativlos sei, wolle man konkrete Fälle von Intertextualität jedweder Couleur methodisch greifbar machen und untersuchen.14 Demnach dient ein solcher „eingeschränkter Intertextualitätsbegriff […] einerseits der analysepraktischen Operationalisierbarkeit, andererseits der Konzentration auf die erkennbar sinnvermehrenden Formen von Intertextualität.“15 Unabhängig von der Frage nach richtig und falsch ist es zu bedauern, dass die „punktuellen Erkenntnisgewinne“ der Intertextualitätsforschung wegen ihrer unterschiedlichen Ausrichtung „untereinander meist nicht kompatibel sind“16 und Intertextualität damit nach wie vor ein „Pseudokonzept“ zu sein droht, „das nur sprachlich eine Einheit von Phänomenen vortäuscht, die in deren Beschreibung nicht eingelöst wird, insofern – trotz eines sprachlich einheitlichen Konzepts – Systemreferenzen, Systemrelationen und Einzeltextbezüge in unterschiedlicher Weise theoretisiert werden.“17 Man kann sich berechtigtermaßen fragen, welchen Wert ein Begriff hat, von dem niemand mit Sicherheit sagen kann, was er besagt. Die Maxime „[o]bviously a word which we can never apply is not going to be a very useful word“18, greift wie für alle anderen Begriffe auch hier. Infolgedessen ist wiederholt der Vorschlag gemacht worden, den Begriff zumindest für die neutestamentliche Wissenschaft aufzugeben.19 Wenn diese Untersuchung dennoch am Begriff „Intertextualität“ festhält, hat dies in erster Linie pragmatische, in zweiter Linie jedoch auch programmatische Gründe. Vom pragmatischen Gesichtspunkt her scheint es wenig mehr als Donquichotterie zu sein, sich gegen den in der Exegese fest etablierten Sprachgebrauch zu stemmen, der Intertextualität mehrheitlich im engeren, textanalytischen Sinne versteht.20 Zumal eine solche Verwendung mit einer breiten Strömung in den Literaturwissenschaften konform geht und auf diesem Wege auch theoretisch fundiert ist. Dies entkräftet freilich weder das Argument der allgemeinen Sprachverwirrung, noch entbindet es von der Pflicht, die eigene Begrifflichkeit sauber zu definieren. Wo etablierte andere Begriffe zur Verfügung stehen, sollen sie genutzt und das terHelbig 1996, 58. Kristeva selbst scheint sich an den wenigen Stellen, an denen sie praktisch wird und Beispiele anbringt, in solchen Bahnen zu bewegen. Vgl. Merz 2004, 17. Zum uneinheitlichen Gebrauch des Begriffes durch Kristeva vgl. ferner Petersen 2008, 64, mit Anm. 34. 15 Merz 2004, 9. 16 Helbig 1996, 52. 17 Hempfer 1991, 15. 18 Lewis 2007, 10. 19 Vgl. zuletzt Porter 2017, 28, wobei Porter den Sachverhalt so präsentiert, als stünde die Exegese mit der terminologischen Verwirrung allein auf weiter Flur und müsse die eingebürgerte Verwendung aufgeben, um in einen sinnvollen Dialog mit den Literaturwissenschaften eintreten zu können. Wie oben gezeigt wurde, ist dem zumindest im deutschsprachigen Bereich nicht so. Stärker wiegt sein Argument, die neutestamentliche Wissenschaft versperre sich durch einen banalisierenden Gebrauch des Begriffes den Zugang zu seinem eigentlichen Potential. 20 Dies scheint auch Porter 2017, 28, selbst zuzugestehen. 13 14

2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm

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minologischen Wirrwarr der miteinander streitenden Schulen vermieden werden. Entsprechend ist der zitierende Text der Korintherbriefe im Anschluss an Anette Merz im Folgenden schlicht als „Text“ (mitunter auch als „Brieftext“) bezeichnet, der Text, den er zitiert oder auf den er anspielt, in der Regel als „Bezugstext“ (mitunter auch „Prätext“).21 Daneben stehen programmatische Gründe, am Begriff als einem Leitbegriff festzuhalten. Intertextualität wird zunächst verstanden als eine durch textuelle Signale markierte Verarbeitung eines (literarischen) Textes in einem anderen (literarischen) Text. Die erfolgreiche Aktualisierung eines intertextuellen Verweises durch den Leser trägt dazu bei, den Text der Intention seines Autors folgend (vertieft) zu verstehen. Diese Definition entspricht dem engeren Verständnis von Intertextualität der textanalytischen Spielart, wie er in der Exegese verbreitet ist. Sie ist dem historischen Charakter dieser Untersuchung geschuldet, die versuchen möchte, konkrete Bildungsprozesse zu erfassen, wie sie sich bei Abfassung und Lektüre der Briefe ereignet haben könnten, sofern sie sich vom Text her wahrscheinlich machen lassen. Einer Autorenintention, die den Lektüreprozess steuern und begrenzen möchte, kann und will sie sich demnach nicht entledigen, wird sie aber auch nicht überbewerten. Denn dass die intertextuellen Verweise auf die intendierte Weise erkannt und entschlüsselt wurden, ist keineswegs vorauszusetzen. Entscheidend ist die Absicht. „Nach diesem Konzept liegt Intertextualität dann vor, wenn ein Autor bei der Abfassung seines Textes sich nicht nur der Verwendung anderer Texte bewußt ist, sondern auch vom Rezipienten erwartet, daß er diese Beziehung zwischen seinem Text und anderen Texten als vom Autor intendiert und als wichtig für das Verständnis seines Textes erkennt. Intertextualität in diesem engeren Sinn setzt also das Gelingen eines ganz bestimmten Kommunikationsprozesses voraus, […] bei dem jeder der beiden Partner des Kommunikationsvorgangs […] das Intertextualitätsbewußtsein seines Partners miteinkalkuliert.“22

Zählt auf der Autorenseite die Intention, so steht gleichberechtigt daneben auf der Leserseite die Maxime: „Relevant ist nicht, ob Intertextualität produktionsästhetisch gewollt ist; vielmehr ist maßgebend, ob sie rezeptionsästhetisch wirksam werden kann.“23 Beide Pole müssen untersucht werden und in beiden Fällen muss der Text selbst Ausgangspunkt der Untersuchung sein, lässt sich der Kommunikationsprozess doch nur von dorther erschließen. Der Begriff Intertextualität verwebt damit die Pole „Autor“, „Text“, und „Leserschaft“ in ein komplexes Interaktionsnetz und transzendiert gewissermaßen die Dichotomie von rein produktionsorientierter

21 Vgl. Merz 2004, 6. Deshalb vermeidet die Arbeit auch die über die Maßen technische Begrifflichkeit, die Stocker 1998, 48–72, im Anschluss an Gérard Genette entwickelt. Vgl. dazu Genette 2008, 7–17. 22 Broich 1985, 31. 23 Stocker 1998, 101.

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2 Zur Orientierung

Betrachtungsweise einerseits und rein rezeptionsorientierter Betrachtungsweise andererseits.24 Von daher geht das Frageinteresse der Arbeit tatsächlich weit über den Bereich klassischer Quellenforschung hinaus. Tatsächlich will sie erheben, auf welche Weise Paulus seine Referenztexte verarbeitet hat, bleibt dort jedoch nicht stehen, sondern fragt weiter nach der kommunikativen Funktion, die den Bezugnahmen auf diese Texte zukommt und vergleicht dies mit denkbaren Rezeptionsweisen von Seiten der korinthischen Gemeinde. Sie möchte kurzum „das Feld der historisch möglichen Textbedeutungen“25 in seiner historisch plausibilisierbaren Vielfalt abstecken. Insofern als Intertextualität auch das Intertextualitätsbewusstsein des Kommunikationspartners in den Blick nimmt, stellt sich zudem die Frage, inwiefern Paulus als Akteur im Bildungsprozess die vielfältigen Verstehensmöglichkeiten auf Seiten der Gemeinde vorausgesehen und versucht hat, steuernd in sie einzugreifen. Was das heißt, sei anhand einiger Diagramme verdeutlicht. Im freien Anschluss an Peter Stocker und andere lassen sich literarische Kommunikationprozesse folgendermaßen abbilden:26 Sender1



Text 1



Empfänger1=Sender2



Text2



Empfänger2



Ein Autor Sender1 produziert einen Text1, den ein Empfänger1 liest. Indem dieser die Lektüre des Textes literarisch verarbeitet, wird er als „Umschaltstelle zwischen Lektüre und Schreibakt“27 selbst zum Sender2 von einem Text2, der seinerseits einen Empfänger2 findet. Die Reihe ließe sich grundsätzlich ins Unendliche fortschreiben. Dieses Schema lässt sich für die Zwecke unserer Untersuchung folgendermaßen füllen: Verschiedene biblische Autoren verfassen verschiedene biblische Texte. Paulus als Leser dieser Texte ist zugleich Sender der Korintherbriefe, in denen er Teile seiner Lektüre rezipiert und verarbeitet. Diese Briefe lesen nun wiederum die Korinther. Da es sich dabei um eine Empfängergruppe handelt, ist jedoch eine Vielzahl von je individuellen Verstehensmöglichkeiten denkbar, im Diagramm angedeutet durch die drei Pfeile, die vom Brief zur Gemeindegruppe weisen. Ausgehend vom Text der Korintherbriefe arbeitet diese Untersuchung sich nun vor und versucht, den Kommunikationsprozess zu rekonstruieren. Die Frage, welche Texte Paulus verarbeitet, bildet dabei nur den Anfang. Vielmehr möchte sie gewissermaßen die Phasen erkunden, die im Diagramm durch Pfeile dargestellt sind. Auf der einen Seite: Welche Texte stehen Paulus vor Augen? Auf welche Weise verarbeitet er sie? Was bewegt ihn dazu? Auf der anderen Seite: Welche Wirkung(en) 24 Vgl. für eine knappe Gegenüberstellung dieser Betrachtungsalternativen Abasciano 2007 und Stanley 2012b. 25 Merz 2004, 20. 26 Die Grafik folgt weitgehend Stocker 1998, 98. 27 Stocker 1998, 99.

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2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm

hat dies auf die Korinther? Nicht von Interesse sind demgegenüber die Fragen nach dem ursprünglichen Aussageinteresse der von Paulus verarbeiteten Texte und dem Abgleich dieses Aussageinteresses mit der paulinischen Deutung. →

Autor B



bibl. Prätext B



Autor C



bibl. Prätext C



Autor D



bibl. Prätext D



Autor …



bibl. Prätext …



Paulus

Korinther



1/2 Kor

bibl. Prätext A

Autor/ Sender von 1/2 Kor



Leser/ Empfänger der Prätexte

Autor A



Leser/



Empfänger



von 1/2 Kor

Untersuchungsgegenstand

Die Untersuchung ist insofern gleichsam doppelt intertextuell angelegt. Einmal im engeren textanalytischen Sinne, der weitgehend der klassischen Quellenforschung entspricht, wenn ausgehend von der intertextuellen Präsuppositionsstruktur des Textes auf die aktive Allusionskompetenz des Paulus geschlossen wird. Dann aber auch in einem etwas weiteren Sinne, wenn im Versuch, mögliche Verstehensweisen der paulinischen Schriftrezeption zu rekonstruieren, ausgehend vom Allusionspotenzial des Brieftextes die denkbare Reaktion verschiedener Leserschaften mit unterschiedlicher passiver Allusionskompetenz erschlossen wird.28 Die Radikalität des Kristeva’schen Intertextualitätsbegriffs ist damit zwar nicht erreicht, will aber auch nicht erreicht werden. Jede historische Untersuchung muss dem geistigen Klima, aus dem der Begriff stammt, eine gewisse Skepsis entgegenbringen.29 Dennoch rechtfertigt es dieser Ansatz, am Begriff Intertextualität festzuhalten, da er gewissermaßen den Fragehorizont mit Kristeva teilt: verschiedene Verstehensweisen eines Textes zu erforschen – nur eben eingeschränkt auf das historisch Wahrscheinliche. Ihrer Anlage nach stößt diese Arbeit demnach von einem wohlweißlich eingehegten Verständnis von Intertextualität, das sich zur Not auch weitgehend in die traditionelle Sprache der Quellenkritik kleiden ließe, herkomZur Begrifflichkeit vgl. Hebel 1989, 55–60. Zur Sache s. u. 2.1.3.2. Der zugrundeliegenden, diametral entgegengesetzten Weltanschauungen halber, bleibe ich mit Porter, Helbig und anderen skeptisch, ob die verschiedenen Ebenen des Intertextualitätsbegriffs (textanalytisch, texttheoretisch, kulturkritisch) sich so leicht harmonisieren lassen, wie Merz 2004, 80, oder Petersen 2008, 65, dies anzunehmen scheinen. Für die Suche nach einem Mittelweg vgl. Hebel 1989, 35 f., und die dort angegebene Literatur. 28 29

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2 Zur Orientierung

mend, wieder zu weiteren Formen von Intertextualität vor, indem sie ein historisch plausibilisierbares „Sample“ untersucht. 2.1.2 Zur textanalytischen Rekonstruktion von Intertextualität Der Umgang mit historischen Fällen von Intertextualität bedeutet eine komplexe Rekonstruktionsarbeit, gleich ob man diese als „Textarchäologie“30 bezeichnet, oder den dynamischeren Begriff vom „intertextuellen Ort“31 wählt, der neu bestimmt werden muss. Das gilt insbesondere für die hier verhandelten Texte, die mit dem Zweck verfasst wurden, ein konkretes Publikum in einer konkreten Situation anzusprechen. Dem heutigen Leser fehlt nicht nur der unmittelbare Einblick in die kommunikative Situation der Briefe. Auch das Text- und Weltwissen der historischen Leserschaft teilt er nicht, da es über die Jahrhunderte in einem Prozess „intertextueller Erosion“32 abgetragen wurde. Auch wenn die Ränder einer solchen Arbeit notwendigerweise unscharf bleiben, steht der heutige Leser damit vor der Aufgabe, nicht nur die Allusionsintention des Autors, sondern auch die Allusionskompetenz der Erstleserschaft bestmöglich zu rekonstruieren und zwar auf zweifache Weise: Er muss erschließen, was mutmaßlich als intertextueller Bezug aufgefasst und wie dieser Bezug mutmaßlich gedeutet wurde. Erste und maßgebliche Anlaufstelle für diese Rekonstruktionsarbeit ist der Text selbst. 2.1.2.1 Das Modell Insoweit das Vorgehen gängigen „Intertextualitätsmodellen“ entspricht, können diese für die methodische Reflexion fruchtbar gemacht werden. Wegen seines pragmatischen Zuschnitts und seiner vielseitigen Anwendbarkeit, mithin seiner „Klarheit und Brauchbarkeit“33, bietet sich dazu besonders der Ansatz Peter Stockers an.34 Stocker bietet einen Satz von Kriterien, wann die Beziehung zweier Texte als intertextuell zu bezeichnen ist, die sich am abstrahierten Lektüreprozess des Modelllesers orientieren. Dieser wird einen (Post-)Text so lange als in sich selbst geschlossene Einheit lesen, bis ein desintegratives Intertextualitätssignal ihn „zu einer Änderung der Leserichtung (Digression) veranlaßt“.35 Intertextualitätssignale So Hebel 1989. So die Begrifflichkeit bei Merz 2004, 21, die „ein oszillierendes Feld mit Abschnitten geringerer und höherer Dichte, d. h. geringerer und höherer Aktualisierungswahrscheinlichkeit“ evozieren soll. 32 Hebel 1989, x. 33 Vgl. Käfer 2019, 13. 34 Ein ähnliches Vorgehen schildert mit anderer Terminologie Hebel 1989, 63–66. Stockers Ansatz zeichnet sich durch seine Flexibilität aus, die es erlaubt, ihn auf verschiedene Textgattungen verschiedener Epochen anzuwenden und andere Modelle, wo es nötig ist, unterstützend zu integrieren. Insgesamt geht er über eine rein textanalytische Betrachtung hinaus, was an dieser Stelle jedoch nicht zu stören braucht. 35 Stocker 1998, 105. Stocker spricht in Anlehnung an Northrop Frye auch von „inward“ und 30 31

2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm

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liegen dort vor, wo eine Aussage eine „reibungslose ‚Kohärenzbildung‘“ semantisch unmöglich macht und den Leser eine „‚kotextuelle Störung‘“36 wahrnehmen lässt. Insofern ist Intertextualität mit Formen uneigentlicher Rede wie der Metapher verwandt, die jenseits der Wortbedeutungsebene einer Deutung zugeführt werden müssen.37 Der Text ist „übercodiert“.38 Da Stocker notwendigerweise von einem informierten Modellleser ausgeht, kann diese Störung freilich sehr subtil sein, muss aber an der Textoberfläche festgestellt werden können.39 Ist mit diesem Schritt der Desintegration die Digression von einer rein innertextlichen Lektüre eingeleitet, ist der Leser nun auf ein Prätextsignal angewiesen, das es ihm ermöglicht, den im Hintergrund stehenden Text zu identifizieren. Das Prätextsignal kann mit dem Intertextualitätssignal zusammenfallen, eigenständig auftreten oder gänzlich fehlen und den Leser entsprechend stark fordern.40 In jedem Falle muss die intertextuelle Ablenkung eine Funktion für das Textverständnis haben. Kriterium für intendierte Intertextualität ist, dass „die Berücksichtigung bestimmter [festgestellter] Prätexte bei der [fortgesetzten] Lektüre des Posttexts (Reintegration) zu dessen vertiefter Deutung führt“41. Für die Analyse bietet sich die Suche nach den genannten zwei Typen von Signalen an: Intertextualitäts- und Prätextsignal. Andere detaillierter ausgearbeitete intertextuelle Entwürfe lassen sich in diesen Ansatz einpassen und verfeinern das methodische Instrumentarium. So schlüsselt Jörg Helbig42 sowohl die verschiedenen Formen von Intertextualitätssignalen als auch den Lektüreprozess kleinschrittiger auf.43 Neben dem Phänomen unmarkierter Intertextualität fächert Helbig die Markierung von Intertextualität in drei grundsätzliche Möglichkeiten auf, ein Intertextualitätssignal zu senden: Emphase, linguistische Uneinheitlichkeit und offener Hinweis.44 Entsprechend der Unterscheidung von Intertextualitäts- und Prätextsignal bei Stocker misst er die Markierungen am Grad (a) ihrer Deutlichkeit und (b) ihrer Durchsichtigkeit auf den Prätext. Von den drei genannten Optionen, Intertextualität zu markieren, sendet die erste nur ein implizites, die letzten in steigender Deutlich„outward“-lektüre. Vgl. Stocker 1998, 103 f. Für eine Fallstudie aus einem anderen antiken Zusammenhang, die die Grenzen eines solchen Ansatzes vor Augen führt, vgl. Hinds 1998, 25–34. 36 Vgl. Stocker 1998, 103. 37 Vgl. Stocker 1998, 102 f. 38 Vgl. Lachmann 1984, 134. 39 Vgl. das Beispiel in Stocker 1998, 106 f. Die Frage, wie subtil ein solches Signal gewesen sein darf, um von den Korinthern als den historischen Erstlesern wahrgenommen worden zu sein, ist freilich eines der Grundprobleme der Debatte um die paulinische Schriftverwendung. 40 Vgl. Stocker 1998, 105. 41 Stocker 1998, 105, Hervorh. K. O. 42 Für ein Vorgehen, das die Ansätze von Stocker und Helbig auf ähnliche Weise zusammendenkt vgl. Käfer 2019, 13–19. Käfers Interesse gilt dabei der Rezeption der Sinaitradition im Johannesevangelium. Auf Helbig allein stützt sich in ihrer Arbeit etwa Merz 2004, 62–66. 43 Der terminologische Unterschied zwischen „Signal“ bei Stocker und „Markierung“ bei Helbig bedingt keinen sachlichen Unterschied. Vielmehr lassen sich „Markierung“ und „Signal“ weitgehend synonym verwenden. Vgl. dazu den Sprachgebrauch in Helbig 1996, 147. 44 Helbig 1996, 93.

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2 Zur Orientierung

keit ein explizites Signal. Demnach kann intendierte Intertextualität auch nur in den letzten zwei Formen nachgewiesen werden. Implizite Markierungen machen sie zwar mitunter hochwahrscheinlich, kommen aber über die Stufe von Indizien nicht hinaus.45 Hierzu zählt Helbig die Hervorhebung einer Passage durch die Menge ihrer intertextuellen Bezüge (hohe Durchdringung eines Textes mit intertextuellen Bezügen, mehrfaches Aufgreifen des gleichen Bezuges oder des gleichen Referenztextes, besonders ausgiebige Rezeption) oder deren Position (punktuelle oder weiträumige Streuung intertextueller Bezüge, Bezüge in strukturell besonders exponierten Passagen, z. B. nach Zäsuren).46 Ob implizit markierte Intertextualität erkannt wird, hängt damit maßgeblich von den literarischen Kenntnissen des Adressatenkreises ab. Anders verhält es sich mit explizit markierter Intertextualität, die auch dem literarisch unkundigen Leser eine intertextuelle Bezugnahme signalisiert und ihn ggf. nötigt, das angespielte Wissen zu erwerben um die Textaussage nachvollziehen zu können.47 Auf dem Gebiet der expliziten Intertextualitätssignale unterscheidet Helbig die Markierung durch Interferenzen mit mehr oder weniger deutlichen Nahtstellen (etwa die Nennung einschlägiger Namen oder einen Bruch des linguistischen Codes) und die offene Thematisierung des intertextuellen Bezuges (etwa durch metakommunikative Verben, den Hinweis auf einen Autor oder die ausdrückliche Identifizierung eines Referenztextes).48 Im Regelfall steigt die Deutlichkeit der Markierung dadurch, dass verschiedene Intertextualitätssignale gesendet werden, um den gleichen intertextuellen Bezug zu markieren.49 45 Helbig 1996, 95. Er spricht von „Reduktionsstufe“, „Vollstufe“ und „Potenzierungsstufe“, die zwar nicht identisch mit den drei Optionen sind, ihnen jedoch weitgehend entsprechen. Daneben kennt Helbig eine „Nullstufe“ nichtmarkierter Intertextualität. Sie ist dadurch definiert, dass es dem Autor gelingt, „eine intertextuelle Spur nahtlos in einen neuen Kontext zu integrieren, ohne daß hierbei Interferenzen entstehen“ (Helbig 1996, 88). Da „Markierung“ hier nicht notwendigerweise ein vom Autor intendiertes Signal, sondern zunächst ein feststellbares Phänomen der Textstruktur bezeichnet, ist es durchaus angemessen, auch die im genannten Sinne impliziten Markierungen als Markierungen zu bezeichnen. 46 Vgl. Helbig 1996, 97–111. Helbig selbst spricht auf dieser Stufe noch nicht von einer Störung des Leseprozesses. Das Beispiel von Stocker 1998, 105–109 legt jedoch nahe, dass in seinem Modell auch eine solche implizite Form der Markierung als desintegratives Intertextualitätssignal gedacht wird. Zur Emphase stellt Broich 1985, 43, fest, sie fokussiere die Wahrnehmung der Leserschaft und erzeuge so einen „Kontext permanenter Intertextualität, welcher den Leser veranlaßt, auch nach weniger offen oder gar nicht gekennzeichneten Zitaten und Anspielungen zu suchen“. 47 Vgl. Helbig 1996, 112. 48 Vgl. Helbig 1996, 111–126.131–142. Außerdem, für unseren Zusammenhang zu vernachlässigen, die typographische Markierung durch „graphemische Interferenzen“ (112, vgl. auch Merz 2004, 66). 49 Vgl. Helbig 1996, 126. An dieser Stelle berühren sich die Überlegungen mit den vielfach kritisierten, in der Praxis aber doch immer wieder nützlichen sieben Kriterien, die Hays 1989, 29–32, zur Identifizierung von Intertextualität bei Paulus aufgestellt hat. (Näher erläutert in Hays 2005c, 34–45.) Insbesondere die Gesichtspunkte volume (inkl. repetition, rhetorical stress und precursor prominence) und recurrence korrespondieren Helbigs Kriterien. Hays Stärke, eine Lesart zu entwickeln, die die Pole von Autor, Text und Leser zu transzendieren versucht, ist zugleich der Grund, warum sein Ansatz methodisch zu weit ist, um ihm an dieser Stelle streng zu folgen.

2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm

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Auf biblische Texte sind Helbigs Kategorien nicht immer trennscharf anwendbar. Auch wird nur ein Teil seiner Überlegungen relevant. Von daher wird seine Terminologie im Folgenden den Zwecken der Untersuchung angepasst und unmarkierte Intertextualität (kein Intertextualitätssignal, nach Helbig die „Nullstufe“), implizit markierte Intertextualität (Helbig: „Reduktionsstufe“, markiert durch Emphase), halb-explizit markierte Intertextualität (Helbig: „Vollstufe“, markiert durch linguistische Interferenzen, inklusive der von Anette Merz angemahnten Beachtung semantischer Interferenzen50) und explizit markierte Intertextualität (Helbig: „Potenzierungsstufe“, markiert durch direkte Thematisierung des Bezugs) unterschieden. Die Differenzierung in halb-explizite und explizite Markierungen, die Helbig so nicht trifft bzw. anders benennt, erscheint insofern sinnvoll, als linguistische Interferenzen in einem breiten Spektrum variierender Deutlichkeit begegnen.51 Anliegen einer Analyse, die sich an diesen Kategorien orientiert, wird es sein, im Hinblick auf die Deutlichkeit (Intertextualitätssignal) die jeweilige Art der Markierung festzustellen und im Hinblick auf die Durchsichtigkeit (Prätextsignal) den Umgang mit dem Prätext, insbesondere die Art und den Grad seiner Adaption zu erheben. Eine solche Analyse leistet zweierlei. Zunächst produziert sie eine Übersicht über Muster der intertextuellen Markierung und des Umgangs mit dem Prätext, die später auf „Wahrscheinlichkeitsrelationen“52 zwischen diesen Faktoren und der Funktion eines intertextuellen Bezugs befragt werden kann.53 So entsteht ein differenziertes Bild des impliziten Autors, mithin derjenigen „Sender-Instanz, welche der Modell-Leser aufgrund des Textes hypothetisch (als eine Art Phantom-Bild) entwirft“54, und seiner Arbeitsweise. In der Frage, inwiefern die Art der Adaption eines Prätextes mit der Art des Intertextualitätssignals zusammenhängt, berührt sich die Analyse hier mit der Debatte um die Kategorisierung paulinischer Schriftbezüge.55 Sodann lassen die Deutlichkeit der Markierung eines Schriftbezugs und der Grad des Eingriffs in den verarbeiteten Prätext Rückschlüsse auf die Schriftkenntnis des 50 So Merz 2004, 65, die diese Interferenzen jedoch dem Bereich impliziter Markierung zuschlägt. Zur Frage der Klassifizierung von Codewechseln als impliziter oder expliziter Markierung vgl.  Helbig 1996, 118, Anm. 78, mit Verweis auf Plett 1985, 85 f. Plett bietet eine detaillierte Aufschlüsselung möglicher linguistischer Codewechsel, die sich aber nur bedingt auf biblische Literatur übertragen lassen. 51 Helbig 1996, 118. Vgl. auch Anm. 50. 52 Helbig 1996, 183. 53 Dabei warnen die Erkenntnisse der modernen Intertextualitätsforschung davor, zwischen Art der Markierung und Funktion der intertextuellen Passage einen notwendig linearen Zusammenhang herzustellen. Vielmehr wären Texte als komplexe Systeme zu verstehen, die auch und gerade in ihrem Entstehungsprozess „einer nicht-linearen Dynamik“ unterliegen. „Während eine stark markierte Referenz für einen gegebenen Text nur periphere Bedeutung haben kann, mögen unmarkierte Bezüge gerade die maßgebende Bezugsfolie dieses Textes bereitstellen“ Helbig 1996, 182 f. 54 Stocker 1998, 100, Anm. 49. 55 Vgl. zuletzt Porter 2017.

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2 Zur Orientierung

Modellesers zu, der die notwendigen Wissensressourcen hat, konkrete Signale auf Anspielungen und Bezugnahmen im Text zu erkennen und auszuwerten.56 2.1.2.2 Sender und Leserschaft In der Tradition der exegetischen Wissenschaft wird auch diese Untersuchung fortfahren, „Paulus“ und „Korinther“ als Kurzformeln für den impliziten Autor und die implizite Leserschaft zu benutzen. Gerade im Lichte der Intertextualitätsforschung sind beide Größen zwar zunächst nicht mehr als Funktionen des Textes und der Überschritt von reiner Textbeobachtung zur historischen Autorenintention gilt als ein grundsätzlich unzulässiges Wagnis. Will man ihn aber dennoch tun, ist es nicht nur das beste, sondern das einzige praktikable Vorgehen, vom impliziten Autor auszugehen.57 Gleiches gilt für die implizite Leserschaft. Da die Daten über den historischen Paulus und mehr noch über die korinthische Gemeinde jedoch notorisch unsicher und umstritten sind, können entsprechende Schlüsse überwiegend nur aus den Texten selbst gezogen werden. Sie als äußere Parameter an die Analyse heranzutragen wäre nur sehr eingeschränkt oder hypothetisch möglich. Hiermit ist ein grundlegendes Problem benannt, auf das diese Untersuchung reagieren muss. Eine Zusammenschau der Schematisierungen dieses Prozesses nach Stocker und Helbig unterstreicht den Stellenwert der historischen Leserschaft für die Rekonstruktion des intertextuellen Leseprozesses. Während der historische, „empirische“ Leser in den Schritten 1–3 anhand klarer Anhaltspunkte im Text gelenkt wird und der Lektüreprozess damit weitgehend vom Text her rekonstruiert werden kann, ist für die Schritte 4–6 kaum greifbar, wie ein empirischer Leser sich verhält, der je nach Vorkenntnissen anders reagieren wird. Und auch die weiterführende Analyse der Adaption des Prätexts und die Rückfrage nach ihrer textinternen Motivation erlaubt zunächst nur die Bildung von Arbeitshypothesen, die in späteren Arbeitsschritten geprüft werden müssen. Stocker

Helbig58

Desintegration (1) Irritation durch Wahrnehmung eines Störfaktors im Verlauf der Rezeption Digression

(2) Identifizierung des Störfaktors als Referenzmarkierung (3) Identifizierung des Referenztextes

Reintegration

(4) Aktualisierung von Konnotationen, die im Zusammenhang mit dem Referenztext freigesetzt werden (5) Übertragung relevanter Konnotationen auf den präsenten Text (6) Schlußfolgerungen für die Interpretation

56 Zum „Modellleser“ vgl. u. a. Eco 1990, 61–82. Ähnlich Wolfgang Isers Konzeption vom „impliziten Leser“. Zuerst in Iser 1972. Vgl. hierzu kritisch Willand 2015, 240–243, mit Anm. 15. 57 Zum Problem und zu Alternativen vgl. Dinkler 2019. 58 Helbig 1996, 162.

2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm

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2.1.3 Die konkreten, intertextuellen Rahmenbedingungen Im konkreten Vollzug intertextueller Rekonstruktionsarbeit anhand der Korintherkorrespondenz muss neben der problematischen Unschärfe der historischen Kommunikationssituation auf Seiten des Autors wie der Erstleserschaft auch die spezifische Textgattung der Bezugstexte berücksichtigt werden. Annette Merz gibt zu bedenken: „Im Unterschied zu vielen literaturwissenschaftlichen Untersuchungen fiktionaler Texte, die sich gänzlich auf die textinternen Instanzen von implizitem Verfasser […] und implizitem Leser beschränken, muss eine textanalytische Untersuchung der intertextuellen Dimension urchristlicher Briefliteratur […] die zeitgenössischen LeserInnen und den empirischen Verfasser sowie ihre jeweiligen Lebenskontexte miteinbeziehen. Das gilt umso mehr, wenn der untersuchte Text klare außerliterarische Ziele verfolgt.“59

Es stellt sich die Frage, inwiefern unser historisches Wissen über Paulus und die Gemeinde in Korinth einerseits und die Textgattung der Bezugstexte andererseits die Untersuchungsparameter beeinflussen sollen und können. 2.1.3.1 Entfaltung der kommunikativen Situation zur Autorenseite hin Gerade in Anbetracht der widersprüchlichen Lesarten des zweiten Korintherbriefes liegt auf der Hand, dass ein a priori zu eng gefasstes Paulusbild sich eher nachteilig als förderlich auf die Untersuchung auswirken muss. Über die Kommunikationssituation wird wenig mehr als gesichert gelten können als das, was in den Korintherbriefen offen ausgesprochen wird: Paulus hat die Gemeinde gegründet und sieht sich ihr gegenüber deshalb in einer besonderen Autoritäts- und Fürsorgeposition. Er verfasst den ersten Korintherbrief zur Klärung einer durch Spaltungen bestimmten Konfliktsituation und ist im zweiten Korintherbrief gezwungen, den eigenen Verkündigungsdienst zu verteidigen und gegen (aus seiner Sicht) konkurrierende Verkündiger anzugehen. Unter anderem tritt er dabei, wie in anderen Briefen auch, als schriftkundiger Exeget auf. Das Vorhandensein umfangreicher Schriftkenntnis steht für Paulus außer Frage. Welcher Art diese Schriftkenntnis jedoch ist und welcher Auslegungsmethoden sie sich bedient, wird auch in dieser Arbeit weiter zu untersuchen sein. Die opinio communis, nach der Paulus unter gelegentlicher Anführung eines hebraisierenden Textes gemeinhin der LXX folgt,60 kann der Untersuchung als Ausgangsannahme dienen, wird sich in ihrem Laufe jedoch bewähren müssen. Auch die Maßgabe, dass er einer christologischen und apostolischen Hermeneutik folgend die Schrift als „Zeugen des Evangeliums“61 begreift, durch den Gott in die eschatologisch qualifizierte Situation seines VerkündiMerz 2004, 27 f. S.o. S. 2 und vgl. Wagner 2011, 164; Wilk 2013, 480. 61 Koch 1986, vgl. oben S. 2. 59 60

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2 Zur Orientierung

gungsdienstes spricht,62 bleibt inhaltlich zu Füllen. Vor allem die Beobachtung, dass Paulus den Konventionen seiner Zeit folgend „Schrift“ gemeinhin durch den Filter vielfältiger (mündlicher) exegetischer Traditionen wahrnimmt und verarbeitet,63 erschwert dabei die Aufgabe intertextueller Rekonstruktion. Formt man das unter ‎2.1.1 angeführte Diagramm zum intertextuellen Lektüreprozess aus der Perspektive des Paulus um, wird dies deutlich: → → → bibl. Prätext B → →

gemeinsame → exeget. Tradition

bibl. Prätext C → weitere Einflüsse

Korinther



→ 1/2 Kor →



Leser/Empfänger der Briefe

exeget. Tradition

Autor/ Sender von 1/2 Kor



Leser/ Empfänger der Prätexte

bibl. Prätext A

Paulus



Die biblischen Texte, die Paulus in den Korintherbriefen verarbeitet, mag er in der Form kennen, wie sie uns noch heute schriftlich überliefert sind oder in einer ähnlichen Variante. Genauso möglich, wenn nicht gar wahrscheinlicher, ist er jedoch mit zeitgenössischen Auslegungs- und Erzähltraditionen vertraut (für beides vgl. im Diagramm den biblischen Prätext A und die entsprechende exegetische Tradition). Andere Texte mögen zusammen tradiert worden sein und Paulus (auch) so vor Augen gestanden haben (vgl. biblische Prätexte B und C). Es ist demnach für jeden Beleg zu fragen, in welcher Form Paulus die biblische Tradition durch den Text greifbar wird und in welcher Form Paulus sie rezipiert. Während zeitgenössische Erzähltraditionen für uns immer dann, wenn sie andernorts zufälligerweise tradiert wurden, greifbar sein mögen, entzieht sich dabei eine Vielzahl anderer Einflüsse, die auf die Rezeption dieser Texte in den Korintherbriefen eingewirkt haben – etwa ein apologetisches, paränetisches oder kerygmatisches Interesse oder auch spontane Inspiration auf Seiten des Paulus – gänzlich dem kontrollierten Zugriff.64 Die S.o. S. 2 und vgl. Wagner 2011, 158–159.167–169; Wilk 2013, 481–482.487–488. S.o. Anm. 14. 64 Im Geiste eines weiten Intertextualitätsbegriffes ließen sich diese Felder als weitere „Intertexte“ bezeichnen, gleich ob mündlicher, schriftlicher oder ideell-gedanklicher Natur. Sie zu berücksichtigen rechtfertigt die intertextuelle Anlage der Untersuchung. Der begrifflichen Schärfe halber wird ein entsprechendes Vokabular jedoch der textanalytischen Ebene vorbehalten bleiben. 62 63

2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm

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Rekonstruktionsaufgabe muss weiterhin berücksichtigen, wie wenig Paulus davor zurückschreckt, biblische Texte frei, d. h. dem von ihm wahrgenommenen Sinn folgend, zu rezipieren.65 Damit gilt es nicht nur zu prüfen, in welcher Form Paulus eine biblische Tradition kennt und rezipiert, sondern wie er sie adaptiert und ob etwaige Veränderungen gegenüber seiner Vorlage einem inhaltlichen Zweck dienen. Eine entsprechende Bestimmung der biblischen Bezugnahmen ist freilich eine schwer zu bewerkstelligende und mit vielerlei Unwägbarkeiten behaftete Aufgabe und erfordert ein weiteres Kriterium. Zu prüfen ist darum die Funktion, die die Bezüge im Schritt der Reintegration des von Paulus imaginierten intertextuellen Lektüreprozesses erfüllen. Wo eine solche intertextuell allusionskompetente Lektüre dem Anliegen dient, das Paulus mit dem jeweiligen Briefabschnitt verfolgt, ist von einem intendierten Bezug auszugehen, gleich wie deutlich er markiert ist. Wo sie dem Anliegen widerspricht, legt sich eine andere Lösung nahe. Eine Schwierigkeit bedeutet es, dass auch latente, also nicht intentionale Anspielungen auf biblische Texte denkbar sind, die von Seiten der Leserschaft, aber nicht von Seiten des Paulus aktualisiert werden. Zudem können auch Gedanken, die aus heutiger Sicht intertextuell anmuten, schlicht zur Alltagsenzyklopädie von Autor und Leserschaft gehört haben.66 Auch diesen Unwägbarkeiten muss die Untersuchung Rechnung tragen. Insgesamt gilt: A thorough examination of Paul’s hermeneutic would have to take into account both the way Paul reads individual passages from the Jewish Scriptures, i. e. how his Jewish and Christian presuppositions and his own existential concerns shape the way he understands and appropriates the wording of the biblical text, and his method of applying these same texts to the concrete circumstances of his readers in order to bring about changes in their understanding and/or behavior.67

Dies betrifft das Nebeneinander von intendierter, deutlich markierter Intertextualität einerseits, und intendierter, dabei aber schwach oder gar unmarkierter Intertextualität andererseits, wie auch die Frage nach der Schrift- und Allusionskompetenz der Leserschaft. Überhaupt sprechen die verschiedenen Zitierweisen zusammen mit der schon von Harnack beobachteten Uneinheitlichkeit im Umgang mit biblischen Texten in verschiedenen Briefen68 dafür, dass Paulus anlass-, themen- und zielgruppenspezifisch vorgeht; zumal in der Korintherkorrespondenz.69 Keineswegs ergibt sich aus diesem Schluss allein jedoch ein Deutungsmuster, wann

65 Vgl. Stanley 1992, 342–343.348–350. Für eine knappe Übersicht über gängige Texteingriffe und mögliche Beweggründe vgl. Stanley 1992, 343–347. 66 Vgl. Helbig 1996, 96, mit Anm. 24. Ferner Hays 2005c, 49, und Merz 2004, 70. 67 Stanley 1992, 359 f. 68 Harnack 1928. 69 Vgl. Wilk 2017, 153–169.

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2 Zur Orientierung

Paulus wie mit Hilfe der Schrift kommuniziert.70 Damit stellt sich umso dringlicher die Frage nach der Schriftkenntnis und Situation der korinthischen Gemeinde. 2.1.3.2 Entfaltung der kommunikativen Situation zur Seite der Leserschaft hin Die Allusions- und Schriftkompetenz der korinthischen Gemeinde lässt sich anhand externer Daten nicht klar beurteilen. Die Angabe des Lukas, Paulus habe sich über einen Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren in Korinth aufgehalten und dort, begleitet von ständiger Lehre, eine Gemeinde gegründet, die sich aus Juden, Heiden und zu einem bedeutenden Teil aus Gottesfürchtigen rekrutierte, bleiben umstritten (vgl. Apg 18,1–17). Liest man die Korintherbriefe, so bestätigt sich jedoch zumindest der Eindruck einer uneinheitlichen Gemeinde. Unabhängig von allen Fragen sozialer Schichtung71 legen Paulus Aussagen eine gemischte Gruppe aus christusgläubigen Juden72 und christusgläubigen Heiden nahe73, wobei letztere in der Überzahl gewesen sein dürften. Auch hätte eine Frage wie die nach der Legitimität des Götzenopferfleischkonsums in einer rein oder stark jüdisch geprägten Gemeinde wohl kaum den Stellenwert erlangen können, den Paulus ihr einräumt (vgl. 1 Kor 8,1–11,1). Umso bemerkenswerter ist das hohe Ansehen der Schrift, das Paulus durchweg in den Briefen voraussetzt. Seinem Selbstzeugnis nach war die Berufung auf die Schrift wesentlicher Teil seiner Gründungspredigt (vgl. 1 Kor 15,3). Die Schrift erscheint als bleibend im religiösen Bewusstsein der Korinther verankert (vgl. 1 Kor 4,6).74 Darüber hinaus geht Paulus auch den Korinthern gegenüber von einer Praxis des Schriftgebrauchs aus, nach der die Schrift in die eschatologisch verstandene Gegenwart der Christusgläubigen spricht, wobei sich „Christusbekenntnis und Schriftauslegung wechselseitig erhellen“75. Man darf von daher ein „ongoing engagement“ der korinthischen Gemeinde mit der Schrift annehmen.76 Welcher Art diese Beschäftigung jedoch war und wie umfangreich die tatsächliche Schriftkenntnis der individuellen Gemeindemitglieder anzusetzen ist, muss offenbleiben. Adaptiert man das unter ‎2.1.1 angeführte Diagramm zum intertextuellen Lektüreprozess auf die Perspektive der Leserschaft hin, wäre für jedes Mitglied der Gemeinde ein individuelles Diagramm anzulegen:

Vgl. Öhler/Wilk 2017, 3 f. Vgl. dazu klassisch Theißen 1975; weiterführend Gäckle 2004, 183–187. 72 Vgl. 1 Kor 1,22.24; 10,32; 12,13 und dazu Wilk 2017, 159, Anm. 62. 73 Vgl.  etwa 1 Kor  12,2; 2 Kor  6,14. Für die Anwesenheit beider Gruppen in der Gemeinde vgl. überdies 1 Kor 7,18–20. 74 Vgl. auch Wilk 2018b. 75 Wilk 2017, 154 f.; s. o. S. 2. 76 Vgl. Edsall 2014, 155. Edsall stützt sich bei seinen Überlegungen maßgeblich auf 1 Kor 10,11. 70 71

2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm

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→ bibl. Prätext A

bibl. Prätext B





Paulus

1/2 Kor



→ exegetische Tradition C

korinthisches Gemeindeglied



textfremdes Wissen und kulturelle Prägung

→ →

Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, dass ein Hörer des Briefes den Referenztext des biblischen Bezuges, den er bei Rezeption des Briefes wahrnimmt, kennt und erkennt (im Beispieldiagramm bibl. Prätext A). Gleiches gilt für exegetische Traditionen, die Paulus verarbeitet (exegetische Tradition  C). Mitunter mag er einen biblischen Bezug erkennen, dessen Referenztext ihm nicht bekannt ist, den er aber anhand des Paulusbriefes erschließt (bibl. Prätext B). Ebenso möglich, im Diagramm jedoch schwer abbildbar ist es, dass ein Hörer einen intendierten Bezug übersieht, oder aber einen latenten Bezug aktualisiert, der von Paulus nicht intendiert war. In jedem Falle wird sein Rezeptionsverhalten maßgeblich von seiner kulturellen Prägung und von textfremdem Wissen beeinflusst sein.77 Diese Parameter begrenzen und lenken die Verstehensmöglichkeiten. Ferner ist das Feld möglicher Deutungen eingeschränkt, „da die hier untersuchten Texte in ihrem Entstehungskontext sich zu einem erheblichen Teil über ihre eindeutige Wirkabsicht definiert haben und weniger über ihre ästhetische Qualität“78. Zumindest die Erstlektüre der Briefe dürfte durch Briefüberbringer, Verlesung und gemeinschaftliches Hören sehr viel gesteuerter abgelaufen sein, als die Lektüre eines Briefchens im stillen Kämmerlein.79 Folgt man Bernhard Oestreichs Rekonstruktion antiker Gepflogenheiten bei der Überbringung eines Briefes, ist für die Verlesung mit einer regen Interaktion zwischen den Zuhörenden, dem Vortragenden und dem womöglich weiterhin anwesenden Briefüberbringer auszugehen.80 Vgl. Petersen 2008, 71. Merz 2004, 27. 79 Vgl. insgesamt Oestreich 2012; Thiselton 2000, 44; Funk 1967 und für den englischen Sprachraum das weite Feld des performance criticism. Streng genommen ist jedoch schon die Annahme einer öffentlichen Verlesung nicht mehr als von 1 Thess 5,27 geleitete Spekulation (Florian Wilk) – die ausweislich dieser Stelle zumal von einem gestuften Rezeptionsprozess ausgehen müsste. 80 Vgl. Oestreich 2012, 64–70. Oestreich argumentiert für eine Verlesungssituation, die der offiziell-administrativer Briefe im öffentlichen Leben ähnelt. Er geht davon aus, dass der Brief erst 77 78

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2 Zur Orientierung

Eine gewisse Bandbreite von Verstehensmöglichkeiten entsprechend verschiedener Bildungsstadien der Hörer bleibt jedoch bestehen. Christopher Stanley hat eine grobe Taxonomie vorgeschlagen, um den Effekt paulinischer Schriftverwendung auf verschiedene Hörerschaften auszuloten. Er unterscheidet eine „informed audience“, die sämtlichen feststellbaren Schriftbezügen folgen kann, eine „competent audience“ deren Schriftkompetenz ausreicht, die Bezugnahmen zu erkennen, die für den konkreten Gedankengang unabdingbar sind, ohne mit dem Referenztext genauer vertraut zu sein, und eine „minimal audience“ mit nur geringfügiger Schrift- und Allusionskompetenz.81 Vom Profil der korinthischen Gemeinde herkommend, lässt sich an diese Taxonomie anschließen. Dabei empfiehlt die kulturelle Heterogenität der Gemeinde, im Lichte der Bildungsfrage zusätzlich zwischen jüdisch-hellenistischem und pagan-hellenistischen Bildungshintergrund zu unterscheiden. Untergliedert man Stanleys „competent“ und „minimal audience“ ferner in eine Gruppe ohne biblische Allusionskompetenz, eine Gruppe, die zumindest mit grundlegenden biblischen Topoi vertraut ist und eine Gruppe, die um biblische Erzählungen und Handlungsstränge weiß, ergibt sich folgendes Schema, in das sich die mutmaßlichen Gemeindemitglieder einordnen lassen:

weiter jüdischer Bildungshorizont

beschränkter jüdischer Bildungshorizont

hohe biblische Allusionskompetenz: vertraut mit biblischem Text und exegetischen Traditionen mittlere biblische Allusionskompetenz: vertraut mit biblischen Erzählungen

christusgläubige Juden in Distanz zur pagan-hellenistischen Kultur

geringe biblische Allusionskompetenz: vertraut mit biblischen Namen und Topoi

assimilierte christusgläubige Juden; Gottesfürchtige; christusgläubige Heiden nach Unterweisung

christusgläubige Heiden vor Unterweisung

keine biblische Allusionskompetenz beschränkter paganer Bildungshorizont

weiter paganer Bildungshorizont

verlesen wird, nachdem er „in die Verfügungsmacht der Empfängergruppe über[gegangen ist]“ (65, unter Verweis auf 1 Thess 5,27). Der Bote selbst trägt den Brief folglich nicht vor, ist aber vermutlich zugegen und hat Gelegenheit zum Kommentar oder zu einleitenden Worten. Den Austausch über den Brief (noch während oder nach seiner Verlesung) versteht Oestreich als festen Bestandteil der Konvention. 81 Stanley 2004, 68 f.

2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm

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Zusammensetzung der Hörerschaft und intertextuelle Strategie bedingen einander: Je schriftkundiger ein Publikum ist, desto eher wird ein Autor „den Verdunkelungsgrad des Bezugs“82 erhöhen. Beim Schreiben an eine entsprechende Zielgruppe kann auf intertextuelle Markierungen auch ganz verzichtet werden.83 „Dabei können unterschiedliche Markierungsstrategien auf unterschiedliche Lesertypen zugeschnitten sein und ein System einander überlagernder Bedeutungsschichten konstituieren.“84 Wie sehr der Bildungshintergrund auf der Leserseite die Rezeption eines intertextuellen Schriftbezugs bestimmt, zeigt sich besonders anhand des Phänomens unmarkierter oder schwach markierter Intertextualität. Während die Gruppen mit geringer Allusionskompetenz solche Bezüge schwerlich wahrnehmen werden, mag die Gruppe mittlerer Allusionskompetenz einen solchen Bezug womöglich erahnen, wird ihn aber nur bedingt deuten können. Für die Gruppe mit hoher Allusionskompetenz bewirkt ein solcher Bezug hingegen eher einen „Effekt der augenzwinkernden Kommunikation zwischen Eingeweihten“ und schürt ggf. Entdeckerfreude oder Elitebewusstsein.85 Zugleich läuft diese Gruppe aber auch am ehesten Gefahr, einen latent intertextuellen Bezug zu aktualisieren. Vor diesem Hintergrund zielt die Untersuchung weniger auf die Rekonstruktion eines impliziten Lesers als auf die Rekonstruktion eines Korridors verschiedener impliziter Leser, angesiedelt zwischen einer minimalen Allusionskompetenz, die dazu befähigt, allen Bezügen zu folgen, die für das Verständnis der Textaussage unabdingbar sind, und einer maximalen Allusionskompetenz, die darüber hinaus Bezüge erkennen lässt, die die Textaussage vertiefen. Wo auf beiden Seiten die Grenze dieses Korridors ist, lässt sich abermals nur anhand der Textintention messen. Kurz: Auf welchen Ebenen und für welches Publikum „funktioniert“ der Text? Geht man davon aus, dass Paulus sein Publikum realistisch eingeschätzt hat, lässt sich von hier aus auf die Schrift- und Allusionskompetenz der korinthischen Gemeinde schließen und überdies mutmaßen, mit welchem Ziel und welchen Mitteln er den Bildungsprozess zu steuern versucht. 2.1.3.3 Zur Textgattung der Bezugstexte Entscheidenden Einfluss auf die intertextuelle Rezeption übt auf Leser- wie auf Autorseite schließlich die Textgattung der Bezugstexte aus. Die oben getroffene Unterscheidung der Allusionskompetenz in Vertrautheit mit dem Text, mit der Erzählung und mit einzelnen Topoi funktioniert so nur für Erzähltexte. Für die LeserHelbig 1996, 97. Vgl. Helbig 1996, 157–159. 84 Helbig 1996, 149. Entsprechend ist umgekehrt von Interesse, „weshalb ein Autor bestimmte Präsuppositionen gerade nicht an den Leser heranträgt, spezifische Referenten also als markierungs-bedürftig erachtet“ (Helbig 1996, 149). 85 Helbig 1996, 89. Vgl. ferner Merz 2004, 63; Helbig 1996, 72–75.87–91.155–161. 82 83

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2 Zur Orientierung

seite ist davon auszugehen, dass die Kenntnis einer zentralen narrativen Tradition, wie sie hier untersucht werden soll, besser ist, als es bei abseitigeren biblischen Referenztexten der Fall wäre. Gerade weil die Mose-Exodus-Tradition einen solchen Stellenwert hat, sind aber auch vermehrt freie Erzähltraditionen anzunehmen. Dies ist auch für die Autorseite zu beachten. Besonders ausführlich ist der paulinische Schriftgebrauch bisher an Bezugstexten aus dem Bereich der Psalmen und Propheten untersucht worden. Wenn nun ein Erzählstoff an die Stelle des Bezugstextes rückt, legt es sich nahe, mit einer sehr viel flüssigeren Form der Textvorlage zu rechnen, die einen wortgenauen Abgleich mitunter erschwert. Gerade hier ist eine konkrete Textvorlage womöglich gar nicht erst zu bestimmen und anstelle dessen mit einem Ineinander verschiedener, in ihrer schriftlich fixierten Form getrennt stehender Traditionen verwandten Inhalts zu rechnen.86 Damit sind zwei grundsätzliche Optionen der Rezeption denkbar: Die sukzessive Adaption eines zusammenhängenden Textes bzw. einer zusammenhängenden Erzählung einerseits und die punktuelle Rezeption, eingebettet in ein breites Beziehungsnetz von Schriftworten oder Erzähltraditionen andererseits. Offenbar müssen beide Optionen sich nicht ausschließen. Zumindest hält Carol Stockhausen beide als für Paulus typische exegetische Manöver fest.87 Für die Analyse ergeben sich hieraus Leitfragen zum Verhältnis der Bezugstexte zu- und untereinander: Lässt sich unter den Prätexten eine textstrukturierende Primärerzählung identifizieren oder treten Elemente aus verschiedenen biblischen Quellen gleichberechtigt nebeneinander auf ? Schließlich ist die Mose-Exodus-Tradition auch biblisch keineswegs auf die erzählenden Passagen des Pentateuch beschränkt. Wo lassen sich im ersten Falle Abweichungen von der Primärerzählung feststellen? Lässt sich ggf. das Beziehungsnetz zu Sekundärerzählungen erheben und nachverfolgen? Im Falle des Ineinanders verschiedener Erzählversionen ist auch zu fragen, ob beobachtete Abweichungen vom Bezugstext durch eine der Erzählungen selbst bedingt sind: Werden Leerstellen in einem Erzählstrang damit gefüllt, andere Traditionen hinzuzuziehen? Oder bedingt der Gehalt einer Sekundärerzählung die Abweichung von der Primärerzählung?88 Insofern, als hier an Wechselwirkungen zwischen biblischen Texten und exegetischen Traditionen gedacht ist, ließe sich von einer weiteren intertextuellen Ebene sprechen.

86 Umso mehr gilt dies in Anbetracht der geringen Rolle, die Schriftlichkeit im antiken Alltag spielte. Nach wie vor gilt mit Dewey 1994, 44: „It is virtually impossible for modern academics to realize how unimportant writing and reading were for the conduct of daily life“, wobei daraus nicht leichthin auf die Abwesenheit wörtlich fixierter Traditionen geschlossen werden darf. 87 Stockhausen 1993, 144. Stockhausen denkt allerdings weniger an ein Amalgam verschiedener Erzählversionen als an prophetische und weisheitliche Texte, die die Interpretation der Tora in einen bestimmten Fokus rücken. Sie macht dies vor allem an 2 Kor 3 und Gal 3 fest. 88 Stockhausen 1993, 145, macht „location and solution of contradictions or uneasily reconciled passages“ verantwortlich für eine Reihe vorgenommener Adaptionen.

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2.1 Zur Anlage der Arbeit und ihrem intertextuellen Programm

Diese Frage zu stellen trägt einerseits dazu bei, zu klären, inwiefern Paulus Überlegungen ihren Ausgangspunkt beim biblischen Text oder der konkreten Situation nehmen. Andererseits schärft diese Perspektive den Blick dafür, welche Fragen im weiteren Verlauf der Untersuchung zu nach wie vor unmotiviert erscheinenden Eingriffen in den Prätext gestellt werden müssen. Damit spitzt die Berücksichtigung der Textgattung die Perspektive der Untersuchung weiter zu. 2.1.4 Fazit und Ausblick Die anhand des Begriffs „Intertextualität“ angestellten Überlegungen weisen den Weg für die methodische Anlage der Untersuchung und unterstreichen die Notwendigkeit der angedachten gedanklichen „Kartierung“ als Kriterium für die Beurteilung potentieller Schriftbezüge. Sie folgt im Aufbau der Arbeit demnach auf die Lektüreschritte von Desintegration und Digression („Erkundung“) und ermöglicht den Lektüreschritt der Reintegration („Skalierung“). Für die intertextuelle „Erkundung“ ergeben sich folgende Leitfragen: Markierung von Intertextualität

Desintegration

– Lässt sich ein Intertextualitätssignal erkennen? – Wie deutlich ist die Intertextualität markiert und welcher Art ist das Signal? – Emphase (implizite Markierung) – Frequenz der intertextuellen Bezüge – hoher Durchdringungsgrad – mehrfaches Aufgreifen des gleichen Bezuges – mehrfaches Aufgreifen des gleichen Referenztextes – ausführliche Rezeption des gleichen Referenztextes – Position der intertextuellen Bezüge – punktuelle oder weitläufige Streuung – Positionierung in exponierten Passagen – Interferenz (halb-explizite Markierung) – Bruch des linguistischen Codes – offene Thematisierung (explizite Markierung) – metakommunikative Verben – Namensnennung – ausdrückliche Identifizierung eines Autors – ausdrückliche Identifizierung eines Referenztextes Markierung und Umgang mit den Bezugstexten

Digression

– Lässt sich ein Prätextsignal erkennen? – Wie durchsichtig ist der Bezugstext markiert? – Wie verhalten sich Bezugstext und Adaption im Brieftext zueinander? – Lässt sich unter den Bezugstexten eine Primärerzählung identifizieren, die den Brieftext dominiert? Falls ja: Wo lassen sich Abweichungen von der Primärerzählung feststellen? – Lässt sich eine Vernetzung mehrerer Erzählungen erheben und nachverfolgen?

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2 Zur Orientierung

Vorbereitend für den Lektüreschritt der Reintegration und die intertextuelle „Skalierung“ sind zudem folgende Fragehorizonte mitzuführen: Funktion

vorbereitend für die Reintegration

– Welche theologischen Motive, die für den Brieftext relevant werden können, bieten der Ursprungskontext der Bezugstexte und ihre traditionelle Verarbeitung? – Lässt sich vom Umgang mit dem Bezugstext auf die Funktion des intertextuellen Bezuges schließen? – Sind gängige Auslegungsmuster zu erkennen? – Ist das Hinzuziehen einer Sekundärerzählung durch Leerstellen oder Ungereimtheiten in der Primärerzählung zu erklären? – Ist ein Eingriff in den Prätext durch den Gehalt einer Sekundärerzählung zu erklären?

2.2 Zur thematisch-strukturellen Analyse (gedankliche „Kartierung“ A) Einen argumentativen Text nachzuvollziehen bedeutet zu allererst, den verhandelten Sachverhalt zu erfassen und dem Text in seinem Gedankengang zu folgen. Für den Sachverhalt ist es unabdingbar zu klären, was das Thema des Textes ist, näherhin wen die verhandelte Sache betrifft und welche Größen darüber hinaus an ihr beteiligt sind. Für den Gedankengang ist vor allem von Interesse, welche Aussagen betont inhaltliches Gewicht tragen und wie diese gedanklichen Einheiten aufgebaut und so miteinander verknüpft sind, dass sie ein bestimmtes Anliegen verfolgen. Letzteres kann im Sinne einer fundierten Argumentationsanalyse nur dann erhoben werden, wenn zuvor Klarheit über die Struktur des Textes gewonnen wurde. Dabei geht die Analyse der Textstruktur, d. h. die Abgrenzung gedanklicher Einheiten und das Nachzeichnen ihrer inneren Dynamik, mit den oben gestellten Fragen Hand in Hand. Aus Angaben zu jedem der vier Aspekte, Thema und Inventar, Stil und (sprachliche) Verknüpfung, lassen sich Anhaltspunkte für die Gliederung eines Textes und die Hierarchie der ihm inhärenten Gedanken gewinnen. 2.2.1 Thema und Funktion Die vorliegende Arbeit nähert sich dem Thema der untersuchten Texte von zwei Seiten: Vom Text selbst und von seiner Stellung im jeweiligen Argumentationszusammenhang her. Ein simples, in der Analyse neutestamentlicher Erzähltexte jedoch bewährtes Verfahren, das Thema eines Textes von innen her zu erheben, empfiehlt Florian Wilk in Anlehnung an Friedrich Schleiermacher.89 Dieser rät, Anfang und Ende eines Textes zu vergleichen. Der Vergleich lasse sowohl das Verbindende zwischen 89

Vgl. hier und im Folgenden Wilk 2016, 10 f.

2.2 Zur thematisch-strukturellen Analyse (gedankliche „Kartierung“ A)

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beiden deutlicher hervortreten als auch den Charakter des gedanklichen Bogens erkennen, der den Text zusammenhält. Beides zusammen ermögliche die Benennung des Textthemas. Freilich ist dieses Verfahren mit einigen Unschärfen verbunden. Da nicht notwendigerweise sämtliche verbindenden Elemente zwischen Anfang und Ende zentral für das Thema eines Textes sind, muss sich diese Einschätzung im Laufe weiterer Analyseschritte erhärten. Die zentrale Bedeutung, die der Eröffnung und dem Abschluss eines Textabschnitts durch Schleiermachers Methode zuwächst, unterstreicht die Notwendigkeit, den jeweiligen Abschnitt nachvollziehbar und stichhaltig vom weiteren Briefzusammenhang abzugrenzen.90 Während die Abgrenzung aufgrund formaler und inhaltlicher Gesichtspunkte damit schon vor Beginn der eigentlichen Textanalyse vorzunehmen ist, muss auch sie durch den im Laufe der Strukturanalyse erwiesenen inneren Zusammenhalt der Passage weiter gestützt werden. Das Verhältnis zum weiteren Briefzusammenhang lenkt den Blick auf die zweite Richtung, sich dem Thema eines Textabschnittes zu nähern: der Stellung des Abschnitts im übergreifenden Gedankengang. Gewissermaßen analog zu Schleiermachers Verfahren ist zu fragen: Welche gedankliche Lücke entstünde zwischen den vorangehenden und den nachfolgenden Textabschnitten, würde die behandelte Passage fehlen? Das Textthema muss in der Lage sein, diese gedankliche Lücke zu schließen. Die so gewonnenen Ergebnisse geben zunächst einen grundlegenden Bezugspunkt für die folgenden Analyseschritte zum Aufbau des Textes. Sodann sensibilisieren sie für relevante, d. h. dem Thema inhaltlich besonders nah verwandte Textaussagen. Da diesen mutmaßlich eine zentrale Stellung im Gedankengang zukommt, sind diese auch für die Textstruktur von Bedeutung. 2.2.2 Akteure und Inventar91 Kein Sachverhalt kann abstrakt in einem bezugslosen Raum verhandelt werden. Durch die beteiligten Akteure wird er in Raum und Zeit verortet. Sächliche Bezugsgrößen konturieren ihn weiter. Für die dieser Untersuchung zugrundeliegende Fragestellung, wie Paulus eine bestimmte Gruppe alttestamentlicher Erzähltexte verarbeitet, ist überdies die Frage, wie Paulus Akteure und Erzählelemente seiner Textvorlage aufgreift und inhaltlich füllt, von besonderem Interesse. An diese Stelle gehören demnach auch die Untersuchungsschritte, die klassisch unter den Überschriften „semantische Analyse“ und mitunter „Traditionsgeschichte“ verortet werden. Es gilt, die Bedeutung zentraler Begriffe und Motive aus ihrer 90 Vgl.  Schleiermacher 1977, 175. Auch literarkritisches Problembewusstsein mahnt Schleiermacher an. Dass Texte als Einheit überliefert sind, bedeute nicht, dass man den Text in seinem überlieferten Umfang unbesehen zum Ausgangspunkt der Untersuchung machen darf (vgl. Schleiermacher 1977, 176). 91 Zum Begriff des Inventars in erzählenden Texten vgl. Wilk 2016, 13–17.

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2 Zur Orientierung

Verwendung im Text sowie vor dem Hintergrund des paulinischen Sprachgebrauchs und ihrer historischen Valenz zu erfassen und ihren Beitrag zur Entwicklung des Textthemas zu bestimmen. Relevant sind in erster Linie seltene oder im Text dominante Begriffe. Der dominierende Referenzträger ist gemeinhin auch thematisch bedeutsam.92 Von Belang für die Struktur des Textes sind hier vor allem Verschiebungen im Tempus und Veränderungen in der Gruppe der Handlungsträger, insbesondere solche, die Sprünge von der Textwelt in die erzählerische Welt der Exodusvorlage markieren. Zudem tragen Wiederholungen oder signifikante Häufungen bestimmter Begriffe zur Abgrenzung gedanklicher Einheiten bei.93 2.2.3 Stil und Betonung Steht mit dem Sachverhalt das Was des Textes hinreichend deutlich vor Augen, kann damit begonnen werden, nach dem Wie seiner Darstellung zu fragen. Die Erkundung der rhetorisch-stilistischen Gestaltung des Textes trägt zweierlei aus. Zum einen leistet die stilistische Analyse einen entscheidenden Beitrag zur Textgliederung. Denn sprachlich-gedankliche Figuren wie Antithesen, Parallelismen und chiastische Strukturen erhellen durch ihre Gleich- und Entgegensetzungen nicht nur die Begriffswelt des Textes, ihnen kommt als oral patterns auch gliedernde Funktion zu.94 Zum anderen weist die Analyse von Duktus und Redeschmuck auf, welche gedanklichen Einheiten und welche Begriffe in ihnen stilistisch betont sind und damit mutmaßlich auch inhaltliches Gewicht tragen.95 Zudem erlaubt eine Übersicht über akzentuierte Aussagen erste Schritte in Richtung einer Hierarchisierung der erhobenen Unterabschnitte. Hat das Feld der Mündlichkeitsstudien in der Vergangenheit aufgrund der in ihm erhobenen Absolutheitsansprüche eher ein Nischendasein geführt,96 ist die Forschungssituation mittlerweile weit genug gediehen, von einseitigen Verzeichnungen abzusehen.97 Mit der Einsicht, dass die Kultur des ersten Jahrhunderts nicht als ausschließlich mündlich zu bestimmen, sondern zwischen den Polen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit oszilliert und medial maßgeblich „rhetorisch“98 geprägt ist, etablieren sich „oral studies“ neben Epistolographie und Rhetorik mehr Vgl. Brinker 1997, 46. Vgl. Harvey 1998, 103 f. zu sog. word-chains als v. a. der LXX entlehntes gliederndes Stilmerkmal bei Paulus. 94 Vgl.  Harvey 1998, 97–118, ferner Amphoux 1988; Davis 1999, 71–80.98–101; Watson 2009, 133.135–136. 95 Holmstrand 1997, 31 f. spricht von „attention-attracting and intensity heightening transition markers“. 96 Für klassische Formulierungen dieser Position vgl. Kelber 1983; Dewey 1994. 97 Vgl. auch Porter/Dyer 2012, insb. 329–332; Loubser 2007, 1–99. 98 Harvey 1998, 54. 92 93

2.2 Zur thematisch-strukturellen Analyse (gedankliche „Kartierung“ A)

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und mehr als dritte stilistische Perspektive auf die paulinischen Briefe.99 Zwar sind die Briefe des Paulus medial schriftlich, weisen aber eine Reihe mündlicher Textmerkmale auf.100 Die stilistische Analyse der Texte muss folglich auf der Erkenntnis aufbauen „that first-century literary conventions were still largely dependent on speech conventions“101. (Um dies im Bewusstsein zu halten, werden „Hörerschaft“ und „Leserschaft“ im Folgenden synonym verwendet werden.) Für diese Konventionen ausschlaggebend ist eben die Strukturierung durch oral patterns, wie sie an der paganen griechischen Literatur und der LXX in Fülle aufgewiesen wurden.102 Zuvorderst sind dies Einleitungs- und Abschlussformeln, Genrewechsel103 sowie direkte Ansprachen an die Hörer. Dicht gefolgt werden diese von Parallelismen und chiastischen Strukturen, die gedankliche Einheiten durch ihre sprachliche Form nicht nur hervortreten lassen und einprägsam machen, sondern auch abgrenzen. Bei der Auswertung dieser Stilfiguren ist jedoch zu beachten, wie frei in der neutestamentlichen Exegese gemeinhin mit dem Begriff „Chiasmus“ umgegangen wird. Im Gefolge seiner Popularisierung durch N. W. Lund104 wurde er bald zum Oberbegriff für konzentrische und zyklische Strukturen aller Art, sprachlich wie gedanklich, auf Satzebene wie über Kapitelgrenzen hinweg. Da unklar bleiben muss, inwiefern sich die kommunikative Wirkung solcher Formen ohne ausgiebiges (schriftliches) Textstudium erschließt,105 ist mit derlei Befunden zurückhaltend umzugehen. Weiterreichende Vorschläge müssen durch weitere Hinweise gestützt werden.106

 99 Vgl.  neben den bereits angeführten Werken für den deutschen Sprachraum: Sellin 2006; Oestreich 2012. 100 Ong 1982, 37–57, identifiziert einen u. a. antithetisch, additiv und repetitiv strukturierten, ganz oder teils konzentrisch angelegten Text, der mit lebhaften Bildern und symbolischer Sprache darauf angelegt ist, die Hörer in das Textgeschehen einzubinden als typisch „mündlich“. Auch wenn Davis 1999, 19, berechtigterweise davor warnt, von diesen Merkmalen voreilig auf den konzeptionell mündlichen Charakter eines Textes zu schließen, eröffnet sich hier doch ein vielversprechender Deutungshorizont. Freilich sind dabei sprachliche Besonderheiten der Autoren zu beachten (vgl. Davis 1999, 60). 101 Loubser 2007, 117. Vgl. auch das Plädoyer für eine gemäßigte Vermittlung von Interpretationsansätzen bei Forbes 2009. 102 Für die griechische Literatur vgl.  bspw. Havelock 1984; Harvey 1998, 61–82; für die LXX Harvey 1998, 83–96. Für eine Anwendung auf das Corpus Paulinum vgl. Dean 1996; Tsang 2009; und oben Anm. 94. 103 Vgl. Davis 1999, 101–103; Hellholm 1980, 80–84. 104 Lund 1930. 105 Vgl. Tsang 2009, 219; Davis 1999, 101. Den Versuch einer differenzierenden Benennung unternimmt Harvey 1998, 101–104. 106 Harvey 1998, 107–109, kommt in kritischem Anschluss an Craig Blomberg zum Schluss, dass konzentrische Symmetrie nur durch das Zusammenspiel gedanklicher und formaler Entsprechungen in verschiedenen Gliedern der Struktur, das Vorhandensein markanter Begriffe oder inhaltlich markanter Konzepte sowie eine exponierte Bedeutung des Mittelteils zu erweisen ist.

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2 Zur Orientierung

Vor dem Hintergrund ihrer Wirkung auf Zuhörer ist die aufmerksamkeitslenkende Kraft einiger Stilfiguren besonders stark zu bewerten. Unter den rhetorischen Sprachfiguren sticht vor allem die für Paulus so typische Antithese heraus. Sie macht Inhalte durch ihre prägnante Form besonders einprägsam und zielt demnach auf einen bleibenden Eindruck beim Hörer.107 Einen ähnlichen Effekt erreicht die Metapher durch ihre Bildhaftigkeit.108 Kaum unterschätzt werden darf zudem die Rolle des Wortspiels für Paulus.109 Von Belang sind zudem andere rhetorische Klangfiguren und -wiederholungen (Homöoteleuton und Homöoptoton, aber auch Alliteration, Anapher, Epipher und die beide vereinende Complexio).110 All diese Figuren sind gerade für die Überbrückung zwischen Autor- und Leserperspektive relevant.111 Im Duktus des Textes vermag eine ausgefallene, mitunter archaisierende Wortwahl oder der Rückgriff auf geprägte Formeln aufmerksamkeitslenkend und damit strukturierend wirken.112 Schließlich sind, sofern auffällig, Sprachrhythmus und Wortstellung zu beachten. Durch eine derart gestaltete stilistische Analyse werden akzentuierte Stellen im Text sichtbar, an denen wiederum das erhobene Thema des Textes geprüft werden kann. Zu ihm muss an den akzentuierten Stellen eine vergleichbare Nähe bestehen.113 2.2.4 Verknüpfung auf der Textoberfläche Sobald der Text durch die vorangegangenen Untersuchungsschritte weitgehend in seine gedanklichen Einheiten gegliedert ist, kann danach gefragt werden, wie die Übergänge zwischen diesen einzelnen Einheiten gestaltet und wie die Unterabschnitte miteinander verbunden sind. An deren Nahtstellen geben verknüpfende Partikeln (oder gerade ihr Fehlen) Auskunft über die Art der Verbindung. Ferner sind die Wiederaufnahmestruktur zentraler Begriffe und textinterne Verweise wahrzunehmen.114 Dies gilt zumal dort, wo zusammenfassend auf ganze gedankliche Einheiten verwiesen und so auf einer metakommunikativen Ebene eine direkte Leseanweisung erteilt wird. Metakom-

107

1970.

Vgl. Davis 1999, 71–73, sowie für die Antithese bei Paulus nach wie vor maßgeblich Schneider

Vgl. Davis 1999, 77. Vgl. Tsang 2009, 216 f., mit Verweis auf Tolmie 2005, 251. Für Beispiele vgl. etwa 1 Kor 11,29–34 (Baumert 2002) oder die Eröffnungen der beiden Korintherbriefe (Koet 2018). 110 Vgl. Davis 1999, 80–88. 111 Vgl. bspw. Holmstrand 1997, 31, für einen etwas erweiterten Katalog. 112 Vgl. Davis 1999, 90–94. 113 Vgl. Wilk 2016, 10–13, ferner Schleiermacher 1977, 176. 114 Zur begrifflichen Wiederaufnahme und ihrer Relevanz für die Textkohärenz vgl.  Brinker 1997, 27–44. 108 109

2.2 Zur thematisch-strukturellen Analyse (gedankliche „Kartierung“ A)

35

munikative Ausdrücke jeder Art dienen durch die Unterscheidung verschiedener Kommunikationsebenen der Unterteilung des Textes.115 All diese Schritte tragen dazu bei, die erhobene Textgliederung zu prüfen, zeigen neben metakommunikativen Ausdrücken doch gerade textinterne Verweise, direkte Wiederholungen und verknüpfende Partikeln die Eröffnung, mitunter auch den Abschluss von Teiltexten an.116 Auch Ansätze zur formalen Hierarchisierung einzelner Gliederungsabschnitte eines Textes anhand sprachlicher Textverknüpfungen, wie David Hellholm sie bereits 1980 vorgelegt und seitdem in verschiedenen Aufsätzen angewandt und weiterentwickelt hat,117 können an dieser Stelle hilfreich sein. In Fortführung der linguistischen Studien von Elisabeth Gülich und Wolfgang Raible ordnet Hellholm in absteigender Reihenfolge pragmatische, semantische und syntaktische Gliederungsmerkmale. Während pragmatische Gliederungsmerkmale zuallererst dort erhoben werden können, wo der Text die eigene Welt durchbricht und sich auf die Kommunikationssituation bezieht und semantische Gliederungsmerkmale eine auch jenseits der Textes vorhandene Größe bezeichnen, verblieben syntaktische Gliederungsmerkmale ganz auf der Ebene des schriftlichen bzw. mündlichen Textes. Weil erste also die Relation zwischen den sprachlichen Zeichen, dem Designatum und den Menschen, die die Zeichen benutzen, beschreiben, zweite die zwischen Zeichen und Designatum, letzte nur zwischen Zeichen und anderen Zeichen, würden sie im Allgemeinen auch in dieser Reihenfolge gliedernd wirken und wahrgenommen werden.118 Die oben genannten Kriterien lassen sich gut den hier unterschiedenen Ebenen zuordnen. Metakommunikative Ausdrücke wirken im Allgemeinen stark untergliedernd. Dies gilt ebenso für Sätze, die die Kommunikationssituation thematisieren, wie für die Bezugnahme auf einen vorangegangenen oder nachfolgenden Textteil durch verweisende Ausdrücke.119 Weniger starke aber doch deutliche textgliedernde Signale bieten temporale oder lokale Bestimmungen und Veränderungen in der Gruppe der Handlungsträger, da sie auf die vom Text bezeichnete Wirklichkeit verweisen.120 Auf der Schwelle zwischen semantischen und syntaktischen Gliederungsmerkmalen steht die Wiederaufnahme eines Begriffs, sei sie markiert durch das Setzen des bestimmten Artikels, Pronominalisierung, die Flexionsform des Verbs Vgl. Hellholm 1980, 80–86. Holmstrand 1997, 24–31, bietet unter der Überschrift opening und closing markers einen umfassenden Katalog entsprechender Textmerkmale. 117 Vgl. Hellholm 1980, insb. 77–96; Hellholm 1986; Hellholm 1995; Hellholm 1997; Hellholm 2008. 118 Vgl. Hellholm 1980, 78. Brinker 1997, 43, bewegt sich in einem anderen theoretischen Bezugssystem, unterscheidet aber ebenfalls eine textimmanente, sprachimmanente und sprachtranszendente Ebene. 119 Hellholm 1980, 80–86. Hellholm spricht von „Substitution auf Metaebene“ bzw. von „substitution on abstraction-level“ (Hellholm 1986, 39 f.). 120 Vgl. Hellholm 1980, 93. 115 116

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2 Zur Orientierung

oder bedeutungsgleiche Begriffe oder direkte Renominalisierung.121 Schon hier merkt Hellholm an, wie sehr das Zusammenspiel mit höherstehenden Gliederungsmerkmalen zu beachten sei. Umso mehr gilt dies auf der rein syntaktischen Ebene: der Verknüpfung durch Partikeln.122 Man wird diese Hierarchisierung ob ihres Formalismus keineswegs absolut setzen dürfen.123 Im Zusammenspiel mit anderen hier aufgezeigten Perspektiven wirkt sie jedoch durchaus erhellend. 2.2.5 Fazit und Ausblick Eine Analyse im Wechselschritt von thematischer und struktureller Fragestellung macht zweierlei möglich. Erstens erlaubt sie es, das Textthema pointiert zu bestimmen. Jeder Analyseschritt trägt dazu bei, das vorläufig formulierte Thema zu prüfen und zu nuancieren, bis sich eine Themenformulierung ergibt, der alle Textbeobachtungen inhaltlich zu- und untergeordnet werden können.124 Zweitens erwächst aus der Zusammenschau der Ergebnisse der einzelnen Untersuchungsschritte eine differenzierte und methodisch fundierte Segmentierung des Textes. Damit legt die thematisch-strukturelle Analyse den Grundstein für die Argumentationsanalyse im engeren Sinne.125 Die „Segmentierung der einzelnen argumentativen Redebeiträge“126, zu der die thematisch-strukturelle Analyse führt, ist grundlegende Voraussetzung einer jeden argumentativen Betrachtung. Zudem trägt die Erhebung eines Textthemas dazu bei, die „situative Problemlage“127 des Textes zu rekonstruieren. Indem sie dies allein anhand des Textes tut, vermeidet sie es, ihn vorschnell in eine hypothetische „rhetorische Situation“ einzuzeichnen.

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B) Sobald durch die thematisch-strukturelle Analyse eine klare Vorstellung gewonnen wurde, welcher Sachverhalt im Text verhandelt wird und wie der Text aufgebaut ist, kann damit begonnen werden, seinen Gedankengang und seine rhetorische Pragmatik zu rekonstruieren. Das ist das Anliegen der rhetorisch-argumentationslogischen Analyse. Sie untersucht die erhobenen gedanklichen Einheiten auf ihren Vgl. hierzu Brinker 1997, 28–34. Vgl. Hellholm 1980, 94 f., und Brinker 1997, 42. 123 Mit guten Gründen zur Vorsicht mahnt Holmstrand 1997, 27 f. 124 Vgl. Brinker 1997, 56–80 zu Textthema und Themenentfaltung. 125 Vgl. im Folgenden Kopperschmidt 1989, 206–228, zur – in seinen Worten – „makrostrukturellen Argumentationsanalyse“. 126 Kopperschmidt 1989, 228. 127 Kopperschmidt 1989, 14. 121 122

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B)

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argumentativen Gehalt, versucht sie so in Beziehung zueinander zu setzen, dass deutlich wird, in welchem Begründungsverhältnis sie zueinander stehen und auf welche Weise sie dem Anliegen des Textes dienen und lässt schließlich den gedanklichen Bogen und rhetorischen Impetus des Textes in Haupt- und Nebenlinien klar hervortreten. Zu diesem Zwecke bedarf es angemessener analytischer Werkzeuge. Die Einsicht, dass zwischenmenschliche Argumentation einer eigenen, von vielen Faktoren bestimmten Dynamik folgt und sich formallogisch nur unzureichend beschreiben lässt, hat ältere argumentationsanalytische Ansätze abgelöst und im Laufe der vergangenen sechzig Jahre eine Vielzahl von Ansätzen und Methoden neu hervorgebracht. Drei gängige, eher rhetorisch orientierte, und zwei umfassende argumentationsanalytische Ansätze sollen auf den folgenden Seiten skizziert und auf ihre Eignung als Analysewerkzeuge im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit befragt werden. 2.3.1 Gängige Ansätze rhetorischer und argumentativer Analyse 2.3.1.1 Klassische Rhetorik Sucht man nach einer Argumentationstheorie der Antike, findet sich eine solche am ehesten in der klassischen Rhetorik, wie sie in den gängigen Lehrbüchern beschrieben ist. Beginnend mit Aristoteles findet sich eine reiche Literatur entsprechender Handreichungen.128 a Darstellung Die antiken Theoretiker unterteilen das Feld der Rhetorik in fünf canones: Das Finden und Ersinnen von Argumenten (inventio), ihre möglichst zielführende Gliederung und Anordnung (dispositio), ihre Verbalisierung in einer sprachlich ansprechenden und angemessenen Form (elocutio), schließlich das Einprägen der Rede (memoria) und ihr Vortrag (pronuntiatio).129 In der inventio130 werden gemeinhin zwei grundsätzliche Arten von Argumenten unterschieden: sog. „atechnische“, externe Überzeugungsmittel, wie bspw. Zeugenaussagen, die dem Redner bereits vorliegen, und interne, „entechnische“ Überzeugungsmittel, „die der Redner methodisch ausfindig machen muß. Jene müssen nur angewendet, diese dagegen gefunden werden“131. Dabei stehen dem Redner grundsätzlich drei Überzeugungsebenen zur Auswahl: Ethos, Pathos und Logos. 128 Neben seiner Rhetorik haben wohl die anonyme Rhetorica ad Herennium aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert sowie Ciceros Werke De inventione und De oratore die meiste Beachtung gefunden. Aufschlussreich ist auch das umfangreiche Lehrbuch des Quintilian. Vgl. den kommentierten Katalog in Kennedy 1997, 20–37. 129 Vgl. Quint. de inv. 1,7,9. 130 Vgl. Heath 1997; Kennedy 1984, 14–23. 131 Schweinfurth-Walla 1986, 31.

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2 Zur Orientierung

Sie entsprechen den drei universellen Faktoren in jeder rhetorischen Situation (Redner, Hörerschaft und Diskurs) ebenso wie den drei grundlegenden Anliegen der Rede (erfreuen, bewegen, belehren).132 Setzt der Redner auf das Ethos, versucht er mittels seiner charakterlichen Qualitäten zu überzeugen. Die Hörer stimmen ihm zu, weil sie ihm als Person oder Amtsträger Glauben schenken, weil er sich moralisch bewährt hat oder eine Vertrauensposition genießt. Argumentation auf der Ebene des Ethos zielt demnach auf die Emotionen der Hörerschaft und möchte dem Redner gegenüber Wohlwollen erzeugen. Spricht der Gegner hingegen intensiver die Gefühlswelt seiner Hörer an, will er durch Pathos überzeugen. Er versucht durch seine Rede starke emotionale Reaktionen hervorzurufen, die die Hörerschaft für seinen Standpunkt einnehmen. Logos schließlich bezeichnet den Versuch der Überzeugung durch Vernunftargumente. Diese können grundsätzlich induktiv oder deduktiv sein. Die typische Form des induktiven Arguments ist das Beispiel (ein Geschehen, ein Sachverhalt oder eine Tradition, das oder die der Hörerschaft auf unmittelbar zugängliche Weise die Wahrheit des eigenen Standpunktes illustriert). Die typische Form des deduktiven Arguments ist das Enthymem (die meist verkürzte rhetorische Form des logischen Syllogismus: zwei nicht notwendigerweise explizit geäußerte Bedingungen, die zu einer Schlussfolgerung führen).133 In den antiken Handbüchern finden sich teils ausladende Kataloge und Analysen argumentativer Topoi oder Loci, der „Orte“, deren sich der Redner bei der Suche nach Argumenten bedienen kann.134 Überdies begegnen wiederholt Überlegungen zu typischen, wiederkehrenden Argumentationsmustern, unter anderem der amplificatio, der wiederholten Aufnahme der gleichen Idee von verschiedenen Seiten her.135 Einen weiteren komplexen Bereich der inventio machen in der nacharistotelischen Rhetorik quaestio und stasis aus.136 Die quaestio bezeichnet die eigentliche Streitfrage.137 Aufgabe des Redners ist es, zuallererst durch eine Analyse der rhetorischen Situation den Status (stasis) der quaestio und ihrer Unterfragen festzustellen: Besteht Dissens in den grundlegenden Tatsachen des Sachverhaltes (status coniecturae), in ihrer Definition (status definitionis) oder in ihrer Bewertung oder wird dem Gegenüber überhaupt das Recht abgesprochen, den Vorgang bewerten zu können (status translationis)? Ausgehend von dieser Analyse kann der Redner eine

Vgl. Kennedy 1984, 15. Vgl. Eriksson 1998, 38–43. Für das Enthymem verweist er auf Kennedys klassisches Beispiel: Obersatz: Gute Menschen begehen keinen Mord. – Untersatz: Sokrates ist ein guter Mensch. – Schlussfolgerung: Sokrates begeht keinen Mord (Kennedy 1963, 97). 134 Schweinfurth-Walla 1986, 175, bezeichnet die loci treffend als „Suchformeln“, durch die der Redner auf Argumente aufmerksam wird. 135 Vgl. Eriksson 1998, 53–63 mit konkreten Beispielen. Die amplificatio diskutiert er am Beispiel von Rhet. Her. 4,43.56–44.57. Watson 2009 beklagt, der amplificatio werde in der Paulusforschung nicht genügend Gewicht beigemessen. 136 Vgl. Kennedy 1984, 18. 137 Vgl. Eriksson 1998, 43–45. 132 133

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B)

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rhetorische Strategie wählen, die das Thema direkt angeht, oder zuvor versuchen, die Hörerschaft vermittelnd für sich und sein Anliegen einzunehmen.138 Schließlich werden grundsätzlich drei rhetorische Genera unterschieden: Während sich die epideiktische Rede auf die Gegenwart konzentriert, lobt oder schilt und sich an einen unbeteiligten Hörer richtet, dessen Augenmerk auf der Kunstfertigkeit des Redners liegt, zielt die deliberative bzw. symbuleutische Rede auf die Zukunft, indem sie Entscheidungsträger zu einem bestimmten Handeln ermutigen oder von ihm abhalten möchte. In der römischen Tradition am intensivsten behandelt wurde schließlich die forensische Rede. Sie erörtert das Vergangene und möchte die Richter bewegen, ein bestimmtes Urteil zu fällen.139 Da jedes genus eine andere Anordnung des Stoffes fordert, ist hiermit die Brücke zur dispositio geschlagen.140 Am ausführlichsten wird diese in den Handbüchern anhand der forensischen Rede erörtert. In ihrer idealtypischen Form beginnt diese mit einem exordium, das die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen der Hörerschaft sichert, schreitet zur narratio des Sachverhalts vor, präsentiert den zu beweisenden Standpunkt des Redners in der propositio und untergliedert ihn gegebenenfalls in der partitio. In der probatio bringt der Redner seine Argumente vor und widerlegt ggf. die Argumente seines Gegners in der refutatio, mitunter begleitet von digressiones zu einzelnen relevanten Aspekten. Abschließend wiederholt er die wesentlichen Punkte in der peroratio auf eine Art und Weise, die sie dem Publikum erneut einschärft und es emotional für ihn einnimmt. Dem dritten canon, den Stilfragen der elocutio, trägt die vorliegende Untersuchung als Teil der thematisch-stilistischen Analyse Rechnung. Ihre Ergebnisse sind jedoch auch für die rhetorisch-argumentationslogische Analyse von Belang, haben jüngere Untersuchungen doch gezeigt „that Paul does not typically use style merely for ornamentation. […] He uses style to accomplish his goals of persuasion and dissuasion, affirmation and reorientation.“141 b Nutzen und Operationalisierbarkeit Die rhetorische Analyse der Paulusbriefe hat sich seit Hans Dieter Betz Galaterkommentar von 1979 fest neben einem epistolographischen Zugang etabliert.142 Vgl. Eriksson 1998, 45–53. Quint. de. inv. 1,3,1–4. 140 Vgl. Wuellner 1997; Kennedy 1984, 23–25. 141 Watson 2009, 133. Vgl. auch die Überlegungen zur emotionalisierenden Wirkung sprachlicher Mittel als effektiver Überzeugungsstrategie nach Quintilian bei Lampe 2009, 187–189. 142 Vgl.  die umfangreiche Bibliographie Watson/Hauser 1994 allein für die Fülle der Untersuchungen bis in die frühen neunziger Jahre. Beschrieb Aristoteles die Rhetorik noch als „Kunst der Überzeugung“, so charakterisiert schon Quintilian sie zuvorderst als „Kunst des schönen Sprechens“. Diese Entwicklung setzte sich fort, bis spätestens im Gefolge des Petrus Ramus inventio und dispositio im 16. Jahrhundert endgültig aus der Rhetorik ausgegliedert und stattdessen der Logik zugeordnet wurden. War eine umfassende rhetorische Betrachtung bis dahin nicht unüblich 138 139

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2 Zur Orientierung

Im Zuge dessen hat sich das Augenmerk der Exegeten von einer allzu starren und schematischen Anwendung der dispositio weg und zu einer größeren Beachtung der inventio und ihres Erklärwertes zur Analyse der in den Texten angeführten Argumente hinbewegt.143 Dass eine klassisch-rhetorische Betrachtung neutestamentlicher Texte exegetisch sinnvoll ist, kann als etabliert gelten. Auf welche Weise eine solche Betrachtung erfolgen sollte, bleibt jedoch umstritten. Literarische, historische und methodische Faktoren müssen berücksichtigt werden.144 Gegen eine undifferenzierte Anwendung rhetorischer Kategorien auf die Paulusbriefe spricht zu allererst ihre literarische Gattung, handelt es sich doch gerade um Briefe und nicht um Reden. Damit ist fraglich, inwiefern man sie überhaupt zielführend mit den Mitteln der klassischen Rhetorik analysieren kann. Die Vielfalt sich widersprechender Ergebnisse, zu denen eine vor allem am Aufbau der Texte interessierte rhetorische Analyse geführt hat, mahnt einen umsichtigen Umgang an.145 Zugleich heben sich die Paulusbriefe aber auch von anderen bekannten Briefen der Zeit durch ihren Stil und ihre Ausführlichkeit ab. Dass sie zur öffentlichen Verlesung bzw. zum öffentlichen Vortrag angelegt sind, öffnet einer entsprechenden Analyse wieder die Tür.146 Insgesamt scheint eine Vermittlung von epistolographischen und rhetorischen Zugängen geboten.147 Auch die historische Frage nach Paulus und seiner Vertrautheit mit der Rhetoriktheorie mahnt zur Vorsicht. Es ist nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass Paulus ein rhetorisches Studium durchlaufen hat, das ihn mit den Methoden und Termini seiner Zeit hätte vertraut machen können. Dennoch bezeugen seine Briefe unbestreitbar den Einsatz rhetorischer Techniken.148 Es muss offen bleiben, ob er diese tatsächlich in einem schulischen Kontext erlernt hat, ob sie schlicht einer rednerischen Veranlagung zu verdanken sind oder ob Paulus bewusst oder unbewusst die rhetorische Praxis anderer imitiert.149 Dass eine gewisse rhetorische Finesse „in the air“ war, ist in einer mündlich-rhetorisch geprägten Kultur wie der hellenistischrömischen nicht unwahrscheinlich.150 Was genau das bedeutet, lässt sich jedoch nicht rekonstruieren. Eine allzu technische, rhetorische Analyse der Paulusbriefe scheint demnach nicht angebracht. (vgl. Classen 2000) beschäftigten sich „rhetorische“ Untersuchungen biblischer Texte seitdem bis weit ins 20. Jahrhundert fast ausschließlich mit Stilfragen (vgl. Eriksson 1998, 8–10). 143 Vgl. für diese Beobachtung Eriksson 1998, 10. 144 Vgl. für eine pointierte Kritik auch Hietanen 2007, 32. 145 Für eine Übersicht zum klassischen Beispiel, dem Galaterbrief, vgl. Tolmie 2005, 1–23. 146 Vgl. Witherington 1995, 35–39, und Oestreich 2012. Vgl. aber auch oben Anm. 79. 147 Vgl. Reed, Jeffrey, T. 1997, 192, und Thurén 2015. 148 Zur Auswertung dieses Befundes vgl. Hughes 2015; Kremmydas 2015. 149 Zu diesen Optionen vgl. Classen 1993, 269, und maßgeblich zur Bildung des Paulus Vegge 2006. Zum Einfluss des rhetorical criticism auf die Frage nach der Bildung des Paulus vgl. auch Watson 2008, 52–54. 150 So Longenecker 1990, cxii, in Anlehnung an Kennedy 1984, 10.

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B)

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Wollte man eine solche durchführen, ergäben sich auch unmittelbar methodische Schwierigkeiten. Wenn die antiken Handbücher auch große Ähnlichkeiten aufweisen, bieten sie insgesamt doch kein geschlossenes rhetorisches System.151 Bei der oben referierten Form handelt es sich um eine künstliche Synthese. Auch lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, inwiefern die rhetorische Theorie der rhetorischen Praxis der Zeit entspricht.152 Selbst wenn dem so gewesen sein sollte, unterscheidet sich der Bezugsrahmen der Rhetoriktheorie doch so stark von dem des Paulus, dass vereinzelt vorgeschlagen wurde, beginnend in den paulinischen Briefen eine eigene rhetorische Gattung zu postulieren.153 Insofern ist fraglich, ob die rhetorische Analyse sich als streng historisches Unterfangen verstehen sollte.154 Hinzu kommt, dass die antike Rhetoriktheorie nicht als analytisches, sondern als heuristisches Werkzeug angelegt ist. Sie bietet eine Anleitung zur Abfassung von Reden. Hingegen lässt sich eine Anleitung, aus einem fertigen Text auf die Gedanken hinter seiner Entstehung zurückzuschließen, nur sehr bedingt aus ihr rekonstruieren. Eine heute verbreitete Vorgehensweise wurde erstmals von George A. Kennedy systematisiert. Er identifiziert zunächst die rhetorische Einheit und befragt den Text anschließend auf seine rhetorische Situation.155 Sodann versucht er über die stasisTheorie und das rhetorische Genre das rhetorische Problem zu identifizieren, das im Text verhandelt wird, durchleuchtet dessen Aufbau und schließt eine detaillierte Analyse der Argumente, der in ihnen vorausgesetzten Annahmen und Themen, der formalen Argumentationsmuster und der Stilfiguren an.156 Kennedys Modell wurde von verschiedener Seite kritisiert und weiterentwickelt.157 Mag es, wie die Forschungsgeschichte zeigt, Texte geben, auf die es sich fruchtbringend anwenden lässt, bietet es sich für die vorliegende Untersuchung jedoch nicht an. Sie kann die rhetorische Situation ihrer Texte nicht für die Analyse voraussetzen, wenn es doch gewissermaßen erst ihr Ziel ist, diese zu rekonstruieren.158 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung erweist sich das weite Feld der klassischen Rhetorik damit zwar nicht als ein praktikabler Leitfaden für die Analyse, aber doch als hilfreiches Reservoir von Begriffen und Kategorien, mit deren Hilfe sich Textbefunde beschreiben lassen. Wo immer dies geschieht, hat es den Vorteil, Vgl. Hietanen 2007, 32. Berechtigterweise fordert Mitchell, dass die Rhetorikhandbücher mit der tatsächlichen Praxis abgeglichen werden müssen, ehe man sie zur Analyse heranzieht (vgl. Mitchell 1991, 8–11). Dies ist bisher jedoch nur wenig geschehen. 153 Vgl. Olbricht 1990, 226. 154 Als „historical rhetorical criticism“, dessen Analyseparameter auf das historisch Nachweisbare zu beschränken sind, versteht etwa Mitchell 1991, 6, ihre Arbeit. Dagegen vgl. etwa Olbricht 2002, 3.6. 155 Zum Begriff vgl. Bitzer 1968. Er umfasst vor allem Personen, Vorgänge und andere textexterne Faktoren, die die Argumentation und Entscheidungsfindung beeinflussen, insofern sie aus dem Text zu erheben sind. Vgl. auch Thurén 1995, 32, Anm. 6. 156 Vgl. dazu Kennedy 1984, 33–38. 157 Besondere Nähe zum Thema dieser Arbeit hat die Adaption von Eriksson 1998, 64–72. 158 Zum Problem vgl. Eriksson 1998, 65–67. 151 152

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2 Zur Orientierung

dass entsprechende Denk- und Sprechmuster als zeitgenössisch bekannt vorausgesetzt werden können. Als analytisches Werkzeug scheidet die klassische Rhetorik jedoch weitgehend aus. Allenfalls ein Abgleich mit bezeugten Argumentationsmustern scheint möglich, um Argumente zu erkennen und unklare Befunde zu konturieren. Des Weiteren sensibilisiert die Unterscheidung von Ethos, Pathos und Logos dafür, die argumentative Bewegung des Textes unter Beachtung ihrer relationalen und emotionalen Dimension nachzuvollziehen.159 Ein eigenes Feld ist die Analyse von Enthymemen, der die Exegese in den vergangenen Jahrzehnten viel Beachtung geschenkt hat; oft mit der Hoffnung verbunden, Rückschlüsse auf die den Texten implizite Vorstellungswelt ziehen zu können. Da im Enthymem meist die Hauptprämisse, bzw. der Obersatz implizit bleibt und von der Hörerschaft zu ergänzen ist, erlauben Enthymeme ggf. den Rückschluss auf geteilte Präsuppositionen. Im Detail wird der Begriff jedoch höchst unterschiedlich und keinesfalls nur im aristotelischen oder klassisch-rhetorischen Ursprungssinn verwendet.160 Marc Debanné hat in einer groß angelegten Studie Enthymeme in den Paulusbriefen aufgeschlüsselt, doch auch seine Untersuchung hat mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass sowohl die Definition eines Enthymems als auch seine Rekonstruktion vielfältigen Unschärfen unterliegt.161 Neuere argumentationstheoretischen Ansätze bauen teils auf die Analyse von Enthymemen auf und versuchen diese Unschärfen zu beheben. 2.3.1.2 Die nouvelle rhétorique nach Chaïm Perelman und Lucie Olbrechts-Tyteca a Darstellung Einen einflussreichen Versuch, die Rhetorik als praktische Kunst des Argumentierens wiederzuentdecken und für die moderne Philosophie und Literaturtheorie anschlussfähig zu formulieren, unternahmen Chaïm Perelman und Lucie OlbrechtsTyteca in ihrer Programmschrift La nouvelle rhétorique von 1958.162 Nachdrücklich wird hier die Abkehr von einem formal-logisch orientierten Verständnis von Argumentation vollzogen und der relationale Charakter aller Argumentation hervorgehoben. Argumentation beruhe auf einem geteilten Satz von Grundannahmen zwischen den Argumentationsparteien. Argumentieren bedeute, die vorgestellte Wirklichkeit der Hörerschaft ausgehend von diesen Grundannahmen neu aus159 Dies ist umso wichtiger, als die paulinische „Logik“ sich nicht in formallogisch nachvollziehbaren Schlüssen erschöpft (vgl. Mayordomo 2005, 230–232.234, mit Anm. 17) und auch ein antiker Rhetoriker „Emotionen als Hauptmittel für die Beeinflussung einsetzt“ (Nickel 1998, 65). 160 Vgl.  kritisch Aune 2003 mit einer repräsentativen Literaturübersicht; ferner Mayordomo 2005, 63–72. 161 Debanné 2006a. 162 Perelman/Olbrechts-Tyteca 1958, ins Englische übersetzt und überwiegend zitiert als Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969.

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B)

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zuleuchten oder umzugestalten.163 Sie habe dabei „nicht die Objektivität einer mathematischen oder rein-logischen Beweisführung, sondern sie richtet sich nach Adressaten und zielt auf deren Zustimmung“164. Sie sei demnach wesentlich abhängig von der Stellung des Redners zur Hörerschaft, der Art der Kontaktaufnahme und der Frage, ob es ihm gelinge, sich an seine Hörerschaft anzupassen.165 Das Werk ist im Wesentlichen eine Reformulierung und Erweiterung der klassischen Rhetorik unter dieser Prämisse. Nach der Erläuterung des Ansatzes (§§ 1–14) und ausführlichen Überlegungen zum partiellen Einverständnis zwischen Redner und Hörerschaft, das am Beginn einer jeden Argumentation steht (§§ 15–43), widmet sich der größte Teil des Buches der Darstellung von Argumentationsschemata, die den Kanon der klassischen Rhetorik teils aufnimmt, teils beträchtlich erweitert (§§ 44–105).166 Der Katalog beschreibt verschiedene Wege, die Vorstellungen der Hörerschaft zu beeinflussen, und unterscheidet vier Gattungen von Argumentationsweisen: Die rhetorische Bewegung kann quasi-logisch, wirklichkeitsbezogen, wirklichkeitsetablierend oder dissoziativ sein.167 Dies differenziert die hergebrachte Aufteilung in induktive und deduktive Schlüsse aus. Quasi-logische Argumente weisen ihrer Form nach eine besondere Nähe zu formal-logischen Schlüssen auf.168 Sie fußen auf dem gesunden Menschenverstand: Widersprüche sind unvereinbar, Gleiches ist gleich zu behandeln etc.169 Wirklichkeitsbeschreibende Argumente beziehen ihre Beweiskraft hingegen nicht durch ihre logische Schlüssigkeit, sondern knüpfen an allgemein anerkannte Prämissen über die Verhältnisse zwischen verschiedenen „Elementen der Wirklichkeit“170 an: Anerkannte Autoritäten sind vertrauenswürdig, althergebrachte Gepflogenheiten sind zu ehren, Wirkungen haben eine Ursache usf.171 Diese beiden Argumentationswege sind insofern deduktiv, als sie ihren Ausgangspunkt bei allgemeinen Prinzipien oder Beobachtungen zur Struktur der Wirklichkeit nehmen, die Redner und Hörerschaft teilen. Was die nouvelle rhétorique „wirklichkeitsetablierende Argumente“ nennt, entspricht induktiver Argumentation, da sie „durch die Berufung auf einen Einzelfall [cas particulier] das Wirkliche begründen“172: Aus Beispielen, Analogien, Metaphern u. ä. wird verallgemeinernd auf die Struktur der Wirklichkeit geschlossen. Alle drei ArgumentaVgl. Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969, 261–263. Siegert 1985, 23 als treffende Zusammenfassung von Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969, 13 f. 165 Vgl. Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969, 14–26. 166 Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969, 185–508. Freilich finden sich ähnliche Kategoriensysteme auch in den antiken Rhetorikhandbüchern. Als deren Synthese und Erweiterung bietet sich die hier vorgenommene Kategorisierung in besonderem Maße an. 167 Die Übersetzung der Begriffe folgt hier der sprachlich eleganten Lösung von Kopperschmidt 1989, 198. 168 Vgl. Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969, 193–195. 169 Vgl. §§ 45–59. 170 Perelman 1980, 87. 171 Vgl. §§ 60–77. 172 Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004, 497. Vgl. §§ 78–88. 163 164

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2 Zur Orientierung

tionsweisen wollen einen überzeugenden Effekt erzielen, indem sie die Streitfrage in den Horizont bestimmter Strukturelemente der Wirklichkeit stellen, die von der Hörerschaft zuvor nicht beachtet wurden. Es handelt sich um assoziierende Argumentationsformen. Daneben tritt in der nouvelle rhétorique die Dissoziation oder Begriffszergliederung173 als argumentative Strategie. Dissoziierende Argumente trennen eine Verbindung zwischen vormals zusammengedachten Konzepten auf. Klassisches Beispiel ist die Unterscheidung von Anschein und Wirklichkeit.174 „Als ‚dissoziativ‘ ist diese kategoriale Differenzierung zu spezifizieren, weil sie in der Regel konventionalisierte Schlüsselbegriffe der Problemreflexion in jeweils zwei Begriffe zerlegt, deren polare Spannung […] zwei unterschiedliche Problemsichten abbildet.“175 Dissoziative Argumentation trägt zur begrifflichen Schärfung eines diffusen Problemverständnisses bei und entfaltet dadurch mitunter eine enorme Suggestivkraft.176 Mit ihrer umfangreichen Auflistung möglicher argumentativer Muster betreten Perelman und Olbrechts-Tyteca ein prinzipiell unabschließbares Feld. Verschiedene Untersuchungen haben demonstriert, dass sich ihre Kategorien auch auf biblische Texte anwenden lassen.177 Zwar werden bei einem solchen Vorgehen „anachronistische“ Kategorien an die biblischen Texte herangetragen. Dass zur Zeit der Abfassung der biblischen Bücher bestimmte Argumentationsmuster jedoch anders oder gar nicht benannt waren, schließt keineswegs ihre – zumal womöglich unbewusste – Verwendung aus. b Nutzen und Operationalisierbarkeit Insgesamt gibt auch die nouvelle rhétorique der Untersuchung hilfreiches Vokabular an die Hand und verweist im Gefolge der klassischen Rhetorik auf die Vieldimensionalität von Argumentation. Zwar bietet der Ansatz weder ein analytisch-methodisches Vorgehen, noch sind seine Kataloge als exklusiv zu betrachten. Unter diesem Vorbehalt können sie aber als Wahrnehmungshilfe herangezogen werden.178 Mitunter sensibilisieren sie auch für die argumentative Wirkung von Aussagen, die in der Analyse leicht übersehen werden können179, berücksichtigen sie doch auch „die nichtsprachlichen Faktoren der Argumentation“180 und helfen, sie zu benennen. Am hilfreichsten erscheint jedoch die übergeordnete Unterscheidung von vier So die treffende Übersetzung von Varwig/Kopperschmidt. Vgl. §§ 89–96. Ferner Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969, 415–419. Kopperschmidt 1989, 203, führt als Beispiel die Trennung von Buchstaben und Geist an! 175 Kopperschmidt 202. 176 Vgl. Kopperschmidt 1989, 203 f. 177 Vgl. etwa Siegert 1985; Wuellner 1986; Snyman 1988; Wire 1990; Vorster 1993. 178 Vgl. die Kritik in Debanné 2006a, 26 f. 179 Vgl. z. B. die Ausführungen zur Metapher (Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969, 398–404) oder zur Dissoziation durch subtile sprachliche Signale (Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969, 436–442). 180 Siegert 1985, 91. 173 174

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B)

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grundsätzlich verschiedenen Argumentationsweisen. Wenn diese Taxonomie auch von verschiedener Seite kritisiert worden ist, hat sie sich in der Praxis doch als leistungsfähig genug erwiesen, sowohl grundsätzliche Argumentationsstrategien aufzuzeigen und in ihrer Funktionsweise zu verstehen als auch die „Anwendungsbedingungen“ klassischer Argumentationsmuster zu erfassen.181 2.3.1.3 „Socio-rhetorical Interpretation“ nach Vernon K. Robbins Ein umfassender Ansatz, die rhetorische Struktur und Textwelt antiker christlicher Zeugnisse unter Zuhilfenahme der Sozial- und Kognitionswissenschaften zu erfassen, firmiert seit einiger Zeit unter dem Titel „socio-rhetorical interpretation“ (SRI). Die sozio-rhetorische Auslegung versteht sich als „interpretive analytic“ mit dem Ziel „to help interpreters learn how a text prompts and influences thinking, emotion, and behavior“182. Vor Augen steht demnach ein Bild von rhetorischer Wirkabsicht im umfassendsten Sinne. Der Ansatz wird seit dem Erscheinen mehrerer grundlegender Monographien in den 1990er Jahren von einer internationalen Gruppe von Exegeten um Vernon K. Robbins beständig weiterentwickelt.183 a Darstellung Ausgangspunkt ist die Maxime, dass Texte weniger eindimensionalen Flächen als komplexen Geweben gleichen. In ihnen finden sich „multiple textures of meanings, convictions, beliefs, values, emotions and actions“184. SRI unterscheidet sechs solcher textures, die unter sozio-rhetorischem Blickwinkel zu beachten sind: inner texture, intertexture, social and cultural texture, ideological texture185 und sacred texture186. Unter inner texture versteht SRI sprachliche Phänomene auf der Textoberfläche wie etwa Wiederholungs-, Erzähl- und Argumentationsstrukturen. Der Begriff intertexture knüpft bewusst an Julia Kristeva an, ist im Laufe der Zeit aber zusehends auf sprachliche Bezüge eingegrenzt worden.187 Die Beziehung zu nichtsprachlichen „Texten“ ist Sache der übrigen textures: Die Untersuchung der social and cultural texture fragt nach kulturell bedingten Topoi, die ein Text aufruft, und dem zugrunde liegenden Alltagswissen. Die Untersuchung der ideological texture bestimmt dem Text zugrunde liegende Weltdeutungssysteme und fragt nach der Art 181 Kopperschmidt 1989, 204. Kopperschmidt 1989, 204 f. referiert die Kritik und kommt zu einem ähnlichen Schluss. Für eine fruchtbare Anwendung s. o. Anm. 177. 182 Robbins u. a. 2016b, 1. 183 Bei den grundlegenden Monographien handelt es sich um Robbins 1996a und Robbins 1996c, später ergänzt durch Robbins 2009. Für eine umfassende Bibliographie von Arbeiten, die SRI anwenden, vgl. Robbins u. a. 2016a, insb. 3–4, Anm. 7–9. 184 Robbins 1996c, 18. 185 Robbins 1996a. 186 So seit Robbins 1996c. 187 Vgl. Robbins u. a. 2016b, 2.

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2 Zur Orientierung

des geführten (Macht)Diskurses. Schließlich fragt die sacred texture noch einmal gesondert nach dem mitgeteilten oder mitgeführten Wissen über die Beziehung zwischen Gott und Mensch. Um die Wechselwirkungen zwischen diesem religiösen Anliegen und den anderen Untersuchungsbereichen zu erfassen, ist der Ansatz im Laufe der Jahre beträchtlich erweitert worden.188 Ein interessantes Charakteristikum des sozio-rhetorischen Ansatzes liegt darin, sowohl Gedankengänge, die rational-argumentativ überzeugen wollen, als auch eher bildhaft-assoziative Äußerungen als gleichermaßen rhetorisch zielgerichtet zu begreifen. Im entsprechenden Jargon handelt es sich bei ersteren um rhetology, bei letzteren um rhetography.189 Die sozio-rhetorische Auslegung leitet diese Unterscheidung von George Kennedys Rhetorikverständnis ab.190 Kennedy unterscheidet im Neuen Testament die herkömmliche Form von Rhetorik, der sein Interesse gilt und die sich durch eher „worldly characteristics“ in „forms of logical argument and refutation, in deliberate arrangement of material, and in careful choice and composition of words“191 ausdrückt, von einer „radical Christian rhetoric“192. Diese sei „a form of ‚sacred language‘ characterized by assertion and absolute claims of authoritative truth without evidence or logical argument”193. SRI geht an dieser Stelle insofern über Kennedy hinaus, als sie beide Formen von Rhetorik gleichberechtigt nebeneinanderstellt, da kulturell verinnerlichte Plausibilitätsstrukturen auch und gerade infolge des emotionalen Effekts, der mit ihnen einhergeht und sprachlichbildhaft transportiert wird, rhetorische Kraft entfalten und bewusst eingesetzt werden können. „[T]he picture an argument evokes (its rhetography) is regularly as important as the reasoning it presents (its rhetology).“194 Schon die Einteilung der klassischen Rhetorik in Ethos, Pathos und Logos spiegele dies wider.195 Auch die antik-rhetorische Übung der ekphrasis ziele auf eben diese bildhaften Effekte.196 Dabei bleiben Rhetologie und Rhetographie jedoch nicht unverbunden nebeneinander stehen: „[T]he goal of a rhetorical interpreter must be to use the insight that the NT writings blend rational and nonrational, worldly and radical, rhetoric together.“197 Die Diskursfelder, auf denen beide Formen von Rhetorik auf je spezifische Weise ineinandergreifen, bezeichnet SRI mit dem Schachtelwort rhetorolect als rhetoriVgl. Robbins 2009, 495. Überhaupt geht SRI mit einer Vielzahl von Begriffsneubildungen, -prägungen und der Einbürgerung von Fachtermini anderer Disziplinen in die exegetische Wissenschaft einher. Eine Übersicht bietet der Glossar in Robbins 2009, XXI–XXX. 190 Vgl. Robbins u. a. 2016b, 2. 191 Kennedy 1984, 96 192 Kennedy 1984, 7 193 Kennedy 1984, 104 194 Robbins 2009, 17. Vgl. auch die Überlegungen bei Lampe 2009, 185–187, zur Visualisierung als Überzeugungsmittel bei Quintilian. 195 Robbins 2009, 17. 196 Vgl. Robbins 2008, 81. 197 Robbins 2009, 98. 188 189

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B)

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sche Dialekte. Ein solcher Rhetorolekt sei „a form of language variety or discourse identifiable on the basis of a distinctive configuration of themes, topics, reasonings and argumentations“198, mithin ein wiedererkennbares Vorstellungssystem. Das Konzept des Rhetorolekts erlaubt es zu untersuchen, wie spezifische Glaubensvorstellungen im Zusammenspiel mit allgemeinen Welterfahrungen und kulturellen Prägungen kontextualisiert werden und Bedeutung erzeugen.199 In freier Fortführung von Kennedys Textbeobachtungen zu radical rhetoric hat die sozio-rhetorische Auslegung nach und nach eine Gruppe von sechs Rhetorolekten identifiziert.200 Dabei handelt es sich bei allen sechs Rhetorolekten um christlich-jüdische Spielarten griechisch-römischer Diskursfelder, die durch biblische Narrative und Traditionen geprägt sind.201 Der gemeinantike mantische oder mythische Diskurs um göttliche Kommunikation spiegelt sich im „apokalyptischen“ und „prophetischen“ Rhetorolekt wider.202 Argumentation im „apokalyptischen“ Diskurs nimmt Gottes Wesen und sein souveränes Handeln in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu ihrem Bezugspunkt.203 Der „prophetische“ Rhetorolekt geht davon aus, dass Gottes Wort eine Macht innewohnt, dass Gott zu bestimmten Zeiten bestimmte Menschen beruft, dieses Wort weiterzugeben, und dass das Ergehen der Empfänger dieses Wortes davon abhängt, wie sie sich zu ihm stellen. Für gewöhnlich gründet Argumentation im „prophetischen“ Modus ihre Aussagen auf eine dieser Annahmen.204 Der gemeinantike philosophische Diskurs um die Frage nach Wahrheit spiegelt sich im „weisheitlichen“ und „prä-Schöpfungs-Rhetorolekt“ wider. Dabei geht wiederum der „prä-Schöpfungs“-Rhetorolekt von der unsichtbaren, der „weisheitliche“ Rhetorolekt von der sichtbaren Welt aus. Argumentation im „prä-Schöpfungs“-Modus geht typischerweise abduktiv vor. Vor dem Hintergrund der ewigen Beziehung zwischen Gott und Christus wird Jesu Reden und Tun mit dem Wissen um Gottes Wesen zusammengedacht. Das eine expliziert das andere und die Kombination beider wird zum Ausgangspunkt der Argumentation.205 Das einschlägige Robbins 1996b, 356. Im Anschluss an neuere kognitionswissenschaftliche Modelle ließe sich ein Rhetorolekt als „Idealized Cognitive Model“ verstehen (vgl. Robbins 2009, 104). Diesen Begriff entlehnt Robbins von Lakoff 1987. Für die bedeutungsproduktive Funktionsweise von Rhetorolekten berufen sich Vertreter der SRI regelmäßig auf Fauconnier/Turner 2003. 200 Erstmals in Robbins 1996b. Vgl. ferner Robbins 2008, 84–98 und Robbins 2009, 90–98. Die Benennung begleitet eine ständige Debatte. 201 Vgl. für das Folgende die Kurzdefinitionen in Robbins 2009, xxi–xxx, und die Übersichtstabellen bei Robbins 2009, 109, und Oropeza 2016, 38 f. 202 Watson 2002, 1. 203 Vgl. Robbins 2002, 55. Als typische Beispiele „apokalyptischer“ Argumentation werden auf den Folgeseiten 1 Enoch 100,1–6 und Offb 4,2–11 angeführt und untersucht. 204 Vgl. Robbins 2002, 45. Als typische Beispiele „prophetischer“ Argumentation werden auf den Folgeseiten Mt 5,3–12 und Mt 23,1–15 angeführt und untersucht. 205 Vgl. Robbins 2002, 60. Als typische Beispiele von „prä-Schöpfungs“-Argumentation werden auf den Folgeseiten Kol 1,11–20 und Joh 1,1–18 angeführt und untersucht. 198 199

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2 Zur Orientierung

Argumentationsmuster des „weisheitlichen“ Rhetorolekts ist der induktive Analogieschluss, aus dem gemeingültige Prämissen abgeleitet und enthymematisch verarbeitet werden.206 Der gemeinantike rituelle Diskurs um die praktischen Fragen von Religion spiegelt sich im „priesterlichen“ und „Wunder“-Rhetorolekt wider. Auch hier geht die Denkrichtung des „priesterlichen“ Rhetorolekts vom Irdischen zum Göttlichen, die des „Wunder“-Rhetorolekts vom Göttlichen zum Irdischen. Die Leidensgeschichte Jesu wird im „priesterlichen“ Rhetorolekt zur argumentativen Folie dafür, wie Gott aus Leiden Segen hervorbringen kann.207 Ausgangspunkt der Argumentation im „Wunder“-Rhetorolekt ist die Schilderung konkreter Heilungserfahrungen. Der Rhetorolekt neigt zu induktiver Argumentation und zum Analogieschluss.208 b Nutzen und Operationalisierbarkeit Selbstverständlich geben die Rhetorolekte der SRI den biblischen Befund nur holzschnittartig wieder. Eine gängige Kritik an der sozio-rhetorischen Auslegung lautet, sie würde die Vielfalt der Textbefunde durch ein zu starres Deutungsraster einebnen. Versteht man die Rhetorolekte (zusammen mit Robbins selbst) jedoch nicht als starre Kategorien, sondern als Pole flexibler Deutungsmuster, die in fließenden Übergängen miteinander interagieren, entfalten sie bei aller gebotenen Vorsicht durchaus heuristischen Wert. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung können sie Fragen aufwerfen, in Richtung welcher Vorstellungswelten sich ein Text bewegt. Hilfreich ist dabei die Zuordnung gemeinhellenistischer Diskursfelder zu ihren biblisch-jüdischen Entsprechungen, die dazu anregt, in der Deutung von Aussagen und Argumentationsmustern verschiedene kulturelle Hintergründe miteinander ins Gespräch zu bringen. Überdies mahnt die Unterscheidung von Rhetologie und Rhetographie an, beide Argumentationsebenen in der Analyse zu berücksichtigen. Die Unterscheidung verschiedener Rhetorolekte kann dabei helfen, Argumentationsmuster angemessen einzuordnen (Rhetologie) und emotionsorientierte Argumentation vor dem Hintergrund der jeweiligen Vorstellungswelt klarer zu erfassen (Rhetographie).

206 Vgl. Robbins 2002, 31 f. Als typische Beispiele „weisheitlicher“ Argumentation werden auf den Folgeseiten Lk 11,1–13 und Jak 2,1–13 angeführt und untersucht. 207 Vgl.  Robbins 2002, 53. Als typisches Beispiel „priesterlicher“ Argumentation wird auf den vorangehenden Seiten 1 Petr 2,18–25 angeführt und untersucht. 208 Vgl. Robbins 2002, 38 f. Als typische Beispiele von „Wunder“-Argumentation werden dort Mk 1,32f und 5,21–34 angeführt und untersucht.

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B)

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2.3.1.4 Argumentationsanalye nach Josef Kopperschmidt a Darstellung Eine im deutschen Sprachraum einflussreiche Synthese argumentationsanalytischer Ansätze hat Josef Kopperschmidt Ende der 1980er Jahre vorgelegt. Er reagierte damit auf den von ihm empfundenen Mangel an einem allgemein akzeptierten, methodisch umfassenden Vorgehen zur Analyse verschiedenartiger Argumentationen.209 Kopperschmidt beschreibt die „Überzeugungskraft von Argumentationen“ als „eine Form des zwanglosen Zwangs, der sich in der Nötigung rational motivierter Zustimmung zur Geltung bringt“.210 Wenn er sich auch voll bewusst ist, dass diese Zustimmung auf mehr als „strikt logischen Deduktionsbeziehungen“211 fußt, ist damit doch deutlich, dass er Argumentation rational und nicht etwa (rhetorisch-)emotional zu erfassen sucht. Praktisch unterscheidet er drei Stadien der Argumentationsanalyse. Auch für ihn beginnt die Analysearbeit mit der Rekonstruktion der „situativen Problemlage“ (1), die allerdings weniger detailliert ausfällt als im Falle der anderen hier vorgestellten Ansätze. Es geht Kopperschmidt im Wesentlichen um die Feststellung des Dissenses zwischen den Streitparteien: Was ist die Störung im kommunikativen Handeln, die der argumentative Diskurs überwinden soll?212 Daran anschließend schlägt Kopperschmidt eine „mikrostrukturelle Argumentationsanalyse“ (2) der einzelnen argumentativen Äußerungen eines Textes vor, die schließlich eine „makrostrukturelle Argumentationsanalyse“ (3) ermöglicht, die aus diesen Äußerungen verschiedene Argumentationsstränge rekonstruiert. Auf diesem Wege wird der Gang der globalen Argumentation deutlich umrissen, so dass die einzelnen Argumentationsstränge klar nebeneinander treten, aber auch ihre innere Organisation offenbar wird. Kopperschmidt entwickelt sein Vorgehen durchgehend im Dialog mit anderen argumentationsanalytischen Methoden. Besonders deutlich wird dies in seiner Beschreibung der mikrostrukturellen Analyse, die auch den meisten Raum des Buches einnimmt. Sie findet auf drei verschiedenen Ebenen statt: auf der funktionalen, der materialen und der formalen Ebene. Mit diesen drei Feldern deckt Kopperschmidt die drei Bedingungen ab, die er für die Überzeugungskraft einer Äußerung formuliert. Sie müsse „hinsichtlich ihres eigenen sprechhandlungsspezifischen Anspruchs als gültig, hinsichtlich ihrer argumentationsspezifischen Funktion als geeignet und

Kopperschmidt 1985, 160. Kopperschmidt 1989, 121. 211 „… sondern [auf ] graduell differenzierbare Stützleistungen von Äußerungen innerhalb eines kategorial gewählten Systems von Äußerungen“ (Kopperschmidt 1989, 121). Er denkt dabei vor allem an die Kontingenz des kategorialen Rahmens eines jeden Arguments. 212 Vgl. dazu Kopperschmidt 1989, 97 f. 209 210

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2 Zur Orientierung

hinsichtlich ihres problemspezifischen kategorialen Zugangs als relevant anerkannt sein“.213 Die funktionale Argumentationsanalyse fragt nach der Funktion einzelner Aussagen und Teilaussagen für die Absicherung einer Behauptung.214 Kopperschmidt knüpft hier an Stephen Toulmins weit verbreitetes Modell einer „detailed physiology“215 von Argumenten an. Toulmin hinterfragt die aristotelische Zergliederung eines logischen Schlusses in Hauptsatz, Nebensatz und Schlussfolgerung und schlägt eine begrifflich schärfere und feingliedrigere Schematisierung vor.216 In der Adaption und Übersetzung Kopperschmidts sind dies zunächst die drei Größen Konklusion, Datum und Schlussregel.217 Jede argumentative Äußerung erhebt einen Geltungsanspruch, die Konklusion (K). Diese stützt sie durch verschiedene angeführte Daten (D), die landläufig als Argumente bezeichnet werden. Abgesichert wird dieser Schluss durch die Schlussregel (SR), eine allgemeine Annahme, die es erlaubt, beide Größen miteinander in Verbindung zu bringen. Oft bleibt die Schlussregel implizit und wird präsupponiert, dennoch setzt jedes Argument eine solche voraus. Kopperschmidt führt als Beispiel ein privates Gespräch über einen erwarteten Besuch an: Wer die Aussage „Klaus kommt morgen nach Köln“ (K) damit begründet, dass Klaus dies am Telefon mitgeteilt habe (D), setzt als Schlussregel voraus, dass Klaus zuverlässig entsprechend seiner Ankündigung handelt (SR).218 Drei weitere Größen verfeinern das Modell. Zum einen kann die Schlussregel ihrerseits durch eine Stützung (S) untermauert werden, zum Beispiel eine Aufzählung all der Anlässe, bei denen Klaus Wort gehalten hat. S kann durchaus selbst ein vollständiges Argument sein oder einen eigenen Argumentationsstrang begründen.219 Zum anderen kann die Konklusion entweder durch einen Modaloperator (O) modifiziert werden, wenn die Schlussregel nur einen bedingten Übergang von D auf K erlaubt, oder durch Ausnahmebedingungen (AB) ergänzt werden. So wäre es denkbar, dass Klaus im Falle plötzlicher Krankheit nicht nach Köln käme.220 Graphisch dargestellt ergibt sich folgendes Schema:221

Kopperschmidt 1989, 120. Vgl. insgesamt Kopperschmidt 1989, 123–142. 215 Toulmin 2003, 87, vgl. ferner das ganze Kapitel „The Layout of Arguments“, Toulmin 2003, 87–134. 216 Toulmin 2003, 89. 217 Kopperschmidt 1989, 124 f. 218 Kopperschmidt 1989, 124–129. 219 Vgl. Kopperschmidt 1989, 128. 220 Vgl. Kopperschmidt 1989, 129. 221 Vgl. Kopperschmidt 1989, 130. 213 214

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B) Datum (D)

weil deshalb wegen Schlussregel (SR)

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ggf. Modaloperator (O); Konklusion (K) (außer wenn eine Ausnahmebedingung [AB] zutrifft)

aufgrund von

Stützung (S)

Mit Hilfe dieses Modells lässt sich die innere Logik einer argumentativen Äußerung terminologisch scharf beschreiben und mitunter auch ihr Verhältnis zu anderen Äußerungen als Stützung einer Schlussregel bestimmen. Unbeschadet dessen muss eine entsprechende Analyse mit der nötigen Umsicht vorgenommen werden. [D]ie verschiedenen argumentativen Funktionsträger sind freilich nur selten an der Oberflächenstruktur ihrer sprachlichen Formulierung erkennbar; sie müssen meistens erst durch eine entsprechende Rollenanalyse als solche identifiziert werden. Ebenso brauchen natürlich nicht alle Schema-Positionen immer besetzt sein; die einzelnen positionsbedingten Rollen des Schemas bilden vielmehr in ihrer Gesamtheit das idealtypische, konkret aber vielfach variierbare Muster einer Argumentation ab, das deren (informelle) Logik zu rekonstruieren erleichtert.222

Insgesamt erfordert auch die funktionale Argumentationsanalyse damit eine „‚virtuelle Teilnahme‘ an der Argumentation“223 und entbindet nicht von den Schwierigkeiten, mit denen schon die klassisch-rhetorisch orientierte Analyse von Enthymemen behaftet ist. Ihr Vorteil liegt jedoch in der präziseren und detaillierteren Terminologie. Die Unterscheidung von „Daten als informativen Äußerungen und Schlußregeln als solche Äußerungen in der Rolle von Daten erst legitimierenden Äußerungen“224 bedeutet im Vergleich zu traditionellen Ansätzen, die hier gleichwertig von zwei Prämissen oder Sätzen sprechen, eine entscheidende Weiterentwicklung. Die materiale Argumentationsanalyse fragt nach dem „kategorialen Rahmen“, innerhalb dessen sich die Argumentation vollzieht.225 Kopperschmidt knüpft an dieser Stelle unter anderem an die stasis-Theorie der klassischen Rhetorik an.226 Der kategoriale Rahmen entscheidet darüber, „um welchen Typ von Problemlage es sich Kopperschmidt 1989, 130. Kopperschmidt 1989, 142. 224 Kopperschmidt 1989, 126. 225 Kopperschmidt 1989, 148. Vgl. insgesamt Kopperschmidt 1989, 143–178. 226 Vgl. insb. Kopperschmidt 1989, 153.160. 222 223

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2 Zur Orientierung

jeweils handelt, welcher Typ von Argumenten für die Bewältigung der Problemlage jeweils einschlägig ist und welcher Typ von Geltungskriterien für die Beurteilung argumentativ verwendeter Äußerungen maßgeblich ist“.227 Argumente entfalten ihre Schlüssigkeit stets nur in den Plausibilitätsstrukturen der ihnen zu Grunde liegenden weltanschaulichen und gesellschaftlichen Bezugssysteme. Im Wesentlichen lässt sich das Problem daher auf die Frage herunterbrechen, ob eine Schlussregel auf eine bestimmte Fragestellung anwendbar ist oder nicht.228 Das Einverständnis der Streitparteien über das kategoriale Sprachsystem bzw. den kategorialen Rahmen, innerhalb dessen sich die Argumentation bewegt, ist für deren Gelingen unabdingbar.229 Zugleich kann dieses Einverständnis selbst Objekt der Auseinandersetzung sein, indem ein Argument als irrelevant zurückgewiesen wird, weil sein Rahmen als für das Problemverständnis unangemessen erachtet wird. Als Beispiel führt Kopperschmidt den gängigen Einwand an, etwas sei „kein Argument“, da dieser ein Argument aufgrund seines zugrundeliegenden kategorialen Rahmens zurückweise.230 Freilich bleiben weite Teile verinnerlichter Plausibilitätsstrukturen als lebensweltliches „Reservoir von Selbstverständlichkeit“231 (Habermas) unbewusst und unthematisiert. Sie werden erst aus der kulturellen oder historischen Differenz heraus wahrgenommen. Die formale Argumentationsanalyse befragt einzelne Argumente schließlich nach den „Muster[n], nach denen sie strukturell gebildet sind“.232 Als Beispiel erörtert Kopperschmidt ausführlich den Schluss a fortiori und seine Geltungsbedingungen.233 Die Frage knüpft an die inventio der klassischen Rhetorik an. Kopperschmidt stützt sich dabei im Wesentlichen auf die oben referierte Neuformulierung einer solchen Argumente-Heuristik durch die nouvelle rhétorique.234 Von daher muss sein Vorgehen hier nicht eigens erläutert werden. Der Ertrag der formalen Perspektive liegt darin, dass die „Kenntnis dieser Formprinzipien die kritische Auseinandersetzung mit den Geltungsbedingungen erleichtert, deren Einlösung die Aktualisierung solcher Formprinzipien in konkreten Argumenten immer schon unterstellt“235 und auf diesem Wege „der Problemreflexion möglichst viele problemrelevante Reflexionsaspekte methodisch anbietet.“236

Kopperschmidt 1989, 153. Vgl. Kopperschmidt 1989, 146. 229 Vgl. Kopperschmidt 1989, 153. 230 Vgl. Kopperschmidt 1989, 145 f. 231 Kopperschmidt 1989, 160. 232 Kopperschmidt 1989, 178, und insgesamt Kopperschmidt 1989, 178–205. 233 Vgl. Kopperschmidt 1989, 179–186. 234 Vgl. das sehr anschauliche Referat bei Kopperschmidt 1989, 198–205. 235 Kopperschmidt 1989, 195. 236 Kopperschmidt 1989, 192 f. 227 228

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B)

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b Nutzen und Operationalisierbarkeit Der Weg, den Kopperschmidt beschreitet, ist weitgehend kompatibel mit dem Anliegen dieser Untersuchung. Er unterscheidet in ebenso praktikabler wie nachvollziehbarer Weise verschiedene Bereiche, die im Zuge einer Argumentationsanalyse bedacht werden müssen, und gibt ihr hilfreiches Vokabular an die Hand. Überdies bieten sich Kopperschmidts Schritte der mikrostrukturellen Analyse für die Rückfrage nach der „Bildung“ hinter einer argumentativen Aussage an. So erhellt die Frage nach dem funktionalen Zusammenhang zwischen der forcierten Aussage und den unterstützend angeführten Daten im Rahmen der funktionalen Analyse die dem Argument zugrundeliegenden Überzeugungen, die es überhaupt erst erlauben, einen Zusammenhang zwischen beiden Größen herzustellen. Angewendet auf biblische Texte sind auch Ergebnisse zum vorausgesetzten Status der heiligen Schriften zu erwarten. Wenn die Argumente auf der materialen Ebene nach ihren weltanschaulichen und kulturellen Bezugssystemen befragt werden, korrespondiert dies der Frage nach den Bildungshintergründen in der korinthischen Gemeinde. Zusammen mit den oben beschriebenen Stärken der nouvelle rhétorique zeigt sich so ein Frageraster, das es grundsätzlich erlaubt, einen Text seinem argumentativen Gefälle nach detailliert zu erfassen. Kopperschmidts Ansatz, die notwendigen Daten zur Rekonstruktion der globalen Argumentation mikroanalytisch zu erfassen, ehe sie makroanalytisch ausgewertet werden, überzeugt auch deshalb, weil er dazu zwingt, Vorentscheidungen, wo sie denn unumgänglich sind, in der konkreten Auseinandersetzung mit textlichen Details zu treffen. Dennoch kann Kopperschmidts argumentationsanalytisches Vorgehen im Folgenden nicht einfach kopiert werden, möchte man die Analyse nicht rational engführen. Wie die Auseinandersetzung mit eher rhetorisch geprägten Ansätzen deutlich gemacht hat, spielen unschärfere, emotionale Kategorien eine größere argumentative Rolle, als Kopperschmidt ihnen zugesteht. 2.3.1.5 Pragma-dialektische Analyse nach Frans van Eemeren und Rob Grootendorst a Darstellung International weite Verbreitung hat ein weiterer globaler argumentationsanalytischer Ansatz gefunden: die von Frans van Eemeren und Rob Grootendorst in einer Vielzahl von Publikationen seit den 1970er Jahren entwickelte pragma-dialektische Analyse.237 Sie stellt eine Weiterentwicklung der Sprechakttheorie von Austin/Searle dar238 und begreift Argumentation im Wesentlichen als eine Kette von Sprechakten. 237 Vgl. insb. van Eemeren/Grootendorst 1984; van Eemeren/Grootendorst 1992; van Eemeren/ Grootendorst 2004; und die Bibliographie in van Eemeren 2016. 238 Vgl. Searle 1969.

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2 Zur Orientierung

Die Erkenntnis aufnehmend, dass die Argumentation mit der Dialektik verwandt ist, jedoch nicht in ihr aufgeht, versucht sie die Argumentation dabei gleichermaßen ihrer kommunikativ-pragmatischen Funktion wie ihrer logisch-dialektischen Folgerichtigkeit nach zu beschreiben und zu beurteilen.239 Referenzrahmen ist ein eigens entwickeltes Modell einer idealtypischen Argumentation, ihrer Phasen und typischen Sprechakte.240 Urteilsmaßstab ist ein Satz von Kommunikationsregeln, die die Argumentation zielführend gestalten sollen.241 Vor diesem Hintergrund verschafft sich die pragma-dialektische Analyse eine Übersicht über den Gang der Gedanken und Äußerungen, die auf eine Behebung des zentralen Meinungsunterschiedes abzielen. Hierzu wird aus dem Wortlaut der Diskussion der dahinterliegende Gedankengang rekonstruiert. Das kann durch Tilgung irrelevanter Aussagen („deletion“), Verbalisierung von Präsuppositionen („addition“), Umstellung einzelner Äußerungen zum Zwecke größerer gedanklicher Klarheit („permutation“) und präzisere Formulierung („substitution“) geschehen.242 Daneben ist zu fragen, ob sich die Argumentation strukturell geradlinig oder in mehreren parallelen und ineinander verschränkten Argumentketten entwickelt. Von Anfang an ist die pragma-dialektische Methode dabei auf Erweiterung angelegt gewesen, so dass sie in den vergangenen Jahren unter dem Schlagwort „strategic manoeuvering“243 um kontextspezifische Analyseinstrumente ergänzt wurde, die es erlauben, auch subtilere rhetorische Äußerungen zu erfassen, die in keinem intuitiv einsichtigen Zusammenhang zur Streitfrage stehen. Im Idealfall erhebt die pragma-dialektische Analyse eine Übersicht über die verschiedenen Einstellungen zum verhandelten Sachverhalt, die Entwicklung der Standpunkte im Verlauf der Argumentation, die angeführten Argumente, ihre Struktur und Validität, sowie den Gebrauch gängiger Argumentationsmuster.244 b Nutzen und Operationalisierbarkeit Die Chancen und Schwierigkeiten, einen derart umfassenden argumentationsanalytischen Ansatz auf paulinische Texte anzuwenden, werden an Mika Hietanens Studie zum Galaterbrief deutlich.245 Vor allem setzt die Analyse eine Reihe von Vorentscheidungen zum Wesen der Streitfrage, zu den Standpunkten der Konfliktparteien, ihren Ausgangspunkten und Schlussfolgerungen voraus, ehe die gedankliche Struktur der Argumente und Argumentationsschemata ermittelt werden können. Es ergibt sich ein ähnliches Problem wie bereits bei den Analyseschritten nach KenneVgl. van Eemeren 2016, 2. Vgl. van Eemeren u. a. 1996, 288 f. 241 Vgl. van Eemeren u. a. 1996, 300–306. 242 Vgl. van Eemeren 1986, 9–12. 243 Vgl. dazu insgesamt van Eemeren/Houtlosser 2009. 244 Vgl. van Eemeren u. a. 1996, 288. 245 Hietanen 2007. 239 240

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B)

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dy. Der historischen Unwägbarkeiten hinter einem Paulusbrief halber modifiziert Hietanen die Methode und versucht, die untersuchungsleitende Rekonstruktion der Problemlage auf ein Minimum zu beschränken. Ganz umgehen kann er sie jedoch nicht.246 Um diesen Mangel auszugleichen, spricht er sich mit einer simplen, aber überzeugenden Überlegung für eine „maximally argumentative interpretation“ aus, die zunächst alle Äußerungen als potentiell argumentativ betrachtet, um keinesfalls eine relevante Äußerung zu übersehen: Especially since my object of analysis is a polemical letter from the first century, there is good reason to use this strategy: the writing process was slow, the writing material expensive, and the letter-style usually very compact. There is no reason to expect Galatians to include speech acts which are completely meaningless for the argument.247

Im Hinblick auf seine Fragestellung führt Hietanen ausführlich vor, wie sich der pragma-dialektische Ansatz zielgerichtet auf Paulus anwenden lässt. Für die Texte und Fragestellung dieser Untersuchung erscheint der Ansatz jedoch weniger geeignet. Schwierig bleibt die Menge der zu treffenden Vorentscheidungen. Insbesondere im Falle des viel diskutierten Textes 2 Kor 3 ist es angezeigt, solche Festlegungen so lange wie möglich zu umgehen. Wenn überhaupt sind sie das Ergebnis der Untersuchungen, keineswegs ihr Ausgangspunkt. So lange die Gesprächssituation aber nicht klar vor Augen steht, ist die Gefahr groß, den Sachverhalt durch das Umschreiben des Streitgespräches, wie die pragma-dialektische Methode es vorsieht, dramatisch zu verzeichnen. Überdies ist die Methode grundsätzlich auf eine dialogische Argumentation zugeschnitten. Ohne eine entsprechende Interaktion der Gesprächspartner und ohne den Bogen eines Streitgesprächs, das sämtliche Konfliktphasen durchläuft, lassen sich die vorliegenden Sprechakte kaum angemessen bestimmen. Beides fehlt jedoch bei einem naturgemäß monologischen Brieftext, von dem nur ein Ausschnitt analysiert wird. Schließlich trägt die Beurteilung der argumentativen Validität nach den Kriterien von Eemeren/van Grootendorst für die Fragestellung nichts aus, ist aber integraler Bestandteil des Programms der pragmadialektischen Analyse.248 Von daher werden die Einsichten und Analyseinstrumente der pragma-dialektischen Methode im Rahmen dieser Untersuchung allenfalls punktuell und ergänzend eingesetzt werden können. Bedenkenswert ist jedoch Hietanens Plädoyer für eine maximal argumentative Analyse des Textes, die jede Äußerung auf ihren argumentativen Gehalt hin befragt.

Vgl. Hietanen 2007, 63. Hietanen 2007, 64. 248 Vgl. die Überlegungen bei Hietanen 2007, 68–76. 246 247

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2 Zur Orientierung

2.3.2 Vorschlag eines Vorgehens zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse Der Durchgang durch gängige Ansätze der argumentativen und rhetorischen Analyse neutestamentlicher Texte hat deutlich gemacht, dass die vorliegende Untersuchung von verschiedener Seite begrifflich und methodisch profitieren, sich jedoch nicht auf einen einzigen der referierten Ansätze festlegen kann. Um den Untersuchungsbereich umfassend abzudecken, muss die logisch-rationale Perspektive mit der breiteren, auch auf emotionale Beteiligung zielenden Perspektive der Rhetorik vereint werden.249 Einige der Ansätze nehmen überdies eine verlässliche Rekonstruktion der rhetorischen Situation bzw. Problemlage zum Ausgangspunkt, was die Fragestellung und die spezifischen Schwierigkeiten, mit denen die hier zu untersuchenden Texte behaftet sind, verbieten. Andere Ansätze geben zwar Anregungen, bieten jedoch kein methodisch klar koordiniertes Vorgehen an. Mithin ist eine breite rhetorisch-argumentationslogische Analyse notwendig, die diese verschiedenen Perspektiven integriert. Als Ausgangspunkt bietet sich Josef Kopperschmidts argumentationsanalytische Methode an, hält diese doch ein weit gespanntes argumentatives Koordinatensystem vor und schöpft schon in ihrer Ursprungsfassung offen aus verschiedenen Quellen. Das hier vorgeschlagene methodische Vorgehen versteht sich im freien Anschluss an sein Modell, übernimmt vor allem dessen Struktur und füllt sie mit Elementen auf, die über Kopperschmidts eher rational orientierten Ansatz hinausgehen und die Methode auf die Problemstellung eines neutestamentlichen Textes zuspitzen. Bei all dem muss die Analyse Schritt für Schritt am Text entlanggehen und ihn im Wechselschritt rhetorisch-argumentationsanalytischer Betrachtung und exegetischer Detailarbeit untersuchen, die potentiell auf Phänomene aufmerksam wird, die vom methodischen Frageraster nur unzureichend erfasst werden. Nur auf diese Weise ist die Gefahr zu umgehen, durch die Festlegung auf eine methodische Perspektive die Untersuchungsergebnisse vorwegzunehmen.250 2.3.2.1 Die Frage nach dem kategorialen Rahmen rhetorisch-argumentativer Äußerungen Durch die thematisch-strukturelle Analyse ist Kopperschmidts erster Schritt, die Rekonstruktion der situativen Problemlage, im notwendigen Umfang bereits geleistet. Auf der Grundlage der Segmentierung in kleine gedankliche Einheiten kann die Untersuchung direkt mit den drei Schritten fortfahren, die Kopperschmidt „argumentative Mikroanalyse“ nennt. Die Frage nach dem kategorialen Rahmen rhetorisch-argumentativer Äußerungen entspricht dabei seiner materialen Analyse. Für die Fragestellung der Untersuchung ist der Zusammenhang von Schriftbezügen und Vgl. dazu auch Hietanen 2007, 40. Das beklagt etwa Tolmie 2005, 24, als einschlägige Schwäche rhetorisch orientierter Untersuchungen. 249 250

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B)

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kategorialem Rahmen von besonderem Interesse: Welche Aspekte des Referenztextes sind im Rahmen des Brieftextes relevant und werden aktualisiert? Werden die Bezüge in einen bestehenden Deutungsrahmen eingezeichnet oder führt der Rekurs auf die Schrift zu Verschiebungen im kategorialen Rahmen? Inwiefern ist der kategoriale Rahmen der Vorstellungswelt von vornherein biblisch geprägt und inwiefern erschließt er sich auch ohne biblisches Vorwissen? Angeregt durch die an die Typologie antiker und neutestamentlicher Diskursfelder des sozio-rhetorischen Interpretationsansatzes kann die Untersuchung die Aussagen hier mit Blick auf ihr Vokabular, ihre Bildwelt, aufgerufene theologische Konzepte und biblische Narrative befragen. Ob sich Übereinstimmungen zu den Rhetorolekten der SRI und ihren spezifischen Argumentationsweisen ergeben, wird sich zeigen. 2.3.2.2 Die Frage nach der Argumentationsebene Kopperschmidts funktionale Analyse geht in der weiter gefassten Frage nach der Argumentationsebene auf. Indem Kopperschmidt bei der funktionalen Analyse „Äußerungen als bereichsunabhängige argumentative Funktionsträger innerhalb des Systems der Argumentation“251 betrachtet, beschränkt er die Analyse auf den Bereich rational-logischer Argumentation. Eine rhetorische Betrachtung der Texte ruft hingegen in Erinnerung, dass angewandte Argumentation stets die Hörerschaft als ganze Menschen anspricht und damit „reasons, emotions, desires, attitude, will, and action; not simply the addressee as mere mind“252. Nach der antiken Unterscheidung mehrerer Beweiswege treten neben die Argumentationsebene des Logos, auf die Kopperschmidt sein Augenmerk legt, die stärker emotionsbasierten Ebenen von Ethos und Pathos. In Hinsicht auf die Emotionalität ist zwischen Ethos und Pathos nur graduell, nicht kategorisch zu unterscheiden,253 und so findet sich hier die Zweiteilung wieder, die SRI mit dem Begriffspaar Rhetologie (rational) und Rhetographie (emotional) beschreibt. Für die Argumentationsebene des Logos ist Kopperschmidts funktionale Analyse eine im Rahmen der oben benannten Vorbehalte produktive Perspektive. Während sie auf dieser Ebene fragt, welche expliziten oder impliziten Äußerungen die Rollen Datum (D), Konklusion (K) und Schlussregel (SR) einnehmen, lässt sich im Falle stärker emotionsbasierter Argumentation fragen, welche Emotion eine Äußerung schürt und welche Haltung diese Emotion in der Hörerschaft hervorbringen soll. Zudem sind an dieser Stelle die Ergebnisse der stilistischen Analyse auf ihre emotionalisierende und argumentative Bedeutung hin auszuwerten.254 Kopperschmidt 1989, 147. Thiselton 2000, 41. 253 Vgl. Cic. part. 5; Brut. 276; orat. 128. 254 Anhaltspunkte dazu finden sich bei Watson 2009, 134–138, im Rückgriff auf die klassische Rhetorik und bei Snyman 1988, 101–104, im Rückgriff auf die nouvelle rhétorique. 251 252

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2 Zur Orientierung

Insgesamt ermöglicht die Unterscheidung verschiedener Argumentationsebenen eine klarere Orientierung im Text und die Einordnung stilistischer Phänomene, mitunter auch den Rückschluss von der jeweiligen Argumentationsebene auf die Intention einer Aussage.255 Dabei können verschiedene Argumentationsebenen sich an einem Punkt überlappen. Übereinstimmungen zwischen dem paulinischen Argumentationsverhalten und den Empfehlungen der antiken Rhetorikbücher tragen dort, wo sie festgestellt werden können, dazu bei, solche Beobachtungen historisch zu kontextualisieren. Für die Fragestellung der Untersuchung ist von besonderem Interesse, auf welcher Argumentationsebene biblische Bezüge verarbeitet werden bzw. welche Funktion sie dort einnehmen und welche argumentative Rolle die Berufung auf die Schrift als autoritative Größe spielt. 2.3.2.3 Die Frage nach der argumentativen Bewegung und argumentativen Mustern In der Frage nach der argumentativen Bewegung und argumentativen Mustern kann die Untersuchung eng an Kopperschmidts formale Analyse und ihren Gebrauch der nouvelle rhétorique anknüpfen. Die Unterteilung argumentativer Äußerungen in vier argumentative Bewegungen bietet ein hilfreiches Raster, den Gedankengang des Textes zu erfassen. Wo überdies Übereinstimmungen mit konkreten Argumentationsmustern festgestellt werden, können diese Muster und ihre Konventionen zur Reflexion des Gedankengangs herangezogen werden. Für die Fragestellung der Untersuchung ist von besonderem Interesse, welche Funktion etwaigen Schriftbezügen innerhalb eines Argumentationsmusters zuwächst. 2.3.2.4 Die Frage nach dem globalen Gedankengang Indem die Ergebnisse zu den einzelnen gedanklichen Einheiten zueinander in Beziehung gesetzt werden, kann der globale Gedankengang des Textes rekonstruiert werden. Bei Kopperschmidt ist dies der Schritt der Makroanalyse. Für die Fragestellung der Untersuchung ist von besonderem Interesse, welche Position Schriftbezüge in ihrem jeweiligen Argumentationsstrang einnehmen, ob sie verschiedene Stränge miteinander verbinden, ganze Stränge oder Unterabschnitte begründen oder abschließen.

255

Vgl. auch hier Watson 2009 zu Stil und Ethos.

2.3 Zur rhetorisch-argumentationslogischen Analyse (gedankliche „Kartierung“ B)

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2.3.3 Fazit und Ausblick Die rhetorisch-argumentationsanalytische Analyse legt es darauf an, das gedankliche und pragmatische Gefälle eines Textabschnittes möglichst umfassend zu erheben. Die so erarbeitete Übersicht erlaubt es, etwaige Schriftbezüge im Gedankengang zu positionieren und ihrer Funktion nach zu bestimmen. So wird deutlich, welche minimale Schriftkompetenz notwendig ist, um den Text seinem Anliegen nach nachzuvollziehen. Auf diese Weise bringt sie den Untersuchungsschritt der Kartierung an sein Ende. Zugleich bereitet die rhetorisch-argumentationslogische Untersuchung den nächsten Schritt der Untersuchung vor, erlauben die Ergebnisse zur Position und Funktion der Schriftbezüge doch die Rückfrage, ob und wie sich das Textverständnis ändert, wenn die Schriftkompetenz der Hörerschaft über dem notwendigen Minimum liegt. Auf diesem Wege können die erhobenen Daten „skaliert“ werden.

3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Bei der komplexen Kette biblischer Bezüge in 1 Kor 10 handelt es sich um die ausführlichste Bezugnahme auf die Mose-Exodus-Tradition im ersten Korintherbrief. Doch auch wenn der Text bereits häufig für die Schriftverwendung des Paulus ausgewertet worden ist, gibt es keinen Konsens, welche Bezugstexte im Hintergrund stehen. Auch die Funktion der biblischen Bezugnahme und des Kapitels in seinem Zusammenhang bleibt umstritten. Sollen Rezeption und Verarbeitung der MoseExodus-Tradition als Bildungsvorgang betrachtet werden, sind beide Perspektiven zusammenzubringen. Dazu soll die Passage zunächst – in den Briefzusammenhang eingeordnet und abgegrenzt (‎3.1), – auf intertextuelle Markierungen und potentielle Bezugstexte befragt (‎3.2), – und in thematisch-struktureller (‎3.3) und rhetorisch-argumentationslogischer Hinsicht untersucht werden (‎3.4), um schließlich – den Ertrag möglicher intertextueller Digressionen beurteilen, die Funktion der Schriftbezüge bestimmen, sowie Rezeption und Verarbeitung der Mose-ExodusTradition als Bildungsprozess beschreiben zu können (‎3.5).

3.1 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang des Götzenopferfleischdiskurses 1 Kor 8,1–11,1 3.1.1 Die Stellung von 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang Um die Passage 1 Kor 10,1–22 im Gedankengang des Opferfleischdiskurses 1 Kor 8,1– 11,1 zu verorten, muss dieser Gedankengang zu allererst bestimmt werden. Dies ist kein einfaches Unterfangen. 3.1.1.1 Überblick über den Gedankengang 1 Kor 8,1–11,1 Mit der Angabe „Hinsichtlich des Götzenopferfleisches aber …“ (Περὶ δὲ τῶν εἰδωλοθύτων) eröffnet Paulus in 8,1 einen neuen Argumentationsgang, der bis zum abrupten Themenwechsel in 11,2 reicht. Vermutlich nimmt Paulus mit der

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Formel περὶ δὲ … eine Anfrage der Gemeinde auf.1 Kapitel 8 behandelt die Frage von Götzenopferfleisch entsprechend intensiv und Kapitel 10 kehrt eindeutig zu ihr zurück (vgl. εἰδωλόθυτόν 10,19 bzw. ἱερόθυτον 10,28). Dazwischen bewegt sich der Gedankengang zwar flüssig, mäandert jedoch auf nicht immer unmittelbar nachvollziehbare Weise. Jeder Versuch, ihn in der Reihenfolge des Textes linear nachzuvollziehen, wird notwendigerweise von den ausufernden Äußerungen zur Freiheit des Paulus, auf seine apostolischen Privilegien zu verzichten (Kapitel 9), und zur Warnung vor Götzendienst am Beispiel der Wüstengeneration (10,1–22) abgelenkt. Das Stichwort εἰδωλόθυτον fehlt zwischen 8,10 und 10,19 völlig. Dass dort immer wieder vom Essen die Rede ist (8,13; 9,4.7.13; 10,3.7.18) verleiht der Passage eine gewisse Kohäsion, hilft aber nicht unbedingt, ihren gedanklichen Aufbau nachzuvollziehen. „Paul delivers an admittedly convoluted argument“.2 So spricht Paulus bereits direkt im Anschluss an die Themenangabe 8,1a nicht etwa über Götzenopferfleisch, sondern über die Erkenntnis (γνῶσις) der Korinther. Wenn er die Liebe zum Maßstab der Erkenntnis macht, erinnert die gedankliche Bewegung an 1,18–2,16. So wie sich dort göttliche und menschliche Weisheit gegenüberstanden, wird hier die leere, aufblähende Erkenntnis der Korinther (ἡ γνῶσις φυσιοῖ) von der aufbauenden Liebe als Modus göttlicher Erkenntnis abgehoben (ἡ δὲ ἀγάπη οἰκοδομεῖ). Sowohl das Thema als auch die Frage der Erkenntnis werden in 8,4–6 näher gefasst: 8,4a spitzt das Thema auf den Verzehr von Götzenopferfleisch zu und 8,4b–6 lässt erkennen, dass die fragliche γνῶσις (auch) das theologische Wissen um die Einzigkeit Gottes meint. Diese Verse sind im Ton so allgemein, dass Conzelmann sie ein „Stück theologischer Prinzipienlehre“3 nennen kann. Die zweite Hälfte von Kapitel 8 widmet sich hingegen erkennbarer der eigentlichen Streitfrage. 8,7 benennt das Problem: Die Versicherung „Wir alle haben Erkenntnis“ (8,1b) ist so nicht haltbar.4 Denn einige, die an die Götzen gewohnt sind, haben diese Erkenntnis nicht. Ihrem Gewissen schadet der Verzehr von Götzenopferfleisch. Zwar scheint 8,8 das eigentliche Sachurteil zur Frage zu formulieren: Theologisch ist der Verzehr jeglicher Speise unbedenklich. 8,9–12 schränkt die aus diesem Urteil entstehende Freiheit jedoch sofort wieder ein: Wenn der Gebrauch dieser Freiheit (ἐξουσία) dem Heil eines anderen schadet, bedeutet er Sünde und verachtet das Opfer Christi. Entsprechend zieht 8,13 1 Diese gängige Annahme stützt sich v. a. auf 7,1: περὶ δὲ ὧν ἐγράψατε. Für eine knappe Diskussion des Für und Wider vgl. Gäckle 2004, 110, Anm. 1. περὶ δὲ … findet sich als Einleitung eines neuen Themenabschnitts ferner in 7,25 (Jungfrauen und Witwen); 12,1 (Geistesgaben); 16,1 (Kollekte); 16,12 (Apollos). Vgl. auch 1 Thess 4,9; 5,1. Dazu kritisch Mitchell 1989. 2 Mitchell 1991, 238. 3 Conzelmann 1981, 164. 4 Der Satz πάντες γνῶσιν ἔχομεν (8,1), aber auch οὐδὲν εἴδωλον ἐν κόσμω, οὐδεὶς θεὸς εἰ μὴ εἷς (8,4), 8,6; 8,8a(.b) und in jedem Falle die Parole πάντα ἔξεστιν (10,23; 6,18) werden im Gefolge von Weiss 1910, 214, zumeist als Zitate korinthischer Parolen verstanden (vgl. das einleitende ὅτι in 8,1.4). Vgl. die Übersichten bei Hurd 1965, 68 und Gäckle 2004, 37–41. Anders etwa Lindemann 2000, 190.

3.1 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang des Götzenopferfleischdiskurses 1 Kor 8,1–11,1

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die praktische Schlussfolgerung: Wo Speise Glaubensgeschwistern schadet, ist ihr Verzehr zu unterlassen. Formuliert in der 1. Person Singular, stellt 8,13 das gedankliche Scharnier zu Kapitel 9 dar.5 Dort illustriert Paulus den in 8,13 formulierten Grundsatz an seinem eigenen Beispiel und amplifiziert auf diese Weise sein Argument. Paulus führt zunächst seinen Apostolat und seine apostolische Freiheit an (9,1 f.). Die Implikationen dieser Aussage konkretisiert er in vier Schritten.6 Zunächst macht er deutlich, dass sein Apostolat bestimmte Privilegien mit sich bringt, nämlich vor allem den Anspruch (ἐξουσία) auf Unterhalt in verschiedenen Formen (9,3–10). Insbesondere gegenüber den Korinthern hätte Paulus einen solchen Anspruch auf Unterhalt (9,11–14). Beides begründet Paulus jeweils mit Rekurs auf den common sense (9,7.11.13) und die Autorität eines Schrift-7 bzw. Herrenwortes (9,8–10.14). Wie er in 9,13 betont, macht er von diesem Verfügungsrecht8 jedoch keinen Gebrauch. Insbesondere die unterstützend angeführten Beispiele spitzen die Unterhaltsfrage auf den Aspekt des Essens zu.9 Dies und die Bezeichnung des apostolischen Rechts auf Unterhalt als ἐξουσία machen Paulus Beispiel durchsichtig für die Freiheit (9,12: ἐξουσία) Götzenopferfleisch zu essen. In einem dritten und vierten Schritt begründet Paulus seinen Rechtsverzicht: Um des Evangeliums willen macht er von seinen Privilegien keinen Gebrauch: Er verlöre sonst seinen Lohn (9,15–18).10 Doch sein Rechtsverzicht dient auch anderen zum Heil. Im stark stilisierten Abschnitt 9,19–22 betont Paulus, wie er in allem seine eigenen Bedürfnisse der Evangeliumsverkündigung unterordne. Mit der Eingangswendung ἐλεύθερος γὰρ ὢν ἐκ πάντων knüpft 9,19 an die Eingangsfrage 9,1a an und verleiht dem Beispiel damit eine Bedeutung, die über die Frage von Unterhalt und Nahrung hinausreicht. Paulus scheint hier seine allgemeine Handlungsmaxime zu formulieren: Er nutzt seine Freiheit in allen Dingen, um alles andere hintanzustellen, sich den Erfordernissen der Situation anzupassen und das Evangelium so zu verkündigen, dass viele gerettet werden (9,22c.d: τοῖς πᾶσιν γέγονα πάντα, ἵνα πάντως τινὰς σώσω). Diesem Ziel ist alles andere untergeordnet, allemal seine eiVgl. Mitchell 1991, 239. Wegen 9,3: Ἡ ἐμὴ ἀπολογία τοῖς ἐμὲ ἀνακρίνουσίν ἐστιν αὕτη, werden die folgenden Verse oft als Paulus Verteidigung des Apostolats verstanden. Da sein Apostolat im Folgenden jedoch die Grundlage der Argumentation ist, mit der er sein Unterhaltsrecht begründet, kann es schwerlich zugleich verteidigt werden. Eher scheint Paulus ἀπολογία gegen jene zu zielen, die der Maxime 8,13 nicht zustimmen. Mitchell 1991, 130, spricht von einer „mock defense speech“ und kommentiert: „In my own attempts to analyze 1 Cor 9 rhetorically as an ἀπολογία, I have been continually confronted with the fact that the charge at issue of the case tends to disappear, no matter which starting point one takes“ (Mitchell 1991, 244, Anm. 330).  7 Zum Schriftwort 9,9 f. und seiner komplexen Verortung vgl. Heil 2005, 125–143.  8 So die treffende Übersetzung der Elberfelder.  9 Es ist durchaus denkbar, dass die unübliche Formulierung ἐκ τοῦ γάλακτος […] ἐσθίει in 9,7 gewählt wurde, um die Analogie zum Essen des Götzenopferfleisches zu unterstreichen. 10 Zur Bestimmung dieses Lohns vgl. Harnisch 2007.  5  6

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

genen Wünsche und Bedürfnisse (9,19b πᾶσιν ἐμαυτὸν ἐδούλωσα).11 Entsprechend mündet der Gedankengang 9,1–23 in der Zusammenfassung 9,23: πάντα δὲ ποιῶ διὰ τὸ εὐαγγέλιον, ἵνα συγκοινωνὸς αὐτοῦ γένωμαι.12 Hiermit ist der gedankliche Höhepunkt des Exempels erreicht. Mit 9,24–27 klappt aber ein weiterer Abschnitt nach, in dem Paulus sich den Korinthern als Beispiel vor Augen stellt. Dabei verschiebt sich der Akzent merklich und im Gegensatz zu 9,1–23 finden sich nun auch direkte Aufforderungen an die Hörerschaft (9,24 f.). Nicht mehr die Verkündigung des Evangeliums, sondern die Sorge um das eigene Heil stehen im Mittelpunkt. In allgemeiner Sportmetaphorik unterstreicht Paulus die Notwendigkeit ganzen Einsatzes und konsequenter Selbstverleugnung, um den eschatologischen Siegespreis zu erlangen (9,24 f.) und nicht ἀδόκιμος13 zu werden (9,27). 10,1 wird allgemein als unvermittelter Neueinsatz wahrgenommen (s. u. ‎3.1.2.1). 10,1–22 widmet sich ganz der Frage des Götzendienstes. Nach dem positiven, eigenen Exempel in Kapitel 9 präsentiert Paulus das Heilsvolk Israel in 10,1–13 als abschreckendes Beispiel für Götzendienst und schlechte Begierde. Die emphatische Aufforderung, vor dem Götzendienst zu fliehen (10,14), bildet das gedankliche Scharnier zur zweiten Kapitelhälfte, die die Unvereinbarkeit der durch das Herrenmahl konstituierten Gemeinschaft mit Christus mit der im Kultmahl konstituierten Gemeinschaft mit den Dämonen unterstreicht. Hier kehrt der Text ausdrücklich zur Frage des Essens von Götzenopferfleisch zurück (vgl. 10,19b), äußert sich jedoch deutlich restriktiver als zuvor (vgl. 8,8). Der abschließende Abschnitt 10,23–11,1 bündelt den Gedankengang in zwei zusammenfassenden Maximen und konkretisiert diese anhand beispielhafter Einzelfälle. 10,23 f. nimmt die Parole πάντα ἔξεστιν auf und schränkt sie ein: Zu unterlassen ist, was nicht nützt (οὐ πάντα συμφέρει), aufbaut (οὐ πάντα οἰκοδομει; vgl. 8,1) oder den eigenen Vorteil anstatt den Vorteil des Nächsten sucht (μηδεὶς τὸ ἑαυτοῦ ζητείτω ἀλλὰ τὸ τοῦ ἑτέρου). Zwei Beispiele entfalten diese Maxime für die Frage des Götzenopferfleisches. Da alles erlaubt ist, kann grundsätzlich alles Fleisch gegessen werden, das keine bekannte oder erkennbar kultische Herkunft hat (10,25– 26). Da in allem der Vorteil des Nächsten zu suchen ist, ist vom Verzehr jedoch abzusehen, sobald eine solche kultische Herkunft angezeigt wird, um dem Gewissen des Nächsten keinen Schaden zu tun (10,27–28). Wo dessen Gewissen betroffen ist, ist die eigene Freiheit (ἡ ἐλευθερία μου) in der Tat eingeschränkt (10,29 f.). Begründend führt 10,31 die zweite zusammenfassende Maxime an und weitet damit den Horizont: Alles Tun soll der Ehre Gottes dienen (10,31: πάντα εἰς δόξαν θεοῦ ποιεῖτε), d. h. es soll nach dem Vorbild des Paulus weder Juden noch Griechen noch der Gemeinde Anstoß bieten, damit viele gerettet werden (10,32–11,1). Smit 1997c, 487 f., verweist auf die inclusio 9,19.22 durch Formen von πᾶς. Die Verwendung von συγκοινωνός ist im Hinblick auf 10,16 f. durchaus bemerkenswert. Anders als dort scheint der Begriff hier jedoch nicht technisch gebraucht. 13 Zur Frage der angemessenen Übersetzung s. u. 3.3.2.2a; 3.4.1.2. 11 12

3.1 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang des Götzenopferfleischdiskurses 1 Kor 8,1–11,1

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Weil Kapitel 9 an keiner Stelle das Essen von Götzenopferfleisch zum Thema hat, sondern über Paulus apostolische Freiheit spricht, und 10,1–22 sich durch das breite biblische Referat abhebt und Götzendienst zum Thema hat, werden die Kapitel mitunter als Exkurse angesprochen.14 Handelt es sich um eine Digression, dann jedoch nur um eine digressio im rhetorischen Sinne: die zielgerichtete Amplifikation des Arguments zum Zwecke größeren Nachdrucks und höherer rhetorischer Wirksamkeit.15 Treffender ist demnach die Beschreibung als Exempel nach Art der klassischen Rhetorik.16 Per definitionem „an example is drawn from without and pressed into the service of the case“.17 Von daher darf es nicht verwundern, wenn die Beispiele fremdes Material in den Gedankengang einbringen. Diese Beobachtung lehrt, umso hellhöriger für die Sinnlinien zu werden, die von dort weitergeführt werden, hilft allein aber noch nicht, den Gedankengang schlüssig nachzuvollziehen. 3.1.1.2 Vier Argumentationsmuster (Volker Gäckle) Hilfreicher ist dabei die Frage nach argumentativen Mustern, die in 8,1–11,1 mehrfach variiert auftreten. Zwei Vorschläge der letzten Jahre sollen hier betrachtet werden. Volker Gäckle arbeitet insgesamt vier Argumentationslinien heraus, die in 1 Kor 8,1–11,1 miteinander verflochten sind. Er unterscheidet ein „erkenntniskritisches Argument“, eine „kosmologisch-ontologische“ Argumentationslinie, die Argumentation mit der „seelsorgerliche[n] Verantwortung für die Schwachen“, und eine „apodiktisch-paränetische“ Argumentationslinie. Hinzu kommt der „zusammenfassende Schlussappell“ 10,31–11,1.18 Es gehe Paulus darum, „die Adressaten durch aufeinanderfolgende und vereinzelt wiederholte Argumentationsansätze zu einem neuen Verständnis der theologischen und ethischen Dimension des Konflikts und einem neuen Verhalten in der Konfliktsituation zu bewegen.“19 Das erkenntniskritische Argument ist auf die einleitenden Verse beschränkt und bereitet den Boden für die folgenden Überlegungen, indem durch die „Vorordnung Vgl. etwa Zeller 2010, 279. Vgl. Mitchell 1991, 249 f. 16 Vgl. Mitchell 1991, 249 f.; Gäckle 2004, 114, Anm. 14, verweist darauf, dass (augenscheinlich) themenfremde Einschübe für die Argumentationsweise von 1 Kor typisch sind und verweist auf 7,18–24 und besonders Kapitel 13. Vgl.  Auch Mitchell 1991, 240: „Paul’s frequent pattern in this overarching argument of treating first one side of an issue, then giving an appeal for compromise with general principles or an exemplary argument (7:17–24; ch. 9; ch. 13), followed by treatment of a second side of the controversy, is found here also.“ Malcolm 2013 argumentiert anhand solcher Strukturen für die Einheitlichkeit des Briefes. 17 Smit 1997c, 488, unter Verweis auf Quint 5,11,1. Für die Beschreibung als exemplum vgl. etwa Gäckle 2004, 125. 18 Vgl. Gäckle 2004, 223–282. 19 Gäckle 2004, 220. 14 15

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

der ἀγάπη gegenüber der γνῶσις […] überindividuelle Gesichtspunkte ins Zentrum der Debatte“ treten und die Diskussion über die Ebene individueller Rechthaberei hinausgehoben werde.20 Die kosmologisch-ontologische Argumentationslinie hingegen ist mindestens doppelt in den Gedankengang eingewoben. Zu Beginn und gegen Ende des Großabschnitts äußert Paulus sich zum ontologischen Status der εἴδωλα (8,4–6; 10,19– 22).21 In den gleichen Zusammenhängen äußert er sich zum εἰδωλόθυτον, dessen „Fleischmaterie“22 „unbelastet und sein Verzehr ethisch unproblematisch“23 sei (8,4.8; 10,19.25–27). Das prominenteste Argumentationsmuster ist die Argumentation mit der seelsorgerlichen Verantwortung für die Schwachen. Hier unterscheidet Gäckle Aussagen, die Schwäche als akzeptable Form christlicher Existenz etablieren (8,7–9; 9,22),24 von Appellen zum Verzicht zugunsten der Schwachen (8,10–13; Kapitel 9; 10,28–30)25. Erstere wenden sich gegen Versuche der nach Gäckle von kynisch-stoischen Freiheitsvorstellungen beeinflussten „Starken“, die „Schwachen“ mittels einer „psychagogischen Therapie von ihren falschen Vorstellungen […] und Affekten zu heilen.“26 Letztere versteht Gäckle als Angriff auf einen „stoisch-kynischen und epikureischen Egozentrismus und Individualismus“27 im Lichte des Heilshandelns Christi. Dieses machen die Starken „zunichte, indem sie das Gewissen der Schwachen ‚schlagen‘ und ihm damit Gewalt antun. Von diesem Horizont her entscheidet sich für Paulus der ganze Konflikt.“28 Schließlich erkennt Gäckle in 10,1–22 eine apodiktisch-paränetische Argumentationslinie, die die Teilnahme an paganen Kultverrichtungen verbietet. Sie bedient sich eines Schriftbeweises (10,1–13)29 und einer zweiten, diskursiveren Passage, die Gäckle mit „Das ‚Nein‘ zum Götzendienst“ überschreibt (10,14–22)30. Gäckle gibt die Argumente, die in 8,1–11,1 begegnen, treffend wieder und rekonstruiert die historische Situation in Korinth überaus anschaulich und plausibel. Auch ist ihm darin zuzustimmen, dass der umständliche Aufbau des Abschnitts wohl zum einen durch die konkreten Fragen der Korinther vorgegeben ist31 und zum anderen „das grundsätzliche Argumentationsmuster von Paulus im 1 Kor wi-

Gäckle 2004, 227; vgl. insgesamt Gäckle 2004, 223–227. Vgl. Gäckle 2004, 227–239. 22 Gäckle 2004, 239. 23 Gäckle 2004, 239, vgl. insgesamt Gäckle 2004, 239–242. 24 Vgl. Gäckle 2004, 242–248. 25 Vgl. Gäckle 2004, 248–255. 26 Gäckle 2004, 216. 27 Gäckle 2004, 255. 28 Gäckle 2004, 249. 29 Vgl. Gäckle 2004, 258–264. 30 Vgl. Gäckle 2004, 264–274. 31 Ähnlich Fee 1987, 390. 20 21

3.1 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang des Götzenopferfleischdiskurses 1 Kor 8,1–11,1

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der[spiegelt] (vgl. 1,10–4,21; 12–14)“32. Stets reflektiert Paulus das ethische Konfliktthema zunächst im weiteren Zusammenhang des Evangeliums und dessen Relevanz für die jeweilige Handlungsebene (vgl. 1,18–2,16; 6,12–17; 8,1–9,27; 12+13), um erst zum Ende seiner Argumentation ein ethisches Thema konkret zu entscheiden (vgl.  3,1–4,21; 6,18; 10,14–22; 10,23–11,1; 14).“33 Das Auf und Ab von Gäckles Argumentationssträngen kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch sein Entwurf den Abschnitt 10,1–22 nicht recht in den Zusammenhang zu integrieren weiß. Während Gäckles „kosmologisch-ontologisches“ Argument und die Argumentation mit der Verantwortung für die Schwachen immer wieder neu durch den Text durchscheinen, steht 10,1–22 als „apodiktisch-paränetischer“ Abschnitt monolithisch da. Nur in seinen letzten Versen integriert er andere Argumentationslinien. Gäckle selbst betont: „Es geht in 10,1–22 nicht wie in den vorangehenden und nachfolgenden Abschnitten um den Verzehr von Götzenopferfleisch. […] Vielmehr geht es Paulus in diesem dritten Argumentationsgang um die Unmöglichkeit der Teilnahme von Christen an den paganen Opferriten“.34 Auf diese Weise gelingt es Gäckle zwar überzeugend, die Spannung zwischen Paulus permissiver Haltung in 8,8 und der restriktiven Haltung in Kapitel 10 aufzulösen – in Kapitel 10 ziehe Paulus eine rote Linie bei der tatsächlichen Kultteilnahme.35 Eine überzeugende Antwort, warum Paulus das Thema Götzendienst in dieser Form an dieser Stelle verhandeln muss, bleibt er jedoch schuldig.36 3.1.1.3 Zwei Argumentationsebenen (J. Smit und andere) Im Vergleich zu Gäckle geradezu minimalistisch wirkt der Vorschlag von Joop Smit, nur zwei Argumentationskomplexe zu unterscheiden: einen soziologischen und einen theologischen: „In 8:1–3 and 8:7–9:27 Paul argues at the social level. […] In 8:4–6 and 10:1–22 he argues at the theological level“.37 Dort gehe es um den Verzicht auf die Teilnahme an Kultmahlzeiten aus Rücksicht auf die schwächeren Gemeindemitglieder, hier um die exklusive Bindung an Gott, die solche Kultmahlzeiten verbiete. Damit werde einerseits der Effekt der Teilnahme an Kultmahlzeiten auf die Vgl. Gäckle 2004, 223. Gäckle 2004, 223. 34 Gäckle 2004, 222. 35 Vgl. ausführlich Gäckle 2004, 120–122, im Anschluss an Newton 1998, 171–174.247–249.255– 257. Works 2014, 104, Argument gegen Newton, „if some were actually making sacrifices surely Paul would have addressed this from the beginning“, verfängt nicht. Wie unten zu zeigen sein wird, ist es gerade die aktive Kultteilnahme, durch die die Gemeinschaft entsteht, von der 10,16–21 spricht. Vgl. die Ausführungen zur κοινωνία unter 3.3.2.2a. 36 Gäckle 2004, 257, bemerkt, das Thema Götzendienst sei insofern virulent „als es offensichtlich einige Starke in der korinthischen Gemeinde gibt, die in sehr unbefangener Weise an paganen Opferriten teilgenommen haben.“ Dies würden die rhetorischen Fragen 10,22 implizieren. „Offensichtlich will Paulus […] noch einen weiteren Aspekt der Problematik ansprechen.“ 37 Vgl. Smit 1997a, 42. Ferner Smit 1996, Smit 1997c und Smit 1997b. Die einschlägigen Aufsätze Smits sind mit ergänzenden Beiträgen zusammengefasst in Smit 2000. 32 33

68

3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Beziehung zu den Glaubensgeschwistern, andererseits auf die Gottesbeziehung ausgelotet. Smits Vorschlag basiert auf seiner rhetorischen Analyse des Großabschnitts 8,1–11,1. Er erkennt in 8,1–3.4–6 eine zweigeteilte partitio, „a brief table of contents, making the entire subsequent argument perspicuous“.38 Die soziale Argumentation 8,7–9,27 sei selbst noch einmal nach dem Vorbild einer antiken Rede gestaltet und gliedere sich in die Schilderung der Ausgangssituation (narratio) in 8,7,39 eine Doppelthese (propositio) in 8,8,40 und die Durchführung der eigentlichen Argumentation durch die Zurückweisung des Verhaltens der Korinther (reprehensio) in 8,9–12,41 eine allgemeine Verhaltensregel in 8,1342 und ihre Untermauerung durch das exemplum des Paulus in 9,1–23.43 Abgeschlossen werde sie durch lebhafte, die Emotionen der Hörerschaft ansprechende Schlussbemerkungen in 9,24–27 (peroratio).44 Die theologische Argumentation in 10,1–22 bestehe aus zwei spiegelgleichen Abschnitten, die jeweils zunächst an die theologische Bedeutung der Taufe und des Abendmahls erinnerten (10,1–5.14–17), dann die theologische Bedeutung der Teilnahme an paganen Kultmahlzeiten herausarbeiteten (10,6–10.18–20) und schließlich folgerten, dass beides miteinander unvereinbar sei (10,11–13.21f ).45 10,23–30 versteht Smit als anticipatio, in der Paulus die entrüstete Frage der Korinther vorwegnehme, welches Fleisch sie überhaupt noch essen dürften.46 Abschließend sei 10,31–11,1 eine recapitulatio, die den Gedankengang von 8,1–10,30 in drei Aufforderungen bündele.47 Smits Überlegungen beinhalten eine Fülle ungemein wertvoller Einzelbeobachtungen und zeugen von großer rhetorischer Expertise. Auch hat Smit einen klaren Blick dafür, wo eingebürgerte Abschnittsgrenzen zu hinterfragen sind, etwa wenn er 8,13 Kapitel 9 zuschlägt oder 9,24–27 vom Exempel des Paulus in 9,3–23 absetzt. Insgesamt orientiert sich sein Gliederungsentwurf jedoch enger an den Vorgaben der klassischen Rhetorik, als es vom Text her geboten scheint.48 So ist die Beobachtung, dass das argumentative Gravitationszentrum von 8,7–9,27 im sozialen, von 10,1–22 im theologischen Bereich liegt, durchaus hilfreich. Doch lassen sich die beiden Bereiche nicht so sauber trennen, wie es Smit vorschwebt, angefangen bei der verSmit, 8–9, 476. Vgl. insgesamt Smit 1996. Vgl. Smit 1997c, 479 f. 40 Vgl. Smit 1997c, 480 f. 41 Vgl. Smit 1997c, 481–483. 42 Vgl. Smit 1997c, 484. 43 Vgl. Smit 1997c, 484–489. 44 Vgl. Smit 1997c, 489 f. 45 Vgl. Smit 1997a, 41.48. 46 Smit 1997b, 387 f. Vgl. auch Watson 1989. 47 Vgl. Smit 1997b, 379–381. 48 Vgl. die Anfragen bei Farla 2004, dessen Gegenentwurf dem Text jedoch seinerseits rhetorische Kategorien aufzwingt und deswegen trotz valider Kritikpunkte insgesamt keine Alternative ist. Vor allem misst Farla den biblischen Bezügen in 10,14–22 zu wenig Bedeutung bei und reißt den Abschnitt 10,1–22 deshalb auseinander. 38 39

3.1 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang des Götzenopferfleischdiskurses 1 Kor 8,1–11,1

69

meintlich zweigeteilten partitio 8,1–6. Auch kann seine Harmonisierung von 8,8 und 10,19 nicht überzeugen. Bei genauem Hinsehen ist die Perspektive der Verse 8,1–3 keineswegs nur sozial und die der Verse 4–6 nicht nur theologisch.49 Auch lassen sich 8,1–6 nicht so sauber als partitio abgrenzen, wie Smit es möchte.50 Um die rhetorische Einheitlichkeit zu wahren, findet Smit überdies zu einer zwar überaus charmanten, jedoch kaum haltbaren Lösung, den Widerspruch zwischen 8,8 und 10,19 zu mildern. Er versteht bereits 8,8 f. als kategorisches Verbot und nicht etwa als grundsätzliche Erlaubnis, Götzenopferfleisch zu verzehren. 8,8 biete „two general theses containing the message that ‚we,‘ the believers, may renounce food without being damaged in either a religious or a physical respect“.51 Da Speise den Status vor Gott also nicht verändere, könne man von ihr auch lassen, ohne die Gottesbeziehung zu beschädigen. 8,9 wende sich sodann in spöttischem Ton gegen „jene“ (nur angemaßte) ἐξουσία, trotzdem Götzenopferfleisch zu verzehren.52 So gewitzt diese Lösung ist, so wenig legt sie der Text jedoch nahe. Gegen sie spricht vor allem die spezifische Bedeutung, die Smit αὕτη aufbürdet, sowie der völlig unironische Gebrauch von ἐξουσία in Kapitel 9.53 Wenn aber die Spannung zwischen Kapitel 10 und dem Rest des Großabschnitts auf diesem Wege nicht aufgehoben wird und auch der theologische Schwerpunkt von 10,1–22 nicht als separater Argumentationsstrang in 8,1–6 angelegt ist, bleiben von Smits Entwurf zwar einzelne Impulse für die weitere Arbeit wichtig. 10,1–22 kohärent im Zusammenhang zu verorten, vermag jedoch auch er nicht. 3.1.1.4 Die verbleibende Aufgabe Nachdem die wahrgenommenen Spannungen zwischen den permissiven Vorgaben in 8,1–13 und 10,23–11,1 und den restriktiven Vorgaben in 10,1–22 Anlass zu vielfältigen Teilungshypothesen gegeben haben, zeichnet sich in letzter Zeit ein Konsens ab, 8,1–11,1 – wie nahezu den gesamten ersten Korintherbrief – als einheitlichen Text zu lesen.54 Dominik Wolff bemerkt treffend, die gängigen Teilungsvorschläge könnten letztendlich nicht überzeugen. Ein wenig erinnern sie einen an Verschwörungstheorien, bei denen letztlich nur derjenige, der sie vorbringt den Stein der Weisen vermeintlich entdeckt hat. Sie klären aber zumeist nicht die Frage: Warum sollte sich jemand bei dieser Verschwörung so viel Mühe machen, um Hinweise auf sie zu verwischen, und warum kann man ihr dennoch auf die Spur kommen?55 49 Vgl. Farla 2004, 145 f. Zu den eminent theologischen Konnotationen von γνῶσις (8,1), ἀγάπη (8,1[.3]), sowie θεός und κύριος vgl. Schneider 2011, 145–187. 50 Vgl. Farla 146–147. 51 Smit 1997c, 481. 52 Vgl. Smit 1997c, 481–483. 53 Vgl. auch die Kritik bei Farla 2004, 148–150. 54 Vgl. insb. Mitchell 1991; Merklein 1984; Malcolm 2013; Schrage 1991, 66–68. 55 Wolff 2017, 202 f., Anm. 18. Konkret bezieht er sich auf Schmithals 1973. Seine Bemerkung scheint typisch für eine Trendwende der letzten Jahre.

70

3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Dennoch bleiben 10,1–22 gewissermaßen ein Fremdkörper, der sich thematisch (Götzendienst), stilistisch (Schriftauslegung) und im Sachurteil (restriktiv) vom übrigen Text des Abschnitts abhebt. Die Vielzahl der Lösungsvorschläge, die sachliche Spannung zu glätten, bezeugt die Schwierigkeit.56 Die Funktion und die innere Zusammengehörigkeit von 10,1–22 mit 8,1–11,1 zu bestimmen, bleibt demnach eine Aufgabe dieser Untersuchung.

Gäckle 2004, 120–122, unterscheidet hilfreich verschiedene Erklärungsmodelle. Teils werde vertreten, dass dem Verzehr von Götzenopferfleisch nichts entgegenstünde, er im Zusammenhang eines paganen Kultmahls jedoch abzulehnen sei (Klauck 1982, Wolff 1990, Merklein 2000). Eine andere Lösung verstehe Kapitel 8 als eine aus rhetorischen Gründen milde Anbahnung der radikalen Ablehnung allen Götzenopferfleisches (Tomson 1990, Gooch 1993, Cheung 1999, Smit 2000, Fotopoulos 2003). Andere Ansätze differenzierten schließlich zwischen religiös und areligiös qualifiziertem Verzehr von Götzenopferfleisch (Soden 1931, Willis 1985 u. a.). Gäckle knüpft mit D. Newton an die letzte Option an und differenziert zwischen Mahlfeier und „der verbotenen Teilnahme am eigentlichen, religiös ‚verdichteten‘ Opferritus“ (122). 56

1. Hauptteil: Grundlagen und Konflikt 8,1–3 erkenntniskritisches Argument

Theologische Vorbemerkung und Grundlegung

Überschrift/Themenangabe: Götzenopferfleisch

Relativierung des theologischen Wissens (γνῶσις) der Korinther durch die Liebe

Zuspitzung der Themenangabe: Verzehr von Götzenopferfleisch

Inhalt der Erkenntnis: Einzigkeit Gottes

8,1a

8,1b–8,3

8,4a

8,4b–6

Sachurteil: Speise ist theologisch indifferent

Einschränkung: Wenn der Gebrauch dieser Freiheit (ἐξουσία) dem Heil eines anderen schadet, bedeutet er Sünde und verachtet das Opfer Christi.

8,8

8,9–12

58

57

Vgl. Gäckle 2004, 223–282. Vgl. zuerst Smit 1996, 587–591, und Smit 2000. 59 Vgl. Smit 1996. 60 Vgl. Smit 1997c.

8,7–12 refutatio – 8,7 narratio (Ausgangslage) – 8,8 zweiteilige propositio (Thesenpaar) – 8,9–12 reprehensio (Ablehnung des Verhaltens der Korinther)

Problematisierung der Situation: nicht alle teilen die Erkenntnis, ihrem Gewissen schadet der Verzehr von Götzenopferfleisch

8,7

8,7–13 seelsorgerliche Verantwortung für die Schwachen als Argument – 8,7–9 Schwäche als akzeptable Form christlicher Existenz – 8,10–13 Appell zum Verzicht

8,7–9–27 argumentatio A sozialer Aspekt60

8,4–6 partitio Teil B: theologischer Aspekt (Effekt der Teilnahme an Kultmahlzeiten auf die Gottesbeziehung)

8,1–3 partitio Teil A: sozialer Aspekt (Effekt der Teilnahme an Kultmahlzeiten auf die Beziehung zu Mitgläubigen)

8,1–6 partitio59

rhetorische Gliederung nach J. Smit58

Anwendung auf die Streitfrage

8,4–6 kosmologisch-ontologisches Argument – 8,4–6 Nichtigkeit der εἴδωλα – 8,4 ethische Indifferenz der Speise

Gliederung mit Argumentationslinien nach V. Gäckle57

1 Kor 8,1–11,1

3.1 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang des Götzenopferfleischdiskurses 1 Kor 8,1–11,1

71

2. Hauptteil: exemplum

9,1–27 seelsorgerliche Verantwortung für die Schwachen als Argument – 9,1–27 Appell zum Verzicht

Erinnerung an Apostolat und apostolische Freiheit des Paulus

Konkretion A (Unterhaltsrecht): Paulus hat das Recht (ἐξουσία) auf apostolische Privilegien/Unterhalt

Konkretion B (Unterhaltsrecht): Insbesondere den Korinthern gegenüber hätte Paulus einen Anspruch (ἐξουσία) auf Unterhalt, den er jedoch nicht geltend macht (9,13).

Konkretion C (Begründung): – 9,22 Schwäche als akzeptable Form Um des Evangeliums willen macht Paulus christlicher Existenz von seinem Recht keinen Gebrauch. Er verlöre sonst einen Lohn.

Konkretion D (Begründung): Paulus nutzt seine Freiheit (ἐλεύθερος ὢν) dazu, seine Rechte aufzugeben. Er verhält sich so, wie es anderen durch die Verkündigung des Evangeliums zum Heil dient.

Fazit: Allen alles werden, um am Evangelium Anteil zu bekommen.

9,1 f.

9,3–10

9,11–14

9,15–18

9,19–22b (inclusio)

9,22c–23

praktische Schlussfolgerung und gedank- 8,8 kosmologisch-ontologisches Argument liches Scharnier: (ethische Indifferenz der Speise) Wo Speise einem der Glaubensgeschwister schadet, ist ihr Verzehr zu unterlassen.

Amplifikation des Arguments: Das Exempel das Paulus a) 9,1–23: als Untermauerung der praktischen Schlussfolgerung 8,13 b) 9,24–27: die Notwendigkeit vollen Einsatzes

8,13

– 9,24–27 peroratio (emotionalisierende Zusammenfassung)

– 8,13–9,23 allgemeine Verhaltensregel und exemplum des Paulus

8,13–9,27 confirmatio

72 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

10,1–13 apodiktisch-paränetisches Argument (Schriftbeweis)

Das Heilsvolk Israel als abschreckendes Beispiel schlechter Begierde/des Götzendienstes

gedankliches Scharnier – Aufforderung zur Flucht vor dem Götzendienst

Die Unvereinbarkeit von Gemeinschaft mit Christus und Gemeinschaft mit den Dämonen

10,1–13

10,14

10,15–22

10,23f seelsorgerliche Verantwortung für die Schwachen (Appell zum Verzicht)63

10,23f

10,23–30 anticipatio (Vorwegnahme und Entkräftung erwartbarer Einwände)

10,23–11,1 conclusio62

10,14–22 confirmatio – 10,14–17 theologische Bedeutung der Teilnahme am Abendmahl – 10,18–20 theologische Bedeutung der Teilnahme an paganen Kultmahlzeiten – 10,21–22 beides ist miteinander unvereinbar

– 10,6–10 theologische Bedeutung der Teilnahme an paganen Kultmahlzeiten – 10,11–13 beides ist miteinander unvereinbar

10,1–13 refutatio – 10,1–5 theologische Bedeutung der Teilnahme an Taufe/Abendmahl

10,1–22 argumentatio B theologischer Aspekt61

62

61

Vgl. Smit 1997a. Vgl. Smit 1997b. 63 Gäckle 2004 spart 10,23 f. in seiner Übersicht zwar aus, klassifiziert diese Verse auf S. 248 aber entsprechend.

Zusammenfassende Maxime A: das tun, was aufbaut/dem Nächsten dient (Korrektur der korinthischen Parole πάντα ἔξεστιν)

4. Hauptteil: bilanzierende Zusammenfassung

Zusammenfassung/Schlussbemerkungen

10,14–22 apodiktisch-paränetisches Argument (Ablehnung von Götzendienst) 10,19–22 kosmologisch-ontologisches Argument – 10,19–22 Nichtigkeit der εἴδωλα – 10,19 ethische Indifferenz der Speise)

3. Hauptteil: Götzendienst

Akzentverschiebung auf das eigene Heil und gedankliches Scharnier: Die Notwendigkeit vollen Einsatzes, um den eschatologischen Preis zu erlangen und nicht ἀδόκιμος zu werden.

Warnung vor schlechter Begierde/Götzendienst

9,24–27

3.1 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang des Götzenopferfleischdiskurses 1 Kor 8,1–11,1

73

Zweifache Konkretion in Einzelfallbeispielen: Götzenopferfleisch nur dann essen, wenn es keine erkennbare Verbindung zum Kult hat. Erläuterung und Einwand: Das Gewissen des Nächsten schränkt meine Freiheit (ἡ ἐλευθερία μου) ein.

10,31: Zusammenfassende Maxime B: πάντα εἰς δόξαν θεοῦ ποιεῖτε. Praktisch geschieht dies darin nach dem Vorbild des Paulus weder Juden noch Griechen, noch der Gemeinde Anstoß zu bieten, damit möglichst viele gerettet werden.

10,25–26.27– 28.29 f.

10,31–11,1

10,31–11,1 zusammenfassender Schlussappell

10,25–27 kosmologisch-ontologisches Argument (ethische Indifferenz der Speise) 10,28–30 seelsorgerliche Verantwortung für die Schwachen (Appell zum Verzicht) 10,31–11,1 recapitulatio des Gesamtarguments

74 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

3.1 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang des Götzenopferfleischdiskurses 1 Kor 8,1–11,1

75

3.1.2 Textabgrenzung 3.1.2.1 9,24–27 als Übergangs- und Einleitungsabschnitt zu 1 Kor 10,1–22 Die große Mehrheit der Literatur schlägt die Schlussverse 9,24–27 dem neunten Kapitel zu und lässt mit 10,1 einen neuen Abschnitt beginnen. Dafür werden einerseits die augenscheinlich enge Verbindung zwischen 9,1–23 und 9,24–27, andererseits der stilistische Neueinsatz in 10,1 angeführt. Kapitel 9 wird zumeist als „an exemplary argument on the nature of true Christian freedom“64 verstanden, denn im gesamten Kapitel stellt Paulus der Gemeinde sein eigenes Verhalten als nachahmenswertes exemplum vor Augen. Zunächst schildert er seinen Verzicht auf apostolische Privilegien als Teil der missionarischen Akkomodation (9,1–23) und knüpft so an die vorangegangenen Verse 8,10–13 an, in denen er die Gemeinde aufgefordert hatte, den an und für sich unbedenklichen Verzehr von Götzenopferfleisch aus Rücksicht auf das „schwache Gewissen“ einiger Geschwister zu unterlassen.65 Sodann fordert er im Bild vom athletischen Wettstreit zu Entschlossenheit und Zielstrebigkeit im Verfolgen des eschatologischen „Siegeskranzes“ auf und präsentiert sein eigenes Verhalten auch dafür als Beispiel (9,24–27). Beide Abschnitte sind „durch den exemplarischen Einsatz des apostolischen ‚Ich‘“66 geeint und heben sich vom Wir der Verse 10,1–22 ab. Für die innere Geschlossenheit von Kapitel 9 werden ferner inhaltliche Gründe angeführt. So werde der Übergang zur Sportmetaphorik ab 9,24 durch den wiederholten Gebrauch des Verbs κερδαίνω (siegen/gewinnen) in 9,19–22 vorbereitet.67 Auch entspräche das δουλαγωγῶ von 9,27 dem ἐδούλωσα von 9,19.68 Zudem scheine in beiden Abschnitten gleichermaßen Paulus Sorge um sein eigenes Heil durch, wovon in 10,1–22 nicht mehr die Rede sei.69 Überhaupt verweise „die ‚disclosure‘-Formel οὐ θέλω ὑμᾶς ἀγνοεῖν und die Anrede ‚Brüder‘ auf einen Neuansatz“ mit 10,1.70 Mitchell 1991, 243. Vgl. Gäckle 2004, 248–251. 66 Zeller 2010, 321. 67 Vgl. Gäckle 2004, 251, wobei zu beachten ist, dass Paulus in 9,19–22 davon spricht, Menschen durch seine Verkündigung zu gewinnen, nicht etwa das ewige Leben, wie 9,24 f. vorauszusetzen scheint. Die vorbereitende Funktion kann also höchstens, in Gäckles Worten, auf die „anklingenden Assoziationen“ bauen. 68 Vgl. Schrage 1995, 361, der diesen Zusammenhang folgendermaßen ausführt: „die in unserem Abschnitt geforderte Selbstdisziplin ist genau das, was den allein auf die eigene Freiheit bedachten, gegenüber anderen aber rücksichtslosen ‚Starken‘ not tut.“ Dagegen wiederum Zeller 2010, 323: δουλαγωγῶ in 9,27 sei „trotz des Anklangs“ nicht von 9,19 her zu deuten, sondern von einem gängigen Leib-Geist-Dualismus her. 69 Zeller 2010, 321. Ähnlich äußert sich auch Pfitzner 1967, 85. Dagegen Sumney 2000, 332: Auch die Frage nach Paulus eigenem Heil käme nur als Beispiel für die Korinther in den Blick und sei dem Zusammenhang nach kein Gegenstand eigenen Rechts. 70 Schrage 1995, 326. Nach Mullins 1964, 48, besteht die gängige Form der disclosure-Formel im Neuen Testament aus (1) einer Form von θέλω, (2) der Anrede des Adressaten und (3) einem noetischen Verb im Infinitiv, gefolgt (4) vom angekündigten Inhalt. 64 65

76

3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Die Argumentation wirkt schlüssig, wird bei genauerem Hinsehen jedoch brüchig.71 In der Tat trennen auch die klassischen Teilungshypothesen nahezu ausschließlich zwischen 9,23 und 9,24 und schlagen 9,24–27 in der ein oder anderen Weise Kapitel 10 zu.72 Denn 9,24–27 schließt keineswegs fugenlos an das Vorangehende an. Hier wie dort präsentiert Paulus sich zwar als Beispiel. Dort geht es jedoch sehr spezifisch darum, dass Paulus um der Verkündigung willen Rechte aufgibt, hier allgemeiner um Selbstdisziplin um des Heils willen. Das Thema entfernt sich damit vom gedanklichen Zusammenhang 8,10–9,22.73 Mit Sinn fürs Detail trägt Jerry L. Sumney weitere Indizien zusammen, die für 9,1–23 als eigenständigen Abschnitt sprechen. So wiesen Parallelen zum Schlussabschnitt des ersten Gedankenganges in 8,9–13 auch 9,19–23 als Abschluss eines gedanklichen Bogens aus: „Just as 1 Cor 8:9–13 gives the results of participating at the temple meals without regard for fellow Christians, 9,19–23 gives the result of Paul’s altering his behavior for the sake of those around him.“74 „Thus we have two sections that spell out the contrasting results of contrasting behaviors“.75 Überhaupt sei der Abschnitt 9,1–23 zyklisch angelegt, wie die Aufnahme des themagebenden Stichworts ἐλεύθερος aus 9,1 in 9,19 zeige.76 Auch wechsele mit dem Übergang zu 9,24 der Duktus, in dem Paulus die Korinther anspricht. Erst nach 9,24 begegnen Hortative und Imperative.77 Mit Victor C. Pfitzner sei das οὐκ οἴδατε von 9,24 demnach als Neuansatz im Diatribenstil zu verstehen.78 Entscheidender als diese teils anfechtbaren Textbeobachtungen zu Kapitel 9 scheint es jedoch, zur Lösung der Frage von Kapitel 10 her zu denken. Sollte mit 10,1 ein unvorbereiteter Abschnitt neu einsetzen, geschähe dies nämlich reichlich abrupt.79 Kapitel 10 allein hilft der Leserschaft in keiner Weise zu bestimmen, in welchem Verhältnis 10,1–22 zu den anderen Abschnitten der Passage steht und führt auch keinen neuen Anwendungsfall ein. So liegt es nahe, „daß mit Kapitel 10 kein neuer Fall eingeführt, sondern lediglich ein spezieller Aspekt des eigentlich schon in Kapitel 8 anstehenden Problems diskutiert wird“80. Inhaltlich lassen sich 9,24–27 71 Vgl. etwa, Bandstra 1971, 5; Merklein 2000, 172.233 f.; Senft 1979, 125 f.; Sumney 2000; Ciampa/ Rosner 2010. Letztens scheint auch Works 2014, 101, von einer Zusammengehörigkeit auszugehen. 72 So allen voran Schmithals 1973 und in anderer Ordnung Weiss 1910, 40–42. Vgl. auch Merklein 2000, 166, und Sumney 2000, 329–330 mit Anm. 2.3. Ferner Mitchell 1991, 239, Anm. 297. 73 Vgl. Sumney 2000, 329 f. Die eigene Verkündigung gerät freilich nicht aus dem Blickfeld, begegnet nun aber nur noch peripher (vgl. 9,27). 74 Sumney 2000, 331. 75 Sumney 2000, 332. Ferner bestünden Parallelen zum Schlussabschnitt der gesamten Passage in 10,31–11,1. 76 Vgl. Sumney 2000, 333. 77 Vgl. Sumney 2000, 332. 78 Vgl. Sumney 2000, 332 und Pfitzner 1967, 83: „Finally it is possible to see in the introductory οὐκ οἴδατε in v. 24 one of the many forms of litotes popularly used by the diatribal writers to introduce an argument or injunction.“ Pfitzner beruft sich dabei vor allem auf Bultmann 1910, kommt selbst jedoch zu dem Schluss, Kapitel 9 stelle insgesamt eine Einheit dar. 79 Vgl. ähnlich Sumney 2000, 333. 80 Merklein 2000, 240.

3.1 1 Kor 10,1–22 im Zusammenhang des Götzenopferfleischdiskurses 1 Kor 8,1–11,1

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und 10,1–10 auch problemlos zusammendenken. In Sumneys Worten: „1 Corinthians 9:24–27 begins the discussion of not losing one’s contest after having begun, as those Israelites mentioned in 10:1–10 did.“81 Einen solchen inhaltlichen Zusammenhang zu den vorangehenden Versen, wie er durch γάρ in 10,1 ausgedrückt wird, stellen in der Tat auch viele Befürworter einer deutlichen Unterteilung vor 10,1 fest, lassen sich von ihm jedoch nicht beirren.82 Gerade dieses γάρ gerät jedoch zum stärksten Argument. Bei Paulus finden sich vergleichbare disclosure-Formeln mit γάρ noch in Röm 11,25 (οὐ γὰρ θέλω ὑμᾶς ἀγνοεῖν, ἀδελφοί, τὸ μυστήριον τοῦτο) und 2 Kor 1,8 (οὐ γὰρ θέλομεν ὑμᾶς ἀγνοεῖν, ἀδελφοί, ὑπὲρ τῆς θλίψεως). In beiden Fällen ist das jeweils Folgende inhaltlich verbunden mit den vorangegangenen Äußerungen. Das „Geheimnis“ nach Röm 11,25 ist im Ölbaumgleichnis Röm 11,17–24 teils vorabgebildet. Und auch die Bedrängnis des Paulus ist unmittelbar vor 2 Kor 1,8 bereits thematisiert worden (2 Kor 1,6). Um einen Neueinsatz zu markieren, hätte Paulus die entsprechende Formulierung mit δέ zur Verfügung gestanden, wie er sie in Röm 1,13 (οὐ θέλω δὲ ὑμᾶς ἀγνοεῖν), 1 Kor 12,1 (περὶ δὲ τῶν πνευματικῶν, ἀδελφοί, οὐ θέλω ὑμᾶς ἀγνοεῖν) und 1 Thess 4,13 (οὐ θέλομεν δὲ ὑμᾶς ἀγνοεῖν, ἀδελφοί, περὶ τῶν κοιμωμένων) auch gebraucht.83 Die Partikel ist damit keineswegs ein „trivial element“84 der disclosure-Formel. Es ist den Befürwortern einer engen Verbindung zwischen 9,24–27 und 10,1 vom inhaltlichen wie vom sprachlichen Standpunkt her also zuzustimmen. Zugleich erscheinen die Argumente für einen deutlichen Einschnitt zwischen 9,23 und 9,24 jedoch nicht stark genug, Kapitel 9 schlicht entzwei zu teilen und 9,24–27 Kapitel 10 zuzuschlagen.85 Es ist dem Befund somit am ehesten angemessen, 9,24–27 als Übergangs- und Einleitungsparagraph zu 10,1–22 aufzufassen, der ausgehend vom Argument 9,1–23 einen gedanklichen Transfer anstößt und die Hörerschaft so auf das 81 Sumney 2000, 331. Ähnlich trotz letztlich anderer Entscheidung auch Zeller 2010, 321: Durch 9,24–17 sei „ein sachlicher Übergang zur Warnung an die Korinther, ihr Heil nicht zu verfehlen (10,1–13) gegeben“. Oder Gäckle 259: „Darüber hinaus besteht eine logische Parallelität zwischen beiden Abschnitten durch das Motiv, dass nicht jeder, der einen Weg beginnt (sei es als Läufer in der Kampfbahn oder sei es Israel auf dem Wüstenzug) zwangsläufig auch am Ziel ankommt bzw. den Sieg davonträgt.“ Merklein 2000, 172, gibt das Thema von 9,24–10,13 an mit: „Zielstrebiger Siegeswille (als überleitendes Beispiel aus dem Sport) und das Beispiel der Wüstengeneration“. Robertson/Plummer 1914, 198 überschreiben 10,1–11 „THESE PRINCIPLES APPLIED“ und erläutern: „The fear expressed in ix. 27 suggests the case of the Israelites, who through want of self-control, lost the promised prize.“ Vgl. auch Fee 1987, 442. 82 So etwa Schrage 1995, 326: „Das γάρ in V. 1 zeigt an, dass das Folgende den Imperativ 9,24 untermauern will“, Bandstra 1971, 5: „[γάρ] indicates that this passage is meant to give the ground for the preceding exhortation” und auch Pfitzner 1967, 83: „The γάρ in 10:1 is simply a loose conjunctive pointing to 9:24–27 as the transitional section between the two larger passages.“ Zeller 2010, 326 verweist hingegen auf die ähnliche Gegenüberstellung von „alle“ und „einer“ in 10,1–4 und 9,24a. 83 Fitzmyer 2008, 380, weist auf γνωρίζω ὑμῖν als positive formulierte Variante hin. Auch dort bezieht sich die eine paulinische Formulierungen mit γάρ aber dicht auf das Vorangehende. Vgl.  γνωρίζω γὰρ ὑμῖν in Gal  1,11 im Gegensatz etwa zum Neueinsatz θέλω δὲ ὑμᾶς εἰδέναι in 1 Kor 11,1. 84 So Mullins 1964, 45. 85 Einen solchen Schritt würde auch die folgende Analyse nicht stützen können.

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

folgende biblische Beispiel vorbereitet.86 Gerade für eine Untersuchung wie diese, die unter anderem nach der argumentativen Funktion der Passage fragt, müssen die Verse 9,24–27 somit bedacht werden. 3.1.2.2 Die Zusammengehörigkeit von 10,1–13 und 10,14–22 Fast universell wird 10,13 als Ende der ersten Kapitelhälfte betrachtet, die intensiv Mose-Exodus-Traditionen verarbeitet, und oft endet die Betrachtung der biblischen Bezüge mit diesem Vers.87 Mitunter fällt die Zäsur so deutlich aus, dass eine Zusammenschau von 10,1–22 unmöglich wird.88 Dennoch wird die Untersuchung 10,1–22 insgesamt in den Blick nehmen müssen. Dies hat intertextuelle und rhetorische bzw. strukturelle Gründe. Erstens wird die intertextuelle Analyse es nahelegen, dass auch 10,14–22 Mose-Exodus-Traditionen verarbeitet und Bezugstexte mit 10,1–13 teilt. Zweitens endet der seit 9,24 angebahnte Gedankengang keineswegs mit dem Ende der ersten biblischen Anspielungsreihe und ihrer unmittelbaren Kommentierung in 10,13. Vielmehr bieten die folgenden Verse den eigentlichen Anwendungsfall der Argumentation, auf den 10,1–13 hinführen.89 Die folgende Analyse wird bestätigt finden, dass es sich um zwei Unterabschnitte eines gedanklichen Zusammenhangs handelt. Wie eng beide Unterabschnitte miteinander verzahnt sind, zeigt sich auch daran, dass die Zäsur zwischen 10,13 und 10,14 durchaus in Frage gestellt werden kann. So etwa unlängst von Michael Schneider. Er spricht sich mit guten Gründen dafür aus, die Verse 14 und 15 „noch als Abschluss zu den bisherigen Versen hinzuzuzählen. Vers 14 ist dann als Konkretion der Verse 1–13 für die angesprochene Leserschaft zu verstehen. Vers 15 beinhaltet sodann die Aufforderung zur Reflexion des Gehörten bzw. Gelesenen“.90 Dafür bringt er die Parallele zwischen den Versen 13 und 14 in Anschlag, beide „nennen aus dem Erzählten folgende Konkretionen,“91 und beobachtet eine inclusio im Hinblick auf die Ansprache der Hörerschaft zwischen 10,1 und 10,15.92 Mit diesen Anfragen an die eingebürgerte Segmentierung des Textes wird sich die folgende Analyse auseinandersetzen müssen.

86 Diese Lösung ähnelt der von Pfitzner 1967, 85. Vgl. Fee 1987, 433: „This paragraph is transitional; it brings the long excursus of chap. 9 to its conclusion and at the same time prepares for a return to the argument against going to the cultic meals (10:1–22).“ 87 Vgl. bspw. Oropeza 2000, Cover 2015. 88 Vgl. Farla 2004, 158–166. 89 Vgl. etwa Fitzmyer 2008, 379, die Hauptaussage läge in 10,14.20–21. 10,1–13 arbeiteten darauf hin. 90 Schneider 2005, 39. Vgl. auch Schneider 2011. 91 Schneider 2005, 40. Vgl. auch Thiselton 2000, 754, zur Option nach 10,14 zu trennen. 92 Schneider 2005, 40. Vgl. auch Schneider 2011, 191–194.230 f.

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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3.1.2.3 10,23–11,1 als Abschluss des Großabschnitts 8,1–11,1 Deutlicher als die Abgrenzung nach vorn ist die Abgrenzung des Abschnittes (9,24– 27)10,1–22 nach hinten. 10,23 greift mit πάντα ἔξεστιν ἀλλ᾽ οὐ πάντα συμφέρει die bereits 6,12 angeführte – und durch das eigene Beispiel in Kapitel 9 implizit relativierte – „Generalregel“93 auf und unterstreicht diesen Neueinsatz durch Asyndese. Das Folgende bereitet den weiteren Gedankengang vor, indem es die Gedanken des Großabschnittes 8,1–11,1 bündelt, wie es sowohl semantische Wiederaufnahmen94 als auch das Zusammenlaufen verschiedener zuvor eingeführter Argumentationsmuster,95 nahelegen. Im Unterschied zu 2 Kor 4,1–6, der als zusammenfassender Abschnitt zu 2 Kor 2,14–3,18 in die Untersuchung mit eingezogen werden wird, handelt es sich hier um eine Zusammenfassung auf einer höheren Ebene, was auch daran deutlich wird, dass sich kein dichtes, von 10,1–22 bestimmtes, semantisches Netz in diesen Abschnitt spannt.96 Die semantischen Linien, die 10,1–22 mit 10,23–11,1 verbinden, sind lediglich jene, die sich durch den gesamten Abschnitt ziehen, zuvorderst Essen und Trinken.

3.2 Die intertextuelle Erkundung: Desintegrationssignale und Möglichkeiten der Digression Ist der zu untersuchende Text seinem Umfang nach mit 1 Kor (9,24–27)10,1–22 abgesteckt, gilt es, ihn auf intertextuelle Markierungen und potentielle biblische Bezüge zu untersuchen. Die intertextuelle Erkundung orientiert sich an den erarbeiteten Leitfragen (S. 29). In einem ersten Schritt wird der Brieftext überblicksartig auf explizite sprachliche Signale befragt, die eine intertextuelle Desintegration einleiten können. Sodann erfolgt ein linearer Durchgang durch den Text, sensibel auch für weniger deutliche Intertextualitätssignale und verbunden mit dem Versuch, den erhobenen Markierungen zu folgen und mögliche Bezugstexte zu identifizieren. Dabei werden auch verschiedene in der Literatur vorgeschlagene Bezugstexte auf ihre Plausibilität im Lichte der erhobenen Markierungen zu befragen sein. Es wird sich zeigen, dass 1 Kor 10,1–22 eine Fülle biblischer Texte und Traditionen verarbeitet, deren Herkunft nicht immer leicht zu verorten ist. Umso wichtiger ist es, in einem dritten Schritt die möglichen Bezugstexte in ihrem jeweiligen Zusammenhang zu betrachten und auf Übereinstimmungen sprachlicher und motivischer Art untereinander und mit 1 Kor 10,1–22 zu befragen. Aus diesem Bild ergeben sich schließLietzmann 1949, 51. So hält etwa Merklein 2000, 166, fest: „Tatsächlich wird man an der semantischen Isotopie von 8,1–13; 9,19–23; 10,23–11,1 kaum zweifeln können.“ Vgl. auch Sumney 2000, 333, zur Ähnlichkeit der jeweiligen Schlussabschnitte in 8,1–11,1. 95 Vgl. Gäckle 2004, 251–255.279–282. 96 In 2 Kor 4,1–6 verhält sich dies ganz anders. Vgl. dort 4.4.7. 93 94

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

lich Überlegungen zur intertextuellen Strategie der Passage, der Hierarchie der verwendeten Texte und Traditionen und der inhaltlichen Füllung der aufgerufenen Motive, die im Fortgang der Untersuchung zu prüfen sind. 3.2.1 Überblick über explizite intertextuelle Markierungen Die Textpassage weist verschiedene explizite Desintegrationssignale auf. Wiederholt finden sich Schlüsselwörter, die auf den Erzählzusammenhang der Wüstenwanderung verweisen. Darüber hinaus bietet 10,7 eine ausdrückliche Einleitungsformel. Bei all dem bleibt der Übergangsabschnitt 9,24–27 außen vor. Entsprechende Markierungen finden sich dort nicht. Umso häufiger begegnen sie jedoch in 10,1–11. Bereits die metakommunikative Redeeinleitung 10,1a ist als Desintegrationssignal aufzufassen. Zusammen mit dem Verweis auf „unsere Väter“, die „alle unter der Wolke waren und alle durch das Meer hindurchgingen“, verweist sie auf eine Erzählwirklichkeit jenseits des bisherigen Gedankengangs. Der Bezug auf die MoseExodus-Tradition drängt sich auf und wird spätestens mit der Namensnennung Moses (10,2) offengelegt. Auch wenn ein spezifischer Bezugstext nicht angezeigt wird, verweist dieser Name doch auf eine abgrenzbare Größe von Traditionen. Durch die sprachlich parallele Gestaltung der Folgeverse markiert das Signal auch die dort geschilderten Ereignisse. 10,4b.c. lassen deutlich den erklärenden Ton der Schriftauslegung erkennen. Noch gestärkt wird diese Markierung durch die metakommunikative Bezugnahme in 10,6 und die Verweise auf das Ergehen „jener“ in 10,7–10.97 Nicht zuletzt findet sich in 10,7 das klarste Desintegrationssignal der Passage, die Einleitungsformel ὥσπερ γέγραπται, auf die ein direktes Zitat aus Ex 32,6 folgt. Zudem „bietet Vers 11 mit dem ἐγράφη noch einen besonderen Verweis auf die Schriftlichkeit aller zuvor erzählten Ereignisse“.98 Während sich explizite und halbexplizite Desintegrationssignale in 10,1–11 verdichten, werden sie im weiteren Verlauf der Passage spärlicher. Einzig die Rede vom Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα (10,18) verweist auf die in 10,1–11 referierten Vorgänge.99 Insgesamt ist damit ein dichtes Gewebe intertextueller Bezugnahmen in 10,1–11 angezeigt, auf das später noch einmal rekurriert wird. Die Bezugnahmen gruppieren sich um ein direktes Zitat mit Redeeinleitung (10,7) und werden begleitet von Überlegungen zur Anwendung und Deutung des Erzählten (10,1.6.11). Bis auf die Nennung von Schlagworten wie „Mose“, „Wolke“, „Meer“ und „Wüste“, die mit großer Deutlichkeit auf die Mose-Exodus-Tradition verweisen, ist nicht weiter markiert, auf welche Texte sich der Abschnitt im Detail beruft. Wie sich zeigen wird, ist die Frage nach konkreten Bezugstexten entsprechend schwer, wenn überhaupt, zu beantworten. Vgl. Schneider 2011, 195–197, zur Vergleichspartikel καθώς als Intertextualitätssignal. Schneider 2011, 195. 99 S.u. 3.4.7.1 zur Frage, wen die Formulierung bezeichnet. 97 98

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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3.2.2 Durchgang durch den Text unter Berücksichtigung auch schwächerer Desintegrationssignale und möglicher biblischer Bezüge 3.2.2.1 9,24–27 Zu Beginn der Passage finden sich keine klar markierten Desintegrationssignale. Die markante Bildsprache aus dem Bereich des sportlichen Wettkampfes gehört zum populärphilosophischen Allgemeingut und ist aus dem Alltagswissen der Zeit heraus verständlich, ohne auf einen bestimmten Text oder ein bestimmtes Textcorpus anzuspielen (s. u. ‎3.3.3.1). Wenn in 9,27 davon die Rede ist, dass Paulus seinen eigenen Körper versklavt, mag dieser Bruch im Bild als kotextuelle Störung aufgefasst werden, erklärt sich aber aus der Sachlage und bleibt hinreichend nahe am Bild, um verstanden zu werden. Ein etwaiger Bezugstext kommt auch hier nicht in den Blick. 3.2.2.2 10,1–2 Anders verhält sich dies, wenn 10,1 f. betont „unsere“ Väter seien „unter der Wolke“ gewesen, „durchs Meer gezogen“ und dort „auf Mose getauft“ worden. „Väter“ bezeichnet schon im biblischen Sprachgebrauch die Exodusgeneration und die Rede von „unseren Vätern“ findet sich so oder ähnlich schon in früheren Exodussummarien (vgl. etwa Ps 106[105],6; Neh 9,9.16; Sap 18,6; 4 Esr 9,29, aber auch Joh 6,31).100 Bei entsprechender Vorbildung mag sie sogleich entsprechende Assoziationen geweckt haben. Die Schlagworte „Wolke“ und „durch das Meer hindurchgehen“ greifen Berichte von der Wolkensäule, die Israel in der Wüste voranzieht, und die Geschichte vom Durchzug durch das Schilfmeer auf. Die intertextuelle Desintegration ist damit klar angezeigt und ebenso eine Richtung für die intertextuelle Digression gewiesen. Einen konkreten Text der MoseExodus-Tradition zu benennen, von dem Paulus hier abhängig ist, ist jedoch nicht ohne weiteres möglich. Die maßgebliche Erzählung zum Schilfmeerwunder findet sich in Ex 14 und auf diesen Text wird auch zumeist verwiesen.101 Jedoch verwendet Ex 14,22 (‫וַ ּיָבֹאו‬ ‫ּבתֹוְך ַהּיָ ם ַּב ָּיַּב ָׁשה ְבנֵ י־יִ ְׂש ָר ֵאּל‬/καὶ ְ εἰσῆλθον οἱ υἱοὶ Ισραηλ εἰς μέσον τῆς θαλάσσης κατὰ τὸ ξηρόν) andere Worte, als Paulus es tut. Zudem wird auf das Ereignis im direkten Fortgang der Erzählung mehrfach zurückgeblickt (Ex 14,29; [15,8].19) und es steht auch in anderen Exodusrückblicken immer wieder an zentraler Stelle. Wie häufig das Motiv aufgegriffen und wie unterschiedlich es ausgedeutet wird, zeigt nicht allein seine poetische Verarbeitung im folgenden Kapitel Ex 15, sondern auch ein Blick in die Psalmen. Ps 77(76),17–21 bettet es in eine große TheophanieVgl. Schaller 2001, 171 mit Anm 14; Zeller 2010, 326. Vgl. Fee 1987, 444; Fitzmyer 2008, 381; Schaller 2001, 172; Wilk 2017, 170; Zeller 2010, 327, u. v. a. Die Genannten nennen als weitere relevante Texte: Num 9,17; 14,14; Ps 78(77),14; Ps 105(104),39a; 106(105),29; Neh  9,12.19; Sap  10,17; 19,7; 4Q365 31a-c, sowie TJon zu Ex  13,20 f. und MekhY zu Ex 13,21 (30a). 100 101

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

szene ein, die Gottes Macht unterstreicht. Ps 78(77),13 f. beginnt die Aufzählung der Wunder des Exodus mit dem Durchzug durch das Meer und der Begleitung durch die Wolke. Dass das Meer die ägyptischen Soldaten verschlingt, wird dort zum Inbegriff der Leitung und des Schutzes Gottes (Ps 78,53; vgl. auch Dtn 11,4).102 Gottes Macht über die Fluten ist Thema von Ps 104(103),7 (vgl. auch Ps 114[113],3– 5). Nach Ps 106(105),9.22 führt Gott Israel durch die Fluten wie durch die Wildnis (‫ּכ ִּמ ְד ָּבר‬/ὡς ַ ἐν ἐρήμῳ), sodass der Meeresdurchzug als repräsentativ für das gesamte Exodusgeschehen verstanden werden kann. Folgerichtig nennt Ps 106,22 das Schilfmeerwunder pars pro toto, wenn er klagt, Israel habe Gott, seinen Retter, vergessen. Ps 136(135),13 kennt „der das Schilfmeer entzwei teilte“ als Gottesbezeichnung (‫לגֹזֵ ר יַ ם־סּוף ִלגְ זָ ִרים‬/τῷ ְ καταδιελόντι τὴν ἐρυθρὰν θάλασσαν εἰς διαιρέσεις) 103 (vgl. Ps 66[65],6). Auch die Aufnahme des Motivs in der prophetischen Tradition lädt es mit tieferer Bedeutung auf. Besonders DtJes erinnert Gott beständig an die Befreiung Israels am Schilfmeer und misst sein Wesen an diesem Wunder (vgl. Jes 43,16 f.; 51,10; 63,11– 13). Jes 11,15 f. verheißt neue Wunder nach Art der Meeresteilung für die Heilszeit. Für die Vorstellung einer Taufe auf Mose finden sich keine biblischen Parallelen. Vielmehr wird hier eine frühchristliche Vorstellung und Formulierung auf das Exodusgeschehen angewendet.104 Zwar führt das Meerwunder dazu, „dass das Volk nach der Rettung an Jahwe und an Mose, seinen Knecht glaubt“ (Ex 14,31). Doch scheinbar ist es die „‚Taufe auf Christus‘“, die „Paulus dazu [bringt], die durch die Exodusereignisse gefestigte Gefolgschaft Mose gegenüber als ‚Taufe auf Mose‘ zu interpretieren.“105 Freilich scheint die Rede von einer Taufe im Meer (10,2) in einer gewissen Spannung zur fortwährenden Betonung zu stehen, Israel sei trockenen Fußes durch das Meer gezogen. Das Wasser berührt allein die ägyptische Armee und diese findet so ihren Untergang (Ex 14,28).106 An verschiedenen Stellen – auch und gerade in der parabiblischen Literatur  – wird eigens betont, dass Israel trockenen Fußes durchs Meer zog (vgl. Ex 14,22.29 und die abhängigen Traditionen [MT; LXX; Tg], Neh 9,11; OdSal 1,19; Sap 19,7, Mos, 2,254 f.; LAB 10,6).107 Vgl. zum Schutzgedanken ferner Ps 104,39 LXX, Sap 19,7. Für weitere Aufnahmen des Schilfmeerdurchzugs vgl. u. a. Jos 24,6 f.; Neh 9,9–12 (abermals zusammen mit der Wolke), bis hin zu Hebr 11,29. 104 Vgl. Fee 1987, 444, und ausführlicher Schneider 2011, 203–206. Ob die jüdische Proselytentaufe im Hintergrund steht (so im Gefolge von Jeremias 1929, 314–317, etwa Bandstra 1971, 6 f. und Lierman 2004, 185–187), ist wiederholt diskutiert worden, jedoch historisch wenig wahrscheinlich (vgl. Smith 1982; Ostmeyer 2000, 86 f.). Zudem beruht Jeremias Überlegung auf der Annahme, dass Paulus einen Midrasch verarbeitet, der die Proselytentaufe voraussetzt. Wie zu sehen sein wird, ist die Annahme einer solchen Textvorlage jedoch überflüssig. 105 Zeller 2010, 327. 106 Vgl. Lietzmann 1949, 44; Schaller 2001, 173. Er meint, die Texte, die die Vorstellung plausibel machen, dass Israel im Meer nass wird, seien wohl für uns verloren gegangen. 107 Works 2014, 54, verweist ferner auf Artapanus nach Eusebius, Praep. Evang. 9,27.36, Josephus Ant 2,338–344 und Philo VitMos 1,176–180. 102 103

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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Im Lichte dieser Spannung und der breiten, sich verselbständigenden Rezeption der Geschichte vom Meeresdurchzug, ist Hans-Josef Klauck Recht zu geben, wenn er resümiert: „Vom Bildgehalt her drängen sich die alttestamentlichen Stellen keineswegs auf.“108 Der bloße Bezug auf den Meeresdurchzug weist die Erzählung Ex 14, zu der sich vor allem keine wörtlichen und nur bedingt erzählerische Übereinstimmungen finden, noch nicht als direkten Bezugstext aus. Eine ähnliche Ungereimtheit im Vergleich zur Tradition besteht auch hinsichtlich der Wolke: Die Wolkensäule, in der Gott Israel des Tages führt und begleitet, wird erstmals in Ex 13,21 f. erwähnt (‫ּב ַעּמּוד ָענָ ן‬/ἐν ְ στύλῳ νεφέλης). Meist wird dies auch als einer der wesentlichen Bezugstexte für 10,1 f. genannt.109 Doch von der Wolke spricht die Exodustradition noch häufiger als vom Durchzug durchs Meer. Meist wird sie zusammen mit der Feuersäule genannt, die nachtsüber eine vergleichbare Aufgabe wahrnimmt (Ex 12,21 f.; Ps 78,14; 105,39; Neh 9,12). Nur an einzelnen Stellen ist von der Wolkensäule bzw. der Wolke so wie hier die Rede, ohne dass die entsprechende Feuersäule oder das entsprechende Feuer in den Blick kommt (so etwa Ex 14,19 f. [vgl. jedoch Ex 14,24]; Dtn 1,33; Sap 19,7).110 Durchweg zieht die Wolke dabei vor Israel hinweg oder stellt sich hinter das Volk. Davon, dass Israel ὑπὸ τὴν νεφέλην sei, wie 1 Kor 10,2 es ausdrückt, ist nirgends die Rede. Am ehesten berührt sich noch Ps 105,39 mit dieser Vorstellung. Dort wird ausgesagt, Gott habe die Wolke als eine Decke ausgebreitet (‫ּפ ַרׂש ָענָ ן ְל ָמ ָסְך‬/διεπέτασεν ָ νεφέλην εἰς σκέπην αὐτοῖς). Diese Deutung wird auch in der späteren rabbinischen Tradition fortgeschrieben und mit der Vorstellung einer Schutzmacht für Israel verbunden.111 Einige Stellen der biblischen Exodusüberlieferung machen deutlich, wie sich die Vorstellung der Wolkensäule mit einer anderen Tradition verbindet. Auch unabhängig von der Wolkensäule ist wiederholt davon die Rede, dass Gott sich seinem Volk in einer Wolke verborgen oder aus einer Wolke heraus offenbare. Wiederholt erscheint Gottes Herrlichkeit in einer Wolke, aus der heraus Gott zu Mose spricht (Ex 16,10; 24,15–18; 34,5). Wenn Gottes Herrlichkeit ins Heiligtum einfährt, wird dieses von einer Wolke erfüllt (Ex 40,34–37). Die Wolke zeigt dort fortan Gottes Gegenwart an (Lev 16,2; Num 11,25; 12,10; 14,10; 17,7). Beide Traditionen werden wiederholt miteinander verknüpft. Wenn Mose sich im Heiligtum mit Gott unterredet, tritt die Wolkensäule an den Eingang des Zeltes und versperrt diesen Klauck 1982, 253. Vgl. Fee 1987, 443; Fitzmyer 2008, 381; Schaller 2001, 171; Wilk 2017, 170; Zeller 2010, 327 u. v. a. 110 Robertson/Plummer 1914, 200, erwägen, Paulus könne die Feuersäule fortgelassen haben, da die Wolke besser ins Bild der Taufe passe: „the cloud […] and the sea […]; both are material and watery elements, and both refer to the water in baptism.“ 111 Vgl. Fitzmyer 2008, 381. Zeller 2010, 326 resümiert, die Wolke werde „hier nach Ansätzen in der jüdischen Tradition zu etwas, was die Israeliten bedeckt“ und verweist unter anderem auf Num 14,14; Sap 10,17; 19,7a: TJon Ex 13,20 f.; MekhY Ex 13,21 [30a]. Schaller, 172, denkt ferner an TPsJ Ex 13,20. Dass durch den Akkusativ eine Bewegung angedacht ist, wie Robertson/Plummer 1914, 200, vorschlagen („They marched with the cloud above them“ im Anschluss an TO Dtn 33,3) bleibt Mutmaßung, passt jedoch ins Bild, das die angeführten Quellen zeichnen. 108 109

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(Ex 33,9 f.; Dtn 31,15). Die Identifikation der Wolkensäule mit der Wolke von Gottes Gegenwart wird in Num 14,14 direkt ausgesprochen und in Ex 19,9 LXX im Vergleich zu MT explizit gemacht. So spricht auch Ex 40,38 davon, dass das Zeltheiligtum des Tags von einer Wolke, des Nachts von Feuer begleitet wurde. Es ist die Wolke auf dem Heiligtum, die die Israeliten durch die Wüste führt (Num 9,15–22; 10,11 f.), die Wolke des Herrn (Num 10,36 MT ‫)ענַ ן יְ הוָ ה‬. ֲ Daher ist das Ineinander beider Vorstellungen für Paulus wahrscheinlich. So wird auch die schlichte Rede von der „Wolke“ anstelle der Wolkensäule verständlicher. Die Wolke steht in den angeführten Texten für Gottes Gegenwart, seine Leitung, aber auch seinen Schutz. Hinzu treten weitere mögliche Bedeutungen des Motivs. Denn ähnlich wie die Erzählung vom Meeresdurchzug wird auch die Wolke mit neuen, eigenständigen Bedeutungen aufgeladen. So schreibt etwa Jes 4,5 f. die Wolkentradition fort und weiß um eine Wolke, die Zion am Ende der Tage bedecken und schützen wird (vgl. auch 2 Makk 2,8). Verschiedenenorts wird die Wolke mit der Weisheit identifiziert (vgl. Sap 10,17). Nach Her. 203 lässt sie Weisheit auf die Tugendhaften regnen. Ex 14,19 verbindet Wolken- und Meerestradition schon auf der Ebene des möglichen Bezugstextes. Dort wird der Schutzcharakter der Wolkensäule besonders deutlich: Gott lässt sie zwischen Israel und das ägyptische Heer treten, so dass sie eine unüberwindbare Barriere bildet und Israel die Zeit gibt, durch das Meer zu entkommen (Ex 14,19). Ob und inwiefern bei der Wolke in 10,2 gerade an Ex 14,19 gedacht ist, lässt sich jedoch nicht anhand sprachlicher Gesichtspunkte verifizieren. Die knappe Formulierung in 1 Kor 10,1 f. lässt für die Wolke ebenso wenig wie für das Meer signifikante wörtliche Übereinstimmungen zu entsprechenden biblischen Berichten erkennen. Meeresdurchzug und Wolkensäule verschmelzen überdies bereits in der biblischen Tradition zu einem gängigen Doppelmotiv, auch in Zusammenhängen, die von den „Vätern“ sprechen (vgl. Neh 9,11–12; Ps 78,13f ).112 Allenfalls das bei Paulus so betonte πάντες mag ein Indiz sein, dass ihm der Exoduszusammenhang vor Augen stand. Ex 13,22 LXX formuliert οὐκ ἐξέλιπεν ὁ στῦλος τῆς νεφέλης … ἐναντίον παντὸς τοῦ λαοῦ. Ein solches πάντες findet sich an verschiedenen Stellen des Erzählzusammenhangs in Ex und Num, was Berndt Schaller zur Schlussfolgerung führt, Paulus habe es seiner Vorlage entlehnt.113 Schlagend ist dieses Argument jedoch nicht. 3.2.2.3 10,3–4 Im Lichte des deutlichen Hinweises auf die Mose-Exodus-Tradition ist auch die Rede von geistlicher Speise und geistlichem Trank, die alle Väter genossen, in 10,3–4 auf die Wüstenwanderung Israels zu beziehen.114 Für 10,4 dienen die erklärenden So Fee 1987, 446, Anm. 23. Vgl. Ex 13,22 LXX, 16,1f; 17,1; 32,3; Num 14,2.10.23.39; Num 14,22; Num 14,1 f.7.10 und dazu Schaller 2001, 171. 114 Vgl. das Kriterium der impliziten Markierung durch Durchdringung (s. o. S. 18). 112 113

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Bemerkungen ab 10,4b mit der Glosse 10,4c zudem als explizites Desintegrationssignal.115 Gleich der Wolkensäule und der Meeresdurchquerung ist die wundersame Versorgung Israels mit Nahrung ein wiederkehrendes Thema der Mose-ExodusTradition. Abermals entzieht sich der intertextuelle Bezugspunkt damit einer klaren Verortung. Wie Gott sein Volk mit Wachteln und Manna versorgt, wird erstmals in Ex 16 berichtet und fortan wiederholt aufgegriffen. Die später in 1 Kor 10 gezogene Parallele zum Herrenmahl spricht dafür, dass in 10,3 vor allem an das Brot bzw. Manna gedacht ist. Die Formulierung mit βρῶμα lässt dies jedoch offen.116 Der Exodusbericht hingegen spricht von Wachteln (‫ׂש ָלו‬/ὀρτυγομήτρα ְ Ex 16,13, vgl. auch Num 11,31 f.; Ps 105,40; Sap 16,2; 19,12; mitunter mit explizitem Bezug auf Fleisch, vgl. etwa Ex 16,8 und Num 11,33 ‫ּב ָׂשר‬/κρέα), ָ Himmelsbrot (‫ן־ה ָּׁש ָמיִ ם‬ ַ ‫ל ֶחם ִמ‬/ἄρτοι ֶ ἐκ τοῦ οὐρανου, Ex 16,4, vgl. auch Ps 105,40; Neh 9,15 und Joh 6,31 f.) und Manna (‫ה ָּמן‬/ ַ τὸ μαννα nach Ex 16,15, vgl. auch Num 11,9; Dtn 8,3.16; Ps 78,24; Neh 9,20 bis hin zu A. J. 3,31 f.; Decal. 1,16; Joh 6,31 u. ö.). In der Tradition ist ferner die Rede von Engelsnahrung (ἀγγέλων τροφή Ps 77,25 LXX; Sap 16,20).117 βρῶμα hingegen ist ein Begriff, den die LXX in diesem Zusammenhang kaum verwendet.118 Gleiches gilt für πόμα in Bezug auf das von Gott gewährte Wasser. LXX verwendet diesen Begriff nicht in diesem Zusammenhang. Womöglich nimmt die Gegenüberstellung frühchristliche Herrenmahlsterminologie auf. Zumindest setzt Did 10,4 die Eucharistie von gewöhnlicher Speise als πνευματικός ab.119 Ex 17,1–7 berichtet, wie Gott das murrende und verdurstende Israel rettet, indem er Mose anweist, mit seinem Stock auf einen Felsen am Horeb zu schlagen, der daraufhin Wasser (‫מיִ ם‬/ὕδωρ ַ Ex 17,6) hervorbringt. Die ausführliche Parallelerzählung Num 20,2–13 weiß von einer ähnlichen Begebenheit in Kadesh. Auch diese Episode wird in der Tradition verschiedentlich aufgegriffen und erzählt (vgl. Num 21,16; Dtn 8,15; Ps 78,15; 105,41; [114,8;] Jes 48,21; Neh 9,15), wobei vor allem daran erinnert wird, wie das Volk am „Haderwasser“ gegen Gott aufbegehrte (vgl. Num 27,14; Dtn 32,51; Ps 81,8; 95,8; 106,32 u. ö.). Zumeist werden die Erzählungen von Speise und Trank, die ja auch im Exodusbericht aufeinanderfolgen, im gleichen Atemzug genannt (vgl. etwa Dtn 8,15 f.; Neh 9,15.20; Ps 78,15–31; 105,40).120 115 Zum Glossencharakter von 10,4 vgl. Cover 2015, 68. Als Vergleichsstellen führt er Gal 4,25 und 2 Kor 3,17 an. 116 In der Literatur wird 10,3 überwiegend auf das Manna bezogen. Vgl. etwa Zeller 2010, 327. 117 Ps 78,24 MT liest ‫ירים‬ ִ ‫ל ֶחם ַא ִּב‬.ֶ 118 A. J. 3,30.32 spricht vom Manna als βρῶμα, was allerdings keineswegs eine Kenntnis oder gar Abhängigkeit bedeutet. 1 Kor 10,3 wird schlicht an die übergreifende Fragestellung des Großabschnitts anknüpfen wollen. Vgl. βρῶμα in 1 Kor 8,8.13. Bemerkenswerterweise spricht Ps 78,18 LXX von βρώματα, scheint dabei allerdings zumindest auch die Wachteln im Blick zu haben. Vgl. Zeller 2010, 327. 119 Vgl. dazu Zeller 2010, 328. Im Gegensatz zu anderen (vgl. etwa Schaller 2001, 173) möchte er hier jedoch keine Berührung mit der hinter Joh 6 stehenden Tradition sehen. 120 Vgl. Fee 1987, 446, der überdies auf die Abfolge von Joh 6 und 7 hinweist (Käfer 2019 scheint diesem Umstand in seiner umfassenden Untersuchung der Mose-Exodus-Tradition in Joh aller-

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Es werden also beide Motive reich verarbeitet. Schließlich werden auch sie innerbiblisch und in der späteren Auslegung eschatologisch aufgeladen. So sagt etwa Jes 48,21 Felsspaltung und Wasser für die Heilszeit voraus und nach QohR wird der letzte Erlöser dem ersten Erlöser (Mose) darin entsprechen, dass er Manna herabbringt (nach Ps 72,16) und Wasser aufsteigen lässt (nach Joel 4,18).121 Lässt sich also von der Begrifflichkeit in 1 Kor 10,3 f. her nicht auf einen spezifischen Bezugstext schließen, so hilft auch die Qualifizierung von Speise und Trank als πνευματικός in dieser Frage nicht weiter. Zwar mag die Formulierung die überirdische Herkunft des Manna betonen, wie es auch einige andere Texte tun, nur tun sie dies nie mit diesem Wort.122 Und auch wenn Neh 9,20 die Gabe des göttlichen Geistes mit der Gabe des Manna verbindet, ist diese Vorstellung zu allgemein, als dass sich ein direkter Bezug nahelegen würde.123 Auch weitere Parallelen sind eher loser Natur und zeigen, dass die Vorstellung göttlicher, geistvermittelnder Speise zwar belegt ist, jedoch nicht unbedingt gängig war.124 Allein die Erläuterung ab 10,4b gibt womöglich Hinweise auf Erzähl- und Auslegungstraditionen im Hintergrund.125 Die Rede vom „nachfolgenden Felsen“ und die Identifikation dieses Felsens mit Christus hat Anlass zu verschiedenen Erklärungsversuchen gegeben, die den Vers in je unterschiedlichen textlichen Zusammenhängen verortet wissen wollen. Zunächst sprechen weder MT noch LXX von einem „nachfolgenden Felsen“ (ἀκολουθούσης πέτρας), wie es hier der Fall ist. Jedoch kennt die spätere Tradition, wie sie bei Pseudo-Philo und den Rabbinen belegt ist, ein solches Motiv. Dort zieht die Quelle mit dem Volk Israel durch die Wüste und versorgt es beständig mit Wasser.126 „Diese surreal anmutende Vorstellung ist das Ergebnis schlichter Schriftauslegung“127 und wird Paulus geläufig gewesen sein. Gemeinhin wird angenommen, dass die Platzierung der Geschichte um Wasser aus dem Felsen zu dings keine weiterführende Bedeutung beizumessen). Zeller 2010, 328, weist ferner darauf hin, dass Dtn 8,15 f. und Ps 78,15–29 die Reihenfolge von Nahrung und Wasser umkehren. 121 In der rabbinischen Literatur schließlich „findet sich im Kontext des Entsprechungsgedankens von Mosezeit und Endzeit die Vorstellung des endzeitlichen Mannas als Speise der Gerechten“ (Julius 1999, 207). Julius verweist auf Strack/Billerbeck 1965, 793, und zählt auf: MekhY Ex 16,25 (58b), QohR 1,9 (9b) (hier auch „das Motiv eines endzeitlichen, himmlischen Wassers“), RutR 2,14 (132b), ApcBar(syr) 29,8. Vgl. ferner Schaller 2001, 173. 122 Neben den bisher aufgezählten vgl. auch Mos. 2,259: καρπὸν αἰθέριον. 123 Vgl. Fitzmyer 2008, 382; Merklein 2000, 245. 124 Zeller 2010, 327 f., verweist etwa auf die Identifikation der Honigwabe mit dem Geist des Lebens in JosAs 16,2 und der Eucharistie als pneumatischer Speisung in Did 10,4. Joh 6 möchte er außen vor gelassen wissen. 125 Cover 2015, 68, versteht den Versteil 10,4c gegen Conzelmann, Fitzmyer und Schrage „as an exegetical gloss that Paul has ‚historicized‘ [ἦν statt ἐστιν] to meet the needs of this typological exegesis.“ 126 Vgl. das Brunnenlied Num 21,18–20 nach TO (nachfolgende Quelle), tSuk 3,11 f. (196) (Strack/ Billerbeck 1965, 406 f.); LAB 10,7 (nachfolgendes Wasser). 127 Schaller 2001, 174. Deutlich abwertender urteilen Robertson/Plummer 1914, 201: „St Paul seems to take up this Rabbinic fancy and give it a spiritual meaning.”

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Beginn (Ex 17,1–7) und am Ende der Wüstenwanderung (Num 20,1–11) zusammen mit dem sogenannten Brunnenlied Num 21,16–18 dazu beigetragen hat, diese Vorstellung auszubilden.128 Dafür, dass Paulus ein solches Geschehen vor Augen steht, spricht auch der plötzliche Wechsel ins Imperfekt.129 Im Gegensatz zu weiten Teilen der späteren rabbinischen Tradition spricht Paulus jedoch dezidiert vom Wandern des Felsens und nicht der Quelle. Entsprechend scheint ihm eine frühere Variante der Erzählung bekannt gewesen zu sein.130 Auch für die Identifikation des Felsens mit Christus werden gedankliche Vorläufer diskutiert. Dabei kommen einerseits Vorstellungen in den Blick, wie sie sich auch bei Philo finden. Mehrfach identifiziert dieser den Fels der Wüstenzeit mit Gottes Weisheit. So heißt es in Leg. 2,86: ἡ γὰρ ἀκρότομος πέτρα ἡ σοφία τοῦ θεοῦ ἐστιν.131 Derart explizit findet sich eine solche Vorstellung nur bei Philo.132 Womöglich liegt eine entsprechende Deutung aber schon Sap 11,4 zugrunde, wo es die Weisheit ist, die Israel in der Wüste schützt und Wasser aus dem Felsen spendet.133 Berndt Schaller resümiert: „Daß Paulus auf Philo zurückgreift ist fraglich […] offenkundig ist aber, daß er eine Auslegung kennt, die den Felsen als göttliches Wesen deutet, und diese auf Christus anwendet.“134 Eine verwandte Tradition, die zwischen dem Motiv des nachfolgenden Felsens und der Identifikation mit Christus vermittelt haben könnte, ist in LAB 11,5 bezeugt. Dort wird beschrieben, wie Gott vierzig Jahre lang dem Volk durch die Wüste folgte. Einige Handschriften setzten statt Gott „Wasser“ als Subjekt.135

128 Vgl. LAB 10,7; 11,15; TO Num 21,16–20; tSuk 3,11; bTaan 9a; mAv 56; TPsJ Num 20,2; 22,15; bShab 35a. Dazu Ellis 1957, 66–70; Fee 1987, 447 mit Anm. 34; Fitzmyer 2008, 382 f.; Schaller 2001, 172–174. Eine gut lesbare, knappe Darstellung findet sich bei Aageson 2006, 162–167. 129 Vgl. Robertson/Plummer 1914, 201: „The change to the imperfect is here quite intelligible: they habitually made use of a source which was always at hand.” 130 Vgl. Fee 1987, 447. 131 Julius 1999, 205, Anm. 72, listet für die Gleichsetzung des Manna mit dem Logos oder der Sophia Det. 118; ferner Sacr. 86f, Det. 85, Mut. 159, Somn. 1,48 f., Praem. 122; Leg. 2,86; 3,175, Somn. 2,2221f; Det. 115, für die Gleichsetzung des Tranks Somn. 1,48ff; ferner Leg. 2,86; Det. 117; Post. 125ff, Somn. 1,50; 2,221 f.241 f., gibt dabei jedoch auch zu bedenken, dass etwa „in der naturalistischen Darstellung VitMos II,210 ff.“ kein solches Verständnis vorliegt. Für eine Analyse der beiden unterschiedlichen Herangehensweisen Philos an die Bibel am Beispiel der Vätererzählungen vgl. Böhm 2005. 132 Vgl. Julius 1999, 206 mit weiterem Verweis auf Det 115 f. 133 Vgl. Fitzmyer 2008, 383; Schaller 2001, 174. 134 Schaller 2001, 174. In diese Richtung geht mit vielen anderen auch Zeller 2010, 328, und fügt an: „Paulus mag diese Interpretation in der Jerusalemer hellenistischen Synagoge kennengelernt haben“. Kritisch äußern sich unter anderem Fee 1987, 449, (In 1 Kor 1,24.30 habe Paulus Christus nicht auf diese Weise mit der Weisheit identifiziert. Dagegen wäre allerdings der verschiedene Verwendungszusammenhang in Anschlag zu bringen.) und Fitzmyer 2008, 383 (All dies seien „interesting allegorical meanings, but they have nothing to do with the Jewish legend that Paul uses here“). 135 Vgl. Dietzfelbinger 1975, 1132, Anm. g. Auch für diesen Hinweis gilt mein besonderer Dank Eduard Käfer.

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Andere sehen die Identifikation Christi mit dem Felsen in Dtn 32 vorbereitet.136 In jüngster Zeit ist Matthew Thiessen vehement für diese Herleitung eingetreten. Denn das Moselied Dtn 32,1–47 spricht nicht nur vom Felsen, der Israel mit Nahrung versorgt (32,13: ‫ס ַלע‬/‫)צּור‬. ֶ Folgt man dem masoretischen Text, bezeichnet es auch Gott durchgehend als „Fels“ (32,15: ‫ ;צּור יְ ֻׁש ָעתֹו‬Dtn 32,18.30 f.37: ‫)צּור‬.137 Paulus könnte mit dieser Tradition vertraut gewesen und sie mit einem „most notable Christological twist“138 versehen haben. LXX glättet ‫ צּור‬zwar durchweg zu κύριος, sodass Richard Hays zu dem Schluss kommt, die Anspielung bleibe griechischsprachigen Lesern verschlossen: „The Rock echo lies entombed in a Hebrew subtext“.139 Dennoch wäre dies nicht das einzige Beispiel für den Einfluss palästinischer Traditionen auf die Schriftrezeption des Paulus.140 Thiessen argumentiert zudem, dass entsprechende Traditionen weithin bekannt waren, und die gedankliche Verbindung somit auch ohne Kenntnis des masoretischen Textes gemacht werden konnte.141 Insgesamt bieten sich damit verschiedene Deutungen an, die Gleichsetzung Christi mit dem nachfolgenden Felsen zu erklären, und beide haben das Potential, die hinter 10,4c stehende Präexistenzvorstellung zu erhellen. Es wird sich im Laufe der argumentativen Analyse zeigen müssen, ob eine der Varianten dem Textganzen auf kohärentere Weise dient. Alles in allem ist die intertextuelle Digression damit auch in 10,3 f. klar markiert, ohne dass ein spezifischer biblischer Prätext greifbar wird. Dafür lässt sich jedoch ein Geflecht biblischer Erzähltraditionen erahnen, aus denen Paulus hier geschöpft hat. Im Umkehrschluss stellt sich jedoch die Frage, inwiefern die Suche nach einem spezifischen Bezugstext den Versen bis hierher überhaupt gerecht wird. 3.2.2.4 10,5 Die Kontrastaussage, gegen den Augenschein der empfangenen Heilserweise hätte Gott an „den meisten“ kein Gefallen gehabt, sodass sie in der Wüste niedergestreckt wurden, fordert nicht nur abermals deutlich zur intertextuellen Digression auf. Vgl. etwa Hays 1989, 94. Vgl. Thiessen 2013, 107. In seinen eigenen Worten: „Since every other occurrence of ‫ צור‬in the Song refers to a divine being, readers could identify the rock (both ‫ סלע‬and ‫ )צור‬in Deut. 32.13 in some way with Israel’s God. In fact, just two verses after mentioning the wilderness rock, the Song refers to Israel’s God as the rock of (Israel’s) salvation (‫צור ישעתו‬, v. 15). Since the wilderness rock provided sustenance for Israel in a desolate land, it could be called precisely that: a rock of Israel’s salvation.“ 138 Waaler 2008, 63. 139 Hays 1989, 94. 140 Vgl. Wilk 2013, 484. 141 Vgl. Thiessen 2013, 108: „Nonetheless, if this connection between the wilderness rock and God already existed, as I will argue in the next section, Paul’s audience in Corinth may still have connected the wilderness rock to God, even though the LXX translation no longer facilitated such a reading.“ Vgl. dazu Jes 30,29; 44,8; 1 Sam 2,2; Ps 18,3.32; 95,1. 136 137

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Durch die zitierende Formulierung kommt hier erstmals ein konkreter biblischer Bezugstext in den Blick. Neben dem Anschluss an die Aufzählung der vorangegangenen Verse, stellt in 10,5 auch die Wortwahl ein halb-explizites Desintegrationssignal dar. εὐδοκέω ist eine typische Formulierung der Septuaginta und der Schriften des Neuen Testaments.142 Zusammen mit der Präposition ἐν stellt sie einen Hebraismus bzw. Septuagintismus dar.143 Als geprägte Sprache ist sie als textuelle Störung zu verstehen, allerdings so allgemein, dass sie keinen spezifischen Bezugstext zu konnotieren vermag. Jedoch ist auch das Verbum καταστρώννυμι neutestamentliches Hapaxlegomenon. Entsprechend sieht die Mehrheit der Forschung den Bezugstext von 10,5 in Num 14,16 gegeben. Dort wird die Vernichtung der Wüstengeneration durch Gott mit κατέστρωσεν αὐτοὺς ἐν τῇ ἐρήμῳ beschrieben.144 Die Ähnlichkeit zur Formulierung in 10,5 κατεστρώθησαν γὰρ ἐν τῇ ἐρήμῳ ist tatsächlich frappierend. Sie weicht nur im begründenden γάρ sowie im genus verbi und damit auch der Person der Verbform ab.145 Im Zusammenhang berichtet Num 14 von der furchtsamen Weigerung des Volkes, ins Gelobte Land einzuziehen, woraufhin Gott die Vernichtung Israels beschließt und nur durch Moses Fürbitte bewegt werden kann, die Strafe abzumildern. Num 14,16 ist Teil dieser Fürbitte und beschreibt dort eigentümlicherweise die Strafe, die Mose gerade abwenden möchte. Schlussendlich beschließt Gott, dass nur Kaleb und seine Nachkommen in das Gelobte Land kommen sollen. Wenn 10,5 von „den meisten“ spricht handelt es sich demnach um „a mournful understatement“146. Num 14,16 steht damit exemplarisch für die breitere Tradition von der Vernichtung der Wüstengeneration.147 In jedem Falle teilen Num 14 und 1 Kor 10 das Thema des Murrens.148 Womöglich erfüllt auch die Ortsangabe ἐν τῇ ἐρήμῳ eine kommunikative Funktion. In den erzählenden Passagen zur Wüstenwanderung ist sie auffällig selten eine neutrale Ortsangabe.149 Stattdessen begegnet sie meist im Verbund mit der Sünde Israels, die der Aufzählung in 1 Kor 10 entspricht (Num 3,4; 14,2.22.33.35; 21,5; 26,61; 27,3.14), damit verbunden der Bestrafung Israels (Ex 14,11 f.; Num 14,16.29.32.33.35;

142 In der LXX und abhängiger Literatur drückt negiertes εὐδοκέω regelmäßig Gottes Missfallen aus. Fitzmyer 2008, 384, zählt etwa Jer 2,19; 14,10.12; Ps 151,5 und Sir 34,19 auf. Schaller 2001, 175, Anm. 33, denkt ferner an Hab 2,4 und Hebr 10,31. Ohne Verneinung handelt es sich um Erwählungssprache (vgl. Oropeza 2000, 119). 143 Vgl. Lietzmann 1949, 45. 144 Die Episode wird in Dtn  9,23; 32,51; Ps  78(77),31; 106(105),24–27 verarbeitet, jedoch mit anderer Terminologie. 145 Vgl. mit vielen anderen Fee 1987, 450. 146 Robertson/Plummer 1914, 202. 147 Fitzmyer 2008, 384, denkt etwa an Ps 78(77),31; Sir 45,19 oder Hebr 3,17. 148 Vgl. Schaller 2001, 175. 149 Lediglich in Num  1,1.19; 3,14; 9,1.5; 10,12.31; 12,16; 15,32; 21,11.33; 33,15.36 und zwar überwiegend in Redeeinleitungen und Reiseberichten.

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16,13; 26,64.65; 32,13.15) oder aber seiner Versorgung durch Gott (Ex 15,22; 16,22).150 Die intertextuelle Digression, zu der 10,5 anleitet, leitet damit zu weiteren inhaltlichen Fragen über, die 1 Kor 10 stellt. Ganz vom Nachfolgenden her denkt hingegen Margaret Mitchell und möchte 10,5 auf Num 11,33 bezogen sehen. Dort wird beschrieben, wie Gott die Israeliten ob ihrer falschen Gier nach Nahrung mit einer „großen Plage“ schlägt (‫מאֹד ַמ ָּכה ַר ָּבה‬/ ְ πληγή μεγάλη σφόδρα). Überhaupt ist das ganze Kapitel „an etiological narrative built upon word play on the root ‚to desire‘ [‫]אוה‬, as 11:34 shows“.151 Ein solcher Bezug würde somit elegant zum nächsten Abschnitt im paulinischen Gedankengang überleiten – und in Mitchells Rekonstruktion der rhetorischen Problemlage passen.152 Damit legt sich der Bezug auf Num 11,34 bei entsprechender Textkenntnis nahe. Dennoch spricht die Ähnlichkeit in der Formulierung zunächst für einen Bezug auf Num 14,16.153 Wie offen die Tradition von der Vernichtung Israels ist und inwiefern ein Bezug auf Num 14,16 Vorstellungen aus Num 11 integrieren kann, wird zu untersuchen sein. 3.2.2.5 10,6 Die Bemerkung 10,6a, die erzählten Dinge seien als Typen geschehen, stützt die beschriebenen Desintegrationssignale. Die unmittelbar angeschlossene Zweckangabe, damit „wir“ nicht wie jene „Begehrende“ seien, ist vor diesem Hintergrund ebenso intertextuell zu verstehen wie die Motive in den Folgeversen. Die etwas sperrige substantivische Formulierung εἰς τὸ μὴ εἶναι ἡμᾶς ἐπιθυμητὰς trägt möglicherweise als kotextuelle Störung zur Markierung der intertextuellen Digression bei und hilft einen entsprechenden Bezugstext wahrscheinlich zu machen. ἐπιθυμητής ist neutestamentliches Hapaxlegomenon und findet sich in der Septuaginta lediglich in Num 11,34; Spr 1,22 und Ez 26,12. Von diesen Belegen steht nur Num 11,34 in einem inhaltlichen Zusammenhang zur aufgerufenen MoseExodus-Tradition und war von Mitchell bereits für 10,5 in Anschlag gebracht wor150 Damit ist der symbolische Gehalt der Ortsangabe im Zusammenhang des Pentateuch noch genauer zu fassen als es Oropeza 2000, 120 f., vor dem weiteren Hintergrund des Alten Testaments tut. Er hält fest „The wilderness is often associated with a sense of unprotection, barrenness, banishment, and perishing (Deut. 1:19, 31; 8:15; 32:10; Psa. 107:40; Jer. 17:5–6; 1 Kings 19:3 ff; Job. 6:18; 12:24). […] [T]he older Israelite traditions originally and essentially consider the desert as a place of punishment and an unavoidable transitory stage to obtain Israel’s ideal place as an organised society in its own land.“ 151 Mitchell 1991, 138, Anm. 439. 152 Im Einklang mit der Grundthese ihres Buches ist Mitchell bemüht, die Schriftbezüge in 1 Kor insgesamt in das Streitthema von Spaltungen einzuordnen: „It is clear from Philo and Josephus (and later rabbinic tradition) that all of the events in Israel’s history which Paul draws on in 1 Cor 10:1–13 were regarded as examples of factionalism at the time of Paul“ (Mitchell 1991, 140. Sie verweist ferner auf die Rezeption des Textes in 1 Clem 4.12.) Ungeachtet ihres überzeugenden Arguments zur inneren Einheit von 1 Kor ist diese Zuspitzung jedoch zu einseitig. 153 Vgl. Fitzmyer 2008, 384.

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den. War dieser Bezug dort noch fraglich, drängt er sich hier geradezu auf.154 Begierde (‫ּת ֲאוָ ה‬/ἐπιθυμία) ַ ist ein Leitwort für das gesamte Kapitel Num 11.155 Die Begierde „betrifft das Verlangen nach besserer Speise als das Manna, das Begehren nach Fleisch aus den Töpfen Ägyptens“.156 Von daher ist Num 11 für die Götzenfleischthematik vielseitig anschlussfähig. Berndt Schaller weist auf entsprechende Tendenzen in der Auslegungsgeschichte hin und fasst zusammen: „Die Warnung vor der Begierde ist nur scheinbar ganz allgemein gehalten, im Rahmen der von Paulus benannten biblischen Episode hängt sie unmittelbar zusammen mit der Paulus beschäftigenden spezifischen Frage des Essens von Götzenopferfleisch.“157 Andere sind an dieser Stelle vorsichtiger und entgegnen mit Blick auf Röm 7,8, Begierde sei für Paulus schon für sich genommen Inbegriff der Sünde und hier auch entsprechend weit zu verstehen.158 Beide Positionen können sich auf Elemente der Tradition berufen. Die Episode um die „Giergräber“, an denen Gott Israel nach Num 11,34 strafte, kann mit (Ps 78,29 f.) oder ohne direkten Bezug auf die Gier nach Nahrung erinnert werden (vgl. Dtn 9,22, Ps 106,14). Und auch Philo und andere erkennen in der ἐπιθυμία ganz allgemein die Wurzel allen Übels.159 Unabhängig von der Frage wie ἐπιθυμητής und ἐπιθυμέω in 10,6 zu füllen sind, ist eine intertextuelle Digression deutlich markiert. Der Bezug auf Num 11,34 legt sich auch hier bei entsprechender Textkenntnis nahe. 3.2.2.6 10,7 10,7 fordert dazu auf, im Gegensatz zu „einigen“ der Väter nicht zu Götzendienern zu werden, und zählt damit die erste von vier Verhaltensweisen auf, die zu vermeiden sind. Während die Folgeverse jedoch jeweils abschließend die Strafe schildern, die Israel ereilt hat, schließt 10,7 mit einem wörtlichen Zitat von Ex 32,6b LXX.160 Durch die bei Paulus nur hier belegte Einleitung ὥσπερ γέγραπται ist es explizit als Schriftbezug markiert (s. o. ‎3.2.1). 154 Vgl. Zeller 2010, 330. Zeller weist darauf hin, dass sich eine ähnliche Formulierung, ἐπιθυμητής + γίνομαι mit Genitiv auch bei Josephus findet (Ag. Ap. 2,45). Dort ist sie im Gegensatz zu 1 Kor 10 allerdings eindeutig positiv besetzt und beschreibt das Verlangen, die Gesetze Gottes kennen zu lernen. Zurückhaltender äußert sich Fee 1987, 453. Ihn stört, dass Paulus diesen Bezug nicht weiter ausbaut. 155 Vgl. die inclusio Num 11,4.34 und dazu Schaller 2001, 178, und oben Anm. 152. 156 Schaller 2001, 179. 157 Schaller 2001, 179, vgl. TPsJ Num 11,4.33. 158 Vgl. Zeller 2010, 330. Auch Fee 1987, 453, Anm. 13, äußert sich zurückhaltend. Die Anspielung auf Num 11,34 möge vorhanden sein, werde hier jedoch nicht ausgebaut. 159 Vgl. Spec. 4,84, Decal. 173 (τῶν ἀδικημάτων πηγήν, ἐπιθυμίαν), ApcMos 19,3 und dazu Collier 1994. 160 Vgl. Fitzmyer 385; Schaller 2001, 177. Fee 1987, 454, meint, die Strafschilderung sei durch 10,5 vorweggenommen.

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Ex 32,1–6 schildert, wie Aaron ein goldenes Kalb anfertigt, nachdem die Israeliten ihn gebeten haben, ihnen einen Gott zu machen, da Mose nicht vom Sinai zurückkehrt. 32,6 beschreibt, wie die Israeliten dem Kalb Opfer darbringen und in seiner Gegenwart ein Kultfest feiern. Die Geschichte vom goldenen Kalb spielt eine zentrale Rolle in der kollektiven Erinnerung des Judentums. Sie ist gemeinhin zum Inbegriff des Götzendienstes geworden. Von daher verwundert es nicht, wenn sie auch in 10,7 als abschreckendes Beispiel für Götzendienst angeführt wird. Zugleich stellt der bloße Wortlaut des Zitats diese Verbindung jedoch nicht explizit her. Damit bietet 10,7 das bis hierher spezifischste Desintegrationssignal der Passage und ein wörtliches Zitat, dessen Gehalt und Funktion jedoch keineswegs auf der Hand liegen. 3.2.2.7 10,8 Auch 10,8 ist durch den Zusammenhang intertextuell markiert. Nach Götzendienst wird nun Sexualsünde161 thematisiert (πορνεύω). Zur Abschreckung wird daran erinnert, dass an einem Tag 23.000 Israeliten, die sich sexuell versündigt hatten, „fielen“ (ἔπεσαν μιᾷ ἡμέρᾳ εἴκοσι τρεῖς χιλιάδες). In Anbetracht der gängigen Verbindung von Götzendienst und Unzucht schließt 10,8 damit logisch an 10,7 an.162 Das Alte Testament thematisiert beides wiederholt zusammen (vgl. Ps 106; Sap 14,12 u. ö.). Sap 14,12 kann sagen: ἀρχὴ γὰρ πορνείας ἐπίνοια εἰδώλων.163 Im Rahmen der Mose-Exodus-Tradition werden die Motive in Num 25 zusammengebracht. Dort verführen die Moabiterinnen Israel nicht nur zur Unzucht (ὁ λαὸς ἐκπορνεῦσαι εἰς τὰς θυγατέρας Μωαβ Num 25,1), sondern auch zum Götzendienst, der darin besteht, den Götzen Opfer darzubringen, von ihnen zu essen und die fremden Götter anzubeten (καὶ ἔφαγεν ὁ λαὸς τῶν θυσιῶν αὐτῶν καὶ προσεκύνησαν τοῖς εἰδώλοις αὐτῶν Num  25,2). Daraufhin ereilt Israel eine Plage (πληγή) an der 24.000 Israeliten sterben (Num 25,9). Es herrscht weitgehender Konsens, diese Episode hinter 10,8 zu erkennen, schließlich fügt sich die Verbindung von Götzendienst, Götzenopferverzehr und Unzucht mühelos in den Briefzusammenhang ein.164 In zwei Details unterscheiden sich die Angaben in 1 Kor 10,8 jedoch von denen in Num 25:165 Zum einen spricht 1 Kor 10,8 von „fallen“ (ἔπεσαν), wenn Num 25,9 von „sterben“ spricht (τεθνηκότες). Zum anderen gibt Num 25,9 die Zahl der Ge161 Die Übersetzung „Sexualsünde“ anstelle der gängigen Übersetzung „Unzucht“ geht zurück auf einen Impuls von Prof. Dr. Florian Wilk in der Übersetzungssozietät seines Lehrstuhls. 162 Fee 1987, 455, vermutet überdies eine Veranlassung durch die in 1 Kor  5–7 geschilderten Probleme und sexuelle Ausschweifungen beim Götzenopfermahl. 163 Vgl. Fitzmyer 2008, 385. Vgl. ferner Ez 16; 23; Hos 1–3; 44,11–19; auch TestRub 4,6 f.11; 6,3; TestSim 5,3; Philo VitMos 1,302 f. und dazu Gäckle 2004, 262. 164 Vgl. Fee 1987, 455; Fitzmyer 2008, 386; Zeller 2010, 331; Schaller 2001, 177.180–181. 165 Vgl. Schaller 2001, 177.

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töteten mit 24.000 an. „[T]he infamous case of ‚the missing thousand‘“166 hat eine Vielzahl eher spekulativer Lösungsvorschläge hervorgebracht. Ob es „[t]röstlich ist, dass Josephus, ant. IV 155 sich gleich um 10000 vertut“167 sei dahingestellt. Es wird schwerlich festzustellen sein, ob Paulus sich schlicht irrte,168 es sich um eine Verwechslung oder Eintragung der 23.000 Leviten aus Num 26,62 handelt,169 Paulus bewusst eine Brücke zu den 3000 „an einem Tag“ Getöteten in Ex  32 schlagen möchte170 oder noch ganz andere Gründe zu dieser Differenz geführt haben.171 Möchte man den Wechsel von θνῄσκω zu πίπτω erklären, legt sich jedoch eine Beeinflussung von Ex 32,28 und damit dem Umfeld des Zitats in 10,6 nahe. Eine solche Verbindung der beiden Episoden ist schon bei Philo belegt (Spec. 3,126).172 Abermals zeigt sich, dass womöglich dort, wo sich konkrete Bezugstexte bestimmen lassen, weitere biblische Traditionen von Belang sind. 3.2.2.8 10,9 Als dritte Verhaltensweise, die entsprechend des Negativvorbilds der Väter zu vermeiden ist, nennt 10,9 Christus auf die Probe zu stellen (ἐκπειράζωμεν τὸν Χριστόν). Jene, die das getan hätten, seien durch Schlangen zugrunde gegangen (ὑπὸ τῶν ὄφεων ἀπώλλυντο).173 Es ist der Hinweis auf die Schlangen, der das Ziel der intertextuellen Digression anzeigt. Allein Num 21 erzählt von Schlangen als Strafe Gottes.174 Nachdem das Volk sich gegen Gott und Mose auflehnt, indem es über mangelnde Speise bzw. die Eintönigkeit der Versorgung klagt (Num 21,4 f.), sendet Gott Schlangen (‫נְ ָח ִׁשים‬/ὄφεις), deren Biss viele Israeliten tötet (Num 21,6). Abermals bezieht Paulus sich hier also auf einen Text, in dessen direktem Umfeld das falsche Verlangen nach Nahrung problematisiert wird.175

Fee 1987, 456. Zeller 2010, 331. 168 So etwa Conzelmann 1981, 206; Lang 1986, 125; vgl.  ferner Barrett 1968, Lietzmann 1949, Robertson/Plummer 1914 zur Stelle. 169 So etwa Julius 1999, 206; Wolff 1990, 219; Schaller 2001, 177. 170 S.o. Koet 1996, passim; Mody 2007, passim. 171 Dass Paulus eine abweichende Vorlage hatte, ist möglich aber unwahrscheinlich. „In Num 25,9 findet sich durchgängig die Zahl 24000, vgl. AntBibl 471; VitMos I,304, Virt 34ff; rabbinische Belege bei Strack/Billerbeck III, S. 410. Die Minuskel 81 (1044 n. Chr.), wenige griechische Handschriften, mehrere Handschriften der Vulgata sowie eine syrische Übersetzung, korrigieren 1 Kor 10,8 nach Num 25,9 hin“ (Julius 1999, 206 f., Anm. 86). 172 Vgl. Schaller 2001, 177. 173 Zur textkritischen Frage Christus oder Kyrios s. u. 3.4.3.2b. Schaller 2001, 181, hält Kyrios für ursprünglich, weil sich der Wechsel zu Christus leichter erklären ließe, als der von Christus weg. 174 In der Tat ist der Hinweis auf Schlangen spezifisch genug, diese Episode (und die von ihr abhängigen Texte) aufzurufen. Vgl. Fee 1987, 456, gegen Willis 1985. Vgl. auch Schaller 2001, 181. 175 Vgl. Schaller 2001, 182. 166 167

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Neben diesen Übereinstimmungen zeigen sich jedoch auch hier Unterschiede zwischen dem greifbaren Bezugstext und der Schilderung in 1 Kor 10. Nicht nur nutzt Num 25,6 LXX simples ἀποθνῄσκω, um die Folgen der Schlangenbisse zu beschreiben.176 Auch ist im Zusammenhang nicht davon die Rede, dass Israel den Kyrios, geschweige denn Christus, versucht habe. Willkürlich gewählt ist diese Beschreibung aber ebenso wenig. Im Rahmen der Exodus-Tradition geht das Motiv, Gott zu versuchen, zurück auf das Aufbegehren des Volkes in Ex 17.177 In Ex 17,2 entgegnet Mose auf die Forderung nach Wasser: τί πειράζετε κύριον und nach Ex 17,7 erhält der Ort wegen dieser Verfehlung den Namen Massa (‫מּסה‬/πειρασμός). ָ Sachlich ist dieses Geschehen also verwandt mit der Klage über das Essen in Num 21,5, auch wenn das Verhalten des Volkes dort mit καταλαλέω beschrieben wird.178 Der biblische Bericht weiß an verschiedenen Stellen darum, dass Israel Gott in der Wüste auf die Probe gestellt hat (vgl. etwa Num 14,22; Dtn 4,34; 9,22; 33,8; Ps 94,9 LXX; 105,14LXX). „Es wird zu einer Dauerhaltung […]. Paulus meint wohl, dass diese wiederholte Revolte gegen Gott in der Begebenheit Num 21,4f […] gipfelte“.179 Wenn Dtn 6,16 und Ps 77,18 LXX auf die Ereignisse in Massa zurückblicken und sie mit ἐκπειράζω schildern, bedienen sie sich der gleichen Wortwahl wie später Paulus. Bemerkenswerterweise sind die Berichte von Ex 17 und Num 21 bereits in diesem Psalm miteinander verbunden. Die Israeliten versuchen Gott, indem sie Speise verlangen, und hinterfragen Gottes Fähigkeit, sie zu versorgen. Von dieser oder einer ähnlichen Tradition wird die Schilderung in 10,9 beeinflusst sein.180 Insofern als 10,9 das Motiv der Schlangen aufruft, muss sich diese Aussage innerbiblisch auf Num 21,6 beziehen. Bei aller Ähnlichkeit fehlt dieser Zug wiederum gerade in Ps 78(77). Auch hier zeigt sich, wie der Text nicht in seiner biblisch überlieferten Form, sondern eingebettet in ein Traditionsnetz rezipiert wird. 3.2.2.9 10,10 Während den vorangegangenen Versen bei allen Eigenheiten der paulinischen Darstellung stets eine konkrete Bezugserzählung zugeordnet werden konnte, verhält sich dies mit der Ermahnung, nicht zu murren, in 10,10 anders. Das Murren ist ein beständiger Begleiter der Wüstenwanderung und findet sich in einer Vielzahl von Texten. Teils murrt (‫רגן‬/[δια]γογγύζω) Israel gegen Gott (Num 11,1 f.; Num 14,27.29), teils gegen Mose (Ex 15,24; 17,3), Aaron (Num 16,11) bzw. Mose und Aaron als dessen Vertreter (Ex 16,2 f.; Num 14,2.36. Num 17,6.20.25; vgl. auch Dtn 1,27 und Ps 105[104],25). In den meisten Fällen steht das Murren in einem expliziten Zusammenhang mit Israels Zweifeln, dass Gott es in der Wüste adäquat mit Stattdessen spricht Num 21,5.7 von καταλαλέω vgl. Schaller 2001, 181. Vgl. Zeller 2010, 332; Fitzmyer 2008, 386. 178 Vgl. auch Num 21,7 und Schaller 2001, 181. 179 Zeller 2010, 332. 180 Vgl. Schaller 2001, 182. 176 177

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Nahrung versorgt. Ex 16,7–9, Num 14 und Num 16,11 zeigen dabei, dass das Murren gegen Mose und Aaron einem Murren gegen Gott gleichkommt. Von einer Vernichtung Israels, wie 10,10 sie andenkt, ist jedoch nur bei wenigen dieser Texte die Rede.181 In Num 11,1 weckt das Murren den Zorn des Herrn, so dass ein Feuer das Lager trifft. Körperlichen Schaden scheint jedoch niemand zu erleiden. Nach Num 14,37 sterben die Kundschafter, die für das Murren des Volkes verantwortlich sind, an einer Plage. Auf lange Sicht jedoch kommt das ganze Volk in der Wüste um. In Bezug auf die Rotte Korach ist zwar in Num 16,11 vom Murren die Rede. Ihre anschließende Vernichtung ist aber nicht allein dadurch begründet. Schließlich weiß Num 17,11 um den tötenden Zorn Gottes infolge des Murrens gegen Mose und Aaron. In keinem dieser Fälle jedoch straft Gott sein Volk durch den Verderber (ὀλοθρευτής) wie 1 Kor 10,10 es beschreibt. Auch das Verb ἀπόλλυμι findet sich höchstens im weiteren Kontext dieser Begebenheiten (Num 14,12; 16,33; 17,27). Auf welche dieser Geschichten 1 Kor 10,10 anspielt, ist von daher kaum zu entscheiden.182 Der ὀλοθρευτής wird gemeinhin als Eintragung aus der Passa-Erzählung Ex 12,23 betrachtet. Der ‫מ ְׁש ִחית‬/ὀλεθρεύων, ַ der nach Ex 12,23 die ägyptische Erstgeburt schlägt, ist in der jüdischen Auslegungstradition zu einiger Prominenz gelangt.183 Tatsächlich tragen TPsJ und CN 1 den Todesengel in Num 17,11 ein.184 Auch Sap 18,25 sieht den ὀλεθρεύων in dieser Episode am Werk. Eine solche Tradition könnte auch hinter der Nennung in 1 Kor 10,10 stehen. 3.2.2.10 10,11 Wenn 10,11 anmerkt, dass all diese Dinge aufgeschrieben wurden, markiert der Vers das Vorangegangene damit noch einmal als intertextuell. Aufschlussreich ist die Angabe, es sei „uns“ zur νουθεσία geschrieben, „auf die die Enden der Äonen gekommen sind.“ „In der Exoduszeit ein Vorbild der eschatologischen Heilszeit zu sehen, ist ein unter Juden verbreiteter Gedanke.“185

Vgl. Schaller 2001, 182; Zeller 2010, 332. Schaller 2001, 182, neigt zu Num 14, da schon 10,5 auf dieses Kapitel anspielte. Fee 1987, 457 f., sieht dies aus inhaltlichen Gesichtspunkten ähnlich. Schließlich wird in Num das Urteil gefällt, dass die Exodusgeneration in der Wüste sterben muss. Bemerkenswerterweise steht das Murren in Num  14 damit aber untypischerweise nicht im Zusammenhang mit mangelnder Nahrung. Robertson/Plummer 1914, 206, ziehen Num 16,31 f. vor, „for we know of no other case in which the murmurers [themselves] were punished with death“. 183 Schaller 2001, 182, verweist auf TO und TPsJ I zum Vers. Zeller 2010, 332, denkt an Sap 18,25. In der sprachlichen Form ὀλοθρευτής begegnet diese Gestalt jedoch nur in christlicher Literatur, so Fitzmyer 2008, 387. 184 Vgl. Zeller 2010, 332. 185 Schaller 2001, 175, mit Verweis auf PsSal 17 und ApcBar(syr) 29,8. 181 182

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3.2.2.11 10,12 Das einleitende ὥστε weist die Mahnung, wer zu stehen meint, sehe zu, dass er nicht falle, als Folgerung aus dem Vorangegangenen und damit als selbstständigen Gedanken aus. Unbeschadet dessen spielt der Vers mit Vokabular, das der vorangegangenen Schilderung der Exodusgeschehnisse entnommen ist (für ἵστημι vgl. 10,7; für πίπτω vgl. 10,8). Dabei handelt es sich jedoch um einen Verweis auf der Briefebene, nicht um einen eigenständigen Verweis auf die Mose-Exodus-Tradition. 3.2.2.12 10,13 Auch die Erinnerung an Gottes Treue in 10,13 kommt ohne augenfällige Desintegrationssignale daher. Durch die Asyndese und den unklaren gedanklichen Anknüpfungspunkt ist die Funktion des Verses im Zusammenhang jedoch auffallend schwer zu bestimmen. Dies kann als kotextuelle Störung verstanden werden, so dass es sich zu fragen lohnt, ob eine intertextuelle Digression zum Verständnis des Verses beiträgt. Als Ausgangspunkt liegt das vorangestellte πειρασμός nahe, das das Thema des Verses angibt. In der Tat ist das Substantiv πειρασμός in der Septuaginta recht selten. Neben einer Nennung in 1 Makk 2,52, einer in Ps 94,8 und insgesamt sechs Nennungen bei Sirach, begegnet es nur in Exodus und Deuteronomium. Dort beschreibt es entweder, wie Israel Gott versucht (vgl. Ex 17,7; Dtn 6,16; 9,22), oder bezieht sich auf die Versuchungen, die Israel in der Wüste widerfahren (insb. die Ereignisse in Massa/Peirasmos, stets im Verbund mit den rettenden Wundertaten Gottes, vgl. Dtn 4,34; 7,19; 29,2). Die Prüfung durch Gott ist auch über diese Verse hinaus ein festes Motiv im Repertoire der Mose-Exodus-Erzählung.186 Auffällig ist jedoch, dass schon in diesen drei Versen die Verbindung von Versuchung und Treue Gottes angelegt ist. Gottes Treue wird zudem zumindest im Umfeld eines möglichen Bezugstextes direkt benannt (Dtn  7,9: κύριος ὁ θεός σου οὗτος θεός θεὸς πιστός). Neben Dtn 7,8 verwendet nur Dtn 32,4 das Adjektiv πιστός für Gott.187 Gleichwohl ist die Vorstellung von Gottes Treue biblisch so verbreitet und die Treueformel auch im Neuen Testament so gängig, dass hier nicht unbedingt ein konkreter Bezugstext in den Blick kommen muss. 3.2.2.13 10,14–17 In den Versen 10,14–16 sind keine biblischen Bezugnahmen markiert. 10,14 folgert aus dem biblischen Beispiel die Forderung, vor dem Götzendienst zu fliehen und 10,15 fordert die Adressaten als verständige Menschen auf, die Worte des Paulus 186 187

Zeller 2010, 335, verweist etwa auf Ex 15,25; 16,4; 20,20; Dtn 8,2.16; Sap 11,9. Vgl. Thiessen 2013, 106.

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zu beurteilen. Wenn 10,16 f. aus der Teilnahme am Herrenmahl auf die κοινωνία schließt, die durch das Herrenmahl gestiftet wird, bezieht sich der Vers auf die Herrenmahlstradition, wie sie auch in 1 Kor 11 verarbeitet ist, nicht aber auf einen alttestamentlichen Text. Für 10,17 hat Andrew Byers jüngst einen Bezug auf das Schma Israel vorgeschlagen. Er wertet das mehrfache, betonte εἷς als Desintegrationssignal.188 In Anbetracht der Anspielungen auf das Schma in 1 Kor 8,1–6 und der hohen Geläufigkeit des Textes, die einen Bezug auch bei geringer Markierung plausibel macht, ist dies durchaus erwägenswert, zumal ähnliche, dem Schma entlehnte Formulierungen regelmäßig in der Götzenpolemik begegnen.189 3.2.2.14 10,18–20 Welche Größe in 10,18 als Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα bezeichnet wird, bleibt umstritten. Einige denken an das Paulus gegenwärtige Israel und dessen Tempelkult. Andere an die Wüstengeneration am Sinai.190 In letzterem Falle, dem wie unten zu zeigen sein wird, der Vorzug zu geben ist, verwiese 10,18 zurück auf die in 10,7 angespielten Ereignisse um den Bundesbruch am Sinai. Mit der rhetorische Doppelfrage 10,19, ob er Götzenopferfleisch und Götzen eine Realität beimesse, möchte Paulus sich selbst erklären. Ein intertextueller Verweis findet sich nicht. Ein biblischer Bezug ist zwar auch für 10,20 nicht eigens angezeigt, sofern 10,18 vom biblischen Israel spricht, jedoch logisch geboten. Und tatsächlich ist die Aussage, dass „sie das, was sie opfern den Dämonen opfern und nicht Gott“ (ἃ θύουσιν, δαιμονίοις καὶ οὐ θεῷ) wörtlich aus Dtn 32,17a (ἔθυσαν δαιμονίοις καὶ οὐ θεῷ) entlehnt.191 Implizit ist die Anspielung durch die wiederholten Bezüge auf Dtn 32 markiert, die sich im Text finden (vgl. 10,4.22 und unten 3.2.3.3a). Zudem bringt die plötzliche Rede von Dämonen in 10,20 ein logisches Problem mit sich, das durch die intertextuelle Desintegration angezeigt und durch die Digression ausgeglichen werden könnte. Noch in 10,19 schien Paulus seine Eingangsbemerkungen aus Kapitel 8 aufzugreifen. Seine rhetorische Frage suggeriert, dass Götzenopferfleisch und Götze selbstverständlich nichts seien. Ganz so wie „wir wissen, dass kein Götze in der Welt ist und dass kein Gott ist außer einem“ (8,4). 10,20 spricht nun plötzlich doch davon, dass das falsche Opfer den Dämonen gilt, deren Gemeinschaft zu meiden ist (ἀλλ᾽ Vgl. Byers 2016, 524–526. Vgl. Waaler 2008, 440. Zur zeitgenössischen Prominenz des Schma vgl. Waaler 2008, 123–205, zur breiten Rezeption im NT vgl. Waaler 2008, 206–261. Zu einer detaillierten Analyse der Rezeption in 1 Kor 8,1–6 vgl. Waaler 2008, 303–439. 190 Vgl. Mitchell 1991, 93 und s. u. 3.4.7.1. 191 Offenbar wurde dieser Bezug oft genug nicht erkannt, so dass im Laufe der Textgeschichte τὰ ἔθνη als Subjekt eingetragen werden konnte. „This clarification, however, muffles the wit of Paul’s trope“ (Mitchell 1991, 93). 188 189

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ὅτι ἃ θύουσιν, δαιμονίοις καὶ οὐ θεῷ). Die Vorstellung von Dtn 32, dass es sich bei denen, die nicht Gott oder gar ein „Nicht-Gott“ sind (Dtn 32,21: παρεζήλωσάν με ἐπ᾽ οὐ θεω/‫א־אל‬ ֵ ֹ ‫)קנְ אּונִ י ְבל‬ ִ und dennoch angebetet werden, um Dämonen handelt, entschärft diese Spannung. Auch wenn Paulus den Bezug an dieser Stelle nicht deutlich anzeigt oder umfassend zitiert, so liegt es doch nahe, dass er Dtn 32,17 zumindest „verwendet“192. Dies wird in der Literatur nahezu einhellig anerkannt.193 3.2.2.15 10,21 Die eindringliche Versicherung, man könne weder zugleich den Kelch der Dämonen und den Kelch des Kyrios trinken, noch am Tisch beider teilhaben, schöpft in ihrer Zweiteilung aus der Analogie zum Herrenmahl. Über diese Vorstellung hinausgehende intertextuelle Bezüge sind nicht markiert, wurden jedoch von verschiedener Seite erwogen. Im Anschluss an Robertson/Plummer verweist Fitzmyer auf Mal 1,7.12, um die Formulierung τράπεζα κυρίου zu erklären.194 Mit ‫ׁש ְל ַחן יְ הוָ ה‬/τράπεζα ֻ κυρίου ist dort der Altar bezeichnet, auf dem unreine Speisen dargebracht werden. Die Formulierung würde folglich die kultischen Obertöne der Passage verstärken. Gleich Jes 65,11 hätte Paulus diese Bezeichnung in 10,21 auch auf heidnische Altäre ausgedehnt. Jes 65,11 LXX klagt die Israeliten an, durch ihren Götzendienst „dem Dämon“ einen Tisch zu decken (ἑτοιμάζοντες τῷ δαίμονι τράπεζαν). Fitzmyer erwägt etwas zögerlich, ob durch die Verarbeitung von Mal 1,7.12 auch die Auslassung des Artikels bei allen vier Genitiven des Verses erklärt werden kann, da er auch bei Maleachi fehlt.195 Aus einer anderen Warte kann 10,21 auch vor dem Hintergrund von Dtn  32 gelesen werden. Spielte 10,20 auf Dtn 32,17 an, bezöge 10,21 auch Dtn 32,16 mit der Zornesandrohung im Falle von Götzendienst mit ein.196

Zeller 2010, 341 mit Anm. 385. Vgl. Fitzmyer 2008, 393; Mitchell 1991, 93; Robertson/Plummer 1914, 216; Schaller 2001, 184; Schrage 1995, 443; Wilk 2017, 170, u. v. a. 194 Vgl. Fitzmyer 2008, 394. Robertson/Plummer 1914, 217, verweisen ferner auf die Bezeichnung des Altars als „Tisch vor dem Angesicht des Herrn“ bzw. „mein Tisch“ in der Tempelvision Ez 41,22; 44,16. Fitzmyer verweist überdies auf Jes 51,17 und Ez 23,31–33, um die Rede vom Kelch zu erklären. In beiden Fällen handelt es sich jedoch um Gerichtsansagen, die bis auf das Stichwort ποτήριον jede Ähnlichkeit mit 1 Kor 10 vermissen lassen. 195 Vgl. Fitzmyer 2008, 394, der gegen seine eigene Überlegung jedoch sogleich BDR § 259.3 ins Feld führt. Gleichwohl kann das Fehlen des Artikels auch an dieser Stelle als sprachliche Störung und damit halb-explizites Intertextualitätssignal aufgefasst werden. Eine plausible Erklärung ist die Imitation der hebräischen Konstruktusverbindung. Dies entscheidet jedoch noch nicht, ob ein Textverweis oder ein Hebraismus vorliegt. 196 Vgl. Fee 1987, 449, Anm. 38. O’Leary 2006, 84 f., beharrt auf einem Bezug zu Lev 10,9–19, den sie jedoch nicht begründet. Paulus korrigiere durch diesen Text ein falsches Verständnis von Ex 32. 192 193

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3.2.2.16 10,22 Eine verhältnismäßig deutlich lokalisierbare, wenn auch abermals nicht klar markierte biblische Bezugnahme findet sich in 10,22. Die rhetorische Frage „Wollen wir den Herrn eifersüchtig machen?“ (ἢ παραζηλοῦμεν τὸν κύριον;) ruft Gottes Klage Dtn 32,21 in Erinnerung, Israel habe ihn durch seinen Götzendienst eifersüchtig gemacht (παρεζήλωσάν με).197 Markiert ist dieser Bezug abermals allenfalls implizit durch die wiederholten Anspielungen auf Dtn 32 im Verlauf des Kapitels.198 Auch findet das Verb παραζηλόω in der Exodustradition nur hier und in Ps 77,58 LXX Verwendung. An sich begegnet das Motiv des zornigen und eifersüchtigen Gottes jedoch regelmäßig in der Mose-Exodus-Tradition, schwingt also ganz grundsätzlich im aufgerufenen Erzählzusammenhang mit (vgl. etwa Ex 20,4 f.; 34,14; Dtn 4,24; 5,9; Ps 77,58 LXX, ferner Jos 24,19).199 Herleitungsversuche für die zweite rhetorische Frage „Oder sind wir etwa stärker als er?“ (μὴ ἰσχυρότεροι αὐτοῦ ἐσμεν;), sind grundsätzlicherer Natur und stehen vor dem Problem, dass auch hier keine klare intertextuelle Markierung vorliegt. Brian Rosner möchte die Frage aus den Texten ableiten, die bereits im Hintergrund des Kapitels stehen, und könnte so immerhin eine weitere implizite Markierung dieses Bezugs für sich reklamieren. Namentlich stelle Num 14,13–19 eine Verbindung zwischen Gottes Stärke (ἰσχύς) und seinem Urteil über das rebellische Volk her.200 Gleiches tut Ex 32,11.201 Ferner mögen weitere Schriftworte im Hintergrund stehen, die Gottes unvergleichliche Stärke beschwören (vgl. etwa Hi 9,32; 37,23; Jes 45,9), teils im direkten Vergleich zur Stärke der Menschen (vgl. Pred 6,10b: οὐ δυνήσεται τοῦ κριθῆναι μετὰ τοῦ ἰσχυροῦ ὑπὲρ αὐτόν).202 Überdies weist Rosner darauf hin, dass abermals Dtn 32 im Hintergrund stehen mag, sei doch das gesamte Lied des Mose daraufhin angelegt, dem Volk vor Augen zu führen, wie Vertrauen in die eigene Stärke ins Verderben führt.203 Insbesondere die targumische Tradition hebe darauf ab, ersetze sie doch die Gottesbezeichnungen durchweg mit Variationen von „Stärke“, die sich so nur in diesem Kapitel finden.204

197 Fee 1987, 449, Anm. 38, denkt an einen engeren Zusammenhang zwischen dem bereits angespielten Vers Dtn  32,17 und 32,16: παρώξυνάν με ἐπ᾽ ἀλλοτρίοις ἐν βδελύγμασιν αὐτῶν ἐξεπίκρανάν με. 198 Vgl. etwa Fitzmyer 2008, 394; Mitchell 1991, 94; Robertson/Plummer 1914, 218; Rosner 1992, 173; Schaller 2001, 184; Schrage 1995, 447; Zeller 2010, 342. 199 Vgl. Fitzmyer 2008, 394; Zeller 2010, 342. 200 Vgl. Rosner 1992, 174. 201 Vgl. Rosner 1992, passim. 202 So Fitzmyer 2008, 395, im Gefolge von Robertson/Plummer 1914, 218: „some of which passages may have been in the Apostle’s mind when he thus reduced such an argument εἰς ἄτοπον.” 203 Vgl. Rosner 1992, 175. 204 Übersicht bei Rosner 1992, 176.

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

3.2.3 Potentielle Bezugstexte, ihr Verhältnis zueinander und zu 1 Kor 10 Der Versuch, die intertextuellen Markierungen unter Berücksichtigung möglicher Bezugstexte zusammenzutragen, fördert ein unübersichtliches Bild zu Tage. Dies gilt weniger für die intertextuellen Markierungen. Zwar sind nur wenige Bezugstexte explizit markiert. Jedoch zeigt der Text seinen intertextuellen Charakter deutlich an und sensibilisiert so für die Fülle halb-explizit und implizit markierter Bezugnahmen. Die Bezüge häufen sich in der ersten Texthälfte und sind dort auch deutlicher markiert. Die schwächer markierten intertextuellen Bezugnahmen in der zweiten Texthälfte beziehen sich auf biblische Zusammenhänge, die schon zuvor aufgerufen wurden. Damit stimmt der Schriftgebrauch in 10,14–22 mit dem stärker reflektierenden Charakter des Abschnitts überein. Unübersichtlich wird es jedoch, sobald der Versuch unternommen wird, konkrete Bezugstexte ausfindig zu machen. Vereinzelt lassen sich solche aufgrund markanter sprachlicher Übereinstimmungen feststellen (10,5.6.7.20) oder vermuten (10,4.10.17.22). Überwiegend verweisen die biblischen Bezugnahmen deutlich auf bestimmte Episoden der Exodustradition (10.1 f.3.4.8.9), weichen dabei aber im Wortlaut, wie in den Details vom biblischen Bericht in den Büchern Exodus und Numeri ab und scheinen Elemente dieser Erzählungen miteinander zu kombinieren (insb. 10,9 f.). Teils finden sich Ähnlichkeiten mit biblischen, oft paränetisch ausgerichteten Exodusrückblicken, jedoch können diese Übereinstimmungen keineswegs alle Eigenheiten der Darstellung erklären. Insgesamt drängt sich der Eindruck einer ebenso souveränen wie freien Verarbeitung von Exodustraditionen auf, die neben den biblischen Berichten auch Auslegungstraditionen kennt und berücksichtigt, die sich im kanonisch gewordenen Text so nicht finden. Besonders deutlich wird dies an der Diskussion, die die Identifikation des Felsens mit Christus umgibt (10,4). Ein weiteres solches Beispiel mag die Figur des ὀλεθρεύων in 10,10 sein. Insgesamt fällt auf, wie sich teilweise die gleichen alttestamentlichen Texte wiederholt als Bezugstexte anbieten. Einerseits drängt sich ihre Rezeption damit auf, andererseits führt sich der Argumentationsweg über implizite Markierungen selbst ad absurdum. Als implizit markiert gilt ein Bezugstext schließlich unter anderem dann, wenn im Zusammenhang mehrfach auf ihn angespielt wurde. Wenn keiner dieser Bezüge eindeutig ist, können sie einander jedoch auch nicht verifizieren. Im Lichte dieses Befundes stellen sich zwei Hauptfragen: 1. Lassen sich die Verbindungen zwischen den mutmaßlich angespielten Texten deutlicher fassen, sodass Text- und Traditionsräume sichtbar werden, in denen sich 1 Kor  10 gedanklich bewegen könnte? 2. Lassen sich vielleicht sogar gemeinsame Motive, eine dominante Auslegungstradition oder ein spezifischer Text identifizieren, an denen sich die intertextuelle Architektur der Passage ausrichtet? Das heißt: Findet sich das organisierende intertextuelle Prinzip in der Rezeption eines Textzusammenhangs? Lässt sich gar eine Primärerzählung ausfindig machen, die den Text gedanklich strukturiert und an deren Struktur sekundäre Bezüge anschließen? Oder bildet

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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eine Vorstellung das verbindende Glied der verschiedenen Bezugstexte, das demnach gedanklich und nicht textuell zu erfassen ist? Welches gedankliche Bindeglied organisiert in diesem Falle die Zusammenstellung und das Ineinandergreifen der Texte? In der Literatur finden sich verschiedene, einander widersprechende Vorschläge dieser Art. Um diese zu prüfen und beide Fragen zu beantworten, ist es notwendig, die erhobenen potentiellen Bezugstexte zunächst je einzeln in ihrem Ursprungszusammenhang zu verorten. Sodann können sie im Hinblick auf übernommene Elemente und markante Unterschiede mit dem Text des Korintherbriefs verglichen und auf thematische und motivische Übereinstimmungen befragt werden.205 Durchgängig ist auch die außerbiblische Tradition zu den entsprechenden Passagen zu beachten und auf ihren möglichen Einfluss auf die Rezeption zu befragen, da diese Traditionen Licht auf den möglichen Verstehenshorizont der Bezugstexte werfen können.206 Da kaum konkrete Bezugstexte auszumachen sind, können dabei kaum konkrete Veränderungen untersucht werden. Von umso größerem Interesse ist es jedoch abzugleichen, welche Elemente aufgegriffen und wie sie in einen neuen Zusammenhang gestellt werden. Verschafft man sich einen Überblick, welche Bezugstexte klar benannt werden können und welche wiederholt vorgeschlagen wurden bzw. sich nahelegten, entsteht eine Liste aus verschiedenen Texten der Exodusüberlieferung aus den Büchern Ex und Num, Teilen des Deuteronomiums, einer Gruppe von Exodussummarien in Ps und Neh, der Exodusadaption in Sap und einiger überwiegend verstreuter Verse aus der weisheitlichen und prophetischen Literatur.207 3.2.3.1 Die Erzählung vom Bundesbruch Ex 32 Begonnen werden soll die Untersuchung mit dem wörtlichen Zitat von Ex 32,6 in 1 Kor 10,7b. Durch das Zitat mit Zitationsformel ist die Erzählung vom Bundesbruch am Sinai der am deutlichsten markierte Bezugstext von 1 Kor 10. Angesichts dieser exponierten Rolle liegt es nahe, hinter Ex 32,6b das strukturierende intertextuelle 205 Da diese Fragen anhand der intertextuellen Markierungen nicht zu klären sind, müssen sie ganz von der Seite der Bezugstexte her angegangen werden, und da formale Textübereinstimmungen zu ihrer Klärung nicht auszureichen scheinen, wird die Erörterung sich verstärkt auf inhaltliche und damit unscharfe Kriterien stützen müssen. Vor allem Richard Hays Kriterium satisfaction kommt an dieser Stelle zum Tragen (s. o. Anm. 22). 206 Selbstredend sind die hier betrachteten biblischen Texte selbst Teile dieser Auslegungstradition, haben als biblische Texte jedoch trotz aller Unschärfe des Kanons im ersten Jahrhundert einen Stellenwert, der die gesonderte Untersuchung rechtfertigt. 207 Die erneute Untersuchung dieser Texte mit der hier gezeigten Ausführlichkeit ist trotz einer Fülle bereits vorliegender ähnlicher Untersuchungen, deren Ergebnisse über weite Strecken bestätigt werden, geboten. Denn diese behandeln die Texte entweder nur überblicksartig (so etwa Schaller 2001), beispielhaft (so etwa Habermann 1990; Oropeza 2000; Schneider 2011) oder anhand zu grober Kategorien (so etwa Cover 2015).

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Prinzip der Passage zu vermuten. Und es mangelt nicht an Vorschlägen, 1 Kor 10,1– 13 als eine Art Predigt über Ex 32 zu verstehen.208 Ex 32,6 καὶ ὀρθρίσας τῇ ἐπαύριον ἀνεβίβασεν ὁλοκαυτώματα καὶ προσήνεγκεν θυσίαν σωτηρίου καὶ ἐκάθισεν ὁ λαὸς φαγεῖν καὶ πιεῖν καὶ ἀνέστησαν παίζειν

1 Kor 10,7b ὥσπερ γέγραπται·

ἐκάθισεν ὁ λαὸς φαγεῖν καὶ πεῖν καὶ ἀνέστησαν παίζειν

Mit Ausnahme der buchstäblich um ein Iota abweichenden Schreibweise πεῖν statt πιεῖν ist das Zitat mit dem überlieferten LXX-Text von Ex 32,6b identisch. Ex 32,1–6 schildert, wie die Israeliten in Folge der langen Abwesenheit Moses auf dem Berg Sinai Aaron auffordern, ein Kultbild anzufertigen. Der Bericht gipfelt in der Akklamation des goldenen Kalbs als „Dein Gott Israel, der dich aus Ägypten geführt hat“ (Ex 32,4)209 und Kyrios (Ex 32,5) sowie der Kultfeier aus Brandopfern, Mahlzeit und Tanz (Ex 32,6). In der Folge kann Gott nur durch die Fürbitte des Mose davon abgebracht werden, das Volk zu vernichten (Ex  32,7–14). Mose gerät bei seiner Rückkehr vom Sinai mitten in die Kultfeierlichkeiten, zerstört im Zorn die ursprünglichen Gesetzestafeln und zwingt die Israeliten das zerstoßene und in Wasser aufgelöste Kultbild zu trinken (Ex 32,15–20). Nachdem er Aaron verhört hat, ruft er die Leviten zur Vergeltung auf (Ex 32,21–29). In der Folge werden 3000 Israeliten erschlagen (Ex 32,28). Auf erneute Fürsprache des Mose hin schiebt Gott die Vergeltung der Sünde Israels auf (Ex 32,30–35). Zwar hält er an seinem Versprechen an die Erzväter fest, kann nunmehr jedoch nicht mehr selbst mit dem „halsstarrigen“ Volk mitziehen, ohne es zu vernichten (Ex 33,3.5). 1 Kor 10,7 warnt vor Götzendienst und während andere Verse des Kapitels das Faktum des Götzendienstes noch anschaulicher beschrieben hätten, schließt der zitierte Satz besonders deutlich an die übergreifende Thematik des Briefabschnitts an: Essen und Trinken in pagan-kultischem Kontext.210 Die antiken Auslegungen heben hingegen vor allem auf das Spielen ab (‫ל ַצ ֵחק‬/παίζειν). ְ So macht der Targum deutlich, dass es um ein „Spielen in fremdem Dienst“ geht. Der Midrasch spricht vom Spiel mit den Götzen.211 Die Rabbinen leiten aus Ex 32,6 her „dass ‚sitzen‘ oder ‚sich setzen‘ in der Schrift überhaupt Unheil bedeutet“212. Anlass zu vielfältigen Auslegungen hat schon in der Antike die unklare Semantik des hebräischen ‫צחק‬ gegeben, das in Gen 26,8 sexuell konnotiert ist. Im Zuge der geläufigen Assoziation von Götzendienst und Unzucht, wie sie sich auch in der Episode aus Num 25 ausSo die Formulierung von Ellis 1978, 156. LXX betont die Abgötterei, indem sie den konventionellen Plural des Hebräischen ‫ֹלהיָך‬ ֶ ‫ ֱא‬mitübersetzt: οὗτοι οἱ θεοί σου Ισραηλ οἵτινες ἀνεβίβασάν σε ἐκ γῆς Αἰγύπτου. 210 Fee 1987, 454, denkt etwa an 32,6a oder 32,31c. 211 Vgl. Schaller 2001, 179, mit Verweis auf TPsJ und CN zur Stelle und ShemR 41,10. 212 Zeller 2010, 331, unter Verweis auf die Quellen bei Strack/Billerbeck 1965, 409 f. 208 209

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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drückt, auf die der Folgevers anspielt, kann diese Bedeutung durchaus auch hier mitschwingen.213 Einflussreich ist Wayne Meeks Vorschlag geworden, Ex  32,6b bestimme den gedanklichen Aufbau des Exodusreferats in 1 Kor 10,1–11.214 Wenn in 1 Kor 10 fünf Wohltaten Gottes (10,1–5) fünf Missetaten des Volks (10,6–11) gegenüberstünden, dann entspräche dies der Zweiteilung des Zitats. Das Volk stand auf, um zu essen und zu trinken, so wie 10,3 f. es berichten, und setzte sich, um zu spielen, d. h. all die Übel zu begehen, die 10,6–11 auflistet. Meeks gelingt es zwar zu demonstrieren, dass, zumindest in der rabbinischen Literatur, alle aufgezählten negativen Verhaltensweisen auf die ein oder andere Weise als „Spiel“ verstanden werden konnten. Jedoch ignoriert sein Vorschlag die Aussageabsicht des Verses in seinem Ursprungszusammenhang. Nach Ex  32,6 ist bereits das Essen und Trinken verwerflich, da es dem Götzen dient.215 Allein diese Beobachtung wäre noch kein ausreichendes Gegenargument. Paulus „freier“ Umgang mit der Schrift sorgt schließlich auch andernorts für erhebliche Irritation. Jedoch basiert Meeks Vorschlag überdies auf einer unscharfen Analyse der Textstruktur. Seine Aufteilung in zwei Mal fünf Verhaltensweisen, die sich sauber den beiden Hälften des Zitats zuordnen lassen, lässt sich nicht konsequent durchhalten (s. u. ‎3.4.3). Von anderer Seite ist Ex 32 insgesamt als Primärerzählung vorgeschlagen worden, die den Gedankengang von 1 Kor 10 auch über das direkte Zitat in 10,6 hinaus strukturiert. Denn als „the ultimate manifestation of Israel’s idolatry“216, Archetyp des Götzendienstes und der Entzweiung von Gott „the golden calf fiasco held a strong place in Jewish thinking“.217 So betont Bart Koet, 1 Kor 10 setze Ex 32 in seinem Erzählzusammenhang voraus. Ausgehend von Ex 32,28 entwickelt er einen Vorschlag, die Angabe in 1 Kor 10,8 zu erklären, es seien 23.000 Israeliten an einem Tag gefallen. Paulus verbinde Num 25,9 bewusst mit Ex 32,28 und drücke dies durch die Verschmelzung beider Angaben zur Zahl 23.000 aus.218 Dass er maßgeblich von Ex 32 her denkt, zeige die hohe Zahl sprachlicher Übereinstimmungen, namentlich der Aorist von πίπτω und die zeitliche Angabe, dies sei an einem/jenem Tag geschehen:219

Vgl. Fee 1987, 455. Fitzmyer 2008, 386, äußert sich dazu skeptisch. Vgl. Meeks 1982 und ihm folgend Collier 1994. 215 Vgl. dazu Zeller 2010, 331, gegen Meeks 1982, 69, und Collins 1999, 371. 216 Works 2014, 71. 217 Ciampa/Rosner 2010, 456. 218 Vgl. Koet 1996, 607 f.611. Mody 2007 führt Koets Gedanken fort und meint, Paulus komme auf die Zahl von 23.000, wenn er die Episoden zusammenzieht, weil er nur jene Toten zähle, die auf göttliches Geheiß von Menschenhand erschlagen wurden, nicht jene, die durch eine Plage umkamen (vgl. Mody 2007, 71). 219 Vgl. Koet 1996, 612. 213 214

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Ex 32,28b

1 Kor 10,8c

ἔπεσαν ἐκ τοῦ λαοῦ ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡμέρᾳ εἰς τρισχιλίους ἄνδρας

καὶ ἔπεσαν μιᾷ ἡμέρᾳ εἴκοσι τρεῖς χιλιάδες.

Num 25,9

1 Kor 10,8c

καὶ ἐγένοντο οἱ τεθνηκότες ἐν τῇ πληγῇ τέσσαρες καὶ εἴκοσι χιλιάδες

καὶ ἔπεσαν μιᾷ ἡμέρᾳ εἴκοσι τρεῖς χιλιάδες.

Durch die traditionsgeschichtliche Verbindung von Götzendienst und Unzucht verschmölzen 10,7 und 10,8 auch motivisch, so dass 10,8 die in 10,7 fehlende Vernichtungsdrohung für beide Vergehen zugleich nachholen könne: In 10,8 Paul places in a skillful way Ex 32,28 in the context of Num 25. Paul does not need to mention the punishment as described in 32,28 in 10,7, because he will use reminiscences to do it in 10,8c. In this way Paul kills two birds with one stone: 10,8c reminds the hearers of the punishment for idolatrous relations with the Moabite women as well as for the idolatry of the Golden Calf. This explains the absence of a punishment in 10,7. When Paul quotes Ex 32,6 and alludes to Ex 32,28, it is clear that he expects his hearers to be familiar with the material.220

Diese Deutung verschiebt die Wahrnehmung des Abschnitts 1 Kor 10,6–11 insgesamt. Da der gleichmäßige chiastische Aufbau dieser Verse durch die Überlänge des Zitats in 10,7 verzerrt wird, meint Koet ihre Mitte in der Strafaussage 10,8c zu erkennen.221 Durch all dies wolle Paulus seinen Adressaten die Gefahr vor Augen führen, trotz göttlicher Heilserweise und der Bundesbeziehung von Gott abzufallen.222 Die Rede vom Essen und Trinken im Angesicht der Gottheit sei im weiteren Zusammenhang des Buches Exodus für Bundesschlusshandlungen reserviert (vgl.  Ex  24,11 und 34,28). Entsprechend beschreibe 32,6 den Höhepunkt „of a pseudo-making of the Covenant“.223 Ein solches Vergehen sei im Lichte der Strafe Ex 32,28 zwar brandgefährlich, zugleich habe der Fortgang der Erzählung jedoch etwas Tröstendes, da Gott seinem Volk trotz der Strafe die Treue hält.224 Gewissermaßen kann hierin eine Parallele zum Trostwort 1 Kor 10,13 gesehen werden. Einem verwandten Gedanken folgt Jerry Hwang und weitet den Blick noch stärker: „Paul’s use of Exod 32:6 in 1 Cor 10:7 and the logical flow of 1 Cor 10:1–13 are best understood against the literary context of covenant making, breaking, and renewal in Exodus 19–34.“225 In diesem Themenfeld werde Ex 32 bereits durch die handelnden Akteure verortet. So trete das Volk (ὁ λαός) innerhalb von Ex 19–34 Koet 1996, 612 f. Koet 1996, 611: „[10,8c] is the middle of the structure and in that way it is emphasized. This stress is also marked by the content: by the mention of a great number (23.000) and by the explication ‚in one day‘.“ 222 Koet 1996, 614: „He reminds his audience that in spite of the delivery from Egypt and the making of a Covenant, Israel was apostate, when Moses was on the mountain. This is a warning for the Corinthians not to do the same.“ 223 Koet 1996, 613. 224 Vgl. Koet 1996, 613. 225 Hwang 2011, 575. 220 221

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allein beim Bundesgelübde und -mahl Ex 24,3.9–11 und beim Bundesbruch von Ex 32 in Erscheinung.226 Dieses Bundesmahl spiegele der zitierte Vers Ex 32,6b. Hwang versteht den Vers schon auf der Ebene des Exodus als „an ironic metalepsis for covenant making and breaking through a feast of disobedience“.227 Hier wie dort werden die gleichen Opfer dargebracht (vgl. Ex 24,5) und an diesen Stellen essen und trinken die Israeliten in der Gegenwart eines Gottes (vgl. die in Ex nur noch in 24,11 begegnende Kombination καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον).228 Der zitierte Vers Ex 32,6b, der sich an der Schnittstelle zwischen dem Bericht des Bundesbruchs und der Fürbitte des Mose befindet, bezeichne einen Wendepunkt in Israels Geschichte, an dem sein Schicksal noch in der Schwebe sei.229 „The typological correspondences between Israel and the Corinthians indicate that both generations felt no compunction for feasting unrighteously while pretending to live under God’s covenant“.230 Indem Paulus diese Situation auf die Situation seiner Adressaten abbildet, fordere er sie implizit dazu auf, dem Beispiel von Ex 24 zu folgen und nicht dem von Ex 32.231 Die Vorschläge von Koet und Hwang bieten eine gewisse Erklärung für die intertextuelle Strategie von 1 Kor 10,1–13, bringen aber keine Argumente bei, die andere Erklärungen ausschließen würden. Es ist folglich abzuwarten, wie stark die hier vorgeschlagenen Deutungen mit der Argumentationsanalye des Textes harmonieren. 3.2.3.2 Die Wüstenwanderungserzählungen nach Ex und Num a Passa und Aufbruch aus Ägypten Ex 12,1–42 In Anbetracht der Vernichtung durch den ὀλοθρευτής, von der 10,10 spricht, wird zumeist auf den Vernichtungsengel (ὀλεθρεύων/‫)מ ְׁש ִחית‬ ַ verwiesen, der nach Ex 12,23 die Erstgeburt der Ägypter tötet, an den blutbestrichenen Türpfosten der Israeliten jedoch vorübergeht. In der Auslegungstradition gewinnt diese Gestalt ein gewisses Eigenleben.232 Eine Anspielung auf diese Tradition stand womöglich schon hinter 1 Kor 5,5. In der Tat ist Ex 12,23 die einzige Stelle in Exodus und Numeri, die eine solche Gestalt kennt. Dabei gibt es nur wenige Berührungspunkte zwischen der Plagenerzählung des Buches Exodus und dem Referat der Wüstenzeit in 1 Kor 10, mit dem offensichtlichsten Unterschied, dass Ex 12 die Geschehnisse schildert, die

Vgl. Hwang 2011, 577. Hwang 2011, 584. 228 Vgl. Hwang 2011, 580 f. Zudem handele es sich bei der Bezeichnung des Abfalls als ‫ֲח ָט ָאה‬ ‫ גְ ד ָֹלה‬in Ex 32,21.30.31 um typische, auf Ehebruch gemünzte Bundessprache (vgl. Hwang 2011, 578). Hwang selbst arbeitet durchweg am hebräischen Text. 229 Vgl. Hwang 2011, 580. 230 Hwang 2011, 587. 231 Vgl. Hwang 2011, 586. 232 S.o. S. 119 und u. 168. 226 227

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zum Auszug aus Ägypten hinführen, 1 Kor 10 sich aber ganz auf die Ereignisse in der Wüste stützt.233 Wie unten gezeigt wird, existiert jedoch schon innerbiblisch die Tradition, das Ergehen der Israeliten in der Wüste den ägyptischen Plagen kontrastierend gegenüberzustellen. In diesem Zusammenhang findet sich auch in Sap die Gestalt des ὀλεθρεύων wieder. Dort ist der Vernichtungsengel in die Erzählung vom kultischen Abfall der Rotte Korach nach Num 17 eingetragen.234 b Wolken- und Feuersäule nach Ex 13,17–22 Ex 13,17–22 schildern den Aufbruch der Israeliten. Fast durchgängig wird Ex 13,21 als primärer Bezugstext von 1 Kor 10,1 benannt.235 In der kanonischen Erzählfolge berichtet Ex 13,21 erstmals von der Wolkensäule, in der JHWH Israel voranzieht. Gott führt das Volk auf einem Umweg in die Wüste ans Schilfmeer, um auf dem Weg abschreckende Widerstände zu umgehen (13,17–18). Es zieht von Sukkoth nach Etam. Dort geht Gott ihm tagsüber in der Wolkensäule voran, um es „den Weg zu führen“, nachts in der Feuersäule (Ex 13,21). „Weder wich die Wolkensäule bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht (von) vor dem Volk.“ (Ex 13,22) Doch eine große Ähnlichkeit zwischen dem biblischen Bericht und Paulus Angaben, die Väter seien „unter“ der Wolke gewesen (πάντες ὑπὸ τὴν νεφέλην ἦσαν 10,1) bzw. „in“ der Wolke getauft worden (ἐβαπτίσθησαν ἐν τῇ νεφέλη 10,2), findet sich nicht. Vielmehr betont Ex 13,21 f. gerade die Position der Wolke vor dem Volk. Einzig die Erzählreihenfolge von Ex 13–17, die Paulus in 10,1–4 aufgreift, verweist auf Ex 13,21 f. als möglichen Bezugstext. Allerdings ergänzt der Targum, dass die Wolkensäule des nachts zum Schutz zwischen Israel und seine Verfolger trat (TPsJ zu Ex 13,21). Zudem sei Israel bereits bei seinem Lager in Sukkoth von „Wolken der Herrlichkeit“ bedeckt gewesen (TPsJ zu Ex 13,20: ‫)סוכות אתר דאתחפיו בענני יקרא‬.236 Diesen Schutzgedanken hatte die targumische Tradition bereits in den Bericht vom endgültigen Auszug Israels aus Ägypten im Anschluss an die Tötung der Erstgeburt eingetragen. TPsJ zu Ex 12,37 weiß von sieben Wolken der Herrlichkeit zu berichten, die Israel in Sukkoth bedeckten (‫)תמן איתחפיאו ׁשבעת ענני יקרא‬: je eine Wolke auf allen sechs Seiten zum Schutz vor der Witterung und wilden Tieren und eine, die vorangeht, den Weg zu ebnen. Israel befindet sich folglich im Schutzraum der Wolken unter einer Wolke. 233 Vage Ähnlichkeiten in der Darstellung bestehen in der Rede von ganz Israel 12,3 und den Anweisungen, das Erlebte an die eigenen Kinder weiterzugeben 12,26. 234 Eine solche Tradition findet sich nicht nur hier. Schaller 2001, 183, Anm. 55, verweist für die Eintragung einer solchen Gestalt in den Erzählzusammenhang von Num 17 auf 4 Makk 7,11; CN Marginalia zu Num 17,11.12; bShab 89a; Tanch.15. 235 Vgl. Fee 1987, 444; Fitzmyer 2008, 381; Julius 1999, 203; Schaller 2001, 172; Zeller 2010, 327, u. v. a. 236 Vgl. Julius 1999, 203, Anm. 64.

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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Ähnliches berichtet TPsJ auch zu Num 14,14. Num 14,14 spricht von der Wolke der göttlichen Gegenwart auf dem Volk Israel (καὶ ἡ νεφέλη σου ἐφέστηκεν ἐπ᾽ αὐτῶν). Sachlich entspricht dem Paulus Angabe, die Väter seien unter der Wolke gewesen.237 Tatsächlich begegnet eine solche Vorstellung auch andernorts in der targumischen und rabbinischen Tradition, die gezielte Überlegungen zur Position der Wolke im Verhältnis zu Israel anstellt.238 Paulus Verortung Israels unter und in der Wolke, kann durchaus von dieser Vorstellung bestimmt und von Auslegungstraditionen zu Ex 13 angestoßen sein. So verstanden träte die schützende Funktion der unmittelbaren Gegenwart Gottes in den Vordergrund. c Die Rettung am Schilfmeer nach Ex 14 Ex 14 schildert die Rettung Israels am Schilfmeer und wird gemeinhin als hauptsächlicher Bezugstext von 1 Kor 10,1 f. angesehen. Auf Gottes Geheiß zieht das Volk an die Küste, um den Pharao und sein Heer, die ihnen nachsetzen, in einen Hinterhalt zu locken (14,1–9). Das Anrücken Pharaos versetzt die Israeliten jedoch in große Panik, so dass sie Gott zwar anrufen, Mose jedoch zugleich anklagen und sich zurück nach Ägypten wünschen. Mose habe sie nur aus Ägypten geführt, damit sie in der Wüste stürben (14,10–12).239 Mose fordert sie hingegen auf, stattdessen die Erlösung zu sehen (ὁρᾶτε τὴν σωτηρίαν/‫ׁשּועת יְ הוָ ה‬ ַ ְ‫)ּוראּו ֶאת־י‬, ְ die der Herr ihnen bereiten wird (14,13). Dieser werde für sie streiten und Israel möge ruhig sein (14,14). Sodann fordert Gott Mose auf, das Meer zu teilen, so dass Israel trockenen Fußes hindurchziehen kann (14,15 f.). Gott werde sich an den nachziehenden Ägyptern verherrlichen und sie erkennen lassen, dass er der Kyrios ist (14,17–18). Ex 14,19 f. bringt das Wolkenmotiv mit in die Erzählung ein und berichtet, wie zugleich der Engel des Herrn und die Wolke hinter das Volk treten, um es vor dem Heer der Ägypter abzuschirmen.240 Dieses Detail wird in der Auslegungsliteratur durchaus aufgegriffen und ausgeschmückt. Wenn Philo Ex 14,19 kommentiert, hebt er etwa hervor, dass die Wolke die Israeliten als Gottes geliebtes Volk vor Verfolgung schützte, Rettung brachte und gegen die Ägypter zur Waffe wurde.241 Dazu Julius 1999, 203: „Die Präposition ὑπό dürfte aber durch Num 14,14 präjudiziert sein.“ Eine ähnliche Tradition findet sich mit weiteren Ausschmückungen etwa auch im Targum zu Hld 2,6. Dort wehren die Wolken Feinde ab und die vorauseilende Wolke tötet Schlangen. MekhY zu Ex 13,21 diskutiert die Anzahl der Wolken und zählt sie, indem sie verschiedene Schriftstellen, die die Wolke in verschiedenen Positionen beschreibt, nebeneinanderstellt. Dort wird die Wolke der Wüstenzeit auch ganz selbstverständlich mit der eschatologischen Schutzwolke aus Jes 4,5 f. zusammengedacht. 239 Es ist dieses Verhalten, das in der übrigen Exodustradition mit dem Etikett „Murren“ belegt wird. 240 Hen(aeth) 89,24 spricht gleich davon, dass Gott sich zwischen seine „Schafe“ und die „Wölfe“ stellt. 241 Die Vorstellung von der Wolke als Waffe mag auf Ex 14,24 fußen. Dort lässt Gott aus der Feuersäule und der Wolke heraus einen „Schrecken“ auf die Ägypter fallen. 237 238

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Mose teilt das Meer nun wie geheißen, sodass Israel hindurchziehen kann (14,21 f.). Das nachsetzende ägyptische Heer wird von den zusammenströmenden Wassermassen erfasst (14,23–28). Zuvor erkennt es noch, dass der Kyrios in der Tat für die Israeliten kämpft (14,25). Das Kapitel endet mit einer knappen Rekapitulation des Rettungsgeschehens (14,23–31), das im folgenden Kapitel poetisch verarbeitet wird: Die Offenbarung der Macht Gottes am Schilfmeer bringt Gottesfurcht und Glauben hervor. Wenn der Meeresdurchzug auch zur Beglaubigung des Mose führt, klingt ein weiteres für das Buch Exodus zentrales Motiv an (14,31, vgl. Ex 4,1; 19,9). Wenn der Meeresdurchzug selbst mit den Worten εἰσῆλθον οἱ υἱοὶ Ισραηλ εἰς μέσον τῆς θαλάσσης (14,22) bzw. οἱ δὲ υἱοὶ Ισραηλ ἐπορεύθησαν διὰ ξηρᾶς ἐν μέσῳ τῆς θαλάσσης (14,29) beschrieben wird, ähnelt diese Ausdrucksweise jedoch nur entfernt der Formulierung in 1 Kor 10,1 f.242 Ex 14,22 … εἰσῆλθον οἱ υἱοὶ Ισραηλ εἰς μέσον τῆς θαλάσσης …

Ex 14,20

1 Kor 10,1 f.

… οἱ δὲ υἱοὶ Ισραηλ ἐπορεύθησαν διὰ ξηρᾶς ἐν μέσῳ τῆς θαλάσσης …

… οἱ πατέρες ἡμῶν … πάντες διὰ τῆς θαλάσσης διῆλθον καὶ πάντες εἰς τὸν Μωϋσῆν ἐβαπτίσθησαν ἐν τῇ νεφέλῃ καὶ ἐν τῇ θαλάσσῃ

Näher liegen Vorstellungen des Meeresdurchzugs, wie sie andernorts belegt sind, etwa in Ps 77,13 LXX. Allerdings findet sich in der rabbinischen Auslegungsliteratur gerade auch zu Ex 14,16 eine solche Vorstellung (vgl. MekhY ), „eine Art Tunnel“ durch das Meer, „so daß das ‚Umschlossensein von Wasser‘ der Vergleichspunkt wäre“.243 Insgesamt ist der Meeresdurchzug nach Ex 14 als Offenbarung der Macht Gottes angelegt (vgl. 14,4.8), die selbst Israels Feinde dessen Stärke erkennen lässt (14,4.25). Die Ironie, dass Israel, das diesen Machterweis am eigenen Leibe erfahren hat, später sein Vertrauen auf Gott verliert, ist damit bereits in der Erzählung angelegt, jedoch noch nicht weiter ausgeführt. Die Verzweiflung des Volks, das sich zurück nach Ägypten wünscht, im Vorfeld des Meeresdurchzugs, eröffnet jedoch schon die lange Reihe entsprechender Geschichten. Mose spielt bei all dem eine so herausragende Rolle (14,1.11.13.15.21.26.27), dass das gesamte Geschehen auch ihm als Diener Gottes zur Beglaubigung dient (14,31). Dies mag es Paulus erlaubt haben, den Meeresdurchzug als Taufe „auf Mose“ zu verstehen.244 242 MT formuliert in beiden Fällen ‫ּבתֹוְך ַהּיָ ם‬. ְ Dafür, dass Paulus komplizierte oder umschreibende Formulierungen vereinfacht, vgl. jedoch unten zu δόξα in 2 Kor 3 (4.2.3.1). 243 Merklein 2000, 245. 244 Vgl. Thiselton 2000, 724: „Baptism signifies being bound up with the one in whose name or in whose sphere or influence, a person is baptized.“ Besonders vor dem Hintergrund von Moses Fürbitte für das Volk in Ex 32, erscheint Mose als der Vertreter des Volkes, um dessentwillen Gott seine Treue wahrt.

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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Die Art und Weise wie 10,2 Wolke und Meeresdurchzug zu einem Taufereignis verschmilzt, lenkt besondere Aufmerksamkeit auf den Vers 14, wo der Wolke eine aktive Rolle beim Meeresdurchzug zukommt. Her. 203 f. schmückt das Ereignis so aus, dass der Wolke gleich die Aufgabe zukommt, auch das ägyptische Heer zu ertränken.245 So verstanden hieße dies, Israel habe vermittelt durch Mose Schutz und Rettung durch die Gegenwart Gottes erfahren, wie die Korinther es in der Taufe durch Christus tun. d Wasser in Mara nach Ex 15,22–27 Unmittelbar nach der Rettung am Schilfmeer und seiner poetischen Verarbeitung in Ex 15,1–18 zieht das Volk durch die Wüste nach Mara, kann das bittere Wasser dort jedoch nicht trinken (15,22 f.). Deshalb murrt es gegen Mose (διεγόγγυζεν ὁ λαὸς ἐπὶ Μωυσῆν/15,24) (‫)וּיִ ֹּלנּו ָה ָעם‬. Mithilfe eines Holzes, das Gott ihm zeigt, macht Mose das Wasser genießbar (15,25). 15,26 weist auch dieses Erlebnis als Prüfung aus. (ἐκεῖ ἐπείρασεν αὐτὸν/‫)וְ ָׁשם נִ ָּסהּו‬. Ehe berichtet wird, dass das Volk ins wasserreiche Elim gelangt (15,27), veranschaulicht eine an den Gesetzesgehorsam gekoppelte Segenszusage Gottes die Relevanz der Episode vor dem Hintergrund von Gesetzesgehorsam und Bundestreue.246 Auf die kurze Erzählung Ex 15,22–27 wird erstaunlich selten als Bezugstext für 10,4 verwiesen, vermutlich, weil die Rede vom Felsen dort ausdrücklich auf Ex 17 weist. Dennoch ist das Thema „Wasser in der Wüste“ schon hier angedacht und ausdrücklich mit dem Gedanken einer Prüfung durch Gott (15,25) und des Murrens gegen Gott (15,24) verbunden. Beides sind zentrale Gedanken für 1 Kor 10.247 e Die Speisung mit Manna Ex 16 Die Speisung mit Manna Ex 16 gilt gemeinhin als der maßgebliche biblische Bezugstext für 1 Kor 10,3.248 Von Elim aus gelangen die Israeliten in die Wüste Sin (16,1), wo 245 Daraus, dass nach Her. 204 Weisheit aus der Wolke regnet, schließt Sandelin 1997, 168–179, zurück auf die Taufaussage: „The Red Sea, which the fathers went through on dry ground, was the location where they were baptized into Moses in the Cloud“. Dort wurden die Väter insofern „in der Wolke“ getauft, als ihre Weisheitstropfen auf sie vielen. „Auf Mose“ wurden sie getauft, weil Weisheit auch Gesetzeslehre heißen kann und das Gesetz damit schon hier präfiguriert ist. Dazu berechtigterweise Zeller 2010, 327, Anm. 301: „Hier handelt es sich aber kaum um Tradition.“ 246 Wenn Gott Israel versichert, er werde die Krankheiten, die er über Ägypten gebracht hat, von Israel fernhalten (15,26), mag dies eine der Wurzeln sein, die dazu geführt hat, das Ergehen Israels und das der Ägypter einander kontrastierend gegenüber zu stellen (s. u. 3.2.3.5). Eine Parallele findet sich Dtn 7,15. Ex 23,25 lässt den Bezug auf Ägypten fallen und erweitert: „Wenn Ihr dem Herrn eurem Gott dient, wird er dein Brot und dein Wasser segnen [LXX: Brot, Wein und Wasser]. Ich werde Krankheiten von dir fernhalten.“ Das mag insofern von Belang sein, als die unmittelbar vorangehenden Verse Götzendienst und die Anfertigung von Kultbildern verbieten. 247 Vgl. Zeller 2010, 331.335. 248 Vgl. Fee 1987, 446; Fitzmyer 2008, 382; Julius 1999, 204; Schaller 2001, 172; Wilk 2017, 170; Zeller 2010, 327 u. v. a.

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

sie aus Hunger gegen Mose und Aaron murren (16,2 διεγόγγυζεν πᾶσα συναγωγὴ υἱῶν Ισραηλ ἐπὶ Μωυσῆν καὶ Ααρων / ‫ל־ע ַדת ְּבנֵ י־יִ ְׂש ָר ֵאל ַעל־מ ֶֹׁשה‬ ֲ ‫)וַ ּיַ ִּלינּו( ]וַ ּיִ ּלֹונּו[ ָּכ‬ ‫ל־א ֲהר ֹן ַּב ִּמ ְד ָּבר‬ ַ ‫ )וְ ַע‬und sich wünschen, durch die Hand des Herrn an den Fleischtöpfen Ägyptens gestorben, statt zum Hungertod in die Wüste geführt worden zu sein (16,3). Gott verheißt Mose daraufhin, das Volk mit Himmelsbrot zu versorgen (ἰδοὺ ἐγὼ ὕω ὑμῖν ἄρτους ἐκ τοῦ οὐρανοῦ) (16,4). In einer verschachtelten Erzählung teilt Gott Mose zunächst die Details und Regeln der Versorgung mit Manna mit: bis auf den sechsten Tag, an dem Vorräte für den Sabbat zu sammeln sind, sollen keine Vorräte gebildet werden (16,4 f.). Sodann teilen Mose und Aaron dem Volk mit, dass Gott sein Murren gehört habe und es mit Fleisch und Brot versorgen werde (16,6–8). Schließlich erscheint die Herrlichkeit Gottes in einer Wolke (16,10: ἡ δόξα κυρίου ὤφθη ἐν νεφέλῃ) und Gott verheißt Mose abermals die Versorgung mit Fleisch und Brot (16,9–12). In der Tat wird das Lager am Abend von Wachteln bedeckt und am Morgen finden die Israeliten das Manna vor. 16,13–31 erzählen das eigentliche Mannawunder. Einige Israeliten sammeln zu viel und erzürnen auf diese Weise Mose (16,19–20). Das Kapitel schließt mit der Notiz, dass etwas Manna für die nachfolgenden Generationen im Heiligtum aufbewahrt wird (16,31–33) und dass die Israeliten das Manna die vollen 40 Jahre ihrer Wanderung aßen (ἔφαγον) (16,34–36). Auch der Speisung mit Manna wird schon auf der Ebene des Exodustexts eine tiefere theologische Bedeutung beigemessen. Durch sie möchte Gott Israels Gehorsam prüfen (16,4: ὅπως πειράσω αὐτοὺς εἰ πορεύσονται τῷ νόμῳ μου ἢ οὔ) und es abermals erkennen lassen, dass er, der Kyrios, ihr Gott ist (16,12: καὶ γνώσεσθε ὅτι ἐγὼ κύριος ὁ θεὸς ὑμῶν). Wenn Israel hingegen gegen Mose und Aaron murrt, gilt dieses Murren eigentlich Gott (16,8). Das Manna hat Anlass zu vielfältigen Deutungen gegeben. Besonders markant sind Philos allegorische Deutungen des niederregnenden Manna nach Ex 16,4 auf die göttliche Weisheit (Mut. 259: τροφὴν ἐνδίκως ὕεσθαι λέγει, ὅτι μὴ τὴν οὐράνιον σοφίαν;), die göttliche Vernunft (Leg. 3,162: τρέφεται ἡ ψυχή […] οἷς ἂν ὁ θεὸς ὀμβρήσῃ λόγοις)249 und das Wort und den Logos Gottes, aus dem wiederum Weisheit fließt (Fug. 137: ῥῆμα θεοῦ καὶ λόγον θεῖον, ἀφ᾽ οὗ πᾶσαι παιδεῖαι καὶ σοφίαι ῥέουσιν ἀένναοι). Philo vermag das Manna zum höchsten Gut zu erklären. Jene, die das Wasser in der Wüste aus dem Felsen der Weisheit getrunken haben (!), würden auch mit Manna gefüllt (Leg. 2,86: ποτισθεῖσαι δὲ καὶ τοῦ μάννα ἐμπίπλανται τοῦ γενικωτάτου καλεῖται γὰρ τὸ μάννα "τί"). Die Relevanz dieser Auslegungslinie wird in Anbetracht des Vorschlags, die Identifikation des Felsens mit Christus in 1 Kor 10,4c speise sich aus solcherlei Weisheitsspekulationen, ernsthaft zu bedenken sein. Wörtliche Übereinstimmungen zwischen Ex 16 und 1 Kor 10,3 finden sich bis auf das gängige ἔφαγον nicht. Motivisch betont Ex 16 jedoch die himmlische Herkunft 249

Vgl. auch Leg. 3,169 zu Ex 16,13 und Num 11,7.

3.2 Die intertextuelle Erkundung

111

des Manna. Dies mag sich in der Bezeichnung πνευματικὸν βρῶμα niederschlagen und bietet verschiedene andere Anknüpfungspunkte für das weitere Exodusreferat in 1 Kor 10: Gottes Gegenwart in der Wolke, das Murren der Israeliten, und ihre Versuchung durch Gott. f Wasser aus dem Felsen nach Ex 17,1–7 Die üblicherweise angeführten Bezugstexte für 1 Kor 10,4 finden sich in Ex 17 und Num 20,11.250 Ex 17 berichtet, wie Mose auf Gottes Geheiß Wasser aus dem Felsen hervorgehen lässt. Von der Wüste Sin zieht das Volk weiter nach Refidim, wo ihm jegliches Wasser fehlt (17,1). TPsJ verbindet diese Geschichte mit der Frage des Gesetzesgehorsams durch das Detail, dass die Israeliten sich nicht in den Geboten übten. Das Volk wendet sich gegen Mose und fordert von ihm Wasser (17,2). Wie schon im Fall des Murrens Ex 16,8 wirft Mose daraufhin Israel vor, den Kyrios auf ְ die Probe zu stellen (17,2: τί λοιδορεῖσθέ μοι καὶ τί πειράζετε κύριον / ‫מה־ּת ִריבּון‬ ‫ה־ּתנַ ּסּון ֶאת־יְ הוָ ה‬ ְ ‫)ע ָּמ ִדי ַמ‬. ִ Ferner murrt das Volk gegen Mose (καὶ ἐγόγγυζεν ἐκεῖ ὁ λαὸς πρὸς Μωυσῆν) und bringt die bereits vertraute Anklage vor, er habe es nur aus Ägypten geführt, um es umkommen zu lassen (17,3). Mose ruft in seiner Verzweiflung Gott an (17,4), der ihn auffordert, mit seinem Stab auf einen Felsen zu schlagen,251 auf dem Gott selbst am Horeb stehen wird.252 Daraufhin bringt der Fels Wasser hervor (17,5 f.) Mose nennt den Ort „Massa und Meriba“ (LXX: πειρασμὸς καὶ λοιδόρησις), weil die Israeliten dort an der Gegenwart Gottes unter ihnen zweifelten (διὰ τὸ πειράζειν κύριον λέγοντας εἰ ἔστιν κύριος ἐν ἡμῖν ἢ οὔ) (17,7). Auch hinsichtlich des Wassers aus dem Felsen ist die bei Philo bezeugte Weisheitsallegorie von Belang. „Philo deutet das Manna und den Felsen immer wieder auf den göttlichen Logos und auf die Sophia, die in der Weisheitsliteratur als Gastgeberin und Nahrungsspenderin gezeichnet wird.“253 Nach Leg. 2,86 ist der Fels die Weisheit (ἡ γὰρ ἀκρότομος πέτρα ἡ σοφία τοῦ θεοῦ ἐστιν), die den Durst der Leidenschaften (δίψα τῶν παθῶν) stillt. Sollte Paulus sich auf eine solche Tradition berufen, hat er allerdings „die bei Philo vollzogene Spiritualisierung […] z. T. wieder rückgängig gemacht […]. Dadurch kommt bei Paulus auch Israel in den Besitz von Sakramenten, die den christlichen vergleichbar sind“.254 Ansonsten zeigt auch der biblisch überlieferte Text von Ex  17,1–7 bis auf das Schlagwort πέτρα (17,6) kaum wörtliche Übereinstimmungen mit 1 Kor 10. Es finden sich jedoch zwei zentrale motivische Anknüpfungspunkte: Auch hier versucht das Volk Gott und murrt gegen Mose. Der Ortsname Massa/Peirasmos lässt Ex 17,1– Vgl. Fitzmyer 2008, 382; Julius 204; Schaller 2001, 172; Wilk 2017, 170; Zeller 2010, 328, u. v. a. Mose soll ausdrücklich den Stab nehmen, mit dem er auf den Nil geschlagen hat (17,6). Schon hier mag also die Parallelisierung ägyptische Plagen/Wohltaten an Israel angelegt sein 252 TPsJ spezifiziert, Gott stünde dort, wo Mose den Fußabdruck am Horeb sah. 253 Klauck 1982, 245. 254 Klauck 1982, 245. 250 251

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

7 zur archetypischen Versuchungsgeschichte werden. Überdies mag die Angabe, Gott selbst werde auf dem Fels stehen (17,6) die Identifikation des Felsens mit einem göttlichen Wesen, wie sie sich bei Philo und bei Paulus findet, angebahnt haben. g Aufbruch vom Sinai Num 10 Der Bericht vom Aufbruch am Sinai, Num 10, ist im Hinblick auf die Charakterisierung der Wolke interessant. Ihr Schutzcharakter ist in der Darstellung besonders stark ausgeprägt. Num 10,11–36 berichtet vom Aufbruch des Volkes Israel vom Sinai. Anlass dazu gibt der Aufbruch der Wolke, die sich vom Heiligtum erhebt, voran in die Wüste Paran zieht (10,11 f.) und die Lagerplätze anzeigt (10,33). Tagsüber befindet sie sich über dem ziehenden Volk und „überschattet“ es (10,36 LXX: αὶ ἡ νεφέλη ἐγένετο σκιάζουσα ἐπ᾽ αὐτοῖς ἡμέρας/10,34 MT: ‫יֹומם‬ ָ ‫יהם‬ ֶ ‫)וַ ֲענַ ן יְ הוָ ה ֲע ֵל‬. Die Wolke wird mit der Gegenwart Gottes identifiziert, die Israels Feinde vertreibt (10,35 f.). Die Targumim führen die Vorstellung aus, dass die Wolke das Volk überschattet oder überdacht (TO ‫מ ַטל‬/TPsJ ַ ‫)מטלל‬. CN beschreibt sie, die „Wolke der Herrlichkeit der Shekhina“, als einen Schild (‫)מגן‬. Derartige Vorstellungen könnten durchaus hinter der Formulierung ὑπὸ τὴν νεφέλην ἦσαν in 1 Kor 10,1 stehen. h Die Gräber des Begehrens Num 11 In Num 11 wird gemeinhin der wesentliche Bezugstext zu 10,6 ausgemacht.255 Das Kapitel sammelt weitere Geschichten über die Klagen des Volkes und Gottes Strafhandeln. Zunächst murrt das Volk über seinen Zustand (11,1: ἦν ὁ λαὸς γογγύζων πονηρὰ ἔναντι κυρίου), woraufhin Gottes Zorn entbrennt und nur die Fürbitte des Mose einem Straffeuer im Lager Einhalt gebieten kann (11,1–3). Sodann werden die Israeliten von den Fremden unter ihnen dazu verführt, Fleisch zu begehren (11,4: ὁ ἐπίμικτος ὁ ἐν αὐτοῖς ἐπεθύμησαν ἐπιθυμίαν), sich nach Ägypten zurückzusehnen und des Mannas, mit dem Gott sie nach wie vor versorgt, überdrüssig zu werden (11,4–9). Nachdem Mose Gott sein Leid geklagt hat, kündigt dieser an, das Volk einen vollen Monat lang mit Fleisch zu versorgen, bis ihm davor ekele (11,10–21).256 In der Tat fallen Wachteln im Übermaß auf das Lager. Noch während die Israeliten sie verzehren, entbrennt der Zorn Gottes jedoch aufs Neue und er schlägt sie „mit 255 Vgl. Fee 1987, 453; Fitzmyer 2008, 385; Julius 1999, 206; Schaller 2001, 177; Wilk 2017, 170; Zeller 2010, 330, u. v. a. Zu Mitchells Vorschlag Num 11 auch als Bezugstext von 1 Kor 10,5 zu sehen s. o. 3.2.2.4. 256 Mit der Geschichte verwoben ist ein zweiter Handlungsstrang, in dem Gott Mose befiehlt, siebzig Älteste zu versammeln, die Mose fortan helfen sollen, die Last des Volkes zu tragen. Als diese sich um die Stiftshütte versammeln, erscheint der Kyrios in einer Wolke und lässt den Geist, der vorher allein auf Mose ruht auch auf jene fallen (11,16 f.24–30). Oropeza 2017, 127, sieht diese Episode hinter 1 Kor 10,2 stehen: Weil die Wolke in Num 11,16–30 den Geist spendet, kann Paulus sie im Taufgeschehen, das ja ebenso den Geist vermittelt, verorten.

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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einer großen Plage“ (11,31–33). Der Name des Ortes wird mit „Gräber des Begehrens“ angegeben, „weil Gott dort das Volk schlug, das begehrte“ (μνήματα τῆς ἐπιθυμίας ὅτι ἐκεῖ ἔθαψαν τὸν λαὸν τὸν ἐπιθυμητήν) (11,34). Der Nachdruck, mit dem Num  11 das Problem der ἐπιθυμία behandelt, und die umständliche und sonst ungebräuchliche Formulierung mit ἐπιθυμητής in 1 Kor 10,6, macht den Bezug auf Num 11,34 sehr wahrscheinlich. Gut zum Anliegen von 1 Kor 10 passt auch, dass Num 11 die Begierde nach Nahrung bzw. Fleisch verhandelt – ein Aspekt, den zeitgenössische Auslegungen noch betonen (vgl. Spec. 4,129 f.). Auch das Motiv des Murrens findet sich hier (11,1). Allerdings erwähnt Paulus die in Num 11 breit geschilderte Strafe, die auf Gottes Zorn folgt (11,1.10) mit keinem Wort.257 i Das Murren in Num 14 Num 14 steht mit einiger Sicherheit hinter der Angabe, die meisten der Väter seien in der Wüste umgekommen (10,5). Num 14,16

1 Kor 10,5

παρὰ τὸ μὴ δύνασθαι κύριον εἰσαγαγεῖν τὸν λαὸν τοῦτον εἰς τὴν γῆν ἣν ὤμοσεν αὐτοῖς κατέστρωσεν αὐτοὺς ἐν τῇ ἐρήμῳ

Αλλ᾽ οὐκ ἐν τοῖς πλείοσιν αὐτῶν εὐδόκησεν ὁ θεός, κατεστρώθησαν γὰρ ἐν τῇ ἐρήμῳ.

Das Verb καταστρώννυμι findet sich in LXX sonst nur noch in Judith, 2 Makk und Hiob.258 Im NT findet es sich nur hier. Dass auch diese Worte sich nach Num 14,16 im Munde des Mose als mögliche Spottworte der Fremdvölker gegen Gott finden, mag zwar irritieren. Dennoch beschreiben sie treffend das Schicksal der Israeliten. Die Seltenheit des Verbs spricht für eine intendierte Aufnahme.259 Nachdem Num 13 berichtet hatte, wie Mose Kundschafter ins Land Kanaan aussendet, deren Bericht das Volk jedoch tief verunsichert, berichtet Num 14 von der Weigerung des Volkes ins gelobte Land zu ziehen (14,1–10), Moses Eintreten vor Gott, das die Vernichtung der Israeliten verhindert (14,10–19)260, und der Verhängung der Strafe: niemand aus dem murrenden Volk werde das Land jemals betreten (14,20–35). Das Kapitel schließt mit dem Straftod der Kundschafter (14,36–38) und dem vergeblichen Versuch des Volks, das Land ohne den Segen Gottes einzuneh257 Vgl. Julius 1999, 206: „Auffälligerweise wird die in Num 11,33f und Dtn 9,22 berichtete Straffolge nicht aufgenommen; darin steht die Aufnahme des Motivs der Überlieferung in Ps 106,14 nahe.“ 258 Vgl. Judith 7,14.25; 12,1; 14,4; 2 Makk 5,26; 11,11; 12,28; 15,27; Hi 12,23. Eine allem Anschein nach zufällige thematische Berührung findet sich in Judith 12,1. Dort befiehlt Holofernes, Judith nur von seinem eigenen Wein zu trinken zu geben und für sie nur das sonst ihm vorbehaltene Fleisch zu schlachten (καὶ συνέταξεν καταστρῶσαι αὐτῇ ἀπὸ τῶν ὀψοποιημάτων αὐτοῦ καὶ τοῦ οἴνου αὐτοῦ πίνειν), was sie um ihres Glaubens willen ablehnt. 259 Vgl. Fee 1987, 175; Fitzmyer 2008, 384; Schaller 2001, 175; Wilk 2017, 170, u. v. a. 260 Vgl. auch die Fürbitten des Mose nach Ex 32,11–13 und Num 14,13–19.

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

men (14,39–45). Mit Num 14 endet der erzählende Teil des Numeribuchs zunächst. Num 15 fährt mit Verordnungen zu Speis- und Trankopfern fort. Der Bericht von Num 14 ist reich an Motiven, die auch 1 Kor 10 aufnimmt. Besonders ins Auge fällt die Rede 14,13–19, mit der Mose Gott davon abbringen möchte, sein Volk zu vernichten. Täte er dies, so würden die Bewohner des Landes über ihn spotten. Schließlich wüssten sie, dass Gott bei den Israeliten gegenwärtig ist (σὺ εἶ κύριος ἐν τῷ λαῷ τούτῳ), „Auge zu Auge“ von ihnen gesehen wird (ὀφθαλμοῖς κατ᾽ ὀφθαλμοὺς ὀπτάζῃ), dass seine Wolke über ihnen steht (ἡ νεφέλη σου ἐφέστηκεν ἐπ᾽ αὐτῶν) und er ihnen in Wolken- und Feuersäule vorangeht (ἐν στύλῳ νεφέλης σὺ πορεύῃ πρότερος αὐτῶν τὴν ἡμέραν καὶ ἐν στύλῳ πυρὸς τὴν νύκτα). Einmal mehr symbolisiert die Wolke die Gegenwart Gottes. Dabei „schimmert die Tradition der über der Stiftshütte lagernden Wolke durch“261. Der Schutzgedanke wird in der Auslegungstradition auch hier noch deutlicher herausgearbeitet. LXX, MT und targumische Überlieferung sind sich darin einig, dass die Wolke „über“ das Volk „gestellt“ ist. Die targumische Tradition spezifiziert Gottes Anwesenheit als die ‫ָּכבֹוד‬ der Shekhina, die das Volk gesehen hat, und Offenbarung in der Memra (CN), bzw. Shekhina der ‫( ָּכבֹוד‬TO). TPsJ führt aus, dass die Wolke das Volk überschattet hat, sodass weder Hitze noch Regen ihm schaden konnte. LAB 15,5 zu Num 14 zählt die Wolke als eine der Wohltaten Gottes auf. Sie ist „bestimmt als Schatten für ihr Haupt“ (et nubem posui in umbraculum capitis eorum) und wird in einer Reihe mit Gottes erfüllten Verheißungen, mit dem Niederwerfen der Feinde der Israeliten und dem Schutz durch Engel unter ihren Füßen genannt. Num  14 kennt ebenso das Versuchungs- (14,22) wie auch sehr prominent das Murrmotiv (14,2.27.29.36) und spricht von Gottes strafendem Zorn (14,34), der dazu geführt habe, dass die Israeliten in der Wüste „fielen“ (14,29: ἐν τῇ ἐρήμῳ ταύτῃ πεσεῖται τὰ κῶλα ὑμῶν). Überdies erweist sich nach Num 14 Gottes Stärke (ἰσχύς) darin, das Volk Israel aus Ägypten geführt zu haben und ins gelobte Land bringen zu können.262 j Das Kultvergehen Num 16 Die Episode Num  16 (MT 16,1–17,15) kommt auf der Suche nach möglichen Bezugstexten zu 1 Kor 10 nur über Umwege in den Blick, zeigt dann aber doch einige signifikante Berührungspunkte. Num  16 berichtet vom Aufstand der Leviten um Korach, die sich gegen die Sonderstellung Moses und Aarons auflehnen (16,1–3) und zur Probe auf die Gunst Gottes illegitime Räucheropfer darbringen (16,4–19). Nur die Fürbitte des Mose 261 Julius 1999, 203 führt die Formulierung ὑπὸ τὴν νεφέλην ἦσαν, 1 Kor 10,1, deshalb auch in erster Linie auf Num 14,14 zurück. 262 Vgl. Works 2014, 118, und Rosner 1992, 174: „Numbers 14 establishes a connection between God’s strength (ἰσχύς) and his destruction of the rebellious among his people, a link which is implicit in 1 Corinthians 10.22b.“

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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kann eine pauschale Strafe Gottes abwenden (16,20–23). Nachdem sich das übrige Volk von den Aufständigen entfernt hat, werden diese vom Erdboden verschlungen (16,25–35). In Anbetracht dieser drastischen Strafe beginnt nun aber das Volk gegen Mose und Aaron zu murren (16,41; MT 17,6), so dass Gott erneut in der Wolke erscheint und die Vernichtung des Volks beschließt (16,42–45; MT 17,7–10). Nur das eilig dargebrachte Räucheropfer Aarons vermag die Strafe aufzuhalten (16,46–50; MT 17,11–15). Von besonderem Interesse ist Num 16 deshalb, weil die Auslegungstradition in dieser Episode den ὀλεθρεύων am Werk sieht – und zwar in breiter Bezeugung.263 Unter anderem deswegen ist Num  16 von verschiedener Seite als Bezugstext für die entsprechende Warnung, nicht zu murren, in 1 Kor 10,10 vorgeschlagen oder in Betracht gezogen worden.264 In der Tat ist das Murren ein wesentliches Motiv des Kapitels (16,11.41 und in der direkten Fortsetzung Kapitel 17) und auch das Sujet fehlgeleiteten und damit verwerflichen Kultdienstes würde gut zum Rahmen von 1 Kor 10 passen.265 k Num 20,1–13; 21,16–18 und die Tradition vom nachfolgenden Felsen Num 20 berichtet erneut, wie Mose Wasser aus einem Felsen hervorbringt. Das Volk rottet sich wegen Wassermangels gegen Mose und Aaron zusammen (20,2) und wirft Mose mit äußerster Ablehnung (ἐλοιδορεῖτο ὁ λαὸς) vor, wie viel besser es gewesen wäre, im Strafgericht Gottes zu sterben (auf welche Episode genau angespielt wird, bleibt unklar), als zum Sterben in die Einöde geführt worden zu sein (20,3–5). Nach bewährtem Muster begeben sich Mose und Aaron zum Heiligtum, wo ihnen Gottes δόξα erscheint und sie anweist, einem Felsen zu befehlen, dass er Wasser hervorbringe (20,6–8). Und wirklich kommt Wasser aus dem Felsen hervor, als Mose ihn mit seinem Stock schlägt (20,9–11). Jedoch verurteilt Gott Mose und Aaron wegen ihres Unglaubens und verwehrt ihnen den Eintritt ins gelobte Land (20,12). Worin der getadelte Unglaube besteht, wird nicht deutlich gemacht. Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass das Fehlverhalten in Moses innerer Einstellung und der Art und Weise liegt, wie er auf den Stein geschlagen hat.266 20,13 benennt den Ort mit Streitwasser (ὕδωρ ἀντιλογίας/‫)מי ְמ ִר ָיבה‬. ֵ So sehr sich die 263 Vgl. oben Anm. 183. Works 2014, 76 f. äußert sich nicht zu den ὀλεθρεύων-Traditionen zu Num 16, merkt aber an, dass auch Josephus in seiner Wiedergabe von Num 16, Ant 4,50.61, ὄλεθροςSprache verwendet. 264 Vgl. Heinrici 1896, 299, Robertson/Plummer 1914, 206; Meeks 1982, 68, Mitchell 1991, 130 u. ö. 265 Margaret Mitchell erwägt überdies, ob die Schilderung des Aufstands gegen Mose Num 16,2 (ἀνέστησαν ἔναντι Μωυσῆ/ ‫ )ּיָ ֻקמּו ִל ְפנֵ י מ ֶֹׁשה‬hinter der Mahnung 1 Kor 10,12 steht. Vgl. Mitchell 1991, 130, Anm. 446. Auch dieser Gedanke ist anhand sprachlicher Übereinstimmungen nicht zu begründen und scheint vom Anliegen motiviert, 1 Kor 10 als Rede gegen Spaltungen in der Gemeinde zu verstehen. Wie sich zeigen wird, besteht darin jedoch nicht der wesentliche Impetus des Kapitels. 266 Vgl. Helfgot 1993, dort besonders die Endnoten für Überlegungen vor dem Hintergrund jüdischer Exegese, und Emmrich 2003.

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Motive inhaltlich nahelegen, ist hier interessanterweise weder vom Murren noch von πειρασμός die Rede. Während Ex 17 noch berichtete, wie das Volk mit Mose stritt (17,2: τί λοιδορεῖσθέ μοι …), Gott jedoch auf die Probe stellte (17,2: … καὶ τί πειράζετε κύριον), zieht Num 20,13 beides zusammen, „denn die Israeliten stritten mit/vor dem Herrn“ (ὅτι ἐλοιδορήθησαν οἱ υἱοὶ Ισραηλ ἔναντι κυρίου). Der gängigen Ansicht nach ist die doppelte Erzählung vom Wasserwunder in Ex und Num die Keimzelle der Tradition des nachfolgenden Felsens und als solche auch für 1 Kor 10 von Belang (s. o. ‎3.2.2.3).267 Eingebettet ins Itinerarium des Folgekapitels Num 21 findet sich zudem das sogenannte Brunnenlied Num 21,17 f., das den Brunnen (φρέαρ) aus Num 20,1–13 besingt (ἐπὶ τοῦ φρέατος ἐξάρχετε αὐτῷ φρέαρ ὤρυξαν αὐτὸ ἄρχοντες ἐξελατόμησαν αὐτὸ βασιλεῖς ἐθνῶν ἐν τῇ βασιλείᾳ αὐτῶν ἐν τῷ κυριεῦσαι αὐτῶν). An dieser Stelle treffen sich mehrere relevante Auslegungstraditionen. So ist Num  21,19 im Grunde nur die Fortsetzung des Reiseberichts. Die targumische Tradition trägt jedoch schon hier ein, dass die Quelle bzw. der Brunnen mit Israel mitzieht und es tränkt.268 Vor dem Brunnenlied selbst fügt TPsJ die lange Erzählung eines Rettungswunders analog zur Meeresrettung ein. Zudem identifizieren die Targumim die hervorströmenden Wasser mit der göttlichen Unterweisung. Heißt es in MT und LXX, die Obersten des Volkes hätten den Brunnen mit ihren Stäben gegraben, fügt TO hinzu „die Schreiber“, TPsJ „Mose und Aaron [als die Schreiber Israels]“. Nicht zuletzt spielt der Vers auch für die bei Philo überlieferte Weisheitsvorstellung eine Rolle. Somn. 2,270 f. stellt die Leidenschaften (πάθος) der Weisheit gegenüber. Wenn diese gefunden sei, sängen alle Num 21,17 f. Abermals werden hier Weisheit und Wasser zueinander in Beziehung gesetzt.269 We have now established that early in the development of this tradition a number of symbols have come together: the rock, well, Torah, digging the well, and wisdom. In virtually all cases, the implication is clear: something life-giving – water, wisdom, Torah – flows to the people who need to be nourished and sustained.270

Inwiefern diese Vorstellungswelt Paulus beim Verfassen von 1 Kor 10 beeinflusst hat, wird im Lichte der Argumentationsanalye einzuschätzen sein.

267 Baron/Oropeza 2016, 72, benennen Num 20,15 als Keimzelle der Rede von „unseren Vätern“ in 1 Kor 10,1. Der Bezug ist jedoch keineswegs zwingend und wird dort nicht weiter begründet. 268 TO, TPsJ. 269 Vgl. auch Ebr. 112 f. 270 Aageson 2006, 168. Aageson möchte die Identifikation von Christus und Fels hieraus ableiten, ohne den Umweg über die Weisheit zu gehen. Er fährt fort: „But at the center of this post-biblical interpretive complex stands the symbol of Torah. […] Thus, as in Rom 10:6–8, Paul christologically re-centered the symbolism by substituting Christ for Torah (the commandment of God in Deut 30:12–14). Christ as the source of spiritual drink has assumed in a figurative sense the role of Torah. For Paul, the messianic Jew, Christ is the means by which God’s life sustaining drink is given to the people.“ Philo habe die Torah auf die Weisheit hin ausgelegt, Paulus auf Christus.

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l Die Schlangenplage Num 21,4–9 Direkt vor dem Reisebericht Num 21,10–20 berichtet das Buch Numeri die Episode von der Schlangenplage, die hinter 1 Kor 10,9 zu stehen scheint. Zum wiederholten Male wirft das Volk Gott und Mose vor, es nur zum Sterben aus Ägypten geführt zu haben. Darüber hinaus beklagt es sich über den Mangel an Brot und Wasser und verleiht seinem Ekel über die Speise Ausdruck, mit der Gott es versorgt (21,4–5). Daraufhin sendet Gott eine Plage tödlicher Schlangen unter das Volk (21,6). Allein ein Blick auf die eherne Schlange, die Mose auf Gottes Geheiß anfertigt, nachdem das Volk seine Schuld eingestanden hat, kann der tödlichen Folge der Schlangenbisse wehren (Num 21,7–9).271 Dass Num 21,4–9 hinter 1 Kor 10,9 steht, wird einhellig angenommen.272 Dabei ordnet 1 Kor 10,9 die Schlangen als Strafe dem Versuchen Gottes zu. Bemerkenswerterweise fehlt jede πειρασμός-Terminologie in Num 21.273 Die Kombination von Versuchung und Schlangenplage erschließt sich erst vor dem weiteren Hintergrund der Mose-Exodus-Tradition, nach der die Klage Israels über seine Versorgung in der Wüste (21,5) immer wieder als eine solche Versuchung qualifiziert wird. Dafür steht paradigmatisch die Episode in Massa/Peirasmos. Philo deutet auch die Schlangenplage moralisch. Direkt nach der Identifikation des Felsens mit der Weisheit deutet er die Schlangenbisse als Begierden, die nur durch die eherne Schlange, nämlich Mäßigung, besiegt werden können. Jene, denen dies gelingt, tränke Gott aus Quellen, die selbst aus der Weisheit hervorgegangen seien (Leg. 2,87). m Der Götzendienst Num 25 Num 25 berichtet vom Abfall Israels zum moabitischen Gott Baal-Peor und der Vergeltung für diesen Götzendienst.274 Hier wird meist der Bezugstext zu 1 Kor 10,8 erkannt,275 denn der kurze Bericht über das eigentliche Vergehen wird mit den Worten eingeleitet „Und das Volk begann sich sexuell mit den Moabiterinnen zu versündigen. Und sie riefen sie zu den Opfern ihrer Götzen. Und das Volk aß und fiel vor ihren Götzen nieder (Num 25,1 f.: καὶ ἐβεβηλώθη ὁ λαὸς ἐκπορνεῦσαι εἰς τὰς θυγατέρας Μωαβ. καὶ ἐκάλεσαν αὐτοὺς ἐπὶ ταῖς θυσίαις τῶν εἰδώλων αὐτῶν [MT: ‫יהן‬ ֶ ‫ֹלה‬ ֵ ‫]לזִ ְב ֵחי ֱא‬ ְ καὶ ἔφαγεν ὁ λαὸς τῶν θυσιῶν αὐτῶν καὶ προσεκύνησαν τοῖς Die Episode wird ferner verarbeitet in Dtn 8,15; Ps 78,17 f., neutestamentlich in Joh 3,14. Vgl. Fee 1987, 456; Fitzmyer 2008, 386; Julius 1999, 207; Schaller 2001, 177; Wilk 2017, 170; Works 2014, 75; Zeller 2010, 332; u. v. a. 273 Vgl. Julius 1999, 207. Sie fährt fort: „eine Brücke bildet die in rabbinischen Texten belegte Tradition der Bestrafung des Verleumders durch Schlangen, die ‚mit der Verleumdung begonnen hatten‘“ und verweist auf BemR 187a zu Num 19. 274 Die Episode wird ferner verarbeitet in Num 31,6; Dtn 4,3; Ps 106,28–30; Hos 9,10. 275 Vgl. Fee 1987, 455; Fitzmyer 2008, 386; Schaller 2001, 177; Wilk 2017, 170; Zeller 2010, 331, u. v. a. 271 272

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

εἰδώλοις αὐτῶν). Aus Zorn befiehlt Gott Mose die Exekution der Rädelsführer (25,4 f.). Zudem weiß der Text um eine Strafplage, die 24.000 Israeliten umbringt (25,8 f.). Gottes Zorn wird schließlich abgewandt, indem Pinhas einen Israeliten im Zelt mit einer Midianiterin erschlägt (25,6–15). Durch die Verbindung von Götzendienst und Sexualsünde  – „[d]ie Verklammerung von Unzuchttreiben und Götzenopferfleisch-Essen begegnet mehrfach geradezu als Quintessenz der Auslegung von Num 25“276, beginnend im Rückblick in Num 31,15 f., wenige Kapitel später  – vor dem Hintergrund eines heidnischen Kultmahles bietet sich Num  25 als Bezugstext zu 1 Kor  10 gleich mehrfach an. Auch hier finden sich bis auf die Ähnlichkeit der Verben ἐκπορνεύω und πορνεύω jedoch kaum wörtliche Übereinstimmungen.277 Vielmehr weichen die Angabe zur Strafe und zur Anzahl der Getöteten voneinander ab. Num spricht von „sterben“, 1 Kor 10,8 von „fallen“. Zudem fehlt in Num 25 der Hinweis, dies sei „an einem Tag“ geschehen, den Paulus gibt. Auf die Abweichung von 24.000 Getöteten (Num 25,9) gegenüber 23.000 Getöteten bei Paulus war oben bereits eingegangen worden.278 Der Befund erschwert die Lösung dieser Frage weiter, denn die Zeitangabe „an einem Tag“, die sonst Ex 32 vorbehalten ist, findet sich auch in der Auslegungstradition zu Num 25 und könnte von dort aus zu Paulus gelangt sein (vgl. Mos. 1,304: τετρακισχιλίους δέ φασι πρὸς τοῖς δισμυρίοις ἀναιρεθῆναι μιᾷ ἡμέρα).279 Bezeichnenderweise deutet Josephus Num 25 als Manifestation des Anpassungsdrucks an heidnische Kulturen (A. J. 4,137 f.). Hierin zeigen sich womöglich Berührungspunkte mit der Problemlage in 1 Kor 10.280 3.2.3.3 Rückblicke auf die Wüstenzeit in Dtn a Moselied Dtn 32 Das Moselied Dtn 32 nimmt in der Debatte um den Schrifthintergrund von 1 Kor 10 eine besondere Rolle ein, wird ihn ihm doch mitunter der zentrale Bezugstext erkannt, der 1 Kor 10,1–22 gedanklich bestimme.281 Dtn 32 bietet einen theologisierenden Geschichtsrückblick aus der Perspektive des Mose. Das Kapitel beginnt mit einem Proömium, das mit Gotteslob anhebt, die wesentliche Handlungskonstellation einführt (32,4–6: Gott in seiner Treue und Israel in seiner Untreue) und die Hörer auffordert, auf ihre Väter zu hören (32,7: 276 Schaller 2001, 181. Er verweist auf Mos 1,298.302–304; A. J. 4,129 f.; Offb 2,14; Origenes Hom in Num XX,1. Mitchell 1991, 139, denkt überdies an A. J. 4,139 f. 277 Es handelt sich um das einzige Vorkommen des Verbs in den erzählenden Texten der MoseExodus-Tradition. πορνεύω findet sich überdies in Ps 105,39 LXX. 278 S.o. S. 103. 279 Vgl. Julius 1999, 206 f. 280 Vgl. Works 2014, 73. 281 Vgl.  mit unterschiedlich weitreichendem Anspruch Hays 1989, 93; Bandstra 1971, 14–21; Meeks 1982, 72; Thiessen 2013, u. a.

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ἐπερώτησον τὸν πατέρα σου) und daraus zu lernen. Der Hauptteil gliedert sich in einen Rückblick auf die Erwählung Israels und die Exodusereignisse, in dem sich die Wundertaten Gottes (32,8–14) scharf von Israels Götzendienst (32,15–18) abheben, und zwei durch Mose wiedergegebene Gottesreden (32,20–35 37–38). Letztere beschreiben Gottes Reaktion auf Israels Abfall. Gott beschließt zunächst Israels gewaltvolle Vernichtung (32,20–25), straft dann aber doch dessen Feinde (32,26–35), verheißt Israel Erbarmen (32, 37 f.) und vollzieht als der einzig wahre Gott das Gericht an den Feinden (32,39–42).282 In seinem Grundton ist Dtn 32 eschatologisch ausgerichtet.283 Im Hinblick auf sechs Stellen, an denen enge wörtliche oder motivische Übereinstimmungen mit Dtn 32 bzw. seiner zeitgenössischen Auslegung zu erwägen sind, ist der Text als direkte Vorlage für 1 Kor 10 vorgeschlagen worden: Erstens hinsichtlich der Bezeichnung Gottes als Fels (‫)צּור‬, wie sie sich in Dtn 32,4. 15.18.30.31.37 MT findet. Wenngleich dies nur im hebräischen Text sichtbar ist, LXX liest durchgehend θεός, ist das direkte Nebeneinander dieser Gottesbezeichnung und der Erinnerung an den wundersamen Fels (‫ס ַלע‬/‫)צּור‬ ֶ in der Wüste (32,13) eine oft vertretene Erklärung für die Identifikation Christi mit dem Felsen in 1 Kor 10,4 (s. o. 3.2.2.3) Die Bezeichnung Gottes als Fels ist auch andernorts im Alten Testament zu finden. Die entsprechende Tradition entwickelt ein gewisses Eigenleben, findet sich bevorzugt in der prophetischen Literatur und den Psalmen, teils bei Sirach und in Qumran.284 In der Tat verwendet MT ‫ צּור‬häufiger als Gottesbezeichnung als im Wortsinne.285 Nach Sichtung aller Belege kommt Michael P. Knowles zum Schluss: „Each of these metaphors conveys the same general sense: that God is a sanctuary and deliverer from affliction in whom refuge and security are attained.“286 Dabei entsprechen die Bedeutungspole Schutz und Erlösung bemerkenswerterweise zu einem hohen Grad den beobachteten Auslegungstraditionen um Wolke und Meeresdurchzug. Oft begegnet die Gottesbezeichnung ‫ צּור‬zudem, wenn Gottes Bundestreue beschrieben wird oder in götzenpolemischem Zusammenhang.287 Auch diese Themen resonieren vor dem Hintergrund von 1 Kor 10. Trotz der Verbreitung der Tradition ist gerade Dtn 32 für die Gottesbezeichnung ‫ צּור‬von besonderer Wichtigkeit.288 Nirgends ist die Metapher so häufig belegt wie Die hier vertretene Gliederung folgt der Analyse von Wüste 2018, 63–92. Vgl. Lincicum 2010, 161. So betont der Text das künftige Eingreifen Gottes und unterschlägt wesentliche „historische“ Details. 284 Vgl. Thiessen 2013. Wüste 2018, 106–121, gibt eine Übersicht über alle Belege. 4QdibHama 5,19 bekennt, „den Felsen“ mit den eigenen Übertretungen ermüdet zu haben. 285 Vgl. Knowles 1989, 307. 286 Knowles 1989, 309. 287 Vgl. Knowles 1989, 307.311–313, unter Verweis auf Dtn 32,4; 1 Sam 2,2; Ps 18,31 (MT); Ps 92,16 (MT); Ps 33,3 f. (Bundestreue) und Dtn 32,15; 1 Sam 2,2; 2 Sam 33,32/PS 18,21 (MT) und Jer 2,27 (Götzenpolemik). 288 Knowles versteht Dtn 32 als Text, der in den hier relevanten Textschichten zuallererst die Bedeutung dieses aus den kanaanäischen Religionen übernommenen Gottesnamens im Rahmen 282 283

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hier. Andernorts steht sie auch nicht im direkten Zusammenhang zum Fels in der Wüste.289 Überdies ist Dtn 32 einer der Texte, die die Gottesbezeichnung mit dem Gedanken der Bundestreue (32,4) und im direkten Kontrast zu anderen Göttern (Dtn 32,15.30 f.37) forcieren.290 Die entsprechenden Aussagen „constitute a polemic against trust and refuge in (not to mention the worship of ) false deities who cannot provide anything of the sort“291. Zudem lässt sich, abermals insbesondere anhand des hebräischen Textes, durchaus spekulieren, ob die direkt anschließende Aussage: „sie wichen vom Fels ihrer Rettung“ (32,14: ‫)וַ יְ נַ ֵּבל צּור יְ ֻׁש ָעתֹו‬, die Gleichsetzung des Felsens mit dem Christus Jesus begünstigt hat. Eine besondere Eigenheit der Verwendung des Gottesnamens ‫ צּור‬in Dtn 32 liegt ferner in der Verbindung mit Schöpfungs- und Erwählungssprache (Dtn 32,6.12.15).292 Auch derartige Motive sind aus dem Traditionskreis um Wolke und Meereswunder bekannt, so dass zu erwägen wäre, ob die Bildwelt hinter 1 Kor 10,1–4 auch hinsichtlich ihrer Implikationen nicht geschlossener ist, als es auf den ersten Blick scheint. Betrachtet man, zweitens, die Art und Weise wie Dtn 32 vom Felsen im Wortsinne spricht, fällt zunächst auf, dass er nach 32,13 Honig und Öl, also gewissermaßen Speise und Trank spendet. So eigen diese Vorstellung auch ist, ist nicht auszuschließen, dass 1 Kor 10,3 f. von ihr beeinflusst ist. 10,3 benennt nur kurz die Versorgung mit pneumatischer Speise, und erst in 10,4 folgt eine Erläuterung hinsichtlich des pneumatischen Tranks aus dem Felsen. Dass beide Geschehen als eines gedacht sind, ist nicht angezeigt, würde aber den Aufbau von 1 Kor 10,1–4 stringenter erscheinen lassen.293 Denn auch 10,1 f. verbinden Wolke und Meer zu einem gemeinsamen Taufereignis. Drittens wird eine Ähnlichkeit hinsichtlich Dtn  32,4, θεὸς πιστός, angeführt. Zwar ist der Gedanke der Treue Gottes im Alten Testament keineswegs selten und in der Mose-Exodustradition allgegenwärtig, jedoch wird Gott nur hier und in Dtn 7,8 mit dem Adjektiv πιστός belegt, wie Paulus es auch in 1 Kor 10,13 tut.294 Verbindet man MT und LXX, entspricht Gottes Treue im Parallelismus von Dtn 32,4 seiner Bezeichnung als Fels. der biblischen Gottesvorstellung etabliert und in Abgrenzung zum Verständnis dieser Religionen aushandelt. 289 Dies ist höchstens noch in Ps 78 der Fall. 290 Vgl. Waaler 2008, 64. 291 Knowles 1989, 314. 292 Vgl. Knowles 1989, 313. 293 Dies scheint auch Waaler 2008, 64, vorauszusetzen, wenn er schreibt „identifying the Rock explicitly with Jesus, Jesus is made the source of spiritual water and food, baptism and Eucharist.“ 294 Vgl. Thiessen 2013, 106. Zur Herleitung des Axioms der Gottestreue bei Paulus (vgl. 1 Kor 1,9; 10,13; 2 Kor 1,18) aus der theologischen Welt des Dtn äußert sich Lincicum 2010, 141, und resümiert in Anbetracht der Geläufigkeit und liturgischen Verwendung der Texte: „it is probably better to picture Paul thinking with Deuteronomy about the one God rather than thinking of Deuteronomy itself.“ Er verweist ferner auf die Verwendung von πιστός mit κύριος in Ps 144,13; und PsSal (bei Lincicum irrtümlich Sap) 14,1; 17,10, ferner auf Jes 49,7.

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Viertens stimmt die Formulierung 1 Kor 10,20a teils wörtlich mit Dtn 32,17a überein:295 Dtn 32,17 ἔθυσαν δαιμονίοις καὶ οὐ θεῷ θεοῖς οἷς οὐκ ᾔδεισαν καινοὶ πρόσφατοι ἥκασιν οὓς οὐκ ᾔδεισαν οἱ πατέρες αὐτῶν

1 Kor 10,20 ἀλλ᾽ ὅτι ἃ θύουσιν, δαιμονίοις καὶ οὐ θεῷ [θύουσιν]· οὐ θέλω δὲ ὑμᾶς κοινωνοὺς τῶν δαιμονίων γίνεσθαι.

Zu erklären bleibt dabei allerdings der Tempuswechsel ins Präsens. Betrachtet man hier auch den näheren Zusammenhang von Dtn 32,17, abermals insbesondere in seiner hebräischen Fassung, ist zu erwägen, ob nicht die Bezeichnung der Götzen als „Nicht-Gott“ aus Dtn 32,21 (‫א־אל‬ ֵ ֹ ‫קנְ אּונִ י ְבל‬/παρεζήλωσάν με ἐπ᾽ οὐ θεῷ) nicht auch in Dtn 32,17/1 Kor 10,20 mitgedacht ist. Schließlich ist die Aussage, „was sie Dämonen opferten, opferten sie nicht Gott“ reichlich tautologisch. „Sie opferten es Dämonen, (nämlich) einem Nicht-Gott“ würde hingegen eine Aussage über das Wesen der Dämonen bedeuten, die flüssig an die rhetorische Frage 10,19 anschließt (s. u. 3.4.7.2).296 Eine Schwierigkeit für diese Deutung besteht im Numeruswechsel vom Plural (Dämonen) zum Singular (Nicht-Gott). Attraktiv ist diese Überlegung jedoch auch vor dem Hintergrund, dass, fünftens, wie oben bereits erwähnt, Dtn 32,21 als eine der zwei Verwendungen von παραζηλόω im Exoduszusammenhang hinter 10,22a stehen mag. Hier, wie auch an den meisten der (wenigen) anderen Belegstellen im Alten Testament, steht παραζηλόω im Zusammenhang von Götzendienst.297 Auch bestätigt ein Blick in die zeitgenössische Literatur, dass der Gedanke, Gott eifersüchtig zu machen, dort, wo er mit παραζηλόω (oder seinem hebräischen Äquivalent ‫ )קנא‬ausgedrückt wird, durchgängig auf Dtn 32,21 fußt.298 Zudem kennt Paulus Dtn 32,21b zumindest zur Zeit der Abfassung des Römerbriefes, wie Röm 10,19 zeigt.299 It is reasonable then, […] to view each appearance of ‚jealousy‘ language in the Pauline corpus as grounded in the text of Deut 32, and to consider Deut 32,21a as a text that the apostle has engaged verbally at 1 Cor 10:22.300

Denn, sechstens, liegt auch für 1 Kor 10,22b eine bewusste Verwendung von Dtn 32 nahe, möchte man eine breite Kenntnis palästinischer Auslegungstraditionen voraussetzen. Während bereits die bloße Gottesanrede „Fels“ ein „symbol of divine 295 Mitunter wurden Bar 4,7 und andere Texte, die von Dämonen sprechen (u. a. Ps 96,5; 106,37) als Bezugstexte in Betracht gezogen. Bar 4,7 ist jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach selbst von Dtn 32,17 abhängig und die wörtliche Übereinstimmung spricht für sich (vgl. Waters 2006, 134 f.). 296 So Robertson/Plummer 1914, 216; als Möglichkeit auch bei Lincicum 2010, 164. 297 Vgl. Waters 2006, 142; Belege bei Bell 1994, 138. 298 Vgl. Waters 2006, 137; Bell 1994, 217–243. 299 Vgl. Waters 2006, 138. 300 Waters 2006, 138.

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strength“301 ist, betonten die Targumim dies besonders, indem sie den Begriff „Fels“ tilgen und an seiner statt überwiegend Gottesbezeichnungen setzen, die Gottes Stärke betonen. Dieses Phänomen findet sich ganz konzentriert in Dtn 32.302 Solcherlei gedankliche Verbindung zwischen Gott, dem „Fels“ und seiner Stärke mag auch im Hintergrund von 1 Kor 10,22b stehen. Ausgehend von derlei Beobachtungen lassen sich auch motivische Ähnlichkeiten feststellen und unterschiedlich weitreichende Schlüsse ziehen. Hanson etwa geht so weit zu folgern, 1 Kor 10,14–22 sei insgesamt „a sort of midrash on Deut. 32.15–21“303. Here in Deuteronomy a description is given, which Paul would understand in an eschatological sense, of the good things which Israel could have enjoyed, or would in the future enjoy, through obedience to God. It includes oil, wine, and bread. The lesson is driven home that what prevented Israel from taking advantage of it was their lack of obedience; and words are used which Paul, we know, understood to mean that the Gentiles would in time come to enjoy these benefits. Paul, we may confidently claim, has found in this passage in Deuteronomy a foreshadowing of the Eucharist.304

Dies schließt er aus der eschatologischen Deutung von Dtn 32, insb. Dtn 32,14, bei den Rabbinen, der Kombination von Brot und Wein in diesem Vers, durch die sich die Parallele zum Herrenmahl förmlich aufdränge, und der Verarbeitung von Dtn 32 in Röm 11,11–14 in Verbindung mit dem Eifersuchtsmotiv aus Dtn 32,17.21, das sich auch in 1 Kor 10,22 findet.305 Unabhängig davon, ob man Hansons Schlüsse teilt, sind die beobachteten Ähnlichkeiten zutreffend. Über die von ihm aufgezählten Punkte hinaus, lässt sich Gottes Klage über den Götzendienst seines Volkes ganz allgemein als Grundthema von Dtn 32 festhalten. Auch deutet Dtn 32,34 Schlangen als Strafe für Abgötterei. Zudem bezeichnet auch Dtn 32 die Wüstengeneration als Väter, die eine pädagogische Funktion haben (32,6 f.17).306 Wenn TPsJ Dtn 32,7 an Stelle der Aufforderung den eigenen Vater zu befragen überträgt: „lies die Bücher des Gesetzes, sie werden dich lehren, und die Bücher der Propheten, sie werden dir erzählen“, scheint ähnliches vorausgesetzt, wie wenn Paulus in 1 Kor 10,11 festhält, das Ergehen der Väter sei zum Nutzen der Gläubigen aufgeschrieben worden. Eine weitere bemerkenswerte Hinzufügung der targumischen Tradition besteht in der Ausschmückung der Erwählung Israels in der Wüste Dtn  32,10. TPsJ beschreibt die Wüste als schrecklichen Ort, an dem Dämonen wohnen und an dem Knowles 1989, 316. Vgl. Rosner 1992, 176. Doch „[t]he evidence is insufficient to determine whether Paul and the Targumim are at this point dependent upon a common source, independent of one another, or whether one is dependent upon the other.“ 303 Hanson 1974, 113. Vgl. Hanson 1974, 115.167. 304 Hanson 1974, 223. Vgl. auch die lange Liste von Parallelen bei Oropeza 2000, 215–218. 305 Vgl. Hanson 1974, 115. 306 Vgl. Cover 2015, 76: „It is also worth noting that Deut 31:19, 22, and 29 speak of Moses writing and teaching the song to the Israelites, so that it can be a witness against them when they disobey. This mirrors Paul’s use, especially in 1 Cor 10.11.“ 301 302

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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Durst herrscht, in dem Gott die sieben Wolken seiner Herrlichkeit über Israel ausgebreitet hat. Auch hier trägt der Targum also das Motiv der Wolke und die damit verbundene Schutzvorstellung ein.307 Insgesamt bewegt sich Dtn 32 als „the grand story […] of God’s unshakeable fidelity to Israel“308 gedanklich vom Strafgericht zur Treue Gottes, ähnlich wie 1 Kor 10,1–13 es tut. Dagegen, die Übereinstimmungen zwischen beiden Texten überzubetonen, regt sich jedoch auch Widerstand. Aageson etwa erkennt die wichtige Rolle von Dtn 32 für Paulus an, meint aber „there is little reason to assert that Paul’s entrance point to the argument in 10:1–33 is the christocentric assertion that the ‚rock was Christ‘“309. Die Identifikation habe sich vom Thema und den Metaphern her auch ohne Beschäftigung mit Dtn 32 förmlich aufdrängen müssen. Dagegen sei es unwahrscheinlich, dass Paulus entsprechende Kenntnisse und Intentionen hatte. „Deuteronomy 32 echoes in the background of 10:1–22, but it is the intrusion of the christological identification in 10:4 and the larger wilderness story that governs the symbolic world of much of this text“.310 Michael Cover geht in seiner Untersuchung der „midraschartigen Stücke“ bei Paulus noch weiter und bemerkt „one is hard-pressed to find even one point of allusive contact between the song and 1 Cor 10:1–10“.311 Für die erste Kapitelhälfte könne lediglich der Fels (im Wortsinne, Dtn 32,13) und die Wurzel εἰδωλ* in 1 Kor 10,7 veranschlagt werden. Dies reiche zum Nachweis jedoch keineswegs aus, fielen doch allerhand Unterschiede ins Auge. Die Berührungspunkte in der zweiten Texthälfte seien zwar gegeben, insgesamt läge aber eine inhaltlich-theologische Beeinflussung näher als eine textliche: [I]t is nonetheless likely that 1 Cor 10:1–11, esp. 1 Cor 10:4 suggested Deuteronomy 32 to Paul’s mind, and that the latter passages came to color his discourse. […] While I do not think Deuteronomy 32 structures Paul’s exhortation, its function within the pentateuchal narrative provides a scriptural and theological warrant for Paul to read these narratives typologically.312

Nicht unterschätzt werden sollte bei all dem jedoch die Verbreitung des Textes. Legt man mit Richard Hays die availability eines Textes als Kriterium für die Wahrscheinlichkeit eines intertextuellen Bezuges an, fällt es schwer, verfügbarere und verbreitete Texte zu finden als die liturgisch relevanten Passagen des Dtn und das

307 TPsJ betont überdies die eschatologische Dimension des Moseliedes, stellt Mose als Propheten in eine Reihe mit Jesaja (32,1) und setzt die schriftliche Überlieferung von Tora und Propheten mit der Unterweisung am Beispiel der Väter gleich (32,6). Insgesamt zeigt TPsJ Dtn 32 jedoch keine besondere Nähe zu 1 Kor 10. Auch der Targum tilgt die Gottesbezeichnung „Fels“ und entkoppelt die Angaben 32,13 vom nahrungspendenden Felsen in der Wüste. 308 Wagner 2002, 226 309 Aageson 2006, 162, gegen Hays 1989, 98. 310 Aageson 2006, 178. Ähnlich kritisch äußert sich auch Horsley 1998, 137. 311 Cover 2015, 75. Dass Paulus Dtn 32 im Hebräischen kannte, hält er für unwahrscheinlich. 312 Cover 2015, 76.

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

vermutlich sogar eigenständig kursierende Kapitel Dtn 32.313 So schenken auch die Targumim Dtn 32 eine deutlich höhere Aufmerksamkeit als den anderen Kapitel des Buches.314 Lincicum erwägt deshalb, ob nicht der gedankliche Einfluss des Deuteronomiums auf die erste Texthälfte oft unterbewertet wird: „it is also worth pondering whether the single explicit citation from Paul, drawn from Exod 32:6 in 1 Cor 10:7 […] is not to be understood in a Deuteronomic sense“.315 Dies gelte gerade auch unabhängig von einer nachweisbaren textlichen Auseinandersetzung mit Dtn 32,316 denn die deuteronomischen Texte würden Paulus viel eher aus dem liturgischen Zusammenhang bekannt und deswegen geläufig gewesen sein. „This liturgical-anamnetic encounter with Deuteronomy, especially when seen alongside the positive evidence of Deuteronomy citations in Paul’s letters, proves to be a much more viable global option for understanding Paul’s encounter with the sacred text“.317 Und in der Tat entspricht das Anliegen des Exodusreferats in 1 Kor 10 zumindest in den ersten drei Punkten dem deuteronomischen „Leitmotiv: hear, learn, keep, repeat“318. Inwiefern Paulus es auch auf den letzten Punkt, „repeat“, anlegt, ist Teil der Fragestellung dieser Untersuchung zur Schriftverwendung in ihrer Bildungsdimension. b Der gedankliche Zusammenhang Dtn 6–9 In Anbetracht der vorgetragenen Argumente für den zeitgenössischen Stellenwert deuteronomischer Texte und Theologie sind andere mögliche Bezugstexte aus dem Buch Deuteronomium mit besonderer Gründlichkeit zu betrachten. Erik Waaler hat überzeugend demonstriert „that Paul has a particular focus on Deuteronomy in 1 Cor 5:1–10:22“, und „that covenant themes and language are prominent in this part of 1Corinthians“.319 Insbesondere die Textpassage zwischen den Berichten über Anfertigung und Beschreibung der Dekalogtafeln Dtn 5,25–33 und Dtn 10,1–11 bietet im Rahmen einer umfassenden Gesetzesunterweisung einen theologisch deutenden

313 Vgl.  Waters 2006, 74 f. Lincicum 2010, 57, nennt Dtn  32 neben Dtn  5,1–6,9; 10,12–11,21 als Schlüsseltexte der zeitgenössischen (liturgischen) Verwendung des Buches Deuteronomium: „This selection of texts corresponds to a significant portion of Paul’s quotations from Deuteronomy.“ 314 Lincicum 2010, 189–192, demonstriert, dass Dtn 32–34 die meistkommentierten Dtn-Texte in den Targumim sind. 315 Lincicum 2010, 163, Anm. 163. So verbinde auch Sifre Dtn 43 Ex 32,6 mit Dtn 32.20. 316 Hierin berührt Lincicum sich gewissermaßen mit Cover. 317 Lincicum 2010, 57. 318 So formuliert von Lincicum 2010, 58. 319 Waaler 2008, 50. Für die Beweisführung vgl. Waaler 2008, 50–122. Doch bereits ein Blick auf die Anspielungen und Zitate, die in UBS³ angemerkt sind, demonstriert dies eindrücklich: „Whereas more than ¼ of the allusions in 1 Cor 5–10 are to Deuteronomy, less than 1/12 of the allusions in 1 Cor 1–4 + 11–16 are to Deuteronomy“ (Waaler 2008, 55). Zum Einfluss von Dtn 23–28 auf 1 Kor 9 vgl. O’Leary 2006, 81.

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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Rückblick auf die Wüstenereignisse, der verschiedene Bezugspunkte zu 1 Kor 10 aufweist.320 Der Text soll im Folgenden kapitelweise betrachtet werden. Dtn 6 Dtn 6,4 eröffnet die lange Moserede mit dem Schma. Insgesamt schärft das Kapitel die Notwendigkeit ein, Gottes Geboten zu folgen und sie an die kommende Generation weiterzugeben (6,7.20), den Gefahren des Götzendienstes nicht zu erliegen (6,4 f.14 f.) und Gott nicht durch Ungehorsam zu versuchen (6,16–19), sondern der Wunder des Exodus zu gedenken (6,12–15.20–25). Andrew Byers Vorschlag, in 1 Kor 10,17 das Schma verarbeitet zu sehen, wird sich erst von der Argumentationsanalyse her beurteilen lassen. Schon hier fallen jedoch verschiedene thematische Berührungspunkte ins Auge: Die Aufforderung, Wissen an die Kinder weiterzugeben, findet eine gewisse Parallele in der Kapiteleröffnung 1 Kor 10,1. Der Aufforderung, der Exoduswunder zu gedenken, entspricht Paulus in 1 Kor 10,1–4. Die Warnung, Gott nicht zu versuchen, nimmt er in 1 Kor 10,9 auf. Die Gefahren des Götzendienstes sind das Grundthema des Abschnitts (vgl. 1 Kor 10,14). Als implizit markiert kann das Schma durch seine Verarbeitung im Auftakt des Großabschnitts gelten. Bemerkenswerterweise berührt sich der Akzent, der in der Bearbeitung des Schma in 8,6 gesetzt wird – Gottes, bzw. Christi Schöpfungshandeln und die Existenz der Gemeinde aus ihm heraus – mit der gedanklichen Linie von Schöpfung und Erwählung, die in den potentiellen Bezugstexten, insbesondere aber in Dtn 32, wiederholt beobachtet werden konnte. Dtn 7321 Dtn 7 ist insgesamt als „covenant sermon“ bezeichnet worden, der die Machttaten des Exodus in Erinnerung ruft, um zum Gesetzesgehorsam aufzufordern.322 Der zentrale Gedanke ist die Aufforderung, Israel solle sich nicht mit den Völkern des Landes vermischen, sondern den Bann an ihnen vollstrecken und ihre Kultstätten

320 Waaler 2008, 68, nennt zwar den gesamten Zusammenhang Dtn 1–10 neben Ps 78; 106 und Dtn 32, „together with the original story in Exodus and Numbers, as important intertexts to 1 Cor 10“ (Waaler 2008, 68), jedoch kommt die überwiegende Mehrzahl seiner Belege aus Deuteronomium aus den Kapiteln 6 bis 9, kaum aus Dtn 1–5. 321 Der Abschnitt Dtn 6–11 wird gemeinhin in mehrere Lehrreden unterteilt (Dtn 6,1–7,11; 7,12– 8,20; 9,1–10,11; 10,12–11,32; vgl. Finsterbusch 2012, 82–97). Diese Einteilung orientiert sich allerdings an Textsignalen im MT, die in LXX nicht oder nicht mit der gleichen Intensität gegeben sind. Deutlich wird dies etwa im Falle der zweiten Lehrrede, die in 7,12 und 8,20 durch die nur hier in Dtn MT begegnende Formulierung ‫ ׁשמע‬+ ‫ ֵע ֶקב‬eingerahmt wird (vgl. Finsterbusch 2012, 83.87 f.). Im Griechischen geht diese Nuance jedoch verloren, sodass Kapitel 7 insgesamt als thematisch kohärente Texteinheit zur Gefahr des Götzendienstes durch Fremdvölker erscheint (vgl. auch die wenig überzeugende Einordnung von 7,17–26 bei Finsterbusch 2012, 88. Zur poetischen und rhetorischen Geschlossenheit von Dtn 8 s. u. Anm. 326). 322 Crump 1974.

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vernichten (7,1–5).323 Sonst drohe der Abfall zum Götzendienst, der Gottes Zorn und Vernichtung bringt (7,4: ἐξολεθρεύσει σε). Israel solle sich hingegen heilig halten, sich seiner Erwählung durch Gottes Liebe, seiner Treue und Barmherzigkeit besinnen und seine Gebote halten (7,6–11). Diese erste Kapitelhälfte mündet in eine Zusammenfassung, die beginnt: „Du sollst wissen, dass der Kyrios, dein Gott (allein) Gott ist, ein treuer Gott, der seinen Bund bewahrt …“ (7,9a: καὶ γνώσῃ ὅτι κύριος ὁ θεός σου οὗτος θεός θεὸς πιστός ὁ φυλάσσων διαθήκην). Es ist dies neben Dtn 32,4, die einzige Stelle der LXX, die das Adjektiv πιστός direkt auf Gott anwendet. Die zweite Hälfte des Kapitels verheißt Gottes Segen im Falle des Gehorsams und legt abermals besonderen Wert auf die Aufforderung, die Völker mit ihren Göttern zu vernichten (7,12–16). Als Gewähr für den Beistand Gottes gegen die vermeintliche Übermacht der Völker wird die Befreiung aus Ägypten angeführt, die nach 7,19 von „großen Versuchungen“ (‫ה ַּמּסֹת ַהּגְ ד ֹֹלת‬/τοὺς ַ πειρασμοὺς τοὺς μεγάλους), Zeichen und Wundern begleitet war.324 So werde Gott auch die götzendienerischen Völker vor und durch Israel vernichten (7,23: καὶ ἀπολέσει αὐτοὺς ἀπωλείᾳ μεγάλῃ ἕως ἂν ἐξολεθρεύσῃ αὐτούς) (7,20–24). Israel solle das Silber und Gold ihrer Götzenbilder nicht begehren (οὐκ ἐπιθυμήσεις ἀργύριον οὐδὲ χρυσίον), diese vielmehr verbrennen und den Götzendienst meiden (7,25 f.). Eine Verarbeitung dieses Textes durch 1 Kor 10 lässt sich keineswegs nachweisen. Auffällig sind jedoch Ähnlichkeiten in den Vorstellungen und der Ausdrucksweise. Beide Texte erinnern in Anbetracht der Gefahr des Götzendienstes an die Treue Gottes, die sie mit πιστὸς δὲ ὁ θεός (1 Kor 10,13) bzw. θεὸς πιστός (Dtn 7,9) beschreiben und beide Texte sprechen im Zusammenhang des Götzendienstes von der Gefahr des Begehrens (1 Kor  10,6: εἰς τὸ μὴ εἶναι ἡμᾶς ἐπιθυμητὰς κακῶν, καθὼς κἀκεῖνοι ἐπεθύμησαν; Dtn  7,25: οὐκ ἐπιθυμήσεις). „In Ps  78 craving is linked to manna, water and quails [so letztlich auch in Num 11], but in Deut 7:25 the craving is set on the gold and silver from broken idols“.325 Begierde und Götzendienst werden hier ähnlich eng zusammengedacht wie in 1 Kor 10,6 f. Zudem ähnelt die Vernichtungsterminologie in Dtn  7,23 (ἀπολέσει αὐτοὺς ἀπωλείᾳ … ἕως ἂν ἐξολεθρεύσῃ; vgl. auch 7,4) sehr vage der in 1 Kor 10,9 f. (ἀπώλλυντο/ἀπώλοντο ὑπὸ τοῦ ὀλοθρευτου). Dtn 8 Dtn 8 schließt in poetischer Form an, nur sind nun nicht mehr die Völker und ihr Götzendienst im Blick. Stattdessen unterstreicht das Kapitel die Forderung des Gesetzesgehorsams mit einer ausführlichen Nacherzählung der Wüstenzeit, die ihren 323 Für eine theologische Einordnung aus christlicher Perspektive vgl. Earl 2009. Earl 2009, 48, führt 2 Kor 6,14–7,1, keineswegs jedoch 1 Kor 10 als Beispiel der Verarbeitung im NT an. 324 Die Revisionen der Lutherbibel nach 1912 übersetzen treffend „Machtproben“. 325 Waaler 2008, 65.

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Schwerpunkt auf die Versorgung durch Gott legt, die nun durch das Halten des Gesetzes auch im gelobten Land fortdauern soll.326 Die Adressaten sollen sich der Wüstenzeit erinnern (καὶ μνησθήσῃ πᾶσαν τὴν ὁδόν ἣν ἤγαγέν σε κύριος ὁ θεός σου ἐν τῇ ἐρήμω), die Gott genutzt habe, um Israel zu prüfen (ἐκπειράσῃ σε), in Israels Herz zu schauen und zu erkennen, ob es seine Gebote halten werde (8,2). Eine solche pädagogische Funktion misst 8,3 auch der Speisung mit Manna zu, das „deine Väter nicht kannten“ (οὐκ εἴδησαν οἱ πατέρες σου; vgl. auch 8,16). Durch die Prüfung des Hungers sollten sie lernen, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Munde Gottes hervorgeht.327 Eric Waaler denkt darüber nach, ob hier eine Verbindung zur geistlichen Speise von 1 Kor 10,3 gegeben ist.328 Auf die Erinnerung an Gottes Bewahrung in der Wüste (8,1–5) folgt eine weitere Aufforderung, die Gebote zu halten, nun versehen mit einer Beschreibung des gelobten Landes in schillernden Farben (8,6–10). Dort soll Israel essen, satt werden und Gott für diese Versorgung loben (8,10: καὶ φάγῃ καὶ ἐμπλησθήσῃ καὶ εὐλογήσεις κύριον τὸν θεόν σου). 8,11–18 entfalten den gleichen Gedanken zur negativen Seite hin: Israel soll seinen Gott nicht vergessen, der es aus Ägypten, dem Haus der Sklaverei, geführt hat, und seine Gebote halten – gerade dann, wenn es satt ist und ihn zu vergessen droht (8,11–14). Abermals wird an die Versorgung in der Wüste erinnert, um zu unterstreichen, dass Israel allein aus Gottes Kraft besteht. Er hat ihm in der Wüste, wo die beißende Schlange ist (διὰ τῆς ἐρήμου … οὗ ὄφις δάκνων), Wasser aus dem steinigen Felsen hervorgehen lassen (ἐξαγαγόντος σοι ἐκ πέτρας ἀκροτόμου πηγὴν ὕδατος) und es mit Manna gespeist (8,15 f.). Wie schon 8,2 f. betont 8,16, dass Gott Israel durch das Manna, das die Väter nicht kannten, prüfen wollte. Deswegen dürfe Israel sich nicht auf seine eigene Stärke verlassen (8,17: ἡ ἰσχύς μου). Gott ist es, der Stärke und Vermögen gibt und seinen Bund aufrichtet (8,18: δίδωσιν ἰσχὺν τοῦ ποιῆσαι δύναμιν καὶ ἵνα στήσῃ τὴν διαθήκην αὐτοῦ). Das Kapitel schließt mit einer Vernichtungsandrohung. Andere Götter anzubeten bedeutet ἀπωλείᾳ ἀπολεῖσθε (8,19 f.).329 Abermals fallen Parallelen in Ausrichtung und Ausdrucksweise zu 1 Kor 10 ins Auge, ohne dass sich die wörtliche Verarbeitung einzelner Verse demonstrieren ließe. Hier wie dort liegt der Akzent auf Essen und Trinken und hier wie dort wird Götzendienst mit einer Vernichtungsdrohung belegt.330 Dtn  8,15 f. weiß um den wasserspendenden Felsen und kombiniert dieses Motiv mit dem Manna.331 Wenn Dtn 8,3 die Lehre der Versuchung mit dem geflügelten Wort, der Mensch lebe nicht 326 Vgl. O’Connell 1992, für eine rhetorische Analyse, die herausarbeitet, wie Dtn 8 MT dieses Anliegen verfolgt. 327 Leg. 3,174 verbindet Ex 16,4–16 direkt mit Dtn 8,3. 328 Vgl. Waaler 2008, 64: „The parallel with Matt 4:4 [nämlich die Kombination Alleinverehrungsgebot, Versuchungsmotiv, Dtn 8,3] makes it possible that this is an allusion to Deut 8:3“. Zu Dtn 8,3 als „popular maxim“ vgl. Cohen 2007, 36–38. 329 Zur Segmentierung 8,1–5.6–10.11–18.19 f. vgl. Finsterbusch 2012, 87 f. 330 In 1 Kor 10,7 ist dies doch zumindest durch den Zusammenhang der Fall. 331 Dies betont vor allem Yeo 1995, 165.

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vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht, angibt, mag auch dieser Gedanke im Hintergrund der Rede von pneumatischer Speise in 1 Kor 10,3 stehen. Dass in Dtn 8 überdies die Rede von Schlangen ist, mag reiner Zufall sein (vgl. 1 Kor 10,9).332 Auch das Motiv der Versuchung (Dtn 8,2.16; 1 Kor  10,13) und die Rede von den Vätern (Dtn  8,3.16; 1 Kor  10,1) ist in der Verarbeitung der Exodusgeschichten nicht ungewöhnlich. Dass beide Texte jedoch auf eine Disqualifikation eigener Kraft zulaufen (Dtn 8,17f; 1 Kor 10,22), ist zumindest bemerkenswert.333 Dtn 9 Dtn  9 hebt mit der erneuten Zusage an, Gott werde die Völker des Landes um ihrer Gottlosigkeit und des Versprechens an die Stammväter willen vor Israel vernichten (8,1–6). Um zu illustrieren, dass Israel dies keineswegs verdient hat, folgt in 9,7–24 ein ausführlicher Rückblick auf Israels Ungehorsam in der Wüste. Den meisten Raum nimmt eine Nacherzählung des Bundesbruches am Horeb ein (9,1–21). Während Mose auf dem Berg fastete (9,9: ἄρτον οὐκ ἔφαγον καὶ ὕδωρ οὐκ ἔπιον), versündigt sich das Volk, indem es sich einen Abgott macht. Gottes Zorn und Vernichtungswille (9,8.19: ἐξολεθρεῦσαι) können nur von Moses Fürbitte, verbunden mit abermaligem Fasten gestoppt werden (9,18 οὐκ ἔφαγον καὶ ὕδωρ οὐκ ἔπιον περὶ πασῶν τῶν ἁμαρτιῶν ὑμῶν). Als weitere Beispiele werden Israels Versagen in Tabera und Massa (LXX Πειρασμός, vgl. Ex 17; Num 11) und ihr Unglaube und Ungehorsam in Kadesh Barnea angeführt (9,22–24)334. Das Kapitel schließt mit einer Rekapitulation der Fürbitte des Mose unter Aufnahme vieler Motive aus Ex 32,11–13 (Dtn 9,25–29): Gott möge das Volk nicht vernichten (9,25: ἐξολεθρεῦσαι), habe er es doch mit seiner Kraft aus Ägypten geführt (9,26: ἐν τῇ ἰσχύι σου, vgl. auch 9,29). Sonst mögen die Völker Falsches von ihm glauben (9,28).335 Kapitel 10 schließt mit einem knappen Bericht über die Anfertigung neuer Gesetzestafeln an. Die übrige Paränese bis zur erneuten Gesetzesverkündigung ab Dtn 12,1 bezieht sich nur im Vorbeigehen auf die Exodusereignisse (11,3–6). Insgesamt weist der Textzusammenhang Dtn  6–9 eine Fülle von Berührungspunkten mit 1 Kor 10 auf, die, neben Ähnlichkeiten in der Verwendung bestimmter Begriffe in bestimmten Zusammenhängen, weit ins Motivische reichen. Eine Benutzung dieser Texte als direkte Vorlage für 1 Kor 10 kann damit nicht demonstriert werden.336 Die Möglichkeit einer inhaltlich-deuteronomischen Einfärbung des Exodusreferats wird aber in Betracht zu ziehen sein. Auf diese Verbindung weist auch Waaler 2008, 64, hin. Vgl. ferner Dtn 8,18. 334 Für die Segmentierung 9,1–6.7–24 vgl. Finsterbusch 2012, 90, die den Abschnitt jedoch bis 10,11 weitergeführt sehen will. 335 Vgl. Ex 32,11–13. 336 Eric Waaler wertet allerdings die Prominenz des Verbs ἐξολεθρεύω in Dtn 9 als Indiz, das Murren in Kadesch-Barnea im Zuge der Kundschaftergeschichte, Num 14,2.36, im Hintergrund des 332 333

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3.2.3.4 Exodussummarien und -rückblicke in den Psalmen und Neh 9 Eine weitere Textgruppe, deren große Ähnlichkeiten mit der Exodusverarbeitung in 1 Kor 10 immer wieder angemerkt wird, sind konfessorische und paränetische Exodussummarien jenseits des Pentateuch.337 Traditionsgeschichtlich kann Paulus an Geschichtsrückblicke im Alten Testament anschließen, die die Wohltaten Gottes für sein Volk beim Auszug und Israels Versagen in der Wüste ähnlich einander gegenüberstellen, v. a. Ps 78; 81; 95,8–11; 106 sowie im Bußgebet des Nehemia Neh 9,6–31. Auch sie wollen künftige Generationen mahnen, die Taten Gottes nicht zu vergessen bzw. auf seine Stimme zu hören und seine Gebote zu bewahren.338

Insbesondere die Psalmen 78 (77) und 106 (105) haben Anlass gegeben, hier den maßgeblichen Text im Hintergrund des Exodusreferats in 1 Kor 10 zu sehen: „These psalms have so many individual features in common with 1 Cor 10.1–10 that one may suspect that these particular texts are consciously referred to by the author of the Pauline passage.“339 Gerade von diesen Texten „ist anzumerken, daß die Freiheit der Benutzung der Geschichte Israels in den Geschichtsüberblicken des AT für diese charakteristisch zu sein scheint“340. Die gleiche Freiheit legt auch Paulus an den Tag. Umso bemerkenswerter sind die Übereinstimmungen. a Ps 78(77) Ps 78(77) bietet eine ausführliche Nacherzählung der Exodusereignisse mit vielen Ähnlichkeiten zum Bericht von 1 Kor 10.341 Der Psalmist stilisiert sich dabei als Garant der Tradition, der die auf ihn gekommenen Geschichten über die Ruhmestaten Gottes kommenden Generationen weitergeben will (78[77],1–4). Denn Gott habe „unsere Väter“ aufgefordert, sein Zeugnis und Gebot weiterzugeben (77,5 LXX: ἐνετείλατο τοῖς πατράσιν ἡμῶν τοῦ γνωρίσαι αὐτὰ τοῖς υἱοῖς αὐτῶν), damit diese Murrens zu sehen, von dem 1 Kor 10,10 spricht. Es handele sich um „one of the main terms of this passage [Dtn 9] and is used twice in the description of the event at Kadesh Barnea (Deut 9:25–26). Thus it is probable that 1 Cor 10:10 refers to this event“ (Waaler 2008, 66.). Ihre Berechtigung gewinnt diese Überlegung dadurch, dass sich auch das Verb διαγογγύζω im Deuteronomium nur in diesem erzählerischen Zusammenhang findet (Dtn 1,27). Ähnlich verfahre auch Ps 106,25 f. 337 Vgl. dazu etwa Klein 2015; Fischer 2015; Harman 2014; Niccacci 2011; Stevenson 1997, 217–226, gesondert für Neh 9 und das hinter diesem Text stehende Programm der geistgeleiteten Schriftauslegung Boda 2015. 338 Zeller 2010, 326. Hinzuzufügen wäre Ps 106(105). Vgl. auch Hays 2005b, 10; Sandelin 1997 und viele andere. Schrage 1995, 384, legt ein besonderes Augenmerk auf diese Texte. Schrage 1995, 384, Anm. 11, zählt Ez 20 und Hen(aeth) 95–90 in diese Reihe, findet selbst jedoch kaum Ähnlichkeiten, die er im Folgenden aufzählen kann. Ez 20 betont Abfall und Götzendienst in der Wüste und fordert zur Absonderung von den Völkern auf, berührt sich darüber hinaus motivisch jedoch kaum mit 1 Kor 10. Solche Parallelen finden sich eher noch bei äthHen 89,21–33, jedoch nur punktuell und in stark stilisierter Form. 339 Sandelin 1997, 175. 340 Broer 1989, 309, Anm. 42. 341 Zum Aufbau des Psalms vgl. Gärtner 2015, 378–380.

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ihr Vertrauen auf Gott setzen und seine Gebote halten (78[77],7), und nicht wie ihre Väter würden (78[77], 8: ἵνα μὴ γένωνται ὡς οἱ πατέρες αὐτῶν), die beständig von Gott abfielen, seinen Bund nicht hielten, sich weigerten, nach seinen Gesetzen zu wandeln und seine Wundertaten vergaßen (78[77],8–11). Mit Ps 78[77],12 beginnt der eigentliche Bericht der Wunder, die Gott „vor ihren Vätern“ (ἐναντίον τῶν πατέρων αὐτῶν) tat: Er zerteilte das Meer und führte sie hindurch, während die Wassermassen sie wie ein Schlauch umgaben (77,13 LXX: διέρρηξεν θάλασσαν καὶ διήγαγεν αὐτούς ἔστησεν ὕδατα ὡσεὶ ἀσκὸν).342 Er leitet sein Volk durch Wolke und Feuer (78[77],14) und spaltet einen Felsen in der Wüste, um ihm im Übermaß zu trinken zu geben (77,15 LXX: διέρρηξεν πέτραν ἐν ἐρήμῳ καὶ ἐπότισεν αὐτοὺς ὡς ἐν ἀβύσσῳ πολλῇ).343 Als Kontrast zu diesen Wundertaten bringt der Psalm die Sünde und Provokation der Wüstengeneration in Anschlag, die Gott versucht (ἐξεπείρασαν τὸν θεὸν), indem sie „Speise für ihre Seele“ fordert (αἰτῆσαι βρώματα ταῖς ψυχαῖς αὐτῶν) und bezweifelt, dass er ihr „einen Tisch in der Wildnis bereiten“ kann (μὴ δυνήσεται ὁ θεὸς ἑτοιμάσαι τράπεζαν ἐν ἐρήμῳ) (78[77],17–21).344 Im Folgenden scheint der Psalm vor allem auch die Episode Num  11 zu verarbeiten. Im Zorn über Israels Unglauben schickt Gott ein Feuer (78[77], 21 f.), lässt Manna, nämlich „Himmelsbrot“ (ἄρτον οὐρανοῦ ἔδωκεν) und „Engelsspeise“ (ἄρτον ἀγγέλων ἔφαγεν ἄνθρωπος) auf sie regnen (78[77], 23–25), vor allem aber Wachteln, bei deren Verzehr die Elite des Volks umkommt (78[77],26–31). Nach LXX handelt es sich dabei ausdrücklich um „die Fettesten“ des Volks (τοῖς πίοσιν). Der übrige Psalm schildert, wie die Israeliten dennoch weiterhin sündigen und den Wundern Gottes keinen Glauben schenken. Ihren Lippenbekenntnissen zum Trotz brechen sie beständig den Bund (78[77], 32–37). Immer wieder versuchen sie Gott aufs Neue (78[77], 41.56) und vergessen die Wunder, die er für sie getan hat. 78[77]. Ps 78[77],44–51 rekapituliert die ägyptischen Plagen, Ps 78[77],52–55 die Führung unter Gottes Schutz bis zum Sinai und die Vertreibung der Völker. Ihr Fehlverhalten gipfelt im Götzendienst (78[77],58). Gottes Verhalten changiert bei all dem zwischen Barmherzigkeit und Vergebungsbereitschaft einerseits (78[77],38.65–72), Verwerfung und Vernichtung andererseits (78[77],56–64). Bei allen Unterschieden sind die Übereinstimmungen zwischen 1 Kor  10 und Ps 78(77) doch frappierend. Mit vielen anderen beobachtet Klauck eine vergleichbare Kombination […] in Ps  78(77),12–31. Dort werden der Reihe nach genannt: die Väter (V. 12), das Meerwunder (V. 13), das Wasser aus dem Felsen (V. 15 f.) und 342 MT scheint eher an eine Art Hohlweg zu denken, durch den Gott das Volk ziehen lässt: ‫ָּב ַקע‬ ‫ב־מיִ ם ְּכמֹו־נֵ ד‬ ַ ‫יָם וַ ּיַ ֲע ִב ֵירם וַ ּיַ ֶּצ‬. 343 MT bewahrt die Erinnerungen an verschiedene solche Ereignisse und formuliert im Plural: ‫יְב ַּקע ֻצ ִרים ַּב ִּמ ְד ָּבר וַ ּיַ ְׁש ְק ִּכ ְתהֹמֹות ַר ָּבה‬. ַ Sowohl mit ἄβυσσος als auch mit ‫ ְּתהֹום‬klingt Schöpfungssprache an (vgl. Gen 1,2; 7,11; 8,2.; 8,7 LXX). Gleiches gilt für die Wasserströme im Folgevers, der auch den Numerusunterschied zwischen LXX und MT fortschreibt. 344 MT spricht in Ps 77,20 ausdrücklich von Fleisch: ‫ׁש ֵאר ְל ַעּמֹו‬ ְ ‫אם־יָ ִכין‬.ִ

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das Brot vom Himmel (V. 24 f.), aber auch die versucherische Haltung des Volkes (V. 18 […]), die darauf ausgeht, ob Gott dem Volk in der Wüste einen Tisch (V. 19 f.[…]) bereiten könne, ihre Begierde nach Brot und Fleischesnahrung (V. 29 f. […]) und der Zorn Gottes, der zur Vernichtung eines Teils des Volkes führt (V. 31).345

Hinzu kommt das Motiv der Wolke (Ps 78[77],14), die hier wie auch in 1 Kor 10,1 f. schlicht als νεφέλη angesprochen wird.346 Doch auch über die Aufzählung gemeinsamer Motive hinaus betonen beide Texte die pädagogische Funktion der Erzählung, die die Väter als abschreckendes Beispiel in ihrem Verhältnis zu Gott zeichnet.347 „The psalmist characterizes all the transgressions of the Israelites as acts of faithlessness (vv. 57–58)“.348 In beiden Fällen steht dies nicht nur in besonderem Zusammenhang mit Nahrung, genauer βρώματα (V. 18), deren überirdische Qualität betont wird, sondern auch mit ἐπιθυμία (78[77],29 f.). Auch ist mit der Formulierung καὶ ἐπότισεν αὐτοὺς (V. 15) eine gewisse begriffliche Nähe zum πόμα in 1 Kor 10,4 gegeben.349 Im Lichte der Diskussion um die Gottesbezeichnung in Dtn 32 ist überdies bemerkenswert, dass auch Ps 78,35 MT Gott als Fels bezeichnet (‫צּורם‬ ָ ‫ֹלהים‬ ִ ‫;א‬ ֱ LXX: ὁ θεὸς βοηθὸς αὐτῶν),350 im Lichte der Rede von Dämonen in 1 Kor 10,20, dass Auslegungstraditionen überliefert sind, die in den „bösen Engeln“ in Ps 78[77],49 solche erkennen.351 Auch findet sich nur hier und in Dtn 6,16; 8,2.16 das Verb ἐκπειράζω in der biblischen Exodustradition bzw. überhaupt in LXX.352 Damit zeigt sich eine beeindruckende Reihe von Übereinstimmungen zwischen der Darstellung der Exodusereignisse in Ps 77 LXX und 1 Kor 10. Dort, wo es sich um sprachliche Berührungspunkte handelt, sind diese jedoch – auch unabhängig von den ebenso vorhandenen Unterschieden  – auf einer Ebene angesiedelt, die eine direkte Beeinflussung als möglich, aber nicht notwendigerweise gegeben erscheinen lässt.

345 Klauck 1982, 252 f. Cover 2015, 75, hält die Nennung der Väter für ein besonders starkes Argument, „that Paul had recourse to these alternative wilderness narratives, as ‚our fathers told (διηγήσαντο) them to us‘ (LXX Ps 77:3)“. 346 Vgl. Habermann 1990, 203. 347 Ps 78[77],57 macht die Väter geradezu zum Inbegriff der Treulosigkeit: καὶ ἀπέστρεψαν καὶ ἠσυνθέτησαν καθὼς καὶ οἱ πατέρες αὐτῶν. 348 Works 2014, 67, wobei auch dies innerhalb der Exodustradition gerade kein Alleinstellungsmerkmal von Ps 78(77) ist. Works 2014, 68, Anm. 84, vergleicht Röm 3,3b-4a, wo Paulus ebenfalls Israels Untreue und Gottes Treue einander gegenüberstellt. 349 Vgl. Habermann 1990, 204. 350 Vgl. Waaler 2008, 63, Anm. 71. 351 Gig. 17 verbindet Ps 78(77),49 mit Gen 6,2 um zu demonstrieren, dass es sich bei den bösen Engeln um Dämonen handelt, „die sich vom Körperlichen gefangen nehmen lassen“ (Böhm 2017, 93). Dabei handelt es sich bezeichnenderweise insb. um ἐπιθυμία (vgl. Gig. 18). Freilich haben diese Dämonen eine andere Rolle als die, von denen Paulus spricht. 352 Die Abfolge ἐκπειράζω (78 [77],18) und einfaches πειράζω (78[77], 41.56) entspricht dabei der Verwendung der Verben in 1 Kor 10,9.

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b Ps 81(80) Auch Ps 81(80) kleidet eine Ermahnung zur alleinigen Anbetung des einen Gottes und zum Gesetzesgehorsam ins Gewand eines Loblieds auf die Machttaten des Exodus. Den Auszug aus Ägypten zeichnet er dezidiert als Befreiungsgeschehen (81[80],7 f.). Gott half Israel aus seiner Not, antwortete seinem Schreien aus der Wolke (81,8 MT)353 und prüfte es am Haderwasser (ἐδοκίμασά σε 80,8 LXX)354. Der Gedanke der Versorgung mit Nahrung ist zentral. Das Verbot, andere Götter anzubeten, begründet Ps 81(80),11: Denn ich bin Kyrios, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat: Öffne deinen Mund weit und ich werde ihn füllen (ἐγὼ γάρ εἰμι κύριος ὁ θεός σου ὁ ἀναγαγών σε ἐκ γῆς Αἰγύπτου πλάτυνον τὸ στόμα σου καὶ πληρώσω αὐτό). Und während Gott sein Volk zwar derzeit dem eigenen Ungehorsam überlasse, wird ein möglicher neuer Gesetzesgehorsam mit der Verheißung versehen: Mit dem Fett von Weizen würde ich es speisen und mit Honig aus dem Felsen sättigen (81,17 MT).355 Sprachliche und motivische Anknüpfungspunkte zu 1 Kor 10 bieten die Rede vom Fels und für den masoretischen Text die Erwähnung der Wolke, der Stellenwert, der dem Thema Essen und Trinken zukommt, das Motiv der Prüfung und der Zusammenhang der Alleinverehrung Gottes. c Ps 95(94) Ps 95(94) beginnt als Aufruf zum Lob des allmächtigen Schöpfergottes. Ab Vers 7b verwandelt er sich jedoch überraschend in eine Rede Gottes, der die Adressaten auffordert, ihre Herzen anders als „am Tag der Versuchung in der Wüste“ (Ps 94,8: κατὰ τὴν ἡμέραν τοῦ πειρασμοῦ ἐν τῇ ἐρήμῳ), „wo eure Väter mich auf die Probe stellten und meine Werke sahen“ (Ps 94,9: οὗ ἐπείρασαν οἱ πατέρες ὑμῶν ἐδοκίμασαν καὶ εἴδοσαν τὰ ἔργα μου), nicht zu verhärten. Schließlich habe das verstockte Herz der Väter Gottes Zorn erregt und zur vierzigjährigen Wüstenwanderschaft geführt (Ps 95[94],10 f.). Hier steht also ganz das Motiv der Versuchung Gottes im Mittelpunkt. Wie in 1 Kor 10 fordert der Psalm dazu heraus, sich vom Verhalten der Väter abzugrenzen, und führt, sofern man Num 14 als Bezugstext von 1 Kor 10,5 annimmt, die Strafe der Wüstenwanderschaft ins Feld. Während MT diese anders als Num 14 auf das Vergehen des Volkes in Massa und Meriba zurückzuführen scheint, greift LXX bemerkenswerterweise diese Ortsnamen nicht direkt auf. Wird der Ortsname Meriba dort LXX spricht vermutlich sachgleich vom „Verborgenen des Sturms“ (ἐν ἀποκρύφῳ καταιγίδος). Vgl. Num 20,13. Obwohl Ps 81(80) das Geschehen dezidiert als Prüfung versteht, fehlt jede πειρασμός-Terminologie. Für eine mögliche Kombination mit der hier anzutreffenden Ausdrucksweise vgl. Ps 95(94),9: οὗ ἐπείρασαν οἱ πατέρες ὑμῶν ἐδοκίμασαν καὶ εἴδοσαν τὰ ἔργα μου. 355 Die Ähnlichkeit zu Dtn  32,13 ist zu beachten. Ps  80,17 LXX scheint einmal mehr die Versorgung beim Exodus zu konstatieren: καὶ ἐψώμισεν αὐτοὺς ἐκ στέατος πυροῦ καὶ ἐκ πέτρας μέλι ἐχόρτασεν αὐτούς. 353

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stets mit λοιδόρησις und das „Haderwasser“ (‫)מי ְמ ִר ָיבה‬ ֵ mit ὕδωρ ἀντιλογίας wiedergegeben (vgl. Ex 17,7; Num 20,13.24; 27,14; Dtn 32,51; 33,8; Ps 81,8 LXX; 106,32 LXX), spricht Ps 94,8 LXX unspezifisch vom Geschehen „in der Provokation“ (ἐν τῷ παραπικρασμῷ), am „Tag der Versuchung in der Wüste“ (κατὰ τὴν ἡμέραν τοῦ πειρασμοῦ ἐν τῇ ἐρήμῳ). Da auch Num 14,22 Israel vorwirft, Gott durch sein Zaudern zu versuchen (ἐπείρασάν με), ließen sich die Berichte anhand der griechischen Textfassung also auch harmonisieren. d Ps 105(104) Ps 105(104) entfaltet anhand der Wunder des Exodus und der Wüstenzeit ein umfangreiches Gotteslob. Nach einer breiten Schilderung, wie Israel nach Ägypten gelangte (105[104],8–23) und wie Gott es durch Mose und Aaron aus Ägypten befreite (105[104],24–38), erinnert der Psalm an Wolke (105[104],39), Wachteln und Himmelsbrot sowie Wasser in der Wüste (105[104],40). Die Weise, in der Ps 105(104),39 von der Wolke spricht, korrespondiert sachlich der Vorstellung in 1 Kor 10,1b (διεπέτασεν νεφέλην εἰς σκέπην αὐτοῖς).356 Es ist dies zwar „keine terminologisch übereinstimmende Aussage, vermag aber für den Sinn von 1 Kor 10,1 eine Erhellung beizutragen“357. Zudem wird auch hier die übernatürliche Qualität des Manna betont (Ps 104,40: ἄρτον οὐρανου) und daran erinnert, dass das Wasser aus einem Felsen kam (Ps  104,41: διέρρηξεν πέτραν). Während Ps  106(105) sich auf die Vergehen der Wüstengeneration konzentriert, liegt der Fokus hier auf den Wohltaten Gottes. 1 Kor 10 spricht von beidem. In der Tat finden sich Indizien, dass Ps 105–107 mitunter als ein zusammenhängender Text gelesen wurde.358 Dennoch lehnt etwa BJ Oropeza eine Zusammenschau dieser Psalmen als möglichem Bezugstext von 1 Kor 10 ab. Denn zusammengelesen stimme die Reihenfolge der Ereignisse nicht mehr überein, plötzlich geriete die Rettung am Meer in die Mitte (106[105],9), wohingegen Paulus sie zuerst nennt (1 Kor  10,1 f.).359 Der Einwand scheint von einer direkten Verwendung der Texte als Vorlage für das paulinische Exodusreferat auszugehen.360 Allerdings macht der gesammelte Befund mehr und mehr fraglich, inwiefern ein solches Verständnis der paulinischen Schriftrezeption an dieser Stelle gerecht wird, die eklektisch aus verschiedenen  – oder uns nicht mehr vorliegenden  – Texten zu schöpfen scheint und die Ereignisse ohnehin in einer höchst eigenwilligen Reihenfolge bietet. 356 Vgl. Merklein 2000, 244. Vgl. auch Num 10,36 und 14,14. Die targumische Tradition spricht von einem „Vorhang“. Hossfeld/Zenger 2008,108 ziehen eine Parallele zum schützenden Adler aus Dtn 32,11. 357 Habermann 1990, 204. 358 Vgl. die Erläuterung bei Böhm 2017, 35, zu 11QPsa. 359 Vgl. Oropeza 2000, 137, Anm. 70. 360 Dies entspricht zwar nicht Oropezas eigenen Schlussfolgerungen, scheint aber doch die logische Voraussetzung seines Arguments zu sein.

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e Ps 106(105) Auch Ps 106(105) beginnt als Gotteslob, wandelt sich aber bald in ein Bekenntnis der eigenen Sündhaftigkeit, die ins Verhältnis zu den Vergehen der Wüstengeneration gesetzt wird.361 Dadurch ähnelt er 1 Kor 10 in seinem Anliegen mehr als Ps 105(104). Nach dem Eingangslob (106[105],1–5) bekennen die Beter, gesündigt zu haben „mit unseren Vätern“ (106[105],6; ἡμάρτομεν μετὰ τῶν πατέρων ἡμῶν). Es folgt die Aufzählung der Vergehen der Wüstengeneration nach dem nun schon bekannten Muster: Die Väter wollten Gottes Wunder nicht verstehen, sondern vergaßen sie und forderten Gott stattdessen heraus (παρεπίκραναν) (106[105],7). Dennoch hat Gott sie gerettet und so seine Macht offenbart (106[105],8). Er führte das Volk durchs Meer wie durch die Wüste (106[105],9: ὡδήγησεν αὐτοὺς ἐν ἀβύσσῳ ὡς ἐν ἐρήμῳ) und rettete sie so aus der Hand ihrer Feinde (106[105],10 f.). Doch dessen Dankbarkeit währt nicht lange (106[105],12 f.). Vielmehr versuchen die Israeliten Gott mit ihrer Begierde (106[105],14; καὶ ἐπεθύμησαν ἐπιθυμίαν ἐν τῇ ἐρήμῳ καὶ ἐπείρασαν τὸν θεὸν ἐν ἀνύδρω), was dieser mit einer Seuche vergilt (106[105],15). Sie erzürnen (παρώργισαν) Mose und Aaron, woraufhin Dathan und Abiram vom Erdboden verschlungen werden (106[105],17, vgl. Num 16,24–34; 26,9 f.) und ein Teil des Volks vom Feuer verzehrt wird (106[105],18, vgl. Num 16,35). Sie machen sich ein goldenes Kalb, beten es an und vergessen die Rettung am Meer (106[105],19–22) und wären ohne die Fürbitte des Mose verloren gewesen (106[105],23). Sie schenken Gott kein Vertrauen und murren gegen ihn (106[105],25: ἐγόγγυσαν), so dass er sie in der Wüste niederwirft (106[105],26). Sie beten den Baal-Peor an und essen Totenopfer (106[105],28), woraufhin eine Plage über sie kommt, bis Pinhas das Gericht vollzieht (106[105],28–31, vgl. Num 25). Sie erzürnen Gott am Haderwasser (vgl. Num 20,2–13) und lassen sich von den Völkern des Landes zum Götzendienst verleiten, statt sie zu vernichten (106[105],32–39), woraufhin sie in die Hand ihrer Feinde fallen (106[105],40–42). Und doch kann auf Gottes Bundestreue gehofft werden (106[105],43–48). „Psalm 105 LXX [106] is significant because it combines all the vices in the wilderness that Paul mentions in the Corinthian account“.362 Und nicht nur das: „The verbal and thematic correspondence is impressive“.363 Israel gibt in der Wüste der ἐπιθυμία nach (105,14 LXX /1 Kor  10,6, vgl.  Num  11,4), versucht Gott (105,14 LXX /1 Kor 10,9); murrt (105,25 LXX /1 Kor 10,10)364, wird neidisch auf Mose (105,16 LXX), verübt Götzendienst (105,19.28.36–39 LXX /1 Kor  10,7.14) bzw. opfert Dämonen (105,37 LXX /1 Kor  10,18–22) und isst Götzenopferfleisch (105,28 LXX, 361 Gärtner 2015, 385, spricht von einer „history of guilt“. Meeresdurchzug und Untreue des Volks gelten ihr als theologische „focal points“ des Psalms – eine gewisse Parallele zum theologischen Programm von 1 Kor 10. 362 Oropeza 2000, 136. 363 Cheung 1999, 144, Hervorhebung K. O. 364 Wegen der Formulierung „murren in den Zelten“ (ἐγόγγυσαν ἐν τοῖς σκηνώμασιν) vermutet Oropeza 2000, 137, einen Rückgriff auf Dtn 1,27 (καὶ διεγογγύζετε ἐν ταῖς σκηναῖς ὑμῶν).

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vgl. Num 25; Hos 9,10b). Wegen all dem droht Gott, Israel zu vernichten (105,23 LXX ἐξολεθρεῦσαι/1 Kor  10,9.10).365 „[L]ediglich die Porneia ist in Ps  105 LXX nicht erwähnt“.366 Zudem nennt Ps 106(105),19–23 ebenso wenig wie Paulus eine Strafe für den Bundesbruch, wohingegen der Bericht in Ex 32,28.35 von 3000 Toten spricht.367 Wie in den anderen angeführten Fällen lässt sich jedoch auch eine Fülle von Abweichungen feststellen: [Nevertheless, t]he genre of this psalm is confessional, not exhortational like Paul’s narrative. Also, the order of rebellions in Psalm 105 are in a different order than Paul’s account. Moreover, the judgements that follow the rebellions in Psalm 105 do not find good corollaries in Paul’s account. […] While Paul may have derived some ideas from this psalm tradition, his wilderness account does not seem to depend on it.368

f Bußgebet Neh 9 Neh 9 bietet das Bußgebet des Volks Israel. Nachdem es sich wieder von den Fremden, mit denen es sich zuvor vermischt hatte, abgesondert hat, bekennt es die eigenen Sünden und die seiner Väter (9,2: τὰς ἀνομίας τῶν πατέρων αὐτῶν), hört das Gesetz und betet Gott an (9,3). Im Wesentlichen besteht das Gebet aus einer Rekapitulation der Exodusereignisse. Geschildert werden der Meeresdurchzug (9,9–11) (9,11: παρήλθοσαν ἐν μέσῳ τῆς θαλάσσης), die Führung durch Wolken- und Feuersäule (9,12: ἐν στύλῳ νεφέλης ὡδήγησας), die Offenbarung der Gebote am Sinai vermittels Mose (9,13 f.), die Versorgung mit „Brot vom Himmel“ (ἄρτον ἐξ οὐρανοῦ ἔδωκας) und „Wasser aus einem Felsen“ (ὕδωρ ἐκ πέτρας ἐξήνεγκας) (9,15) sowie die Aufforderung, das Land unter Gottes Schutz einzunehmen (9,15). Dem entgegen steht die Vermessenheit der Väter (9,16: καὶ οἱ πατέρες ἡμῶν ὑπερηφανεύσαντο), die Gottes Wundertaten vergessen und beschließen, nach Ägypten zurückzukehren (9,17). Doch selbst als Israel das goldene Kalb anbetete (9,18), habe Gott es in seiner Gnade nicht verstoßen, sondern ihm weiter in Feuer- und Wolkensäule den Weg gewiesen (9,19). Er gab ihm vielmehr seinen Geist zur Unterweisung, Manna und Wasser (9,20) und bewahrte es auf wunderbare Weise vierzig Jahre lang in der Wüste (9,21), zerstörte Völker vor ihm und brachte es ins gelobte Land (9,22–24). Das Volk dankte es ihm jedoch nur mit einer immer neuen Abfolge von Abfall und Klage um Errettung, die Gott in seiner Stärke und Gnade (ὅτι ἰσχυρὸς εἶ καὶ ἐλεήμων καὶ 365 Vgl. Cheung 1999, 144; Klauck 1982, 253, Anm. 68; Oropeza 2000, 136. Cheung betont zudem die Rolle des Psalms im weiteren Zusammenhang: „To these items we may add the use of σκάνδαλον (v. 36; σκανδαλίζω 1 Cor. 8.13) for idolatry, […] and the figurative use of defilement for the sin of idolatry (vv. 38–39; 1 Cor. 8.7). It is important to note that Paul alludes to Psalm 105 with primary reference to idolatry and that the allusions to the Psalm are made in 1 Cor. 8.1–13, 10.1–13, and 10.14–22.“ 366 Habermann 1990, 205. 367 Vgl. Oropeza 2000, 136. Vgl. auch Anm. 360. 368 Oropeza 2000, 137.

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οἰκτίρμων) stets gewährte (9,24–31). Das Gebet endet mit Akklamation, Schuldeingeständnis und Bundeserneuerung durch das gegenwärtige Israel (9,32–37). Freilich unterscheidet sich dieser Bericht in vielerlei Hinsicht von der Darstellung in 1 Kor 10.369 Doch an Parallelen lassen sich in Neh die πατέρες ἡμῶν (Neh  9,9), der Durchzug durch das Meer (Neh  9,11), die Führung durch die Wolken- bzw. Feuersäule (Neh  9,12.19), die Person des Μωυσῆς (Neh 9,14) sowie die Speisung durch ἄρτον ἐξ οὐρανοῦ und Wasser aus dem Felsen (Neh, [sic] 9,15.20) nennen.370

Vor allem findet sich hier auch eine „Verbindung von Geist, Manna und Wasser (aus dem Felsen)“371, die den übrigen vorgeschlagenen Bezugstexten fehlt. Damit sind hier „auf einem relativ kleinen Raum zentrale Elemente von 1 Kor 10,1–4“372 versammelt, ohne dass Neh 9 sich jedoch als direkte Vorlage aufdrängen würde.373 g Zusammenfassung Die große Gemeinsamkeit vieler der hier vorgestellten Exodusrückblicke mit dem Exodusreferat in 1 Kor 10,10 liegt in der paränetischen Ausrichtung der Texte, die vor dem Beispiel der Väter warnen, die Gottes Machttaten erleben und doch von ihm abfallen.374 Darüber hinaus zeigen sie „ein gewisses Grundmuster (Meer, Wolke, Manna, Fels)“375 an Elementen (vgl. Ps 78[77; dort in der Reihenfolge Fels – Manna], 105/6[104/5], Neh 9), das sich auch bei Paulus findet – wenn auch stets in anderer Reihenfolge. Insbesondere Ps 78(77) und 106(105) zeigen darüber hinaus eine Fülle von Berührungspunkten, auch was die Darstellung der sträflichen Verhaltensweisen der Väter anbelangt. Insgesamt überwiegen doch auch hier die Unterschiede. Weder alle Elemente des Exodusreferats noch alle Aspekte seiner Darstellung lassen sich vollumfänglich vor dem Hintergrund dieser Traditionen erklären. Damit ist Michael Cover zuzustimmen, wenn er resümiert: „The thesis of Sandelin and others, that 1 Cor 10:1–10 can be explained purely in terms of a biblical psalmic or narrative pattern, thus needs to be qualified“.376 Vgl. Habermann 1990, 203. Schneider 2011, 202. 371 Merklein 2000, 245. Nach Boda 2015 rückt Neh 9 Geist und Tora in eine Position, die zuvor Mose und die Propheten als geistgeleitete Personen innehatten. 372 Habermann 1990, 203. 373 Braumann 1962, 18 f., möchte hingegen 10,1–4 ganz vor dem Hintergrund von Neh  9 verstanden wissen. 374 Sandelin 1997, 177, resümiert etwa zu Dtn 32,7–27; Neh 9,6–37 und Ps 78: „the apostasy of the fathers is described against the background of the benevolent acts of God.“ 375 Habermann 1990, 203. 376 Cover 2015, 77, hebt besonders auf die Reihenfolge der Elemente ab und fährt fort: „Nowhere in the psalmic or wisdom material do we find the same sequential rehearsal of all four elements (cloud, sea, food, drink) following exactly the sequence of their appearance in Paul and followed by the same set of warnings.“ 369 370

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3.2.3.5 Exodusrückblicke in der weisheitlichen Literatur Vereinzelt wurde vorgeschlagen, die Schriftverwendung des Paulus in 1 Kor 10 vor allem vor dem Hintergrund der weisheitlichen Literatur zu verstehen.377 Insbesondere in Sap findet sich eine umfangreiche Verarbeitung der Exodustradition. In dem Sap eigenen Stil handelt es sich bei den Bezugnahmen auf biblische Texte im wesentlichen um Paraphrasen im weiteren Sinn, gelegentlich auch um Anspielungen und Verwendung biblischer Sprache; Zitate fehlen ganz. […] Dadurch sind die Paraphrasen völlig in die gegenwärtige Argumentation integriert.378

Der Rückblick auf die Geschehnisse des Exodus in Sap  unterscheidet sich so in vielerlei Hinsicht von den Exodussummarien der Psalmen und in Neh 9. Dennoch finden sich auch verschiedene Übereinstimmungen mit der Darstellung in 1 Kor 10. a Sap 10–15 Sap 10,15–11,14 beschreibt, wie die Weisheit Israel aus Ägypten und durch die Wüste führt. In Sap 10,17 ist es die Weisheit, die εἰς σκέπην, zu einer Schutzdecke auf dem Weg der Heiligen wird. Sie wird damit mit den gleichen Worten beschrieben wie die Wolke in Ps 104,39 LXX.379 Oft wird hierin ein Anknüpfungspunkt für die Angabe ὑπὸ τὴν νεφέλην ἦσαν in 1 Kor 10,1 gesehen,380 allerdings sollte deutlich geworden sein, dass diese Vorstellung keineswegs auf Sap  10,17 beschränkt ist (vgl.  neben Ps 104,39 LXX auch Num 9,18.22; 10,36). In jedem Falle betont diese Tradition die Rolle der Weisheit bzw. Wolke beim Meeresdurchzug: Sie führt Israel durch die Fluten. Nach Sap 10,19 ist es die Weisheit, die die Feinde Israels im Meer ertränkt. Dabei handelt es sich um eine Aufgabe, die nach Philo auch der Wolke zukam (Her. 203 f.).381 Da Sap nicht nur Wolke und Weisheit in eines setzt, sondern auch die Weisheit als πνεῦμα beschreibt,382 besteht hier eine gewisse Verwandtschaft zur Vorstellung der Wolke als Geist. Wenig überraschend bestimmt eine solche „weisheitslastige“ Interpretation auch die übrige Darstellung der Exodusgeschichte. Direkt nach dem Meeresdurchzug (10,16: διήγαγεν αὐτοὺς δι᾽ ὕδατος πολλοῦ, vgl. 77,13 LXX) berichtet der Text von der Wüstenwanderung (11,2) und Wasser, das „ihnen aus dem Kieselfels gegeben wurde“ (11,4: ἐδόθη αὐτοῖς ἐκ πέτρας ἀκροτόμου ὕδωρ), nachdem sie die Weisheit angerufen haben. Sucht man nach dem Ursprung der Tradition, die Weisheit mit dem Fels in der Wüste zu identifizieren, wie Philo, 377 Liebers 1989, 196–201, betrachtet Sap als wesentlichen Bezugstext für 1 Kor 10,1–4. Noch weiter geht Feuillet 1965. 378 Julius 1999, 58. 379 Vgl. ferner Stuart 2019 für einen möglichen Einfluss des Psalms auf die Exodusdeutung von Sap. 380 Vgl. Cover 2015, 72 f.; Liebers 1989, 198; Schaller 2001, 172; Wolff 1990, 42; Zeller 2010, 327, u. a. 381 Dazu ausführlicher Sandelin 1997, 168–179. Vgl. auch Sandelin 1987. 382 Vgl. v. a. Sap 1,5–7, ferner Edwards 2012, 68–70.

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Leg. 2,86, es tut, ist dies ein weiteres Puzzleteil.383 Daraus, dass sich „nur in Sap die Vorstellung vom ‚pneumatischen‘ Charakter der Weisheit und das Motiv ihrer Begleitung“ finde, erschließt Liebers eine Beeinflussung.384 Sap 11,5, „Wodurch ihre Feinde bestraft wurden, durch eben dies wurde ihnen, die es brauchten, Gutes getan“ (δι᾽ ὧν γὰρ ἐκολάσθησαν οἱ ἐχθροὶ αὐτῶν διὰ τούτων αὐτοὶ ἀποροῦντες εὐεργετήθησαν), setzt den Ton für die weitere Darstellung der Ereignisse. In Sap  11,6 f., 12,19–27 werden die Wohltaten an den Israeliten dem Strafgericht an ihren Feinden gegenübergestellt. Zentral im Blick ist stets die Gefahr des Götzendienstes, d. h. „geistiger Unzucht“ (vgl. 14,12: ἀρχὴ γὰρ πορνείας ἐπίνοια εἰδώλων εὕρεσις δὲ αὐτῶν φθορὰ ζωῆς), die den Allmächtigen nicht nur verärgert, sondern in Anbetracht seiner Macht lächerlich ist (vgl. 11,15–12,18; 13,1–15,39). b Sap 16–19 Sap 16–19 führt diese gedankliche Linie fort und schildert dabei weitläufig und teils allegorisierend die Heils- und Strafwunder in der Wüste im Kontrast zu den ägyptischen Plagen.385 Wie auch sonst in Sap „sind die personalen Bezeichnungen Israeliten bzw. Ägypter durch die religiösen Bezeichnungen δίκαιοι und ὅσιοι bzw. ἄνομοι und ἀσεβεῖς ersetzt“386. Der Bezug ist dennoch eindeutig. Anstelle einer Tierplage haben die Israeliten erfahren, wie Gott „für die Begierde“ Wachteln sendet (16,2: εἰς ἐπιθυμίαν ὀρέξεως ξένην γεῦσιν τροφὴν ἡτοίμασας ὀρτυγομήτραν). Im Gegensatz zur Heuschrecken- und Fliegenplage erfuhr Israel in der Schlangenplage letztlich Rettung (16,5: διεφθείροντο ὄφεων). Während Regen, Hagel und Feuer Ägypten zerstörten, rettete Gott Israel durch Engelsspeise, nämlich das vom Himmel kommende Brot (16,20: ἀνθ᾽ ὧν ἀγγέλων τροφὴν ἐψώμισας τὸν λαόν σου καὶ ἕτοιμον ἄρτον ἀπ᾽ οὐρανοῦ παρέσχες αὐτοῖς), das der Begierde zum Guten diente (16,21: ἐπιθυμίᾳ ὑπηρετῶν). Über Ägypten kam die Finsternis als Gericht (17,1–21), seinem Volk diente Gott aber in der Feuersäule (18,1–4). Ägyptens Erstgeburt kam um und es erlebte Gottes Wort wie einen schrecklichen Krieger (18,5–19). Zwar musste auch Israel in der Wüste den Tod schmecken (18,20), doch wurde dieser Plage durch das liturgische Eintreten Aarons gewehrt (18,21, vgl. Num 17,6–15). Der letzte Gedankengang wird insgesamt von ὄλεθρος-Terminologie bestimmt (vgl. 18,13.15.25) und gipfelt in der Aussage, dass „der Verderber“ (18,25: ὁ ὀλεθρεύων) als Personifikation des göttlichen Zorns schließlich vor Aaron entwich. Hier ähnelt die Auslegung der in Num 16 berichteten Episode von der Rebellion der Rotte Korach späteren Auslegungen. Auch diese sehen hier den ‫ ַמ ְׁש ִחית‬am Werk.387 Vgl. Habermann 1990, 207; Liebers 1989, 199. Liebers 1989, 200. 385 Ansätze für eine solche Gegenüberstellung finden sich auch andernorts. An keinem dieser Orte ist der Gedanke jedoch derart entfaltet wie hier. Vgl. auch Barclay 2015, 202–206. 386 Julius 1999, 60. 387 S.o. S. 95. 383 384

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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Sap 19 schließlich fasst auch am Beispiel der Meeresrettung zusammen, dass die ganze Schöpfung den Kindern Gottes zum Guten dient. In Aufnahme nun bereits geläufiger Formulierungen spricht 19,7 davon, dass die Wolke das Lager der Israeliten beschattet (σκιάζουσα νεφέλη, vgl. Num 10,36). Israel schließlich zieht unter Gottes Schutz durch das Meer und wird seiner Wunder gewahr (19,8: πανεθνεὶ διῆλθον οἱ τῇ σῇ σκεπαζόμενοι χειρὶ θεωρήσαντες θαυμαστὰ τέρατα). Ähnlich wie in Ex 14,39 und 1 Kor 10,1 f. werden Wolke und Meer hier in einem Atemzug genannt. Sap 19,9 schließlich weist den Meeresdurchzug noch einmal ausdrücklich als Rettungsgeschehen aus und Sap 19,1 benennt in Spannung zu dieser Rettungserfahrung die Begierde (ἐπιθυμία). Sap und 1 Kor 10 teilen somit die Zusammengehörigkeit von Wolke und Durchzug durch das Meer, die richtige Vorordnung der Wolke vor das Meer, die Väter, [sowie, wenn man diesen Weg gehen möchte] die Weisheit als Spenderin, Ursprung geistlicher Gaben, ja als diese Gabe selbst, [und] die Weisheit als eine in der Geschichte wirkende Größe, die im Alten Testament an wichtigen Orten an Gottes Stelle handelt.388

Hinzu kommt die Gestalt des ὀλεθρεύων und die Konzeptualisierung des Ungehorsams, der sich als Verlangen nach Speise äußert, als ἐπιθυμία. Noch deutlicher als andere hier vorgestellte Traditionen zeichnet Sap den Schilfmeerdurchzug als Neuschöpfung. Die Weisheit schwebt über Lager und Meer wie der Geist über den Urfluten (Gen 1,2) und aus dem Wasser ersteht trockenes Land (vgl. Gen 1,9).389 Jonathan A. Linebaugh betont die Unterschiede zwischen der hier greifbaren Hermeneutik und der des Paulus: The author of Wisdom of Solomon and the Paul of Romans read the same texts, yet they read them differently. […] the recurrent points of contact are not coincidences of formal convergence but products of a shared textual inheritance; the recurrent points of debate are not accidental material divergences but products of different readings.390

Während Sap Geschichte als Ausdruck des von Gott geordneten Kosmos und seiner moralischen Normen entwerfe, denke Paulus ganz vom Christusgeschehen her. Dass Sap den Bundesbruch von Ex 32 ausspart, der für Paulus hier so zentral ist, ist bezeichnend für diesen Unterschied in der Weltsicht.391 Auf der technischen Ebene gibt es jedoch durchaus Berührungspunkte. Wiederum im Kontext der Befreiungsgeschichte Israels aus Ägypten findet man in Weish 16,6 f. den Hinweis auf die νουθεσία: εἰς νουθεσίαν … σωτηρίας. Nουθεσία wird hier explizit als göttliches Vorzeichen zur Rettung dargestellt. Der Text berichtet dabei von einem gött-

Habermann 1990, 207. Vgl. Winston 1984, 325. Eine ähnliche Parallelisierung des Meeresdurchzugs mit der Schöpfung unter direktem Zitat von Gen 1,9 findet sich auch in LAB 15,5. 390 Linebaugh 2013, 177. 391 Vgl. auch Barclay 2015, 202–206. 388 389

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lichen Strafwunder, das die Menschen an die Grundlagen der göttlichen Weisung (νόμου σου) erinnern soll. Ziel dieses göttlichen σύμβολον ist σωτηρία der Angesprochenen.392

Ganz ähnlich ließe sich die Funktion der νουθεσία in 1 Kor 10,11 beschreiben. Die fehlende Christusorientierung dieser Hermeneutik holt Paulus dadurch ein, dass er Christus schon in die Geschichte der Wüstengeneration einschreibt. c Sir 15,3 und Prov 9,1–6 Neben Sap 10,17 f., 11,4b und Sap 19,7 bringt Jürgen Habermann auch Sir 15,3 und Prov 9,1–6 als mögliche Bezugstexte zu 1 Kor 10 ins Gespräch: Nach Sir 15,3 wird sie [die Weisheit] den Gottesfürchtigen mit dem Brot des Verstehens nähren (ψωμιεῖ αὐτὸν ἄρτον συνέσεως) und ihn mit dem Wasser der Weisheit tränken (καὶ ὕδωρ σοφίας ποτίσει αὐτόν). Nach Prov 9,1–6 fordert die Sophia dazu auf, von ihrem Brot (Plural) zu essen und von ihrem Wein zu kosten. Das wird in V 6 dahingehend interpretiert, daß das Gehen auf dem Weg der Einsicht in Erkenntnis (κατορθώσατε ἐν γνώσει σύνεσιν) gemeint ist.393

Der Exodusstoff wird in keinem dieser Zusammenhänge rezipiert und so bleiben die Berührungspunkte zu 1 Kor 10 auch punktuell. Zusammengenommen belegen die von Habermann angeführten Verse, dass auch innerbiblisch Traditionen bezeugt sind, die eine Identifikation des nahrungsspendenden Felsens mit Christus als der Weisheit nahegelegt haben könnten. 3.2.3.6 Die heilszeitliche Exodusdeutung der Propheten Mit einer gewissen Regelmäßigkeit wird auf punktuelle Berührungen des Exodusreferats in 1 Kor 10 mit der prophetischen Literatur, insbesondere Jesaja hingewiesen.394 BJ Oropeza geht ausführlicher auf diesen Zusammenhang ein und bemerkt: In the Isaianic tradition the Red Sea/wilderness episode stands out as a major motif, and it forms the background for discussion regarding the ‚new exodus‘ which is characterised by the eschatological redemption from Babylon or another foreign power, the return from exile, and Zion’s restoration (e. g., Isa 4:2–6; 11:1–15; 26:20; 27:12–13; 31:5; 40:3–5; 43:2–17; 48:20–21). The Divine Presence in the wilderness is associated with the Holy Spirit (Isa 63:7–14; cf. 19:1; Psa 106:32–33).395 Schneider 2011, 232. Habermann 1990, 207. Vgl. auch Liebers 1989, 200. Zur Zusammenfassung und Kritik an den hinter Habermann stehenden Überlegungen, die mitunter zu detailverliebt nach Übereinstimmungen zwischen Sap und 1 Kor 10 suchen vgl. van Roon 1974, 228–230. Van Roon möchte den Schrifthintergrund beileibe selbst stark vereinfachend auf einige Psalmen beschränken. 394 Zur Rezeption der Exodustradition bei Jesaja und Ezechiel vgl. Niccacci 2011, 22–34. 395 Oropeza 2000, 93 Vgl. ferner Oropeza 2000, 121: „The re-creation of the wilderness is particularly emphasised in the Isaianic tradition which often depicts it as a new exodus (e. g. Isa. 35; 41:18f; cf. Ezek 36).“ 392 393

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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Auch das Wasser, das Gott auf wundersame Weise in der Wüste fließen lässt, werde zum Bild der Geistausgießung (vgl. Jes 11:10–16; 32,15; 43,18–21; 44,3; 48,20 f.).396 In Anbetracht des Stellenwertes, den das Jesajabuch für Paulus hatte,397 ist davon auszugehen, dass diese Form der Exodusdeutung Paulus wohl vertraut war. Das allein ist jedoch kein hinreichendes Argument, um die Wolke, von der Paulus in 1 Kor  10,1 f. spricht, mit Gottes Geist gleichzusetzen.398 Auch bei all diesen Textstellen fehlen signifikante sprachliche Übereinstimmungen. Als einen Text, der in besonders großer Nähe zu 1 Kor 10 steht, hebt Oropeza Jes 63,9–13 hervor.399 Eingebunden in Gerichtsworte findet sich dort ein Gotteslob, das Israels Rettung erinnert (63,7–9), diesem Geschehen jedoch Israels Ungehorsam gegenüberstellt (ἠπείθησαν καὶ παρώξυναν τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον αὐτοῦ), der göttliche Strafe nach sich zieht (63,10). In der Bitte um Erbarmen erinnert sich der Beter des Meeresdurchzugs, den Gott gebrauchte, um durch Mose seine Herrlichkeit zu demonstrieren (63,11–13). Auch habe Gott Israel durch seinen heiligen Geist geführt und so seinen Namen verherrlicht (63,14 LXX). Bemerkenswerter als diese motivischen Berührungspunkte ist der Beginn des unmittelbar anschließenden Bußgebets. Dort fordert der Beter Gott heraus, sich seines Volkes zu erbarmen, und erinnert ihn dazu an seinen Eifer und seine Stärke (63,15: ποῦ ἐστιν ὁ ζῆλός σου καὶ ἡ ἰσχύς σου), greift also die zwei Konzepte auf, die die Abschlussfragen 1 Kor 10,22 bestimmen. Gott sei auch dort Vater, wo Abraham und Israel ihre Kinder zurückgewiesen hätten (63,16). Er möge es nicht weiter zulassen, dass sein Volk von ihm abirrt. Trotz dieser einen bemerkenswerten Parallele gibt es keine überzeugenden oder gar zwingenden Hinweise auf Jesajaworte als Bezugstext zu 1 Kor 10. Jes 63 nimmt ebenso erinnernd Exoduselemente auf, wie Paulus es tut. Im Hinblick auf die eschatologisierende Deutung, die es ihm erlaubt, von den Exodusereignissen auf die Gegenwart zu deuten, mag Paulus von Jesaja beeinflusst sein. Ein solcher hermeneutischer Zugang findet sich aber auch andernorts in der Exodustradition, etwa in Dtn 32, und war zu Paulus Zeit keineswegs unüblich. In der Tat forciert Paulus in 1 Kor 10 keineswegs eine Charakterisierung des gegenwärtigen Heilsgeschehens

In der Tat spricht Paulus in 2 Kor 5,17 von der neuen Schöpfung unter Rückgriff auf Jes 43,18 f. und die folgenden Verse (vgl. Wilk 1998, 276–280). Dort kommt die Exodusmotivik allerdings nicht zum Tragen. 396 Vgl. Oropeza 2000, 109. Für die Verbreitung dieser Tradition in der prophetischen Literatur verweist Oropeza 2000, 173, ferner auf Jer 31,33 f.; Ez 36,24–27; Joel 2,28–32; Sach 12,10–13,1. 397 Vgl. Wilk 1998. 398 Oropeza 2000, 93–95, möchte die Wolke vor allem vor dem Hintergrund dieses Textes verstanden wissen und hält die Jesaja-Tradition für den Hauptbezugstext neben Num  11. Von den Texten her gedacht, die er anführt, lässt sich so eine Deutung durchaus begründen. Ausgehend von 1 Kor 10 fällt dies jedoch schon schwerer. 399 Oropeza 2000, 93 Vgl. Gillingham 2015, 458, für etwaige Verbindungen zwischen Jes 56–66 und dem oben behandelten Text Neh 9.

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als eines „neuen Exodus“.400 Vielmehr passt er die Exodusschilderung an die Verhältnisse der Gegenwart an. Ob „Paul most likely considered the new exodus as a workable model for depicting his own era“401, darf von daher nicht vorschnell positiv entschieden werden. 3.2.4 Zusammenfassung und Ausblick auf den Lektüreschritt der Reintegration Hinter den diskutierten potentiellen Bezugstexten wird ein weiter Traditionsraum sichtbar, aus dem 1 Kor 10,1–22 schöpft, nicht aber ein konkreter Bezugstext, der die Darstellung insgesamt bestimmt. „Paul’s exempla do not follow one single narrative, but offer something of a pastiche, echoing various scriptural accounts“.402 In vielfacher Hinsicht bestätigt die intertextuelle Erkundung von 1 Kor 10,1–22 damit bestehende Untersuchungen: „Es ist jedoch nicht mehr möglich, festzustellen, welche konkreten Texte Paulus hier benützt hat. Deutlich sind lediglich die Auswahlkriterien, die sich an den Themen Taufe, Herrenmahl und den Problemen in Korinth orientieren.“403 Dabei schaffen die Beispiele, die Paulus in 10,6–11 anführt, schon ihrem Ursprungszusammenhang nach eine Verbindung von Essen und göttlicher Strafe.404 „Davon unbenommen ist, daß seine Einzelauslegung z. T. jüdische Exegese aufnimmt und er sich strukturell an alttestamentliche Überblicke über die Heilsgeschichte anlehnen konnte, ohne aber von einer dieser Stellen direkt abhängig zu sein.“405 Paulus folgt einem verbreiteten Deutungsmuster „that sets the apostasy of the people against the beneficent acts of God“406. Insgesamt spielt die Auseinandersetzung mit Texten des Pentateuch im Vergleich zur Schriftverwendung in Röm oder Gal eine größere Rolle: [T]he homily in 1 Corinthians 10 covers the material treated in several books of the Pentateuch, verbally alluding to specific passages or incidents. The compressed narrations in the various poetic psalm and wisdom texts have clearly exerted influence on Paul’s composition. However, the pentateuchal prose narratives play a role as well.407 400 Watts 1997, 81, arbeitet ein dreigliedriges Schema des neuen Exodus nach Jesaja heraus: 1. Gott erlöst sein Volk aus der Sklaverei. 2. Gott führt sein Volk durch die Wüste. 3. Gott besteigt nach der Ankunft in Jerusalem den Thron. Niccacci 2011 nutzt ein ähnliches Muster (Auszug aus Ägypten, Wüstenwanderung, Einzug ins gelobte Land), um Verarbeitungen der Exodustradition zu allererst zu identifizieren. Zur Frage eines „neuen Exodus“ bei Paulus vgl. Smith 2016, 216–220. Keesmaat 1999 meint ein solche Vorstellung hinter Röm 8,14–39 und Gal zu erkennen. Vgl. kritisch Das 2016, 125–178. 401 So Oropeza 2002, 96. Oropeza erkennt in der Vorstellung des neuen Exodus einen wesentlichen Baustein in Paulus Abwehr der over-realized eschatology in Korinth: „the new exodus is not really the end but the beginning of the end.“ 402 Cover 2015, 73. 403 Gäckle 2004, 260, Anm. 703. 404 Vgl. Perrot 1983, 441. 405 Schrage 1995, 384. 406 Sandelin 1997, 181. 407 Cover 2015, 74.

3.2 Die intertextuelle Erkundung

143

Insbesondere die detaillierte Betrachtung der potentiellen Bezugstexte in ihrem jeweiligen Kontext, in ihren Verbindungen untereinander und ihren Ähnlichkeiten zur Darstellung in 1 Kor 10 unterstreicht nachdrücklich, wie komplex das Netz von Schriftbezügen ist, das Paulus in 1 Kor 10 auswirft. Trotz immer wieder vorgebrachter Vorschläge findet sich gerade kein einzelner Bezugstext, auf den die Passage in ihrer gedanklichen Struktur umfassend aufbaut. Kein einzelner Text organisiert das Exodusreferat in 1 Kor 10, sondern ein gedanklicher Zusammenhang. Ganz offensichtlich knüpft Paulus an die Sinnlinie an, die die paränetischen Exodussummarien des Alten Testaments vorgeben. Dies machen unter anderem die beachtlichen Übereinstimmungen etwa mit Ps 78(77) und 106(105) wahrscheinlich. Jedoch bestehen auch schlagende Ähnlichkeiten zu anderen Textgruppen und Texten. So treten die Berührungspunkte mit der Exodusdarstellung in Dtn 6–9 in der Diskussion oft in den Hintergrund, sind jedoch gerade in Anbetracht des bekannten Wertes von Dtn in der Zeit und für Paulus persönlich durchaus bemerkenswert. Alle Überlegungen, hierin konkrete Bezugstexte im Sinne textlicher Vorlagen zu verstehen, die Paulus bewusst verarbeitet hat, verlieren durch die wechselseitige Verweisstruktur der Texte jedoch an Überzeugungskraft. Einerseits bieten sich zu viele der biblischen Exodusrückblicke durch ihre großen Ähnlichkeiten an. Keiner dieser Texte bietet jedoch alle Angaben, die Paulus macht, in vergleichbarer Form. Und bei allen Ähnlichkeiten zu den aufgezählten Texten sind die jeweiligen Unterschiede doch zu groß, als dass sie als bewusste Adaptionen erklärt werden könnten.408 Andererseits dürfte Paulus auch gar nicht auf eine solche Vorlage angewiesen gewesen sein. Die Deutung des Exodusgeschehens in den entsprechenden Rückblicken ist bereits in den Exodusberichten selbst angelegt. Weil sie in besonderer gedanklicher Nähe zu 1 Kor 10 stehen, sind die oft wiederkehrenden Kombinationen von Essen und Trinken, mangelndem Glauben, der sich im Murren gegen Gott, Mose und Aaron äußert, und Abfall von Gott, auf die etwa Berndt Schaller hinweist, besonders signifikant. Darüber hinaus findet sich aber auch eine Reihe anderer Motive, die viele vorgestellte Texte miteinander und mit 1 Kor 10 gemein haben, u. a. die Motive der rettenden Stärke Gottes, die durch sein Rettungshandeln offenbar wird, und seiner unverbrüchlichen Treue und der Hinweis auf die Wüstengeneration als Beispiel, das zum Zwecke der Unterweisung weitergegeben wird. Das Wirrwarr der geteilten Motive gibt Einblick in die Dynamik der innerbiblischen Auslegung und Fortschreibung. Man mag an ein Wollknäuel denken, in das man hineingreift. Gleich wo man beginnt, den Faden abzuwickeln, wird man über kurz oder lang über alle Stellen fahren, wenn man ihm folgt.

408 Da sich zu jedem der vorgeschlagenen Texte signifikante Abweichungen finden, setzen diese Vorschläge implizit voraus, dass Paulus eine veränderte Textvorlage hatte, oder aber, dass er wissentlich Änderungen vorgenommen hat. Diese müssten dann inhaltlich erklärt werden und es würde sich um einen äußerst komplexen Vorgang handeln.

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Wahrscheinlicher als eine direkte textliche Abhängigkeit ist damit eine Neuformulierung, bei der Paulus diese Traditionen lebendig waren und ihrerseits seine Wiedergabe der Exodustradition in Inhalt und Ausdrucksweise gefärbt haben. Anderes ist schon vor dem Hintergrund der Textproduktionsbedingungen der Zeit kaum denkbar. Man wird sich Paulus kaum als modernen Schreibtischarbeiter vorstellen dürfen, der verschiedene biblische Manuskripte in handlichen Ausgaben vor sich liegen hat und hin- und herspringend den eigenen Text entwirft. Vorbereitend mag Paulus einige Texte noch einmal schriftlich studiert haben. Im unmittelbaren Zusammenhang der Abfassung wird er das ihm Bekannte überwiegend frei kombiniert haben. Dass Paulus Erzählzusammenhänge lebhaft als Texte vor Augen standen, lässt sich nur dort mit Wahrscheinlichkeit sagen, wo ausführlichere wörtliche Übernahmen vorliegen, zuvorderst für Ex 32.409 Hier ist zu fragen, welche Funktion dem Zitat von Ex 32,6b seiner Form und seiner Markierung nach zukommt und welche Bedeutung der gedankliche Horizont des Textes Ex 32 für 1 Kor 10 besitzt. Aber auch Dtn 32 kommt auf diese Weise wieder prominent in den Blick. Da die Bezugnahmen auf Dtn 32 mit guten Argumenten auf beiden Seiten behauptet oder bestritten werden, wird der Erklärungswert dieses Textes im Laufe der weiteren Analyse besonders zu bedenken sein, zumal, da der Einfluss dieses Textes andernorts bei Paulus gut bezeugt ist410 und sich die eschatologische Zuspitzung, die die Exodustradition bei Paulus erfährt, auch vor dem Hintergrund der eschatologischen Orientierung des Moselieds und seiner Auslegung erklären könnte.411 Weiter deutet eine Handvoll spezifischer oder eigenwilliger Formulierungen auf eine ausführliche Auseinandersetzung mit den erzählenden Passagen des Buches Numeri auch dem Wortlaut nach. Bemerkenswerterweise fehlt gerade zu relevanten Episoden aus dem Buch Exodus (mit Ausnahme von Ex 32) jede sprachliche Nähe. Auch wenn sie inhaltlich hinter 1 Kor 10,1–4 stehen, scheinen sie dort weniger als Text denn als Stoff, d. h. als erzählende Kombination bestimmter Motive, wichtig zu sein. Dies wird auch daran deutlich, dass Paulus Wiedergabe des Exodusstoffes 409 Das muss keineswegs bedeuten, dass Paulus diese Texte bei der Abfassung schriftlich vorlagen. Paulus mag die entsprechenden Passagen memoriert haben. 410 S.o. S. 119. Dies schließt eine Kombination mit anderen Schriftstellen und ihren theologischen Einflüssen gerade nicht aus. Waters 2006, 241, resümiert: „Paul has read Deuteronomy ‚in concert‘ with other portions of Israel’s Scriptures. Paul’s citations from Deut 27–30.32 are generally the primary vehicle of Scripture that conveys the argument at hand. They are rarely, however, the exclusive Scriptural witness to Paul’s argument.“ Typisch und nach Waters originell paulinisch sei die Einfärbung von Dtn 27–30; 32 durch Motive, wie sie sich in Jesaja und den Psalmen finden. Er verweist dazu auf Gal 3,10.13.14; 1 Kor 14,21.25; Röm 10,6–8.11; 10,18–21; 11,8–10; 15,10.12. 411 Auch aus dieser Warte ist zu bedenken, inwiefern Vorstellungen im Gefolge des Jesajabuches Paulus Zugriff auf die Exodustradition geprägt haben mögen. Jesaja und die Auslegung von Dtn 32 teilen den eschatologischen Horizont. Daneben finden sich jedoch auch Berührungen auf der sprachlichen Ebene. Oropeza merkt an, dass die Selbstaussage Gottes ‫ אנִ י הּוא‬zur Beschreibung seiner Einzigkeit, Dtn 32,39, sonst nur bei Deuterojesaja begegnet (vgl. Jes 41,4; 43,10.13; 46,4; 48,12; Oropeza 2000, 216 und van Ruiten 1994, 225).

3.2 Die intertextuelle Erkundung

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einem Handlungsmuster folgt, welches das Buch Exodus (abermals mit Ausnahme von Ex 32) so nicht kennt, das im Buch Numeri aber allerorten begegnet: Göttliches Strafgericht als Folge des Abfalls. Da die Schilderung der Ereignisse in 1 Kor 10,1–4 dennoch dem Exodusbericht der Reihe nach folgt, ist es umso auffälliger, dass dies dort, wo Episoden aus Num verarbeitet werden, nicht der Fall ist. Da die Reihenfolge der Ereignisse, die Paulus erwähnt, sich in dieser Form auch in keinem der erhaltenen Exodusrückblicke findet, ist zu fragen, welche inhaltliche Bewandtnis es mit ihr hat, insbesondere auch wie die schwer zu verortende Warnung zu murren in 10,10 vor dem Hintergrund der argumentativen Bewegung von 1 Kor 10 zu verstehen ist. Daneben ergeben sich aus der intertextuellen Erkundung weitere Fragen, die bei den nächsten Untersuchungsschritten mitzuführen sein werden. Hinsichtlich der Traditionen, die hinter 1 Kor  10,1–4 stehen, konnte beobachtet werden, dass eine Fülle von Texten, die die Israeliten der Sache nach unter der Wolke verorten, mit dieser Vorstellung den Gedanken göttlichen Schutzes und göttlicher Bewahrung verbinden. Steht eine solche Vorstellung hinter der Formulierung „ὑπὸ τὴν νεφέλην“ in 1 Kor 10,2? Gerade weil sie sich aus keinem der möglichen Bezugstexte direkt ergibt und Paulus in 1 Kor 10,1–4 recht frei auf den Exodusbericht zuzugreifen scheint, liegt es doch nahe, dass die sprachliche Form der Bezugnahme in einem inneren Zusammenhang mit ihrer Bedeutung steht. Oder befördert eher eine konkrete Identifikation der Wolke mit dem göttlichen Geist, wie sie in entsprechenden Traditionen ebenfalls mehrfach begegnet, den argumentativen Fortschritt? Ist es angebracht, dem eindringlichen Hinweis der Exodustexte zu folgen, es handele sich beim Meeresdurchzug um ein Rettungsgeschehen und darin die wesentliche Parallele zur Taufe zu sehen?412 Auch betont eine Fülle von Texten die überirdische Qualität des Manna. Nimmt das Adjektiv πνευματικός in 1 Kor 10,3(f.) diesen Gedanken auf ? Ist es dem Argumentationsziel des Abschnitts zuträglich, Speise und Trank gleichermaßen aus dem Fels hervorgehen zu lassen, wie es einzelne Erzähltraditionen tun? Weiterhin zu prüfen bleiben auch die verschiedenen Vorschläge, die offensichtlichen Eigenheiten des paulinischen Exodusreferats zu erklären, nämlich die Identifikation des wandernden Felsens mit Christus in 1 Kor 10,4 und die Angabe von 23.000 Toten in 1 Kor 10,8. Was letzteres anbelangt, verlieren vereinzelte Argumente für bestimmte Erklärungsmodelle im Lichte der hier angestellten Überlegungen an Überzeugungskraft. Was die fast beiläufige Identifizierung des nachfolgenden Felsens mit Christus anbelangt, bieten sich vor allem zwei Erklärungsmodelle an: eines, das an die hebräische Gottesbezeichnung in Dtn 32 anknüpft, und eines, das auf weisheitliche Traditionen, wie sie bei Philo bezeugt sind, aufbaut. Ist eines dieser 412 Vgl. Thiselton 2000, 724: „Because these events constitute a paradigm for redemption (from bondage, by God’s saving act, to a new lifestyle and reality, Exod 14:19–22) Paul finds it appropriate to denote this as a baptismal-like redemptive experience of grace.“

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Erklärungsmodelle im Horizont des Argumentationsbogens schlüssiger? Lassen sich aus dieser Entscheidung Schlüsse zu einem eher deuteronomistischen oder eher weisheitlichen Gesamtverständnis der Exodustradition ableiten. Oder handelt es sich hier um falsche Alternativen? Diese Fragen werden sich nur anhand einer detaillierten Untersuchung des Gedankengangs und Argumentationsziels von 1  Kor  (9,24–27)10,1–22 beantworten lassen. Nicht zuletzt kann eine Antwort auf das von Schrage benannte Desiderat: „Offenbleiben muß, wieviel Bibelkenntnis Paulus in Korinth voraussetzt“,413 nur aus dieser Richtung formuliert werden.

3.3 Gedankliche Kartierung: Thematisch-strukturelle Analyse Um die gesammelten intertextuellen Bezüge im Gedankengang verorten und beurteilen zu können, bedarf es einer gedanklichen „Karte“ des Textes. Diese Karte entsteht in zwei Schritten: Zunächst sammelt die thematisch-strukturelle Analyse Anhaltspunkte zu Thema und Gliederung des Textes. Dabei berücksichtigt sie sowohl formale als auch inhaltliche Kriterien. Betrachtet werden das inhaltliche Gefälle zwischen den einleitenden und abschließenden Versen des Textes (‎3.3.1), die aufgerufenen Akteure (‎3.3.2), wiederkehrende Begriffe und ihre Semantik (‎3.3.3), stilistische Merkmale (‎3.3.4) und gliedernde Sprachsignale (‎3.3.5). Auf dieser Grundlage versucht sodann die rhetorisch-argumentationslogische Analyse, den Gedankengang und die rhetorische Pragmatik des Textes zu rekonstruieren (‎3.4). 3.3.1 Thema und Funktion 3.3.1.1 Vergleich von 9,24–27/10,1 und 10,21–22 Eine erste Einschätzung des Textthemas folgt aus dem Vergleich des Anfangs und des Endes eines Textes. In diesem Falle bedeutet das sowohl einen Vergleich des Einleitungs- und Übergangsabschnitts 9,24–27 wie des Verses 10,1 mit den Schlussversen 10,21–22. 9,24–27 stellt die in Sportmetaphorik gekleidete und am eigenen Beispiel ausgeführte Aufforderung des Paulus an die Korinther dar, alles daran zu setzen, den eschatologischen Lohn anzustreben. In Analogie zur allgemeinen Schilderung des sportlichen Wettkampfes, der den Kombattanten äußerste Entschlossenheit und Disziplin abverlangt (9,24–25, insb. das Stichwort ἐγκρατεύομαι in 9,25a), schildert Paulus das eigene Verhalten, das von eben solcher Zielstrebigkeit und Disziplin 413 Schrage 1995, 384. Er fährt fort „und ob er von einer Kenntnis aufgrund gottesdienstlicher Lesung ausgehen kann.“

3.3 Gedankliche Kartierung

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geprägt ist (9,26–27). Das Scharnier zwischen diesen beiden gedanklichen Blöcken bildet die Aussicht auf den „unvergänglichen Siegeskranz“ (9,25), der das Sportbild offen auf eine metaphorische Ebene hebt und auf Paulus und seine Adressaten hin anwendbar macht. So wie der Siegeskranz nur am Ende eines Laufes steht, der Opfer gefordert hat, setzt Paulus alles daran, „nicht unbewährt zu werden“ (9,27: μή πως … ἀδόκιμος γένωμαι), und legt es seiner Hörerschaft nahe, es ihm an Entschlossenheit gleich zu tun (9,24). Der Abschnitt ist von Gegensätzen geprägt: Alle laufen, aber nur einer gewinnt den Siegespreis (9,24). Ihre Enthaltsamkeit bringt den Wettkämpfern einen vergänglichen Kranz ein, der Gemeinde aber einen unvergänglichen (9,25). Paulus trainiert nicht auf nachlässige Weise, sondern unterwirft, ja versklavt den eigenen Körper (9,26 f.), damit es nicht zu einer Diskrepanz zwischen seiner Bewährung und seiner Verkündigung kommt (9,27). Dieses Widerspiel der Kontraste, die gebieten, alles an das Erlangen des Preises zu setzen, bietet einen Vergleichspunkt zu den Schlussversen 10,21–22. Dort beendet Paulus seine Ausführungen zur Mahlgemeinschaft mit der doppelten Mahnung, die Korinther könnten nicht zugleich den Kelch des Kyrios und den Kelch der Dämonen trinken bzw. am Tisch des Kyrios und am Tisch der Dämonen teilhaben (10,21), und schließt durch ἤ zwei rhetorische Fragen an, die somit eine Form von Alternative markieren (10,22): „Oder wollen wir den Kyrios eifersüchtig machen. Sind wir etwa stärker als er?“ So offensichtlich diese beiden Abschnitte sich thematisch in ganz verschiedenen Bereichen bewegen, ist ihnen doch die Gegenüberstellung von Verhaltensweisen gemeinsam, von denen eine auf die Teilhabe am Himmlischen (9,25) bzw. auf die Christusteilhabe zielt (10,21) und die andere dazu führt, dieses Ziel zu verfehlen bzw. zu verwirken. Freilich unterstreicht der Sportvergleich auch die Notwendigkeit zur aktiven Anstrengung, wohingegen insbesondere 10,21 zum Verzicht auf die Teilhabe am Tisch/Kelch der Dämonen auffordert. Berücksichtigt man jedoch, dass die gebotene Anstrengung nach 9,25 gerade in Selbstkontrolle und Enthaltsamkeit besteht, rücken beide Gedanken wieder näher zueinander. Auch steht in beiden Abschnitten die bedrohliche Alternative deutlich vor Augen: dort bereits im Bild vom sportlichen Wettkampf angelegt und durch den drohenden Mangel an Bewährung verstärkt, hier durch die emphatische rhetorische Frage, etwa stärker als Gott zu sein und ihn reizen zu wollen.414 Aus dieser Zusammenschau ergibt sich als vorläufige Formulierung des Textthemas: „Die Notwendigkeit zu Selbstkontrolle und Verzicht zugunsten der Heilsteilhabe“. Dass Anfang und Ende des Abschnitts einander in dieser Hinsicht entsprechen, aber aus grundverschiedenen Bildwelten schöpfen, deutet auf eine zielgerichtete, aber ausgreifende Gedankenbewegung hin. Näher bestimmen lässt sich diese Bewegung durch einen kurzen Blick auf Kapitel 10 nach der gleichen Methode. Im Wesentlichen prägen die hier zu 9,24–27 414 Möchte man die beiden Abschnitte so zusammen lesen, erschließt sich natürlich auch 10,22b vor dem Hintergrund der Sportmetaphorik ganz anders.

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herausgearbeiteten Züge auch den Auftakt des Kapitels. Als neues Motiv kommt die Gotteserfahrung Israels und ihr Scheitern in der Wüste hinzu. Verglichen mit 10,1 muss Kapitel 10 folglich einen gedanklichen Weg von der Gotteserfahrung Israels zur Götzenerfahrung in Korinth gehen. Es stellt sich die Frage, auf welche Weise das angeführte Beispiel diesem Zweck dient. Anders formuliert: Worin besteht das „denn“, möchte man 10,1a und 10,20b begründend verknüpfen: „Ich will euch nicht (über die Väter) in Unwissenheit lassen“, denn „ich will nicht, dass ihr Teilhaber der Dämonen werdet.“ 3.3.1.2 Ort im Argumentationszusammenhang Wie bereits festgestellt wurde, klafft zwischen 9,23 und 10,23 keine eklatante Leerstelle. Der Argumentation ließe sich auch ohne 9,24–10,22 folgen. Durch den Gedanken der Selbsteinschränkung um des nächsten Willen schlösse 10,23 f. recht flüssig an 9,23 an und würde den Blick vom spezifischen Exempel des Paulus (Evangeliumsverkündigung) ins Allgemeingültige weiten. Die erste Maxime des Schlussabschnitts wäre so gut erklärt. Dessen zweite Maxime, alles zur Ehre Gottes zu tun (10,31), die prominent den theologischen Aspekt vom Beginn in Kapitel 8 aufgreift und mit der sozialen Argumentationslinie verbindet (10,32 f.), wäre dadurch jedoch nur auf der sozialen Ebene vorbereitet und auf der theologischen unterbestimmt. Folglich steht zu erwarten, dass 10,1–22 der theologischen Argumentationslinie eine spezifische Färbung verleiht, indem es „die Notwendigkeit zu Selbstkontrolle und Verzicht zugunsten der Heilsteilhabe“ im Horizont des Gottesverhältnisses erörtert. 3.3.2 Erhebung der Akteure 3.3.2.1 Die vorherrschenden Personenkonstellationen In Übereinstimmung mit dem Stil des Großabschnittes 8,1–11,1 sind der Überleitungsabschnitt 9,24–27 und die Passage 10,1–22 als Rede des Paulus an die Korinther gestaltet, in der Paulus eine Gruppe der 2. Person Plural aus der 1. Person Singular heraus anspricht und sich gelegentlich mit ihr in der 1.  Person Plural zusammenschließt. War ein solches inklusives Wir schon für 8,1–8 bestimmend gewesen, hatte Paulus es ab 8,8 zugunsten einer deutlicheren Ansprache der Gemeinde zunächst aufgegeben (2. Pers. Sg./Pl.). Mit 8,13 bringt Paulus schließlich die eigene Person als Beispiel ins Spiel (1. Pers. Sg. + possessives Personalpronomen) und zieht diese Linie über das gesamte Kapitel 9 aus. Entsprechend ist im Rahmen von 1 Kor  9 auch die 1. Person Plural exklusiv zu verstehen. Sie umfasst neben Paulus mindestens auch Barnabas als einen Verkündiger in einer Paulus analogen Situation (vgl.  9,6). Erst mit 9,25 kehrt Paulus zum inklusiven Wir zurück und behält es, wenn er die 1. Person Plural benutzt, bis zum Ende des

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Großabschnitts bei.415 Nachdem Paulus im Überleitungsabschnitt 9,24–27 noch sein eigenes Verhalten im Vergleich zum Verhalten des trainierenden Sportlers thematisiert, beschränkt sich die 1. Person Singular in 10,1–22 wieder ganz auf die Rolle des Sprechers. Als solche begegnet sie allerdings prominent, meist verbunden mit metakommunikativen Bemerkungen, in 10,1.14 f.19.20. Diesem Sprecher gegenüber stehen die Korinther als Angeredete (2. Pers. Pl. 10,1.7.10.12.14 f.18.20 f.). Vermittelnd tritt ein inklusives Wir hinzu, in das der Sprecher sich selbst einschließt und das er wechselnd zur 2. Person Plural gebraucht (10,1.6.8 f.11.16 f.22). Mitunter changiert Paulus von Vers zu Vers zwischen „wir“ und „ihr“ (vgl. insb. 10,6–11).416 So wie das Bild des Sportlers den Überleitungsabschnitt 9,24–27 als Vergleichsgröße bestimmt, bestimmt die Wüstengeneration als „unsere Väter“ 10,1–22. Als Handlungsträger beherrschen sie 10,1–11 und werden in 10,18.20 noch einmal als „Israel nach dem Fleisch“ (Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα) aufgerufen (s. u. ‎3.4.7.1). Im Zusammenhang der Wüstengeneration kommen sowohl Mose (10,2) als auch Christus in den Blick (10,4.9). Die Rede von Christus ist an diesen Stellen eher passiv, wie er auch später nur als Mittelpunkt der Herrenmahlsgemeinschaft aufgegriffen wird (10,16). Gleiches gilt für die Rede vom Kyrios (10,21 f.). Auch Gott tritt nur am Rande als Akteur auf. An seinem Wohlgefallen wird das Verhalten der Wüstengeneration gemessen (10,5) und seine bewahrende Zuwendung zur Gemeinde wird thematisiert (10,13). Von Christus wie auch von Gott scharf abgegrenzt werden die Götzen bzw. Dämonen (10,19–21), wodurch mit dem Stichwort Götzenopferfleisch (εἰδωλόθυτόν 10,19) auch die Brücke zum Gesamtzusammenhang der Passage geschlagen wird. All dies bestätigt den paränetischen Charakter der Passage, die von Gott, von Christus – und von den Dämonen – eher als Bezugspunkt eigenen Handelns spricht, weniger als eigenständig agierenden Akteuren. Der beständige Wechsel zwischen 1. Person Singular, 1. Person Plural und 2. Person Plural, zusammen mit den eher verstreuten Bezugnahmen auf Gott und Christus, macht eine klare Segmentierung von 10,1–22 anhand der vorherrschenden Personenkonstellationen schwierig. Durch den Bezug auf die Wüstengeneration gewinnt zumindest 10,1–11 eine gewisse Geschlossenheit, wobei innerhalb dieser Verse ein erster Abschnitt, der das Ergehen der Wüstengeneration thematisiert (10,1–5) von einem zweiten Abschnitt unterschieden werden kann, der das Verhalten der 415 Fitzmyer 2008, 373, möchte offen lassen, auf wen sich das Wir an dieser Stelle bezieht: „The ‚we‘ may again be editorial, or refer to Paul and Barnabas as examples of runners, or to Christians in general, with whom Paul would identify himself.“ Da Paulus die Korinther jedoch im vorangegangenen Satz auffordert so zu laufen, dass sie den Siegespreis erlangen, und in 9,25 hinzufügt „wir“ würden im Gegensatz zu wirklichen Sportlern einen unvergänglichen Siegeskranz erhalten, ist unbedingt von einem inklusiven Wir auszugehen. 416 Für den Rest des Großabschnitts 10,23–11,1 beschränkt Paulus sich überwiegend auf die direkte Anrede an die 2. Pers. Sg. In 10,29a begegnet ein Sprecher-Ich in einer erläuternden Bemerkung. Das Ich in 10,29b.30 schillert zwischen einem apostolischen und einem hypothetischen, verallgemeinernden Ich. Erst im Abschluss 10,32; 11,1 thematisiert Paulus wieder direkt das eigene Verhalten und die eigene Person (vgl. Wolff 2017, 381–384).

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Korinther zu deren Ergehen in Beziehung setzt (10,6–11 mit mehrfachem Wechsel von 1. und 2. Pers. Pl.). Augenscheinlich unverbunden steht daneben der allgemein formulierte Vers 12 und die Beschreibung des treuen Handelns Gottes an den Korinthern (10,13). Schließlich werden 10,14–22 durch die wiederholte Anrede aus der 1. Person Singular heraus zusammengehalten. In sich sind diese Verse auch im Hinblick auf die Personenkonstellation aber vielfältig gestaltet. Insgesamt legt sich anhand der vorherrschenden Personenkonstellationen damit folgender Textaufbau nahe: 9,24–27 Personenkonstellation: „wir“/„ich“ – sportlicher Wettkämpfer 10,1–11 Personenkonstellation: „unsere Väter“ – „wir“/„ihr“ 10,1 „ich“ – „ihr“ (ἀδελφοί) 10,1–5 „unsere Väter“ – Mose (V. 2)/Christus (V. 4) – Gott (V. 5) 10,6–11 „unsere Väter“ – „wir“/„ihr“ – Christus (V. 9) 10,12 unpersönlich/abstrakt 10,13 Personenkonstellation: Gott – „ihr“ 10,14–22 Personenkonstellation: „ich“ – „ihr“ („wir“) – („Israel nach dem Fleisch“) Bezugsgröße: Christus/Kyrios – Dämonen 10,14–15 „ich“ – „ihr“ (ἀγαπητοί μου) – (Götzen [εἰδωλολατρία V. 14]) 10,16 f. „wir“ – Christus 10,18–20a („ich“) – „Israel nach dem Fleisch“ – Dämonen – Gott 10,20b–22 („ich“) – „ihr“ – Dämonen – Kyrios – („wir“)

3.3.2.2 Die Handlungsträger in 9,24–27 Handlungsträger in 9,24–27 sind zunächst vorgestellte Athleten, die sich im sportlichen Wettkampf messen. Zu ihnen werden erst die Korinther, dann eine inklusive Wir-Gruppe und schließlich das Verhalten des Paulus selbst in Beziehung gesetzt. In 9,24 stellt Paulus der Gemeinde Wettläufer im Stadion vor Augen und fordert sie sogleich auf, mit der gleichen Entschlossenheit wie diese zu „laufen“, um einen Preis zu empfangen. Im folgenden Vers spitzt er die Aussage auf die für den Sport notwendige allgemeine Enthaltsamkeit zu (πᾶς ὁ ἀγωνιζόμενος πάντα ἐγκρατεύεται), die den Athleten den Siegeskranz einbringt. Kontrastierend stellt er ein „Wir“ daneben, dem die eigene Enthaltsamkeit zu einem unvergänglichen Siegeskranz gereiche. In 9,26–27 schließlich vollzieht er die Bewegung von „Ihr“ über „Wir“ zu „Ich“ und beschreibt sein eigenes in Entschlossenheit und Selbstdisziplin beispielhaftes Verhalten. Auch dies geschieht zunächst im Horizont von Bildern aus der Sportwelt. Das durchgängig vorherrschende Präsens weist die Aufforderung an die Korinther, die Überlegungen zum Siegeskranz und auch die Schilderung des eigenen Verhaltens als allgemeingültige Aussagen aus. Auch an der Personenkonstellation zeigt sich die vermittelnde Stellung des Abschnitts 9,24–27. Einerseits wird Paulus das eigene Verhalten erst wieder in 11,1 zur Nachahmung empfehlen. Das exemplarische Ich in 9,26 f. verbindet den Abschnitt demnach mit 9,15–23, wo ein verwandtes exemplarisches Ich vorherrschte. Anderer-

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seits hebt sich das inklusive Wir in 9,25 deutlich vom vorangegangenen exklusiven Wir in 9,12 ab und bereitet so das gleichermaßen inklusive Wir von Kapitel 10 vor. In der Tat wird Paulus dort sein eigenes Verhalten überhaupt nicht mehr thematisieren, sondern die 1. Person Sg. ausschließlich in der direkten Anrede an die Korinther einnehmen. Auch diese Form der direkten Anrede mit Imperativen, wie sie schon in 9,24 begegnet, ist dem übrigen Kapitel 9 aber fremd und verbindet den Abschnitt so mit Kapitel 10.417 Im Hinblick auf den Textaufbau lassen sich die Beobachtungen wie folgt zusammenfassen: 9,24a

Handlungsträger der metakommunikativen Bemerkung: Korinther (angesprochen von Paulus) 9,24–27 primäre Handlungsträger: Paulus und die Korinther vor der Vergleichsfolie der Sportwelt 9,24: Läufer im Stadion als Vorbild der Korinther („Ihr“) (zeitlose Aufforderung) 9,25: Der Vorteil der Gläubigen insgesamt den Athleten gegenüber („Wir“) (allgemeingültige Aussage) 9,26 f.: Paulus beispielhaftes Verhalten, welches das der Athleten übertrifft („Ich“)

3.3.2.3 Die Handlungsträger in 10,1–11 Im gesamten Abschnitt 10,1–22 ist das Individuum Paulus nur noch als Sprecher im Rahmen metakommunikativer Bemerkungen greifbar.418 So auch gleich in der Anrede 10,1: „Ich will nicht, dass ihr nicht wisst, Geschwister …“ (οὐ θέλω ὑμᾶς ἀγνοεῖν, ἀδελφοί). Ähnlich 9,13.24 thematisiert Paulus das Nichtwissen der Korinther. Hier geschieht dies in einer ausführlichen disclosure-Formel. Dieses Gegenüber von Paulus und Gemeinde verlässt der Text sogleich, um sich in 10,1b–5 ausschließlich dem Geschick der Wüstengeneration im Gegenüber zu Mose, Christus und schließlich im Urteil Gottes zu widmen. Die Wüstengeneration bezeichnet Paulus dabei als „unsere Väter“ (οἱ πατέρες ἡμῶν), ohne zwischen seiner eigenen Abstammung und der Herkunft der verschiedenen Gemeindemitglieder zu differenzieren. Somit versteht er sie bemerkenswerterweise nicht nur als Väter der christusgläubigen Juden in der Gemeinde, sondern auch der vormals paganen Gläubigen.419 10,1b–4 berichten von der Bewahrung „aller“ Väter (πάντες) in der Wüste. Durch Ereignisse, die der Text parallel zu Taufe und Herrenmahl zeichnet, stehen diese 417 Diese Ähnlichkeit der imperativischen Anrede in 9,24 und 10,7.10 macht es unwahrscheinlich, dass es Paulus in 9,24–27 primär um die Gefahr seines eigenen Heilsverlustes geht, wie etwa Fitzmyer 2008, 373, es nahelegt („Although the goal concerns Paul personally, he formulates it generically and even includes an impv., as if he were coaching prospective runners.“) Geradezu das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Das Bild vom Lauf im Stadium bereitet die Thematisierung der Wüstenwanderung und damit verbunden des Verhaltens der Korinther vor. 418 Nicht umsonst spart Wolff 2017 10,1–22 in der Analyse der Selbstdarstellung des Paulus weitgehend aus. 419 Es muss hier nicht gleich mit Fitzmyer 2008, 380, an das „Israel Gottes“ aus Gal 6,16 gedacht werden.

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in Beziehung zu Mose – sie wurden unter der Wolke und beim Durchzug durch das Meer „auf ihn getauft“ (10,2 πάντες εἰς τὸν Μωϋσῆν ἐβαπτίσθησαν) – und zu Christus – sie wurden nicht nur gespeist, sondern tranken auch Wasser aus einem geistigen Felsen, „der Fels aber war der Christus“ (10,4 ἡ πέτρα δὲ ἦν ὁ Χριστός). In scharfem Kontrast zu diesen Heilserfahrungen „aller“ Väter schließt Paulus nun, dass Gott an den meisten von ihnen kein Wohlgefallen hatte (10,5 ἀλλ᾽ οὐκ ἐν τοῖς πλείοσιν αὐτῶν εὐδόκησεν ὁ θεός). In den Versen 10,6–11 schildert Paulus das Fehlverhalten der Wüstengeneration, auf die dieses Urteil Gottes zurückzuführen ist. Zugleich verschiebt sich aber auch die Gruppe der primären Handlungsträger. Nicht mehr die Wüstengeneration ist Mittelpunkt der Aussagen, sondern ihrem Negativbeispiel steht stets eine Handlungsaufforderung an die Adressaten voran, die Paulus als eigenständige Gruppe anspricht (ihr), mit denen er sich teils aber auch in einem Wir zusammenschließt. So konstatiert Paulus zunächst in 10,6, dass die τύποι „unser“ Handeln beeinflussen sollen,420 nämlich „damit wir nicht begierig nach Bösem seien, wie auch jene begehrten“ (εἰς τὸ μὴ εἶναι ἡμᾶς ἐπιθυμητὰς κακῶν, καθὼς κἀκεῖνοι ἐπεθύμησαν). Im Folgenden fordert er die Adressaten dazu auf, nicht Götzendiener zu werden (10,7), keine Sexualsünde zu verüben und Christus nicht zu versuchen (Selbstaufforderungen an „uns“ 10,8 f.) und nicht zu murren (10,10). Jeder Mahnung folgt ein kurzer Bericht über das entsprechende Verhalten der Wüstengeneration, der als Subjekt jeweils „einige von ihnen“ (sc. der Väter: τινες αὐτῶν) benennt. Die Reihe wird unterbrochen durch ein Zitat von Ex 32,6, das die knappe Angabe illustriert, einige der Väter seien zu Götzendienern geworden. Innerhalb des Zitats wird „das Volk“ als Subjekt ausgewiesen (ὁ λαὸς). Abschließend erfolgt eine Aussage, die sprachlich und inhaltlich 10,6 wieder aufzugreifen scheint und sich auch auf die inklusive Wir-Gruppe bezieht. War dort das einleitende ταῦτα in ταῦτα δὲ τύποι ἡμῶν ἐγενήθησαν aller Wahrscheinlichkeit nach als Accusativus Graecus mit „Sie (‚unsere Väter‘) wurden hinsichtlich dieser Dinge (ταῦτα) zu τύποι für uns“ zu übersetzen,421 weist das ταῦτα in der analogen Formulierung hier (ταῦτα δὲ τυπικῶς συνέβαινεν ἐκείνοις) eindeutig als Satzsubjekt auf die referierten Geschehnisse: „Diese Dinge (ταῦτα) sind ihnen (‚unseren Vätern‘) τυπικῶς widerfahren.“ Deutlicher als in 10,6 wird nun auch festgehalten, dass diese Dinge zum Zwecke „unserer“ νουθεσία aufgeschrieben wurden. Die 1. Person Plural bestimmt 10,11 eschatologisch als jene, „auf die die Enden der Äonen gekommen sind“ (εἰς οὓς τὰ τέλη τῶν αἰώνων κατήντηκεν).422 Zur Übersetzung von 10,6a s. u. 3.3.2.2a; 3.4.3.1. S.u. 422 Die Überlegung bei Schrage 1995, 407, Paulus schließe sich hier im Wir mit ein, „weil er um ihre [der Gemeinde] Gefährdung gerade am Ende der Zeiten weiß“ vermag nicht recht zu überzeugen. Sicherlich weiß Paulus um diese Gefährdung, die auch ihn trifft (vgl. 9,27), aber hierin ist schwerlich die Ursache der 1. Person Plural zu suchen. Dafür ist sie schon zuvor zu prominent eingeführt. Auch ließe sich auf diese Weise nicht der beständige Wechsel zwischen Wir und Ihr erklären. 420 421

3.3 Gedankliche Kartierung

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Im Hinblick auf den Textaufbau lassen sich diese Beobachtungen in folgender Übersicht darstellen: 10,1a

Handlungsträger der metakommunikativen Bemerkung: Paulus (Gegenüber: Korinther, angeredet als ἀδελφοί; Bezugsgröße: „unsere Väter“) 10,1b–5 primäre Handlungsträger: „unsere Väter“ (οἱ πατέρες ἡμῶν) (Vergangenheit) 10,1b–4 Die Teilhabe aller „unserer Väter“ (πάντες) an Mose und Christus 10,5 Gottes Missfallen an den meisten „unserer Väter“ (ἐν τοῖς πλείοσιν αὐτῶν) 10,6–11 primäre Handlungsträger: „Wir“/„Ihr“ im Verhältnis zu „unseren Vätern“ (Geschehnisse der Vergangenheit mit Folgen für die Gegenwart) 10,6 Die Funktion „unserer Väter“ als τύποι/Negativbeispiel böser Begierde (AcI εἰς τὸ μὴ εἶναι ἡμᾶς) 10,7 Warnung anhand „unserer Väter“ als Negativbeispiel des Götzendienstes (Imperativ der 2. Person Plural) 10,8 Warnung anhand „unserer Väter“ als Negativbeispiel der Unzucht (Hortativ der 1. Person Plural) 10,9 Warnung anhand „unserer Väter“ als Negativbeispiel, Christus zu versuchen (Hortativ der 1. Person Plural) 10,10 Warnung anhand „unserer Väter“ als Negativbeispiel des Murrens (Imperativ der 2. Person Plural) 10,11 Das Ergehen „unserer Väter“ und dessen Niederschrift zu „unserer“ Ermahnung (νουθεσία)

3.3.2.4 Die Handlungsträger in 10,12 und 10,13 Die Verse 10,12 f. unterscheiden sich im Hinblick auf die Handlungsträger deutlich voneinander und heben sich auch vom bisherigen Textverlauf ab. 10,12 formuliert eine allgemeingültige Warnung an eine 3. Person Singular, die nur durch ihre Geisteshaltung näher bestimmt wird. Es handelt sich um den, „der meint zu stehen“ (ὁ δοκῶν ἑστάναι). Aus der Parallele zu εἴ τις δοκεῖ ἐγνωκέναι τι in 8,2 schließt Schrage, es sei hier „zweifellos der selbstgewisse, selbstvermessene Pneumatiker“423 im Blick. Es wäre demnach eine Teilgruppe der Adressaten angesprochen. 10,13 schließlich lotet das Verhältnis zwischen der Versuchung, die die Gemeinde („ihr“) erfahren hat, und dem Handeln Gottes aus. Nach der Feststellung, dass nur menschliche Versuchung die Adressaten erfasst habe (πειρασμὸς ὑμᾶς οὐκ εἴληφεν εἰ μὴ ἀνθρώπινος), wird Gott als treu bezeichnet (πιστὸς δὲ ὁ θεός) und in einem Relativsatz sein bewahrendes Handeln beschrieben (ὃς οὐκ ἐάσει ὑμᾶς πειρασθῆναι ὑπὲρ ὃ δύνασθε …). Was die Handlungsträger anbelangt, sind beide Verse nicht deutlich an den umgebenden Text angeschlossen. Entsprechend werden sie an dieser Stelle separat behandelt. Sprachlich scheint jedoch zumindest 10,12 an 10,11 anzuschließen (ὥστε) und auch 10,13 weist thematische Querverbindungen auf. Die Zuordnung der Verse bleibt demnach eine offene Frage für die folgenden Untersuchungsschritte. 423

Schrage 1995, 409.

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Vorerst lassen sich die Beobachtungen wie folgt darstellen: 10,12 Handlungsträger: abstrakte 3. Person Sg. (ὁ δοκῶν ἑστάναι) (allgemeingültige Aussage mit Zukunftsaspekt) 10,13 Handlungsträger: Versuchung – Gott (Bezugsgröße: „ihr“) (Beobachtung im Perfekt, sodann allgemeingültige Feststellung im Nominalsatz und Folgerung im Futur)

3.3.2.5 Die Handlungsträger in 10,14–22 In 10,14 beginnt schließlich ein in Hinblick auf die Handlungsträger weitgehend uneinheitliches Feld. Sein prominentes gliederndes Element ist die wiederkehrende Ansprache der Adressaten aus der 1. Person Plural heraus. Im Zusammenhang dieser metakommunikativen Bemerkungen wird die Person Paulus als Sprecher wieder greifbar. Entsprechend ist die Segmentierung nach dem Kriterium der Handlungsträger auch hier im Lichte späterer Untersuchungsschritte anzupassen. In 10,14 spricht Paulus die Adressaten als ἀγαπητοί μου direkt an und fordert sie zur „Flucht“ vor dem Götzendienst auf.424 Die Verbundenheitsbezeugung erinnert an die Anrede ἀδελφοί in 10,1. Auch in 10,15 thematisiert Paulus sein eigenes Reden zusammen mit einer weiteren Aufforderung an die Korinther, nämlich dieses Reden zu beurteilen. An diese metakommunikativ unterbrochene Abfolge von Aufforderungen schließen sich ganz anders gehalten die Verse 10,16 f. an. Dort stehen Kelch und Brot im Mittelpunkt, die im Herrenmahl Gemeinschaft mit Christus vermitteln. Diesen gemeinschaftsstiftenden Vollzug des Herrenmahls drückt der Text aus, indem er die jeweiligen Substantive durch Relativsätze qualifiziert, die „unser“ Handeln an ihnen beschreiben. Es handelt also wieder eine inklusiv zu verstehende Wir-Gruppe, deren Einheit trotz aller Vielfalt durch die Teilhabe am einen Brot in 10,17 ausgesagt wird. In 10,18 spricht Paulus die Adressaten demgegenüber wieder mit einer Aufforderung an. Dies ist der letzte Imperativ der Passage. Zuvor schildert er jedoch das Verhalten „Israels“, das Opfer darbringt und im Verzehr der Opfer zu Teilhabern des Altars wird (οἱ ἐσθίοντες τὰς θυσίας κοινωνοὶ τοῦ θυσιαστηρίου εἰσίν). Im Rahmen des Referats wird somit noch einmal die Wüstengeneration zum Handlungsträger.425 Im Anschluss wechselt Paulus nun die Kommunikationsebene, um seine Aussageintention zu schärfen (10,19 Τί οὖν φημι;). Kurz rückt der Status von Götzen und Götzenopferfleisch in den Mittelpunkt. Sodann äußert der Text sich zur durch das Opfer konstituierten Verbindung der Wüstengeneration zu Dämonen (anstelle von Gott; 10,20a). Der Wechsel ins Präsens weist 10,20a als eine allgemeingültige 424 Klauck 1982, 258, untergliedert 10,14–22 anhand der Imperative in 14 und 19 in 14–17 und 18–22. 425 Wer genau mit Ισραὴλ κατὰ σάρκα bezeichnet ist, ist hoch umstritten. Zur Begründung der hier vertretenen Deutung s. u. 3.4.7.1.

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Aussage aus.426 Im Lichte der Gesprächssituation wird Israel hier wieder durchsichtig für Opferhandlungen der Gegenwart. 10,20b greift die Eingangsformulierung von 10,1 wieder auf (οὐ θέλω + AcI mit Subjektsakkusativ ὑμᾶς). Als Subjekt der metakommunikativen Bemerkung tritt abermals Paulus auf und bringt die Adressaten in hypothetische Gemeinschaft zu den Dämonen. Diesen Analogieschluss zum Verhalten der Wüstengeneration führt 10,21 weiter. Der Text schließt mit einer rhetorischen Doppelfrage, die nun wieder aus einem Wir heraus formuliert ist, die Wir-Gruppe ins Verhältnis zum kurz zuvor erwähnten Kyrios setzt und die Alternative dieser Verhaltensmaßgabe beschreibt.427 Gemeinsamer Nenner der letzten Verse ist, dass zunächst „Wir“ im Verhältnis zum Kyrios, sodann verschiedene Gruppen im Gegenüber zu den Götzen und Dämonen einerseits und zu Gott andererseits verortet werden. Dabei lassen sich die Äußerung zur Wüstengeneration, allgemeinere Überlegungen zum Verhältnis der Opfernden zum Empfänger des Opfers und eine Zuspitzung auf das Verhältnis zu Gott (10,20), bzw. zum Kyrios (10,21–22) unterscheiden. Im Hinblick auf den Textaufbau lassen sich die Beobachtungen in folgender Übersicht darstellen: 10,14–15 primäre Handlungsträger: Korinther (in Aufforderungen) 10,14 Handlungsträger: Korinther, angeredet als ἀγαπητοί μου (Aufforderung zur Flucht vor dem Götzendienst) 10,15a Handlungsträger der metakommunikativen Bemerkung: Paulus (Gegenüber: Korinther) 10,15b Handlungsträger: Korinther (Aufforderung zur Beurteilung der paulinischen Rede) 10,16 f. primäre Handlungsträger: Kelch und Brot – „wir“ („unser“ Handeln an Kelch und Brot, die im Vollzug des Herrenmahls Christusgemeinschaft vermitteln) 10,18–22 primäre Handlungsträger: „Israel nach dem Fleisch“/Opfernde/„ihr“/„wir“ (gemeinsame Bezugsgröße: Götzen/Dämonen bzw. Gott/Kyrios) (Verhältnisbestimmungen von Kulthandlungen und Gemeinschaft mit Gott/Dämonen) 10,18 Handlungsträger: Israel der Wüstengeneration (Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα) als Opfernde und vom Opfer essende 10,19 Handlungsträger der metakommunikativen Bemerkung: Paulus (Bezugsgröße: Götzenopferfleisch/Götze) 10,20a Handlungsträger: Israel der Wüstengeneration als den Dämonen Opfernde (Bezugsgröße Dämonen/Gott) (allgemeingültige Aussage) 10,20b Handlungsträger der metakommunikativen Bemerkung: Paulus (Gegenüber: Korinther, Bezugsgröße: Dämonen)

426 „The change of tense in verse 20 generalizes and actualizes the Deuteronomic text. […] By changing from the aorist to the present tense, however, Paul wants to say, ‚Everyone who engages in pagan festivals‘ – whether Israelites in the wilderness or a Corinthian Christian eating in a pagan shrine – is ‚sacrificing to demons and not to God‘“ (Meeks 1982, 72). 427 Im Lichte von 10,21 wird wie meist bei Paulus an Christus (in seiner Teilhabe an Gott) zu denken sein. Vgl. auch 8,6.

156 10,21 10,22

3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

hypothetische Handlungsträger: „ihr“ als potentielle Teilhaber am Tisch der Dämonen und des Kyrios (Bezugsgröße: Dämonen/Kyrios) (allgemeingültige Aussage) Handlungsträger: „wir“ (Bezugsgröße: Kyrios)

3.3.2.6 Thematischer Abgleich Insgesamt stimmen die erhobenen Personenkonstellationen mit den bisherigen Überlegungen zum Thema überein. Der Text bewegt sich vom Beispiel des Paulus anhand der Sportwelt zum Beispiel der Wüstengeneration, die er zur positiven Seite auf die Adressaten durchsichtig werden lässt, ehe er anhand des abschreckenden Beispiels der Wüstengeneration Handlungsaufforderungen formuliert und sie in Beziehung zum religiösen Leben der Adressaten setzt. Im Lichte des Themenvorschlags kann dies als Konkretisierung des Bereichs Selbstkontrolle/Verzicht verstanden werden, der in erster Linie mit dem Beispiel Götzendienst ausgefüllt wird. 3.3.3 Erhebung des semantischen Inventars 3.3.3.1 Analyse wiederkehrender Begriffe und verwandter Wortfelder a Verben geistiger und sprachlicher Tätigkeit Eine erste Linie wiederkehrender Begriffe entsteht durch den wiederholten Gebrauch von Verben geistiger und sprachlicher Tätigkeit, teils auf Seiten des Paulus, teils auf Seiten der Adressaten. So fragt Paulus die Korinther in 9,24, ob sie nicht um die Läufer im Stadion wüssten (οὐκ οἴδατε) und fährt in 10,1 fort, er wolle nicht, dass sie bezüglich des Geschicks „unserer Väter“ unwissend seien (οὐ θέλω γὰρ ὑμᾶς ἀγνοεῖν). Eine weitere Anforderung formuliert er in 10,20b (οὐ θέλω ὑμᾶς …). Neben diese feststehenden Wendungen treten einige freie Bezugnahmen auf das eigene Reden und das Denken der Korinther im Zuge weiterer metakommunikativer Bemerkungen. So spricht Paulus die Korinther in 10,15 als „Verständige“ an (ὡς φρονίμοις λέγω) und fordert sie auf, den Inhalt seiner Rede zu beurteilen (κρίνατε ὑμεῖς ὅ φημι). In 10,19 thematisiert er abermals dieses eigene Reden (τί οὖν φημι). Aus dieser Reihe hebt sich die Mahnung in 10,12 ab, wer meint zu stehen (ὁ δοκῶν ἑστάναι), sehe zu, dass er nicht falle. Auch hier kommt jedoch eine kognitive Tätigkeit in den Blick. δοκέω nimmt für Paulus mitunter eine Sonderbedeutung an. So fasst Schunack zusammen: „Einen festen Platz in theol.-argumentativer Kritik enthusiastischen Pneumatikertums wie überhaupt eines sich selber vor Gott betrügenden Rühmens und Vertrauens hat bei Pls die Wendung ‚wenn einer vorgibt‘ mit dem Anspruch, damit öffentlich anerkannt zu werden“ und verweist dazu auf 1 Kor  3,18; 8,2; 11,16; 14,37; Gal  6,3; Phil 3,4 und diese Stelle.428 Dass δοκέω als wiederkehrendem Begriff im ersten Korintherbrief, zumal in 1 Kor 8,2, ein gewisses 428

Schunack 2011a, 823.

3.3 Gedankliche Kartierung

157

Gewicht zukommt, liegt nahe. Inwiefern die Verwendung in 1 Kor 10,12 tatsächlich so zu verstehen ist und auf die „Kritik enthusiastischen Pneumatikertums“ zielt, wird nach der argumentativen Analyse zu prüfen sein. Während Bezugnahmen auf das (vermeintliche) Vorwissen der Korinther in ähnlichen rhetorischen Konfigurationen den Brief insgesamt prägen429 und auch Willensformulierungen mit θέλω wiederholt begegnen,430 sticht zudem die Aufforderung an die Korinther heraus, sein Reden zu beurteilen (10,15),431 zumal Paulus den Korinthern eine besondere geistliche Kompetenz in 1 Kor  3 gerade abgesprochen hatte. Entsprechend ist wiederholt vorgeschlagen worden, ὡς φρονίμοις λέγω sei ironisch zu verstehen.432 Auch diese Frage wird sich erst nach einer rhetorisch-argumentationslogischen Analyse des Textes beantworten lassen. Zusammengenommen bestätigt dieser Befund den Platz der Passage in einem paränetischen Zusammenhang, der versucht, sowohl auf das Verhalten als auch auf die Ansichten und Einstellungen der Korinther einzuwirken. Es geht dem Text darum, „die Notwendigkeit zu Selbstkontrolle und Verzicht zugunsten der Heilsteilhabe“ einsichtig zu machen und dabei möglichen Missverständnissen vorzubeugen. Was die Verteilung der Verben geistiger und sprachlicher Tätigkeit anbelangt, fällt ihr Fehlen innerhalb der nacherzählenden bzw. offen biblisch argumentierenden Passage 10,1–11 auf. Sie wird ganz von der disclosure-Formel 10,1 umspannt. b Begriffe und Bilder aus der Sportwelt, Selbstkontrolle und Begierde Der Überleitungsabschnitt 9,24–27 wird maßgeblich von Begriffen und Bildern aus der Sportwelt bestimmt. Eingangs ist das Bild des Wettlaufs bestimmend (9,24: οἱ ἐν σταδίῳ τρέχοντες … τρέχουσιν). 9,25 spricht allgemeiner vom Athleten, dessen Vorbereitung auf den Wettkampf darin besteht, sich aller Dinge zu enthalten (ὁ ἀγωνιζόμενος … ἐγκρατεύεται). 9,26 f. greift wiederum einzelne sportliche Disziplinen heraus. Zunächst wieder den Läufer (9,26: τρέχω), dann den Faustkämpfer (9,26: πυκτεύω; ἀέρα δέρων;433 9,27: ὑπωπιάζω). Mitunter wird auch der letzte Teil von 9,27 noch der Sportsprache zugerechnet (μή πως ἄλλοις κηρύξας αὐτὸς ἀδόκιμος γένωμαι).434 In der Tat „[gehören κ]ηρύσσειν und ἀδόκιμος […] sowohl zum neutestamentlich geprägten Wortschatz als auch zu den termini technici des griechischen Agon“.435 Der Herold (κῆρυξ) hatte bei den Spielen eine wichtige Vgl. 1 Kor 3,16; 5,6; 6,2.3.9.15f.19; 8,1.4; 9,13.24; 12,1f.; 15,1. Vgl. 1 Kor 7,7.32; 11,3; 12,1; 14,5; 16,7. 431 Vgl. einzig, aber abgeschwächt und weniger explizit, 1 Kor 11,13. 432 Ähnlich 1 Kor 4,10. 433 Die Debatte um die genaue vorgestellten Schlagtechniken hinter ἀέρα δέρων (und ὑπωπιάζω) ist zwar lexikalisch interessant und mitunter für den realgeschichtlichen Hintergrund der Passage erhellend, für unsere Zwecke jedoch nicht von großer Bedeutung. Ob Paulus nun schattenboxt oder im Kampf daneben schlägt – so oder so weist er ein vergebliches Schlagen ab. 434 Vgl. etwa Fee 1987, 440. 435 Brändl 2005, 215. 429 430

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Funktion inne, die die Einladung der Athleten, die Teilnahme am Eröffnungswettkampf der Spiele und die Ansage der einzelnen Wettkämpfe umfassen konnte.436 Auch konnte mit δοκιμάζω die Zulassung zum Wettkampf 437 und womöglich mit ἀδόκιμος die Aberkennung eines Siegespreises ausgedrückt werden.438 Während eine entsprechende Assoziation auf Hörerseite freilich nicht auszuschließen ist, fügt sie sich in beiden Fällen jedoch nicht sauber in den skizzierten Gedanken. Paulus nutzt κηρύσσω stets als terminus technicus für die eigene Verkündigung, von der er wenige Verse zuvor noch sprach. Zudem steht dem Bild nach seine Zulassung zum Wettkampf außer Frage und inwiefern ἀδόκιμος tatsächlich die Aberkennung eines Preises ausdrücken kann, ist ungewiss und nicht sicher belegt.439 Von daher empfiehlt es sich, allenfalls von einer losen Anknüpfung an die Sportsprache auszugehen. Selbst ohne die Spitzenaussage ἀδόκιμος zu werden noch aus der Sportmetaphorik heraus zu verstehen, wird jedoch eines deutlich: Letztlich werden alle Aussagen auf den angestrebten Sieg und Kampfpreis bzw. Siegeskranz zugespitzt und die Anstrengung, die damit verbunden ist, ihn zu erringen. Nur einer, der im Stadion läuft, erringt ihn und die Adressaten sollen es ihm gleichtun (9,24: εἷς δὲ λαμβάνει τὸ βραβεῖον; οὕτως τρέχετε ἵνα καταλάβητε). Der Preis der Enthaltsamkeit des Athleten ist ein vergänglicher Siegeskranz (9,24: φθαρτὸς στέφανος), der Preis der Adressaten ein unvergänglicher (ἄφθαρτος). Das Training, dem Paulus sich selbst unterwirft, ist zielgerichtet und fokussiert (9,26: τρέχω ὡς οὐκ ἀδήλως, οὕτως πυκτεύω ὡς οὐκ ἀέρα δέρων). Der metaphorische Gebrauch der Sportbilder wird schließlich so dominant, dass der Text die Grenzen des Bildes überschreitet, wenn Paulus davon spricht, sich selbst unter das Auge zu schlagen und den eigenen Leib zu versklaven (9,27 ὑπωπιάζω μου τὸ σῶμα καὶ δουλαγωγῶ), um einen der Verkündigung angemessenen Lebensstil zu erreichen. Schon das Verb ὑπωπιάζω steht ob der Wirksamkeit eines Schlags unter das Auge „für den erfolgreichen Kampf schlechthin“440. Die gelegentlich in der Literatur begegnende Streitfrage, ob es Paulus um den sportlichen Einsatz (9,24.26) oder um die notwendige Selbstzucht in der Vorbereitung gehe (9,25.27), verkennt die Bedeutungsbreite von ἐγκρατεύομαι. Das Verb beschreibt das gesamte „Verhalten des Athleten. Seine Vorbereitung auf die Wettkämpfe umfasste neben Training, einer besonderen Diät und ausreichendem Schlaf die Enthaltsamkeit von Alkohol, belastenden Speisen und vor allem Geschlechtsverkehr.“441 Die Selbstkontrolle kann entsprechend nicht unabhängig von der sportlichen Tätigkeit gedacht werden. 436 Vgl. Brändl 2005, 216. Auch Butarbutar 2007, 195, liest 9,27 noch konsequent im Sinne des Sports: Im Gegensatz zum κῆρυξ, der selbst nicht am Wettkampf teilnahm, will Paulus nicht disqualifiziert sein, sondern mitlaufen (und mitsiegen). 437 Vgl. Aristot. Ath. pol. 49,1 zu ausgemusterten Pferden. 438 Vgl. Brändl 2005, 217 f. 439 Vgl. Brändl 2005, 216.218. 440 Vgl. Brändl 2005, 208. 441 Brändl 2005, 201. Kursivierung K. O.

3.3 Gedankliche Kartierung

159

Die nähere Untersuchung des Wortfelds legt nahe, dass der Abschnitt keineswegs unverbunden neben der weiteren Gedankenentwicklung des Textes steht. Der Bereich des Sports war ein gängiger Bildspender in der populärphilosophischen Tugendunterweisung. „Die hellenistisch-römische Popularphilosophie verdeutlicht mit Bildern aus dem Sport das Streben nach Tugend, den Kampf gegen die Leidenschaften und Begierden, sowie die Mühen, die man dafür auf sich nehmen muss.“442 Auch die Abwertung der irdischen Siegeskränze gegenüber zeitlosen Idealen ist in diesen Diskursen vorweggenommen.443 Mit eigenen Akzenten, die die Metaphorik auf Martyrium und Frömmigkeit umdeutet, nimmt auch das griechischsprachige Judentum diese Bildwelt auf.444 Insbesondere die ἐγκράτεια des Athleten wurde gern zum Vorbild genommen und es ist dieser Begriff, in dem sich verschiedene Sinnlinien des Textes treffen. ἐγκράτεια im Sinne von Selbstkontrolle, Selbstbeherrschung, der „Herrschaft, die einer über sich oder gegenüber etwas hat, so daß er es haben oder nicht haben kann“, kann als „Kardinaltugend“ der griechischen Philosophie verstanden werden.445 Ein Blick auf das Umfeld des Begriffs macht deutlich, wie sehr 9,24–27 zwischen den Gedanken zur Freiheit des Apostels in Kapitel 9 und denen zur Beherrschung der Begierden in Kapitel 10 vermittelt. Es ist das Tugendideal des freien, auf sich selbst gestellten Menschen[, das hinter dem Begriff ἐγκράτεια] steht, des Menschen, der von nichts beherrscht wird, sondern alles in Freiheit beherrscht und seine Freiheit einsetzt in der Enthaltsamkeit gegenüber den φαῦλαι ἡδοναί, die ihm seine Freiheit nehmen wollen.446

Von Freiheit, wenn auch von einer ganz anders gearteten Freiheit als sie der paganen Philosophie vorschwebt, handelt 8,13–9,23. Was die Verbindung zu Kapitel 10 anbelangt, so wird ἐγκράτεια stets als Gegenüber zu ἐπιθυμία verstanden.447 Dies lässt sich von Aristoteles (Aristot. eth. Nic.2,4–6) bis hin zu Philo (Spec. 1,149) wiederholt beobachten. Dabei bezieht sich ἐγκράτεια stets zu allererst (auch) auf Fragen der Ernährung und des Geschlechtslebens und wird zusehends weiter daraufhin zugespitzt; sei es in der griechischen Philosophie (etwa Xen. mem. 2,1,1); bei Philo (Det. 101ff; Spec. 2,195), in Josephus Schilderung der Essener (B. J. 2,210) oder im vierten Makkabäerbuch (4 Makk 1,33–35).448 Der Begriff ist, gerade auch so, wie er durch das Bild des beherrschten Athleten gefüllt wird, für die ab 10,6 geschilderten, zu unterlassenen Verhaltensweisen auf vielfältige Weise anschlussfähig. Wie bestimmend der Gedanke der Selbstbeherrschung für den Abschnitt 10,6–11 und die von ihm abhängigen Gedanken ist, zeigt neben seinem Inhalt auch ein Blick auf seine Struktur. So hebt sich die Aufforderung, nichts Schlechtes zu beZeller 2010, 321. Vgl. Zeller 2010, 322, unter Verweis auf Dion. Chrys. 8,15; Sen. epist. 78,16 und Philo Prob. 113. 444 Zeller 2010, 322, verweist auf Sap 4,2; 4 Makk; TestJob 4,10; 27,3–5 und Philo im Allgemeinen. 445 Grundmann 1935, 338. Vgl. ferner Gäckle 2004, 92–100.192 f., für die Populärphilosophie. 446 Grundmann 1935, 339. 447 Vgl. im Folgenden Grundmann 1935, 339 f., mit den angeführten Belegen. 448 Vgl. zu IV Makk auch Gemünden 2009, 120. 442 443

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

gehren, in 10,6b von den vier Aufforderungen in 10,7–10 in mehrfacher Weise ab. Im Unterschied zu diesen leitet die Aufforderung keinen dreigliedrigen Satz ein, in dem eine Verhaltensweise mit dem Verhalten „τινες αὐτῶν“ verglichen wird. Vielmehr schließt die Aufforderung direkt an die hermeneutische Bemerkung 10,6a an. Damit gilt: „it is rather a general ‚heading‘ statement“449, das den vier Warnungen in 10,7–11 nicht nur voransteht, sondern logisch auf einer übergeordneten Ebene angesiedelt ist.450 Diese Überordnung kann auf zweierlei Weise begründet werden. Allgemein zeigt Paulus die Tendenz, ἐπιθυμία als Inbegriff bzw. Wurzel der Sünde zu begreifen (vgl. Röm 6,12 f.; 7,7 f.; Gal 5,25).451 Damit ist er im jüdischen Denken der Zeit keineswegs allein. Auch 4 Makk 2,6 kann die Quintessenz des Gesetzes mit μὴ ἐπιθυμεῖν wiedergeben und Philo bezeichnet die Begierde als Wurzel allen Übels.452 „Die ἐπιθυμία ist im AT und Judentum Vergehen des Menschen gegen Gott, der den völligen Gehorsam, die Liebe von ganzem Herzen, Dt 5,5, vom Menschen fordert.“453 Damit lassen sich sämtliche Verstöße gegen Gottes Willen unter den Begriff ἐπιθυμία fassen, wie es besonders die lateinische Paulusrezeption auch immer wieder getan hat.454 Jedoch scheint die Verbindung zwischen ἐπιθυμία und den Warnungen in 10,7–11 darüber hinaus eine spezifische zu sein. Dass die aufgezählten Vergehen von ihren biblischen Prätexten her als Spielarten widergöttlicher Begierde verstanden werden können, war oben bereits angemerkt worden. Ebenso, dass Num 11 hinter der Formulierung ἐπιθυμητὰς κακῶν zu stehen scheint. Bemerkenswerterweise ist das verwerfliche Verlangen jedoch auch bereits für Plato ἐπιθυμία κακή (Leg. IX 854a). Wenn ἐπιθυμία dem gemein-griechischen Sprachgebrauch nach „den unmittelbaren Trieb nach Nahrung, geschlechtlicher Befriedigung udgl, ebs das Verlangen allgemein“455 bezeichnet, liegt eine unmittelbare Verbindung zu 10,7 f. auf der Hand. Doch besteht eine solche inhaltliche Nähe auch zu 10,9f ? Bezeichnenderweise sind sowohl πειράζω/ἐκπειράζω als auch γογγύζω typische Begriffe der LXX. πειράζω mit der Bedeutungsbreite „einen Versuch anstellen, jemanden versuchen, auf die Probe stellen“456 ist genauso wie das Substantiv πειρασμός Collier 1994, 57, Anm. 11. Vgl. Collier 1994, 55–75. Auch Thiselton 2000, 734 f., hebt den direkten Gegensatz hervor, in dem die vier Verhaltensweisen in 10,7–10 zur Selbstdisziplin von 9,24–27 stehen. Zur übergeordneten Stellung von ἐπιθυμία vgl. Thiselton 2000, 733: „craving represents the general stance from which the specific four failures of vv. 7–13 flow“ (im Original teils fett). 451 Vgl. auch Zeller 2010, 330. 452 Vgl. Spec. 4,84: τοσοῦτον ἄρα καὶ οὕτως κακὸν ὑπερβάλλον ἐστὶν ἐπιθυμία, μᾶλλον δ, εἰ δεῖ τἀληθὲς εἰπεῖν, ἁπάντων πηγὴ τῶν κακῶν. Bemerkenswerterweise spitzt Philo das 10. Gebot ganz auf Num 11 zu (vgl. vgl. Spec. 4,129–132, ferner 4,9 und Leg. 3,116). Insgesamt eine ähnliche Funktion hat der ‫ יצר הרע‬bei den Rabbinen. Vgl. zu beidem Collier 1994, 68. 453 Vgl. Büchsel 1938, 169. Büchsel verweist ferner auf VitAd 19, die er trotz der christlichem Überarbeitung an dieser Stelle für im Kern jüdisch hält. 454 Für eine solche allgemeinere Deutung sprechen sich hier etwa Schrage 1995, 397, und Cover 2015, 69, aus. 455 Büchsel 1938, 168. 456 Seesemann 1959, 23. 449 450

3.3 Gedankliche Kartierung

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jenseits der LXX und von ihr beeinflusster Literatur selten. Das schärfere ἐκπειράζω fehlt dort ganz.457 Die Wortgruppe kommt in der LXX deshalb zu Prominenz, weil sie theologisch aufgeladen wird. LXX nutzt πειράζω/πειρασμός sowohl dann, wenn sie davon spricht, dass Gott den Menschen auf die Probe stellt, als auch dann, wenn der Mensch Gott herausfordert. In 10,8 ist offensichtlich letzteres der Fall. Paradestelle ist die bereits bekannte Erzählung Ex  17,1–7. Die Geschehnisse in Massa/ Peirasmos gewinnen geradezu paradigmatische Bedeutung als „Ausdruck des Unglaubens, Zweifelns und Ungehorsams“458. In Dtn 6 ist die Aufforderung, den Kyrios nicht wie in Massa/Peirasmos herauszufordern (6,16: οὐκ ἐκπειράσεις κύριον τὸν θεόν σου ὃν τρόπον ἐξεπειράσασθε ἐν τῷ Πειρασμῷ) die direkte Kehrseite von Alleinverehrungsgebot (6,4 f.13–15) und Aufforderung zum Gesetzesgehorsam (6,5– 11). Nach Sap 1,2 bedeutet Gott versuchen, ihm nicht zu glauben (ὅτι εὑρίσκεται τοῖς μὴ πειράζουσιν αὐτόν ἐμφανίζεται δὲ τοῖς μὴ ἀπιστοῦσιν αὐτῷ). γογγύζω, „murren“, hat im allgemeinen Sprachgebrauch zunächst eine neutrale Bedeutung. „Es hat sein Kennzeichen in dem Neben- und Miteinander eines Rechtsanspruchs und des Urteils, daß diesem Anspruch kein Genüge geschehen ist oder aber keine Genüge geschieht“, und zwar in der Form, „daß hinter γογγύζειν der Mensch als Ganzes erscheint und daß es eine persönliche Grundhaltung beschreibt und nicht nur ein durch das Temperament und die Lage des einzelnen bedingtes äußeres Verhalten“.459 Erst die LXX lädt den Begriff negativ auf, so dass er als strafwürdiges Fehlverhalten verständlich wird. Vor allem gibt sie mit (δια)γογγύζω das hebräische ‫ לון‬wieder, ein Verb, das ausschließlich in Ex 15–17 und Num 14–17 Verwendung findet und gewissermaßen terminus technicus für das Murren des Wüstenvolks ist, das Gottes Rettungszusagen kein Vertrauen schenkt und gegen ihn und seine Stellvertreter aufbegehrt.460 Wie oben bereits festgestellt wurde, sind stets Hunger und Durst Anlass dieses Murrens (vgl. Ex 15,24; 16,3; Num 14,1). Wie sehr das Murren mit der Vorstellung des Essens verknüpft ist, zeigt Ps 58,16 LXX: „wenn sie nicht satt werden, murren sie“ (μὴ χορτασθῶσιν καὶ γογγύσουσιν als Übersetzung der semantisch unklaren Form ‫ וַ ּיָ ִלינּו‬von der Wurzel ‫)לין‬. Auf der Ebene der Erzählung bestünde das positive Alternativverhalten darin, Gott Glauben zu schenken (Num 14,11) und auf seine Stimme zu hören (Num 14,22).461 Die LXX übersetzt auch andere hebräische Worte mit γογγύζω, stets schwingt aber „eine gottlose oder gottferne Haltung des Menschen“ mit.462 Dass Philo und 457 Seesemann 1959, 23. Zu ἐκπειράζω als intensiverem Ausdruck vgl. Thiselton 2000, 740 f., der entsprechend „put to the test“ statt schlicht „test“ übersetzt. 458 Seesemann 1959, 27. 459 Rengstorf 1933, 728. 460 Vgl. Rengstorf 1933, 730. Jos 9,18 und unter Umständen Ps 59,16 (s. u.) sind die einzigen Ausnahmen. Wie der beständige Wechsel von γογγύζω und διαγογγύζω als Wiedergabe von ‫לון‬ erkennen lässt, zeigen die beiden Formen keinen Bedeutungsunterschied (vgl. Num 14,2.27.29.36; Num 16,11; 17,6). 461 Vgl. Rengstorf 1933, 730. 462 Rengstorf 1933, 729, mit Verweis auf Num 11,1; Jos 29,24; Ps 105,25 LXX.

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Josephus die Verwendung von γογγύζω wie die Wiedergabe dieser Geschichten überhaupt umgehen und die Rabbinen bemüht sind, ‫ לון‬in seiner Bedeutung abzuschwächen, wird als Indiz verstanden, wie anstößig das Wort und die durch es beschriebenen Vorgänge sind.463 Es entsteht so eine große inhaltliche Nähe zwischen den Begriffen πειράζω/ ἐκπειράζω und γογγύζω im biblischen Sprachgebrauch. Beide Verhaltensweisen sind Ausdruck des zur Schau gestellten Unglaubens und beide Begriffe erhalten ihre inhaltliche Füllung vor allem aus den Exodusgeschichten. In der Tat kann Ex 17,2 f. das Murren gegen Mose mit der Versuchung Gottes geradezu gleichsetzen (καὶ εἶπεν αὐτοῖς Μωυσῆς τί λοιδορεῖσθέ μοι καὶ τί πειράζετε κύριον ἐδίψησεν δὲ ἐκεῖ ὁ λαὸς ὕδατι καὶ ἐγόγγυζεν ἐκεῖ ὁ λαὸς πρὸς Μωυσῆν). Ähnliches ist in Num 14,2.22 zu beobachten. Dass sich beide Verben in LXX sinngleich auch über die Exodusgeschichten hinaus finden, deutet darauf hin, dass sie sich in ihrer Bedeutung verselbstständigt haben. Um die Begriffe ihrem Gehalt nach zu verstehen, ist es nicht unbedingt notwendig, mit den Exodusgeschichten vertraut zu sein. Gleichwohl bleibt ihre Beziehung zum übergeordneten Schlagwort ἐπιθυμία dunkel, solange man nicht um die Exodusgeschichten weiß. Gott zu versuchen und zu murren sind deshalb Ausdrücke von ἐπιθυμία, weil sie im Hunger und Durst des ungeduldigen Wüstenvolks gründen. In diesem Lichte fügen sich die Begriffe aber durchaus unter die Überschrift 10,6b. Was dies für den gedanklichen Nachvollzug der Passage bedeutet, wird im Schritt der Skalierung zu bedenken sein. All dies stützt die Überlegung, es gehe in 10,1–22 prominent um die „Notwendigkeit von Selbstkontrolle und Verzicht“, da sowohl 9,24–27 als auch 10,6–11 (ἐπιθυμία) von diesem Gedanken her verstanden werden können und ἐγκράτεια mehr meint als bloßen Verzicht oder Enthaltsamkeit.464 Überdies zeigt sich, dass die zu beherrschende Begierde das Gottesverhältnis berührt und die Beherrschung vor Schaden bewahrt. Selbstkontrolle und Verzicht erfolgen von daher in der Tat „zugunsten der Heilsteilhabe“. c jeder/alle/alles; einige/viele (die Gesamtheit/Teilmengen einer Gruppe) Ein weiteres prägendes Element der Passage ist der mehrfach hervorgehobene Kontrast zwischen „allen“, d. h. der Gesamtheit einer Gruppe, und ihren Teilmengen. So werden in 9,24 alle Läufer im Stadion dem einen Sieger gegenübergestellt (πάντες/ εἷς) und die „Gesamtheit unserer Väter“ in 10,1–4 (10,1 οἱ πατέρες ἡμῶν πάντες; 10,1b.2.3.4 πάντες) den „meisten“, an denen Gott keinen Gefallen hatte in 10,5 (ἐν τοῖς πλείοσιν αὐτῶν). Ferner beschreiben 10,7–10 das verwerfliche Handeln „einiger von ihnen“ (τινες αὐτῶν). Ist der Gebrauch der Wortgruppe um πᾶς im 1 Korintherbrief an sich nicht außergewöhnlich, sensibilisiert dieser Befund doch für 463 464

Vgl. Rengstorf 1933, 731–733. Die gängige Übersetzung mit „Enthaltsamkeit“ nuanciert auch Wolff 2017, 392–395.

3.3 Gedankliche Kartierung

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die Formulierung 9,25, dass sich „jeder“ Athlet „aller Dinge“ enthalte (πᾶς/πάντα ἐγκρατεύεται).465 Der Athlet steht damit wieder für eine Gesamtgruppe und führt das Bild von allen Läufern, die keineswegs alle siegen, fort. Diese Darstellungen einer Gesamtgruppe, die alles gibt bzw. das Rettungshandeln Gottes erfahren hat und letztlich in der Mehrheit doch scheitert, verschärft den mahnenden Ton der Passage. Insofern unterstreichen auch sie „die Notwendigkeit von Selbstkontrolle und Verzicht“. Vor dem Hintergrund dieser Formulierungen lässt die Rede von den vielen (οἱ πολλοί), die eins werden, weil sie alle (πάντες) am einen Brot teilhaben (10,17), fragen, in welchem Verhältnis diese Gemeinschaft zur Gesamtheit der Athleten und Wüstenväter steht, die nicht alle ihr Ziel erreichten. d Aufforderungen zum Unterlassen einer Tätigkeit/Warnungen Der Gedanke der Selbstkontrolle im Sinne des Verzichts, den das Sportbild einführt, spiegelt sich auch insofern im gesamten Text wider, als nahezu alle Aufforderungen, die der Text ausspricht, negativ formuliert sind oder doch zumindest das Unterlassen einer Tätigkeit implizieren. Ist der einleitende Aufruf, so zu „laufen“, dass man den Kampfpreis empfängt (9,24), noch positiv formuliert, wird er sogleich durch die Beschreibung des Athleten näher gefasst, der hinsichtlich aller Dinge Selbstbeherrschung übt (ἐγκρατεύεται), um den Siegeskranz zu gewinnen (9,25). Diese Verhaltensvorgabe, die zwischen 9,24 und 9,26 f. vermittelt, steht im Zentrum des Einleitungsabschnitts und prägt den Duktus der gesamten Passage. Schon im folgenden Vers kämpft Paulus gerade nicht wie jemand, der ins Ungewisse läuft oder in die Luft schlägt (9,26). Noch deutlicher wird dieser Hang zur negativen Aufforderung, wenn Paulus in 10,6–10 dazu auffordert, die Verhaltensweisen der Wüstengeneration nicht nachzuahmen. Die Aufzählung gipfelt in der Aufforderung, vor dem Götzendienst zu fliehen (10,14: φεύγετε ἀπὸ τῆς εἰδωλολατρίας). d. h. eine Handlung nicht nur zu unterlassen, sondern sie tunlichst zu meiden, als ginge eine Gefahr von ihr aus. 10,20 f. führen dies in weiteren Verneinungen fort. Selbst die rhetorische Frage 10,22 (ἢ παραζηλοῦμεν τὸν κύριον) fordert unausgesprochen die Antwort: „Nein, selbstverständlich wollen wir den Kyrios nicht versuchen!“ Im Hinblick auf diesen Befund bewährt sich die vorläufige Themenformulierung „die Notwendigkeit zu Selbstkontrolle und Verzicht“. e Essen/Trinken Eine semantische Linie, die sich in vielfältiger Terminologie und verschiedener Verwendung durch das gesamte Kapitel 10 zieht, speist sich aus dem Wortfeld um Essen 465 Der Gebrauch von πᾶς im Subjekt von 9,24.25 hebt sich auch vom übrigen Gebrauch in Kapitel 9 ab.

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und Trinken. Das ist wenig verwunderlich, behandelt der größere Zusammenhang doch die Frage des Verzehrs von Götzenopferfleisch. ἐσθίω kann als Leitbegriff des Großabschnitts betrachtet werden.466 Auch die Wendung φαγεῖν καὶ πεῖν (vgl. 10,7) begegnet bereits in 9,4. Das semantische Feld wird im Überleitungsabschnitt 9,24–27 nicht explizit aufgerufen. Allenfalls ist es im ἐγκρατεύομαι von 9,25 mitgedacht. 10,3–4.7 spricht vom Essen und Trinken der Wüstengeneration. Alle Väter aßen geistliche Speise (10,3: πνευματικὸν βρῶμα ἔφαγον) und tranken geistlichen Trank aus dem nachfolgenden Felsen (10,4: πνευματικὸν ἔπιον πόμα; ἔπινον γὰρ ἐκ πνευματικῆς ἀκολουθούσης πέτρας). Die Formulierung zeigt Ähnlichkeiten zu frühen Herrenmahlstraditionen.467 Diesem Verzehr gottgewährter Gaben steht das Handeln des Volkes am Sinai entgegen. Das Zitat von Ex 32,6 in 10,7 spricht vom Essen und Trinken im Zusammenhang des Bundesbruches (ἐκάθισεν ὁ λαὸς φαγεῖν καὶ πεῖν). Somit stehen sich hier eine legitime und eine illegitime Weise des Essens und Trinkens direkt gegenüber. Dieses Gegenüber wird auch im weiteren Textverlauf fortgeführt. Vielfältige Anspielungen auf den Themenkomplex Essen und Trinken durch die Bezugstexte hinter 10,7–10 sind wahrscheinlich, auf der Textoberfläche jedoch nicht sichtbar (s. o. ‎3.2.3). 10,16 f. schildern das Herrenmahl und seine Folgen als positiv besetzte Form des Essens und Trinkens. Sowohl die Rede vom „Segensbecher“ als auch die Formulierung „Brot brechen“ sind typisch jüdisch bzw. frühchristlich.468 10,16 nennt Kelch und Brot (τὸ ποτήριον/τὸν ἄρτον) und 10,17 führt die Teilhabe am Brot aus, die „die vielen“ zu einem Leib werden lässt (εἷς ἄρτος/ἐκ τοῦ ἑνὸς ἄρτου μετέχομεν). Demgegenüber stehen ab 10,18 jene, die vom Opfer essen (οἱ ἐσθίοντες τὰς θυσίας) und in 10,19 der Verzehr von Götzenopferfleisch (εἰδωλόθυτόν). Dies sind die Kategorien, in denen das Exoduszitat gedeutet wird. Abschließend werden Mahlgemeinschaft mit dem Herrn und den Dämonen als zwei unvereinbare Alternativen nebeneinandergestellt (10,21). Die semantische Linie um Essen und Trinken strukturiert die Passage insofern, indem sie Parallelen zwischen dem Essen und Trinken der Wüstengeneration und dem der Gegenwart sichtbar macht. Jeweils wird eine legitime Weise des Verzehrs, die von Gott ermöglicht ist und mit ihm Gemeinschaft gibt, von einer illegitimen Weise im Zusammenhang von Götzendienst abgesetzt. Dem Essen der Wüstengeneration entspricht dabei die Teilhabe am einen Brot (μετέχειν). Vgl. die Verwendung von ἐσθίω bzw. φαγεῖν in 1 Kor 8,7.8.10.13; 9,4.7.13; 10,3.7.18.25.27.28.31. Vgl. Klauck 1982, 255: „Did 10,3b: ἐχαρίσω πνευματικὴν τροφὴν καὶ ποτόν, stützt die Vermutung, daß Paulus geläufige Termini für die Elemente des Herrenmahls aufgreift.“ 468 Vgl. Klauck 1982, 258: „‚Segensbecher‘ entstammt dem Wortschatz der jüdischen Sondersprache und meint jenen Becher, über den man am Schluß des Mahls das Dankgebet spricht.“ Die Rede vom Brotbrechen scheint hingegen für das Herrenmahl typisch zu sein. Für die Formulierung finden sich kaum Parallelen in der paganen Welt und nur obskure, weit entfernte in LXX (vgl. Klauck 1982, 259, mit einigen Belegen in Anm. 10. Unter anderem verweist er auf das Totenmahl Jer 16,7). 466 467

3.3 Gedankliche Kartierung

165

Essen und Trinken werden dabei sowohl jüdisch-christlich als auch pagan kontextualisiert. Das Schlagwort εἰδωλόθυτον fällt jedoch nur einmal gegen Ende der Passage(10,19).469 Diese Zusammensetzung aus εἴδωλον und θύω, das den εἴδωλα Geopferte, findet sich einmalig in der Septuaginta (4 Makk 5,2), in einem umstrittenen Passus der jüdischen Sibyllinen (2,96), bei Pseudo-Phokylides (31) und einige Male im Neuen Testament (Apg 15,29; 21,25; 1 Kor  8,1.4.7.10; 10,19; Offb 2,14.20). Ansonsten begegnet der Begriff ausschließlich in späterer, christlich geprägter Literatur.470 Überhaupt ist εἴδωλον in der paganen Literatur als Bezeichnung von Kultbildern äußerst unüblich, haftet dem Wort doch ein ambivalenter Beigeschmack von „Schein- bzw. Trugbild“471 an. LXX verwendet den Begriff hingegen recht konsequent, um heidnische Gottheiten zu bezeichnen. Das Neue Testament schreibt diesen Sprachgebrauch fort.472 Den älteren Konsens, εἰδωλόθυτον sei dementsprechend eine polemische, jüdische Begriffsbildung,473 hat Ben Witherington nachdrücklich angefragt. In Anbetracht der unsicheren Datierung und der bekannten christlichen Überarbeitungen der Texte, die die vermeintlich jüdischen Belege bieten, handele es sich wahrscheinlicher um einen pejorativ gebrauchten judenchristlichen Ausdruck.474 In jedem Falle bietet εἰδωλόθυτον eine polemische Alternative zum pagan gebräuchlicheren ἱερόθυτον oder θεόθυτον.475 Erhält das Wortfeld um Essen und Trinken zu dieser Seite hin eine spezifisch (jüdisch-)christliche Färbung, so ist es zu einer anderen Seite hin pagan eingefärbt. Die Vorstellung der Gemeinschaft und Teilhabe, die die gemeinsame Mahlzeit stiftet, führt zu einem eng verwandten weiteren semantischen Bereich, der noch zu untersuchen sein wird: (Mahl-)Teilhabe und Gemeinschaft.

469 Das Fehlen des Begriffs in Kapitel 9 ist hingegen nicht verwunderlich. Das gesamte Kapitel ergeht sich in Beispielen, die den Sachverhalt auf einer Ebene behandeln, die über die konkrete Streitfrage hinausgeht. Wo es einleitend direkt um den Verzehr von Götzenopferfleisch geht, begegnet der Begriff jedoch allerorten (vgl. 1 Kor 8,1.4.7.10, sowie ferner 10,28 ἱερόθυτον). 470 Vgl. Gäckle 2004, 115. In der paganen Welt etwas gebräuchlicher scheint ἱερόθυτον gewesen zu sein. Eine Suche im TLG kommt auf vier vorchristliche und eine Fülle späterer paganer Verwendungen. 471 Gäckle 2004, 115. 472 Vgl. Gäckle 2004, 115 f. 473 Vgl. Conzelmann 1981, 173. 474 Vgl. Witherington, III 1993. Witheringtons im Folgenden geäußerter Vorschlag (vgl. auch Fee 1980, 181–187), mit εἰδωλόθυτον sei allein Fleisch bezeichnet, das im Rahmen der Opferhandlung verzehrt wurde, wird dem Textbefund jedoch nicht gerecht. Zur Kritik vgl. Gäckle 2004, 117 f., mit Referat von Fisk 1989. 475 Vgl. Merklein 2000, 178 f. Bemerkenswerterweise bietet der TLG auch für θεόθυτον lediglich drei pagane Belegstellen. Hesych (Hesych. Theta 266,1) sieht sich vielmehr veranlasst, θεόθυτα und ἱερόθυτα wechselseitig zu erklären. In den dokumentarischen Papyri ist keiner der drei Begriffe belegt. Vgl. Arzt-Grabner 2006, 328.

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Insgesamt wird die thematische Linie „Essen und Trinken“ somit in vielfältiger Form und vielfältigem Vokabular verfolgt. In keinem Fall geht es jedoch um alltägliches, profanes Essen. Vielmehr geht es um ein im weitesten Sinne kultisches oder zeremonielles Essen als Kontaktfläche zur übersinnlichen Welt, das entweder positiv oder negativ zu beurteilen ist. Mit Blick auf die vorläufige Themenformulierung zeigt die semantische Linie „Essen und Trinken“ den wesentlichen Bereich an, auf dem Verzicht und Selbstkontrolle zu üben sind. f Verbundenheitsbezeugungen Zweimal sind metakommunikative Bemerkungen des Sprechers mit Verbundenheitsbezeugungen seinen Adressaten gegenüber verknüpft. In 10,1 spricht Paulus die Hörerschaft als ἀδελφοί an, in 10,14 als ἀγαπητοί μου. In 1 Kor markieren solche Anreden häufig Themenübergänge oder Aussagen mit besonderem Gewicht.476 Somit sind sie auch hier als strukturelle Signale auszuwerten und auf ihre rhetorische Funktion zu befragen. g Vernichtungsaussagen Die Reihe von Mahnungen, die sich aus dem Verhalten der Wüstengeneration ableitet, hält neben dem Verhalten der Wüstenväter jeweils auch deren Vernichtung fest. Dies geschieht sprachlich auf vielfältige Weise. Sie fielen (10,8: ἔπεσαν), gingen durch Schlangen zugrunde (10,9: ὑπὸ τῶν ὄφεων ἀπώλλυντο) und durch den Verderber (10,10: ἀπώλοντο ὑπὸ τοῦ ὀλοθρευτοῦ). Eröffnet wird diese Reihe bereits in 10,5, wenn es heißt, die meisten der Väter wurden in der Wüste hingestreckt (10,5: κατεστρώθησαν γὰρ ἐν τῇ ἐρήμῳ). Als Drohhorizont wird sie gewissermaßen in 10,12 fortgeführt, wenn es heißt: Wer meint zu stehen, sehe zu, dass er nicht falle (μὴ πέσῃ). Mit dieser Vernichtungsdrohung geht Kapitel 10 über die Sportmetaphorik in 9,24–27 hinaus. Dort droht zunächst höchstens der Verlust des Wettkampfes. Eine eschatologische Dimension ist durch das Gegenüber zum „unvergänglichen Siegeskranz“ (9,25) lediglich angedeutet. Hier droht der Verlust des Lebens, wie Paulus Reflexionen über sein eigenes Verhalten am Übergang zu Kapitel 10 anzeigen, abermals mit eschatologischer Tragweite (vgl. 9,27). Die Vernichtungsaussagen bieten eindrückliche Bilder. καταστρώννυμι begegnet in der LXX nur an ausgewählten Stellen. „[T]he word normally stands in relation to a destroying of human life in large quantities.“477 Vgl. 1 Kor 1,10 f.26; 2,1; 3,1; 4,6; 7,24.29; 11,33; 12,1; 14,6.20.26.39; 15,1.50.58 (!); 16,15. Oropeza 2000, 126. Vgl. neben Num 14,29.32; Hiob 12,23; Jud 7,14; 14,4; 2 Makk 5,26; 11,11; 12,28; 15,27. Dazu Fee 1987, 450: „the picture intended is probably the vivid one of their corpses being ‚strewn all over the desert‘“. 476 477

3.3 Gedankliche Kartierung

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ἔπεσαν ist etwas schwächer und allgemeiner formuliert. Neben der eigentlichen Bedeutung „fallen“ ist πίπτω im Sinne von (im Kampf ) sterben seit Homer belegt (vgl. etwa Il 8,67) und kann ferner die Bedeutung „zugrunde gehen/verloren gehen“ haben.478 Eine solche übertragene Verwendung kennt auch das Neue Testament. Dort kann πίπτω mitunter ein Schuldigwerden oder allgemeiner „eine Haltung des Ungehorsams, die vor Gottes Anspruch versagt“ bezeichnen (vgl. 10,12, ferner Hebr 4,11, Offb 2,5).479 Während in 10,8 ein körperliches Fallen mitgedacht sein mag, möchte der Vers doch im Wesentlichen den gewaltsamen Tod der Väter aussagen.480 10,9 und 10,10 formulieren die Vernichtungsaussage jeweils mit Medium/Passiv von ἀπόλλυμι und geben als Agens Schlangen (10,9: ὑπὸ τῶν ὄφεων) bzw. den „Vernichter“ (10,10: ὑπὸ τοῦ ὀλοθρευτοῦ) an. Auch für ἀπόλλυμι wird gemeinhin ein eigentlicher und ein übertragener Gebrauch unterschieden.481 Demnach schwingt neben dem Wortsinn vernichten/umbringen/töten auch hier eine eschatologische Dimension mit (vgl. 1 Kor 1,18; 8,11; Röm 14,15). Mitunter wird ἀπόλλυμι im biblischen Sprachgebrauch auch „ein aktives Moment“ als Äquivalent zu Hebr. ‫אבד‬ zugeschrieben, „nämlich der Gedanke, daß der Verlust auf die eigene Schuld oder den eigenen Willen des Verlierenden zurückzuführen ist“482. Ein solcher Gedanke wäre an dieser Stelle durchaus sachgemäß. Die Substantivbildung ὀλοθρευτής begegnet in der biblischen Literatur nur hier, ein solcher „Verderber“ oder eine durch (ἐξ)ολεθρεύω ausgedrückte Vernichtung findet sich hingegen an verschiedenen Stellen der Exodustradition, wenn auch nicht unmittelbar in einem der Murrtexte. Von welcher Tragweite diese Vernichtung ist, lassen sowohl die Schwere der Vergehen als auch die Verwendungszusammenhänge erkennen. Ägypten wird durch die Plagen verdorben (Ex 8,20: ἐξωλεθρεύθη) und die Völker des gelobten Landes werden von Gott vernichtet (Dtn 4,38: ἐξολεθρεῦσαι; Dtn 12,29: ἐξολεθρεύσῃ u. ö.), verschiedene Vergehen, die das Heilige entweihen, werden mit ἐξολεθρεύω als Strafe belegt (vgl. Ex 12,15.19; 30,33; 31,14), insbesondere kultische Vergehen (vgl. Lev. 17,4.9; 19,8; 22,13; 23,29; 26,30; Num 9,13; 15,30; 19,20.) und Vergehen gegen die sexuelle Reinheit Israels (vgl. Lev 18,29; 20,17 f.). An all diesen Stellen übersetzt ἐξολεθρεύω die ‫כרת‬-Strafe, d. h. die völlige Vernichtung und Ausrottung, andernorts den Vernichtungsbann ‫חרם‬

478 Michaelis 1959, 162, führt als Beispiele Hdt 8,16 und Hom. Il. 23,565 an. Vgl. auch Palzkill 2011, 213–215. 479 Vgl. Michaelis 1959, 166; Zeller 2010, 334. Vgl. für Paulus noch Röm 14,4. LXX kennt nur das Paar fallen – (nicht mehr) aufstehen, um ein endgültiges Scheitern auszudrücken, aus dem allein noch die Gnade Gottes zu retten vermag (Am 5,2; 8,14; Mi 7,8; Jes 24,20; Spr 24,16; ferner Pred 4,10; vgl. Michaelis 1959, 165, Anm. 22.). 480 Anders Hebr 4,11. Dort werden die Gläubigen gewarnt, nicht den gleichen Ungehorsam an den Tag zu legen wie die Wüstengeneration „damit niemand aufgrund des gleichen Ungehorsams zu Fall kommt“ (ἵνα μὴ ἐν τῷ αὐτῷ τις ὑποδείγματι πέσῃ τῆς ἀπειθείας). 481 Vgl. Oepke 1933, 393. 482 Oepke 1933, 393 f.

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(vgl. Dtn 2,34; 3,6 u. ö.).483 Einfaches ὀλεθρεύω begegnet im Exoduszusammenhang seltener, wenn auch nicht in schwächerer Bedeutung. Es beschreibt das erblose Aussterben einer Sippe (Num 4,18) und die Strafe für Götzendienst (Ex 22,19: ὀλεθρευθήσεται, für MT ‫)יָ ֳח ָרם‬. Wird ὀλεθρεύω personifiziert, handelt es sich stets um ein übernatürliches Wesen, das den Vernichtungsauftrag Gottes erfüllt. Dies gilt für den ὀλεθρεύων (MT: ‫)ה ַּמ ְׁש ִחית‬, ַ der nach Ex 12,23 die ägyptische Erstgeburt vernichtet, ebenso wie für den ὀλεθρεύων, der gemäß der weisheitlichen Verarbeitung der Episode um die Rotte Korach Num 16 f. Israel schlägt. Ihm kann nach Weish 18,25 nur durch das kultische Eintreten Aarons Einhalt geboten werden.484 In der Auslegungstradition zu Num 16 f. muss der Verderber eine prominente Rolle gespielt haben, findet sich der ‫ ַמ ְׁש ִחית‬doch auch in entsprechenden Targumtraditionen.485 Alles in allem ist eine Steigerung der Vernichtungsaussagen in 10,8–10 vom allgemein gehaltenen „fallen“ über die Vernichtung durch Schlangen bis hin zur Vernichtung durch ein übernatürliches Wesen festzustellen. Während es sich auf der Ebene der Wüstenväter jeweils um den körperlichen Tod gehandelt hat, sind die Formulierungen offen für eine eschatologische Deutung. Mit Blick auf die vorläufige Themenformulierung unterstreicht all dies „die Notwendigkeit“, bestimmte Handlungen zugunsten der Heilsteilhabe zu unterlassen, und führt die Alternative vor Augen. h Typos- und γέγραπται-Aussagen Ein Begriff, der in der Forschungsliteratur zu 1 Kor 10 einen zentralen Platz einnimmt, ist τύπος (10,6 τύποι ἡμῶν ἐγενήθησαν) bzw. τυπικῶς (10,11). Soweit rekonstruierbar trägt der Begriff im Alltagsgebrauch die Bedeutung von „‚Form‘, ‚Typ‘ oder ‚Musterstück‘“486. Paulus bezeichnet mit diesem Begriff gemeinhin ein (nachahmenswertes) Beispiel. So sind die Gläubigen in Thessaloniki ein allgemeines Vorbild (τύπος) geworden, indem sie dem Beispiel von Paulus und Timotheus gefolgt sind (1 Thess 1,6 f.), und auch die Philipper sollen Paulus nachahmen und haben ihn zum Vorbild (τύπος). G. Schunack schlägt entsprechend „prägendes Muster“ als Übersetzung vor.487 Ausgehend von der Bezeichnung Adams als τύπος Christi in Röm 5,14 wird jedoch seit jeher auch eine andere Bedeutung von τύπος für Paulus 483 Bemerkenswerterweise gehört auch die Aufforderung 1 Kor 5,5, den Unzüchtigen aus der Gemeinde auszustoßen und ihn dem Satan zur Vernichtung des Fleisches zu übergeben (παραδοῦναι τὸν τοιοῦτον τῷ σατανᾷ εἰς ὄλεθρον τῆς σαρκός), hierher. 484 Bezeichnenderweise folgt diese Erzählung in Sap  18 unmittelbar auf die Vernichtung der Erstgeburt. 485 S.o. S. 95. 486 So Arzt-Grabner 2006, 366, nach Analyse der dokumentarischen Papyri. Für umfassende Analysen der literarischen Verwendung vgl. Davidson 1981, 115–190, und Ostmeyer 2000, 13–52. 487 Schunack 2011b, 897. Für 1 Kor 10 zustimmend äußert sich dazu Thiselton 2000.

3.3 Gedankliche Kartierung

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und 1 Kor 10 geltend gemacht. Es handele sich um einen hermeneutischen Begriff, wie ihn auch die spätere christliche typologische bzw. allegorische Auslegung488 kennt und nutzt. Solche Typologie ist stets in Christus begründet. Sie beruht darauf, dass Gott in seinem Heilsplan Personen und Ereignisse des Alten Testaments als Vorabbildung Christi und des Neuen Testaments angelegt habe.489 Die heilsgeschichtliche Erfüllung lasse Typen als solche sichtbar werden. Sie seien entweder als Vorabbildung oder als Entsprechung zu verstehen.490 Dieses Verständnis von τύπος führt zu komplizierten Fragen, was das Verhältnis von Typ und Antityp, den Grad der Entsprechung und die Verbindlichkeit der Vorabbildung anbelangt. Überdies stellt es vor das Problem, die Existenz dieser hermeneutischen Sonderbedeutung zu begründen und vom übrigen Gebrauch abgrenzen zu müssen. Gerade für 1 Kor  10 mehren sich die Stimmen, die meinen, „Paul means little else other than that the events of the wilderness generation function as examples or warnings to those in Corinth“491. „Nimmt man den paränetischen Grundton wahr, fällt es schwer, in τύπος V. 6 und τυπικῶς V. 11 etwas anderes angesprochen zu sehen als den Vorbildcharakter des alttestamentlichen Geschehens.“492 In der Tat scheinen τύπος und ὑπόδειγμα, das (rhetorisch gebrauchte) Beispiel, gemeinhin austauschbar zu sein.493 Dies entspräche auch allgemein jüdischer Denkweise: Der Vorbildcharakter biblisch bezeugter Ereignisse und Geschehnisse – insbesondere aus der Zeit der Wüstengeneration – gehört zu den elementaren Zügen jüdischer, apokalyptischer, aber auch rabbinischer Schriftauslegung und -verwendung. […] In jedem Geschlecht ist man verpflichtet, sich selbst so anzusehen, wie wenn man selbst aus Ägypten ausgezogen wäre.494

„Paul’s use of the term better resembles appeals to historical exempla seen in Jewish hermeneutical practices around the first century and Hellenistic models that refer to narratives for edification and instruction.“495 In seiner Studie der literarischen Verwendung von τύπος kommt Karl-Heinrich Ostmeyer so auch zum Schluss, dass eine christliche, hermeneutische Sonderbedeutung nicht durchzuhalten ist. Vielmehr liege „dem τύπος -Begriff ein letztlich einheitliches Verständnis zugrunde“496. „‚Τύπος‘ bezeichnet kein Sein, sondern eine Funktion, d. h. niemand ist an sich τύπος, sondern es wird jemand dann τύπος ge488 Zur mangelnden Trennschärfe zwischen Typologie und Allegorie in der alten Kirche vgl. Martens 2008. 489 Vgl. etwa die grundlegende Monographie Goppelt 1939 und seinen Artikel s. v. in ThWNT. Ferner Davidson 1981, insb. Davidson 1981, 46–93. 490 Vgl. Davidson 1981, 94. 491 Thiessen 2013, 110 Anm. 20. 492 Klauck 1982, 256. 493 So Mitchell 1991, 48, Anm. 127, unter Anführung von Dio Chrys. Or. 31.56 und Hebr 4,11 (ὑπόδειγμα in Bezug auf ein Negativbeispiel). 494 Schaller 2001, 176, unter Verweis auf mPesachim X,5. Entsprechend übersetzt er hier: „Das sind Vorbilder für uns geworden.“ 495 Works 2014, 66, im Anschluss an Mattei 2008. 496 Ostmeyer 2000, 49.

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nannt, wenn in ihm etwas sichtbar oder durch ihn etwas erkennbar wird.“497 Von daher ist auch eine Übersetzung mit „Muster(stück)“, wie sie anhand des papyrologischen Befundes vorgeschlagen wurde, recht treffend. In 10,11 bezeichnet sodann „[d]as Adverb τυπικῶς […] ein Geschehen, in dem sichtbar wird, wie ein anderes Geschehen ablaufen kann“498. Es wird also gerade nicht „die Heilswirklichkeit des endzeitlichen Gotteshandelns in die urzeitliche Geschichte hineinprojiziert“499. Vielmehr macht die „urzeitliche Geschichte“ die „Heilswirklichkeit des endzeitlichen Gotteshandelns“ erst sichtbar und verständlich. Diese Funktion können die Väter und die sie umgebenden Geschehnisse aber nur haben, weil sie aufgeschrieben und so für die Nachwelt bewahrt wurden.500 Von daher gehören in diese Reihe auch die beiden Bezugnahmen auf die Schrift als Geschriebenes: die Formel ὥσπερ γέγραπται, die in 10,7 das direkte Zitat aus Ex 32,6 markiert, und die Aussage, all diese Dinge seien ἐγράφη δὲ πρὸς νουθεσίαν ἡμῶν im Zuge der τυπικῶς-Aussage 10,11. νουθεσία findet sich neutestamentlich nur noch in der deuteropaulinischen Literatur und ist dort im Sinne von Zurechtweisung oder Ermahnung zu verstehen (vgl.  auch 4,14).501 Angewendet auf die negativen exampla in 10,6b–10 wird hier der Bedeutungsaspekt „Warnung“ mitgedacht werden müssen, ohne dass νουθεσία darin aufgeht.502 Wovor genau gewarnt wird, führen diese Beispiele aus.503 Zusammengenommen ergeben die beiden Vorkommen von τύπος/τυπικῶς, der Bezug auf ihr Geschriebensein und die Qualifizierung als νουθεσία eine Leseanleitung für 10,6b–10 und verorten die Bezugnahme auf die Wüstengeneration dadurch im weiteren Zusammenhang. Sie verdeutlicht „die Notwendigkeit von Selbstkontrolle und Verzicht zugunsten der Heilsteilhabe“. Überdies wird an ihr sichtbar, dass „Selbstkontrolle und Verzicht“ in Anbetracht der eigenen Gotteserfahrung geboten sind. i Götzendienst Eine weitere semantische Linie, die sich quer durch den Text zieht, betrifft die kultische Verehrung von Götzen, die überwiegend als Teilnahme an einer kultischen Mahlzeit gedacht wird. Die erste direkte Mahnung, die sich aus der Exodustradition ableitet, eröffnet diese Reihe: Werdet nicht Götzendiener (10,7: μηδὲ εἰδωλολάτραι Ostmeyer 2000, 139. Ostmeyer 2000, 140. 499 Hahn 2006, 345. 500 Thiselton 2000 baut auf Schunacks Übersetzung „prägendes Muster“ auf und betont, schon auf der Ebene der Erzählung seien die Ereignisse τυπικῶς geschehen. Jedes einzelne Ereignis sei ein „formative model“ gewesen mit einer pädagogischen Funktion für die Wüstengeneration selbst. 501 Vgl. Eph 6,4 im Zusammenhang der Kindererziehung und Tit 3,10 über den Umgang mit Abweichlern. In gleichem Sinne begegnet bei Paulus überdies das entsprechende Verb in 4,14. 502 Vgl. Zeller 2010, 332. 503 Vgl. Hahn 2006, 346. 497 498

3.3 Gedankliche Kartierung

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γίνεσθε). In den Folgeversen tritt diese Linie in den Hintergrund. Spätestens 10,14 greift sie wieder auf (φεύγετε ἀπὸ τῆς εἰδωλολατρίας). In 10,18 kommt die konkrete Opferhandlung in den Blick. Dort äußerst sich Paulus zum Essen des Opfers (οἱ ἐσθίοντες τὰς θυσίας), das zur Teilhabe am Altar führt (κοινωνοὶ τοῦ θυσιαστηρίου εἰσίν). Dieser Gedanke wird in 10,19 unter Bezug auf das Götzenopferfleisch (εἰδωλόθυτον) und den Götzen an sich (εἴδωλον) geklärt und das Opfer in 10,20 schließlich als Opfer bestimmt, das den Dämonen bestimmt ist (ἃ θύουσιν, δαιμονίοις). Abschließend wird die so entstandene Gemeinschaft mit den Dämonen thematisiert (10,20: κοινωνοὺς τῶν δαιμονίων) und der ausschließende Gegensatz zwischen Tischgemeinschaft mit den Dämonen und Tischgemeinschaft mit dem Kyrios beschworen (10,21). Hier verallgemeinert Paulus den Götzendienst Israels und macht ihn zum Generaltyp des paganen Kults, um zu verdeutlichen, dass die Adressaten sich von jenem ebenso fernhalten sollen, wie Israel von Götzendienst und Götzenmahl. Dass die Warnung vor Götzendienst mit dem expliziten Exoduszitat in 10,7 zusammenfällt und dass allein kultisches Essen und Trinken im weiteren Verlauf des Kapitels mit Götzendienst in Verbindung gebracht werden, wirft die Frage auf, in welcher Verbindung zum Götzendienst die anderen Handlungen stehen, die Ex 32,6 beschreibt (setzen, aufstehen, spielen). Die rabbinische Literatur versteht „sich setzen“ auch andernorts als Chiffre für schlechte Begierde504 und Unheil505 und leitet dies aus Ex 32,6 ab. Freilich ist das Alter der Tradition unsicher, so dass sie nicht ohne weiteres hier vorausgesetzt werden kann. Mit Blick auf 10,12 kann unter Umständen auch die Handlung des Aufstehens auf den Götzendienst bezogen und kritisch verstanden werden (s. u.). Komplex ist der Fall bei der Angabe „sie spielten“. παίζω, in der LXX meist als Wiedergabe von hebräisch ‫צחק‬ oder ‫ׂשחק‬, bedeutet seiner Grundbedeutung nach zunächst ganz neutral „spielen“ (vgl. etwa Gen 21,9506), oft im Zusammenhang mit Musik, bis hin zum Tanz und Reigen (vgl. etwa 1 Chron 15,29; Ri 16,25 ff.). Dahinter öffnet sich „das ganze Wortfeld von Spiel u Spott, Übermut und Frechheit“507. Mitunter trägt das „Spiel“ dabei erotische Züge. Diese Konnotation ist ebenso im profanen Sprachgebrauch508 wie im biblischen Sprachgebrach bezeugt (vgl. Gen 28,8 als Wiedergabe von ‫)צחק‬. Das „Spielen“ (‫ )צחק‬in Ex 32,6 wird durch einen Teil der antiken Auslegungsliteratur folglich im Sinne orgiastischer Tänze interpretiert.509 Der Schritt zur Identifikation

Vgl. Collier 1994, 69 f. unter Anführung von BemR 9,24; SifDev 43; 318. Tan. 2.21. Vgl. Zeller 2010, 331, mit Verweis auf die Quellen bei Strack/Billerbeck 1965, 409 f. 506 In der rabbinischen Literatur ist die Neutralität dieses Spiels freilich umstritten. 507 Bertram 1954, 628. 508 Bertram 1954, 625 zur paidia als „Personifikation des erotischen Spiels, die inschriftlich u bildlich bezeugt ist“. Vgl. ferner Homer Od 8, 251. 509 Bertram 1954, 629 führt tSota 6,6 und Tert. ieiun. 6 an. Vgl. im Sinne unverantwortlichen Übermuts ohne sexuelle Konnotation auch Jes 3,16; Jer 15,17 LXX. 504 505

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mit Götzendienst ist nicht weit.510 Dem bloßen Wortsinn nach könnte παίζω freilich auch schlichtweg als Leichtfertigkeit verstanden werden. „Sehr häufig bezeichnet die Vokabelgruppe in der Prof-Gräz den Unernst eines Tatbestandes, bzw einer Verhaltes- oder Handlungsweise.“511 „Nach Sap 15,12 halten die Heiden das Leben für ein Spiel [παίγνιον].“512 Dies entspricht auch der Dimension der Geringschätzung und des Spotts, die παίζω ausdrücken kann.513 Es ergibt sich also eine deutliche Verbindung, sowohl zwischen παίζω und der anschließenden Warnung vor Unzucht, als auch zwischen παίζω und der Warnung vor Götzendienst. Diese erschließt sich allerdings nicht aufgrund der bloßen Wortbedeutung, sondern nur vor dem Hintergrund biblischer Sprachgepflogenheiten und Auslegungstraditionen. Dennoch wird 10,8 maßgeblich von 10,7 her zu verstehen sein, sind Götzendienst und Sexualsünde im jüdischen Denken der Zeit doch auch unabhängig von der Bedeutung von παίζω eine stehende Verbindung. Beide gelten als typisch für die Heidenvölker.514 Mit dem nötigen biblischen Wissen können letztlich auch die Warnungen 10,9.10 unter die Rubrik „Götzendienst“ eingeordnet werden (s. u. ‎3.4.3.2b). Diese Zuordnung ist jedoch weit weniger deutlich und an der Textoberfläche nicht angezeigt. Insgesamt konkretisiert die semantische Linie „Götzendienst“ im Zusammenspiel mit den vielen Bezugnahmen auf negativ bewertetes „Essen und Trinken“, inwiefern „Selbstkontrolle und Verzicht“ notwendig sind: Zugunsten der Heilsteilhabe ist von der Teilnahme an kultischen Mahlfeiern abzusehen. j stehen/setzen/fallen Im expliziten Exoduszitat in 10,7, der anschließenden Schilderung des Ergehens der Israeliten 10,8 und der sentenzartigen Mahnung des Paulus 10,12 findet sich eine eigentümliche Verdichtung und Verschränkung der Verben „setzen“ (10,7: καθίζω), „stehen“ (10,7: ἀνίστημι; 10,12: ἵστημι) und „fallen“ (10,8.12: πίπτω). Während in 10,7 an den tatsächlichen Vorgang des Sitzens und wieder Aufstehens zu denken ist,515 gebraucht 10,12 ἵστημι im übertragenen Sinn als Innehaben einer unanfecht510 Bertram 1954, 629, verweist auf Rabbi Akiva in Strack/Billerbeck 1965, 410. Vgl. ferner Meeks 1982, 69 f., mit Beispielen. 511 Bertram 1954, 625, mit Verweis auf Hdt. 4, 77; Plat. Gorg. 481b; Phaidr. 234 d und Xen. mem.4,1,1; ferner Plat. rep. 10,602 b im Sinne von Geringschätzung und Abwertung. 512 Bertram 1954, 627. 513 In diesem Falle bestünde womöglich eine gewisse Nähe zu 10,9 f. Wenn Meeks 1982, 70, schreibt: „Thus paizein and empaizein frequently mean ‚to joke, mock, make fun of ‘. That would immediately suggest the fourth and fifth sins, ‚testing Christ [or, the Lord]‘ and ‚grumbling‘ (1 Cor. 10:9, 10),“ denkt er entlang dieser Bahnen. Meeks 1982, 77, Anm. 22, bemerkt zwar zurecht, dass die LXX um Spott auszudrücken ἐμπαίζω vorzieht, kann jedoch auf Philo verweisen, der Ex 32,6 als Tanz und Spott versteht (Spec. 3,125). 514 Vgl. im weiteren Zusammenhang bereits 1 Kor 5,1: πορνεία ἥτις οὐδὲ ἐν τοῖς ἔθνεσιν. 515 Unbeschadet etwaiger Ausdeutungen in der Tradition, vgl. oben S. 171.

3.3 Gedankliche Kartierung

173

baren und sicheren Position. πίπτω in 10,8 kann zugleich das körperliche Fallen der Geschlagenen, wie ihre Vernichtung bezeichnen. Der übertragene Gebrauch in 10,12 entspricht dem von ἵστημι.516 Indem das gleiche Verb die Vernichtung der Wüstengeneration in 10,8 und die akute Gefahr in 10,12 beschreibt, rücken beide Geschehen dichter aneinander. Eine inhaltliche Beziehung zwischen dem Aufstehen in 10,7 und dem Stehen von 10,12 ist nicht so offensichtlich und wird sich höchstens im Laufe der Argumentationsanalyse zeigen. k Versuchung Zweimal begegnet das Motiv der „Versuchung“ in 1 Kor  10. Auch wenn der Text (ἐκ)πειράζω in 10,9 und in πειρασμός 10,13 in gegensätzlichem Sinne verwendet, fällt die doppelte Verwendung des gleichen Wortstamms doch auf. Für 10,13 ist wiederholt bemerkt worden, dass das Motiv der Versuchung recht unvermittelt auftritt. Dieses Problem verliert an Schärfe, wenn man es durch 10,9 angebahnt sieht. Woher die Versuchung in 10,13 rührt, wird nicht offen ausgesprochen. Mitunter wird eingewandt, der Zusammenhang spräche dagegen, Gott oder den Satan als ihren Urheber zu verstehen.517 Schaut man in die Septuaginta, ist die Versuchung des Menschen durch Gott, der ihn und seinen Glauben auf die Probe stellt, jedoch eben der zweite Hauptsinn, in dem die Begriffsgruppe verwendet wird. Zudem ist er tief in der Exodustradition verwurzelt. Gerade die Überwindung der Wasserknappheit und die reglementierte Versorgung durch Speise in der Wüste wird als eine solche Prüfung verstanden (vgl. Ex 15,25; Ex 16,4). Mitunter wird die Prüfung als integraler Bestandteil des Befreiungsgeschehen aus Ägypten beschrieben (vgl. Dtn 4,34). Die Weisheitsliteratur verstärkt den Erziehungsgedanken und wendet die Prüfung bzw. Versuchung ins Positive, bis es in Jdt 8,25 f. heißen kann: Lasst uns dem Herrn unseren Gott danksagen, der uns versucht wie auch unsere Väter (παρὰ ταῦτα πάντα εὐχαριστήσωμεν κυρίῳ τῷ θεῷ ἡμῶν ὃς πειράζει ἡμᾶς καθὰ καὶ τοὺς πατέρας ἡμῶν).518 Bemerkenswerterweise wird eine endzeitliche Versuchung kaum je mit πειρασμός-Terminologie ausgedrückt.519 Von daher liegt es nahe, πειρασμός in 10,13 als Versuchung im Sinne einer von Gott herbeigeführten oder zumindest zugelassenen Prüfung zu verstehen520 und den Gebrauch des Motivs vor dem Hintergrund der Exodustradition zu erklären, in der beide Spielarten der Versuchung zentral und miteinander verknüpft sind. Zum Gegensatzpaar „Stehen“ und „Fallen“ bei Paulus vgl. Broer 1989, 318–321. Vgl. Seesemann 1959, 28. 518 Vgl. Seesemann 1959, 25: „So wird das ganze Leben des Frommen zum Stehen in der Versuchung, weil Gott die Seinen durch ihr ganzes Leben hindurch erzieht.“ Er verweist ferner auf Sir 2,1; 33,1; Sap 3,5; Ps 25,2 (gesteigert zur Bitte um Versuchung) und Sir 44,20. Hier sind dem Zusammenhang nach allerdings die Stammväter gemeint. 519 Vgl. Seesemann 1959, 27. Ausnahme ist Dan 12,10. 520 So auch Zeller 2010, 334, im Anschluss an Héring 1962 und Barrett 1968, 228 f. 516 517

174

3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Dass die Warnung, Christus zu versuchen, in 10,13 ihr Widerlager findet, wird unter rhetorischem Blickwinkel zu betrachten sein. In diesem Lichte erscheinen „Selbstkontrolle und Verzicht“ als Bewährung der Heilsteilhabe. l Vermögen An zwei Stellen spricht der Text davon, dass die Korinther etwas vermögen oder nicht vermögen. Zunächst in 10,13, wenn der Text die Treue Gottes beschwört, der keine Versuchung zulassen wird, die das Vermögen der Korinther übersteigt (οὐκ ἐάσει ὑμᾶς πειρασθῆναι ὑπὲρ ὃ δύνασθε ἀλλὰ ποιήσει σὺν τῷ πειρασμῷ καὶ τὴν ἔκβασιν τοῦ δύνασθαι ὑπενεγκεῖν). Sodann, wenn er in 10,21 die Unvereinbarkeit vom Tisch des Kyrios und dem Tisch der Dämonen mit einem doppelten οὐ δύνασθε (πίνειν/μετέχειν) ausdrückt. Hieran schließt 10,22b gedanklich an. Inwiefern es sich dabei um eine intendierte Wiederaufnahme des Begriffs handelt, ist jedoch fraglich. Der Verwendungszusammenhang ist grundverschieden. Zudem handelt es sich um einen Lieblingsbegriff des Briefes. Mehr als die Hälfte aller paulinischen Belege finden sich in 1 Kor.521 m Gemeinschaft/Anteilhabe Das Begriffsfeld um κοινωνία und μετέχω umgibt eine umfassende exegetische Debatte. Obwohl es nur im hinteren Teil des Abschnittes begegnet, ist es doch zentral für dessen Gesamtbedeutung. Mitunter ist κοινωνία primär vor dem Hintergrund der Sinnlinie „Essen und Trinken“ gelesen und als Mahlgemeinschaft verstanden worden.522 Neuere Untersuchungen deuten aber darauf hin, den Begriff zuallererst in Verbindung zum Götzendienst zu lesen. Der Begriff κοινωνία findet erstmals in 10,16 Verwendung, wo er den Zustand, der durch Brot und Kelch im Herrenmahl herbeigeführt wird, deutend beschreibt. In engem Anschluss spricht 10,17 davon, am einen Brot teilzuhaben (μετέχω). Mit 10,18 ändert sich die Szene, jedoch nicht das Vokabular des Textes. Angesichts des Götzenopfers am Sinai hält 10,18 fest, dass jene, die vom Opfer essen, κοινωνοί des Altars sind. Schließlich verwendet 10,21 wieder das Verb μετέχειν, um sowohl die Teilhabe am heidnischen Opfermahl als auch am Herrenmahl zu beschreiben.

521 1 Kor bietet 15 von insgesamt 27 Belegen bei Paulus. Sie sind quer durch den Brief verstreut. An nächster Stelle kommt Röm mit 5 Belegen, von denen drei im gleichen Zusammenhang stehen. 522 Vgl. Nikkannen 2018, 204, Anm. 37, für (s.E. irrige) Positionen, die κοινωνία als meal fellowship verstanden wissen wollen und dazu allerlei Parallelen anführen: Baumert 1996; Smith 2003.

3.3 Gedankliche Kartierung

175

Bei κοινωνία handelt es sich gewissermaßen um einen paulinischen Lieblingsbegriff, der sich in vielfältigen Zusammenhängen findet.523 Markus Nikkanen hat das Wortfeld jüngst für 1 Kor 10 Stelle ausgewertet und resümiert: The use of κοινων- cognates with the genitives τῶν ἱερῶν, τᾶν θυσιᾶν, and τῆς θυσίας connotes actual participation in the sacrifices and is intimately connected with the creation and maintenance of sacred divine-human and human-human bonds: (1) κοινωνέω refers to the act of taking part in the sacrifice with others, and entails the creation and maintenance of sacred divine-human and human-human bonds, (2) κοινωνία refers to the idea of having a share in the sacrifice which was considered a privilege with a matching obligation, and (3) κοινωνός refers to a person or group that takes part in the sacrifice and is therefore bound by the sacred bond with corresponding privileges and obligations.524

Nikkanen positioniert sich damit in einer weiten Forschungsdebatte, ist die Bedeutung der Worte κοινωνία, κοινωνός, κοινωνέω doch in den vergangenen 90 Jahren breit diskutiert worden. Im Zentrum stand dabei zum einen die Frage nach dem theologischen oder profanen Charakter der Wortgruppe, zum anderen ihr Verhältnis zum Verb μετέχω.525 In seiner klassischen Studie kam Heinrich Seesemann zu dem Schluss, κοινωνέω zeige eine größere Bedeutungsbreite als μετέχω. κοινωνέω bedeute „mit jemand an etwas Anteil haben“526, κοινωνία bezeichne den „gemeinsame[n] Anteil, die gemeinsame Teilnahme“ und die aus dieser Teilnahme entstehende „Gemeinschaft“527 und κοινωνός die so verbundenen Akteure.528 Hierher rührt die gängige Angabe der Wörterbücher, κοινωνία beschreibe „Gemeinschaft (mit jemandem) durch (gemeinsame) Teilhabe (an etwas)“529. In 1 Kor  10,16 bezeichnet κοινωνία nach Seesemann „das Einswerden“ mit Christus.530 Folglich sei κοινωνία für Paulus ein eminent religiöser Begriff.531 Gegen dieses über lange Zeit dominante Verständnis hat sich mit besonderer Entschlossenheit Norbert Baumert ausgesprochen. Anhand einer semantischen Untersuchung kritisiert er so523 Vgl. Röm 15,26; 1 Kor 1,9; 10,16; 2 Kor 6,14; 8,4; 9,13; 13,13; Gal 2,9; Phil 1,5; 2,1; 3,10; Phlm 6 für κοινωνία, Röm 12,13; 15,27; Gal 6,6; Phil 4,15 für κοινωνέω und 1 Kor 10,18.20; 2 Kor 1,7; 8,23; Phlm 17 für κοινωνός. 524 Nikkannen 2018, 176. 525 Vgl. hier und im Folgenden den forschungsgeschichtlichen Überblick bei Nikkannen 2018, 158–166. 526 Seesemann 1933, 9. 527 Seesemann 1933, 12. 528 Seesemann 1933, 19. 529 Hainz 2011, 751. 530 Seesemann 1933, 44. 531 Seesemann 1933, 99. Die fast zeitgleiche Studie von John Campbell kommt in vielem zu einem geradezu entgegengesetzten Schluss: Ihm zufolge sind κοινωνός und μέτοχος austauschbare Begriffe. Sie zielen auf „one who has something in common with someone else“ (Campbell 1932, 353) und bedeuten „participant in“ (Campbell 1932, 354). Zur Kritik an seiner eigenwilligen Übersetzung v. a. der Genitivkonstruktionen in 1 Kor 10,20 vgl. jedoch Nikkannen 2018, 159 unter Verweis auf Lincoln 2009, 138.

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

wohl die theologische Überfrachtung der Begriffe als auch die unscharfe Trennung von κοινωνία/κοινωνέω und μετέχω. Die Vorstellung von „Teilhabe“ sei κοινωνία/ κοινωνέω grundsätzlich fremd und μετέχω vorbehalten.532 κοινωνία/κοινωνέω ziele vielmehr auf die „Gemeinsamkeit“ einer Gruppe, κοινωνέω bedeute „verbunden sein“ und bezeichne von daher eine Gemeinschaft,533 und κοινωνός bezeichne jene, die gemeinschaftlich miteinander verbunden sind.534 Für 1 Kor 10,16 kommt Baumert damit zur Übersetzung „Verbindung/Gemeinschaft des Blutes des Christus“535. In 10,18 spricht er von „Altar-Gefährten“536. In einer groß angelegten Studie hat Julien Ogereau Baumerts Kritik produktiv aufgenommen. In Bezug auf die lexikalische Bedeutung der fraglichen Begriffe stimmt er ihm zwar teilweise zu, die Sichtung umfangreichen papyrologischen und epigraphischen Materials lässt ihn jedoch zu einem anderen Schluss kommen: Zwar mögen κοινωνία/κοινωνός/κοινωνέω und μέτοχος/μετέχω in der Theorie lexikalisch zu unterscheiden sein, im tatsächlichen Sprachgebrach wurden sie jedoch nahezu synonym verwendet.537 κοινωνία sei für Paulus dabei in der Tat kein spezifisch religiöser Begriff. Er könne auch Gemeinschaften des täglichen Lebens bezeichnen.538 Nikkanen schließt sich Ogereau an und führt dies an einer Fülle von Beispielen aus, die sich teilweise mit den Beispielen Ogereaus überlappen.539 Für 1 Kor 10 besonders aufschlussreich ist dabei zunächst die Beobachtung, dass die Wortgruppe um κοινωνία zwar nicht an sich sakralen Charakters ist, im Zusammenhang mit Opfer und Kult jedoch geradezu technische Bedeutung annimmt.540 Für 1 Kor 10 ist demnach davon auszugehen, dass eine solche kultisch aufgeladene Bedeutung mitschwingt. Paulus nutzt den Begriff nicht in der Bedeutung, die er in LXX trägt – dort begegnet er spärlich und niemals für die Gemeinschaft zwischen Mensch und Gott  –, sondern im gemeinhellenistischen, paganen Sinne.541 Das Wortfeld ist gedanklich mit dem Wortfeld um Kult und Opfer verzahnt und in dessen Lichte zu betrachten: „κοινωνέω refers to actual participation in the cultic activity“.542 Baumert 2003, 126. Baumert 2003, 307–309. 534 Baumert 2003, 307–309. 535 Baumert 2003, 436. 536 Baumert 2003, 422. 537 Ogereau 2014, 280.290. Ogerau unterscheidet dabei zwischen „lexical“ und „contextual meaning“ (Ogereau 2014, 67). 538 Vgl. Ogereau 2014, 291. 539 Nikkannen 2018, 166–177, dokumentiert und diskutiert entsprechende Inschriften von der Insel Kos, aus Magnesia, Panamara und Athen. Die diskutierten Inschriften datieren zwischen dem dritten vorchristlichen und dem dritten nachchristlichen Jahrhundert. 540 Vgl. Nikkannen 2018, 167. Ähnlich schon Seesemann 1933, 102 f. 541 Vgl. Gäckle 2004, 267; Klauck 1982, 261. 542 Nikkannen 2018, 169. 532 533

3.3 Gedankliche Kartierung

177

Sodann ist es bedeutsam, wie Nikkanen die Nähe des κοινωνία-Wortfelds zu μετέχω anhand des Inschriftenbefundes mit dieser Kultteilnahmepraxis verbindet: Die Teilhabe (μετέχω) bestimmt die κοινωνία. Zum einen stiftet die gemeinsame Teilhabe am Opfer Gemeinschaft zwischen den Opfernden und erhält diese Gemeinschaft aufrecht.543 Zum anderen stiftet sie eine Beziehung zur Gottheit und bedingt Verpflichtungen ihr gegenüber: „the divine-human bonds that were created by participating in the sacrifices are best understood as another expression of the Graeco-Roman benefaction system“.544 So verstanden sind tatsächlich „Gemeinschaftsverhältnisse im Kern Schuldverhältnisse“545. Wer am Tisch der Gottheit teilhat, steht in der Pflicht sie auch anzubeten. Folglich ist das Motiv von Gemeinschaft und Anteilhabe in die gedankliche Linie von Kult und Götzendienst einzuordnen, die ihrerseits in 10,1–22 jedoch maßgeblich vom kultischen Essen und Trinken her gedacht wird. In diesem Lichte verstanden erhellt es maßgeblich die gedankliche Kohärenz des Abschnittes und ist zentral für die Gesamtaussage des Kapitels auszuwerten. 3.3.3.2 Übersicht über semantische Linien und thematischer Abgleich Es zeigt sich, dass die prominenten semantischen Linien konzeptuell miteinander verknüpft sind. Die Sportmetaphorik des Überleitungsabschnitts mündet in die Warnung davor, Böses zu begehren (10,6). Die vierfache Ausführung, was ein solches Begehren bedeutet (10,7–10), wird von der Warnung vor Götzendienst angeführt, die in verschiedener Form über den gesamten Rest des Textes wiederholt und maßgeblich vom Gedanken des kultischen Essens und Trinkens und der Kultgemeinschaft her gefüllt wird. Ein bestehendes Gottesverhältnis, in dem „alle“ stehen und das sich im Rahmen des Herrenmahls bzw. der analog gedachten Wüstenspeisung als Gemeinschaft mit Christus manifestiert, muss bewahrt werden, will man nicht wie „einige“ aus dem Heilsverhältnis ausscheren und der Vernichtung anheimfallen. Die vorläufige Themenformulierung kann entsprechend in zweifacher Hinsicht zugespitzt werden. Selbstkontrolle und Verzicht sind insbesondere im Hinblick auf kultische Speisehandlungen zu üben. Die Heilsteilhabe, der sie dienen, bedeutet Heilsgemeinschaft mit Christus, die sich in Anbetracht der Versuchungen des Götzendienstes bewähren muss. Wenn die Sinnlinien auch ineinanderfließen, so haben einige von ihnen doch einen jeweils lokalisierbaren Schwerpunkt im Text. Der Gegensatz Selbstkontrolle/ Begierde prägt vor allem den Überleitungsabschnitt 9,24–27 und die erste Kapitelhälfte 10,1–13/14. Vor allem dort wird auch der Gegensatz zwischen der GesamtVgl. Nikkannen 2018, 169. Nikkannen 2018, 177. Vgl. auch Nikkannen 2018, 175–177 und ferner Barclay 2015. 545 Hainz 2011, 752. Er verweist dazu besonders auf Röm 15,27. 543 544

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

heit und den Teilmengen einer Gruppe stark gemacht, der später nur noch in 10,17 wichtig wird. Explizite Vernichtungsaussagen begegnen nur in 10,5.8–10, so wie auch die Typos- und γέγραπται-Aussagen auf 10,6–11 beschränkt sind und Schlagworte wie „stehen/setzen/fallen“ und „versuchen“ nur in 10,7–13 verwendet werden. Der Gedanke des Götzendienstes tritt hingegen erstmals in 10,7 auf und ist in der zweiten Texthälfte prominent. Auch κοινωνία begegnet erst in 10,16, dominiert dann aber den weiteren Gedankengang. Andere Sinnlinien, etwa „Essen und Trinken“ oder allgemein die Aufforderungen zum Unterlassen einer Tätigkeit, ziehen sich quer durch den ganzen Text und stärken seine Kohärenz. Gliedernd wirken zudem die oft metakommunikativ verwendeten Verben geistiger und sprachlicher Tätigkeit und die Verbundenheitsaussagen in 10,1.14. Im Lichte der semantischen Linien ist die vorläufige Themenformulierung demnach wie folgt anzupassen: „Die Notwendigkeit von Selbstkontrolle und Verzicht – v. a. in Bezug auf pagane Kultmahlzeiten – zur Bewährung der Heilsgemeinschaft mit Christus.“

 9, 24 25 26 27 10, 1 2 3 4 5 6 7a 7b  8  9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20a 20b 21 22

Wiederaufnahme von Begriffen und semantischen Linien Gemeinschaft/Anteilhabe

etw. vermögen

versuchen

stehen/setzen/fallen

Götzendienst/Götze/-fleisch

Typos- und γέγραπται-Aussagen

Vernichtungsaussagen

Verbundenheitsbezeugungen

Essen/Trinken

Warnungen i.w.S.

Selbstkontrolle/Begierde

alle/viele/einige

Sportsprache

Geist. und sprachl. Tätigkeit

3.3 Gedankliche Kartierung

179

180

3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Verben geistlicher und sprachlicher Tätigkeit: 9,24 οὐκ οἴδατε; 10,1 οὐ θέλω γὰρ ὑμᾶς ἀγνοεῖν; 10,12 ὁ δοκῶν ἑστάναι; 10,15 ὡς φρονίμοις λέγω κρίνατε ὑμεῖς ὅ φημι; 10, 19 Τί οὖν φημι; 10,20b οὐ θέλω ὑμᾶς … Sportsprache: 9,24 ἐν σταδίῳ τρέχοντες/εἷς δὲ λαμβάνει τὸ βραβεῖον; 9,25 πᾶς δὲ ὁ ἀγωνιζόμενος πάντα ἐγκρατεύεται/στέφανον λάβωσιν; 9,26 οὕτως τρέχω/οὕτως πυκτεύω; 9,27 ὑπωπιάζω die Gesamtheit/Teilmengen einer Gruppe: 9,24 πάντες/εἷς; 9,25 πᾶς/πάντα ἐγκρατεύεται; 10,1 οἱ πατέρες ἡμῶν πάντες; 10,2.3.4 πάντες; 10,5 ἐν τοῖς πλείοσιν αὐτῶν; 10,7.8.9.10 τινες αὐτῶν; 10,17 οἱ πολλοί/πάντες Selbstkontrolle/Begierde: 9,25 πάντα ἐγκρατεύεται; 10,6 εἰς τὸ μὴ εἶναι ἡμᾶς ἐπιθυμητὰς κακῶν, καθὼς κἀκεῖνοι ἐπεθύμησαν; (10,7 μηδὲ εἰδωλολάτραι γίνεσθε; 10,8 μηδὲ πορνεύωμεν; 10,9 μηδὲ ἐκπειράζωμεν; 10,10 μηδὲ γογγύζετε) Warnungen im weitesten Sinne: (9,25 πάντα ἐγκρατεύεται; 9,26 οὕτως τρέχω ὡς οὐκ ἀδήλως, οὕτως πυκτεύω ὡς οὐκ ἀέρα δέρων) 10,6 εἰς τὸ μὴ εἶναι ἡμᾶς ἐπιθυμητὰς κακῶν; 10,7 μηδὲ εἰδωλολάτραι γίνεσθε; 10,8 μηδὲ πορνεύωμεν; 10,9 μηδὲ ἐκπειράζωμεν; 10,10 μηδὲ γογγύζετε; 10,14 φεύγετε ἀπὸ τῆς εἰδωλολατρίας; (10,20 οὐ θέλω δὲ ὑμᾶς κοινωνοὺς τῶν δαιμονίων γίνεσθαι;) 10,21 οὐ δύνασθε … πίνειν/ μετέχειν; (10,22 ἢ παραζηλοῦμεν τὸν κύριον) Essen/Trinken: (9,25 πάντα ἐγκρατεύεται;) 10,3 πνευματικὸν βρῶμα ἔφαγον; 10,4 πνευματικὸν ἔπιον πόμα/ἔπινον γὰρ ἐκ πνευματικῆς ἀκολουθούσης πέτρας; 10,7 ἐκάθισεν ὁ λαὸς φαγεῖν καὶ πεῖν; 10,16 τὸ ποτήριον/τὸν ἄρτον; 10,17 εἷς ἄρτος/ἐκ τοῦ ἑνὸς ἄρτου μετέχομεν; 10,18 οἱ ἐσθίοντες τὰς θυσίας; 10,19 εἰδωλόθυτόν; 10,21 ποτήριον … πίνειν/ τραπέζης … μετέχειν Verbundenheitsbezeugungen: 10,1 ἀδελφοί; 10,14 ἀγαπητοί μου Vernichtungsaussagen: 10,5: κατεστρώθησαν γὰρ ἐν τῇ ἐρήμῳ; 10,8 ἔπεσαν; 10,9 ὑπὸ τῶν ὄφεων ἀπώλλυντο; 10,10 ἀπώλοντο ὑπὸ τοῦ ὀλοθρευτοῦ Typos- und γέγραπται-Aussagen: 10,6 ταῦτα δὲ τύποι ἡμῶν ἐγενήθησαν; 10,7 ὥσπερ γέγραπται; 10,11 ταῦτα δὲ τυπικῶς συνέβαινεν ἐκείνοις; ἐγράφη δὲ πρὸς νουθεσίαν ἡμῶν Götzendienst: 10,7 μηδὲ εἰδωλολάτραι γίνεσθε; (10,8 μηδὲ πορνεύωμεν;) 10,14 φεύγετε ἀπὸ τῆς εἰδωλολατρίας; 10,18 οἱ ἐσθίοντες τὰς θυσίας κοινωνοὶ τοῦ θυσιαστηρίου εἰσίν; 10,19 εἰδωλόθυτόν/εἴδωλόν; 10,20a ἃ θύουσιν, δαιμονίοις καὶ οὐ θεῷ; 10,20b κοινωνοὺς τῶν δαιμονίων; 10,21 ποτήριον δαιμονίων/τραπέζης δαιμονίων stehen/setzen/fallen: 10,7 ἐκάθισεν ὁ λαὸς … καὶ ἀνέστησαν; 10,8 ἔπεσαν; 10,12 ὁ δοκῶν ἑστάναι; μὴ πέσῃ Versuchung: 10,9 μηδὲ ἐκπειράζωμεν τὸν Χριστόν, καθώς τινες αὐτῶν ἐπείρασαν; 10,13 πειρασμὸς ὑμᾶς οὐκ εἴληφεν/οὐκ ἐάσει ὑμᾶς πειρασθῆναι/σὺν τῷ πειρασμῷ καὶ τὴν ἔκβασιν Vermögen: 10,13 πειρασθῆναι ὑπὲρ ὃ δύνασθε; τὴν ἔκβασιν τοῦ δύνασθαι; 10,21 οὐ δύνασθε …; Gemeinschaft/Anteilhabe: 10,16 κοινωνία; 10,17 μετέχομεν; 10,18 κοινωνοὶ τοῦ θυσιαστηρίου; κοινωνοὺς τῶν δαιμονίων; 10,20 κοινωνοὺς τῶν δαιμονίων γίνεσθαι; 10,21 τραπέζης κυρίου μετέχειν;

 9, 24

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10, 1

2

3

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5

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7a

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20b

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Wiederaufnahme von Akteuren Götzen/Dämonen

unpersönliche 3. Pers. Sg.

der Verderber

Schlangen

Gott

Christus/Kyrios

„ich“ „unsere Väter/ Israel „nach dem Fleisch“ Mose

„wir“

„ihr“/direkte Anrede

Sportler

3.3 Gedankliche Kartierung

181

182

3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

3.3.3.3 Segmentierung anhand begrifflicher Verdichtungen und markanter Wiederaufnahmen Neben der gliedernden Wiederaufnahme von Begriffen und Motiven kann auch die Verdichtung semantischer Linien als textgliederndes Signal verstanden werden. Besonders deutlich wird dieses Phänomen in 9,24–27 (Sportsprache), 10,6–11 (Typosund γέγραπται-Aussagen, verschiedene Abschattungen bösen Begehrens und Vernichtungsaussagen), 10,16–21 (Gemeinschaft/Anteilhabe). Gliedernd wirken ferner die von Verbundenheitsbezeugungen begleiteten direkten Anreden an die Hörerschaft. Es ergibt sich: 9,24–27: dominierendes Motiv: Sportsprache 10,1: Verbundenheitsbezeugung in direkter Anrede 10,1–11: dominierendes Motiv: Das Beispiel der Väter in der Wüste 10,1–5: dominierende Motive: Gesamtheit der Väter in der Heilsteilhabe vs. Vernichtung der meisten von ihnen 10,6–11: dominierende Motive: Typos- und γέγραπται-Aussagen, verschiedene Abschattungen bösen Begehrens und Vernichtungsaussagen 10,12: 10:13:

dominierendes Motiv: stehen/fallen (im Anschluss an 10,7 f.) dominierendes Motiv: Versuchung (im Anschluss an 10,9)

10,14:

Verbundenheitsbezeugung in direkter Anrede (unklar, ob als Abschluss von 10,1–13 oder Eröffnung von 10,15–21)

10,15:

direkte Anrede: Aufforderung zur Beurteilung des Gesagten (unklar, ob abschließend zu 10,14 oder einleitend zu 10,16–21)

10,16–22: dominierendes Motiv: Gemeinschaft/Anteilhabe 10,16 f.: dominierendes Motiv: Gemeinschaft des Herrenmahls 10,18–20a: dominierendes Motiv: Gemeinschaft des Götzen-/Dämonenopfers 10,20b–22: dominierendes Motiv: Unvereinbarkeit beider

3.3.4 Stil und Betonung 3.3.4.1 Allgemeine stilistische Merkmale Während die dominanten semantischen Linien durch gemeinsame Grundgedanken verbunden sind, ist der Text in stilistischer Hinsicht recht uneinheitlich gestaltet. Längere, bis ins Detail durchgestaltete Abschnitte (v. a. 10,6–11, aber auch 10,1–5) stehen neben augenscheinlich einzeln vorgetragenen Gedanken (etwa 10,12.13), und diatribenhaften Abschnitten, die lockerer gestaltet sind (9,24–27; 10,14–22). Insgesamt lässt sich die Passage anhand stilistischer Muster recht deutlich in rhetorische Einheiten unterteilen. Anders als Antithese und correctio in 2 Kor 3 findet sich kein vorherrschendes Stilmittel, das einen Hinweis auf das Anliegen des Abschnittes gibt. Allein die Fülle rhetorischer Fragen in den diatribenhaften Passagen unterstreicht ihren diskursiven Charakter. Auffällig ist überdies der hohe Grad, zu dem die ausführlichen Exodusbezugnahmen in 10,1–11 durchgestaltet sind.

3.3 Gedankliche Kartierung

183

3.3.4.2 oral patterns und verwandte Strukturen und Markierungen Auch wenn die Litotes der Einleitungsworte οὐκ οἴδατε weitgehend formalisiert ist, erzeugt das Stilmittel eine gewisse Aufmerksamkeit, dienen derartige Einleitungsformeln doch auch in der Diatribe häufig dem Zweck, einen neuen Gedanken anzuführen.546 Dem entspricht auch die Gestaltung als rhetorische Frage. Bereits 9,13 hatte auf diese Weise ein neues Beispiel eingeführt.547 Der weitere Vers 9,24 ist durch die Wiederaufnahme der beiden bestimmenden Verben gewissermaßen parallel aufgebaut: A – οἱ ἐν σταδίῳ τρέχοντες πάντες μὲν τρέχουσιν B – εἷς δὲ λαμβάνει τὸ βραβεῖον A' – οὕτως τρέχετε B' – ἵνα καταλάβητε

Der Akzent der zweiten Vershälfte liegt dabei „auf‚ daß ihr ihn gewinnt‘“548. Somit liegt die Betonung dieser ersten stilistisch eingrenzbaren Einheit auf dem Übergang zu einem neuen Gedanken, nämlich dem, den „Kampfpreis“ zu gewinnen. Der Vers 9,25 zeigt keine besondere stilistische Geschlossenheit im Sinne von oral patterns, fällt aber doch durch seinen Gebrauch rhetorischer Stilmittel auf. Auf den doppelten Gebrauch von πᾶς/πάντα folgt die Gegenüberstellung von φθαρτος/ ἄφθαρτος. Die Polyptota betonen zum einen die Universalität der Selbstkontrolle auf Seiten eines jeden Athleten, zum anderen den Gegensatz zwischen dessen Siegeskranz und dem der Gläubigen, der jeden irdischen Preis weit hinter sich zurücklässt. Implizit sind die Hörer damit angewiesen, in ihrer eigenen Anstrengung noch über die des Athleten hinauszugehen. Die Verse 9,26–27b sind als correctio gestaltet und gehören von daher sichtlich zusammen. Durch die betonte Voranstellung des Personalpronomens erhält der Wechsel zu einer Aussage, die Paulus für sich persönlich trifft, besonderes Gewicht. Zugleich markiert die Formulierung οὕτως τρέχω eine Wiederaufnahme des Gedankens von 9,24b οὕτως τρέχετε. Offensichtlich schildert Paulus im Folgenden, wie er persönlich die Mahnung, die er ausgesprochen hat, umsetzt. Eine Korrespondenz zwischen den zwei mal zwei Gliedern der correctio (τρέχω/πυκτεύω  – ὑπωπιάζω/δουλαγωγέω) ist nur bedingt festzustellen. Sie scheint grundsätzlich als Chiasmus angelegt zu sein, da ihre beiden Mittelglieder sich entsprechen. Diese Form verfehlt sie aber dadurch, dass Paulus in der zweiten Vershälfte endgültig über die Sportmetaphorik hinausgeht. Zwischen τρέχω und δουλαγωγέω lässt sich keine direkte Verbindungslinie ziehen. Es ließe sich höchstens insofern eine Entsprechung konstruieren, als τρέχω das übergreifende Bild zu sein scheint, das Vgl. Pfitzner 1967, 83. Vgl. Fitzmyer 2008, 373. 548 Merklein 2000, 234, weist darauf hin, dass diesen Akzent wahrzunehmen hilft die vermeintliche Spannung zwischen dem einen Sieger und den vielen Gläubigen aufzulösen. Das Bild ist weniger missverständlich, wenn man berücksichtigt, dass „ihr“ im Griechischen völlig unbetont ist. 546 547

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Paulus in 9,24 eingeführt und in 9,25 auf die Wettkampfvorbereitung zugespitzt hatte. Gewissermaßen drückt δουλαγωγέω in anderer Sprache tatsächlich eben den Gedanken der Enthaltsamkeit aus, den das Bild des Läufers und Athleten formuliert hatte. Eine gewisse Entsprechung mag auch darin bestehen, dass Paulus es von sich weist, ins Ungewisse zu laufen und daneben zu schlagen und seinen Leib zu dem Zweck versklavt, nicht ἀδόκιμος gefunden zu werden. In jedem Falle schließt der Nachsatz 9,27c, in dem Paulus den Zweck seines Handelns beschreibt, eng an die correctio 9,26–27b an. Die Verse 10,1–11 sind insgesamt strenger durchgestaltet und als stilistische Einheit in zwei Blöcken erkennbar. Wieder findet sich in 10,1 eine einleitende Litotes.549 Auch ohne rhetorische Frage ist hier stilistisch der Übergang zu einem neuen Gedanken markiert. Mit dem Fortgang des Verses beginnt ein mehrgliedriger Parallelismus, der sich bis 10,4a erstreckt:550 A – οἱ πατέρες ἡμῶν πάντες B – ὑπὸ τὴν νεφέλην ἦσαν A' – καὶ πάντες B' – διὰ τῆς θαλάσσης διῆλθον A'' – καὶ πάντες B'' – εἰς τὸν Μωϋσῆν ἐβαπτίσθησαν (ἐν τῇ νεφέλῃ καὶ ἐν τῇ θαλάσσῃ) A''' – καὶ πάντες B''' – τὸ αὐτὸ πνευματικὸν βρῶμα ἔφαγον A'''' – καὶ πάντες B'''' – τὸ αὐτὸ πνευματικὸν ἔπιον πόμα …

Das Muster dieses Parallelismus besteht aus der Angabe des Subjekt mit πάντες, gefolgt von der Beschreibung der Handlung im Aorist (mit der offensichtlichen Ausnahme von εἰμί in 10,1b). In 10,1b–2 geschieht dies durch die Abfolge von Präpositionalobjekt + Verb. 10,3.4a sind noch besonders eng miteinander verbunden. Beide Verse bieten eine Formulierung mit αὐτὸ πνευματικόν, auf die chiastisch vertauscht βρῶμα ἔφαγον/ἔπιον πόμα folgt.551 Dieses Muster wird lediglich von einer erläuternden Ortsangabe in 10,3 unterbrochen. Ebenso folgt in 10,4b.c eine zweifach gestufte Erläuterung, die zunächst den geistlichen wandernden Felsen als Quelle des geistlichen Trankes ausweist und sodann mit Christus identifiziert. Durch die Verdichtung des Parallelismus, dessen chiastische Brechung, vor allem aber auch durch das Hinzutreten der Erläuterungen, die ausführlicher ausfallen als die Angaben zur Taufe auf Mose, tritt der Aspekt des Essens und Trinkens in den Vordergrund. Durch die Wiederaufnahme von πίνω (… ἔπιον πόμα· ἔπινον …) schließt die Erläuterung dicht an das letzte Glied des Parallelismus an. Der Wechsel vom Aorist zum Imperfekt entfaltet das zuvor punktuell vorgestellte Ereignis zu Vgl. Schrage 1995, 386. Vgl. Harvey 1998, 185, Anm. 105. 551 Vgl. zum Chiasmus hier Jeremias 1958, 146. 549 550

3.3 Gedankliche Kartierung

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einer Reihe von Einzelereignissen. Die anschließende Erläuterung greift mit dem Felsen ein Einzelelement heraus und fokussiert das Geschehen so noch enger. Auch sie ist mit einer Wortwiederaufnahme angeschlossen (… πέτρας, ἡ πέτρα …). Die definitorische Kürze und Prägnanz dieses letzten Satzteils, ἡ πέτρα δὲ ἦν ὁ Χριστός, verleiht ihm Gewicht (vgl. 1 Kor 15,56; 2 Kor 3,17). Das betonte Merkmal des gesamten Abschnittes ist das durch Anapher hervorgehobene καὶ πάντες, das jedes Glied des Parallelismus eröffnet.552 Betonen die Verse 1–4 aus einer stilistischen Perspektive somit die gemeinsame Heilserfahrung der gesamten Wüstengeneration, insbesondere ihr Essen und ihr als Christusbegegnung verstandenes Trinken, tritt der Kontrast von 10,5 umso stärker hervor.553 Dort wird ausgesagt, dass Gott an den meisten von ihnen (ἐν τοῖς πλείοσιν αὐτῶν) keinen Gefallen hatte. Sie wurden in der Wüste hingestreckt. Diese Unheilserfahrung hebt sich scharf von den Heilserfahrungen ab, von denen zuvor die Rede war. Zudem steht das einfache πλείοσιν in einem deutlichen Kontrast zum vierfachen πάντες des Parallelismus. Dieser Kontrast wird im τινες der Folgeverse weitergeführt.554 Diese Verse 6–11 bilden wiederum eine stilistisch geschlossene Einheit, die aus einem mehrgliedrigen, von einer inclusio gerahmten Parallelismus besteht. 10,6 und 11 formen die teils formale, teils gedankliche inclusio.555 In beiden Versen findet sich eine dreigliedrige Aussage, die mit ταῦτα δὲ τύποι/τυπικῶς beginnt (A/A'). B/B' werden bei aller Verschiedenheit dadurch vergleichbar, dass sie einen Zweck angeben. Während zudem im A-Teil von Vers 6 das Augenmerk auf „uns“ liegt und der Vers mit einer Bezugnahme auf „jene“ schließt, beginnt Vers 11 mit einer Aussage über „jene“ und schließt mit einer Bezugnahme auf „uns“. Es lässt sich jedoch keine wesentliche Entsprechung zwischen dem jeweils dritten Glied der beiden Aussagen ausmachen. A – Ταῦτα δὲ τύποι ἡμῶν ἐγενήθησαν B – εἰς τὸ μὴ εἶναι ἡμᾶς ἐπιθυμητὰς κακῶν, (C) – καθὼς κἀκεῖνοι ἐπεθύμησαν. A' – ταῦτα δὲ τυπικῶς συνέβαινεν ἐκείνοις B' – ἐγράφη δὲ πρὸς νουθεσίαν ἡμῶν, εἰς οὓς (C') – εἰς οὓς τὰ τέλη τῶν αἰώνων κατήντηκεν.

Vers 10,6 ist auch in sich mehrfach gebrochen chiastisch gestaltet. Insgesamt folgt der Satz einem übergeordneten chiastischen Muster. Er beginnt mit der Bezeich552 Vgl. Harvey 185, Anm. 105. Auch Schrage 386, der es als „emphatisch vorangestellt[ ]“ bezeichnet und Fitzmyer 381. 553 Schrage 1995, 388, spricht von einer im Laufe des Parallelismus entstehenden „Kontrastspannung“ zu 10,5. 554 Vgl. Collier 1994, 60. Meeks 1982, 65, und Fitzmyer 2008, 379, gehen von einem Gegenüber von fünf positiven Erfahrungen (10,1–5) und fünf Verfehlungen (10,6–10) aus. Cover 2015, 67–69, wendet berechtigtermaßen ein, dass der Text eine solche Zählung nicht unbedingt nahelegt und die Parallele, so sie deutlich sein soll, in den Text hineingelesen werden muss. 555 Cover 2015, 67, zweifelt das Vorhandensein einer inclusio hier an und möchte 10,1–5; 6–10; 11–13 unterteilen. Der Chiasmus 10,7–10 spricht jedoch deutlich für die inclusio.

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

nung der Väter als τύποι, und endet mit der Beschreibung ihres Handelns (A/A'). Daneben steht die Rückbindung an „uns“ (B/B'). In der Mitte steht das τύποιWerden der Väter (C) neben dem zu vermeidenden Sein der Adressaten (C').556 A – Ταῦτα δὲ τύποι B – ἡμῶν C – ἐγενήθησαν C' – εἰς τὸ μὴ εἶναι B' – ἡμᾶς A' – ἐπιθυμητὰς κακῶν, καθὼς κἀκεῖνοι ἐπεθύμησαν.

Die lange, mit A' bezeichnete Aussage stört die Harmonie dieses Musters. Sie ist in sich selbst noch einmal chiastisch gestaltet und alliterativ stilisiert. A – ἐπιθυμητὰς B – κακῶν C – καθὼς B' – κἀκεῖνοι A' – ἐπεθύμησαν

B und B' sind allein klanglich verwandt. In der Mitte steht die Vergleichspartikel καθὼς. Ohnehin fällt der Vergleichssatz durch die ungewöhnliche grammatikalische Konstruktion eines AcI mit καθὼς ins Auge.557 Nimmt man das Achtergewicht der Aussage hinzu, betont der Vers die Gegenüberstellung von Wüstengeneration und Adressaten vor allem in Bezug auf beider Begehren. In diesem Lichte ist demnach der von 10,6 und 10,11 gerahmte mehrgliedrige Parallelismus zu lesen, dessen Glieder aufgebaut sind aus einleitendem μηδὲ + Imperativ oder Adhortativ (A) und folgendem Vergleich mit der Wüstengeneration καθώς (10,10: καθάπερ) τινες αὐτῶν (+Verb). Als letztes Glied der jeweiligen Aussage schließt in 10,7b die Zitateinleitung ὥσπερ γέγραπται mit Zitat von Ex 32,6 an. In 10,8–10 tritt an dessen Stelle eine mit καὶ eingeleitete Aussage über die Vernichtung der Wüstengeneration. A – μηδὲ εἰδωλολάτραι γίνεσθε B – καθώς τινες αὐτῶν, C – ὥσπερ γέγραπται· ἐκάθισεν ὁ λαὸς φαγεῖν καὶ πεῖν καὶ ἀνέστησαν παίζειν. A' – μηδὲ πορνεύωμεν, B' – καθώς τινες αὐτῶν ἐπόρνευσαν C' – καὶ ἔπεσαν μιᾷ ἡμέρᾳ εἴκοσι τρεῖς χιλιάδες. A'' – μηδὲ ἐκπειράζωμεν τὸν Χριστόν, B'' – καθώς τινες αὐτῶν ἐπείρασαν C'' – καὶ ὑπὸ τῶν ὄφεων ἀπώλλυντο. A''' – μηδὲ γογγύζετε, 556 Die Wortstellung nach der Verb und Prädikatsnomen auf verschiedene Glieder des Chiasmus verteilt sind, stört nur scheinbar dieses Muster. Da sich diese Irregularität ebenso in A/C wie in C'/A' beobachten lässt, verstärkt sie den Chiasmus vielmehr. 557 Barrett 1968, 244, betont die Emphase dieser Konstruktion und bezeichnet sie als „harsh“.

3.3 Gedankliche Kartierung

187

B''' – καθάπερ τινὲς αὐτῶν ἐγόγγυσαν C''' – καὶ ἀπώλοντο ὑπὸ τοῦ ὀλοθρευτοῦ.

Die gleichbleibenden Elemente, nämlich die negative Handlungsaufforderung mit anaphorischem μηδὲ und die Gegenüberstellung zum Handeln „einiger“ der Wüstengeneration (καθώς/καθάπερ τινες αὐτῶν), schleifen das in 10,7 ausgedrückte Anliegen regelrecht ein. Dass das Exoduszitat in 10,7 C das Muster des Parallelismus bricht, lässt sich kaum sagen. Das Muster ist an diesem Punkt der Lektüre ja noch gar nicht eingeführt. Vielmehr erscheinen die parallel aufgebauten Vernichtungsaussagen in 10,8–10, die sich in ihrer Intensität steigern, durch die Voranstellung des Exoduszitats auf dieses hin geordnet. Bezieht man den Wechsel von Imperativen und Adhortativen in 10,5–9 in die Analyse mit ein, ergibt sich für 10,6–11 eine insgesamt ringförmige Struktur:558 A – 10,6: τύποι B – 10,7: Imperativ, 2. Person Plural (γίνεσθε) C – 10,8: Adhortativ, 1. Person Plural (πορνεύωμεν) C' – 10,9: Adhortativ, 1. Person Plural (ἐκπειράζωμεν) B' – 10,10: Imperativ, 2. Person Plural (γογγύζετε) A' – 10,11: τυπικῶς

Damit bildet der gesamte Abschnitt 10,1–11 eine streng durchkomponierte Einheit in zwei Teilen, von denen der erste die Heilserfahrungen der Wüstengeneration ausmalt, um sie sodann scharf gegen das Ergehen ihrer Mehrheit abzuheben. Dies wird im zweiten Teil als mahnendes Beispiel auf die Adressaten des Briefes bezogen. Diese Anwendung und die mahnende Vorbildfunktion sind durch den mehrgliedrigen Parallelismus, der von zwei Aussagen, die diese Funktion erklären, gerahmt wird, besonders betont. 10,11 macht dies noch einmal besonders deutlich, indem es „jene“ (ἐκείνοις) und „uns“ (ἡμῶν) jeweils in Endstellung nebeneinanderstellt. Die Essensund Trinkensthematik begegnet an zentraler Stelle in beiden Teilabschnitten 10,1–5 (10,3f ) und 10,6–11 (10,7). Die verbleibenden Verse der Passage sind stilistisch lockerer gestaltet. Raumgreifende und komplexe oral patterns, wie sie sich in 10,1–11 finden, begegnen nicht mehr. Jedoch ist schon 10,12 stilistisch auffällig. Dort folgt nach der verknüpfenden Partikel ὥστε die Mahnung: ὁ δοκῶν ἑστάναι βλεπέτω μὴ πέσῃ. Ihre pointierte sprachliche Form bei insgesamt parallelem Aufbau, die Gleichzahl der Silben in Vorsatz und Nachsatz, mit jeweils dreisilbigem Verb in der Mitte des Satzes, verleihen ihr äußerste Prägnanz, die an eine Sentenz erinnert. 10,13a.b sind durch den Gegensatz menschlich-göttlich strukturiert. 10,13a leitet das emphatisch vorangestellte Schlagwort πειρασμός ein, welches das Thema des gesamten Verses beschreibt.559 Nach der Aussage über die (nur) menschliche Ver558 So Collier 1994, 60–62. Diese Symmetrie spricht auch gegen die von ‫ ;א‬D; F; G; 33 u. a. gebotene Lesart γογγύζωμεν. 559 Vgl. Schrage 1995, 409.

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

suchung, hält ein „Treuespruch“ in 10b die Treue Gottes fest.560 Der Rest des Verses beschreibt als Relativsatz das Handeln Gottes und ist parallel organisiert in der Abfolge: Aussage über das Handeln Gottes im Futur (A/A'), Aussage über die Versuchung mit Wort vom πειρασ-Stamm (B/B'), Aussage über das Vermögen der Adressaten mit Wort vom δύνασ-Stamm.561 A – ὃς οὐκ ἐάσει ὑμᾶς B – πειρασθῆναι C – ὑπὲρ ὃ δύνασθε A' – ἀλλὰ ποιήσει B' – σὺν τῷ πειρασμῷ C' – καὶ τὴν ἔκβασιν τοῦ δύνασθαι ὑπενεγκεῖν

In 10,14 f. reihen sich mehrere kurze Sätze ohne erkennbares übergreifendes Stilprinzip aneinander. Dieser Stilwechsel an sich erzeugt jedoch schon eine gewisse Aufmerksamkeit, zumal er mit dem Wechsel der kommunikativen Ebene und einer direkten Anrede der Hörerschaft einhergeht. In 10,15 sticht die Aufforderung, das Gehörte zu beurteilen, mit „nachdrücklichem Personalpronomen im Nominativ“562 heraus. 10,16 bildet wiederum einen Parallelismus, an den der chiastisch strukturierte Vers 10,17 eng anschließt. A – Τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας B – ὃ εὐλογοῦμεν, C – οὐχὶ κοινωνία ἐστὶν τοῦ αἵματος τοῦ Χριστοῦ; A'– τὸν ἄρτον B'– ὃν κλῶμεν, C' – οὐχὶ κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ ἐστιν;

Die Doppelfrage gewinnt durch die parallele Formulierung an Intensität. Dieser Effekt wird durch den in Form der attractio inverso jeweils vorangestellten Akkusativ und die Umstellung von ἐστιν in C/C'563 noch verstärkt. Der Vers zielt somit insgesamt auf die im Herrenmahl ausgedrückte Gemeinschaft mit Christus. Der chiastisch aufgebaute Vers 10,17 schließt mit ὅτι begründend an. Hier entsprechen sich die betonte Einheit in den äußeren Gliedern und die Bezugnahmen auf die eigene Gemeinschaft als οἱ πολλοί und οἱ πάντες in den inneren Gliedern des Musters. 560 Schrage 1995, 387.411. Vgl. 1 Kor 1,9; 2 Kor 1,18. Die Wortstellung gibt der Qualifikation der Versuchung als ἀνθρώπινος Achtergewicht. Vgl. Broer 1989, 322, mit Anm. 93: „Daß Paulus diese Anfangs- und Schlußstellung von πειρασμός bzw. ἀνθρώπινος wichtig ist, zeigt schon die Tatsache, daß er sich mit der doppelten Verneinung ja schon erheblich anstrengen muß, um diese Wortstellung zu erreichen.“ 561 Ein chiastischer Aufbau der Verse 10,12–13 mit der Treueaussage 10,10b im Zentrum, wie Collier 1994, 62, ihn vorschlägt, ist formal schwer nachweisbar und höchstens gedanklich zu greifen. 562 Schrage 1995, 434. 563 Vgl. Schrage 1995, 434, der zudem auf die Paranomasie in A/B hinweist.

3.3 Gedankliche Kartierung

189

A – εἷς ἄρτος, ἓν σῶμα B – οἱ πολλοί ἐσμεν, B' – οἱ γὰρ πάντες

A' –

ἐκ τοῦ ἑνὸς ἄρτου μετέχομεν.

Sowohl das emphatische,564 insgesamt dreifache εἷς, aber auch der Wechsel von οἱ πολλοί zu οἱ πάντες unterstreichen den Gedanken der Einheit durch Anteilhabe am Brot. Die rhetorische Frage 10,18 mit betont voranstehendem Imperativ βλέπετε (vgl. 10,12) lenkt die Aufmerksamkeit zurück auf das Beispiel der Wüstengeneration (s. u. ‎3.4.7) und verbindet es durch gemeinsames Vokabular mit der eben aufgeworfenen Frage nach kultischer Gemeinschaft durch Essen. Die rhetorische Frage mit οὐχ erwartet ein emphatisches ‚Ja‘ als Antwort. Mit zwei weiteren rhetorischen Fragen schließt 10,19 an. Da die zweite Frage als Antwort ein ‚Nein‘ fordert, ist sie in einer impliziten correctio mit 10,20a ἀλλ᾽… verbunden. Der rhetorische Akzent des Segments liegt demnach auf der Aussage 10,20a: Das, was „Israel nach dem Fleisch“ in Folge eines Opfers isst, hat es Dämonen geopfert und nicht Gott. Inhaltlich schließt 10,20b hieran an. Nach einem zweiten οὐ θέλω + AcI (vgl. 10,1) heißt es sodann in 10,21: A – οὐ δύνασθε B – ποτήριον κυρίου πίνειν C – καὶ ποτήριον δαιμονίων, A' – οὐ δύνασθε B' – τραπέζης κυρίου μετέχειν C' – καὶ τραπέζης δαιμονίων.

Der strenge „Parallelismus mit übereinstimmendem Anfang und Schluß (Symploke) und mittlerem Wort (Komoioptoton)“565 schärft die Unvereinbarkeit von Herrenmahl und Dämonenmahlzeit ein. Auf diese Unvereinbarkeit zielt auch die abschließende rhetorische Doppelfrage 10,22, die die Alternative zu Verzicht auf den Tisch der Dämonen aufruft. Sie kann als deductio ad absurdum aufgefasst werden566 und fordert die Antwort: Natürlich wollen „wir“ den Herrn nicht versuchen, (denn) natürlich sind wir nicht stärker als er. In einer Übersicht lässt sich der Befund folgendermaßen darstellen: 9,24: 9,25:

rhetorische Frage, loser Parallelismus betont: Einführung eines neuen Aspekts (Litotes): Gewinnen des „Kampfpreises“ als hehres Ziel (Gegenüberstellung πάντες/ εἷς; Satzstruktur, Achtergewicht) betont: Reichweite der Enthaltsamkeit des Athleten (Polyptoton πᾶς/πάντα), Überbietung des vergänglichen Siegeskranzes des Athleten durch den unvergänglichen der Gemeinde (Gegenüberstellung von φθαρτος/ἄφθαρτος)

Vgl. Schrage 1995, 441. Schrage 1995, 434, vgl. Klauck 1982, 269, und BDR § 490, Anm. 2. 566 Vgl. Schrage 1995, 448. 564 565

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

9,26–27: correctio betont: Paulus als Vorbild an Zielstrebigkeit (betonte Voranstellung des Personalpronomens; Gegensatzpaare der correctio) 10,1–5: mehrgliedriger Parallelismus 10,1a: betont: Einführung eines neuen Aspekts (Litotes) 10,1b–4: eigentlicher Parallelismus betont: Teilhabe der Wüstengeneration an göttlichen Heilsgütern bis hin zur Christusteilhabe (Parallelismus; Anapher), v. a. mittels Essen und Trinken (Unregelmäßigkeiten im Parallelismus: stilistisch markante Erläuterungen und chiastische Verwechslung) 10,5: betont: Kontrast zwischen Heilserfahrungen der Wüstengeneration und ihrem Ergehen (Bruch mit der Anapher von 10,1b–4) 10,6–11: inclusio um mehrgliedrigen Parallelismus 10,6: inclusio Teil 1; Chiasmus betont: Gegenüberstellung von Wüstengeneration und Adressaten: Die Väter als τύποι (übergeordneter Chiasmus) und ihr abschreckendes Beispiel von Begierde (untergeordneter Chiasmus, stilistisch auffällige Konstruktion AcI + καθὼς) 10,7–10: mehrgliedriger, teils chiastisch strukturierter Parallelismus betont: Die Verfehlungen der Wüstengeneration und ihre Vernichtung als Negativbeispiel (Parallelismus); Verankerung im Zitat von Ex 32,6 10,11: inclusio Teil 2 betont: Gegenüberstellung von „jenen“ und „uns“ (Wortstellung) 10,12: sentenzhafte Mahnung betont: Gesamtaussage: „Wer meint zu stehen, sehe zu, dass er nicht falle.“ (stilistische Prägnanz) 10,13: Treuspruch mit parallel strukturierter Ausführung betont: Treue Gottes (Treuspruch), der einen Ausweg aus der menschlichen (Achtergewicht) Versuchung schafft (Parallelismus) 10,14: betont: Aufforderung, vor dem Götzendienst zu fliehen (direkte Anrede, Stilwechsel) 10,15: betont: Aufforderung, das Gesagte zu beurteilen (direkte Anrede mit Personalpronomen der 2. P. Pl.) 10,16: rhetorische Frage, Parallelismus betont: die im Herrenmahl konstituierte Gemeinschaft mit Christus (Wortstellung, Parallelismus) 10,17: Chiasmus betont: Einheit durch Anteilhabe am Brot (Polyptoton, Anapher, Parallelismus) 10,18: rhetorische Frage betont: Rückbezug auf Wüstengeneration (Wortstellung); gemeinschaftskonstituierende Funktion des Opfers (rhetorische Frage) 10,19–20: rhetorische Doppelfrage; implizite correctio betont: Götzen als Adressaten des Opfers (Verbindung von rhetor. Frage und correctio; Nachsatz 10,20b) 10,21: streng geführter Parallelismus betont: Unvereinbarkeit von Herrenmahl und Dämonenmahlzeit (Parallelismus) 10,22: rhetorische Doppelfrage betont: Absurdität jedes den Ausführungen zuwiderlaufenden Verhaltens (rhetor. Frage, deductio ad absurdum)

3.3 Gedankliche Kartierung

191

3.3.4.3 Thematischer Abgleich Die betonten Elemente lassen sich, sofern sie inhaltlich und nicht nur strukturell von Belang sind, weitgehend den Elementen der Themenformulierung zuweisen und bestätigen sie somit. 3.3.5 Verknüpfung auf der Textoberfläche Die Frage nach der Verknüpfung der gedanklichen Einheiten auf der Textoberfläche bildet den Übergang von der thematisch-strukturellen zur eigentlichen argumentativen Analyse. Eine Leseanleitung zur Verknüpfung seiner Einzelgedanken, die dem Text innere Kohärenz verleiht, ergibt sich einerseits durch die sprachliche Gestaltung der Übergänge zwischen gedanklichen Einheiten, andererseits durch Wiederaufnahmen bereits eingeführter Begriffe und die Weiterentwicklung der mit ihnen verbundenen Konzepte. Dabei verhilft der Blick auf formale Marker an Textübergängen zunächst der thematisch-strukturellen Analyse zum Abschluss. Dadurch, dass viele der Marker sich in ihrer Deutlichkeit klar unterscheiden und besonders die Partikeln inhaltlich gefüllt sind, hilft er außerdem, die erhobenen gedanklichen Einheiten zu hierarchisieren. Darüber hinaus gibt er einen ersten Anhaltspunkt, das logische Verhältnis der gedanklichen Einheiten untereinander zu bestimmen und bereitet so ganz unmittelbar die argumentative Analyse vor. 3.3.5.1 Gestaltung von Textübergängen a Metakommunikative Ausdrücke Indem der Text die Adressaten immer wieder anspricht und mitunter sich selbst thematisiert (10,19), wechselt er mehrfach die kommunikative Ebene. Besonders deutlich ist dies in 9,24 (οὐκ οἴδατε), 10,1 (οὐ θέλω γὰρ ὑμᾶς ἀγνοεῖν), 10,15 (ὡς φρονίμοις λέγω· κρίνατε ὑμεῖς ὅ φημι) und 10,19 (Τί οὖν φημι;), aber auch die Bemerkungen über die Funktion der Väter und der Niederschrift ihres Schicksals in 10,6.11 und die rhetorischen Fragen in 9,24; 10,16.18.19.22 gehören hierher. Insofern als metakommunikative Ausdrücke eine Unterbrechung im Gedankenfluss anzeigen, sind auch sie als Markierung von Textübergängen zu verstehen. b Summierende anaphorische Verweise (Substitutionen auf Metaebene) Insgesamt ist der Text arm an anaphorischen Verweisen. Umso stärker fällt das zweifache ταῦτα in 10,6.11 auf. Summierende anaphorische, womöglich aber auch kataphorische Verweise sind überdies in 10,14 durch ὅ φημι und in 10,19 durch Τί οὖν φημι; markiert.

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

c Verknüpfende Partikeln In der zweiten Texthälfte finden sich überdurchschnittlich viele asyndetische Verbindungen (10,13.15.16.17.18.21[2x]). Die vorhandenen verknüpfenden Partikel zeigen keine Auffälligkeiten. d Hierarchisierung Auch wenn eine rein formale Hierarchisierung, die inhaltliche Gesichtspunkte gänzlich außen vor lässt, nur mit besonderer Vorsicht zu betrachten ist, hat sie im Abgleich mit den anderen bisher erhobenen Befunden doch ihren Wert.567 Folgt man den gängigen Modellen zur formalen Hierarchisierung der aufgezeigten Merkmale, gliedern metakommunikative Ausdrücke am stärksten, gefolgt von Substitutionen auf Metaebene, asyndetischen Anschlüssen und der Verknüpfung durch Partikeln.568 Vor diesem Hintergrund entsteht folgende Übersicht: 9,24a

metakommunikativer Ausdruck (rhet. Frage) Asyndese 9,24b schwach adversative Partikel (δέ) 9,24c vergleichende Partikel (οὕτως) 9,25 schwach adversative Partikel (δέ) 9,26 folgernde Partikel (τοίνυν) 9,27 adversative Partikel (ἀλλά) 10,1 metakommunikativer Ausdruck, kausale Partikel (γάρ)569 10,2 beiordnende Partikel (καί) 10,3 beiordnende Partikel (καί) 10,4a beiordnende Partikel (καί) 10,4b kausale Partikel (γάρ) 10,4c schwach adversative Partikel (δέ) 10,5a adversative Partikel (ἀλλά) 10,5b kausale Partikel (γάρ) 10,6 metakommunikativer Ausdruck, Substitution auf Metaebene, schwach adversative Partikel (δέ) 10,7 negative Partikel (μηδέ) 10,8 negative Partikel (μηδέ) 10,9 negative Partikel (μηδέ) 10,10 negative Partikel (μηδέ) 10,11a metakommunikativer Ausdruck, Substitution auf Metaebene, schwach adversative Partikel (δέ)570 567 Wenn Berndt Schaller 10,1–13 in Anbetracht der Satzeinleitungen in 10,6.11 in 10,1–6.7–11.12 f. unterteilen möchte, jedoch sogleich hinzufügt, 10,6.11 „haben eine Art Scharnierfunktion. Sie bilden den Abschluß des jeweils vorhergehenden Abschnitts, leiten zugleich aber zum folgenden über,“ spiegelt das eben dieses Problem wider. 568 S.o. S. 34. 569 Für verschiedene Erklärungen für dieses γάρ vgl. Schrage 1995, 387 f. (erklärend), Pfitzner 1967, 83 (lockere Verbindung ohne tiefere Bedeutung), Fitzmyer 2008, 380 (begründend). 570 Vgl. Thiselton 2000, 731: „Again, δέ, in this context of introducing a summarizing proposition has the force of the logical now in English.“

3.3 Gedankliche Kartierung

10,15 10,16 10,18 10,19

10,22

193

10,11b schwach adversative Partikel (δέ) 10,12 folgernde Partikel (ὥστε) 10,13a Asyndese571 10,13b schwach adversative Partikel (δέ) 10,14 folgernde Partikel (διόπερ)572 metakommunikativer Ausdruck, Asyndese metakommunikativer Ausdruck (rhet. Doppelfrage), Asyndese 10,17a kausale Partikel (ὅτι) 10,17b kausale Partikel (γάρ) metakommunikativer Ausdruck (rhet. Frage), Asyndese metakommunikativer Ausdruck (rhet. Doppelfrage) (οὖν) (ὅτι) 10,20 adversative Partikel (ἀλλά) 10,20b schwach adversative Partikel (δέ) 10,21a Asyndese 10,21b Asyndese metakommunikativer Ausdruck (rhet. Doppelfrage)

3.3.5.2 Zusammenführung der Beobachtungen zum Aufbau von 1 Kor (9,24–27)10,1–22 Zwar kann auch die Wiederaufnahme von Begriffen als strukturelles Signal dienen, allerdings wurde dies an den relevanten Stellen schon im Zuge der Analyse des semantischen Inventars berücksichtigt. Von daher scheint es sinnvoll, schon hier die Beobachtungen aus den verschiedenen Analyseschritten zu einer Gesamtgliederung von 1 Kor 9,24–10,22 zusammenzuführen. Auf dieser Grundlage können im Anschluss Überlegungen zur inneren Dynamik des Textes anhand der Wiederaufnahmen von Akteuren, Begriffen und Motiven angestellt werden, ohne wegen des komplexen Verlaufs der semantischen Linien zu unübersichtlichen und von daher nicht zielführenden Ergebnissen zu gelangen. Das nachfolgend abgebildete Gliederungsdiagramm trägt die Ergebnisse der vorangegangenen Seiten zusammen und markiert die gliedernden Einschnitte ihrer Stärke nach absteigend mit Doppelstrich und einfacher Linie, untergeordnete Einschnitte mit gestrichelter und gepunkteter Linie. Unklarheiten sind mit Wellenlinie markiert. Wo in der Mehrheit der Untersuchungsschritte ein Einschnitt festgestellt wurde, ist er entsprechend der zusammengenommenen Deutlichkeit in die Gesamtgliederung übernommen. Es ergibt sich so eine Abfolge von etwa sechs in sich verschieden untergliederten Abschnitten 9,24–27; 10,1–5; 10,6–13; 10,14 f.; 10,16 f.; 10,18–20a; 10,20b–22. Dabei besteht der Kern des Abschnitts 10,6–13 aus dem Chiasmus 10,6–11, an den sich zwei Verse anschließen, die Motive aus 10,8.9 aufnehmen. 10,14 und 15 hängen nur lose miteinander zusammen. Sie sind aber deshalb zu einem Abschnitt zusammengefasst, weil sie gemeinsam sowohl von 10,6–11 her als auch auf 10,16–22 hin gelesen werden können. 571 Vgl. Henrici 201 zum überraschend fehlenden δέ. Ferner Koet 1996, Anm. 10: „it is remarkable that in 10,13 we do not find a copulativum, while 10,1–12 is totally connected through copulativa.“ 572 Vgl. BDR § 451.5.

10

 9

dominierende Motive: Typos- und γέγραπται-Aussagen, Verschiedene Abschattungen bösen Begehrens und Vernichtungsaussagen

inclusio um mehrgliedrigen Parallelismus

metakommunikativer Ausdruck, Substitution auf Metaebene/δέ

ἀλλά

5

„Unser“/„Euer“ Verhalan ἐγκρατεύομαι anknüpfende Einführung ten im Verhältnis zum ἐπιθυμέω Verhalten „unserer“ Väter

καί … γάρ … δέ

4

6

καὶ

mehrgliedriger Paralle- metakommunikativer lismus nach WillensAusdruck/γάρ bekundung

ἀλλά

τοίνυν

δέ

rhetorische Frage, Asyndese

Verknüpfungen

καὶ

Verbundenheitsbezeugung dominierende Motive: Gesamtheit der Väter in der Heilsteilhabe vs. Vernichtung der meisten von ihnen

correctio

rhetorische Frage, loser Parallelismus

Stil

3

Änderung der Personenkonstellation Das Beispiel „unserer Väter“

dominierendes Motiv: Sportsprache

Semantisches Inventar

2

1

27

Einführung „unsere Väter“

anknüpfende Einführung ἐγκρατεύομαι

25

26

Einführung Gegensatz Änderung der Peralle/einer sonenkonstellation Paulus und die Korinther vor der Vergleichsfolie der Sportwelt

Akteure

24

Thema

10,6–13 (10,6–11)

10,1–5

9,24–27

Gesamtgliederung

194 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

unpersönlich/abstrakt dominierendes Motiv: stehen/fallen (im Anschluss an 10,7 f.)

sentenzhafte Mahnung

anknüpfende Einführung ἐκπειράζω

9

16

15

Wiederaufnahme Essen/Trinken

Wiederaufnahme εἰδωλολατρία

14

Änderung der Bezugsgröße „Wir“ im Gegenüber zu Gott/Christus

Änderung der Personenkonstellation Gespräch Paulus – Korinther

direkte Aufforderung

dominierendes Motiv: Gemeinschaft/Anteilhabe (Herrenmahl)

rhetorische Frage, Parallelismus

direkte Anrede: Auffor- direkte Aufforderung derung zur Beurteilung des Gesagten

Verbundenheitsbezeugung

rhetorische Frage, Asyndese

metakommunikativer Ausdruck, Asyndese

διόπερ

Asyndese/δέ

anknüpfende Wiederaufnahme πειράζω

13

Treuspruch mit parallel strukturierter Ausführung

ὥστε

anknüpfende Wiederaufnahme πίπτω

12

dominierendes Motiv: Versuchung (im Anschluss an 10,9)

metakommunikativer Ausdruck, Substitution auf Metaebene/δέ

11

Änderung der Personenkonstellation „Wir“ im Gegenüber zu Gott

μηδέ

10

μηδέ

μηδέ

anknüpfende Einführung πίπτω

8

μηδέ ὥσπερ

anknüpfende Einführung εἰδωλολάτρης

7b

7a

10,16–17

10,15

10,14

(10,13)

(10,12)

3.3 Gedankliche Kartierung

195

rhetorische Doppelfrage

Willensbekundung

22

dominierendes Motiv: Gemeinschaft/Anteilhabe (Unvereinbarkeit beider)

streng geführter Parallelismus

untergeordnete Änderung der Personenkonstellation „Ihr“/ „Wir“ im Gegenüber zu den Dämonen und dem Kyrios

rhetorische Doppelfrage; implizite correctio

21

20b

20a

19

dominierendes Motiv: Gemeinschaft/Anteilhabe (Götzen-/Dämonenopfer)

rhetorische Frage

untergeordnete Änderung der Personenkonstellation „Israel nach dem Fleisch“ im Gegenüber zu den Dämonen

18

Wiederaufnahme „Israel nach dem Fleisch“ als Götzendiener (= „unsere Väter)

Chiasmus

17

rhetorische Doppelfrage (ἤ/μή)

Asyndese

δέ

ἀλλά

rhetorische Frage, οὖν … ὅτι

rhetorische Frage, Asyndese

ὅτι … γάρ

10,20b–22

10,18–20a

196 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

197

3.3 Gedankliche Kartierung

3.3.5.3 Verknüpfung durch die Wiederaufnahme von Akteuren, Begriffen und Motiven und thematischer Abgleich

9,24–27 10,1–5 10,6–13 10,14 f. 10,16 f. 10,18–20a 10,20b–22

Götzen/Dämonen

der Verderber

Schlangen

Christus/Kyrios

Mose

„unsere Väter“

„ich“

„wir“

„ihr“

Sportler

Gesamtgliederung

Bildet man die bereits erhobene Wiederaufnahmestruktur der Akteure, Motive und Begriffe auf diese Gliederung ab, wie es die unten und umseitig abgebildeten Diagramme tun, ergibt sich ein Bild der Kohärenz des Textes. Der gesamte Abschnitt ist vom Gespräch zwischen Paulus („ich“/„wir“) und der Gemeinde („ihr“/„wir) geprägt. Diesen diskursiven Charakter unterstreicht die Verwendung von Verben geistiger und sprachlicher Tätigkeit in fast allen Abschnitten. Das Beispiel „unserer Väter“ bzw. „Israels nach dem Fleisch“ verklammert den ausführlichen Exodusbezug in der ersten Kapitelhälfte mit den späteren Überlegungen (s. u. S.  243 f.). Gleiches leistet die Verhältnisbestimmung zu Christus/zum Kyrios einerseits zu den Götzen/Dämonen andererseits. Spezifische Akteure und Motive der Exoduserzählung begegnen jedoch nur in der ersten Kapitelhälfte. Auch die Typos- und γέγραπται-Aussagen sind auf den Abschnitt 10,6–13 beschränkt. Insgesamt verschiebt sich der Schwerpunkt des Gedankengangs um Essen und Trinken vom Gegensatz Selbstkontrolle – Begehren hin zum Gedanken der Gemeinschaft/Anteilhabe. Diese Bewegung entspricht den zwei Polen der bis hierher formulierten Themenangabe: „Die Notwendigkeit von Selbstkontrolle und Verzicht – v. a. in Bezug auf pagane Kultmahlzeiten – zur Bewährung der Heilsgemeinschaft mit Christus.“

Gemeinschaft/Anteilhabe

etw. vermögen

versuchen

stehen/setzen/fallen

Götzendienst/Götze/-fleisch

Typos- und γέγραπται-Aussagen

Vernichtungsaussagen

Verbundenheitsbezeugungen

Essen/Trinken

Warnungen i.w.S.

Selbstkontrolle/Begierde

alle/viele/einige

Sportsprache

Geist. und sprachl. Tätigkeit

3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Gesamtgliederung

198

9,24–27 10,1–5 10,6–13 10,14 f. 10,16 f. 10,18–20a 10,20b–22

3.4 Gedankliche Kartierung: Rhetorisch-argumentationslogische Analyse Als notwendiger zweiter Schritt der gedanklichen Kartierung von 1  Kor  (9,24– 27)10,1–22 folgt auf die thematisch-strukturelle Betrachtung eine rhetorisch-argumentationslogische Analyse. Mit dem Anliegen, den Gedankengang und die rhetorische Pragmatik des Textes zu rekonstruieren, baut diese auf die bisherigen Ergebnisse auf. Die Untersuchung erfolgt als sukzessive Betrachtung des Textes. Jedes der erhobenen Segmente wird zunächst für sich betrachtet und nach seinem gedanklichen Gefälle befragt, ehe die Ergebnisse im Hinblick auf die oben benannten Untersuchungskategorien zugespitzt und in die gedankliche Gesamtentwicklung eingezeichnet werden.

3.4 Gedankliche Kartierung

199

3.4.1 9,24–27 3.4.1.1 9,24 f.: Der Wettkampf als Bild für das christliche Leben Der Gedankengang in 9,24–27 verläuft insgesamt wirklichkeitsetablierend. Paulus nimmt seinen Ausgangspunkt bei der Welt des sportlichen Wettkampfes. In Anbetracht der weiten Verbreitung von Spielen in der antiken Welt ist anzunehmen, dass die Realien, auf die er hier Bezug nimmt, den paganen wie jüdischen Hörern gleichermaßen bekannt sind.573 Bereits die Eingangsformulierung „wisst ihr nicht“ und ihre rhetorische Frageform drücken – gleich wie konventionell sie sein mögen – eine entsprechende Erwartung aus. Rhetorisch erfüllt diese Eröffnung eine doppelte Funktion: Zum einen wird die Hörerschaft von Anfang an in den Gedankengang eingebunden. Die Frage und später der Imperativ sprechen sie direkt an und wecken Aufmerksamkeit. Zum anderen führt sie die Hörerschaft beiläufig dazu, Paulus in einem ersten Punkt zuzustimmen. Nicht nur die Sportwelt an sich, auch der Grundsatz, dass im Wettlauf nur einer den Siegespreis erringt, kann als allgemein bekannt vorausgesetzt werden.574 Je mehr geteiltes Wissen Paulus vorträgt, umso eher wird die Hörerschaft geneigt sein, ihm auch in weiteren Punkten zuzustimmen.575 Gewissermaßen stärkt demnach schon der Eingangssatz das rednerische Ethos des Paulus. Diese emotionalisierende Strategie verschärft sich noch im selben Vers. Der in der Literatur oft als missverständlich und sperrig ausgewiesene Analogieschluss vom einen Sieger im Wettlauf zur Aufforderung „Lauft so (Plural!), dass ihr ihn gewinnt“ scheint rhetorisch betrachtet weniger Missgriff als Kalkül zu sein. Den Sieg als Ausnahmefall darzustellen und demnach als Drohfolie einen möglichen Heilsverlust zu implizieren, macht die Mahnung zum Lauf eindringlicher. Auch hier bedient sich Paulus eines emotionalisierenden Überzeugungsmittels. Die knappe und prägnante Aufforderung wird zum Hauptpunkt der Metapher, die den ganzen Abschnitt bestimmt.576 9,25 baut sodann auf den in 9,24 gelegten Grund gemeinsamer Überzeugung auf und beschreibt die Art und Weise des Laufes. Der Vers spitzt das Bild vom Wettkämpfer auf die notwendige Selbstbeherrschung in der Wettkampfvorbereitung zu. Der Topos ist aus der Philosophie geläufig und besonders in der kynisch-stoischen Diatribe beliebt, zu der hier formal und rhetorisch Ähnlichkeiten bestehen.577 Die Übertragung des Siegeskranzes des disVgl. Papathomas 1997, 241, und für die jüdische Welt Metzner 2000, 568 f. Vgl. Zeller 2010, 322, Anm. 269, unter Anführung entsprechender Belege bei Lukian (Anach. 13) und in der Rezeption (2 Clem 7,1). Vgl. zusammenfassend Hays 1998, 155, zu 9,26: „[T]he Corinthians would find Paul’s depictions of the runner and the boxer familiar, vivid, and compelling.“ 575 Vgl. Quint. inst. 3,8.12.48 576 Vgl. Fee 1987, 434. 577 Zeller 2010, Zeller 321, Anm. 266, nennt etwa „die Einbeziehung der Hörer und das paradigmatische Ich“ und verweist ferner auf Koch 2008. Wettkampfmetaphorik war in der gesamten hellenistischen Welt üblich, im paganen philosophischen Diskurs (vgl. etwa Plat. Gorg. 526e) ebenso wie in der jüdischen Literatur (vgl. etwa die Ähnlichkeit zu TestJob 4,10 oder die Schilderung von Hiobs Kampf gegen den Satan TestJob 27,3–5). 573 574

200 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 ziplinierten Athleten auf den unvergänglichen „Siegeskranz“ der Gläubigen schließt an diese Konvention an. Der Hintergrund der isthmischen Spiele mit ihrem Siegeskranz aus Sellerie578 gibt dem Bild womöglich einen Schlag ins Komische. Zumindest bei Athenaeus ist der Sellerie Grundlage einer satirischen Bemerkung.579 Dennoch wertet die Gegenüberstellung die Leistung des Athleten keineswegs ab. Eher legt sie die Messlatte für die Gläubigen noch höher. Zugrunde liegt ein impliziter Schluss a minori ad maius: Wenn die Gläubigen einen solchen Preis anstreben, dann gilt es, zumindest ebenso starke ἐγκράτεια zu üben wie der Athlet.580 Für den Athleten erstreckt sich seine Selbstbeherrschung vor allem auf sexuelle Enthaltsamkeit und strenge Ernährungsvorschriften.581 Was genau dies in der Übertragung auf die Gläubigen bedeutet, wird Paulus erst in 9,27 explizit machen und ab 10,6 konkretisieren. 3.4.1.2 9,26 f.: Paulus vorbildlicher Einsatz Durch den Wechsel in die erste Person Plural bringt Paulus sich selbst schon in 9,25 mit ins Bild. Er steht nicht etwa in einem Sonderverhältnis zum Siegespreis, sondern kommt auf der gleichen Stufe wie die Hörer zu stehen.582 Er ist einer von ihnen bzw. sie sind nicht anders als er. Dank der Tatsache, dass Paulus und die Hörer gleichermaßen vor der Herausforderung des Wettkampfes stehen, verwandelt sich die Beschreibung des eigenen Verhaltens in 9,26 f. von einer bloßen Tatsachenschilderung zum beispielhaften Vorbild. Der Text wechselt betont zurück in die erste Person (ἐγὼ τοίνυν)583 und weist Paulus einmal mehr als Exemplum christlicher Lebensführung aus (vgl. 9,1–23) und nicht mehr nur als autoritatives Gegenüber. Entsprechend beschreibt Paulus nun auch sein eigenes Verhalten in Sportbildern und wendet die beiden Elemente der Bildwelt, Einsatz beim sportlichen Wettkampf (9,24) und Selbstbeherrschung (9,25), auf sich selbst an: So wie die Gemeinde mit ganzem Eifer laufen soll, läuft Paulus nicht ins Ungewisse. Ebenso wenig schlägt er unnütz in die Luft. Dieses hier neu eingeführte Bild des Faustkämpfers leitet zum zweiten Teil des Vergleiches über. Auch hier bewegt sich die Argumentation vor allem auf der emotionalen Ebene. Die Vorstellung eines Läufers, der ins Ungewisse läuft und eines Boxers, der am Ziel vorbei schlägt, trägt absurde Züge. „[T]he absurdity of the metaphor makes its own 578 Vgl.  Murphy-O’Connor 2002, 104 unter Verweis auf Plut. qu. conv. 5.3.1–3 und MurphyO’Connor 2002, 143, unter Verweis auf Ath. deipn. 227d–228c. 579 Vgl. Ath. deipn. 227d–228c. 580 Vgl. Pfitzner 1967, 89. Brändl 2005, 202, spricht von einem verkürzten Schluss a minori ad maius. 581 Vgl. Zeller 2010, 322, mit Quellennachweisen in Anm. 275. Pfitzner 1967, 87.92, und Fee 1987, 435 f., stellen auf den Aspekt des Fastens ab. 582 Zeller 2010, 322, spricht von „unmerklicher Umsetzung des Bildes“ zum „Wir“. 583 S.o. S. 183. Vgl.  auch Fee 1987, 437, Anm 23. Nur hier finde sich bei Paulus ein folgerndes τοίνυν.

3.4 Gedankliche Kartierung

201

point.“584 Umso stärker hebt sich die drastische Schilderung des eigenen Verhaltens in 9,27 von dieser leichteren Note ab.585 Es ist dies das zweite Mal, dass der Text das Sportbild intensiviert, um durch die Steigerung im Bild die Wirklichkeit der Gläubigen zu beschreiben. Diese Verschärfung der Erwartungen folgt logisch aus dem in 9,25 angelegten, jedoch nicht explizit ausgesprochenen Schluss a minori ad maius. Zugleich verfolgt auch das Beispiel des Paulus die emotionalisierende Überzeugungsstrategie. Indem er sich in 9,25–27 selbst zur Identifikationsgröße für die Hörerschaft macht, zwingt er diese, das eigene Verhalten auch mit dem Verhalten der untüchtigen Athleten aus 9,26 abzugleichen. Der Text fordert damit zur Selbstkritik und, wo notwendig, zu einer scharfen Verhaltensänderung auf. Es ist umstritten, inwiefern δουλαγωγῶ von 9,19 her zu deuten ist. Einerseits ist auch dort die Rede von einer Sklaverei des Paulus (und zwar um der Verkündigung des Evangeliums willen: Ἐλεύθερος γὰρ ὢν ἐκ πάντων πᾶσιν ἐμαυτὸν ἐδούλωσα, ἵνα τοὺς πλείονας κερδήσω),586 andererseits wird in 9,27 „der Gedanke, dass sich Paulus anderen versklavt“587 gerade nicht ausgesprochen. Im Grunde macht diese Überlegung jedoch falsche Alternativen auf. Der Gebrauch von δουλαγωγέω in 9,27 entspricht ganz dem überleitenden Charakter des Abschnitts 9,24–27: Er schließt an 9,1–23 an, indem er Motive von dort aufnimmt, setzt sie aber auf eine neue Bahn. Demonstrierte Paulus seine Freiheit in 9,1–23 durch den Verzicht auf Rechte, tut er dies nun durch allgemeinen Verzicht und Selbstbeherrschung. Diente seine Sklaverei dort auch dazu, andere für das Evangelium zu gewinnen, soll sie hier ganz dem Heilsverlust vorbeugen.588 Die Formulierungen in 9,27 mögen bewusst bildhaft und damit offen formuliert sein, dem Publikum mag dabei Paulus persönliche 584 Vgl. Fee 1987, 438. Es ist umstritten, ob hier an einen verfehlten Schlag im Boxkampf oder an Schattenboxübungen zu denken ist. Pfitzner 1967, 90, betont, dies sei nur vom Kontext her zu entscheiden. Antike Vorbilder gäbe es für beide Deutungen. Philo etwa denkt beide Möglichkeiten zusammen (Cher. 81). Stringenter wird das Argument jedoch, wenn an einen verfehlten Schlag im Kampf selbst gedacht wird, so wie Paulus zuvor von einem tatsächlichen Lauf spricht. Vgl. dazu Zeller 2010, 323, mit Quellenbelegen in Anm. 283. 585 Pfitzner 1967, 91, bemerkt „[T]he verb δουλαγωγεῖν hardly fits into the language of the actual contest. If the two verbs are taken together in the complementary sense of ‚mortify and subject‘, there results the picture of the athlete who does all to discipline himself and to keep his body under rigorous control, in order that it might serve and not hinder his progress to the goal.“ 586 Für diese Herleitung tritt etwa Pfitzner 1967, 92 f., ein, was bei ihm jedoch dazu führt, die Missionspredigt des Paulus als eigentliche Pointe von 9,24–27 einzutragen und den Abschnitt so an das übrige Kapitel anzugleichen. 587 Zeller 2010, 323. 588 Nicht zuletzt mag das Motiv der Sklaverei die Exodusverarbeitung in Kapitel 10 vorbereiten. Auch Brändl 2005, 211, bestreitet, dass δουλαγωγῶ [μου τὸ σῶμα] im Sinne eines solchen LeibGeist-Dualismus zu verstehen sei: „An keiner anderen Stelle wird das Wortfeld verwendet, um im Rahmen eines anthropologischen Dualismus, den Leib dem Geist unterzuordnen. Man wird dies deshalb auch in 1 Kor 9,27 nicht voraussetzen dürfen.“ Er plädiert stattdessen für eine Deutung von 9,19 (πάντων πᾶσιν ἐμαυτὸν ἐδούλωσα) im Horizont des apostolischen Dienstes. μου τὸ σῶμα bedeute hier nichts anderes als das Reflexivpronomen in 9,19 (vgl. Brändl 2005, 212). Ohne eine Verbindung zu 9,19 zu leugnen, fällt es jedoch schwer, die Konnotation eines solchen Dualismus in einem Zusammenhang auszublenden, in dem Paulus derart einschlägige Bildsprache adaptiert.

202 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Geschichte vor Augen gestanden haben, wie er sie in den Peristasenkatalogen ausführt.589 Fest steht: Nicht nur das Ziel des geistlichen Wettkampfes übersteigt weit den Preis allen irdischen Wettkampfes (9,25), auch der notwendige Einsatz übersteigt die Mühen des Sports. Der Nachsatz, in dem Paulus den Zweck seines Verhaltens damit angibt, dass er nicht selbst ἀδόκιμος werden wolle, wo er doch anderen predige, mag wieder lose an die Sportmetaphorik anknüpfen.590 Zum Verständnis ist dies jedoch keineswegs notwendig. Die Aussage kann vor dem Hintergrund der rhetorischen Bewegung auf zweierlei Weise verstanden werden. Zum einen als impliziter Schluss a maiore ad minus: Wenn selbst Paulus in solch einer Gefahr steht, wie viel mehr dann die Hörerschaft.591 Diese Lesart setzt die Autorität des Paulus voraus und erhöht rhetorisch den Druck auf seine Hörer. Zum anderen mag Paulus wie schon in 9,18 als Identifikationsgröße für die Gruppe der „Starken“ hervorgehoben werden. So wie für Paulus die Gefahr besteht, trotz seiner Predigt das Ziel zu verfehlen, müssten diese dann Acht geben, trotz ihres vermeintlich überlegenen Wissens nicht ἀδόκιμος zu werden. In diesem Falle würde der Teilvers schon stärker zu Kapitel 10 überleiten. 3.4.1.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Die moralisch-ethische Argumentation am Beispiel des sportlichen Wettkampfs ist ein beliebtes Verfahren des pagan-hellenistischen wie auch des jüdisch-hellenistischen philosophischen Diskurses. Der biblisch-theologisch äquivalente Referenzrahmen wäre der SRI zufolge ein weisheitlicher. In der Tat nimmt Paulus hier seinen Ausgangspunkt beim Alltagswissen seiner Hörer und kommt auf induktivem Weg zu einem allgemein gültigen Analogieschluss, wie es für den weisheitlichen Rhetorolekt typisch ist.592 Jedoch ist Paulus Gedankenführung ihrem Ziel nach gerade nicht moralisch-ethisch. „In 9:24–27 Paul shifts to an eschatological frame of reference.“593 Er möchte seine Hörer nicht dazu bewegen, ihren Lebenswandel an einem ethischen Ideal, sondern am eschatologischen Ziel auszurichten. ἐγκρατεύεσθαι ist demnach bei Paulus nicht Ausdruck einer autonomen Selbstbestimmung wie in der philosophischen Ethik des klassischen Griechentums und des Hellenismus, sonWie er es bereits mit ἐγκράτεια getan hat, scheint er auch hier verschiedene Gedanken miteinander zu verschmelzen. 589 Für beides plädiert Zeller 2010, 323. 590 S.o. S. 158. 591 Vgl. Zeller 2010, 324. 592 S.o. S. 47. 593 Mitchell 1991, 136.

3.4 Gedankliche Kartierung

203

dern die Gestalt christlicher Lebensführung, die unter dem Einfluß des Geistes Gottes auf alles verzichtet, was sie von der Orientierung an der eschatologischen Vollendung abhalten könnte.594

Logische Struktur und Argumentationsebenen Ohne auf der Textoberfläche angezeigt zu sein, liegt dem Abschnitt ein logischer Schluss zugrunde: Paulus stellt den Korinthern vor Augen, dass es vollkommenen Einsatzes und großer Selbstkontrolle bedarf, den eschatologischen Siegespreis zu erlangen (K). Wie dies aussehen kann, demonstriert er in 9,26 f. am eigenen Beispiel. Als Argument führt er ins Feld, dass es schon im Sport äußerster Anstrengung und vollkommener Selbstkontrolle bedürfe, um den Kampfpreis zu erlangen (D). Die implizite, a fortiori gebildete Schlussregel lautet: „Was für den Sport gilt, gilt umso mehr für die Gläubigen“ (SR). Sie wird gestützt durch das in 9,25 beschriebene Überbietungsverhältnis: „Unser“ Siegeskranz ist im Gegensatz zum Siegeskranz, den die Athleten erringen, unvergänglich (S). Zeller merkt an: „Autoren, die auch Kap. 9 nach den klassischen Redeelementen unterteilen […], sprechen diese Verse als peroratio an. Aber die dafür typische kurze Zusammenfassung sowie die Erregung von Gefühlen fehlen.“595 Was die eher lockere Anbindung des Abschnitts an die vorangegangenen Gedanken anbelangt, ist ihm recht zu geben. Im kleinen Maßstab zielen die Verse jedoch durchaus auf eine emotionale Reaktion. Das Selbstbeispiel des Paulus stärkt sein Ethos.596 Auch die verhalten lustige Note, die an einigen Stellen anklingt, erleichtert der Hörerschaft die Zustimmung. Zugleich zielen sowohl die Steigerungsbewegung innerhalb dieses Selbstbeispiels, die bis zum Bruch der Bildwelt reicht, als auch die Darstellung des sportlichen Sieges als Ausnahmeerscheinung (9,24) auf eine emotionale Verstärkung des Gesagten. Gerade in Anbetracht der Forderung von ἐγκράτεια untergräbt diese Zuspitzung wohl das Selbstverständnis der Hörer. Aufschlussreich ist ein Blick auf den Laster- und Tugendkatalog in Gal 5. Gal 5,23 nennt ἐγκράτεια im Gegensatz zu einer Liste, die verschiedene Abschattungen von Unzucht, Götzendienst, Streit, Parteiungen und Völlerei bietet (Gal 5,19–21) und im Horizont der Vorwürfe in 1 Kor durchaus auch auf die Korinther anzuwenden wäre. Gerade dass Paulus dieser Katalog „aus der hellenistischen Umwelt zugeflossen“597 sein wird, erhöht nur die Wahrscheinlichkeit, dass eben solche Konnotationen aufgerufen und von der Hörerschaft als entsprechende Forderungen vor der Drohfolie des Heilsverlusts verstanden wurden. 594 Brändl 2005, 202. Vgl. auch Grundmann 1935, 340: Paulus fordere ἐγκράτεια nicht wie gemeinhin üblich um der Tugend und Askese willen, sondern „um des Zieles willen, dem er zustrebt, um des Auftrags willen, den er hat, um der Aufgabe willen, die er erfüllen muß“. 595 Zeller 2010, 320. 596 Vgl. Schüssler Fiorenza 1987, 393. Das positive Selbstbeispiel stärke das „ethos as a reflection on one’s own good character“. 597 Grundmann 1935, 340, verweist auch auf die Bezeichnung als Charisma in 1 Kor 7,7. Dort jedoch in ausschließlich sexuellem Sinne.

204 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Die Grundbewegung des Abschnitts ist induktiv und damit wirklichkeitsetablierend. Er schließt vom Beispiel der Sportwelt auf einen allgemeingültigen, geistlichen Sachverhalt. Korreliert werden beide Größen durch den wirklichkeitsbeschreibenden Schluss a minori ad maius, der wie eben beschrieben als Schlussregel fungiert.598 Untergeordnet operieren einige quasi-logische Figuren, etwa die lächerliche Vorstellung der inkompetenten Athleten in 9,26.599 b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang Der Abschnitt schließt an den in 9,1–23 angeführten Gedanken der Selbstverleugnung um des Evangeliums willen an. Das vielfach betonte πᾶς nimmt das „catchword“ aus 9,12.19.22 auf und markiert so eine weitere Anwendung des „Apostle’s principal: everything for the sake of the Gospel“600. Auch, dass Paulus die Selbstkontrolle nicht als absolutes Ideal, das einen Wert an sich darstellt, versteht, sondern sie auf ein Ziel hin orientiert, das er zumindest am eigenen Beispiel an seine Verkündigungstätigkeit rückbindet (9,27), führt diese gedankliche Linie fort. Indem er die philosophisch-ethisch geprägte Argumentation anhand der Sportwelt auf ein eschatologisch orientiertes gedankliches Gleis umsetzt, bereitet er die Argumentation in Kapitel 10 vor. Diese ist weitgehend am apokalyptischen Rhetorolekt orientiert, indem sie Gottes Wesen und sein souveränes Handeln in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu ihrem Bezugspunkt nimmt.601 3.4.2 10,1–5 3.4.2.1 10,1–4: Das Erleben „unserer Väter“ im Guten … Der Gedankensprung zur Wüstengeneration, den 10,1 vollzieht, erklärt sich keineswegs von selbst.602 Nicht umsonst ist die disclosure-Formel οὐ θέλω γὰρ ὑμᾶς ἀγνοεῖν vielfach als deutliches Zeichen eines Neuansatzes verstanden worden. Stutzen lässt jedoch die Formulierung mit γάρ, die einen Anschluss an das Vorangegangene signalisiert (s. o. ‎3.1.2.1). Dem Abschnitt 10,1–5 scheint in seiner Gesamtaussage zumindest eine 9,24–27 stützende Funktion zuzukommen. Wie genau dies argumentationslogisch aufzuschlüsseln ist, wird sich erst nach der Analyse der 598 Es handelt sich um ein „Argument der doppelten Hierarchie“ (Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004, 487), genauer gesagt ein „hierarchisch gegliedertes Beispiel“ (Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004, 502 f.), wobei die angeführten Beispiele innerhalb einer Bildwelt bleiben. 599 Das Lächerliche ist nach Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004 stets Teil einer quasi-logischen Argumentationsbewegung, weil es einen inneren Widerspruch aufdeckt (vgl. Perelman/OlbrechtsTyteca 2004, 289–295 [§ 49]). 600 Pfitzner 1967, 88. 601 S.o. S. 47. 602 Vgl. Schaller 2001, 169.

3.4 Gedankliche Kartierung

205

Folgeverse zeigen. In jedem Falle fordert das γάρ jedoch dazu auf, das Folgende unter diesem Aspekt zu hören. Der Abschnitt ist in seiner Argumentation induktiv und damit wirklichkeitsetablierend angelegt. Die formalisierte Eingangswendung verschleiert, inwieweit die referierten Ereignisse der Hörerschaft tatsächlich bekannt sind. „In erster Linie handelt es sich um ein rhetorisches Mittel, das darauf abzielt, Aufmerksamkeit zu erwecken. Daß mit ihr ein den Lesern/Hörern unbekannter Sachverhalt eingeleitet wird, ist möglich, aber nicht ohne weiteres ausgemacht.“603 Nicht umsonst entzündet sich an dieser Frage eine weitläufige Debatte.604 Um dem Gedankengang folgen zu können, müssen die Hörer zumindest in der Lage sein, die Wüstengeneration und Mose einordnen zu können. Ob sie sie bereits als „unsere Väter“ anerkennen, bleibt unklar. Paulus könnte ihnen diese Identifikation hier auch soufflieren.605 Zumindest aber rechnet er nicht damit, diesbezüglich auf Widerspruch zu stoßen. Das hätte eine ausschweifendere Argumentation nötig gemacht. Hatte Paulus sich der Gemeinde in Kapitel 9 vor allem als Vorbild präsentiert, verändert sich nun seine Position. Teils geht er in der Gemeinde auf, teils steht er ihr als Lehrer gegenüber. Spricht er in 10,1a mit der Stimme des Lehrers, schließt er sich schon in 10,1b wieder mit seinen Hörern zusammen. Wie 9,25 vom gemeinsamen Siegespreis sprach, schaut Paulus zusammen mit der Gemeinde auf die Wüstengeneration als die gemeinsamen „Väter“. Auch die Anrede ἀδελφοί betont die Verbundenheit von Paulus und Gemeinde und ist auf dem Gebiet der ethischen Überzeugungsmittel zu verorten.606 Die Tatsache, dass die Väter alle unter der Wolke waren und durch das Meer gingen, muss, wenn auch womöglich nicht allgemein bekannt, doch als unstrittig vorausgesetzt werden. Die Beiläufigkeit der Formulierung spricht dagegen, dass es Paulus um ihre Details und Abweichungen vom biblischen Wortlaut geht, etwa die Positionierung Israels unter der Wolke.607 Auffälliger ist die mehrfache Wiederholung von πάντες, die die gemeinsame Erfahrung aller Israeliten betont.608 Das erste πάντες der längeren Reihe sticht beim Schaller 2001, 171, Anm. 13. Hahn 2006, 351, schließt aufgrund der disclosure-Formel auf eine urchristliche Tradition, in der Taufe und Herrenmahl bereits miteinander verbunden waren. Den Korinthern sei diese Tradition jedoch neu. Barrett 1968, 220 erwägt einen Exodus-Midrasch im Hintergrund. 605 Letzteres vermutet Hays 1998, 160. 606 Die Strategie ließe sich ab iudicum persona verstehen. Vgl. auch Cic. de orat. 2,43,115 zum Gewicht der captatio benevolentiae am Beginn einer Rede; ferner Quint. inst. 4,1,5.30. Eine Übersicht bietet Andoková 2016, 2–5. 607 Freilich mögen Motiv und Formulierung einen bestimmten biblischen Hintergrund konnotieren, Paulus legt aber augenscheinlich keinen solchen Nachdruck darauf, dass er an dieser Stelle von zentraler argumentativer Bedeutung wäre. Vielmehr deutet Paulus Wolke und Meer ja selbst im Folgevers. Works 2014, 60 f., betont hier sehr stark den Aspekt der Gottesgegenwart: Die Wolke ist Erinnerung daran, dass die Existenz im Glauben auf Gottes Handeln beruht. Diese Zuspitzung scheint hier jedoch entweder willkürlich oder einseitig. 608 Vgl. Works 2014, 53, und oben S. 162. 603 604

206 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Hören nicht besonders hervor. Spätestens seine eindringliche Wiederholung lässt jedoch an 9,24 denken, wo die Rede davon war, dass alle (πάντες) laufen, aber nur einer den Kampfpreis erringt, ferner an 9,25, wo jeder Athlet sich in Enthaltsamkeit üben muss.609 Ehe eine ganz ähnliche Aussage in 10,5 getroffen wird, fügt Paulus der Erinnerung an die Wüstengeneration jedoch weitere Erklärungen, die das Motiv für ihn rhetorisch nutzbar machen, hinzu. Die Berührung mit Wolke und Meer bezeichnet er als Taufe auf Mose (10,2).610 Speise und Trank der Wüstengeneration bezeichnet er als πνευματικός und ebnet so den Weg für die Deutung, Christus selbst sei der Wüstengeneration in Gestalt des Wasser spendenden Felsens begegnet. Diese Details werden nicht erläutert, sondern schlicht (voraus-)gesetzt und in Erinnerung gerufen.611 Weder hinsichtlich des Hinweises auf die Taufe noch hinsichtlich des Hinweises auf das Herrenmahl deutet etwas im Text darauf hin, dass Paulus sich für seine Auslegung rechtfertigen müsste. Entsprechend stützen diese Bemerkungen die Argumentation, sind aber nicht ihr Ziel. Diese Beobachtung steht in einem Missverhältnis zum interpretatorischen Aufwand, der schon seit den Tagen der Alten Kirche612 um 10,3 f. betrieben wurde. Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob Speise und Trank „pneumatische Kraft“ vermitteln,613 ob ein pragmatischer Sprachgebrauch vorliegt, der beidem lediglich eine übernatürliche Qualität oder Herkunft beimisst,614 oder

609 Gewissermaßen spiegelt 10,1–11 das Beispiel 9,24 f. in seinem Aufbau wider und entfaltet es zur negativen Seite: dem Vorbild des Athleten steht das negative Vorbild der Väter gegenüber, der Selbstkontrolle des Athleten ihre Begierde. 610 Die textkritische Frage, ob das ungewöhnliche Medium des Mehrheitstextes oder das Passiv ἐβαπτίσθησαν ursprünglich sei (vgl.  Zeller 2010, 324, Anm. 291), macht für die Pragmatik der Passage hier keinen Unterschied. Sie wird erst im Lichte einer möglichen Proselytentaufe im Hintergrund der Vorstellung relevant (s. o. Anm. 104). Mitchell 1991, 138, Anm. 436, weist auf Ähnlichkeiten der Formulierung mit 1 Kor  1,13.15 hin (ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε;) und erkennt einen Verweis auf das eigentliche Thema des Briefes, Spaltungen in der Gemeinde: „Moses is claimed as ancestor/leader in Jewish literature, and is thus an object of Jewish boasts (corresponding to Corinthian factionalists’ boasts in their baptizer).“ Eher scheinen beide Formulierungen jedoch je eigenständig mit der Taufformel zu spielen. (Bemerkenswerterweise fehlt diese in der Korintherkorrespondenz). Die Angabe ἐν τῇ νεφέλῃ καὶ ἐν τῇ θαλάσσῃ wird eher lokal als instrumental zu verstehen sein. Im Taufzusammenhang wird die Präposition stets in diesem Sinne gebraucht (vgl. Fee 1987, 445, Anm. 21, gegen Bandstra 1971 und dessen Deutung von Apg 11,16). 611 Vgl. Schaller 2001, 173: „Die Kürze, mit der Paulus diese Deutung einbringt […] dürfte darauf hinweisen, daß hier eine gängige, geradezu sakramental angelegte Auslegung des Manna zugrundeliegt.“ Er verweist ferner auf Joh 6,53–58. 612 Vgl. Zeller 2010, 323. 613 So etwa Klauck 1982, 25, im Anschluss an Käsemann, denn „Manna und Wasser behalten für den Leser ebenso wie die Elemente des Herrenmahls ihren realen, stofflichen Aspekt, oder der Vergleich würde hinfällig.“ Es könne sich also nicht um überirdische Nahrung handeln. 614 So etwa Fee 1987, 446 f.: „It points to a ‚spiritual reality‘ beyond that which meets the eye.“ Entsprechend könne auch der Fels selbst πνευματικός sein, der sakramentale Kraft (wenn überhaupt) nur indirekt vermittele.

3.4 Gedankliche Kartierung

207

ob die treffende Auslegung irgendwo in der Mitte liegt.615 Da die erste Option im Text selbst nicht gestützt wird, liegt eine abgetönte Auslegungsvariante näher, wie sie etwa Fitzmyer formuliert: „The food is called ‚spiritual‘ by Paul, mainly because it was given to them by God in a wondrous way.“616 In jedem Falle ist es nicht die Qualifikation von Speise und Trank als pneumatisch, die allein eine Analogie zum Herrenmahl nahelegt.617 Ausweislich des frühchristlichen Zeugnisses in Did 10,3 und IgnRom 7,3 scheint vor allem das Begriffspaar entsprechend geprägt gewesen zu sein.618 Aus argumentationstheoretischer Perspektive von viel größerem Interesse als diese Fragen ist jedoch das in 10,4 mit γάρ angezeigte Begründungsverhältnis.619 Weil die Wüstengeneration Wasser vom Felsen trank, der mit Christus identisch ist (D), empfing sie geistlichen Trank (K).620 Die implizite Schlussregel bringt Christus und den Geist in nächste Nähe zueinander, identifiziert sie womöglich. Das eine bedingt das andere.621 Hierin liegt die Pointe der Erläuterung: Die „Väter“ waren Christi ebenso teilhaftig, wie die Korinther es sind.622 Die Vergangenheitsform, die 10,4c verwendet, ist im Vergleich zu ähnlichen, einen biblischen Sachverhalt auslegenden, glossenhaften Bemerkungen einzigartig. 615 Hahn 2006, 343, sieht hier im Geist eine „das Heilswirken des himmlischen Christus vermittelnde Realität“ und ordnet die Passage in eine Reihe mit 1 Kor 12,4–6 und 2 Kor 3,14–17 ein. Womöglich sollten die Optionen jedoch nicht gegeneinander ausgespielt werden. Zeller 2010, 327 f., erinnert daran, dass der himmlische Charakter des Manna biblisch wiederholt betont und die Honigwabe des Engelsfürsten in JosAs 16,14 als Lebensgeist bezeichnet wird und dass Did 10,3 die eucharistische Speise von der gewöhnlichen als πνευματικός absetzt. Eine systematisierende Übersicht über die Optionen gibt Oropeza 2000, 111–113, im Anschluss an Wedderburn 1987, 241 f. 616 Fitzmyer 2008, 382. Schon die Fortsetzung des Satzes („… and it symbolized His presence among them through the gift of His Spirit [Neh 9:20]“) mag jedoch kritisiert werden. Ebenfalls ausgleichend, aber von einer anderen Warte wertet Oropeza 2000, 113, den Gebrauch von πνευματικός rhetorisch aus: „The elements of supernatural, eschatological, and Spirit-conveyance may all be implied because Paul is essentially saying that regardless of which ways the Corinthians thought themselves pneumatics, the Israelites were likewise pneumatics.“ 617 Sandelin 1997, 171, betont mit Nachdruck, πνευματικός sei gerade keine „sacramental terminology“. Wie aus 1 Kor 11,20 ersichtlich, sähe diese bei Paulus anders aus (ausführlicher begründet in Sandelin 1987, 162 f.167 f.). Da es Paulus aber gerade um die Analogie zum Herrenmahl zu gehen scheint, ist dies eine weiteres Argument, πνευματικός in erster Linie als „übernatürlicher Qualität“ zu verstehen und nicht zu überinterpretieren. 618 Vgl. Conzelmann 1981, 204. Skeptisch äußert sich Broer 1989, 311. 619 Vgl. Fee 1987, 447, Anm. 32, zum γάρ in 10,4b. 620 Davidson 1981, 245, erwägt, ob eine entsprechende Erklärung in 10,3 fehlt, weil eine spiritualisierende Deutung des Manna aus der Tradition hinreichend geläufig war. 621 Hier verweist Klauck 1982, 25, wohl zurecht auf 2 Kor 3,17 und den Geist als „Seinsweise des Erhöhten“. Debanné 2006b schlägt hingegen anderes vor. Seine Deutung fußt auf der Entscheidung, auch τὸ αὐτό auf die Gemeinsamkeit zwischen Vätergeneration und Hörerschaft zu beziehen. Vom Text her liegt es jedoch näher, dies nicht zu tun (s. u. Anm. 639). 622 Vgl. Zeller 2010, 328: Es soll „deutlich werden, dass die Israeliten ebenso gute Heilsbedingungen hatten wie die Christen, weil die geistlichen Gaben denselben Ursprung hatten“. Im Lichte des weiteren Gedankengangs ist der Kommentar von daher keineswegs „superfluous to the hortatorydidactic context of the passage“ (Enns 1996, 32).

208 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Sonst stehen diese im Präsens.623 Diese Historisierung der Auslegung betont die tatsächliche Gegenwart Christi bei der Wüstengeneration.624 Väter wie Korinther machen „die Erfahrung von heilsamen, lebensrettenden Gaben, bevor das eigentliche Heilsziel erreicht ist“625. Die Gleichsetzung Christi mit dem Felsen macht diesen Gedanken plastisch und bietet ihn in einer für die Hörer eingängigen Form dar.626 Ähnliches leistet die Reformulierung von 10,1 als Taufgeschehen in 10,2. Koch merkt an, 10,2 wirke „wie eine nachträgliche exegetische Bemerkung“627, und auch Michael Cover kommt zum Schluss, es handele sich analog zu 10,4c um eine Glosse, die die biblischen Geschehnisse auf die Hörerschaft hin aktualisiert, und übersetzt das satzeinleitende καί epexegetisch.628 Die Parallele der Angabe εἰς τὸν Μωϋσῆν ἐβαπτίσθησαν zur christlichen Taufformel εἰς τὸ ὄνομα ist – trotz des Fehlens von ὄνομα – unübersehbar.629 Die Angaben des Verses sind narrative Abbreviatur und somit […] Hinweis auf den Kern eines umfangreichen Erzählzusammenhangs: Mit dem Namen des Mose verbindet Paulus ein besonderes Eingreifen Gottes in die Wirklichkeit des Kosmos, mit der Taufe eine grundlegende Veränderung der individuellen und kollektiven Existenz.630

Beide Größen wollen bedacht werden, doch wird der Ersthörerschaft an dieser Stelle vieles unmittelbar klar sein, was uns verschlossen ist. Entsprechend wird der Taufbegriff erst nach erfolgter Analyse des gesamten Textes und der Berücksichtigung seines Anliegens gefüllt werden können, ist es doch gerade nicht das Anliegen der Verse, Informationen über die Taufe zu vermitteln. Von dort aus wird auch zu entscheiden sein, wie die „Taufelemente“ Wolke und Meer hier zu verstehen sind.631 Was die Nennung des Mose anbelangt, wäre der Bezug auf die MoseExodus-Tradition auch ohne sie hinreichend deutlich markiert.632 Folglich geht die Vgl. Cover 2015, 68; ferner 1 Kor 15,56 und Anm. 385. Vgl. Robertson/Plummer 1914, 201. 625 Schaller 2001, 174. 626 Vgl. Hays 1989, 97. 627 Koch 1986, 214. 628 Vgl. Cover 2015, 68. Ganz ähnlich übersetzt Schneider 2011, 239, als kai explicativum „und somit“, weil „ein einfaches koordinierendes kai, die erneute Nennung von Wolke und Meer […] als bloße, an dieser Stelle unangebrachte Wiederholung erscheinen lässt“ (Schneider 2011, 205). Cover überzeichnet die Strukturparallele jedoch, wenn er schließt: „This confirms the initial suspicion that 1 Cor 10:1–5 entails a fourfold rather than five-fold pattern, governed by implicit authorial exegetical controls“, und 10,1–4 entsprechend in zwei biblische Paraphrasen (10,1.3–4a), gefolgt von zwei aktualisierenden Glossen gliedert (10,2; 10,4b.c). 629 Vgl. für Paulus 1 Kor 1,13–15. 630 Schneider 2011, 205. 631 Nicht nur aufgrund fehlender Hinweise im Zusammenhang, sondern auch im Lichte der Bezugstexte unwahrscheinlich ist die Deutung bei Bandstra 1971, 8, Wolke und Meer seien „references to the two elemental ordeal powers, fire and water“ im Anschluss an Kline. Da die Israeliten ja nicht in die Wolke getaucht wurden, bedeute „taufen“ hier ein „‚judgment ordeal‘ […] an ordeal through which he declared them accepted as the servant people of his covenant and so under the authority of Moses, his mediatorial viceregent“ (Kline 1968, 70). 632 Vgl. Works 2014, 55. 623 624

3.4 Gedankliche Kartierung

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Nennung des Mosenamens nicht in dessen Funktion als Intertextualitätssignal auf und muss auch darüber hinaus inhaltlich relevant sein. Klauck mag über das Ziel hinausschießen, wenn er festhält: „Christus war nicht nur im Felsen gegenwärtig, sondern auch in der Gestalt des Moses, die zum Typus Christi wird.“633 In jedem Falle korrespondieren Mose und Christus einander, aber eine Bemerkung im Stile von 10,4c fehlt gerade. Eher ist anzunehmen, es gehe um Israels „assignment to Moses and incorporation into the fellowship established by him as a leader chosen by God“634. In jedem Falle ist die Hauptaussage der Verse eindeutig: Als Empfänger von Taufe und durch Christus bestimmter geistlicher Nahrung wird die Erfahrung der „Väter“ mit den Erfahrungen der Hörerschaft korreliert, der Taufe und Herrenmahl wohl vertraut sind. In diesem Lichte wächst auch dem wiederholt betonten πάντες eine weitere Funktion zu: Es verstärkt die Analogie zu den Korinthern, die ebenfalls alle am Herrenmahl teilhaben (10,17) und alle getauft wurden (12,13).635 Dass dabei besonders ausführlich von Speise und Trank die Rede ist, bereitet die Anwendung des Beispiels auf die konkrete Streitfrage im Hintergrund vor und fügt das Beispiel in seinen Zusammenhang ein. [I]ndem Paulus eine Kontinuität zwischen dem Gottesvolk von damals und der ἐκκλησία τοῦ θεου […] heute herstellt, kann er anhand einer Strukturähnlichkeit eine Warnung für die Christen veranschaulichen. Dabei wird das atl. Geschehen den gegenwärtigen Verhältnissen angeglichen und so von vornherein daraufhin durchsichtig.636

3.4.2.2 10,5: … wie im Schlechten Der Eindruck, den die Schilderung der Wüstengeneration erwecken mag, ist der eines idealen Heilszustandes. Dieser wird nun korrigiert. Stärker noch als in 9,25 ist der emotionalisierende Effekt des Kontrasts anzusetzen. Rhetorischer Konvention gemäß kann die Erinnerung an die Väter zwar sowohl mit der Aufforderung verbunden sein, sie nachzuahmen, als auch mit der Warnung, ihr Vorbild zu meiden.637 In der Weise, wie sie beschrieben wird, lädt die Wüstengeneration die Hörerschaft jedoch deutlich zur Identifikation ein. Hatte Paulus den Korinthern in 9,24 f. die Athleten als Vorbild vor Augen gestellt, liegt es nahe, auch in den bis 10,4 durchweg positiv gezeichneten Vätern eine nachahmenswerte Größe zu sehen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. „Obwohl allen Israeliten unterschiedslos (was αὐτό in V. 3 f. 633 Klauck 1982, 253. In jedem Falle spricht dies gegen eine Gleichsetzung der Wolke mit Christus, wie sie mitunter vorgeschlagen wird. Wenn Christus beim Meereswunder „gegenwärtig“ gedacht ist, dann in der Gestalt des Mose. 634 Bandstra 1971, 7. Fee 1987, 445 stellt ganz auf die Erlöserfunktion ab: „As Moses was Israel’s deliverer, so Christ is theirs. No further analogy is intended; at least none is drawn.“ 635 So Works 2014, 53. 636 Zeller 2010, 327. 637 Nach Mitchell 1991, 42 f., ist es ein gängiges Motiv deliberativer Rhetorik, zur Nachahmung (mimesis) aufzurufen und die Vorväter als negatives oder positives Beispiel anzuführen. Sie führt verschiedene Beispiele antiker Redner an (Isokr. or. 6,82; 7,84; 8,36–37; Demosth. or. 15.25; u. a.).

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

unterstreicht)638 diese Gnadenmittel zugänglich waren, fanden sie nicht alle Gottes Gefallen, die Mehrzahl ging zugrunde.“639 Gleiches betont das wiederholte πάντες. Je stärker die „uneingeschränkte Gewährung des göttlichen Heils“640 betont wird, desto schroffer ist der Kontrast. Vor dem Hintergrund der Wortwahl und der biblischen Tradition wird das Bild noch drastischer. Die Aussage (nicht etwa den Sachverhalt641), die Wüstengeneration habe Gott mehrheitlich nicht gefallen (K), begründet Paulus mit ihrer Vernichtung in der Wüste (D). Die zugrundeliegende Schlussregel: „Wer (trotz Gottes Führung) zugrunde geht, hat Gott nicht gefallen“ bzw. „Gott vernichtet die, die ihm gefallen, nicht“, ist ebenso evident wie die Schlussregel aus 10,4.642 In Anbetracht der Heilserfahrungen der Väter liegt ihr Scheitern gewiss nicht in Gottes Handeln begründet.643 Wenn jene aber allen Heilserfahrungen zum Trotz Gottes Wohlgefallen verspielen konnten, gilt dies per analogiam auch für die Korinther. Aus dieser Warte erschließt sich nun auch der Anschluss mit γάρ in 10,1: All dies teilt Paulus seinen Hörern mit, weil der christliche „Lauf “ einen größeren Einsatz verlangt als die Selbstkontrolle und Anstrengung des Athleten. Auch die Wüstengeneration hätte sich trotz der Heilserweise von Taufe und Herrenmahl weiter bewähren müssen.644 Doch wie der weitere Gedankengang zeigt, legte die Wüstengeneration ein Verhalten an den Tag, das die gebotene Selbstkontrolle aufs Schärfste vermissen lässt. Die rhetorische Pointe liegt darin, dass die Begierde die Wüstengeneration zum Abfall verleitet hat und damit zu einem Verhalten, das die „Sakramente“ nichtig macht.645 Sofern die Hörerschaft Paulus gedanklicher Bewegung folgt, wird sie nach 10,5 erfahren wollen, worin das Fehlverhalten der Väter bestanden hat, um es selbst vermeiden zu können.

638 In diesem Sinne wird τὸ αὐτὸ πνευματικὸν βρῶμα und τὸ αὐτὸ πνευματικὸν πόμα zu verstehen sein. So etwa auch Barrett 1968, 221 f.; Fee 1987, 446, Anm. 28; Zeller 2010, 328. Wenn Senft 1979, 129, dagegen meint: „L’analogie est encore soulignée par τὸ αὐτό, la même nourriture, le même breuvage: Israël, comme l’Église, est constitué peuple de Dieu par la participation au repas sacramentel (cf v. 17)“, erfasst er die Stoßrichtung des Textes zwar ganz richtig, nur dient dieses sprachliche Detail eben nicht dem gleichen Gedanken. 639 Klauck 1982, 256. 640 Hahn 2006, 342. 641 Fee 1987, 450, übersetzt γάρ hier zurecht erklärend mit „‚as is evidenced‘“. Die Alternative, dass die Väter Gott nicht gefielen, weil sie (durch ihn) niedergestreckt wurden, wäre absurd. 642 Beides sind nur Nebenschauplätze der eigentlichen Argumentation. Paulus argumentiert wirklichkeitsetablierend, ausgehend von allgemein anerkannten/unmittelbar einsichtigen Schlussregeln. 643 Vgl. Zeller 2010, 329. 644 Vgl.  Klauck 1982, 252: „Eine eher lockere Verbindung kann man in der Gefahr des Heilsverlusts bei mangelnder Bewährung erblicken.“ Jedoch scheint die Verbindung enger als Klauck annimmt. 645 Dazu bedarf es nicht der Annahme eines „Sakramentalismus“ der Korinther (vgl. Zeller 2010, 329, und seinen Verweis auf Lindemann 2000, 223, zu 10,16).

3.4 Gedankliche Kartierung

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3.4.2.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Durch die Anführung des biblischen Erzählzusammenhangs ruft Paulus einen gedanklichen Rahmen auf, der unabhängig von der Welterfahrung seiner Hörerschaft existiert, sensibilisiert seine Hörerschaft durch die forcierte Verbindung zwischen ihnen und den Vätern jedoch für Kontinuitäten zwischen beiden Welten. Für Hörer, die mit der innerbiblischen Exodusrezeption vertraut sind, wird die Wendung ins Negative mit 10,5 kaum überraschend kommen, doch in jedem Falle bestimmt sie durch Achtergewicht und Kontrast zur Schilderung von 10,1–4 den Gesamteindruck des Abschnitts. Wie bereits in 9,24–27 angebahnt, bewegt sich 10,1–5 damit vor allem in einem („apokalyptischen“) Rhetorolekt, der sich wesentlich aus der Vorstellung eines göttlichen Gerichts speist und typischerweise mit Gottes Charakter und Handeln argumentiert.646 Logische Struktur und Argumentationsebenen Tatsächlich stellt Gottes Gerichtshandeln den argumentativen Angelpunkt des Abschnitts dar. Zwar wird auch in 10,1–4 die logische Struktur nicht offen verbalisiert. Die Verse zielen aber darauf zu demonstrieren, dass Gottes Handeln an den Vätern seinem Handeln an den Korinthern entspricht. Wenn die Väter getauft wurden, an pneumatischer Speise und pneumatischem Trank teilhaben (D1) und Paulus gleiches über sich und seine Hörerschaft sagen könnte (D2), lautet der implizite Schluss, dass die Väter in einer analogen Situation zu den Gläubigen der Gegenwart stehen (K). Gewährleistet wird diese Übertragung durch das, was die nouvelle rhétorique die „Gerechtigkeitsregel“ nennt. Dieses quasi-logische Argumentationsschema „verlangt […] eine identische Behandlung von […] Situationen […], die man in ein und dieselbe Kategorie einordnet“647. Da 10,1–4 göttliches Handeln im Blick hat, ist diese Schlussregel hier zu theologisieren: Gott bzw. Christus handelt über die Zeiten hinweg vergleichbar an seinem Volk (SR). Paulus unterstützt den rhetorischen Effekt seiner Worte mit mäßig emotionalisierender Strategie. Die Anrede „Geschwister“ kann als ethisches Überzeugungsmittel verstanden werden. Auch hat schon der bloße Bezug auf Mose und die Ahnen überzeugenden Effekt, „since antiquity was a highly-prized commodity in the ancient world“648. Zu Buche schlägt die emotionalisierende Überzeugungsstrategie erst mit 10,5. Die Dissoziation von tatsächlichem und im Lichte von 10,1–4 erwartbarem Schicksal der S.o. S. 47. Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004, 307 (§ 52). 648 Works 2014, 53. 646 647

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Väter wirkt stark emotionalisierend und verstärkt so den rhetorischen Effekt. 10,1–4 hat dies maßgeblich vorbereitet, denn die dort gezogene Schlussfolgerung (K) wird hier zur neuen Schlussregel (SR). Der implizite Schluss lautet: Die Väter wurden vernichtet (D), ihr Gottesverhältnis ist unserem analog (SR), auch wir drohen vernichtet zu werden (wenn unser Verhalten ihrem Verhalten gleicht) (K). „Now, Paul rhetorically has them [the Corinthians] in a place to listen to what they need to do to avoid being ‚overthrown‘ like their ancestors.“649 Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Paulus schildert das Ergehen der Väter zwar im Lichte der ihm gegenwärtigen Wirklichkeit, die Denkrichtung des Abschnitts richtet sich aber von der Vergangenheit in die Gegenwart. Seine argumentative Grundbewegung ist wirklichkeitsetablierend. Die Väter werden nicht nur illustrativ angeführt, sondern als Inbegriff göttlichen Handelns. Anhand des biblischen Beispiels entwirft Paulus ein Plausibilitätsgefüge, das nicht an die Welterfahrung seiner Hörerschaft gebunden ist, von dem er aber erwarten kann, dass es zumindest seiner biblischen Autorität wegen anerkannt wird. Zudem deutet die Selbstverständlichkeit, mit der er von „unseren Vätern“ spricht, darauf hin, dass es den Korinthern nicht völlig fremd ist, sich in Kontinuität zum Volk Israel zu sehen. Ausdruck dieser Grundgewissheit auf Seiten des Paulus ist es, dass er die Angaben zum Ergehen „unserer“ Väter und damit die beiden wesentlichen Daten des Abschnitts (s. o.) nicht begründet, sondern lediglich berichtet. Diese Freiheit gibt ihm Gelegenheit zu einer zweiten, dissoziativen Argumentationsbewegung, die die Verbindung von Heilsgaben und heilvollem Ergehen auflöst. b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang Der Abschnitt 10,1–5 hat eine belehrende Absicht und bahnt die Ausführungen in 10,6–11 an, welche Verhaltensweisen von der Hörerschaft unterlassen werden sollten.650 Ein zunächst sachfremd erscheinendes Geschehen in die Argumentation einzuflechten, ist für deliberative Zusammenhänge typisch.651 Nach oben knüpft 10,1–5 an die in 9,24–27 beschworene Gefahr an: auch die Erfahrungen von Taufe und Herrenmahl garantieren für sich allein nicht den Bestand der Heilsgemeinschaft. Gordon Fee verschmilzt die Bildwelten und resümiert: „Nevertheless […] they [the fathers] failed to obtain the prize.“652 Damit verstärkt 10,1–5 die in 9,24–27 formulierte Mahnung zu Einsatz und Selbstkontrolle. Nach unten bereitet der Abschnitt die Entfaltung des negativen Verhaltens der Wüstengeneration in 10,6–11 vor. Schließlich lässt 10,5 dort eine Leerstelle und hält Works 2014, 64. Vgl. Hays 1989, 91: „Here again the argumentative purpose is deliberative, seeking to persuade the readers to action.” Man möchte hinzufügen „or rather inaction“. 651 Vgl. Aristot. rhet. 3,17, 1418a. 652 Fee 1987, 449. 649 650

3.4 Gedankliche Kartierung

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zwar fest, dass die Väter vernichtet wurden, jedoch nicht, warum. Die Vernichtung der Väter wird in 10,6–11 wiederholt als Argument begegnen (D). Die Schlussfolgerung aus 10,1–4, die Entsprechung des Gottesverhältnisses von Vätern und Gläubigen der Gegenwart (K), fungiert dort als Schlussregel (SR). Ferner bereiten die Anspielungen auf das Herrenmahl in 10,3 f. die entsprechenden Aussagen in 10,16 f. vor, wobei die Berührungspunkte eher inhaltlicher, nicht terminologischer Art sind.653 3.4.3 10,6–11 Die drohende Gefahr des Heilsverlusts macht es nunmehr nötig, zu erfahren, worin das Fehlverhalten der Väter bestanden hat, um es selbst vermeiden zu können. Dem widmet sich Paulus in 10,6–11. Der Abschnitt macht die Analogie zwischen der Situation der Wüstengeneration und der der Hörerschaft explizit und leitet daraus konkrete Mahnungen ab. Der Text argumentiert folglich weiter induktiv und wirklichkeitsetablierend. 3.4.3.1 10,6: Die Väter als τύποι des Begehrens Zunächst spricht 10,6a aus, was in 10,1–5 implizit geblieben war: ταῦτα δὲ τύποι ἡμῶν ἐγενήθησαν. 10,6b gibt den Zweck an: εἰς τὸ μὴ εἶναι ἡμᾶς ἐπιθυμητὰς κακῶν, καθὼς κἀκεῖνοι ἐπεθύμησαν. Der Vers ist für die Einordnung der folgenden biblischen Anspielungen entscheidend. Seine Übersetzung ist jedoch mit einigen Schwierigkeiten behaftet. Bereits ταῦτα lässt sich auf zweifache Weise verstehen.654 Entweder es ist Subjekt des Satzes, so dass „diese [in 10,1–5 berichteten] Dinge“ für uns als τύποι geschehen sind,655 oder die Väter bleiben Subjekt und ταῦτα wird als Accusativus graecus aufgefasst. Dann wurden die Väter „hinsichtlich dieser Dinge“ zu τύποι.656 Im parallel formulierten Vers 10,11 ist ersteres der Fall. Anders als in 10,6 verbindet sich ταῦτα dort jedoch auch mit einem Verb im Singular (συνέβαινεν). Überhaupt kann der Gebrauch in 10,11 für den Höreffekt nicht als Argument ins Feld geführt werden. Im Hör- bzw. Lesefluss steht 10,6 ja voran und wird entsprechend ohne Bindung an die Formulierung von 10,11 wahrgenommen. Zudem spricht einiges dafür, dass Paulus ganz grundsätzlich keine Ereignisse, sondern nur Personen als τύποι bezeichnen kann.657 Nicht umsonst findet sich in Bezug auf 653 Dies betont vor allem Sandelin 1997, neigt jedoch dazu, die Unterschiede zwischen 10,3 f. und 10,16 f. aufgrund seiner Frontstellung gegen die Sakramentalismusthese überzubetonen. 654 Vgl. Ostmeyer 2000, 136. 655 Vgl. Zeller 2010, 330 unter Verweis auf Conzelmann 1981, 201, Anm. 6. Der Numerus des Verbs würde sich in diesem Falle nach dem Prädikatsnomen richten. 656 So etwa Wolff 1990, 211; Ostmeyer 2000, 137–139 mit Verweisen in Anm. 4; Fitzmyer 2008, 384. 657 Vgl. Schunack 2011b, 898.

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„diese Dinge“ in 10,11 nur das Adverb τυπικῶς. Auf die umstrittene Bedeutung von τύπος ist oben bereits eingegangen worden (‎3.3.3.1). Die dort gewählte Deutung von τύπος als hermeneutischer Funktion fügt sich flüssig in den Gedankengang ein.658 Insgesamt ist der zweiten Option damit der Vorzug zu geben. Die Väter in der Wüste können zur Warnung dienen, denn ihnen ist sowohl Heil als auch, sofern sie ungehorsam waren, Strafe widerfahren. Damit repräsentieren sie die Gläubigen, denen ebenfalls Heil widerfuhr und denen bei zu großer Überheblichkeit der Fall droht (V. 12). Das Tertium comparationis bei diesem τύπος-Verständnis liegt auf dem Verhalten der Wüstenväter und der Gläubigen in Korinth und nicht auf Ereignissen.659

Dem Akzent auf den Vätern und ihrem Verhalten entsprechend, gibt 10,6 (bezeichnenderweise in Partizipialform und damit eng an die Größe „Väter“ angeschlossen) die erste Verhaltensweise der Väter an, die die Korinther nicht nachahmen sollen. Sie sollen nicht „Schlechtes Begehrende“ werden. Im Hintergrund der Formulierung steht das Verlangen der Wüstengeneration nach Fleisch, und damit nach mehr und anderer Nahrung, als Gott ihnen durch das Manna gibt, in Num 11 (s. o. ‎3.2.3.2h).660 Wie oben gezeigt wurde, spricht die Struktur des Abschnitts dafür, 10,6b als eine die Verse 10,7–10 einleitende und ihnen übergeordnete Bemerkung zu verstehen. Sie hat „in gewissem Sinne den Charakter einer Überschrift“661. Zum einen macht diese Bemerkung unmissverständlich deutlich, dass an den Vätern als τύποι Verhaltensweisen deutlich werden, die gerade nicht nachzuahmen sind. Was der Gedankengang bis 10,5 andeutete wird so explizit. Die Väter sind negatives exemplum.662 Das Negativbeispiel der Väter ist eine durchaus gängige Figur der deliberativen Rhetorik.663 Zum anderen ordnet 10,6b die nachfolgenden Verhaltensweisen Götzendienst (10,7), Unzucht (10,8), Christus Versuchen (10,9) und Murren (10,10) allesamt dem Schlagwort „Begehren“ unter. Damit ist keineswegs gesagt, dass auch Num 11 als Zentraltext des Abschnittes anzusprechen ist, der die Anspielungen in 10,7–10 bestimmt.664 Jedoch scheint der Text davon auszugehen, dass die Hörerschaft die 658 Natürlich schließt dies nicht aus, dass der Hörerschaft ταῦτα als Subjekt des Satzes versteht, doch „[w]ie auch immer, die Väter bzw. ihr Geschick dienen als warnendes Beispiel für die Christen“ (Zeller 2010, 330). 659 Ostmeyer 2000, 139. Als Argument führt er ferner das betonte πάντες ins Feld: Es sind die Väter auf denen die Aufmerksamkeit liegt. 660 Möchte man nach detaillierten Entsprechungen suchen, wäre die durch 10,3 f. angebahnte, jedoch erst ab 10,16 andeutungsweise ausgesprochene Entsprechung auf Seiten der Korinther ein Verlangen nach Götzenopferfleisch an Stelle des Herrenmahls. Inwiefern eine solche Übertragung intendiert ist, muss jedoch vorerst offenbleiben. 661 Hahn 2006, 347. S.o. S. 196–203. 662 Vgl. dazu Zeller 2010, 326. 663 Vgl. Mitchell 1991, 48, Anm. 127. 664 Vgl. Zeller 2010, 330.324, kritisch zu Collier 1994 und Konradt 2003, 374 f., die Num 11 als Basistext für das Folgende ausgeben, weil ἐπιθυμία der übergeordnete Punkt sei. Anders bereits Konradt 2020, 113115.

3.4 Gedankliche Kartierung

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aufgelisteten Verhaltensweisen plausibel mit der Kategorie „Begehren“ in Zusammenhang bringen kann. In der Tat ist das Verlangen der Wüstengeneration nach Fleisch, von dem Num 11 spricht, nur ein möglicher Bezugsrahmen des Schlagworts ἐπιθυμία. Verstünde man ἐπιθυμία als das „Paradigma der Sünde“665 schlechthin, erschlösse sich der Zusammenhang zu den folgenden Versen auch ohne Bezug auf die konkrete Begierde von Num 11.666 Daneben bindet die Wahl gerade dieses Begriffs das Beispiel der Wüstengeneration erneut zurück an die Sportsprache des Überleitungsabschnittes, indem es das Begriffspaar ἐγκράτεια – ἐπιθυμία vervollständigt.667 War dort die notwendige und universelle Selbstbeherrschung des Athleten hervorgehoben worden, wird nun deutlich, dass die Wüstengeneration eine solchen Selbstkontrolle gerade nicht an den Tag legte – ebenso wenig wie die Adressaten es zu tun scheinen.668 Die Mahnung an die Adressaten gewinnt durch dieses kleine Wort an Eindringlichkeit. Auch das „wir“ mag an 9,24–27 anschließen.669 Dazu passend kehrt sich das Verhältnis der Vergleichsgrößen im Gegenüber zu 10,1–5 nun um. Sprach Paulus dort noch von den Wüstenvätern auf eine Art und Weise, die für die Realität seiner Adressaten durchsichtig wurde, stellt er in den folgenden Versen, aber auch schon in 10,6 das (potentielle) Fehlverhalten der Korinther voran, dem er das Fehlverhalten und die Vernichtung der Väter als Vergleichsgröße beigesellt. Gerade wenn 10,6b das Fehlverhalten der Korinther mit einer Num 11 entlehnten Formulierung beschreibt, wird deutlich, wie sehr Paulus sich dabei auf die Exoduserzählungen stützt und die Väter als τύποι versteht. Bereits durch die sprachliche Reihenfolge verschiebt sich der Akzent jedoch auf das Fehlverhalten der Korinther und die Aufforderung, von ihm abzulassen: „Was Paulus nun zur Sprache bringt, läßt zwar erneut Texte der Exodusgeschichte laut werden, geschieht aber nicht mehr narrativ, sondern im Stil argumentativer Paränese.“670

665 Zeller 2010, 330; s. o. S. 160. Wenn Zeller daraus schließt: „Dass er auf die nach Fleischmahlzeiten in Tempeln süchtigen Korinther abzielt, ist also weniger evident,“ kann er jedoch auch keine Argumente anführen, die dagegen sprechen. 666 Works 2014, 79, spricht sich dafür aus ἐπιθυμία, nicht auf die Begierde nach Fleisch eng zu führen. Hätte Paulus das gewollt, hätte er diesen Num 11 naheliegenden Bezug hier ausgesprochen. Vgl. dazu Watson 2004, 384. 667 Sowohl 9,25 als auch 10,6 nutzen jeweils die Verbform ἐγκρατεύομαι bzw. ἐπιθυμέω, ein weiteres Indiz, dass es Paulus jeweils um den Vollzug der Handlung geht. 668 Zumindest suggeriert die Formulierung mit κἀκεῖνοι womöglich, dass die Korinther wie auch die Väter bereits Böses begehren. Vgl. Robertson/Plummer 1914, 203: „The κἀκεῖνοι is not logical, and perhaps ought to be omitted in translation; it means ‚they as well as you,‘ which assumes that the Corinthians have done what they are here charged not to do: cf. 1 Thess. iv. 13. Longing for past heathen pleasures may be meant.“ 669 Vgl. Fee 1987, 452, Anm. 8. 670 Schaller 2001, 176.

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

3.4.3.2 10,7–11: Die Lehre aus den Verfehlungen der Väter a 10,7 f.: Götzendienst und Sexualsünde Mit 10,7 beginnt die vierfache Erläuterung zur Mahnung 10,6b. Ganz im Sinne des Programms, die Väter und ihr Verhalten als τύποι der Adressaten zu begreifen, wird jede Mahnung durch eine Anspielung auf eine biblische Geschichte gestützt, die sichtbar macht, dass ein solches Verhalten verwerflich ist und göttliche Strafe nach sich zieht. Im Anschluss an 10,5 intensivieren die zusehends drastischer werdenden Strafschilderungen den abschreckenden Effekt.671 Eine Ausnahme zu diesem Muster bildet ausgerechnet der erste Vers, 10,7, der anstelle einer Vernichtungsaussage das Zitat von Ex 32,6b bietet. Schwer zu deuten ist ferner der Wechsel zwischen einem gemeinsamen Wir + Kohortativ und der Anrede der Adressaten mit der zweiten Person Plural + Imperativ. Von den Mahnungen 10,7 und 10,10 (keinen Götzendienst zu treiben und nicht zu murren) nimmt Paulus sich zumindest sprachlich aus. In den anderen Fällen hebt er die im Wir signalisierte Solidarität mit der Hörerschaft nicht auf. Am ehesten wird der Personenwechsel als Stilmittel aufzufassen sein, das die Mahnungen auflockert.672 Obwohl alle vier Verse 10,7–10 gleichermaßen unter der Überschrift ἐπιθυμία stehen, fällt eine besondere thematische Nähe zwischen jeweils 10,7 f. und 10,9 f. auf.673 Götzendienst und Sexualsünde (10,7 f.) gehören in der jüdischen Tradition konzeptuell ebenso zusammen wie die biblischen Bezugstexte, die Versuchung Christi/des Kyrios und das Murren Israels zusammendenken (10,9 f.). Besonders im Fall der Verse 10,7 f. ist augenfällig, dass sie an den Gedanken der ἐπιθυμία und darüber hinaus den Gedanken der athletischen Selbstkontrolle aus 9,25 anschließen. Das Exoduszitat spricht mit Essen, Trinken und dem ggf. sexuell konnotierten Spielen die beiden Bereiche an, auf denen Enthaltsamkeit für den Athleten in jedem Falle geboten war.674 Für die Hörer bedeutet dies, dass ihnen ihr „Siegeskranz“ durch das kritisierte Verhalten zu entgleiten droht. Die sexuelle Dimension des Problems erschließt sich auch bei Unkenntnis der Bedeutungsbreite von παίζω spätestens mit der Warnung vor sexueller Sünde im Folgevers. Dennoch verlangt der Vers selbst eine gewisse Schriftkompetenz, um seiner Logik folgen zu können. Der Zusammenhang zwischen der Warnung, Götzendienst zu unterlassen, und dem zitierten Vers erschließt sich nur im Wissen, dass „das Volk setzte sich zu essen und zu trinken und stand auf um zu spielen“ die kultischen Handlungen vor dem goldenen Kalb am Sinai beschreibt. Wer den Bezugstext hingegen kennt, kommt nicht umhin zu bemerken, dass es Paulus kontextgemäß geVgl. Koet 1996, 609: „These judgments are meant to impress the audience.“ Watson 1989, 318, verweist für diese Ansicht der antiken Rhetoriker auf Pseudo-Longinus, und zitiert: „‚variety and liveness is lent to the exposition by changes of case, tense, person, number, gender‘ (Subl. 23.2) […] ‚change of person gives … vivid effect …‘ (Subl. 26.1)“. 673 Für die Gliederung nach Zweierpärchen vgl. auch Hahn 2006, 347; Thiselton 2000, 741. 674 S.o. S. 199. 671 672

3.4 Gedankliche Kartierung

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rade um diese drei Handlungen zu gehen scheint. Um den bloßen Sachverhalt des Götzendienstes der Wüstenväter und seine Verwerflichkeit zu demonstrieren, hätte es im unmittelbaren Zusammenhang von Ex 32,6b sprechendere Verse gegeben.675 Unter den Schriftkundigen werden sich jedoch auch die Befürworter des Verzehrs von Götzenopferfleisch nicht dem Detail entziehen können, dass Paulus anhand von Ex 32,6b das Speisen in Gegenwart des Gottesbildes als Götzendienst qualifiziert und dadurch „die nach seiner Meinung wahren Dimensionen des Konfliktes offenlegt“676. Bei all dem erweist der Text den Zusammenhang von Essen, Trinken und Götzenopfer an dieser Stelle nicht argumentativ. Er behauptet ihn vielmehr und führt dazu die Autorität der Schrift ins Feld. Bereits die bloße Tatsache des Schriftzitats nötigt zur Zustimmung. 10,14 zeigt, wie zentral die Warnung vor dem Götzendienst für 10,1–22 insgesamt ist. Und in der Tat gewinnt 10,7, unterstrichen mit dem einzigen expliziten biblischen Zitat der Passage, besonderes rhetorisches und argumentatives Gewicht und lenkt die Aufmerksamkeit der Hörerschaft zurück zum übergeordneten Thema des Abschnittes 1 Kor 8,1–11,1, das zwischenzeitlich leicht aus dem Blick geraten konnte: dem Verzehr von Götzenopferfleisch. Begierde, Götzendienst und (kultisches) Essen und Trinken werden miteinander korreliert, ohne dass ihre Beziehung zueinander auf eine mathematische Formel zu bringen wäre. In jedem Falle färbt diese Trias die Wahrnehmung der folgenden Verse. Wayne Meeks vielbeachteter Vorschlag, „Essen und Trinken“ auf die Heilserfahrungen der Wüstenväter in 10,3 f. zu beziehen, wohingegen „Spielen“ ihr Fehlverhalten bezeichne, musste bereits zurückgewiesen werden.677 In einem anderen Sinne als Meeks es intendiert hat, scheint seine Deutung aber plausibel für das Verständnis eines Hörers, der mit dem Hintergrund von Ex 32,6 nicht vertraut ist, und auf sich allein gestellt einen Zusammenhang zwischen Götzendienst und dem Exoduszitat konstruieren muss. Da „Essen und Trinken“ von 10,3 f. her in der Tat positiv besetzt sind, ist es grundsätzlich möglich, „Essen und Trinken“ als einen Rückbezug auf das in 10,3 f. geschilderte Essen und Trinken zu verstehen und das Element des Götzendienstes im „Spielen“ zu suchen. Gerade ein solcher Hörer wird jedoch nicht mit den weit verzweigten Bedeutungsnuancen von παίζω vertraut sein, die Meeks referiert. Für ihn mag es viel eher nahe liegen, in παίζω eine verantwortungslose Leichtfertigkeit zu erkennen, die im Umgang mit Götzen nicht an den Tag gelegt S.o. S. 101. Broer 1989, 314. Möchte man παίζω sexuell verstehen, setzt Paulus überdies sexuelle Ausschweifungen mit Götzendienst gleich. Die Verbindung dieser Motive ist jedoch konventionell, wie bereits festgehalten wurde (s. o. 3.3.2.2a). Zu den nicht unerheblichen Voraussetzungen, die Paulus hier macht, äußert sich Watson 2004, 365. 677 S.o. 103. Hays 1998, 163 f., bemüht sich um eine vermittelnde Position. Vgl. auch Cover 2015, 71. Dass Cover Meeks dennoch in vielerlei Hinsicht folgt, liegt darin begründet, dass er das Problem entstehungsgeschichtlich zu lösen versucht und ältere, jüdische Textschichten hinter 1 Kor 10,1–10 vermutet. 675 676

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3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

werden soll.678 Die folgenden Verse lassen sich aus diesem Blickwinkel zwar nur oberflächlich, aber doch recht kohärent deuten. Denn die Warnung vor Unzucht folgt nicht minder plausibel aus der Warnung vor verantwortungsloser Leichtfertigkeit als vor der Warnung vor dem götzendienenden „Spiel“ der Väter. Schließlich wandte sich schon 1 Kor 6 mit theologischen Argumenten gegen eine solche Leichtfertigkeit auf sexuellem Gebiet. Welche konkreten Handlungen πορνεύω hier bezeichnet, bleibt in der Schwebe. Vor dem Hintergrund der kultischen Dimension von Num 25 ist mitunter an Tempelprostitution in Korinth gedacht worden. Dies erscheint jedoch zweifelhaft. Weder gerät dieser Themenkomplex im übrigen Brief in den Blick, noch ist Tempelprostitution im Altertum zweifelsfrei belegt.679 Viel eher scheint das Vergleichsmoment darin zu liegen, dass sich die Situation, die Num 25 schildert, weitgehend mit dem Szenario aus 10,7 deckt. Die Szene kombiniert nicht allein Unzucht und Götzendienst, sondern Unzucht und ein Götzenopfermahl.680 Damit beschreibt 10,8 eine Ex 32,6b erstaunlich analoge Situation und stärkt den inneren Zusammenhang von 10,7 f. πορνεύω bedarf an dieser Stelle jedoch gar nicht notwendigerweise einer inhaltlichen Füllung, da das Thema πορνεία dem Brief nicht neu ist. Die Warnung nimmt ein Anliegen auf, das bereits im Brief verhandelt wurde (vgl. 1 Kor 5,1–13; 6,1–20; 7,2). Die entsprechenden Passagen ähneln einander auch in weiteren Punkten. So zitieren und modifizieren sowohl 10,14–22/23 als auch 1 Kor  6,12–20 das Motto πάντα ἔξεστιν (6,12; 10,23), argumentieren von der Gemeinschaft mit Christus her (6,16 f.; 10,16 f.20–22), und fordern an prominenter Stelle auf: φεύγετε τὴν πορνείαν (6,18) bzw. φεύγετε ἀπὸ τῆς εἰδωλολατρίας (10,14).681 Alex Cheung fügt dieser Liste die Beobachtung hinzu, dass beide Abschnitte auf den Gedanken der Herrlichkeit Gottes zulaufen (6,20; 10,31).682 Diese Übereinstimmungen zeigen, wie sehr Paulus bei den Warnungen in 10,6–11 auch von der konkreten Situation der Gemeinde her denkt. Es handelt sich bei den Beispielen nicht um eine konventionelle Liste, die allein aus den biblischen Erzählungen schöpft. Vielmehr spiegeln die Beispiele Probleme der korinthischen Gemeinde wider.683 So benennt auch spätestens 2 Kor 12,21 Unzucht ausdrücklich als ein bestehendes Problem mehrerer Gemeindeglieder. Entsprechend müssen sich die Adressaten von der Warnung angesprochen fühlen. Auch hier bewähren sich S.o. S. 172. Für einen knappen Einblick in die umfangreiche Debatte vgl. Scheer 2009. 680 Orgiastische Begehungen im Anschluss an Tempelmahlzeiten sind auch für das antike Korinth nicht auszuschließen. Winter 2001, 281, denkt über Prostitution und Orgien im Anschluss an Tempel-Banketts nach, also keine Tempelprostitution im eigentlichen Sinne. 681 Vgl. Tomson 1990, 198–203. 682 Vgl. Cheung 1999, 112–114. 683 Vgl.  Fee 1987, 451; Cheung 1999, 145, Anm. 188, gegen Willis 1985, 147; Barrett 1968, 226; Gardner 1994, 150, und andere. 678 679

3.4 Gedankliche Kartierung

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die „Väter“ als τύποι, die Missstände in der Gemeinde sichtbar machen und ihre Konsequenzen vor Augen führen. Die Angabe, 23.000 der Väter wären infolge ihrer Unzucht umgekommen, unterstreicht die Dringlichkeit der Warnung. So gewaltig die Zahl 23.000 ist, so abstrakt bleibt doch die Vorstellung ohne Kenntnis des biblischen Bezugstexts. Umso plastischer fallen jedoch die Vernichtungsaussagen der Folgeverse aus. b 10,9 f.: Christus versuchen und murren So wie die Warnungen vor Götzendienst und Unzucht thematisch verwandt sind, gehören im Lichte des biblischen Sprachgebrauchs und der Bezugstexte auch die Warnungen, Christus nicht zu versuchen und nicht zu murren zusammen. So wie πειράζω/ἐκπειράζω „Ausdruck des Unglaubens, Zweifelns und Ungehorsams“ ist, der sich in Massa/Peirasmos im Verlangen nach Wasser manifestiert, so ist γογγύζω und das im MT dahinterstehende ‫ לון‬Wendung für das Verlangen nach Nahrung als Ausdruck mangelnden Vertrauens auf Gott und seine Rettungszusagen. Dabei gehören γογγύζω und πειράζω nicht nur gedanklich zusammen, sondern können wechselseitig miteinander identifiziert werden, wie Ex 17,2 f. oder auch die Zusammenschau von Num 14,2 mit Num 14,22 zeigen.684 Durch die enge Verbindung zum problematischen Themenkomplex Essen und Trinken in der Exodustradition erschließt sich die Einordnung von 10,9 f. unter die Überschrift „Begehren“.685 Wie bereits im Fall der Warnung vor Unzucht ist überdies eine Verbindung zum Thema „Götzendienst“ gegeben. Die textkritische Frage, ob es in 10,9 „Christus“ versuchen oder „den Kyrios“ versuchen heißen muss, ist von der äußeren Bezeugung her nicht eindeutig zu beantworten, kann mit dem Argument der lectio difficilior jedoch mit einiger Zuversicht für τὸν Χριστόν entschieden werden.686 Dabei ist diese Lesart keineswegs so abwegig, wie manchmal eingewandt wird. Schließlich steht für Paulus hier das Fehlverhalten der Korinther, nicht das der Wüstengeneration im Vordergrund. Ihnen kann er ohne Schwierigkeiten vorwerfen, Christus zu versuchen.687 Im Hintergrund 684 Wenn Thiselton 2000, 741, schreibt, der Kontrast zwischen 10,9 und 10,10 „concerns respectively the sin of presumption and the sin of despair“, schematisiert er zwar etwas zu stark, erkennt jedoch richtig, dass πειράζω zumeist im Zusammenhang der Forderung nach Nahrung, γογγύζω im Zusammenhang der Klage über den Mangel an Nahrung Verwendung findet. 685 Weniger überzeugend ist die Überlegung, die Thiselton 2000, 741 f., im Anschluss an Witherington 1995, 220, formuliert, die „Starken“ stellten Gott insofern auf die Probe, als sie davon ausgingen, dass Gott sie vor den negativen Folgen der Teilnahme am Götzenopfer schützen würde, wobei das Murren als Gegenstück die Sorge der Schwachen meine. Dies bedeutete einen inneren Widerspruch, nämlich dass die „Starken“ auf Gottes Schutz vor Konsequenzen setzen, die sie nach 8,4–6 gar nicht fürchten. 686 Vgl. dazu gegen Wolff 1990, 211, Anm. 283, Zenger 325, Anm. 292. Ferner Metzger 1971, 560. 687 Thiselton 2000, 740 deutet zudem den Konjunktiv Präsens so, dass sie dies bereits tun  – „[a]lthough this must not be pressed“.

220 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 stehen freilich Aussagen, dass die Wüstengeneration den Kyrios versucht hat, jedoch war auch ihr Christus gegenwärtig (vgl. 10,4). Insofern können die Väter durchaus als Typen für die Versuchung Christi betrachtet werden. Mit ἐκπειράζω wählt Paulus den gegenüber πειράζω stärkeren Ausdruck.688 Rhetorisch emotionalisierend wirkt ferner die Wahl des Imperfekts ὑπὸ τῶν ὄφεων ἀπώλλυντο in der Vernichtungsaussage. Auch wenn dessen zeitlicher Aspekt nicht überbewertet werden darf, suggeriert das Imperfekt doch einen länger währenden Prozess der Vernichtung. Aus diesem Grund denkt Thiselton etwa an einen qualvollen Todeskampf infolge des Schlangengifts.689 10,10 kehrt zum Aorist zurück und berichtet von der ultimativen Vernichtung, der Vernichtung durch den ὀλοθρευτής (ἀπώλοντο ὑπὸ τοῦ ὀλοθρευτοῦ). Die Vorstellung eines ὀλοθρευτής lässt sich vom sprachlichen Befund der LXX recht her klar umreißen. Eine Verbindung zum Vorwurf des Götzendienstes liegt auch hier nahe.690 Für den eigentlichen Vorwurf des Murrens stellt sich die Lage komplizierter dar. Er ist in der Exodustradition so prominent, dass er kaum auf einen spezifischen Bezugstext zurückgeführt werden kann. Womöglich ist καθάπερ τινὲς αὐτῶν ἐγόγγυσαν hier als „‚summary statement‘“691 für all diese Vorkommen zu verstehen. Die geballte Wucht dieser Anspielungen mag den rhetorischen Effekt eher stärken als mindern.692 Die verschiedenen potentiellen Bezugstexte bringen verschiedene Konnotationen mit sich, die jedoch allesamt den allgemeinen Gedankengang stützen. Im Anschluss an Num 14,26–35 kann das Murren als Ursünde Israels verstanden werde: „Is not the murmuring the reason for the stay in the desert?“693 Mehr noch, bis auf Ex 15,24 und Num 16,11; 17,6–26 geht das Murren des Volkes stets einher mit der Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens (vgl.  Ex  16,2–12; 17,3; Num  11,1–6; Num  14,2–4.27–29.36 [vgl.  Sir 46,7]).694 Übertragen auf die Situation in Korinth könnte dies eine Sehnsucht nach dem ungehinderten Verzehr von Götzenopferfleisch unterstellen oder als solche verstanden werden. Dieser Protest gegen die Erfordernisse der christlichen Existenz wäre der Sehnsucht nach „Ägypten“ als Land 688 Vgl. Thiselton 2000, 740 f. Allein Dtn 6,16 und Ps 77,18 LXX verwenden im Hinblick auf die Massa/Peirasmos-Episode die Intensivform ἐκπειράζω. Bemerkenswerterweise fährt Dtn  8,2.16 fort, das prüfende Handeln Gottes ebenso mit ἐκπειράζω zu beschreiben. 689 Vgl. Thiselton 2000, 741. 690 Für weitere Belegstellen für ἐξολεθρεύω als Vernichtungsstrafe für Götzendienst vgl. abermals Dtn 6,15, aber auch Dtn 7,4 und ferner Lev 26,30. 691 Thiselton 2000, 742. 692 Dafür plädiert Thiselton 2000, 743: „Paul elsewhere refers to OT patterns rather than necessarily to specific verses (cf. 15:4a, b, according to the scriptures), which often provide more powerful, not less powerful, formative models than a single passage may do.“ 693 Koet 609. Koet 609, Anm. 15, zitiert ferner Baarda 1975, 9: καθάπερ anstelle von καθώς (10,8.9) bedeute eine Klimax. 694 Vgl. ferner Dtn 1,27 (Bezug auf Ägypten aber kein Bezug aufs Essen) und Ps 105,25 (kein ausdrücklicher Bezug auf Ägypten aber Ablehnung des verheißenen Landes).

3.4 Gedankliche Kartierung

221

der ungezügelten Lust vergleichbar, eine völlige Hingabe an die ἐπιθυμία.695 Und während der Aspekt des Essens und Trinkens in der Murrgeschichte um die Rotte Korach Num  16 f. fehlt, handelt doch auch diese Episode von einem verkehrten Kult, zumal von einem verkehrten Kult, der nach entsprechenden Auslegungstraditionen den Verderber heraufbeschwört. Diese enge Bindung an die wesentlichen Themenkomplexe der Passage, Götzendienst und das illegitime Verlangen nach Nahrung, macht es weniger wahrscheinlich, dass 10,10 auf die Unzufriedenheit der korinthischen Gemeinde mit Paulus als Führerfigur zielt, so wie Israel in der Regel gegen Mose und Aaron murrt, ohne notwendigerweise zu verstehen, dass dies ein Murren gegen Gott ist.696 Letztlich ist aber auch diese Deutung nicht unsinnig, vor dem Hintergrund der Konfliktlage in Korinth zumindest nicht abwegig und hat Anhalt an den Bezugstexten. Selbst das Murren der Rotte Korach nimmt seinen Anfang bei der Unzufriedenheit über die Mittlerrolle Moses und Aarons (vgl. Num 16,3 f.). Potentiell ruft die Anspielung 1 Kor 10,10 all diese Themen auf – und all diese Themen fügen sich recht flüssig in den Kontext ein. In jedem Falle ist γογγύζω dem allgemeinen Sprachgebrauch nach kein strafwürdiges Verhalten. Sein negativer Gehalt erschließt sich erst, wenn man den Begriff von seiner biblischen Bedeutung her füllt. Auch hier bewähren sich die Väter als τύποι, die ein Fehlverhalten zu allererst sichtbar machen. 3.4.3.3 10,11: Die Warnung am Wendepunkt der Zeiten 10,11 schärft noch einmal die Funktion des gesamten Abschnittes ein: Das Negativbeispiel der Wüstengeneration soll den Hörern als Warnung dienen. Was ihnen widerfuhr, geschah beispielhaft (ταῦτα δὲ τυπικῶς συνέβαινεν ἐκείνοις) und wurde sodann zu „unserer“ Warnung und Orientierung festgehalten (ἐγράφη δὲ πρὸς νουθεσίαν ἡμῶν).697 Bei diesen Ereignissen, kann es sich nur um die Strafen handeln. Allein sie sind den Vätern widerfahren. Die Wahl des Imperfekts signalisiert ein Bewusstsein einer Reihe von Einzelereignissen.698 Dieser Akzent korrespondiert mit der Angabe des Zwecks, sind es doch gerade die Vernichtungsaussagen, die paränetische Kraft entfalten. νουθεσία, die „Ausrichtung des Sinns“, ist dem allgemeinen Sprachgebrauch nach auf „the will and spiritual attitudes“ zu beziehen. Der Begriff „presupposed an error to be set right or improved, and the teaching activity was conducted with ‚well-meaning earnestness‘“.699 BeIn eine ähnliche Richtung denkt Phua 2002, 289. Die Deutung auf Mose und Apollos als Gottes Mittlerfiguren in Korinth wurde seit Heinrici 1896, 257 f., verschiedentlich vertreten. 697 In der Zusammenschau mit Röm 4,23 stellt Cover 2015, 71, fest, „Paul seems to reserve the aorist of γράφειν for paraenetic applications.“ Vgl. ferner Cover 2015, 57 f. 698 Vgl. Fee 1987, 458, Anm 40. 699 Smith 2012, 324. 695 696

222 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 zeichnenderweise ist in LXX typischerweise Gott das Subjekt von νουθετέω.700 Die Nuancen der Aussage lassen sich im Deutschen nur schwer mit einem einzelnen Begriff wiedergeben. Paulus scheint ebenso darauf hinweisen zu wollen, dass die Schriften ganz allgemein normativ orientierende Funktion für die Adressaten haben, wie sie im konkreten Fall eine Warnung bedeuten und das Fehlverhalten der Korinther korrigieren sollen. Die übliche Übersetzung „Zurechtweisung“ trifft dies nicht, aber auch „Warnung“ 701 ist verengend.

Nur durch die schriftliche Tradierung können die Väter als τύποι dienen und die ihnen widerfahrenen Strafen ihre abschreckende, beispielhafte Funktion erfüllen. Der zeitliche Abstand oder genauer der zeitliche Unterschied zur Wüstengeneration findet auch im Nachsatz Ausdruck, der das Wir näher beschreibt: „uns, auf die die Enden der Äonen gekommen sind“ (ἡμῶν, εἰς οὓς τὰ τέλη τῶν αἰώνων κατήντηκεν). Paulus begreift die Existenz der Gläubigen als Existenz in einer eschatologisch qualifizierten Zwischenzeit.702 Dieser eschatologische Horizont bricht nicht etwa plötzlich in den Gedankengang ein, sondern begleitet ihn zumindest seit 9,24–27. Angewandt auf das Beispiel der Wüstengeneration verschärft er jedoch den Ton der Warnung. Ereilte die Väter allesamt als Strafe lediglich der Tod in der Wüste, erinnert Paulus nun an die ungleich größere Gefahr, die den Korinthern droht. Sie befinden sich in einer Entscheidungssituation von unmittelbarer eschatologischer Tragweite. So verstanden wächst 10,11c eine rhetorische Funktion zu, die organisch aus dem Gedankengang hervorgeht. Der Zweck des Nachsatzes wird eher dort zu suchen sein als bei der Frage, inwiefern Paulus hier eine notwendige Entsprechung von Ur- und Endzeit beschwört.703 Zweifelsohne finden sich solche Gedanken durchaus bei Paulus wie die Entsprechungen von Adam und Christus in Röm 5 und 1 Kor 15 zeigen. Die gängige Einsicht, „daß die Typologie eine Entsprechung zwischen Urzeit und Endzeit voraussetzt“704, darf jedoch weder im Sinn eines Determinismus durch die Ereignisse der Urzeit verstanden werden705 noch so, „daß die Heilswirklichkeit des endzeitlichen

700 Vgl. Smith 2012, 324, und 1 Sam 3,13; Judith 8,27; Hi 5,17; 23,15; 4,4; Sap 11,10; 12,2.26; 16,6. Sap 16,6 ist der einzige Beleg für νουθεσία. 701 Für die Übersetzung mit „Warnung“ sprechen sich unter anderem Fee 1987, 458 Anm. 43; und Zeller 2010, 332, aus. 702 Dabei wird die eigentümliche Formulierung τὰ τέλη τῶν αἰώνων κατήντηκεν kaum das Aufeinandertreffen des alten und neuen Äons bezeichnen können, wie es etwa Weiss 1910, 254, und Thiselton 2000, 743, vertreten. Weder τέλος noch καταντάω wird gemeinhin so gebraucht. Eher ist an das Ende des gegenwärtigen Äons in seiner Gesamtheit, d. h. mit all seinen Teilabschnitten, zu denken: „Die gesamte Weltzeit ist im Vergehen“ (Wolff 2017, 220), insofern sie in Christus erfüllt ist (vgl. Fee 1987, 459). Zum Tenor des Textes passt, dass diese Endzeit seit jeher als Zeit besonderer Versuchungen galt (vgl. Luz 1968, 121). 703 Für beide Alternativen vgl. Zeller 2010, 333. Broer 1989, 316, stellt zurecht fest, Paulus stelle „zwischen diesen beiden Aussagen (V 11 b und c) kein Kausalverhältnis her“, was ihn aber nicht davon abhält, den Vers so zu verstehen, als täte er es. 704 Hahn 2006, 345, mit Verweis auf Bultmann 1967. 705 Vgl. die Abwägungen bei Schmeller 2010, 403–407, inkl. der diskutierten Literatur.

3.4 Gedankliche Kartierung

223

Gotteshandelns in die urzeitliche Geschichte hineinprojiziert wird.“706 Die Typen machen Entsprechungen sichtbar, sie stellen sie nicht her.707 Im Lichte dieses Verständnisses von „Typologie“ scheint ein Teil der einschlägigen Debatten müßig. Es gibt im Frühjudentum eine Fülle von Beispielen dafür, dass die Schriften ihrem eigentlichen Sinn nach als auf die (eschatologische) Gegenwart zielend verstanden werden.708 Eine solche Hermeneutik setzt Paulus aber ggf. voraus.709 Es ist nicht seine Absicht, sie mit 1 Kor 10,11c einzuführen. 3.4.3.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Mit dem Szenario der drohenden Vernichtung durch Gott bewegt sich 10,6–11 weiterhin maßgeblich im apokalyptischen Rhetorolekt.710 Der Abschnitt argumentiert nicht nur weiter innerhalb des durch das biblische Beispiel aufgerufenen Plausibilitätsgefüges, sondern benennt die Väter auch ausdrücklich als τύποι und legt seine hermeneutische Strategie so offen: Am Beispiel der Väter wird deutlich, welches Verhalten das Gottesverhältnis auf eine Weise verletzt, die göttliche Strafe nach sich zieht. Als Oberbegriffe für solch ein Verhalten konkurrieren „Begehren“ und „Götzendienst“ miteinander. Durch 10,6 sind einerseits alle Verhaltensweisen mit „Böses begehren“ überschrieben und können allesamt als Ausdruck von ἐπιθυμία konzeptualisiert werden. Andererseits setzt die Aufforderung, Götzendienst zu unterlassen (10,7), mit dem expliziten Schriftzitat den Ton für die weiteren Verse. Die dort genannten Verhaltensweisen stehen allesamt in einem inneren Zusammenhang zum Götzendienst und können ebenso gut auf diese Weise konzeptualisiert werden.711 Dies entspricht ganz der Verschmelzung des ethischen und eschatologischen Bezugsrahmens bzw. des weisheitlichen und apokalyptischen Rhetorolekts, die von 9,24–27 an beobachtet werden konnte. Wenn Paulus die Größen ἐπιθυμία und

So gerade Hahn 2006, 345. S.o. S. 168 f. 708 Vgl. 1QpHab VII,1–8, aber auch die Erfüllungsaussagen der Evangelien. Wolff 2011, 221, verweist für ähnliches Gedankengut ferner auf bSanh 99a und Mos. 2,44. 709 Zeuge hierfür sind (neben 1 Kor 9,10) vor allem auch die oben angeführten „typologischen“ Entsprechungsverhältnisse. Vgl. ferner Wolff 2011, 221–223. 710 Vgl. Oropeza 2000, 123. Er betont den eschatologischen und kollektiven Charakter des Gerichts. 711 Vgl.  Cover 2015, 70 f. zur Frage, ob Begehren oder Götzendienst die entscheidende Überschrift ist. Gut illustriert wird das Ineinander beider Größen durch folgende Formulierung bei Works 2014, 71: „it is important to note that it is not simply ‚desire,‘ but the people’s distrust of God and forgetfulness of God’s care that lies at the heart of their cravings.“ 706 707

224 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 εἰδωλολατρία füreinander durchsichtig werden lässt, korreliert er zwei Schlüsselbegriffe, die in jeweils einer dieser beiden gedanklichen Welten beheimatet sind.712 Logische Struktur und Argumentationsebenen Die Aufforderung, bestimmte Verhaltensweisen zu unterlassen, die im Zentrum von 10,6–11 steht, fußt auf der Schlussfolgerung, dass es für die Korinther verhängnisvoll ist, Götzen anzubeten, Sexualsünde zu begehen, Christus zu versuchen und zu murren (K). Die Väter taten solches und sie wurden vernichtet (D). Die Schlussregel, nach der eine Übertragung von den Vätern auf die Korinther möglich wird, ist die implizite Schlussfolgerung der Verse 10,1–4. Diese wird in 10,6.11 noch einmal explizit ausgesprochen und zum grundlegenden Deutungsbestandteil auch der übrigen Passage: Wüstengeneration und Korinther stehen in einer vergleichbaren Situation. „His [Paul’s] point seems to be: They genuinely prefigure us when it comes to our experience of ‚baptism‘ and ‚Lord’s Supper‘; be sure, therefore, that they do not prefigure us also in their idolatry.“713 Die Irregularität, dass 10,7 nicht die Vernichtung der Väter beschreibt, sondern die Art und Weise ihres Götzendienstes mittels eines Zitats spezifiziert, ändert nichts an dieser gedanklichen Bewegung. Seine Vorordnung gibt dem Zitat nur orientierende Wirkung für den Rest des Abschnitts. Durch die Vernichtungsaussage 10,5 ist die Vernichtung der Väter als Begründung der folgenden Handlungsanweisungen bereits festgeschrieben. Sie muss nicht wiederholt werden, um mitgedacht zu sein. 10,8–10 tun dies trotzdem, um den rhetorischen Effekt weiter zu verstärken. Der Schritt von der Feststellung drohender Gefahr zur Warnung ist eine argumentationslogische Selbstverständlichkeit.714 Entsprechend legt der Abschnitt es weniger darauf an, das beschriebene logische Schema hervorzuheben, als darauf, die Grundlage des logischen Schlusses emotional eindringlich zu vermitteln. Darauf zielen die Anführung mehrerer Beispiele nach dem gleichen Schema, die zusehends drastischer werdenden Strafschilderungen und auch die Erinnerung an die eschatologisch qualifizierte Situation der Hörer. 712 Vgl. nur Büchsel 1938, 169: „Die ἐπιθυμία ist in der griechischen Philosophie Vergehen des Menschen gegen seine eigene Vernünftigkeit; sie wird ethisch, nicht religiös abgewertet.“ Eine solche ist sie für Paulus allerhöchstens indirekt: Ein Vergehen gegen das bessere Wissen um Gott und seinen Willen, wie er in den Exodusgeschichten Ausdruck findet. 713 Fee 1987, 444. 714 Etwa nach dem wirklichkeitsbeschreibenden Schema des pragmatischen Arguments, das „die Wertung einer Handlung […] oder eines Ereignisses […] von dessen positiven oder negativen Folgen her“ (Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004, 375) vornimmt. 10,6–11 demonstrieren, wie treffend die Bemerkung von Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004, 376, zur Sache ist: „Das pragmatische Argument scheint sich ohne Schwierigkeit zu entfalten, denn die Übertragung des Wertes von den Folgen auf die Ursache vollzieht sich sogar ohne weiteres Zutun. […] Das pragmatische Argument, mit dem man eine Sache in Abhängigkeit ihrer gegenwärtigen oder zukünftigen Folgen bewerten kann, hat eine direkte Bedeutung für das Handeln [action]. Es bedarf zu seiner Akzeptanz durch den gesunden Menschenverstand [sens commun] keinerlei Rechtfertigung.“

3.4 Gedankliche Kartierung

225

Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Seiner argumentativen Grundbewegung nach ist der Text weiterhin wirklichkeitsetablierend angelegt, da er vom Schicksal der Väter auf das drohende Schicksal der Korinther schließt.715 Dabei sind die Väter tatsächlich mehr als ein negatives Vorbild.716 Gerade weil sie sich im gleichen Plausibilitätsgefüge bewegen wie die Korinther, erlaubt ihr Ergehen Rückschlüsse auf deren Situation und sorgt allererst dafür, dass die eigene Situation sachgerecht erkannt wird, wie es der Begriff Typos ausdrückt. Im Gegensatz zur Schriftverwendung in 10,1–5.6.8–10 fungiert das explizit eingeführte Zitat von Ex 32,6 als Autoritätsargument. Freilich sind auch die anderen Schriftbezüge nicht ohne die Autorität der Schrift zu denken. Dort wird sie jedoch stillschweigend vorausgesetzt und nicht mit in die Waagschale geworfen.717 Auch erfolgen die Schriftbezüge eher beiläufig. 10,7 hingegen ruft die Autorität „Schrift“ durch die Zitationsformel ausdrücklich auf. Die Gleichsetzung von Götzendienst und paganer Mahlfeier wird anhand der Schrift festgestellt und nicht weiter begründet. Damit funktioniert der Schriftbezug auf eine andere Weise als die übrigen Bezüge des Textes. Diese erinnern an Sachverhalte, die jeweils als Daten eingebracht und in eine gedankliche Schlussfigur eingebunden werden. Hier wird anhand der Schrift kein Datum eingebracht, sondern eine Feststellung gemacht, die aus keiner solchen Schlussfolgerung erwächst. Die rhetorische Situation hinter 10,7 spiegelt sich in den Anmerkungen wider, die Chaim Perelman und Lucie Olbrechts-Tyteca zum Autoritätsargument machen: „Meist tritt das Autoritätsargument nicht als alleiniger Beweis auf, sondern vervollständigt eine reichhaltige Argumentation.“718 Man greife unter anderem „gerade dann auf es zurück, wenn das Einverständnis über das, was man geäußert hat, Gefahr läuft, zur Diskussion gestellt zu werden“719. Für die Gleichsetzung des paganen Kultmahls mit Götzendienst kann Paulus keine Zustimmung der Korinther erwarten, ist der Verzehr von Götzenopferfleisch doch gerade strittig. Hier nimmt er zunächst eine solche Setzung vor und verleiht ihr durch das Zitat biblische Autorität. Einsichtig gemacht wird dieser Sachverhalt erst in der zweiten Kapitelhälfte anhand des Konzepts kultischer κοινωνία.

715 Insofern als diese „neue“ Wirklichkeit mit den ihr eigenen Plausibilitäten schon durch 10,1–5 etabliert ist, ließe sich jedoch fragen, ob 10,6–11 nicht eher als wirklichkeitsbeschreibende Situation anzusehen ist. Auch so ließe sich die Umkehr der Denkrichtung erklären. 716 Vgl. Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004, § 80 zum Topos des Vorbilds. 717 „Rather than using the scriptural examples as a means to bolster his authority, it appears that Paul is likely following the same example of other Jewish writers. He recounts the history of God’s family as Jewish writers did in the past so that the current readers will not fall“ (Williams III 2009, 25). 718 Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004, 435. 719 Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004, 436.

226 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang 10,6–11 kann im Jargon Kopperschmidts als Erläuterung des einzufügenden Modaloperators „wenn“ im Schluss 10,1–5 verstanden werden. „Wir drohen (nur) dann wie die Väter vernichtet zu werden, wenn unser Verhalten deren Verhalten in bestimmten Punkten entspricht.“ Umgekehrt stützen 10,1–5 die Schlussregel von 10,6–11. Die Abschnitte sind demnach auf zweifache Weise miteinander verschränkt. Insgesamt stützen 10,1–11 die Schlussfolgerung aus 9,24–27: Ihr braucht vollkommene Selbstkontrolle, um den Siegespreis zu erlangen (K). Denn unsere Väter wurden in der Wüste vernichtet (D). Schließlich ist ihr Gottesverhältnis dem unseren analog (SR). In eben diesem Sinne schließt auch die Verurteilung der Begierde in 10,6 an das Motiv der Selbstkontrolle aus 9,25 an.720 Damit diese Reihe von Warnungen ihren rhetorischen Effekt entfaltet, ist es keineswegs nötig, mit den komplexen biblischen Hintergründen der Aufzählung vertraut zu sein. Die strenge Komposition der Aufzählung, in der die Beschreibung der Vernichtung der Wüstengeneration einerseits variiert und sich andererseits von Vers zu Vers intensiviert, ist auch ohne dieses Wissen einsichtig. Zumindest je die erste Warnung der Verspaare 10,7 f. und 10,9 f. lässt sich ganz unmittelbar auf die Frage nach Götzenopferfleisch beziehen.721 3.4.4 10,12 f. Die Verse 10,12 und 10,13 schließen mit den Stichworten „fallen“ und „Versuchung“ an 10,8 f., die Mittelglieder des Chiasmus 10,6–11, an, befinden sich aber außerhalb des Chiasmus selbst. Dies gibt ihnen den Charakter einer Nachbemerkung oder eines Kommentars, der 10,6–11 insgesamt in den Blick nimmt. Sie ziehen ein Zwischenresümee aus der Betrachtung der „Väter“ und leiten zur zentralen Schlussfolgerung 10,14 über.722

720 Vgl. die Verschmelzung beider Bildwelten im Fazit bei Works 2014, 101: „Most of these ancestors have been revealed as ἀδόκιμος, by succumbing to the temptations in the wilderness.“ Nur liegt das Augenmerk in 10,6–11 ja gerade nicht mehr auf den Vätern, sondern auf den Korinthern. 721 Bei 10,7 liegt dies auf der Hand. Es gilt aber auch für 10,9. So hatte Paulus es in 8,12 als Sünde gegen Christus bezeichnet, Götzenopferfleisch zu sich zu nehmen und so die schwachen Glaubensgeschwister zu verleiten. Einen solchen Bezug stellt Works 2014, 64 f., her. 722 Cover 2015, 71 f., möchte 10,12 f. allein im Anschluss an 10,9 f. lesen. In der Tat nimmt 10,12 ein Motiv aus 10,9 („fallen“) und 10,13 ein Motiv aus 10,10 auf („Versuchung“). Wie zu sehen sein wird, ist der Horizont der Verse dennoch weiter. Das gilt besonders in Anbetracht ihres gedanklichen Fluchtpunkts, 10,14.

3.4 Gedankliche Kartierung

227

3.4.4.1 10,12: Warnung vor falscher Sicherheit Die Mahnung 10,12, „wer meint zu stehen, sehe zu, dass er nicht falle“ (ὁ δοκῶν ἑστάναι βλεπέτω μὴ πέση), ist „als warnende Sentenz partizipial formuliert“723. Als rhetorisches Mittel wohnt der Sentenz besondere Überzeugungskraft inne, die hier durch die sprachliche Gleichmäßigkeit der Formulierung weiter zunimmt.724 Zur gnomischen Form passt auch der Gebrauch der unpersönlichen 3. Person Sg. Gemeint ist zweifelsohne das „Wir“, bzw. „Ihr“ aus 10,6–11. Die unpersönliche Formulierung wird mit Bedacht gewählt sein, weil Paulus mit ihr „viel von der Schärfe, die der zweiten Person eigen wäre, vermeidet“725. Durch ὥστε ist die Sentenz als Folgerung aus dem Vorangegangenen ausgewiesen.726 Ein doppelter Anschluss ist denkbar, einmal an den direkt vorangegangenen Satz 10,11, sodann an den ganzen Abschnitt 10,6–11 bzw. 10,1–11. Beide Möglichkeiten ähneln sich im Ergebnis, wobei ein direkter Anschluss an 10,11 stärker die Dringlichkeit, ein Anschluss an den gesamten Abschnitt 10,6–11 stärker den Inhalt der dort erteilten Warnung betonen würde. Im direkten Bezug auf 10,11 wäre zu verstehen: „Darum, weil das Ergehen der Väter aufgeschrieben wurde, sodass es uns in der Entscheidungssituation der letzten Tage als lehrhaftes Beispiel dienen kann, sollten wir dies nutzen und uns nicht in falscher Sicherheit wiegen.“ Mit dem weiteren Zusammenhang im Blick hieße es etwa: „Darum, weil wir wie unsere Väter in der Gefahr stehen Gottes Zorn und Vernichtung auf uns zu ziehen, sollten wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen, sondern unser Verhalten ändern.“ Beide unterscheiden sich nur in Nuancen. Die Wiederaufnahme von πίπτω (vgl. 10,8) und ἵστημι (vgl. 10,7 ἀνέστησαν) spricht eher für die zweite Option. „Stehen“ und „fallen“ sind gängige frühchristliche Termini für den erfolgreichen bzw. scheiternden Lebenswandel (s. o. S. 172). Neben das kritische Zitat in 10,7 und den Strafbericht in 10,9 gestellt, erlangt die Ausdrucksweise allerdings einen scharfen, kritischen Beigeschmack.727 Eine solche kritische Note klingt bereits durch die Wahl des Verbs δοκέω an, das in 1 Kor bereits als Bezeichnung für die anmaßende Selbstsicherheit derer, die sich für weise halten (3,18) und sich Erkenntnis zuschreiben (8,2) eingeführt wurde. Es muss sich dabei keineswegs um Kritik an einem „enthusiastischen Pneumatikertum“728, Heilssakramentalismus oder heilsgewissen Libertinismus handeln, wie sie den Korinthern gern unterstellt werden. Bereits die Warnung vor Essen und Trinken im Rahmen des Götzendienstes (10,7) stellt einen Schunack 2011a, 823 f. S.u. S. 433. 725 Broer 1989, 317. 726 Vgl. zu ὥστε an dieser Stelle Zeller 2010, 326, und seine Einleitung zu 3,18–23. Broer 1989, 317, verweist für ὥστε + Imperativ der 3. Pers. mit vergleichbarem Personenwechsel auf 1 Kor 3,21. 727 Jeder über diese Beobachtung hinausgehende Versuch einer deutlichen Zuordnung der verschiedenen Modi und der verschiedenen Folgen des Sitzens, (Auf-)Stehens und Fallens von denen 10,7.8.12 spricht, schlägt jedoch fehl. 728 Schunack 2011a, 823. 723 724

228 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Angriff auf die Gewissheiten und das Selbstverständnis jener dar, die meinen Erkenntnis zu haben (8,2) und sich ob der alleinigen Existenz des einen Gottes für immun gegen den Einfluss anderer sogenannter Gottheiten halten (8,4–6). Wenn es keine anderen Götter gibt, was schadet dann dieses Essen und Trinken? Spätestens hier wird offenbar, dass Paulus beginnt, seine Position aus 8,8 zu modifizieren bzw. gegen Missverständnisse zu schützen. Auch wer meint, über die Gefahren des Götzendienstes erhaben zu sein, weil es keinen Gott außer einem gibt, sehe zu, dass er nicht falle. Entsprechend richtet sich die Mahnung hier zu allererst an die sogenannten Starken, die „gar nicht merken, wie gefährdet sie sind“729 und nicht an die Schwachen, die ohnehin mit der Frage des Götzenopfers ringen.730 3.4.4.2 10,13: Gottes rettende Treue Im Unterschied dazu richtet sich 10,13 an jene, die sich ihrer gefährdeten Lage bereits bewusst waren oder nun bewusst geworden sind. Wie auch in Röm 14,4 lässt Paulus die Gefahr nicht unkommentiert stehen, sondern bindet sie theologisch rück.731 Die Erinnerung an Gottes Treue, die einen Ausweg aus der Versuchung ermöglicht, ist Paränese im doppelten Sinn des Wortes: Sie ist zugleich Trost und Aufforderung, das eigene Handeln zu ändern. Doch „[w]hether 10.13 is understood as a promise or a warning, or both, commentators have no little difficulty in seeing how the verse fits into Paul’s scheme of argument“.732 Dabei erschließt sich die Funktion des Verses ohne weiteres, wenn man ihn aus rhetorischer Perspektive in seinem Zusammenhang betrachtet. Der gesamte Abschnitt 10,6–11 entwirft in stark emotionalisierender Sprache ein Schreckensszenario drohender Vernichtung als Strafe für Verhaltensweisen, derer einige Korinther sich womöglich bereits schuldig gemacht haben. 10,11 unterstreicht den eschatologischen Charakter der Strafe und deutet an, dass das Gericht unmittelbar bevorsteht. Nach 10,12 gilt dies insbesondere für jene, die sich zuvor in Sicherheit wähnten. Das Perfekt πειρασμὸς ὑμᾶς οὐκ εἴληφεν richtet das Augenmerk auf die Versuchung, in der die Hörerschaft sich gegenwärtig befindet.733 Sofern der rhetorische Effekt wirkt, provoziert all dies den Wunsch nach Umkehr und zugleich die Frage, ob es dafür nicht bereits zu spät sei. Wenn 10,13 Gottes Treue beschwört und Hahn 2006, 348 f. Works 2014, 78, weist auf die gedankliche Nähe von 10,12 und 8,13 hin, sofern man dort σκανδαλίζω als „zu Fall bringen“ versteht. In diesem Fall wäre anzunehmen, dass sich Paulus Ausdrucksweise durch den Einfluss der Exodustradition zu πίπτω verwandelt hat. 731 Vgl. Broer 1989, 320. 732 Cheung 1999, 145. Vgl. dort auch das Referat verschiedener Lösungsvorschläge. Nahezu identisch äußert sich Fee 1987, 460, und weist dabei auf die Rezeption des Verses als eigenständiges Trostwort hin: 10,13 „is almost always cited in isolation from its present context, and for good reason – it is difficult to see how it fits into the scheme of the present argument”. 733 Vgl. Robertson/Plummer 1914, 209. 729 730

3.4 Gedankliche Kartierung

229

einen Ausweg aus der misslichen Lage anbietet, reagiert dies somit auf den Effekt, den 10,6–11.12 hervorrufen möchte und arbeitet auf der emotionalen Ebene auf 10,14 hin. Dass es für die betroffenen Korinther noch nicht zu spät ist, obwohl die Wüstengeneration mehrheitlich vernichtet wurde, dass Gott nicht zulässt, dass die Versuchung überhandnimmt und einen rettenden Ausweg vorhält, ist Grund genug, das eigene Verhalten erleichtert zu ändern und diese Rettung zu ergreifen, nämlich vor dem Götzendienst zu fliehen, wie 10,14 im direkten Anschluss fordert.734 Ein wichtiger Grund, warum 10,13 oft isoliert wahrgenommen wird und nur mit Schwierigkeiten in seinem Zusammenhang verortet werden kann, ist die scheinbar unvermittelte Einführung neuer Motive. Weder scheint Gottes Treue im näheren Zusammenhang eine besondere Rolle zu spielen, noch ist davon die Rede, dass die Korinther versucht werden würden. Im Gegenteil: Sie seien es, die Christus versuchen (10,9).735 Noch dazu bleibt in der Schwebe, wer hinter der Versuchung steht, die die Adressaten ereilt. Auch erhellt aus dem Vers selbst weder, worin die „menschliche“ Versuchung, noch, worin der Ausweg besteht, von dem 10,13d spricht. Hier hilft erneut ein Blick auf den rhetorischen und intertextuellen Zusammenhang. So lassen sich die fehlenden Angaben durchweg aus dem Zusammenhang eintragen. πειρασμὸς ἀνθρώπινος wird dabei nicht als „menschengemachte“ Versuchung zu verstehen sein. Keines der Probleme, von denen in 10,6–11 die Rede ist, passt in diese Kategorie. Eher handelt es sich um eine Prüfung, die „auf den menschlichen Kandidaten und seine Kräfte zugeschnitten“736 ist, in der sich der Mensch folglich auch bewähren kann.737 In diesem Sinne können sowohl die Notwendigkeit, den eigenen Leib zu versklaven (9,24), als auch der Kampf gegen die Begierde (10,6–10) als Versuchung konzeptualisiert werden. Durchweg ist im Neuen Testament bei der Versuchung „die Einbruchstelle Satans, sein Angriffspunkt das ‚Fleisch‘, das ‚schwach‘ ist, oder auch ‚die eigene Begierde‘, durch die man ins Sündigen gerät. Der Gläubige aber soll demgegenüber standhalten“738. Dass es sich lediglich um eine solche Versuchung handelt, ist durch die Wortstellung, die ἀνθρώπινος Achtergewicht gibt, eigens betont. Als Urheber der Versuchung kommt innerhalb des intertextuellen Bezugsrahmens weniger der Satan als Gott in Frage. Der Wechsel der Adressaten vom Subjekt zum Objekt der Versuchung ist mehr als gewitzte Rhetorik. Er begegnet allerorten in den Wüstenwanderungsgeschichten. Gott stellt Israel gerade als sein auserwähltes Vgl. Fee 1987, 461, für die Identifikation des Auswegs mit der Aufforderung: „Flee idolatry“. Trotz dieser Verschiebung im Wortgebrauch wirkt das vorangestellte πειρασμός, als wolle es das Stichwort aus 10,9 gut sichtbar aufnehmen. 736 Zeller 2010, 334. 737 Entsprechend paraphrasieren Robertson/Plummer 1914 zur Stelle „And you can avoid falling. No temptation has taken you other than a man can withstand“. 738 Kuhn 1952, 217. Vgl. ferner den Verweis bei Zeller 2010, 334, Anm. 346, auf Num 5,6 LXX: ἐὰν ποιήσῃ ἀπὸ τῶν ἁμαρτιῶν τῶν ἀνθρωπίνων. Wohl einer ähnlichen Überlegung folgend verweist Mitchell 1991, 138, Anm. 436, auf den „Wandel nach Menschenweise“ (οὐχὶ σαρκικοί ἐστε καὶ κατὰ ἄνθρωπον περιπατεῖτε;), den 1 Kor 3,3 missbilligt. 734 735

230 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Volk auf die Probe, das dort, wo es in der Versuchung scheitert, beginnt, seinerseits Gott zu versuchen (s. o. ‎3.2.3.2).739 Einmal mehr befinden sich die Adressaten in einer den Wüstenvätern analogen Situation. Hier wie dort ist Gottes Treue Anlass und Ankerpunkt der Rettung.740 Vor diesem Hintergrund hat die Treueaussage tatsächlich „ermutigende Funktion“ und bietet einen „zuversichtliche[n] Ausblick“.741 Dieser besteht aber nicht darin, den Ernst der Situation zu mildern.742 Gottes Treue zeigt sich darin, dass er versucht, die Korinther von ihrem Tun abzubringen743 und dort, wo er sie versucht, „im Moment der kritischen Situation“744 einen Ausweg bereit hält – in diesem Falle, sich gegen die Teilnahme am Götzendienst zu entscheiden und an der Bundesgemeinschaft festzuhalten. Beide Aspekte, Trost und Mahnung, sind in 10,13 vorhanden und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Vielmehr müssen sie einander ergänzen, damit der Vers sein rhetorisches Ziel erreichen kann. Dass Paulus die Aufforderung, dem Götzendienst abzuschwören, durch einen Appell an die Treue Gottes einleitet und die Schwierigkeiten der Korinther als Versuchungssituation zeichnet, zeigt, wie ernst er die problematische Lage seiner Adressaten nimmt. „The testing envisioned in 10.13 must have seemed unbearable to some. The promise in 10.13 makes much better sense if the pressure for them to eat idol food is intense and comes from without.“745 Schließlich verlangt Paulus nicht weniger, als „die Zwänge zur Konformität mit der heidnischen Gesellschaft zu durchbrechen“746. Dass die Versuchung lediglich „menschlich“ ist, bedeutet keineswegs, dass sie nicht ernst zu nehmen wäre. Sich alltäglichen kultischen Verrichtungen zu verweigern, konnte weitreichende geschäftliche Konsequenzen nach sich ziehen. Zu denken ist ferner an das Unverständnis von Freunden und Familie, den Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe, verpasste Aufstiegs- und Geschäftsgelegenheiten.747 Vor diesem Hintergrund erscheint es etwas plausibler, das Murren der Korinther mit dem Murren nach den Fleischtöpfen Ägyptens zu vergleichen. 739 Ob im Hintergrund ferner „die Vorstellung von einer in der eschatologischen Drangsal noch derart sich steigernden ‚Versuchung‘, daß ihr nicht einmal die ‚Erwählten‘ ohne Gottes Eingreifen standhalten können“ steht, wie Hahn 2006, 349, meint, ist fraglich, für den gedanklichen Zusammenhang aber auch unerheblich. 740 Vgl. insb. das Nebeneinander von Gottes Treue und Vernichtungsdrohung im Treuespruch Dtn 7,8–10. 741 Zeller 2010, 326. Vgl. auch Broer 1989, 307: 10,12 sei „nicht das letzte Wort des Paulus in dieser Situation“. „Paulus wollte nicht mit dem bedrohlichen Inhalt von V 12 enden, sondern den Korinthern gerade auch in dieser von ihm beschriebenen Situation der Versuchung Mut machen.“ 742 Das Fazit Fee 1987, 460, „in typical fashion Paul cannot bring himself to end all of this on such a strong word of threat“, nimmt die rhetorische Situation entsprechend verklärt wahr. 743 Vgl. Koet 1996, 614: „In a certain sense the combination between warnings and punishment are an indication of Gods faithfulness. Paul makes this explicit in 10,12 ans (sic) 10,13.“ 744 Kuhn 1952, 217. σὺν τῷ πειρασμῷ ist am ehesten temporal zu verstehen. 745 Cheung 1999, 146. 746 Zeller 2010, 334. Vgl. dazu auch Butarbutar 2007, 61–84.103. 747 Vgl. Cheung 1999, 146, der ferner entsprechende Repressalien in Thessaloniki anführt und

3.4 Gedankliche Kartierung

231

3.4.4.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen 10,12–13 schöpft aus dem Plausibilitätsgefüge des biblischen Musters, das Paulus in einer Synthese von weisheitlichem und apokalyptischem Rhetorolekt in 10,1–11 aufgebaut hat. Die Mahnungen 10,12 f. bewegen sich gedanklich ganz in diesem Rahmen, schöpfen aus ihm die Kraft, das Selbstbild der sogenannten „Starken“ zu hinterfragen. Der Treuspruch 10,13 schließt an diese gedankliche Welt an und schmückt sie für „Starke“ und „Schwache“ gleichermaßen weiter aus. Logische Struktur und Argumentationsebenen 10,12 baut auf der Schlussfolgerung von 10,6–11 auf und macht sie im Lichte der durch 10,11 betonten Dringlichkeit zum Ausgangspunkt des neuen Gedankens. Weil die Korinther in der unmittelbaren Gefahr stehen, Gottes vernichtenden Zorn auf sich zu ziehen (D), sollen sie auf ihr Verhalten Acht geben (K). Auf diese Weise reformuliert 10,12 die praktische Schlussfolgerung aus 10,6–11 ohne deutlichen Bezug auf die Wüstengeneration und stärker zugeschnitten auf die konkrete Problemlage in Korinth. Sinnvoll ist diese Aussage nur dann, wenn eine drohende Vernichtung tatsächlich durch eine Verhaltensänderung abgewendet werden kann (SR). Entsprechend thematisiert 10,13 eben diese Möglichkeit. Dass die Versuchung das Maß des nach menschlichen Maßstäben zu Bewältigenden nicht übersteigt, sondern Gott ob seiner Treue einen Ausweg bereithält, stützt die 10,12 zu Grunde liegende Schlussregel (SR). Der implizite Schluss von 10,13 lautet: Weil Gott treu ist (D), bietet er einen Ausweg (K). Auch hier wird also ein Datum durch eine Schriftanspielung (Gottes Treue) eingeführt, die aber nicht als solche identifiziert werden muss, um dem Gedanken folgen zu können. Bei all dem stützen sich die Bemerkungen 10,12 f. jedoch keineswegs auf derlei Gedankenschlüsse, sondern operieren auf der emotionalen Ebene. Sie nutzen den in 10,1–11 aufgebauten rhetorischen Druck, fokussieren ihn (10,12), und reichern ihn um den Gedanken der Treue Gottes an (10,13), um die Hörerschaft dahin zu führen, das Rettungsangebot anzunehmen und der Aufforderung 10,14 zu folgen. Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Mit 10,12 kommt die wirklichkeitsetablierende Bewegung der ersten Kapitelhälfte an ihr Ende. Die gedanklichen Verbindungen, die das biblische Beispiel eingeführt hat, sind nun stark genug, dass der Text auf ihrer Grundlage eine doppelte Dissoziation treffend Mitchell 1991, 254, zitiert: „it was not a change of heart that might win a Christian convert back to paganism, but the overwhelming pressure to conform imposed by the institutions of his city and the activities of his neighbors.“

232 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 vornehmen kann. Zunächst trennt er Anschein von Wirklichkeit, was die Situation der Korinther anbelangt. Sie scheinen nur zu stehen. In Wirklichkeit ist dies keineswegs ausgemacht. Im Grunde wiederholt sich hier die argumentative Bewegung von 10,1–5 in verallgemeinerter Form. Sodann scheint die Situation der Korinther vor der so entstandenen Drohfolie fast ausweglos. Doch auch dieser Schein trügt: Gott hält einen Ausweg vor. Das Theologumenon von Gottes Treue steht zwischen wirklichkeitsetablierendem und wirklichkeitsbeschreibendem Argument. Einerseits handelt es sich dabei um eine theologische Grundüberzeugung, die 10,13 zum gedanklichen Ausgangspunkt nehmen kann. Andererseits bewahrheitet sich diese Überzeugung gerade im Horizont der Exodustradition am biblischen Beispiel. Letzteres bleibt jedoch implizit. b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang 10,12–13 nehmen Motive und Gedanken aus 10,6–11 auf und modifizieren sie auf eine Weise, die zur Aufforderung 10,14 hinführt.748 Damit fokussieren sie das Anliegen des Exodusreferats 10,1–13 und schließen dessen rhetorische Bewegung ab. 3.4.5 10,14 f. Die Verse 10,14 f. verbinden das Exodusreferat 10,1–13 mit den diskursiveren Überlegungen in 10,16–22. Sie sind keiner der Texthälften eindeutig zuzuordnen, sondern stehen gedanklich auf der Schwelle. 3.4.5.1 10,14: Die zentrale Aufforderung Die Aufforderung, vor dem Götzendienst zu fliehen, schließt mit διόπερ an den erweiterten Treuespruch an, will also als Folgerung verstanden werden. Die Konjunktion διόπερ findet sich im gesamten Neuen Testament nur hier und in 1 Kor 8,13.749 In 8,13 ließ sich beobachten, wie Paulus auf diese Weise eine Schlussfolgerung einleitet, die zugleich den nächsten Sinnabschnitt eröffnet. Ähnliches scheint hier zu geschehen. Die Schlussfolgerung kann sich dabei sowohl auf 10,13 als auch auf den gesamten Zusammenhang 10,1–13 beziehen. Im ersten Falle schlösse 10,14 so eng an 10,13 an, dass die traditionelle Unterteilung zwischen 10,13 und 10,14 in Zweifel zu ziehen wäre. Im zweiten Falle ließe sich die Unterteilung eher vertreten, da 10,14 auf die erste Kapitelhälfte insgesamt zurückblicken und so die zweite Kapitelhälfte einleiten würde. In der Tat wird 10,14 häufig vor allem als Reaktion auf das Ergehen der 748 Cover 2015, 71, verweist für eine vergleichbare Modifikation des Versuchungsmotivs im Zusammenhang einer eschatologischen Mose-Tradition auf die Vaterunserbitte Mt 6,13. 749 Vgl. Broer 1989, 299. Wolff 2011, 224, übersetzt: „Weil es sich so verhält …“.

3.4 Gedankliche Kartierung

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Wüstengeneration verstanden. Weil diese durch ihr Fehlverhalten vernichtet wurde, geht vom Götzendienst eine Gefahr aus. Dabei wird jedoch vernachlässigt, dass der Vers gerade nicht auf 10,11 folgt. Seine Position nach 10,12 legt einen komplexeren gedanklichen Anschluss nahe. Freilich steht das Schicksal der Israeliten im Hintergrund der Überlegungen. Vor allem ergibt sich die Aufforderung, vor dem Götzendienst zu fliehen, aber aus der Möglichkeit, die Gott vorhält, der drohenden Vernichtung zu entgehen. Damit löst 10,14 die zuvor rhetorisch aufgebaute Spannung, indem er sie in eine konkrete Handlungsaufforderung umsetzt. Insofern kann gerade nicht gesagt werden „the paraenetic message of 1 Cor 10:13 differs significantly from the message of 1 Cor 10:14“750. Die Warnung vor Götzendienst knüpft nicht nur an die verwandte Warnung in 10,7 und entsprechende Konnotationen in 10,8–10 an, sondern setzt die rhetorische Bewegung von 10,13 fort. Bemerkenswert ist die bei Paulus recht seltene affektive Anrede ἀγαπητοί μου.751 Sie drückt wie das in 10,1 gebrauchte ἀδελφοί emotionale Verbundenheit aus und stärkt folglich das Ethos des Paulus.752 Besonders im Kontrast zu den abstrakter gehaltenen vorangegangenen Aussagen, verleiht diese persönliche Note seiner Aufforderung Nachdruck: „[T]he affectionate address turns the command into an entreaty.“753 Insofern paraphrasieren Robertson/Plummer rundum treffend: „Yes, God provides escapes from temptations, and so my affection for you moves me to urge you to escape from temptation to idolatry; avoid all contact with it.“754 Die Präposition ἀπό in der Aufforderung φεύγετε ἀπὸ τῆς εἰδωλολατρίας wird ganz verschieden aufgefasst. Teils wird sie lokativ verstanden,755 teils als Verstärkung des Ausdrucks.756 Im Vergleich mit der ähnlichen Aufforderung in 6,18, die mit direktem Objekt formuliert (φεύγετε τὴν πορνείαν), scheint es mit ἀπό jedenfalls eine besondere Bewandtnis zu haben. Bedenkenswert ist Garlands Überlegung, ἀπό passe insofern zum konzilianten Ton des Verses, als die Präposition impliziere, die Korinther hätten sich des Götzendienstes noch nicht schuldig gemacht. Paulus hätte sich sonst anders ausdrücken müssen, etwa mit ἐκ.757 Dem Vorwurf des GötzenCover 2015, 66. Nach Smit 1997a, 52, Anm. 37, findet sich eine ähnliche Anrede lediglich sechs weitere Male (1 Kor 15,58; Phil 2,12; 4,1; sowie mit Abweichungen Röm 12,19; 2 Kor 7,1; 12,19) und hat durch ihre Seltenheit Signalcharakter. 752 Ob die Korinther, indem sie an Paulus herangerückt werden, jedoch auch von der Wüstengeneration abgerückt werden, wie Nikkannen 2018, 181, mutmaßt, erscheint fraglich. 753 Robertson/Plummer 1914, 211. Vgl. auch die ähnliche affektive Anrede im Zusammenhang von νουθεσία in 1 Kor 4,14. 754 Robertson/Plummer 1914, 210. 755 Vgl. Fee 1987, 464, Anm. 11 im Anschluss an Héring 1962, 93. 756 Vgl.  Klauck 1982, 258. In der Tat differenziert LSJ zwischen φεύγω + Akkusativ („to flee from, to shun, avoid“) und φεύγω + Präposition oder Genitiv („to flee, take flight, run away“). So betrachtet würde der Gebrauch der Präposition die unmittelbare Gefahr unterstreichen, die vom Götzendienst ausgeht. 757 Vgl. Garland 2003, 474. Dies steht allerdings in Spannung zu Textbeobachtungen zu 10,6–10, die darauf schließen ließen, dass zumindest Unzucht, das Versuchen Christi, das Murren und das 750 751

234 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 dienstes könnte zurecht eine Position auf der Grenze zukommen, die Paulus erst hier zieht. Zweifelsohne nehmen einige der Korinther Götzenopferfleisch zu sich. Ganz offensichtlich nehmen sie dies bisher jedoch nicht als Götzendienst wahr. Erst Paulus differenziert und zieht eine rote Linie beim Verzehr von Götzenopferfleisch in einem offensichtlich kultischen Zusammenhang.758 Insgesamt eröffnet 10,14 damit in der Tat die zweite Kapitelhälfte, die die bisher entwickelten Gedanken auf die konkrete Frage nach dem Verzehr von Götzenopferfleisch anwendet, knüpft aber so eng an das Vorangegangene an, dass eine deutliche Trennung der Abschnitte 10,1–13 und 10,14–22 nicht zu rechtfertigen ist.759 Ähnlich wie dem Abschnitt 9,24–27 kommt dem Vers 10,14 (und gewissermaßen auch dem Folgevers 10,15) eine vermittelnde Rolle zwischen beiden Kapitelhälften zu. Sie stehen scharnierartig in der Mitte. Die Rückkehr zum Thema Götzendienst, das den Abschnitt 10,6–11 wie auch den Rest der Passage maßgeblich bestimmt,760 und seine Scharnierfunktion geben 10,14 eine exponierte Stellung. Zu Recht hat man hier das „Zentrum und den Skopus von 10,1–22“761 erkannt, in dem sich „der Leitgedanke des ganzen Textabschnitts“762 findet: Götzendienst ist die rote Linie beim Konsum von Götzenopferfleisch, die nicht überschritten werden darf. 3.4.5.2 10,15: Der Appell an die Urteilskraft der Adressaten Wenn 10,14 den versöhnlichen Impetus des Verses 10,13 mit der Anrede ἀγαπητοί μου aufgreift, dann setzt 10,15 diese Strategie fort, indem der Text die Hörerschaft als φρόνιμοι anspricht und an ihre Urteilskraft appelliert. Dem Wortlaut nach spricht Paulus die Hörerschaft auf Augenhöhe an und fordert sie auf, seine Worte zu beurteilen. Von 4,10 oder auch 10,1 her legt sich mitunter ein ironischer Gebrauch von φρόνιμος nahe. Die Zuschreibung eines verlässlichen Urteilsvermögens Begehren schlechter Dinge im Allgemeinen verwerfliche Verhaltensweisen sind, derer einige Korinther sich bereits schuldig gemacht haben. 758 Insofern hat Cheung 1999, 147, recht, wenn er anmerkt: „Contrary to what is often asserted, there is no hint whatsoever that the subject of Paul’s discussion suddenly changes from εἰδωλόθυτα to εἰδωλολατρία per se.” Wenn er fortfährt: „Rather, Paul is making clear the nature of εἰδωλόθυτον: to eat εἰδωλόθυτον is to participate in εἰδωλολατρία. Thus, in 10.19–20, he sets εἰδωλόθυτον and εἴδωλον in apposition“, differenziert er seinerseits aber nicht ausreichend zwischen den unterschiedlich religiös qualifizierten Zusammenhängen, in denen Götzenopferfleisch verzehrt wird. 759 Vgl. Hahn 2006, 351; Thiselton 2000, 754. Schneider 2005, 40, betrachtet 10,1 und 10,15 als inclusio (s. o. S. 78). 760 Vgl. Nikkannen 2018, 181: „The imperative in verse fourteen is not a free-floating moral advice. Rather it is based on a potential figural correspondence between the Corinthians and their idolatrous fathers.“ 761 Gäckle 2004, 265. 762 Hahn 2006, 351. Fast gleichlautend sieht Sandelin 1997, 182, in der Frage des Götzendienstes und nicht etwa eines Sakramentalismus den „main point of Paul’s argument“. Vgl. auch Fotopoulos 2003, 233; Willis 1985, 167; Cheung 1999, 147.

3.4 Gedankliche Kartierung

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kann hier jedoch kaum „kritisch oder gar spöttisch gemeint“763 sein. Dies würde den rhetorischen Effekt der Passage untergraben. Paulus knüpft vielmehr an das Selbstverständnis seiner Gesprächspartner an und formuliert mit ὡς einen wirksamen Sachverhalt.764 Während er in 10,1–13 vor allem die Autorität der Schrift für seine Sache ins Feld geführt hatte, ändert sich hier tatsächlich der Duktus seiner Argumentation. 10,16–22 geht von allgemein einsichtigen Sachverhalten und von Erfahrungswerten der Korinther aus. Der Gedankengang ist darauf angewiesen, dass die Adressaten ihn kraft ihrer eigenen Erfahrungen und ihres Urteilsvermögens nachvollziehen und damit verifizieren können. Dabei stärkt bereits die demonstrative Einbindung der Hörerschaft, nicht zuletzt signalisiert durch das emphatische Personalpronomen,765 Paulus rednerisches Ethos, zumal er ihr das Prädikat „verständig“ zugesteht, das er zuvor noch in Zweifel gezogen hatte.766 Freilich kann die gesamte Aussage auch mit einem kritischen Unterton gehört werden: Wer den Schlussfolgerungen des Textes nicht zustimmt, verspielt die schmeichelhafte Zuschreibung.767 Dies erhöht jedoch allein ihre rhetorische Effektivität. Paulus appelliert in der Tat an die Urteilskraft der Adressaten, die anhand seiner Ausführungen in den Folgeversen zum gleichen Schluss kommen sollen wie er: Der kultische Verzehr von Götzenopferfleisch ist gleichbedeutend mit Götzendienst. 10,7 hatte diesen Zusammenhang lediglich biblisch gesetzt, jedoch nicht weiter begründet. 3.4.5.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Insofern als die Aufforderung 10,14 sachlich aus 10,6–11 und 10,12 f. hervorgeht, ist auch 10,14 gedanklich noch vom Exodusreferat bestimmt. Spätestens mit 10,15 beginnt der Text jedoch, sich aus diesem gedanklichen Rahmen zu lösen. Die eschatologische Dimension ist weiterhin präsent, bleibt nun jedoch im Hintergrund. 763 Hahn 2006, 351. Vgl. die Parallele zu 10,1, ferner Klauck 1982, 258, Anm. 102, und Garland 2003, 475. Robertson/Plummer 211 sehen allerhöchstens einen „gentle rebuke“, der den Sachgehalt der Aussage jedoch nicht aufhebt. Anders Hays 1998, 166 f. 764 Fee 1987, 464 f., verweist für diese Ausdrucksweise auf 5,3, für eine analoge Gesprächssituation auf 11,13, für eine ähnliche Zuschreibung auf 14,20. Works 2014, 90, schlägt vor, die Ironiefrage für 10,15 offen zu lassen: „It is perhaps best to read verse 15 with the possibility of both interpretations, since it is highly unlikely that this congregation who is divided over their knowledge (8:7) would have interpreted this line the same way.“ 765 Vgl. Robertson/Plummer 1914, 211. 766 Vgl. abermals 4,10. 767 Vgl. Quint. inst. 9,2,27–29 zu adulatio und vera libertas (παρρησία).

236 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Logische Struktur und Argumentationsebenen 10,14 f. agieren im Wesentlichen auf einer emotionalen Argumentationsebene. Paulus stärkt sein Ethos und seine Bindung zur Hörerschaft durch die Anrede „meine Geliebten“ und dadurch, dass er sich ihrem Urteil zu unterwerfen vorgibt. Wenn er den Korinthern zuschreibt, φρόνιμοι zu sein (D), und sie dazu auffordert, seine Rede zu beurteilen, impliziert er damit jedoch zugleich, dass das Prüfen seiner Position zur Zustimmung führen wird (K). Dem inhärent ist die unausgesprochene Schlussregel, die rhetorisch den Druck auf die Hörer aufbaut, ihre Verständigkeit durch Zustimmung unter Beweis zu stellen: Wer verständig ist, kommt zum gleichen Schluss wie Paulus (SR). Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Die Verse 10,14 f. leiten vom vorwiegend wirklichkeitsetablierenden Modus zur stärker wirklichkeitsbeschreibenden, argumentativen Bewegung der zweiten Texthälfte über, wie es auch am Appell an die Urteilskraft der Adressaten deutlich wird. b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang Im Lichte von 10,13 handelt es sich bei 10,14  – abermals im Jargon Kopperschmidts – um die Erklärung der Ausnahmebedingung zum Analogieschluss: die Väter wurden vernichtet – also werden wir vernichtet, außer wir fliehen vor dem Götzendienst. Die Aufforderung 10,14 reformuliert damit bereits ausgesprochene Mahnungen, spitzt sie der Sache nach aber auf Götzendienst zu. Sie stellt den Abschluss des Gedankengangs bis hierher dar und eröffnet zugleich einen neuen argumentativen Anweg zum gleichen Ziel. Ebenso besitzt auch 10,15 eine Zwischenstellung zwischen 10,1–13 und 10,16–22. Die Korinther sollen Paulus Worte beurteilen. Hätten Sie den bisherigen Gedankengang verstanden, müsste ihr Urteil jedoch schon gefällt sein. 3.4.6 10,16 f. 3.4.6.1 10,16: κοινωνία durch Kelch und Brot 10,16 knüpft thematisch an die Eingangsverse 10,3 f. an. War dort das Erleben der Wüstenväter in den Farben des Herrenmahls gezeichnet worden, wird nun direkt die Herrenmahlserfahrung der Hörerschaft thematisiert. 10,16 bestärkt somit die Analogie von Hörerschaft und Wüstengeneration im Hinblick auf die Heilserfahrung. Die Aussagen zur Realität des Herrenmahls in 10,16 tragen bereits durch ihre Form rhetorisches Gewicht und inhaltliche Autorität. Als rhetorische Doppelfrage entwickeln sie eine Suggestivkraft, die durch den strengen und ebenmäßigen

3.4 Gedankliche Kartierung

237

sprachlichen Aufbau noch verstärkt wird.768 Zudem hat Paulus das Gewicht der Tradition auf seiner Seite. Die Anführung hat „Zitatcharakter“769. Dass Kelch und Brot im Herrenmahl Gemeinschaft (κοινωνία) mit Christus bedeuten, wird als nicht hinterfragbare Selbstverständlichkeit in den Raum gestellt, ebenso selbstverständlich wie die Herrenmahlshandlung selbst. Paulus argumentiert wirklichkeitsbeschreibend, indem er von gemeinsamen Grundüberzeugungen zum Herrenmahl ausgeht, um einen neuen Gedanken zu entwickeln.770 Eine ausführlichere Erklärung wäre der rhetorischen Kraft eher abträglich gewesen. Auch Rückschlüsse auf die frühchristliche Herrenmahlspraxis und -theologie sind aus 10,16 nur mit Vorsicht zu ziehen. Das Herrenmahl ist an dieser Stelle schlicht „kein selbständiges Thema“771. Die Feinheiten der Formulierung treten nicht so exponiert hervor, dass sie größere inhaltliche Bedeutung tragen dürften.772 Einige Aufmerksamkeit hat die ungewohnte Abfolge erregt. Paulus spricht zuerst vom Kelch, dann vom Brot. Auch hier wird weniger, wie es mitunter erwogen wurde, ein verlorengegangener Herrenmahlsritus im Hintergrund stehen; vielmehr dient die Reihenfolge der Aussageabsicht.773 Mit dem Kelch zu beginnen, stärkt die Analogie zum heidnischen Kultmahl, dessen Teilnehmer aus einem gemeinsamen Kelch tranken, jedoch je ihr eigenes Brot aßen.774 Wollte man ein den Überlegungen zugrundeliegendes Herrenmahlsverständnis rekonstruieren, wäre man auf die Erörterungen in 1 Kor 11 angewiesen. Obwohl der Text selbst dies nicht zu fordern scheint, hilft ein solcher Vorgriff, 10,16 f. kohärent zu deuten. Denn dem Wortlaut der paulinischen Abendmahlsparadosis nach ruft der Kelch stärker als das Brot die Vorstellung vom Tod Christi und dem darin gestifteten Bund auf (vgl. 1 Kor 11,25). Die Vorordnung des Kelchs ließe sich damit als Signal deuten, dass Paulus den gedanklichen Rahmen neu absteckt. Weil die neue Existenz der Gläubigen um einen Preis erkauft wurde, tragen sie große Verantwortung für ihr Handeln (vgl. 8,11). Willis weist in diesem Zusammenhang auf den formal parallelen Aufbau zwischen 10,16 und den EinsetVgl. Smit 1997a, 52: „By means of the interrogative form he [Paul] elicits their approval.“ Hahn 2006, 351. ποτήριον τῆς εὐλογίας nimmt eine geläufige jüdische Formulierung auf. Vgl. auch Wolff 2011, 226–230. 770 Vgl.  Fee 1987, 465. Nikkannen 2018, 181, resümiert: „The implication is that Paul presents here ideas he regards as uncontroversial and even self-evident to the Corinthian Christ-believers.“ Vgl. Willis 1985, 196, für die Verwurzelung der Tradition in der korinthischen Gemeinde. 771 Hahn 2006, 339. Vgl. auch Hahn 2006, 352. Als „a dramatic performance of someone else’s memory by which we make their past our own“ (Macaskill 2019, 74) zeigt der Ritus des Abendmahls freilich eine gewisse Nähe zur aneignenden Erinnerung an die Wüstengeneration – und zur Erinnerung an das Exodusgeschehen im Judentum allgemein. 772 Vgl. Klauck 1982, 258–260, zur Herkunft der Ausdrucksweise aus dem „Wortschatz der jüdischen Sondersprache“. Wegweisend ist dabei die Beobachtung von Klauck 1982, 261, zu 10,16: „Die eucharistische Terminologie wird umgeschmolzen in Kategorien, die dem Verstehenshorizont der Korinther näherliegen.“ 773 Vgl. Klauck 1982, 262; dort auch zu Berührungspunkten mit der Abendmahlsparadosis. 774 Vgl. Robertson/Plummer 1914, 212 f. 768 769

238 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 zungsworten 11,24 f. hin. Beide Verse deuteten Kelch und Brot, wobei der Kelch einmal als die κοινωνία des Blutes, einmal als ἡ καινὴ διαθήκη im Blut bestimmt werde.775 Durch die Chiffre „Kelch“ würde in 10,16 demnach zunächst der Grund der Bundesgemeinschaft benannt, die sodann ausgehend vom Bild des Brotes charakterisiert wird,776 denn die gedankliche Bewegung vom Kelch zum Brot schafft die Gelegenheit für die Einlassung 10,17 und leitet zugleich zur eigentlichen Streitfrage zurück: Dem Verzehr der Götzenopferspeise, die durch das Beispiel des Herrenmahls in den Rahmen der „covenant allegiance“777 gestellt wird.778 Am deutlichsten wird die angedachte Analogie zwischen Herrenmahl und Opferkult, wenn 10,16 von der κοινωνία des Blutes bzw. des Leibes spricht. Damit greift Paulus einen dezidiert nicht-biblischen Begriff auf, dessen pagan-kultische Verwendung hingegen durch öffentliche Inschriften allgemein geläufig war.779 κοινωνία entsteht durch die Teilnahme an der tatsächlichen Opfer- und Kulthandlung und beschreibt dem Effekt nach das nächste pagane Äquivalent der biblischen Bundesvorstellung – sofern sich eine solche Vorstellung überhaupt in pagane Kategorien übersetzen lässt: Die Opfergemeinschaft erzeugt sowohl ein Verpflichtungsverhältnis zwischen den Teilnehmern des Opfermahls und der Gottheit als auch eine enge Verbindung der Teilnehmer (bzw. der durch sie repräsentierten Gruppen) untereinander, creating and maintaining sacred human-divine and human-human bonds: those who had the privilege of participating in the sacrifices at the table of a deity were considered devotees of that deity with matching obligations towards each other and the deity who had graciously given them a gift from his or her table.780

Gedanklich ruft Paulus durch diese Sprache also das durch Christus vermittelte Bundesverhältnis mit den dazugehörigen Segnungen und Verpflichtungen auf. Vgl. Willis 1985, 206. Womöglich verweist auch 10,17 in ähnlichem Sinn auf das Abendmahl. Klauck 1982, 264, meint „οἱ πολλοί […] dürfte auf das ὑπὲρ πολλῶν der Abendmahlstradition verweisen.“ Allerdings gehen die markinische und die paulinische Form der Einsetzungsworte im Folgekapitel gerade in diesem Detail auseinander. 777 Gardner 1994, 165. 778 Vgl.  Robertson/Plummer 1914, 212 f. Hahn 2006, 352–253, sieht überdies in der Abfolge Wein – Brot – Leib eine Klimax: Das Abendmahl gibt nicht nur Anteil am Heilstod, sondern an Christus selbst und der neuen eschatologischen Existenz. Gardner 1994, 164, hingegen schließt aus der Vorordnung des Kelches gerade auf die betonte Wichtigkeit des bundesstiftenden Blutes. Zumindest die erste Ansicht stärkt den hier rekonstruierten Gedankengang. 779 S.o. S. 174. Vgl. Nikkannen 2018, 167. 780 Nikkannen 2018, 182. Möchte man daraus Schlüsse für die paulinische Herrenmahlsvorstellung ziehen, könnten sie etwa folgendermaßen lauten: „The cultic language suggests that the covenantal bond with God is created and maintained by participating in the blood and body of Christ. This means that Paul views Christ as the mediator through whom the Corinthians have access to a covenantal relationship with God. Their relationship with God is not direct but mediated through Christ, and it is only ‚in Christ‘ that they find themselves to be in covenant with God“ (Nikkannen 2018, 183). 775 776

3.4 Gedankliche Kartierung

239

Durch ihren Christusbezug gewinnt die κοινωνία der Korinther eine spezifische Gestalt, die sie von der κοινωνία des paganen Opfermahls absetzt: Es ist die Teilhabe an Christus, die die Gemeinschaft konstituiert und zugleich allen Götzendienst verbietet. Sowohl die horizontale, zwischenmenschliche als auch die vertikale Dimension der in Christus gestifteten Existenz kommen in den Blick. Dass und wie diese zusammenhängen, wird in 10,17 deutlicher. Letztlich sind Horizontale und Vertikale unlösbar miteinander verschränkt; die Einheit untereinander und die Einheit mit Christus bedingen einander wechselseitig. 3.4.6.2 10,17: Die Einheit der Gemeinde in der Exklusivität ihrer Gottesbeziehung Der Gedanke von 10,16 findet seinen Fluchtpunkt in den Aussagen zur Einheit der Gemeinde, 10,17. Denkbar ist eine Übersetzung als Kausal- oder als Nominalsatz: „Weil wir ein Brot sind“ bzw. „weil es ein Brot ist, sind wir, die vielen, ein Leib.“781 Die gängige Überlegung, Paulus könne die Gemeinde schwerlich als Brot bezeichnen und deshalb müsse 10,17a zwingend als Nominalsatz übersetzt werden („weil es ein Brot ist“), verfängt nicht.782 Denn auch die Metapher des Leibes wird im Vergleich zu 10,16 ja gedanklich auf ein neues Gleis gesetzt: Die Gemeinschaft des Leibes Christi ist die Gemeinschaft der Gemeinde als Leib.783 Die Veränderung in der Rede vom Brot ist nicht schwerer zu erfassen. Zudem ist bereits die Tatsache, dass Paulus das Brot ausdeutet, ungewöhnlich, denn nirgends sonst im Neuen Testament wächst dem Brot des Herrenmahls eine weitere bildliche Bedeutung zu. Die Eigenart von 10,17 mag daher rühren, dass das Brot im Zusammenhang des Essens von Götzenopferfleisch der wesentliche Bezugspunkt ist.784 So stellt 10,17b noch einmal betont klar, dass die Einigkeit der Gemeinde durch die Teilhabe am Brot, d. h. den Akt des Essens, zustande kommt (SR): Weil alle am einen Brot teilhaben (D)785 sind sie auch als viele ein Laib/Leib (K).786 Damit ruft Paulus seinen Hörern aller Wahrscheinlichkeit nach ihr eigenes Erfahrungswissen in Erinnerung, 781 Nikkannen 2018, 189, möchte 10,17 im Anschluss an Héring 1962, 95, als direkte Fortführung von 10,16 verstanden wissen und übersetzt: „to the effect that we, the many, are one bread, one body, for we all partake of the one bread“. ὅτι zur in Eröffnung eines Satzes, welcher die Grundlage einer nachfolgenden Aussage darstellt, sei unüblich (vgl. aber Gal 4,6) und der Gedanke ansonsten tautologisch. Deshalb sei ὅτι hier epexegetisch zu verstehen. 782 Vgl. etwa Schrage 1995, 441. Nikkannen 2018, 189, merkt in diesem Zusammenhang an, dass Paulus in 5,7 von der Gemeinde ja zumindest im Bild des Teiges gesprochen hatte. Wenn auch mit anderer Bedeutung, möchte man hinzufügen. 783 Vgl. Thiselton 2000, 769 f., der diese Bewegung von Ricœur herkommend metapherntheoretisch aufarbeitet. 784 Vgl. Fee 1987, 468 f. 785 Es handelt sich um erklärendes γάρ (vgl. Fee 1987, 470, Anm. 33). 786 Die eigenwillige Verwendung der Präposition (ἐκ τοῦ ἑνὸς ἄρτου) scheint dabei ein Hebraismus zu sein und keine eigenständige Bedeutung zu tragen (vgl. Fee 1987, 470, Anm 35). Mangels eines möglichen Bezugstextes lässt sich diese sprachliche Eigenheit kaum als Intertextualitätssignal auswerten.

240 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 das den in 10,16 unterstellten Sachverhalt stützt. Die Korinther haben erfahren, dass das gemeinsame Mahl Gemeinschaft stiftet. Zu dieser κοινωνία gehört die vertikale, theologische Dimension nicht weniger als die horizontale, soziale Dimension. So verstanden ist 10,17 weniger „a brief social excursus“ als „a theological statement“.787 Wenn Margaret Mitchell 10,17 vor dem Hintergrund rhetorischer Gepflogenheiten deutet, ist ihr grundsätzlich recht zu geben: „It is a topos in ancient literature urging concord to emphasize the cultic ties existing between the now divided groups.“788 Den Vers auf diese Weise rhetorisch zu klassifizieren und auf seinen sozialen Bedeutungsgehalt einzuengen, ginge jedoch an der Aussageabsicht des Abschnittes vorbei, der ja gerade die theologische Dimension der Frage wieder aufgreift.789 Paulus knüpft hier an seine Aussagen in Kapitel 8, besonders 8,4–6.8 an und nuanciert seine Position (vgl. insb. 10,19). Da er das Schma schon in 8,4 einspielt (οὐδεὶς θεὸς εἰ μὴ εἷς) und in 8,1–6 vielfältig verarbeitet,790 ist es nicht abwegig, zusammen mit Andrew Byers anzunehmen, dass das εἷς des Schma auch in den Eins-Aussagen von 1 Kor 10,17 gehört werden kann.791 Freilich bietet der Text nur ausgesprochen schwache Signale. Durch die Rolle des Schma in der Eröffnung des Großabschnitts ließe sich aber im Anschluss an Hays von einem gewissen „volume“ dieses Textes sprechen. Bei einem Text mit der Prominenz des Schma ist es zudem erwägenswert, ob nicht auch minimale wörtliche Übereinstimmungen eine ausreichende intertextuelle Markierung darstellen, zumal die Frage der Alleinverehrung Gottes bereits Thema ist und die Zahl eins durch die Wiederholung εἷς ἄρτος – ἓν σῶμα – ἐκ τοῦ ἑνὸς ἄρτου nachdrücklich betont wird.792 Dabei erlaubt Byers Analyse der rhetorischen Funktion des Schma in frühjüdischer Literatur einen tieferen Einblick in die Logik des gesamten paulinischen Gedankengangs an dieser Stelle. Byers kann demonstrieren, dass die Anführung des Motivs von Einheit und Einzigkeit im Gefolge des Schma gemeinhin zwei Funktionen erfüllt: es wirkt hin auf „internal unity and external communal distinctiveness“793. Denn „cohesion and communal integrity reflected positively on the identity of the one God“794, dessen Einzigkeit zugleich „boundary demarcation lines that preserved the uniqueness Smit 2000, 45. Als Nebenbemerkung begreifen 10,17 Weiss 1910, 258, Moffatt 1954, 135, u. a. Mitchell 1991, 141. Dass und wie dieser Topos gedanklich funktioniert, erklärt die von Nikkanen herausgearbeitete Bedeutung von κοινωνία. 789 Byers 2016, 526, nuanciert die Ergebnisse von Margaret Mitchell und Martin Dale entsprechend und merkt zurecht an, dass Götzendienst in 10,7.14 sehr wohl kritisiert wird, die Spaltungen der Gemeinde hingegen im gesamten Kapitel nicht offen angesprochen werden. 790 Waaler 2008, 303–437, zeichnet dies ausführlich nach. Weitere einschlägige Literatur bei Byers 2016, 524, Anm. 32. 791 Vgl. Byers 2016, 524–526. 792 S.o. 189. Legt man Hays Kategorie „availability“ an, gibt es wohl kaum einen Text, der more available gewesen wäre als das Schma. Vgl. Waaler 2008, 40 f. 793 Byers 2016, 520. Byers stützt sich in seiner Analyse auf Barton 2004. Unter den Texten, die er anführt, sind Spec. 1,52; 1,67 f.; Virt. 35; A. J. 5,97.112. 794 Byers 2016, 520. 787 788

3.4 Gedankliche Kartierung

241

of the people of the one and only Deity“795 nötig mache. In dieser Zuspitzung wird die Frage des Götzendienstes in 1 Kor 10 zwar nicht verhandelt, jedoch bietet sie einen Anknüpfungspunkt für derlei Gedankengut. Das Gebot der Einheit/Einzigkeit Gottes und seines Volkes werden jeweils gegenseitig aufeinander abgebildet.796 In den Texten, in denen dies geschieht, ist es folglich weniger wichtig, das Schma als konkreten Bezugstext aufzurufen, als einen Vorstellungsraum vielfach miteinander verknüpfter Einheit und Einzigkeit zu eröffnen, der sich im Gefolge des Schma ausgebildet hat und tradiert wurde. Die Einheit und die Einzigkeit der Gemeinde in der Bindung an ihren einen und einzigen Gott797 bedingen sich auch nach 10,17 wechselseitig. Die Teilnahme an paganen Kultverrichtungen ist ein besonders eklatanter Bruch mit der Einzigkeit, d. h. der exklusiven Bindung an den einen Gott.798 Dort, wo diese Einzigkeit leidet, leidet jedoch auch die Einheit der Gemeinde. Umgekehrt ist ihre Einheit zugleich Aufruf, die Einzigkeit zu wahren. Wenn das Herrenmahl, auf der Linie des κοινωνία-Begriffs gedacht, durch die Teilhabe an Brot (und Wein) paradigmatisch die Gottesbeziehung der Korinther und die Beziehung der Gemeindeglieder untereinander konstituiert, ist es nur logisch, dass die Teilhabe an einem fremdem Kultmahl sowohl die Gottesbeziehung als auch das Gemeindegefüge stört. Dass letzteres der Fall ist, war seit 8,7 wiederholt betont worden. Nun nähert sich Paulus der theologischen Wurzel des Problems. Diese gedankliche Bewegung scheint hinter dem gesamten Argumentationsgang 10,16–21 zu stehen. Denn das Beispiel des Abendmahls führt diesen Gedanken zur positiven Seite hin aus. Die folgenden Verse veranschaulichen seine negative Seite. 3.4.6.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Stellten 9,24–10,13 eine Synthese aus apokalyptischem und weisheitlichem Rhetorolekt dar, beginnt Paulus in 10,14, apokalyptischen und kultischen („priesterlichen“) Rhetorolekt miteinander zu verschmelzen. Er argumentiert weiterhin vor einem Byers 2016, 520. Vgl. Byers 2016, 520: „[T]he term ‚one‘ from the Shema could take on associative properties by which a thing, place, a time or the Jewish people could be correlated with the ‚one‘ God.“ Paradestelle für ein solches Vorgehen ist ihm Jer 32,37–41. Ferner illustriert Byers dieses Vorgehen an Texten von Josephus (C. Ap. 2,193; Ant. 4,200) und Philo (Opif. 172 f.; Spec. 1,67 u. a.). 797 Die Unterscheidung ist von Byers 2016, 526, entlehnt: „[…] in the multivalence of the term ‚one‘, the context suggests that the immediate concern addressed by Paul’s application of oneness here in chapter 10 is not the church’s failure to be socially unified but its failure to be socially unique.“ 798 Vgl. abermals Byers 2016, 525: „In the Corinthian Christians’ capacity as constituents of this unique social group of God’s chosen people, boundary lines must be drawn and maintained amidst a society saturated with idolatry, an enterprise for which the Shema serves as the most natural and well-suited (Jewish) source of rhetoric.“ 795 796

242 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 eschatologischen Horizont, wie spätestens 10,22 wieder in Erinnerung ruft, entfaltet nun jedoch nicht mehr die breite ethische Seite seines Arguments, sondern spitzt es auf die kultische Dimension zu. Wie es für den „priesterlichen“ Rhetorolekt typisch ist, kann man den Heilstod Christi gedanklich im Hintergrund stehen sehen. Logische Struktur und Argumentationsebenen 10,16 f. basieren auf einem logischen Schluss, der jedoch nicht offen ausgesprochen wird. Der Text verlässt sich auf die Evidenz seiner Aussagen. Das erste Datum, das der Gedankengang in 10,14–22 anführt, ist, dass die Teilhabe am Herrenmahl κοινωνία konstituiert. Der in 10,17 vorgebrachte Gedanke, dass die Teilhabe am einen Brot (D) die Korinther zu einem Leib forme (K), setzt als Schlussregel eben diesen Sachverhalt voraus: religiös qualifizierte Mahlgemeinschaft stellt κοινωνία her. Da der κοινωνία-Begriff eine soziale und eine theologische Ebene umschließt, kann Paulus dies, obwohl es ihm der Sache nach um die theologische Dimension der κοινωνία geht, anhand der gemeinschaftlichen Herrenmahlserfahrung der Korinther illustrieren. Erstmalig argumentiert Paulus hier vom Erfahrungshintergrund der Korinther und nicht vom biblischen Beispiel her. Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Paulus bewegt sich weiter auf einer wirklichkeitsbeschreibenden Argumentationsebene. Dass kultische Mahlzeiten κοινωνία stiften, entspricht zeitgenössischen Denkfiguren. Auch wird das Herrenmahl selbstverständlicher Teil der gemeindlichen Wirklichkeit und Identität in Korinth gewesen sein. Indem Paulus beides zusammenbringt und diese Kombination anhand der Gemeinschaftserfahrung der Korinther im Herrenmahl illustriert, erschließt er das argumentative Potential dieser Vorstellungen für seine Zwecke. b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang Nachdem der bisherige Gedankengang in der Aufforderung mündete, sich vom Götzendienst fernzuhalten, eröffnen 10,16 f. den zweiten Argumentationsgang des Textes, der diese Aufforderung begründet. 10,16 knüpft dabei an die Eingangsverse 10,3 f. an. War dort das Erleben der Wüstenväter in den Farben des Herrenmahls gezeichnet worden, ohne dies direkt zu benennen, wird die Herrenmahlserfahrung der Hörerschaft nun direkt thematisiert. 10,16 bestärkt somit die Identifikation von Hörerschaft und Wüstengeneration zur Seite der Heilserfahrung hin. So wie dort die Einheit aller Väter betont wurde, die alle dieselbe Speise und denselben Trank zu sich nahmen, betont Paulus nun, wie wir alle am einen Brot teilhaben.799 In ihrer zwischenmenschlichen Dimension kann die κοινωνία-Vorstellung an die Diskussion um die Auswirkungen des Ver799

Vgl. Davidson 1981, 224.

3.4 Gedankliche Kartierung

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zehrs von Götzenopferfleisch auf der Ebene der Gemeinde anknüpfen und bahnt die Wiederaufnahme dieser gedanklichen Linie ab 10,23 f. an. Vor allem bereitet die theologische Dimension der κοινωνία-Vorstellung jedoch die unmittelbar folgenden Verse vor. 3.4.7 10,18–20 3.4.7.1 10,18: Der neuerliche Verweis auf die Wüstengeneration Mit βλέπετε τὸν Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα führt Paulus ein zweites Beispiel für κοινωνία durch kultische Mahlgemeinschaft an, anhand dessen die Korinther sich ihre Meinung zur Sache bilden sollen.800 Standen das Herrenmahl und seine Entsprechung seitens der Väter für legitime, heilbringende Mahlgemeinschaft, kehrt 10,18 zum Beispiel des Götzendienstes am Sinai zurück und beleuchtet die negative Seite kultischer Tischgemeinschaft. Ob Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα tatsächlich das geschichtliche Israel in der Situation des Bundesbruchs am Sinai bezeichnet, ist umstritten.801 Dies liegt unter anderem an der unklaren Bezeichnung κατὰ σάρκα, die als Gegensatz etwa zu einem „pneumatischen“ Israel negativ qualifiziert scheint.802 Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα kann jedoch ebenso gut die Abstammungsgemeinschaft des leiblichen, irdisch „greifbaren“ Israel bezeichnen.803 Da Paulus im Präsens formuliert, wird der Vers häufig auf den zeitgenössischen Kultdienst im Jerusalemer Tempel bezogen.804 Die Priester, die durch den Verzehr des Fleisches am Tempelopfer teilhaben, treten dadurch in eine κοινωνία ein, werden κοινωνοί des Altars.805 κοινωνός bezeichnet im entsprechenden Zusammenhang ja gerade die Teilnehmer der Kulthandlung.806 Diese Deutung 800 Gewissermaßen nimmt dies den Imperativ κρίνατε ὑμεῖς ὅ φημι wieder auf. Sprachlich knüpft 10,18 an 10,12 an (βλεπέτω μὴ πέσῃ). Dieser Befund ist inhaltlich aber schwer auszuwerten (einen Versuch unternimmt Winkler 2020, 29, Anm. 144). 801 Zustimmend äußern sich etwa Schrage 1995, 442; Merklein 2000, 264; Winkler 2020, 52 f. 802 Von solch einem pneumatischen Israel spricht Paulus allerdings nie. Mitunter wird als ein solches das „Israel Gottes“ aus Gal angeführt. Immer wieder spielen auch grundsätzliche Abwehrreaktionen in die Debatte, die eine antisemitische Deutung durch eine Abwertung Israels ausschließen möchten. Vgl. die Diskussion bei Winkler 2020, 44–52. 803 Vgl. für einen solchen neutralen, genealogischen oder irdischen Gebrauch bei Paulus Αβραὰμ τὸν προπάτορα ἡμῶν κατὰ σάρκα in Röm  4,1; οἵτινές εἰσιν Ἰσραηλῖται … ἐξ ὧν ὁ Χριστὸς τὸ κατὰ σάρκα in Röm 9,4 f. Ferner im näheren Zusammenhang 1 Kor 9,11: ἡμεῖς ὑμῶν τὰ σαρκικὰ θερίσομεν. 804 Vgl. etwa Wolff 2011, 232; Zeller 2010, 339, u. a. 805 Schrage 1995, 443, wertet auch die Verwendung von „θυσιαστήριον statt θεοῦ“ als Argument, dass hier die Rede vom götzendienerischen Israel ist. Die Meinung, dass θυσιαστήριον den Gottesnamen ersetzen könne, ist allerdings eine hartnäckige forschungsgeschichtliche Kuriosität, die sich anhand der Quellen kaum halten lässt. Sie geht zurück auf Greßmann 1921. Vgl. Klauck 1982, 265, und die überzeugende Darlegung, warum θυσιαστήριον hier den Altar als Metonymie des Opfers bezeichnet und die κοινωνοί entsprechend jene sind, die am Opfer teilnehmen bei Nikkannen 2018, 197 f. 806 S.o. S. 175.

244 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 setzt jedoch voraus, dass Paulus nach der Zwischenbemerkung 10,19 ohne entsprechende Ankündigung eine andere Gruppe in den Blick nimmt, nämlich diejenigen Heiden, die den Dämonen opfern. Dafür spricht tatsächlich die außerordentlich gut bezeugte Textvariante θύουσιν τὰ ἔθνη in 10,20. Sie ist jedoch als frühe Glosse anzusprechen, die die Intention des Textes missversteht.807 Zwar ist eine sichere Entscheidung anhand der äußeren Bezeugung nicht zu fällen, doch greift gerade darum das Argument der lectio brevior, insbesondere da 10,20 Bezug auf Dtn 32,17 LXX zu nehmen scheint.808 Dort ist ohne Zweifel davon die Rede, dass Israel (in der Wüste und damit mutmaßlich im Zuge des Bundesbruchs Ex 32) den Dämonen opferte. Alles in allem spricht eine überzeugende Reihe von Gründen für die Identifizierung von Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα in 10,18 und den Opfernden in 10,20 mit den Vätern nach Ex 32: (1) Der Gedankengang gewinnt an Kohärenz, weil nicht willkürlich und ohne jede Verdeutlichung neue Vergleichsgrößen herangezogen werden – noch dazu (2) Vergleichsgrößen, die im Falle des Jerusalemer Tempelkults großen Teilen der korinthischen Gemeinde sehr ferngestanden haben dürften. (3) Im Lichte der Verfehlungen der Wüstengeneration könnte die Formulierung Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα zugleich inhaltliche Valenz haben, im Einklang mit der großen Mehrzahl der σάρξBelege bei Paulus als negative Bezeichnung gewertet werden und dabei mitunter auch die Götzenfleischproblematik konnotieren.809 Paulus spricht zwar nicht von einem Ἰσραὴλ κατὰ πνεῦμα, doch wurde Israel vor (und nach) seinem Abfall Empfänger geistlicher Speise und geistlichen Tranks (10,3 f.). Es wäre also Israel im Moment des Bundesbruchs durch Fleischverzehr bezeichnet. (4) Spräche 10,18 von einem legitimen Opfer im Jerusalemer Tempel, wäre die Frage nach dem Status der Götzen und des Götzenoperfleisches in 10,19 ein non sequitur.810 Spricht 10,18 von Kultmahl vor einem Götzenbild, folgt 10,19 hingegen aus dem Zusammenhang. Und schließlich (5) kann 10,20 auf diese Weise im Einklang mit seinem Bezugstext Dtn 32,17 gelesen werden. Das durchgängig verwendete Präsens erklärt sich dann von seiner rhetorischen Funktion her: Es bildet den durch die Schrift vergegenwärtigten Sachverhalt auf die Realität der Adressaten ab.811 Aus dem spezifischen, biblischen Geschehen lässt sich eine kategoriale Aussage ableiten.812 Deshalb auch der Plural τὰς θυσίας.813 807 Vgl. Gardner 1994, 166. Nikkannen 2018, 196, Anm. 3, bietet hierzu weitere prägnante textkritische Überlegungen. 808 S.o. S. 121. 809 Vgl. Gardner 1994, 165 f., auch für knappere Varianten einiger der anderen hier angeführten Argumente. Dies bedeutet freilich gerade nicht, das Israel als solches abgewertet wird. Im Blick ist das konkrete Handeln Israels in Ex 32. 810 Genau so wird der Übergang aber mitunter verstanden (vgl. Weiss 1910, 260; Conzelmann 1981, 212). 811 Vgl. Hays 1989, 92. 812 Vgl. Winkler 2020, 43–44. 813 Auf diesen weist Zeller 2010, 340, als Argument gegen eine Identifikation mit Israel am Sinai hin. Paulus setzt mit dieser Generalisierung jedoch lediglich eine Entwicklung fort, die schon in

3.4 Gedankliche Kartierung

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In other words, Paul makes the Corinthians walk in the shoes of their idolatrous fathers to make them realise that they may be reproducing their fathers’ narrative. Consequently, Paul’s present tense verbs speak about both concurrent and historical events.814

Abermals bewähren sich die Väter als Typoi. Und abermals verstärkt diese Form der Vergegenwärtigung den rhetorischen Effekt der Passage. Die Adressaten müssen sich ganz unmittelbar fragen, inwiefern sie selbst κατὰ σάρκα handeln.815 So unterstreicht auch 10,18 das Entsprechungsverhältnis zwischen Hörerschaft und Wüstengeneration. Da dies hier zur negativen Seite hin geschieht, wird jede Identifikation jedoch zugleich relativiert.816 Einerseits wird die Erfahrung der Wüstengeneration durchsichtig für die Gemeinschaftserfahrung des Herrenmahls beschrieben. Wer das dargebrachte Opfer isst, ist κοινωνός des Altars, ganz so wie die Teilhabe an den Elementen des Herrenmahls κοινωνία mit Christus bedeutet.817 Zugleich bringt die Formulierung βλέπετε τὸν Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα die Hörerschaft von Beginn an in eine betrachtende Distanz zur Wüstengeneration. Ihr Beispiel ist gerade nicht nachzuahmen, aus ihm ist zu lernen. 3.4.7.2 10,19–20a: Götzenopfer ist Dämonenopfer Mit der Aneinanderreihung rhetorischer Fragen in 10,19 fällt Paulus sich selbst ins Wort. Er problematisiert den eigenen Gedankengang (Τί οὖν φημι;), und entschärft so einen aus 8,4 bekannten potentiellen Einwand:818 Was zählt all das, wenn die Götter nichtig sind? Dass Paulus hier an die von ihm prinzipiell bestätigten Zitate von 8,4 denkt, wird nicht nur durch das betonte τί οὖν φημι deutlich, sondern auch durch die Wiederholung sowohl von εἰδωλόθυτον und εἴδωλον, die nur in diesem Vers innerhalb von 10,1–22 erwähnt werden. Paulus steht nach wie vor zur Nichtigkeit der Götzen, aber er erblickt sozusagen hinter ihrer Maske die Macht und den Einfluss von Dämonen.819

Diese Frage an dieser Stelle setzt freilich voraus, dass 10,18 von Götzenopfer sprach. Im Einklang mit dem Grundbekenntnis, „dass kein Götze in der Welt ist und daß kein Gott ist, außer einem“ (8,4) provoziert die Doppelfrage „[Sage ich], dass das Dtn  32,17 bezeugt ist. Dem Erzählzusammenhang nach muss dort die Episode Ex  32 im Blick sein. Das Moselied formuliert aber generalisierend im Plural ἔθυσαν δαιμονίοις […] θεοῖς οἷς οὐκ ᾔδεισαν. 814 Nikkannen 2018, 203. 815 Vgl. schon die Zuschreibung in 1 Kor 3,1.3: ὡς σαρκίνοις […] σαρκικοί ἐστε. 816 Vergleichbar äußert sich Works 2014, 99 f. 817 Der Wechsel zum personalen κοινωνός mag deswegen erfolgen, weil nun nicht mehr der kollektive Aspekt der κοινωνία im Blick ist, sondern die Abhängigkeiten in den Blick kommen, in denen jeder einzelne Mahlteilnehmer steht. Sachlich gibt es keinen Unterschied. 818 Vgl. Quint. inst. 9,2,16 zu diesem Vorgehen. Treffend für die Funktion von τί οὖν φημι, zwischen dem bisher Gesagten und den kommenden Ausführungen zu vermitteln scheint die Übersetzung von Thiselton 2000, 773: „What, then, do I mean to affirm?“ 819 Gäckle 2004, 228.

246 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Götzenopfer etwas ist? Oder dass der Götze etwas ist?“ (ὅτι εἰδωλόθυτόν τί ἐστιν ἢ ὅτι εἴδωλόν τί ἐστιν;), eine emphatische Verneinung.820 Dies zeigt der Anschluss mit ἀλλά in 10,20 auch an.821 Die Aufnahme des Begriffs εἰδωλόθυτον verortet den Gedankengang ferner in der übergeordneten Diskussion um den Verzehr von Götzenopferfleisch und macht eine Bedeutungsebene sichtbar, die in 10,7 eingezogen worden war, bisher jedoch nicht weiter thematisiert wurde: Wenn 10,7.14 von Götzendienst spricht, geschieht das stets im Hinblick auf den Verzehr von Götzenopferfleisch. Zusammengenommen scheint dies eben im Widerspruch zur in 8,7 formulierten Schlussfolgerung zu stehen. Weil es nur einen Gott gibt, sei das Essen von Götzenopferfleisch vor Gott neutral zu bewerten. Diese Spannung spricht Paulus in diatribenhaftem Stil an, antizipiert mit der rhetorischen Doppelfrage einen Einwand seiner Hörerschaft822 und sichert sich so deren erneuerte Aufmerksamkeit. Ihr überlässt er es auch, die Antwort „Nein“ zu formulieren und fährt in 10,20 direkt mit der positiven Seite der auf „Nein“ folgenden correctio fort:823 Auch wenn es keine anderen Götter gibt, so gibt es doch nichtgöttliche Wesenheiten, die das Opfer empfangen. Das Problem liege darin, dass das Opfer nicht Gott, sondern den Dämonen gelte.824 Dass der pagane Kult den Dämonen gilt, ist im jüdischen Denken der Zeit vielfach dokumentiert.825 „Die Entlarvung der heidnischen Götter als ungöttlicher, ja widergöttlicher Wesen […] hat den gleichen Zweck wie die ontologische Depotenzierung der Götzen“826 in 8,4. Dabei ist die logische Spannung vor dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund geringer, als es zunächst den Anschein hat. Schon 8,5 erkennt ja die Existenz jener, die „Götter und Herren genannt werden“ an. Ihre „Wirksamkeit […] wird damit gerade nicht bestritten“.827 Von widergöttlichen Mächten und Gewalten spricht Paulus auch an anderer Stelle.828 Und selbst, wenn es sie nicht gäbe, sprächen die Opfernden den Dämonen durch ihr Verhalten Realität zu und würden diese nach außen hin bekräftigen.829 820 Vgl. Brevard 2012, 43, Anm. 19, für eine Diskussion der originellen, wenn auch äußerst abseitigen Übersetzung von τί als nachgestelltem Interrogativpronomen: „what is an idol sacrifice? And what is an idol?“. 821 Vgl. Fitzmyer 2008, 393. 822 Zur Antizipation eines Einwands als gängiger Funktion rhetorischer Fragen in der antiken Rhetorik vgl. Watson 1989, 312 f. und die dort angeführten Verweise auf antike Rhetorikhandbücher. 823 Auch dies entspricht antiker rhetorischer Gepflogenheit in der Verwendung von rhetorischen Fragen. Vgl. Watson, 10,23, 315–317, und die dort angeführten Verweise. 824 Wie schon in den rhetorischen Fragen 10,19 ist φημι ellidiert: [φημι] ὅτι ἃ θύουσιν, δαιμονίοις καὶ οὐ θεῷ [θύουσιν] (vgl. Heinrici 1896, 311). 825 Bezeichnend sind etwa Ps 95,5 LXX πάντες οἱ θεοὶ τῶν ἐθνῶν δαιμόνια für MT ‫ילים‬ ִ ‫;א ִל‬ ֱ Jes 65,3 LXX θυμιῶσιν … τοῖς δαιμονίοις ἃ οὐκ ἔστιν (!); Jub 22,17; Sib 1,22. Weitere Beispiele bei Zeller 2010, 341 f. 826 Zeller 2010, 341. 827 Hahn 337, Anm. 10. 828 Vgl. etwa die bekannte Stelle Röm 8,38. 829 Bedenkenswert ist die Nähe zu Porphyrius Bemerkung, abst. 2,42, den Dämonen als boshaf-

3.4 Gedankliche Kartierung

247

Das Phänomen, dass die Götter einerseits als metaphysische, dämonische Mächte, andererseits als Nichtse (‫)א ִל ִילים‬ ֱ bezeichnet werden können, steht ganz im Erbe alttestamentlichen Denkens, zumal in der Nachfolge der LXX-Übersetzer.830 Wie bereits festgestellt, nimmt die Formulierung Dtn 32,17 auf und verweist so auf Israels Opfer vor dem goldenen Kalb.831 Die Gleichsetzung von Dämonen und οὐ θεῷ in Dtn 32,17 LXX gemahnt an die Identifikation aller heidnischen Götter mit Nicht-Göttern.832 Doch auch ohne die nähere Kenntnis der entsprechenden jüdischen Vorstellungen muss die Realität von Dämonen nicht notwendigerweise in Spannung zur Nichtexistenz anderer Götter stehen. Der LXX-Sprachgebrauch baut auf die pagane Vorstellung von δαιμόνια als minderen Gottheiten sowie Mittlerund Zwischenwesen auf, die weder menschlich-irdisch noch göttlich sind.833 Das Konzept erlaubte, die unberechenbaren, negativen Verhaltensweisen der Götter eben diesen minderen Wesen zuzuschreiben. Wenn Paulus die Opfer unter Verweis auf Dämonen ablehnt, mag er Gedanken philosophischer Opferkritik aufnehmen, die „die Dämonen, nicht die Götter, als Adressaten schauerlicher Riten und Übel abwehrender Opfer“834 betrachtete. Von dieser Warte sind die Dämonen, denen der Opferkult gilt, in der Tat keine Götter.835 ten, göttlichen Ursupatoren wachse erst durch das Opfer der Menschen Macht zu. Das Problem ist nicht, dass Dämonen die Opfer empfangen, sondern dass die Menschen Dämonen opfern. Macaskill 2019, 75–82, arbeitet dies für Paulus identitätstheoretisch auf. 830 Vgl. Martin 2010, 662, für eine Übersicht über die vielfältigen Konnotationen und Übersetzungen von ‫ ֱא ִל ִילים‬und Martin 2010, 659–666, für eine Aufschlüsselung der hebräischen Begriffe und biblischen Vorstellungen hinter LXX δαιμόνιον. 831 Vgl. ferner Ps 105,37 LXX; Bar 4,7. 832 Vgl. auch die vielfach rezipierte Überlegung von Robertson/Plummer 1914, 216, in Parallele zu Dtn 32,21 LXX: αὐτοὶ παρεζήλωσάν με ἐπ᾽ οὐ θεῷ (MT: ‫א־אל‬ ֵ ֹ ‫)בל‬ ְ „sie opfern Dämonen, nämlich einem nicht-Gott“ zu übersetzen. Vgl. Gäckle 2004, 238, zu Dtn 32,15–18: „Dieser atl. Text, auf den Paulus nicht nur in V. 20, sondern auch in V. 22 anspielt, enthält alle Elemente der paulinischen Dämonologie in 1 Kor 8,1–11,1: Der Götze ist einerseits ein ‚Nicht-Gott‘ (V. 21), andererseits ist er ein fremder (MT) bzw. anderer (LXX) Gott, der Jahwe eifersüchtig macht (V. 16), und die Opfer für diesen Götzen/Götter werden de facto den Dämonen gebracht (V. 17).“ 833 Martin 2010, 662, hinterfragt die gängige Unterscheidung zwischen den Hochgöttern und den δαιμόνια. Zum einen sei δαιμόνιον gerade in der ältesten griechischen Literatur durchaus als Götterbezeichnung belegt, zum anderen habe die Unterscheidung etwas akademisches und sei wohl eher im philosophischen Diskurs als im Alltagsglauben beheimatet. In jedem Falle ist δαίµων (δαιμόνιον ist Diminutiv) eine äußerst schillerndes und ambivalente Bezeichnung, die zu Paulus Zeit ebenso auf die Seele Verstorbener, Glücks- und Unglücksmächte, Geister, Krankheiten, das Schicksal, (Halb-)Götter und vieles andere angewandt werden kann. Vgl. die Analyse exemplarischer Belege bei Brevard 2012, 18–26, und Brevard 2012, 28–39, für eine linguistische Analyse, wie die verschiedenen Bedeutungsebenen in der Rezeption zusammenspielen und doch unterscheidbar sind. Martin 1995, 153–197, betont ferner, Dämonen seien oft mit Krankheit und Unreinheit in Verbindung gebracht worden und bedeuteten die Gefahr von Ansteckung oder Verunreinigung. 834 Zeller 2010, 341, unter Verweis insb. auf Plut. mor. 417bc und Porph. abst. 2,40–32. Vgl. ferner Klauck 1982, 266 f., zur Flüssigkeit der paganen Dämonenvorstellung und für weitere Belegstellen. 835 Vgl. Brevard 2012, 45. In der Tat ließe sich auch „[…] opfern sie Dämonen und nicht einem Gott“ übersetzen. Daran würde Paulus allerdings kaum weniger Anstoß nehmen, wäre ein Opfer an die (vermeintlichen) Götter doch nicht weniger verwerflich.

248 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 So oder so möchte Paulus einem grundlegenden theologischen Missverständnis wehren. Gerade weil es nur einen Gott gibt, gilt das Alleinverehrungsgebot. Götzendienst ist gerade kein Adiaphoron.836 Deshalb ist zumindest in kultischen Kontexten, die κοινωνία mit der Wesenheit stiften, welcher das Opfer dargebracht wird, das Götzenopferfleisch zu meiden. Denn dessen Verzehr bedeutet eine Verpflichtung und signalisiert öffentlich die Anerkenntnis und Verehrung fremder Götter. Entscheidend dabei ist, dass die zentripetale Wirkung dieser dämonischen Mächte völlig unabhängig von der religiösen Überzeugung oder Erwartung des Opfernden ist und auch durch theologische γνῶσις (vgl. 8,1.4) nicht einfach aufgehoben werden kann.837

3.4.7.3 Zusammenfassung und Aufschlüsselung der Argumentation a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Die Verse 10,18–20a setzen die in 10,16 begonnene Diskussion im apokalyptischpriesterlichen Rhetorolekt fort. Paulus behandelt weiterhin kultische Fragen, ohne den eschatologische Horizont der Erörterung aufzuheben. Hatten 10,16 f. jedoch ganz vom Alltagswissen und der Erfahrungswelt der Korinther her argumentiert, bindet er die Argumentation hier wieder an das Beispiel der Wüstengeneration. Dabei ist es jedoch nicht mehr das in 10,1–13 am biblischen Beispiel aufgebaute Plausibilitätsgefüge, aus dem heraus er argumentiert. Vielmehr betrachtet er das Beispiel im Lichte des unmittelbar zuvor eingeführten Sachverhalts: kultische Mahlteilhabe bedeutet κοινωνία. Logische Struktur und Argumentationsebenen Der Abschnitt bedient sich kaum emotionaler Überzeugungsmittel, sondern steht ganz im Zeichen der rationalen Erörterung eines Problems. Der Gedanke, den 10,18–20a insgesamt transportieren will, ist der, dass die Teilnahme an der paganen Kult- und Mahlhandlung zu Verpflichtungen gegen die hinter dem Kult stehende Gottheit führt, die die Exklusivität des christlichen Gottesverhältnisses verletzt. Diese Schlussfolgerung (K) wird jedoch an keiner Stelle offen ausgesprochen und auch der logische Anweg dorthin ist keineswegs geradlinig. Zunächst erinnert 10,18 daran, dass auch Israel in der Wüste ein Kultmahl gefeiert hat (D). Nach der in 10,16 f. eingeführten und hier durch die Form der rhetorischen Frage als evident ausgewiesenen Maxime, dass kultische Mahlgemeinschaft κοινωνία herstellt (SR), kann 10,18 die Mahlteilnehmer als κοινωνοί des Altars bezeichnen (K). In Anbetracht der technischen Bedeutung von κοινωνία im kultischen Kontext ist dies gleichbedeutend mit einem Klientel- bzw. Verpflichtungsverhältnis der paganen 836 837

Vgl. Gäckle 2004, 186. Gäckle 2004, 238.

3.4 Gedankliche Kartierung

249

Gottheit gegenüber. Auch wenn dieser Schluss unausgesprochen bleibt, muss die Absicht dieser Verse auf ihn zielen, sonst wäre die Erklärung 10,19–20a nicht notwendig gewesen. Dort stellt Paulus klar, dass die Mahlgemeinschaft im paganen Kultmahl nicht etwa ins Leere läuft, weil es nur den einen und wahren Gott gibt, sondern dass sich hinter den paganen Gottheiten nicht-göttliche, aber keineswegs ohnmächtige Kräfte verbergen. Es ergibt sich als präzisierter und generalisierbarer Schluss: Weil das pagane Opfer den Dämonen gilt (D), steht jeder, der am paganen Kultmahl teilnimmt, in einem öffentlichen Verpflichtungsverhältnis zu diesen Dämonen (K). Schließlich stellt die Teilnahme am Kultmahl κοινωνία her, die einem solchen Verpflichtungsverhältnis gleichkommt (SR). 10,16 f. erweisen sich so als vorweggenommene Stützung (S) dieser Schlussregel. Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Während die argumentative Bewegung der ersten Kapitelhälfte von der Wirklichkeitsetablierung zur Wirklichkeitsbeschreibung führte, gehen diese Verse den umgekehrten Weg. Sie beginnen wirklichkeitsbeschreibend, nehmen den anerkannten Sachverhalt der κοινωνία zum Ausgangspunkt und assoziieren ihn mit dem Kultmahl der Väter. Dann nehmen sie aber die biblische Beschreibung des Götzendienstes in der Wüste zum Anlass, verallgemeinernd auf das pagane Kultmahl als solches zu schließen. Hier wird wiederum wirklichkeitsetablierend argumentiert. Möglich wird dies durch einen dissoziativen Zwischenschritt, der die Vorstellung von der Nichtexistenz anderer Götter differenziert. Dass nur der eine Gott wahrhaft Gott ist, bedeutet nicht, dass andere Anwärter auf den Gottestitel ohnmächtig sind. Es bedeutet nur, dass es sich dabei um Dämonen handelt. b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang Der Abschnitt 10,18–20a führt den in 10,16 begonnenen Gedankengang fort und bereitet dessen Abschluss in 10,20b–22 vor. Bemerkenswert im Hinblick auf die Art und Weise der Schriftverwendung ist, dass sie nach der in 10,6.11 eingeführten Typos-Logik geschieht, ohne dies noch einmal zu benennen. Wie dort, so macht das Beispiel der Väter auch hier unsichtbare, überzeitliche Sachverhalte sichtbar, nämlich dass das pagane Kultmahl stets Dämonen gilt. Dennoch begründet Paulus auch hier nicht ausdrücklich, worin das Problem des Götzendienstes besteht  – ein Umstand, der bis heute zur Verwirrung um dieses Kapitel beiträgt –, obwohl seine Bemerkungen schon in Richtung des in 10,21 gemachten Argumentes weisen. Um ihm gedanklich folgen zu können, ist es nötig, die angeführten Konzepte von κοινωνία und Alleinverehrung Gottes im Rahmen exklusiver Bundestreue zu kennen und ihre Aktualisierung in 10,14–18 wahrzunehmen.

250 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 3.4.8 10,20b–22 3.4.8.1 10,20b: Der Wunsch des Paulus In den Schlussversen zieht Paulus die praktische Schlussfolgerung aus dem bisher Gedachten. Zur Stärkung des rhetorischen Gewichts wirft er sein eigenes Ethos, logische Ausschließlichkeit und eine ironisch emotionalisierende und dabei auf dem Boden biblischer Autorität stehende Schlussfrage in die Waagschale. Von der Aussage 10,20a, die eher erklärend wirkt, hebt sich die Willensbekundung 10,20b durch ihre Emphase und die direkte Ansprache der Hörerschaft ab. οὐ θέλω δὲ ὑμᾶς κοινωνοὺς τῶν δαιμονίων γίνεσθαι entspricht in Charakter und grammatischer Konstruktion 10,1 οὐ θέλω γὰρ ὑμᾶς ἀγνοεῖν. Paulus tritt hier wieder unmittelbar als Sprecher auf, gibt seine Absichten bekannt und damit den Anlass, diese Worte zu Papier gebracht zu haben. Nimmt man diese Willensbekundungen ernst und denkt sie zusammen, so zielt die gesamte Relektüre der Exodusgeschehnisse darauf ab, die Korinther vor der κοινωνία mit den Dämonen zu bewahren:838 Paulus möchte die Korinther nicht in Unwissenheit über das Ergehen der Väter lassen, weil er nicht möchte, dass sie in κοινωνία mit den Dämonen stehen. Verstehen sie erst einmal, was die Wüstengeschichten bedeuten, ist auch diese Gefahr gebannt. 3.4.8.2 10,21: Dämonen- und Herrenmahl schließen sich gegenseitig aus Warum Paulus nicht möchte, dass die Korinther Teilhaber am Götzenopfer sind, haben die vorangehenden Verse hinreichend klar gemacht. Dass dies mit deren Identität in Christus nicht in Einklang zu bringen ist und dass das Verbot auch den Verzehr von Götzenopferfleisch einschließt, schärft der Parallelismus 10,21 noch einmal in bildhafter, sprachlich prägnanter Form ein. In der Formulierung τραπέζης μετέχειν klingt 10,17, ἐκ τοῦ ἑνὸς ἄρτου μετέχομεν, nach, so dass auch hier das Konzept der κοινωνία begründend durchscheint. Die Teilnahme an Kult- und Herrenmahl schließen sich deshalb aus, weil die Bundesgemeinschaft mit Christus jede Schuld- und Kultgemeinschaft mit den Dämonen ausschließt. Dass Gegensätze sich gegenseitig ausschließen, ist allgemein einsichtig. Dass und warum diese Gegensätze einander ausschließen, wird vor dem Hintergrund von 10,14–20a nicht weiter argumentativ begründet, sondern schlicht behauptet. Paulus setzt die Exklusivität der monotheistischen Gottesbeziehung in der Argumentation voraus und unternimmt keine Anstalten, sie seinen Adressaten einsichtig zu machen.839 Dennoch entfaltet die Behauptung durch ihre sprachliche Form und den Gleichklang der Glieder große rhetorische Überzeugungskraft. 838 Vgl.  vor diesem Hintergrund Hahn 2006, 337, Anm. 11: „Die ganze Argumentation von 1 Ko 10,1 ff läuft auf V. 18–22 zu; dies ist ein Abschnitt, der […] allzu oft übersehen oder nur beiläufig behandelt wird.“ 839 Dass er diese Ansicht mit den Adressaten teilt, macht bereits 8,4–6 zweifelsfrei klar.

3.4 Gedankliche Kartierung

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Selbst die Begriffe „‚Becher‘ für die Libationen und ‚Tisch‘ für den Altar sind hier gewählt, um die Gemeinsamkeit in der Alternative zu verdeutlichen“840. Schließlich sind dies die Elemente, die Herrenmahl und paganem Kultmahl gemein sind. So wird die Alternative auf die Spitze getrieben und die Angesprochenen werden vor die Wahl gestellt, ihre Existenz in Christus weiterzuleben oder all das für eine Rückkehr zu den Götzen und Dämonen aufzugeben. 3.4.8.3 10,22: Vereindringlichung Dass diese Entscheidung unumgänglich ist und deutlich für eine exklusive Christusteilhabe gefällt werden sollte, wird ebenfalls nicht weiter logisch-argumentativ begründet, sondern rein rhetorisch untermauert. Der Sache nach scheint gesagt zu sein, was zu sagen ist. Die letzte rhetorische Doppelfrage des Abschnitts in 10,22, ἢ παραζηλοῦμεν τὸν κύριον; μὴ ἰσχυρότεροι αὐτοῦ ἐσμεν; nimmt die Tradition der Eifersucht Gottes als Reaktion auf Bundesbruch und Abgötterei auf. Wie oben gezeigt wurde, ist der Topos mit dem Motiv der Versuchung als „Provokation […] Gottes“841 verwandt (s. o. ‎3.3.3.1). So klingt hier noch ein letztes Mal der Typos der Wüstengeneration im Hinblick auf ihr götzendienerisches Essen und Trinken (10,7) und die Versuchung Christi (10,9) an.842 Folglich spricht auch aus dieser Frage die immer gleiche Botschaft des Abschnitts: Wenn Mahlgemeinschaft mit den Dämonen bedeutet, den Kyrios zur Eifersucht reizen, ist der Verzehr von Götzenopferfleisch im Rahmen einer Kulthandlung nicht unbedenklich, sondern bedeutet tatsächlichen Götzendienst, der dem Kyrios sein exklusives Verhältnis zu den Gläubigen faktisch abspricht. Das Gottesverhältnis auf diese Weise weiter zu verletzen, bedeutet, sehenden Auges dem Gericht entgegenzugehen. Dies hatte insbesondere 10,6–11 eingeschärft. Nun macht es auch die abschließende rhetorische Frage deutlich.843 Es wäre nur dann ungestraft möglich, wären die Korinther „stärker als er“ – ein Ding der Undenkbarkeit. Ganz im Gegenteil hat der Text bis hierher ja gerade herausgestellt, mit welcher verheerenden Kraft Gott die Wüstengeneration vernichtet hat und wie sehr auch die Korinther auf seine Treue angewiesen sind, um bestehen zu können (vgl.  10,13). Der ganze Vers trägt eine spöttische Note, was seine rhetorische Effektivität wiederum steigert. Schon das einleitende ἤ, das eine Alternative anzeigt, scheint fragen zu wollen: „Oder glaubt ihr ernsthaft, dass wir damit bestehen könn840 Zeller 2010, 342, mit Verweisen auf entsprechende Terminologie in der jüdischen Tradition (Tisch des Herrn in Mal 1,7.12 LXX; ähnliches Phänomen in JosAs 8,5). 841 Popkes 2011, 154. 842 Nach 10,21 wird auch beim κύριος in 10,22 an Christus zu denken sein (vgl.  Robertson/ Plummer 1914, 218), der, ganz wie in 8,5 und andernorts bei Paulus, auf eine Weise mit Gott identifiziert wird, dass ihm alttestamentliche Gottesattribute zuwachsen. 843 Vgl. Zeller 2010, 342: „Die zweite, wieder zu verneinende Frage droht indirekt das Gericht des Herrn (vgl. 11,32) an.“

252 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 ten?“844 In der Frage scheint die Erinnerung an das Rettungshandeln des Exodus durch, bei dem Gott seine Stärke unter Beweis gestellt hat. Insofern findet sich hier eine ähnliche gedankliche Doppelbewegung wie in 10,13. Mit der Spannung dieser offen gelassenen Frage schließt Paulus den Gedankengang und lässt seine Adressaten selbst die evidente Antwort formulieren. Weil aus ihr praktische Schlüsse zu ziehen sind, schließt er in der Zusammenfassung 10,23– 11,1 mit eben solchen praktischen Anweisungen. 3.4.8.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Der Gedankengang bewegt sich unverändert im apokalyptisch-priesterlichen, biblisch gefärbten Rahmen. Logische Struktur und Argumentationsebenen Paulus fährt in diesem Abschnitt Überzeugungsmittel auf allen Ebenen auf: Ethos (die fürsorgliche Willensbekundung der Person Paulus), Pathos („The questions in 10:22 should shock the believers into awareness of their perilous situation as participants in a world that honors demons.“845) und Logos (Gegensätze schließen sich aus). Ausweislich des Verses 10,15 soll der Gedankengang 10,16–22 der Sache nach in der Aufforderung 10,14 münden. Ausbuchstabiert wird diese Verbindung auch in den Versen 10,20b–22 nicht, aber sie steuern weitere Aspekte zum Gesamtbild bei. Möchte man aus der 10,18–20a etablierten Schlussfolgerung „Jeder, der am paganen Kultmahl teilnimmt, steht in einem Verpflichtungsverhältnis zur jeweiligen Gottheit“ (nun D) auf den in 10,21 formulierten Gedanken „Wer in einem solchen Verhältnis zu Christus steht, kann in keinem solchen Verhältnis zu den Dämonen stehen“ schließen,846 ist eine Schlussregel nach der Art „Das monotheistische Gottesverhältnis ist ein exklusives Gottesverhältnis“ notwendig. Dieser Sachverhalt ist in Anbetracht des bereits in 8,1–6 angespielten Grundgebotes der Alleinverehrung dermaßen evident, dass Paulus ihn nicht eigens auszusprechen braucht. Er illustriert ihn jedoch, indem er an Gottes Eifersucht und Stärke erinnert (10,22). Von dieser Warte erweist sich 10,22 als Stützung (S) der Schlussregel, die 10,20a–21 und damit 10,16–22 insgesamt zu Grunde liegt: „Das monotheistische Gottesverhältnis ist ein exklusives Gottesverhältnis“ (SR). Abermals wird hier ein neuer argumentatiVgl. Robertson/Plummer 1914, 218. Works 2014, 155. 846 Der Sache nach ist dies identisch mit dem 10,14 zugrunde liegenden Gedanken: „Kein Christusgläubiger darf am paganen Kultmahl teilnehmen.“ 844 845

3.4 Gedankliche Kartierung

253

ver Gedanke mit dem Inhalt der Schrift begründet. Die Rede von der Eifersucht und Stärke Gottes ruft Bundesvorstellung und Alleinverehrungsgebot (Eifersucht) einerseits sowie das Rettungs- und Strafgeschehen in der Wüste andererseits auf (Stärke). Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Die Argumentation erfolgt in erster Linie wirklichkeitsbeschreibend. Dass Gegensätze einander ausschließen, ist selbstverständlich. Hatte Paulus in 10,18–20a demonstriert, dass es sich bei der paganen Mahlgemeinschaft in der Tat um einen Gegensatz zur Gemeinschaft des Herrenmahls handelt, zieht er hier nur den entsprechenden Schluss. Unterstützend führt er die ebenso anerkannten Sachverhalte der Eifersucht und Stärke Gottes an, die den gesamten referierten Erzählzusammenhang erinnernd aufrufen. Diese Erinnerung stützt den Gedanken jedoch nur und begründet ihn nicht. b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang Der Abschnitt 10,20b–22 setzt den Schlussstein in den Gedankengang 10,16–22. Die Anspielungen der abschließenden rhetorischen Doppelfrage verbinden ihn noch einmal mit dem Exodusreferat der ersten Kapitelhälfte und geben dem Abschnitt 10,1–22 damit innere Geschlossenheit. 3.4.9 Übersicht über Ziel und Gang der Argumentation Hatte die thematisch-strukturelle Analyse als Thema von 1  Kor  (9,24–27)10,1–22 zunächst „Die Notwendigkeit von Selbstkontrolle und Verzicht – v. a. in Bezug auf pagane Kultmahlzeiten – zur Bewährung der Heilsgemeinschaft mit Christus“ ergeben, macht die rhetorisch-argumentationslogische Analyse nun deutlich, auf welche Weise Paulus diese Notwendigkeit begründet: Die Teilnahme am paganen Opferritus mit dem anschließenden Verzehr der Opferspeise bedeutet Götzendienst. Deshalb steht die Aufforderung vor dem Götzendienst zu fliehen in 10,14 sachlich wie textlich in der Mitte der Passage. Sie wird von zwei argumentativen Strängen flankiert, die auf je eigene Weise darlegen, dass (a) die Teilnahme an solchen Kulthandlungen Götzendienst bedeutet und warum sie deshalb (b) zu unterlassen ist. Der Übergangsabschnitt 9,24–27 bestimmt den Ton für das Folgende: In Anbetracht des zu erringenden Heils ist ganzer Einsatz geboten, der konsequente Selbstbeherrschung einschließt (9,24–26). Ansonsten droht dieses Heil verloren zu gehen (9,27). Der erste Argumentationsgang 10,1–13 denkt auf dieser Bahn weiter und führt den Gedanken am biblischen Beispiel der Wüstengeneration aus. Sein Akzent liegt darauf, den Korinthern plastisch vor Augen zu führen, warum Selbstkontrolle (im Umgang mit Götzenopferfleisch) geboten ist. Dass es sich bei dessen Verzehr (in

254 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 bestimmten Kontexten) um Götzendienst handelt, wird nicht weiter erläutert, sondern nur behauptet. 10,1–5 forciert den Kontrast zwischen der heilvollen Gemeinschaft, in der Israel mit seinem Gott stand, und Israels Vernichtung in der Wüste. Dabei dient die Beschreibung 10,1–4 weniger dem Zweck, den Korinthern ihre falsche Heilsgewissheit vor Augen zu führen, als dazu, deutlich zu machen, dass die Wüstengeneration sich ihrem Gottesverhältnis nach in einer den Korinthern analogen Situation befand. In einem zweiten Schritt bedeutet das: Wenn jene aus dieser Situation heraus Gottes Zorn auf sich ziehen konnten, droht den Korinthern die gleiche Gefahr. Um diese Pointe zu verstehen, sind weitreichende Schriftkenntnisse nicht nötig. Solange die Hörerschaft die hier gemachten Grundannahmen teilt bzw. Paulus Auslegungskompetenz nicht ablehnt, vermitteln 10,1–4 den Gedanken eines vergleichbaren Gottesverhältnisses auch ohne die tiefere Kenntnis der dahinter verborgenen Episoden. Alle relevanten Details teilt Paulus mit. Ebenso verfängt der rhetorische Effekt der Kontrastaussage 10,5 auch ohne genaueres Wissen, warum Israel Gott nicht gefiel und auf welche Weise es in der Wüste niedergestreckt wurde. 10,6–11 baut auf dieses Fundament auf. Der Abschnitt legt ein Entsprechungsverhältnis zwischen Wüstengeneration und Hörerschaft zu Grunde und leitet aus dem Schicksal der Wüstengeneration konkrete Warnungen ab.847 Da 10,6 das Fehlverhalten der Väter in der Rubrik ἐπιθυμία zusammenfasst, wird deutlich, dass es sich bei diesen Verhaltensweisen um eben den verhängnisvollen Mangel an Selbstkontrolle handelt, von dem in 9,24–27 die Rede war. Die einzige explizite Bezugnahme auf den thematischen Zusammenhang, den Verzehr von Götzenopferfleisch, fällt mit dem einzigen explizit markierten biblischen Zitat in 10,7 zusammen. Indem Paulus die Warnung, nicht zu Götzendienern zu werden, durch Ex 32,6b erläutert, stellt er einen inneren Zusammenhang zwischen Götzendienst, Essen und Trinken her, den die Autorität des Bibelwortes stärkt und für unhinterfragbar erklärt. Von hier an muss die Textwahrnehmung schriftkundiger und weniger schriftkundiger Hörer auseinanderlaufen. Die weniger kundige Hörerschaft wird diese Verbindung, so sie dem Gedanken überhaupt folgen kann, hinnehmen müssen und Mühe haben, den Zusammenhang zu den nachfolgenden Warnungen zu erfassen, die ihrerseits jedoch die Problemlage in Korinth aufzunehmen scheinen. Im Kopf bleiben erstens die Setzung, Essen und Trinken könne Götzendienst bedeuten (und im Falle etwas größerer Vertrautheit mit der Schrift, die es erlaubt, das Zitat grob in seinem Kontext zu verorten, die Setzung, der Verzehr von Kultmahlzeiten bedeute Götzendienst), und zweitens die Notwendigkeit, auf verschiedenen Gebieten Selbstkontrolle zu üben, um nicht Gottes Strafe zu provozieren. Schriftkundigen Hörern wird 847 Es handelt sich dabei wohlgemerkt nicht um eine Entsprechung nach dem Muster: „Weil es ihnen so erging, ergeht es auch uns so,“ sondern nach dem Muster: „Wenn sich jemand unter gleichen Vorzeichen so verhält wie jene, wird es auch ihm so ergehen.“ Vgl. die Überlegungen zum Typos-Begriff oben S. 168 f.

3.4 Gedankliche Kartierung

255

sich hingegen der innere Zusammenhang der angeführten Beispiele erschließen, der (1) bei der Bundesbrucherzählung einsetzt, (2) betont, dass dieser Bundesbruch durch den Verzehr der Opferspeise besiegelt wurde und (3) in den weiteren Beispielen die Themenfelder ἐπιθυμία, Essen und Trinken, Götzendienst und den Problemhorizont in Korinth miteinander verschmilzt. Ganz unabhängig von der Schriftkenntnis der Hörerschaft formuliert 10,12 die praktische Konsequenz des Gesagten: Das eigene Verhalten ist dringend zu überdenken. 10,13 leitet die Aufmerksamkeit auf den Ausweg aus der drohenden Gefahr und bahnt somit die zentrale Aufforderung 10,14 an, vor dem Götzendienst zu fliehen. Dass Paulus diese Mahnung nun in einem zweiten Argumentationsgang, der stärker auf die Alltagswirklichkeit seiner Adressaten eingeht, erneut begründet, kommt nicht von ungefähr. Warum Götzendienst zu unterlassen ist, deutet der Argumentationsgang 10,16–22 lediglich an (10,22). Eine starke Drohfolie, wie sie 10,1– 13 aufbaut, fehlt. Der Abschnitt konzentriert sich vielmehr darauf, zu begründen, dass es sich beim Verzehr von Opferfleisch im kultischen Kontext um Götzendienst handelt. Damit sind die Gewichtsverhältnisse im Vergleich zu 10,1–13 genau umgekehrt und 10,16–22 schließt eine Lücke im Verständnis der weniger schriftkundigen Hörer. Diese hatten 10,7 als entsprechende Setzung hören müssen und die weiteren Verse bis einschließlich 10,13 nur schwerlich als direkte Vorbereitung von 10,14 hören können. Diese Diskrepanz zu einem schriftkundigen Verständnis der Passage, das mit Ex 32,6b das pagane Kultmahl deshalb als Götzendienst versteht, weil es den Bund bricht, wird durch 10,16–22 eingeholt. Die Anrede der Hörerschaft als φρόνιμοι ist demnach doppelbödig: Paulus erwartet tatsächlich, dass die Korinther als φρόνιμοι in der Lage sind, den nun vorgetragenen Gedanken zu folgen und zum gleichen Schluss zu gelangen wie er. Als wahrhafte, schriftkundige φρόνιμοι hätten sie den Sachgehalt von 10,16–22 jedoch schon in 10,6–11 erfassen können und wären bereits in der Lage gewesen, das Gesagte zu beurteilen. Denn wesentliche Elemente dieses zweiten Argumentationsgangs, das Bundesverhältnis und die Alleinverehrung, die Identität von Götzendienst und pagan-kultischer Mahlgemeinschaft, standen bereits hinter den dort angespielten Texten.848 Dass der kultische Verzehr von Götzenopferfleisch Götzendienst bedeutet, legt Paulus in zwei Schritten dar. Zunächst stellt er seiner Hörerschaft vor Augen, dass auch die Teilnahme am Herrenmahl, insbesondere die gemeinsame Teilhabe am Brot, κοινωνία konstituiert (10,16 f.). Da es sich bei κοινωνία um einen nicht-biblischen Begriff der Alltagswelt handelt, bedarf es keinerlei Vertrautheit mit der Schrift, um den hier angestoßenen Gedankengang nachzuvollziehen. Da er im kultischen Kontext auf das gegenseitige Verpflichtungsverhältnis der Opfernden 848 Hier ließe sich zurecht mit dem von Richard Hays geprägten Begriff von einem „metaleptischen“ Verhältnis sprechen.

256 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 im Gegenüber zur Gottheit zielt, kann Paulus dieses Schema nun auf das Opfer der Wüstengeneration anwenden: Indem jene vom Altar gegessen hätten, seien auch sie in κοινωνία eingetreten und zwar  – wie er klarstellen muss  – mit Dämonen (10,18–20a). Paulus spricht nun nicht aus, dass ein solches Verhalten das exklusive Gottesverhältnis der Gläubigen verletzt. Er setzt es jedoch voraus, wenn er in einem letzten Schritt Gottes Eifersucht und Stärke betont, in deren Licht sich ein Verpflichtungsverhältnis zu den Dämonen und das Bundesverhältnis zum Kyrios gegenseitig ausschließen. Hier schließt sich der gedankliche Kreis, denn am Beispiel Israels hatte Paulus ja eingangs demonstriert, wohin es führt, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen. 10,16–22 lässt sich somit als Erläuterung des Exodusreferats 10,1–13 verstehen. Der kultische Verzehr von Götzenopferfleisch bedeutet einen Bruch des exklusiven Bundesverhältnisses, wie er in Ex 32,6b berichtet wird. Der Argumentationsgang 10,16– 22 nimmt dieses Ereignis auf (10,18) und wird darüber hinaus von Anspielungen auf Dtn 32 bestimmt (10,20.22). Auch diese müssen jedoch nicht erfasst werden, um dem Gedankengang folgen zu können. Die Klarstellung, dass die Väter Dämonen und nicht Gott opferten (bzw. vor dem Hintergrund von Dtn 32 Dämonen, nämlich einem Nicht-Gott) muss nicht als Zitat von Dtn 32,17 verstanden werden, um ihren Sinn zu entfalten. Auch die Erinnerung an Gottes Eifersucht und Stärke in 10,22 bedarf keiner biblischen Einordnung, um verständlich zu sein. Insgesamt argumentiert 1 Kor (9,24–27)10,1–22 in der Tat insofern „theologisch“ als der Effekt der Teilnahme an Kultmahlzeiten auf die Gottesbeziehung erörtert wird. Die Passage stellt klar, dass es sich bei Götzenopferfleisch gerade im Lichte des Bekenntnisses von 1 Kor  8,4–6 und der mit ihm einhergehenden exklusiven Gottesverehrung um problematische Materie handelt. Dort, wo dieses Fleisch im Vollzug des Opfers als solches gegessen wird, wird das exklusive Gottesverhältnis verletzt. Wer meint, auf diese Weise κοινωνία mit den Dämonen pflegen zu können, die hinter den paganen Gottheiten stehen, und das obwohl er durch das Herrenmahl in κοινωνία mit dem Kyrios steht, verletzt die Bundestreue und befindet sich damit in tödlicher Gefahr. Neben dieser dominanten theologischen Argumentationsebene gerät die „soziale“ Ebene, der es um den Effekt der Teilnahme an Kultmahlzeiten auf die Beziehung zu anderen geht, jedoch nie ganz aus dem Blick und klingt gerade zum Ende des Textes wieder deutlicher an. Die Rede von der κοινωνία, die ja horizontale wie vertikale Verbindungen umfasst, orientiert den Gedankengang wieder in diese Richtung.849

849 Mitunter mag man gar in der Eins-Sprache von 10,17 einen Anknüpfungspunkt für die Aufforderung von (9,20–23 und) 10,32 sehen auch nach außen hin untadelig zu sein (s. o. S. 240). Vgl. auch (ebenfalls unter Verweis auf 10,31) Works 2014, 46: „To force the text into an either/ or perspective causes the reader to overlook some key features of Paul’s argument. Paul’s rhetoric in this letter shows no separation between the theological and social aspects either of the ancestral community or of the Corinthian congregation.“

3.4 Gedankliche Kartierung

257

Daher handelt es sich beim Übergang von 10,22 auf 10,23 keineswegs um einen harten gedanklichen Bruch. Alles auf eine Weise zu tun, wie es dem Nächsten dient (vgl. 10,23 f.), nützt nicht, solange es auf eine Weise geschieht, die Gott nicht zur Ehre gereicht (vgl. 10,31). Diese letzte Grenze steckt Paulus in 1 Kor (9,24–27)10,1–22 ab. Was den Schriftgebrauch anbelangt, setzt dieser Gedankengang eine oberflächliche Vertrautheit mit der Exoduserzählung und das Vertrauen in die Auslegungskompetenz des Paulus voraus. Bekannt sein muss ferner zumindest das theologische Konzept der Bundestreue bzw. der exklusiven Bindung an den einen Gott. Für alles Weitere gibt der Text reichlich Leseanleitungen. Auch inwiefern die Väter als τύποι zu verstehen sind, vermittelt der Text selbst. 10,6–11 führen dies vor und bereits der Bezug auf die Väter in 10,18 funktioniert nach dem gleichen hermeneutischen Prinzip, ohne dies noch einmal eigens auszuweisen. Dem Gesamteindruck nach ist Christopher Stanley recht zu geben, wenn er schreibt: From this passage we can see that Paul knew how to craft even a heavily biblical argument so that audience members with varying levels of biblical literacy could grasp his essential point. Those who knew the stories to which Paul refers would have been most powerfully affected by his argument […]. But even those who knew nothing of the biblical text could have been influenced by Paul’s biblical references as long as they trusted Paul’s handling of the authoritative Scriptures. By summarizing the biblical narratives and drawing explicit conclusions about their implications for the audience’s conduct, Paul made the essential features of the biblical text available to individuals who were incapable of hearing its voice for themselves.850

Die rhetorisch-argumentationsanalytische Untersuchung konnte sichtbar machen, warum es sich so verhält. Ganz überwiegend nutzt Paulus biblische Bezüge nicht, um den Geltungsanspruch (K) zu formulieren, auf den seine Argumentation hinausläuft, sondern als Voraussetzungen und Daten (D), die die Hörerschaft nur in der dargebotenen Form akzeptieren muss, um dem weiteren Gedankengang folgen zu können: die Heilsteilhabe der Väter, ihre Vergehen und Details ihrer Vernichtung sowie Dämonen als Empfänger ihres Opfers. Dort, wo die Schriftbezüge nicht als solche ausgewiesen sind, handelt es sich oftmals um Gedanken, die der Hörerschaft auch aus anderer Quelle vertraut sein dürften: Gottes Treue, Eifersucht und Stärke. Eine Ausnahme ist das explizit markierte Zitat von Ex 32,6b, durch das Paulus einen Zusammenhang zwischen Götzendienst, Essen und Trinken behauptet, ohne ihn weiter zu begründen. Auf diese Weise nimmt er sein Argumentationsziel vorweg. Dass er anhand eines direkten Zitats eine solche Setzung vorzunehmen vermag, unterstreicht die Autorität der Schrift. Und doch sieht er im Folgenden die Notwendigkeit, eine entsprechende Begründung in allgemeinverständlicher Form nachzuholen (10,16–20a). 850 Stanley 2004, 90. Diese gemeinsame Einschätzung bleibt unberührt von Abweichungen zu Stanley in einzelnen Auslegungsfragen.

258 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Das Auseinanderklaffen der Textwahrnehmung an dieser zentralen Stelle wirft die Frage auf, wie verschieden schriftkundige Hörergruppen den Text im Detail wahrgenommen haben werden und inwiefern der Gedankengang durch eine Schriftkompetenz, die über das Maß, das in der rhetorisch-argumentativen Analyse vorausgesetzt wurde hinausgeht, an Tiefe und Kohärenz gewinnt. Dies so weit wie möglich zu rekonstruieren und auf diese Weise den Korridor der „impliziten Leserschaften“ des Paulus zu bestimmen, ist Aufgabe des abschließenden Kapitels zur intertextuellen Skalierung der Ergebnisse.

3.5 Die intertextuelle Skalierung: Möglichkeiten intertextueller Digression und Reintegration Aufgabe des abschließenden Kapitels zur intertextuellen Skalierung ist es, die Ergebnisse der vorangegangenen Untersuchungsschritte zusammenzubringen und auszuwerten. Die intertextuelle Erkundung hatte gezeigt, wie komplex das Gewebe möglicher Bezugstexte hinter 1 Kor 10 ist. Im Laufe der gedanklichen Kartierung wurde zudem eine kommunikative Strategie erkennbar, die unterschiedlich schriftkompetente Hörergruppen berücksichtigt. Welche biblischen Texte oder Wissensgehalte müssen nun also aktualisiert werden, um 1 Kor 10,1–22 im Einklang mit dem erhobenen Thema und Gedankengang zu verstehen? Und wie breit ist der „Korridor“ möglicher Aktualisierungen, die eine in sich kohärente und dem Textanliegen folgende Lektüre zulassen? Um diese Fragen fokussiert beantworten zu können, hilft es, die im Text vorausgesetzten biblischen Gehalte in verschiedene Text- bzw. Vorstellungsräume aufzuteilen: Überlegungen zur kommunikativen Funktion des expliziten Zitats von Ex  32,6 in 10,7, führen zum Vorstellungszusammenhang von Bund und Bundestreue, wie ihn besonders Dtn 32 forciert und wie er im Grundbekenntnis Israels formuliert ist. Vor diesem Hintergrund sind weitere theologische Deutungen des Exodusgeschehens zu beurteilen sowie die Gestalt des Mose und ihre Bedeutung zu bedenken (‎3.5.1). Die Überlegungen, welche Wege intertextueller Digression zu einer sinnvollen intertextuellen Reintegration führen, ergeben ein plastisches Bild von Paulus als Schriftausleger einerseits, von der intendierten Hörerschaft und ihren Bildungsvoraussetzungen andererseits. Überdies ermöglichen sie es, die Funktion der Schriftbezüge für den Gedankengang weiter zu konturieren (‎3.5.2). Abschließend soll die Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor 10 noch einmal dezidiert in ihrer Dimension als Bildungsvorgang erfasst werden (‎3.5.3).

3.5 Die intertextuelle Skalierung

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3.5.1 Möglichkeiten intertextueller Digression und Reintegration 3.5.1.1 Die kommunikative Funktion des expliziten Zitats in 10,7 Das explizite markierte Zitat von Ex 32,6 in 10,7, „one verse which stands out as a lone cedar tree on a canyon promontory, demanding our attention“851, lenkt die Aufmerksamkeit in besonderer Weise auf die Schrift. Nur hier wird ein Schriftbezug im Wortlaut als solcher ausgewiesen und nur hier dient der Verweis auf die Schrift ohne jedwede Plausibilisierung oder Kontextualisierung als Autoritätsargument. Auf der Textoberfläche stellt 10,7 zunächst einen Zusammenhang von Essen, Trinken und Götzendienst her und ordnet ihn unter der Überschrift „Begierde“ ein. Damit schlägt der Vers einen Bogen zurück zum Thema des Großabschnitts 8,1–11,1 sowie zum Vorstellungszusammenhang von 9,24–27. Die kohärenteste Weise, diesem Verweis zu folgen, setzt jedoch ein Maß an Schriftkenntnis voraus, das unter die Textoberfläche zu schauen vermag. Schließlich ist die Bundesvorstellung, wie sie hinter der Bezugserzählung Ex 32 steht, grundlegend für die innere Logik von 1 Kor 10, erschließt sich aus dem bloßen Text des Zitats jedoch nicht. Aktualisiert man den Bezug dennoch auf diese Weise, wird 10,7 zum hermeneutischen Schlüssel, an dem sich das Verständnis zumindest der nachfolgenden Verse 10,8–11 entscheidet. Als Faustregel gilt: Je höher die Schriftkompetenz, desto kohärenter der Gedankengang. Dies gilt sowohl für die Vertrautheit mit dem weiteren Erzählzusammenhang wie auch für die Kenntnis des konkreten Schrifttextes der zitierten und im folgenden angespielten Episoden. Vertrautheit mit der Erzählung hilft zuallererst, das beschriebene Handeln als Teil der kultischen Handlungen vor dem goldenen Kalb am Sinai zu erkennen und so die negative Bewertung in 10,7 nachzuvollziehen. So verstanden problematisiert das Zitat zunächst einmal das Essen in kultischen Kontexten. Kenntnis des weiteren Erzählzusammenhangs schärft den Bezug weiter, lässt sie Bundesgelübde und -mahl in Ex  32 doch als Perversion des rechtmäßigen Bundesschlusses in Ex  24,3.9–11 erkennen. Die Konkurrenzsituation zwischen Gott und Götze wird somit auf eine Weise auf die Spitze getrieben, die dem weiteren Fortgang des Textes, der auf Bundund Bundesgemeinschaft abstellt, entspricht. Bei Kenntnis des Bezugstextes in seinem Wortlaut wird diese Zuspitzung noch deutlicher (s. o. ‎3.2.3.1). Eine solche Textwahrnehmung wird nicht nur die Warnung vor Sexualsünde in 10,8 auf den Bruch der Bundestreue hin lesen, sondern vermag auch die folgenden Warnungen zu integrieren: Beide Verhaltensweisen, zu murren und Christus zu versuchen, entspringen dem gleichen Mangel an Glauben und Vertrauen, der Israel am Sinai in den Götzendienst getrieben hat. Eine intime Kenntnis der für 10,7–11 wahrscheinlich gewordenen Bezugstexte oder vielmehr der für sie bezeugten Auslegungstraditionen kann das Verständnis von hier aus in zwei Richtungen führen, die unterschiedliche Akzente setzen, sich 851

Cover 2015, 78.

260 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 jedoch gegenseitig nicht ausschließen. Die Linie, die dem Text die unmittelbar höchste Kohärenz gibt, orientiert sich am Motiv des Essens: Insofern als Num 25 (zumal im Lichte der Auslegungstraditionen) Sexualsünde und Götzenmähler eng verklammert, schreibt 10,8 die Trias Begierde – Götzendienst – Götzenfleisch-Essen fort. Ähnliches leistet 10,9, indem er durch den Verweis auf Num 21 die Klage der Israeliten über die göttliche Versorgung und ihren Ekel vor dem Manna thematisiert und „Essen“ als ein religiös relevantes Thema ausweist. In den Zusammenhang fügt sich die Anspielung auf Num 21 darüber hinaus sowohl durch ihre Nähe zu Num 14 (und damit 10,5), als auch durch das Konzept der Begierde ein.852 Die zweite Linie orientiert sich stärker am Motiv der Begierde und konkretisiert dieses im Hinblick auf die mutmaßliche Situation in Korinth. Num 25 konnte als archetypisches Beispiel für den Anpassungsdruck an andere Kulturen aufgefasst werden (Jos Ant 4,137 f.). Dort, wo hinter Num 21 die Fleischtöpfe Ägyptens in den Blick kommen, lässt sich dieser Gedanke weiterverfolgen. Die Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens wäre so anschlussfähig für das Verlangen einiger Korinther nach sozialer Anerkennung, welche die kultische Mahlgemeinschaft notwendig macht. Dies läge auch ganz auf der Linie eines Verses wie Dtn 7,25: Dort bedeutet den Götzen zu begehren, seinen Wohlstand zu begehren. Zwar forciert Paulus diese Deutung an keiner Stelle, sodass sie sich leicht als textfremde Spekulation abtun ließe. Dennoch ist sie anschlussfähig für die rhetorische Zuspitzung des weiteren Gedankengangs, entspricht der zu vermutenden sozialen Situation in Korinth und ermöglich bei alledem ein sinnvolles, kohärentes Verstehen der Passage. Auch sie liegt demnach im Bereich des historisch Denkbaren. Alles in allem bewahrheitet sich im Zitat von Ex 32,6 und der Denkbewegung, die es auslöst, grob Richard Hays Beobachtung: Paul has a disconcerting habit of adducing scriptural prooftexts whose pertinence to his argument is not immediately evident. In some cases the logic of the quotation depends on a pre-existing conceptual/theological structure [in diesem Falle, im Bezugstext kodiert], presupposed both by Paul and by his intended readers but not explained in the text. […] In other cases, however, he appeals abruptly […] to a text whose supportive function in his argument can be discerned only by a reader who follows Paul’s intuitive leap; he suggests a correspondence but does not sketch it in, leaving that task to the reader.853

Durch und durch bemerkenswert ist jedoch, wie der Schriftgebrauch von 1 Kor 10,7– 11 beide Bewegungen, die Hays beschreibt, gleichermaßen auslösen kann. Abhängig vom Grad der Schriftkompetenz wird ein Hörer die im Bezugstext kodierte, im Brieftext jedoch nicht ausgesprochene „pre-existing conceptual/theological struc852 Auch wenn Philo in seiner Behandlung von Num 21 in Leg. 2,87 ganz anders als Paulus moralisiert, zieht er damit genau die gedanklichen Linien zusammen, die auch hier zusammengehören: Die Schlangenbisse sind die Begierden, die nur durch die Mäßigung besiegt werden können, die zur Tränkung mit Weisheit führt. 853 Hays 1989, 87.

3.5 Die intertextuelle Skalierung

261

ture“ unmittelbar aktualisieren oder sie sich erst erschließen, indem er Paulus in seinem „intuitive leap“ folgt. In diesem Sinne hat die Rekonstruktion bis hierher gezeigt, wie sich ein kohärentes Textverständnis ab einem gewissen Grad der Vertrautheit mit Ex 32 in verschiedenen Stufen entfalten kann. Bei all dem macht die Prominenz der hinter dem Zitat stehenden Erzählung es wahrscheinlich, dass eine gelingende intertextuelle Digression an dieser Stelle auch sonst weniger schriftkompetenten Teilen der Hörerschaft gelingen kann. Überhaupt ist es, wie oben ausgeführt, auch möglich, der Passage ohne eine solche gelingende Digression einen Sinn abzugewinnen, solange nur die groben Eckdaten des Exodus- und Sinaigeschehens bekannt sind,854 sowie weder die Autorität der Schrift noch die Autorität des Paulus als ihres Auslegers infrage gestellt wird. Freilich verliert die Argumentation in dieser Lektüre erheblich an Überzeugungswert, erscheint die Passage so doch nur als eine lose Aufzählung konkreter Missstände in der Gemeinde, verbunden mit der Aufforderung, weder mit religiösen noch mit sexuellen Fragen leichtfertig umzugehen. Das Zitat wird dabei zu einem Punkt unter vielen, der zudem eine nicht weiter nachvollziehbare Setzung vornimmt. Nicht von ungefähr greift Paulus den für das Kapitel zentralen Bundesgedanken später neu auf und führt ihn aus. 3.5.1.2 Die Exklusivität des Bundes und Dtn 32 Der biblische Text, auf den 1 Kor  10 neben Ex  32,6 am deutlichsten anspielt, ist das Moselied Dtn 32. Bestimmt der Bezug auf Ex 32,6 die erste Kapitelhälfte, so dominiert der Bezug auf Dtn 32 die zweite Kapitelhälfte. Ausgehend von der wörtlichen Aufnahme von Dtn 32,17 in 10,20 und der Verwendung aus Dtn 32,31 entlehnten Vokabulars in 10,22 lassen sich zudem weitere Bezüge in 10,13 (Dtn 32,4) und 10,4 (Dtn 32,15) plausibel machen. Gedankliches Zentrum des Kapitels Dtn 32 wie auch der Bezüge ist die Exklusivität des Bundes. Die Anspielungen auf Dtn 32 müssen dabei noch weniger als Bezugnahmen auf einen konkreten Text erkannt werden, um dem Gedankengang folgen zu können, als das Zitat von Ex 32,6. Dem entspricht auch das Fehlen einer Zitateinleitung in 10,20. Wie oben gezeigt, bedient sich die Argumentation der zweiten Kapitelhälfte mit dem Zentralbegriff κοινωνία eines dezidiert nicht-biblischen Konzepts und zu einem gewissen Grade lässt sich die hinter 10,20 stehende Dämonologie auch in paganen Kategorien erfassen. Dennoch bewahrheitet sich auch hier die Faustregel: Je größer die Schriftkenntnis, desto stärker die Kohärenz. Sind die biblischen Anspielungen ohne ihre Aktualisierung nicht mehr als erklärende Bemerkungen, in welcher Weise die Vorstellung der κοινωνία auf das Gottesverhältnis anzuwenden ist, macht eine Aktualisierung der Bezüge die 854 Schon die Aufzählung bei Oropeza 2020, 137, scheint mir mehr als das notwendige Minimalwissen zu umfassen.

262 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 in Dtn 32 greifbaren theologischen Vorstellungen als Begründung sichtbar. Sowohl die Differenzierung zwischen Dämonen als „Nicht-Göttern“ und Gott (10,18) als auch die Eifersucht Gottes und seine potentiell vernichtende Stärke (10,22) einerseits sowie seiner unverbrüchlichen Bundestreue (10,13) und seiner Machterweise im Exodusgeschehen (10,4) andererseits treffen sich in der Vorstellung des Bundes als einer exklusiven Verpflichtungsbeziehung. Für diese Exklusivität, die sich aus der Vorstellung pagan-kultischer κοινωνία nicht ableiten lässt, bedarf es des Rückbezugs auf die biblische Vorstellungswelt (s. o. ‎3.4.8).855 Zwar fällt der Begriff διαθήκη in Dtn 32 ebenso wenig wie in 1 Kor 10. Beide Kapitel stützen sich gedanklich jedoch auf ein solches exklusives Treueverhältnis, das maßgeblich gerade durch das Buch Dtn mit dem Begriff „Bund“ theologisch konzeptualisiert worden ist.856 Bezeichnend ist dabei, wie weder 1 Kor 10 noch Dtn 32 die Rolle des Gesetzes für die Bundestreue ausdrücklich benennen. Vielmehr führen beide Texte die Treueverpflichtung Israels auf die Machterweise des durch Mose vermittelten Exodus zurück und sehen sie durch Götzendienst bedroht.857 Sie folgen der gedanklichen Linie: göttliche Machterweise – Untreue des Volkes – strafende Vernichtung und/ oder Treue Gottes. Dieser Akzent kann bei Kenntnis der Auslegungstraditionen um die Gottesbezeichnung „Fels“ auch ohne Wissen um den hebräischen Text von Dtn 32 bereits ab 10,4 deutlich werden, noch ehe mit Ex 32,6 der einzige Vers aus dem weiteren (!) Zusammenhang der Sinaioffenbarung zitiert wird. Auch darüber hinaus entsprechen sich die Texte in ihrer Programmatik. Wenn Dtn  32,7 dazu auffordert, sich der Exodusereignisse zu erinnern, um zu einem intakten Gottesverhältnis zurückzukehren, korrespondiert dies Paulus Vorgehen in 1 Kor 10. Gerade auch vor dem Hintergrund der in der Auslegungstradition verbreiteten eschatologische Deutung des Moselieds, wie sie die Targumim und die rabbinische Tradition bezeugen,858 erschließt sich Paulus hermeneutisches Programm (10,11).

855 Vgl. auch Nikkannen 2018, 182: „While the evidence discussed earlier shows that Paul’s presupposition is firmly rooted in ancient practices and explainable in light of the Graeco-Roman benefaction system, the exclusivity of the eucharistic bond cannot be explained in light of Hellenistic parallels. Paul’s peers would not have considered the bonds created and maintained at cultic meals to be exclusive.“ 856 Dieser Schwerpunkt lässt sich schon lexikalisch greifen: Mit 28 Belegen fällt das Wort in Dtn LXX öfter als in jedem anderen biblischen Buch. Die Belege verdichten sich noch weiter in den bereits erwähnten Zusammenhängen Dtn 7–9 und 28–29; 31. Ähnlich verhält es sich auch in den Exoduspsalmen, die das Bundeskonzept voraussetzen ohne es zu benennen (vgl. Harman 2014, 27). In der Tat argumentiert Wenham 2011, dass die Exoduspsalmen die Episode vom goldenen Kalb zwar nur in Ps 106,19–23 benennen, jedoch beständig anspielen. 857 Eine „deuteronomische“ Fokussierung des Gesetzes lässt sich mitunter bis nach Ex 24,12 LXX zurückverfolgen. Die Übersetzung des Verses, der direkt an die Bundesschlusserzählung Ex 24,1–11 anschließt, verschiebt den Akzent von den Sinaitafeln auf das deuteronomische Gesetz (vgl. van der Kooij 2007b, 92–94). 858 Vgl. Waters 2006, 71–74.

3.5 Die intertextuelle Skalierung

263

Alles in allem wird eine nahe gedankliche Verwandtschaft beider Texte sichtbar, ohne dass deshalb jedoch mit Hanson geschlossen werden muss, 1 Kor 10,14–22 sei ein Midrasch auf das Moselied.859 So sehr die gemeinsame Lektüre beider Texte den Gedankengang von 1 Kor 10 erhellt, so wenig lässt sich ein Nachweis führen, dass Dtn 32 Paulus über die eindeutigen Anspielungen hinaus als gedankliches Gerüst gedient hat, das er Punkt um Punkt abarbeitet. In der Tat lassen signifikante Berührungspunkte zwischen 1 Kor 10 und anderen Texten des Dtn vermuten, dass Paulus weit über Dtn 32 hinaus aus der gedanklichen Welt des Dtn schöpft, ohne dabei auf Einzeltexte festgelegt zu sein. Entsprechend gibt es eine Fülle möglicher Bezüge auf das Dtn, die sich einer sehr schriftkundigen Hörerschaft zur sinnstiftenden intertextuellen Digression anbieten. Besonders deutlich wird dies anhand der Bundestexte in Dtn 7–9. Hier wie dort gelten die Exoduswunder als Gewähr für die Treue Gottes (Dtn 7,19; 8,15 f.; 9,25 f.). Hier wie dort gilt es, sich der Wüstenzeit zu erinnern und daraus für die Gottesbeziehung zu lernen (Dtn 8,2). Hier wie dort werden Götzendienst und Begierde zusammengedacht (Dtn 7,25) und die Gefahr des Götzendienstes durch das Einlassen auf fremde Völker beschworen (Dtn 7,1–5).860 Die Entbehrungen in der Wüste werden als Prüfung durch Gott konzeptualisiert und zwar als Prüfung, die Israel lehren soll, aus Gottes Wort heraus zu leben (Dtn 8,16). Dies ist für Paulus bibelpädagogisches Programm interessant. Ein Scheitern zieht Strafe und Vernichtung nach sich, die in ihrer Terminologie 1 Kor 10,9 f. entspricht (7,4; 8,19 f.; 9.8.19.25). Besonders anschlussfähig ist im Hinblick auf 1 Kor 10,10 dabei die beständige mit ἐξολεθρεύω formulierte Vernichtungsdrohung, die sich im Grunde gegen die fremden Völker richtet, sich im Falle des Ungehorsams jedoch auch gegen Israel wendet.861 Schließlich beschreibt diese Formulierung gemeinhin die ‫כרת‬-Strafe.862 Als einen Ausschluss aus der Heilsgemeinschaft, wie ihn in anderer Vorstellung und ähnlicher Terminologie schon 1 Kor 5,5 beschrieben hatte,863 ließe sich auch die Vernichtungsdrohung in 10,10 verstehen. Die Fülle möglicher intertextueller Digressionen, die zu einer kohärenten Reintegration führen, macht es dabei unmöglich, über markante wörtliche Übereinstimmungen hinaus konkrete Bezugstexte zu benennen. Sie macht es aber zugleich höchstwahrscheinlich, dass die Äußerungen in 1 Kor 10 einem komplexen Studium der Schrift und einer intimen Vertrautheit mit deren Auslegungstraditionen entsprungen sind. Als gedanklicher Gravitationspunkt drängen sich dabei die deuteronomische Bundesvorstellung und Geschichtsdeutung auf, und zwar nicht nur infolge der hier angeführten Stellen aus dem Buch Dtn selbst. Vielmehr teilen auch die paränetischen Exodussummarien der Psalmen nicht nur viele bemerkenswerte S.o. S. 122. Vgl. insb. auch die Warnung Dtn 7,2, mit diesen Völkern keinen Bund einzugehen. 861 Vgl. Dtn. 7,4.10.17.23 f.; 9,3–5.8.14.19.20.25 f. 862 S.o. S. 167. 863 Vgl. Wilk (in Vorbereitung). 859 860

264 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Details mit 1 Kor 10,1–5, sondern folgen dem gleichen Muster von Wundertaten vs. Götzendienst, Gottes Treue vs. Untreue des Volks. 3.5.1.3 Christus, die Einheit Gottes und das Grundbekenntnis Israels Denkt man in dieser Fluchtlinie weiter und fragt nach grundlegenden theologischen Konzepten, die ihren Ursprung im Dtn haben und im Hintergrund von 1 Kor 10 greifbar sind, gelangt man schnell zum Vorschlag von Eric Waaler, Andrew Byers und anderen, 1 Kor 10,17 als Anspielung auf das Schma zu verstehen (Dtn 6,4; s. o. ab S. 239). Dieser Vorschlag macht die Schwierigkeiten besonders deutlich, mit denen sich jede „Textarchäologie“, wie diese Untersuchung sie betreiben möchte, konfrontiert sieht. Auf der Textoberfläche scheint nämlich zunächst nur wenig für ihn zu sprechen. Allenfalls die gehäufte Verwendung von εἷς/ἓν im gleichen Satz könnte als schwaches Desintegrationssignal veranschlagt werden. Allerdings, so wenden die Vertreter einer solchen Bezugnahme ein, war das Schma im Frühjudentum als Text und Gedanke allgegenwärtig und begegnete nicht nur allerorten, sondern gerade auch in thematisch zu 1 Kor 10 passenden Zusammenhängen: Götzendienst und Götzenopferfleisch.864 Folglich sei eine allgemeine Vertrautheit mit ihm vorauszusetzen, die bereits anhand schwächster intertextueller Markierungen in eine kohärenzstiftende Digression führe. Und in der Tat ist das Konzept der exklusiven Einzigkeit Gottes für den Gedankengang von 1 Kor 10 grundlegend.865 Befragt man zudem 1 Kor insgesamt nach Anspielungen auf das Schma und betrachtet 1 Kor 10 im Lichte der dort getroffenen Aussagen, entsteht nicht nur ein kohärentes Bild des Gedankenganges, sondern es bieten sich auch Antworten auf bisher noch offene Fragen. Paulus bedient sich in 1 Kor einer markanten „Eins“-Sprache. Greifbar wird diese neben 1 Kor 10,17 vor allem in 8,5–6 und 12,4–26.866 Wenn Paulus nun 1 Kor 8,1–6 das Grundbekenntnis Israels einer christologischen Relektüre unterzieht, ist dies für 1 Kor 10 auf dreifache Weise anschlussfähig. Zunächst erhalten die verschiedenen potentiellen Bezüge auf Gottes Schöpfungsund Erwählungshandeln (vgl. etwa Dtn 32,6.12.15) einen Anschlusspunkt durch die Doppelbewegung, die 8,6 ausdrückt: „Es gibt für uns nur einen Gott, aus dem alles/ das All867 ist und wir auf ihn hin, und einen Kyrios, Jesus Christus, durch den alles/ das All ist und wir durch ihn.“868 864 Vgl. Waaler 2008, 440 Dieses Argument entspricht in Hays Terminologie den Kriterien availability, volume und historical plausibility (vgl. Hays 1989, 29–32). 865 Nach Hays entspräche dies den Kriterien thematic coherence und satisfaction. 866 Vgl. Mitchell 1991, 180 f., und Macaskill 2019, 91. Wenn damit auch das Kriterium der recurrence erfüllt wird, erfüllt dieses „Echo of Scripture“ immerhin sechs der sieben Hays’schen Kriterien. 867 Vgl. Feldmeier/Spieckermann 2018, 213. 868 Dass beide Motive vorhanden sind, gilt unabhängig von der Frage, auf welche Weise sie sich Gott und dem Kyrios Jesus zuordnen lassen. Vgl. dazu Waaler 2008, 422 f.

3.5 Die intertextuelle Skalierung

265

Dass Christus zweitens in die Stellung Gottes einrückt und den Namen trägt, τὸ ὑπὲρ πᾶν ὄνομα (Phil 2,9), darf nicht verwundern.869 Es darf aber ebenso wenig als selbstverständlich abgetan werden, wie zentral dies für den Gedankengang von 1 Kor 10 ist, in welchem Christus nicht nur als Kyrios, sondern auch als Objekt des Gott gebührenden Gehorsams und Subjekt des göttlichen Zorns (10,9) sowie der göttlichen Eifersucht begegnet (10,21).870 In der Tat ist es die Gemeinschaft mit Christus, an der sich die (Bundes-)Treue zu Gott entscheidet (10,21). Für eine entsprechend schriftkundige Hörerschaft ist all dies bereits in der Bezeichnung Christi als „Fels“ in 10,4 kodiert, konnotiert diese in Dtn 32 und den entsprechenden Auslegungstraditionen doch ebenso Gottes rettende, den Bund konstituierende Stärke wie seinen Anspruch auf Alleinverehrung und eine scharfe Polemik gegen das Vertrauen auf andere Götter (s. o. S. 118 f.). Vor allem hilft aber, drittens, die Vorstellung, „durch [den einen Kyrios] Christus“ wesenhaft konstituiert zu sein, den Bezug auf die Taufe in 10,2 zu erklären, der später nicht mehr aufgegriffen wird. Zugleich hilft sie, den Nachdruck zu deuten, den Paulus darauf legt, alle Väter hätten den gleichen Trank und die gleiche Speise zu sich genommen, und schließlich 1 Kor 10 im Briefzusammenhang zu verorten. Nicht von ungefähr findet sich die oben angeführte zweite Belegstelle für markante „Eins“-Sprache im Zuge der Beschreibung der Ekklesia als Leib Christi in 1 Kor 12. Ausgehend von der Einheit Gottes und der Einheit (des Leibes) Christi beschwört Paulus dort die Einheit der Gemeinde: „Es ist die Gemeinschaft mit Christus, welche die Einheit der Gemeinde begründet.“871 Und es ist die Taufe in diesen Leib, die diese neue Identität in der gemeinschaftlichen Bindung an den einen Gott konstituiert (1 Kor 12,13).872 So betrachtet stellt die Anführung der Taufe in 10,2 auf ein Geschehen ab, das vermittels des Mose in die Heilsgemeinschaft Gottes als einer verbindlichen neuen Existenz hineinführt. Gerade in dieser Funktion, gewissermaßen als „covenant representative“873, d. h. als Verkörperung der verbindlichen Gottesgemeinschaft des (neuen) Bundes, wird Christus ja auch im Herrenmahl erfahren (vgl. 10,16 f.21; 11,25). Gerade 1 Kor 11 und 12 machen dabei jedoch deutlich, dass die Christusgemeinschaft damit zugleich das Handlungsregulativ der Ekklesia darstellt:

Vgl. Feldmeier/Spieckermann 2018, 222. Nach Waaler 2008, 437, gilt: „Many of these issues are part of a more or less fixed set of ideas that in the OT and Judaism were used to express monotheism and defy idolatry“. 871 Feldmeier/Spieckermann 2018, 236, unter Verweis auf 1 Kor 10,16 f. und kurz zuvor 1 Kor 12,27. Vgl. mit anderem Akzent auch Macaskill 2019, 70: „for Paul, our unity is a function of our union with Christ, which is a union with the one God, whose oneness becomes ours”. 872 Vgl. Macaskill 2019, 69. Insofern als diese Taufe ἐν ἑνὶ πνεύματι erfolgt, ließen sich auch etwaige Parallelisierungen von Wolke und Geist mit der Taufvorstellung verbinden und so kohärenzstiftend in den Gedankengang integrieren. 873 Nikkannen 2018, 254. 869 870

266 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Morally, then, any Christian who does not recognize their obligations to affirm the status of others who are clothed with Christ lives at odds with their identity. In fact, they live at odds with the identity of God himself, since the oneness of the church is a function of the oneness of the God to whom we are united in Christ.874

In der Übertragung auf Christus und im Schluss von der Einheit Gottes auf die notwendige Einheit der Ekklesia bestätigt sich damit auch aus dem paulinischen Denken heraus die einheitsstiftende Funktion, die Andrew Byers für den frühjüdischen Gebrauch des Schma veranschlagt (s. o. S. 240).875 Nimmt man dies wahr, tritt in 1 Kor 10 auch wieder der „horizontale“ Aspekt der Gedankenführung von 1 Kor 8,1–11,1 an die Oberfläche: für Israel in der Betonung, alle hätten die gleiche Speise und den gleichen Trank zu sich genommen,876 für die Korinther in 10,17. So vorbereitet kann diese gedankliche Linie nur wenige Verse später ohne eine ausdrückliche Überleitung wieder aufgenommen (10,24.28 f.) und mit der theologischen Argumentationslinie verwoben werden (10,31–32). So betrachtet erschließt sich auch, inwiefern der Verzehr von Götzenopferfleisch, der Glaubensgeschwister belastet, Sünde an Christus bedeutet (8,12). Neben diesem „horizontalen“ Aspekt der Gedankenführung tritt ihr „vertikaler“ Aspekt in der exklusiven Ausrichtung auf den einen Gott offen zu Tage. Aus dieser Perspektive wird einsichtig, warum Paulus überhaupt auf den Exodus zu sprechen kommt, warum er es hier tut und warum er es so tut, wie er es tut: Indem er die Exoduserzählung in 1 Kor  10 als die Grunderzählung des exklusiven Bundes mit diesem Gott anführt, schlägt er einen Bogen zurück zur Anspielung auf das Schma zur theologischen Begründung des Gedankenganges 1 Kor 8,1–11,1: Der Verzehr von Götzenopferfleisch ist eine Frage, an der sich das Gottesverhältnis entscheidet und mit ihm das Verhältnis zur Gemeinde als Leib Christi. Insgesamt wird der Gedanke einer Verbindung zu Dtn 6,4 f. durch seinen hohen Erklärungswert attraktiv. Problematisch bleibt das Fehlen deutlicher Textsignale. Wie wahrscheinlich intertextuelle Digressionen, wie sie hier angedacht wurden, tatsächlich sind, steht und fällt daher mit dem Urteil über die Verbreitung der Bezugstradition und über die Sensibilität der Hörerschaft.

Macaskill 2019, 72. Waaler 2008, 441, erkennt in der gebräuchlichen Verwendung des Schma zudem „an emphasis on the boundary between the in-group and the out-group”. Auch dies ließe sich mit dem Gedankengang von 1 Kor  8,1–11,1 verbinden, der verschiedentlich davon spricht, diese Grenze durch die Verkündigung des Evangeliums zu verschieben und durchweg auch die Wirkung auf die Unbekehrten im Blick hat (vgl. 9,20 f.; 10,32). Für 1 Kor 10 ließen sich in diesem Sinne Bezüge auf Texte aktualisieren, den Exodus als Machterweis, der die Völker Gottes Stärke erkennen lassen soll (vgl. etwa die Fürbitte Moses in Ex 32 und Dtn 9). Ihnen gegenüber würde zudem auch die Teilnahme am paganen Kult einen falschen Eindruck erwecken, käme sie doch einer performativen Anerkenntnis der Götzen gleich. 876 ὁ αὐτός und εἷς entsprechen einander. Vgl. Waaler 2008, 393, unter Verweis auf 1 Kor 12,11 und 11,5. 874 875

3.5 Die intertextuelle Skalierung

267

Möchte man einen intendierten Bezug annehmen, wäre dieses Beispiel jedoch das bisher deutlichste für einen Bezug, der nur noch in dem Sinne Schriftbezug ist, dass er auf einen biblischen Gehalt in biblischer Formulierung anspielt, nicht aber notwendigerweise auf einen konkreten Text in seinem biblischen Zusammenhang. Eine intertextuelle Digression, die hingegen ganz konkrete Textkenntnis voraussetzt, fordern die verschiedenen denkbaren theologischen Deutungen des Exodusgeschehens. 3.5.1.4 Theologische Deutungen des Exodusgeschehens Die Ähnlichkeiten zwischen der Exodusdarstellung in 1 Kor 10 und den paränetischen Exodusrückblicken der Psalmen sind sowohl in den Details als auch im theologischen Programm augenfällig: Beide verweisen auf Gottes Heilstaten, verstehen den Exodus als Versuchungsgeschehen, in dem sich die Treue des Gottesvolkes bewahren muss, und vergegenwärtigen das Beispiel der Väter, um aus ihm für die eigene religiöse Existenz zu lernen. In diesen Bahnen ist eine Vielzahl kohärenzstiftender intertextueller Digressionen denkbar und historisch plausibel, auch wenn sich – bis vielleicht auf Ps 78(77)877 – kein einzelner konkreter Bezugstext feststellen lässt. Auch hier bewegt sich Paulus souverän innerhalb einer Auslegungstradition, die ihm den punktuellen Zugriff auf biblische Motive erlaubt. Hier wie dort kommt der Exodus als Gesamtgeschehen in den Blick. Die einzelnen Episoden stehen pars pro toto und werden in eine einheitliche theologische Deutung eingezeichnet. In den Psalmen „kann die Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten sowohl zum Aufweis der Schuld und Undankbarkeit (z. B. Ps 78; 106) als auch zum Bekenntnis der ewig anhaltenden Verbundenheit Gottes (Ps  136) […] führen.“878 Paulus bedient beide Pole, betont jedoch den ersten. Wie oben gezeigt, kann auch ein Publikum, das mit diesen Traditionen nicht vertraut ist, den Ausführungen in 1 Kor 10,1–5 folgen, solange ihm die Grunddaten des Exodusgeschehens bekannt sind. Der schriftkundigen Leserschaft drängen sich hingegen verschiedene Möglichkeiten zur intertextuellen Digression auf. Kriterium dafür, wie sehr diese der Entwicklung des Gedankengangs dienen, ist ihre Nähe zum inhaltlichen Zentrum und zum hermeneutischen Programm von 1 Kor 10: Inwiefern deuten sie das Exodusgeschehen als eine Gotteserfahrung, die in ein verbindliches Gegenüber zu Gott

877 Zu den frappierenden Ähnlichkeiten aber auch zu Unterschieden s. o. S. 129 f. Für den Vorschlag einer textkohärenten, intertextuellen Reintegration vgl. Konradt 2020, 117: „Ist Paulus hier spezifisch von Ps 77[78] beeinflusst, so kann er die Ereignissequenz in V. 15–20 des Näheren gut als Analogie zur korinthischen Situation gelesen haben: Trotz der am „Tisch des Herrn“ (1 Kor 10,21) empfangenen Gaben wollen die Korinther vom „Fleisch“ nicht lassen. Das ἐκπειράζειν (10,9) wäre dann mit dem παραζηλοῦν τὸν κύριον (10,22) zusammenzusehen.“ 878 Fischer 2015, 231.

268 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 hineinführt, das in der Wüste auf die Probe gestellt wird (Bundesgedanke), und wie füllen sie die Analogie zwischen der Exodusgeneration und der Hörerschaft? Je nachdem, welchem Bezug man folgt, kann beispielsweise 1 Kor  10,5 beides kodieren: Die Ortsangabe ἐν τῇ ἐρήμῳ mag einen schriftkompetenten Hörer an die Bewährungsprobe in der Wüste denken lassen (s. o.). Aktualisiert man hingegen den durch καταστρώννυμι nahegelegten Bezug auf Num 14,16, erscheint Israel als ein Volk auf der Schwelle zur Heilszeit, das jedoch an seinem mangelnden Gottvertrauen scheitert und sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens zurückzusehnen beginnt. Auch die übrigen Bezugserzählungen verbinden Gehorsam, Bundestreue und göttlichen Segen bereits auf der Ebene der Bezugstexte (vgl. etwa Ex 15,24–26). Auch konzeptualisiert etwa Ex 17,2 das Murren gegen Mose als Versuchung Gottes durch das Volk und zugleich das ganze Geschehen als eine Versuchung durch Gott (Ex 17,7). Hier werden also wiederum Querbezüge zu 10,9 f. deutlich. Anhand dieses Doppelkriteriums wird es also möglich, aus der Menge denkbarer intertextueller Digressionen jene auszuwählen, die sich kohärent in den Gedankengang einfügen, beispielsweise all jene, die den Schöpfungs- und Erwählungsgedanken im oben beschriebenen Sinne vorantreiben879 oder das Exodusgeschehen als Vorausverweis auf die Heilszeit deuten.880 Der Verweis auf Wolke und Meeresdurchzug erscheint in diesem Lichte als Hinweis auf das Exoduswunder par excellence, das als Initiativgeschehen den Exodus insgesamt konnotieren kann, in dem Gott wieder und wieder seine Glauben fordernde Rettungsmacht beweist (vgl. etwa Ex 14,4.8.25).881 Das Motiv der Wolke lässt sich ferner auf zweierlei Weise kohärenzstiftend deuten. In Anbetracht der breiten Bezeugung der Tradition lässt es sich nur schwerlich von der Gegenwart Gottes lösen. Diese kann zum einen auf den Aspekt der schützenden Gegenwart zugespitzt werden, wie es eine Vielzahl von Wolkentraditionen tut. Über die gesamte Exoduserzählung hinweg begegnet die Wolke auch im biblischen Text immer wieder als Schutzkapazität der göttlichen Gegenwart (vgl. etwa Num 10,35 f.). In Verbindung mit dem Meeresdurchzug kennt auch Philo die Wolke als Schutz- und Verteidigungsmacht (zu Ex 14,19; Her. 203 f.). Vor allem aber ist der Schutzgedanke der targumischen Überlieferung wichtig und dort in dieser Form konstitutiv für die gesamte (!) Exoduserfahrung.882 879 Allen voran Dtn 32 und andere potentielle Bezugstexte aus Dtn, in Teilen aber auch Sap 16–19 und andere. 880 Auch hier ist an die eschatologische Dimension von Dtn 32 zu denken, aber auch an die heilszeitliche Deutung des Exodus, wie sie vielfältig in den Propheten, der frühjüdischen und rabbinischen Literatur bezeugt ist (s. o. Anm. 121; 185). 881 Vielleicht betont Paulus aus diesem Grund Meeresdurchzug und Wüstenwunder ohne deutlichen Bezug auf die Pessachnacht, wie er vom Herrenmahl her nahe gelegen haben könnte. Nikkannen 2018 veranschlagt etwa für Paulus eine von Pessach her gedachte Herrenmahlstheologie. Der einzige mögliche Pessachbezug findet sich in der Figur des Zerstörers in 10,10, trüge jedoch auch dort nur insofern zu einem kohärenten Textverständnis bei, als jene, die außerhalb der Heilsgemeinschaft stehen, Vernichtung finden (vgl. auch 1 Kor 5,5). 882 S.o. S. 106.

3.5 Die intertextuelle Skalierung

269

Zum anderen mag die Wolke die Bindung an den Willen Gottes betonen. Schließlich ist es die Wolke, aus der Gott heraus sich und seinen Willen mitteilt. Dies entspräche Traditionen, die die Wolke mit der Weisheit identifizieren, befähigt diese doch zu einem gottgemäßen Lebenswandel. Mit Blick auf das Doppelmotiv Wolke und Meer entspräche dem ferner die philonische Deutung des Meeresdurchzugs als Befreiung von der Macht der Begierde. Entsprechend laufen auch die beiden hier skizzierten Optionen, die Wolke zu deuten, in manchen weisheitlichen Traditionen zusammen: Sap  10,17 bezeichnet nicht etwa die Wolke, sondern die Weisheit als Schutzdecke der Heiligen (vgl. dazu Ps 104,39 LXX). Folglich ist es auch die Weisheit, die Israel zuallererst durchs Meer geführt hat (Sap 10,18–20).883 Um auf eine dieser Deutungen eingegrenzt werden zu können, ist der Befund zu vielfältig und nicht eindeutig genug. Es genügt jedoch, seiner groben Richtung zu folgen, um auch die Parallele von Meeresdurchzug und Taufe kohärent ins Textganze einordnen zu können. Die Taufe führt als Initiationsritual ebenso in die Gottesbeziehung und das notwendige Vertrauen (und den ebenso notwendigen Gehorsam) hinein, wie es der Meeresdurchzug als Anfangswunder des Exodus tut.884 Betrachtet man 10,3 f., liegt es aus dieser Perspektive nahe, auch die Versorgung mit Essen und Trinken und mehr noch die Gegenwart Gottes/Christi im Felsen zuvorderst als Zeichen der rettenden Wundermacht Gottes und seiner Gegenwart zu deuten, die ein verbindliches Gottesverhältnis konstituieren.885 Darüber hinaus lassen sich Essen und Trinken als archetypische Verweise auf die Heilszeit verstehen (vgl. etwa Jes 48,21 und QohR 1,9). Identifiziert man zudem nicht nur die Wolke, sondern auch das Manna und den wasserspendenden Felsen mit der Weisheit, wie es die weisheitliche Tradition nahelegt und wie Philo es tut (s. o. zu Sir 15,3 und Prov 9,1–6 und vgl. Leg. 2,86), fügt sich dies in den Gedanken der verpflichtenden Lebensführung in Gefolge von Meeresdurchzug bzw. Taufe ein. Auch die Targumim verstehen das hervorströmende Wasser als göttliche Unterweisung (s. o.). Keine dieser Deutungen ist unabdingbar für ein sinnvolles Textverständnis, jede von ihnen stärkt auf eigene Weise jedoch die gedankliche Kohärenz des Textes und plausibilisiert entweder die Analogie zwischen Wüstengeneration und gegenwärtigen Gläubigen oder den Zusammenhang aus Teilhabe an Christus und ethischer Verpflichtung. Letzteres wird noch deutlicher, aktualisiert man 10,4 als Bezug auf die Gottesbezeichnung „Fels“ in Dtn 32. Während mit einem Handeln in Weisheit eher die 883 Ferner wäre eine solche Deutung anschlussfähig für die Gleichsetzung von Wolke und Geist, ist die Weisheit nach Sap 1,5–7 doch πνεῦμα. Oropeza 2020, 131, Anm. 31, führt Belege der Kirchenväter für Wolke/Geist an. 884 Dies umschließt das ethische Handeln im Sinne des Bundesgehorsams infolge der erlebten Rettung, ohne dass das Sinaigesetz hier explizit in den Blick käme. Die eigentliche Taufhandlung ist hingegen nicht im Blick: die Israeliten tauchen eben nicht ins Wasser ein (s. o. S. 82). 885 Dass die Gottesgegenwart nach Ex 32 in dem Moment gefährdet ist, in dem Israel den Bund und seine Gebote bricht, wird für die Betrachtung von 2 Kor 3 wichtig sein.

270 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Abkehr von der Begierde konnotiert ist, ist mit der Rede vom Fels eher die Abkehr von Götzen und die Hinwendung zur „Stärke“ Israels konnotiert. Insgesamt hat der Bezug auf Dtn 32 oder eine entsprechende Tradition somit den höheren Erklärwert, würde so doch der Gedanke der Exklusivität (an der sich auch das ethische Verhalten orientieren muss) vorbereitet. Sähe man zudem die verschiedenen für 10,4 denkbaren und kohärenzwahrenden Möglichkeiten intertextueller Digression als gleichzeitig intendiert an, ließe sich ein komplexes intertextuelles Spiel betrachten, das über die oben in Anspruch genommene Doppelbödigkeit weit hinaus geht. Der Identifikation Christi mit der Weisheit eignet eine Weite, die die Identifikation Christi mit dem Kyrios fokussiert: Christus mag die Weisheit sein, doch alle vermeintliche Weisheit ist vergebens, solange in Christus nicht auch der eine Gott in der ihm gebührenden Exklusivität angebetet wird. Schließlich ist die Gottesbezeichnung „Fels“ eng mit der Bundestreue korreliert und Dtn 32 mit seiner Polemik gegen andere Götter, die eine solche Zuverlässigkeit und Stärke nicht besitzen, das für diese Vorstellung prägende Kapitel. Unabhängig von jeder Intention auf Seiten des Paulus ist es vorstellbar, dass einzelne Leser, sensibilisiert durch die deutlicheren Bezugnahmen auf Dtn 32 im Fortgang des Kapitels, bei der Relektüre des Textes derartige Aha-Momente gehabt haben. Auch dieses Beispiel illustriert, wieviel weiter der Raum sachlich plausibler und denkbarer intertextueller Reintegrationen ist, als eindeutige Digressionssignale es vermuten lassen. Schließlich ist es bei all dem gerade die Fülle möglicher Bezugstexte und ihrer vielfältigen Auslegung, die Textdeutungen möglich gemacht hat, die keine besondere Nähe zum inhaltlichen Zentrum oder hermeneutischen Programm des Kapitels zeigen. Von der Schutzfunktion der Wolke her gedacht ist es nur ein kleiner Schritt zu einem vermeintlichen Sakramentalismus der Korinther. Deutet man die Wolke hingegen als Geist, wäre dies anschlussfähig für eine Sicht der Korinther als selbstgewisse Pneumatiker. Alles in allem scheint beides jedoch nicht der Textintention zu entsprechen. Die Bandbreite der möglichen Digressionen hängt wesentlich damit zusammen, dass die ersten Verse des Kapitels den Exodus aufrufen, ehe sie das Motiv zuspitzen können. Erst die inhaltliche Zuspitzung erlaubt aber ein Urteil über sachdienliche und sachfremde Aktualisierungen der Bezüge. Für die informierte Hörerschaft bedeutet dies zunächst eine Herausforderung. Von diesem Phänomen betroffen ist auch die Deutung der Mosefigur, die in 10,2 aufgerufen wird. 3.5.1.5 Die Gestalt des Mose Die intertextuelle Erkundung hatte es nahgelegt, dass die Nennung des Mosenamens in 10,2 nicht in ihrer Funktion als Desintegrationssignal aufgeht. In Anbetracht der Vielfalt frühjüdischer und -christlicher Mosebilder stellt sich jedoch die Frage, in welcher Funktion Mose hier angeführt wird. Vom Text her spricht nur wenig dafür, Mose in erster Linie als Gesetzesmittler zu verstehen. Das Sinaigesetz kommt an

3.5 Die intertextuelle Skalierung

271

keiner Stelle in den Blick. Vielmehr wählt Paulus für den einzigen Schriftbezug auf das Sinaigeschehen (Ex 32,6) ein Zitat, das auf den Gedanken abstellt, der auch das übrige Kapitel bestimmt: den Bruch des Grundgebotes der Alleinverehrung Gottes durch eine Kultmahlzeit.886 Im Gefolge neuerer Studien betont Ulrike Mittmann, wie wenig Mose auf die Rolle des Gesetzgebers festgelegt war.887 In der Tat fällt auf, wie viele Exodusdeutungen, die Paulus zu verarbeiten scheint, Mose ausdrücklich nicht in seiner Rolle als Gesetzgeber rezipieren.888 Psalm 78(77) versteht ihn etwa in erster Linie als „Mittler des göttlichen Handelns am Volk“889. Ebendies entspricht auch der Funktion, die „Mose“ in 1 Kor 10 einzunehmen scheint.890 Aus der Galerie der antiken Mosebilder scheint Mose in 1 Kor  10,2 damit am ehesten als der Führer des Exodus in den Blick zu kommen, dient der Vers doch dann am besten dem Gedankengang, wenn der Meeresdurchzug pars pro toto für die Rettungswunder des Exodus verstanden wird (s. o.). „Mose als Führer des Exodus wird nicht von ungefähr zu einer Heilsgestalt, die Gottes Bundestreue zu Israel verbürgt, gerade dann, wenn das erwählte Volk sich seinem Gott gegenüber als untreu und ungehorsam erweist.“891 In diesem Sinne ist Mose im weitesten Sinne als Bundesmittler anzusprechen, und zwar insofern, als sich durch ihn Gottes rettendes Handeln manifestiert, auf dem das Bundesverhältnis gründet. Im Rahmen des theologischen Programms von 1 Kor 10 wäre die „Taufe auf Mose“ dann so zu verstehen, dass sie eine lebensbestimmende Bindung an Gott begründet. Dies korrespondiert auch den oben gemachten Beobachtungen zur Funktion der Taufe nach 1 Kor 12,13. Mose rückt insofern in eine funktionale Parallele zu Christus, als er Repräsentant des Bundes ist.892 So gesehen können die Israeliten nach dem Schilfmeerdurchzug auch an Mose als Diener Jhwhs „glauben“ (Ex 14,31) und insofern bedeutet ein Murren gegen Mose auch ein Murren gegen Gott (Num 14,27–29). Eine solche bedingte Entsprechung zu Christus legt ja bereits die Taufmetaphorik selbst nahe, ohne dass 886 Den, wenn überhaupt, stärksten Verweis auf die für den Bund konstitutive Rolle des Sinaigeschehens stellt das Übergewicht der Anspielungen auf die Murrgeschichten nach Num über den Bericht nach Ex dar, schildert Num dem biblischen Erzählablauf nach doch die Ereignisse nach dem Bundesschluss am Sinai. 887 Vgl. Mittmann 2020 die sich unter anderem auf Graupner/Wolter 2007 und Sommer u. a. 2017 stützt. 888 Vgl. etwa Schnocks 2007 zum Mosebild des Psalters. 889 Schnocks 2007, 80. Vgl. auch Käfer 2019, 285, für frühjüdische Quellen zu Mose als „Geber oder Vermittler der Mannagabe“. 890 Dies ist keineswegs im Sinne eines formalisierten Mittler-Begriffs zu verstehen, wie in den von Mittmann 2020, 20, angeführten Passagen AssMos 1,14 und 3,12, LAB 9,8, die diesen „titular zu fixieren“ suchen. Für die Problematik des Mittlerbegriffs für Paulus in der Übertragung auf Christus vgl. Feldmeier/Spieckermann 2018, 220 f. Gal 3,19 f. versteht zwar Mose dezidiert als (nun ausdrücklich Gesetzes-)Mittler, tut dies aber gerade in Abgrenzung von Christus. 891 Mittmann 2020, 30. 892 Vgl. für die exklusive Gottesbeziehung des Mose in möglichen Bezugstexten auch 105 f. und Schnocks 2007, 84–86.

272 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 sich daraus eine in allen Punkten saubere Mose-Christus-Parallele ergäbe. Das Bewusstsein für die kategoriale Differenz zwischen beiden mag dabei mit steigender Schriftkompetenz wachsen. Schließlich treten Elemente, die entweder offen mit Christus identifiziert werden (10,4) oder aber für eine solche Identifikation offen sind (10,2), zu Mose hinzu.893 Daneben eine funktionale Parallele zwischen Mose und Paulus anzunehmen (beide erfahren Murren), wie es in der Literatur immer wieder vorgeschlagen wird, mag dem argumentativen Ziel von 1 Kor 10 durchaus dienlich sein. Der Aufweis, dass das Murren gegen den von Gott eingesetzten Führer ein Murren gegen Gott selbst ist, könnte den Unmut gegen die Zurechtweisung durch Paulus einhegen. Insgesamt verleiht diese Interpretation dem Text allerdings weniger Kohärenz als die oben skizzierte Deutung. Wie das Beispiel von 2 Kor 3 zeigen wird, müssen sich funktionale Parallelen zwischen Mose und Christus einerseits sowie Mose und Paulus andererseits jedoch nicht gegenseitig ausschließen. Dort wird Mose nicht mehr in erster Linie als Bundesmittler, sondern als Offenbarungsmittler zu verstehen sein und steht als solcher gleichermaßen in funktioneller Äquivalenz zu Paulus wie zu Christus. Auffällig ist, wie viele der in 1 Kor 10,7–11 angespielten Texten Mose als Fürbitter sichtbar werden lassen, der Israel wiederholt vor der Vernichtung bewahrt.894 Nicht nur nach Ex 32 und Num 14 ist es einzig Moses Fürbitte, die Gott davon abbringt, das ungehorsame Israel zu vernichten. Auch nach Ps  105,23 LXX bewahrt allein Moses Fürbitte das Volk vor dem ἐξολεθρεῦσαι. Ähnliches berichten Num 11,1–3; Num 16,20–23 und Dtn 9,18.25–29. Die rettende Fürbitte des Mose ist damit ein wiederkehrendes Motiv in Texten, die als mögliche Bezugstexte für 1 Kor 10 plausibel gemacht wurden. Auch nach dieser Deutung vermittelt Mose also „zwischen den Welten.“ Ein hoher Grad an Vertrautheit mit diesen Texten mag entsprechende Assoziationen wachrufen, ohne dass diese sich von 1 Kor 10 her jedoch nahelegen würden. 3.5.2 Funktion der Schriftbezüge Alles in allem lässt sich die Frage nach der Funktion der Schriftbezüge also mit Paulus selbst beantworten: Sie haben in erster Linie orientierende Funktion. Insofern als die Gläubigen ihr Denken an ihr ausrichten sollen, dient ihnen die Schrift zur νουθεσία. Dass die Schrift diese „typologische“ Funktion ausüben kann, bezeichnet Paulus als den Grund ihrer Abfassung (10,11): Per analogiam macht sie 893 Im Hinblick auf eine mögliche wechselseitige Identifizierung von Wolke, Christus und Weisheit ist die Feststellung bei Mittmann 2020, 41, interessant, Mose trete in Sap 10 „in seiner Bedeutung als Führer des Exodus zurück, weil die Weisheit selbst – als personale Größe – diejenige ist, die die Geschicke Israels lenkt“. 894 Mitunter bedeutet dies für Paulus eine weitere lose, funktionale Parallele zu Christus, vgl. Röm 8,34.

3.5 Die intertextuelle Skalierung

273

nicht allgemein einsichtige Sachverhalte einsichtig, die die Korinther kennen und verstehen müssen, um sich Gott gegenüber angemessen zu verhalten. Es ließe sich von einem „gerichteten Vergleich“895 sprechen, in dem die biblischen Anführungen zwei Grundgedanken dienen: die Analogie zwischen damals und heute zu erweisen (10,1–5) und sodann ihre Implikationen auszuführen (10,6–11), nämlich die Gefahr zu demonstrieren, in der jene stehen, die dem Götzendienst gleichzusetzende pagane Opfer verzehren (10,7.15–22). In der konkreten Situation muss die Schrift das Denken der Korinther in dieser Hinsicht nicht nur orientieren, sondern korrigieren: Das Beispiel der Väter dient der Warnung, einen drohenden Heilsausschluss abzuwenden.896 Wie im gesamten ersten Korintherbrief dient die Bezugnahme auf die Schrift also „dazu, die Adressaten anzuleiten, ihr Selbstverständnis und ihre Lebensgestaltung angesichts konkreter Herausforderungen auf die eschatologische Situation auszurichten, in die sie als ‚Gemeinde Gottes‘ gestellt sind“897. Dabei erstreckt sich die orientierende Funktion der Schrift keineswegs nur auf die Briefadressaten. Der Gedankengang selbst ist von Schriftworten und biblischen Konzepten in einer Tiefe durchdrungen und geformt, die erkennen lässt, dass Paulus die Autorität der Schrift nicht nur abstrakt voraussetzt, sondern auch die eigene theologische Praxis an ihr orientiert.898 Überdies befördert er ihre Autorität durch die Art und Weise seiner Schriftanführung. Wiederholt begegnen Schriftbezüge als Daten (D) zur Begründung gedanklicher Schlüsse, die die Hörerschaft akzeptieren muss, um dem weiteren Gedankengang folgen zu können. In seiner Fülle erschließt sich der Gedankengang überhaupt erst einem hoch schriftkundigen Publikum. In dieser Hinsicht gewinnt die Schrift neben der orientierenden auch eine argumentative Funktion. Während die Schriftbezüge auf ein hochkompetentes Publikum durch ihre gegenseitige Bestätigung und Nuancierung überzeugend wirken, kann dieser Effekt für ein weniger schriftkundiges Publikum jedoch nicht veranschlagt werden. Indem Paulus das Kapitel aber so strukturiert, dass auch eine solche Hörerschaft dem Gedankengang folgen kann, leitet er die Adressaten zu einer solchen Auseinandersetzung an, und zwar indem er die im Schriftzitat Ex 32,6 bereits kodierten theologischen Vorstellungen in 10,16–22 aufgreift und anhand allgemein einsichtiger Vorstellungen amplifiziert, dabei jedoch abermals auf die Schrift zurückgreift und durchgehend Leerstellen lässt, die ein rudimentäres Textverständnis zwar zulassen, jedoch eine tiefere Auseinandersetzung mit der Schrift geradezu einfordern.

895 „Gerichtet“ ist dieser Vergleich, weil die Vergleichsgrößen nicht umkehrbar sind. Die Entsprechung von Ur- und Heilszeit erlaubt die Übertragung vom Exodus auf die Korinther, nicht umgekehrt. S.u. S. 505 und zum gerichteten Vergleich Kuschnerus 2002, 45 f. 896 Es bestätigt sich also die Parallele zur Rede von νουθεσία in Sap 16,6 f. (s. o. S. 140). 897 Wilk 2017, 160. 898 Dies machen bereits die expliziten und impliziten Zitate deutlich. Umso mehr gilt es in Anbetracht des komplexen Netzes plausibler Anspielungen.

274

3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22

Insgesamt sind die biblischen Bezüge gleichermaßen Inhalt wie Medium des Gedankenganges. 1 Kor 10 führt anhand der Schrift zur Schrift hin, um die christliche Existenz aus der Schrift heraus angemessen gestalten zu können. 3.5.3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor 10,1–22 als Bildungsprozess Damit ist der Bildungsprozess, den 1 Kor 10 anstößt, seinem Wesen nach bereits bestimmt, soll abschließend jedoch noch einmal in ein Fazit zur Schriftbildung des Paulus, zur durch den Text vorausgesetzten Schriftbildung auf Seiten der Adressaten, sowie zum sich im Text selbst ereignenden oder durch ihn angestoßenen Bildungsgeschehen aufgefächert werden. Was die Bildung anbelangt, die zur Abfassung des Textes nötig ist, beweist 1 Kor 10 eine ebenso breite wie intime Vertrautheit mit den heiligen Schriften Israels. Gegen die Ansicht, Paulus verarbeite lediglich einen ihm bereits vorliegenden Midrasch, spricht das saubere Ineinandergreifen von Schriftbezügen und Argumentationsziel. Die Überfülle möglicher intertextueller Digressionen macht es zwar unwahrscheinlich, dass Paulus all diese Möglichkeiten bei Abfassung des Briefes gleichermaßen vor Augen gestanden haben. Selbst der Korridor sinnstiftender und kohärenzwahrender Digressionen, wie ihn die intertextuelle Skalierung abgesteckt hat, ist so geräumig, dass auktoriale Intention über seine gesamte Breite schwer vorstellbar ist. Doch selbst, wenn man nur die plausibelsten aller möglichen Bezüge wahrnimmt, ist das intertextuelle Gewebe aus Ex 32,6; Dtn 32, der paränetischen Exodusdeutung, wie sie in verschiedenen Psalmen tradiert ist und den angespielten Episoden der Exoduserzählung ebenso dicht wie komplex. Die gezielte Auswahl von Episoden (Num 11; 14, 21; 25) und Versen (Ex 32,6), die dem Argumentationsziel des Kapitels entsprechen, zeugt ebenso von einem souveränen Umgang mit der Schrift wie sie auf intensives Schriftstudium schließen lässt, zumindest im Griechischen, im Falle von Dtn 32 womöglich auch im Hebräischen. Dabei zeugt die Tatsache, dass Paulus in aller Freiheit einen Exodusrückblick gestalten kann, wie es neben ihm etwa der Psalmist, Nehemia oder „Mose“ tun, gleichermaßen von seiner Auslegungskompetenz wie von seinem theologischen Selbst- und Sendungsbewusstsein. Sowohl was die inhaltliche Zuspitzung als auch was die paränetisch-aktualisierende, hermeneutische Grundkonfiguration anbelangt, bestätigt sich das Dtn als ein Gravitationszentrum paulinischen Denkens. Wie sehr gedankliche Fäden, die entweder von Dtn 32 ausgehen oder aber in den Bezugnahmen auf Dtn 32 zusammenlaufen, der Argumentation zugrunde liegen, tritt nun nach der gedanklichen Kartierung deutlicher hervor, als dies nach der intertextuellen Erkundung der Fall war. Umso problematischer erscheint nun jedoch die Rede von Bezugstexten, sofern man darunter ausschließlich Anspielungen auf einen schriftlich greifbaren Text in einer sprachlich fixierten Gestalt versteht. Auch wenn Paulus zuweilen auf eine

3.5 Die intertextuelle Skalierung

275

Weise zitiert, die die Konsultation schriftlicher Quellen nahelegt (etwa im Falle von Dtn 32,17.21; Ex 32,6; Num 14,29), rezipiert er andernorts mit größter Selbstverständlichkeit nicht nur den Wortlaut des biblischen Textes, sondern auch dem Text zugehörige Auslegungstraditionen. Das markanteste Beispiel ist die Tradition vom nachfolgenden Felsen, die Paulus mit der Gottesanrede „Fels“ nach Dtn  32 kombiniert. Aber auch andernorts ist es gerade die Auslegungstradition, die Texte in ein Licht rückt, die sie für Paulus auf besondere Weise nutzbar machen (etwa im Fall der eschatologisierenden Lektüre wie sie für Dtn 32 bezeugt ist). Spätestens im Falle einer etwaigen Anspielung auf das Schma Israel in 1 Kor 10,17 wird kaum noch von einer Anspielung auf einen Text in seinem schriftlichen Zusammenhang gesprochen werden können. Es handelt sich um eine Anspielung auf ein verinnerlichtes Schriftwort als Teil einer lebendigen Tradition. Anspielungen auf derartig Gehalte, Ideen, theologische Konzepte oder Traditionen um einen mitunter wörtlich fixierten Kern herum scheinen auch in anderen Fällen vorzuliegen.899 Überhaupt begreift 1 Kor 10 den Exodus als ein Gesamtgeschehen, das sich in verschiedenen Schriftworten und traditionen manifestiert und geht in seiner Exodusdeutung gerade nicht geradlinig von einem konkret greifbaren Exodusbericht aus.900 Nicht zuletzt spricht der auf intertextuellem Wege nach wie vor nicht sauber lösbare „case of the missing thousand“ dafür, dass Paulus biblische Texte weitgehend so verinnerlicht hatte, dass er sie auswendig anführen konnte  – inklusive gelegentlicher Fehlerinnerungen. Zieht man dies in Betracht, werden sowohl die Dichte wie auch die Verwobenheit der Schriftbezüge leichter nachvollziehbar. Viele von ihnen mögen un- oder halbbewusst assoziativ entstanden sein. Die Schwierigkeit der exegetischen Wissenschaft, Paulus Schriftumgang zu greifen, mag, mehr noch als es häufig berücksichtigt wird, in dieser kategorialen Differenz begründet sein, die zwischen dem Textumgang einer mündlich geprägten Kultur wie der antiken und dem Textzugriff einer schriftlich geprägten Kultur wie der heutigen besteht. Alles in allem bewahrheitet sich für Paulus einmal mehr die Einsicht von Richard Hays: „Israel’s story, as told in Scripture, so comprehensively constitutes the symbolic universe of Paul’s discourse that he can recall the elements of that story for himself and his readers with the sort of subtle gestures that pass between members of an interpretive family.“901 Im Hinblick auf Paulus Hörerschaft gilt dies zumindest in Teilen, ist hinsichtlich der vorausgesetzten Schriftkompetenz auf Seiten der Adressaten doch ein differenziertes Urteil zu fällen. Während die ideale Hörerschaft, der gegenüber der Text die größte Überzeugungskraft entfaltet, eine Vielzahl der Schriftbezüge mitunter bis in den hebräischen Wortlaut von Dtn 32 hinein aktualisieren kann, ist ein basales 899 So bieten sie etwa valide Deutungsmöglichkeiten für die Wortwahl in 1 Kor 10,10 oder für die Vorstellung von Gottes Treue in 10,13 über Dtn 32 hinaus. 900 Hierin unterscheidet sich der Schriftgebrauch in 1 Kor 10 markant von dem in 2 Kor 3. 901 Hays 1989, 92.

276 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 Textverständnis auch im Falle geringerer Schriftbildung möglich, sofern nur die Grundkenntnisse gegeben sind, die Paulus auch andernorts in 1 Kor voraussetzt. Dabei werden die Autorität der Schrift und eine grundsätzliche Zustimmung zur Identifikation mit der Wüstengeneration einerseits vorausgesetzt und andererseits im Verlauf des Textes gestärkt. Daneben baut der Text darauf, dass die Hörerschaft Paulus Autorität als Schriftausleger fraglos anerkennt.902 Folgt man Paulus eigenem Bericht vom Gründungsaufenthalt in Korinth, sind die Korinther ohnehin mit Paulus in der Rolle des Schriftauslegers vertraut.903 1 Kor, zumindest 1 Kor 10, setzt diese Schriftunterweisung mit anderen Mitteln fort und führt die Hörerschaft wie oben beschrieben in einen selbstverstärkenden Prozess der Auseinandersetzung mit der Schrift hinein. Offensichtlich erachtet Paulus eine solche Unterweisung für weiterhin notwendig. Die Schriftbildung der Adressaten befindet sich also noch nicht auf dem seines Erachtens notwendigen Niveau. Ganz offensichtlich gilt das für die praktische Anwendung der Schrift auf die eigene Lebensführung. Zu diesem Zwecke führt 1 Kor 10 eine solche Anwendung schließlich vor. Ebenso legt die beobachtete intertextuelle Strategie allerdings nahe, dass auch Schriftkenntnis und Auslegungskompetenz der Korinther in den Augen des Paulus noch ausbaufähig sind. Bezeichnenderweise strukturiert er das Kapitel mit Ex  32,6 und Dtn  32 um zwei im antiken Judentum verhältnismäßig prominente Texte herum, deren Kenntnis, zumal als Erzählzusammenhänge oder Vorstellungsräume, eher vorausgesetzt werden kann als die Kenntnis manch anderer Bezugstexte.904 Zwar befördert die Kenntnis der Texte im Wortlaut ein kohärentes Textverstehen, doch ist ein verstehendes Lesen nicht darauf angewiesen und wird durch die Ausführungen zur κοινωνία weiter erleichtert. Freilich führt eine um Verstehen bemühte Lektüre von 1 Kor 10 in eine tiefere Beschäftigung mit der Schrift hinein. Folgt man dem Schriftausleger Paulus gedanklich, stößt 1 Kor  10 damit einen mehrschichtigen Bildungsprozess an. Auch wenn das Argumentationsziel des Kapitels nicht darin besteht, seine Adressaten von einer bestimmten Weise des Schriftumgangs zu überzeugen, sondern hinsichtlich des Verzehrs von Götzenopferfleisch zu belehren, trägt das Kapitel seinen Teil zur Schriftbildung der Korinther bei, indem es einen Schriftumgang vorführt, einschärft und vollziehen lässt, der die eigene Existenz im Lichte der Schrift deutet und an ihr ausrichtet. So vollzieht die zweite Kapitelhälfte eben die Form von Schriftlektüre, die die erste Kapitelhälfte noch anleitend vorführt, bereits ohne unterstützende Erklärungen. Mehr noch: Die Erklärungen, die sich dort finden, fokussieren den Sinn der Schrift902 Für 2 Kor 3 lässt sich hier schon eine Verschiebung feststellen. Dort scheint Paulus sein eigenes Ethos unter anderem durch eine besonders kunstfertige Schriftauslegung festigen zu wollen. 903 Vgl. 1 Kor 15,1–5 und Wilk 2017, 157 f. Oropeza 2020, 135 f., erwägt, ob Paulus den Korinthern bei seinem Gründungsaufenthalt Dtn 32 und andere Teile des Dtn bereits vermittelt hat, was die wiederkehrenden Bezugnahmen auf Dtn in 1 Kor erklären könnte. 904 Wobei selbst für einige der historischen Psalmen von einem prominenten liturgischen Gebrauch auszugehen ist (vgl. Gillingham 2015, 472 zu Ps 105/106).

3.5 Die intertextuelle Skalierung

277

bezüge aus der ersten Kapitelhälfte auf eine Art und Weise, die die gedankliche Struktur des Kapitels zuallererst deutlich hervortreten lässt. Wer also den Bezug auf Ex 32,6 auf andere als die vom Text intendierte Weise aktualisiert hat, wird erst vom Ende des Kapitels her darauf hingewiesen. Hier ähnelt die intertextuelle Strategie dem Phänomen, das Florian Wilk für 1 Kor 2,6–16 und 14,20–25 beschrieben hat: Ein zunächst unterschiedlich deutbarer Schriftbezug erhält seinen spezifischen, dem Textabschnitt Kohärenz verleihenden Sinn erst von einem späteren, nicht klar markierten Schriftbezug her. Diese Intention zu erkennen, setzt wiederum ein hohes Maß an Schriftkenntnis voraus.905 Im Unterschied zu 1 Kor 2,16 und 14,20–25 gibt 1 Kor 10 sich dabei jedoch alle Mühe, den zunächst unklaren gedanklichen Gehalt anhand des Bildes der κοινωνία auch einem weniger schriftkundigen Publikum einsichtig zu machen, wie es auch der anleitenden Absicht der Passage entspricht. Wiederholte Lektüre des Textes bei wachsender Schriftkenntnis wird dabei zu immer neuen intertextuellen Digressionen führen, die den Überzeugungswert des Gedankengangs steigern. Begibt sich ein Leser auf einen solchen Verstehensweg, sticht 10,15 als rhetorische Spitze umso schärfer. Was das allgemeine Weltwissen anbelangt, mögen die Korinther φρόνιμοι sein, wie Paulus es ihnen dort unironisch zuspricht. Würde sich ihre φρόνησις jedoch auf die Schrift erstrecken, hätten sie der allgemein einsichtigen Erklärungen der zweiten Kapitelhälfte gar nicht erst bedurft. Ob manche intertextuellen Details, wie etwa eine Anspielung in 10,4 auf die Gottesbezeichnung ‫ צּור‬in Dtn 32,4.15.18.30.31.37 MT zuallererst intendiert sind, lediglich Paulus eigenen Denkprozess widerspiegeln oder aber auf die Aktualisierung ganz bestimmter Teile der Hörerschaft abstellen, lässt sich nur unter Vorbehalten entscheiden. Um einen solchen Bezug herzustellen, bedarf es entweder hebräischer Sprachkenntnisse oder aber der Vertrautheit mit dem Gottestitel „Fels“ in der übrigen biblischen Tradition. Dort, wo die späteren Bezüge auf Dtn  32 zu einer Aktualisierung dieser Anspielung führen, ereignet sich jedoch ein ähnliches Phänomen nachträglicher Vereindeutigung im Einklang mit der allgemeinen Stoßrichtung des ersten Korintherbriefs. Die Rückbindung an die Felstradition nach Dtn  32 schärft mögliche weisheitliche Lesarten von 1 Kor 10,4, indem sie Christus in die Stellung Gottes einrücken lässt: Gehorsam und Treue ihm gegenüber ist es, in den ein angemessener Schriftgebrauch nach 1 Kor 10 führt. In Anbetracht des hinter 1 Kor 1–3 stehenden Bemühens, ein problematisches Verständnis von Weisheit in der Schriftauslegung im Gefolge des Apollos zu korrigieren,906 sind derartige Deutungsmöglichkeiten mitunter Konjektur, jedoch keineswegs belanglos. Alles in allem lässt sich in Anbetracht des Befundes für 1 Kor 10 Florian Wilks Einschätzung bekräftigen: „Mit seiner spezifischen Interpretation der ‚Schrift‘ stößt 905 906

Vgl. Wilk 2019. Vgl. Wilk 2017, 161 f.

278 3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor (9,24–27) 10,1–22 der erste Korintherbrief des Paulus bei den Adressaten einen Bildungsprozess an: Sie sollen lernen, die ‚Schrift‘ als Maßstab für die Gestaltung ihrer Existenz ‚in Christus‘ zu begreifen und zu nutzen.“907 Damit die intertextuelle Strategie von 1 Kor 10 volle Früchte trägt, bedarf es dazu auf Seiten der Korinther nicht nur eines „ongoing engagement“908 mit der Schrift, sondern irgendeiner Form des Austausches, der intertextuelle Einsichten kommuniziert und in einer vertieften Lektüre des Briefes mündet. Eine solche Lektüre von 1 Kor 10 wird einen Prozess anstoßen, der die Schriftkenntnis der Adressaten vertieft und ihnen dabei die Bedeutung der Schrift zur Bewältigung der Existenz „zwischen den Welten“ nicht nur einschärft, sondern erfahrbar macht.

907 908

Wilk 2019, 21. Edsall 2014, 155.

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6 Zweiter locus classicus für die Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in der Korintherkorrespondenz ist die ausführliche Gegenüberstellung von Mose(dienst) und Paulus(dienst) in 2 Kor 3. Neben 1 Kor 10 handelt es sich dabei um einen der paulinischen Texte, die Hans Windisch als „midraschartige Stücke“1 bezeichnet hat, also eine längere, alttestamentliche Texte auslegende Passage. Ihre Wirkungsgeschichte ist noch bedeutsamer als die von 1 Kor  10. Das Wort: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2 Kor  3,6), ist in den allgemeinen Zitatenschatz eingegangen. Die dahinter erkannte Abwertung des mosaischen Gesetzesdienstes an der blinden Synagoga im Alten Bund, schroff abgesetzt vom Neuen Bund und seiner Herrlichkeitsfülle, hat die Theologie-, Kirchen- und Kunstgeschichte über Jahrhunderte bestimmt.2 Ein gründlicher Blick in den Text wird jedoch zeigen, dass es ihm keineswegs um die Gegenüberstellung zweier Bundesschlüsse geht. Vielmehr wird dieses Wissen zu einem noch viel höheren Grade als in 1 Kor 10 vorausgesetzt. Die gedankliche Mitte der Mose-Exodus-Verarbeitung liegt in den Begriffen δόξα und διακονία, anhand derer Paulus die Legitimität seiner Verkündigungstätigkeit herausarbeitet. Hier wie dort nimmt Paulus erzählende Stoffe der Mose-Exodus-Tradition auf und verarbeitet sie in ihrem weiteren biblischen Horizont auf eine konkrete Problemlage hin. Bei aller Ähnlichkeit geschieht dies in 2 Kor 3 jedoch auf markant andere Art und Weise, sowohl was das exegetische Vorgehen als auch was Argumentationsweise und Aussageabsicht anbelangt. Um dies zu demonstrieren, soll auch diese Passage zunächst – in den Briefzusammenhang eingeordnet und abgegrenzt (‎4.1), – auf intertextuelle Markierungen und potentielle Bezugstexte befragt (‎4.2), – und in thematisch-struktureller (‎4.3) und rhetorisch-argumentationslogischer Hinsicht untersucht werden (‎4.4), um schließlich

Windisch 1924, 112. Geradezu greifbar wird diese Deutung von 2 Kor 3 in den vielen Darstellungen der blinden Synagoga im Gegenüber zur sieghaften Ecclesia. Bekanntestes Beispiel ist wohl das Skulpturenpaar am Straßburger Münster. Zu dessen historischer und kunstgeschichtlicher Einordnung vgl. Rowe 2011, 191–236. Für den Versuch einer zeitgenössischen Aneignung und Umdeutung des klassischen Motivs sei auf Johan Tahons Skulptur „Twins“ vor dem Gebäude des Landeskirchenamtes der Ev.luth. Landeskirche Hannovers verwiesen (Beschreibung bei Rudnick 2017). 1 2

280

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

– den Ertrag möglicher intertextueller Digressionen beurteilen, die Funktion der Schriftbezüge bestimmen und die Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition als Bildungsprozess beschreiben zu können (‎4.5).

4.1 Zusammenhang und Textabgrenzung 4.1.1 2 Kor 2,14–4,6 im Zusammenhang des Briefes und der Apologie Den Textabschnitt 2 Kor 2,14–4,6 in seinem Zusammenhang verorten zu wollen, bedeutet eine doppelte Aufgabe. Verhältnismäßig unproblematisch ist die Verortung in dem Zusammenhang, der als „Apologie“ des Paulus bekannt ist und gemeinhin mit 2,14–7,3 bzw. 2,14–7,4 angegeben wird.3 Schwieriger, hier jedoch nur von untergeordneter Bedeutung, ist die Verortung im Briefganzen, handelt es sich doch um einen der letzten Paulusbriefe, dessen Einheitlichkeit lebhaft umstritten ist.4 In der „Apologie“ 2,14–7,3 reflektiert Paulus breit auf sein „Apostolat“, genauer seine Beauftragung zur Verkündigung und Verkündigungstätigkeit.5 Dadurch sichert er sie implizit gegen kritische Anfragen ab. Die Kopfstellung des Abschnitts 2,14–4,6 provoziert dabei die Frage nach dessen Funktion. Inwiefern steckt Paulus hier den Rahmen der Apologie ab, führt zentrale Gedanken und Konzepte ein und konturiert sie so, dass man ihnen im weiteren Gedankengang folgen kann? Tatsächlich fällt auf, dass sich verschiedene Begriffe, die gehäuft im Rahmen der Apologie vorkommen, konzentriert in 2,14–4,6 finden. Dies gilt besonders für die Motive „offenbar sein/machen“, „empfehlen“ und „Dienst“. Das Offenbarungsmotiv begegnet gleich in 2,14, dann wieder in 3,3 und 4,2. Im weiteren Verlauf der Apologie findet es sich in 4,10.11 und 5,10.11. Der Gedanke der Empfehlung wird zunächst in 3,1 eingeführt und dann in 4,2; 5,12 und 6,4 wieder aufgegriffen. Das Konzept des „Dienstes“ schließlich wird konzentriert in 3,(3.)7.8.9 und 4,1 angeführt und in 5,18 und 6,3 fortgeschrieben.6 Es ist also davon auszugehen, dass 2,14–4,6 zumindest dazu dient, diese Begriffe zunächst einzuführen (2,14; 3,1.3), inhaltlich zu füllen (3,3.7–11.) und zu nuancieren (4,1 f.). Das Thema der Apologie wird eingeführt und 3 Für letzteres vgl. Schmeller 2010, 14. Das klassische Argument für diese Ansicht ist die „Wiederaufnahme“ des in 2,13 „abgebrochenen“ Reiseberichts in 7,5. Die kausale Verknüpfung von 7,4 und 7,5, Entsprechungen zwischen 7,4 und 7,16 sowie weitere motivische Vorausverweise in 7,4 sprechen jedoch für ein Ende der Apologie in 7,3 (vgl. dazu Wolff 1989, 155). Wilk 2020b verweist nun auch auf die strukturelle und inhaltliche Kohäsion des Textes bis einschließlich 7,3. 4 Einen zugänglichen Überblick über die gängigen Argumente und Teilungsvorschläge bieten Duff 2015, 18–51, und Porter 2016, 269–278. 5 Zum Problem der Rede vom „Apostolat“ des Paulus in 2 Kor 2–7 vgl. Gerber 2005, 119–131. 6 Diese Linien lassen sich teils über den Rest des zweiten Korintherbriefes ausziehen: Offenbar sein/machen: 7,12; 11,6; Empfehlung 7,4; 10,12.18; 12,11; Dienst: 8,4; 9,1.12 f.; 11,8. Alle drei Begriffe sind typisch für den zweiten Korintherbrief.

4.1 Zusammenhang und Textabgrenzung

281

in einer Form umrissen, auf die der weitere Gedankengang aufbauen kann: der auf Offenbarung zielende Verkündigungsdienst des Paulus im Horizont von Anfragen. Möchte man ferner von der Einheitlichkeit des zweiten Korintherbriefes, oder zumindest der Kapitel 1–7 ausgehen, lassen sich diese Beobachtungen weiterführen. Auch vom Vertrauen (3,4: πεποίθησις) spricht Paulus wiederholt an herausgehobenen Stellen des Briefes (vgl. 8,22; 10,2; schon zuvor 1,15).7 Gehäuft ist vom Geist die Rede (3,3.6.8.17.18), auf den Paulus im weiteren Briefverlauf wiederholt zu sprechen kommt (vgl. 4,13; 5,5; 6,6; 7,1.13; 11,4; 12,18; 13,13; schon zuvor 1,22; 2,13). Auch führt der Abschnitt das Konzept des Freimuts (παρρησία) ein, den Paulus als Ergebnis der Apologie 7,4 den Korinthern gegenüber in Anspruch nimmt. Demgegenüber auffällig ist das völlige Fehlen des auch für 2 Kor typischen „Tröstens“ oder „Ermahnens“ (παρακαλέω bzw. παράκλησις).8 Es scheint fast, als werde an dieser Stelle erst die Basis geschaffen, aufgrund derer eine solche Paraklese später effektiv möglich wird. All diese Beobachtungen fügen sich in ein stimmiges Gesamtbild, wenn man versucht, sie vom Briefeingang her zu verstehen. Schon das Gotteslob des Proömiums (1,3–11) macht Paulus an eigenen Leidenserfahrungen fest. Der „Trost“ (παράκλησις), den er von Gott im Leiden erfahren habe, versetze ihn in die Lage, auch andere zu „trösten“ (παρακαλέω; 1,3 f.). Das Leid erfahre er also gewissermaßen um der Korinther willen (1,6–7), die darauf mit Fürbitte und Dank antworten sollten (1,11). Von Anfang an thematisiert Paulus also seine Beziehung zu den Adressaten im Horizont des Handelns Gottes an ihm, oder umgekehrt: Gottes Handeln an den Adressaten durch Paulus. Versteht man nun mit Florian Wilk die Verse 1,12–14 wegen ihrer Mittelstellung zwischen Proömium und narratio des Briefes (ab 1,15) und ihrer zahlreichen motivischen Vorverweise auf den weiteren Briefverlauf als propositio, die das Thema von 2 Kor angibt,9 wird diese Linie fortgeführt. Das dominante Schlagwort, das die Verse rahmt, ist das „Rühmen“ (1,12: καύχησις; 1,14: καύχημα). Der Brief soll die Korinther zur Einsicht führen, dass Paulus ihr „Ruhm“ ist, so wie sie des Paulus „Ruhm“ sind (1,14). Die entsprechende Gewissheit gewinnt Paulus aus dem „Zeugnis des Gewissens“ (τὸ μαρτύριον τῆς συνειδήσεως) über sein Verhalten in „göttlicher Lauterkeit“ (εἰλικρίνεια τοῦ θεοῦ) und ganz aus der Gnade Gottes heraus (ἐν χάριτι θεου; 1,12). Die Korinther hingegen besitzen diese Einsicht erst zu Teilen, weshalb sie vertieft und gefestigt werden muss (1,13 f.). Auf dieser gedanklichen Linie liegt auch 2,14–4,6. Zumindest sind der begrifflichen Überschneidungen mit 1,12–14 viele. Auch in 2,17 beteuert Paulus seine Lauterkeit (εἰλικρίνεια, vgl. 1,12) und thematisiert sodann sein Verhältnis zu den Adressaten (3,1–3). Auch dort bemüht er den Zusammenhang von lesen und verDer Begriff begegnet bei Paulus außer in 2 Kor nur in Phil 3,4. Vgl. 2 Kor 1,4.6.7; 2,7 f.; 5,20; 6,1; 7,4.6 f.13; 8,4.6.17; 9,5; 10,1; 12,8.18; 13,11. 9 Vgl. Wilk 2011. 7 8

282

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

stehen (vgl. 1,13 und 3,2). Insgesamt ist Erkenntnis (2,14; 3,2.14 f.; 4,6) dort ein wiederkehrendes Motiv, so wie sie in 1,12–14 als Ziel des Briefes ausgewiesen wird. Abschließend spricht der Abschnitt von der Empfehlung des Paulus vor den Gewissen aller Menschen (4,2: συνιστάνοντες ἑαυτοὺς πρὸς πᾶσαν συνείδησιν ἀνθρώπων). Das Zeugnis, dass das eigene Gewissen Paulus gibt (1,12), scheint in dieser Vorstellung allen Menschen zugänglich zu sein. In Fortführung seiner Überlegungen zu 2 Kor 1,12–14 als propositio des gesamten zweiten Korintherbriefes hat Florian Wilk zudem jüngst einen bedenkenswerten Vorschlag zur Gliederung von 2  Kor  vorgelegt, mit dem die hier gemachten Beobachtungen weitgehend harmonieren.10 Er begreift die Apologie als Zustimmungsfiktion, die das durch den Tränenbrief erreichte Einverständnis zwischen Paulus und seinen Adressaten bekräftigt bzw. vorwegnimmt.11 Die Beschreibung seines Dienstes mache deutlich, inwiefern Paulus als Ruhm der Korinther betrachtet werden könne und müsse. Ihre Leitfrage sei die Frage nach der Eignung zum apostolischen Dienst (2,16c), die unter Verweis auf die Befähigung durch Gott beantwortet werde (vgl. 4,1.6.7.13; 5,5.18 f.; 6,1 f.). Im Wesentlichen geschehe dies in zwei Schritten, die bereits im einleitenden Abschnitt 2,14–17 angelegt seien. Im Anschluss an das ambivalente Bild vom Triumphzug, in dem Gott Paulus umherführe (2,14), zeichne zunächst der Abschnitt 3,1–5,10 „Paulus und seine Mitarbeiterschaft […] als Mittler der Offenbarung Jesu Christi im Spannungsfeld von Leben und Tod“12, nämlich zuerst im Hinblick auf das Leben, das ihre Verkündigung bringt (3,1–4,6), sodann im Hinblick auf Leiden und Tod, die Paulus und seine Mitarbeiter am eigenen Körper erfahren, in denen Gottes Herrlichkeit jedoch paradoxerweise gerade sichtbar wird (4,7–5,10). Sodann nehme 5,11–7,1 die Abgrenzung von anderen Verkündigern, die sich in 2,17 findet, wieder auf (5,12) und fahre fort, das dort formulierte Programm auszuführen, „dass die paulinische Predigt einerseits in Gottes Heilshandeln in Christus gründet (5,11–6,10), andererseits durch das auf Abgrenzung von den Götzen zielende Erwählungshandeln Gottes bestimmt ist (6,11–7,1[3])“13. 4.1.2 Textabgrenzung Für die an dieser Stelle relevante Frage nach der Textabgrenzung sind diese Überlegungen in zweierlei Hinsicht aufschlussreich: hinsichtlich des inneren Zusammenhangs von 2,14–4,6 und hinsichtlich der Abgrenzung des Textes nach hinten. Vgl. im Folgenden Wilk 2020b. Dies erinnert entfernt an Land 2015, 114: 2,10b–13 „reveals that the Corinthians do not understand Paul’s priorities as a leader“. 2,14–5,21 seien „a teaching segment“, das diesen Missstand beheben, d. h. einen angemessenen Begriff vom Verkündigungsdienst des Paulus und Timotheus geben soll. 12 Wilk 2020b, 149. 13 Wilk 2020b, 148. Zur Stellung von 2 Kor 6,14–7,1 vgl. Wilk 2008a. 10 11

4.1 Zusammenhang und Textabgrenzung

283

Wie deutlich die Abgrenzung nach vorn ist, bezeugt bereits die Fülle der Teilungshypothesen, die mit 2,14 einen eigenständigen Brief beginnen lassen. Hatte Paulus in der Reisenotiz 2,12 f. rekapituliert, wie er in Troas von der Abwesenheit des Titus so beunruhigt war, dass er seine Predigt aussetzte und nach Mazedonien reiste, setzt er in 2,14 neu an. Die Dankesformel 2,14 ist ganz auf Gottes Handeln an Paulus ausgerichtet und sowohl der Reiseverlauf als auch die Person des Titus geraten aus dem Blick. Intuitiv lässt sich keine inhaltliche Verbindung zwischen beiden Gedanken erkennen.14 Unterstrichen wird dieser Einschnitt formal durch den Wechsel von der 1. Person Singular in die 1. Person Plural und vom erzählenden Aorist ins Präsens. Da der gedankliche Zusammenhang der Apologie weit über 4,6 hinausreicht, ist die Abgrenzung des Textabschnittes nach hinten weniger eindeutig. In formaler Hinsicht wurde von verschiedener Seite darauf hingewiesen, dass der größere Textzusammenhang bis in den Anfang von Kapitel 5 hinein durch eine Reihe repetitiver Formeln mit dem Verb ἔχω strukturiert sei, die sich in zwei Dreiergruppen teilen ließen. Nimmt man dies wahr, so bietet 4,7 den vierten Beleg für eine solche Formel und leitet damit die zweite Dreiergruppe ein.15 Auch weicht der Nominalstil von 4,4.6 ab 4,7 einer bewegteren Ausdrucksweise.16 Insgesamt lässt sich eine Verschiebung in der Sprach- und Bildwelt des Textes beobachten. Die Passage 2,14–4,6 ist maßgeblich von bestimmten Begriffen und Wortfeldern geprägt, die ab 4,7 fehlen.17 Damit hängt das eigentlich schlagende, inhaltliche Argument zusammen, mit 4,7 einen neuen Abschnitt beginnen zu sehen: „Die Beschreibung der leidvollen Seite des Aposteldienstes, trifft ab 4,7 schroff auf die zuvor ausführliche Darstellung von dessen glanzvoller Seite.“18 14 Einen eher fließenden Übergang, vermittelt durch das Motiv der Bewegung bzw. des Triumphzugs, nehmen hingegen mit jeweils eigenständiger Begründung Aus 2005 und Heilig 2017, 160–161.243–244, an. 15 Die sog. Habe-Formeln finden sich in 3,4 (finites Verb); 3,12; 4.1.7.13 (Partizipien); 5,1 (finites Verb). Die Dreiergruppen gliedern sich jeweils in eine Formel mit finitem Verb und zweien mit Partizipien, deren letzte mit Διὰ τοῦτο … οὐκ ἐγκακοῦμεν (4,1) bzw. Διὸ οὐκ ἐγκακοῦμεν (4,16) einsetzt, bzw. abschließt. Eine ähnliche Struktur findet sich in Kapitel 5 mittels des Verbs οἶδα. Für eine strukturelle Auswertung dieser Formeln vgl. jüngst Schmidt 2004, 64–67. Er verweist zur Technik auf Lausberg § 264–292. Verfolgt man dieses Strukturprinzip weiter, wird deutlich wie auch der Einschnitt, den Wilk 2020b in 5,11 sieht, von einer solchen οἶδα-Formel begleitet wird. Deren Reihe beginnt quer zu Wilks Gliederungsvorschlag jedoch schon mit 5,1. 16 Vgl. Schmeller 2010, 251. 17 διακονία begegnet erst wieder in 5,18, das Erkenntnismotiv in 5,16, die Empfehlungsthematik in 5,12 (s. u. 4.3.2.2a). Der zentrale Begriff δόξα und die daraus abgeleitete Licht- und Sichtbarkeitsterminologie wird in 4,15.17 f. anders verwendet als in 3,7–4,6. Gleiches gilt für die metaphorische Füllung des Todesmotivs. An ihre Stelle tritt die Entfaltung der Leiden in der Nachfolge Jesu (vgl. insb. 4,11 f.). 18 Weidner 2017, 148. 4,7 führt das Bild der Tongefäße neu ein und eröffnet durch einen Peristasenkatalog ab 4,8 einen neuen Horizont. Choi 2010, 106 f., bietet eine Übersicht, inwiefern 4,7–15 sprachlich eng an 1,3–11 anknüpfen. Basis sei „die christologische Deutung der Leiden (1,5 und 4,10 f.)“. Beides ist so bis 4,6 noch nicht im Blick, bestimme aber die in Kapitel 4 beginnende und

284

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

Der Vorschlag, den Gedankengang der Apologie mit 2,14–17 zu korrelieren, führt schließlich zur Frage nach der inneren Geschlossenheit des Abschnitts: Ist 2,14–17 der Passage 3,1–4,6 einzig als programmatische Bemerkung vorgeschaltet, oder bildet 2,14–4,6 eine glatte Einheit? Möchte man die vorhandenen Textsignale ernst nehmen, lautet die Antwort wohl: weder noch. Dass 2,14–17 als knappe Themenangabe der folgenden Kapitel funktioniert, wie Florian Wilk es vorschlägt, lässt sich schwerlich von der Hand weisen. Wie noch zu sehen sein wird, bestehen zwischen 2,14–17 und 3,1–4,6 jedoch zugleich noch engere Bezüge als zwischen 2,14–4,6 und dem Rest der Apologie. Es sei etwa die Übersetzung einer sensorischen Metapher für den Verkündigungsdienst (Duft) in eine andere sensorische Metapher in (3,7– 18)4,1–6 (Licht) genannt. Ferner lässt sich die Frage 2,16c inhaltlich durchaus als Leitfrage der gesamten Apologie bestimmen. Allein 3,4 f. nimmt jedoch ihre spezifische ἱκανός-Terminologie auf. Und auch das Motiv der εἰλικρίνεια aus 2,17 klingt bereits innerhalb des Abschnitts 2,14–4,6 deutlich wieder an (vgl. 3,12; 4,1 f.). Während 2,14–17 durchaus die in der Apologie insgesamt verhandelten Themen vorwegnimmt, steht der unmittelbar anschließende Text demnach unter einem besonders starken Einfluss dieser Verse. Es ist von daher gerechtfertigt, 2,14–4,6 als einen geschlossenen Abschnitt anzusprechen, ohne 2,14–17 abzutrennen und dem übrigen Text als Einleitungsabschnitt voranzustellen. Denn diese Funktion markieren 2,14–17 nicht deutlich. Sie erschließt sich erst als (zusätzliche) Textdimension, wenn bei fortlaufender Lektüre Bedeutungsüberschüsse aus 2,14–17 aktiviert werden.

4.2 Die intertextuelle Erkundung: Desintegrationssignale und Möglichkeiten der Digression Ist der zu untersuchende Text seinem Umfang nach mit 2,14–4,6 abgesteckt, gilt es, ihn auf intertextuelle Markierungen und potentielle biblische Bezüge zu untersuchen. Ähnlich wie bereits zu 1  Kor  (9,24–27)10,1–22 erfolgt die intertextuelle Erkundung des Textes in drei Schritten, die auf den angestellten Überlegungen zur Markierung von Intertextualität und den drei Phasen des intertextuellen Leseprozesses basieren. Leitend sind zunächst die Unterscheidung von Intertextualitätsund Prätextsignalen, ihre Staffelung nach dem Grad der Deutlichkeit in explizite, halb-explizite und implizite Markierungen und die Frage nach ihrer Transparenz für den jeweiligen Bezugstext. In einem ersten Schritt wird der Brieftext überblicksartig auf explizite und halbexplizite sprachliche Signale befragt, die eine intertextuelle Desintegration einleiten können. Aufbauend auf diesen ersten Befund wird der Text in einem zweiten sich bis Kapitel 12 erstreckende Reihe von Peristasenkatalogen, die den Gehalt von 2,14–4,6 bereits voraussetzen: Paulus als „apostolischer Mittler zwischen Gott und Gemeinde“.

4.2 Die intertextuelle Erkundung

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Schritt unter Berücksichtigung auch weniger klarer Markierungen durchgegangen und auf mögliche biblische Bezüge untersucht. Hierbei werden auch Vorschläge aus der Forschungsliteratur aufgenommen und vor dem Hintergrund der Frage nach Desintegrationssignalen auf ihre Berechtigung geprüft. Die leitenden Fragen lauten demnach: Wird ein biblischer Bezug im Text angezeigt? Auf welche Weise wird er angezeigt? Und welcher Referenztext liegt dem Bezug zu Grunde? Die ersten beiden Schritte decken die Lektürephasen von Desintegration und Digression weitgehend ab. Die letzten Leitfragen aus dem Bereich der Digression liegen dem dritten Schritt zu Grunde: Wie verhalten sich der Bezugstext und seine Adaption durch Paulus zueinander? An dieser Stelle hat das Vorgehen einen anderen Schwerpunkt als die intertextuelle Erkundung von 1 Kor 10,1–22. Dort war es weitgehend unstrittig, dass eine intertextuelle Digression angezeigt ist, wobei in vielen Fällen das Ziel dieser Digression unklar blieb. Im Folgenden war eine nähere Betrachtung der potentiellen Bezugstexte und ihres Verhältnisses zueinander notwendig, um den Traditionsraum, aus dem 1 Kor 10,1–22 schöpft, näher fassen zu können. Die Problemlage in 2 Kor 2,14– 4,6 ist eine andere. Aufgrund markanter Übereinstimmungen in Wortlaut und Bildwelt lassen sich die Bezugstexte sehr viel klarer bestimmen, auch wenn Bezugstext und Adaption mitunter deutliche Unterschiede aufweisen oder die intertextuelle Desintegration äußerst schwach markiert ist. Folglich werden hier die gesammelten möglichen, direkten und indirekten Bezüge im dritten Untersuchungsschritt nicht nur in ihrem jeweiligen Zusammenhang wahrgenommen und auf Beziehungen untereinander, sondern stärker noch auf Unterschiede zwischen dem jeweiligen Referenztext und seiner Adaption bei Paulus befragt. An dieser Stelle sind antike Auslegungsmethoden ebenso zu berücksichtigen wie außerbiblische Traditionen, erlauben sie doch einen Einblick in Text- und Erzählvarianten, die Paulus und seinen Lesern bekannt gewesen sein mögen. Auch hier werden aktuellere Vorschläge aus der Forschungsgeschichte diskutiert. Der Gesamtfragestellung der Untersuchung folgend gilt das Augenmerk den Bezügen auf die Mose-Exodus-Tradition. Im Zuge dieses Arbeitsschrittes können erste Beobachtungen zur Funktion der biblischen Bezüge gesammelt werden, die später für den Lektüreschritt der Reintegration auszuwerten sind. Auf diese Weise ergibt sich ein Tableau möglicher intertextueller Bezüge im jeweiligen Text, gestaffelt nach der Deutlichkeit ihrer Markierung, gruppiert nach Bezugstexten und sondiert auf theologische Motive. 4.2.1 Überblick über explizite und halb-explizite Markierungen Insgesamt finden sich lediglich drei explizite Desintegrationssignale im Briefabschnitt 2 Kor 2,14–4,6. Zwei explizite Markierungen in 3,7 und 3,13 verweisen auf den Erzählzusammenhang Ex 34,29–35. Ein weiteres explizites Signal weist 4,6 als Gotteswort aus.

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

Beiden Bezügen auf die Exodusgeschichte fehlt eine typische Einleitungsformel. In 3,7.13 werden lediglich Mose und die „Kinder Israel“ namentlich als Akteure benannt.19 Die intertextuelle Markierung gewinnt zudem dadurch an Deutlichkeit, dass das Syntagma υἱοὶ Ισραηλ nicht Paulus üblichem Sprachgebrauch entspricht.20 Ein ausdrücklicher Verweis auf einen konkreten Bezugstext fehlt. Die geschilderten Vorgänge machen dem bibelkundigen Leser jedoch klar, dass es sich bei der angespielten Episode um die zweite Rückkehr Moses vom Gottesberg handelt, die in Ex 34 überliefert ist, da nur Ex 34 davon berichtet, wie Mose mit einem „verherrlichten“ Gesicht vom Sinai herabsteigt. Im Umfeld dieses Schriftbezugs finden sich verschiedene halb-explizite Markierungen. So scheint es, als bahne eine Reihe semantischer Brüche das ausdrückliche Intertextualitätssignal in 3,7 an. In 3,2 f. drängen mit ἐγγεγραμμένη und ἐν πλαξὶν λιθίναις zusehends Begriffe in das Wortfeld um γράφω und ἐπιστολή, die ihre Heimat im Umfeld der Sinaioffenbarung haben, im Briefzusammenhang jedoch zunächst fremd wirken. Auffällig ist das weitgehende Fehlen solcher Signale im Abschnitt 3,4–6, der der expliziten Markierung in 3,7 unmittelbar vorausgeht. Einzig διαθήκη könnte hier als neuer und intertextuell aufgeladener Begriff eine Digression anzeigen. Es scheint also, als werde der biblische Bezug in 3,7 durch sprachliche Interferenzen vorbereitet, dann durch Namensnennung offengelegt und sodann, ohne explizit auf einen konkreten Text zu verweisen, durch die Nennung signifikanter Handlungselemente doch soweit durchsichtig markiert, dass ein bestimmter Erzählzusammenhang vor Augen steht. Vor diesem Hintergrund sind auch ungewöhnliche Formulierungen in 3,10 (substantivierte Partizipialform von δοξάζω) und 3,15–16 (Septuagintismus ἡνίκα ἂν/ ἡνίκα δὲ ἐὰν) als intertextuelle Markierungen zu verstehen, die teils wörtliche Aufnahmen aus dem jeweils zuvor explizit markierten Textzusammenhang anzeigen (Ex 34,29–30 bzw. 34,34). Der gesamte Satz 3,10 hebt sich zudem im Duktus von seinem Umfeld ab. Ähnlich stark fällt der Wechsel von Mose als metaphorischer Größe (3,15) zurück zur Person des Mose als implizit handelndem Subjekt (3,16) sowie der abrupte Wechsel von langen, komplexen zu kurzen, definitorischen Sätzen in 3,17 als sprachliche Interferenz auf. Insgesamt entspricht der wiederkehrende Bezug auf einen recht klar abgegrenzten Erzählzusammenhang Helbigs Kriterien für implizite Markierung durch Emphase, die zu den expliziten Signalen hinzutritt (Frequenz, Durchdringungsgrad und das mehrfache Aufgreifen des gleichen Bezuges wie auch des gleichen Referenztextes).21 Dies rechtfertigt eine besondere Aufmerksamkeit für weitere schwach 19 „Mose“ begegnet abermals in V. 15, dort jedoch nicht als ‚Intertextualitätssignal‘, sondern bildhaft als Personifikation der Heiligen Schriften Israels. 20 Nur noch im Schriftzitat Röm 9,27. 21 Richard Hays spräche hier wohl von hohem volume und in Hinsicht auf den precursor text von recurrence (vgl. oben Anm. 22).

4.2 Die intertextuelle Erkundung

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markierte Bezüge auf die Mose-Exodus-Tradition, die nur durch die schon gesteigerte Sensibilität für den Erzählzusammenhang als solche erkannt werden können. Intertextuelle Bezüge, die nicht oder nicht offen auf die Mose-Exodus-Tradition rekurrieren, finden sich vor allem am Anfang und am Ende der Passage. Viel diskutiert wurde anhand deutlicher Übereinstimmungen in der eigenwilligen Bildsprache der Einfluss von Jer 38,31–34 LXX und Ez 11,19; 36,26 f. auf 2 Kor 3,2 f. Diese Texte könnten die Metapher vom in die Herzen geschriebenen Empfehlungsbrief motiviert haben. Zugleich ließe sich der prophetische Hintergrund als komplexe biblische Matrix verstehen, die die nachfolgende Auslegung der Exodustradition bestimmt und konturiert.22 In diesem Falle wäre der Anbahnung des Bezugs auf Ex 34 in 3,7 durch einzelne einschlägige Begriffe in 3,3 eine weitere Stufe der Annäherung vorgelagert, die noch grundlegender Konzepte von göttlicher Bundesgabe und vom Wirken des göttlichen Geistes am Menschen aufruft. Bei alldem ist die Markierung jedoch schwächer ausgeprägt. Es lässt sich jedoch überzeugend demonstrieren, wie sich das prophetische Motivfeld über die Folgeverse ausstreckt (vgl. insb. die Rede vom neuen Bund in 3,6). Ein ‚Prätextsignal‘, wie es sich für die Sinai-Terminologie gewissermaßen in 3,7 findet, fehlt. Ein deutliches explizites Desintegrationssignal findet sich schließlich in der Einleitung des als Gottesrede ausgewiesenen Zitats in 4,6. Sein Ursprung ist unklar und wird breit diskutiert. 4.2.2 Durchgang durch den Text unter Berücksichtigung auch schwächerer Desintegrationssignale und möglicher biblischer Bezüge 4.2.2.1 2,14–16b Zu Beginn der Passage finden sich keine klar markierten Desintegrationssignale. Auffällig ist allein das für Paulus einmalige Bild vom Triumphzug, das auf anscheinend allgemein bekannte römische Praxis anspielt.23 Weihrauchduft und Triumphzug gehören konzeptionell zusammen. Die Verbindung von Triumphzug und Wohlgeruch scheint in der Formulierung jedoch originell paulinisch zu sein und ist sonst nicht in der griechischen Literatur belegt, zumindest nicht unter Verwendung gleichen oder ähnlichen Vokabulars.24 Ohnehin sticht der nahezu synonyme Gebrauch von ὀσμή und εὐωδία ins Auge, Beide Begriffe begegnen regelmäßig in den Opfervorschriften von Lev/Num  LXX, teils auch in Ex  LXX. Ihre Kombination ὀσμὴ εὐωδίας ist stehende Wendung für den Gott wohlgefälligen Opfergeruch.25 Vgl. ausführlich Stockhausen 1989, 42–86. Das Verb θριαμβεύω begegnet im Neuen Testament sonst noch in Kol 2,15, beschreibt dort aber den allumfassenden Triumph über die Mächte und Gewalten. Zum Bild vom Triumphzug an dieser Stelle und seiner Ausdeutung vgl. Müller 2012, insb. 225–226; Hafemann 1986, 18–39, und s. u. 4.4.1.3. 24 So das Ergebnis einer Recherche im TLG. 25 Vgl. Ex 29,18.25.42; Lev 1,9.13.17; 2,2.9.12; etc. 22 23

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

4.2.2.2 2,16c Verschiedentlich ist vorgeschlagen worden, die rhetorische Frage 2,16c als Anspielung auf Ex 4,10 zu sehen. Dort bestreitet Moses seine Fähigkeit, das Wort Gottes an den Pharao auszurichten mit den Worten οὐχ ἱκανός εἰμι.26 Daraufhin weist Gott Moses Bedenken unter Berufung auf seine Schöpfermacht zurück. Er werde ihn führen und ihm den Mund öffnen. Seit Georgi ist mehrfach auch die Resignationsfrage Joel 2,11 als Bezugstext vorgeschlagen worden. Dort fragt der Prophet, wer in der Lage ist, den Tag des Herrn, an dem Gott sich zeigen wird, zu ertragen (Joel 2,11: τίς ἔσται ἱκανὸς αὐτῇ). Beide Vorschläge haben aus dem Blickwinkel intertextueller Markierungen jedoch nur eine begrenzte Berechtigung. Denn tatsächlich fügt sich die knappe rhetorische Frage recht nahtlos in den Kontext ein. Nachdem Paulus die ungeheure Größe und Tragweite seiner Aufgabe beschrieben hat, legt es sich durchaus nahe, die Frage nach der Befähigung zu stellen. Paulus verwendete das Adjektiv ἱκανός bereits in 1 Kor 15,9, um seinen Mangel an Befähigung zum Apostolat auszudrücken, der durch Gottes Gnade aufgewogen wird.27 Erst eine Relektüre mit Sinnen, die durch die folgenden biblischen Bezüge geschärft sind, lässt hier einen möglichen Bezug auf die Berufungsgeschichte des Mose erkennen (s. u. zu 3,5 f.). 4.2.2.3 2,17 Ebenso plausibel ist die implizite Antwort auf die Frage 2,16c durch die Abgrenzung gegen eine Gruppe negativ qualifizierter Verkündiger. 2,17 lässt im Allgemeinen eine Nähe zu biblischen und hellenistisch-jüdischen Vorstellungen erkennen. Wenn solche Überlegungen zu einem tieferen Verständnis der Vorstellungen hinter dem Vers auch erhellend sein mögen, so bietet 2,17 insgesamt doch keinen Anlass zur intertextuellen Digression. Wenn Paulus im Gegensatz zu denen, die das Wort Gottes „verhökern“, für sich selbst εἰλικρίνεια in Anspruch nimmt, bewegt er sich sprachlich in einem aus der Korintherkorrespondenz bekannten Rahmen.28 Die Ansicht, dass es der εἰλικρίνεια bedarf, um angemessen mit Gottes Wort umzugehen, teilt Paulus zudem mit Philo. Nach Philo waren es ihre λογισμοὶ εἱλικρινεῖς, die die Übersetzer der LXX befähig26 Es handelt sich um eine deutende Übersetzung der LXX ohne direktes wörtliches Äquivalent im hebräischen Text. MT drückt sich an dieser Stelle präziser aus und liest ‫לא ִאיׁש ְּד ָב ִרים ָאנ ִֹכי‬, „Ich bin kein Mann der Worte“. 27 In anderem Sinn begegnet ἱκανός noch in 1 Kor 11,30 und 2 Kor 2,6. Allgemein ist der Gebrauch der Wurzel bei Paulus auf die Korintherbriefe beschränkt. 28 Bei Paulus begegnet der Begriff noch in 1 Kor 5,8 und 2 Kor 1,12, jeweils in Abgrenzung von weltlichen Eigenschaften. Phil 1,10 nennt das korrespondierende Adjektiv eine Voraussetzung für den Tag Christi. Zieht man in Betracht, dass von εἰλικρίνεια durchaus in Bezug auf Luft oder Duft gesprochen werden kann (vgl. Plut. qu. conv.; S. Emp. adv. math. 9,73) knüpft 2,17 womöglich enger an das Bild vom Triumphzug an als gemeinhin gedacht.

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ten, dem „allerreinsten Geist“ (καθαρωτάτῳ πνεύματι) des Mose so zu entsprechen, dass sie die göttlichen Gesetze angemessen aufnehmen und über die Sprachbarriere hinweg weitergeben konnten.29 4.2.2.4 3,1–3 Ab 3,1 nimmt Paulus vermehrt auf außertextliche Begebenheiten und seine gemeinsame Geschichte mit der korinthischen Gemeinde Bezug. Der abrupte Wechsel in Stil, Vokabular und Bildwelt ist demnach thematisch bedingt und nicht als linguistischer Bruch oder intertextuelle Markierung zu werten. Nachdem 3,1 den Topos „Empfehlungsbrief “ eingeführt hat, baut Paulus ihn ab 3,2 metaphorisch aus. Wenn Paulus in 3,2 f. jeweils zunächst die Korinther mit seinem Empfehlungsbrief identifiziert, also die Grundmetapher aufruft, und dann je zwei nähere Bestimmungen folgen lässt, tut er dies mit einschlägigen biblischen Formulierungen. Nacheinander beschreibt er den lebendigen Empfehlungsbrief als „eingeschrieben in unsere Herzen“ (ἐγγεγραμμένη ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν), allgemein „erkannt und gelesen“ (γινωσκομένη καὶ ἀναγινωσκομένη ὑπὸ πάντων ἀνθρώπων), „eingeschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes“ (γινωσκομένη καὶ ἀναγινωσκομένη ὑπὸ πάντων ἀνθρώπων) und schließlich „(eingeschrieben) nicht in steinerne Tafeln, sondern in fleischerne Herzen“ (οὐκ ἐν πλαξὶν λιθίναις ἀλλ᾽ ἐν πλαξὶν καρδίαις σαρκίναις). Diese Ausführungen sind insofern desintegrativ, als sie überwiegend quer zum Bildspender der Metapher liegen. Gleich das erste Element dieser Aufzählung evoziert Jer 38,33 LXX, die Verheißung eines neuen Bundes, im Zuge dessen JHWH sein Gesetz auf die Herzen des Volkes Israel schreiben werde (ἐπὶ καρδίας αὐτῶν γράψω). Die zweite Nennung der Herzen in 3,3 ruft durch die Wendung καρδίαις σαρκίναις einen anderen prophetischen Text auf: Ez 11,9 LXX spricht ebenso wie der ähnlich lautende Vers Ez 36,36 LXX davon, dass Gott seinem Volk ein neues Herz und einen neuen Geist geben werde, nämlich ein fleischernes Herz, das das steinerne Herz ersetzen werde (Ez 11,19 LXX: καὶ δώσω αὐτοῖς καρδίαν ἑτέραν καὶ πνεῦμα καινὸν δώσω ἐν αὐτοῖς καὶ ἐκσπάσω τὴν καρδίαν τὴν λιθίνην ἐκ τῆς σαρκὸς αὐτῶν καὶ δώσω αὐτοῖς καρδίαν σαρκίνην). Wie auch in 2 Kor 3,3 stehen hier die Größen Geist und Herz nebeneinander.30 Bietet sich also ein in sich kohärentes Bild von prophetischen Vorstellungen, stört der Bezug auf „steinerne Tafeln“, die den „fleischernen Herzen“ in 3,3 gegenübergestellt werden, diese Harmonie. Während das Adjektiv λίθινος zwar auch in Ez 11,19

Vgl. Mos. 1,40. Carol Stockhausen weist überdies darauf hin, dass Ez 37,14 (ώσω τὸ πνεῦμά μου εἰς ὑμᾶς καὶ ζήσεσθε) im Hintergrund der Wendung „Geist des lebendigen Gottes“ stehen könnte. Sie sieht hier ein Netz von Schriftworten, die durch Stichwortverbindungen miteinander verknüpft sind. Vgl. Stockhausen 1989, 69. 29 30

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das abzulegende Herz beschreibt, verweist der Bezug auf steinerne Tafeln deutlich auf die Sinaierzählung.31 Ein spezifischer Bezugstext im Rahmen der Sinaitradition lässt sich jedoch nicht ausmachen. Die Tafeln, auf denen das auf dem Sinai gegebene Gesetz schriftlich festgehalten wird, werden in den Büchern Exodus und Deuteronomium wiederholt als πλάκες λίθιναι bezeichnet. So benennt die Wendung in Ex  31,18 die Tafeln, die Mose auf dem Sinai empfängt und nach Ex 32,15 mit sich führt, als er des Bundesbruches gewahr wird, und schließlich zerbricht. Auch die neu von ihm anzufertigenden Tafeln sind nach Ex 34,1 πλάκες λίθιναι, die Mose nach Ex 34,4 wie befohlen anfertigt und auf den Sinai trägt. Schlicht auf πλάκες nehmen in diesem Zusammenhang überdies Ex 32,16.19 und 34,28 f. Bezug.32 Häufiger noch als in Exodus (12 Nennungen) begegnen πλάκες in Deuteronomium (15 Nennungen: Dtn 9,9.10.11.15.17; 10,1.2.3.4.5; sonst 4,13 und 5,22). Von „Steintafeln“ sprechen die zusammenfassenden Berichte vom Sinaigeschehen in Dtn 4,13 und 5,22 und außerdem die ausführliche Nacherzählung aus der Perspektive des Mose in Dtn 9,9–11; 10,1.3. Regelmäßig ist in diesem Zusammenhang auch von „schreiben“ die Rede. In Ex 31,18; 32,15 und Dtn 9,10 begegnen die Steintafeln zusammen mit einem Partizip von γράφω, in Ex 34,1; Dtn 4,13 und 5,22 mit finalen Formen. ἐγγράφω wird allerdings an keiner dieser Stellen verwendet, auch wenn die Bedeutung „einschreiben“ bzw. auch „gravieren“ besonders gut zum Bild der Steintafeln zu passen scheint. Carol Stockhausen versucht den Gebrauch des seltenen Verbes von Ex 36,21 her zu erklären. Jedoch stellt sie selbst fest: The verb ‚ἐγγράφω‘ in contrast to the simple form ‚γράφω‘ has ‚public‘ connotations. While it can be a synonym for the simple form, ἑγγράφω [sic] is frequently used for public enrollment or registration, inscriptions, and writs of execution or indictments. […] As such it is a word very well suited to Paul’s purposes here.33

Somit kann die Vokabel schlicht inhaltlich motiviert sein, zumal Paulus direkt im Anschluss an die erste Verwendung bemerkt, der Brief sei allgemein erkannt und gelesen worden. Auch wenn es in diesem Gebrauch wohl ungewöhnlich bleibt, zeigt Dan  12,1, dass das Verb zumindest im biblischen Sprachgebrauch auch das Schreiben von Schriftstücken bezeichnen kann. 31 In einer anderen Traditionslinie fordert auch Spr 7,3 den Leser auf, die Gebote der Weisheit zu halten und ihre Worte auf die Tafeln des Herzens zu schreiben (vgl. Windisch 1924, 106). Dass dort eine andere Formulierung verwendet wird (ἐπίγραψον δὲ ἐπὶ τὸ πλάτος τῆς καρδίας σου), spricht jedoch gegen Spr 7,3 als intendierten Bezugstext. Zudem kann der Exodusbezug durch die folgenden Anspielungen als implizit markiert gelten. 32 Der Befund in MT (‫לחֹת ָה ֵע ֻדת‬/‫ֹת‬ ֻ ‫)לח‬ ֻ und den Targumim (‫לוחי סהדותא‬/‫ )לוחיא‬ist vergleichbar. 33 Stockhausen 1989, 34, Anm. 4. Vgl. auch zu Vers 2: „The verb ‚ἀναγινώσκω‘ in the Septuagint almost always refers to the cultic reading of the covenant, and if not that, at least to the public announcement of royal letters or to prophetic pronouncements, never to private reading” (Stockhausen 1989, 74, Anm. 68, mit zahlreichen Belegen).

4.2 Die intertextuelle Erkundung

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Nicht von der Hand zu weisen ist bei alledem Stockhausens Beobachtung, dass die prophetischen Bezüge und die angeführten Bezugstexte aus der Mose-ExodusTradition durch das Schlagwort „schreiben“ verknüpft sind.34 Über die angeführten Texte der Mose-Exodus-Tradition lässt sich jedenfalls auch eine Verbindung zum Schreiben mittels des göttlichen Geistes in 2 Kor  3,3 herstellen. Ex  31,18; 32,15 f.; 34,1; Dtn  4,13; 5,22; 9,10 und Dtn  10,4 drücken allesamt die Vorstellung aus, die Tafeln trügen γραφὴ θεοῦ (Ex 32,16) oder seien von Gott selbst bzw. dem „Finger Gottes“ beschrieben worden.35 Nimmt man beide intertextuelle Spuren ernst, sind in 3,2 f. eine prophetische Linie und die Sinaierzählung der Mose-Exodus-Tradition mehrfach ineinander verschränkt. Dabei ist jedoch keiner der möglichen Bezugstexte transparent markiert. 4.2.2.5 3,4–6 In den Folgeversen finden sich zunächst keine weiteren Desintegrationssignale. Paulus drückt sein Vertrauen in den vorgetragenen Sachverhalt (3,4) und beteuert sogleich, er sage dies nicht aus sich selbst heraus, sondern empfange seine „Befähigung“ von Gott (3,5). Durch das ἱκανός korrespondierende Substantiv greift Paulus die rhetorische Frage 2,16c wieder auf. Von ihr herkommend lässt sich der abrupt scheinende Themensprung erklären.36 Im Gegensatz zur Verwendung des Schlagwortes ἱκανός in 2,16c kann ein solcher Bezug nun aber als implizit markiert verstanden werden, ist die Leserschaft doch sensibilisiert durch die Verweise auf die Mose-Exodus-Tradition in 3,2 f. Mit scharfem Blick meint Carol Stockhausen eine Ungereimtheit aufzuspüren, die als halb-explizites desintegratives Signal verstanden werden kann, nämlich das καί im Relativsatz 3,6. Wer annimmt, hier werde schlicht angezeigt, die Befähigung des Paulus sei eine weitere Tat Gottes neben unbestimmten anderen, müsse sich die Frage gefallen lassen, was denn die vorangegangene Handlung Gottes sei, auf die der Text hier referiert. „There is nothing in the Pauline text to which the καί refers.“37 Folgt man Stockhausen, ist hier ausgesagt, dass Paulus auch, nämlich genauso wie seinerzeit Mose, befähigt wurde, Diener eines Bundes zu sein.38 34 Vgl. Stockhausen 1989, 71 f. Ob damit auch gilt: „the key word, γράφω, is the thread on which Paul’s argument from scripture is strung“ (ebd.), γράφω also das organisierende Prinzip der Passage darstellt, muss erst noch geprüft werden. 35 Während dies für die erste Gesetzesgabe einheitlich gilt, kennen sowohl Ex 34,27 f. als auch Dtn 10,2 die Tradition, Mose habe bei seinem zweiten Aufstieg auf den Sinai selbst die Tafeln beschrieben. 36 Zugleich sensibilisiert die Ausdrucksweise hier in der Relektüre für den intertextuellen Gehalt von 2,16c. 37 Stockhausen 1989, 84. 38 Denkbar ist freilich im Anschluss an 1 Kor 15,8 f. auch das Verständnis „der auch mich (neben anderen) befähigt hat“. In diesem Fall wäre aber ὃς ἱκάνωσεν καὶ ἡμᾶς und nicht ὃς καὶ ἱκάνωσεν ἡμᾶς zu erwarten gewesen.

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Diese inhaltliche Parallele zwischen Mose und Paulus ist in Anbetracht der weiteren Gedankenentwicklung des Textes ernsthaft in Betracht zu ziehen. Gleichwohl bleibt die intertextuelle Markierung subtil und ist keineswegs zwingend, kann καί doch auch schlicht intensivierend verstanden werden.39 Abermals fehlt ein Prätextsignal. Auch der prominent gebrauchte Begriff διάκονος ist für Paulus typisch. Er begegnet weder im Pentateuch noch bei den Propheten und wird biblisch nicht für Mose verwendet.40 Es scheint, als würde Paulus hier die Begrifflichkeit seiner Zeit an den biblischen Text herantragen und so den konkreten Schreibanlass auf den biblischen Hintergrund abbilden.41 Das Schlagwort „Bund“ knüpft zweifellos an die Mose-Exodus-Tradition an, zumal im Anschluss an die πλάκες aus 3,3. Wiederholt begegnet im Zusammenhang der Sinaioffenbarung das Syntagma πλάκες λίθινες διαθήκης (Ex 34,28; Dtn 9,9.11). Insofern die Tafeln das bundesbegründende Gotteswort repräsentieren, stehen die Begriffe in enger Wechselwirkung. Die Verse, die dem expliziten Bezugstext Ex 34,29–34 unmittelbar vorangehen, explizieren diesen Zusammenhang: JHWH weist Mose an, die offenbarten Worte festzuhalten, weil er seinen Bund mit Israel auf sie gründen werde, woraufhin Mose fastend vierzig Tage in seiner Gegenwart ausharrt und die Tafeln beschreibt (Ex 34,27 f.; vgl. auch Dtn 4,13). Schon in Ex  34,10 begegnet das Bundesmotiv in einer Gottesrede. Gott verheißt, Mose einen Bund aufzurichten (τίθημί σοι διαθήκην) und vor dem ganzen Volk herrliche Taten zu tun wie nie zuvor (ἐνώπιον παντὸς τοῦ λαοῦ σου ποιήσω ἔνδοξα). Insgesamt tritt das Bundesmotiv im Zusammenhang der zweiten Gesetzesgabe am Sinai prominenter hervor als im Zusammenhang der ersten Sinaioffenbarung.42 Auch wird erst dort der Bund mit den Steintafeln identifiziert. Ist der Leser durch die Anspielungen in 3,3 bereits für eine Verbindung zur Mose-Exodus-Tradition sensibilisiert, kann dieser Bezug als implizit intertextuell markiert verstanden werden. καινὴ διαθήκη verweist für sich genommen jedoch auf Vgl. Schmeller 2010, 183 unter Berufung auf BDR § 442,8b mit Anm. 24. Vgl. für Paulus Röm 13,4; 15,8; 16,1; 1 Kor 3,5 f.; 2 Kor 6,4; 11,15.23; Gal 2,17; Phil 1,1. Zum Fehlen der Anwendung auf Mose: Für die Wiedergabe von MT ‫ מ ֶֹׁשה ֶע ֶבד־יְ הוָ ה‬wählt LXX v. a. παῖς (z. B. Jos 1,13; 11,12; 12,6; 13,8; 1 Chron 6,34; 2 Chron 1,2; Dan 9,11 u. ö.) oder den einfachen Namen Moses (z. B. Jos 1,1.15; 12,6 u. ö.). Mitunter auch δοῦλος (2 Kön 18,12; Neh 10,30; Dan 9,11 [TH]), οἰκέτης (z. B. Dtn 34,5), θεράπων (z. B. Jos 8,31 = 9,2 LXX) und ἄνθρωπος τοῦ θεοῦ (2 Chron 24,6). 41 διακονία ist ein entscheidender Leitbegriff des Abschnitts (vgl.  3,3.6.7–9; 4,1[.5]). Paulus benutzt ihn für gewöhnlich ganz im Horizont seiner Zeit, was ihn an diese Stelle aber nicht unangemessen macht. Vgl. Collins 1990, 194, zum Wortfeld um διακονία: „the root idea […] is that of a go-between […] an action done in the name of another“. Für eine konzise Übersicht über den Gebrauch in biblischer und außerbiblischer Literatur vgl. Hafemann 1995, 115–119. JosAs 13,12 zeigt, dass διακονέω durchaus als Wechselbegriff zu δουλεύω verstanden werden konnte. 42 Vgl. Ex 19,5; 23,22; 24,7 f. im Gegenüber zu Ex 34,10.27 f. Auch die Mahnung zur Exklusivität des Bundes fällt deutlicher aus (vgl.  Ex  23,32 mit 34,12.15). Dtn  4 f. scheint hier nicht mehr zu differenzieren. 39 40

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einen anderen Text, der seinerseits auch schon in 3,2 f. aufgerufen wurde: Jer 38,31 LXX spricht als einziger biblischer Text vom „neuen Bund“, den Gott am Ende der Zeit aufrichten wird. Im Verbund mit den vorangegangenen Anspielungen spricht einerseits vieles für einen bewussten Verweis auf diesen Text. Andererseits wird das Konzept des „neuen Bundes“ der korinthischen Gemeinde auch aus einem anderen Zusammenhang geläufig gewesen sein – aus dem Gottesdienst.43 Als Teil der Herrenmahlstradition ist es den Korinthern nicht nur bekannt, sondern auch inhaltlich gefüllt. Sperrig bleibt bei alledem, dass Paulus von „einem“ neuen Bund, nicht von „dem“ neuen Bund spricht, obwohl er auf ein in jedem Fall bekanntes Konzept verweist. Tatsächlich spricht auch Jer 38,31 LXX undeterminiert von einem neuen Bund (διαθήσομαι … διαθήκην καινήν). Es ließe sich dies also als leise Interferenz verstehen, die den intertextuellen Bezug markiert und darauf hinweist, dass der Jeremiatext Paulus selbst bei der Abfassung durchaus bewusst war oder sogar vorlag. Die anschließende Näherbestimmung des Dienstes als Dienst nicht des Buchstabens, sondern des Geistes (οὐ γράμματος ἀλλὰ πνεύματος) und insbesondere der sentenzartige Folgesatz weisen stilistisch einige Besonderheiten auf. Während τὰ γράμματα durchaus als Bezeichnung für die heiligen Schriften begegnet (vgl. etwa Joh 5,47; 2 Tim 3,15), ist der Gebrauch der Singularform weniger üblich und in der biblischen Literatur fast nicht belegt. Wo sie in der zeitgenössischen hellenistischjüdischen Literatur vorkommt, ist ihr Bedeutungsspektrum groß.44 An dieser Stelle kann sie jedoch gut als stilistische Angleichung an πνεύματος verstanden werden.45 Mehr noch den Eindruck eines von außen an den Text herangetragenen Fremdkörpers macht der sentenzartige Vers 3,6c, der zwar an die aufgerufenen Motive anknüpft, dabei aber stilistisch heraussticht.46 Weder ist seine Aussage jedoch als Sprichwort belegt, noch lässt sich ein anderer Bezugstext ausmachen, von daher wird seine Besonderheit anders zu erklären sein denn als intertextuelles Signal. Aus Leserperspektive ist 3,6c am ehesten als Rückverweis auf die Motive aus 3,2 f. zu verstehen. Inwiefern dieser Buchstabe tötet, muss zunächst unklar bleiben. Vgl. 1 Kor 11,25: τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐστὶν. Hierzu auch vgl. Nicklas 2012, 247. Bei Philo ist τὸ γράμμα zwar auch Bezeichnung für die Schriften/das Gesetz des Mose. Weiter reicht die Bedeutung ausweislich des Befundes bei Philo und Josephus jedoch von „Schriftstück“ im Allgemeinen (C. Ap. 1,12) über „Schreiben/Brief “ (A. J. 14,17; 18,162) und „Erlass“ (A. J. 11,244; 11,288) bis hin zu „Wort/Aussage“ (Congr. 1,58; Somn. 1,58; Spec. 3,8 [vom sechsten Gebot]; Legat 1,69), „Buchstabe“ (A. J. 3,178) und im Dativ „schriftlich“ oder „geschrieben“ (A. J. 4,253; 10,79; 14,319; C. Ap. 1,12; Her. 1,258). Der Begriff bezeichnet also zunächst schriftliche Äußerungen im weitesten Sinne. 45 Paulus benutzt die Pluralform im Sinne von „Buchstaben“ in Gal 6,11. Sonst begegnet das Wort bei ihm selten und wenn, dann nur im Singular. Der früheste Beleg findet sich an der vorliegenden Stelle, später auch in Röm 2,27–29 und 7,6. τὸ γράμμα entspricht also nicht unbedingt paulinischem Sprachgebrauch und ist wohl durch die Partizipialformen von γράφω in 3,2 f. motiviert. Die näherliegende Ableitung von γράφω wäre γραφή gewesen (vgl. Ex 32,16). 46 Vgl. zum Sentenzcharakter des Verses auch Schmeller 2010, 186 f. 43 44

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4.2.2.6 3,7–11 3,7–11 orientiert sich am Gegensatz zwischen γράμμα und πνεῦμα und taucht ganz in diese Bildwelt ein. Mit der Nennung Moses und der υἱοὶ Ἰσραήλ findet sich hier das erste zweifelsfreie Desintegrationssignal, gestützt durch den unvermittelt plötzlichen, wiederholten Gebrauch des Schlagworts δόξα.47 Umfangreichere wörtliche Übereinstimmungen mit einem biblischen Bezugstext lassen sich nicht ausmachen. Vielmehr paraphrasiert 3,7 das Geschehen, das in Ex 34,30 geschildert wird: Auf dem Sinai hat Moses Gesicht das göttliche Herrlichkeitsstrahlen angenommen, was Aaron und die Ältesten der Israeliten in Furcht versetzt, so dass sie es nicht wagen, sich ihm zu nähern.48 Wenn die Paraphrase auch in Details abweicht, ist der Bezug auf die in Ex 34,29–30 geschilderte Episode hinreichend deutlich. Auffällig ist weiter der Gebrauch des Verbs ἀτενίζω. Paulus benutzt es nur in diesem Zusammenhang (vgl. noch 3,13). Jedoch lässt es sich nicht auf den Bezugstext zurückführen. Bei dieser verhältnismäßig ausführlichen Wiedergabe einer biblischen Erzählung handelt es sich um die erste Markierung im Text, die als transparentes Prätextsignal verstanden werden kann. Indem 3,7 f. die Bildwelt aus 3,2 f. aufgreift, werden dadurch praktisch auch die vorangegangenen intertextuellen Bezüge nachträglich für die Mose-Exodus-Tradition markiert, so dass eine rückblickende Deutung der textuellen Interferenzen möglich wird, sollten diese wahrgenommen worden sein, ohne sie deuten zu können. Diese Strategie zunehmend deutlicher Markierung, setzt sich in 3,7 selbst fort, wo Desintegrations- wie Prätextsignale auf engstem Raum nach zunehmender Deutlichkeit angeordnet sind. Ausgangspunkt ist die an 3,6c anknüpfende Formulierung, die den Bezug aus 3,2 wieder aktiviert; der Dienst, der zum Tod führt, sei mit Buchstaben in Steine eingehauen, gefolgt von der für Paulus ungewöhnlichen Wendung τοὺς υἱοὺς Ἰσραήλ und schließlich der ausdrücklichen Bezeichnung von Mose als Referenzpunkt. Auch der Bezugstext wird zusehends durchsichtig gemacht. Nachdem die Eingangsformulierung den Blick auf die Gesetzesgabe am Sinai lenkt, stellt die Erwähnung von δόξα den Fokus schärfer auf den Aspekt der Gottesbegegnung. Während Exodus jedoch im Zusammenhang sowohl des ersten wie des zweiten Aufstiegs Moses auf den Sinai von Herrlichkeit spricht (vgl. etwa Ex 24,16 f.), lenkt das gestörte Gegenüber zu den Israeliten und die Erwähnung des Gesichtes Moses den Blick auf die Ereignisse nach dem Bundesbruch, näherhin auf die Kapitel Ex 33 f. Die Rede vom Herrlichkeitsglanz auf seinem Gesicht ist schließlich nur von Ex 34,29 f. her zu verstehen. 47 Eine undeutliche aber denkbare intertextuelle Verbindung ergibt sich über den Prätext auch zur bereits zitierten Gottesrede Ex 34,10: ἐνώπιον παντὸς τοῦ λαοῦ σου ποιήσω ἔνδοξα. 48 Der Wortlaut, insbesondere die Rede von δόξα, machen deutlich, dass LXX Pate für die Paraphrase gestanden haben muss. Diese bezeichnet Moses Gesicht als δεδόξασται, wo MT lediglich von ‫ ָק ַרן עֹור ָּפנָ יו‬spricht. Die Substantivierung hingegen ähnelt der targumischen Überlieferung, die in allen überlieferten Varianten von ‫זִ יו‬, mitunter auch von ‫( זיו איקר ׁשכינתא‬TPsJ Ex 34,29) spricht.

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3,9 ruft mit den im Kontext sonst nicht vorkommenden Wörtern κατάκρισις und δικαιοσύνη Konzepte auf, deren Herkunft sich nicht erkennbar aus dem Bezugstext ableiten lässt. 3,10 hingegen birgt durch die selten gebräuchlichen Perfekt Passiv-Formen von δοξάζω und die selbstverneinende Aussage οὐ δεδόξασται τὸ δεδοξασμένον genug desintegratives Potential, um einen Bezug auf Ex 34,29 f. herzustellen. Zwar wird hier nicht ausdrücklich auf den Bezugstext verwiesen, jedoch steht er dem entsprechend bibelkundigen Leser durch den Verweis in 3,7 noch ausreichend deutlich vor Augen. Ex 34,29 berichtet, dass die Haut auf Moses Gesicht göttlichen Herrlichkeitsglanz angenommen hat (δεδόξασται). Ex 34,30 bezeichnet diesen Vorgang mit dem Partizip (δεδοξασμένη ἡ ὄψις). Die Entsprechung zwischen 3,10 und Ex  34,29 f. reicht also bis in die Verbformen. Ein letztes Mal begegnet eine verwandte Form im Prätextzusammenhang, wenn Ex 34,35 festhält, die Israeliten hätten Moses verherrlichtes Gesicht gesehen, nachdem dieser sich mit Gott in der Stiftshütte beraten hätte (καὶ εἶδον οἱ υἱοὶ Ισραηλ τὸ πρόσωπον Μωυσῆ ὅτι δεδόξασται). 3,11 knüpft schließlich durch die Wiederaufnahme des Verbs καταργέω an 3,7 an. Das Wort spielt in der biblischen Mose-Exodus-Tradition keine Rolle, ebenso wenig wie das nachfolgende μένω. Dieses hat einen festen Ort in der Psalmensprache, wo es die bleibende Herrschaft Gottes beschreibt,49 lässt sich hier aber auch gut als Kontrastbildung zu καταργέω verstehen. 4.2.2.7 3,12–18 In 3,12 f. betont Paulus, dass sich sein offenes Vorgehen auf das Gesagte gründe und setzt es in einen Gegensatz zu Mose bzw. dessen Verhalten. Durch einen syntaktischen Bruch (καὶ οὐ καθάπερ Μωϋσῆς ἐτίθει κάλυμμα) und die abermals ausdrückliche Bezeichnung des Mose und der υἱοὶ Ισραηλ signalisiert 3,13 deutlich einen biblischen Bezug. Identifiziert wird dieser durch das Schlagwort κάλυμμα. Ex 34,33 spricht davon, wie Mose sein Gesicht (τὸ πρόσωπον) mit einer solchen Hülle bedeckte, nachdem er den Israeliten die Sinaigebote verkündigt hatte. Der Begriff wird in den beiden Folgeversen aufgenommen, die Moses Gewohnheit beschreiben, das Gesicht bedeckt zu halten, bis er in der Stiftshütte mit Gott spricht, und es erneut zu bedecken, nachdem er sie verlässt.50 Ähnlich wie mit δόξα ein Schlagwort aus Ex 34,29 f. Leitmotivcharakter für 3,7–11 hat, begegnet τὸ πρόσωπον wiederholt in 3,13–18. Ein Muster zunehmend deutlicher Markierungen, wie es in 3,7 beobachtet werden konnte, lässt sich nicht erkennen. 49 Vgl. z. B. Ps 88,37 LXX: τὸ σπέρμα αὐτοῦ εἰς τὸν αἰῶνα μενεῖ καὶ ὁ θρόνος αὐτοῦ ὡς ὁ ἥλιος ἐναντίον μου. 50 Darüber hinaus bezeichnet κάλυμμα v. a. den Vorhang vor dem Heiligsten und Allerheiligsten (vgl. Ex 27,16; 40,5; Num 3,25; 4,25 u. ö.), aber auch Hüllen für den Transport der heiligen Geräte (vgl. Num 4,10.14.25 u. ö.).

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Beginnend mit 3,14 deutet Paulus den referierten Sachverhalt auf seine Gegenwart hin aus. Dabei werden verschiedene eingeführte Schlagworte und Motive teils kontrastierend wiederaufgenommen und modifiziert.51 Neu ist die vorausgeschickte Erläuterung, die Sinne der Israeliten seien verhärtet worden. νοήμα ist gesamtbiblisch ein seltener Begriff, der von Paulus jedoch gehäuft in 2 Kor verwendet wird und von daher nicht als sprachliche Interferenz verstanden werden sollte. Hier finden sich fünf von sechs neutestamentlichen Belegen.52 Zudem findet sich auch kein kausaler Zusammenhang zwischen der Gesichtsverhüllung Moses und einer Verhärtung der Israeliten im aufgerufenen Bezugstext. Führt man sich jedoch vor Augen, dass Paulus das biblische Geschehen in 3,7.13 mit einiger Freiheit referiert, ist dennoch eine Verbindung denkbar. Wiederkehrendes Motiv in Ex 33–34 ist Gottes Klage über die Israeliten als halsstarriges Volk (λαὸς σκληροτράχηλός).53 Auch wenn hier keine lexikalische Berührung vorliegt und nicht von einer Verstockung durch Gott die Rede ist, ist die motivische Ähnlichkeit doch gegeben und wird in der Forschungsliteratur kontrovers diskutiert. Intertextuelle Markierungen finden sich an dieser Stelle jedoch keine. Als halb-explizite intertextuelle Markierung kann allenfalls die betont gedoppelte Verortung des Geschehens ἄχρι γὰρ τῆς σήμερον ἡμέρας (3,14)/ἕως σήμερον (3,15) verstanden werden. Mitunter wird diese Kombination als Verweis auf Dtn  29,3 gewertet (καὶ οὐκ ἔδωκεν κύριος ὁ θεὸς ὑμῖν καρδίαν εἰδέναι καὶ ὀφθαλμοὺς βλέπειν καὶ ὦτα ἀκούειν ἕως τῆς ἡμέρας ταύτης).54 In der Tat verwendet Paulus σήμερον nur hier und in Röm 11,8, wobei Paulus zugleich allein in 3,14 und in Röm 11,7 von der Verhärtung Israels spricht (auch in Röm 11,7 als passivum divinum: ἐπωρώθησαν). Dort zitiert er auch offen Dtn 29,3 (abweichend von LXX mit ἕως τῆς σήμερον ἡμέρας). Diese Übereinstimmung lässt den Vers oder eine entsprechende Tradition auch hinter den Formulierungen in 2 Kor  3,14 f. vermuten.55 Inhaltliche und motivische Übereinstimmungen stärken diese Vermutung. Die Rede vom heutigen Tag (σήμερον) der abschließenden Rede und Gesetzesverkündigung des Mose ist zentral für das theologische Programm von Dtn.56 In Übereinstimmung mit diesem Programm stehen sowohl 2 Kor 3,14–15 als auch Röm  11,7 f. im Zusammenhang von Bund und Verkündigung.57 Dominique Angers hat vor diesem Hintergrund aufgezeigt, wie eine breite Strömung biblischer

51 Vgl. V. 14 τῇ ἀναγνώσει mit V. 2 γινωσκομένη καὶ ἀναγινωσκομένη; τῆς παλαιᾶς διαθήκης mit V. 6 καινῆς διαθήκης; μένει mit V. 11 τὸ μένον; καταργεῖται mit V. 7 τὴν καταργουμένην und V. 11 τὸ καταργούμενον; usf. 52 Vgl. 2 Kor 2,11; 4,4; 10,5; 11,3. Der Begriff findet sich darüber hinaus in Phil 4,7. 53 Vgl. Ex 33,3.5; 34,9; ferner Dtn 9,6.13; 10,16. Auch Ex 32,9 MT mit dem hebräischen Äquivalent ‫ם־ק ֵׁשה־ ֖עֹ ֶרף‬ ְ ‫ע‬.ַ Von einer Verstockung durch Gott ist wiederholt die Rede in Bezug auf Pharao in Ex 4–14 (vgl. Ex 4,21; 7,3.22; 10,1.20.21; 14,4.8.17 u. ö., auch Dtn 2,30). 54 Vgl. zuletzt Heath 2013. 55 Vgl. Angers 2007, 116–118. 56 Das Wort begegnet dort 67-mal und zwar vor allem in den Kapiteln 1–12 und 26–32. 57 Vgl. Angers 2007, 118–120.

4.2 Die intertextuelle Erkundung

297

„bis zum heutigen Tag“-Aussagen in der Tradition von Dtn  29,3 stehen.58 Ohne dieses Wissen findet sich jedoch nur die doppelte Formulierung mit teils für Paulus unüblichem Vokabular als mögliches Desintegrationssignal. Ein deutlicheres sprachliches Signal stellt die unübliche Formulierung mit ἡνίκα in 3,15 f. dar. Sie ist typisch für die Septuaginta und begegnet im Neuen Testament nur hier und in 3,16 als Teil einer stark veränderten wörtlichen Anführung von Ex 34,34. Abermals wird also auf den gleichen Erzählzusammenhang Bezug genommen: ἡνίκα δὲ ἐὰν ἐπιστρέψῃ πρὸς κύριον, περιαιρεῖται τὸ κάλυμμα. Der Bezug ist implizit durch die wiederkehrenden Bezüge auf die entsprechende Exoduspassage, sowie durch die subtile sprachliche Interferenz durch ἡνίκα markiert. Auch das „plötzliche Auftreten eines Zeitwortes in Einzahl innerhalb einer Ausführung, die zuletzt von einer Mehrheit von Menschen, den Söhnen Israels, gesprochen hatte“59 fällt auf, zumal vom naheliegendsten singularischen Subjekt, Mose, zuvor als metaphorische Größe die Rede war. Unterstützend tritt 3,17 hinzu. Die Form, in der hier kommentierend auf 3,16 Bezug genommen wird, verdeutlicht, dass es sich um eine auslegungswürdige Aussage handelt.60 Abermals erschließt sich hier also ein intertextueller Bezug mit zunehmender Deutlichkeit. Die erste Anspielung mit ἡνίκα in 3,15 kann erst vom Zitat 3,16 her verstanden und bei entsprechender Textkenntnis lokalisiert werden und das Zitat selbst wird erst von 3,17 her deutlicher als solches ausgewiesen. Abschließend verdichtet 3,18 die verschiedenen Motive. Nebeneinander stehen hier das Motiv des (un-)verhüllten Gesichtes, des göttlichen Herrlichkeitsglanzes, der Gottesschau und des göttlichen Geistes. Hinzu kommt nun ausdrücklich ein Verwandlungsgedanke. Die Vorstellung vom „unverhüllten Angesicht“ erinnert abermals an Mose in Ex 34. Überdies fußt der Gedanke, die Herrlichkeit des Herrn zu sehen, auf einer breiten Palette biblischer Texte, von denen sich einige in großer Nähe zu den aufgerufenen Bezugstexten in Ex 34 finden. So bittet Mose JHWH in Ex  33,18, ihm seine Herrlichkeit zu zeigen (δεῖξόν μοι τὴν σεαυτοῦ δόξαν). Ungeachtet der Weigerung Gottes, Mose von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten (vgl. Ex 33,20), ist es der Sache nach letztlich diese Begegnung, von der Ex 34 berichtet und die zur strahlenden Verwandlung des Mosegesichts führt. Implizit ist der Verwandlungsgedanke im Zusammenhang des Prätextes also angelegt. Mose ist es, der archetypisch Gott mit unverhülltem Gesicht sieht und auf diese Herrlichkeit hin verwandelt worden ist. Die exklusive und unmittelbare Weise, auf die Mose Gott begegnet, wird auch in Num 12,6–8 hervorgehoben. In der Auslegungsgeschichte

Vgl. Angers 2007, 120–128. Prümm 1967, 412. 60 Der Vers wird in der Literatur immer wieder als Pescher bezeichnet. In Hinsicht auf die eigentliche Textgattung ist dies unzutreffend (vgl. unten 4.2.3.4). Die hinter der Bezeichnung stehende Beobachtung, hier werde Schrift auf die Gegenwart des Autors hin ausgedeutet und angewendet, ist jedoch korrekt. 58 59

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

dieser Verse sind gerade die beiden Motive von Gottesschau und Verwandlung bestimmend geworden.61 Aus einem anderen Blickwinkel ließe sich auch an Ex 34,35 denken. Dort sehen die Israeliten das verherrlichte Gesicht des Mose. Zugleich stimmt die Perspektive des ganzen Volkes mit der Öffnung der Perspektive in 2 Kor 3,18 durch ἡμεῖς πάντες überein.62 Abermals fehlen klare Prätextsignale. 4.2.2.8 4,1–6 Im gesamten Abschnitt 4,1–6 finden sich keine erkennbaren intertextuellen Signale, die eine Digression zur Mose-Exodus-Tradition einleiten würden. Die Verwendung ungewöhnlichen und markanten Vokabulars erklärt sich teils von den in Kapitel 3 eingeführten Motivkomplexen her. Zudem mögen im Hintergrund der Abgrenzung von verschiedenen verwerflichen Praktiken abermals konkrete, nicht mehr bekannte Vorfälle stehen. Paulus greift hier auch auf gefüllte Wendungen zurück, die im Textzusammenhang neu sind, aber in der Situation ihren Ursprung haben mögen.63 Auffällig ist der Wandel in der Bildsprache, wo es um den göttlichen Glanz geht. Hier tritt δόξα zugunsten des in der Psalmensprache verbreiteten φωτισμός und anderer Lichtmetaphern zurück.64 Auch hier fehlen jedoch deutliche Markierungen, die auf einen konkreten Text verweisen würden. Das dritte explizite Digressionssignal der Passage begegnet in 4,6 mit der Redeeinleitung ὁ θεὸς ὁ εἰπών. Ein Prätextsignal fehlt hingegen. Die Herkunft des Zitats wird zumeist in Gen 1,3 oder Jes 9,1 ausgemacht, mitunter auch in Ps  111,4 LXX oder Hi 37,15. Es ist denkbar, dass Paulus das Gotteswort „durch Kombination der Schöpfungsaussage Gen 13 mit der Verheißung Jes 92(1) – vielleicht unter Beiziehung

Vgl. Litwa 2012, passim. Vgl. Belleville 1991, 190. Hinzu treten zahlreiche andere Deutungen, etwa als Zeugnis jüdischer Weisheitsspekulation (Barrett 1973, 125), Auftakt eines Midraschs zu Gen 1,26–27 in 4,1–6 (Jervell 1960, 174 f.) oder Niederschlag von Jes 9,2 (Richard 1981, 359–361, in Berufung auf Collange 1972). Einen Überblick über Forschungspositionen bietet Back 2002, 1–15. Während die Ableitung aus Ex 34,35 sich jedoch wenigstens auf die allgemeine Durchdringung des Kapitels mit Bezügen auf Ex 34 und das von Belleville rekonstruierte fortlaufende Auslegungsmuster berufen kann und auch Num  12,6–8 der Exodustradition entstammt und enge motivische Parallelen zeigt, fehlt diesen Vorschlägen angesichts des Fehlens einer Markierung aus intertextuellem Blickwinkel die Evidenz. Unbeschadet dessen kann natürlich eine Beeinflussung durch flüssige Gehalte, wie die Verherrlichungserzählung oder hellenistische Transfigurationsvorstellungen vorliegen (vgl. dazu Larsson 1962, 281–284). 63 So bspw. 4,2 συνείδησις und der Bezug auf die Ungläubigen in 4,4. Zunächst unklar motiviert scheint dort der Bezug auf den Gott dieses Äons. 64 Ganz im Sinne dieser Verse beschreibt φωτισμός dort mitunter das Leuchten des Angesichts Gottes (vgl. Ps 89,8 LXX) oder seine rettende Gegenwart (vgl. Ps 26,1 LXX; Ps 43,4 LXX; Ps 77,14 LXX). 61 62

4.2 Die intertextuelle Erkundung

299

von Hi 3715 – selbst gebildet“65 hat. Ein ähnliches Vorgehen beobachtet Florian Wilk in 2 Kor 6,16c. Hier wie dort zitiert [Paulus] nicht einfach die Schrift, sondern bildet im Rückgriff auf die Schrift sowie im Kontext jüdischer Schriftauslegung ein Gotteswort, das den Zusammenhang des Christusgeschehens mit der Schöpfung zur Sprache bringt; mit der Wendung ‚Gott sprach‘ führt er es dann so ein, dass Gottes Heilshandeln in Christus als das eschatologische Gegenstück zum Schöpfungshandeln Gottes erscheint.66

Zwar liegt hiermit kein Bezug auf die Mose-Exodus-Tradition vor, jedoch handelt es sich um ein bezeichnendes Beispiel für den Einfluss der Ausdrucksweise eines angeführten Textes auf die jeweilige Diktion im Brief. Die Verwendung von λάμπω im direkten Anschluss ist klar vom Zitat her motiviert. Das Verb begegnet sonst nicht bei Paulus. Insgesamt endet 4,6 theologisch ähnlich dicht wie 3,18 und verbindet verschiedene Motivkomplexe der Passage miteinander. 4.2.3 Die Adaption der Bezugstexte Sind die intertextuellen Markierungen unter Berücksichtigung möglicher Prätexte im vorigen Kapitel zusammengetragen worden, müssen in einem folgenden Schritt die gesammelten möglichen Bezüge auf die Mose-Exodus-Tradition und andere mit ihr verbundene Texte weiter untersucht werden. Hierfür ist es nötig, sie zunächst in ihrem jeweiligen Ursprungszusammenhang zu verorten. Sodann können sie im Hinblick auf übernommene Elemente und markante Unterschiede mit dem Text des Korintherbriefs verglichen und auf thematische und motivische Übereinstimmungen befragt werden. Dabei ist auch die außerbiblische Tradition zu den entsprechenden Passagen zu beachten und auf ihren möglichen Einfluss auf die Rezeption zu befragen. Der Stellenwert dieser Traditionen besteht weniger darin, zu beurteilen, welche Bezüge historisch plausibel sind, als vielmehr darin, Licht auf den möglichen Verstehenshorizont der Bezugstexte zu werfen. Gerade der zentrale Abschnitt Ex 34,29–35, ist in den noch greifbaren zeitgenössischen Texttraditionen jedoch nur spärlich vertreten.67 Als erstes wird der Verbund von Bezügen auf die Episode Ex 34,29–35 betrachtet werden. Sie sind als einzige zweifelsfrei ausgewiesen oder mit am deutlichsten markiert. Anschließend werden die Bezüge auf die weiteren Texte der Sinaitradition, der Mose-Exodustradition und schließlich der prophetischen Tradition untersucht. 65 Wilk 1998, 269. (Vgl. auch Hays 1989, 152 f.). Wilk begründet dies mit der gleichzeitigen konzeptuellen Nähe zum Licht-Finsternis-Gegensatz und der Redeeinleitung in Gen 1,3 und der Übernahme der in der LXX als Kontrastaussage zu σκότος einmaligen Formulierung φῶς λάμψει aus Jer 9,1 LXX. Der Bezug auf Hiob bietet sich sprachlich und sachlich an, ist aber weniger gewiss. Dazu auch Wilk 2008a, 683. 66 Wilk 2008a, 684. 67 Vgl. Cover 2015, 262 f.

300

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

4.2.3.1 Die Adaption der Primärerzählung Ex 34,29–35 a Text und Bezugstext Der erste deutlich markierte Bezugstext ist Ex 34,29 f. in 3,7. Der biblische Bericht bietet dort nach LXX folgende Handlungsfolge: Nach der erneuten Unterredung auf dem Berg fordert JHWW Mose auf, das Gehörte aufzuschreiben (Ex  34,27). Mose harrt fastend vierzig Tage aus und hält den Dekalog auf den Bundestafeln fest (Ex 34,28).68 Schließlich steigt Mose mit beiden Tafeln in den Händen hinab. Er bemerkt nicht, dass „der Anblick der Haut seines Gesichtes“ durch die Unterredung mit Gott „verherrlicht“ worden ist (Ex 34,29).69 Diesen Sachverhalt, dass Moses Gesicht den göttlichen Herrlichkeitsglanz angenommen hat, setzt 3,7 voraus, greift die anderen Erzählelemente jedoch nicht ausdrücklich auf. Ex 34,30 berichtet nun, wie Aaron und die Ältesten Mose und sein strahlendes Gesicht sehen (εἶδεν) und sich fürchten, ihm nahe zu treten (ἐφοβήθησαν ἐγγίσαι αὐτοῦ). Dennoch ruft Mose sie zu sich, so dass sie sich ihm zuwenden (ἐπεστράφησαν) und er zu ihnen spricht (Ex 34,31). Erst danach stoßen die übrigen Israeliten dazu, denen Mose all das aufträgt, was Gott ihm mitgeteilt hat (Ex 34,32). Ex 34,28–3070 Moses Aufenthalt auf dem Berg

Verschriftlichung der Offenbarung auf den „Tafeln des Bundes“ Abstieg vom Berg mit den Tafeln

2 Kor 3,7

28 καὶ

ἦν ἐκεῖ Μωυσῆς ἐναντίον κυρίου τεσσαράκοντα ἡμέρας καὶ τεσσαράκοντα νύκτας ἄρτον οὖκ ἔφαγεν καὶ ὕδωρ οὐκ ἔπιεν 7 Εἰ δὲ ἡ διακονία τοῦ Motive: γράμμα, in Stein καὶ ἔγραψεν τὰ ῥήματα ταῦτα ἐπὶ τῶν θανάτου ἐν γράμμασιν eingraben πλακῶν τῆς διαθήκης ἐντετυπωμένη λίθοις τοὺς δέκα λόγους 29 ὡς δὲ κατέβαινεν Μωυσῆς ἐκ τοῦ ὄρους καὶ αἱ δύο πλάκες ἐπὶ τῶν χειρῶν Μωυσῆ καταβαίνοντος δὲ αὐτοῦ ἐκ τοῦ ὄρους

68 Nach Moberly 1983, 101 f., findet im Vers kein unmarkierter Subjektwechsel statt: Beide Handlungen werden von Mose ausgesagt. 69 Die etwas umständliche griechische Formulierung lautet: δεδόξασται ἡ ὄψις τοῦ χρώματος τοῦ προσώπου αὐτοῦ. Vgl. dazu S. 440. 70 Gemeinhin wird von einem Bezug auf Ex 34,29–30 ausgegangen. Stockhausen möchte den Bezug nach vorn erweitert wissen, da dort das Motiv des Schreibens stärker zum Tragen kommt (vgl. Stockhausen 1989, 107 f. u. ö.). Wie zu sehen war, stützt das Tafelmotiv sich jedoch nicht exklusiv auf Ex 34,28. Zudem begegnen die Tafeln auch in 34,29. Die Episode, auf die der Text anspielt, beginnt somit erst in 34,29, auch wenn sie den Erzählzusammenhang zwingend voraussetzt. Allein dieses Zusammenhangs halber ist 34,28 hier in die Übersicht aufgenommen.

301

4.2 Die intertextuelle Erkundung Ex 34,28–3070 Μωυσῆς οὐκ ᾔδει ὅτι δεδόξασται ἡ ὄψις τοῦ χρώματος τοῦ προσώπου αὐτοῦ ἐν τῷ λαλεῖν αὐτὸν αὐτῷ Aaron und die Ältesten 30 καὶ εἶδεν Ααρων καὶ πάντες οἱ πρεσβύτεροι sehen Mose und Ισραηλ τὸν Μωυσῆν fürchten sich καὶ ἦν δεδοξασμένη ἡ ὄψις τοῦ χρώματος τοῦ προσώπου αὐτοῦ καὶ ἐφοβήθησαν ἐγγίσαι αὐτοῦ

Moses „verherrlichtes“ Gesicht

2 Kor 3,7 ἐγενήθη ἐν δόξῃ,

δόξα-Motiv

ὥστε μὴ δύνασθαι ἀτενίσαι τοὺς υἱοὺς Ἰσραὴλ εἰς τὸ πρόσωπον Μωϋσέως διὰ τὴν δόξαν τοῦ προσώπου αὐτοῦ

Die υἱοὶ Ἰσραὴλ können Mose wegen der δόξα seines Gesichtes nicht fest anblicken.

τὴν καταργουμένην,

Element ohne direkte Entsprechung.

Auch wenn die Bezugnahme in 3,7 deutlich auf diese Szene verweist, weicht sie doch in vielerlei Hinsicht von der biblischen Vorlage ab. Prägnante Übereinstimmungen im Wortlaut finden sich nicht. Insgesamt schildert Paulus die Szene in einem knapperen Stil, ohne handlungsorientierende Hintergrundinformationen zu geben oder das Geschehen auch nur kontextuell zu verorten. Diese Verdichtung betrifft auch die Akteure. Stehen in Exodus LXX zunächst Aaron und die Ältesten Mose gegenüber, spricht Paulus pauschal von υἱοὶ Ισραήλ. Hierfür sind drei mögliche Gründe zu erwägen. Zum einen kann die gestraffte Handlung Paulus Interesse geschuldet sein, eine prägnante Aussage zu treffen und sich nicht mit Nacherzählungen aufzuhalten. Mit Blick auf 3,13–15 ist zum anderen denkbar, dass Paulus schon hier das später wichtig werdende Gegenüber von Mose und Israeliten einführen möchte. Auch die Septuaginta bietet in Ex 34,32.34.35 υἱοὶ Ισραήλ. Zuletzt scheint aber auch eine Beeinflussung durch den hebräischen Text oder entsprechende Traditionen möglich. MT liest schon in Ex 34,30, dem Vers, der auch von der Furcht der Israeliten bzw. der Ältesten spricht, sich Mose zu nähern, ‫ל־ּבנֵ י יִ ְׂש ָר ֵאל‬ ְ ‫א ֲהר ֹן וְ ָכ‬.ַ 71 Auf dieses Motiv baut eine deutlichere Veränderung gegenüber dem Bezugstext auf. Während die Israeliten in der Exodusversion durchaus in der Lage sind, Mose anzusehen, sein Strahlen aber Furcht auslöst, spricht Paulus davon, die Israeliten hätten wegen des Herrlichkeitsglanzes nicht fest in Moses Gesicht blicken können (μὴ δύνασθαι ἀτενίσαι τοὺς υἱοὺς Ἰσραὴλ εἰς τὸ πρόσωπον Μωϋσέως). Im Hintergrund steht wohl die Vorstellung eines so intensiven Strahlens, dass ein Blick in die Lichtquelle unmöglich wird. Die frühjüdische Tradition ist an dieser Stelle gespalten. Während es durchaus Stimmen gibt, die ganz auf der Linie des biblischen 71 Freilich ist dies, wie viele andere ähnliche Belege, kein Argument dafür, dass Paulus tatsächlich am hebräischen Text gearbeitet hat. Eine von der hebräischen Tradition beeinflusste Fassung des LXX-Textes ist ebenso denkbar. Entsprechend lesen auch die Targumim.

302

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

Textes davon ausgehen, die Israeliten hätten Mose sehen können (vgl. bspw. sämtliche erhaltenen Targumim zur Stelle, besonders explizit ist CN) und Gott habe den Israeliten durch Mose seine Herrlichkeit geradezu gezeigt (vgl. bspw. Sir 45,3), hat sich auch eine andere Traditionslinie erhalten, die mehr der paulinischen Auffassung entspricht. So spricht LAB davon, dass die Israeliten Mose wegen des Strahlens nicht erkannten. Er sei nämlich gloriosissima gewesen, umflossen von lumen invisibile, das selbst den Glanz der Sonne und des Mondes übertraf.72 Ausdrücklich berichtet Philo, die Schönheit der Erscheinung habe bei denen, die Moses sahen, großes Erstaunen ausgelöst und sie hätten ihren Blick wegen seines sonnengleichen Strahlens nicht auf ihn geheftet lassen können (καὶ μηδ᾽ ἐπὶ πλέον ἀντέχειν τοῖς ὀφθαλμοῖς δύνασθαι κατὰ τὴν προσβολὴν ἡλιοειδοῦς φέγγους ἀπαστράπτοντος).73 Der Gedanke begegnet wieder in der späten rabbinischen Tradition. So heißt es in PesR 10,6: „Even as a man cannot look at the sun as it rises, so no man could look at Moses, until Moses put a veil over his face.“74 Aus Sicht des Paulus und seiner Zeitgenossen muss zwischen beiden Traditionen nicht unbedingt ein Widerspruch bestanden haben. Dies wird besonders am Beispiel Mos. 2,70 deutlich, wo Philo sowohl ausdrücken kann, dass Mose gesehen wurde, wie auch, dass seinem Anblick nicht standgehalten werden konnte.75 Dazu passt, dass Paulus ἀτενίζω, „fest anblicken; hinblicken“ verwendet. Offensichtlich nahmen die Israeliten Mose sehr wohl wahr, konnten ihm aber nicht fest ins Gesicht sehen.76 Dass Paulus das Verb ausschließlich in diesem Zusammenhang gebraucht, spricht für eine besondere Aussageabsicht.77 72 Vgl. LAB 12,1. lumen invisibile meint demnach kein unsichtbares Licht, sondern eines, „in das hineinzusehen der Mensch nicht ertragen kann“ (Dietzfelbinger 1975, 133 Anm. XII, 1a). Dietzfelbinger verweist für ähnliche Vorstellungen blendenden göttlichen Lichtes u. a. auf Apg 22,11 und 1 Tim 6,16. 73 Vgl. Mos. 2,70. Übereinstimmend mit diesem Gedanken schreibt Philo in Fug. 165 bildhaft von der Gottesbegegnung, wer τὴν δ᾽ ἡγεμονικὴν οὐσίαν sehen will, werde von ihren hellen Strahlen geblendet, ehe er sich versieht. Auch Hen(aeth) 39,14 weiß, dass der gegenwärtige Gott schwer anzusehen ist, und spricht überdies von einer Veränderung des Gesichtes. („And my face was changed, for I was unable to see”; Übers. Nickelsburg). 74 Übersetzung nach Braude 1968. Der hebräische Text lautet nach dem Codex Parma: ‫וכיון שירד‬ ‫משה לקראת ישראל ראו אותו דבר מעילה ומשובה כמה שאין אדם יכול להסתכל בשעה שהוא עולה כך לא היה‬ ‫אדם יכול להביט במשה אלא אם כן נתן סודר על פניו‬. Belleville 1991, 66 führt überdies ShirR 3,7,5 an. Die samaritanische Tradition intensiviert die Vorstellung noch dahingehend, dass die bloße Gegenwart Moses nicht zu ertragen gewesen sei (Memar Marqah 6,3; vgl. Belleville 1991, 50 f.). 75 Subjektsakkusativ ist τοὺς ὁρῶντας. 76 Cover 2015, 85 f., vermutet einen Zusammenhang zu der bei Philo verschiedentlich belegten Etymologie von Israel ‫ ישראל‬als „Mann, der Gott sieht“ ‫ איש ראה אל‬und verweist auf Grabbe 1988 (vgl. Grabbe 1988, 102 f.). 77 ἀτενίζω hat die Konnotation, die physische Ebene des Blickkontaktes zu beschreiben. Subjekt können die Augen sein. (vgl. Duff 2015, 184, Anm. 36, der als Beispiel Lk 4,20 nennt). Stockhausen 1989, 87, Anm. 2, hält in Berufung auf Collange 1972, fest, Philo nutze in Mos. zu Ex 34,29–35 das gleiche Verb. Die Stelle, auf die sie sich hier bezieht, konnte ich trotz eingehender Suche nicht ausmachen. Belleville 1991, 33, Anm. 1, führt vielmehr die inhaltliche Nähe zwischen den Vorstellungen

4.2 Die intertextuelle Erkundung

303

Bei alledem nimmt Paulus die komplexe Wendung, mit der LXX auf das Leuchten auf dem Angesicht des Mose Bezug nimmt, nicht auf, sondern spricht schlicht von „Gesicht“. Dies tut sonst nur Ex 34,35 in der Mehrheit der überlieferten Handschriften. Hierfür sind abermals verschiedene Erklärungen denkbar. Auch hier kann Paulus von der hebräischen Tradition abhängig sein. MT spricht durchgehend von ‫פנים‬.78 Außerdem verleiht πρόσωπον seiner Aussage größere Prägnanz, ist es doch gemeinhin „das Angesicht, an dem sich das Verhältnis zwischen Partnern äußert und entscheidet“79. Paulus Paraphrasen der Mose-Exodus-Tradition reihen sich so ein in die in 2 Kor überdurchschnittlich häufige Rede vom πρόσωπον.80 Höchst umstritten, für die Deutung der Passage aber ausschlaggebend, ist der Sinn des letzten Elements in 3,7. Paulus beschreibt den Herrlichkeitsglanz auf Moses Gesicht als einen, der „außer Kraft gesetzt“ ist (τὴν δόξαν … τὴν καταργουμένην).81 Gemeinhin ist hier an ein Verblassen oder Aufhören des Glanzes gedacht worden.82 Gegen die immer wieder geäußerte Meinung, ein solcher Gedanke sei der jüdischen Tradition fremd, hat Linde Belleville entsprechende Belege zusammengetragen und kommt zu einem anderslautenden Schluss. Jedoch sind viele der von ihr angeführten Texte nicht mehr als Indizien und mitunter kaum zu datieren. Der Grundgedanke, den sie in verschiedenen Traditionen ausgedrückt findet, ist der, dass der Herrlichkeitsglanz des Mose an seine Funktion als Gesetzesmittler gebunden war. Von daher war er von vergänglicher Dauer und wurde mitunter durch die Sündhaftigkeit Israels beeinflusst.83 Der wohl am breitesten rezipierte Beleg ist die Notiz in LAB 19,2, bei Moses Tod sei seine Gestalt in Herrlichkeit verwandelt worden (mutata von Philo und Paulus bei gleichzeitig großen terminologischen Unterschieden auf eine beiden zu Grunde liegende im Wortlaut flexible mündliche Tradition zurück. 78 Der Lesart von MT folgen TO und die rabbinische Tradition. Aber auch LAB spricht schlicht von lumen faciei suae. Womöglich greift Mos. 2,70 auf den Sprachgebrauch der LXX zurück, wobei die Übereinstimmung auch zufällig sein kann. Philo spricht schlicht von ὄψις. TPsJ wählt eine ähnlich komplizierte Formulierung wie LXX. CN wählt einen Mittelweg, wenn er davon spricht, dass es die „Herrlichkeit seines Angesichts“ ist, die strahlt. Die Minuskel 18 liest τὸ πρόσωπον. Ganz allgemein legt LXX in unserem Zusammenhang große Umsicht in der Wiedergabe von ‫פנים‬ an den Tag. Teils scheinen hier Anthropomorphismen vermieden zu werden, z. B. wenn die Gottesrede Ex 33,14 ‫ ָּפנַ י יֵ ֵלכּו‬mit schlichtem προπορεύσομαί übersetzt wird. Teils scheint der veränderte Wortgebrauch empfundene Widersprüche im Text lösen zu wollen. So löst LXX die Spannung zwischen Ex 33,11 ‫ל־ּפנִ ים‬ ָ ‫ וְ ִד ֶּבר יְ הוָ ה ֶאל־מ ֶֹׁשה ָּפנִ ים ֶא‬und Ex 33,20 ‫ת־ּפנָ י‬ ָ ‫תּוכל ִל ְראֹת ֶא‬ ַ ‫לֹא‬, indem sie im ersten Falle mit ἐνώπιον, im zweiten mit πρόσωπον übersetzt (vgl. hierzu Hanson 1992, 560 f.). Paulus lässt von dieser Sensibilität nichts erkennen. 79 Berger 2011, 435. 80 Vgl. 2 Kor 1,11; 2,10; 4,6; 5,12; 8,24; 10,1.7; 11,20. Vor allem nimmt Paulus so auf verschiedene Ebenen des Miteinanders Bezug, nämlich auf die Beziehung der Gemeinde zu ihm selbst, untereinander, zu anderen und zu Christus. In anderen Briefen verwendet Paulus den Begriff spärlicher. In Röm fehlt er ganz. 81 Zur Frage der angemessenen Übersetzung des Präsens s. u. 4.4.5. 82 So ohne entsprechendes Problembewusstsein noch Thrall 1994, 243; van Kooten 2012, 323. 83 Belleville 1991, 77 f. Die aussagekräftigsten Zeugen, auf die sie sich stützt sind: Mos. 2,271.280; LAB 19,2; 1 QHa 5,29–32. Die von ihr angeführten rabbinischen Zeugnisse sind nicht direkt gegenläufig, scheinen aber in eine andere Richtung zu weisen (vgl. insb. Belleville 1991, 67 f.).

304

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

est effigies eius in gloria), woraus geschlossen wird, dass der Herrlichkeitsglanz auf seinem Gesicht zwischenzeitig nachgelassen hatte.84 Die Komposition des Werkes mache dies nötig, da LAB anders als Ex 32–34 erst von der Verwandlung des Mose berichtet und dann vom Bundesbruch, der sie der Logik nach wieder aufhebe.85 Eine Aussage von der Deutlichkeit, wie sie sich bei Paulus findet, sucht man in der noch bekannten frühjüdischen Literatur jedoch vergeblich. Auch in Anbetracht überzeugender Hinweise auf verschiedene Traditionen vom Verblassen des mosaischen Herrlichkeitsglanzes wird die deutlich verbreitetere Position die eines bleibenden Glanzes gewesen sein, wie er in der biblischen Tradition teils selbst vorausgesetzt ist.86 Dafür spricht die Weitergabe des mosaischen Glanzes an Josua in Num 27,20 (καὶ δώσεις τῆς δόξης σου ἐπ᾽ αὐτόν)87 wie auch das Zeugnis der Targumim,88 ebenso überwiegend die Rabbinen und einhellig die samaritanische Tradition.89 Besonders deutlich äußern sich CN und TPsJ in ihrer Wiedergabe von Dtn 34,7: Der Glanz seines Angesichts war unverändert (‫)לא אשתיין זיווהון דאפוי‬. Wie Paulus den Nachsatz zur Neutralisierung des mosaischen Herrlichkeitsglanzes füllt, muss also zunächst offenbleiben. Die intertextuelle Spur verliert sich in den Folgeversen zunächst, findet sich in 3,10 mit einer überaus kryptischen Formulierung jedoch wieder. Paulus greift trotz anderer grammatischer Konstruktion die exakten Verbformen auf, die in Ex 34,29 f. den verherrlichten Zustand des Mose aussagen. Einzig das Genus des Partizips ist dem Gebrauch von πρόσωπον entsprechend angepasst.90 Ex 34,29–30

2 Kor 3,10

29 …

10…

οὐκ ᾔδει ὅτι δεδόξασται ἡ ὄψις τοῦ χρώματος τοῦ προσώπου αὐτοῦ ἐν τῷ λαλεῖν αὐτὸν αὐτῷ 30 καὶ εἶδεν Ααρων καὶ πάντες οἱ πρεσβύτεροι Ισραηλ τὸν Μωυσῆν καὶ ἦν δεδοξασμένη ἡ ὄψις τοῦ χρώματος τοῦ προσώπου αὐτου …

οὐ δεδόξασται

τὸ δεδοξασμένον …

Auch ohne weitere Bezüge auf Ex 34,29 f. gibt das von hier entlehnte Leitwort δόξα der Passage 3,7–11 Kohärenz und innere Geschlossenheit. 84 Vgl.  schon McNamara 1966, 174. Gegen eine Überinterpretation der Passage verwahrt sich besonders schlüssig Back 2002, 24–30. 85 Vgl. Belleville 1991, 41 f. 86 Vgl. auch Hafemann 1995, 298, Anm. 130, der Belleville entschieden widerspricht. 87 MT spricht hier von ‫הֹוד‬. 88 Vgl. McNamara 1966, 174 f. 89 Belleville 1991 selbst führt PesR 21,6 und ShemR 18 an (67). Für die samaritanische Tradition Memar Marqah 5,4 u. a. (51). Grubers Vorschlag, der Glanz auf dem Gesicht des Mose sei eine Übergangslösung gewesen, bis JHWH in der Stiftshütte seinen Platz inmitten des Volkes habe einnehmen können, ist berechtigt, entstammt aber doch spürbar dem modernen Versuch einer kanonischen Interpretation unter Ausgleich der im Text verarbeiteten Quellen (vgl. Gruber 1998, 215). 90 Anders Cover 2015, 86, und andere, die die Genusänderung auf den Dienst des Mose insgesamt deuten.

4.2 Die intertextuelle Erkundung

305

Tritt 3,12 aus dem Exoduszusammenhang heraus, so markiert schon 3,13 deutlich einen Bezug auf Ex 34,33. Dieser „selective use of a scriptural text is quite in accord with the exegetical practices of the day“91. Nachdem Mose den Israeliten die Gebote verkündet hat (Ex 34,32), beendet er seine Rede und verhüllt sein Gesicht (Ex 34,33). Paulus übernimmt die Elemente der Aussage, die er weiterverarbeitet, wörtlich, verändert dabei jedoch die Wortstellung und das Tempus des Verbs. Auch das Gegenüber zu den Israeliten ist im Zusammenhang des Exodustexts gegeben. Die Nennung des Mose hingegen ist mehr Desintegrationssignal und gehört nicht zum angeführten Text selbst, wie der syntaktische Bruch vor ἐτίθει anzeigt. Ex 34,33 καὶ ἐπειδὴ κατέπαυσεν λαλῶν πρὸς αὐτούς ἐπέθηκεν ἐπὶ τὸ πρόσωπον αὐτοῦ κάλυμμα.

33

2 Kor 3,13 13 καὶ

οὐ καθάπερ Μωϋσῆς

ἐτίθει κάλυμμα ἐπὶ τὸ πρόσωπον αὐτοῦ πρὸς τὸ μὴ ἀτενίσαι τοὺς υἱοὺς Ἰσραὴλ εἰς τὸ τέλος τοῦ καταργουμένου.

Eine weitere ähnliche Formulierung findet sich in Ex 34,35 (καὶ περιέθηκεν Μωυσῆς κάλυμμα ἐπὶ τὸ πρόσωπον ἑαυτοῦ). Der Bericht in Ex 34,34 f. wechselt anfangs vom Aorist ins Imperfekt und berichtet demnach wohl von einem wiederkehrenden Geschehen: Immer wenn Mose die Stiftshütte betritt, um sich mit JHWH zu unterreden, nimmt er die Hülle ab. Im Anschluss verkündet er den Israeliten, was JHWH ihm aufgetragen hat, wobei sie sein strahlendes Gesicht sehen. Schließlich verhüllt Mose sich abermals, bis er wieder in die Stiftshütte geht. Von hier aus ließe sich womöglich die veränderte Wortstellung erklären, sodass aus Ex 34,33 das einfache Verb und das Fehlen eines explizit benannten Subjekts, aus Ex 34,35 die Anordnung der Satzglieder übernommen wäre. Darauf, dass Paulus sich beider Verse bewusst war, deutet die Imperfektform ἐτίθει, die an die Stelle des Aorists in beiden Vorlagen tritt. Dies ist umso auffälliger, als Paulus in 3,7 für sein Referat des Exodusgeschehens übergeordnet den Aorist verwendet. Dass hier der Wiederholungscharakter der Verhüllung in Anbetracht des Berichtes in Ex 34,33.35 angedeutet werden soll, ist dafür die plausibelste Erklärung.92 Es ist dies das einzige Indiz, dass der Text dem in Ex 34 geschilderten Prozedere um den Zeitpunkt der wiederkehrenden Verhüllung überhaupt Aufmerksamkeit schenkt.93 Dass Paulus überhaupt eine Argumentation auf der Verhüllung des Mose Belleville 1991, 199. Vgl. Windisch 1924, 119. Dies spricht dafür, für 2 Kor 3,7–18 von einem Bezug auf die gesamte narrative Einheit Ex 34,29–35 auszugehen. 93 Zur Tendenz an dieser Stelle, die näheren Umstände, die Ex 34,33–35 berichtet, zu verschweigen, urteilt Prümm 1967, 134: „Über das nähere Wo und Wann, über die geschichtliche Gelegenheit, bei der Moses so handelte, verbreitet Paulus sich nicht. Dieser Punkt ist auch in der atlichen Quelle nicht eigens berührt. Er ist darin sogar derart offengelassen, daß man darüber in eine wissenschaftliche Erörterung eintreten konnte. […] Die Frage ist für Paulus insofern von Bedeutung, als es für 91 92

306

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

aufbaut, ist außergewöhnlich, legt er damit doch „emphasis on an aspect of the figure of Moses of little interest to his contemporaries and, possibly, in sharp distinction to other depictions of him“94. Die Targumim schenken der Verhüllung zumindest keine Aufmerksamkeit. Auch LAB berichtet nur vom erstmaligen Anlegen der Hülle (12,1) und nimmt das Motiv danach nicht wieder auf. Philo übergeht sie ganz, ebenso Josephus.95 Auch die Rabbinen erwähnen sie zunächst nur beiläufig.96 Ein Motiv für Moses Verhüllung wird in all diesen Belegen nicht genannt. Paulus geht mit der Angabe πρὸς τὸ μὴ ἀτενίσαι τοὺς υἱοὺς Ἰσραὴλ εἰς τὸ τέλος τοῦ καταργουμένου also offenbar analogielos über die Angaben des Exodustexts hinaus.97 Die Übersetzung ist nicht ohne Schwierigkeiten. Auch wenn wiederholt eine konsekutive oder resultative Übersetzung vorgeschlagen würde, ist die finale Bestimmung von der Wendung πρὸς τό „schwerlich abtrennbar“.98 Die übrige Deutung hängt maßgeblich davon ab, wie die schillernden Begriffe in εἰς τὸ τέλος τοῦ καταργουμένου bestimmt werden (s. u. ‎4.4.6.2). Den zugegebenermaßen kleinen gemeinsamen Nenner der verschiedenen finalen Deutungsvorschläge bringt Linda Belleville auf die Formel: „The reason for Moses act of veiling, according to Paul, was to prevent further gazing.“99 Dass Paulus nicht nur das gleiche Personal, sondern auch erneut ἀτενίζω verwendet, lässt einen Rückgriff auf 3,7 vermuten. Der einzige denkbare Anhaltspunkt, den der finale Nachsatz am Bezugstext hat, ist der jeweilige Zeitpunkt der Verhüllung, nämlich immer dann, wenn Mose seine Rede an die Israeliten beendet hat. Hier wie dort kommt eine Begegnung an ihr Ende. Dieser Schatten einer sachlichen Übereinstimmung mit den Prätexten hält einer strengen Prüfung jedoch nicht unbedingt stand, setzt Paulus wie die Folgeverse zeigen, doch gerade eine weitere Verkündigungstätigkeit im verhüllten Zustand voraus. Deutlicheren Anhalt am Text hat Stockhausens Vorschlag, warum an dieser Stelle überhaupt eine Begründung für Moses Verhüllung nötig ist: Warum Mose sein Gesicht verhüllt, wird in den Prätexten nicht explizit benannt und kann höchstens aus der Furcht der Israeliten erschlossen werden. Paulus füllt demnach durch seine seinen Gedankengang allerdings wohl darauf ankommt, zu merken, daß Moses noch keine Hülle trug bei jener Gelegenheit, bei der die von Paulus schon mehrere Verse zuvor in 3,7 berichtete Folge eintrat“. 94 Stockhausen 1989, 124. 95 Vgl. zu diesem für Philo überraschenden Befund Belleville 1991, 31, mit Anm. 1, für Josephus Belleville 1991, 38. 96 Vgl.  Belleville 1991, 69 f. Dies mag jedoch auch als Abwehrreaktion gegen eine vereinnahmende christliche Deutung verstanden werden. Dass das Motiv prominent in der samaritanischen Literatur verhandelt wird, liegt an der ganz eigenständigen Bedeutung, mit der die Hülle dort aufgeladen wird: Sie ist himmlischer Herkunft und verstärkt den Glanz auf Moses Gesicht. Vgl. Belleville 1991, 51 f. 97 Vgl. hierzu auch Belleville 1991, 208. 98 Prümm 1967, 134. Vgl. aber auch Hofius 1989, 104 f. 99 Belleville 1991, 208. Ob ein tiefer liegendes Motiv deshalb nicht erschlossen werden kann, wie Belleville meint, sei vorerst noch dahingestellt.

4.2 Die intertextuelle Erkundung

307

Interpretation die Leerstelle von Ex 34,29–35. 3,13b wäre Ergebnis eines Auslegungsprozesses.100 Auch das Motiv der Verhärtung der Israeliten ist höchstens Ergebnis eines komplexen Auslegungsprozesses mit implizitem Anhalt an Ex 34,29–25 (s. u. ‎4.4.6.3).101 Ex 34,34

2 Kor 3,16

34 ἡνίκα

16 ἡνίκα

δ᾽ ἂν εἰσεπορεύετο Μωυσῆς ἔναντι κυρίου λαλεῖν αὐτῷ περιῃρεῖτο τὸ κάλυμμα ἕως τοῦ ἐκπορεύεσθαι καὶ ἐξελθὼν ἐλάλει πᾶσιν τοῖς υἱοῖς Ισραηλ ὅσα ἐνετείλατο αὐτῷ κύριος

δὲ ἐὰν ἐπιστρέψῃ πρὸς κύριον, περιαιρεῖται τὸ κάλυμμα.

Der nächste klarere intertextuelle Kristallisationspunkt findet sich in den wörtlichen Übereinstimmungen zwischen Ex 34,34 und 2 Kor 3,16. Vom biblischen Text übernimmt Paulus die einleitende Formulierung und den Bericht über das Ablegen der Hülle. Hingegen streicht er Mose als explizites Subjekt, die Angabe, Mose komme vor den Herrn, um mit ihm zu sprechen, und die zeitliche Begrenzung, nach der er schließlich zum Volk spricht und die Hülle wieder anlegt. Anstelle von Indikativ Imperfekt εἰσεπορεύετο bietet Paulus Konjunktiv Aorist ἐπιστρέψῃ und passt die folgende Präposition entsprechend an. Das mediale Imperfekt περιῃρεῖτο verwandelt er in ein Präsens Medium/Passiv.102 An der Frage, wie diese Adaption inhaltlich auszuwerten ist, scheiden sich die Geister. Insbesondere der Fortfall von Mose als explizitem Subjekt wird unterschiedlich bewertet. Während die einen sich am Bezugstext orientieren und Mose aus 3,15 als implizites Subjekt eintragen, den Ausfall also womöglich so erklären, dass das Subjekt schon genannt ist und eine Dopplung vermieden werden soll,103 beharren andere darauf, „Mose“ sei zielgerichtet aus dem Zitat gestrichen worden, und halten dafür, die „omission of the expected subject, ‚Moses,‘ extends the reference of the verse to anyone who turns toward the Lord, and, probably, the proximate reference is to the ‚heart‘ of Israel in verse 15“104. Möglich sind auch Zwischenstufen, auf denen Mose „as a model of turning to the Lord“ verstanden wird.105 Tatsächlich Vgl. Stockhausen 1989, 94.97. Bei alledem weist Stockhausen 1989, 209, Anm. 1 jedoch berechtigterweise darauf hin, dass der Gedanke, Israel verstehe Teile der Heilsgeschichte nicht, zeitgenössisch durchaus gängig war. Sie verweist auf Mk, TPsJ zu Ex 16,4–6; LAB und A. J. Von daher ist ein Rekurs auf die Mose-ExodusTradition nicht unbedingt nötig, um die Herkunft des Motivs an dieser Stelle zu erklären. 102 Zu den vorgenommenen Adaptionen und ihrer Unabhängigkeit von bekannten Texttraditionen vgl. Koch 1986, 114–115.126–127.151–152. Koch deutet die Veränderungen als Verallgemeinerung auf die mögliche Umkehr Israels in der Gegenwart des Paulus. 103 Zum Subjekt „Mose“ vgl. Thrall 1994, 271; Schröter 1993, 270; Schmeller 2010, 220. 104 Stockhausen 1989, 89, Anm. 9. Ähnlich äußert sich Belleville 1991, 248: „[T]he lack of specific subject and the future perspective […] suggest that Paul has moved beyond the historical setting of Exod. 34:29–35.“ 105 Belleville 1991, 249. 100 101

308

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

ist der Bezug auf Mose aus 3,15 von der Satzkonstruktion her keineswegs zwingend, wenn auch grammatikalisch naheliegend. Wie 3,16 verstanden wird, kann also auch abhängig davon sein, wie vertraut ein etwaiger Leser mit dem Wortlaut von Ex 34,34 ist und die Anspielung als solche erkennt. Der Wechsel des Prädikats vom Imperfekt in den Aorist mag eine einmalige Handlung anzeigen. In diesem Falle würde Paulus sich von der Textvorlage entfernen. Endgültig zeigt die Präsensform περιαιρεῖται eine Folge für die Gegenwart der Hörer an, wie sie nach der Verschiebung des Hüllenmotivs von Mose am Sinai zu den Juden der Gegenwart nicht anders zu erwarten war. Möglicherweise ausschlaggebend, aber nicht minder umstritten ist die Änderung des Verbs von εἰσπορεύομαι zu ἐπιστρέφω. Häufig wird angemerkt, dass es sich hierbei um Bekehrungsterminologie handele, die Veränderung also von der Aussageabsicht her bestimmt sei.106 Tatsächlich gibt LXX in den meisten Fällen ‫שוב‬ mit ἐπιστρέφω wieder. Denkbar ist also die gesamte Bandbreite zwischen Reue, religiöser Umkehr und einer bloßen räumlichen Bewegung.107 Im Neuen Testament ist er ein verbreiteter Begriff, der die Bekehrung zu Gott, oder aber auch zu anderen Mächten ausdrückt.108 Im vorliegenden Zusammenhang kann er also sowohl eine Bekehrung im weitesten Sinne, wie auch die bloße Rückkehr „vor den Herrn“ bedeuten, der von Ex 34 her in der Stiftshütte gegenwärtig gedacht wird. Unangebracht erscheint in Anbetracht dieses weiten Spektrums eine Engführung auf Bekehrungsterminologie im Sinne der Bekehrung zu Christus, beschreibt der Begriff in seiner theologischen Spielart doch bereits „the characteristic attitude of the Jew within the covenant relationship“109. Einen interessanten Anhaltspunkt für eine mögliche gemeinsame Tradition hat Martin McNamara festgestellt: Sollte hinter dem Subjekt in 3,16 in irgendeiner Form allgemein „Israel“ stehen, findet sich eine sachliche Parallele in TPsJ zu Ex 33,7, wo nicht nur Mose das Zelt der Begegnung betritt, sondern von allen Israeliten berichtet wird, dass sie nach dem Bundesbruch dorthin „umkehren“ (‫)כל מאן דהדר‬, um Vergebung zu erbitten und sie auch zu empfangen: „And anyone who repented before the Lord with a perfect heart went out to the tent […] confessed his sins, and prayed about his sins, and praying, he was forgiven.“110 Dieser Linie folgend fällt auf, dass ἐπιστρέφω auch im Zusammenhang des Bezugstextes von der Größe ausgesagt wird, die Paulus in seiner Paraphrase von Vgl. Schmeller 2010, 220 f. Vgl. Holladay 1958, 20. 108 Bei Paulus begegnet ἐπιστρέφω für die Zuwendung zu schwächeren Mächten im Abfall von Gott in Gal 4,9 und als Bekehrungsterminus in 1 Thess 1,9. 109 Belleville 1991, 251. Back 2002, 129, Anm. 7, merkt zudem ein logisches Problem an: Wie soll ein Verstockter sich dem Herrn zuwenden, wenn er nicht schon bekehrt ist, also grundsätzlich in einem Verhältnis des Bewusstseins zu ihm steht? 110 ‫כל מאן דהדר בתתובא בלב ׁשלים קדם ייי הוה נפיק למׁשכן בית־אולפנא דמברא למׁשריתא מודי על חוביה‬ ‫ומצלי על חוביה ומצלי ומׁשתבק ליה‬. Vgl. McNamara 1966, 180 f. 106 107

4.2 Die intertextuelle Erkundung

309

Ex 34,29 f. unter „Israeliten“ zusammengefasst hat – und zwar ohne die Konnotation einer Bekehrung nach vorangegangenem Abfall. Auf Zuruf Moses wenden sich ihm Aaron und die Ältesten zu, nachdem sie sich zuvor fürchteten, ihm nahezutreten (Ex 34,31; Aorist: ἐπεστράφησαν).111 Da im Bild gedacht hier wie dort eine Blockade in der Begegnung mit Gottes Herrlichkeitsglanz aufgehoben wird, ist eine motivische Ähnlichkeit gegeben. Anhalt an Signalen der Textoberfläche findet dieser Vorschlag allerdings ebenso wenig wie die anderen Deutungen.112 Neben vielen anderen vorgeschlagenen Ableitungen113 tritt Linda Belleville auch in 3,18 für einen Bezug zu Ex 34 ein. Den konkreten Bezug entdeckt Belleville in der Struktur des Verses. Er gehe kommentierend an Ex  34,35 entlang und führe den Kontrast zwischen Paulus und Mose weiter. Sie geht dabei von einem umfangreicheren LXX-Text für Ex 34,35 aus und liest analog zu 34,29: δεδόξασται ἡ ὄψις τοῦ χρώματος τοῦ προσώπου αὐτου.114 Die entsprechende Lesart findet sich vor allem im Catenen-Text und der Textgruppe der hexaplarischen Rezension.115 ἡμεῖς πάντες bezieht Belleville gegen die Mehrheitsmeinung nur auf die Gesamtheit der Apostel, um die Parallele zu 34,35 zu wahren.116 In diesem Falle stünden die Apostel mit ihrem unverhüllten Gesicht im Gegensatz zu Mose, der die Hülle erneut anlegt. So wie die Israeliten an Mose die Herrlichkeit des Herrn sahen, „reflektierten“ (κατοπτριζόμενοι) die Apostel diese nun, und die ausführliche Beschreibung des Subjekts der Verherrlichung (ἡ ὄψις τοῦ χρώματος τοῦ προσώπου αὐτου) korrespondiere der Verwandlung „in das gleiche Bild“. Schließlich verwiesen sowohl der Nachsatz ἕως ἂν εἰσέλθῃ συλλαλεῖν αὐτῷ als auch die Angabe καθάπερ ἀπὸ κυρίου πνεύματος auf die Begegnung mit dem Herrn.117 Dass Paulus eine entsprechende Texttradition vorlag, ist nicht auszuschließen, allerdings macht es doch stutzig, dass er eine unklar markierte Anspielung in 3,18 auf diese Formulierung aufbauen sollte, nachdem er sie in der Aufnahme von Ex 34,29–30 auf πρόσωπον zugespitzt hatte. Wie zu sehen sein wird, ist Bellevilles Lesart maßgeblich mit dem Auslegungsmuster verknüpft, auf das sie die Struktur des Abschnitts zurückführt. Unabhängig 111 Auch Hofius 1989 und Cover 2015, 89, führen die Formulierung auf Ex 34,31 zurück. Auf der Ebene des hebräischen Textes ist bemerkenswert, dass Ex 34,35 Moses Wiederanlegen der Hülle mit ‫ שוב‬hi. ausdrückt. Die Möglichkeit eines von Paulus angesichts des hebräischen Wortlauts intendierten Wortspiels ist jedoch über die Maßen voraussetzungsreich. 112 Einen ganz anderen Erklärungsansatz bietet Carol Stockhausen, die den Begriff aus Jes 6,10 ableitet, wobei sie auch hier von einem über Stichwortverbindungen zusammenhängenden Nexus prophetischer Texte ausgeht, mit denen Paulus die Exodustradition im vorliegenden Kapitel konsequent verknüpft (vgl.  Stockhausen 1989, 137 f.). Daneben schlägt Corssen 1920, 10, „eine Erinnerung an Dtn 30,10 ἐὰν ἐπιστραφῇς ἐπὶ κύριον“ vor. Derart vage Bezüge ließen sich allerdings in Fülle konstruieren, im gleichen Buch etwa auch auf Dtn 4,30. 113 S.o. Anm. 62. 114 Belleville 1991, 286, Anm. 3. 115 Genauer: O-58 C′’ 85–130–321′-344mg 318 Arab(vid) Arm Syh. 116 Sie führt an schlüssigen Belegen für einen vergleichbar exklusiven Gebrauch von πάντες Apg 2,32 und Eph 2,3 an. Ihre anderen Beispiele überzeugen weniger (vgl. Belleville 1991, 276). 117 Vgl. Belleville 1991, 275–278.278–286.286–292.292–295.

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

davon, wie weit man ihre Voraussetzungen, insbesondere ihre Übersetzung von κατοπτριζόμενοι teilen und ihrer Argumentation folgen möchte, liegt allerdings auf der Hand, dass die Motive des Verses auf die im Text verarbeitete Mose-ExodusTradition zurückweisen. b Auslegungsmuster und -methoden Auch unabhängig von Detailfragen wird deutlich, dass der gesamte Abschnitt 2 Kor  3,7–18 kommentierend an seinem Bezugstext entlanggeht. Auf eine Paraphrase von Ex 34,29–30 (3,7) und eine wörtliche Aufnahme dieser Verse (3,10) folgen eine teils wörtliche Anführung von Ex 34,33 (3,13) und ein abgewandeltes Zitat von Ex 34,34 (3,16). Die Idee, 3,12–18 als laufenden Kommentar zu verstehen, geht maßgeblich auf Linda Belleville zurück. Sie erkennt dort ein Abfolge von Einleitungssatz („opening statement“ 3,12), auszulegendem Text („text“ 3,13–14a.16–18), Kommentar („commentary“ 3,14b.17.18) und Zusammenfassung („summary“ 3,18).118 Anhand einer Vielzahl von Beispielen aus der frühjüdischen, rabbinischen, gnostischen und samaritanischen Literatur zeigt sie auf, wie verbreitet dieses Auslegungsmuster war.119 Für Paulus Auslegung methodisch leitend seien der Hang zur unmarkierten „haggadic expansion“, wie er sich in der zeitgenössischen Literatur allerorten, vor allem aber in den Targumim finde und der Hang zur „contemporizing haggadah“, wie er etwa in den Pescharim bezeugt sei.120 Von einer anderen Warte herkommend knüpft Michael Cover an Bellevilles Beobachtungen an und modifiziert ihre Ergebnisse: Vers

Linda Belleville121

Michael Cover122

12

opening statement

hinge verse/redactional link

13

text (Ex 34,33)

text (paraphrastic allusion: Ex 34,33.35)

14a 14b

commentary commentary

15 16

text (Ex 34,34)

text (modified citation: Ex 34,34)

17

commentary

commentary

18

summary: text and commentary (Ex 34,35)

Vgl. Belleville 1991, 177–179. Vgl. Belleville 1991, 179–191. Freilich ist dieses Muster von vier Schritten, von denen die Schritte „Text“ und „Kommentar“ zudem beliebig oft wiederholt werden können, recht unspezifisch. 120 Vgl. Belleville 1991, 187–189. 121 Vgl. Belleville 1991, 177–179. 122 Vgl. Cover 2015, 79.83. 118 119

4.2 Die intertextuelle Erkundung

311

Entsprechend den oben festgehaltenen Beobachtungen sieht er das Wissen um Ex  34,35 schon in 3,13 gegeben. Während Linda Belleville die Aussage von der Verstockung Israels 3,14a noch als Teil des Textlemmas begreift, versteht Cover sie als Beginn des Kommentars und als ersten von drei Versuchen, die Verhüllung des Mose theologisch zu plausibilisieren.123 ἀλλά sei hier wie in Gal  4,23.29 „a technical term in commentary texts, signaling the introduction of new information or a modification of the view which has just been given“124. Covers inhaltliches Verständnis dieser Verse wird erst an einem späteren Punkt der Untersuchung beurteilt werden können. Zuzustimmen ist ihm jedoch schon hier in seiner Skepsis, 3,18 mit Belleville als Text, Kommentar auf Ex 34,35 und Zusammenfassung zugleich zu verstehen. Ein solches Phänomen findet sich in den Beispielen, die sie anführt, gerade nicht und würde den Vers überladen. Ex 34,35 ist zwar schon in 3,13 implizit im Blick, wird aber nicht mehr eigens angeführt. Dafür spricht auch der in sich parallele Aufbau des Abschnittes 3,7–18. Außen vor bleibt bei Belleville der Bezug auf Ex 34,29–30 in 2 Kor 3,7.10. Michael Cover weist nachdrücklich auf den formal parallelen Aufbau von 3,7–11 und 3,13–18 hin. Auf das, was er eine „paraphrastic allusion“ nennt (3,7.13), folge jeweils eine „modified citation“ (3,10.16).125 In der Tat lässt sich der Abschnitt 3,7–11 gewissermaßen als laufender Kommentar auf die Paraphrase von Ex 34,29–30 in 3,7 verstehen (s. o. ‎4.4.5). So überzeugend Covers Überlegungen sind, so wenig dürfen die formalen Unterschiede zwischen 2 Kor 3,7–11 und 3,12–18 jedoch vernachlässigt werden. Die Bezeichnung „paraphrastic allusion“ ebnet den Unterschied zwischen der freien Paraphrase 3,7 und der sprachlich eng an Ex 34,33 angelehnten Anspielung 3,13 ein. Während die wörtliche Aufnahme 3,7–11 insgesamt auf die gleichen zwei Verse aufbaut, nehmen 3,13.16 nacheinander auf zwei verschiedene Verse Bezug. Während 3,10 einzelne Wörter aufgreift und nahezu unverändert übernimmt, greift 3,16 einen halben Vers auf und verändert diesen signifikant. Von diesen Einwänden unberührt bleibt Covers Kontextualisierung der beobachteten Auslegungstechnik. Ausgehend von einer umfangreichen Untersuchung hellenistischer Kommentartechniken und nach einem detaillierten Vergleich mit Auslegungstechniken bei Philo, dem Hebräerbrief, dem Damaskusdokument und Senecas Epistulae Morales erkennt Cover hier ein „sequential exegetical principle“126 im Rahmen des Phänomens, das er als „secondary-level exegesis“ bezeichnet, d. h. eines „pattern of sequential commentary that has in view not only the authoritative text but also a predetermined external theme, message, or story“127. Durch 123 Cover kann hier von einer „anthology of exegetical comments“ sprechen. Ähnlich Stockhausen 1989, 99. Nach ihr bringt Paulus insgesamt drei konkurrierende Erklärungsansätze, warum die Israeliten die Herrlichkeit Moses nicht sehen: Intensität (7), Verhüllung (13), Verhärtung (14). 124 Cover 2015, 87. 125 Cover 2015, 84–89. 126 Cover 2015, 100. 127 Cover 2015, 131 f.

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

den textlichen Rahmen tritt im Gegensatz zur „primary-level exegesis“ ein eigenständiges Anliegen des Autors zum Anliegen, den Text auszulegen, hinzu. Beide bestimmten gemeinsam Inhalt und Struktur der exegetischen Passage, die in einen Textzusammenhang eingebettet ist, der entweder eine andere Textpassage auslegt oder gar nicht exegetisch ist.128 In Übereinstimmung mit den oben gemachten Beobachtungen bedeutet dies einerseits, „that the argument throughout this exegetical excursus, including the sequence of themes from ‚glory‘ to ‚veil,‘ does not stem solely from Paul’s free theological will, but is also predetermined by the sequence of Exod 34:29–35“129, andererseits, dass Paulus Gedankengang aber auch nicht völlig in der Erklärung des Bezugstextes aufgeht. Das Konzept einer „secondary-level exegesis“ wirft die Frage auf, ob neben ihr ein übergeordnetes „primäres“ Lemma steht130 bzw. ob gar „tertiäre“ Schriftbezüge in sie eingearbeitet sind. Umso dringlicher ist die Untersuchung der weiteren relevanten in 2 Kor 2,14–4,6 verarbeiteten Schriftbezüge. 4.2.3.2 Die Adaption weiterer Elemente der Mose-Exodus-Tradition in 3,7–18 a Tafeln und Bund Ist der tiefgreifende Bezug der Passage zu Ex 34,29–35 erst einmal deutlich geworden, liegt es nahe, auch die übrigen vagen Anspielungen auf die Exodustradition von diesem Abschnitt her zu lesen. Insbesondere gilt dies für die in 2 Kor 3,3 aufgerufenen Steintafeln. Der Begriff ist von sich aus jedoch keineswegs auf Ex 34,29–35 festgelegt. Vielmehr begegnet πλάκες λίθιναι regelmäßig im gesamten Abschnitt Ex  31–34, wie auch im Parallelbericht Dtn 9 f. und in Notizen in Dtn 4,13 und 5,22. Auf der Ebene der Sinaierzählung ist grundsätzlich zwischen den ersten, im Zusammenhang des Bundesbruchs von Mose zerstörten, und den später angefertigten zweiten Tafeln zu unterscheiden. Dass der biblische Bericht besonderen Wert darauf legt, die Ähnlichkeit zwischen beiden hervorzuheben (vgl. Ex 34,1; Dtn 10,1–4), betont diesen Unterschied gerade.131 Während Mose die ersten Tafeln aus der Hand Gottes empfängt (Ex 31,18; Dtn 9,9 f.)132 und der Bericht eigens festhält, dass diese von Gott beschrieben und Gottes Werk seien (Ex 32,15), fertigt er die zweiten Tafeln auf Gottes Geheiß selbst an (Ex 34,1.4; Dtn 10,1–3). Während die Bezeichnung „Tafeln des Zeugnisses“ (πλάκες τοῦ μαρτυρίου) in LXX nur für die ersten Tafeln 128 Cover selbst stellt „primary-“ und „secondary-level-exegesis“ solcherart nebeneinander, relativiert aber unverzüglich die Dichotomie beider. Vgl. Cover 2015, 132 f. 129 Cover 2015, 89. 130 Vorsichtig hierzu Cover 2015, 133. 131 Diese Unterscheidung wird teils in den späteren jüdischen und rabbinischen Traditionen um die Gabe der mündlichen Tora verarbeitet (vgl. jetzt auch Werman 2020). 132 Der Empfang der Tafeln wird schon in Ex 24,12 verheißen. Während MT hier, wie sonst auch, von ‫ ֻלחֹת ָה ֶא ֶבן‬spricht, liest LXX abweichend τὰ πυξία τὰ λίθινα.

4.2 Die intertextuelle Erkundung

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verwendet wird (vgl.  Ex  31,18; 32,15),133 ist die auch von Paulus verwendete Beschreibung πλάκες λίθιναι fast schon stehende Wendung, die beide Tafelpaare bezeichnen kann.134 Von allen Belegen in der biblischen Sinaierzählung steht πλάκες nur in Ex 32,16.19; 34,28 f.; Dtn 9,15.17 und 10,2.4.5 allein. Bis auf Ex 34,28 f. begegnet die Formel πλάκες λίθιναι dort jedoch stets in einem der unmittelbar angrenzenden Verse, so dass der Bezug deutlich ist. Im Zusammenhang der Passage, die Paulus in 3,7–18 so breit rezipiert, ist dies gerade nicht der Fall, was jedoch durch den Erzählzusammenhang kompensiert wird. Auch über die Verbindung mit ἐγγεγραμμένη lassen sich die Belege nur bedingt weiter eingrenzen. Die Rede von den Steintafeln ist dem Kern der Sinaierzählung gemäß mit dem Motiv des Schreibens regelmäßig verbunden (vgl. Ex 31,18; 32,15f; 34,1.28; Dtn 4,1; 5,22; 9,10; 10,2.4). ἐγγράφω ist zeitgenössisch auch anderswo im Zusammenhang mit den mosaischen Tafeln belegt (vgl. Ant. 3,101; 8,104), begegnet biblisch jedoch nicht in diesem Zusammenhang.135 Anders in der targumischen Tradition: TPsJ Ex 20,2 f. schildert das Beschreiben der Steintafeln mit ‫חקק‬, eingraben/gravieren, dem gleichen Verb, das sich auch in Ex 39,14 (Ex 36,21 LXX) findet, dem maßgeblichen LXX-Beleg für ἐγγράφω.136 Was LXX anbelangt, kommen hingegen Partizipialformen des verbum simplex γράφω wie auch von καταγράφω in Ex 31,18; 32,15 und Dtn 9,10 (also allesamt ausgesagt vom ersten Tafelpaar) dem Gebrauch bei Paulus am nächsten.137 Keine dieser Differenzierungen ist im paulinischen Brieftext angezeigt und auch die von ihm verwendete Partizipialform kann schlicht stilistisch motiviert sein und muss nicht auf einen spezifischen Prätext verweisen. Da erst eine Relektüre des Textes unter dem Eindruck von 3,7–18 die Leser schon in 3,3 gezielt an das zweite Tafelpaar denken lassen kann, ruft der Vers zunächst die Sinaierzählung in ihrer ganzen Breite auf. Vom späteren Fortgang des Textes legt sich hier nur die prominente Rolle des Mose nahe, ist er doch hier wie dort eng mit den Tafeln verbunden. Zwar bietet die Formulierung πλάκες λίθιναι einen Hinweis, dass eine breitere Anspielung als auf Ex 34,29–35 allein intendiert ist, findet sie sich doch überall, aber 133 Dies gilt nicht für MT (‫)לחֹת ָה ֵע ֻדת‬ ֻ und die gesamte targumische Tradition, vgl. MT Ex 34,29 und TO, TPsJ ad loc. CN lässt die Bezeichnung dafür in Ex 32,15 aus. 134 Vgl. gleichermaßen in MT, TO und LXX: Ex 24,18 (LXX: τὰ πυξία τὰ λίθινα); 31,18; 34,1.4; Dtn 4,13; 5,22; 9,9–11; 10,1.3; 1 Kön 8,9 (nicht LXX). 135 Der Befund bei Josephus entlastet weiter von der umständlichen Ableitung aus Ex 36,21, die Stockhausen vorschlägt (s. o. S. 290) 136 Für ἐγγράφω in LXX vgl. ferner 1 Makk 13,40 und Dan 12,1 (davon abhängig Lk 10,20, die einzige weitere Belegstelle im NT). 137 Während Josephus offenbar auf die genaue Bezeichnung der Tafeln als steinern wenig wert legt (so nur in A. J. 8,104), spricht er nie von ihnen, ohne eine Aussage über ihre Inschrift zu treffen und dies stets mit Hilfe einer Partizipialform von γράφω und Bezug auf die „Zehn Worte“ (vgl. A. J. 3,90.101.138; 4,304; 8,104). Umgekehrt schenkt TPsJ der steinernen Natur der Tafeln besondere Aufmerksamkeit und bewertet sie im Gegensatz zu Paulus positiv. Nach TPsJ zu Ex 31,18 sind die Tafeln dem Saphir des göttlichen Throns gefertigt. In Dtn handelt es sich immerhin noch durchgehend um Marmor (vgl. Dtn 5,22; 9,9–11; 10,1–3).

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gerade nicht in diesem Abschnitt. Dennoch mag das Tafelmotiv im Hintergrund der gedanklichen Bewegung hin zu Ex 34,29–35 stehen. In Ex 34,28, dem Vers, der die Tafeln solitär nicht als steinern bezeichnet, wird stattdessen gesagt, Gott habe die Zehn Worte ἐπὶ τῶν πλακῶν τῆς διαθήκης geschrieben.138 Im Gegensatz zu MT, wo die Bezeichnung ‫ לּוחֹת ַה ְּב ִרית‬nur in Dtn 9,9.11 und damit für das erste Tafelpaar verwendet wird, bezeichnet LXX hier auch das zweite Tafelpaar als „Bundestafeln“.139 Damit findet sich dort die gleiche Verbindung von Bundes- und Schreibmotiv wie in 2 Kor 3,6, dem Vers, der der Paraphrase von Ex 34,29 f. vorangeht. Im hexaplarischen Texttyp und einigen weiteren Überlieferungen ist die Rede von πλάκες τῆς διαθήκης auch für Ex 34,29 bezeugt.140 Wie der Text hier implizit vom Tafelmotiv auf das Bundesmotiv kommt und dieses im Fortgang mit der zweiten Gesetzesgabe am Sinai verknüpft, ist ein Indiz, dass für die Gedankenwelt des Briefabschnittes insgesamt eher der LXX-Exodustext als der deuteronomische Bericht Pate gestanden hat. Zwar findet sich eine ausdrückliche Kombination der Attribute „steinern“ und „des Bundes“ – wie sie bei Paulus ja gerade nicht begegnet – in Dtn 9,9.11 und weniger direkt in Dtn 4,13. Der deuteronomische Bericht behält die Bezeichnung dabei aber dem ersten Tafelpaar vor. Im entsprechenden Abschnitt zum zweiten Tafelpaar in Dtn 10 fehlt die Bundesbegrifflichkeit völlig.141 Andererseits ist die enge Verbindung von Steintafeln und Bundesgedanken in der biblischen wie außerbiblischen Tradition durchaus gängig. 3 Reg 8,9 nennt „die Steintafeln, die Tafeln des Bundes“ als einzigen Inhalt der Lade im Tempel. Ähnlich formuliert 2 Chr 5,10. Ein späterer Beleg findet sich in LAB 19,7.142 Ausdrücklicher noch bewahrt die spätere Tradition die Verbindung zwischen den Tafeln und dem ihnen eingeschriebenen Inhalt. Häufig ist dabei im Anschluss an Ex 34,28 und Dtn 4,13 an den Dekalog gedacht, was die Verbindung zum Bundesmotiv implizit stärkt.143 Dabei sind die Zeugen jedoch nicht immer einheitlich, so dass mitunter das Gesetz oder auch der Pentateuch als Ganzes in den Blick kommt. Letzteres ist wohl die zeitgenössisch verbreitete Auffassung.144 Löhr 2012, 185, dehnt den Bezugstext nach vorn noch bis Ex 34,27–34 aus. Sonst nur noch 3 Reg 8,9. TO richtet sich nach MT. TPsJ versieht die Ausschmückungen zur Niederschrift der zehn Gebote Ex 20,2 f. zudem mit dem Schlagwort „Bundestafeln“. MT Ex 34,28 formuliert zurückhaltender: „und er schrieb auf die Tafeln die Worte des Bundes“ (‫ל־ה ֻּלחֹת‬ ַ ‫וַ ּיִ ְכּתֹב ַע‬ ‫)את ִּד ְב ֵרי ַה ְּב ִרית‬. ֵ 140 Die Göttinger Septuaginta nennt O 318 Or IV 471 Arab Arm Syh = 𝔐𝔐. 141 Das ist umso auffälliger, als dort die Lade eingeführt und gerade nicht als Bundeslade tituliert wird. Vgl. Löhr 2012, 180. Callan 1980, 562, versucht, die Betonung der zweiten Gesetzesgabe als eine grundsätzliche Eigenart des paulinischen Denkens auszuweisen und weiter auszudeuten. 142 Dort verbunden mit der interessanten Bemerkung, Gott selbst habe nach dem Bundesbruch die Tafeln zerbrochen. 143 Vgl. auch TJon zu Ex 20. 144 Vgl. u. a. Jub 1,1; ApkMos 1,1; bei Philo Spec. 1,280; 4,1,41 u. ö.; Decal. 50 f.106 f.; für Josephus vgl. oben Anm. 137. Vgl. zu all dem Löhr 2012, 181–185 und jetzt auch Werman 2020. Für die Tafeln als Träger des gesamten Pentateuch vgl. Jub 1,26–2,1 und hierzu Löhr 2012, 182 f. Daraus, dass das 138 139

4.2 Die intertextuelle Erkundung

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In Anbetracht der gängigen Verbindung von Tafel-, Schrift- und Bundesmotiv auch in der außerbiblischen Tradition ist es nicht möglich, zu einer sicheren Entscheidung zu kommen, inwiefern die gedankliche Bewegung von Steintafeln 3,3 zum Bundesmotiv 3,6 über die Nuancen des Exodusberichtes vermittelt ist. Die beschriebenen Übereinstimmungen können sich ebenso einer besonders detaillierten Textkenntnis wie auch einer vagen Textkenntnis bei Vertrautheit mit der Tradition verdanken. Erschwerend kommt hinzu, dass der hier erhobene Befund auch dann keinen Rückschluss auf einen spezifischen Prätext zulässt, wenn man die Formulierung 3,3 von Ex 34,28–35 her liest. Ganz so, wie die intertextuellen Markierungen im Verlauf der Verse deutlicher und durchsichtiger werden, scheint in 3,3 eine allgemeine Anspielung auf die Tafeln vom Sinai gegeben zu werden. Potentiell wird damit der gesamte narrative Zusammenhang aufgerufen, bilden die Steintafeln doch „eine literarische Klammer um die ganze Erzählung“145. Durch diese breite Anspielung ist es zumindest aus Sicht der Hörerschaft denkbar, dass die aufgerufenen Gehalte den Gedankengang des Kapitels auch trotz der Zuspitzung auf Ex 34,29–35 unterschwellig mitbestimmen. Davon, dass eine intendierte Anspielung auf die Sinaitafeln vorliegt, ist auszugehen. Dafür spricht zum einen die Durchdringung der Passage mit Anspielungen auf die Mose-Exodus-Tradition, zum anderen die Verflechtung mit der prophetischen Tradition, die sich selbst auf die Mose-Exodus-Tradition beruft. Insgesamt ist 3,3 damit unverändert „als vorgreifende Anspielung auf die Motive (und Intertexte), die ab V. 4 im Fokus stehen“146 zu verstehen. b δόξα jenseits von Ex 34,29–35 Die breite Anspielung auf die Gesetzesgabe am Sinai noch vor der deutlichen Markierung von Ex 34,29 f. rechtfertigt den Versuch, den weiteren Gedankengang des Kapitels vor dem Hintergrund der gesamten Sinaierzählung zu lesen und zwar bereits deshalb, weil auch Ex 34,29–35 nicht allein stehen kann, sondern auf seine Vorgeschichte angewiesen ist. Sofern es sich hier um einen Erzählzusammenhang handelt, gilt, „that those verbal echoes call to mind the whole story and not just isolated snatches of it“147. Ein Element, das in diesem Lichte klarer konturiert erscheint, ist der Zentralbegriff von 3,7–11: δόξα. Ist der göttliche Herrlichkeitsglanz Gesetzesmotiv im Verbund mit den Steintafeln häufiger als das Bundesmotiv belegt ist, zu folgern: „Wenn also das Motiv der Tafeln und das Bundesmotiv für Paulus eng miteinander verbunden gewesen sein sollten, dann bezog der Apostel sich damit vermutlich auf eine Minderheitenposition“ (Löhr 2012, 186), ist freilich übereilt. Dagegen spricht schon die innerbiblische Wirkungsgeschichte, die sich nicht zuletzt in Jer 31 niederschlägt. 145 Gruber 1998, 210. 146 Löhr 2012, 176. 147 Stockhausen 1989, 96. Exemplarisch verfolgen solch einen breiten Deutungsansatz Hafemann 1995 und Gruber 1998.

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dem Motiv nach im Prätext Ex  34,29–35 fest verankert, so fällt im sprachlichen Vergleich doch auf, dass das Substantiv δόξα dort fehlt. Stattdessen begegnen Partizipialformen von δοξάζω, wie Paulus sie auch in 3,10 verwendet. Möglicherweise benennt δόξα den aus Ex  34,29 f. erhobenen Sachverhalt schlicht so prägnant, dass sich die Verwendung des Substantivs anbot. Hierfür spricht, dass auch die Targumim in ihren Ausschmückungen zur Stelle ähnlich verfahren.148 Auch bei Philo lässt sich beobachten, dass Verbformen substantiviert werden, um wichtige Vorstellungen prägnant zu beschreiben.149 Unabhängig davon lässt sich aber auch fragen, inwiefern der Erzählzusammenhang dazu beiträgt, den Begriff inhaltlich zu füllen. Im Erzählbogen von der ersten Gesetzesgabe am Sinai (Ex 24) bis hin zum Einzug Gottes ins Sinaiheiligtum (Ex 40) begegnet der Begriff vielfach. In erster Linie bezeichnet δόξα dort, wie auch in der übrigen Mose-Exodus-Tradition und anderswo, die Manifestation der Gegenwart Gottes bei seinem Volk, und zwar in der Sinaitheophanie (vgl. Ex 24,16 f.) und als heiligende Gegenwart im Wüstenheiligtum (29,42 f.; 40,34 f.). Im Zusammenhang der zweiten Gesetzesgabe gewinnt der Begriff eine besondere Prägnanz. Spricht schon Ex 28,2 von δόξα im Zusammenhang der priesterlichen Gewänder, so scheint eine δόξα der Kleidung für die Israeliten nach dem Bundesbruch unangebracht zu sein. Ex 33,5 fordert sie auf, ihre στολὰς τῶν δοξῶν abzulegen (MT: ‫)ע ִדי‬. ֲ In der ersten Unterredung nach dem Bundesbruch beharrt Mose nachdrücklich darauf, Gott möge sich ihm zeigen und als Zeichen der Erwählung mit dem Volk mitziehen (Ex 33,12–23). Durch die Gegenwart Gottes bei seinem Volk würden Mose und die Israeliten verherrlicht werden (ἐνδοξασθήσομαι Ex 33,16). Die Targumim drücken den Aspekt der Gottesbegegnung an dieser und ähnlichen Stellen konsequent mit Schechina (‫ )ׁשכינה‬aus. Insofern als Schechina die Anwesenheit von Gottes ‫ ָּכבֹוד‬bezeichnet, ist dieser Begriff mit δόξα verwandt.150 Schließlich fordert Mose die unmittelbare Gottesbegegnung mit den Worten δεῖξόν μοι τὴν σεαυτοῦ δόξαν ein (Ex 33,18), woraufhin Gott seine δόξα an Mose vorübergehen lässt, es diesem aber nicht erlaubt, sein Gesicht zu sehen (Ex 33,19–23). Der biblische Bericht ist insgesamt widersprüchlich. Während Mose „von Angesicht zu Angesicht“ mit Gott spricht (Ex 33,11 ἐνώπιος ἐνωπίῳ/‫ל־ּפנִ ים‬ ָ ‫)ּפנִ ים ֶא‬, ָ verwehrt Gott Mose andererseits den Wunsch ihn, zu sehen, weil niemand sein πρόσωπον/ ‫ ָּפנָ י‬sehen könne ohne zu sterben (Ex 33,20). Anstelle dessen geht er mit seiner δόξα/ ‫ ָּכבֹוד‬an Mose vorüber und zeigt sich ihm von hinten (τότε ὄψῃ τὰ ὀπίσω μου; Ex 33,22–23).151 Dies ist

S.o. 316. Vgl. Cover 2015, 83.99–159. 150 Für die Wiedergabe von ‫ּכבֹוד‬in ָ einer Formulierung mit ‫ ׁשכינה‬vgl. etwa die targumischen Überlieferungen zu Ex 16,7.10; 24,16–17; 33,22; 40,34–35 u.v.m. 151 Zumindest TPsJ erkennt hierin eine, wenn auch abgemilderte, Begegnung mit der ‫ׁשכינה‬. Auch LXX spricht davon, dass Gottes δόξα an Mose vorübergeht (εἶπεν ἐγὼ παρελεύσομαι πρότερός σου τῇ δόξῃ μου). 148 149

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dem Erzählablauf nach die Begegnung, von der Mose mit verherrlichtem Gesicht zurückkehrt. Paulus scheint Motive aus beiden Erzählsträngen aufzugreifen. Diese Linien lassen sich anhand einer anderen Bildung vom δόξα-Stamm noch weiter ausziehen. Im Zuge der zweiten Gesetzesgabe schließt Gott auf Moses Bitte hin, er möge seinem Volk vergeben und in seiner Mitte zugegen sein, den erneuerten Bund ausdrücklich mit Mose und verheißt als seinen Inhalt, an Mose einzigartig große Taten (ἔνδοξα) zu tun, die alles Volk sehen werde (Ex 34,10).152 Hier sieht zumindest die mittelalterliche jüdische Exegese einen Zusammenhang zu Ex 34,29 f., was umso erstaunlicher ist, als in MT im Gegensatz zu LXX keine Wortähnlichkeit zwischen beiden Ereignissen gegeben ist. Schon die Wortwahl der LXX mag also von einer ähnlichen Tradition beeinflusst gewesen sein. Dass sie im Mittelalter bei den nordfranzösischen Exegeten genauso begegnet wie bei Ibn Ezra, kann ein Indiz für ihr hohes Alter sein.153 In diesem Lichte kann Mose nach Ex 33 f. durch den Bundesschluss, der mit ihm, nicht mit dem Volk geschieht, als Vermittler der göttlichen Gegenwart verstanden werden,154 ähnlich wie Paulus es für sich in Anspruch nimmt, als Diener des neuen Bundes unverfälscht Gottes Wort zu sprechen. Überdies hat Frances Back ausführlich dargelegt, wie sehr das Glänzen des Gesichtes zeitgenössisch als göttliches Legitimationszeichen verstanden wurde.155 Die Targumim erhellen die Vorstellung hinter der Rede von der göttlichen δόξα weiter. So spricht Targum Onkelos zu Ex 34,29 ausdrücklich davon, dass der Glanz auf dem Gesicht des Mose von der Begegnung mit der göttlichen Schechina herrührt (‫)דיי דהוה ליה מן זיו איקר שכינתא‬. Noch deutlicher wird die Hoheit der göttlichen δόξα auf dem Gesicht des Mose, wenn Randglossen des Targum Neofiti in Ex 34,29–30.35 lesen, die Israeliten „priesen die Herrlichkeit seines Gesichts“ (‫ׁשבחו‬ ‫)זיווהון דאף‬.156 Äußerst aufschlussreich ist auch die Übertragung des TPsJ von Ex 33,16, auf die McNamara im Zusammenhang von 2 Kor 3,16 hinweist. Der Targum paraphrasiert das Erkennungszeichen der göttlichen Gnade nach MT, „dass du mit uns gehst und wir so unterschieden werden“ (‫)ּב ֶל ְכ ְּתָך ִע ָּמנּו וְ נִ ְפ ֵלינּו ֲאנִ י וְ ַע ְּמָך‬, ְ ausführlich mit: „And 152 So auch Cover 2015, 83, der einer möglichen Verbindung zwischen ἔνδοξα (Ex 34,10) und ἐν δόξῃ (2 Kor 3,7.11) zustimmt. 153 Am ausführlichsten äußert sich Ibn Esra in seinem großen Kommentar zur Stelle: ‫על כן אעשה‬ ‫ וזהו דבר קרינות‬.‫ וידעו כי נתתי הוד עליך שלא עשיתי כן מיום שבראתי שמים וארץ‬,‫נפלאות שיתמהו כל רואיך‬ ‫( פניו‬Deshalb werde ich Wunder tun, dass alle, die dich sehen, sich wundern werden und wissen, dass ich euch Herrlichkeit [‫ ]הוד‬gegeben habe, wie ich nicht getan habe seit dem Tag, da ich Himmel und Erde erschuf. Und dies bezieht sich auf die Angelegenheit mit seinem Gesicht. [Übers. K. O.]). Gruber 1998, 211, Anm 305, verweist überdies auf Saadja. Ähnliche Äußerungen finden sich u. a. bei Rashbam und Joseph Bekhor Shor. Die Verknüpfung der Verse Ex 34,10 und Ex 34,30 über die Worte ‫ ראה‬und ‫ירא‬, wie Gruber sie vorschlägt, findet dort jedoch keine Erwähnung. 154 Vgl. Gruber 1998, 212–217. 155 Vgl. Back 2002, 24–76. 156 Vgl. McNamara/Hayward 1994, 141.

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distinguishing signs shall be wrought for us when you withhold the spirit of prophecy from the nations and shall speak in the Holy Spirit to me and to your people“ (‫נבואה מעילוי אומיא ותהי מתמלל ברוח קודׁשא עימן ויתעבדן לנא פריׁשן בסלקותך רוח לי‬ ‫)ולעמך‬.157 Relevant für die Deutung von δόξα wird diese targumische Lesart dadurch, dass es sich bei Ex 33,16 um den bereits erwähnten Vers handelt, bei dem die LXX liest: „Und ich und dein Volk sollen verherrlicht werden“ (καὶ ἐνδοξασθήσομαι ἐγώ τε καὶ ὁ λαός σου). Bringt man diese Traditionen zusammen, so besteht zwischen dem Sprechen des göttlichen Geistes und der göttlichen δόξα ein Zusammenhang. Dass ein solchermaßen gefüllter Begriff von δόξα und ein Wissen um die Rolle des Mose in ihrer Vermittlung einen großen Beitrag zum Verständnis des Textes leistet, wird sich im weiteren Verlauf der Untersuchung zeigen. c Die Verhärtung und Gottesferne der Israeliten Die motivische Nähe zwischen der wiederholten Bezeichnung Israels als λαὸς σκληροτράχηλος/‫ם־ק ֵׁשה־ע ֶֹרף‬ ְ ‫( ַע‬Ex 33,3.5; 34,9, aber auch Dtn 9,6.13) und der Verhärtungsaussage 3,14 hat verschiedene Deutungen nach sich gezogen, die den Gedankengang des Abschnitts 3,12–17 in Teilen erklären wollen. Dtn 29,3

2 Kor 3,14–15

Röm 11,7–8

καὶ οὐκ ἔδωκεν κύριος ὁ θεὸς ὑμῖν καρδίαν εἰδέναι καὶ ὀφθαλμοὺς βλέπειν καὶ ὦτα ἀκούειν ἕως τῆς ἡμέρας ταύτης

14

ἀλλὰ ἐπωρώθη τὰ νοήματα αὐτῶν. ἄχρι γὰρ τῆς σήμερον ἡμέρας τὸ αὐτὸ κάλυμμα ἐπὶ τῇ ἀναγνώσει τῆς παλαιᾶς διαθήκης μένει, μὴ ἀνακαλυπτόμενον ὅτι ἐν Χριστῷ καταργεῖται· 15 ἀλλ᾽ ἕως σήμερον ἡνίκα ἂν ἀναγινώσκηται Μωϋσῆς, κάλυμμα ἐπὶ τὴν καρδίαν αὐτῶν κεῖται·

7…

οἱ δὲ λοιποὶ ἐπωρώθησαν, 8 καθὼς γέγραπται· ἔδωκεν αὐτοῖς ὁ θεὸς πνεῦμα κατανύξεως, ὀφθαλμοὺς τοῦ μὴ βλέπειν καὶ ὦτα τοῦ μὴ ἀκούειν, ἕως τῆς σήμερον ἡμέρας.

Was die Markierung durch Desintegrationssignale anbelangt, liegt ein Bezug auf Dtn 29,3 am nächsten. Für diese Anspielung in 2 Kor 3,14 f. wird gemeinhin die sachliche Nähe und die ähnliche zeitliche Einordnung „bis auf den heutigen Tag“ angeführt.158 In Dtn 29,3(4) klagt Mose, ἕως τῆς ἡμέρας ταύτης habe Gott den Israeliten auch angesichts der erlebten Machterweise weder ein verständiges Herz noch sehende Augen gegeben. Sowohl die Motive des Sehens (3,13 f.) und des Herzens (3,15) haben beide Texte somit gemein als auch die Angabe der zeitlichen Dauer (vgl. die Tabelle für Abweichungen in der Formulierung der Zeitangabe). Überdies nimmt Paulus den Vers in einem Kompositzitat mit Jes 29,10 in Röm 11,7 f. explizit auf, dem einzigen Ort, an dem die Worte πωρόω und σήμερον noch im Corpus Paulinum begegnen. Zweifel, ob diese Indizien genügen, von einem Bezug auf Dtn 29,3 157 158

Vgl. McNamara 1966, 186 f. Vgl. Hafemann 1995, 375–377; Stockhausen 1989, 141–149.

4.2 Die intertextuelle Erkundung

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auszugehen, hat Dominique Angers in seiner detaillierten Untersuchung von ἕως τῆς ἡμέρας ταύτης und verwandter Wendungen in der Septuaginta ausgeräumt.159 Hatte Angers bereits auf Übereinstimmungen zwischen dem theologischen Programm von Dtn und 2 Kor 3,14–15 hingewiesen, spitzt Jane Heath diese Übereinstimmungen in einem jüngeren Aufsatz weiter zu und vermutet die Schlusskapitel Dtn 29–32 hinter den Gedanken des Paulus.160 Vor allem im Bericht von Dtn 31 erkennt sie eine Fülle einander korrespondierender Elemente. Dort schreibt Mose das Gesetz nieder und übergibt es im Zuge der Vorbereitungen auf seinen Tod den Leviten und Ältesten. In diesem Rahmen verordnet er dessen Verlesung vor ganz Israel (31,11: ἀναγνώσεσθε τὸν νόμον τοῦτον ἐναντίον παντὸς Ισραηλ), wenn Israel sich zum Sukkot-Fest versammelt, „um vom Kyrios gesehen zu werden“ (ἐν τῷ συμπορεύεσθαι πάντα Ισραηλ ὀφθῆναι ἐνώπιον κυρίου).161 Wenig später bestellt Gott Mose und Josua ins Festzeitenzelt, sagt ihnen einen kommenden Bundesbruch Israels voraus (Dtn 31,16: διασκεδάσουσιν τὴν διαθήκην μου ἣν διεθέμην αὐτοῖς) und bestimmt das Gesetzesbuch zum Zeugen gegen das halsstarrige Volk (Dtn 31,25: ἐπίσταμαι … τὸν τράχηλόν σου τὸν σκληρόν). Heath sieht darin drei Parallelen: den Akzent auf dem Ende des Mose bzw. vielfältige Formen vom τέλοςStamm, die öffentliche Verlesung des Gesetzesbuches in der Gegenwart Gottes und die Ablösung Moses durch Josua (Ἰησοῦς), die Paulus auf Jesus, den Christus, deute.162 Über die Fragen theologisch-inhaltlicher Übereinstimmung hinaus wird ähnlich Röm 11,7–8 mitunter auch eine Abhängigkeit von Jes 29,10 als konkretem Bezugstext für 2 Kor 3,14–15 angenommen.163 Carol Stockhausen erkennt hinter 2 Kor 3,14–15 eine Matrix aus Dtn 29,3, Jes 6,9–10 und Jes 29,10–12, gesteht jedoch ein, dass direkte wörtliche Verbindungen dieser Texte zu 3,14–15 fehlen.164 Bei Jes 6,9–10 handelt 159 So äußert etwa Belleville 1991, 226 f., Kritik an der ungenauen Übereinstimmung der Formulierung und trägt andere Belegstellen für eine ähnliche Formulierung „bis heute“ zusammen (dagegen wiederum Hafemann 1995, 379). Vgl. zu konkret dieser Frage Angers 2007, 149–151. Kritisch äußert sich auch Gruber 1998, 241–243. Angers 2007, 149 f., erwägt neben dem Vorliegen einer anderen Manuskripttradition auch stilistische und inhaltliche Gründe, warum der Wortlaut in 2 Kor 3,14 f. sich markant von Dtn 29,3 unterscheidet. 160 Heath versteht die Beziehung beider Texte als „typologisch“. Entsprechend nimmt sie keinen Anstoß an fehlenden sprachlichen Übereinstimmungen: „Because typology makes a mimetic relationship central, it requires neither quotation nor reiteration of vocabulary. However, it does presuppose that Paul knew and pondered deeply the text that he interpreted this way“ (Heath 2013, 44). An letzterem hat sie – berechtigterweise – wenig Zweifel. Ihr Ansatz macht jedoch jede methodische Kontrolle unmöglich. 161 Heath 2013, 44, weist auf die Doppeldeutigkeit des unvokalisierten hebräischen Textes an dieser Stelle hin. ‫ לראות‬kann sowohl aktivisch wie passivisch verstanden werden: JHWH zu sehen oder von JHWH gesehen zu werden. 162 Vgl.  Heath 2013, 50–58. Aufgrund des ihrem Denken zugrundeliegenden Verständnisses von Typologie (s. o.), ist Heath gegen den Einwand mangelnder wörtlicher Übereinstimmungen immun. 163 Vgl. van Unnik 1963, 153–169; Thrall 1994, 262; Angers 2007, 126 f. 164 Vgl. Stockhausen 1989, 134 f.

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es sich um eine Gerichtsansage Gottes. Sein Volk werde hören und doch nicht verstehen, sehen und doch nicht begreifen, weil dessen Herz schwer geworden sei. Jes 29,10–12 hingegen konstatiert, Gott habe die Augen seines Volkes, seiner Propheten und Seher geschlossen (LXX: καμμύσει τοὺς ὀφθαλμοὺς αὐτῶν καὶ τῶν προφητῶν αὐτῶν καὶ τῶν ἀρχόντων αὐτῶν οἱ ὁρῶντες τὰ κρυπτα) bzw. die Seher verhüllt (MT: ‫יכם ַהחֹזִ ים ִּכ ָּסה‬ ֶ ‫אׁש‬ ֵ ‫ת־ר‬ ָ ‫)וְ ֶא‬. Entsprechend seien die Worte des Propheten wie die Worte eines versiegelten Buches, das auch ein Lesekundiger nicht lesen könne. Die zeitgenössische bzw. paulinische Rezeption dieser Texte illustriert Stockhausen an Joh 12,39–41 und Röm 11,7–8. Während das Verb πωρόω, mit dem 2 Kor 3,14 die Verhärtung Israels beschreibt, in der Textüberlieferung von Jes 6,10 zwar fehlt, gibt Joh 12,40 den Vers mit eben dieser Vokabel wieder. Vermutlich habe der Evangelist aus dem Hebräischen übersetzt. Womöglich habe auch eine entsprechende Textüberlieferung bestanden, die Johannes und Paulus hier vorgelegen habe.165 Von Jes 6,10 her (μήποτε ἴδωσιν τοῖς ὀφθαλμοῖς καὶ τοῖς ὠσὶν ἀκούσωσιν καὶ τῇ καρδίᾳ συνῶσιν καὶ ἐπιστρέψωσιν) könne auch die Verwendung von ἐπιστρέφω im freien Zitat von Ex 34,34 in 3,16 verstanden werden: Die Verhärtung verhindert, dass Israel sich zu Gott bekehrt.166 Ferner sei die Vorstellung der göttlichen δόξα zentral für Jes 6,1.3. Dass Johannes diese δόξα als die δόξα Christi deutet, die die Juden nicht erkennen wollten, veranlasst Stockhausen, auch für Paulus mangelnden Glauben an Christus als die Ursache der bleibenden Verhärtung zu unterstellen. Auf diese Weise entlaste Paulus Mose von der Verantwortung für die Verhärtung.167 Was Jes 29,10 anbelangt, führt Paulus diesen Text in der Parallelstelle Röm 11,7 an.168 Stockhausen erkennt die Anführung als Kompositzitat mit Jes 6,10 und Dtn 29,3 (ἕως τῆς ἡμέρας ταύτης). Alle drei Texte waren für Paulus demnach inhaltlich miteinander verknüpft und zeigen mit der Rede von καρδία und ὀφθαλμός auch lexikalische Berührungen. Entsprechend stünde Jes 29,10 auch hinter der Vorstellung in 2 Kor, Israel würde „den alten Bund“ bzw. „Mose“ lesen, aber doch nicht verstehen.169 Überdies spräche Jes 29,10 im hebräischen Text von den verhüllten Häuptern der Seher, was dem Text von 2 Kor 3 motivisch entspreche.170 So erlaube die Kombination der drei Verse es Paulus, die Hülle über Israel (Jes 29,10) auf dem Herzen zu verorten (Jes 6,10) und diesen Zustand zeitlich bis in die Gegenwart fortzuschreiben (Dtn 29,3). Das zweifache ἀλλά versteht Stockhausen als Signalwort für die Anführung eines weiteren Aspektes der biblischen Bezugstexte und übersetzt mit „but scripture also says“.171 165 Vgl. Stockhausen 1989, 135 f. Wagner 2002, 247–251, tritt für eine eigenständige Übersetzungstradition hinter Joh 12,40 ein, der der paulinische Gebrauch inhaltlich nahestehe. 166 Vgl. Stockhausen 1989, 137 f. 167 Vgl. Stockhausen 1989, 139 f. 168 Vgl. auch Wilk 1998, 52 f.210 f.215 f. 169 Vgl. Stockhausen 1989, 141–143. 170 Vgl. Stockhausen 1989, 144. 171 Stockhausen 1989, 149. Auch Cover 2015, 87 f., versteht ἀλλά hier wie auch in 4,23.29 „as

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Den Bezug zu Dtn 29,3 und den verwandten Jesajatexten sieht auch Scott Hafemann.172 Die Parallelen zu Dtn 29 seien „not coincidental, but reflect Paul’s understanding of the hardening of Israel in the wilderness as the conceptual counterpart to the hardening of Israel declared in the prophets“173. Hafemann verfolgt diese Linie weiter zum goldenen Kalb des Exodusberichts: „Paul’s thinking in 2 Cor 3:7– 14b is thus part of a long canonical tradition in which Israel’s continuing rejection of the Law and the Prophets is seen as evidence of her recalcitrant condition, which in turn is traced back to her ‚original sin‘ with the golden calf in the wilderness“174, und zwar „as a paradigmatic expression and evidence of Israel’s ‚stiff-neck‘“175. Entsprechend verbindet er diese Beobachtungen mit seinem weitreichenden Vorschlag, das organisierende Prinzip hinter Paulus Auslegung von Ex 34,29–35 in Ex 32–34 insgesamt zu verorten.176 Hafemann geht davon aus, dass die Zentralthemen dieses Textes den paulinischen Gedankengang leiten und für sein Verständnis unabdingbar sind. Als Fluchtpunkt der Erzählung Ex 32–34 macht er die Frage der Gegenwart Gottes bei seinem Volk aus. Diese sei im Sinaibund verheißen gewesen und werde gerade in der Septuagintatradition maßgeblich durch das δόξα-Konzept ausgedrückt.177 Durch die Ursünde des Bundesbruchs in Ex 32 sei das Volk aber nicht länger in der Lage, sie zu ertragen, ohne von Gott gerichtet und vernichtet zu werden. „The theological tension within the text consequently becomes how God’s presence can continue in Israel’s midst without destroying the nation.“178 Dadurch, dass Mose im erneuerten Bund zum Mittler der Gottesgegenwart wird, werde auch eine Begegnung zwischen Gott und Volk wieder möglich. Die Lage des Volkes habe sich aber grundlegend und nachhaltig geändert, stehe der Bundesbruch doch für die grundsätzliche Unfähigkeit Israels, den Bund zu halten: Israel ist ein halsstarriges Volk (vgl. Ex 33,3.5; 34,9). Moses Mittlerschaft ermögliche unter diesen Bedingungen zwar die Gottesgegenwart, indem die Hülle auf seinem Gesicht die Is-

a technical term in commentary texts, signaling the introduction of new information or a modification of the view which has just been given“ und folgert „this […] case reflects anthological commentary practices“. 172 Dabei verwahrt er sich jedoch gegen einen Einfluss des Textes von Jes 6,9–10 in Röm 11,8 und 2 Kor 3,14, wie Stockhausen ihn annimmt (vgl. Hafemann 1995, 375, Anm. 128) und problematisiert auch Stockhausens Auslegung von Jes 29,11–12. Das Problem sei schon in Jes 29,11–12 nicht eigentlich ein hermeneutisches, sondern ein moralisches. Die Verhärtung sei dem Unverständnis vorgeordnet (vgl. Hafemann 1995, 376, Anm. 131). 173 Hafemann 1995, 376. 174 Hafemann 1995, 377. 175 Hafemann 1995, 235. 176 Vgl. Hafemann 1995, im Folgenden v. a. Hafemann 1995, 225–232. 177 „The corresponding problem of how God’s glory can continue to dwell in the midst of his sinful people is therefore central to the LXX in a way even more pronounced than in the MT“ (Hafemann 1995, 246, mit einer detaillierten Übersicht über entsprechende Tendenzen in der Übersetzung auf 243–245). 178 Hafemann 1995, 226.

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raeliten vor der Vernichtung bewahrt,179 lasse damit aber auch nur eine geminderte Gottesgegenwart zu, die nicht der umfassenden Vision des ursprünglichen Sinaibundes entspreche. Dies korrespondiere auch mit der innerbiblischen Deutung von Ex 32–34.180 Paulus nehme nun auf diese Erzählung Bezug, um zu illustrieren, wie dieser Zustand durch den neuen Bund aufgehoben und ungehinderte Gemeinschaft mit Gott wieder möglich wird. Der Wert dieses Vorschlags liegt in seinem integrativen Potential. Es gelingt ihm, auch Motive durch den Erzählzusammenhang des Prätextes zu erklären, deren Hintergrund zunächst unklar ist. Insbesondere gilt dies für den Gedanken, dass der Dienst des Mose ein Dienst des Todes sei (3,7), weswegen es durchaus naheliegt, dass Mose sein Gesicht verhüllt, um zu verhindern, dass die Israeliten die ihnen potentiell gefährliche Herrlichkeit sehen (3,13).181 Auch die Aussage, die Israeliten seien verhärtet worden (3,14), kann so verstanden die auf den Bundesbruch rückführbare Gottesferne des verhärteten Volkes ausdrücken.182 Darüber hinaus werden Hafemanns Überlegungen teilweise durch auch hier gemachte Beobachtungen gestützt. So verweist der Gebrauch von δόξα tatsächlich auf die Mittlerrolle des Mose und das Motiv der Gottesgegenwart (s. o. ‎4.3.3). Fraglich ist jedoch, inwiefern sich eine so eng verschränkte intertextuelle Deutung vom Text her nahelegt. Markierungen, insbesondere ausdrückliche Verweise auf den Bundesbruch, fehlen auch hier, und ein Bezug ist nur durch die Erzählabfolge in Exodus gegeben. Ähnliche Einwände lassen sich auch gegen andere hier angeführte Deutungsvorschläge vorbringen. Überdies differenziert Hafemann ausdrücklich nicht zwischen der Bezugnahme auf Ex 34,29 f. in 3,7–11 und der BezugVgl. Hafemann 1995, 310–313. Durchweg werde Mose dort als autoritativer und legitimer Offenbarungsmittler betrachtet, der im Kontrast zum Ungehorsam Israels steht, den die Propheten je länger je mehr beklagen (vgl. Hafemann 1995, 232 f.). Das durch Mose vermittelte Gesetz ist dabei ebenso Maßstab von Israels Ungehorsam, wie es auch die Chance bietet, zum rettenden Gehorsam zurückzukehren (234). Pate für die theologische Deutung der Hülle möge Hab 3,3–4 gestanden haben. Der Text schildert eine Theophanie, in der Gott den Glanz (MT spricht hier ähnlich wie in Ex 34,29 von ‫)קרנים‬, in dem er sich offenbart, zugleich zu verhüllen scheint, um ihn erträglich zu machen. (236–237). Darüber hinaus verweist Hafemann auf Jes 24,21–23, eine Passage innerhalb der jesajanischen Apokalypse, die Gottes endzeitliche Herrschaft damit zusammenbringt, dass den Ältesten Israels wie vor dem Bundesbruch am Sinai seine Herrlichkeit offenbart wird; eine Bewegung, in die die Völkerwelt mit hineingenommen wird, indem Gott eine Decke, die über sie ausgebreitet ist, entfernt (Jes 25,6–8) (vgl. 238–241, Hafemann 240 vermutet hier ein subtiles Wortspiel zwischen ‫ַּמ ֵּס ָכה‬ [Decke] und dem gegossenen Kalb aus Ex 32,4 [‫]עגֶ ל ַמ ֵּס ָכה‬ ֵ als Inbegriff des Götzendienstes, der Israel wie die Völkerwelt von Gott entfremdet hat). Jes 60,1–5 MT schließlich drückt die endzeitliche Erlösung so aus, dass die ‫ ָּכבֹוד‬Gottes über Jerusalem aufgeht, woraufhin die Gesichter der Erlösten vor Freude zu strahlen beginnen (241) (‫)אז ִּת ְר ִאי וְ נָ ַה ְר ְּת‬. ָ 181 S.u. 4.4.6.2 zu Hafemanns eigenwilliger, alles in allem aber doch überzeugender Übersetzung von τὸ τέλος τοῦ καταργουμένου in 3,13. 182 Vgl. hierzu insb. Hafemann 1995, 363–371. Hafemann 1995, 366, argumentiert in Aufnahme von Stockhausen 1989, 135–146, dass πωρόω genau diesen Gedanken ausdrücke und allgemein urchristlich verwendet werde, um auf Israels Verhärtung nach Jes 6,9f; Jer 5,21–24 und Ez 12,2 anzuspielen. Dafür spräche u. a. der Gebrauch in Mk 8,16; Joh 12,39–41 und Röm 11,7–8. 179 180

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nahme auf Ex 34,33–35 in 3,13–18, obwohl gerade diesbezüglich die deutlichsten Intertextualitätssignale begegnen. Vielmehr sieht er nur eine globale Bezugnahme gegeben, was es ihm erlaubt, die Hülle des Mose, obwohl ungenannt, schon in 3,7 am Werk zu sehen. Einen weiteren Vorschlag, der den Gedankengang von 3,14–15 aus dem Exodustext selbst erheben will und hinter ihm nicht Dtn 29,3, sondern die targumische Tradition zu Ex 33,5–11 sieht, hat Martin McNamara gemacht.183 Der Text bezeichnet Israel als λαὸς σκληροτράχηλος/‫ם־ק ֵׁשה־ע ֶֹרף‬ ְ ‫( ַע‬Ex 33,5) und berichtet weiter davon, wie Mose das Festzeitenzelt aufstellt, das ein jeder, der JHWH sucht, aufsucht (Ex 33,7). Es ist bemerkenswert, dass die Targumim hier einmal mehr von Gottes Schechina sprechen, die wegen seiner Verhärtung nicht mit dem Volk mitzieht, was LXX zum Anlass nimmt, die Israeliten aufzufordern, ihre στολὰς τῶν δοξῶν abzutun. TPsJ erweitert den Bericht von Ex 33,7, lässt jene, die in das Zelt kommen, in Buße umkehren und ihre Sünden bekennen, woraufhin ihnen ihre Schuld vergeben wird. Diese Tradition sei verantwortlich für die Bekehrungssprache, um die Paulus das veränderte Zitat von Ex 34,34 in 3,16 anreichert (ἐπιστρέψῃ statt εἰσεπορεύετο). Auch die Identifizierung des Kyrios mit dem Geist in 3,17 führt McNamara auf die targumische Tradition zurück. Zur Illustration führt er TPsJ zu Num 7,89 an. MT berichtet dort ähnlich Ex 34,34, wie Mose das Festzeitenzelt betritt, um mit Gott zu sprechen, und dort seine Stimme hört. TPsJ fügt hinzu, diese Stimme sei die Stimme des Geistes (‫)קל רוחא‬. „Geist“ sei in der rabbinisch-tannaitischen Literatur jedoch oft nicht mehr als ein Platzhalter für den Gottesnamen und bezeichne Gott als den sich Mitteilenden. Von daher sei der Geist eng verwandt mit der Bezeichnung Gottes als „das Wort“, wie sie sich ebenfalls in Num 7,89 findet (‫)דבורא‬.184 Eben diese Bezeichnung Gottes (‫ )דבורא‬findet sich aber auch in der TPsJ-Paraphrase von Ex 33,11, was McNamara als ein weiteres Indiz wertet, Ex 33,5–11 in einer entsprechenden Überlieferung hinter dem Gedankengang in 3,14–17 zu sehen.185 Dort überträgt der Targum MT „und JHWH sprach mit Mose von Angesicht zu Angesicht“ (‫ל־ּפנִ ים‬ ָ ‫הו֤ה ֶאל־מ ֶֹׁשה ָּפ ִנ֣ים ֶא‬ ָ ְ‫)וד ֶּבר י‬ ִ mit „er hörte die Stimme des Wortes“ (‫קל‬ ‫)דבורא הוה ׁשמע‬.186 So erhellend manche dieser Zusammenhänge sind, so sehr ist es doch fraglich, ob Paulus in seine „secondary exegesis“ von Ex 34,29–30 eine solche, wenn man so will „tertiary exegesis“ einer targumisch bezeugten Tradition von Ex 33,5–11 einpflanzt, wie McNamara es anzunehmen scheint. Im Gegensatz zu Dtn 29,3 fehlen entsprechende Desintegrationssignale. Zudem ist es keineswegs gegeben, dass es sich bei ἐπιστρέψῃ in 3,16 um Bekehrungs- oder Umkehrsprache handelt. Dennoch Vgl. McNamara 1966, 180 f. Er schließt damit an Überlegungen von Le Déaut 1961, 45–47, an. Vgl. McNamara 1966, 184 f. 185 Vgl. McNamara 1966, 186. 186 Bemerkenswerterweise korrigiert der Targum die Vorstellung von Ex 33,11 MT in Richtung von Ex 33,20 und fährt fort: „aber den Glanz/die Herrlichkeit des Gesichtes sah er nicht“ (‫ברם זיו‬ ‫)אפין לא הוה חמי‬. 183 184

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mag eine Vertrautheit mit verwandten theologischen Traditionen Paulus befähigt haben, Ex 34,29–35 so auszulegen, wie er es in 2 Kor 3,7–18 tut. Die Vielzahl dieser Vorschläge demonstriert zweierlei: Zum einen, wie schwierig die Rekonstruktion biblischer Schriftbezüge ist, wenn man sich von formal greifbaren Intertextualitätssignalen fortbewegt. Anhand der bloßen Übereinstimmung von Motiven lassen sich verschiedenste Texte als Bezugstexte postulieren, ohne dass diese Rekonstruktionen durchweg miteinander kompatibel wären. Hinzu kommt die Gefahr, anhand der Auslegung vermeintlicher Bezugstexte theologische Nuancierungen in den paulinischen Text einzutragen, die vom Text allein her nicht gegeben sind. Vieles entzieht sich dabei der methodischen Nachprüfbarkeit. Über vieles lässt sich nur von einer detaillierten Analyse des Brieftexts und seiner Pragmatik her befinden. Zum anderen macht gerade diese Fülle möglicher gedanklicher Paten deutlich, dass das Motiv des Ungehorsams und Unverständnisses Israels bereits auf der Ebene des biblischen Textes vielfältig angelegt war sowie in der Septuaginta und schließlich in der frühjüdischen Tradition fortgeschrieben wurde. Es wird nahegelegen haben, sie vor dem Erfahrungshorizont der paulinischen Missionstätigkeit und seiner Gemeinden zu aktualisieren.187 Die Kenntnis dieses theologischen Motivs kann demnach für Paulus vorausgesetzt werden, auch ohne seinen Gedankengang notwendigerweise auf greifbare Bezugstexte zurückführen zu müssen. d Moses vertrauter Umgang mit Gott Kontrovers diskutiert wird die Formulierung τὴν δόξαν κυρίου κατοπτριζόμενοι in 2 Kor 3,18. κατοπτρίζω ist biblisch nur hier, außerbiblisch nur selten belegt und besitzt grundsätzlich ein Bedeutungsspektrum von „(in einem Spiegel) sehen“ bis „(wie ein Spiegel) reflektieren“. Für die Zeit des Paulus ist jedoch eher von der ersten Bedeutung auszugehen.188 Für die Vorstellung einer Spiegelschau, mehr noch einer Verwandlung durch Schau, wie sie der Vers als Ganzes nahelegt, sind verschiedene pagane Parallelen vorgeschlagen worden.189 Für den Bereich biblisch-jüdischer Vorstellungen führt Margaret Thrall die Vorstellung einer Spiegelschau auf die Weisheitstradition zurück. Sap 7,25–26 beschreibt die Weisheit als lauteren Ausfluss der δόξα des Allmächtigen (ἀπόρροια τῆς τοῦ παντοκράτορος δόξης εἰλικρινής), ungetrübten Spiegel seiner Kraft und Bild seiner Güte (ἔσοπτρον ἀκηλίδωτον τῆς τοῦ θεοῦ ἐνεργείας καὶ εἰκὼν τῆς ἀγαθότητος αὐτοῦ).190 Trotz lexikalischer Berührungen mit diesen Versen liegt es jedoch näher, Num 12,6–8 vergleichend heran187 Stockhausen 1989, 133, verweist für entsprechende Frustrationserfahrungen etwa auf Röm 9,1– 3 und Gal 5,11–12. 188 Vgl. die Auseinandersetzung mit Linda Bellevilles anderslautenden Schlussfolgerungen bei Hafemann 1995, 409, Anm. 231 und Thrall 1994, 290–293, und s. u. 4.4.6.5. 189 Für eine konzise Übersicht vgl. Litwa 2012, 286–288. 190 Vgl. Thrall 1994, 293 f.

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zuziehen. Für einen solchen Bezug auf Mose-Spiegel-Traditionen hat sich zuletzt David Litwa stark gemacht.191 In Num 12,6–8 hebt Gott die exklusive Weise, in der er sich Mose zu erkennen gibt (offen, von Mund zu Mund; ‫מ ְר ֶאה‬, ַ LXX: ἐν εἴδει), von seinem Kontakt mit anderen Propheten ab. Allein Mose habe Gottes δόξα gesehen (Num 12,8: καὶ τὴν δόξαν κυρίου εἶδεν). Die Passage bietet eine Reihe exegetischer Probleme. Die Spannung zur Gottesschau des Mose in Ex 33 f. wurde schon früh wahrgenommen und verarbeitet. So deutet die rabbinische Tradition die Passage so, dass Mose Gott in einem klaren, polierten Spiegel (‫)מ ְר ֶאה‬, ַ d. h. deutlicher als alle anderen gesehen habe (vgl. WaR 1,14). Damit schaut Mose schon am Sinai Gott so, wie die Gläubigen es in der kommenden Welt tun werden. Diese oder eine ähnliche Tradition verarbeitet auch Philo in einer Erklärung zu Ex 33,13, in deren Zusammenhang er auch Num 12,8 anführt. Dort verwendet er κατοπτρίζω im Medium (Leg. 3,99–101).192 Die Vorstellung einer solchen Schau im Spiegel transportierte demnach sowohl die Vorstellung exklusiver Klarheit als auch die der Vermittlung und bewahrte so einen eschatologischen Vorbehalt. Beide Züge passen ins Bild von 2 Kor 3,18 und könnten die ungewohnte Wortwahl erklären. Überdies liegt sowohl dort wie hier eine Vorstellung der Verwandlung vor – reflektiert Mose doch letztlich eben den Herrlichkeitsglanz, den er an Gott gesehen hat.193 Auch wenn kein deutlicher Verweis auf eine solche Tradition vorliegt, sind die ausgefallene Wortwahl, die Rede von Gottes δόξα und der Zusammenhang mit Mose und seiner Verwandlung Indiz genug zu fragen, inwiefern Vertrautheit mit Num  12,6–8 und entsprechenden Traditionen dazu beiträgt, die Aussage 3,18 zu erhellen. Dass auch hier die Vorstellung der Verwandlung Moses durch die Schau der göttlichen δόξα begegnet, ist ein Anhaltspunkt, sie für den paulinischen Gedankengang insgesamt voraussetzen zu können. 4.2.3.3 Die Adaption weiterer relevanter Texte und Motive in 2,14–3,6 a Opferterminologie Die Nähe zwischen der Ausdrucksweise in 2 Kor 2,14 f. und alttestamentlicher Kultterminologie wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt.194 Insofern mit dem Bereich des Opferkults die Frage nach gelingendem Kontakt mit Gott aufgeworfen wäre, würde sich eine solche Bezugnahme harmonisch in den weiteren Gedankengang des Abschnitts einfügen. Bezüge lassen sich vielfältig konstruieren. Nicht zuletzt ist das Zeltheiligtum nach Ex 40,34 Wohnort der δόξα. Ein schriftgelehrtes Vgl. Litwa 2012. Vgl. ferner Back 2002, 138. Vgl. im Folgenden Litwa 2012, 290–293. Für eine motivische Verknüpfung von Ex 33,17–23 und Num 12,8 bereits auf der Ebene der Septuaginta vgl. Litwa 2012, 293, Anm. 30, mit Verweis auf D’Angelo 1979, 100. 193 Vgl. Litwa 2012, 294. 194 Vgl.  dezidiert gegen eine intendierte Anspielung auf alttestamentliche Opfervorstellungen Prümm 1967, 79.83. 191 192

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Publikum mag überdies der Wechsel von ὀσμή (2,14) zu εὐωδία τῷ θεῷ (2,15) an die alttestamentlich gängige Bezeichnung des Opfers als ὀσμὴ εὐωδίας τῷ κυρίῳ erinnern.195 Dies würde einerseits die kultischen Obertöne der Triumphzugmetapher aufnehmen, muss andererseits jedoch nicht unbedingt eine kultische Vorstellung im eigentlichen Sinne evozieren. Die Vorstellung des Opfers konnte durchaus spiritualisiert verstanden werden.196 Von hier aus ließe sich der Gedanke in verschiedene Richtungen entwickeln. Es ließe sich an Paulus denken, der den Opferduft Christi verbreitet, aber auch an Paulus Selbsthingabe in seinem Dienst (vgl. 2 Kor 1,5 und den Fortgang der Apologie ab 4,7). Ausgehend vom Text selbst ist jedoch nicht zu erkennen, dass weiterhin auf Kultterminologie und -bildwelt angespielt würde. Und selbst in 2 Kor 2,14 f. läge eine solche Anspielung quer zum Bildspender der Metapher, sind doch spätestens mit 2,15b nicht mehr Gott, sondern Menschen Adressant des Duftes. Die Vorstellung eines Opfergeruchs ist somit nur sehr eingeschränkt anknüpfungsfähig. Ähnlich problematisch ist der weitreichende Vorschlag von Roger David Aus, Paulus rufe hier Num 17,6–15 auf.197 Der Bericht von der Rebellion des Korah, in dessen Folge Gott das Volk schlägt und Aaron auf Moses Geheiß zu räuchern beginnt, woraufhin er zwischen den Toten und den Lebenden zu stehen kommt, zeigt zwar überraschende lexikalische Parallelen. Der Sache nach harmoniert er jedoch nur bedingt. So werden etwa die Sterbenden des Numeriberichts gerade nicht vom Weihrauchduft berührt. Andererseits ist es bemerkenswert, dass das Erscheinen des Kyrios und seiner δόξα der Zerstörung direkt vorausgeht. An diese Vorstellung könnte 3,7–11 wiederum anknüpfen. Ein solcher Bezug würde die weitere Rezeption des Textes demnach im intendierten Sinne fördern. Insgesamt ist es damit zwar denkbar, dass ein solcher Bezug bei entsprechend gebildeten Hörern aufgerufen wird, wegen der sehr spezifischen Parallelen zwischen beiden Texten jedoch noch unwahrscheinlicher als im Falle der allgemeinen Opfervorstellung. b Die Befähigung zum Dienst Folgt man der Verwendung von ἱκανός in 2 Kor 2,16 und 3,5 f. bis zur Berufungsgeschichte des Mose in Ex  4,10, verlässt man den Rahmen der Sinaierzählung, nicht aber der Mose-Exodus-Tradition. Scott Hafemann hat mit einer detaillierten Analyse des Motivs in biblischen Erzählungen und der nachbiblischen Tradition gezeigt, wie sehr das Vorbild des Mose Berufungserzählungen und ihre Wahrneh195 S.u. unter 4.3.2.2a. Vor dem Hintergrund eines aus den Psalmen zu rekonstruierenden Kultzeremoniells am Jerusalemer Tempel, in dem JHWH als König in sein Heiligtum einzieht (Ps 24), ließe sich mitunter an Kultprozessionen als Vergleichsgröße für Triumphzug und Opferduftmetapher denken. Jedoch finden sich solche Vorstellungen weniger im zeitgenössischen Judentum als in der rekonstruierten Kultpraxis früherer Jahrhunderte. 196 Vgl. Kuschnerus 2002, 121. 197 Vgl. Aus 2005, 50–74.

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mung prägte. Stets weist der zu berufende Prophet auf ein in ihm selbst liegendes Hindernis hin, das Gott ohne Zutun des Propheten überwindet. Die Pointe ist, dass Gott dazu befähigt, sein Wort trotz der nicht aufgehobenen Mängel des Boten zu verkündigen. Damit erlangen Berufungserzählungen nach dem mosaischen Muster eine apologetische Funktion. Sie beharren auf der Sendung des Berufenen auch wider den Augenschein.198 Von daher würde ein solcher Bezug durchaus dem Grundton des Kapitels und dem Fortgang der Gedankenentwicklung in 2 Kor 4 entsprechen. Hafemann folgert nun, dass Paulus hier zur eigenen Legitimation auf Mose verweist und dieses Gegenüber im weiteren Verlauf des Kapitels ausbuchstabiert. Gegen einen intendierten Bezug auf Mose spricht jedoch, dass Paulus mit ähnlichen Worten auch anderswo von seiner Befähigung zum Dienst spricht, wo sich ein solcher Bezug keineswegs nahelegt. In 1 Kor 15,9 f. betont Paulus, er sei wegen seiner vormaligen Verfolgertätigkeit nicht fähig, Apostel genannt zu werden (οὐκ εἰμὶ ἱκανὸς καλεῖσθαι ἀπόστολος), könne diese Aufgabe aber doch durch Gottes Gnade ausführen. Dies entspricht genau dem von Hafemann skizzierten Muster, und zwar ganz ohne erkennbare Bezugnahme auf Mose als Urtyp einer solchen Berufungsgeschichte. Das gilt auch für themengleiche, aber anders formulierte Passagen. „This dialectic of inadequacy/adequacy or unworthiness/worthiness is present wherever, as here, Paul considers his call to apostleship and reflects on its meaning.“199 Vor dem Hintergrund von ἱκανός als nicht unüblichem Gottesprädikat erscheint der Gebrauch auch durchaus plausibel: Der „Allfähige“ befähigt.200 Gerade dass das Motiv allgemein verbreitet war – und durchaus nicht exklusiv oder auch nur konsequent auf Mose angewendet wurde  –, macht es jedoch möglich, 2 Kor 2,16 und 3,5 f., als Bezug auf eine theologische Tradition zu verstehen, die für Mose durchsichtig ist. Eine potentielle halb-explizite Markierung durch das womöglich überschüssige καί als leichte kotextuelle Störung lässt sich ohnehin nur in 3,5 f. feststellen und mahnt an, zwischen beiden Belegen zu differenzieren. Und tatsächlich wirft 2,16 zunächst die Frage nach göttlicher Befähigung auf. 3,5 setzt jedoch schon voraus, dass diese für Paulus positiv beantwortet worden ist. „That is to say, 3:5 does not answer the question of 2:16b, it clarifies the answer which has already been given, albeit indirectly.“201 Da aber überhaupt nur der zweite Beleg durch Bezüge auf die Mose-Exodus-Tradition gerahmt ist, lässt sich höchstens von ihm her auf einen Bezug auf Mose schließen. Wie schon mehrfach beobachtet, würde der Text dann hier einer Strategie zunehmend deutlicher Markierungen folgen. Die Einbettung von 3,5 in verschiedene andere Bezüge auf die Mose-Exodus-Tradition rechtfertigt es jedoch auch bei diesem nur geringen Anhalt, an einer Deutung 198 Vgl. Hafemann 1995, 59–62, hinsichtlich Ex 3,1–4,17; Ri 6,11–14; Jes 6,1–3; Jer 1,4–10 und Ez 1,1–28. Vgl. auch Aernie 2013. 199 Furnish 1985, 196. 200 Vgl. Rut 1,20f; Hiob 21,15; 31,2, Leg 1,44; Cher. 46; Mut. 27,46 u. a. m. Dazu Furnish 1985, 196. 201 Furnish 1985, 196.

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auf Mose festzuhalten. Entscheidend wird von daher die Frage sein, inwiefern eine Nebeneinanderstellung von Paulus und Mose, wie Hafemann und andere sie hier gegeben sehen, der Aussageabsicht und dem Anliegen des Kapitels entspricht. c Die Adaption der prophetischen Tradition um die Wiederherstellung des Bundes Jeremia Die Mehrheit der Forschung sieht in 3,2 f. unter anderem einen Verweis auf Jer 31 (LXX: 38) gegeben.202 Die wiederholte Formulierung ἐγγεγραμμένη ἐν ταῖς καρδίαις, bzw. ἐν πλαξὶν λιθίναις ἀλλ᾽ ἐν πλαξὶν καρδίαις σαρκίναις spiele auf Jer 38,33 LXX ἐπὶ καρδίας αὐτῶν γράψω an. Hier wie dort werde etwas durch Gott oder einen göttlichen Akteur auf Herzen geschrieben. Jer 38,31–34 (LXX) ἰδοὺ ἡμέραι ἔρχονται φησὶν κύριος καὶ διαθήσομαι τῷ οἴκῳ Ισραηλ καὶ τῷ οἴκῳ Ιουδα διαθήκην καινήν 32 οὐ κατὰ τὴν διαθήκην ἣν διεθέμην τοῖς πατράσιν αὐτῶν ἐν ἡμέρᾳ ἐπιλαβομένου μου τῆς χειρὸς αὐτῶν ἐξαγαγεῖν αὐτοὺς ἐκ γῆς Αἰγύπτου ὅτι αὐτοὶ οὐκ ἐνέμειναν ἐν τῇ διαθήκῃ μου καὶ ἐγὼ ἠμέλησα αὐτῶν φησὶν κύριος 33 ὅτι αὕτη ἡ διαθήκη ἣν διαθήσομαι τῷ οἴκῳ Ισραηλ μετὰ τὰς ἡμέρας ἐκείνας φησὶν κύριος διδοὺς δώσω νόμους μου εἰς τὴν διάνοιαν αὐτῶν καὶ ἐπὶ καρδίας αὐτῶν γράψω αὐτούς καὶ ἔσομαι αὐτοῖς εἰς θεόν καὶ αὐτοὶ ἔσονταί μοι εἰς λαόν

2 Kor 3,6.2–3

31

καὶ οὐ μὴ διδάξωσιν ἕκαστος τὸν πολίτην αὐτοῦ καὶ ἕκαστος τὸν ἀδελφὸν αὐτοῦ λέγων γνῶθι τὸν κύριον ὅτι πάντες εἰδήσουσίν με ἀπὸ μικροῦ αὐτῶν καὶ ἕως μεγάλου αὐτῶν ὅτι ἵλεως ἔσομαι ταῖς ἀδικίαις αὐτῶν καὶ τῶν ἁμαρτιῶν αὐτῶν οὐ μὴ μνησθῶ ἔτι

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6 ὃς καὶ ἱκάνωσεν ἡμᾶς διακόνους καινῆς διαθήκης,…

2 ἡ ἐπιστολὴ ἡμῶν ὑμεῖς ἐστε, ἐγγεγραμμένη ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν, γινωσκομένη καὶ ἀναγινωσκομένη ὑπὸ πάντων ἀνθρώπων, 3 φανερούμενοι ὅτι ἐστὲ ἐπιστολὴ Χριστοῦ διακονηθεῖσα ὑφ᾽ ἡμῶν, ἐγγεγραμμένη οὐ μέλανι ἀλλὰ πνεύματι θεοῦ ζῶντος, οὐκ ἐν πλαξὶν λιθίναις ἀλλ᾽ ἐν πλαξὶν καρδίαις σαρκίναις.

Eine genauere Untersuchung des Prätextes stützt diesen Bezug insofern, als er auch in weiteren Punkten mit 2 Kor 3 übereinstimmt. Jer 38,31–34 LXX gibt in Gottesrede die Verheißung eines neuen Bundes wieder (Jer 38,31 LXX: διαθήσομαι τῷ οἴκῳ Ισραηλ καὶ τῷ οἴκῳ Ιουδα διαθήκην καινήν). Im Gegensatz zum Exodusbund, den die Israeliten gebrochen hätten (Jer  38,32 LXX), würde Gott seine Gesetze nun in den Sinn (εἰς τὴν διάνοιαν αὐτῶν) der Israeliten legen und in ihre Herzen schreiben, so dass ein neues Bundesverhältnis exklusiver Nähe entstehe (Jer 38,33 202 Für einen klassischen Einspruch vgl. Wolff 1989, 60, für den die Berührungen mit Jer 38,31–34 LXX nicht tief genug reichen.

4.2 Die intertextuelle Erkundung

329

LXX), in dem jeder Israelit unmittelbar und individuell mit Gott vertraut sei, weil Gott die bestehende Sünde des Volkes vergibt (Jer 38,34 LXX). Damit benennen beide Texte eine ähnliche Situation. Jer 38 LXX betont wiederholt Gottes Willen zum Erbarmen trotz aller Übertretungen Israels. Besonders pointiert kommt dies in Jer 38,20 LXX zum Tragen, einem Vers in den die targumische Tradition bezeichnenderweise das Bild aus V. 33 einträgt und vorwegnimmt, dass Gottes Zuwendung damit einhergeht, die Worte seines Gesetzes auf das Herz Israels zu schreiben.203 Im weiteren Kontext des Jeremiabuches gelesen steht im jetzigen Zustand Sünde an dieser Stelle. Jer 17,1 MT hält ohne Parallele in LXX fest, die Sünde Judas sei fest auf ihr Herz und an die Hörner ihrer Altäre geschrieben (‫תּובה‬ ָ ‫הּודה ְּכ‬ ָ ְ‫ל־לּוח ִל ָּבם … ַח ַּטאת י‬ ַ ‫)ע‬. ַ Vor dem Hintergrund dieser Vorstellung wird Jer 38,31–34 LXX noch deutlicher zum Kernstück der Verheißung von der Wiederherstellung Israels. Die Unheilssituation wird aufgehoben und das Volk aus allen Winkeln der Erde versammelt (vgl. Jer 38,8.16; 39,37 LXX u. ö.). Gott selbst ermöglicht die Umkehr (ἐπίστρεψόν με καὶ ἐπιστρέψω) und entbindet die Generation des neuen Bundes von der Last, die durch die Taten ihrer Väter auf ihnen liegt. Die Absage an den Grundsatz: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, und die Zähne der Söhne sind stumpf geworden“ (Jer 38,29 f. LXX), geht der Verheißung des neuen Bundes unmittelbar voran. Deren Formulierungen werden wiederum im Folgekapitel noch einmal aufgegriffen und weiter zugespitzt: Dadurch, dass er den Israeliten die Gottesfurcht ins Herz legt, schließt Gott nicht nur einen neuen, sondern einen ewigen Bund (Jer 39,40 LXX: διαθήκην αἰωνίαν). 2 Kor 3,6 greift nun nicht nur Formulierungen dieser Passage auf, sondern korrespondiert auch mit verschiedenen ihrer Motive. Auch wenn 2 Kor 3,3 dem Bild nach noch von Empfehlungsbriefen spricht, liegt es nahe, schon hier von einer textsensiblen Adaption von Jer 38,31 auszugehen. Dass es bei Jeremia das Gesetz ist, dass auf Herzen geschrieben wird, vermag die Steintafeln, auf die das Gesetz ursprünglich geschrieben wurde, als Kontrastgröße erklären. Wenn 2 Kor 3,6 dann das Schlagwort vom neuen Bund aus Jer 38,31 LXX aufgreift, um den Dienst des Paulus zu charakterisieren, ist es freilich fraglich, ob es beiden Texten der Sache nach um einen „replacement covenant for one previously given and broken“204 geht. Beide beziehen sich jedoch gleichermaßen auf den Sinaibund. Da der Begriff des „neuen Bundes“ in der Korintherkorrespondenz vorausgesetzt werden kann (1 Kor 11,25) und keine Bezugnahme markiert ist, ließe sich erwägen, ob die Berührung mit Jeremia an dieser Stelle nur flüchtig oder beiläufig ist. Dafür ließe sich anführen, dass auch in Qumran der Topos vom „neuen Bund“ einen fes203 Robert Hayward übersetzt TJon zu Jer 31,20c: „For at the time when I put the words of my Law upon his heart to do them, I surely remember to do good to him again“ (‫ארי‬ ֵ ‫דכר‬ ָ ‫ְל ַמ ֲע ַבדהֹון ִמ‬ ‫יט ָבא ֵליה עֹוד‬ ָ ‫יתי ַעל ִל ֵביה ְד ִכירנָ א ְל ֵא‬ ִ ‫אֹור‬ ָ ‫מׁשוֵ י ִפתגָ ֵמי‬ ַ ‫זמן ִד‬ ַ ‫)ב‬. ִ Eine entsprechende Bemerkung fehlt in MT und LXX. 204 Stockhausen 1989, 102. Inwiefern dieser „Ersatzbund“ den vorangegangenen Bund tatsächlich ersetzt, sei hier dahingestellt.

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

ten Platz im Selbstverständnis hatte, dort jedoch niemals ausdrücklich auf Jeremia zurückgeführt wird und recht deutlich ein Eigenleben gewonnen hat.205 Es könnte sich demnach um ein im zeitgenössischen Kontext beliebtes Motiv handeln, das sich weitgehend von seinem biblischen Ursprung emanzipiert hat und je nach Gemeinschaft unterschiedlich gefüllt wird.206 Dagegen spricht jedoch die parallele Weise, in der beide Texte den Gegensatz von Sinaibund und neuem Bund zeichnen. Der neue Bund ist ewig (Jer 39,40 LXX), wohingegen der Sinaibund dadurch gebrochen wurde, dass die Väter nicht in ihm blieben (Jer 38,32 LXX: οὐκ ἐνέμειναν ἐν τῇ διαθήκῃ μου).207 Entsprechend kann 2 Kor 3,11 den Dienst des neuen Bundes insgesamt als τὸ μένον bezeichnen. Auch im weiteren Verlauf des Kapitels fällt die Verarbeitung paralleler Motive auf. Wie es für Jeremia Teil des neuen Bundes ist, Gottes Gesetz in den Verstand (διάνοια) gegeben zu bekommen, konstatiert 2 Kor  3,14 dort eine Verhärtung. Wo es für Jeremia das Problem von Israels Ungehorsam löst, dass Gott beginnt, die Israeliten unmittelbar zu berühren, wird nach 2 Kor 3,14–18 die Verstockung zusammen mit dem Hindernis aufgehoben, das den unmittelbaren Kontakt zur göttlichen Herrlichkeit verhindert. Noch dazu handelt es sich in beiden Fällen um eine Emanzipation vom Geschick vorangegangener Generationen. Das Ineinander menschlicher und göttlicher Aktivität ist hier wie dort nicht klar bestimmt.208 Wie auch Scott Hafemanns teils gegenläufige Vorschläge zum weitreichenden und umfassenden Einfluss der Exodustradition auf den paulinischen Gedankengang werden diese Übereinstimmungen mit Jeremia für den Lektüreschritt der Reintegration ausgewertet und weiter geprüft werden müssen. Unbeschadet dessen legt sich angesichts des Befundes insgesamt eine intendierte Bezugnahme auf Jer 38,31–34 LXX nahe, wobei vieles auf eine detaillierte Auseinandersetzung mit diesem Text hindeutet. Ezechiel Der zweite weithin anerkannte Verbund prophetischer Bezugstexte für 2 Kor  3,3 umfasst Ez  11,19; 36,26 und mitunter auch 37,14.209 Ez  11,19 und 36,26 stehen in einem je ähnlichen Gedankengang und entsprechen sich fast wörtlich. Wie auch schon in Jer 38 verheißt der Zusammenhang beider Texte die entscheidende Wende im Geschick des Volkes Israel vom Unheil ins Heil. Das Volk werde aus den Völkern gesammelt und im eigenen Land wieder zusammengeführt (Ez 11,17; 36,24), wo es zur reinen Gottesverehrung zurückkehre bzw. von Gott gereinigt werde (Ez 11,18;

Vgl. Stockhausen 1989, 44. Vgl. insb. 1QH 4. Zur unterschiedlichen Verwendung des Motivs in Qumran, im frühen Christentum und zu seiner nachweislichen Verbreitung vgl. Levin 1985, 266, mit Anm. 2. 207 Vgl. Stockhausen 1989, 121. 208 Vgl. Stockhausen 1989, 102–108; zum letzten Punkt für Jeremia: Weippert 1979, 348–351. 209 Hays 2010, 32 f. erkennt einen Einfluss der Vorstellungswelt von Ez 36–37 auf Röm 8. 205 206

4.2 Die intertextuelle Erkundung

331

36,25). Die zentrale Verheißung eines neuen Herzens und Geistes berührt sich sprachlich vielfach mit 2 Kor 3,3: Ez 11,19 (36,26)

2 Kor 3,3

ἐγγεγραμμένη οὐ μέλανι ἀλλὰ καὶ δώσω αὐτοῖς (ὑμῖν) καρδίαν ἑτέραν (καινὴν) καὶ πνεῦμα καινὸν δώσω ἐν αὐτοῖς (ὑμῖν) πνεύματι θεοῦ ζῶντος, καὶ ἐκσπάσω (ἀφελῶ) τὴν καρδίαν τὴν λιθίνην οὐκ ἐν πλαξὶν λιθίναις ἐκ τῆς σαρκὸς αὐτῶν (ὑμῶν) καὶ δώσω αὐτοῖς (ὑμῖν) καρδίαν σαρκίνην ἀλλ᾽ ἐν πλαξὶν καρδίαις σαρκίναις

Ähnlich wie bei Jeremia versetzt dieser göttliche Eingriff in das Innere der Israeliten diese in die Lage, nach Gottes Geboten (δικαιώματα) zu leben. Ez 36,27 stellt dabei etwas stärker als seine Parallele die Gabe des Geistes heraus.210 Beide Abschnitte konstatieren das erneuerte gegenseitige Verhältnis von Gott und Volk, indem sie mit der Bundesformel schließen (Ez 11,20; 36,28; vgl. auch Jer 38,33 LXX). Die vielfältigen Berührungen mit Jer 38 LXX sind offensichtlich, und so verwundert es nicht, dass in 2 Kor  3,3 beide Traditionen ineinander verschränkt werden.211 Die verbindenden Motive sind das „Herz“ und der Gedanke der Erneuerung. Stockhausen geht davon aus, dass die durch Stichwortverbindungen zueinander in Beziehung gesetzten Verse Teil eines „scriptural pool“ waren, dessen Texte sich in der Praxis gegenseitig auslegten.212 Dass in Ez  11,19/36,26 das steinerne Herz für die tote Gottesbeziehung steht, erschließt, warum die steinernen Tafeln in 2 Kor  3,3 auf der negativen Seite des Vergleichs stehen. Zugleich erklärt sich die ungewohnte Formulierung von fleischernen/lebendigen Herzen. Dabei ist es durchaus denkbar, dass die prominente Rolle des Geistes von Ez her motiviert ist. Wird er dort den Israeliten gegeben, ist er hier zumindest Schreibmaterial, wobei der Vergleich von Geist und Tinte darauf schließen lässt, dass auch der Geist auf irgendeine Weise auf den Herzen als Beschreibstoff haften bleibt.213 Möchte man annehmen, dass auch die Vision von den Totengebeinen Ez  37 mit im Hintergrund von 2 Kor 3 steht, lässt sich diese Linie noch deutlicher aus-

210 Ez 36,27 fügt hinzu ‫ת־רּוחי ֶא ֵּתן ְּב ִק ְר ְּב ֶכם‬ ִ ‫וְ ֶא‬/καὶ τὸ πνεῦμά μου δώσω ἐν ὑμῖν und geht damit über 11,19 f. hinaus. Dazu Coxhead 2017, 79. 211 Für die Abhängigkeit schon auf der Ebene der Bezugstexte, nämlich der Vorstellungen bei Ezechiel von Jer 31, vgl. Koch 1991, 130, und Block 1989, 39: „But here Ezekiel again appears to have been influenced by Jeremiah. […] It would appear that at these points they are describing the same event. What Jeremiah attributes to the infusion of the divine Torah, Ezekiel ascribes to the infusion of the rwh. In both the result is the renewal of the covenant relationship.“ 212 Vgl. Stockhausen 1989, 59–64. 213 Vgl. auch Stockhausen 1989, 76.

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

ziehen.214 Auch dort geht es um die Wiederherstellung Israels zu einem neuen Gottesvolk. Wiederholt verheißt Gott den toten Gebeinen, die für das Volk in seiner Gottesferne stehen, seinen Geist, jeweils gefolgt von der Verheißung, dass sie leben und Gott wahrhaft erkennen würden (Ez  37,6: δώσω πνεῦμά μου εἰς ὑμᾶς καὶ ζήσεσθε καὶ γνώσεσθε ὅτι ἐγώ εἰμι κύριος). Die Verbindung von Geist und Leben ist auch in 2 Kor 3 auffällig (vgl. 3,3.6), wobei Geist und Leben freilich in nahezu allen Strömungen der biblischen Literatur eine stehende Verbindung eingegangen sind.215 Der Bezug zu Ez 37 ist also keineswegs zwingend und nur über das gemeinsame Thema gegeben.216 Die prophetische Tradition in der Zusammenschau Was 2 Kor  3,3 anbelangt, ist der Bezug auf Ez  11,19/36,26 damit noch deutlicher gegeben als der auf Jer 38,33 LXX. Während von dort nur ein Motiv entlehnt ist, prägen die Ezechieltexte stärker die Wortwahl und Bildwelt des Verses. Zwar enthalten beide Texte ähnliche Vorstellungen und beschreiben einen nahezu identischen Sachverhalt. Ausdrückliche Bundesterminologie und eine explizite Bezugnahme auf das Exodusgeschehen, wie sie sich bei Jeremia und in 2 Kor 3,6(.14) finden, fehlen jedoch wiederum in den fraglichen Passagen bei Ezechiel. In dieser Hinsicht lassen sich nicht im gleichen Maße Übereinstimmungen mit dem Gedankengang der Ezechieltexte feststellen, wie das für Jer 38 LXX der Fall ist. Unbeschadet dessen bleibt die Anspielung auf zwei Texte auffällig, die beide eine entscheidende Wende im Gottesverhältnis des Volkes Israel beschreiben, die auf Gottes erbarmendem Handeln an seinem Volk fußt und dessen desolate Situation nachhaltig aufhebt. Vor dem Hintergrund ihrer Annahme eines grundsätzlich offenen Verbundes sich gegenseitig auslegender Bibelworte sieht Stockhausen auch den weiteren Gedankengang des Kapitels maßgeblich von dieser Vorstellungswelt bestimmt. Das narrative Material ab 3,7 stamme zwar aus der Exodustradition, die dahinterstehenden Konzepte von unvergänglichem Bund, neuer Gerechtigkeit und lebenschaffendem Geist jedoch aus dem Verbund verschiedener Schriftworte zur Erneuerung des Gottesverhältnisses.217 So plausibel eine Beeinflussung an dieser Stelle scheint, warnt das Fehlen einer entsprechenden Markierung davor, voreilig 214 Zumal in Anbetracht der zuvorderst metaphorischen Bedeutung von Ez 37 (vgl. van der Kooij 2007a, 97 f., wobei sich metaphorische und wörtliche Deutung keineswegs gegenseitig ausschließen müssen, vgl. Sänger 2016, 61. Dazu Hays 2010, 33, vor dem Hintergrund von Röm 8: „Für Paulus jedoch ist das Bild nicht mehr nur eine Metapher“). Zur Verbindung von Ez 36 und Ez 37 auf der Ebene des Bezugstextes vgl. Block 1989, 39: „the entire unit (37:1–14) is an exposition of the notion introduced in 36:26–27“. 215 Vgl. nur Ez 1,20 f.; 10,17; Jes 38,12; 2 Makk 7,22 f.; Sap 15,1, natürlich Gen 2,7; 6,17 u.v.m. 216 Demgegenüber überzeugt Stockhausens Versuch, die Sentenz in 2 Kor 3,6 ganz von Ez 37 her erklären zu wollen, nicht. Ihr zufolge ist der eigentlich provokante Satz „Der Buchstabe tötet“, von Paulus ex negativo aus der Verbindung von Geist und Leben geschlossen. Vgl. Stockhausen 1989, 78 f. 217 Vgl. Stockhausen 1989, 113.117.

4.2 Die intertextuelle Erkundung

333

andere Einflüsse auszuschließen. Die Stichwortverbindungen der Matrix Ex 34,1–4; 27–35; 36,21; Jer 38,39; Dtn 29,4; Jes 6,10; 29,10–12; Ez 11,19; 36,26; 37,6, wie Stockhausen sie beobachtet, sind keineswegs in Abrede zu stellen. Zunächst ist damit jedoch nur die biblische Färbung des paulinischen Gedankengangs erwiesen, nicht jedoch die intendierte Verarbeitung dieser Vorstellungen. Es fällt jedoch auf, dass die prophetischen Bezüge, dort wo sie greifbar werden, eng mit einer Mose-ExodusAnspielung verbunden sind.218 4.2.3.4 Auslegungsstrukturen und -methoden in der Verknüpfung der Bezugstexte und Texttraditionen Zwei exegetische Schlagworte, die in der Literatur zu 2 Kor 3,7–18 immer wieder begegnen, sind „Midrasch“ und „Pescher“. Als Beschreibungsbegriff zielt „Midrasch“ dabei im Wesentlichen auf die als weitgehend eigenständig empfundene, kreative Auslegung einer längeren Schriftpassage. „Pescher“ soll hingegen ihre aktualisierende Anverwandlung beschreiben. So glücklich die Schriftauslegung in 2 Kor 3,7–18 in ihrem konzentrierten und aktualisierenden Charakter damit getroffen ist, so unglücklich ist jedoch die Beschreibungssprache gewählt. Während „Midrasch“ als Bezeichnung für 2 Kor 3,7–18 nicht nur unscharf, sondern auch anachronistisch ist und mit der Tendenz einhergeht, die Eigenständigkeit des Abschnitts überzubetonen, fehlen der Passage wesentliche Merkmale, die die Gattung „Pescher“, wie sie aus Qumran bekannt ist, definieren. So sind die Anführungen des Bibeltextes gerade nicht durch eine sprachliche Formel gekennzeichnet und damit von ihrer Auslegung abgehoben. Als Antwort auf die Frage nach dem organisierenden exegetischen Prinzip, das die Bezugstexte miteinander verbindet und ordnet, scheiden beide Begriffe somit aus. Als aufschlussreicher erweist sich ein anderer Begriff der rabbinischen Exegese, der von verschiedenen Seiten an den Text herangetragen wurde: gezerah shavah (‫)גזירה שוה‬. Gezerah shavah findet sich als Auslegungsprinzip in den Regeln des Hillel und Ishmael219 und besagt im Kern, dass Texte, die gleiche Ausdrücke ver218 So resümiert Koch 1986, 17 Anm. 28: „Das Bild von den καρδίαι σάρκιναι als πλάκες ist völlig unanschaulich und bleibt – falls nicht zuvor der Anspielungscharakter von πλάκες λίθιναι erkannt ist – rätselhaft. Die Gegenüberstellung von ἐν πλαξὶν λιθίναις und ἐν πλαξὶν καρδίαις σαρκίναις ist nicht in Ez 11,19; 36,26 und erst recht nicht in Jer 31 (LXX: 38), 33 vorgegeben.“ Grundsätzlich ist es denkbar, dass aus anderen biblischen Texten entlehnte Vorstellungen hier eine Brückenfunktion einnehmen. Die Formulierung „Tafeln des Herzens“ begegnet schließlich auch in Spr 7,3 – dort jedoch griechisch ἐπὶ τὸ πλάτος τῆς καρδίας –, in Spr 3,3 MT und immerhin in Jer 17,1 MT. Ertragreicher scheint es jedoch, nach dem inhaltlichen Anstoß zur Verbindung der verschiedenen Traditionen zu fragen. Vgl. ferner die überzeugende Argumentation bei Koch 1986, 336, warum nicht das Jesajawort Jes 25,7 hinter dem „Wandern“ der Decke in 2 Kor 3,13–15 stehen kann. 219 Gleiches gilt für die rabbinische Form des Schlusses a fortiori, qal wahomer, auf dem 3,7–11 beruhen. Da es sich dabei jedoch weniger um ein exegetisches Verfahren als um einen gemeinlogischen Schluss handelt, wie Koch 1986, 223, bemerkt, bleibt diese Regel hier außen vor.

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

wenden, einander erklären können. Gewissermaßen ist auch diese Bezeichnung für Paulus anachronistisch, zumal die Regel gezerah shavah in der rabbinischen Anwendungspraxis sehr viel spezifischer verstanden wurde, als es landläufig der Fall ist.220 Gerade im haggadischen Bereich werden diese Regeln jedoch auch im rabbinischen Schrifttum freier gehandhabt.221 Im Sinne einer „Proto-gezerah-shava“, wie sie etwa auch in Qumran begegnet,222 lässt sich ein solches begriffliches Analogiedenken jedoch durchaus bei Paulus beobachten.223 In diesem Sinne ist der Begriff bereits für die Interaktion der prophetischen Texte in 3,2–3 in Anschlag gebracht worden, etwa wenn Stockhausen hinter dem Gedankengang von 3,1–4,6 einen „scriptural pool“ von Bibelworten ausmacht.224 Die Auswertung eines solchen Befundes ist freilich von einer Fülle weiterer Vorentscheidungen abhängig. Für sich genommen lässt sich aus ihm nicht ableiten, ob entsprechende Textverbindungen traditionell vorlagen, oder ob Paulus selbst sie assoziativ gebildet hat.225 Ebenso wenig lässt sich notwendigerweise vom formal verbindenden Element auf das sinntragende Element schließen. So besteht Stockhausen nachdrücklich darauf, dass das verbindende Element der Bezugstexte in 3,1– 6 die Vorstellung des Schreibens ist. Zweifellos sind diese Texte durch verschiedene Formen von γράφω miteinander verbunden.226 Das besagt jedoch nicht, dass damit die entscheidende Aussage der Verse getroffen wäre und es Paulus vorrangig um den Aspekt des Schreibens, etwa von Empfehlungsbriefen, ginge. Zu formalen sprachlichen und lexikalischen Übereinstimmungen zwischen markierten Bezugstexten und weiteren Texten, die im Hintergrund stehen mögen, kommen motivische Parallelen, die mit den sprachlichen Übereinstimmungen nur teilweise überlappen. Die Mittlerschaft des Mose und seine Begegnung mit Gott und die Vorstellung der δόξα und ihres Glanzes begegnen in verschiedenen angespielten Texten der Mose-Exodus-Tradition. Bund, Bundesbruch und Bundeserneuerung verbinden die prophetischen Bezugstexte mit dem Erzählzusammenhang von Ex 34,29–35. Nicht aus intertextueller, aber aus historischer Perspektive ist anzuführen, dass die Verbindung zwischen Jer 31 (38),32–39 und 32 (39), 40–41 und Ex 34,27–35 auch anderweitig als so eng empfunden wurde, dass sie sich im antiken palästinischen Lesezirkel niedergeschlagen hat. Stockhausen verweist darauf, dass

Vgl. Basta 2011. Ferner maßgeblich Avemarie 2015. Basta 2011, 132–134, verdeutlicht dies am Beispiel der Verbindung von Dtn 2,25 und Joel 3,7 in bTaan 20a. 222 Basta verweist auf Slomovic 1979. 223 Treffender als gezerah shavah ist womöglich Bastas Bezeichnung „analogical logic“ (Basta 2011, 129 u. ö.). 224 Zur Kritik vgl. etwa Gruber 1998, 241–243. 225 Ersteres vermutet Stockhausen, letzteres dürfte in einer mündlich geprägten Kultur jedoch auch nicht überraschen, möchte man davon ausgehen, dass Paulus bedeutende Teile der Schrift auswendig verinnerlicht hatte. 226 Vgl. Stockhausen 1989, 72 f. 220 221

4.2 Die intertextuelle Erkundung

335

beide Texte einander als Tora und Haftara zugeordnet sind.227 Die Datierung dieser Tradition bleibt jedoch umstritten.228 Ausgehend von einzelnen erklärungsbedürftigen Elementen des Brieftextes lassen sich zudem weitere sprachlich-motivisch verbundene Textcluster rekonstruieren, die wiederum Licht auf den paulinischen Gedankengang zu werfen versprechen. Methodisch liegt die Gefahr dabei jedoch in der selbstverstärkenden Zirkularität des Schlusses. Das gilt bereits für lexikalische, umso mehr für motivische Übereinstimmungen. Die Gefahr ist groß, mit einem Textbezug auch vermeintliche oder tatsächliche theologische Aussagen des Bezugstextes für den paulinischen Gedankengang zu reklamieren, die diesen Bezug dann wiederum stärken und so mitunter eine Spur zu weiteren Bezugstexten legen. Je nachdem, wo man den Einstiegspunkt für die Rekonstruktion unklar markierter Bezugstexte wählt, wird die gesamte Passage so etwa mehr von den prophetischen Texten229 oder vom Erzählzusammenhang der Exodustexte gelesen.230 Beide Textgruppen führen zu den jeweils anderen, färben die jeweils weitere Lektüre dabei jedoch spezifisch. Weitergehende Schlüsse lassen sich daher erst nach einer Analyse des Brieftextes unter weitgehender Absehung von unklaren Schriftbezügen ziehen. Demnach lässt sich an dieser Stelle der Untersuchung lediglich formal festhalten, dass Paulus auf eine Vielzahl biblischer Texte und Traditionen anspielt, die in ihrer Deutung vielfach miteinander interagieren. Die kommentarartige „secondary exegesis“ in 3,7–18 antwortet dabei auf Motive aus einem prophetischen Verbund von Texten. Inwiefern es sich bei diesen tatsächlich um die Lemmata einer „primary exegesis“ handelt, deren Auslegung durch die Auslegung von Ex 34,29–35 theologisch oder rhetorisch amplifiziert wird, und inwiefern diese ihrerseits in intendierte Anspielungen auf die Mose-Exodus-Tradition eingebunden sind, wird sich zeigen müssen. Hinzu kommt eine dritte, schwer fassbare exegetische Ebene. Es scheint, als wäre zumindest die Auslegung von Ex 34,33–35 von weiteren biblischen Traditionen bestimmt, die sich an der Halsstarrigkeit Israels bzw. dem Gerichtsspruch Dtn 29,3 festmachen lassen. Welche Texte dort wie miteinander interagieren, lässt sich nur schemenhaft rekonstruieren und auch das erst vom Ende dieser Untersuchung her. 4.2.3.5 Zusammenfassung und Ausblick auf den Lektüreschritt der Reintegration Betrachtet man dieses Ergebnis im Lichte der Leitfragen, wird deutlich, dass Ex 34,29–35 den Gedankengang von 2 Kor 3 erkennbar strukturiert und dass dies auch auf der Textoberfläche markiert ist. Deutliche Intertextualitäts- und durchsichVgl. Stockhausen 1989, 108. Stockhausen 1989, 108, unter Berufung auf Mann 1971, 530. Vgl. dazu Cover 2015, 250 f., mit einer kurzen Diskussion der relevanten Literatur in Anm. 42. Er verweist darauf, dass nach aktuellem Kenntnisstand Jer 31,33–39 als Haftara Ex 34,27–35 zugeordnet war. 229 So bspw. Stockhausen 1993. 230 So etwa Hafemann 1995. 227 228

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

tige Prätextsignale finden sich innerhalb von Kapitel 3 nur im Verweis auf diesen Abschnitt. Dabei lässt sich der Gedankengang von der Struktur des Prätextes leiten. Letzteres ist weniger deutlich, aber noch immer sichtbar markiert. Die Schlagworte δόξα und κάλυμμα markieren einen Dialog mit der Vorlage, in dem sukzessive Ex 34,29 f., dann Ex 34,33–35 bearbeitet werden. „This literary structure follows that of Exodus 34 itself, in which Moses’ glory is predominant in verses 29–30, while his veil is of greater importance in verses 33–35.“231 Nicht nur der Gedankengang orientiert sich damit am Prätext, sondern bis zu einem gewissen Grade auch die Ausdrucksweise und Bildwelt, wie insbesondere in 3,14–18 deutlich wird. Ein ähnlich starker Einfluss eines Schriftwortes auf die Wortwahl der angrenzenden Verse ist auch beim einzigen weiteren klar als Schriftbezug ausgewiesenen Vers 2 Kor 4,6 zu beobachten. Die Abschnitte 3,7–11 und 3,12–18 folgen dabei grob einem gemeinsamen Grundmuster. Eingeleitet durch eine intertextuell deutlich verortete Paraphrase (3,7), teils mit starken wörtlichen Übereinstimmungen mit dem Bezugstext (3,13), schreiten sie fort zur Anwendung des Bezugstextes auf eine für die Gegenwart virulente Frage. Dort wird der Bezugstext auf unterschiedliche Weise wörtlich, jedoch ohne deutliche Markierung aufgenommen (3,10.16). Insbesondere in 3,12–18 lässt sich beobachten, wie der Gedankengang auch im Detail sukzessive dem Prätext folgt. Damit gilt: „the argument throughout this exegetical excursus […] does not stem solely from Paul’s free theological will, but is also predetermined by the sequence of Exod 34:29–35“232. Insgesamt wird hier deutlich, dass dem Prätext eine textstrukturierende Funktion zukommt, die das theologische Denken des Paulus leitet. Bis zu welchem Grad die Gedankenwelt des Bezugstextes in seinem literarischen Zusammenhang den paulinischen Gedankengang leitet, bleibt festzustellen. Dieser Befund führt unmittelbar zur Frage, inwiefern der biblische Text das theologische Anliegen bestimmt, oder ob ihm nicht doch ein spezifisches Aussageinteresse vorgeordnet ist. Eine Möglichkeit, sich einer Antwort zu nähern, ist die Untersuchung von Unterschieden und Abweichungen vom überlieferten LXX-Text in der jeweiligen Bezugnahme. Dort, wo solche Unterschiede festgestellt werden können, sind sie teils anhand anderer bekannter Traditionen (z. B. 3,7 μὴ δύνασθαι ἀτενίσαι), teils vom hebräischen Text her erklärbar (z. B. 3,7 τοὺς υἱοὺς Ἰσραὴλ). Ohnehin ist deutlich geworden, wie stark die hier begegnende Exodusdeutung andere Auslegungstraditionen voraussetzt oder mit ihnen interagiert. Das gilt nicht nur für die Unfähigkeit der Israeliten, Mose fest ins Gesicht zu blicken, sondern auch für die prophetische Einbindung der Bundesvorstellung, Vorstellungen von der Verstockung Israels oder der Spiegelschau in 3,18. Dass die Mehrzahl dieser Vorstellungen durch Philo auch im alexandrinischen Raum belegt sind, ist im Hinblick

231 232

Stockhausen 1989, 97. Cover 2015, 89.

4.2 Die intertextuelle Erkundung

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auf die Rolle des Apollos in Korinth bemerkenswert.233 Insgesamt findet sich kein sicherer Beleg für den Einfluss der hebräischsprachigen Tradition auf die Passage. Auch wenn verschiedene Indizien darauf hindeuten, ließen sich die meisten dieser Abweichungen gleichermaßen durch den Einfluss einer hebräischen Textvorlage, einer hypothetischen hebraisierenden, griechischen Übersetzung oder als bewusste Änderungen von Seiten des Paulus erklären, die seinem Aussageinteresse dienen sollen. Weder von der Tradition noch von der hebräischen Textfassung her auf befriedigende Weise zu entscheiden ist die zentrale Frage nach einem etwaigen Ende des Glanzes (3,7.11.13 f.). Ihr kommt von daher eine Schlüsselfunktion in der weiteren Untersuchung der Passage zu. Die Frage nach intendierten Eingriffen in den Prätext ist schwerer zu beantworten, sobald Bezüge auf andere Texte als Ex 34,29–35 in den Blick kommen, und zwar schlicht deshalb, weil eine Vielzahl plausibel wirkender Vorschläge gemacht wurde, etwaige Bezüge aber sehr viel weniger deutlich markiert sind. Alles in allem scheint gerade der schwach, wenn nicht gar unmarkierte Bezug typisch für die intertextuelle Strategie des Kapitels zu sein. Stärker als die Deutlichkeit einzelner Bezüge ist es so das Gewebe verschiedener Bezugnahmen auf motivisch verwandte Texte, die die Passage als intertextuell dicht ausweist. So kann für viele mögliche Bezugnahmen auf Texte und Traditionen der Sinai- wie auch der weiteren Mose-Exodus-Tradition an dieser Stelle noch nicht entschieden werden, ob und wenn ja in welchem Maße ihnen eine Funktion im Gedankengang zukommt. Nicht zu bestreiten ist der Bezug auf die Steintafeln vom Sinai (ab 3,3), der das Feld möglicher Bezugstexte weit öffnet. Auch hier deutet vieles darauf hin, dass im Hintergrund der Adaption mehr der mitunter hebräisch beeinflusste Exodustext steht als z. B. die Paralleltexte in Dtn. Unanfechtbar ist aber auch diese Beobachtung nicht. Eine intime Textkenntnis auf Seiten des Autors, die auch hier den Gedankengang des Kapitels leitet, ist denkbar, aber nicht unabdingbar. Deutliche Bezüge auf spezifische Texte finden sich einzig noch auf Jer 38,31–34 LXX (3,3.6[.11.14]) und Ez 11,19/36,26 (3,3). Beachtenswert ist der gemeinsame Motivkomplex von Bundesvorstellung, Mittlerschaft des Mose und problematischer Gottesunmittelbarkeit, der sowohl prominent in den genannten prophetischen Texten wie auch im Zusammenhang der Sinaitradition begegnet. Dass Paulus den Exodustext nicht einseitig durch die Brille der prophetischen Tradition liest, zeigt nicht zuletzt seine Ausdrucksweise. So spricht er eben nicht vom οἶκος Ισραηλ oder von λαός, sondern bleibt beim υἱοὶ Ισραηλ der betreffenden Exoduspassage. Dennoch ist deutlich, dass hier die Exodustradition nicht isoliert gelesen, sondern zugespitzt vor allem auf das Bundesmotiv im Fortgang ihrer biblischen wie nachbiblischen Auslegung wahrgenommen und rezipiert wird. An dieser Stelle lässt sich eine für das Gesamtkapitel typische Strategie intertextueller Markierung beobachten: ein Muster zunehmend deutlicher Markierung, 233

Dieser Spur sind zuletzt Cover 2015 und Wilk 2017 gefolgt.

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das im expliziten Signal 3,7 gipfelt. Ähnliches lässt sich weniger elaboriert für insgesamt schwächer markierte Bezugnahmen wie in 3,5 vermuten. Hier kommt den intertextuellen Bezügen zumindest eine leserlenkende Funktion zu. Sie bahnen für den bibelkundigen Leser den jeweils nächsten Schritt des Gedankengangs an, ehe er explizit ausgedrückt wird. Dort, wo dies zu beobachten ist, wird der Gedankengang gestützt durch eine Linie vorausgreifender Plausibilisierung. Noch einmal am Beispiel von 3,3: Die Dissonanz der Vergleichsgröße „Steintafeln“ zum Bildspender „Empfehlungsbrief “ stößt einen gedanklichen Transfer an. Beginnt der Vers mit Tinte als für einen Brief plausiblem Schreibmittel, setzt er ihr den Geist des lebendigen Gottes gegenüber. Vom Gedanken einer Schreibaktivität Gottes aber ist es für den Bibelkundigen nur noch ein kleiner Schritt zu den Steintafeln vom Sinai. Die Steigerung hin zu Tafeln lebendiger Herzen als Beschreibstoff ist schließlich der äußerste Punkt in der Fluchtlinie der Gedankenbewegung und vorbereitet durch den inneren Zusammenhang von Steintafeln und Gesetz, wie er in Ez 11,19; 36,26 und Jer 38,33 LXX begegnet, allesamt Texte, die vom Eingreifen Gottes berichten, der einen alles überbietenden neuen Bund aufrichtet, indem er unmittelbar am menschlichen Herzen wirkt, dieses beschreibt bzw. erneuert. Dem Leser, der diesem Gedankengang folgen kann, ist somit klar, dass Paulus die Existenz der korinthischen Gemeinde und seinen Anteil an ihrem Zustandekommen in diesem Lichte verstanden wissen will. Auch wird ihn der Nachdruck nicht mehr verwundern, mit dem Paulus seine Befähigung zum Dienst allein auf Gott zurückführt (3,5). Das Konzept des neuen Bundes (3,6), und zwar konturiert im Gegenüber Dienst des Mose (ab 3,7), wirkt nicht länger willkürlich, sondern folgerichtig. Schon hier ist also eine zumindest zweifache Funktion der intertextuellen Bezüge festzuhalten, zum einen eine inhaltlich-theologische, zum anderen eine rhetorischkommunikative.234 Überdies wirft die insgesamt doch sehr subtile Markierung biblischer Bezüge Fragen hinsichtlich ihres Stellenwertes für den Gedankengang wie auch hinsichtlich der Leserkompetenz auf. Beide Fragen fordern eine pragmatische und argumentative Analyse des Textes. Ist erst einmal sein Grundanliegen erhoben und der Gedankengang skizziert, können die strittigen Bezüge daraufhin geprüft werden, ob und wenn ja, wie sie die Textaussage fördern. und für den Gedankengang notwendig sind. Von einer solchen Untersuchung her dürfte auch weiteres Licht auf den inneren Zusammenhang der verschiedenen rezipierten Textgruppen fallen. Die dann im Rückschluss ermittelte kohärenteste Lesart muss als Grundlage dienen, den impliziten Autor, wie auch den impliziten Leser und damit das Bild, das Paulus von seiner Gemeinde hatte, zu ermitteln.

234 Damit treffen sich unter diesem Blickwinkel auch mindestens zwei der von Christopher Stanley aufgezeigten möglichen Untersuchungsdimensionen paulinischen Schriftgebrauchs (vgl. Stanley 2008, 8).

4.3 Gedankliche Kartierung

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4.3 Gedankliche Kartierung: Thematisch-strukturelle Analyse Um die gesammelten intertextuellen Bezüge im Gedankengang verorten und beurteilen zu können, bedarf es also einer gedanklichen „Karte“ des Textes. Diese Karte entsteht in zwei Schritten: Zunächst sammelt die thematisch-strukturelle Analyse Anhaltspunkte zu Thema und Gliederung des Textes. Dabei berücksichtigt sie sowohl formale als auch inhaltliche Kriterien. Betrachtet werden das inhaltliche Gefälle zwischen den einleitenden und abschließenden Versen des Textes (‎4.3.1), die aufgerufenen Akteure (‎4.3.2), wiederkehrende Begriffe und ihre Semantik (‎4.3.3), stilistische Merkmale (‎4.3.4) und gliedernde Sprachsignale (‎4.3.5). Auf dieser Grundlage versucht sodann die rhetorisch-argumentationslogische Analyse, den Gedankengang und die rhetorische Pragmatik des Textes zu rekonstruieren (4.4). 4.3.1 Thema und Funktion 4.3.1.1 Vergleich von 2,14–16a und 4,5 f. Eine erste Einschätzung des Textthemas ergibt sich aus dem Vergleich der Textränder miteinander. Betrachtet man 2,14–4,6 als Einheit, bedeutet dies einen Vergleich der vielfach untergliederten Periode 2,14–16a zur Eröffnung und der Verse 4,5 f. zum Abschluss des Textabschnittes. 2,14–16a hat die Gestalt eines Dankspruches, wie er verschiedentlich bei Paulus begegnet.235 Gott als Objekt des Dankes steht betont voran, gefolgt von zwei Partizipien, die sein Handeln an und mit Paulus beschreiben: Gott führe ihn in Christus im Triumphzug umher und mache allerorten den „Duft seiner Erkenntnis“ durch ihn offenbar. Dieser Sachverhalt wird in 2,15 damit begründet, dass Paulus für Gott Christi Wohlgeruch sei, und in 2,15 f. dahingehend weiter spezifiziert, dass dieser Geruch um jene sei, die gerettet werden, wie auch um jene, die verloren gehen; den einen als Lebensgeruch zum Leben, den anderen als Todesgeruch zum Tode. Die den Satz bestimmende Metapher ist folglich die von Paulus als einem erkenntnisstiftenden Offenbarungsduft, eingebettet in die Szene eines Triumphzugs.236 Wie die Satzumstellung von 2,14 deutlich macht, die das Objekt des Dankes betont voranstellt, liegt der inhaltliche Akzent bei all dem auf Gott als Urheber dieses Geschehens.237 235 Vgl. Röm 6,17 f.; 7,25; 1 Kor 15,57; 2 Kor 8,16 f.; 9,15, sowie Kuschnerus 2002, 101; Oliveira 1990, 27, und insgesamt Thrall 1982. 236 Zum Bild des Triumphzugs und seinem Zusammenhang mit dem Bild vom Duft vgl. unten 4.4.1.3. 237 Vgl. Oliveira 1990, 19, und Schmeller 2010, 154. In dieser Form begegnet die Dankesformel bei Paulus noch in 1 Kor 15,57. Auch dort ist der Perspektivwechsel betont, der Gottes Handeln in Christus in den Blick nimmt. Beispiele für die gängigere Reihenfolge χάρις τῷ θεω bieten Röm 6,17; 7,25; 2 Kor 8,16; 9,15.

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Zu diesem Gedanken zeigen 4,5 f. eine deutliche Verwandtschaft, wenn die Verse sich auch der Form nach abheben. Dort beschreibt Paulus sein Verkündigungshandeln, bestimmt einerseits sein Verhältnis zu Christus als Inhalt seiner Verkündigung, andererseits sein Verhältnis zu den Adressaten als Empfängern seiner Verkündigung und führt als dessen abschließende Begründung Gottes Handeln an ihm an. Nicht Paulus selbst stehe im Mittelpunkt seiner Verkündigung, sondern Christus als Herr. Paulus sei den Adressaten gegenüber vielmehr ein Sklave. Denn in Übereinstimmung mit seinem Wort habe Gott es auch in Paulus Herzen aufstrahlen lassen, damit die Erkenntnis aufleuchte, dass Christus Gottes Herrlichkeit auf seinem Angesicht trägt.238 Wie schon in 2,14–16a bietet Paulus dichte metaphorische Sprache, bemüht allerdings eine andere Grundmetapher. Was in 2,14–16a „mit dem Bild des Duftes ausgedrückt ist, wird in 4,6 mit dem vom aufleuchtenden Lichtglanz beschrieben“239. Beiden Bildern gemein ist der durch sie repräsentierte Sachverhalt: Gott wirkt an Paulus mit dem Ziel, dass durch Paulus Erkenntnis verbreitet wird. So findet sich das Schlagwort Erkenntnis (γνῶσις) gleichermaßen in 2,14 wie auch in 4,6. Handelt es sich dort um den Duft der Erkenntnis (τὴν ὀσμὴν τῆς γνώσεως), den Gott durch Paulus offenbart, soll die Erkenntnis hier aufleuchten (πρὸς φωτισμὸν τῆς γνώσεως). In beiden Fällen ist die Erkenntnis überdies an die Person Christi gebunden, als Erkenntnisduft Christi240 bzw. als Erkenntnis über Gottes Herrlichkeitsglanz auf Christi Angesicht. Paulus ist weder im eigentlichen Sinne Subjekt noch Inhalt der Verkündigung. Er hat ganz dienende Funktion. Dass Paulus der Sache nach auf seinen Ausgangspunkt zurückkommt, ihn nur in andere Sprache kleidet und in einigen Details anders akzentuiert und präziser formuliert, lässt darauf schließen, dass eben dieser Sachverhalt im dazwischenliegenden Text begründend verhandelt wird. Textthema ist demnach Gottes Handeln an Paulus, das ihn in die Lage versetzt, einen ganz auf Christus hin ausgerichteten Erkenntnisdienst (bzw. weniger missverständlich: Offenbarungsdienst) auszuüben. Von besonderem Interesse für die weitere Analyse ist die Frage, wie die Elemente im Text aufgegriffen oder eingeführt werden, bei denen sich keine Entsprechung zwischen 2,14–16a und 4,6 findet: auf Seiten der Texteröffnung das Bild vom Triumphzug241 und der universale Wirkungskreis des Paulus, auf Seiten des Textabschlusses v. a. die Rede von Herrlichkeit (δόξα) und Angesicht (πρόσωπον). Dass beide Begriffe im gleichen Vers, 3,7, erstmalig begegnen, zeigt einen ersten Einschnitt für eine vorläufige Gliederung an. 238 Für die exegetischen Entscheidungen, die dieser Paraphrase zugrunde liegen s. u. 4.4.6.5. Für das Argument machen diese hier jedoch keinen Unterschied. Zur unklaren Herkunft des begründenden Gotteswortes s. o. 4.2.2.8. 239 Lang 1986, 266. 240 Zum Bezug des Personalpronomens αὐτοῦ in 2,14 s. u. 4.4.1.3. 241 Womöglich findet das Bild vom Triumphzug zudem eine gewisse Entsprechung in Paulus Selbstbezeichnung als Sklave. Zur Verortung des Paulus im Triumphzug Gottes s. u. 4.4.1.3.

4.3 Gedankliche Kartierung

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4.3.1.2 Ort im Argumentationszusammenhang Der Vorschlag, „Gottes Handeln an Paulus, das ihn in die Lage versetzt, einen ganz auf Christus hin ausgerichteten Offenbarungsdienst auszuüben“ als das Thema des Abschnitts zu begreifen, harmoniert mit den oben aufgestellten Überlegungen zur Stellung von 2,14–4,6 im Argumentationszusammenhang (s. o. ‎4.1.1). Erstens lassen sich die begrifflichen Überschneidungen zwischen 2,14–4,6 und anderen prominenten Passagen des Briefes diesem Thema zuordnen. Zweitens ist eine grundlegende Beschreibung der eigenen Verkündigungstätigkeit ein sinnvoller erster Schritt in einem positiven Entwurf des paulinischen Dienstes, wie ihn die Apologie bietet. Beides spricht für die paulinische Verkündigungstätigkeit als Thema des Textes. Dass dabei die Betonung auf Gottes befähigendem Handeln und der Ausrichtung auf Christus liegt, passt drittens zum Tenor, der im Proömium und in der propositio des Briefes Ausdruck findet: Im Horizont des göttlichen Handelns haben Paulus und die Korinther Grund zu gegenseitigem Rühmen, ist angemessenes Rühmen für Paulus doch stets in Gott ge- und durch Christus begründet und hat seinen Anlass häufig in der Missionstätigkeit.242 Dass das Ruhmesmotiv im weiteren Briefverlauf wiederholt mit zentralen Begriffen der Passage konvergiert, erhärtet diese Vermutung. Ruhm und Rühmen können offenbar als Selbstempfehlung missverstanden werden (5,12; vgl. 3,1; 4,2) und stehen in einem Zusammenhang mit Freimut (παρρησία; 7,4; vgl. 3,12) und wahrhaftiger Verkündigung (ἐν ἀληθεία λαλέω; 7,14; vgl. 4,2). 2,14–4,6 will die Adressaten demnach zur Erkenntnis führen, inwiefern die Verkündigungstätigkeit des Paulus als Grundlage des gegenseitigen Rühmens, auf das der Brief insgesamt abzielt, qualifiziert ist: Sie hat ihren Ursprung in Gott. Sie ist Anlass zu Freimut und Zuversicht auf Seiten des Paulus und begründet so mutmaßlich seinen Anspruch, die Korinther im weiteren Briefverlauf beständig zu „ermahnen“. Auch sein Lebenswandel entspricht ihr. In diesem Lichte sind jene Stellen, an denen zentrale Begriffe und Motive des Briefzusammenhangs eingeführt oder erstmals wieder aufgegriffen werden, von besonderem strukturellen Interesse: 2,17 (Lauterkeit), 3,1 (Selbstempfehlung, Gegenüber zu den Adressaten), 3,3 (Geist), 3,4 (Vertrauen), 3,7 (Dienst), 3,12 (Freimut), 4,1 f. (Gewissen). 4.3.2 Erhebung der Akteure 4.3.2.1 Die vorherrschenden Personenkonstellationen Das Textthema wird weiter konturiert durch eine Übersicht über die beteiligten Handlungsträger und Bezugsgruppen. Diese können in dreierlei Hinsicht erfasst 242 Vgl. 1 Kor 3,21; 2 Kor 1,8; 10,8.13 und Röm 5,2. Zur Frage des Rühmens bei Paulus vgl. Zmijewski 2011, 686–690; Wilk 2010.

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werden: Ausschlaggebende Bedeutung hat die Frage nach den Akteuren, sodann nach dem zeitlichen Rahmen ihres Handelns und nach der Bezugsgröße, an der die Handlung vollzogen wird: Wer handelt wann in Bezug auf wen? Signifikant für den Aufbau des Textes sind Veränderungen in der Gruppe der Handlungsträger und der Zeitmatrix. Die in den Eröffnungsversen 2,14–16b skizzierte Personenkonstellation bestimmt weite Teile des Textes. Paulus steht auf der einen Seite im Gegenüber zu Gott, der ihn zum Offenbarungsmittler macht (2,14.17; 3,5 f.; 4,1.6). Auf der anderen Seite stehen die Hörer der paulinischen Verkündigung als Offenbarungsempfänger, teils in der 3. Person (2,15 f.; 4,2), teils in direkter Anrede (3,2 f.; 4,5). Dieses ganze Geschehen ist auf Christus bezogen. Insbesondere ist die Beziehung des Paulus zu Gott durch Christus vermittelt (2,14.17; 3,4[.6]; 4,6), aber auch seine Verkündigung ist durch Christus bestimmt (2,14.17; 3,3; 4,2–6). Diese Konstellation wird vor allem dahingehend variiert, dass die Gruppe der Offenbarungsempfänger aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird. Werden sie vor dem universalen Horizont von 2,15 f. schlicht in jene unterteilt, die verloren gehen und jene, die gerettet werden, so kommen ab 3,1 die Korinther selbst in den Blick, ohne auf diese Unterscheidung Bezug zu nehmen. 4,1 f. weitet den Blick wieder und spricht von Paulus im Gegenüber zu allen Menschen, um die Perspektive in 4,3 f. schließlich auf die Gruppe der Ungläubigen zuzuspitzen, ehe 4,5 die Korinther wieder in den Blick nimmt. Mitunter drängen Opponenten ins Blickfeld. So erwähnt 2,17 im Vorbeigehen „die vielen“ anderen Prediger, die missbräuchlich mit Gottes Wort umgehen (οἱ πολλοὶ καπηλεύοντες τὸν λόγον τοῦ θεοῦ). Noch sehr viel unbestimmter grenzt Paulus sich in 3,1 von anderen ab (τινες), die auf Empfehlungsbriefe angewiesen sind. Gänzlich überraschend begegnet Satan als für die Verblendung der Ungläubigen verantwortlicher „Gott dieser Welt“ (ὁ θεὸς τοῦ αἰῶνος τούτου) in 4,4.243 Die Form, in der Paulus auf sich selbst Bezug nimmt, ist in diesen, aber auch allen anderen Unterabschnitten des Textes die 1. Person Plural. Genau genommen müsste also nicht von Paulus, sondern von einer Sprechergruppe die Rede sein, die Paulus miteinschließt. Die Rede in der 1. Person Plural ist eine vielbeachtete und umstrittene Eigenheit besonders des 2. Korintherbriefes. Grundsätzlich kann dieses Wir in dreierlei Weise aufgelöst werden, als exklusives „Wir des Pauluskreises“244, das Paulus und den im Präskript genannten Mitabsender Timotheus meint, als inklusives Wir, das den Adressatenkreis miteinschließt, oder als pluralis modestia, mit dem Paulus sich selbst bezeichnet.245 Klassischerweise wird das Wir entsprechend der letzten Option überall dort, wo nichts Anderes explizit darauf hinweist, als S.u. 4.4.7.2 Wolff 1989, 10. Im Zusammenhang unseres Abschnittes, mag man diese Möglichkeit dahingehend erweitern, dass auch ein „Wir der Offenbarungsmittler“ denkbar ist, das neben Paulus und Timotheus noch andere Verkündiger und/oder Apostel einschließt. 245 Vgl. Wolff 1989, 10 f. 243 244

4.3 Gedankliche Kartierung

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schriftstellerischer Plural begriffen. Dafür spricht der häufige Wechsel zwischen Ich und Wir in einigen Passagen des Briefes (vgl. 1,23 f.; 5,11; 9,1–4; 10,8; 13,1–4.9 f.) und das Wir in Aussagezusammenhängen, die auf Paulus persönliches Geschick hin interpretiert werden.246 Besonders für 2,14–4,6 wird so argumentiert, dass Paulus durch das Wir keineswegs eine Gruppe von Verkündigern bezeichne, sondern „mit dieser gehobenen Formulierung die Würde seines Apostolats zum Ausdruck“247 bringe. Zu persönlich seien die Bemerkungen, die Paulus über das Wir macht, wenn er über seine Befähigung und Empfehlung zum Dienst spricht und dabei auch auf das Damaskuserlebnis anspiele.248 Vor allem verteidige sich Paulus in 2 Kor ja gegen Vorwürfe, die ihm und nicht seinen Mitarbeitern gemacht wurden.249 Dieser Deutung entgegen steht eine Reihe neuerer Untersuchungen, die den schriftstellerischen Plural grundsätzlich auf den Prüfstand stellen und zur Vorsicht mahnen. Ein literarischer Plural sei nur dann anzunehmen, wenn ein tatsächlicher Plural mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann.250 Überhaupt sei die Existenz eines solchen schriftstellerischen Plurals vor dem Hintergrund der antiken griechischen Literatur fraglich.251 Auch hinter einem exklusiven Wir sei dort und insbesondere bei Paulus gemeinhin an eine wirkliche Mehrzahl von Sprechern gedacht.252 Da der Abschnitt maßgeblich von der Verkündigungstätigkeit an den Korinthern ausgeht und Paulus schon in 1,19 in Erinnerung ruft, wie er, Silvanus und der Mitabsender Timotheus ihnen gepredigt haben, entbehrt dies nicht an Plausibilität. Gleichwohl lässt sich stellenweise die Fokussierung auf Paulus als Person kaum leugnen. Wenn im Folgenden also gleichbedeutend von der „Paulusgruppe“ oder je nach Textakzent von „Paulus“ die Rede ist, ist diese Spannung mitzubedenken. Ein fundiertes Urteil ist in dieser Frage erst vom Ergebnis der Analyse her möglich. Dass sich das übergeordnete Beziehungsnetz unbeschadet der verschiedenen Akzentsetzungen und Zuspitzungen zwischen Gott/Christus, der Paulusgruppe und seinen Hörern spannt, gilt für 2,17–3,6 und 4,1–6. Anders geartet ist das Wir in 3,18. Markiert durch „alle“ (ἡμεῖς πάντες) schließt es die Korinther mit ein und bezeichnet auf diese Weise wohl die Gruppe der Gläubigen insgesamt, die Christus gegenübersteht (vgl. auch 2 Kor 5,10).253 Vereinzelt wird auch eine exklusive Deu-

Vgl. Wolff 1989, 11; Klauck 1986, 12 f. Wolff 1989, 11. 248 Vgl. Wolff 1989, 11; Baumert 1973, 31; Schmeller 2010, 248. 249 So schon Dick 1900, 39–44. 250 Vgl. Byrskog 1996, 233 f. 251 Vgl. Berge 2015, 47–187. 252 „Dans le genre épistolaire, et chez Paul en particulier, le ‚nous‘, même lorsqu’il est exclusif, es généralement à compendre comme exprimant une réelle pluralité“ (Berge 2015, 221). Vgl. dazu Müller 1998. 253 So die Mehrheitsmeinung. Vgl.  etwa Schmeller 2010, 224 f.; Back 2002, 144 f. Zum durch πάντες modifizierten Wir vgl. auch Wolff 1989, 11. 246 247

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tung der Stelle vertreten.254 Sprachlich ist dies zwar nicht auszuschließen, wäre aber doch unüblich.255 Zudem ist diese Lesart häufig durch eine polemische Absicht motiviert, die dem Vers unterstellt wird – es handele sich um eine Spitze gegen die schon in 2,17 und 3,1 erwähnten Verkündiger –, in dieser Form jedoch nicht haltbar ist (s. u. ‎4.4.6.5). Stärkstes Argument ist die Verwendung eines exklusiven Wir im anschließenden Vers 4,1. Es wird eingewendet, dieser Wechsel müsse artikuliert sein, wolle man einen unterschiedlichen Gebrauch des Wir annehmen. Wie im Folgenden deutlich wird, ist der Einschnitt zwischen 3,18 und 4,1 jedoch anderweitig klar genug markiert, so dass sich eine solche Bemerkung erübrigt.256 Alles in allem liegt ein inklusives Wir nicht nur sprachlich näher, sondern fügt sich auch flüssiger in den Aufbau und Zusammenhang von 3,7–18. Denn 3,18 schließt ohnehin an einen längeren Abschnitt an, in dem die Konstellation Gott – Paulusgruppe – Hörer nicht im Vordergrund steht. Beginnend mit der Exodusbezugnahme 3,7 rückt stattdessen Mose in den Vordergrund, dessen Handeln auf die Israeliten ausgerichtet ist. Diese neue Personenkonstellation machen 3,7 und 3,13 explizit, bedingt auch 3,15. Mit ihr verschieben sich auch die übrigen Koordinaten des Beziehungsnetzes. Die Paulusgruppe rückt in ein vergleichendes Gegenüber zu Mose ein (implizit 3,8.9.11; explizit 3,12). Christus tritt von außen an das Geschehen heran (3,14). Wo von Gott die Rede ist, geschieht dies in Kyriosterminologie (3,16–18).257 Steht ab 3,7 vor allem Mose im Mittelpunkt, verschiebt sich der Akzent ab 3,13 zusehends auf das Ergehen der Israeliten, nicht nur am Sinai, sondern durch die Zeiten hindurch. Wie andersartig der gesamte Abschnitt im Vergleich zum Rest der Passage ist, zeigt sich daran, dass es grammatikalisch betrachtet vor allem sächliche Subjekte sind, die die Verse bestimmen: der Dienst (διακονία) in 3,7–11, die Decke (κάλυμμα) in 3,14–17. Möchte man den Text anhand der vorherrschenden Personenkonstellationen unterteilen, ergibt sich folgende Segmentierung. Dabei sind die Abschnitte in Hinsicht auf Änderungen in der Struktur der Handlungsträger und temporale Verschiebungen weiter zu unterteilen: 2,14–3,6 Personenkonstellation: Gott/Christus – Paulusgruppe – Offenbarungsempfänger (ab 3,1 explizit die Korinther) 3,7–17 Personenkonstellation: Paulusgruppe – Mose/Israeliten (– Kyrios) 3,18 Personenkonstellation: „wir alle“ (ἡμεῖς πάντες) – Kyrios 4,1–6 Personenkonstellation: Gott/Christus – Paulusgruppe – Offenbarungsempfänger 254 Vgl.  hier und im Folgenden Bammel 1997, 208 f. mit Verweis auf P46 und Belleville 1991, 274–276. 255 Belleville 1991, 276 führt als Beispiele, in denen mit ἡμεῖς πάντες „characteristic behavior of a particular group“ bezeichnet wird, Neh 4,15; Apg 2,32 und Eph 2,3 an. In all diesen Beispielen geht die Bedeutung aus dem Zusammenhang jedoch klarer hervor als in unserem Falle. Hingegen umschließt die Wendung in 1 Kor 12,13 ausdrücklich den gesamten geistgetränkten Leib Christi. 256 Vor allem kommt der Bezug auf den Dienst (τὴν διακονίαν ταύτην) in 4,1 einer solchen Einschränkung gleich. Ferner s. u. 4.3.4.2. 257 Freilich ist diese zu einem gewissen Grad für Christus durchsichtig. S.u. 4.4.6 zur Frage, wer genau in diesen Versen mit Kyrios bezeichnet wird.

4.3 Gedankliche Kartierung

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4.3.2.2 Die Handlungsträger in 2,14–3,6 Handlungsträger in 2,14 ist Gott, der Paulus im Triumphzug mitführt und durch ihn offenbarend wirkt.258 Der zeitliche Horizont ist mit „stets“ (πάντοτε) universal beschrieben und umfasst in jedem Falle die Gegenwart.259 Wenn 2,15 dies damit begründet, dass Paulus Christi Wohlgeruch sei, bleibt der Text in der Gegenwart (1. Person Plural Präsens: ἐσμεν). Handlungsträger und Bezugsgruppe verschieben sich aber vom Wirken Gottes an Paulus auf das Wirken des Paulus an allen Menschen, denen, die gerettet werden, wie auch denen, die verloren gehen. Die rhetorische Frage 2,16c unterbricht diese Schilderung kurz, indem sie sich auf eine übergeordnete, abstraktere Ebene bewegt (unpersönliches Subjekt: τίς), ehe schon 2,17 auf die Ausgangsebene zurückkehrt (1. Person Plural Präsens: ἐσμέν) und als dritte Bezugsgruppe nicht näher bestimmte, verächtlich als „die vielen“ (οἱ πολλοὶ) bezeichnete andere Verkündiger einführt. Im Gegensatz zu ihnen spreche Paulus aus dem durch Christus konstituierten direkten Gegenüber zu Gott. Ein Neben- und Ineinander von Paulus und Gott als gegenwärtig agierenden Handlungsträgern begegnet wieder in 3,4–6. Dort beteuert Paulus, dass er durch Christus Vertrauen zu Gott besitze (1. Person Plural Präsens: ἔχομεν in 3,4) und alles, was er denke, nicht aus sich selbst schöpfe, sondern vielmehr göttlicher Befähigung verdanke. Er erläutert dies durch einen Rückblick auf Gottes befähigendes Handeln an ihm (Aorist: ἱκάνωσεν in 3,6a). Der sentenzartige Satz 3,6c entzieht sich als allgemeine Maxime der Frage nach den Handlungsträgern. Zwar geht er direkt aus 3,6a-b hervor, ist jedoch auf einer anderen sprachlichen Ebene angesiedelt. In den Versen zwischen 2,14–17 und 3,4–6 rückt das Handeln Gottes in den Hintergrund. Stattdessen wird die Beziehung des Paulus zu den Briefadressaten als Teilgruppe der Verkündigungsempfänger thematisiert. Wie die Beziehung des Paulus zu Gott, so ist auch diese Beziehung durch Christus bestimmt (3,3). Die direkte Ansprache der Adressaten leitet 3,1 durch zwei rhetorische Fragen ein. Im Gegensatz zu 2,16c zielen diese jedoch ausdrücklich auf das gegenwärtige Verhalten und Ergehen der Paulusgruppe (1. Person Plural Präsens: ἀρχόμεθα; χρῄζομεν). Womöglich im Anschluss an die „vielen“ aus 2,17 kommt hier am Rande wieder eine unbestimmte Gruppe anderer Verkündiger in den Blick (τινες), die im Gegensatz zur Paulusgruppe auf Empfehlungsbriefe angewiesen sind. Wie sich das Gegenüber von Paulus und Korinthern gestaltet, drücken 3,2 f. in bildhafter Sprache aus: Die Adressaten seien „unser Brief “ (2. Person Singular Präsens: ὑμεῖς ἐστε in 3,2a). Genaugenommen seien sie offenbar geworden als Brief Christi (3,3a.b: φανερούμενοι ὅτι ἐστὲ ἐπιστολὴ Χριστοῦ), zu Stande gekommen durch den Dienst des Paulus (3,3c: διακονηθεῖσα ὑφ᾽ ἡμῶν). An beide Aussagen schließt sich jeweils eine partizipiale Beschreibung der Beschaffenheit an, in 3,2c auch des Wirkungskreises dieses Briefes. Auffallend Dies gilt auch dann, wenn θεός aufgrund der Dankesformel nicht Satzsubjekt ist. Damit hebt sich 2,14 deutlich von seinem Vorgängervers ab, in dem das lokale Wirken des Paulus beschrieben wird. 258 259

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

ist, dass auch die Angabe, die Korinther seien „in unsere Herzen geschrieben“ (Partizip Perfekt: ἐγγεγραμμένη in 3,2b) und so „von allen Menschen gekannt und gelesen“ (Präsenspartizipien: γινωσκομένη καὶ ἀναγινωσκομένη in 3,2c), mehr auf den gegenwärtigen Zustand als auf das zurückliegende Geschehen selbst zielt. Gleiches gilt für die Näherbestimmung des Schreibprozesses in 3,3. In der einzigen Bezugnahme auf Gott in 3,1–3 wird hier der „Geist des lebendigen Gottes“ als Mittel dieses Schreibprozesses genannt (abermals Partizip Perfekt: ἐγγεγραμμένη … πνεύματι θεοῦ ζῶντος). Im Hinblick auf den Textaufbau lassen sich diese Beobachtungen in folgender Übersicht darstellen: 2,17–3,6 Personenkonstellation: Gott/Christus – Paulusgruppe – Offenbarungsempfänger 2,14–17 primäre Handlungsträger: Gott und Paulus (durch Christus vermittelt) 2,14 Gottes Handeln an Paulus (zeitlich entgrenzt: πάντοτε) 2,15–16b: Paulus Offenbarungshandeln (Gegenwart; Bezugsgröße: alle Menschen) 2,16c Rhetorische Frage nach der Befähigung (implizit: Handeln des Paulus) 2,17: Paulus Offenbarungshandeln im Vergleich zu anderen Verkündigern (Gegenwart) 3,1–3

primäre Handlungsträger: Paulus im Gegenüber zu den Korinthern (durch Christus vermittelt) 3,1 Rhetorische Frage nach Selbstempfehlung und Empfehlungsbriefen im Gegenüber zur Gemeinde (und im Vergleich zu anderen Verkündigern; explizit und durch Reflexivpronomen betont: Handeln des Paulus; Gegenwart) 3,2a Die Briefexistenz der Korinther (Gegenwart) 3,2b: Beschaffenheit des Briefes (in die Gegenwart reichend; Paulus – Korinther) 3,2c: Wirkungskreis des Briefes (in die Gegenwart reichend; Bezugsgröße: alle Menschen) 3,3ab Offenbarwerden der Korinther als Brief (Gegenwart) 3,3c: Paulus Dienst am Brief (abgeschlossen) 3,3fin.: Beschaffenheit des Briefes (in die Gegenwart reichend; Beteiligung des Geistes)

3,4–6

primäre Handlungsträger: Gott und Paulus (durch Christus vermittelt) 3,4 Vertrauen des Paulus durch Christus Gott gegenüber (Gegenwart) 3,5 Handeln des Paulus: nicht aus sich selbst heraus, sondern aufgrund göttlicher Befähigung (Gegenwart) 3,6a.b Befähigung durch Gott (Vergangenheit, in die Gegenwart reichend) 3,6c Sentenz über Buchstaben und Geist (universell gültig)

4.3.2.3 Die Handlungsträger in 3,7–17 Während sich das in 3,7–17 entworfene Beziehungsnetz klar sichtbar von Paulus und dem Gegenüber Mose – Israeliten bis zum Kyrios spannt, ist es bedeutend schwieriger, die eigentlichen Handlungsträger des Abschnitts zu benennen. Denn vor allem

4.3 Gedankliche Kartierung

347

sächliche Größen stellen die Satzsubjekte: Der Dienst (διακονία) in 3,7 f.9b(.11), der Herrlichkeitsglanz (δόξα) in 9a(.10) und die Decke (κάλυμμα) in 3,14bf.15b.16b. 3,7 beginnt den Dienst des Mose, der historisch verortet wird (Aorist: ἐγενήθη), einem Dienst gegenüberzustellen, der dem Zusammenhang nach von der Paulusgruppe wahrgenommen wird (logisches Futur:260 ἔσται in 3,9). Hieran schließt 3,9 an. 3,11 stellt den gleichen Sachverhalt ins Abstraktere gewendet dar; dort treten ihre Eigenschaften synekdochisch an die Stelle der Dienste. Dementsprechend ist διακονία auch Satzsubjekt in der Mehrheit der Sätze dieses Abschnitts. Daneben treten in 3,7 Mose und die Israeliten als personale Bezugsgrößen. Bezeichnenderweise ist hier jedoch nicht etwa eine Handlung des Mose ausgesagt. Vielmehr begegnen die Israeliten als Subjektsakkusativ: Sie können des Herrlichkeitsglanzes wegen nicht in das Gesicht des Mose schauen. Der Herrlichkeitsglanz begegnet direkt als Subjekt im Nominalsatz 3,9a. Ebenso wird er in der erklärenden Bemerkung 3,10 aufgerufen (τὸ δεδοξασμένον als Bezeichnung des Mosegesichts).261 Wird der Mosedienst in 3,7 noch in der Vergangenheit angesiedelt und einem gegenwärtig ausgeübten Dienst gegenübergestellt (explizit im Präsens περισσεύει in 3,9b), so lösen sich temporale Verortungen im weiteren Verlauf der Verse auf. Dem logischen Futur in 3,8 folgend treten an ihre Stelle Nominalsätze; zunächst für den Mosedienst (3,9a), dann für beide Dienste (3,11). Die Paulusgruppe begegnet genau in der Mitte des Abschnittes 3,7–17 als gegenwärtig handelnder Akteur (1. Person Plural Präsens χρώμεθα in 3,12), dessen Handeln auf das in 3,7–11 Gesagte bezogen ist (ἔχοντες οὖν τοιαύτην ἐλπίδα) und das Nachfolgende einleitet. Dies geschieht durch den Vergleich des eigenen Handelns mit dem des Mose (3,12 f.). Im Gegensatz zu Paulus, der mit viel Freimut (πολλῇ παρρησίᾳ) vorgehe, habe jener gegenüber den Israeliten sein Gesicht verhüllt (Imperfekt: ἐτίθει κάλυμμα ἐπὶ τὸ πρόσωπον αὐτοῦ 3,13).262 Das Motiv der Decke bestimmt den Rest des Abschnitts 3,14–17, in dem jedoch weniger das Verhalten des Mose als das Geschick der Israeliten im Mittelpunkt steht. Im Passiv der einleitenden Bemerkung, die Herzen der Israeliten am Sinai „wurden vershärtet“ (3,14a: ἀλλὰ ἐπωρώθη τὰ νοήματα αὐτῶν), mag man ein passivum divinum und damit Gott als Agenten des Vorgangs erkennen.263 Die Verhärtung wird dahingehend expliziert, dass die Decke, die auf dem Gesicht des Mose lag, bis zum heutigen Tage auf der Verlesung des Alten Bundes bleibe (Präsens μένει in 3,14b) 260 Ein logisches Futur entspricht an dieser Stelle dem Charakter des a fortiori-Schlusses 3,7 f. (s. u. 4.4.5). Ein temporal verstandenes Futur würde zudem eine inhaltliche Spannung zum nachfolgenden Text aufbauen. Vgl. auch Schmeller 2010, 207. 261 Zu dieser Auslegung von 3,10 s. u. 4.4.5.2. 262 Anders deutet Hafemann 1995, 346 die grammatische Struktur des Satzes; vgl. auch Hafemann 2020, 170–172. 263 Eine Gegenüberstellung von Mose (3,13–14a) und Israeliten (3,14b–15), wie Hofius 1989, 117 f., sie vorschlägt, geht an der tatsächlichen Verteilung der Handlungsträger vorbei. In ihrem Sinne sachgemäß wäre die Unterteilung in Mose/Israeliten (Vergangenheit) für 3,13–14a und Israeliten/ „Mose“ (Gegenwart) in 3,14b–15.

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

bzw. sooft „Mose“ gelesen werde, auf den Herzen der Israeliten liege (Präsens κεῖται in 3,15b).264 Wenn die Bezugsgrößen „Mose“ und „Israel“ dem Namen nach im gesamten Abschnitt die gleichen bleiben, so verschiebt sich hier doch die Bedeutung dieser Bezeichnungen: Wo von den Israeliten die Rede ist, sind nun nicht mehr die Israeliten am Sinai gemeint, sondern die Gesamtheit der Israeliten durch die Zeiten hindurch bis in die Gegenwart. Dem korrespondiert Moses „dreamlike transfiguration […] from man into text“265. Die eingeschobene Bemerkung 3,14c.d (μὴ ἀνακαλυπτόμενον ὅτι ἐν Χριστῷ καταργεῖται) entspricht dieser aktualisierenden Bewegung. Der direkte Christusbezug ist im gesamten Abschnitt 3,7–17 einmalig. Auch 3,16 bezieht sich auf die Gegenwart: Sobald „er“ sich zum Herrn wendet, wird die Decke weggenommen (ἡνίκα δὲ ἐὰν ἐπιστρέψῃ πρὸς κύριον, περιαιρεῖται τὸ κάλυμμα). Wer Subjekt des Satzes ist, wird zwar nicht explizit; vom sprachlichen Zusammenhang und der Vorlage Ex 34,34 her zu urteilen, ist aber an Mose gedacht.266 Hier wird in 3,7–17 erstmals ausdrücklich Gott benannt, und zwar unter Verwendung des Kyriostitels. Wie dieser zu verstehen ist, macht im direkten Anschluss 3,17 deutlich: Es ist der schon aus 3,3.6 bekannte Geist. Zusammen mit dem passivum divinum von 3,14a schließt sich so ein Kreis um 3,14–17. Im Hinblick auf den Textaufbau lassen sich diese Beobachtungen in folgender Übersicht darstellen: 3,7–17 Personenkonstellation: (Paulusgruppe –) Mose/Israeliten (– Kyrios) 3,7–11 Gegenüberstellung der Dienste (Subjekt überwiegend διακονία; Handlungsträger: teils die Israeliten) 3,7 Herrlichkeitsglanz des Mosedienstes (Vergangenheit) 3,8 Herrlichkeitsglanz des Paulusdienstes (geschlussfolgerte Gültigkeit für die Gegenwart) 3,9a Herrlichkeitsglanz des Mosedienstes (Nominalsatz von zeitloser Gültigkeit; Subjekt: δόξα) 3,9b Herrlichkeitsglanz des Paulusdienstes (Gegenwart) 3,10 erklärende Bemerkung zum Herrlichkeitsglanz des Mosedienstes (ausgehend von der Vergangenheit) 3,11a Herrlichkeitsglanz des Mosedienstes (Nominalsatz von zeitloser Gültigkeit) 3,11b Herrlichkeitsglanz des Paulusdienstes (Nominalsatz von zeitloser Gültigkeit) 3,12–13 primäre Handlungsträger: Paulus und Mose (Gegenüberstellung) 3,12 f. Paulus Handeln im Gegensatz zu Mose (Gegenwart) 3,13 Moses Selbstverhüllung und das Unvermögen der Israeliten, ihm fest ins Gesicht zu blicken (Vergangenheit) 264 Die substantivierende Formulierung (3,14) bzw. das Passivpartizip (3,15) verdecken das Subjekt des Lesens. 265 Hays 1989, 145. 266 Dafür argumentiert schon Corssen 1920, 10, überzeugend. Da eine Entscheidung letztlich jedoch erst vom Ende der Untersuchung her plausibel gemacht werden kann, wird an dieser Stelle mit dem Wechsel des Handlungsträgers kein starker gliedernder Einschnitt gesetzt, sondern 3,14–17 unter dem Konzept der Decke zusammengefasst.

4.3 Gedankliche Kartierung

349

3,14–17 Das Bleiben der Decke (Subjekt überwiegend κάλυμμα, mitunter passivum divinum; Fokus auf dem Ergehen der Israeliten) 3,14a Die Verstockung der Israeliten (Vergangenheit) 3,14b Das Bleiben der Decke in Bezug auf die Verlesung des Alten Bundes (in die Gegenwart reichend) 3,15 Das Bleiben der Decke in Bezug auf die Israeliten bei der Verlesung des Mose (in die Gegenwart reichend) 3,16 Wendung zum Kyrios und Aufhebung der Decke (Konsequenzen für die Gegenwart) 3,17 erklärende Bemerkung zur Identität des Kyrios mit dem Geist

4.3.2.4 Die Handlungsträger in 3,18 Der kurze Abschnitt 3,18 ist in Hinblick auf die Personenkonstellation im Zusammenhang singulär. Ohne ein Gegenüber von menschlichen Verkündigern und Verkündigungsempfängern zu benennen, steht hier die Gesamtheit der Gläubigen dem Kyrios direkt gegenüber und schaut ungehindert den göttlichen Herrlichkeitsglanz. Dies ist die Vorbedingung der Verwandlung auf die göttliche Herrlichkeit hin, die ihr vom Herrn bzw. vom Geist her widerfährt (Präsens μεταμορφούμεθα in 3,18b).267 Im Gegenüber zu den Gläubigen werden der Kyrios, der Geist und implizit Christus hier eng zueinander gerückt. 4.3.2.5 Die Handlungsträger in 4,1–6 Im Hinblick auf Personenkonstellation und Handlungsträger ist 4,1–6 dem Abschnitt 2,17–3,6 eng verwandt und behandelt die dort angerissenen Themen grob in umgekehrter Reihenfolge.268 3,6 hielt fest, dass Gott Paulus zum Dienst befähigt habe. 4,1 setzt mit der Ausübung dieses Dienstes „wie wir Erbarmen fanden“ (Aorist καθὼς ἠλεήθημεν) ein. Daraus resultiere das integre Verhalten des Apostels (4,2a-c) und seine Selbstempfehlung vor dem Gewissen aller Menschen angesichts Gottes (4,2d: πρὸς πᾶσαν συνείδησιν ἀνθρώπων ἐνώπιον τοῦ θεοῦ). Abermals öffnet sich hier also das Beziehungsdreieck Gott – Paulusgruppe – Offenbarungsempfänger. 4,3 f. spitzt diese Situation nun so zu, dass nur noch jene im Blick sind, die die Botschaft des Paulus ablehnen. Ihnen ist sein Evangelium verhüllt (Präsens ἔστιν κεκαλυμμένον τὸ εὐαγγέλιον ἡμῶν in 4,3a), weil der „Gott dieser Welt“ ihre Sinne schon verblendet habe (Aorist ὁ θεὸς τοῦ αἰῶνος τούτου ἐτύφλωσεν τὰ νοήματα in 4a).269 Dieser ist an dieser Stelle eine überraschende Erweiterung der dramatis personae, angebahnt höchstens durch die Nennung Satans in 2,11. 267 Vgl.  Schmeller 2010, 229, für eine Aufschlüsselung der Übersetzungsmöglichkeiten von 3,18fin. Letztlich ist die Frage der Übersetzung nicht zu entscheiden, der Sache nach jedoch auch nicht von Belang. 268 Vgl. auch Wilk 2020, 150–152. 269 Vgl. dazu Brown 2015, 130–140; Williams 2011, 98 f.

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Schon 4,5 bewegt sich in gewohntere Bahnen zurück, wenn dort die Beziehung von Paulus und Adressaten thematisiert und von der paulinischen Christusverkündigung her bestimmt wird (vgl. schon 3,3). 4,6 schlägt den Bogen zurück zu 2,14–16 und beschreibt Gottes Handeln an Paulus bzw. der Paulusgruppe (Aorist ἔλαμψεν ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν in 4,6b), das auf die Verkündigung Christi ausgerichtet ist. Dieses Handeln korrespondiert mit Gottes Sprechen, das 4,6a ohne zeitliche Bindung ausdrückt (ὁ θεὸς ὁ εἰπών). Im Hinblick auf den Textaufbau lassen sich diese Beobachtungen in folgender Übersicht darstellen: 4,1–6 Personenkonstellation: Gott/Christus – Paulusgruppe – Offenbarungsempfänger 4,1–2: primärer Handlungsträger: Paulus (befähigt durch Gott); Bezugsgröße: alle Menschen (Auswirkungen eines vergangenen Geschehens für die Gegenwart) 4,1a: Paulusgruppe findet Erbarmen (Vergangenheit) 4,1b: Paulus ermüdet nicht im Dienst (Gegenwart) 4,2a-c: lauteres Verhalten des Paulus (Gegenwart) 4,2d: Selbstempfehlung vor dem Gewissen aller Menschen angesichts Gottes (Gegenwart) 4,3–4: primäre Handlungsträger: Evangelium des Paulus; Satan; Bezugsgröße: die, die verloren gehen (Auswirkungen eines vergangenen Geschehens für die Gegenwart) 4,3 Verborgenheit des Evangeliums (Gegenwart) 4,4 Ursächliche Verblendung durch Satan (Vergangenheit) 4,5:

Handlungsträger: Paulus; Bezugsgröße: Christus, Adressaten (Gegenwart)

4,6:

Handlungsträger: Gott; Bezugsgröße: Paulus (Auswirkungen von Gottes Handeln für die Gegenwart) 4,6a.b Gott spricht (nicht zeitlich verortet) 4,6c.d Gott handelt an Paulus zum Zweck der Erkenntnis Christi (Vergangenheit mit Konsequenzen für die Gegenwart)

4.3.2.6 Thematischer Abgleich Insgesamt stimmen die erhobenen Personenkonstellationen mit dem vorläufig formulierten Thema überein. Der Text behandelt die Verkündigungstätigkeit des Paulus, wie sie ihm von Gott ermöglicht wurde und wird. Dabei kommen vor allem auch die Briefadressaten als Teilgruppe der Verkündigungsempfänger in den Blick. Vor dem Hintergrund kritischer Anfragen an seinen Dienst möchte Paulus diese vom Wesen ihrer gegenseitigen Beziehung überzeugen. Dazu passt auch die Konzentration auf jene Verkündigungshörer, die seiner Predigt keinen Glauben schenken. Für die Dauer des offen kommunizierten Exodusbezuges tritt das Gegenüber von Mose und Israeliten und damit ein anderes Paar von Verkündiger und Verkündigungsempfängern an die Stelle des Paulus und seiner Hörer. Der einleitende Abschnitt 3,7–11, in dem weniger von personalen Akteuren als von den Verkündi-

4.3 Gedankliche Kartierung

351

gungsdiensten die Rede ist, legt nahe, dass es sich dabei eher um einen funktionalen als einen personalen Vergleich handelt. Auch Mose und die Israeliten stehen in Beziehung zu Gott, jedoch anders, als Paulus es tut. Vor allem fehlt ihnen das Christusverhältnis, das den paulinischen Dienst auszeichnet. 4.3.3 Erhebung des semantischen Inventars Die Schwierigkeit, den semantischen Gehalt der Passage zu bestimmen, liegt in der Vielfalt ihrer mitunter ausgefallenen Begriffe begründet, die teils in direkter Verwendung, mehrheitlich jedoch indirekt im Rahmen fließender metaphorischer Begriffsfelder begegnen. Da verschiedene Begriffe mehreren dieser Felder angehören oder an verschiedenen Orten verschieden gebraucht werden, ist es kaum möglich, eine klar schematisierte Übersicht zu geben. Die nachstehende Analyse orientiert sich grob an der Reihenfolge der Erstnennung eines Begriffes oder des mit ihm verbundenen Wortfeldes und verfolgt das jeweilige Konzept von dort ausgehend im weiteren Verlauf des Textes. Demnach kommen zunächst Zweck und Anliegen der paulinischen Verkündigungstätigkeit, ihr Horizont und ihre Tragweite in den Blick, ehe darauf einzugehen ist, wie Paulus sie in Metaphern und in direkter Sprache beschreibt, sodann die Frage der Lauterkeit seiner Verkündigung, und seiner Befähigung und Empfehlung. Einen facettenreichen Bedeutungskomplex stellt das vom Stichwort „Brief “ (ἐπιστολή) ausgehende Bildfeld dar, das zur ersten einer Reihe von Vertrauens- und Zuversichtsbekundungen führt. Im Folgenden gewinnt die dort verankerte Bezeichnung der Verkündigungstätigkeit als „Dienst“ (διακονία) zentrale Bedeutung. Abschließend ist die nicht minder vielschichtige Verwendung von δόξα (Ansehen/ Herrlichkeitsglanz) zu behandeln, die mehrere untergeordnete Metaphern generiert, ehe der Blick auf die Lichtmetaphorik des Schlussabschnittes fällt. Relevant für den Aufbau des Textes sind vor allem Passagen, in denen sich einzelne Begriffe signifikant verdichten. 4.3.3.1 Analyse wiederkehrender Begriffe und verwandter Wortfelder a Offenbarung (φανέρωσις) und Erkenntnis (γνῶσις) Schon 2,14 stellt klar, dass Gott Paulus zum Zweck der Offenbarung seiner Erkenntnis gebraucht. Von daher verwundert es nicht, dass sich eine Sinnlinie entlang dieser Begriffe quer durch die Passage zieht. Die Verwendungsweisen und Bezugsgrößen sind vielfältig. Zweifach nutzt Paulus das Verb „bekannt machen“ oder „offenbaren“ (φανερόω). Innerhalb des Bildes vom Triumphzug 2,14 spricht er davon, dass Gott den Duft seiner Erkenntnis durch ihn offenbar mache (τὴν ὀσμὴν τῆς γνώσεως αὐτοῦ φανεροῦντι δι᾽ ἡμῶν) und verbindet so die Motive Offenbarung und Erkennt-

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nis miteinander. In 3,3 hält er fest, die Korinther seien als von ihm „besorgter“ Brief Christi offenbar geworden (φανερούμενοι). Er expliziert damit vermutlich die Aussage, sie seien allerseits als der in sein Herz eingeschriebene Brief erkannt und gelesen worden (3,2c: γινωσκομένη καὶ ἀναγινωσκομένη). Gleich wie dies im Detail vorzustellen ist, ist damit auch hier der Bezug zwischen Offenbarung und Erkenntnis gegeben. Schließlich spricht Paulus in sachlicher Aufnahme dieser beiden Gedanken von der Offenbarung (φανέρωσις) der Wahrheit, die ihm zur Empfehlung genügt (4,2). Äquivalent zu 2,14 begegnet γνῶσις noch einmal in 4,6. Gottes Handeln an Paulus hat Erkenntnis zum Ziel. Anstelle von φανέρωσις steht an dieser Stelle der sachlich verwandte Begriff „Lichtschein/Erleuchtung“ (φωτισμός). Letztlich ist das Erkenntnismotiv auch für die Deutung der Verse 3,14 f., in denen Paulus von der Verlesung (ἀνάγνωσις) „des alten Bundes“ bzw. „Moses“ spricht, in Anschlag zu bringen. Dafür spricht nicht nur die Verwendung des gleichen Wortstammes, „erkennen“ und „lesen“ sind auch im Text durch 3,2c miteinander verbunden. So wie Paulus Verkündigung auf Erkenntnis zielt, tut es die Verkündigung des Mose (hier in ihrer verschriftlichten Form). In der Korintherkorrespondenz begegnet γνῶσις bzw. γινώσκω vor allem als Ausdruck eines intimen, reziproken Gottesverhältnisses, das den angemessenen Umgang mit Glaubensgeschwistern einschließt (s. o. ‎3.1.1.1 und vgl. 1 Kor 8,3). Die Verwendung bei Paulus lässt sich auf die Formel bringen: „‚Von Gott erkannt sein‘ heißt […]: von Gott erwählt, geliebt, angenommen zu sein […]; ‚ihn erkennen‘ heißt: ihm dienen.“270 In 2 Kor 11,6 nimmt Paulus für sich selbst γνῶσις in Anspruch, abermals im Verbund mit φανερόω: Die Erkenntnis, die er hat, habe er den Korinthern unabhängig von aller Redekunst offenbart (εἰ δὲ καὶ ἰδιώτης τῷ λόγῳ, ἀλλ᾽ οὐ τῇ γνώσει, ἀλλ᾽ ἐν παντὶ φανερώσαντες ἐν πᾶσιν εἰς ὑμᾶς). Wie „Erkenntnis“, so ist auch „Offenbarung“ ein für die Korintherkorrespondenz typisches Wort,271 das unter anderem auch Gottes endzeitliches Handeln beschreiben kann, im Zuge dessen alles ans Licht kommt (vgl. 1 Kor 4,5; 2 Kor 5,10 f.). b Ausdrücke des universellen Wirkungskreises (πάντοτε/πᾶς) Auch wenn der Brief sich konkret an die Gemeinde in Korinth richtet und die Adressaten mehrmals direkt anspricht (3,1.2.3; 4,5), beschränkt sich die durch Paulus offenbarte Erkenntnis nicht auf diesen Kreis. Vielmehr betont Paulus ihre von Gott her universelle Wirksamkeit. Im Rahmen der Triumphzugmetapher betont er, dass Gott „allezeit“ (πάντοτε) und „allerorten“ (ἐν παντὶ τόπῳ) durch ihn handele (2,14). Die Offenbarung der Wahrheit dient ihm als Empfehlung „vor dem Gewissen aller 270 Schmithals 2011, 601, unter Verweis auf u. a. Röm 8,29; 11,2; Phil 3,10.12. Der Begriff γνῶσις ist typisch für die Korintherkorrespondenz (15 von 19 Belegen bei Paulus). Paulus thematisiert mehrfach eine falsche Erkenntnis der Korinther (vgl. v. a. 1 Kor 8,1–11; ferner 13,2). 271 10 von 13 Belegen bei Paulus für φανερόω; 2 von 2 für φανέρωσις. Für das fast synonym gebrauchte Verb ἀποκαλύπτω (vgl. Müller 2011, 988) fällt die Verteilung weniger eindeutig aus.

4.3 Gedankliche Kartierung

353

Menschen“ (4,2: πρὸς πᾶσαν συνείδησιν ἀνθρώπων). Auch die Korinther seien „vor allen Menschen“ (ὑπὸ πάντων ἀνθρώπων) als sein Empfehlungsbrief offenbar geworden (3,2). Hier wie dort ist die universelle Empfehlung in Gott bzw. Christus begründet (4,2: ἐνώπιον τοῦ θεοῦ; 3,3: φανερούμενοι ὅτι ἐστὲ ἐπιστολὴ Χριστοῦ). Diese letzten Belege deuten darauf hin, dass die „hyperbolischen Angaben“ in 2,14 zumindest nicht nur als „Merkmale hymnischer Sprachgestaltung“272 auszuwerten sind. c Tod (θάνατος) und Leben (ζωή) Das Begriffspaar Tod (θάνατος) und Leben (ζωή) begegnet mehrfach im Verlauf des Textes und verdeutlicht die Tragweite der paulinischen Verkündigung. Die beiden Begriffe werden als deren zwei mögliche Ausgänge in 2,16 eingeführt und mit „Rettung“ und „Verderben“ verknüpft (2,15b: ἐν τοῖς σῳζομένοις καὶ ἐν τοῖς ἀπολλυμένοις). Jene, die gerettet werden, nehmen Paulus als Lebensduft zum Leben (ὀσμὴ ἐκ ζωῆς εἰς ζωήν), jene, die verloren gehen, als Todesduft zum Tode wahr (ὀσμὴ ἐκ θανάτου εἰς θάνατον). Die Gegenüberstellung von Tod und Leben begegnet bei Paulus häufig.273 Gleiches gilt für ihre traditionelle Verbindung mit den Motiven „Verderben“ und „Rettung“.274 Als jeweils dritte Größe ordnet 3,3d der Lebensseite den „Geist des lebendigen Gottes“ zu (πνεύμα θεοῦ ζῶντος), 3,6 der Todesseite den „Buchstaben“ (γράμμα).275 Buchstabe und Geist begegnen nicht nur hier als Antonyme. Paulus unterscheidet in Röm 2,29 anhand dieses Gegensatzes einen äußerlichen Umgang mit dem Gesetz von einem inneren; in Röm 7,6 beschreibt er einen Umgang mit dem Gesetz, der durch das durch Christus neu gewonnene Gottesverhältnis bestimmt ist. Wenn der Dienst, den Mose ausübte, dort als „Dienst, der zum Tod führt“ (3,7: διακονία τοῦ θανάτου)276 bestimmt wird, reicht auch die Begrifflichkeit von Tod und Leben bis in die Exodusbezugnahme hinein. Bemerkenswerterweise wird im Gegenüber der Dienst, den Paulus ausübt, nicht etwa als „Dienst, der zum Leben führt“ bestimmt, sondern als „Dienst, der vom Geist bestimmt ist“ (3,8: διακονία τοῦ πνεύματος).277 Die äquivalenten Bildungen „Dienst, der zur Verurteilung führt“ (3,9a: διακονίᾳ τῆς κατακρίσεως) und „Dienst, der zur Gerechtigkeit führt“ (3,9b: διακονία τῆς δικαιοσύνης) gehören ebenfalls in das Wortfeld von Tod und Leben, Kuschnerus 2002, 101. Vor allem im Römerbrief (Röm 5,17.21; 6,21–23; 7,10; 8,2.6.10.38), seltener in der Korintherkorrespondenz (1 Kor [3,22]; 15,22[.36]; 2 Kor 4,12). 274 Vgl. 1 Kor 1,18; 7,10; Gal 6,8. 275 Während die erste Zuordnung in 3,6 bekräftigt wird, kommen in 3,3e schon implizit die entsprechenden Steintafeln (πλάκες λίθιναι) auf der Todesseite zu stehen. 276 Offenbar ist der Genitiv so zu verstehen, dass grundsätzlich der Tod die Folge dieses Dienstes ist (vgl. Schmeller 2010, 200). 277 Vgl. Schmeller 2010, 206, mit Anm. 209, zu Deutungsmöglichkeiten des Genitivs. 272 273

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Rettung und Verderben. In diesem gesamten Zusammenhang, besonders aber an der letzten Stelle, tritt deutlich das paulinische Gepräge zu Tage. Begriffe aus dem Feld Tod/Verurteilung begegnen verschiedentlich als Antonyme zu δικαιοσύνῃ.278 Die semantische Linie wird erst in 4,3 f. wieder aufgegriffen und auch dort nur ihrer negativen Hälfte nach. Es sind jene, die verlorengehen (οἱ ἀπολλύμενοι), nämlich die Ungläubigen (οἱ ἄπιστοι), denen sich das Evangelium nicht erschließt. In der Sache entspricht dies der Aussage in 2,16a. d Metaphern für die Verkündigung Triumphzug (θριαμβεύω) Das Bild, mit dem Paulus Gottes Handeln an ihm und seine daraus entstehende Verkündigungstätigkeit einleitend beschreibt, ist das vom Triumphzug: Gott führe ihn im Triumphzug umher (θριαμβεύω). Die sprachlich überzeugendste Übersetzung für θριαμβεύοντι ἡμᾶς ist unverändert „‚im Triumphzuge […] uns aufführt‘“279. Was damit der Sache nach gemeint ist, bleibt jedoch hoch umstritten.280 Duft (ὀσμή/εὐωδία) Im Anschluss an die Metapher vom Triumphzug drückt Paulus die eigene Wirksamkeit im Bild vom Duft (ὀσμή) bzw. Wohlgeruch (εὐωδία) aus. Auch hier wie in der gesamten Passage „erweist sich die Einschätzung und Deutung der Metaphern als schwierig und ist umstritten“281. Insgesamt ergeben insbesondere die „Duft/ Geruch-Aussagen keine kohärente Szene“282: Der Text spricht davon, dass Gott durch die Paulusgruppe den „Duft seiner [sc. Christi, vgl. 4,6] Erkenntnis“ offenbart (2,14: τὴν ὀσμὴν τῆς γνώσεως αὐτοῦ φανεροῦντι δι᾽ ἡμῶν). Während hier an den Duft als Bild für die Verkündigung gedacht ist, identifiziert Paulus sich schon im folgenden Vers selbst mit dem Geruch Christi (2,15: Χριστοῦ εὐωδία ἐσμὲν). Diese metaphorische Identifizierung des Verkündigers mit seiner Verkündigung begegnet noch mehrmals in der Passage 2,14–4,6 (ganz deutlich in 3,15). ὀσμή und εὐωδία sind nun zumindest dahingehend synonym, dass dieser Wohlgeruch in 2,16 als Duft bezeichnet werden kann, und zwar je nachdem, wer ihn wahrnimmt, als Todesduft (ὀσμὴ ἐκ θανάτου) oder Lebensduft (ὀσμὴ ἐκ ζωῆς).

278 Vgl. Röm 6,16.19; 14,17; Phil 3,9. Zur ganz analogen Gegenüberstellung von κατάκριμα und δικαίωμα vgl. Röm 5,16(.18). Vgl. auch Gal 3,1–6 für die Verbindung von Geist und Gerechtigkeit. 279 Windisch 1924, 97. Dennoch mildert Windisch selbst aus inhaltlichen Bedenken ab in „‚in der Kraft Christi triumphieren lassen‘ (1) oder ‚in der Kraft Christi im Triumph herumführen‘ (4) d.i. zur Kundmachung des Triumphes Christi über die Welt, vgl. Kol 2,15.“ 280 Für eine ausführliche Diskussion s. u. 4.4.1.3. 281 Kuschnerus 2002, 101. 282 Gerber 2005, 172.

4.3 Gedankliche Kartierung

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Schon Windisch bemüht verschiedene rabbinische Quellen, um das Bild vom Geruch mit doppeltem Ausgang zu erklären.283 Von größerem Interesse ist jedoch die Vielfalt der möglichen Bildspender.284 Zunächst lässt sich die Metapher vom Triumphzug her erklären, zu dessen festem Inventar Weihrauchträger gehörten.285 Sodann gilt Duft in der Antike ganz allgemein als Bild göttlicher Gegenwart,286 die z. B. in Götterprozessionen, wie sie den Korinthern wohl bekannt gewesen sein werden, erfahrbar wird.287 So wird der Duft in der antiken jüdischen Tradition zum Kennzeichen der göttlichen Weisheit (vgl. Sir 24,15).288 Wie bereits angemerkt, kommt auch der Opferduft im Tempel als Bildspender in Betracht.289 Der Bruch in der Metapher selbst deutet aber darauf hin, dass weniger an einen spezifischen Bildspender als an die Gesamtheit der Assoziationen zu Duft und Wohlgeruch gedacht ist.290 Der uneinheitliche Gebrauch der Duftmetapher wird bereits deutlich, wenn sie in 2,14 eingeführt wird, ist φανερόω doch eher visuell als olfaktorisch konnotiert. e Direkte Ausdrücke der Verkündigung (λόγος τοῦ θεου, εὐαγγέλιον, κηρύσσω) Verschiedentlich nimmt Paulus unmittelbar auf die eigene Verkündigungstätigkeit Bezug und expliziert so die Weise seiner Offenbarungsmittlerschaft. In 2,17 grenzt er sich von anderen Verkündigern ab, die das Wort Gottes (λόγος τοῦ θεου) zum eigenen Vorteil missbrauchen. Er hingegen verkündige (wörtlich schlicht „rede“ [λαλέω]) aus der Unmittelbarkeit zu Gott heraus. Den gleichen Gedanken nimmt er ohne ausdrückliche Nennung der konkurrierenden Verkündiger in 4,2d wieder auf, wo er betont, das Wort Gottes nicht zu verfälschen (μηδὲ δολοῦντες τὸν λόγον τοῦ θεοῦ). Das Syntagma λόγος τοῦ θεου begegnet bei Paulus andernorts in verschiedenen Verwendungsweisen. Es kann die Verheißung Gottes an Israel (Röm 9,6) ebenso bezeichnen wie die Botschaft des Evangeliums im Allgemeinen (1 Thess 1,8 [λόγος τοῦ κυρίου]; 1 Kor 14,36) und die Verkündigung des Paulus im Besonderen (1 Thess 2,3).291 Im letzteren Sinne wird es auch an den vorliegenden Stellen zu verstehen sein.292 Dazu passt, dass das von Paulus verwaltete Gotteswort

Vgl. Windisch 1924, 97 f., unter Verweis auf bShab 88b; bYom 72b; bTaan 7a. Vgl. im Folgenden auch Schmeller 2010, 160. 285 Vgl. Oliveira 1990, 40 f.; Schröter 1993, 32 f.; Kuschnerus 2002, 108. 286 Vgl. die Beiträge in Kügler 2000. 287 Vgl. Duff 2015, 96. 288 Vgl. Gerber 2005, 174, Anm. 96. 289 Dagegen allerdings schon Windisch 1924, 98 und Wolff 1989, 56. Zu einem differenzierten Verhältnis der Metapher zum Kult als quasi abstrakter Größe vgl. Gerber 2005, 175. 290 Kuschnerus 2002, 112 nennt dies „die nicht ganz einheitliche Bedeutungsebene“. 291 Vgl. auch Ritt 2011, 883–885. 292 So urteilt auch Kuschnerus 2002, 142. 283 284

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in 4,4 mit dem Evangelium (εὐαγγέλιον) identifiziert und in 4,5 inhaltlich gefüllt wird: Paulus verkündigt (κηρύσσω) in erster Linie Christus als Kyrios.293 f Ausdrücke der Lauterkeit (εἰλικρίνεια) Nach 2,17 unterscheidet sich Paulus von anderen Verkündigern darin, dass er „wie aus Lauterkeit“ (ὡς ἐξ εἰλικρινείας), d. h. „wie aus Gott und vor Gott durch Christus“ (ὡς ἐκ θεοῦ κατέναντι θεοῦ ἐν Χριστῷ λαλοῦμεν) rede. „Paulus verwendet den Begriff bereits in der propositio 2 Kor 1,12 im Zusammenhang seines Wirkens sowie in 1 Kor 5,8 und Phil 1,10 als Zielvorgabe für einen Gott angemessenen Lebenswandel. Durch die Bestimmung der lauteren Verkündigung als ἐκ θεοῦ κατέναντι θεοῦ ἐν Χριστῷ unterstreicht Paulus einmal mehr die vollständige Abhängigkeit seiner Verkündigungstätigkeit von Gott.294 Korrespondierend zum Nachdruck, den Paulus in 2,17 auf die Lauterkeit seiner Verkündigung legt, beschreibt er sein lauteres Verhalten in 4,2. Anstatt zu ermatten, lege er „die verborgenen Dinge der Schande“ ab (ἀπειπάμεθα τὰ κρυπτὰ τῆς αἰσχύνης). Und zwar „wandele er nicht in Verschlagenheit“ (μὴ περιπατοῦντες ἐν πανουργία) und „verfälsche nicht das Wort Gottes“ (μηδὲ δολοῦντες τὸν λόγον τοῦ θεοῦ). Hier ist der Bezug zur Verkündigung wieder evident. Weiterführender als die Frage, welche genauen Verhaltensweisen mit dieser Fülle von Begriffen bezeichnet werden,295 ist die Beobachtung, dass sie ein Wortfeld von Sichtbarkeit und Verborgenheit aufspannen. Besonders deutlich wird dies im Gegenüber der κρυπτά aus 4,2a zur φανέρωσις aus 4,2d. Bemerkenswerterweise reiht sich etymologisch gesehen auch εἰλικρίνεια hier ein.296 Entlang dieser semantischen Linie lassen sich große Teile der Bildwelt der Passage verorten (s. u. 1k; 1l). g Befähigung (ἱκανότης) und Empfehlung (συνίστημι) In Anbetracht der enormen Tragweite, die Paulus seinem Verkündigungsdienst zuspricht, verwundert die Frage nach der entsprechenden Eignung nicht. Den in 2,16c verwendeten Begriff „fähig“ (ἱκανός) greift Paulus in 3,5 f. wieder auf, wenn er betont, dass er allein nicht „fähig“ (οὐχ ὅτι ἀφ᾽ ἑαυτῶν ἱκανοί ἐσμεν) sei, sondern seine „Fähigkeit“ (ἱκανότης) von Gott kommt, der ihn „befähigt hat“ (ὃς καὶ ἱκάνωσεν). Auch hier wird also der enge Gottesbezug des paulinischen Selbstver293 Dass dies der Inhalt des von Paulus verkündigten Evangeliums ist, ist nicht nur aus dem Zusammenhang, sondern auch vom paulinischen Sprachgebrauch her ersichtlich. κηρύσσω gehört als Tätigkeitswort fest zu εὐαγγέλιον bzw. Χριστός (vgl. Röm 10,8.14f; 1 Kor 1,23; 15,11; 2 Kor 1,19; 11,4; Gal 2,2; Phil 1,15; 1 Thess 2,9 und zur theologischen Signifikanz der Wendung Merk 2011, 712 f.). 294 Vgl. für eine Deutung Goldstein 2011, 949. 295 Voreilig erscheint der Versuch, aus dem Vers einen Anklagenkatalog der Gegner rekonstruieren zu wollen (vgl. Gerber 2005, 199, Anm. 239). 296 Aus ἥλιος und κρίνω: wörtlich „an der Sonne geprüft“ (Goldstein 2011, 949).

4.3 Gedankliche Kartierung

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ständnisses sichtbar. Das Verb ἱκανόω begegnet im Neuen Testament selten,297 das Substantiv ἱκανότης ist ein gesamtbiblisches Hapaxlegomenon. Verbreiteter ist die Adjektivform ἱκανός.298 Paulus verwendet sie in 1 Kor 15,9 in ähnlicher Bedeutung. In Anbetracht seiner vormaligen Verfolgertätigkeit sei er „nicht geeignet“ (οὐκ εἰμὶ ἱκανός), Apostel genannt zu werden. Wie oben erwähnt findet sich eine prominente alttestamentliche Belegstelle in Ex 4,10 LXX, wo Mose seine mangelhafte Eignung für Gott vor den Ägyptern zu sprechen ausdrückt (οὐχ ἱκανός εἰμι). In allen drei Fällen geht es darum, einen von Gott kommenden Dienst auszuüben. Sachlich mit der Frage der Eignung verbunden ist die Frage der (Selbst-) Empfehlung. „Sich selbst empfehlen“ (ἑαυτοὺς συνιστάνειν) ist eine für 2 Kor typische Formulierung.299 In 3,1 weist Paulus es zurück, sein Beharren auf einer gottgemäßen Verkündigung als Selbstempfehlung zu verstehen. Vielmehr seien die Korinther selbst sein „Empfehlungsbrief “ (συστατικὴ ἐπιστολή, vgl. 3,2). Die Korinther seien als „Brief Christi“ erkannt worden, an dem er gedient hat (3,3: ἐστὲ ἐπιστολὴ Χριστοῦ διακονηθεῖσα ὑφ᾽ ἡμῶν). Es ist demnach die erfolgreiche Ausübung seines Verkündigungsdienstes, die Paulus empfiehlt, weil sie ohne göttliche Befähigung nicht denkbar wäre. Weist Paulus in 3,1 Selbstempfehlung von sich, so nimmt er sie in 4,2 doch für sich in Anspruch. Durch die „Offenbarung der Wahrheit“ empfehle er sich „dem Gewissen aller Menschen vor Gott“ (τῇ φανερώσει τῆς ἀληθείας συνιστάνοντες ἑαυτοὺς πρὸς πᾶσαν συνείδησιν ἀνθρώπων ἐνώπιον τοῦ θεου). Paulus Stellung zur (Selbst-)Empfehlung in 2 Kor ist nicht einfach zu bestimmen. Klar ablehnenden Aussagen (5,12) und dem Vorwurf der Selbstempfehlung an seine Konkurrenten (10,12.18) stehen Aussagen gegenüber, in denen er sich offen selbst empfiehlt (4,2; 6,4) oder anderen einen Empfehlungsbrief ausstellt (8,16–24). Es kann sich also weniger um die Empfehlung als solche als vielmehr um die Art und Weise der Empfehlung handeln, die Paulus kritisiert.300 Die in 10,18 geäußerte Maxime ist dabei durchaus auch auf diesen Text anzuwenden: Nicht, wer sich selbst empfiehlt, ist bewährt, sondern wen der Herr empfiehlt (οὐ γὰρ ὁ ἑαυτὸν συνιστάνων, ἐκεῖνός ἐστιν δόκιμος, ἀλλὰ ὃν ὁ κύριος συνίστησιν). Paulus verantwortet seine Selbstempfehlung im Angesicht Gottes (4,2: ἐνώπιον) und vermag sich nur insofern selbst zu empfehlen, als er auf das Werk verweist, das Gott durch ihn vollbracht hat (3,1–3). Eine eigenmächtige Selbstempfehlung, gar aufgrund eigener Leistung und Tugend, ist für ihn ausgeschlossen (vgl.  insb. 10,12). Einer ähnlichen Dynamik unterliegt Noch in Kol 1,12. Bei Paulus auf die Korintherkorrespondenz beschränkt; im quantitativen Sinne genug/viel/ ausreichend: 1 Kor 11,30; 2 Kor 2,6, im Sinne von geeignet/fähig: 1 Kor 15,9. Die gleiche Bedeutungsbreite findet sich im übrigen Gebrauch im NT und in der LXX. 299 Neun von 13 Belegen für συνιστάνειν bei Paulus entfallen auf 2 Kor; davon sechsmal ἑαυτοὺς συνιστάνειν. 300 Das entbindet auch von den Schwierigkeiten, die die Annahme mit sich bringt, Paulus würde in 3,1b das Konzept von Empfehlungsbriefen insgesamt verwerfen (vgl. Schröter 1993, 51–57). 297 298

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im paulinischen Denken auch der Ruhm. Regelmäßig bezeichnet Paulus durch καύχημα/καύχησις/καυχάομαι das reziproke Verhältnis zu den durch seinen Verkündigungsdienst entstandenen Gemeinden.301 Insofern resoniert diese thematische Linie auch vor dem Hintergrund der propositio des Briefes. h Die von ἐπιστολή ausgehende Bildwelt Das Motiv der Empfehlungsbriefe aus 3,1 (συστατική ἐπιστολή) ist Anlass für ein zusammenhängendes, wenn auch nicht kohärentes Bildfeld in 3,1b–3. Paulus bezeichnet die Adressaten selbst als seinen (Empfehlungs-)„Brief “, der in sein Herz geschrieben und von allen Menschen als solcher erkannt und gelesen worden sei (3,2).302 Im Folgevers entfaltet und spezifiziert er dieses Bild nach zwei Seiten hin. Zum einen seien die Korinther als Brief Christi offenbar geworden. Die Bemerkung, Paulus habe an diesem Brief Christi dienend gewirkt (διακονηθεῖσα ὑφ᾽ ἡμῶν) ist so unspezifisch formuliert, dass sie auch offen verstanden werden sollte. Man wird sie „nicht pressen dürfen. Paulus wird kaum mehr sagen wollen, als daß er mit dem Brief zu tun hat, aber jedenfalls nicht dessen Autor ist“303. „Zugestellt“ bietet sich als eine Hilfsübersetzung an, die im Bildfeld bleibt. „Besorgt“ transportiert die Ambivalenz des Begriffs. Als Autor des Briefes kommt vielmehr Christus in Betracht. Der Genitiv ist dann als Genitivus auctoris zu verstehen. Auch hier sollte eine Engführung jedoch vermieden werden. Dass Christus Verfasser des Briefes ist, schließt nicht aus, dass der Brief auch von Christus handelt (Genitivus obiectivus).304 Zum anderen führt Paulus das Bild aus, der Brief sei auf Herzen geschrieben, wobei er sich um eine möglichst exakte Bestimmung bemüht, die er in Antithesen ausdrückt. Zunächst äußert er sich zum Schreibmittel, dann zum Beschreibstoff. Wenn er betont, der Brief sei nicht mit normaler Tinte geschrieben, bleibt er noch recht nah am Bildspender, entfernt sich aber sofort mit der Aussage, Schreibmittel sei der „Geist des lebendigen Gottes“ gewesen. Gar nicht mehr ins Ausgangsbild passt die Bemerkung zum Beschreibstoff, in der steinerne Tafeln Tafeln lebendiger Herzen gegenübergestellt werden. Auf die wahrscheinliche Herkunft dieses Motivs aus der prophetischen Tradition, zusammengebunden mit einem Verweis auf die Sinaigeschichte, ist oben bereits hingewiesen worden (s. o. ‎4.2.3.3c). Der Schlüssel zu seinem Verständnis ist in dem Element zu suchen, das 3,2 und 3,3 verbindet und jeweils wiederholt wird: dem Herzen. Ganz auf der Linie alttestamentlicher und frühjüdischer Anthropologie versteht Paulus das Herz als Personzentrum und damit als den „‚Ort‘ des Menschen, an dem die Begegnung mit Gott […] sich realisiert“305. Der prophetischen Vorlage nach richtet Gott seinen Bund neu auf, indem er das Vgl. Wilk 2010. Vgl. auch Phil 1,7: Paulus hat die Philipper im Herzen. 303 Lindemann 1999, 42, Anm. 16. 304 Vgl. Schmeller 2010, 178. 305 Sand 2011, 617. Vgl. überdies Wolff 1973, 68–90. 301 302

4.3 Gedankliche Kartierung

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Herz verwandelt, ihm die Tora einschreibt und damit den gesamten Menschen erneuert. Auch für Paulus ist es das Herz, an dem sich die Stellung zu Gott entscheidet (vgl. 1 Thess 2,4; 1 Kor 4,5) und in dem Gottes Geist wirkt (vgl. Gal 4,6). Entsprechend ist auch im vorliegenden Text das Herz der Ort, an dem Gott es leuchten lässt und Erkenntnis geschieht (4,6). Wenn Paulus von einem Brief spricht, der auf Herzen geschrieben ist, markiert er damit zunächst also insofern eine Differenz zu anderen Empfehlungsbriefen, als Gott es ist, der diesen Empfehlungsbrief ausstellt, und nicht irgendein Mensch. Und wenn Gott Paulus etwas ins Herz geschrieben hat, hat er ihn durch seinen Geist auch nachhaltig verändert. Abermals steht hier also Gottes Urheberschaft an Paulus Verkündigung im Mittelpunkt, vermittelt durch Christus. Zudem füllt Paulus seinen Verkündigungsdienst auch inhaltlich, da anzunehmen ist, dass er für sich in Anspruch nimmt, Gottes Wirken an die Korinther vermittelt zu haben. Nur so können diese ja als sein Empfehlungsbrief bekannt werden. Paulus Empfehlung sollte den Korinthern also einsichtig sein, weil sie selbst durch seinen Verkündigungsdienst Gottes lebensverändernde Macht erfahren haben. Dass hier verschiedene Bilder ineinanderfließen und miteinander kollidieren, ist deutlich sichtbar. Das Ausgangsbild der Korinther als Brief im Herzen des Paulus erinnert an Äußerungen des Apostels, er trage seine Gemeinde im Herzen (vgl. Phil 1,7). Eine Spannung bedeutet schon die Vorstellung, dass ein ins Herz geschriebener „Empfehlungsbrief “ allgemein bekannt wurde. Das unvermittelte Motiv der „Tafeln“, noch dazu der „Steintafeln“ in 3,3, ist zwar durch die Erwähnung des Mosebundes in Jer 38 herzuleiten, kann in dieser Intensität aber nur als Vorausverweis auf die später verhandelte Exodustradition verstanden werden. In der Gegenüberstellung von geistbeschriebenen Herzenstafeln und unbelebten Steintafeln ist schon hier der Gegensatz von lebendigmachendem Geist und tötendem Buchstaben vorausgenommen. Ganz sauber fließen aber auch diese Bilder nicht ineinander. Das zweite Element, das die Charakterisierung des Briefes in 3,2 und 3,3 verbindet, das Partizip ἐγγεγραμμένη, ist gleichermaßen auf Stein- und Herzenstafeln anzuwenden. Wenn sich der Geist also des Schreibens bedient, bedient er sich im Bild gedacht letztlich auch der γράμματα, geht aber über den bloßen „Buchstaben“ hinaus. i Ausdrücke des Vertrauens und der Zuversicht (πεποίθησις; ἐλπίς; παρρησίᾳ; οὐκ ἐγκακοῦμεν) Paulus nimmt die Ausführungen zu seinem Dienst wiederholt zum Anlass, sein Vertrauen und seine Zuversicht Gott gegenüber auszudrücken. Das Offenbarwerden der Korinther als Empfehlungsbrief ist Gegenstand seines durch Christus vermittelten Vertrauens Gott gegenüber (πεποίθησις; 3,4). Die Hoffnung (ἐλπίς), einen Dienst auszuüben, der beständig vom göttlichen Herrlichkeitsglanz erfüllt ist, verleiht ihm Freimut (παρρησία; 3,12). Dass er seinen Dienst gemäß dem Erbarmen Gottes empfangen hat, bewahrt ihn davor zu verzagen (οὐκ ἐγκακοῦμεν; 4,1).

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

Dadurch, dass jede dieser Äußerungen durch die Verbindung mit dem Verb ἔχω formelhaft gestaltet ist, kommt ihnen strukturierendes Gewicht zu. Derartige „Habe-Formeln“306 finden sich nicht nur hier sondern auch in 4,7 und 4,13 bis 5,1 und damit im gesamten Abschnitt 2,14–5,10. j Die Verkündigungstätigkeit als Dienst (διακονία) Reflektiert Paulus in den einleitenden Abschnitten 2,14–17 und schließlich auch in 4,1–6 ganz ausdrücklich auf seine Verkündigung, nimmt er seine Tätigkeit zwischen diesen Abschnitten unter dem Schlagwort διακονία in den Blick. Die semantische Linie zieht sich von 3,3 über 3,6–9 bis 4,1 durch den gesamten Text und verklammert die einzelnen Segmente lexikalisch miteinander. Paulus führt das Konzept des Dienens in 3,3 ein, um seinen Anteil an der Existenz der Gemeinde als Brief Christi zu bezeichnen (ἐπιστολὴ διακονηθεῖσα). Er nimmt seine eigene Rolle damit zwar zurück, will sich keinesfalls als Autor des Briefes verstanden wissen, beharrt jedoch zugleich darauf, auf exklusive Weise mit dem Brief verbunden zu sein. In diesem relativierenden und zugleich einen Anspruch bekundenden Sinne ist der Gebrauch des διακονία-Stammes den Korinthern aus 1 Kor 3,5 bekannt. Hier bezeichnet Paulus sich und Apollos als „Diener“ (διάκονοι), die zwar Anteil daran haben, dass die Korinther zum Glauben gekommen sind, aber nicht in ursächlicher Verantwortung dafür stehen. Das tut Gott allein. Von sich als „Diener eines neuen Bundes“ (διάκονοι καινῆς διαθήκης) spricht Paulus dann auch ganz ausdrücklich in 3,6b. Damit ist sein Dienst zum einen als Dienst am neuen Bund qualifiziert. Zum anderen betont Paulus abermals die Abhängigkeit dieses Dienstes von Gott. Die Aussagen, die Paulus 2,14–15 über das Gewicht seiner Rolle im Triumphzug Gottes getroffen hatte, an dessen Annahme oder Ablehnung sich Leben und Tod entscheiden, sind auf den Begriff der διακονία zu übertragen. Dies wird deutlich, wenn Paulus sich im direkten Fortgang des Textes dem lebenschaffenden Geist zuordnet und vom tötenden Buchstaben abgrenzt. Im Geiste dieses Gegensatzes fährt Paulus fort, das Bild von einem Dienst des Todes und der Verdammnis zu entwerfen, dem er Mose zuordnet und dem er den eigenen Dienst des Geistes und der Gerechtigkeit gegenüberstellt (3,7–9). Dass beide Dienste Anteil am göttlichen Herrlichkeitsglanz haben, mahnt jedoch, ihre Gemeinsamkeiten bei aller Gegensätzlichkeit nicht zu klein anzusetzen. Begegnet der Begriff in den drei Versen 3,7–9 viermal und ist das Konzept auch in 3,11 präsent, so fällt sein Fehlen in 3,12–18 umso mehr auf. Paulus beschreibt sein Handeln in 3,12 ganz allgemein mit „verfahren“ (χράομαι). Erst in 4,1 wird διακονία wieder aufgegriffen, abermals auf die Aktivität Gottes, namentlich sein Erbarmen, zurückgeführt und nun als Grund für Lebenswandel 306

Klauck 1987, 269.

4.3 Gedankliche Kartierung

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und Ausdauer des Paulus angeführt. Die Mose-διακονία ist wieder aus dem Blick geraten. Trotz der verschiedenen Zusammenhänge, in denen Paulus hier von διακονία spricht, scheint das dahinterstehende Konzept einheitlich zu sein: eine von Gott gestiftete Fähigkeit und Aufgabe, an seinem Offenbarungswerk mitzuwirken. Diese Deutung entspricht dem allgemeinen Gebrauch von „Dienst“ (διακονία) und „Diener“ (διάκονος). Auch in der nicht-christlichen Literatur ist der Begriff in der Bedeutung „spokesman“307 geläufig und in ein dichtes Assoziationsnetz geknüpft. Wenn Paulus von sich und Apollos als „Dienern“ spricht (1 Kor 3,5), deren Dienst sich an Christus ausrichtet (1 Kor 3,11), gilt: „To the Corinthians this word conveys at once that Apollos and Paul belong to a god, that they have been entrusted with the god’s message, that they have the duty to pass it on and the right to be heard and believed [… . T]he preaching of the evangelist is merely the vehicle of God’s own effects.“308 Wenn Paulus in 2 Kor 6,4 sein eigenes Verhalten am Maßstab der Kategorie „Diener Gottes“ (θεοῦ διάκονοι) misst, setzt er dieses Konzept voraus. Der Begriff „indicates Paul’s role as the authoritative mouthpiece of God“309. Dass das Verständnis von διακονία in Bezug auf Mose ein anderes sein sollte, ist nicht angezeigt, zumal der Mosedienst ja gerade in puncto Herrlichkeitsglanz (δόξα) vergleichend hinzugezogen wird und im Brennpunkt des Interesses durchgängig der Paulusdienst steht. Vielmehr ist augenfällig, wie sehr diese Beschreibung auch auf den Dienst des Mose hin anwendbar ist, wie er in Exodus geschildert wird. Der Unterschied zwischen beiden Diensten ist anderswo zu verorten. Hierdurch ist der Begriff „Bund“ (διαθήκη) sachlich mit dem διακονία-Wortfeld verbunden. Die Rede von „Dienern eines neuen Bundes“ (3,6) macht dies auch formal deutlich. διαθήκη ist im vorliegenden Zusammenhang wohl im Lichte von Jer 31 zu verstehen (s. o. ‎4.2.3.3c) und nach 1 Kor 11,25 mit Christus verbunden. In der Auslegung sind die Grenzen zwischen Bund und Dienst beständig verwischt worden. Das beginnt beim Anschluss der Apposition „nicht des Buchstabens, sondern des Geistes“ (οὐ γράμματος ἀλλὰ πνεύματος) an „Diener eines neuen Bundes.“ Grammatikalisch kann sie sowohl an διαθήκη als auch an διακονία angeschlossen werden. Meist geschieht ersteres, so dass von einem Bund des Geistes im Gegensatz zu einem Bund des Buchstabens die Rede ist.310 Vieles weist jedoch auf die andere Möglichkeit. Als Genitivattribut ist der Bund dem Dienst untergeordnet, auf dem der Satzakzent liegt. Zudem sprechen die Folgeverse nicht von einem Bund, sondern von einem Dienst des Geistes. Überhaupt ist es der Dienst, 307 Collins 1990, 195. Vgl. Hentschel 2013, 130–133. Die Untersuchung von Platon (v. a. Resp. 371; Polit 290), Dion. Chrys. 7,67; 49,7–6, sowie verschiedener Belege bei Epiktet und Lukian bei Hentschel 2007, 34–60, bestätigt im Wesentlichen Collins Ergebnisse. 308 Collins 1990, 196. 309 Collins 1990, 198. Das Nebeneinander der Begriffe διάκονος und διακονία in 2 Kor  3,6 f.; 6,3 f.; zeigt, dass zwischen beiden nicht zu differenzieren ist. 310 Vgl. Windisch 1924, 110; Lang 1986, 270 f.; Wolff 1989, 62; Schmeller 2010, 184, u. v. a.

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über den im gesamten Abschnitt eine Aussage getroffen wird, nicht der Bund. Demnach muss von Dienern des Geistes im Gegensatz zu Dienern des Buchstabens die Rede sein, wie es auch insgesamt besser zur Gegenüberstellung von Paulus und Mose passt.311 Die lapidare Bemerkung, zwischen beiden Möglichkeiten sei „der inhaltliche Unterschied […] gering“312, verkennt die Tragweite dieser Entscheidung und erklärt vorschnell die Natur von Mose- und Christusbund zum thematischen Schwerpunkt der Passage. Dabei steht die Antithese zwischen neuem Bund und altem Bund (παλαιά διαθήκη; 3,14) keineswegs so sehr im Mittelpunkt des Textes, dass sie zwingend „in V. 6 sachlich vorausgesetzt [ist], auch wenn der Begriff erst in V. 14b erscheint“313. In ihrer Bedeutung sind beide Begriffe auf verschiedenen Ebenen angesiedelt. Bezeichnet der Bund in 3,6 den Wirkraum des paulinischen Dienstes, steht er in 3,14 für den Inhalt der mosaischen Verkündigung. Damit gilt insgesamt: Das bestimmende Konzept ist das des Dienstes. Das Konzept des Bundes ist ihm zu- und untergeordnet. k Die von δόξα ausgehende Bildwelt Der Herrlichkeitsglanz (δόξα) Das Wort δόξα hat eine breite Bedeutungsspanne. Während für 2 Kor  3 vor allem von der in der LXX geprägten Bedeutung „(göttlicher) Glanz, Herrlichkeit“ auszugehen ist, lautet die relevante profangriechische Übersetzung „Ruhm, Ehre, Ansehen“ (mitunter aber auch der schlechte Ruf ).314 Die im profanen Griechisch vorherrschende Bedeutung „Meinung, Ansicht“ (auch von der falschen Meinung und Phantasie) wird bei Paulus wie auch im gesamten Neuen Testament auffälligerweise nicht gebraucht.315 Den Begriff δόξα greift Paulus in 3,7 auf. Aus dem δόξα-Besitz des Todesdienstes folgert er a fortiori den δόξα-Besitz des eigenen Dienstes. Wie auch die Wortstatistik für 3,7–11 zeigt, sind δόξα und διακονία eng aufeinander bezogen. Wiederholt ordnet Paulus beiden Diensten δόξα als Attribut zu. Auf der einen Seite geschah der Dienst, der zum Tod führt, in δόξα (3,7), besitzt der Dienst, der zur Verurteilung führt, δόξα (3,9) und existiert dieser Dienst durch δόξα (3,11). Auf der anderen Seite geschieht der Dienst, der vom Geist bestimmt ist in δόξα (3,8), fließt der Dienst, der zur Gerechtigkeit führt, an ihr über (3,9) und existiert dieser Dienst in ihr (3,11).

Vgl. Nicklas 2012, 242; Duff 2015, 132 f. Schmeller 2010, 184, Anm. 98. 313 Hofius 1989, 75, Anm. 1. 314 LSJ gibt „the opinion which others have of one, estimation“ und „good repute, honour, glory“ als Übersetzungsmöglichkeiten an, „rarely of ill repute“. Die Ambivalenz des Begriffs mag die Ambivalenz der Hörerschaft Paulus gegenüber widerspiegeln. 315 LSJ umschreibt mit „notion, opinion, judgement, whether well grounded or not“, ferner „mere opinion, conjecture“ sowie „fancy, vision“. 311 312

4.3 Gedankliche Kartierung

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Die Doppelnennung von δόξα in 3,7, einmal als Attribut des Dienstes, einmal konkret als Glanz auf dem Gesicht des Mose, rückt den Begriff in den Mittelpunkt des Verses und verlangt eine Klärung der dahinterstehenden Vorstellung. Scheint der Begriff in 3,7 recht unvermittelt zu begegnen, so ist seine Verwendung im Kontext doch von zwei Seiten her angebahnt. Zum einen steht es zu vermuten, dass die Ersthörer, die mehrheitlich von einem paganen Hintergrund herkommen, δόξα in der hellenistisch-profanen Nebenbedeutung „Ansehen“ als an dieser Stelle sinnvolle Kategorie verstehen, da im Zusammenhang noch immer die Frage nach einer Empfehlung und Befähigung des Paulus im Raum steht. Die Alternative entspräche spezifisch hellenistisch-jüdischem Sprachgebrauch, von dem unklar ist, inwieweit er in einer pagan-hellenistischen Stadt wie Korinth und einer überwiegend heidenchristlichen Gemeinde flächendeckend vorausgesetzt werden kann. Zwar war er den Korinthern aus 1 Kor bekannt (vgl. 1 Kor 2,8; 10,31), allerdings gebraucht Paulus beide Bedeutungen nebeneinander (vgl. 1 Kor 4,10 und 2 Kor 6,8). Es ist also durchaus naheliegend, dass die Adressaten δόξα zunächst auf diese Weise verstanden haben – und womöglich auch verstehen sollten.316 Das muss keineswegs ausschließen, dass Paulus den Begriff zum anderen (auch) in der Tradition der LXX und vor dem Hintergrund der Sinaioffenbarung verstanden wissen will, wie 3,7b deutlich macht. Das jüdisch-alttestamentliche Verständnis tritt dann zu dieser Bedeutung hinzu. δόξα begegnet hier demnach in einer Mehrfachbedeutung, schillernd zwischen profanem Ansehen, Glanz und göttlicher Herrlichkeit, die im Deutschen praktisch nicht wiederzugeben ist. Die im Zusammenhang angemessenste Übersetzung scheint „Herrlichkeitsglanz“ zu sein, da sie zumindest die beiden vorherrschenden alttestamentlichen Bedeutungen abdeckt. In den gleichen Dimensionen spricht Paulus auch über seine Befähigung durch Gott (3,4–6): Allein Anteilhabe am göttlichen Herrlichkeitsglanz ist es, die sein Ansehen als Verkündiger begründen kann, so wie es allein Gott ist, der ihn zu seinem Dienst befähigt. Empfehlungsbriefe und Selbstempfehlung anhand anderer Maßstäbe scheiden für ihn kategorisch aus. Im gesamten Alten Testament ist δόξα als Dimension der göttlichen Gegenwart gedacht, vor allem als ihr sichtbarer Ausweis. Im näheren Umfeld der deutlich markierten Textvorlage Ex 34 ist mehrfach von der δόξα Gottes die Rede, wobei die Begegnung Gottes mit der Wahrnehmung seiner δόξα eng verknüpft ist.317 Im Akt der Begegnung, genauer, während Gott mit ihm spricht, wird das Gesicht des Mose „verherrlicht“ (Ex 34,29). Im Hintergrund steht der Gedanke einer sich mitteilenden δόξα Gottes, die einen in der Begegnung verändert. Im Falle des Mose bis hin zum sichtbaren Glanz auf seinem Gesicht. 316 Vgl. für diese Position Schröter 1993, 117 f.; vgl. Guthrie 2015b, 45, mit Verweis auf Harrison 2009, 329. 317 Vgl. Ex 33,18: δεῖξόν μοι τὴν σεαυτοῦ δόξαν. Vgl. auch Ex 33,19.22. Ungeachtet der Weigerung Gottes, Mose im Angesicht gegenüberzutreten (Ex 33,20), ist es eben diese Begegnung, von der Ex 34 berichtet.

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

Dass Paulus in 3,18 genau dieses Konzept der wirksam werdenden, den Betrachter transformierenden δόξα ohne weitere Erläuterungen aufgreift, lässt darauf schließen, dass er es auch in 3,7 mitdenkt. In 3,18 begegnet explizit das Syntagma δόξα κυρίου. Wie in einem Spiegel sähen die Christusgläubigen den Herrlichkeitsglanz des Herrn und würden so in dasselbe Bild verwandelt „von Herrlichkeitsglanz zu Herrlichkeitsglanz“ (ἀπὸ δόξης εἰς δόξαν).318 Auch dort ist es eine Form der vermittelten Begegnung mit Gott, bei der dessen Herrlichkeitsglanz so auf das Gegenüber einwirkt, dass es selbst „verherrlicht“ wird.319 Damit schwingt im Begriff δόξα deutlich der transformative Aspekt der Gottesbegegnung mit. Die δόξα entfaltet eine Wirksamkeit. Dieses Verständnis schließt eine Lücke im sonstigen Gebrauch des Begriffs im zweiten Korintherbrief. Begegnet δόξα dort entweder als Attribut Gottes (v. a. 3,7–18; 4,1–6.7–18), Attribut einzelner oder einer Gruppe von Gläubigen (v. a. 4,4.6.15–17; 8,23) oder als etwas, was Gläubige oder die Gemeinde Gott erweisen („Ehre“ v. a. 1,20; 4,15; 8,19; 9,13–14)320, so bildet die Vorstellung, wie die Gläubigen Anteil an Gottes Herrlichkeit erhalten, die fehlende vierte Seite, die das Quadrat schließt. Es ließe sich schematisierend von einem Kreislauf von δόξα sprechen: Wer der Herrlichkeit Gottes ansichtig wird, wird durch diese Herrlichkeit in ein Abbild der Herrlichkeit verwandelt. Und durch sein Tun, vor allem durch weitere Verkündigungstätigkeit, kann er so wiederum Gott verherrlichen.321 Dieses Schema mag vereinfachend sein. Dass in 3,7 aber an den transformativen Aspekt der Gottesbegegnung gedacht ist, steht angesichts der Weise, wie Paulus hier auf Mose Bezug nimmt, außer Frage. „Beholding the glory of the Lord makes one glorious.“322 Zudem wird es so möglich, der Formulierung „nicht verherrlicht wurde das Verherrlichte“ in 3,10 (οὐ δεδόξασται τὸ δεδοξασμένον) einen tatsächlichen Sinn abzugewinnen. Sie lässt sich von dieser Warte aus auf das „verherrlichte“ Gesicht des Mose beziehen, das, insofern seine Wirksamkeit gehemmt wurde, nicht weiter „verherrlicht“ wurde. Auf Mose und Paulus anwendbar wird der Begriff durch seine Bedeutungsbreite. Meint Paulus, wenn er in Bezug auf Mose von δόξα spricht, den physisch sichtbaren Herrlichkeitsglanz, von dem Ex 34 erzählt, wendet er den Begriff in Bezug auf den eigenen Dienst in bildlicher Sprache an. Das dahinterstehende Konzept der δόξα 318 Schon in 1 Kor  11,7 spricht Paulus von δόξα als Abbild/Abglanz  – freilich in einem ganz anderen Zusammenhang. 319 Die Verbindung zur mosaischen Gottesbegegnung lässt sich traditionsgeschichtlich noch erhärten, da vermutlich Mosetraditionen hinter einigen Problemen in der Exegese von 3,18 stehen. Die spätere rabbinische Tradition deutet Num 12,8 wiederholt darauf, dass Mose Gott in einem Spiegel gesehen habe. Eine Bemerkung bei Philo (Leg. All. 3.99–101), lässt darauf schließen, dass auch ihm diese Tradition bereits bekannt war. Wenn aber die Spiegeltradition nachweislich in der alexandrinischen jüdischen Gemeinschaft bekannt war, ist durchaus denkbar, dass sie über Apollos auch nach Korinth vermittelt wurde (vgl. Litwa 2012, 290–292). 320 Vgl. für diese Kategorisierung Emerson/Morgan 2015, 22–26. 321 Ähnlich kann Theobald 1982 von χάρις sprechen. 322 Guthrie 2015b, 52.

4.3 Gedankliche Kartierung

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als erfahrbarer Realität Gottes bleibt aber das Gleiche. Besonders plastisch wird der Charakter dieser Bildsprache und des dahinterstehenden Gedankens in 4,4.6, dem einzigen Ort, an dem Paulus im Briefzusammenhang für das Offenbarungsgeschehen ausdrücklich auf Lichtmetaphorik zurückgreift:323 Während die Israeliten Mose physisch nicht anblicken konnten, sind es bei denen, die vom „Leuchten“ der paulinischen Verkündigung nicht erreicht werden, die Gedanken, die der Gott dieses Äons „geblendet“ hat. Das verunmöglichte „Sehen“ ist demnach ein innerliches, der „Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit Christi“ äußerlich nicht wahrnehmbar. Durchweg ist der Begriff δόξα damit an die Idee der Offenbarung und Erkenntnis Gottes angeschlossen. Er bezeichnet weniger die bloße Tatsache seiner Herrlichkeit als ihren „sichtbaren“ Ausweis, die erfahrbare Dimension Gottes; weniger die bloße Qualität der einander gegenübergestellten Dienste als ihre Ausrichtung und Zielsetzung: Der Verkündigungsdienst vergegenwärtigt Gott und führt so zur Transformation der Hörerschaft durch Gottes Wirken auf Gott hin. Vor dem Hintergrund dieser Vorstellung erschließen sich Paulus Beharren auf seiner göttlichen Sendung und Befähigung sowie der Nachdruck, den er darauf legt, aus der Unmittelbarkeit zu Gott heraus zu verkündigen. Es ist bemerkenswert, dass diese Eigenschaft dem von Mose ausgeübten Dienst nicht grundsätzlich abgesprochen wird. Den Unterschied zum Mosedienst arbeitet Paulus hingegen anhand des Begriffs καταργέω heraus. καταργέω Paulus charakterisiert den Herrlichkeitsglanz auf dem Gesicht des Mose als τὴν δόξαν … τὴν καταργουμένην (3,7). Die Übersetzung von καταργέω an dieser Stelle hat weitreichende Konsequenzen, findet das Verb doch noch an drei weiteren Schlüsselstellen des Textes Verwendung (3,11.13.14). Fraglich sind Zeitstufe, Diathese und lexematischer Gehalt. Die klassische, vor allem von Hans Windisch bis heute in der Exegese etablierte Übersetzung „verblassen“ denkt an ein allmähliches Erlöschen des Herrlichkeitsglanzes auf dem Gesicht des Mose. Denn „[d]er Glanz auf dem Angesicht des Moses war nur Abglanz von der Glorie, die dem Moses auf dem Berge erschienen war Ex 2416 f., und mußte darum erlöschen“324. Von dieser Lesart bestimmt ist nahezu die gesamte deutschsprachige Übersetzungstradition. Seit gut zwanzig Jahren ist jedoch wiederholt darauf aufmerksam gemacht worden, wie problematisch dieses Verständnis ist. Einerseits verlangt es die Eintragung von Vorstellungen in die biblische Tradition, die der Text nicht aufruft,325 andererseits wird es vom Bedeutungsspektrum des Lexems her nur schwerlich abgedeckt. Bei 323 τυφλόω, λάμπω und φωτισμός sind überhaupt paulinische Hapaxlegomena. φῶς begegnet in 2 Kor sonst nur in anderen Zusammenhängen (vgl. 6,14; 11,14.). 324 Windisch 1924, 114. 325 Vgl. z. B. Hafemann 1995, 286 f.298–301, und Hays 1989, 133.

366

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

keinem der ohnehin raren Belege für das Verb in der griechischsprachigen Literatur findet sich die Bedeutung „verblassen“. Übereinstimmend mit dem Gebrauch bei Paulus werde es vielmehr verwendet „to refer to the decisive act of abolishing or bringing something to an end“326. Ausgehend von dieser Beobachtung sind wiederholt neue Übersetzungsvorschläge gemacht worden. William Baker schlägt nach einem Abgleich mit den übrigen Belegen bei Paulus „to render ineffective“ vor.327 George H. Guthrie resümiert auf der gleichen Linie: „At each place the word speaks of something being made inoperative, or ineffective, that is of something being neutralized.“328 Dies passt zur Beobachtung, dass δόξα die Wirksamkeit des Dienstes ausdrückt. Demnach bietet sich am ehesten „unwirksam machen“ als Übersetzung an. In der Frage der Diathese spricht vor allem die eindeutig passivische Parallele in 3,14 für einen passiven und keinen medialen Gebrauch.329 Folgt man Scott Hafemann, steht jedoch gerade bei Passivformen der Effekt des Unwirksammachens besonders im Vordergrund.330 Schließlich wird breit diskutiert, auf welcher Zeitstufe τὴν καταργουμένην anzusiedeln ist. Carol Kern Stockhausen war eine der ersten, die dem damaligen Forschungskonsens, der Herrlichkeitsglanz des Mose sei in der Vergangenheit langsam verblasst, mit der Beobachtung widersprach, καταργουμένη sei Partizip Präsens, und demnach könne der Herrlichkeitsglanz sein Ende erst in der Gegenwart, näherhin durch Christus gefunden haben.331 Dagegen wurde mit Recht eingewendet, dass das Partizip Präsens dem gängigen Gebrauch nach lediglich die Gleichzeitigkeit zum übergeordneten Satz ausdrückt, der in diesem Falle im Aorist steht.332 Das entscheidet die Auseinandersetzung zwar noch nicht eindeutig gegen die Überlegung Stockhausens, verschiebt die Beweislast aber auf die Verfechter einer auch temporal präsentischen Lesart. Hinzu kommt das Gegenüber zum (logischen) Futur im Hintersatz 3,8. Eine angemessene Übersetzung lautet demnach in etwa „Herrlichkeitsglanz, der unwirksam gemacht wurde“. Die enge Bindung des Dienstes an den Herrlichkeitsglanz auf Moses Gesicht macht es möglich, in 3,11 vom Dienst insgesamt als „das außer-Kraft-Gesetzte“ (τὸ καταργούμενον) zu sprechen. Dieser Gebrauch scheint in 3,13 beibehalten zu werden. Die Verwendung von καταργέω in 3,14c wiederum ist schwerer zu greifen und wird erst nach eingehenderer exegetischer Betrachtung ausgewertet werden können. 326 Hafemann 1995, 303. Vgl. auch Garrett 2010, 739–745, und vgl. Barret 2015, 72. Vehementer Widerspruch gegen diese Beobachtung scheint mitunter eher theologisch als exegetisch motiviert zu sein, vgl. Grindheim 2001. 327 Baker 2000, 4 f. 328 Guthrie 2015b, 51. 329 Schmeller 2010, 204 mit Anm. 187. 330 Hafemann 1995, 308. Er verweist auf 1 Kor 15,26 und Röm 4,14. 331 Stockhausen 1989, 119. 332 Vgl. u. a. Hafemann 1995, 298–301. Sehr scharf in der Zurückweisung Stockhausens ist Baker 2000, 11 f.

4.3 Gedankliche Kartierung

367

Die Decke (κάλυμμα) Gerade weil der Begriff δόξα so eindeutig den Abschnitt 3,7–11 bestimmt und prominent wieder in 3,18 und 4,6 aufgegriffen wird, fällt sein Fehlen ab 3,12 auf. Bis 3,18 ist er nur ex negativo präsent, stattdessen ist κάλυμμα der bestimmende Begriff dieses Abschnitts. Bezeichnet κάλυμμα zunächst die physisch greifbare Decke des Mose (3,13), verschiebt sich die Bedeutung schon im nächsten Vers. Hier spricht Paulus ausdrücklich von derselben Decke (τὸ αὐτὸ κάλυμμα), die durch die Zeiten hinweg bei der Verlesung des alten Bundes gegenwärtig ist. Schließlich spricht Paulus von der Decke auf den Herzen der Juden, die ihre verhüllende Funktion bis in die Gegenwart bei der Verlesung des „Mose“ ausübe (3,15). Die Decke überträgt sich also vom Gesicht Moses auf die Herzen derer, die die Texte der Tora hören. Damit erfährt auch κάλυμμα eine Transformation vom konkreten zum bildhaften Sprachgebrauch, analog zur Bedeutungsverschiebung von δόξα vom physisch sichtbaren Herrlichkeitsglanz des Mose zu der nur innerlich erfahrbaren Herrlichkeit des Paulus. Hier wie dort behindert die Decke Erkenntnis und wird so zur Metonymie der Verhärtung. Der ganze Gedankengang wird durch die Bemerkung eingeleitet, im Zusammenhang der Verhüllung des Mose seien die Sinne der Israeliten „verhärtet“ worden (3,14a: ἐπωρώθη τὰ νοήματα αὐτῶν). Auf die womöglich alttestamentliche Provenienz dieses Motivs und seine Rezeption in Röm 11,7.25 ist bereits eingegangen worden (s. o. ‎4.2.3.2c). Aufschlussreicher sind an dieser Stelle die „Gedanken“ (νοήματα).333 Diese sind semantisch eng verwandt mit dem Motiv „Herz“.334 Schließlich gilt das Herz nach der traditionellen jüdischen Anthropologie als Sitz der Gedanken, Gefühle und des Willens des Menschen – eine Sicht, in die Paulus hellenistisch-anthropologische Kategorien gemeinhin einzeichnet (vgl.  insb. Röm 1,24).335 Wie oben anhand von 3,2 f. gezeigt, bezeichnet das Herz damit für Paulus auch den Teil des Menschen, an dem Gott wirkt. Schon in 2 Kor 1,22 hatte Paulus das Herz als den Ort der Manifestation des göttlichen Geistes eingeführt.336 Ist mit δόξα die Wirkweise des Offenbarungsdienstes beschrieben, bezeichnet das Herz sein Rezeptionsorgan. Was im Herzen geschieht, ergreift und betrifft den 333 Die Formulierung lässt aufhorchen. Während sich in der biblischen Literatur eine Fülle von Belegen für die Verhärtung des Herzens (καρδία), Verstandes (διάνοια) oder Sinnes (νοῦς) findet, ist die Formulierung mit νοήμα singulär, entspricht aber der Vorliebe des Paulus für dieses Wort in 2 Kor (2,11; 3,14; 4,4; 10,5; 11,3. Sonst nur Phil 4,7). Jewett 1971, 381, verweist zur weiteren Verwendung des Wortes auf Jes 6,9; Mk 6,52; 8,17; Joh 12,40; A. J. 7,2; Ebr. 108. Er kommt zum Schluss, dass Paulus in 2 Kor νοήματα (üblicherweise: Gedanken) im Sinne von νοῦς (Sinn, Verstand) verwendet (nur der Sinn als „Gedankenorgan“ könne als verblendet bezeichnet werden, nicht aber die Gedanken als dessen Bewegung), findet aber keine befriedigende Erklärung, wann und warum Paulus welchen Begriff wählt (vgl. Jewett 1971, 383 f.). 334 Vgl. vgl. Theobald 1982, 193, Anm. 129, unter Verweis auf 2 Kor 4,4.6; Phil 4,7 und die Verbindung von Joh 12,40 mit Jes 6,9. Vgl. auch Bar 2,8 und Schlier 1971, 189. 335 Vgl. Jewett 1971, 448; Sand 2011, 616. 336 Vgl. auch Gal 4,6.

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4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

ganzen Menschen. Umgekehrt muss aber auch gelten: Was das Herz nicht erreicht, erreicht den Menschen nicht. Deshalb ist die Decke auf dem Herzen so verheerend. Sie verhindert, dass der göttliche Herrlichkeitsglanz den Menschen erreicht. Von daher ist die Bewegung der Decke vom Gesicht des Mose auf die Verlesung seiner Worte und auf die Herzen der Israeliten schon im einleitenden Satz angelegt. Damit handelt es sich insgesamt nicht um eine „Wanderung“ der Decke vom einen zum anderen Ort. Vielmehr ist der Sache nach stets das Gleiche ausgedrückt: So, wie die Decke auf dem Gesicht des Mose verhinderte, dass die Israeliten in einen unmittelbaren Kontakt mit dem verwandelnden und mitunter verheerenden Herrlichkeitsglanz treten (3,13), verhindert sie noch in der Gegenwart bei der Verlesung seiner Worte (3,14.15a) eine Berührung des Herzens (3,15b). In beiden Fällen hemmt sie die Wirksamkeit des mosaischen Dienstes. Paulus und mit ihm die Christusgläubigen werden hingegen nicht von dieser Hülle gehindert, sondern vermögen es, den Herrlichkeitsglanz des Herrn unvermittelt zu schauen (3,18). Sie tun dies auf dem unverhüllten Gesicht Christi (ἀνακεκαλυμμένῳ προσώπῳ). Wenn die entsprechende Formulierung auch allgemein so verstanden wird, dass Paulus und die Gläubigen den Herrlichkeitsglanz sehen können, weil ihr eigenes Gesicht unverhüllt ist, spricht doch vieles dafür, sie als Hinweis auf Christi unverhülltes Gesicht zu lesen.337 Schon 3,14c.d hielt fest, dass die Decke nicht anderweitig aufgedeckt wird, weil sie durch Christus außer Kraft gesetzt werde (μὴ ἀνακαλυπτόμενον ὅτι ἐν Χριστῷ καταργεῖται).338 Dass Paulus hier das gleiche Verb verwendet, um das Schicksal der Decke zu beschreiben, mit dem er zuvor den Effekt der Decke auf den Herrlichkeitsglanz ausgedrückt hatte, treibt die Schärfe der Aussage auf die Spitze.339 Schon wenn sie im Rahmen des Mosedienstes auf der Verlesung des alten Bundes „bleibt“ (3,14b: τὸ αὐτὸ κάλυμμα ἐπὶ τῇ ἀναγνώσει τῆς παλαιᾶς διαθήκης μένει), wird sie ja nicht mehr gegenständlich, sondern im übertragenen Sinne als eine dämpfende Wirkmacht gedacht. Diese wird nun durch Christus, also im Bereich des Paulusdienstes, außer Kraft gesetzt. Dies kann aber nur geschehen, wenn die Decke durch Christus nicht nur aufgedeckt wird, sondern Christus auch ihre Notwendigkeit aufhebt, die zumindest 337 Ich danke Prof. Dr. Florian Wilk für den Hinweis auf diese Möglichkeit der Übersetzung. Sie trägt dazu bei, logische Spannungen im Text zu mildern (s. u. S. 465). Sprachlich scheint dies ungewöhnlich, aber möglich. In jedem Falle ermöglicht es eine kohärentere Deutung. Möchte man an der üblichen Deutung festhalten („wir sehen mit unverhüllten Angesicht“), wäre der Vers seiner Bedeutung nach zwar nicht verändert, denn unabhängig davon, „wo“ die Decke sich befindet, drückt sie den gleichen Sachverhalt aus. Die Bildwelt wäre jedoch noch weniger kohärent und müsste sowohl eine weitere „Verschiebung“ der Decke vom Herzen zum Gesicht der Gläubigen als auch eine weitere Unschärfe im Mosebild integrieren. 338 Für eine exegetische Erörterung s. u. 4.4.6.3. 339 Auf der Linie dieser Gegenüberstellung liegt auch der uneinheitliche Sprachgebrauch. Während 3,16c.18 sachlich neutral von „enthüllen“ (ἀνακαλύπτω) sprechen, wird die Decke in 3,14d ihrer Funktion nach „außer Kraft gesetzt“ (καταργέω), in 3,16 „weggenommen“ (περιαιρέω, vgl. Ex 34,34).

4.3 Gedankliche Kartierung

369

zu Moses Zeiten noch bestanden hat. Christus aber wird später explizit als Kyrios vorgestellt (4,5). Zwar überfrachtet es den Text, dem zu entnehmen, schon Mose habe notwendigerweise Christus gesehen, wenn er sich frei von der Decke zum Kyrios wandte,340 jedoch ist die Identität von Christus und Kyrios für die Gegenwart unbestritten. Zudem trägt Christus ausdrücklich den göttlichen Herrlichkeitsglanz auf seinem Gesicht. Wenn durch Christus also die Decke fortgenommen wird, ist er es selbst, den die Gläubigen der Gegenwart sehen, nämlich als Träger des göttlichen Herrlichkeitsglanzes, mehr noch als Kyrios und Bild Gottes. In dieses Bild werden die Gläubigen, seiner ansichtig, selbst verwandelt.341 Das Bild der Decke klingt noch einmal in 4,3 an. Auch dort wird sie metaphorisch verwendet und schließlich über die Grenzen des Vergleichs von Mose und Paulus hinausgeführt. Offensichtlich ist die „Verhüllung“ des Evangeliums bei den Ungläubigen im Anschluss an die Verhärtung der Israeliten zu denken. l Lichtschein (φωτισμός) als Metapher für die Verkündigung Eine ähnliche Vermischung von Sinneseindrücken, wie sie schon in 2,14 zu beobachten war (s. o. S. 354), findet sich in 4,6. Dort beschreibt Paulus seine Verkündigung im Bild des Lichtscheins (φωτισμός) und führt im gleichen Zusammenhang das eindeutig auditive „verkündigen“ (4,5: κηρύσσω) an.342 Allgemein begegnet Lichtmetaphorik bei Paulus verhältnismäßig selten.343 Umso markanter ist ihre Verwendung hier. Der Begriff φωτισμός selbst findet sich nur, wenn Paulus in 4,6 den „Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi“ als Ziel Gottes Handelns an ihm beschreibt und in 4,4 vom Lichtglanz des Evangeliums spricht. Das von φωτισμός ausgehende Wortfeld dominiert aber zumindest den ganzen Abschnitt 4,1–6.344 Wie Gott aus Finsternis Licht hervorscheinen lässt (4,6b: ἐκ σκότους φῶς λάμψει), lässt er es auch im Herzen des Paulus bzw. der Paulusgruppe aufleuchten (4,6c: ἔλαμψεν ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν) (s. u. ‎4.4.7.3). Der „Gott dieser Welt“ hingegen verblendet die Ungläubigen, damit sie den Glanz des Evangeliums nicht schauen können (4,4: ἐτύφλωσεν … εἰς τὸ μὴ αὐγάσαι τὸν φωτισμὸν). Auch die Rede von „Bild“ (4,4: εἰκών) und „Gesicht“ (4,6: πρόσωπον) gehört letztlich hierher. Es ist zu fragen, ob und inwiefern die Verwendung all dieser Bilder durch das δόξα-Motiv motiviert ist. Ein Indiz dafür, dass sie von dort her inhaltlich zu füllen ist, findet sich in der eingangs erwähnten Verbindung visueller Bilder mit einem auditiven Ausdruck, worin sich die Verwendung eines visuellen Bildes (Herrlichkeitsglanz) für die Wirksamkeit der kognitiv-auditiven Verkündigungstätigkeit spiegelt. So etwa Hanson 1980 und Klauck 1986, 40. Vgl. dazu unten 4.4.6.5. 342 Vgl. Gerber 2005, 199 f. 343 Gerber 2005, 198. 344 Vgl. auch Gerber 2005, 199, Anm. 239. 340 341

370

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

4.3.3.2 Übersicht über semantische Linien und thematischer Abgleich Wie die Übersicht über wiederkehrende Begriffe gezeigt hat, stehen die von ihnen ausgehenden Wortfelder nicht als abgegrenzte semantische Einheiten nebeneinander, sondern sind miteinander verschränkt und gehen teils fließend ineinander über. Angemessener wäre es also von einem dichten Netz semantischer Linien zu sprechen. Allesamt lassen sie sich dem übergeordneten Thema des paulinischen Verkündigungsdienstes zuordnen und mehrheitlich betonen sie dessen konstitutive Gottesbeziehung und -befähigung. Wenn die Sinnlinien auch ineinanderfließen, so haben viele Bilder, in denen Paulus sich ausdrückt, doch einen jeweils lokalisierbaren Schwerpunkt im Text. Triumphzug und Duft dominieren die Eingangsverse 2,14–16. Die explizite Abgrenzung gegen andere zeitgenössische Verkündiger ist auf 2,17–3,1 beschränkt. Auch das Briefmotiv scheint von der Oberflächenstruktur des Textes her eher Stichwortgeber zu sein. Das Motiv begegnet nur in 3,1–3 und wird dann unter Beibehaltung des „Geistes“ eigenständig mit γράμμα ab 3,6 fortgeschrieben. Den Transfer leistet das Schlagwort „Steintafeln“ (3,3.7). Freilich wird auch der Gedanke des Lesens wieder aufgegriffen (3,14 f.). Die Rede vom Dienst beschränkt sich wesentlich auf 3,7–11; genauso die Rede von δόξα, die dann jedoch in 3,18 wieder aufgegriffen wird, auf den Rest des Abschnittes ausstrahlt und Anlass zur Lichtmetaphorik 4,1–6 gibt. Innerhalb dieser Klammer dominiert die Decke das Geschehen. Eine äußere Klammer um den Text bilden explizite Verkündigungsmotive (2,17; 4,2.5) und die Frage von Befähigung und Empfehlung (2,16; 3,1; 4,2). Verschiedene andere Sinnlinien ziehen sich quer durch den ganzen Text. So die Beteuerung der eigenen Offenheit und Redlichkeit (2,17; 3,12; 4,2), Hoffnung und Zuversicht (3,4.12; 4,1), vor allem aber auch die Rede von Herz und Sinn (3,2.3.14.15; 4,4.6) an denen Erkenntnis (2,14; 3,2[14.15]; 4,6) wirkt. Ein Blick auf die expliziten Gegensatzpaare unterstützt keineswegs die landläufige Ansicht, eine Mose-Paulus-Antithese dominiere das Kapitel. Vielmehr setzt Paulus seine eigene Person, sein Verhalten und ihm zugeordnete Attribute von vielfältigen Kontrastgrößen ab. Möchte man gedankliche Linien in den Antithesen erkennen, so lässt sich ihre Mehrheit auf den Gegensatz von Leben/Rettung und Tod/Verderben zurückführen. Da sich beides am paulinischen Verkündigungsdienst entscheidet, ist dies kaum überraschend. Auch der Gegensatz zu „Mose“ ist in diese Linie eingegliedert und auf den Rahmen der expliziten Exodusbezugnahme ab 3,7 beschränkt. Und selbst dort werden Mose und Paulus nur in 3,12 f. einander gegenübergestellt und zwar nicht als Personen, sondern ihrem Handeln nach. Überall sonst im Abschnitt sind beide in ein größeres Geschehen eingezeichnet (kontrastierende Dienste, Enthüllung und Verhüllung) und begegnen nicht in erster Linie als persönlich greifbare Größen.

4.3 Gedankliche Kartierung

371

gerettet werden Leben lauter mit Gottes Wort umgehen

verloren gehen Tod Gottes Wort verschachern

2,15 2,16 2,17

nicht auf Empfehlungsbriefe angewiesen sein Geist des lebendigen Gottes Tafeln lebendiger Herzen Geist – töten vom Geist bestimmt sein (Dienst) Gerechtigkeit (Dienst) bleiben (Dienst)

auf Empfehlungsbriefe angewiesen sein Tinte Steintafeln Buchstabe – lebendig machen zum Tode führen (Dienst) Verurteilung (Dienst) außer Kraft gesetzt sein (Dienst)

3,3

Paulus (in Freimut)

Mose (verhülltes Angesicht)

3,12f

3,6 3,7f 3,9 3,11

in Christus enthüllt und außer Kraft gesetzt verhüllt bleiben (Decke) sein (Decke)

3,14

(die verborgenen Dinge der Schande) ablegen sich durch die Offenbarung der Wahrheit den Gewissen der Menschen angesichts Gottes empfehlen Christus als Herrn verkündigen

(im Dienst) ermatten

4,1

in Verschlagenheit wandeln und das Wort Gottes verfälschen

4,2

sich selbst verkündigen

4,5

Die Gegensatzpaare, die nicht der Linie Rettung/Verderben zugeordnet werden können, lassen sich direkt dem Thema „Verkündigung“ zuordnen. Entsprechend sollte auch mit den nicht explizit ausgedrückten, aber im Text zu findenden Gegensätzen verfahren werden, auf denen die traditionelle Deutung der Passage ruht. neuer Bund

alter Bund

3,6/3,14

Christusgläubige

Israel

3,13–15/3,18

Damit bewährt sich das vorläufig formulierte Thema „Gottes Handeln an Paulus, das ihn in die Lage versetzt, einen ganz auf Christus hin ausgerichteten Offenbarungsdienst auszuüben“ auch in Anbetracht des semantischen Inventars. Deutlich wird dies vor allem an den motivischen Klammern um den gesamten Text (Empfehlung/Befähigung und Verkündigung) und der Ausrichtung auf Gottes Handeln, die sich wiederholt in der Analyse einzelner Begriffe und Motive gezeigt hat. Neuen Nachdruck legt die semantische Analyse auf den Aspekt der Wirksamkeit des paulinischen Dienstes, die aus seiner Gottesbeziehung heraus erwächst und zugleich den Blick auf das Gegenüber zu den Adressaten lenkt. Es ist auffällig, wie dominant die Fragen von Einsicht und Unverständnis verhandelt werden, auch und gerade im Rahmen des ausdrücklichen Exodusbezuges. Von daher legt es sich nahe, dies als offene Thematisierung des Briefanliegens zu verstehen: die Korinther zur Einsicht

2,14 15 16a.b 16c 17 3,1 2 3 4 5 6a.b 6c 7 8 9 10 11 12 13a 13b 14a 14b–d 15 16 17 18 4,1 2 3 4 5 6

Wiederaufnahme von Begriffen und Motiven verhüllen/enthüllen, κάλυμμα

außer Kraft setzen/bleiben

Gesicht/Bild

sehen/Licht

δόξα

Bund

Zuversicht/Vertrauen

Tafeln

Geist

Dienst

Herz/Sinn

schreiben

Empfehlung

Lauterkeit

Verkündigung

Befähigung

Leben/Tod

Universalität

Erkenntnis

Offenbarung

372 4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

2,14 15 16a.b 16c 17 3,1 2 3 4 5 6a.b 6c 7 8 9 10 11 12 13a 13b 14a 14b-d 15 16 17 18 4,1 2 3 4 5 6

Wiederaufnahme von Akteuren der „Gott dieser Welt“

„der Herr“

Mose

Israeliten

Geist

„alle Menschen“

„ihr“

andere Verkündiger

οἱ ἀπολλύμενοι

οἱ σῳζομένοι

Christus

„wir“

Gott

4.3 Gedankliche Kartierung

373

374

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

in die Natur des paulinischen Dienstes führen und so verdeutlichen, inwiefern sie Paulus Ruhm sind und Paulus ihr Ruhm ist. Von dieser Warte aus erklärt sich auch der Nachdruck, den Paulus zu Beginn und Ende der Passage auf seinen lauteren Lebenswandel legt. Offenbarung: 2,14 φανερόω; 3,3 φανερόω; 4,2 φανέρωσις Erkenntnis: 2,14 γνῶσις; 3,1 γινώσκω; ἀναγινώσκω; 3,15 ἀναγινώσκω; 4,6 γνῶσις Universalität: 2,14 πάντοτε; ἐν παντὶ τόπῳ; 3,2 πάντες ἄνθρωποι; (3,18 ἡμεῖς πάντες;) πᾶσα συνείδησις ἀνθρώπων Leben-Rettung/Tod-Verderben: 2,15 οἱ σῳζομένοι; οἱ ἀπολλύμενοι; 2,16a.b θάνατος; ζωή; 3,3 πνεῦμα θεοῦ ζῶντος; 3,6c ἀποκτείνω; ζωοποιέω; 3,7 θάνατος; 3,9 κατάκρισις; δικαιοσύνη; 4,3 οἱ ἀπολλύμενοι; 4,4 οἱ ἄπιστοι Befähigung: 2,16c ἱκανός; 3,5 ἱκανός; ἱκανότης; 3,6a ἱκανότης; 4,1 καθὼς ἠλεήθημεν Verkündigung: 2,17 ὁ λόγος τοῦ θεου; 4,2 ὁ λόγος τοῦ θεου; 4,3 εὐαγγέλιον; 4,4 εὐαγγέλιον; 4,5 κηρύσσω Lauterkeit: 2,17 εἰλικρίνεια; 3,12 παρρησίᾳ; 4,2 ἀπειπάμεθα κτλ. Empfehlung: 3,1 συνίστημι; συστατική ἐπιστολή; 4,2 συνίστημι schreiben: 3,2 ἐγγράφω ; 3,3 ἐγγράφω; 3,6b.c γράμμα Herz/Sinn: 3,2 καρδία; 3,2 καρδία; 3,14a νοήματα; 3,15 καρδία; 4,4 νοήματα Dienst: 3,3 διακονέω; 3,7 διακονία; 3,8 διακονία; 3,9 διακονία; 4,1 διακονία Geist: 3,3 πνεῦμα; 3,6b.c πνεῦμα; 3,8 πνεῦμα; 3,17 πνεῦμα; 3,18 πνεῦμα Tafeln: 3,3 πλάξ; 3,7 ἐντυπόω λίθοις Zuversicht/Vertrauen: 3,4 πεποίθησις; 3,12 ἐλπίς; 4,1 οὐκ ἐγκακοῦμεν Bund: 3,6b καινή διαθήκη; 4,14b παλαιά διαθήκη δόξα: 3,7 δόξα; 3,8 δόξα; 3,9 δόξα; 3,10 δοξάζω; τὸ δεδοξασμένον; δόξα; 3,11 δόξα; 3,18 δόξα; 4,4 δόξα; 4,6 δόξα sehen/Licht: 3,7 ἀτενίζω; 3,18 κατοπτρίζω; 4,4 τυφλόω; αὐγάζω; φωτισμός; 4,6 σκότος; φῶς; λάμπω; φωτισμός; Gesicht/Bild: 3,7 πρόσωπον; 3,13b πρόσωπον; 3,18 πρόσωπον; εἰκών; 4,4 εἰκών; 4,6 πρόσωπον außer Kraft setzen/bleiben: 3,7 καταργέω; 3,11 τὸ καταργούμενον; τὸ μένον; 3,13b καταργέω; 3,14c.d μένω; καταργέω verhüllen/enthüllen, κάλυμμα: 3,13b κάλυμμα; 3,14b-d κάλυμμα; ἀνακαλύπτω; 3,15 κάλυμμα; 3,16 περιαιρέω; κάλυμμα; 3,18 ἀνακαλύπτω; 4,2 τὰ κρυπτὰ; 4,3 καλύπτω

4.3.3.3 Segmentierung anhand begrifflicher Verdichtungen und markanter Wiederaufnahmen Neben gedanklichen Figuren kann auch die Ballung bestimmter Begriffe als textgliederndes Signal verstanden werden.345 Besonders deutlich ist dieses Phänomen im Text bei den Begriffen διακονία, δόξα und κάλυμμα. Insbesondere die Wiederholung ganzer Satzbaumuster (hier: Habe-Formeln)346 sind entsprechend auszuwerten. Diese Beobachtungen lassen sich in folgender Übersicht darstellen: 345 346

Vgl. Harvey 1998, 103 f. Vgl. Harvey 1998, 104.

4.3 Gedankliche Kartierung

375

2,14–16b dominierendes Motiv: Triumphzug und Duft 2,17–3,1 dominierendes Motiv: Abgrenzung von anderen Verkündigern 3,1–3,3 dominierendes Motiv: Briefe 3,4 3,5–6 3,7–11

Habe-Formel mit Vertrauensbekundung dominierendes Motiv: Befähigung dominierende Begriffe: διακονία, δόξα

3,12 Habe-Formel mit Hoffnungsbekundung 3,13–18 dominierender Begriff: κάλυμμα (3,18 Wiederaufnahme von δόξα) 4,1 4,2–6

Habe-Formel mit Zuversichtsbekundung diffuse Lichtmetaphorik

Weiterhin hat die Wiederaufnahme zentraler Begriffe gliederndes Gewicht, wobei jedoch anhand der rein formalen Betrachtung unklar bleibt, ob sie der Eröffnung oder dem zusammenfassenden Abschluss eines Abschnittes dient.347 Beim vorliegenden Text gilt dies vor allem für die Wiederaufnahmen von in ἱκανός in 3,4, πνεῦμα in 3,17, δόξα in 3,18, in 4,1 und die vielfältigen Wiederaufnahmen ab 4,1. 4.3.4 Stil und Betonung 4.3.4.1 Allgemeine stilistische Merkmale Mehr noch als andere paulinische Texte ist die vorliegende Passage von der Figur der Antithese geprägt, vor allem in der Form der correctio. Paulus bemüht sich um die größtmögliche Konturierung der eigenen Position. Über weite Strecken ist der Abschnitt stilistisch dicht gestaltet und wirkt dadurch gut geplant und durchkomponiert. Dabei setzt Paulus auffälligen Redeschmuck eher zurückhaltend ein und setzt damit deutliche Akzente. Auffällig ist die Gedankenführung in einer Vielzahl chiastischer Strukturen und Parallelismen. Während die semantischen Linien sich auf unübersichtliche Weise kreuzen und vermischen, lässt sich der Text anhand dieser stilistischen Muster recht sauber unterteilen. 4.3.4.2 oral patterns und ihnen verwandte Strukturen und Markierungen Der Abschnitt 2,14–4,6 ist von einer Vielzahl von Parallelismen und chiastischen Strukturen geprägt. Hinzu kommt die wiederholte direkte Ansprache der Adressaten als gliederndes Merkmal. Eine erste Kette solcher Muster markiert die gedankliche Geschlossenheit von 2,14–16b. So ist zunächst die partizipiale Beschreibung göttlichen Handelns in 2,14b.c chiastisch gestaltet.348 Am deutlichsten ausgewiesen wird dies durch die paronomas347 348

Vgl. Holmstrand, 27. Vgl. Oliveira 1990, 19; Hellholm 2008, 259. Mehr von der gedanklichen als von der formalen

376

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

tische Entsprechung von „allezeit“ (πάντοτε) und „allerorten“ (ἐν παντὶ τόπῳ) an den Rändern der Figur (A/A').349 Sodann wird das Handeln Gottes an und durch die Paulusgruppe beschrieben (B/B'). Wenn dies jeweils durch eine Partizipialform und unter Gebrauch des Personalpronomens der 1. Person Plural geschieht, findet sich auch hier nicht nur eine inhaltliche, sondern eine sprachliche Entsprechung. In der Mitte der Figur treffen sich die Bezugnahme auf Christus (C) und die sprachlich ambivalente Bezugnahme auf den Duft „seiner“ Erkenntnis (C'). Unmittelbar einsichtig ist die Beziehung zwischen beiden Aussagen nicht. Dennoch klingt schon hier an, was in 2,15a und schließlich in 4,6 evident wird: Paulus ist Christi Wohlgeruch und soll die Erkenntnis Christi befördern. Von daher liegt es nahe, beim „Duft seiner Erkenntnis“ unmittelbar an Christus und nur mittelbar an Gott zu denken.350 Dass es sich um die einzige chiastische Struktur im gesamten Abschnitt handelt, die keine Antithese ausdrückt,351 setzt sie vom übrigen Zusammenhang ab. A – τῷ πάντοτε B – θριαμβεύοντι ἡμᾶς C – ἐν τῷ Χριστῷ C' – καὶ τὴν ὀσμὴν τῆς γνώσεως αὐτου B' – φανεροῦντι δι᾽ ἡμῶν A' – ἐν παντὶ τόπῳ·

Durch die miteinander korrespondierenden bestimmten Artikel und Relativpronomen im Dativ noch deutlicher markiert ist die Inversion von 2,15b in 2,16a.b.352 Nachdem die, die gerettet werden, und die, die verloren gehen, als Empfänger des Offenbarungsgeruchs eingeführt wurden, beschreibt 2,16a.b in umgekehrter Reihenfolge, wie der Duft auf die beiden Gruppen wirkt. Beide Seiten der Figur sind durch Epipher (2,15b) bzw. Anapher (2,16a.b) betont.353 Dabei wird die antithetische Gegenüberstellung im zweiten Teil sprachlich noch hervorgehoben (μέν/ δέ) und durch den parallelen Aufbau der beiden Relativsätze unterstrichen.354

Struktur her denkend spricht Kuschnerus 2002, 102, Anm. 31, von einem synthetischen Parallelismus. Schneider 1970, 55, spricht hier im Anschluss an Lausberg § 800 von einer Vorform der commutatio, nämlich der „‚Gegenüberstellung eines Gedankens und seiner Umkehrung durch Wiederholung zweier Wortstämme bei wechselseitigem Austausch der syntaktischen Funktionen der beiden Wortstämme in der Wiederholung‘“. 349 Vgl. Hellholm 2008, 264. 350 Mit Oliveira 1990, 20, gegen Schröter 1993, 24. Natürlich kann die Ambivalenz an dieser Stelle sehr gut gewollt und rhetorisches Programm sein: Erkenntnis Christi und Erkenntnis Gottes bedeuten für Paulus im Ergebnis dasselbe. 351 Vgl. Hellholm 2008, 259. 352 Vgl. Harvey 1998, 198; Oliveira 1990, 22. 353 Vgl. Hellholm 2008, 263 f. 354 Zum antithetisch verstärkenden Charakter des Redeschmucks vgl. Schneider 1970, 35 f. Die Betonung einer Antithese durch Partikeln begegnet bei Paulus regelmäßig (vgl. Schneider 1970, 40).

4.3 Gedankliche Kartierung

377

ὅτι Χριστοῦ εὐωδία ἐσμὲν τῷ θεῷ A – ἐν τοῖς σῳζομένοις B – καὶ ἐν τοῖς ἀπολλυμένοις, B' – οἷς μὲν ὀσμὴ ἐκ θανάτου εἰς θάνατον, A' –οἷς δὲ ὀσμὴ ἐκ ζωῆς εἰς ζωήν.

Beide Gedankeneinheiten sind dadurch miteinander verklammert, das 2,15a sukzessive die Satzglieder von 2,14c aufnimmt:355 καὶ τὴν ὀσμὴν τῆς γνώσεως αὐτοῦ (Geruch) φανεροῦντι δι᾽ ἡμῶν (wir) ἐν παντὶ τόπῳ (Wirkungskreis) ὅτι Χριστοῦ εὐωδία (Geruch) ἐσμὲν τῷ θεῷ (wir) ἐν τοῖς σῳζομένοις καὶ ἐν τοῖς ἀπολλυμένοις, (Wirkungskreis)

Vom Redeschmuck her zu urteilen, der 2,15b–16b zukommt, trägt diese gedankliche Einheit einen etwas stärkeren Akzent als die vorangegangene. Syntaktisch ist sie der Hauptaussage 2,15a jedoch klar untergeordnet. Hier liegt die Betonung eindeutig auf der Person Christi, so wie sie in 2,14 auf Gott lag. In beiden Fällen ist das Substantiv prominent an den Satzanfang gerückt.356 Einen deutlichen, stilistischen Einschnitt bedeutet die rhetorische Frage 2,16c. Sie markiert durch das betont vorangestellte „dazu“ (πρὸς ταῦτα) jedoch den gedanklichen Anschluss an das Vorangegangene.357 2,17 ist in sich selbst wiederum als Parallelismus gestaltet. Insgesamt hat der Vers die Form einer doppelten correctio.358 Die eingangs negierte Aussage, die Paulusgruppe sei „nicht wie“ (οὐ γάρ ἐσμεν ὡς) andere Verkündiger, wird zweifach mit „sondern wie“ (ἀλλ᾽ ὡς) korrigierend aufgegriffen. Die Anapher springt umso mehr ins Auge, als die Figur der correctio an sich nicht die Parallelität betont.359 Die Vergleichsgrößen entsprechen sich dahingehend, dass erst der Aspekt der unlauteren Verkündigung, dann der göttlichen Qualität des Redens aufgenommen wird. A – οὐ γάρ ἐσμεν ὡς B – οἱ πολλοὶ καπηλεύοντες τὸν λόγον τοῦ θεοῦ, A' – ἀλλ᾽ ὡς B' – ἐξ εἰλικρινείας, A''– ἀλλ᾽ ὡς B'' – ἐκ θεοῦ κατέναντι θεοῦ ἐν Χριστῷ λαλοῦμεν. 355 Vgl. Oliveira 1990, 21. Kuschnerus 2002, 104, hebt zusätzlich den „Merismus (distributio)“ von ἐν παντὶ τόπῳ zu ἐν τοῖς σῳζομένοις καὶ ἐν τοῖς ἀπολλυμένοις hervor und erkennt ferner „eine subnexio in Überkreuzstellung der Entsprechungsglieder (praeoccursio-Typ)“. 356 Vgl. Kuschnerus 2002, 102; Oliveira 1990, 19.21. 357 Vgl. Kuschnerus 2002, 137; Oliveira 1990, 23. 358 Vgl. Oliveira 1990, 25. Schneider 1970, 52 nennt dies die „weiterentwickelte Form der correctio: non x, sed y1, sed y2“. 359 Vgl. Hellholm 2008, 263; Schneider 1970, 52.

378

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

Die beiden Fragen in 3,1 zeigen abermals einen deutlichen Einschnitt an. Untereinander sind auch sie parallel aufgebaut. „Oder etwa“ (ἢ μή) führt die zweite Frage „nicht als Alternative ein, sondern als steigernde Ergänzung“360 der ersten, die ausführlicher und konkreter ausfällt. Auch hier ist ein Satzglied durch Voranstellung betont: „wir brauchen“ (χρῄζομεν).361 Die Verse 3,2 f. sind ihrem Aufbau nach vielfach ineinander verschränkt. Die Beziehung zwischen beiden Versen wird zunächst darin deutlich, dass 3,3b die zentrale Aussage aus 3,2a umkehrt und fortführend aufgreift. Aus „unser Brief seid ihr“ (ἡ ἐπιστολὴ ἡμῶν ὑμεῖς ἐστε) wird „dass ihr ein Brief Christi seid“ (ὅτι ἐστὲ ἐπιστολὴ Χριστοῦ), was 3,3 als „eine Art kommentierte Wiederholung“ von 3,2 ausweist.362 Als „self-correcting statement“363 passt dies dem Geiste nach gut in die Reihe der correctiones, die die Passage durchziehen. Während die Partizipialergänzung aus 3,2b in 3,3 aufgegriffen und breit ausgeführt wird, lässt sich fragen, ob die Ergänzung aus 3,2c, der Brief sei von allen Menschen erkannt und gelesen worden, im einleitenden Partizip 3,3a, „von euch ist offenbar geworden“ (φανερούμενοι), widerhallt. Eine zweifache correctio begegnet auch prompt in 3,3, wenn die Beschaffenheit des Briefes zunächst in Hinblick auf das Schreibmaterial, dann auf den Beschreibstoff festgehalten wird. Während die Glieder der ersten correctio nur wenig äquivalent sind – hier stehen Tinte (οὐ μέλανι) und der Geist des lebendigen Gottes (ἀλλὰ πνεύματι θεοῦ ζῶντος) einander gegenüber –, wird der Gegensatz zwischen den Gliedern der zweiten correctio durch die größere Parallelität der Formulierung und reicheren Redeschmuck betont.364 A – ἡ ἐπιστολὴ ἡμῶν ὑμεῖς ἐστε B – ἐγγεγραμμένη ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν, (C –) γινωσκομένη καὶ ἀναγινωσκομένη ὑπὸ πάντων ἀνθρώπων, (C' –) φανερούμενοι A' – ὅτι ἐστὲ ἐπιστολὴ Χριστοῦ διακονηθεῖσα ὑφ᾽ ἡμῶν, B' – ἐγγεγραμμένη οὐ μέλανι ἀλλὰ πνεύματι θεοῦ ζῶντος, οὐκ ἐν πλαξὶν λιθίναις ἀλλ᾽ ἐν πλαξὶν καρδίαις σαρκίναις.

3,4 betont durch Voranstellung das Vertrauen (πεποίθησις) Gott gegenüber und gibt Anlass zu einer weiteren correctio, deren Glieder je in sich chiastisch angelegt sind.365 360 Oliveira 1990, 54. Zu einem anderen Beispiel bemerkt Zeller 2010, 443, Anm. 373: Eine Reihung von rhetorischen Fragen, die mit ἤ eingeführt werden können, ist für den Diatribenstil des Paulus typisch. 361 Vgl. Oliveira 1990, 56. 362 Oliveira 1990, 59. Vgl. zur Parallele auch Duff 2004, 317 f.; Lambrecht 1983a, 354, u. v. a. 363 Hellholm 2008, 262. 364 Zur Beschreibung als Hypallage vgl. Hellholm 2008, 264, als Promeosis vgl. Oliveira 1990, 60. 365 Vgl. Oliveira 1990, 65. Die Ellipse von λέγω in 3,5a ist konventionell und somit stilistisch nicht auszuwerten. Vgl. auch BDR § 480.

4.3 Gedankliche Kartierung

379

Abermals wird dies formal nur an den äußeren Entsprechungspaaren sichtbar. Hier begegnet zunächst zweimal das maskuline Reflexivpronomen im Genitiv Plural (A/A'), dann begegnen zwei Bildungen vom ἱκανο-Stamm (C/C'). Die inneren Entsprechungspaare sind gedanklich aufeinander bezogen, indem sie einander explizieren (B/B') oder als Subjekt wiederaufnehmen (D/D'). Die chiastische Struktur ist damit zwar durchaus vorhanden, aber insgesamt schwach ausgeprägt. Eher ist es das dreifache Polyptoton vom ἱκανο-Stamm, das den Aspekt der Befähigung hier in den Vordergrund rückt.366 A – οὐχ ὅτι ἀφ᾽ ἑαυτῶν B – ἱκανοί ἐσμεν B' – λογίσασθαί τι A' – ὡς ἐξ ἑαυτῶν, C – ἀλλ᾽ ἡ ἱκανότης ἡμῶν D – ἐκ τοῦ θεοῦ, D' – ὃς C' – καὶ ἱκάνωσεν ἡμᾶς

Auch wenn sie motivisch an 3,6a.b anschließt, begegnet die correctio 3,6c der formalen Geschlossenheit halber als eine eigenständige Sentenz. Ihre Glieder sind nicht nur dem Aufbau aus Artikel – Partikel – Subjekt – Prädikat nach,367 sondern auch in Wort- und Silbenzahl identisch.368 Darüber hinaus sind sie durch Homöoptota aufeinander bezogen,369 was insgesamt zur Figur der complexio führt.370 τὸ γὰρ γράμμα τὸ δὲ πνεῦμα

ἀποκτέννει, ζῳοποιεῖ.

Der gesamte Absatz 3,7–11 wird durch ein wiederkehrendes Muster im Satzbau bestimmt, in dem sich die den Versen zugrundeliegende Argumentationsstruktur abbildet: ein dreifaches „wenn aber/nämlich … (um) wieviel mehr“ (εἰ δέ/γάρ … πῶς οὐχὶ/πολλῷ μᾶλλον). So sehr diese Parallele in der Formulierung heraussticht und die Schlüsse 3,7 f.9.11 einander zuordnet, so wenig darf übersehen werden, dass eben nicht alle drei Formulierungen identisch sind. Die erste hebt sich sowohl in der einleitenden Partikel des Vordersatzes (δέ statt γάρ) als auch in der Form des Nachsatzes ab, der nicht als Aussage, sondern als Fragesatz gestaltet ist. Ähnliches gilt für die anderen verbindenden Elemente der drei Schlüsse. Herrlichkeitsglanz (δόξα) begegnet zwar in allen dreien und die Parallele wird teils durch Epipher betont (3,7a/8: ἐν δόξῃ371). Was Satzglied und Kasus anbelangt, begegnet sie insgesamt aber in verschiedenen Formen der Bezugnahme. Die Natur der Dienste (διακονία) Vgl. Hellholm 2008, 263, und Kuschnerus 2002, 172. Vgl. Hellholm 2008, 260. 368 Vgl. Oliveira 1990, 67. 369 Vgl. Kuschnerus 2002, 178; Oliveira 1990, 67. 370 Vgl. Hellholm 2008, 263. 371 Vgl. Hellholm 2008, 263. 366 367

380

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

schließlich wird zwar in allen drei Schlüssen verhandelt, der Begriff begegnet aber nur in den ersten beiden. A – Εἰ δὲ ἡ διακονία τοῦ θανάτου … B – πῶς οὐχὶ μᾶλλον ἡ διακονία τοῦ πνεύματος … A' – εἰ γὰρ τῇ διακονίᾳ τῆς κατακρίσεως … B' – πολλῷ μᾶλλον περισσεύει ἡ διακονία τῆς δικαιοσύνης … A'' – εἰ γὰρ τὸ καταργούμενον … B'' – πολλῷ μᾶλλον τὸ μένον …

Besonderes inhaltliches Gewicht scheint in 3,7 den Worten „geschah in Herrlichkeit“ (ἐγενήθη ἐν δόξῃ) zuzukommen. Sie sind durch ihre Schlussstellung in der unterbrochenen Periode 3,7a betont. Außerdem werden sie durch die Anmerkungen 3,7fin ausgeweitet. Überhaupt fällt der erste Schluss 3,7 f. auch durch seine Fülle an Nebenbemerkungen aus der Reihe. Die Wiederholung des Satzbauschemas und der Hauptbegriffe in 3,9 bedeutet „für die Aussagekraft des Satzes eine Intensivierung“372. Durch Redeschmuck stark betont ist wieder 3,10. Auch wenn man in der kryptisch anmutenden Aussage „nicht verherrlicht wurde das Verherrlichte“ (οὐ δεδόξασται τὸ δεδοξασμένον) kein „Oxymoron der schärfsten Art“373 sehen möchte, sind Paronomasie und Polyptoton vom δόξα-Stamm schwerlich zu übersehen (δεδόξασται … δεδοξασμένον … δόξης).374 Wenn es sich auch nicht um die Spitzenaussage des Absatzes handelt,375 kommt ihr dadurch doch einiges Gewicht zu. Wenn 3,11 das Satzbauschema der a fortiori-Schlüsse wieder aufnimmt, die beiden Dienste aber synekdochisch durch τὸ καταργούμενον und τὸ μένον ersetzt, wird dieser Gegensatz durch Homöoptoton verstärkt.376 Die wesentlichen Akzente im Absatz 3,7–11 liegen wegen seiner Andersartigkeit auf dem ersten a fortiori-Schluss 3,7 f., sodann auf der eingefügten Bemerkung 3,10, schließlich auf dem zweiten und dritten a fortiori-Schluss 3,9 und 3,11.377 Der Vers 3,12 steht für sich genommen außerhalb von Mustern, die man als oral pattern bezeichnen könnte. Gerade der aufmerksamkeitslenkende Satzbruch in 3,13a bindet ihn aber eng an den Folgevers. Aus stilistischer Perspektive unterstreicht die Aposiopese den ausgesagten Gegensatz zwischen Paulus und Mose.378 372 Oliveira 1990, 71. „Rhythmus, Formelhaftigkeit und Prägnanz“ (Oliveira 1990, 71) sind jedoch nicht in besonderem Maße festzustellen. 373 So etwa Oliveira 1990, 73 mit der großen Mehrheit der Ausleger. Zur hier vertretenen Gegenposition s. u. 4.4.5.2. 374 Vgl. Hellholm 2008, 263; ferner Oliveira 1990, 72. 375 So Lambrecht 1983a, 356 f., der hier jedoch die Mitte einer konzentrischen Struktur sieht. 376 Vgl. Oliveira 1990, 74. 377 Schneider 1970, 54, erwägt, den gesamten Abschnitt als Kette von comparationes zu begreifen: „Das Charakteristische der comparatio liegt […] in ihrer präzisierenden Funktion. Indem der vorgegebene Gegensatz präzisiert wird, wird er aber auch zugleich verschärft. So sichert das Gegensätzliche am Besonderen das Gegensätzliche am Allgemeinen.“ 378 Vgl. auch Oliveira 1990, 78, und BDR § 482, Anm. 4.

4.3 Gedankliche Kartierung

381

3,13b–15b können gut als zwei teils inhaltlich, teils formal parallel aufgebaute Aussagen verstanden werden.379 Einer Äußerung zum Verbleib der Decke (A/A') folgt zunächst ein mit μή eingeleiteter Nachsatz unter Verwendung von καταργέω (wenn auch jeweils ganz unterschiedlich gebraucht: B/B'), sodann eine mit ἀλλά angeschlossene Aussage über die Wirkung auf die Israeliten, ihre Sinne (C: ἐπωρώθη τὰ νοήματα) bzw. Herzen (C': κάλυμμα ἐπὶ τὴν καρδίαν).380 Insgesamt richten dabei die Verse 13–14a den Blick auf das Geschehen am Sinai und die eigentliche Handlung des Mose, deren Tragweite in den Versen 14b–15b ausgeführt wird. A – ἐτίθει κάλυμμα ἐπὶ τὸ πρόσωπον αὐτοῦ B – πρὸς τὸ μὴ ἀτενίσαι τοὺς υἱοὺς Ἰσραὴλ εἰς τὸ τέλος τοῦ καταργουμένου. C – ἀλλὰ ἐπωρώθη τὰ νοήματα αὐτῶν. A' – ἄχρι γὰρ τῆς σήμερον ἡμέρας τὸ αὐτὸ κάλυμμα ἐπὶ τῇ ἀναγνώσει τῆς παλαιᾶς διαθήκης μένει, B' – μὴ ἀνακαλυπτόμενον ὅτι ἐν Χριστῷ καταργεῖται· C' – ἀλλ᾽ ἕως σήμερον ἡνίκα ἂν ἀναγινώσκηται Μωϋσῆς, κάλυμμα ἐπὶ τὴν καρδίαν αὐτῶν κεῖται·

Nicht nur durch die häufige Verwendung, sondern auch durch die Paronomasie κάλυμμα – ἀνακαλυπτόμενον381 (3,14c) wird die Decke (κάλυμμα) zum betont dominierenden Begriff des Abschnitts. Auffällig ist die Parallele von 3,15 mit 3,16. Es ist deutlich zu erkennen, wie 3,15 in Wortwahl und Satzbau auf das abgewandelte Exoduszitat 3,16 hin gebildet worden ist. Beide Verse formulieren einleitend mit „sooft“ (A/A': ἡνίκα ἂν/ἐὰν; neutestamentliches Hapaxlegomenon). Das passive Subjekt des Bedingungssatzes 3,15 (B: Μωϋσῆς) wird in 3,16 implizit als aktives Subjekt wieder aufgenommen.382 Beide Verse schließen mit einer Bemerkung über die Decke, die liegt (D: κεῖται), bzw. aufgehoben wird (D': περιαιρεῖται). Das Homöoteleuton zwischen den Verbformen unterstreicht den Chiasmus der Bemerkungen zur Decke.383 Damit entspricht die Verhüllung auf der einen der Enthüllung auf der anderen Seite.384 A – ἀλλ᾽ ἕως σήμερον ἡνίκα ἂν B – ἀναγινώσκηται Μωϋσῆς, C – κάλυμμα D – ἐπὶ τὴν καρδίαν αὐτῶν κεῖται· A' – ἡνίκα δὲ ἐὰν B' – ἐπιστρέψῃ πρὸς κύριον, D' – περιαιρεῖται C' – τὸ κάλυμμα. Vgl. Theobald 1982, 192; Hofius 1989, 114 f.; Oliveira 1990, 80. Zur Entsprechung von C/C' vgl. Theobald 1982, 193, Anm. 129. 381 Vgl. Hellholm 2008, 264. 382 Zur Frage des Subjekts von 3,16 s. u. 4.4.6.4. 383 Vgl. Harvey 1998, 192. 384 Vgl. Oliveira 1990, 83 f.; Belleville 1991, 171. 379 380

382

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

Der 3,16 kommentierende Vers 3,17 sticht durch seine Nüchternheit und Knappheit heraus, unterstrichen durch die Ellipse von ἐστίν in der zweiten Satzhälfte.385 Die akzentuierte Kürze steigert seine Beweiskraft.386 In sich geschlossen und stilistisch ganz durchgebildet ist 3,18. Gedanklich bildet der Vers einen synthetischen Parallelismus, auf formaler Ebene unterstrichen durch die Gleichzahl von Satzgliedern und sinntragenden Wörtern, die Zeitstufe und die Objekt-Prädikat-Reihenfolge der Satzglieder in 3,18a und 3,18b. Dabei ist „jedes Satzglied aus zwei bis drei Begriffen gebildet. Daraus ergibt sich ein fast rhythmischer Gang […]. Sonst sind die Satzglieder formal und inhaltlich so nacheinander angereiht, daß ein jedes in ergänzender und steigernder Fortsetzung das folgende vorbereitet oder von ihm vorausgesetzt wird“387. Aus dem in 3,18a geschilderten Zustand des Subjekts ergibt sich sein in 3,18b geschildertes Ergehen. Die umgekehrten Aufnahme von 3,17b τὸ πνεῦμα κυρίου durch 3,18b ἀπὸ κυρίου πνεύματος verbindet 3,18 mit den voranstehenden Versen.388 ἡμεῖς δὲ πάντες – ἀνακεκαλυμμένῳ προσώπῳ – τὴν δόξαν κυρίου – κατοπτριζόμενοι τὴν αὐτὴν εἰκόνα – μεταμορφούμεθα – ἀπὸ δόξης εἰς δόξαν – καθάπερ ἀπὸ κυρίου πνεύματος.

Zwei ineinander verschränkte correctiones begegnen in 4,1–2. Der Verneinung in 4,1b (οὐκ ἐγκακοῦμεν) folgt die Präzisierung in 4,2 (ἀλλὰ ἀπειπάμεθα …), die selbst aus einer doppelten Verneinung (4,2b: μὴ περιπατοῦντες …; 4,2c: μηδὲ δολοῦντες …) und Präzisierung (4,2d: ἀλλά … συνιστάνοντες …) besteht. Gedanklich ist 4,2bd chiastisch angelegt. Wie Paulus auf sich selbst bezogen handelt (A/A'), wird daran sichtbar, wie sich sein Handeln nach außen hin niederschlägt (B/B').389 Formal wird dies am je zweifachen ἀλλὰ (A/A') und μὴ/μηδὲ (B/B') deutlich. Die aus dem Rahmen fallende Länge akzentuiert 4,2d. A – ἀλλὰ ἀπειπάμεθα τὰ κρυπτὰ τῆς αἰσχύνης, B – μὴ περιπατοῦντες ἐν πανουργία B' – μηδὲ δολοῦντες τὸν λόγον τοῦ θεοῦ A' – ἀλλὰ τῇ φανερώσει τῆς ἀληθείας συνιστάνοντες ἑαυτοὺς πρὸς πᾶσαν συνείδησιν ἀνθρώπων ἐνώπιον τοῦ θεοῦ.

In 4,3 findet sich die doppelte (ἐστὶν κεκαλυμμένον) betont an den Rändern des schiebt.390 385 Dass die Ellipse konventionell zu sein scheint (vgl. 1 Kor 15,56 als Erläuterung des in 15,55 angeführten Hoseawortes), mindert nicht ihren sprachlichen Effekt. 386 Vgl. auch Oliveira 1990, 88, mit Verweis auf BDR § 127,1. 387 Vgl. Oliveira 1990, 88 f. 388 Vgl. Oliveira 1990, 90, und inhaltlich orientiert Kuschnerus 2002, 199. 389 Oliveiras Kategorien Subjektivität/Objektivität sind an dieser Stelle zwar prägnanter aber irreführend. Aus Paulus Sicht besteht das Problem ja gerade darin, dass die Korinther das nicht verstehen, was ihnen „objektiv“ vor Augen steht (vgl. Oliveira 1990, 101). 390 Vgl. Harvey 1998, 192.

4.3 Gedankliche Kartierung

383

εἰ δὲ καὶ ἔστιν κεκαλυμμένον τὸ εὐαγγέλιον ἡμῶν, ἐν τοῖς ἀπολλυμένοις ἐστὶν κεκαλυμμένον,

Die Gruppe, der das Evangelium verborgen ist, bestimmt 4,4 mit „die Ungläubigen“ (τῶν ἀπίστων). Die Bezeichnung ist insofern betont, als ein einfaches αὐτῶν grammatikalisch ausgereicht und besser in den Satzfluss gepasst hätte (s. u. ‎4.4.7.2).391 Zusammen mit dem parallel aufgebauten Vers 4,6 rahmt 4,4 die insgesamt parallel, untergeordnet chiastisch strukturierte correctio 4,5, in der sich Jesus Christus, der Herr (B/C), und Paulus, der Diener der Korinther (C'/B'), als Objekte der Predigt (A/A') gegenüberstehen. A – Οὐ γὰρ ἑαυτοὺς κηρύσσομεν B – ἀλλὰ Ἰησοῦν Χριστὸν C – κύριον, A' – ἑαυτοὺς δὲ (ergänze κηρύσσομεν [Zeugma])392 C' – δούλους ὑμῶν B' – διὰ Ἰησοῦν.

Der Parallelismus zwischen 4,4 und 4,6 ist äußerst komplex und kontrastiert das Handeln Satans an den Ungläubigen mit dem Handeln Gottes an Paulus. Nach der einleitenden Nennung des Akteurs (A/A'), folgen die jeweilige Handlung (B/B'), ihr Objekt (C/C') und ihr Zweck (D/D'), der auf die Offenbarung des Herrlichkeitsglanzes (E/E') und Christus (F/F') hin bestimmt wird. Dabei entsprechen sich nicht nur die Satzglieder, sondern auch die dahinterstehenden Konzepte und Begriffe. Während der „Gott dieser Welt“ den Verstand (τὰ νοήματα) der Ungläubigen verblendet, damit der Lichtschein (φωτισμός) des Herrlichkeitsglanzes (δόξα) Christi nicht erstrahlen kann, lässt Gott es im Herzen (ἐν ταῖς καρδίαις) des Paulus aufleuchten zum Lichtglanz (φωτισμός) der Erkenntnis des Herrlichkeitsglanzes (δόξα) Gottes auf dem Angesicht Christi. Der Parallelismus illustriert so unter anderem die Korrelation von Christus als Bild Gottes und dem Herrlichkeitsglanz auf seinem Gesicht sowie die inhaltliche Entsprechung von Herz (καρδία) und Verstand (νόημα). Womöglich lässt sich aus dieser Gegenüberstellung auch ableiten, warum Paulus in 4,4 von ὁ θεὸς τοῦ αἰῶνος τούτου spricht. Die Bezeichnung wäre dann insofern verächtlich und polemisch gewählt, als dem „Gott dieser Welt“ in 4,6a der Schöpfergott gegenübersteht, der durch sein Wort aus Dunkel Licht erschafft. A – ἐν οἷς ὁ θεὸς τοῦ αἰῶνος τούτου B – ἐτύφλωσεν C – τὰ νοήματα τῶν ἀπίστων D – εἰς τὸ μὴ αὐγάσαι τὸν φωτισμὸν E – τοῦ εὐαγγελίου τῆς δόξης F – τοῦ Χριστοῦ, ὅς ἐστιν εἰκὼν τοῦ θεοῦ. 391 392

Vgl. auch Oliveira 1990, 103. Vgl. Kuschnerus 2002, 227; Oliveira 1990, 105.

384

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

A' – ὅτι ὁ θεὸς ὁ εἰπών· ἐκ σκότους φῶς λάμψει, B' – ὃς ἔλαμψεν C' – ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν D' – πρὸς φωτισμὸν E' – τῆς γνώσεως τῆς δόξης F' – τοῦ θεοῦ ἐν προσώπῳ [Ἰησοῦ] Χριστοῦ.

Wie schon in 2,14–15b sind es Gott und Christus, deren Position hier betont wird. Für Gott geschieht dies durch das Anakoluth zum Satzanfang.393 für Christus durch die betonte Schlussstellung am Ende des Verses.394 In einer Übersicht lässt sich der Befund folgendermaßen darstellen: 2,14–16b Chiasmus und Inversion (miteinander verknüpft) betont: Handeln Gottes (Satzstellung), Christus (Satzstellung), Hörer der Verkündigung (Epipher/Anapher) 2,16c rhetorische Frage (Ausruf ) betont: Gewicht des Verkündigungsdienstes (Satzstellung) 2,17 doppelte correctio betont: Entsprechung von Lauterkeit und göttlicher Unmittelbarkeit (Anapher, Parallelismus) 3,1 doppelte rhetorische Frage betont: Unabhängigkeit von Empfehlungsbriefen (Satzstellung) 3,2–3 komplexer Parallelismus betont: Briefexistenz der Korinther (Wiederaufnahme und Korrektur), ihre Beschaffenheit im Gegensatz zu Steintafeln (Promeosis/Hypallage) 3,4 betont: Vertrauen Gott gegenüber (Satzstellung) 3,5–6b chiastische correctio betont: Befähigung (Polyptoton) 3,6c gnomische Antithese betont: Gegensatz von Geist und Buchstaben (Satzstruktur, Homöoptoton, complexio) 3,7–11 Reihe von sprachlich markierten a fortiori-Schlüssen – insb. δόξα durch Wiederholung hervorgehoben 3,7 f. erster a fortiori-Schluss (ausführliche Ergänzungen, Frageform) – durch Ausführlichkeit hervorgehoben betont: Herrlichkeitsbesitz des mosaischen Dienstes (Satzstellung, erläuternde Bemerkungen) 3,9 zweiter a fortiori-Schluss (Aussageform) betont: logischer Schluss (Intensivierung durch Wiederholung) 3,10: erklärende Bemerkung – durch Bruch des a fortiori-Musters hervorgehoben betont: gehinderte Herrlichkeit (Paranomasie, Polyptoton) 3,11 dritter a fortiori-Schluss (Aussageform) betont: Gegensatz in der Wirkdauer der Dienste (Synekdoche, Homöoptoton) 3,12–13a betont: Gegensatz zwischen Paulus und Mose (Aposiopese) 393 Ehe er durch den Relativsatz 4,2c fortgeführt wird, begegnet im Hauptsatz kein Vollverb (vgl. Oliveira 1990, 106). 394 Oliveira 1990, 109.

4.3 Gedankliche Kartierung

385

3,13–15a Parallelismus betont: Decke/Verhüllung (Begriffshäufung, Paranomasie) 3,15–16 Parallelismus/Chiasmus betont: gegenläufige Bewegung von Verhüllung und Enthüllung (Homöoteleuton, Chiasmus) 3,17 Identität von Kyrios und Geist durch definitorische Kürze betont 3,18 Parallelismus betont: Verwandlung der Gläubigen durch Schau des Herrlichkeitsglanzes (Zielpunkt der Steigerungsbewegung im synthetischen Parallelismus) 4,1–2 Reihe von correctiones betont: Empfehlung vor dem Gewissen aller Menschen (Ausscheren aus Satzbaumuster) 4,3 schwache inclusio betont: Verborgenheit (Satzstellung) 4,4–6 Parallelismus 4,4 erste Hälfte des Parallelismus betont: die Ungläubigen (explizite Verbalisierung) 4,5 Zwischenvers: correctio – möglicherweise durch Mittelstellung hervorgehoben 4,6 zweite Hälfte des Parallelismus betont: Gott (Anakoluth), Christus (Satzstellung)

4.3.4.3 Thematischer Abgleich Vergegenwärtigt man sich die jeweils betonten Elemente der stilistisch abgegrenzten gedanklichen Einheiten, treten verschiedene Aspekte des übergeordneten Themas besonders plastisch hervor. Ganz im Einklang mit dem vorläufig formulierten Thema werden Gottes Handeln, Paulus Befähigung und seine Ausrichtung auf Christus wiederholt betont. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf dem Ergehen der Korinther, der Frage nach der Wirksamkeit des paulinischen Dienstes (gemessen am Dienst des Mose) und dem Motiv der Verborgenheit und mangelnden Einsicht. Insgesamt bestätigt damit auch die stilistische Analyse das erhobene Thema des Textes: Paulus Offenbarungsdienst, wie er ihn insbesondere auch an den Korinthern ausgeübt hat. Das Anliegen des Textes ist es, ihn mittels seiner Befähigung durch Gott und seiner Ausrichtung auf Christus positiv zu charakterisieren und so Anfragen oder ein Unverständnis seines Dienstes zu überwinden. 4.3.5 Verknüpfung auf der Textoberfläche Die Frage nach der Verknüpfung der gedanklichen Einheiten auf der Textoberfläche bildet den Übergang von der thematisch-strukturellen zur eigentlich argumentativen Analyse. Eine Leseanleitung zur Verknüpfung seiner Einzelgedanken, die dem Text innere Kohärenz verleiht, ergibt sich einerseits durch die sprachliche Gestaltung der Übergänge zwischen gedanklichen Einheiten, andererseits durch Wiederaufnahmen bereits eingeführter Begriffe und die Weiterentwicklung der mit ihnen verbundenen Konzepte.

386

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

4.3.5.1 Gestaltung von Textübergängen a Metakommunikative Ausdrücke Insofern metakommunikative Ausdrücke eine Unterbrechung im geraden Gedankenfluss anzeigen, sind auch sie als Markierung von Textübergängen zu verstehen. Sie gewinnen ihr gliederndes Gewicht dadurch, dass sie die Textwelt in Richtung der Adressaten öffnen. Im Text geschieht dies durch die rhetorischen Fragen 2,16c und 3,1. Spricht 2,16c ein allgemeines Publikum an, so richtet sich die Doppelfrage 3,1 ausdrücklich an die Korinther und signalisiert, wie die angrenzenden Verse zu verstehen sind.395 Direkt angesprochen werden die Korinther noch einmal in 4,5, allerdings ohne eine solche Leseanleitung. b Summierende anaphorische Verweise (Substitutionen auf Metaebene) „One of the most striking features in the text are the recurring anaphoric references on all levels.“396 Auch wenn im Einzelfall stark umstritten ist, auf welchen Textabschnitt sich die jeweiligen Verweise beziehen, ist ihre gliedernde Signalwirkung unverkennbar. Ein erster solcher Verweis begegnet in der rhetorischen Frage 2,16c (anaphorisches ταῦτα). Auch die rhetorische Frage 3,1a bezieht sich ausdrücklich auf die vorangegangene Äußerung, wenn sie fragt, ob das Gesagte einer erneuten (πάλιν) Empfehlung gleichkäme. Deutliche summierende Verweise finden sich darüber hinaus im Zusammenhang der drei Habe-Formeln, in 3,4.12 vermittels des Demonstrativpronomens τοιαύτη, in 4,1 noch deutlicher bestimmt durch den demonstrativen Bezug auf „diesen Dienst“ (τὴν διακονίαν ταύτην). Alle diese Verweise treten zusammen mit anderen stark gliedernden Signalen auf. c Verknüpfende Partikeln Ein Blick auf die verknüpfenden Partikeln erlaubt eine erste Einschätzung des logischen Verhältnisses zwischen gedanklichen Einheiten. Auch das zusammenfassendschlussfolgernde οὖν in 3,12 markiert einen deutlichen Einschnitt.397 Zudem ist zu prüfen, inwiefern der im Griechischen untypischen asyndetischen Verbindung, wie sie im Übergang zu 3,1 und 3,2 anzutreffen ist, gliederndes Gewicht zukommt. Daneben begegnen eine Reihe explizit begründender Satzanschlüsse (γάρ), sowohl für einzelne Aussagen (2,17; 3,6c.14b; 4,5) wie auch in Aussageketten (3,9.10.11).398 Ein noch engerer kausaler Satzanschluss ist in 2,15; 3,5 und 4,6 mit ὅτι gegeben, in 4,1 mit διὰ τοῦτο. Vgl. insb. Kuschnerus 2002, 150 f.; insgesamt auch Hellholm 2008, 256. Hellholm 2008, 265. 397 Vgl. Holmstrand 1997, 30, zu inferentiellem οὖν als „contrastive opening marker“. Vgl. auch Siebenthal § 252,51c. 398 Hier differenziert in εἰ γὰρ (3,9.11) und καὶ γὰρ (3,10). 395 396

4.3 Gedankliche Kartierung

387

Starke adversative Satzanschlüsse sind in 3,14.15 mit ἀλλά markiert, wobei eine Mehrheit der Exegeten sich in beiden Fällen für eine Lesart ausspricht, nach der ἀλλά keinen Gegensatz, sondern ein hinzukommendes Element im Sinne von „und nicht nur dies, sondern auch“ betont einführt.399 Der häufigste Satzanschluss in der Passage ist das schwächer adversative δέ. Während δέ in Einzelaussagen eine neue Sinneinheit anzuzeigen scheint (2,14; 3,7; 4,3), bleibt die Funktion in Aussagereihen zu untersuchen (3,16.17.18). d Hierarchisierung Folgt man den gängigen Modellen zur formalen Hierarchisierung der aufgezeigten Merkmale, gliedern metakommunikative Ausdrücke am stärksten, gefolgt von Substitutionen auf Metaebene, asyndetischen Anschlüssen und der Verknüpfung durch Partikeln (s. o. ‎2.2.4). Vor diesem Hintergrund entsteht folgende Übersicht. In Anbetracht der Probleme, die mit einer rein formalen Hierarchisierung dieser Art einhergehen (s. o.), ist die so angezeigte Hierarchisierung allerdings keinesfalls blind zu übernehmen, sondern nur im Zusammenspiel mit den anderen Indikatoren auszuwerten: 2,14 adversative Partikel 2,15 kausale Partikel 2,16c metakommunikativer Ausdruck, Substitution auf Metaebene 2,17 kausale Partikel 3,1 metakommunikativer Ausdruck, Asyndese 3,2 Asyndese 3,4 Substitution auf Metaebene 3,5 kausale Partikel 3,6 kausale Partikel 3,7 adversative Partikel 3,9 kausale Partikel 3,10 kausale Partikel 3,11 kausale Partikel 3,12 Substitution auf Metaebene, summierende Partikel 3,14a adversative (?) Partikel 3,14b kausale Partikel 3,15 adversative (?) Partikel 3,16 adversative Partikel 3,17 adversative Partikel 3,18 adversative Partikel 4,1 Substitution auf Metaebene 4,3 adversative Partikel 4,5 kausale Partikel 4,6 kausale Partikel 399 Vgl.  BDR § 448,6. Vorkommen im Rahmen der correctiones sind anders zu bewerten und daher hier nicht berücksichtigt (vgl. dazu BDR § 448,1).

388

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

4.3.5.2 Zusammenführung der Beobachtungen zum Aufbau von 2 Kor 2,14–4,6 Zwar kann auch die Wiederaufnahme von Begriffen als strukturelles Signal dienen, allerdings wurde dies an den relevanten Stellen schon im Zuge der Analyse des semantischen Inventars berücksichtigt (‎4.3.3.3. Von daher scheint es sinnvoll, schon hier die Beobachtungen aus den verschiedenen Analyseschritten zu einer Gesamtgliederung von 2 Kor 2,14–4,6 zusammenzuführen. Auf dieser Grundlage können im Anschluss Überlegungen zur inneren Dynamik des Textes anhand der Wiederaufnahmen von Akteuren, Begriffen und Motiven angestellt werden, ohne wegen des komplexen Verlaufs der semantischen Linien zu unübersichtlichen und von daher nicht zielführenden Ergebnissen zu gelangen. Das nachfolgend abgebildete Diagramm zur Textstruktur trägt die Ergebnisse der vorangegangenen Seiten zusammen und markiert die gliedernden Einschnitte ihrer Stärke nach absteigend mit Doppelstrich, einfacher, gestrichelter und gepunkteter Linie. Wo in der Mehrheit der Untersuchungsschritte ein Einschnitt festgestellt wurde, ist er entsprechend der zusammengenommenen Deutlichkeit in die Gesamtgliederung übernommen. Dieses zusammengenommene Bild korrigiert die soeben vorgeführte rein formale Hierarchisierung. Es ergibt sich so eine Abfolge von sechs in sich selbst noch einmal untergliederten Abschnitten: 2,14–16b; 2,16c–17; 3,1–3; 3,4–6; 3,7–11; 3,12–18; 4,1–6. Ihr logisches Verhältnis zueinander wird durch die rhetorisch-argumentationslogische Analyse zu bestimmen sein.

Wiederaufnahme πεποίθησις

4

6c

6a.b

5

Wiederaufnahme πνεῦμα

Einführung συνίστημι

3

2

3, 1

allgemeingültige Sentenz

Gegenüber Gott – Paulus

Korinther als Brief

Gegenüber PaulusKorinther

Gegenüber Paulus – andere Verkündiger

17

Gegenüber Paulus – alle Menschen

Änderung der Personenkonstellation

offene Fokussierung

Wiederaufnahme εἰλικρίνεια

Wiederaufnahme γνῶσις

Akteure

16c

16a.b

15

2, 14

Thema

dominierendes Motiv: Befähigung

Habe-Formel mit Vertrauensbekundung

dominierendes Motiv: Briefe

dominierendes Motiv: Abgrenzung von anderen Verkündigern

dominierendes Motiv: Triumphzug und Duft

Semantisches Inventar

ὅτι

Substitution auf Metaebene

(3,6c)

(3,5–6b)

3,4–6 (3,4)

(3,2–3)

3,1–3 (3,1)

metakommunikativer Ausdruck; Asyndese Asyndese

(2,17)

2,16c–17 (2,16c)

2,14–16b

Gesamtgliederung

γάρ

metakommunikativer Ausdruck; Substitution auf Metaebene

ὅτι

δὲ

Verknüpfungen

gnomische Antithese γάρ

chiastische correctio

komplexer Parallelismus

doppelte rhet. Frage

doppelte correctio

rhetorische Frage (Ausruf )

Inversion

Chiasmus

Stil

4.3 Gedankliche Kartierung

389

dominierende Begriffe: διακονία, δόξα

18

Änderung der Personenkonstellation

Parallelismus

Kommentar

Chiasmus

17

Parallelismus/

Moses Wendung zum Kyrios

… durch die Zeiten hindurch

14b–d

16

Das Ergehen der Israeliten …

14a

Parallelismus

15

Moses Handeln in der Vergangenheit

13b

13a dominierender Begriff: κάλυμμα

dritter a fortioriSchluss

11

12

erklärende Bemerkung

erster a fortioriSchluss

10

Gegenüber Paulus – Mose Habe-Formel mit Hoffnungsbekundung

Änderung der Personenkonstellation Gegenüberstellung der Dienste zweiter a fortioriSchluss

Einführung παρρησία

Erstnennung δόξα; πρόσωπον; Einführung διακονία

9

8

7

δὲ

δὲ

δὲ

ἀλλά

γάρ

ἀλλά

Substitution auf Metaebene; οὖν

γάρ

γάρ

γάρ

δὲ

(3,18)

(3,13b–17)

3,12–18 (3,12–13a)

3,7–11

390 4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

Gegenüber Paulus – Ungläubige

Satans Wirken an den Ungläubi9gen

Gegenüber Paulus – Korinther

Gegenüber Gott – Paulus

3

4

5

6

Änderung der Personenkonstellation

Gegenüber Paulus – alle Menschen

Wiederaufnahme συνείδησις

2

4, 1 diffuse Lichtmetaphorik

Habe-Formel mit Zuversichtsbekundung

δὲ

Substitution auf Metaebene

Parallelismus zweite Hälfte ὅτι

Zwischenbemerkung γάρ

Parallelismus erste Hälfte

Chiasmus

Reihe von correctiones

(4,3–6)

4,1–6 (4,1–2)

4.3 Gedankliche Kartierung

391

392

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

4.3.5.3 Verknüpfung durch die Wiederaufnahme von Akteuren, Begriffen und Motiven Bildet man die bereits erhobene Wiederaufnahmestruktur der Akteure, Motive und Begriffe auf diese Gliederung ab, wie es die nachfolgend abgebildeten Diagramme tun, ergibt sich ein Bild der inneren Dynamik des Textes. Dass fast alle Linien bis in den Schlussabschnitt 4,1–6 reichen, weist ihn als gedanklichen Zielpunkt des Textes aus.400 Ausgenommen davon sind lediglich die Bezugnahmen auf andere Verkündiger und den Teil der Hörerschaft, der Paulus Botschaft annimmt. Auf ihnen liegt offensichtlich nicht das Augenmerk des Textes.401 Auch wird das zentrale Anliegen des Textes offenbar nicht durch die Bilder „Brief “, „Buchstabe“ oder „Steintafel“, oder die Themenfelder von Schreiben und Lesen ausgedrückt, wohl aber durch die diesen übergeordneten Größen: Selbstempfehlung und Dienst. Die Motivzusammenhänge „schreiben“ und „Steintafeln“ leisten vielmehr den Übergang von den vielfach miteinander verbundenen Randpartien 2,14–3,6 und 4,1–6 zum expliziten Exodusbezug in der Mitte der Passage (3,7–18). Zwar steht dieser in Personal und Begrifflichkeit in vielerlei Hinsicht für sich selbst, dennoch darf er nicht als reine Einlage verstanden werden.402 Vielmehr leistet er einen substantiellen Beitrag zur gedanklichen Entwicklung des Textes. Sichtbar wird dies an den Verbindungslinien, die vom Exodusbezug in den Schlussabschnitt laufen und inhaltlich mit den zentralen Anliegen des Textes konvergieren. Alles spricht dafür, dass Paulus sein Anliegen anhand der Exodusgeschichte schärft und konturiert. Dabei scheint eine besondere Beziehung zur Figur des göttlichen Geistes gegeben zu sein, die als einzige dominant im Text begegnet, aber den Weg nicht in den Schlussabschnitt findet. Eine erklärungsbedürftige Eigenart besteht überdies im unvermittelten Auftreten des „Gottes dieser Welt“ in 4,4.

400 Das gilt unbeschadet dessen, dass an einige dieser Linien im weiteren Briefverlauf erneut angeknüpft wird. 401 Diese Beobachtung spricht dezidiert gegen die lange Tradition, 2 Kor  3 in erster Linie als polemischen Text zu verstehen. 402 Wie vielfach im Gefolge von Windisch 1924, 95, geschehen.

2,14–16b

2,16c–17

3,1–3

3,4–6

3,7–11

3,12–18

4,1–6 verhüllen/enthüllen, κάλυμμα

außer Kraft setzen/bleiben

Gesicht/Bild

sehen/Licht

δόξα

Bund

Zuversicht/Vertrauen

Tafeln

Geist

Dienst

Herz/Sinn

schreiben

Empfehlung

Lauterkeit

Verkündigung

Fähigkeit

Leben/Tod

Universalität

Erkenntnis

Offenbarung

Gesamtgliederung

der „Gott dieser Welt“

„der Herr“

Mose

Israeliten

Geist

„alle Menschen“

„ihr“

andere Verkündiger

οἱ ἀπολλύμενοι

οἱ σῳζομένοι

Christus

„wir“

Gott

Gesamtgliederung

4.3 Gedankliche Kartierung

393

2,14–16b

2,16c–17

3,1–3

3,4–6

3,7–11

3,12–18

4,1–6

394

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

4.3.6 Zusammenfassung und Ausblick Zusammengenommen bestätigen die Analysen von Akteuren, semantischem Inventar, Stil und Betonung „Gottes Handeln an Paulus, das ihn in die Lage versetzt, einen ganz auf Christus hin ausgerichteten Offenbarungsdienst auszuüben“ als das Thema des Abschnitts, wobei der Text insbesondere die Wirkung des paulinischen Dienstes auf dessen Hörerschaft im Spannungsfeld von Tod und Leben reflektiert und diese Wirkung in ein direktes Verhältnis zur göttlichen Befähigung setzt. Auf struktureller Ebene gliedert sich der Text in sieben Abschnitte bzw. gedankliche Einheiten. Auf diese Segmentierung kann die rhetorisch-argumentationslogische Analyse aufbauen, um das gedankliche Gefälle der gesamten Passage zu erheben. Vor allem die Untersuchung des semantischen Inventars hat erste Perspektiven für diesen nun folgenden Analyseschritt aufgezeigt. Bei aller Vielfalt der verwendeten Bilder und Vorstellungen weisen die zahlreichen Wiederaufnahmen von Begriffen und Motivfeldern den Gedankengang als bewusst gestaltet aus. So wurde einerseits deutlich, dass Anfang und Ende des Textes auch über 2,14–16a und 4,5 f. hinaus deutliche Entsprechungen zeigen,403 andererseits, dass die meisten gedanklichen Linien im Schlussabschnitt 4,1–6 noch einmal aufgenommen und miteinander verbunden werden. Im Lichte der thematisch-strukturellen Analyse verdienen verschiedene Aspekte dabei besondere Beachtung. Näher zu bestimmen ist vor allem die Art und Weise, auf die der Text seine Vorstellung eines wirksamen Verkündigungsdienstes anhand der Mose-Exodus-Tradition, genauer der Schlüsselkonzepte δόξα und κάλυμμα, entwickelt und wie die Gegenüberstellung von Paulus- und Mosedienst vor diesem Hintergrund angemessen zu verstehen ist. Auch ist zu fragen, welche Rolle die Konzepte spielen, die den Text maßgeblich bestimmen, im Schlussabschnitt 4,1–6 aber nicht wieder aufgegriffen werden (etwa die Rede vom Geist) oder aber unvermittelt dort begegnen (der „Gott dieser Welt“). Überdies werden exegetische Detailfragen zu entscheiden sein, auf deren Diskussion bisher verzichtet, deren Ergebnisse hier aber teils auch schon vorweggenommen wurden.

4.4 Gedankliche Kartierung: Rhetorisch-argumentationslogische Analyse Wie bereits in der rhetorisch-argumentationslogischen Analyse zu 1  Kor  (9,24– 27)10,1–22, erfolgt die Untersuchung als sukzessive Betrachtung des Textes. Jedes der erhobenen Segmente wird zunächst für sich betrachtet und nach seinem gedank403 Für eine gesonderte Analyse der Entsprechungen zwischen 3,1–3 und 4,1–6 vgl. auch Wilk 2020b, 151.

4.4 Gedankliche Kartierung

395

lichen Gefälle befragt, ehe die Ergebnisse im Hinblick auf die oben benannten Untersuchungskategorien zugespitzt und in die gedankliche Gesamtentwicklung eingezeichnet werden. 4.4.1 2,14–16b Nachdem Paulus in 2,12–13 begonnen hatte, seine Reise von Troas nach Makedonien zu rechtfertigen, setzt er in 2,14 scheinbar unvermittelt neu an. In den zusammengehörigen Versen 2,14–16b legt Paulus den Grundstein für den gedanklichen Bogen der „Apologie“, der sich bis 7,4 spannt. Die Untersegmente 2,14 und 2,15–16b sind eng miteinander verknüpft. Zunächst führt Paulus die Metaphern von Triumphzug und Duft ein, mittels derer er eine entscheidende Rolle im Offenbarungshandeln Gottes für sich beansprucht (2,14). Sodann zieht er die Linien dieser Bilder aus, wobei er sein funktionales Verhältnis zu Gott, Christus und zur Offenbarungsbotschaft genauer fasst und die Empfänger der Offenbarung ins Geschehen einzeichnet (2,15–16b). Der Parallelismus, der beide Sätze miteinander verbindet, unterstreicht, dass es sich dabei um die Gesamtschau eines einzigen Geschehens handelt (s. o. ‎4.3.4.2). An dieser Stelle argumentiert Paulus noch nicht auf rational-logische Weise. Vielmehr bezieht er hier, zu Beginn des neuen Diskursbogens, im Modus der Assertion den Standpunkt, den er im Folgenden gegen Anfragen verteidigen möchte. Dass Gott sich seiner zum Zwecke der Offenbarung bedient, stellt er als These über den gesamten Zusammenhang der Apologie. Alles, was folgt, hat den Zweck, sie zu stützen. Aber auch wenn Paulus hier thetisch formuliert, bleiben seine Worte doch nicht ohne Überzeugungskraft. Rhetorisch ist die Form, in der er seine Aussage trifft, in dreifacher Hinsicht aufgeladen: durch die einleitende Dankesformel, durch den Wechsel in die 1. Person Plural und durch den Einsatz von Metaphern. 4.4.1.1 Die rhetorische Funktion der Dankesformel Paulus beginnt seinen Gedankengang mit einem Dank an Gott. Der unvermittelte Perspektivwechsel erzeugt Aufmerksamkeit. Potentiell stellt er Nähe zwischen Paulus und der Hörerschaft her, fordert er doch implizit, sich mit Paulus im Dank zu vereinen. Der grundsätzliche Dank an Gott als gemeinsamer Boden wird Paulus zum Ausgangspunkt, an den er sein Anliegen knüpft. Auch wer Paulus kritisch gegenüber steht, wird hier veranlasst, sich emotional zu öffnen, noch ehe der Grund für die Dankbarkeit genannt ist. Zudem taucht die Ausrichtung auf Gott das Gespräch in ein neues Licht. Standen bis 2,13 noch Paulus womöglich kritikwürdige Entscheidungen im Mittelpunkt, wird das Gespräch nun in eine Position coram Deo versetzt.

396

4 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6

4.4.1.2 Die rhetorische Funktion der ersten Person Plural Diesen Perspektivwechsel unterstreicht die Verwendung der ersten Person Plural. Paulus tritt als Person zurück und begreift sich fortan als Teil einer größeren Gruppe von Verkündigern, an der und durch die Gott wirkt.404 Zweifel an der Person des Paulus übertragen sich damit der Textlogik nach unmittelbar auf die gesamte Gruppe und mittelbar auf Gott. Der Satzakzent liegt nicht auf Paulus, nicht einmal auf der Paulusgruppe, sondern auf Gottes Handeln. Ganz analog schließt das Segment 2,15–16b an, in dem Christus betont voransteht. Auch wenn die gedankliche Einheit mit kausalem ὅτι anschließt, begründet Paulus hier seine Behauptung nicht eigentlich, sondern führt sie aus, indem er die Duftmetapher erweitert: Gott kann sich der Paulusgruppe deshalb bedienen, weil sie für ihn Christi Wohlgeruch ist. Wie die enge Verbindung zwischen beiden Textsegmenten zeigt, sind beide Aussagen eng aufeinander bezogen. Indem Paulus eine neue These aufstellt, auf der die Behauptung aus 2,14 beruht, verschiebt er den Brennpunkt der Argumentation.405 Im Fokus steht nun die Frage, ob und auf welche Weise die Paulusgruppe Christus für die Menschen wahrnehmbar macht. Mit diesen Beobachtungen ist schon die Strategie skizziert, mit der Paulus sich dem strittigen Thema des eigenen Offenbarungsdienstes nähert und die Richtung gewiesen, in die seine Argumentation verläuft. Im Detail lassen sich jedoch weder der Gehalt noch die Absicht von 2,14–16b unabhängig von den dort begegnenden Metaphern erfassen. 4.4.1.3 Gehalt und Funktion der Metaphern In 2,14 wird mit θριαμβεύειν zunächst der römische Triumphzug, dann mit ὀσμή das antik reich konnotierte Motiv des Duftes als Bildspender aufgerufen. Das enganschließende Segment 2,15–16b führt die Duftmetaphorik anhand der Begriffe ὀσμή und εὐωδία weiter aus. Die grobe Aussageintention der Verse ist schnell erfasst: Paulus möchte ausdrücken, dass Gott sich seiner zum Zwecke der Offenbarung bedient. Er führt den eigenen Dienst also auf Gott zurück. Im Detail ist der 404 Gewissermaßen ließe sich damit doch mit Wolff 1989, 10, ein pluralis modestiae annehmen, nur eben gezielt ins Rhetorische gewendet. Hinsichtlich der Reiseangaben denkt Müller 1998, 192, in eine ähnliche Richtung: „Es fällt auf, wie geschickt Paulus jedem möglichen Grund zur Zwietracht mit den Korinthern aufgrund seiner verhinderten Reisepläne den Boden entzieht, indem er sich stets in die Reihe der einfältigen Zeugen einreiht, auch wenn es um seine persönlichen Reiseangelegenheiten geht.“ Müller arbeitet im Folgenden den bewussten Wechsel zwischen Ich und Wir heraus. 405 Die Bemerkung BDR § 456,1, die Subordination bei ὅτι sei so locker, „daß man mit ‚denn‘ übersetzen muss“, trifft auch hier. Logisch stehen beide Aussagen in einem Abhängigkeitsverhältnis: Nur insofern, als die Paulusgruppe Christi Wohlgeruch ist, kann Gott sie auch zum Zwecke der Offenbarung nutzen. Rhetorisch wird dieses Abhängigkeitsverhältnis umgekehrt: Gelingt es Paulus überzeugend darzulegen, dass er Christi Wohlgeruch ist, stärkt dies die Plausibilität seiner Ausgangsthese.

4.4 Gedankliche Kartierung

397

Zusammenhang von Triumphzug- und Duftmetaphorik jedoch ebenso umstritten wie der jeweilige Gehalt der Metaphern. a Das Bild vom Triumphzug (2,14a) θριαμβεύειν ist ein lateinisches Lehnwort, das im Griechischen der Bezugnahme auf den römischen Triumphzug dient. Praktisch alle Belege verwenden das Verb in diesem oder einem von ihm abgeleiteten Sinne.406 In Anbetracht der Fülle von literarischen und archäologischen Zeugnissen, nicht zuletzt Münzen, die den Triumphzug abbilden und beschreiben, kann der Brauch als allgemein bekannt vorausgesetzt werden.407 Dies gilt zumal in Korinth, einer wesentlich von Veteranen geprägten Stadt.408 Ungewöhnlich ist hingegen die transitive Verwendung des Verbs. In der aktuellsten ausführlichen Untersuchung zum Thema kommt Christoph Heilig zum Schluss, transitives θριαμβεύειν bedeute: „to cause sb. or sth. to move (before oneself ) in a triumphal procession in order to display sb. or sth. to the watching crowd“409. Diese Verwendung des Verbs begegnet nur ausgesprochen selten und zielt auf die besiegten Gegner des Triumphators.410 Da eine solche negative Selbstqualifizierung quer zum Aussageinteresse des Paulus und zum Ton der hymnischen Danksagung zu stehen scheint, sind verschiedene andere Deutungsvorschläge gemacht worden. Weder eine faktitive Übersetzung mit „triumphieren lassen“ noch eine mildernde Deutung auf andere im Triumphzug mitgeführte Mittriumphierende411 erscheinen vom sonstigen transitiven Gebrauch des Verbs her jedoch gerechtfertigt. Auch der Hinweis auf die Seltenheit des transitiven Gebrauchs entbindet nicht vom vorhandenen lexikalischen Befund.412 Wenn die Rede vom Triumphzug auch konzeptuell eine ganze Reihe beteiligter Personen aufruft, wird auf diese in den überlieferten Zeugnissen eben nicht durch transitives θριαμβεύειν Bezug genommen; auf die Besiegten und Gefangenen hingegen schon. Insgesamt scheint Paulus sich damit als ein von Gott Besiegter zu verstehen. Wie diese Vorstellung weiter zu füllen ist, schreibt das sprachliche Bild nicht fest. Grundsätzlich denkbar ist eine Anspielung auf Gottes „Sieg“ über Paulus in 406 Vgl. Müller 2012, 228. Im Neuen Testament begegnet es noch in Kol 2,15. Die u. a. von Egan 1977 vertretene These, die Bedeutung des Verbes habe sich verselbständigt und bedeute nunmehr lediglich „öffentlich bekannt machen“ kann aus dem bezeugten Sprachgebrauch nicht belegt werden (vgl. auch Hafemann 1986, 36–38; Gruber 1998, 105–111). Zur Deutung auf eine Kultprozession s. u. S. 400. 407 Vgl. etwa die Übersichten bei Müller 2012, 229–235, oder Wypadlo 2013, 170–174. Zur Triumphzugspraxis allgemein vgl. Künzl 1988 und Östenberg 2009. 408 Vgl. Wypadlo 2013, 163. 409 Heilig 2017, 101. 410 Vgl. Hafemann 1986, 18–24, und Kuschnerus 2002, 107–109. 411 Vgl. u. a. Lietzmann 1949, 198; Barrett 1973, 97 f., zuletzt Müller 2012, 236, und Guthrie 2015a, 87. 412 Der Einwand wurde vorgebracht von Guthrie 2015a, 80–84.

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seinem Berufungserlebnis.413 Von der konkreten Situation des Triumphzugs her gedacht, mag „ein beschämendes Vorgeführtwerden“414 ebenso konnotiert sein wie ein absehbarer Tod, wurden die mitgeführten Gefangenen doch im Zuge der Prozession hingerichtet.415 Auch wenn das „Element der Hinrichtung […] vom allgemein bekannten Verlauf eines Triumphzuges her implizit gegeben“, jedoch nicht Teil der Wortbedeutung im engeren Sinne ist,416 ist das Leiden des Apostels seit 1,8–11 doch ein Thema der Korrespondenz.417 Alle diese Lesarten können für sich in Anspruch nehmen, mit der Qualifizierung des θριαμβεύειν als ἐν τῷ Χριστῷ zu korrelieren, sei es Christus, der den „Bekehrungssieg“ über Paulus errungen hat, sei es Christus, dessen Niedrigkeit Paulus am eigenen Leibe trägt, wie er von 4,7 an ausführt. Deutlich ist nur, dass Paulus sich als Besiegten denkt, der im Triumphzug Gottes mitgeführt wird. In jedem Falle bedeutet dies auch, dass Paulus den Gang seines Dienstes nicht eigenmächtig zu bestimmen vermag. So betrachtet federt das Bild vom Triumphzug die in 2,12–13 durchscheinende Kritik ab.418 Eine genauere Festlegung ist kaum zu treffen und für die Zwecke dieser Untersuchung auch nicht notwendig. Vielmehr lässt die Ambiguität des Ausdrucks Absicht vermuten. Es ist dies das erste und zugleich das offenste Beispiel einer noch mehrfach begegnenden Textstrategie: Paulus steckt einen Deutungsraum ab, der 413 So Breytenbach 1990. Vgl. 269: „The triumphal procession is a metaphor for Paul’s apostolic activity. The focus thus is not on Paul as participant in the triumphal procession, but on the fact that Paul the apostle spreads the knowledge of Christ whilst God is celebrating his preceding victory over Paul. Paul’s apostleship is therefore like the pompa triumphalis – it spreads an odor. The proclamation of the gospel through Paul is like the θριαμβος. God celebrates his prior victory over his enemy, over the persecutor of his church.“ Während Breytenbach es jedoch beim „Triumph“ Gottes über Paulus belässt, macht die Fortschreibung der Metapher deutlich, dass Paulus sich tatsächlich als im Triumphzug anwesend denkt (vgl. Kügler 2000, 146; Wypadlo 2013, 179 f., und Heilig 2017, 242: „Die semantische Analyse zeigt aber, dass der transitive Gebrauch von θριαμβεύειν die Zurschaustellung der Gefangenen mitdenkt“. Für eine ausführlichere Kritik an Breytenbachs allgemeiner Deutung im Lichte der antiken Belege vgl. Gruber 1998, 99–104). Ähnlich auch Schröter 1993, 21, der hier Gottes Sieg über Paulus im Damaskuserlebnis durch einen Accusativus graecus ausgedrückt sieht. Insgesamt ist jedoch ist zu fragen, ob nicht eine so persönliche Bemerkung der rhetorischen Strategie des Abschnittes zuwiderläuft, die Paulus sprachlich in einer Gruppe von Verkündigern aufgehen lässt. 414 Kuschnerus 2002, 109. Vgl. auch Marshall 1983. 415 So v. a. Hafemann 1986, 73, mit Verweis auf die strukturelle Parallele 2 Kor 4,11. Heilig 2017, 241, stellt fest, allein Hafemanns und Breytenbachs (von Schröter weitergedachte) Deutungen, würden das Quellenmaterial zum Gebrauch von θριαμβεύειν hinreichend berücksichtigen und zugleich durch die Metapher kohärent den Text erklären können. Zu seiner Kritik an Breytenbach s. o. Anm. 413 und zu deren Begründung Heilig 2017, 74–82. Hafemann hingegen messe der Hinrichtung der Gefangenen im Triumphzug zu viel Gewicht bei. Diese sei durch das Verb nicht mitkonnotiert (vgl. Heilig 2017, 242.257). 416 Gruber 1998, 104. 417 Vgl. zudem Hafemann 2015, 75: „Paul’s opening phrase in verse 14, ‚thanks be to God,‘ is the same kind of thanksgiving formula as that found in 1:3 – namely the introductory formula of blessing that calls attention to Paul’s own experience.“ 418 So die Überlegung von Heilig 2017, 243 f.

4.4 Gedankliche Kartierung

399

von Seiten der Hörerschaft zu füllen ist.419 Die Weite dieses Deutungsraums macht die Fortsetzung des Satzes deutlich, die sich nicht sauber in das aufgerufene Bild des im Triumphzug mitgeführten Gefangenen fügt. Dort nimmt Paulus für sich in Anspruch, dass Gott durch ihn allerorten den Duft seiner Erkenntnis „sichtbar“ mache (2,14b).420 b Das Bild vom Duft (2,14b) Das Duftmotiv evoziert eine reiche Bildwelt und könnte durchaus eigenständig stehen.421 Die parallele Formulierung legt jedoch einen Anschluss an die Triumphzugsmetapher nahe. Auch ist ein Wechsel der Bildwelt nicht angezeigt. Die vorherrschenden antik-religiösen Konnotationen von Duft, Kult und Epiphanie lassen sich vielmehr problemlos ins Bild des Triumphzugs einzeichnen:422 Der Triumphzug ist die Epiphanie des vergöttlichten Triumphators.423 „Wer einem Triumphzug beiwohnte, bekam nicht nur etwas zu sehen, sondern auch zu riechen. Etwas Göttliches teilt sich dort mit.“424 Weihrauch und Opfer waren von jeher feste Bestandteile des Triumphzugzeremoniells.425 Im göttlichen Wohlgeruch offenbart sich die Gegenwart der Gottheit. Mitunter teilen sich den Riechenden auch die Kräfte der Gottheit mit.426 Mit der partizipialen Formulierung von φανερόω stellt Paulus zudem auf den öffentlichen Charakter der von ihm vermittelten Offenbarung ab – etwa im Gegensatz zum unmittelbareren und subjektiveren ἀποκαλύπτω –427 ganz wie es ins Bild des Weihrauches passt, der das öffentliche Spektakel eines Triumphzuges begleitet. Hatte sich Paulus 2,14a als Besiegter vorgestellt, geht die Vorstellung hinter 2,14b freilich mit einem Rollenwechsel einher. Im Bild gedacht kommt Paulus nun womöglich als eine Art Weihrauchträger in den Blick.428 Kuschnerus 2002, 110. Die Formulierung verschränkt auch im Griechischen die Bilder „sehen“ und „riechen“ miteinander. Zur semantischen Verortung von φανερόω vgl. Kurek-Chomycz 2013. Allgemein scheint die Verbindung von Geruchs- und Lichtmetaphorik nicht ungewöhnlich gewesen zu sein (so Kuschnerus 2002, 115, unter Verweis auf Sir 10,5; TestAbr, Rez. A 16, und diverse jüngere Texte). 421 Zur antik-religiösen Vorstellung vom Geruch vgl. Kügler 2000 und die entsprechenden Kapitel in Harvey 2006. 422 Zur Zusammengehörigkeit der beiden Metaphern vgl. insgesamt Kügler 1998; ferner Wypadlo 2013, 162, und Müller 2012. 423 Vgl. Müller 2012, 230. 424 Vahrenhorst 2008, 203 f. 425 Vgl. Aus 2005, 9–15. 426 Vgl.  zusammenfassend Kuschnerus 2002, 114–116, und grundlegend Lohmeyer 1919 sowie oben Anm. 421. Für den jüdisch-biblischen Traditionshintergrund, der Weihrauchopfern Offenbarungsqualitäten zuschreibt, verweist Kurek-Chomycz 2013, 93, konkret auf Lev  16; Lk  1,8–20 und A. J. 13.282. 427 Vgl. oben Anm. 420. 428 Vgl. Schröter 1993, 23; Breytenbach 1990, 268 f. 419 420

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Das Verbreiten von duftendem Weihrauch lässt sich im Bild des militärischen Triumphzugs jedoch nicht mit der Rolle des Kriegsgefangenen oder Besiegten zusammenbringen. Dieser Bruch ist das klassische Argument, beide Metaphern getrennt voneinander zu betrachten.429 Womöglich ist aber weniger mit einem Bruch als mit einer Schwerpunktverschiebung im Deutungsraum zu rechnen, den die Ausgangsmetapher eröffnet hat. In Anbetracht der fließenden Grenze von Triumphzug, Kultund Epiphanieprozession430 hat Paul Brooks Duff einen Weg gewiesen, wie beide Bilder zusammengedacht werden können. Er führt eine Reihe antiker Quellen zu Kult- und Epiphanieprozessionen an und zeigt auf, wie diese teils in Anlehnung an den römischen Triumphzug konzeptualisiert werden. Bezeichnend ist eine Passage aus Ovids Amores, in der ein frisch Verliebter beginnt, Cupidos „Triumphzug“ (Ov. am. 1,2,28: magnificus pompa triumphus) willig und begeistert zu folgen, nachdem er von ihm „gefangen genommen“ wurde (1,2,19 f.: En ego confiteor! tua sum nova praeda, Cupido; porrigimus victas ad tua iura manus).431 Es ginge zu weit, das Bild von seiner militärischen Herkunft lösen und ganz entlang dieser Linie verstehen zu wollen.432 „Es wäre sicher sehr gewagt, wollte man das paulinische Selbstverständnis als Apostel und seine Beziehung zu Christus mit der Beziehung des Verliebten zu Cupido in eine direkte Analogie setzen. Die Triumphmetaphorik Ovids kann aber deutlich machen, wie groß der Spielraum im übertragenen Gebrauch des Triumphbildes ist und wie sehr der Kontext, in dem die Metapher steht, die Wertungen der übernommenen Bildelemente bestimmt.“433 Nicht als Alternativdeutung, sondern als Zeugnis für die Flexibilität und die Offenheit der Triumphzugmetapher verstanden illustriert diese Perspektive die Weite eines Deutungsraums, in dem es nicht unmöglich ist, dass aus einem Gefangenen ein Anhänger wird.434 Der Eröffnungsvers präsentiert somit das Bild eines Paulus, der von Gott besiegt im Triumphzug mitgeführt wird, stellt jedoch nicht auf die Aspekte von Scham und Tod ab, sondern lässt Paulus in einer überraschenden Wendung den Epiphanieduft der Gottheit verbreiten. Paulus ist als unterlegener Feind zugleich untergebener Anhänger des göttlichen Triumphators. Man mag in diesem uneinheitlichen Bild ebenso die grundsätzliche Paradoxie des Verkündigungsdienstes wiedererkennen Vgl. etwa Kuschnerus 2002, 116, und nuancierter Gerber 2005, 172. Vgl. Gerber 2005, 186, und Müller 2012, 230 f. 431 Duff 1991, 87. Zur gleichen Stelle auch Kügler 2000, 148 f. 432 In diese Richtung gehen aber Attridge 2003 und – trotz des folgenden Zitats – Kügler 2000, 143–149. Beide betonen von daher auch einseitig die Zusammengehörigkeit von Gott und Paulus auf Seiten der Triumphierenden. 433 Kügler 2000, 148. Heilig 2017, 105 f., äußert sich ausgesprochen kritisch zur Überlegung, das Bild vom Triumphzug im Lichte antiker Kultprozessionen zu deuten. Dazu fehle der sprachliche Anhalt. Es gäbe in den Quellen keinen überzeugenden Hinweis, dass Kultprozessionen gängigerweise als Triumphzug konzeptualisiert; noch weniger, dass die Korinther einen solchen Sprachgebrauch hätten nachvollziehen können. Gerade dass Ovid die Parallelen zum Triumphzug derart betont, mache fraglich, wie selbstverständlich die Analogie war (vgl. Heilig 2017, 199–201). 434 Im Sinne einer im Bild angelegten Ambivalenz verstehe ich Duff 2015, 95. 429 430

4.4 Gedankliche Kartierung

401

wie eine insinuatio435, mit der Paulus versucht, das Publikum für sich einzunehmen, indem er eine latent negative Vorstellung aufruft, die dem negativen Bild entspricht, das ein Teil der Gemeinde von ihm zu haben scheint, dieses Bild aber unter der Hand ins Positive wendet. Dafür spricht auch, dass die positiv konnotierte Duftmetapher im Folgenden weitergeführt wird und noch mehrere Verwandlungen erfährt, wohingegen die negativ konnotierte Ausgangsmetapher mehr und mehr in den Hintergrund tritt. Diese negativen Aspekte werden erst ab 4,7 wieder aufgenommen und korrigiert. „Paul wants to transform the perception of his readers and not simply to reaffirm it.“436 Thus, the complex move to encourage the Corinthians to identify themselves with the watching crowd only to find themselves challenged in their simplistic perception of Paul’s ministry is not as farfetched as one might think at first.437

Fluidität und Ambivalenz des Bildes sind demnach intendiert.438 c Die Fortentwicklung der Duftmetaphorik in 2,15a Im Übergang zu 2,15 erfährt die Duftmetapher eine zweifache Veränderung. Zum einen spricht Paulus nun nicht mehr davon, Duft zu verbreiten, sondern identifiziert sich selbst mit dem Duft Christi, zum anderen wechselt die Bezeichnung des Duftes vom neutralen Begriff ὀσμή (Duft, Geruch) zum positiv konnotierten εὐωδία (Wohlgeruch). Letzteres ist vielfach als Anspielung auf alttestamentliche Kultsprache aufgefasst worden. ὀσμὴ εὐωδίας bezeichnet priesterschriftlich regelmäßig den Opfergeruch, als dessen Empfänger der Kyrios im Dativ angeschlossen ist.439 Auch Paulus kann seinen Dienst in kultischen Dimensionen denken und mit der Wortfügung auf den Kult anspielen.440 Ein pagan-kultischer Bezugsrahmen ist schon in der Triumphzugsmetapher selbst angelegt.441 Ein möglicher jüdischkultischer Hintergrund sollte jedoch nicht aufgrund des lexikalischen Befundes 435 Vgl. Duff, 91–92; Duff 2015, 95, 1991, 91 f., 2015, 97 f., denkt v. a. an 2 Kor 10,10 als Inhalt des negativen Paulusbildes der Korinther, mit dem die Triumphzugmetapher hier korreliert. So sehr Duffs Grundidee einer insinuatio die Stelle plausibel zu deuten vermag, so zweifelhaft erscheint es mir, ob Paulus die Textrezeption so detailliert vorausgesehen hat, wie Duff es im Folgenden rekonstruiert. Noch kritischer äußert sich Heilig 2017, 150: „this would not be a ‚subtle opening‘ – it would rather be the most perplexing insinuatio imaginable“. Seine eigene Deutung ist der hier vorgeschlagenen Deutung jedoch nicht unähnlich. 436 Heilig 2017, 254. 437 Heilig 2017, 259. 438 Ähnlich Kuschnerus 2002, 110: „Die ‚Schwebe‘ in der die Selbstauskunft gehalten wird, könnte sich einer Textstrategie verdanken, die die Angeschriebenen dazu herauszufordern sucht, deutend zum Adressanten Stellung zu nehmen.“ Vgl. auch Wypadlo 2013, 180–183; Schmeller 2010, 160. 439 Vgl. etwa Lev 1,9.13.17; 2,2.9 u. ö. 440 Vgl. Phil 2,17; Röm 15,15–16 (kultische Konzeptualisierung des Verkündigungsdienstes) und Phil 4,18 (die Kollekte als ὀσμὴ εὐωδίας). Zur Bedeutung und Geschichte des Syntagmas vgl. Strack 1994, 126–132. 441 Detailliert Aus 2005, 7–22. Ferner Vahrenhorst 2008, 201–206, und Wypadlo 2013, 163.

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überbetont werden. Das Bild des Duftes hatte schon im Frühjudentum „den Bezug zum Opfer weithin, aber nicht gänzlich verloren“442. Außerdem verwendet Paulus die Worte ὀσμή und εὐωδία gerade nicht in der geprägten Wendung, sondern eigenständig als Wechselbegriffe.443 Der Begriffswechsel vom positiven Begriff in 2,15 zurück zur neutraleren Bezeichnung in 2,16 kann gut inhaltlich, nämlich durch die doppelte Qualifikation des Duftes als Lebensgeruch bzw. Todesgestank motiviert sein und muss demnach nicht als intentionale Anspielung auf den alttestamentlichen Kultbetrieb verstanden werden.444 Auch hier entwirft Paulus also ein deutungsoffenes Bild. Dass die Aussageintention primär auf eine kultische oder metaphorisch-kultische Deutung zielt, etwa die Selbstaufopferung des Paulus im Verkündigungsdienst, ist nicht anzunehmen.445 Die zweite Veränderung der Metapher besteht in der Identifikation des Paulus mit dem „Wohlgeruch Christi für Gott“ (Χριστοῦ εὐωδία ἐσμὲν τῷ θεῷ). Paulus verströmt nicht mehr nur den Erkenntnisduft, er verkörpert den Wohlgeruch. Die Vorstellung, von einem sakralen Geruch angesteckt zu werden, ist auch andernorts bezeugt. Sir 24,15 etwa überträgt die Vorstellung vom göttlichen Wohlgeruch auf die Weisheit, ehe Sir 39,14 beschreibt, wie der Duft der Weisheit auf die Weisen übergeht. „Wer zur duftenden Weisheit gehört, wird selbst zum Duftträger.“446 Andere Texte gehen weiter und lassen vom Duftträger seinerseits wieder eine Wirkung ausgehen.447 Hier gilt, daß dem Mittler durch den Duft eine bestimmte Qualität anhaftet, die dann auf diejenigen übergeht, die durch ihn mit diesem Duft in Berührung kommen. Duft ist hier also Metapher für wahrgenommene Anwesenheit des Göttlichen (bei Philo: der Weisheit), repräsentiert durch einen Mittler als Träger des Duftes.448

Da Paulus erst kurz zuvor seine Mittlerfunktion in der Offenbarung Gottes behauptet hatte und diesen Anspruch insgesamt verteidigen möchte, wird es dieser Aspekt sein, auf den die Formulierung zielt. Dahinter treten andere Auslegungsfragen zurück.449 Der Genitiv kann in verschiedene Richtungen gedeutet werden und 442 Vgl. Strack 1994, 132, der diese Relativierung jedoch nicht auswertet, sondern unbeirrt von einem Kultbezug ausgeht. 443 Guthrie 2015a, 84 f., verweist auf eine solche Verwendung ohne kultische Konnotation. 444 Vgl. Guthrie 2015a, 86. 445 Dass Paulus hier einer spiritualisierten Opfervorstellung folgt, die Dank und Lob als das eigentliche Opfer versteht, wie Kuschnerus 2002, 121, vorschlägt, ist im Lichte der vorgestellten Szene wie auch der Danksagung, die das geschilderte Geschehen als Ganzes umschließt (2,14a), weniger wahrscheinlich. 446 Kügler 2000, 143. 447 Vgl. Somn. 1,178, Hen(aeth) 24,3–25,7 und TestAbr, Rez. A, 16 f. 448 Schröter 1993, 29. Zu einem möglichen paganen Hintergrund vgl. die loseren Parallelen bei Müller 2012, 232. 449 So ist eine Rückführung des Duftmotivs auf Christus als den „Gesalbten“ entbehrlich (so votieren hingegen Gruber 1998, 137, Attridge 2003, 83 f., u. a.). Eher ist anzunehmen, dass Paulus vom Wohlgeruch Christi spricht, weil es Christus ist, der die Erkenntnis Gottes ermöglicht (vgl. 4,6).

4.4 Gedankliche Kartierung

403

ist am besten breit zu verstehen: Paulus, selbst von Christus ergriffen (subjectivus), wird zum Repräsentanten Christi (objectivus). Dass dieses Geschehen auf Gott bezogen ist (τῷ θεω), greift den Akzent auf, den 2,14 gesetzt hatte. Im Mittelpunkt der Ausführungen steht nicht etwa Paulus, sondern Gott, vermittelt durch Christus. 2,14 und 2,15 beschreiben der Sache nach dasselbe Geschehen, nehmen es aber aus verschiedenen Perspektiven in den Blick.450 d Die Fortentwicklung der Duftmetaphorik in 2,15b–16a Im Übergang von 2,15 zu 2,16 variiert Paulus die Geruchsmetaphorik ein weiteres Mal. Nun äußert sich Paulus zur Wirkung seines Duftes. Wohlgeruch Christi sei er sowohl für jene, die gerettet werden, wie auch für jene, die verloren gehen. Erstere nähmen ihn aber als Geruch „von Leben, zu Leben“ (ὀσμὴ ἐκ ζωῆς εἰς ζωήν), letztere als Geruch „von Tod, zum Tode“ (ὀσμὴ ἐκ θανάτου εἰς θάνατον), wenn man so will als Verwesungsgestank, wahr. Dabei ist nicht der Geruch selbst ambivalent, sondern seine Wahrnehmung.451 Die Formulierung erinnert stark an 1 Kor 1,18 und die unterschiedliche Wirkung des Wortes vom Kreuz auf jene, die gerettet werden und jene, die verloren gehen:452 Wenn Paulus sich mit dem Wohlgeruch Christi identifiziert, identifiziert er sich demnach mit dem Inhalt seiner Verkündigung von Christus. Auch hieran wird die Stoßrichtung des Gedankenganges wieder deutlich: Es geht Paulus um seine Rolle im Offenbarungswerk Gottes. Insofern er Christus und sein Evangelium verkörpert (vgl.  auch 4,3), ist die Stellungnahme zu ihm heilsentscheidend. Der Umstand, dass Paulus Verkündigungsexistenz als lebensbringend, aber auch als todbringend wahrgenommen werden kann, entspricht inhaltlich der ambivalenten Rolle, die Paulus im Triumphzug Gottes einnimmt. Zugleich erinnert die Problematik an ein zentrales Thema des Briefes, das bereits aus der propositio 1,12–14453 bekannt ist: Die Frage von Verstehen und Nichtverstehen seitens der Korinther. Indem Paulus Tod und Leben an der Stellungnahme zu seinem Verkündigungsdienst festmacht, dabei aber voraussetzen kann, dass die Korinther sich selbst zu denen zählen, die gerettet werden, vereinnahmt er die Korinther für seine Position. „Wird damit vonseiten des Briefverfassers der Ort der von ihm Angeschriebenen unter den σῳζόμενοι vorgegeben, kommt es umgekehrt darauf an, daß diese damit einverstanden sind, den mit dem Apostel begegnenden Duft als ἐκ ζωῆς εἰς ζωήν zu bestimmen.“454 Kommunikativ betrachtet führt Paulus die Hörerschaft so in eine Entscheidungssituation hinein. Es begegnet hier zum ersten Mal ein Argumentationsmuster, das Paulus vor allem in 3,1–3 anwenden 450 Eine entfernt ähnliche multiperspektivische Betrachtungsweise erfährt in 3,13–18 die „Decke“ auf dem Gesicht des Mose. 451 Vgl. Kuschnerus 2002, 128 f. 452 Vgl. Furnish 1985, 189, und Kuschnerus 2002, 129. 453 Für 1,12–14 als Propositio des 2. Korintherbriefes vgl. Wilk 2011. 454 Kuschnerus 2002, 128. Vgl. auch 2 Kor 4,12.

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wird: Die positive Attribuierung der Hörerschaft, die sie für sich nur in Anspruch nehmen kann, wenn sie Paulus Anspruch zustimmt.455 Das Rettungsmotiv kann grundsätzlich mit der Ausgangsmetapher vom Triumphzug zusammengedacht werden. Eine weitere Ausdeutung im Rahmen dieses Bildes, etwa, dass die Bürger den Weihrauch- und Opferduft als lebensspendend, die Besiegten als todbringend wahrnehmen, überstrapaziert vielleicht aber doch den Rahmen der Metapher.456 Insgesamt gilt, dass die Duftmetapher zwar von der Triumphzugmetapher induziert zu sein scheint, jedoch nicht von ihr kontrolliert wird.457 Es ist die Duftmetapher, die die reicheren Assoziationen freisetzt, die zwar im Bild des Triumphzugs verortet werden können, in ihrer Tragweite aber nicht an das rahmengebende Bild gebunden sind. Vielmehr entsteht gleichsam ein Metaphernteppich, dessen einzelne Bilder miteinander verwoben sind, sich aber stetig fortentwickeln. Letztlich ist Paulus damit nicht mehr nur „einem metaphernspendenden Bereich verpflichtet“458, wenn die verschiedenen metaphernspendenden Bereiche auch miteinander interagieren. Für diese Polyvalenz und Fluidität entscheidend ist, dass Paulus nicht aus dem gewählten Bild heraus, sondern von seiner Situation und seinem Aussageinteresse her zu denken scheint.459 Deshalb kann er die Metaphern flexibel handhaben, was sich nicht nur hier, sondern auch im Fortgang des Textes ausdrückt. Mit einer Situation konfrontiert, in der ihm die Legitimität des eigenen Verkündigungsdienstes aufgrund äußerlicher Schwachheit abgesprochen wird, greift er diesen Einwand auf und deutet ihn in ein positives Bild um. Das Ineinander der Bilder vom Besiegten und vom Duft ist keine metaphorische Unsauberkeit, sondern Programm.460 Insofern nimmt Paulus hier im Kleinen vorweg, was er in 2,14–7,4 insgesamt tun möchte.461 Nach Art einer propositio für den Abschnitt 2,14– 7,3 nimmt 2,14–16b in nuce den Inhalt des gesamten Textzusammenhanges der Apologie vorweg.462

455 Dieses Argumentationsmuster entspricht auf bemerkenswerte Weise dem Vorschlag von Wilk 2020b, die Apologie insgesamt als Zustimmungsfiktion zu begreifen. 456 Vgl. Guthrie 2015a, 88–90. 457 Ähnlich urteilt Schröter 1993, 27 f. 458 Schröter 1993, 28. 459 Schröter 1993, 33. 460 Vgl. Schröter 1993, 22. 461 Wie erfolgreich er damit zumindest auf lange Sicht war, zeigt die Auslegungsgeschichte von 2,14. Schon für die Kirchenväter war es undenkbar, anders als „triumphieren lassen“ zu übersetzen, obwohl dieser Gebrauch des Verbs vorchristlich nicht bezeugt ist (vgl. die Belege bei Bray 2012, 207 f.) 462 So für 2,14–17 jetzt auch detailliert ausgeführt von Wilk 2020b. S.o. 4.3.1.

4.4 Gedankliche Kartierung

405

4.4.1.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Den Rahmen des Abschnittes bildet der emphatische Dankesausruf. Vers 14 stellt der Hörerschaft Gott als Triumphator vor Augen und beschreibt seinen Triumphzug als Offenbarungsgeschehen. In der Terminologie der sozio-rhetorischen Auslegung entspricht dies dem Diskursfeld göttlicher Kommunikation in seiner prophetischen und apokalyptischen Ausprägung. Die Unterscheidung derer, die gerettet werden, und derer, die verloren gehen, (2,15) verstärkt den „apokalyptischen“ Zug.463 Hinzu treten durch das Stichwort γνῶσις Obertöne des philosophischen Diskurses im weisheitlichen Rhetorolekt und durch die Duftmetapher womöglich verhaltene Anklänge an das religiöse Diskursfeld im priesterlichen Rhetorolekt.464 Argumentationsebene Da die Streitfrage Paulus persönlich betrifft, handelt es sich bei der Apologie insgesamt um einen Diskurs auf dem Feld des Ethos. Diesem ethischen Argumentationsziel entspricht die ethische Argumentationsweise. Der Abschnitt bemüht sich stark um die Einbindung und Ansprache der Hörerschaft und bewegt sich eher auf einer emotionsorientierten Argumentationsebene. Als ein Zeichen von Frömmigkeit fordert bereits der vorangestellte Dank an Gott die Hörerschaft implizit dazu auf, sich mit dem Sprecher zu solidarisieren. Als Ausruf erregt er zudem Aufmerksamkeit. Die durchgehende Verwendung der ersten Person Plural fordert etwaige Kritiker zur Mäßigung auf, da jedwede Kritik an Paulus zugleich eine größere Gruppe von Verkündigern trifft. Der reiche Gebrauch fließender Metaphern nötigt die Hörerschaft überdies zur aktiven mentalen Verarbeitung des Gesagten. Hinzu kommt die stilistische Durchbildung des Abschnittes und ihr rhetorischer Schmuck.465 Zusammengenommen stärken all diese Elemente das Ethos des Paulus, wirken also darauf hin, die Hörerschaft für seine Worte empfänglich zu machen. Auch die Unterscheidung der doppelten Wahrnehmung des Offenbarungsgeruchs zum Leben und zum Tode in 2,16 wirkt auf der emotionalen Ebene, stellt sie doch implizit die Frage, wo die einzelnen Hörenden sich verorten, und macht ihr eschatologisches Schicksal zugleich von ihrer Stellungnahme zur Verkündigung des Paulus und seiner Mitarbeiter abhängig. Vor dem Hintergrund einer Konfliktsituation kommt sie einem Ruf zur Entscheidung gleich.

Vgl. Robbins 2009, 418. Vgl. Oropeza 2016, 162. 465 Auch Schmeller 2010, 153, versteht dies hier als ethisches Überzeugungsmittel. 463 464

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Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Die argumentative Strategie des Abschnittes besteht im Wesentlichen darin, die Paulusgruppe und Gott als Handlungseinheit auszuweisen. Das Bild vom Triumphzug stellt die Paulusgruppe in völlige Abhängigkeit von Gott. Sprachlich ist dies dadurch realisiert, dass Gott als Objekt der Dankesformel zugleich Subjekt des Offenbarungshandelns ist. Wenn die Paulusgruppe in 2,15 als Χριστοῦ εὐωδία bezeichnet wird, geht sie ganz in ihrer Aufgabe auf. Vor dem Hintergrund einer Konfliktsituation gilt damit aber: Kritik an Paulus ist (mittelbar) Kritik an Gott und Christus. Das Metaphernfeld wirkt wirklichkeitsetablierend und trägt dazu bei, diese Vorstellung zu festigen. Dabei kann die polyvalente Rede vom Triumphzug als insinuatio begriffen werden, die zunächst an ein negatives Paulusbild anknüpft, um es umzuwenden und Kritiker so in die gedankliche Bewegung einzubinden: Auch wenn der Paulusgruppe im Triumphzug die (negative) Rolle der Besiegten zukommt, ist sie als Offenbarungsduft Gottes (positives) Werkzeug. Noch dazu unterstreicht die hyperbolische Rede von der Offenbarung an allen Orten ihre Bedeutung und kann leicht mit der Reisetätigkeit des Paulus zusammengedacht werden. Auch auf diesem Gebiet ist er nicht sein eigener Herr, sondern dient Gott (vgl. nur den Reisebericht 2,12–13).466 Durch die Unterscheidung der Offenbarungsempfänger in jene, die gerettet werden, und jene, die verloren gehen, tritt ein dissoziatives Element hinzu, das jene, die sich selbst auf Seiten der Rettung und des Lebens verorten (wollen), vereinnahmt und ihnen eine positive Wahrnehmung der Paulusgruppe nahelegt. Hier wird deutlich, dass zwischen der Hörerschaft und den Offenbarungswerkzeugen Gottes ein Abhängigkeitsgefälle besteht. b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang In Übereinstimmung mit den Ergebnissen der thematisch-strukturellen Analyse lässt sich der Abschnitt als Redeeröffnung verstehen. Dafür spricht zum einen die Bemühung, ein starkes Rednerethos aufzubauen, das die Hörerschaft für das Kommende empfänglich macht und deren Einbindung in das Redegeschehen, das sie kognitiv aktiviert. Zum anderen sprechen die stilistisch konzise Form und rein thetische Formulierungsweise dafür, die zusammen den Eindruck erwecken, als werde hier ein Geltungsanspruch erhoben, dessen Gültigkeit im Folgenden erwiesen werden soll. Die Charakterisierung des Offenbarungsdienstes, der nicht von allen positiv wahrgenommen wird, scheint Bezug auf die Ablehnung zu nehmen, die Teile der korinthischen Gemeinde Paulus entgegenbringen.

466

S.o. 4.1.1.

4.4 Gedankliche Kartierung

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4.4.2 2,16c–17 Der Wechsel von einem eher hymnischen zu einem diskursiven Stil467 zeigt an, dass Paulus ab 2,16c beginnt, die in 2,14–16b aufgestellte These zu begründen. Durch betont vorangestelltes πρὸς ταῦτα reagiert die rhetorische Frage 2,16c ausdrücklich auf die zuvor aufgestellten Behauptungen,468 wobei der Ton des Ausrufs, der ihr anhaftet, stilistisch an die Danksagung 2,14a anknüpft und zugleich zum diskursiven Teil des Textes überleitet. Dass Paulus Zweifel an seiner „Fähigkeit“ zur Ausübung dieser Aufgabe antizipiert, verwundert in Anbetracht der eschatologischen Tragweite, die er für den eigenen Verkündigungsdienst in Anspruch genommen hat, nicht. Zumal im Bild des im Triumphzug mitgeführten Gefangenen die wahrgenommene Schwachheit des Apostels ja bereits indirekt thematisiert wurde. Wie 10,10 zeigt, ist Paulus sich der zweifelhaften Wirkung, die sein Auftreten auf einige Korinther hat, bewusst. Die mangelnde „Fähigkeit“ des Apostels muss demnach nicht als Kampfbegriff seiner Konkurrenten in der korinthischen Gemeinde verstanden werden.469 Dass Paulus hier den Ansatzpunkt für die Verteidigung des eigenen Dienstes wählt, zeigt, dass die Frage in der Auseinandersetzung mit der Gemeinde aber doch virulent war.470 Sie bestimmt die Argumentation im Folgenden maßgeblich. Vor allem bis 3,6,471 insgesamt aber bis 4,6, versucht Paulus im Wesentlichen zu begründen, dass er zum Offenbarungsdienst fähig ist, wie dieser Dienst gestaltet ist und was „Fähigkeit“ vor diesem Hintergrund bedeutet. In nuce sind all diese Antworten in der Duftmetaphorik von 2,14–16b bereits angelegt. Zur Seite der Ausgangsmetapher entfaltet Paulus sein Argument erst ab 4,7, wenn er beginnt darzustellen, dass und warum der von ihm behauptete Dienst mit Schwachheit und Niedrigkeit zu vereinbaren ist. 4.4.2.1 Die rhetorische Frage 2,16c Wenn es demnach auch nicht verwundert, dass Paulus seinen Ausgangspunkt bei der „Fähigkeit“ nimmt, überrascht es doch, dass er diese mit der rhetorischen Frage zur Disposition zu stellen scheint. In 2,14–16b hatte er sie schlicht vorausgesetzt.472

Vgl. etwa Furnish 1985, 190; Kuschnerus 2002, 137. Für Land 2015, 119, geht es bei 2,16c hingegen um „the ability to endure persecution“. Da πρὸς ταῦτα auf die doppelte Reaktion auf den Verkündigungsdienst Bezug nehme, paraphrasiert er: „Who is competent enough to face these things [i. e. the polarized reactions provoked by the Pauline mission]?“ 469 So etwa Georgi 1964, 220–225. 470 Womöglich entzündeten sich die Anfragen der Gemeinde schon an den Äußerungen in 1 Kor 15,9. Vgl. Thrall 1994, 209 f., zur Sache. 471 Furnish 1985, 190, weist 2,16c–3,6 als zusammengehörigen Abschnitt aus, der die Schlüsselfrage nach der ἱκανότης behandelt. Vgl. auch Provence 1982. 472 Schröter 1993, 34, sieht hier einen „Bruch in der Argumentation“. 467 468

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Für sich allein genommen evoziert die rhetorische Frage keineswegs zwingend die positive Antwort, dass Paulus fähig ist. Vielmehr folgt auf die große Mehrheit der τίς-Fragen andernorts in den paulinischen Briefen eine negative Antwort.473 Für die hier gestellte Frage hieße dies: Niemand ist fähig. Dass Paulus diese Antwort im Sinn hat, ist dem Zusammenhang nach zwar ausgeschlossen,474 insgesamt betont er durch die rhetorische Frage aber doch, wie außergewöhnlich der Anspruch ist, den er für sich erhebt. Das läuft seiner Aussageabsicht nur auf den ersten Blick zuwider. Rhetorisch dient es ihr vielmehr, denn auf diese Weise nimmt er die Bedenken seiner Hörerschaft auf, ohne ihnen zustimmen zu müssen. Die antiken Rhetoriker empfehlen dem Redner ausdrücklich, die Position der Hörerschaft soweit wie möglich zum Ausgangspunkt der eigenen Überlegungen zu machen, um die Hörerschaft für sich einzunehmen oder sie zumindest zum Zuhören zu bewegen.475 Eine ähnliche Strategie ließ sich ja bereits in der Ausdeutung der Triumphzugmetapher beobachten. Die Form der rhetorischen Frage überbrückt sprachlich die Kluft zwischen beiden Parteien, da sie es Paulus erlaubt, seinen Anspruch unmissverständlich zu formulieren, ohne ihn direkt aussprechen zu müssen. Diese Aufgabe fällt der Hörerschaft zu, die so in den Diskurs eingebunden wird – und sei es durch vehementen Widerspruch. Nicht ohne Grund ist die Ankündigung bemerkenswerter Vorgänge ein bewährtes ethisches Überzeugungsmittel der klassischen Rhetorik, erregt sie doch die Aufmerksamkeit der Hörerschaft.476 In diesem Falle drängt es sie sogar zur Beteiligung, denn auch wer widersprechen will, muss sich dazu auf die Argumentation einlassen. Folgerichtig überspringt Paulus im Anschlussvers die Antwort, „die die Gemeinde selbst geben soll, und kommt gleich zur Begründung seines Anspruchs“477. 4.4.2.2 Die Begründung der Fähigkeit 2,17 Der Anschluss mit γάρ vollzieht endgültig den Wechsel zum diskursiven Stil. Funktional betrachtet begründet Paulus hier eine dritte These, die aus den Behauptungen von 2,14–16b hervorgeht: Wir sind in der Lage, die Offenbarungsaufgabe zu erfüllen.478 Als Argument führt er die Art und Weise seiner Evangeliumsverkündigung 473 So Thrall 1994, 208 f. Sie verweist vor allem auf Röm  8,24.31.33.35; 9,19; 1 Kor  4,7; 9,7; 14,8;2 Kor 11,29. Eine positive Antwort fände allein Röm 7,24 f. 474 Vgl. Hafemann 1986, 94 und aktueller Schmeller 2010, 165, in Abgrenzung dagegen, die 2,16c im Anschluss an Joel 2,11 als Resignationsfrage zu verstehen. Negativ ließe sich die Frage höchstens beantworten als: „Im Grunde ist niemand fähig. Es sei denn Gott befähigt ihn.“ 475 Vgl. Quint. inst. 4,1,52; 9,1,43 zur Bedeutung der Adressaten und ihrer Einstellungen. 476 Vgl. Quint. inst. 4,5 zur emotionalen Einbindung der Hörerschaft. 477 Schmeller 2010, 165. 478 Womöglich schwingt die Abgrenzung gegen andere Verkündiger schon in der Art der Fragestellung von 2,16b mit. Thrall interpoliert in Anbetracht der meist negativ zu beantwortenden τίς-Frage die implizite Antwort: „‚No one but ourselves‘“ (Thrall 1994, 209). Furnish 1985, 191, liest auch den begründenden Anschluss von 2,17 als Teil der polemischen Abgrenzung gegen andere

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ins Feld. Er stützt seinen Anspruch, zum Offenbarungsdienst fähig zu sein, durch die Behauptung, das Wort Gottes nicht zum eigenen Vorteil zu missbrauchen, sondern in Lauterkeit zu verkündigen.479 Tatsächlich wäre die geradlinige Argumentation von der positiven Aussage ausgegangen, auf der stilistisch betrachtet auch der Satzakzent liegt. Insofern Paulus in 2,17c die Lauterkeit seiner Verkündigung nachgerade mit der Unmittelbarkeit seines Gottesverhältnisses identifiziert, ließe sich unschwer aus der Schlussfolgerung (K): „Wir sind fähig“, gestützt vom Argument (D): „Wir verkündigen lauter, entsprechend unserer Nähe zu Gott“, die Schlussregel (SR) rekonstruieren: „Wer einem unmittelbaren Gottesverhältnis entsprechend lauter verkündigt, ist fähig, die Offenbarungsaufgabe zu erfüllen.“ a Die Abgrenzung gegen andere Verkündiger Dass hier jedoch die erste correctio des Textes begegnet, deutet auf das Anliegen, eine nach Meinung des Paulus irregeleitete Ansicht zu korrigieren. Die rhetorische Bewegung ist dissoziativ. Dem vermeintlichen Anschein, dass Paulus das Wort Gottes aus unlauteren Motiven heraus verkündige, tritt er mit der gegenteiligen Behauptung entgegen. Da auch das Beharren auf der eigenen Lauterkeit seinerseits nicht mehr als eine Behauptung ist, hat Paulus bis zu diesem Punkt noch kein Argument im diskursiven Sinne angeführt. Vielmehr formuliert 2,17c einen weiteren begründungsbedürftigen Geltungsanspruch. Ob Paulus hier auf tatsächliche Beschuldigungen seitens der Gemeinde reagiert oder nur eine Negativfolie konstruiert, von der er sich abheben kann, muss offenbleiben. Denn die Abwehr des Verdachts auf missbräuchliche Verkündigung gibt Paulus auch die Gelegenheit, sich rhetorisch zu profilieren. Die negative Darstellung der Gegner, von der sich der Redner entsprechend positiv abhebt, ist nach den Konventionen antiker Rhetorik als ethisches Überzeugungsmittel im Eröffnungsteil einer Rede gängig.480 Nicht umsonst ist es seit jeher umstritten, auf wen die Bemerkung an dieser Stelle zielt. Paulus mögen hier wie auch in 3,1b sehr wohl bereits die Superapostel aus dem Schlussteil des Briefes vor Augen gestanden haben.481 Deutlich benennt er dies jedoch nicht. Ohnehin entspräche solch ein direkter Angriff auf die Ansichten der Korinther nicht seiner rhetorischen Strategie, da er damit mutmaßlich eine Abwehrreaktion ausgelöst hätte, die seinem Anliegen abträglich gewesen wäre.482 Die Verkündiger. Er sei Paulus Rechtfertigung, die Frage überhaupt gestellt zu haben: Weil viele sich Tauglichkeit anmaßen, müsse er das Thema ansprechen. 479 λόγος τοῦ θεου meint hier, wie auch andernorts bei Paulus die Verkündigungsbotschaft bzw. das Evangelium (vgl. Furnish 1985, 179, zu Belegstellen und insbesondere den Gebrauch in 1 Thess 2,13; Phil 1,14 und die Parallelsetzung von Wort Gottes und Evangelium in 2 Kor 4,2). 480 Vgl. Aristot. Rhet. 27–34, 1415a. Dass οἱ πολλοί in der Tat beleidigend verstanden wurde, zeigt sich an der noch abwertenderen Lesart οἱ λοιποί, die unter anderem P46 bezeugt (vgl. Land 2015, 119 f., und Metzger 1971, 508). 481 Diese maßgeblich rhetorische Lesart unterstützt etwa Schröter 1993, 36. 482 Ähnlich äußert sich Schmeller 2010, 174, zu 3,1.

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unscharfe Ausdrucksweise hingegen konstruiert ein gemeinsames Feindbild, das Paulus sich später im Brief zu Nutze machen kann, indem er seine apostolischen Rivalen darauf abbildet. Das Prädikat, das Paulus „den vielen“ (οἱ πολλοί) Verkündigern beimisst, von denen er sich absetzt, ist reich an Konnotationen, zweifelsohne jedoch negativ besetzt. Der Vorwurf des καπηλεύειν ist ein gängiger „polemische[r] Topos, der sich zunächst gegen sophistische Denker und Redner richtet“. Dadurch, „daß antike Stereotypen vom Kleinhändler [κάπηλος] betrügerisches und verfälschendes Handeln konnotieren“, war er sehr breit anwendbar und kann „ein absurdes Verhalten […], aber auch den Vorwurf der Ignoranz und Willkürlichkeit, des Verfälschens und Betrügens, der Gewinnsucht und Käuflichkeit umfassen“.483 Ausschlaggebend ist die „Nuance des Unredlichen, nur auf den eigenen Vorteil bedachten“484. Die Geschichte des Begriffes beginnt bei Plato, der damit die Sophisten kritisiert, zu deren Selbstverständnis konstitutiv der Verkauf ihrer Lehre gehört. Da die wahre Lehre den Sophisten seiner Ansicht nach ohnehin fremd ist, schwingt der Aspekt des Verfälschens bei ihm weniger mit. Im Laufe der Zeit trat dieser in der Anklage hinzu. Die Sophisten wüssten zwar um die wahre Lehre, würden sie sich aber so zurechtlegen, dass sie sich gut vermarkten ließe.485 Dem entspricht, dass Paulus demgegenüber die Lauterkeit (εἰλικρινεία) der eigenen Verkündigung betont und damit sowohl Eigennutz als auch eine inhaltliche Verfälschung ausschließt. In die gleiche Kerbe schlägt die Bezeichnung der καπηλεύοντες als οἱ πολλοί. Sie hat „einen ebenso allgemeinen wie abwertenden Charakter und wurde in der Popularphilosophie dazu benutzt, die ‚wahre‘ Lehre einer landläufigen, von der ungebildeten Masse geglaubten Meinung gegenüberzustellen“486. Im Gegensatz dazu verkündet Paulus also die „wahre Lehre“, da er das Wort Gottes nicht (zum eigenen Nutzen) verfälscht.487

Kuschnerus 2002, 143–145. Schröter 1993, 37. 485 Vgl.  Kuschnerus 2002, 39–43. Für ausführlichere Untersuchungen der Begriffsgeschichte vgl. Hafemann 1986, 106–126, und Schröter 1993, 37–45, der Hafemann dahingehend korrigiert, dass der Begriff gleichermaßen das Verfälschen wie auch die unredliche finanzielle Vorteilsnahme konnotiert. Die rabbinische Literatur bezeugt überdies eine Verbindung von Kleinhändler- und Geruchsmetapher: Es ist der Kleinhändler, der auf betrügerische Weise die von ihm verkauften Gewürze streckt (vgl.  Novick 2011) Allerdings spricht die ab 3,1 bemühte Bildwelt dagegen, die Metaphorik der Argumentation im Rahmen der Triumphzugs- und Duftmetapher zu denken. Demnach vermag die von Novick vorgeschlagene Interpretation des Bildes nicht ohne Weiteres zu überzeugen. 486 Schröter 1993, 36; dort auch weitere Textangaben. 487 So auch Wolff 1989, 58. Vgl. auch die ganz ähnliche Formulierung in 4,2. 483 484

4.4 Gedankliche Kartierung

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b Die Art und Weise der eigenen Verkündigung Der Akzent des Satzes liegt auf der Beteuerung, Paulus verkündige das Wort Gottes „wie aus Lauterkeit“. Die Abgrenzung von unlauteren Verkündigern steht also ganz im Dienst einer Aussage über den eigenen Verkündigungsdienst.488 Mit εἰλικρινεία nimmt Paulus einen Begriff aus der propositio 1,12 auf, der dem gnädigen Handeln Gottes an ihm entspricht. Indem Paulus die correctio ausbaut, erläutert er ferner, was es bedeutet ὡς ἐξ εἰλικρινείας zu verkündigen, nämlich ὡς ἐκ θεοῦ κατέναντι θεοῦ ἐν Χριστω.489 Neben der „affektorientierten Häufung“490 wiederholt diese Reihe in anderen Worten das Programm von 2,14 f.: Nicht Paulus bestimmt über die Offenbarung, die er vermittelt, sie wird ihm von Gott her durch Christus zuteil. 4.4.2.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Den Rahmen des 2,14–16b logisch untergeordneten Abschnittes bildet die rhetorische Frage 2,16c und die Begründung ihrer impliziten positiven Antwort 2,17. Die Metaphern werden nicht ausdrücklich fortgeführt, der Gedankengang bewegt sich aber weiter im Diskursfeld göttlicher Kommunikation. Je nachdem, ob und welche biblische Bezugsstelle die Hörerschaft aktualisiert, ist die rhetorische Frage 2,16c eher im prophetischen (ἱκανός als Anspielung auf Ex  4) oder apokalyptischen Diskurs (Resignationsfrage als Anspielung auf Joel) verortet. Jedoch drängt sich keine der beiden Möglichkeiten auf. Deutlicher ist der Ausdruck „das Wort Gottes reden“ (τὸν λόγον τοῦ θεοῦ … λαλοῦμεν; prophetisch) in 2,17 und die Vorstellung, ihm gegenüber zu stehen (κατέναντι θεοῦ, apokalyptisch). Hinzu tritt als Teil des gemeinhellenistisch-philosophischen Diskurses die Negativfolie der καπηλεύοντες. Argumentationsebene Mit 2,16c wird der Stil der Passage diskursiver, baut dabei jedoch nach wie vor stark auf die emotionale Beteiligung der Hörerschaft. Durch die rhetorische Frage wird sie in den Gedankengang eingebunden, zumal die Frage keineswegs explizit beantwortet wird, sondern die Gemeinde sich ihren Teil denken und die weiteren Äußerungen damit in Einklang bringen muss. Vermutlich wehrt Paulus mit 2,17 bekannte

488 Auch diese Beobachtung spricht dafür, dem gesamten Abschnitt eher einen apologetischen als einen polemischen Charakter beizumessen. Vgl. auch Thrall 1994, 217. 489 Lambrecht 1983a, 378, stellt richtig fest, dass die Glieder der correctio einander erläutern. 490 Schmeller 2010, 167.

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Vorwürfe ab und kann demnach auch hier mit einer Reaktion des Publikums rechnen. Stilistisch fällt die „affektorientierte Häufung“491 der Partikel ὡς (ἐκ) in 2,17 auf. Mit οὐ γάρ zeigt 2,17a ein Begründungsverhältnis und damit eine Bewegung auf der rationalen Argumentationsebene an. Dem Zusammenhang nach kann hier nur die implizite, positive Antwort auf die rhetorische Frage begründet werden: „Wir sind fähig“ (K). Ein vollständiger Schluss lässt sich jedoch mitnichten eindeutig rekonstruieren. Bei der Häufung der mit ὡς (ἐκ) angeführten Daten in 2,17 bleibt unklar, welches das ausschlaggebende Element ist oder welche Schlussregel den konkreten Übergang von den angeführten Daten zur Schlussfolgerung „Wir sind fähig“ leisten kann. Denkbar wäre jeweils ein Schluss „Wir sind fähig“ (K), weil wir nicht das Wort Gottes zum eigenen Vorteil missbrauchen/weil wir aus Lauterkeit heraus sprechen (D1–2) oder weil wir aus Gott/in der Gegenwart Gottes/in bzw. vermittelst Christus sprechen (D3–5). Dem entsprächen in etwa die Schlussregeln: „Tugendhaftigkeit/Lauterkeit befähigt zum Offenbarungsdienst“ (SR1/2) oder „Die Nähe zu Gott bzw. ein unmittelbares Gottes-/Christusverhältnis befähigt zum Offenbarungsdienst“ (SR3–5). Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Die Gesamtbewegung des Abschnittes ist dissoziativ. Die correctio 2,17 mit Voranstellung der negativen Größe zeigt das Bemühen, die Paulusgruppe von „den vielen“ tatsächlich verachtenswert handelnden Verkündigern des Wortes Gottes zu unterscheiden und auf diesem Wege die Vorverurteilung ihrer Kritiker aufzuheben. Die bloße Behauptung, fähig und tugendhaft zu sein, besitzt jedoch noch keine Überzeugungskraft. Gleiches gilt für die enge Bindung der Paulusgruppe an Gott, die 2,17 sprachlich aufbaut und damit dem Impetus der vorangegangenen Verse folgt. Zwei Momente mögen jedoch zur Plausibilisierung des erhobenen Anspruches beitragen. Zum einen erinnert das rhetorische Vorgehen an die oben beobachtete insinuatio, sofern man in der rhetorischen Frage einen resignativen Unterton hören möchte. Die vorgefasste Meinung der Kritiker, Paulus tauge nicht zu einer solchen Aufgabe, würde dann aufgenommen, um sie umzuwenden. Damit ist zwar noch nicht ihr Gegenteil bewiesen, das Publikum aber weiterhin aufnahmewillig. Dazu passt es auch, dass die Frage nicht explizit beantwortet wird. Zum anderen mag einem entsprechend gebildeten Leser der Zusammenhang von Gottesnähe und Tugendhaftigkeit einleuchten, der verschiedentlich in biblisch-jüdischen Traditionen begegnet. Auch damit ist die enge Bindung der Paulusgruppe an Gott noch nicht bewiesen, ihr wird jedoch rhetorisch der Boden bereitet.

491

Schmeller 2010, 167.

4.4 Gedankliche Kartierung

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b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang Trotz des an der Textoberfläche diskursiveren Stils formuliert auch der Abschnitt 2,16c–17 thetisch und bemüht sich, die Hörerschaft emotional einzubinden. Argumente im Sinne angeführter Gründe für die in 2,14–16b formulierten Thesen stehen weiterhin aus. Anstelle dessen werden diese auf die Frage zugespitzt, ob und warum die Paulusgruppe in der Lage ist, den erhobenen Geltungsanspruch einzulösen. Da zwischen dem Erweis der Befähigung zu einer Aufgabe und ihrer tatsächlichen, gelingenden Ausübung kein zwingender Zusammenhang besteht, liegt es nahe, dass der Text hier auf eine konkrete Streitfrage reagiert. Im Zuge dessen scheint 2,17a einen – echten oder fingierten – Vorwurf abzuwehren. Die dabei erhobenen Behauptungen werden ihrerseits argumentativ nicht weiter untermauert. Zudem ist der Begründungszusammenhang zwischen der Abwehr des Vorwurfs und der Befähigung zur Offenbarungsmittlerschaft nicht ohne Weiteres einsichtig. Insgesamt zielt auch dieser Abschnitt auf eine Stärkung des Rednerethos. Geschieht dies im vorangehenden Abschnitt jedoch vor allem auf rhetorischem Wege und halb verborgen, wird das Ethos hier ganz offen zum Argumentationsziel, indem die Person des Paulus bzw. vielmehr der Charakter der Paulusgruppe thematisiert wird. 4.4.3 3,1–3 Da die rhetorische Frage 3,1a ausdrücklich auf den in 2,17 formulierten Anspruch reagiert, schließt der Abschnitt 3,1–3 eng an das Vorangegangene an. Das begonnene Thema wird so fortgesetzt, jedoch auf eine höhere, selbstreflexive Ebene gehoben.492 Hatten der einleitende Abschnitt 2,14–16b und auch 2,17 die Wirksamkeit des Paulus noch ganz von Gott her betrachtet, lenken die Verse 3,1–3 den Blick auf das Verhältnis von Paulus zur Hörerschaft, die in 3,1b erstmals direkt angesprochen wird, und auf die Rolle, die ihr in seinem Wirken zukommt.493 4.4.3.1 Die einleitenden rhetorischen Fragen (3,1) Abermals knüpft Paulus durch die Form der rhetorischen Frage bei einem erwartbaren Widerspruch an und versucht, diesen für sich zu umzuwenden. Er fange keineswegs an, sich erneut selbst zu empfehlen.494 Die adverbielle Bestimmung πάλιν lässt darauf schließen, dass das Thema der Selbstempfehlung im Gespräch mit der

Vgl. Duff 2015, 112. Vgl. Gerber 2005, 176. 494 Beide Fragen fordern eine negative Antwort, wie das μή in der zweiten Frage 3,1b zeigt, die sich mit ἤ angebunden „als präzisierende Variante der ersten gibt“ (Kuschnerus 2002, 150 f.). 492 493

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korinthischen Gemeinde nicht neu ist.495 Ohne weiter zu klären, inwiefern die Aussagen in 2,17 als Selbstempfehlung (miss-)verstanden werden könnten, schließt er eine zweite rhetorische Frage an, die in gewohnter Manier eine mögliche Erwartungshaltung der Hörerschaft aufnimmt, ihr ihre Legitimität jedoch abspricht. Im Gegensatz zu einigen anderen (τινες) bedürfe er keiner Empfehlungsbriefe. Paulus entwirft hier eine Gegenfolie analog zu den falschen Verkündigern in 2,17a. Wie dort die πολλοί, so sind auch hier die τινες nicht scharf genug konturiert, um zu erkennen, ob Paulus hypothetisch spricht oder etwa die Konkurrenten aus 2 Kor 10–13 im Sinn hat. Ohnehin liegt der Akzent des Satzes aber nicht auf der Abgrenzung von anderen, sondern auf der Verneinung, auf Empfehlungsbriefe angewiesen zu sein, und ist somit in erster Linie apologetisch und höchstens nachgeordnet polemisch zu verstehen.496 Paulus bestreitet rundum jede Notwendigkeit, den Korinthern empfohlen zu werden, sei es durch sich selbst oder durch andere.497 Ob Paulus auf Empfehlungsbriefe zu sprechen kommt, weil die Korinther solche von ihm forderten,498 ob er sich gezwungen sieht, auf die Beglaubigungen konkreter Konkurrenten zu reagieren,499 oder ob auch diese gedankliche Schleife nur ein rhetorisches Manöver ist, kann vom Text her nicht entschieden werden. In jedem Falle ist die Frage der Empfehlung ein dominantes Thema des zweiten Korintherbriefes, zu dem Paulus sich scheinbar widersprüchlich äußert.500 Es empfiehlt sich demnach, für Paulus von einem differenzierten Verständnis der Sache auszugehen. Ein solches legt sich auch von der Stellung der rhetorischen Fragen im Gedankengang her nahe, den 3,1 auf eine neue Bahn lenkt. So sehr beide Fragen zusammengehören und die gleiche Sache aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, verweist 3,1a der Sache nach mehr nach hinten, 3,1b nach vorn. Paulus greift die Empfehlungsthematik überhaupt nur auf, weil er fürchtet, zumindest aber des rhetorischen Effektes wegen vorgibt, seine vorangegangene Äuße495 Vgl. Kuschnerus 2002, 150 f. πάλιν ist analog der Formulierung in 5,12 wohl auf συνιστάνειν zu beziehen. Vgl. dazu Gerber 2005, 176 und Schmeller 2010, 172. Das Paulus damit auf eine einmalige und nicht zu wiederholende Empfehlung im Rahmen seines Gründungsaufenthaltes Bezug nimmt, wie Thrall 1994, 218,annimmt, scheint mir jedoch keineswegs evident. Überdies ist ihre Annahme abhängig von ihrer grundlegenden Briefteilungshypothese, wie Thrall 1994, 221 f., zeigt. 496 Vgl. auch Thrall 1994, 221 und Gerber 2005, 180 f.: „[D]er Text lässt weder eine solche [polemische] Veranlassung noch Intention erkennen.“ Der Vergleich zeige nur, „dass der Autor Konkurrenz sah und gegen Anfragen seine Qualifikation und seine Referenz benennen wollte.“ Zur Frage der Angewiesenheit auf Empfehlungsbriefe vgl. Schröter 1993, 57 f. 497 Es scheint nicht ratsam, hier im Einzelnen die Idee von Fremd- und Selbstempfehlung zu unterscheiden. Zwischen beiden Empfehlungsarten wird antik wenig differenziert und es geht Paulus um die Abwehr von Empfehlung an sich (vgl. Thrall 1994, 218, und dort den Verweis auf Marshall 1987, 267). 498 So bspw. Duff 2015, 103–112. Er vermutet, dass den Korinther über Paulus vollmundigem Auftreten, zu dem das Ausstellen eigener Empfehlungsbriefe an andere und die Selbststilisierung zum Vorbild gehörte, Zweifel an seiner Legitimierung kamen. 499 Vgl. exemplarisch Schröter 1993, 49. 500 Vgl. 2 Kor 3,1; 4,2; 5,12; 6,4; 7,11; 10,12.18bis; 12,11 gegenüber nur vier sonstigen Belegen bei Paulus: Röm 3,5; 5,8; 16,1; Gal 2,18.

4.4 Gedankliche Kartierung

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rung könne als Selbstempfehlung missverstanden werden. Für ein solches Missverständnis kommt lediglich die Beteuerung der eigenen Lauterkeit der Verkündigung 2,17b in Frage, die dort ihrerseits die Fähigkeit des Apostels zum Verkündigungsdienst begründen soll. Wie 4,2 zeigt, ist es jedoch nicht die Lauterkeit des Apostels, die ihn empfiehlt, sondern die „Offenbarung der Wahrheit“ (τῇ φανερώσει τῆς ἀληθείας συνιστάνοντες). Diese ist zwar an den korrekten Vollzug des Verkündigungsdienstes gebunden, geht aber nicht in ihm auf, sondern korreliert vielmehr mit dem unmittelbaren Verhältnis zu Gott, das Paulus 2,17 beschreibt. Durch die erste rhetorische Frage wehrt Paulus demnach ein zu enges Verständnis davon ab, was zur Beglaubigung eines rechtmäßigen Verkündigungsdienstes gehört.501 Mit Lauterkeit allein ist es nicht getan. Sie steht auf tönernen Füßen, solange nicht Gottes Wirken hinter dem gesamten Verkündigungsdienst steht. Nicht umsonst nimmt der Gedankengang diese Wendung im Zusammenhang der Frage nach der Fähigkeit des Paulus auf, die in 3,4–6 so beantwortet wird, dass seine Befähigung ganz von Gott kommt. Damit ist es nur folgerichtig, wenn Paulus den Gedankengang durch die zweite rhetorische Frage in eine Richtung lenkt, die evident macht, dass Gott durch ihn wirkt (3,2 f.). Wie er selbst betont, bedarf Paulus im Falle der Korinther deshalb keine Empfehlungsbriefe, weil das Handeln Gottes durch ihn an den Korinthern auf der Hand liegt (vgl. 3,2–3).502 Jede „an Äußerlichkeiten orientierte Suche nach Anerkennung“503 geht dort fehl, wo Gottes Handeln manifest wird – und umgekehrt ist allein Gottes Handeln ein angemessenes Beglaubigungszeichen für den legitimen Verkündigungsdienst. Zugleich stärkt die Aussage von 3,1b Paulus Behauptung, sich nicht selbst zu empfehlen. Die logische Operation (K): „Wir empfehlen uns nicht selbst,“ (D): „Wir haben keine Empfehlung nötig,“ (SR): „Wer nicht empfohlen zu werden braucht, empfiehlt sich nicht selbst,“ entspricht einem gängigen Argumentationsmuster: dem Ausschluss eines Sachverhalts durch den Ausschluss der in Frage kommenden Motive.504 Auch von daher ist es nur folgerichtig, wenn der Gedankengang 3,2–3 das Argument stärkt, indem er (D) stützt. Auch dies geschieht auf rhetorisch durchaus versierte Weise. Wenn man so will, konstruiert Paulus eine captatio benevolentiae, deren positives 501 Dass die Selbstempfehlung anfällig für Missverständnisse ist, mag begründen, dass Paulus sich nur begleitet von umständlichen Erklärungen selbst empfiehlt (vgl. Furnish 1985, 192). Möchte man nicht die Äußerungen zur Empfehlungsthematik in 2 Kor auf verschiedene Briefe aufteilen und als unverbunden behandeln, wie Thrall 1994, 221 f., es andenkt, führt wohl kein Weg umhin, an dieser Stelle eine Differenzierung zwischen falsch begründeter und recht begründeter Selbstempfehlung anzunehmen. 502 Vgl.  Schröter 1993, 55–58; Schmeller 2010, 175. Zur Empfehlungsbriefpraxis der Antike vgl. auch die Übersichten und Überlegungen bei Duff 2015, 103–109; Schröter 1993, 51–57; Scholtissek 2000, 194, und Klauck 1998, 75–79, mit weiterführenden Angaben. 503 Schröter 1993, 49. 504 Cicero betrachtet dieses Vorgehen gar als einen zwingenden Beweis (vgl. Cic. inv. 1,45,6–13). Debanné 2006c, 3, setzt in seiner Rekonstruktion des dem Enthymem zugrundeliegenden Obersatzes: „Whoever already has well-known apostolic credentials does not need a letter of recommendation“, hingegen vorschnell den Inhalt von 3,2–3 voraus.

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Selbstbild die Korinther nur dann in Anspruch nehmen können, wenn sie zugleich Paulus in seiner Prämisse über sich selbst Recht geben. Durch seine metaphorische Form gewinnt das Argument zusätzliche Kraft. 4.4.3.2 Das Bild vom lebendigen Empfehlungsbrief (3,2–3,3) Denn ausgehend vom Motiv des Empfehlungsbriefes aus 3,1b bezeichnet Paulus seine Hörerschaft nun als „unseren Brief “, in die eigenen Herzen geschrieben und von allen Menschen erkannt und gelesen.505 Wie die Metapher zu verstehen ist, macht der Folgevers klar, der 3,2 fortführend und verdeutlichend aufgreift: Die Korinther seien als Brief Christi zu erkennen, an dessen Zustandekommen Paulus Anteil hatte.506 Die Stoßrichtung ist eindeutig, das Vorgehen „argumentativ trickreich“507. Die Korinther können nur dann für sich in Anspruch nehmen, dass sie in Christus existieren, wenn sie zugleich anerkennen, dass Paulus erheblichen Anteil an dieser ihrer Existenz hat. Damit stellen sie selbst ihm die Beglaubigung aus, dass Gott an ihm und durch ihn wirkt.508 Verschärft wird die Intensität der Gedankenfigur noch dadurch, dass Paulus sie in einen Kontext coram publico stellt:509 Alle Menschen haben die Natur der Korinther als Empfehlungsbrief erkannt. Folglich liegt in der vorgestellten Textwelt auch das Augenmerk aller Menschen auf ihrer Reaktion, mit der Erwartung, dass sie sich mit Paulus solidarisieren. Wenn sich die Korinther als einzige noch gegen diese Einsicht sperren, entbehrt dies nicht der Ironie.510 Die rhetorische Bewegung ist assoziativ. Paulus kann davon ausgehen, dass die Korinther ein positives Bild ihrer eigenen Christusbeziehung haben, und nötigt sie rhetorisch, ihn selbst in diese Beziehung einzuzeichnen. Aus diesem Blickwinkel tritt die oft bemängelte Schwierigkeit, dass sich Bildspender und Bildempfänger der Metapher nicht sauber zusammenbringen lassen, in den Hintergrund. Wichtiger als die Frage, auf wessen Herz der Brief geschrieben ist und auf welche Weise er dort allen Menschen bekannt werden kann, ist die Identifikation von Paulus und Christus im Wirken an den Korinthern. Ihren vollendeten Ausdruck erhält diese Identifikation in 3,3a. Dort zeichnet Paulus die Gemeinde als „Brief 505 Allen immer wieder vorgetragenen Zweifeln zum Trotz ist in 3,2 mit der unhintergehbar eindeutigen äußeren Bezeugung ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν und nicht ὑμῶν zu lesen. Das Bild ist zweifelsohne sperrig. Die durchweg ähnlichen inhaltlichen Argumente anhand derer für die lectio simplicior ὑμῶν plädiert wird (vgl. bspw. Schröter 1993, 59 f.; Thrall 1994, 223 f.; Back 2002, 131), bleiben jedoch ambivalent und vermögen diese Schwierigkeiten nicht in letzter Instanz zu lösen. Vgl. die Abwägungen bei Schmeller 2010, 175 f., und Kuschnerus 2002, 154. 506 Zur Aufnahme und Fortführung von 3,2 in 3,3 s. o. S. 379. 507 Gerber 2005, 180. 508 Dass Paulus auf diesem Wege nun doch einen Empfehlungsbrief „ἐξ ὑμῶν“ für sich in Anspruch nehmen kann, freilich in einem ganz anderen Sinne, ist eine besondere Spitze. Vgl. auch Gerber 2005, 177. 509 Vgl. Gerber 2005, 181. 510 Vgl. Duff 2015, 120.

4.4 Gedankliche Kartierung

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Christi“ (ἐπιστολὴ Χριστοῦ) und versieht sie ferner mit dem Prädikat διακονηθεῖσα ὑφ᾽ ἡμῶν. Der Genitiv „Brief Christi“ wird vor allem als Autorengenitiv zu lesen sein.511 Zum einen geht es Paulus um die Tatsache, nicht den Inhalt des Briefes, der ohnehin von einem Dritten und nicht von einer der Streitparteien ausgestellt sein muss.512 Zum anderen ist ihm ja gerade daran gelegen, die eigene Handlungseinheit mit Christus darzustellen. Entsprechend ist διακονηθεῖσα zu verstehen. Das Verb lässt sprachlich schon das große Thema des Verkündigungsdienstes anklingen, das ab 3,6 explizit in den Vordergrund tritt. Es kann dementsprechend auch an dieser Stelle keineswegs so verstanden werden, dass Paulus den Brief verfasst hat, aber doch so, dass er ihn „besorgt“, d. h. durch seine Verkündigung im Auftrag Christi vermittelt hat.513 Hinter der Relativierung von 2,17 durch die rhetorische Frage 3,1a steht der gleiche Gedanke: Paulus ist abhängig vom Wirken Gottes durch Christus, trägt zum Gelingen der Offenbarung aber seinen Teil bei; nicht als eigene Leistung (vgl. 3,4–6), aber doch so, dass es eben im konkreten Fall Paulus ist, durch den Gott wirkt. Was für seine gesamte Verkündigungs-διακονία gilt, wird am konkreten Fall der Gemeinde von Korinth (Aorist) sichtbar.514 Unbeschadet dessen bleibt die Ausdrucksweise hier (ἐπιστολὴ Χριστοῦ) wie auch in 3,2 (ἐπιστολὴ ἡμῶν) sprachlich ambivalent und offen für anderslautende Interpretationen.515 Das Bild vom Brief, der ins Herz des Paulus geschrieben ist, steht freilich in einer gewissen Spannung zu der hier erneut betonten öffentlichen Bekanntheit des Briefes (φανερούμενοι).516 Schon die Rede vom Brief, der allgemein erkannt und gelesen wird (3,2), wird allerdings am ehesten so zu verstehen sein, „dass Paulus allgemein als Begründer des christlichen Glaubens in Korinth gilt (vgl. 1 Kor 4,15; 2 Kor  10,12–16; 11,2)“517, und verlässt den engeren Rahmen der Metapher. Diese Spannungen illustrieren, wie Paulus auch in 3,1–3 nicht aus dem gewählten Bild heraus, sondern von seiner Situation her denkt und Sprachbilder sucht, die punktuell seinem Aussageinteresse dienen. Die Anrede der Hörerschaft als Empfehlungsbrief ruft eben keine gängige Metapher auf.518 Insofern das „referentielle Thema der Anrede […] die Angeschriebenen selbst“519 bilden, die damit bei Lichte besehen zum Bildspender der Metapher werden und die Empfehlungsbriefe auf den Platz des Bildempfängers verweisen,520 ist die Metapher vielmehr höchst eigenwillig. Dennoch genügt sie gerade so Paulus Anspruch, Zugriff auf das Selbstbild der Korinther zu erlangen, und trifft seine Aussageintention. Wenn auch nicht notwendigerweise exklusiv (s. o. S. 358). Vgl. Thrall 1994, 224. Ferner Furnish 1985, 182; Oliveira 1990, 60. 513 Vgl. Thrall 1994, 224; Kuschnerus 2002, 164; Gerber 2005, 178. 514 Vgl. Thrall 1994, 225; Schmeller 2010, 179. 515 Becker 2002, 210–213, entwickelt eine Deutung entlang dieser „bleibenden Polyvalenz“. 516 Vgl. Kuschnerus 2002, 155. 517 Gerber 2005, 177. 518 Vgl. Kuschnerus 2002, 152 f. 519 Kuschnerus 2002, 153. 520 Vgl. Gerber 2005, 177. 511 512

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Die Rede vom Herzen greift zum einen „ein Motiv antiker Freundschaftstopik auf und stellt die Empfehlungsbrief-Metaphorik in den Bereich der Philophronesis“521. Dass etwas ins Herz oder in die Seele geschrieben ist und dadurch besondere Bedeutung erlangt, ist eine in der Antike geläufige Vorstellung.522 Dass Paulus von einem Brief spricht, der geradezu ins Herz graviert ist (ἐγγεγραμμένη), intensiviert dieses Bild.523 Paulus stellt also schon im Ausdruck auf die intensive und affektive Verbindung zwischen sich und der korinthischen Gemeinde ab.524 Zugleich wird schon hinter dem sprachlichen Bild von 3,2 schemenhaft Gott sichtbar, da er es ist, der nach biblischer Tradition ins Herz schreibt. Im Bild gedacht, ist dieser Herzensbrief zwar schwerlich mit der öffentlichen Bekanntheit vereinbar, die Paulus für ihn beansprucht, da Paulus aber gerade nicht im Bild des Empfehlungsbriefes, sondern von der korinthischen Wirklichkeit her denkt, nimmt er daran keinen Anstoß.525 In der Tat verschiebt sich das Bild vom lebendigen Empfehlungsbrief in der Beschreibung 3,3b.c so weit, dass es nur noch schwerlich mit den vorangegangenen Aussagen zusammengedacht werden kann. 4.4.3.3 Die Erweiterung der Briefmetapher in 3,3 Mit dem Übergang zu 3,3, spätestens zu 3,3c, lässt sich eine deutliche Verschiebung in der Bildwelt beobachten.526 Zweifelsohne geht der Vers aus der Metapher vom lebendigen Empfehlungsbrief hervor,527 und die Gegenüberstellung in den correctiones von 3,3c.d scheint geradezu den Vergleich mit den konventionellen EmpBecker 2002, 209. Vgl. Schrenk 1933, 770,37–53. 523 Vgl. Schröter 1993, 63; Hafemann 1986, 193, mit Anm. 57 und 59. 524 Vgl. dazu die verwandten Aussagen 1 Thess 2,17–20 und Phil 1,7 und Hays 1989, 127 (zu letzterer auch Furnish 1985, 194: Schon durch diesen Ausdruck erinnere Paulus die Korinther „that they are shareholders with him in the gospel of Christ of which he is an apostle“). 525 Außerdem teilen beide Aussagen den Horizont von Gottes Wirken und Erkenntnis, wie er in Jer 31,31.34 beschrieben wird. Vgl. Kuschnerus 2002, 154, Anm. 234. Auch wenn die ungewöhnliche Reihenfolge „erkannt und gelesen“ anstelle des intuitiv verständlicheren „gelesen und erkannt/ verstanden“ immer wieder Anlass zu Spekulationen gegeben hat, führt es wohl zu weit, die Briefmetapher ins Bild vom Triumphzug eingliedern zu wollen, wie Duff 2015, 116, es vorschlägt. Er verweist auf Schilder und Transparente, die im Triumphzug zur Schau gestellt wurden und folglich erst erkannt wurden, ehe man sie lesen konnte. Der Gedanke greift zwar auf angemessene Weise den betonten Aspekt der Öffentlichkeit auf, insgesamt ist die Triumphzugmetapher an dieser Stelle jedoch schon gedanklich zu weit entfernt, um aktualisiert zu werden. Auch die von Duff 2015, 118 f., gezogene Parallele zwischen Gottes Sieg über die Korinther durch Paulus und der für eine IsisProzession bezeugten Metamorphose eines Teilnehmers ist überaus charmant, aber doch zu reich an Eintragungen. 526 Thrall 1994, 226, spricht von einem „shift of imagery“, Windisch 1924, 105, vom „leidlich[en]“ Anschluss und einem „Gedankensprung“. 527 Das betont besonders Furnish 1985, 194. Von daher findet eine spezifische Deutung als Himmelsbrief, wie sie u. a. von Windisch 1924, 105, oder Georgi 1964, 166, vorgeschlagen wurde, keinen Anhalt am Text. Vgl. dazu Schröter 1993, 65. 521 522

4.4 Gedankliche Kartierung

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fehlungsbriefen zu suchen, von denen 3,1b sprach.528 Auch der parallele Aufbau unterstreicht die Zusammengehörigkeit beider Verse. Dennoch führen die gewählten Bilder weit von der Ausgangsmetapher fort und in ein dichtes Netz biblischer Bezüge hinein. Auch hier ist es seine Denkrichtung, die Paulus die nötige Freiheit verschafft derart vorzugehen. Die erste correctio 3,3c beginnt streng im Rahmen des Bildes vom Empfehlungsbrief, leitet dann aber die Verschiebung der Bildwelt ein. Paulus stellt konventionellen, mit Tinte geschriebenen Briefen die Briefexistenz der Gemeinde, geschrieben „mit dem Geist des lebendigen Gottes“ (πνεύματι θεοῦ ζῶντος) gegenüber. Die Formel „Geist des lebendigen Gottes“ verbindet zwei gängige Vorstellungen miteinander, die in dieser Verbindung an keinem anderen Ort der biblischen Literatur begegnen: Die Zusammengehörigkeit von Geist und Leben, wie sie in 3,6 ausgesprochen wird, sich aber auch andernorts findet, und die biblisch breit bezeugte Rede vom „lebendigen Gott“.529 Die Einmaligkeit dieser Formulierung wird zumeist festgestellt, jedoch selten ausgewertet. Dabei ist Mark J. Goodwins Vorschlag, hier eine Verdichtung von Vorstellungen zu sehen, die die entscheidende gedankliche Weichenstellung des Abschnittes einleitet, durchaus einiges abzugewinnen. Goodwin kommt nach einer Untersuchung der Rede vom „lebendigen Gott“ in biblischer, frühjüdischer und frühchristlicher Literatur zum Schluss, dass die Formel eng mit der Gabe der Gesetzestafeln am Sinai und der Verheißung eines Neuen Bundes verknüpft ist. Dass in 3,3d beide Motive aufgerufen werden, kommt demnach nicht von ungefähr.530 Zugleich wurzelt die Rede vom lebendigen Gott in der alttestamentlichen Götzenpolemik und damit für Paulus Missionspredigt plausibel.531 Insbesondere in der Verbindung mit dem „Geist“ dieses Gottes, den die korinthische Gemeinde durch Paulus Predigt, aber auch an sich selbst erfahren hat (vgl. 1 Kor 2,4; 3,16; 2 Kor 1,22 u. ö.), lässt sich die Formel demnach als prägnante Zusammenfassung des Arguments verstehen: Paulus erinnert seine Hörerschaft abermals an das neue Leben, das sie durch seine Predigt und Gottes Geist im Glauben gefunden haben, ehe er davon ausgehend gedanklich weiter schreitet.532 Diese Vgl. Schmeller 2010, 179. Vgl. Windisch 1924, 106. Für die Zusammengehörigkeit von „Geist“ und „Leben“ vgl. etwa Röm 8,10; Joh 6,63; Ez 37,5; Gen 6,17; 7,15.22. Für die Rede vom „lebendigen Gott“ u. a. Dtn 4,33; 5,26; Dan 4,19 LXX; Hos 2,1 (zitiert in Röm 9,26); für Paulus 1 Thess 1,9; 2 Kor 6,16; sowie fürs übrige NT 1 Tim 4,10; Offb 7,2. 530 Vgl. Goodwin 2001, 169 f. Begründet werden diese Beobachtungen bei Goodwin 2001, 15–41; ferner Goodwin 2001, 42–64. Bei Lichte besehen sind Goodwins Ergebnisse keineswegs zwingend in dem Sinne, dass die Formel ausschließlich in diesen Zusammenhängen gebraucht würde. Diese Einschränkung gilt für seine Beobachtungen insgesamt. Dennoch sind die von ihm erhobenen Konnotationen für unseren Text von Interesse, ist diese Herleitung des Steintafel-Motives doch plausibler, als die ältere Ansicht, Paulus komme darauf zu sprechen, weil seine Gegner den Dekalog als ihren Empfehlungsbrief ausgaben (so Georgi 1964, 250. Vgl. dagegen auch Thrall 1994, 227 f.). 531 Vgl. Goodwin 2001, 109–139. Auch hier ist die Argumentation für sich genommen keineswegs zwingend, entfaltet in unserem Kontext aber eine gewisse Überzeugungskraft. 532 Vgl. Goodwin 2001, 162. 528 529

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Überlegung gewinnt vor allem dadurch an Plausibilität, dass ab 3,3d gänzlich neue gedankliche Räume erschlossen werden, Paulus jedoch wiederholt auf den Ankerpunkt von Gottes Leben schaffendem Wirken durch den Geist zurückkommen wird, der zentral im Hintergrund seiner Überlegungen steht (vgl. v. a. 3,6.16). Dieses bildet das Fundament seines gesamten Arguments (vgl. 2,14–16b). Die Einführung des Geistes schlägt nun eine Brücke in die von den Korinthern mit Paulus erfahrene Wirklichkeit. Seine Empfehlung ist kein konventioneller Brief, den man mit Tinte schreiben könnte, sondern von ganz anderer Natur.533 Die zweite correctio 3,3d bedeutet eine weitere Verschiebung in der Bildwelt, die ganz den folgenden Gedankengang vorbereitet. Der Überschritt von Schreibwerkzeugen zu -materialien ist nicht zweimal dieselbe Aussage, sondern bedeutet eine zusätzliche Aussage, die die erste Differenziert:534 „nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, (und zwar) nicht auf Steintafeln, sondern auf Tafeln lebendiger Herzen“. Wenn Paulus nun steinerne Tafeln durch Tafeln lebendiger Herzen überbietet, schließt diese Gegenüberstellung zwar in syntaktischer Parallele an 3,3c an, hat sich gedanklich aber doch weitgehend von der Vorstellung eines Empfehlungsbriefes gelöst. Vor allem eine Beziehung zwischen dem Schreibstoff Tinte und dem Schreibmaterial Steintafel lässt sich schwerlich herstellen.535 Vielmehr ist mit dem Motiv der Tafeln deutlich die Sinaitradition aufgerufen (s. o. ‎4.2.3.2a). Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen jüdischen Tradition und der Abwesenheit des νόμος-Begriffes in 2 Kor 3, ist jedoch Vorsicht geboten, die Tafeln vorschnell mit Dekalog oder Gesetz im Sinne halachischer Bestimmungen zu identifizieren. Eher wird Paulus die „Tafeln als Repräsentanten der ganzen Tora versteh[en], ihrer Vorschriften und Erzählungen“536. Noch reicher an biblischen Anspielungen sind die „Tafeln fleischerner Herzen“ (s. o. ‎4.2.2.4). So, wie die Tinte aus 3,3c sich im Bild des Empfehlungsbriefes verorten lässt, nimmt Paulus hier die Vorstellung des beschriebenen Herzens wieder auf. Da er die biblischen Texte, auf die er anspielt, nicht deutlich benennt, entsteht ein halboffener Interpretationsraum. Bei entsprechender Textkompetenz deutlich ist die Anspielung auf Jer 38,31–33 (LXX) einerseits, auf Ez 11,19; bzw. 36,26 andererseits. Während Jeremia davon spricht, dass Gott sein Gesetz auf die Herzen der 533 Aus der Gegenüberstellung lassen sich verschiedene Attribuierungen der Tinte ableiten, wie „verwischbar“ (Windisch 1924, 106), nichtgöttlich oder tot (vgl. bspw. Kuschnerus 2002, 164), „dinglich“ (Schröter 1993, 89). Diese scheinen aber allesamt mehr von der Gegenüberstellung in 3,3d abhängig zu sein. 534 Vgl. Schröter 1993, 69. 535 Daran ändert auch der Einwand bei Theißen 1983, 122, Anm. 2, wenig, auch in Stein gemeißelte Buchstaben seien mit Tinte ausgemalt worden. 536 Löhr 2012, 186. Der Aufsatz gilt insgesamt der Frage, was auf den Steintafeln geschrieben steht, von denen Paulus spricht. Umso wahrscheinlicher wird dies vor dem Hintergrund einer Textstelle wie Röm 3,31–4,3, die darauf deutet, dass Paulus halachische und erzählende Passagen der Tora gleichermaßen mit νόμος bezeichnen kann.

4.4 Gedankliche Kartierung

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Israeliten schreiben wird, entspricht die Gegenüberstellung von „steinern“ und „fleischern“ der Stelle bei Ezechiel, die die alten steinernen Herzen der Israeliten mit den neuen fleischernen Herzen kontrastiert, die Gott ihnen geben wird (bemerkenswerterweise zusammen mit einem neuen Geist). Beide Stellen sind Teil der Verheißung eines erneuerten Gottesverhältnisses. Jeremia 38,31 (LXX) spricht ausdrücklich von διαθήκη. Eine negative Bewertung der Sinaitafeln wäre im antiken Judentum hingegen einmalig.537 Diese Bewertung ist im Bild selbst nicht angelegt und ergibt sich einzig aus dem Gegensatz von Stein und Fleisch bei Ezechiel und dem Zusammenhang in 2 Kor 3,3.538 Paulus kann dabei aber an eine breite antike Tradition anknüpfen, die ganz allgemein das lebendige innere Verständnis einer Sache höher wertet als ihre äußerliche, geschriebene Form.539 Sie findet sich auch im hellenistischen Judentum: Philo gilt das ins Herz geschriebene Ethos mehr als das schriftlich festgehaltene Gesetz.540 Dies muss also der Vergleichspunkt sein, der Steintafeln und Herzenstafeln voneinander abhebt. Denn göttlich verfasst sind sie beide.541 Zumal dann, wenn der „lebendige Gott“ in der Tradition mit den Steintafeln verknüpft ist. Innerliche Verwandlung und Belebung findet jedoch nur dort statt, wo der Geist des lebendigen Gottes auf Tafeln fleischerner Herzen schreibt. Die Steintafeln sind somit nicht an sich schlecht, aber leisten nicht das Gleiche wie Gottes unmittelbares Handeln am menschlichen Herzen. Betont 3,3c die göttliche Aktivität im metaphorischen Schreibvorgang, so spricht 3,3d von der menschlichen Affizierung, die die Steintafeln nicht bewirken.542 Im Rahmen des Grundgedankens, den er in 3,2–3 vermitteln will, verbindet Paulus demnach die Gründung der korinthischen Gemeinde mit dem prophetisch verheißenen Neuen Bund.543 Auch hier ist die Frage, von wessen Herz Paulus spricht und wie sich die beschriebenen Vorgänge vorstellen lassen, wenn nach wie vor sein eigenes Herz im Blick ist, falsch gestellt.544 Denn an dieser Stelle kann kaum noch im Bild des Empfehlungsbriefes gedacht werden. Für die Aussage entscheidend ist, dass Paulus Gottes lebensveränderndes Wirken im Neuen Bund mit dem eigenen Vgl. ausführlich Hafemann 1986, 204–215. Vgl. Kuschnerus 2002, 170. 539 Vgl. etwa Thrall 1994, 227, mit Beispielen in Anm. 169; ferner Furnish 1985, 195, zum Phaedrus. 540 Vgl. Spec. 4,149 f. Dazu Schröter 1993, 71. 541 Vgl. v. a. Ex 31,18. Dazu auch Duff 2015, 125. 542 Vgl. auch Thrall 1994, 228: „This later divine communication, Christ’s letter, is superior to the earlier divine communication, the giving of the law, in that it is no merely external publication of God’s will, but rather its inward implanting in receptive hearts through the operation of the Holy Spirit. And the magnification of the letter of Christ is indirectly a further means of recommending Paul himself, since he has had, humanly speaking, some hand in its production.” 543 Vgl. Goodwin 2001, 188. 544 Wenn sie entschieden werden soll, muss es sich hier dem Sinn nach um die Herzen der Korinther handeln. Vgl. etwa Schröter 1993, 70, oder Kuschnerus 2002, 171. Signale im Text für diese Deutung sucht Schmeller 2010, 180. 537 538

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Wirken in der korinthischen Gemeinde zusammendenkt. Was offen zu Tage liegt und seinen „Empfehlungsbrief “ darstellt, ist der Effekt dieses Geschehens. Durch die Einführung des Geistes als Schreibmittel in 3,3c macht Paulus unmissverständlich deutlich, dass die Empfehlung, die er vorweisen kann, grundsätzlich verschiedenen von konventionellen Empfehlungsbriefen und unmittelbar göttlich beglaubigt ist. Durch die Anführung biblischer Bilder in der zweiten correctio geht er noch darüber hinaus und verwirft jede im weitesten Sinne materiell schriftliche Empfehlung kategorisch als unzulänglich. Wenn nicht einmal Gottes Wort in Gestalt der Tora an die Empfehlung heranreicht, die Paulus vorweisen kann, wäre es lächerlich, menschliche Empfehlungsbriefe, welcher Güte auch immer, von ihm zu fordern.545 4.4.3.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Eingeleitet wird der Abschnitt durch die rhetorische Doppelfrage 3,1, die den Inhalt der vorangegangenen Verse aufnimmt und ihre Aussage problematisiert. In der Terminologie der pragma-dialektischen Analyse handelt es sich dabei um einen gebrauchsdeklarierenden Sprechakt. Das Motiv von Empfehlungsbriefen und ihrer Abfassung knüpft an das in 2,17a eröffnete philosophische, mitunter weisheitliche Diskursfeld an.546 In diesen Kategorien kann zunächst auch das metaphorische Feld verstanden werden, das in 3,2 beginnt. Dass die Korinther der Paulusgruppe ins Herz geschrieben sind, ruft den Rahmen antiker Philophronesis auf. Auch die Rede vom Verstehen und Lesen in 3,2 gehört ganz in den Bereich von Weisheit und Philosophie. Zugleich spielt das Bild vom Brief, der ins Herz geschrieben ist, freilich an die prophetische Tradition vom Eingreifen Gottes durch die Stiftung eines neuen Bundes an. Sofern dieser Bezug aktualisiert wird, färbt sich die Aussage entsprechend prophetisch-apokalyptisch und springt in einen neuen kategorialen Rahmen. Die hyperbolische Rede von der universalen Erkenntnis und Lektüre des Empfehlungsbriefes, unterstützt diesen Wechsel. Deutlicher noch wird dieser neue Bezugsrahmen, wenn 3,3a formuliert, der Brief sei als Brief Christi „offenbar geworden“. Die doppelte correctio 3,3c.d vollzieht den Wechsel vom philosophisch-weisheitlichen zum prophetisch-apokalyptischen Rahmen gleich doppelt nach: An die Stelle konventionellen Schreibmittels tritt das 545 Für eine Deutung von 3,3c.d als Schluss a minore ad minus vgl. Duff 2015, 131. Löhr 2012, 175, beschreibt dies als die „Spannung zwischen Taten und ihren Wirkungen (die von allen wahrgenommen werden können) einerseits und Worten (deren Berechtigung zweifelhaft erscheinen kann) andererseits“. 546 Vgl. Oropeza 2016, 198.

4.4 Gedankliche Kartierung

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Handeln des göttlichen Geistes und an die Stelle der steinernen (Gesetzes-)Tafeln treten lebendige Herzenstafeln, entsprechend der prophetischen Verheißung. Argumentationsebene Mittels der zu verneinenden rhetorischen Doppelfragefrage zielt auch die Argumentationsweise dieses Abschnittes auf die emotionale und mentale Beteiligung der Hörerschaft.547 Die Assonanz, die die beiden Fragen klanglich verbindet, trägt zum sprachlichen Wohlklang bei und stärkt dadurch das Rednerethos, das seinerseits offen thematisiert wird. Der Anspruch der Paulusgruppe, im Gegensatz zu anderen keiner Empfehlungsbriefe zu bedürfen, bekräftigt das eigene Ethos und lenkt zudem den Blick auf das Verhältnis der Paulusgruppe zur Hörerschaft.548 Logisch betrachtet sind die beiden rhetorischen Fragen auf der Ebene der Selbstempfehlung nach einem gängigen Muster miteinander verbunden. Die Aussage „Wir empfehlen uns nicht selbst“ (K) wird implizit begründet durch den Anspruch „Wir haben keine Empfehlung(sbriefe) nötig“ (D) entsprechend der Schlussregel „Wer keine Empfehlung nötig hat, empfiehlt sich nicht selbst“ (SR) oder allgemeiner „Ein Aufwand wird nicht ohne eine entsprechende Motivation betrieben“ (SR). Begründungsbedürftig bleibt dabei jedoch der Anspruch, keiner Empfehlung zu bedürfen (D). Ohne dass 3,2 f. sprachlich als Begründung ausgewiesen wären, findet sich eine solche Begründung hier. Die Verse stützen die Aussage „Wir haben keine Empfehlung(sbriefe) nötig“ (jetzt neu K) mit der Metapher „Ihr seid unser Empfehlungsbrief “ (D). Die direkte Ansprache der Hörerschaft, ihre Vereinnahmung als Empfehlungsbrief und die Betonung der affektiven Verbundenheit zwischen Paulusgruppe und Hörerschaft können als emotionale Überzeugungsmittel im Sinne von εὔνοια/benevolentia verstanden werden. Im Übergang von 3,2 zu 3,3 kommt eine weitere emotionale Ebene dazu. Dass der Text die empfehlende Rolle der Hörerschaft als universal bekannt bezeichnet und hinzufügt, diese sei als Empfehlungsbrief Christi offenbar geworden, suggeriert eine Verantwortlichkeit der Hörerschaft gegenüber einem breiten Publikum, das auf Seiten der Paulusgruppe steht.549 Die eigentliche Spitze des Arguments besteht in der Aussage, die Hörerschaft sei (nur) insofern ein Brief Christi, als die Paulusgruppe dienend am Zustandekommen des Briefes mitgewirkt hat. Seine empirische Basis findet dieser Anspruch in der Gründung der korinthischen Gemeinde durch Paulus und seine Mitarbeiter. Rhetorisch stellt er die Hörerschaft vor die Wahl, das Wirken Christi an ihnen anzuerkennen und sich damit zugleich Paulus zu- und

Schmeller 2010, 172, verortet die rhetorische Frage unter dem Schlagwort Pathos. Vgl. Malan 2010, 247 f. 549 Malan 2010, 245: „By labelling them as Christ’s letter, read by all people, Paul sensitizes them to their responsibility to live up to it.“ 547 548

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unterzuordnen, oder aber Paulus weiterhin kritisch zu begegnen, sich selbst damit aber auch das Christusverhältnis abzusprechen. Die Transformation der Ausgangsmetapher im Zuge von 3,3 kann insofern als ethisches Überzeugungsmittel verstanden werden, als die Schriftbezüge einem schriftkundigen Publikum Schriftkundigkeit signalisieren und jene Zuhörer, die bereits den prophetischen Bezug in 3,2 aktualisiert hatten, positiv bestätigt. In jenen Hörern, die die Anspielung auf die mosaischen Gesetzestafeln verstanden haben und bei denen Mose hohes Ansehen genoss, mag die Äußerung zugleich jedoch auch Irritation – und damit aber immerhin anhaltende Aufmerksamkeit – ausgelöst haben. Umgekehrt wird der Gedankengang dieser Teilverse ein nicht schriftkundiges Publikum verwirren, dabei jedoch vermutlich ein gewisses Interesse am Sinn der kryptischen Aussage wecken. Im gesamten Abschnitt verstärkt zudem Redeschmuck die Emphase und stärkt das Rednerethos. Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Durch die Betonung des Gegensatzes zwischen Paulusgruppe und anderen Verkündigern setzt 3,1 die in 2,17 begonnene dissoziative Linie fort. Das implizite Begründungsverhältnis zwischen den beiden rhetorischen Fragen entspricht zudem einem quasi-logischen Argumentationsmuster, dem Ausschluss einer Tat durch Ausschluss der sie begründenden Motive. Die argumentative Grundbewegung der Verse 2–3 ist hingegen wirklichkeitsetablierend. Durch die Einbindung und Vereinnahmung der Hörerschaft, vor allem durch seine (wirklichkeitsbezogene) Verankerung in der Christusbeziehung der Hörerschaft, gewinnt das dort formulierte Metaphernfeld an Suggestivkraft. „Die aufgezeigte komplexe metaphorische Struktur fordert die Rezipientinnen und Rezipienten heraus, nach neuen Anschlußfähigkeiten ihrer Elemente zu suchen, wollen sie die Aussage nicht von vorn herein als unsinnig abtun.“550 Zunächst ohne erkennbaren Anlass schwenkt die Bewegung mit der doppelten correctio in 3,3c.d wiederum ins Dissoziative um. Zum einen liegt es auf der Hand, dass ein lebendiger Empfehlungsbrief nicht wie konventionelle Briefe mit Tinte geschrieben ist. Vielmehr sei er mit dem Geist des lebendigen Gottes geschrieben. Zum anderen wird jedoch zwischen verschiedenen Schreibmaterialien eines solchen geistgeschriebenen Briefes differenziert. Er sei nicht auf Steintafeln, sondern auf lebendige Herzenstafeln geschrieben worden. Herkömmliche Vorstellungen von Empfehlung und mithin von Gottes Wirksamkeit werden scharf von der tatsächlichen Wirksamkeit Gottes unterschieden, die die Empfehlung mit sich bringt. Möchte man hierin auch eine polemische Note hören,

550 Kuschnerus 2002, 166. So betrachtet erfüllen die Metaphern hier mindestens eine doppelte Funktion. Sie aktivieren die Hörerschaft und dienen durch ihre Schwierigkeit als Desintegrationssignal.

4.4 Gedankliche Kartierung

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ist deutlich, daß mit der außergewöhnlichen Weise, in der das Motiv von den steinernen Tafeln aufgegriffen wird, das Wesen der gegnerischen Position getroffen werden soll: Sie treten in der Textperspektive als Missionare in den Blick, die sich auf Geschriebenes berufen und damit über etwas zu verfügen meinen (vgl.  2,17), das sie zu Gunsten ihrer Legitimierung glauben in Anspruch nehmen zu können.551

b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang Wie auch der Abschnitt 2,16c–17 thematisiert 3,1–3 offen das Ethos der Paulusgruppe. Hatten die vorangegangenen Abschnitte die Hörerschaft jedoch nur rhetorisch eingebunden, wird sie nun direkt angesprochen und in die Argumentation einbezogen. Dadurch verlagert sich das Augenmerk vom Charakter der Paulusgruppe und ihrer Verkündigung auf die Folgen ihres Wirkens an den Korinthern.552 Sie haben am eigenen Leibe erfahren, dass Paulus und seine Mitarbeiter Erkenntnis Gottes verbreiten, wie der Text es eingangs behauptet hat. Insofern stärkt die Metapher vom lebendigen Empfehlungsbrief den in 2,14–15a erhobenen Anspruch. Das in 2,15b–16b formulierte Problem des doppelten Ausgangs der Verkündigung (2,15b–16b) bleibt zunächst außen vor. Im Hinblick auf 2,17 scheint die einleitende rhetorische Frage zudem Einwände auf die dort angeführten Argumente für die Tauglichkeit der Paulusgruppe zum Offenbarungsdienst zu antizipieren und weist 3,1–3 gewissermaßen als Kommentar zu 2,17 aus. Die dort beobachtete argumentationslogische Unschärfe wird jedoch noch nicht behoben. Allenfalls lässt der Fortgang in 3,2–3 eine Tendenz erkennen, das göttliche Element der paulinischen Verkündigung zu betonen. Dem entspricht auch die beobachtete Verschiebung des gedanklichen Rahmens von philosophischweisheitlichen zu prophetisch-apokalyptischen Kategorien. Damit nimmt der Abschnitt den schon zu Beginn der Passage angeschlagenen Grundton auf und lässt den Aussagen zum Gottesverhältnis der Paulusgruppe in 2,17 ein höheres Gewicht zukommen als der Bekräftigung ihrer Lauterkeit. 4.4.4 3,4–6 Der Abschnitt 3,4–6 führt die Bildsprache aus 3,2–3 nicht fort, sondern schließt mit einer erläuternden Bemerkung aus einer höher gelegenen Warte an. Nachdem die Frage nach der Fähigkeit zum Offenbarungsdienst, die 2,16c aufgeworfen hatte, in 2,17 nur indirekt beantwortet wurde, wurde diese indirekte Antwort in 3,1–3 aus551 Kuschnerus 2002, 171. In der Tat kann kaum die Rede davon sein, dass Paulus sich von den Empfehlungsbriefen der anderen Verkündiger abgrenzt, indem er sie mit dem Mosedienst in Verbindung bringt (so etwa Schmeller 2010, 33). Eine negative Bewertung der Steintafeln kann nicht als bekannt vorausgesetzt werden. Zudem wäre sie nicht in einem negativen Bild des Mosedienstes begründet und selbst wenn, wäre ein solches bis zu diesem Punkt im Text auch noch nicht entfaltet worden, sondern leitet sich von Ez her. 552 Land 2015, 121, bezeichnet 3,1–3 als „Meta-Commentary“.

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geführt. Indem Paulus den Korinthern vor Augen führt, dass Gott ihn in ihrem eigenen Fall zum Offenbarungsdienst gebraucht hat, beweist er, dass er von daher auch dazu fähig sein muss. In 3,5 greift er das Thema abermals auf und benennt, auf welche Weise er fähig ist: Gott befähigt ihn. Der Abschnitt 3,4–6 lässt sich demnach als direkte Antwort auf die in 2,16c aufgeworfene Frage verstehen,553 die weniger die Tatsache als die Art und Weise der Befähigung ausführt und so auf den resignativ-ungläubigen Ton der Ausgangsfrage antwortet. Paulus demonstriert demnach in 3,2–3 praktisch, dass er von Gott in den Dienst genommen wird, und in 3,4–6, woher die Fähigkeit dazu kommt: Sie kommt von Gott, und zwar vermittels des Christus. Damit bringt er die Frage der Selbstempfehlung zu einem vorläufigen Abschluss. 4.4.4.1 3,4: Das Vertrauen Gott gegenüber Die erste „Habeformel“ πεποίθησιν δὲ τοιαύτην ἔχομεν in 3,4 zeigt einen Einschnitt an, der mit einem Wechsel der gedanklichen Ebene einhergeht. Der Text äußert sich zusammenfassend zum „Vertrauen“ der Paulusgruppe Gott gegenüber auf die Gültigkeit seines Anspruchs. Die Bezugsgröße des zurückblickenden πεποίθησιν τοιαύτην ist zwar nicht eindeutig bezeichnet, dem Zusammenhang nach legt sich aber ein Bezug auf die Verse 3,2 f. nahe.554 Zugleich verweist die Art, wie hier von Gott die Rede ist, zurück auf die einleitenden Verse der Passage und die in 2,16b.17 aufgeworfene Frage nach der Befähigung zur Offenbarungsmittlerschaft, die in 3,5 wieder explizit aufgegriffen wird.555 Damit zielt πεποίθησιν τοιαύτην wohl über den in 3,1–3 formulierten konkreten Anspruch auf die Rolle der Paulusgruppe in der Geschichte der korinthischen Gemeinde hinaus auch auf den in 2,14–16b und 2,16c–17 formulierten allgemeinen Anspruch, von Gott in seinem Offenbarungswerk gebraucht zu werden.556 Schließlich expliziert der konkrete Fall nach der Logik des Textes ja gerade den allgemeinen Anspruch. Indem der Text in 3,4 jedoch nicht etwa die Beglaubigung betont, die der Paulusgruppe aus 3,2 f. erwächst, sondern ihr Vertrauen Gott gegenüber, richtet er die Perspektive noch einmal neu auf Gott aus. Dieser ist das „für den Apostel maßgebliche[ ] Forum“557. Dieses Bild, angezeigt durch die ungewöhnliche Verbindung von πεποίθησις mit der Präposition πρός,558 nimmt die Hörerschaft noch einmal neu in die Pflicht. Die Formulierung lässt sich am ehesten so verstehen, dass es sich hier „nicht direkt um ein Vertrauen auf Gott, sondern um eine Haltung, die Gott zum

Schröter 1993, 80. Schmeller 2010, 180. 555 Vgl. Schröter 1993, 76–78. 556 So auch Thrall 1994, 288; Schröter 1993, 77 f., u. a. 557 Kuschnerus 2002, 172. 558 Das Vertrauen auf eine Größe bezeichnet auch bei Paulus πεποίθησις ἐν (vgl. Phil 3,4). 553 554

4.4 Gedankliche Kartierung

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Zeugen hat“559, handelt. Damit findet sich die Hörerschaft jedoch abermals in einer rhetorischen Position, in der auch sie hinsichtlich ihrer Annahme oder Ablehnung der Paulusgruppe Gott rechenschaftspflichtig ist. Die Konstellation von 3,4 gleicht insofern auch den Aussagen von 2,14 f., 2,17 und letztlich auch 3,3, als es Christus ist (διὰ τοῦ Χριστοῦ), der dieses Vertrauen ermöglicht, es durch ihn „erst wirksam“560 wird. 3,4 zeigt insgesamt eine gewisse Ähnlichkeit mit Zuversichtsformeln, wie sie im Hauptteil antiker Briefe nicht ungewöhnlich sind.561 Sie dienen mitunter als thematische Gliederungsmarker und stützen das Ethos des Absenders, der sich durch sie meist als kompetenten Ratgeber inszeniert. Such expressions are most frequently found in sections of apologetic or self-commendation and state the view of the writer that he hopes his readers now have or will gain from the commendation. […] It is always the reader’s view of the writer that is the matter of concern, and the confident assertions are part of the attempt to influence those opinions.562

Dabei ist bemerkenswert, wie Paulus zwar einerseits eine solche Zuversichtsformel ausspricht, sich im Fortgang des Textes andererseits jedoch von den gängigen Erwartungen an eine solche Formel abgrenzt. Konventioneller Weise konnten Zuversichtsformeln im Hinblick auf die Verlässlichkeit der eigenen Meinung geäußert werden.563 Ausgerechnet die Zuverlässigkeit der Meinung der Paulusgruppe stellt 3,5 jedoch in Frage. So läuft die Zuversichtsformel nicht darauf hinaus, die eigene Fähigkeit zu erweisen, sondern sie in Gott zu verankern. 4.4.4.2 Die Befähigung durch Gott (3,5 f.) Die fortwährende Betonung Gottes und seines Handelns, wird in 3,5 explizit ins Inhaltliche gewendet, wenn Paulus deutlich macht, dass sein Vertrauen Gott gegenüber jedes Vertrauen in die eigene Fähigkeit losgelöst von Gott ausschließt. Denn das einleitende οὐχ ὅτι des Folgeverses, das hier nun eine weitere correctio eröffnet, zeigt an, wie der Text in einer dissoziativen Bewegung abermals Anschein von Wirklichkeit unterschieden wissen will.564 Während es so scheinen mag, dass die Paulusgruppe in der Lage sei, aus eigener Kraft zu agieren, sei sie aus sich selbst heraus keineswegs dazu in der Lage, überhaupt etwas zu ersinnen. Ihre Befähigung komme von Gott. Wozu genau die Paulusgruppe aus eigener Kraft nicht in der Lage 559 Schmeller 2010, 182, schließt dies aus der Grundbedeutung der Präposition. Da sie weder im NT noch in LXX andernorts mit πεποίθησις kombiniert wird, handele es sich um keinen gewöhnlichen Ausdruck des Vertrauens „auf “ etwas oder jemanden. 560 Schröter 1993, 78. Schröter verweist ferner auf 2 Kor 1,5 und 5,18, wo Christus als Mittler einer Gottesgabe begegnet, die Paulus an die Gemeinde weitergibt. 561 Vgl. Oropeza 2016, 213, unter Rückgriff auf Olson 1984. 562 Olson 1984, 596 f. 563 Olson 1984, 591–593, spricht unter anderem Isokr. epist. 1,3 und Thuk. 2,60,5 an. 564 Vgl. Furnish 1985, 183.

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ist, bleibt in der Schwebe und wird mit λογίσασθαί τι sehr allgemein formuliert. Denkbar ist eine Übersetzung mit „erdenken/ersinnen“. In diesem Falle bestritte der Text die Fähigkeit, etwas „wie aus eigener Kraft“ zu ersinnen und zu verkündigen.565 Diese Möglichkeit liegt auf der Linie von 2,17, wo die unverfälschte Verkündigung der Paulusgruppe, die ganz ἐκ τοῦ θεοῦ schöpft, herausgestellt wird, und kann als Einleitung für den expliziten Bezug auf die Exodustradition ab 3,7 verstanden werden. Dagegen ließe sich einwenden, dass es im Zusammenhang „konkret um die göttliche Qualifikation als Grundlage des apostolischen Wirkens geht“ und entsprechend eher „eine Beurteilung, Selbsteinschätzung o.ä.“ im Blick ist.566 Dann bestritte der Text die Fähigkeit der Paulusgruppe, etwas an sich selbst adäquat einzuschätzen, und ὡς ἐξ ἑαυτῶν wäre als „paranomastische Wiederholung von ἀφ᾽ ἑαυτῶν“567 zu verstehen. Letztlich mag eine Trennung zwischen beiden Möglichkeiten eine künstliche Unterscheidung sein, die der Quellensprache nicht gerecht wird: .„Beide Inhalte werden hier ineinander übergehen.“568 Ein Gedanke, wie er in 3,3 ausgesprochen ist, Verfasser des „Briefes“ sei Christus und Paulus habe nur in einer untergeordneten Rolle Anteil an seinem Zustandekommen, scheint beide Alternativen miteinander zu vereinen. Die Legitimation als Verkündiger und Offenbarungsmittler ist ebenso dem eigenen Zugriff entzogen wie die Offenbarung selbst. Umgekehrt geht die Fähigkeit zur korrekten Selbsteinschätzung mit der Befähigung zum Offenbarungsdienst einher. In jedem Falle schlägt die doppelte und damit umso auffälligere Wiederaufnahme des Reflexivpronomens einen Bogen zurück zur Verneinung der Selbstempfehlung in 3,1.569 Nachdem 3,1b–3 dargelegt hat, warum die Paulusgruppe keiner Selbstempfehlung bedarf, fügt 3,4–6 nun hinzu, sie sei dazu auch gar nicht in der Lage. Dieser Umstand mag die Platzierung des Abschnittes zwischen der impliziten Exodusbezugnahme 3,3 und der expliziten Exodusbezugnahme 3,7 erklären. Der Abschnitt stützt damit seiner Aussage nach noch einmal die Behauptung 3,1a (K): „Wir empfehlen uns nicht selbst“, mit (D): „Wir sind von uns aus zu nichts in der Lage, was uns empfehlen könnte.“ Die Schlussregel lautet (SR): „Wer nichts aus eigener Kraft vermag, kann sich nicht selbst empfehlen.“ Sofern der implizite Verweis der ἱκανόςSprache auf Ex 4,10 LXX aktualisiert wird, stärkt diese Verbindung die Überzeugungskraft des Gedankens, erging es doch auch Mose so, dass er nicht aus eigener Kraft, sondern nur durch die von Gott verliehene Vollmacht seinen Dienst tun konnte. Die Aussage 3,5 lässt sich damit zugleich als Demutsbekundung verstehen wie als Anspruch auf eine Rolle im göttlichen Offenbarungswerk, die der des Mose Auf dieser Linie verstehen etwa Furnish 1985, 183, und Gruber 1998, 181, den Vers. Schröter 1993, 79. 567 Vgl. dies und weitere Erörterungen zu den Übersetzungsalternativen bei Schmeller 2010, 182. Er gibt der zweiten Möglichkeit den Vorzug, verwahrt sich aber gegen eine eindeutige Entscheidung. In Richtung der zweiten Möglichkeit geht auch der Vorschlag bei Thrall 1994, 229. 568 Wolff 1989, 60. 569 Zum Zusammenhang mit 2,16c–3,2 vgl. ferner Schröter 1993, 80, und Kuschnerus 2002, 173 f. 565 566

4.4 Gedankliche Kartierung

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vergleichbar ist.570 3,5 bringt das Thema der Befähigung zum Offenbarungsdienst, das in 2,16c aufgeworfen und in 3,1 auf die Frage der Selbstempfehlung zugespitzt wurde, somit an ein vorläufiges Ende. Nachdem die Befähigung in 2,17 behauptet und in 3,1–3 demonstriert wurde, wird sie in 3,4 f. bestätigt und erklärt. Hier schließt sich ein erster gedanklicher Bogen, an den sich unmittelbar ein weiterer mit ihm verbundener anschließt. 4.4.4.3 Die Explikation des Handelns Gottes (3,6a) Paulus fährt in 3,6a fort, seine Befähigung durch Gott zu erläutern. Hatten die Verse 3,4 f. festgehalten, dass Gott die Paulusgruppe befähigt, drückt 3,6 aus, wozu er sie befähigt, nämlich Diener eines neuen Bundes zu sein. Insofern als 3,6a als Relativsatz an (ἐκ τοῦ) θεου anschließt, scheint auch hier in der sprachlichen Form das Anliegen durch, den Fokus der Aussage auf Gottes Handeln zu legen: „Unsere Fähigkeit kommt von Gott, der uns auch befähigt hat, nämlich dazu, Diener des neuen Bundes zu sein.“ Der Relativsatz formuliert dieses Handeln geradezu als göttliches Attribut. Dabei verweist der Aorist ἱκάνωσεν auf eine je punktuelle Befähigungserfahrung der Mitglieder der Paulusgruppe. Alternativ wird in ihm oft die Berufung des Paulus erkannt.571 Zwar stünde ein solch persönlicher Verweis im Gegensatz zur Textstrategie, Paulus als Person zurücktreten zu lassen. Zugleich mag „Paulus“ an dieser Stelle des Textes bereits genug Boden gewonnen haben, diese Strategie aufzuweichen.572 Sprachlich ist auch 3,6a durch seinen Anschluss an 3,5 noch der Vertrauensaussage 3,4 unter- bzw. erläuternd zugeordnet. Da der Text nun aber nicht mehr allein die Tatsache der Befähigung festhält, sondern beschreibt, wozu Gott befähigt hat, schlägt der Vers den inhaltlichen Bogen zurück zum Objekt des Vertrauens: der eigenen Mittlerfunktion im Offenbarungsvorgang. Diese beschreibt er im Anschluss an das in 3,3 entworfene Bild anhand der Begriffe καινή διαθήκη und διάκονος. Während das Syntagma καινή διαθήκη theologisch wie intertextuell aufgeladen ist, verdichtet διάκονος das Selbstverständnis der Paulusgruppe in einem prägnanten Begriff. Die Prominenz des διακόν-Stammes in 2  Kor muss nicht zwingend als polemische Reaktion auf den Anspruch der Gegner des Paulus in Korinth verstanden werden, Diener Christi zu sein.573 Denn das Schlagwort διάκονος bringt das Selbstverständnis der Paulusgruppe hinsichtlich ihrer Rolle im Offenbarungswerk Gottes auch ohne einen solchen polemischen Horizont auf den Punkt. Paulus bezeichnet mit διακονία im Allgemeinen „offizielle Beauftragungen, denen in Bezug auf die Adressaten durchaus eine besondere Autorität eigen ist. Der Inhalt der Beauftragung Vgl. zum letzten Aspekt Kuschnerus 2002, 175. Vgl. etwa Thrall 1994, 231; Schröter 1993, 81; Schmeller 2010, 183. 572 Ähnlich steht es um die ausdrücklichere Schilderung, wie „wir“ von Gott ergriffen werden in 4,6, die womöglich noch deutlicher auf das Damaskuserlebnis anspielt. 573 So auch Thrall 1994, 232; Schmeller 2010, 183. 570 571

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besteht bei Paulus, im Einklang mit der profangriechischen und hellenistisch-jüdischen Verwendung der Vokabel, in der Regel in einer Vermittlungs- oder Botentätigkeit, kann aber auch grundsätzlich als die Ausführung einer Beauftragung verstanden werden.“574 Dabei beleuchtet der Begriff „neben dem Inhalt des Auftrages auch das dazugehörige Beziehungsgefüge zwischen Auftraggeber, Beauftragtem und Adressaten“575. Er ist so zu verstehen, dass die Autorität des διάκονος stets „delegierte Autorität“, nie „absolute“ ist.576 In den vorangegangenen Versen hat der Text die Paulusgruppe in eben solch einer Rolle beschrieben und wird im Folgenden Inhalt und Funktion ihrer „Vermittlungs- und Botentätigkeit“ erörtern. Dies schließt eine abgrenzende Verwendung des Begriffes freilich nicht aus. In jedem Falle formuliert Paulus hier ausdrücklich den Anspruch, von Gott zu seinem Dienst, wie er ihn auch an den Korinthern vollzogen hat, befähigt worden zu sein. Die Spezifizierung des Dienstes als „Dienst eines neuen Bundes“ ist aus mehreren Gründen signifikant. Während Paulus gelegentlich den Begriff διαθήκη verwendet (vgl. Röm 9,4; 11,27; Gal 3,15.17; 4,24), spricht er von einem „neuen Bund“ außer hier nur in den Einsetzungsworten 1 Kor 11,25. Einerseits ist der Begriff damit christologisch gefüllt und führt die fortwährenden Verweise auf Christus als Urheber und Ermöglichungsgrund des paulinischen Verkündigungsdienstes fort (2,14–16.17; 3,3.4). Der Verkündigungsdienst, zu dem Gott die Paulusgruppe befähigt, wird durch Christus konstituiert: durch die Hingabe seines Lebens und die Anteilhabe der Gemeinde an diesem Geschehen, wie sie im Herrenmahl gefeiert wird. Möchte man diese gedankliche Linie ausziehen, ergibt sich ein unmittelbarer Zusammenhang zum Wirken des Geistes an der Gemeinde, wie es in 3,3 beschrieben wurde. Andererseits legt sich im Anschluss an 3,3c nahe, die Formulierung auf die Verheißung eines neuen Bundes in Jeremia zurückzuführen. Auch leise sprachliche Anklänge lassen sich feststellen: Sowohl die hier überraschenderweise undeterminierte Form καινῆς διαθήκης, wie auch der antithetisch erläuternde Anschluss mit οὐ finden sich bei Jeremia (s. o. ‎4.2.3.3c). Inwiefern die Formulierung derart verstanden und erfasst werden muss, um dem Gedankengang folgen zu können, muss vorerst offenbleiben. Auf Jer  38,32 LXX jedenfalls hatte schon 3,3 angespielt, so dass sich eine entsprechend schriftkundige Hörerschaft, die den Bezug dort aktualisiert hatte, hier in ihrer Schriftkompetenz bestätigt fühlen wird. Diese Textstrategie, wie auch die bloße Tatsache, dass die Paulusgruppe durch die Anspielung ihre eigene Schriftkompetenz unter Beweis stellt, stärkt deren Ethos. Die Prämissen einer Annahme zur Steigerung des rhetorischen Effekts unausgedrückt zu lassen, ist ein zeitge574 Hentschel 2007, 181. Vgl. auch Mitchell 1992. Für eine durch διακονέω beschriebene Botentätigkeit bei Paulus führt Hentschel neben 2 Kor 3,3 noch 2 Kor 8,19 f. und Röm 15,25, und für eine Verkündigungstätigkeit Phlm 13 an. 575 Hentschel 2007, 181. Hentschel folgert dies nach Betrachtung von Röm 11,13; 13,4; 15,8; 16,1; 1 Kor 16,15–18; Gal 2,17; Phil 1,1 und Phlm 13. 576 Hentschel 2007, 182 (vgl. den Gebrauch für „die offiziellen Ämter des römischen Staates als beauftrage Diener Gottes“ in Röm 13,4).

4.4 Gedankliche Kartierung

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nössisch durchaus geläufiges Verfahren.577 Es kann leicht auf ein geteiltes Wissen um biblische Traditionen übertragen werden. Tatsächlich spricht Quintilian vom schema als der verbreitetsten, geradezu alltäglichen rhetorischen Strategie.578 Leicht spöttisch bemerkt er zur Reaktion des Publikums, das aus eigenem Wissen erfolgreich einen gedanklichen Baustein in einer Textpassage ergänzt hat: „wenn sie deren Sinn verstanden haben, kosten sie ihren eigenen Scharfsinn aus und freuen sich so, als wären sie nicht Zuhörer, sondern als Erfinder daran beteiligt.“579 Peter Lampe deutet dies positiv als Vorwegnahme des Konzepts der literarischen Leerstelle und kommentiert: „The Leerstelle can particularly help to win over an audience.“580 Das Spiel mit der Schriftkompetenz der Hörerschaft wäre demnach ein Spezialfall einer Textstrategie, die auf die aktive geistige Beteiligung der Hörerschaft setzt und sich in vielfältiger Form in der Passage 2 Kor 2,14–4,6 findet. Die häufig behauptete Antithese zwischen einem neuen Bund (3,6) und einem alten Bund (3,14) ist an dieser Stelle noch keineswegs so deutlich im Blick, wie es mitunter dargestellt wird.581 4.4.4.4 Die Näherbestimmung des Verkündigungsdienstes (3,6b) An die Aussage zu Dienern eines neuen Bundes befähigt worden zu sein, schließt sich eine weitere correctio an. Die Mitglieder der Paulusgruppe seien nicht Diener des Buchstabens, sondern des Geistes (οὐ γράμματος ἀλλὰ πνεύματος). Grammatikalisch kann sich diese Begriffszergliederung entweder an διακόνους oder an καινῆς διαθήκης anschließen. Die Mehrheit der Ausleger entscheidet sich für die letzte Variante oder nivelliert den Unterschied zwischen beiden Alternativen. Sprachlich sind beide Bezugsrichtungen denkbar und tatsächlich legt die Wortstellung zunächst einen Bezug auf διαθήκη nahe, jedoch ist διάκονος bzw. διακονία das zentrale Konzept dieser Verse, das auch in 3,7–11 eingehend erläutert und mit dem Gegensatzpaar γράμμα und πνεῦμα in Verbindung gebracht wird.582 Indem der Text die Paulusgruppe als Diener des Geistes und nicht des Buchstabens bezeichnet, nimmt er Begriffe aus 3,3 wieder auf und betont abermals ihre Unabhängigkeit von herkömmlichen, nur äußerlichen Bezeugungsinstanzen. Stattdessen bindet er ihren Dienst an den innerlich wirksamen Geist des lebendigen Gottes, wie er ihn in 3,3b charakterisiert und eingeführt hatte. Die Bezeichnung der Gegenseite als γράμμα begegnet hingegen unvermittelt. Die Stoßrichtung gegen konventionelle, schriftliche Formen der Empfehlung ist deutlich. Wenn nun der Wechsel von der wertneutralen Partizipialform von ἐγγράφω zur Substantivform Vgl. Quint. inst. 8,5,12. Vgl. Quint. inst. 9,2,65.68.77; 9,1,14. 579 Quint. inst. 8,2,21. 580 Lampe 2009, 189. 581 S.o. S. 361. 582 S.o. 4.3.2.2a. Vgl. Duff 2015, 133, ferner Thrall 1994, 234, Anm. 306. 577 578

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γράμμα mit einer nicht weiter hinterfragten Neubewertung einhergeht, scheint der Text das dahinterstehende Konzept, das im letzten Versteil explizit wird, vorauszusetzen, ohne nahtlos daran anzuschließen. Strittig ist allem Anschein nach nicht der Gehalt von γράμμα oder πνεῦμα. Strittig ist vielmehr, wodurch sich legitime Verkündigung konstituiert.583 Da jede erklärende Bemerkung zu γράμμα fehlt, ist es umso schwieriger, den Gehalt des Begriffes zu bestimmen. Die Antithese von γράμμα und πνεῦμα und die Bezeichnung der Tora als γράμμα begegnet bei Paulus noch andernorts in Zusammenhängen, die die Rolle des Gesetzes reflektieren (vgl. Röm 2,27.29; 7,6). Über die Nähe zur Exodustradition steht der Begriff auch hier mit dem Gesetz im Zusammenhang. Dass νόμος als Begriff jedoch in der gesamten Passage, wie im gesamten Brief, nicht begegnet, sollte davor warnen, beide Größen vorschnell miteinander zu identifizieren.584 Was genau γράμμα bezeichnet, erschließt sich erst im Fortgang des Textes. Das „Gesetz“ ist durchaus gemeint, aber eben nicht an sich, sondern in einer bestimmten Hinsicht.585 Im Gegensatzpaar γράμμα/πνεῦμα steht auch andernorts bei Paulus der „Buchstabe“ mit dem „Gesetz“ im Zusammenhang (vgl. Röm 7,6), das Paar dient aber ebenso zur Bezeichnung des Gegensatzes von äußerlichem Anschein und innerer Affizierung (vgl. Röm 2,29), wie er schon in 3,3c anklang – beide Male ausgelöst durch eine Anspielung auf Jer 38 LXX.586 Das lässt hellhörig werden, spricht Jer 38,33 doch gerade davon, dass Gott den gebrochenen Mosebund durch einen Bund erneuern wird, der insofern unverbrüchlich ist, als das Gesetz den Israeliten innerlich ins Herz geschrieben wird. Die Rede von γράμμα anstelle von νόμος hat also auch inhaltliche Valenz und ist nicht nur stilistisch durch die Gegenüberstellung zum πνεῦμα bedingt.587 Sie erlaubt es einerseits, die Ablehnung von Empfehlungsbriefen als allgemeine Ablehnung äußerlicher Beglaubigungszeichen pointiert zu formulieren und bereitet andererseits den ab 3,7 folgenden Gedankengang vor. Die Motive γράμμα und πνεῦμα stammen aus dem gedanklichen Fundus von 3,3, werden in 3,6 geschärft und schließlich in 3,7 f.17 wieder aufgegriffen.588 4.4.4.5 Die Sentenz vom tötenden Geist und lebendigmachenden Buchstaben (3,6c) Der in seiner strengen Komposition sentenzhafte Ausspruch 3,6c schließt den Abschnitt ab und expliziert den Antagonismus von Geist und Buchstaben. Dass er an die correctio 3,6b mit γάρ anschließt, ist in Hinsicht auf den Gang der ArgumentatiVgl. Kuschnerus 2002, 175. So auch ausführlich Schmeller 2010, 184–187. 585 Schmeller 2010, 184–186, bietet einen konzisen Überblick über gängige Deutungsvarianten. 586 Vgl. auch Westerholm 1988, 211, zu γράμμα in Röm 2,27. Der Begriff bezeichne nicht etwa das Gesetz in seiner missverstandenen Form, sondern einen äußerlichen Besitz des Gesetzes in schriftlicher Form, der ohne Konsequenzen bleibt. 587 Zur rhetorischen Funktion vgl. Schmeller 2010, 186, Anm. 116. 588 Vgl. Duff 2015, 133. 583 584

4.4 Gedankliche Kartierung

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on aufschlussreich. Es zeigt, dass das Argument hier wie in 3,2 f. auf dem Wirken der Paulusgruppe an der Gemeinde in Korinth fußt. Weil die Hörerschaft erfahren hat, dass der Geist durch den Dienst der Paulusgruppe Leben schafft (implizit D), hat diese einen Dienst des Geistes und nicht des Buchstabens inne (K) und zwar nach der Schlussregel: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.“ Vor dem Hintergrund einer „apokalyptischen“ Vorstellung wie Christus als letztem Adam und lebenschaffendem Geist, wie er der Hörerschaft aus 1 Kor 15,45 in Erinnerung geblieben sein mag, wird der Anschluss an den Gedankengang noch enger. Dabei ist die Aussage „der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ nicht minder bekannt, als sie in ihrer Bedeutung umstritten ist. Denn zur Unschärfe des γράμμα-Begriffs tritt hier eine starke Verschärfung des Gegensatzes zum πνεῦμα. Waren Tod und Leben nach 2,16a.b noch beides Konsequenzen aus dem Dienst des Paulus, verteilen sie sich nun auf Buchstaben und Geist.589 Tötender Geist und lebendigmachender Buchstabe stehen sich direkt gegenüber. Diese schroffe Gegenüberstellung mahnt einmal mehr, γράμμα nicht vorschnell mit νόμος zu identifizieren, wäre dies mit der Wertschätzung des Gesetzes (Röm 7,12) doch nicht vereinbar. Mit der Rede von Tod und Leben wird deutlich, dass nicht „die Gesetzesthematik, sondern die Wirkungen der den verschiedenen Bundesordnungen zugehörigen διακονίαι einander gegenüberstehen“590. Schon die Form des Satzes warnt jedoch, allzu weitreichende theologische Schlussfolgerungen allein auf diese Aussage zu gründen, weisen der stilistisch bis ins kleinste Detail ausgestaltete und in der Darstellung verknappte Parallelismus, zusammen mit der allgemeingültigen Ausdrucksweise, 3,6c doch als Sentenz aus.591 Der Nachsatz stärkt durch seine stilistische Prägnanz die empfundene Beweiskraft des Abschnittes und hat so zuvorderst rhetorische Funktion. „Der ausgeformte Parallelismus, die Quasi-Allgemeinheit seiner Aussage und nicht zuletzt seine Kürze machen die Antithese eingängig und delectatio-erregend und verleihen ihr eine nahezu sprichworthafte Prägung.“592 Nach Quintilian ist die Sentenz „ein allgemeiner Satz, der auch unabhängig vom Zusammenhang eines Falles Anerkennung finden kann“593. Der antithetischen Sentenz schreibt er eine noch gesteigerte Wirkung zu.594 Eine recht angewendete Sentenz nimmt die Hörerschaft unmittelbar für den Kuschnerus 2002, 178, bemerkt diese Verschiebung, ohne sie aber inhaltlich auszuwerten. Schröter 1998, 254. 591 Vgl. Kuschnerus 2002, 178 f., für eine stilistische Analyse. Die Auslegungsgeschichte ist ein beredter Zeuge der sentenzhaften Qualität von 3,6c. Schon die Kirchenväter lösen ihn aus seinem argumentativen Zusammenhang. Diese Entwicklung führt schließlich dazu, dass die Auslegung des gesamten Kapitels über Jahrhunderte hinweg implizit oder explizit von 3,6c her erfolgt ist, was den ursprünglichen Sinn des Exodusbezuges verdunkelt hat. 592 Kuschnerus 2002, 177 f. 593 Quint. inst. 8,5,3. Dass der Gebrauch einer Sentenz ein gewisses Vertrauen in den Redner schon voraussetzt (Quint. inst. 8,5,8), mag ein Anzeichen sein, wie weit der Text an dieser Stelle das Ethos der Paulusgruppe bereits gestärkt zu haben meint. 594 Vgl. Quint. inst. 8,5,18. Wohl von daher spricht Schmeller 2010, 172, im Hinblick auf 3,6c nicht mehr von Ethos, sondern bereits von Pathos. 589 590

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Redner ein und zählt zu den ethischen Überzeugungsmitteln. Ähnlich lautend bemerkt Aristoteles zur Sentenz, wie es die Hörerschaft anspricht, „wenn das als allgemeingültig ausgesprochen wird, was zufällig in einem speziellen Fall schon vorher ihre Meinung war“595. „Es kommt vor allem auf den eindrucksvollen Kontrast an, weniger auf seine Inhalte und Beziehungen.“596 Freilich gewinnt die Sentenz ihre Plausibilität nicht aus allgemeiner Erfahrung oder gesundem Menschenverstand, sondern aus der speziellen Erfahrung der Korinther, die die eigene belebende Erfahrung des göttlichen Geistes schwerlich abstreiten können.597 Nach dem bei Quintilian bezeugten stilistischen Empfinden bedeutet jede Sentenz „ein Anhalten, und daher kommt nach ihr immer ein neuer Ansatz“598. In der Tat bringt der Abschnitt 3,4–6 einen ersten gedanklichen Bogen an sein Ende. Dabei wird der nächste jedoch im gleichen Atemzug vorbereitet. Dass die Größen „Leben“ und „Tod“, die nach 2,16 beide mit der Offenbarungsfunktion des Paulus verbunden sind, nun auf zwei Dienste aufgeteilt werden,599 weist die Richtung, in die der Abschnitt 3,7–11 weiterdenkt. 4.4.4.6 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Den Rahmen der Verse bildet die zusammenfassende Bekräftigung des Vertrauens der Paulusgruppe auf Gott, gefolgt von differenzierenden Ausführungen zu ihrer Befähigung. Der dominante kategoriale Rahmen des Abschnitts bleibt der prophetisch-apokalyptische, mit einer Neigung zur prophetischen Seite. Sichtbar machen dies v. a. der Gedanke der göttlichen Befähigung, die in diesem Zusammenhang begegnende Rede vom Dienst und das Motiv des neuen Bundes im Anschluss an Jeremia 31 in 3,6. Die Antithese von Tod und Leben (3,6) gehört in den apokalyptischen Rhetorolekt. Darüber hinaus lässt allenfalls die Erwähnung des Christus als der Instanz, die das Vertrauen zu Gott vermittelt (διὰ τοῦ Χριστοῦ, 3,4), eine priesterliche Dimension hinzutreten. Gleiches gilt für die Rede vom neuen Bund, wenn sie vor dem Hintergrund der Abendmahlsparadosis verstanden wird. Neben diesen dominanten Rhetorolekten fällt ein eher weisheitlich geprägter Begriff wie γράμμα kaum ins Gewicht. Aristot. rhet. 1395b. Schmeller 2010, 187. 597 Kuschnerus 2002, 179. 598 Quint. inst. 8,5,27. 599 Vgl. Kuschnerus 2002, 179, der dies zwar beobachtet, jedoch nicht auswertet. 595 596

4.4 Gedankliche Kartierung

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Argumentationsebene Insgesamt vermittelt der Duktus des Abschnittes mit seinen vielen Hypotaxen den Eindruck einer sachlichen Erörterung.600 Bis auf 3,6d findet sich auch wenig Redeschmuck. Dass der Abschnitt sprachlich weniger auf die Affekte der Hörerschaft zielt, bedeutet jedoch nicht, dass die emotionale Argumentationsebene verlassen wird. Eine entfaltete Argumentation im Sinne logischer Beweisführung begegnet auch hier nicht. Vielmehr stärkt die schlichte Vertrauensaussage in 3,4 das Ethos der Paulusgruppe und nimmt das Publikum gewissermaßen noch schärfer in die Pflicht als 3,2 f. Befand es sich dort noch in einer Position coram publico, steht es nun zusammen mit Paulus coram Deo. Auf die Ebene des Ethos gehört auch die Ablehnung jeglichen Eigenurteils in 3,5. Wer Paulus wohlgesonnen ist, wird sie als Zeichen der Demut auffassen. Wer ihm kritisch gegenübersteht, findet in ihr zumindest noch seine eigenen Vorbehalte Paulus gegenüber bestätigt und bleibt so in den Diskurs eingebunden. Für die Gruppe der Schriftkundigen stärkt die Erwähnung des neuen Bundes in 3,6 das Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Redner, der seine eigene Schriftkompetenz unter Beweis stellt. Insbesondere gilt dies für jene, die schon in 3,2–3 eine Anspielung auf Jer erkannt hatten und sich nun mit ihren Kenntnissen bestätigt sehen. Stark emotionalisierend wirkt die „geschliffene Sentenz“601 in 3,6c. Zum einen illustriert sie die Wortgewandtheit des Briefschreibers, zum anderen erzeugt die schroffe Alternative von Tod und Leben weiteren Entscheidungsdruck. Ähnliches konnte schon in 2,15b–16b und 3,3 beobachtet werden. Die Einleitung mit γάρ weist 3,6c als Teil einer logischen Schlussfigur aus. Bei K: „Wir sind Diener des Geistes (und nicht des Buchstabens)“ und SR: „Der Geist macht lebendig (wohingegen der Buchstabe tötet)“, setzt dies als implizites Argument den in 3,1–3 eingeführten Gedanken voraus: „Durch den Dienst der Paulusgruppe sind die Korinther geistlich lebendig gemacht worden“ (D). Demnach stützt die Berufung auf die gemeinsame Vergangenheit der Hörerschaft und der Paulusgruppe den Gedankengang als Argument. Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Der Abschnitt vollzieht zwei komplementäre Argumentationsbewegungen. Zunächst betont er wieder die enge Verbindung zwischen Gott und Paulusgruppe. Der Relativsatz 3,6a, der das befähigende Handeln Gottes wie ein göttliches Attribut formuliert, illustriert diese Bewegung besonders plastisch. Der Gedanke lässt sich als transitives Argument begreifen. Auch die Charakterisierung der Paulusgruppe als Diener, und damit Boten bzw. Herolde Gottes, trägt dazu bei. Hiermit verschränkt findet eine dissoziative Bewegung statt. Zunächst wird der Begriff der Befähigung (ἱκανότης) zergliedert. Sie rührt nicht von der Paulusgruppe selbst her, sondern kommt von Gott. Sodann äußerst sich der Abschnitt differenzierend zur 600 601

Vgl. Schmeller 2010, 172. Schmeller 2010, 172, der sie als ethisches Überzeugungsmittel verbucht.

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Rolle, die wahrzunehmen die Paulusgruppe befähigt wurde. Sie seien keine Diener des Buchstabens, sondern des Geistes. Der Sinn dieser Begriffszergliederungen erschließt sich mit Blick auf den Textzusammenhang. b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang So verweisen die Stichworte ἱκανός/ἱκανότης zurück auf die rhetorische Frage 2,16c und ihre Begründung in 2,17. Der betonte Gebrauch des Reflexivpronomens in 3,5 greift gleichermaßen die Formulierung der zweiten correctio in 2,17 (vgl. λογίσασθαί τι ὡς ἐξ ἑαυτῶν 3,5 mit 2,17: ὡς ἐκ θεοῦ … λαλοῦμεν) wie die Formulierung der rhetorischen Frage 3,1 auf (ἑαυτοὺς συνιστάνειν). Zusammengenommen erlauben diese Beobachtungen einen Rückschluss, inwiefern die Überlegungen ab 3,1 als Kommentar auf die logisch unscharfe Äußerung 2,16c–17 zu verstehen sind. Indem der Text hier eine Befähigung aus eigener Kraft deutlich von einer göttlichen Befähigung abhebt, verschiebt er auch den Akzent des Verses 2,17 von der Lauterkeit der Paulusgruppe zu ihrem Gottesverhältnis. Hier scheint somit das entscheidende Moment der Begründung 2,17 zu liegen, so dass der Text nun die zweite oben vorgeschlagene Möglichkeit, den logischen Schluss 2,16c–17 zu rekonstruieren, als die valide ausweist: „Wir sind fähig“ (K), weil wir aus Gott/in der Gegenwart Gottes/ in bzw. vermittelst Christus sprechen (D3–5). Denn „die Nähe zu Gott bzw. ein unmittelbares Gottes-/Christusverhältnis befähigt zum Offenbarungsdienst“ (SR3–5). Entsprechend scheint die Lauterkeit der Paulusgruppe aus ihrem Gottesverhältnis und ihrer Aufgabe abgeleitet und nur konkreter Vorwürfe wegen in 2,17 prominent vorangestellt worden zu sein (genau diese logische Reihenfolge findet sich später in 4,1). Dies entspricht sowohl der durchgehenden und besonders in 3,1–3 beobachteten Tendenz, das göttliche Element der paulinischen Verkündigung zu betonen als auch dem mehrfach beobachteten Wechsel des kategorialen Denkrahmens von einem philosophisch-weisheitlichen zu einem prophetisch-apokalyptischen Diskursfeld. Diese Voraussetzung erklärt nun auch den Gang der Argumentation in 3,1–3. Zunächst weist 3,1 eine Selbstempfehlung zurück, weil es gerade nicht die Eigenschaften oder der moralisch integre Charakter der Paulusgruppe sind, die sie empfehlen, sondern Gottes Handeln an ihnen und durch sie. Folgerichtig wird das Ergebnis dieses göttlichen, von der Paulusgruppe lediglich vermittelten, Handelns zum Fundament des Arguments in 3,2–3. Während die impliziten Kritiker der Paulusgruppe deren Verhalten nach irdischen Maßstäben kritisieren und konventionelle Empfehlungsbriefe verlangen mögen, verweigert der Text eine solche Beglaubigung, weil sie am entscheidenden Punkt vorbeiginge. Der Hintergrund, vor dem der Verkündigungsdienst der Paulusgruppe seine Legitimierung erhält, ist nicht philosophisch-weisheitlicher Natur, sondern liegt in Gottes Handeln begründet und kann entsprechend nur in prophetisch-apokalyptischen Plausibilitätsmustern erfasst werden.

4.4 Gedankliche Kartierung

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Von hier aus erschließt sich in Teilen auch die zweite Begriffszergliederung von γράμμα und πνεῦμα. Gegenüber dem göttlichen Geist wertet der Text den Buchstaben und mit ihm konventionelle Wege schriftlicher Beglaubigung ab. Eine gewisse Spannung besteht jedoch im Gebrauch von γράμμα, da der Text in 3,2–3 auch vom positiv besetzten „lebendigen“ Empfehlungsbrief sagen kann, er sei ἐγγεγραμμένη, und das Handeln Gottes in diesen Bahnen versteht. Auch überrascht die Schärfe der Aussage, der Buchstäbe töte. Insgesamt knüpft die Gegenüberstellung von Tod und Leben an die doppelte Wahrnehmung des Paulusdienstes nach 2,15b–16b an. Auf welche Weise er dies tut, erschließt erst die Lektüre der Folgeverse, sodass 3,6c auch eine vorbereitende Funktion hat. Zunächst führt der Abschnitt 3,4–6 den in 2,16c begonnen Gedankengang an ein vorläufiges Ende. Im Gefolge der rhetorischen Frage 2,16c wurde der Begriff der Befähigung geschärft und verschiedene Kriterien zu ihrer Beurteilung geprüft. Nacheinander kamen dabei die Paulusgruppe selbst, der Effekt und die Beschaffenheit ihres Dienstes in den Blick. Der anschließende Abschnitt 3,7–11 führt die Überlegungen zur Beschaffenheit des Verkündigungsdienstes unter dem Vorzeichen des „neuen Bundes“ weiter aus. 4.4.5 3,7–11 Durch den an der Textoberfläche deutlich ausgewiesenen dreifachen Schluss a fortiori, genauer a minore ad maius, sind die Verse 3,7–11 zu einer gedanklichen Einheit verbunden. Beginnend in 3,7 identifiziert der Text den Dienst, den Mose ausübte, ausdrücklich als einen Dienst, der mit dem tötenden Buchstaben zusammenhängt. Ihm gegenüber steht ein geistbestimmter Dienst. Die Gemeinsamkeit, die den Vergleich ermöglicht, wurzelt im Besitz der δόξα, auf der deutlich der Akzent des Abschnittes liegt.602 Da der Text mit dem Exodusbericht voraussetzen kann, dass der Dienst, den Mose ausübte, δόξα besaß, obwohl er zum Tod führt, kann er umso mehr davon ausgehen, dass der Dienst, der vom lebenschaffenden Geist bestimmt ist, δόξα besitzt. Die Differenz zwischen beiden Diensten, die den Dienst des Geistes als größeres, den Mosedienst als kleineres Glied des Schlusses etabliert, wird in den Gegensatzpaaren Tod/Geist (3,7 f.), Verurteilung/Gerechtigkeit (3,9), außer Kraft gesetzt werden/bleiben (3,11) ausgedrückt. Dem Zusammenhang nach handelt es sich beim Dienst des Geistes um den Dienst des neuen Bundes, den die Paulusgruppe ausübt, jedoch wird dies nicht klar benannt. So findet die Textstrategie, „Paulus“ als Person unsichtbar zu machen, ihre Fortsetzung darin, die Paulusgruppe insgesamt sprachlich in den Hintergrund rücken zu lassen. Die Überlegungen des Abschnitts geben sich eher abstrakt und damit allgemeingültig und vermeiden es, Anlass zu einem neuen Vorwurf der Selbstempfehlung oder gar des Selbstruhmes zu geben. Verstärkt wird dieser Eindruck durch das scheinbar 602

S.o. S. 362.

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nüchterne Schlussmuster und die Berufung auf Ex 34,29 f. als externen Zeugen, unabhängig vom subjektiven Erleben der Korinther und der Paulusgruppe. Durch die argumentativen Grundannahmen des „apokalyptischen“ Diskurses kann der Text die Exodustradition als Zeugen heranziehen und für den Dienst der Paulusgruppe auskunftsfähig machen. „Die Denkfigur ist also: Wenn Gott dieses Frühere gewirkt hat, dann konnte er auch das Gegenwärtige schaffen und wird auch in der Zukunft das Heutige überbietende Dinge tun.“603 Letztlich handelt es sich dabei also nicht um ein rational-deduktives Schlußverfahren, sondern um eine Form theologischer Argumentation, die einen inneren Zusammenhang zwischen zwei Phasen, Ereignissen oder Zuständen erblickt, der auf der Voraussetzung beruht, daß in beiden derselbe Gott Israels am Werke ist604,

eben einer Argumentation im „apokalyptischen“ Rhetorolekt. Somit zeigt sich hier ein „typologisches“ Schriftverständnis im Sinne von 1 Kor 10. Das Verhältnis des Exodusbezuges ab 3,7 zur Spitzenaussage 3,6c ist seit jeher umstritten. Dem Anschluss mit δέ nach zu urteilen ist kaum anzunehmen, dass die Exodusbezugnahme den Zweck hat zu untermauern, warum der Buchstabe tötet, der Geist aber lebendig macht. Vielmehr setzt der Text das Wissen darum voraus. Ebenso ist er keineswegs bemüht, den scheinbaren Widerspruch zu erläutern, dass der Dienst, den Mose ausübt, δόξα besitzt, obwohl er zum Tod führt. Auch hier scheint er auf das Vorwissen der Gemeinde zu bauen. In der Tat ist diese Spannung vor dem Hintergrund von 2,16 nicht singulär. Dort bezeichnet der Text den von Gott kommenden „Offenbarungsduft“, den die Paulusgruppe darstellt, als Geruch, der sowohl zum Leben wie auch zum Tode führen kann. Wenn 3,7–11 „Leben“ und „Tod“ auf das Beispiel des Mosedienstes und des Paulusdienstes aufteilt, fragt sich, inwiefern dies das Bild von 2,16 aufnimmt. Ein genauer Blick auf das Argumentationsmuster hilft, Fehldeutungen zu vermeiden, die die Passage im Laufe der Zeit erfahren hat. Der Schluss a minore ad maius baut ebenso auf das Vorwissen der Hörerschaft auf, wie er voraussetzt, dass beide Dienste δόξα besitzen und damit göttlich legitimiert sind. Da jeder Schluss a minore ad maius auf dem Vergleich zweier Größen beruht, die ähnlich genug sind, miteinander verglichen zu werden, aber verschieden genug, um einen deutlichen Rangunterschied zu markieren, setzt seine logische Struktur eine Spannung zwischen Gemeinsamkeit und Differenz, wie sie hier beschrieben ist, unbedingt voraus. Ein Mangel an Kontinuität ließe das Argument auseinanderbrechen. Die Vergleichsgrößen wären eben nicht mehr vergleichbar. Die Einebnung der Differenz hingegen bräche ihm die Spitze ab.605 Der „focal point“606 des Abschnittes 3,7–11 Schröter 1993, 95. Schröter 1993, 95. 605 Vgl. ausführlich Kopperschmidt 1989, 180–186. Die Untersuchung des rabbinischen Gedankenmusters ‫ קל וחמר‬bestätigt dies. Es bedarf der „similarity which is the ground of comparison” ebenso wie der „dissimilarity on the basis of which the argument functions”. Beide werden gemeinhin vo603 604

4.4 Gedankliche Kartierung

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liegt eindeutig im δόξα-Besitz, der beide Dienste verbindet. Ihre Differenz steht durch ihre Attributionen außer Frage. Nach den Formprinzipien des Schlusses a fortiori wird das Wissen um die differenzierenden Attribute bei der Hörerschaft vorausgesetzt.607 In der Tat baut ja bereits der Gedankengang der Verse 3,2 f. auf das Erfahrungswissen der Hörerschaft über die lebengebende Kraft des göttlichen Geistes. Die Verbindung von Tod und Gesetz wird den Korinthern zumindest aus 1 Kor 15,56 bekannt sein, wobei hier noch zu klären sein wird, inwiefern die Konzepte von γράμμα und νόμος ineinandergreifen.608 Entsprechend braucht die Differenz beider Dienste nicht durch einen Rangunterschied im δόξα-Besitz hergestellt zu werden. Nach der Logik des Schlusses a fortiori wäre dies auch schwerlich möglich, denn die Stärke des Arguments steht und fällt mit dem δόξα-Besitz seines schwächeren Gliedes, des Mosedienstes. Umso problematischer ist es, dem Paulusdienst eine qualitativ überlegene δόξα zuzuschreiben, um die wahrgenommene Spannung zwischen positiven δόξα-Besitz und negativer Attribuierung des Mosedienstes zu lösen. Diese Möglichkeit liegt schlicht außerhalb des argumentativen Spektrums. Aber auch ein quantitativer Unterschied der δόξα ist nur bedingt denkbar. Je größer die δόξα des Mosedienstes, desto stärker das Argument des Textes.609 Insgesamt gilt für 3,7–11, was Quintilian über die comparatio sagt: „Durch das Steigern dessen nämlich, was geringer ist, hebt sie [die Vergleichung] zwangsläufig das, was über diesem steht.“610 Auch die rhetorische Übung der synkrisis, zu der an dieser Stelle verschiedentlich Bezüge hergestellt worden sind,611 besteht im Vergleich zweier nahezu gleichwertiger Größen. Das grundsätzliche Bild des Mose und seiner δόξα, das der Text voraussetzt, ist somit ein positives. Ganz so gibt auch Aristoteles zu bedenken: „das dient zur Steigerung und ist edel, wenn jemand besser als tüchtige Leute dasteht.“612 Damit ist anzunehmen, dass das Schlussverfahren mit der Steigerungspartikel πολλῷ μᾶλλον eher den größeren Grad der Gewissheit aussagt, zu dem hinsichtlich des Paulusdienstes von δόξα die Rede sein kann als eine Steigerung dieser δόξα hinsichtlich ihrer Qualität oder Quantität. Rein sprachlich kann πολλῷ μᾶλλον genauso eine Steigerung der Evidenz („wieviel sicherer“) wie der Quantität („wieviel mehr“) anzeigen.613 Dem Zusammenhang nach muss die Spannung zwischen der negativen Attribuierung des Mosedienstes und seinem positiven δόξα-Besitz aber rausgesetzt, ohne erst noch erwiesen werden zu müssen (vgl. Stockhausen 1989, 28; vgl. für Paulus auch Müller 1967 und zur sprachlichen und logischen Parallele Röm 5,15 f. Schröter 1993, 95 f.). 606 Duff 2015, 143. 607 Vgl.  Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004, § 76b, zum Schluss a fortiori. Zur konkreten Stelle ferner Thrall 1994, 240. 608 Vgl. dazu Oropeza 2016, 236, ferner Schröter 1993, 89. 609 Vgl. ausführlicher Duff 2015, 139–141 und Hafemann 1995, 271–273. 610 Inst. 8,4,9. Zur comparatio als Genus der amplificatio vgl. ferner Lausberg 2008, § 404. 611 Vgl. Oropeza 2016, 227–228, mit Anm. 99. 612 Aristot. rhet. 38, 1368a. 613 Vgl. Thrall 1994, 239 f., und Theobald 1982, 179.

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anders erklärt werden können als durch eine Abwertung der entsprechenden δόξα. Der Schlüssel dazu wird im Vorverständnis von γράμμα zu suchen sein und ist mit den Hinweisen auf eine gehemmte Wirksamkeit der Mose-δόξα, die der Text selbst gibt, zusammenzudenken. 4.4.5.1 3,7 f.: Der übergeordnete Schluss a minore ad maius Die drei Schlüsse a minore ad maius stehen ihrer Textgestalt nach nicht gleichrangig nebeneinander. Der erste Schluss 3,7 f. hebt sich in zweierlei Hinsicht ab. Zum einen ist er in Gestalt einer rhetorischen Frage gehalten und bindet so abermals die Hörerschaft ein.614 Zum anderen tritt er durch eingeschobene Bemerkungen hervor, die als „interior argument“615 die Rolle der δόξα im Mosedienst erläutern: Sie ziehen die Aufmerksamkeit auf sich, da sie das Gefüge der drei Schlüsse stören.616 Nachdem 3,7a.b festhält, dass der Dienst, der zum Tod führt, obwohl er (nur) mit Buchstaben in Steine gehauen war, in δόξα geschah, fügt 3,7c hinzu, dass die Israeliten als Folge dessen Mose nicht ins Gesicht blicken konnten, und zwar wegen des übermäßigen Glanzes der δόξα, die schließlich außer Kraft gesetzt wurde (3,7d). 3,7 ist somit zunächst eine Aussage „ad maiorem gloriam Moysi“617,wobei die Gestalt des Mose als solche nicht einmal im Vordergrund steht. Dass der Vers vom „Dienst des Todes“ spricht und nicht etwa vom „Dienst des Mose“, zeigt, dass das Augenmerk auf dem Dienst und seinem Ausgang liegt. So ist auch das erste Attribut, das dem Dienst zugeschrieben wird, er sei mit Buchstaben in Steine eingegraben (ἐν γράμμασιν ἐντετυπωμένη λίθοις). Während dieser recht durchsichtige Verweis auf die Exodustradition dicht an 3,3 anschließt, auf die Gesetzestafeln und somit auf das Gesetz an sich zu verweisen scheint, ruft schon die folgende Bemerkung (ἐγενήθη ἐν δόξῃ) mit dem Schlagwort δόξα einen andersartigen Bezugsrahmen auf, den die weiteren Einschübe erläutern. Wie sich vom Bezugstext her nahelegt und spätestens in 3,18 deutlich wird, ist δόξα hier als transformative Kraft der Gottesbegegnung zu verstehen und stammt aus dem „apokalyptischen“ Diskursfeld.618 Dass die umständliche Formulierung von Ex 34,29 LXX δεδόξασται ἡ ὄψις τοῦ χρώματος τοῦ προσώπου αὐτοῦ in der Paraphrase von 3,7c auf den prägnanten Begriff δόξα (τοῦ προσώπου αὐτου) gebracht wird, ist ein weiteres Indiz für ein stehendes Konzept im Hintergrund.619 Der Name „Mose“ dient im Einschub 3,7c vor allem als Kristallisations614 Vgl. Hafemann 1995, 286: „By using the rhetorical question Paul wins the advantage of forcing his hearers to join him in acknowledging that, given the validity of the premise from v. 7, the point of verses 8 is ‚obviously‘ true.“ 615 Hafemann 1995, 274. 616 Vgl. Hafemann 1995, 275. 617 Theobald 1982, 179. 618 S.o. S. 47. 619 Thrall 1994, 242, schlägt überdies vor, dass Paulus die Formulierung verkürzt, um den ohnehin komplexen Satz nicht überkomplex werden zu lassen.

4.4 Gedankliche Kartierung

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punkt der biblischen Tradition und ihrer deutlichen Verortung. Die Aussage hebt die Intensität der δόξα des Mosedienstes hervor und stärkt so ganz im Sinne der antiken comparatio das Argument.620 Zentral für das Verständnis des Mosedienstes und seiner Todesproblematik ist die letzte Bemerkung 3,7d τὴν καταργουμένην. Eindeutig bezieht sich die Aussage auf den Herrlichkeitsglanz auf dem Gesicht des Mose.621 Der erklärende Duktus der Versteile 3,7c.d lässt vermuten, dass der Text hier wesentliche Informationen zusammenfasst. Auf der positiven Seite des geistbestimmten Dienstes fehlen solche Erläuterungen. Von daher liegt es nahe, dass zwischen der negativen Attribuierung des Mosedienstes und dem Umgang mit der δόξα ein Zusammenhang besteht, der an dieser Stelle zwar nicht ausführlich erklärt, aber doch aufgerufen wird. Eine mögliche Verbindung zwischen beiden Teilaussagen ergibt sich, wenn man δόξα im oben vorgeschlagenen Sinne und im Lichte der Bezugserzählung betrachtet. Wenn der göttliche Herrlichkeitsglanz seine verwandelnde Wirkung dort entfaltet, wo er erfahren, das heißt angesehen, wird, deutet bereits das Unvermögen der Israeliten, Mose direkt anzublicken auf eine Wirkhemmung der δόξα hin. Insofern die δόξα, wie hier vorgestellt, aber das konstituierende Element des Verkündigungsdienstes ist, ist damit auch der Mosedienst insgesamt gehindert. In Anbetracht dessen ist zu erwägen, ob das ἐν an dieser Stelle auch einen instrumentalen Beiklang haben kann, so dass der Text davon spräche, wie die Dienste vermittels δόξα geschähen. Insgesamt verliert die Vorstellung eines Dienstes, der δόξα besitzt und trotzdem Tod bringt, ihre Widersprüchlichkeit, wenn die δόξα im Hinblick auf ihre verwandelnde Wirkung außer Kraft gesetzt ist. Vielmehr wäre in Anbetracht des Fortgangs der Argumentation zu überlegen, ob es nicht gerade das Übermaß der δόξα ist, das ihre Betrachtung und damit auch ihre Wirkung hemmt. Ferner weiß die Bezugserzählung um eine tödliche Wirkung, die von der δόξα selbst ausgeht, solange der Mensch ihr in seinem natürlichen Zustand ungeschützt ausgesetzt ist (s. o. die ausführlicheren Erläuterungen unter ‎4.3.3.1k). Auf einer zweiten Ebene knüpft das Schlagwort δόξα mit seiner profangriechischen Nebenbedeutung „Ruhm/Ehre/Ansehen“ an die grundsätzliche Fragestellung des Abschnitts an.622 Der Begriff δόξα nimmt in seiner Doppelbedeutung die Frage der Selbstempfehlung wieder auf und macht deutlich, dass das Ansehen (δόξα) eines Verkündigungsdieners stets nur nach seinem Anteil am göttlichen Herrlichkeitsglanz (δόξα) bemessen werden kann. Urteilskriterium kann also allein dessen Gottesverhältnis sein (vgl. schon 2,17; 3,4 f.). Lässt man die erläuternden Bemerkungen zur δόξα außen vor, beschreibt der Schluss 3,7 f. ganz die gedankliche Grundbewegung des Absatzes und richtet sich S.o. S. 439. Von daher sollte sie auch aoristisch und nicht präsentisch oder gar futurisch verstanden werden (vgl. Thrall 1994, 244; Hofius 1989, 103; Hafemann 1995, 299 f.). 622 Vgl. Schröter 1993, 91. 620 621

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auf die Evidenz der δόξα als Begleiterscheinung der beiden Dienste. So wie der mosaische Dienst „in/vermittels δόξα geschah“, ist davon auszugehen, dass der paulinische Dienst „in/vermittels δόξα geschehen wird“ (logisches Futur).623 Die positive Seite des Schlusses in 3,9 fällt knapper aus. Dort unterstreicht die Ausdrucksweise abermals Gottes aktive Rolle im Dienst des neuen Bundes. Besonders deutlich wird dies an den ungleichen Gegensatzpaaren, mit denen der Text die Dienste einander gegenüberstellt. Das natürliche Gegenstück zum „Dienst, der zum Tod führt“, wäre ein „Dienst, der zum Leben führt“. Stattdessen spricht Paulus jedoch vom „Dienst, der vom Geist bestimmt ist“, was nach 3,3 sachlich das gleiche aussagt, jedoch das Augenmerk auf das Handeln des Geistes lenkt. 4.4.5.2 3,9 f.11: Der zweite und dritte Schluss a minore ad maius Der zweite Schluss 3,9 wie auch der dritte Schluss 3,11 stützen den in 3,7 erhobenen Geltungsanspruch und markieren ihre stützende Funktion jeweils mit einleitendem εἰ γάρ (im Gegensatz zu 3,7 εἰ δέ).624 Bei genauem Hinsehen scheinen sie dabei nacheinander Aspekte der erläuternden Bemerkungen 3,7c.d aufzunehmen. Diese beziehen sich zunächst auf die Intensität der δόξα, die es den Israeliten unmöglich machte, Mose ins Gesicht zu blicken, dann auf den Umstand, dass sie außer Kraft gesetzt wurde.625 Gerade, wenn man 3,9 f. als gedanklich zusammengehörig begreift, wird deutlich, wie sehr diese Verse den Gedanken der Intensität aus 3,7c als Überfluss (3,9: περισσεύει … δόξῃ) und Übermaß (3,10: εἵνεκεν τῆς ὑπερβαλλούσης δόξης) aufnehmen. Wenn 3,11 zudem den Mosedienst synekdochisch als τὸ καταργούμενον bezeichnet, ist dies eine wörtliche Aufnahme von 3,7d: τὴν καταργουμένην. Der δόξα-Besitz des Paulusdienstes wird in 3,7–11 demnach amplifizierend auf drei verschiedene Weisen nachgewiesen, die alle im Eröffnungssatz 3,7 angelegt sind. Die Aussage gewinnt durch „die Anhäufung von Worten und Gedanken, die das gleiche bedeuten“626 an Überzeugungskraft. Durch Details in der Formulierung und die unterschiedlichen Attribute, mit denen die Dienste bezeichnet werden, nuancieren 3,9 f. und 3,11 die Aussage von 3,7 und erhellen die zugrundeliegenden Vorstellungen. Zieht man in Betracht, dass für Paulus Gerechtigkeit und Christus untrennbar zusammengehören (vgl. etwa Phil 1,11; Röm 3,22; 10,4 f.), so knüpft auch der Hinweis auf den Dienst, „der von Gerechtigkeit bestimmt ist“ oder „zur Gerechtigkeit führt“ (ἡ διακονία τῆς δικαιοσύνης), an die Äußerungen zu Christus als dem bestimmenden Faktor des paulinischen Verkündigungsdienstes an. Der Unterschied Zur Begründung von ἔσται als logischem Futur vgl. Thrall 1994, 245. Für Beispiele einer mit γάρ verbundenen „step by step series of supports“ vgl.  Hafemann 1995, 329, Anm. 228. 625 Vgl. Schmeller 2010, 209 f., der 3,9f als Bemerkung zur Steigerung des Herrlichkeitsglanzes, 3,22 als Bemerkung zu seiner Dauer versteht. 626 Quint. inst. 8,4,26; analog dazu 8,4,27. 623 624

4.4 Gedankliche Kartierung

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zwischen der statischen Formulierung auf Seiten des Mosedienstes (τῇ διακονίᾳ … δόξα) und der dynamischen auf Seiten des Paulusdienstes (περισσεύει ἡ διακονία τῆς δικαιοσύνης δόξῃ) lässt zudem vermuten, dass es womöglich gerade die Nähe zur Gerechtigkeit ist, die der δόξα des Paulusdienstes ihre Größe gibt. So nimmt die Formulierung implizit den in 3,12–18 deutlicher gemachten Schluss vorweg, dass der entscheidende Unterschied in der Wirkweise der Paulus-δόξα durch Christus zu Stande kommt. Der δόξα-Überfluss auf Seiten des Mosedienstes führt hingegen zur Wirkhemmung seiner δόξα (3,10) und mutmaßlich in diesem Zusammenhang zur Verurteilung. Der ohnehin kryptisch anmutende Vers 3,10 bereitet vor diesem Hintergrund Auslegungsprobleme. Sein Anschluss mit καὶ γάρ signalisiert, dass er den Hintergrund zur Aussage 3,9 erläutern will.627 Gemeinhin wird die Aussage „nicht verherrlicht wurde das Verherrlichte“ (οὐ δεδόξασται τὸ δεδοξασμένον) als Oxymoron verstanden. Verglichen mit der überlegenen δόξα des Paulusdienstes verblasse der Herrlichkeitsglanz des Mosedienstes so stark, dass von δόξα eigentlich nicht mehr die Rede sein könne. Oder prägnant mit Morna D. Hooker: „After all, when one is plugged into the mains, candles seem a pretty inefficient form of lighting.“628 Diese Auslegung begegnet in verschiedenen Varianten. Während dem Mosedienst im Extremfall nahezu alle δόξα abgesprochen wird, erkennen gemäßigtere Stimmen, dass eine solche Einlassung die Argumentation ad absurdum führen würde und mildern ab: Im Vergleich (ἐν τούτῳ τῷ μέρει) mit dem überragenden Herrlichkeitsglanz des Paulusdienstes (εἵνεκεν τῆς ὑπερβαλλούσης δόξης) scheine es nur so, als habe der Mosedienst keine Herrlichkeit mehr. Paulus tätige eine relative und keine absolute Aussage.629 Eine solche Lesart entschärft das logische Problem zwar, hebt es aber nicht auf. Paulus Anliegen ist nicht damit gedient, die δόξα des Mosedienstes klein zu machen. Er schwächt damit sein eigenes Argument. Aus einer ganz anderen Richtung wurde vorgeschlagen, den gesamten Vers nicht auf Mose, sondern auf Paulus zu beziehen: Wegen seiner überragenden Herrlichkeit sei der Dienst des Paulus nicht sichtbar verherrlicht. Wäre er das, könne er nämlich nicht erfahren werden, ebenso wenig, wie die Israeliten Mose anblicken konnten. Die Niedrigkeitsgestalt des paulinischen Dienstes sei damit notwendig für seine Wirksamkeit.630 Der Charme dieser Deutung besteht darin, wie gut sie in den weiteren Aussagezusammenhang, insbesondere zur Fortsetzung der Apologie ab 4,7 passt. An dieser Stelle stünde eine solche Aussage jedoch recht isoliert dar. Vor allem bliebe der Sprachgebrauch problematisch. Die ausgefallene Partizipialform τὸ δεδοξασμένον bezieht sich in Ex 34,30 LXX eindeutig auf das Gesicht des Mose. Vgl. Hafemann 1995, 322, auch Thrall 1994, 250. Hooker 1981, 297. In der Kommentarliteratur beliebt sind Bilder wie das vom Mond, der von der Sonne, oder einer Kerze, die vom Tageslicht überstrahlt wird (vgl. Hooker 325). 629 Vgl. etwa Schröter 1993, 98; Kuschnerus 2002, 186 f.; Schmeller 2010, 200; Duff 2015, 144–147. 630 Vgl. Nicklas 2012, 251. 627 628

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Nur von dort aus lässt sich überhaupt ihr Gebrauch an dieser Stelle erklären.631 Eine Übertragung auf Paulus wäre demnach kaum stillschweigend möglich, sondern zutiefst erklärungsbedürftig. Andersherum lässt sich der Vers entgegen der Tradition jedoch im Zusammenhang kohärent lesen, wenn man seine Aussagen durchweg auf Mose bezieht. Diese Deutung richtet sich diametral gegen das gängige Verständnis, eine unermessliche Überbietung der δόξα des Mosedienstes durch die δόξα des Paulusdienstes ausgesagt zu sehen, und wahrt so die argumentative Stringenz. Vielmehr nimmt sie den Gedanken des überwältigenden Herrlichkeitsglanzes aus 3,7 auf und stärkt dadurch den logischen Schluss und die eigentliche Aussageabsicht der Verse 3,7 f.9.11. Nach dieser Deutung bezeichnet τὸ δεδοξασμένον im Einklang mit Ex  34,30 LXX das Gesicht des Mose.632 Damit beruht die Deutung darauf, dass der Bezug von τὸ δεδοξασμένον auf Ex 34,30 LXX aktualisiert wird und setzt ein erhebliches Maß an Schriftkompetenz voraus. Versteht man δόξα vor allem vom Aspekt ihrer Wirksamkeit her (s. o. ‎4.3.3), entfällt nun die Notwendigkeit, das Oxymoron οὐ δεδόξασται τὸ δεδοξασμένον durch die Vergleichsfolie des ungleich herrlicheren Paulusdienstes erklären zu müssen. Im Anschluss an 3,7 wäre vielmehr ausgesagt, dass der weiteren Verherrlichung des Mosegesichtes durch die Weitergabe der δόξα an die Israeliten ein Ende gesetzt wurde, weil diese den Herrlichkeitsglanz in seiner Intensität gerade nicht betrachten konnten. Eine solche Deutung von „Verherrlichung“ legt sich auch deshalb nahe, weil Verherrlichungsaussagen bei Paulus, zumal in 2  Kor, regelmäßig im engeren oder weiteren Zusammenhang des ausgeübten Verkündigungsdienstes begegnen.633 „In dieser Hinsicht“ (ἐν τούτῳ τῷ μέρει) bezöge sich dann auf das überfließende Maß der Herrlichkeit, wie es in 3,9 aufgerufen wird. Nichts anderes drückt auch 3,10b aus: Wenn der Vers sich zum Ausmaß der δόξα äußert und voraussetzt, dass die Israeliten durch die Intensität der Herrlichkeit auf dem Gesicht des Mose daran gehindert wurden, sie anzusehen, darf es nicht verwundern, diese Intensität hier ausgesagt zu finden. 631 Vgl. dazu auch Guthrie 2015b, 48 f. In Anbetracht der zentralen Rolle, die der Herrlichkeitsglanz auf dem Gesicht des Mose in 3,7 spielt, wird es von daher auch unwahrscheinlich, dass das Partizip Neutrum in Vorwegnahme von 3,11 abstrahierend auf den ganzen Dienst des Mose oder gar den gesamten Bund abstellt. So z. B. Hafemann 1995, 323 f. Eher noch lässt sich an eine „dual reference, both to the face of Moses in the Exodus story and to the institution which he embodies“ denken (Thrall 1994, 250). 632 Mit Guthrie 2015b, 48 f.; Hulmi 1999, 85; Theobald 1982, 185 f. u. a. gegen Schmeller 2010, 208, und auch Hafemann 1995, 323 f., die das Neutrum als generalisierende Wendung ins Allgemeine auffassen und das Partizip auf die Gesamtheit des Dienstes bezogen wissen wollen. Insbesondere Hafemann lässt die eigene Leistung, aufgezeigt zu haben, dass καταργέω nicht „verblassen“ bedeutet, außer Acht, wenn er später gegen Theobald einwendet: „The ‚face‘ of Moses, which in his view is said to have been glorified in 3.10, can hardly be said to pass away in v. 11 [!], without reading ‚face‘ as an abstract reference to that which is external and thought overall“ (Hafemann 1995, 328, Anm. 226). 633 Vgl. Emerson/Morgan 2015, 26 unter Berufung auf u. a. 2 Kor 1,20; 4,15; 8,19 und insb. 9,13–14.

4.4 Gedankliche Kartierung

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So verstanden lautet 3,10 in freier Paraphrase: Denn was das Ausmaß anbelangt, war ja schon der Herrlichkeitsglanz des Mosegesichtes so groß, dass es um seines Übermaßes willen nicht verherrlicht werden, d. h. seine Wirkung nicht entfalten konnte.634 Auf diesem Wege stärkt 3,10 die Überzeugungskraft des Arguments und kann als verkürztes incrementum verstanden werden. Nach Quintilian ist „[d]ie Form des Zuwachses [incrementum] dann am eindrucksvollsten, wenn das als groß erscheint, was sogar weniger bedeutet.“635 Für 3,11 bezeichnend ist der Übergang zu verallgemeinernden Partizipien in der Bezeichnung der Dienste und der Präpositionswechsel: Weil schon „das außerKraft-Gesetzte“ (τὸ καταργούμενον) διὰ δόξης existiert, ist auch „das Bleibende“ (τὸ μένον) ἐν δόξῃ. Im Lichte der angestellten Überlegungen ist denkbar, dass διά an dieser Stelle das Mittel bzw. die Art und Weise anzeigt, durch die der Mosedienst bestand, aber auch außer Kraft gesetzt wurde.636 ἐν würde demgegenüber wieder zwischen δόξα als Begleiterscheinung und Mittel schillern, durch das der Paulusdienst bestand hat und eben „bleibt“. Dass τὸ καταργούμενον von der Bezeichnung der Mose-δόξα zur Metonymie seines ganzes Dienstes werden kann, unterstreicht den Zusammenhang zwischen der Wirksamkeit des Dienstes und der δόξα. Die Bezeichnung des Paulusdienstes als τὸ μένον steht demgegenüber in einem inneren Zusammenhang mit der Bezeichnung διακονία τῆς δικαιοσύνης in 3,9. Es steht zu vermuten, dass dieser bleibt, weil die ihm korrespondierende Gerechtigkeit Gottes „bleibt“.637 Auch alttestamentlich finden sich Ewigkeitsaussagen für den neuen Bund, und zwar in eben den Textzusammenhängen, auf die in 3,3.6 angespielt wurde (vgl. Jer 31,31f; 32,40; Ez 37,26).638 Der Unterschied zwischen den Wirkweisen der δόξα tritt an diesen Stellen deutlich hervor, was die Frage aufwirft, wodurch dieser Unterschied begründet ist. Die Überlegungen zur ihrer Wirkhemmung und die Ausrichtung des Paulusdienstes auf Christus geben erste Anhaltspunkte zu einer Antwort. Weitere Ausführungen zu dieser Frage finden sich im Folgeabschnitt 3,12–18. Auch die Linie, die 3,11 beginnt, indem dort die beiden Dienste ganz auf den Aspekt des außer-Kraft-gesetztWerdens und -Bleibens zuspitzt werden, wird dort aufgegriffen. 634 Ein antiker Gewährsmann für dieses Verständnis ist Ambrosiaster. Vgl. seinen Kommentar zur Stelle: manifestum est non esse factum gloriosum, quod visum est in vultu Moysi gloriosum. Quando enim nullo profuit gloria vultus eius, non habuit fructum gloriae, sed magis obfuit, licet non sui vitio, sed peccantium. „The law of Moses was not made glorious because of the splendor on his face. That splendor was of no benefit to anyone and did not have the reward of glory. It was rather a hindrance, not through its own fault but through the fault of sinners.” (Übersetzung Bray 2012, 217). 635 Quin. inst. 8,4,3. Zum incrementum als Genus der amplificatio vgl. Lausberg 2008, §§ 402– 403. Vgl. auch Watson 2009, 137: „Augmentation is effected in four ways: […] (2) begin with a superlative and superimpose something of a higher degree“. 636 Zu dieser Gebrauchsweise von διά + Gen. vgl. BDR § 223,3.4. 637 Zumindest deutet 2 Kor 9,9 womöglich Ps 111,9 LXX auf Gottes Gerechtigkeit: ἡ δικαιοσύνη αὐτοῦ μένει εἰς τὸν αἰῶνα (vgl. Hafemann 1995, 331–333). 638 Vgl. Hofius 1989, 81.

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4.4.5.3 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Den gedanklichen Rahmen für den Abschnitt 3,7–11 bildet die interpretierende Paraphrase von Ex 34,29 f. in 3,7 und ihre Ausführung in den Folgeversen. Mose als biblische Figur ist klassischerweise im „weisheitlichen“ und „prophetischen“ Diskurs beheimatet, mitunter findet er sich auch im „priesterlichen“ und „WunderRhetorolekt“.639 Vereinzelt, vor allem in der zeitgenössischen Tradition, begegnet er im „apokalyptischen“ Diskurs.640 Entscheidend ist hier, dass der Mosedienst nicht im Rahmen weisheitlichen Diskurses, sondern im Rahmen prophetisch-apokalyptischen Diskurses aufgerufen wird. Kann die anfängliche Erwähnung des auf Steintafeln geschriebenen Dienstes und der Figur des Mose noch gut im philosophischweisheitlichen Diskurs verortet werden, lenkt der Fortgang der Exodusparaphrase den Blick auf andere Fragen. Der zentrale Gedanke von der transformierenden Kraft der göttlichen δόξα, den 3,7 im Anschluss an Ex 34,29 f. aufruft, hat insofern deutliche apokalyptische Anklänge, als er um Gottes Wirksamkeit kreist. Auch in der Korintherkorrespondenz begegnet das Konzept der Verherrlichung vor diesem Hintergrund schon in 1 Kor 15. Die Erwähnung des (lebenschaffenden) Geistes in 3,8 festigt diesen kategorialen Rahmen (vgl. 1 Kor 15,45) ebenso wie der Gegensatz von Verurteilung und Gerechtigkeit in 3,9 und außer-Kraft-gesetzt-Werden und -Bleiben in 3,11.641 Im Blick sind demnach weniger der Inhalt der Moseoffenbarung als die Rahmenbedingungen der Offenbarung Gottes durch den Mosedienst und der Offenbarungsvorgang selbst. Dem entspricht auch das oben beobachtete Fehlen des Begriffs νόμος. Argumentationsebene Mit dem Übergang zu 3,7 ändert sich der Tonfall des Textes merklich. Zwar zielt die Argumentation weiterhin darauf, das Ethos der Paulusgruppe zu stärken, jedoch wird sie sprachlich nicht mehr aufgerufen. Vielmehr gibt sich der Abschnitt 3,7–11 betont nüchtern und erweckt fast den Eindruck einer schriftbasierten, ansonsten aber abstrakten Erörterung verschiedener Offenbarungsdienste. So agiert er zuvorderst auf einer logischen Argumentationsebene. Redeschmuck ist nach wie vor vorhanden, tritt neben dem dreifachen a fortiori-Schluss jedoch in den Hintergrund. Weil der Mosedienst δόξα hatte (D), hat auch der Paulusdienst δόξα (K) entsprechend der Schlussregel a minore ad maius. Am eindringlichsten und ausführlichsten ist der erste der drei Schlüsse 3,7 f. formuliert. Er hat die Form einer rhetorischen Vgl. Robbins 2009, 501. Vgl. Robbins 2009, 417; Mittmann 2020, 43–47. 641 Vgl. Robbins 2009, 419 f. 639 640

4.4 Gedankliche Kartierung

447

Frage und forciert mit οὐχί eine positive Antwort.642 3,9 und 3,11 nehmen Aspekte der Paraphrase in 3,7 amplifizierend auf. Indem sie jeweils weitere a fortiori-Schlüsse auf ihnen aufbauen, stützen sie den in 3,7 f. formulierten Gedanken (angezeigt jeweils mit γάρ). Ferner stärkt die Aussage 3,10 den zweiten a fortiori-Schluss, 3,9, indem sie seine Prämisse, den starken δόξα-Besitz des Mosedienstes, stützt. Gerade sie ist rhetorisch wieder ausgefeilter gestaltet. Bei all dem wird das Rednerethos bereits durch die bloße Tatsache der Schriftauslegung gestärkt. Zum einen tritt die Schrift als Zeuge hinzu, zum anderen demonstriert die Paulusgruppe ihre Schriftkundigkeit. Dies gilt umso mehr gegenüber jenen Hörern, die selbst zu einem hohen Grade mit dem Text von Ex 34,29–34 vertraut sind und so auch die weniger deutlich markierten Bezüge in 3,10 erkennen. Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Die argumentative Grundbewegung des Abschnittes ist wirklichkeitsbezogen. Zum einen baut er auf die Verlässlichkeit und das Ansehen der Schrift. Zum anderen ist sein Grundmuster der Schluss a fortiori. Dabei ist das Wissen um den δόξα-Besitz des Mosedienstes wie auch um seine negative Wirkung der Ausgangspunkt des Arguments und scheint für die Hörerschaft vorausgesetzt zu werden. Aufschlussreich ist es, gängige Auslegungen des Abschnitts unter den Geltungsbedingungen dieses Argumentationsmusters zu hinterfragen. Wenn der Dienst des Geistes den Mosedienst auch überbietet, verbietet das Schlussmuster a fortiori doch eine Abqualifizierung des Mosedienstes. Das Mosebild des Textes ist das eines göttlich legitimierten Offenbarungsmittlers und damit grundsätzlich positiv. Die Differenz zwischen Mose- und Paulusdienst besteht nicht etwa in einem Unterschied ihrer δόξα, sondern in ihren Attributen und Folgen. b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang Im Vergleich zu den vorangegangenen Abschnitten beruhigen der Ebenenwechsel und die Berufung auf die Schrift als externen und vertrauenswürdigen Zeugen den Ton der Argumentation noch weiter. Den Dienst des neuen Bundes unter Absehen von der Paulusgruppe, dafür aber unter Berufung auf eine anerkannte Autorität zu diskutieren, ermöglicht auch beharrlichen Kritikern die gedankliche und zustimmende Teilnahme an der Argumentation, da nun ein objektiver Zeuge und rationale Schlüsse an die Stelle subjektiver Erfahrung und emotionsorientierter Argumentation treten. Wenn der Offenbarungsdienst des Mose auch erst in 3,7 deutlich angesprochen wird, sind seine beiden angeführten Attribute im Text doch schon thematisiert worden. Zum einen ist er διακονία τοῦ θανάτου, zum anderen ἐν γράμμασιν ἐντετυπωμένη λίθοις. Letztere Formulierung knüpft an 3,3 an, wo die Rede da642

Vgl. BDR 427; 4322.

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von ist, dass Briefe, die mit dem Geist des lebendigen Gottes geschrieben wurden, entweder auf steinernen Tafeln oder auf Tafeln lebendiger Herzen verfasst sein können. Damit ist sowohl die Würde des Mosedienstes festgehalten (seine Tafeln sind durch den göttlichen Geist beschrieben643) wie auch die Differenz zum Dienst des neuen Bundes (erst in ihm beschreibt der göttliche Geist menschliche Herzen). Aus diesen Überlegungen erschließt sich unmittelbar der Wirkunterschied der δόξα. Sie eignet dem Mosedienst zwar im Inhalt seiner Verkündigung und auf dem Gesicht des Mose, doch sind die Objekte seines Dienstes nicht durch den Geist dazu bereitet, sie auch zu empfangen. Anders steht es unter den Bedingungen der mit dem neuen Bund einhergehenden Herzensveränderung. Es liegt demnach nahe, dass das γράμμα nicht durch eine ihm innewohnende negative Kraft, sondern nur mangels der positiven Kraft des lebenschaffenden πνεῦμα tötet. In Bezug auf die Ablehnung konventioneller Empfehlungsbriefe ist damit noch einmal die Sinnlosigkeit äußerlicher Beglaubigungszeichen erwiesen und betont, dass das in 3,2 f. angeführte Argument der Sache als einziges angemessen ist. Es bedarf bei all dem keineswegs der Hypothese, Paulus verwahre sich gegen Vorwürfe oder reagiere auf eine Vereinnahmung des Mose, um zu erklären, warum der Text auf Ex 34,29–34 zu sprechen kommt.644 Die Vorstellung des Mosedienstes als eines Verkündigungsdienstes, der infolge einer defizitären Aufnahmefähigkeit seiner Objekte und trotz seiner göttlichen Legitimation zum Tod führt, resoniert mit der Vorstellung vom doppelten Ausgang des Paulusdienstes in 2,15b–16b. Sofern der Geist Gottes nicht wirkt, wird auch der Paulusdienst gleich dem in 3,7–11 beschriebenen Mosedienst zum Tode führen. Hiermit ist unterschwellig der gedankliche Transfer der Überlegungen zum Dienst des neuen Bundes auf den konkreten Konfliktfall getan. Abermals wird die Hörerschaft in eine Entscheidungssituation gebracht, die durch ihr Selbstbild vorherbestimmt ist. Der Textlogik nach müssen sie den Dienst der Paulusgruppe positiv beurteilen, sofern der Geist Gottes an ihnen gewirkt hat. In der Tat ist die Anerkennung, dass Gottes Geist im Dienst des neuen Bundes wirkt, die zweite Prämisse, auf der der Schluss a fortiori beruht. Dass dem im Falle des Paulus und seiner Mitarbeiter so ist, gilt dem Text durch die vorangegangenen Abschnitte als erwiesen. Im Stichwort δόξα und seiner Bedeutungsbreite fließen die Überlegungen zur göttlichen Gegenwart und transformativen Kraft des Offenbarungsdienstes und zum Ansehen der Paulusgruppe zusammen. 4.4.6 3,12–18 Nachdem der Abschnitt 3,7–11 insgesamt auf die Kontinuität zwischen Mose- und Paulusdienst abstellte, nimmt der Abschnitt 3,12–18 die Differenz genauer in den 643 Vgl. auch die biblische Tradition, dass der Finger Gottes die Sinaitafeln beschrieben hat (s. o. S. 291). 644 So bspw. Thrall 1994, 246–248.

4.4 Gedankliche Kartierung

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Blick, die auf die jeweilige Grundkonfiguration der Dienste zurückzuführen ist. Mose und Paulus gehen in ihrer Rolle als Offenbarungsmittler unterschiedlich vor. Der Erkenntnisgewinn aus den vorangehenden Versen ist dabei freilich vorausgesetzt: Da beide Dienste Anteil an der göttlichen δόξα haben, wirkt Gott selbst in ihnen. Demnach führen Mose und Paulus gleichermaßen einen göttlich legitimierten Verkündigungsdienst aus. Der Abschnitt 3,12–18 läuft auf die Spitzenaussage 3,18 zu, im Bereich des Paulusdienstes könnten die Gläubigen den Herrlichkeitsglanz ungehindert schauen und würden durch ihn verwandelt. Folglich muss Paulus in diesem Abschnitt erklären, inwiefern die Gläubigen durch seinen Dienst Gottes δόξα ungehindert begegnen können, wohingegen die Israeliten es nicht konnten, so dass der eine Dienst scheitert, der andere hingegen wirksam wird. Der gedankliche Bogen des Textabschnittes spannt sich von der Offenheit, mit der die Paulusgruppe ihren Verkündigungsdienst ausübt, bis zur Schau der Herrlichkeit auf dem Gesicht Christi, die dieser Dienst möglich macht. Beachtet man die Untergliederung des Abschnittes in die Untersegmente 3,12–13a; 3,13b–14a; 3,14b–15b, sodann an 3,15 anschließend 3,16–17 und schließlich 3,18, entfaltet sich dieser Gedankengang in fünf Schritten. 4.4.6.1 3,12–13a: Die Hoffnung und παρρησία der Paulusgruppe Nachdem Paulus in 3,7–11 das Wesen des Verkündigungsdienstes unter den Bedingungen des Neuen Bundes vergleichsweise abstrakt charakterisiert hatte, kehrt er in 3,12 zur konkreten Situation zurück und markiert einen gedanklichen Neueinsatz. Die Formulierung „da wir nun diese Hoffnung haben“ setzt die Verkündigungsgruppe wieder direkt ins Bild und knüpft an die vorangegangenen Ausführungen an. Nicht nur bezieht Paulus sich ausdrücklich auf das Gesagte, οὖν setzt regelmäßig auch das Ergebnis eines vorangegangenen Gedankenganges voraus, um von diesem Ausgangspunkt aus einen neuen Gedanken zu entwickeln.645 Als Gegenstand der Hoffnung kommen mehrere Größen in Frage, der bloße δόξα-Besitz kann es aber kaum sein. Zwar kann ἐλπίς durchaus große Gewissheit ausdrücken, so dass das Argument, der δόξα-Besitz könne nicht Gegenstand der Hoffnung sein, da er ja durch ein Schlussverfahren erwiesen wurde, fehlgeht.646 Jedoch wäre damit die Differenz zu Mose nicht hinreichend markiert, die 3,12 f. voraussetzt. Die Hoffnung, die Paulus hat, begründet sein Vorgehen im Verkündigungsdienst, in dem er sich von Mose unterscheidet. Deshalb liegt es näher, die besondere Wirkweise der δόξα als Gegenstand der Hoffnung zu begreifen, die den Paulusdienst zu einem bleibenden Dienst macht, der Gerechtigkeit mit sich bringt,

645 646

Vgl. zu dieser Stelle van Unnik 1963, 158 f. Gegen Schmeller 2010, 211. Vgl. den Verweis auf Röm 5,2–5 in van Unnik 1963, 159, Anm. 2.

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im Gegensatz zur Wirkweise der δόξα im Mosedienst. Genaueres lässt sich infolge der unscharfen Formulierung kaum sagen.647 Es ergibt sich so (K): „Wir gehen mit Freimut vor“ mit (D): „Unser Dienst vermittelt die δόξα, so dass er Leben schenkt, von Gerechtigkeit bestimmt ist und vor allem wirksam bleibt.“ Die implizite Schlussregel nimmt auch hier die Effektivität des Dienstes zum Ausgangspunkt und verknüpft Offenheit und wirksamen Dienst miteinander. Zugleich geht der Gedanke 3,12–13a über das zuvor Gesagte hinaus. Waren Moseund Paulusdienst durch den Besitz der δόξα in 3,7–11 trotz ihres unterschiedlichen Ausgangs betont miteinander verbunden, so betont Paulus nun den Gegensatz zwischen dem eigenen Vorgehen im Verkündigungsdienst und dem des Mose. Der gesamte Abschnitt 3,12–18 steht unter dem Eindruck dieses scharf benannten Gegensatzes, wodurch das Augenmerk wieder fort von der Paulusgruppe und hin zu Mose gelenkt wird. Diese neue, dissoziative Linie, die Paulus von Mose trennt, lässt erwarten, dass hier die Ursachen des Gegensatzes expliziert werden, die zuvor implizit geblieben waren. Eine solche Gegenüberstellung leuchtet als Auftakt für den Abschnitt 3,12–18 ein. Inwiefern der Mosedienst in seiner Wirksamkeit gehindert wurde, ließ sich aus 3,7–11 erschließen. Das Proprium des Paulusdienstes wird in diesem Abschnitt hingegen wiederholt thematisiert, wenn die Dissoziation von Mose mit der betonten Assoziation mit Christus einhergeht. παρρησία nimmt Paulus auch an anderen Orten für sich in Anspruch, ohne jedoch auszuführen, was dieser Begriff im Detail bedeutet (2 Kor 7,4; Phlm 8; ferner Phil 1,20). Aufschlussreich ist der Sprachgebrauch bei Lukas. Dieser beschreibt die Missionspredigt regelmäßig als in παρρησία geschehend oder mit dem entsprechenden Verb παρρησιάζομαι. Grundsätzlich gilt dies für alle Verkündiger, in besonderer Weise aber für Paulus, der ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ Ἰησου/τοῦ κυρίου freimütig spricht (vgl. Apg 9,27 f.; ferner 13,46; 14,3; 19,8; 26,26; 28,31).648 Dabei gilt Lukas die παρρησία wohl grundsätzlich als eine Gabe Gottes und Wirken des göttlichen Geistes (vgl. Apg 4,29). Ohne dass dies in 2 Kor 3,12 oder andernorts im Corpus Paulinum derart ausgesprochen wäre, liegt eine solche inhaltliche Füllung des Begriffs doch ganz auf der Linie des Textes. Zumindest ein παρρησιάζομαι ἐν τῷ θεῷ kennt auch Paulus selbst (vgl. 1 Thess 2,2).649 Der Sprachgebrauch bei Lukas hilft auch in anderer Hinsicht, den Gebrauch des Begriffs an dieser Stelle gedanklich einzuordnen. Wenn Lukas Paulus „Worte der Wahrheit und Besonnenheit“ (Apg 26,25: ἀληθείας καὶ σωφροσύνης ῥήματα) mit 647 Durch die herausgehobene Schlussstellung von τὸ μένον in 3,11 ließe sich spekulieren, ob die Hoffnung vor allem auf die bleibende Geltung des Paulusdienstes zielt (so u. a. Schmeller 2010, 211; Schröter 1993, 101, und gewissermaßen schon Windisch 1924, 118). Da die positiven Attribute des Paulusdienstes sich jedoch gegenseitig bedingen, ist der Bedeutungsunterschied marginal. 648 Hierzu, zur fehlenden Anwendung auf Jesus und im Folgenden vgl. Becker 2020, 112–120. 649 Becker 2020, 117, Anm. 226, verweist ferner auf Eph 6,19 f. und vermutet hinter der Rückführung der παρρησία auf Gott Texte wie Lev 26,13 LXX und Prov 1,20 f. LXX.

4.4 Gedankliche Kartierung

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seinem freimütigen Sprechen gleichsetzt (Apg 26,26: παρρησιαζόμενος λαλῶ), bedient er einen in der paganen Umwelt geläufigen Gedanken.650 Als repräsentatives Beispiel mag Dion von Prusa gelten, für den παρρησία stets ἀλήθεια konnotiert, da sie das ungeschminkte Sprechen der Wahrheit ohne Schmeichelei oder Täuschung bedeutet.651 παρρησία hat, wer den Inhalt seiner Rede nicht daran ausrichtet, ob sie ihm Schwierigkeiten bringen oder Vorteile verschaffen könnte. παρρησία und ἐλευθερία begegnen bei ihm als Begriffspaar.652 So verstanden setzt die Rede von παρρησία in 3,12 sowohl die in 2,17 aufgenommene Linie der Abgrenzung gegen andere Verkündiger fort, wie sie die Rede von der Freiheit im Kyrios (3,17) vorbereitet. 4.4.6.2 3,13b–14a: Die Verhüllung des Mose und Verstockung Israels Schärfer umrissen wird der Gegensatz zwischen Mose und der Paulusgruppe ab 3,13b. Während die Paulusgruppe ihren Dienst voller Freimut ausübe (πολλῇ παρρησίᾳ), habe Mose sein Gesicht verhüllt (ἐτίθει κάλυμμα ἐπὶ τὸ πρόσωπον αὐτοῦ).653 Die Aussage ist direkt Ex 34 entlehnt.654 Bemerkenswert ist zum einen, dass Paulus die Selbstverhüllung des Mose dem Kontext nach in einen direkten Zusammenhang mit der Hemmung des mosaischen Dienstes bringt, zum andern, dass Paulus über den überlieferten Exodustext hinausgeht, indem er einen Grund für diese Verhüllung anführt. Nur: Worin dieser besteht, ist sprachlich keineswegs eindeutig festzustellen. Das einleitende πρὸς τό + Inf. kann grundsätzlich zwar mit „sodass“ konsekutiv übersetzt werden, im Vergleich zur sonstigen Verwendung bei Paulus liegt jedoch eine finale Übersetzung „damit“ näher.655 Auch im Zusammenhang spricht einiges für diese Lesart, fokussiert sie doch auf den Grund der Verhüllung und bildet somit das Gegenstück zur paulinischen Hoffnung als Grund seines 650 Ich danke Matthias Becker für diesen Hinweis und alle hier angeführten Hinweise auf den Gebrauch von παρρησία bei Dion und Lukas. 651 Vgl. Dion. Chrys. 3,2 für die Gegenüberstellung von Freimut und Wahrheit mit Schmeichelei und Täuschung (θωπεία καὶ ἀπάτη) und ferner Dion. Chrys. 77/78,37.45. 652 Vgl. Dion. Chrys. 77/78,37.45. 653 Land 2015, 124–129, entwickelt eine ganz eigenständige Deutung, indem er 3,13 übersetzt: „And it’s not like Moses was in the habit of putting a veil over his face in order to stop the Israelites from gazing intently at the end of what is no longer in force […]. Rather […], their minds were made imperceptive“ (Land 2015, 126). Um diese Deutung durchzuhalten, muss er den Israeliten jedoch die Schuld anlasten, sich mutwillig und vorzeitig von Mose und seiner Gesetzesverkündigung abgewandt zu haben. Darauf deutet im Text selbst nichts hin. 654 Die von van Unnik 1963, 160–162, vorgeschlagene und von McNamara 1966, 175–177, weitergedachte Ableitung von παρρησίᾳ als aramäisches Lehnwort, das ein unverhülltes Haupt beschreibt, ist reizvoll aber für das Textverständnis nicht notwendig. Der Gegensatz zwischen Offenheit und Verhüllung ist evident (ähnlich urteilt Schmeller 2010, 212, Anm. 248). Von daher bezieht sich die παρρησίᾳ des Paulus auch in erster Linie auf sein Verhalten im Gegenüber zu den Empfängern seiner Verkündigung, nicht im Gegenüber zu Gott (vgl. Schröter 1993, 103), und hebt sich so von πεποίθησις (3,4) ab. 655 Vgl. BDR § 402,4 und die Verwendung in 1 Thess 2,9. Hofius 1989, 103, zeigt mit einer Fülle von Beispielen, dass Paulus eine Folge regelmäßig mit ὥστε + Inf. ausdrückt.

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Freimuts. Die in vielerlei Hinsicht ambivalente Angabe „damit die Israeliten nicht fest in das τέλος dessen blicken, was außer Kraft gesetzt ist“ (πρὸς τὸ μὴ ἀτενίσαι τοὺς υἱοὺς Ἰσραὴλ εἰς τὸ τέλος τοῦ καταργουμένου), bereitet exegetische Schwierigkeiten. Nicht nur ist die Übersetzung von τέλος grundsätzlich umstritten, auch entziehen sich die Bezugsgröße des Partizips τοῦ καταργουμένου und der Gehalt des „Nicht sehen“-Sollens einer geradlinigen Deutung. Die gängigen Erklärungsmodelle bleiben unbefriedigend. Eine in der Bildwelt völlig stringente Deutung lässt sich nur unter der Prämisse finden, der Herrlichkeitsglanz auf dem Gesicht des Mose sei verblasst und die Decke habe die Israeliten davon abgehalten, dies wahrzunehmen. τέλος wäre dann mit „Ende“ zu übersetzen und bezeichnete das Aufhören des Glanzes auf dem Gesicht des Mose.656 Diese Erklärung ist jedoch nicht haltbar. Wie bereits dargestellt wurde, ist die Übersetzung von καταργέω mit „verblassen“ weder sachgemäß, noch ist eine solche Vorstellung in zeitgenössischen Quellen belegt. Von einem wie auch immer gearteten „Aufhören“ des Glanzes zu Moses Lebzeiten ist nicht auszugehen.657 Zudem führt diese Deutung zusammen mit der finalen Übersetzung von πρὸς τό entweder zu Hilfskonstruktionen,658 oder aber Mose möchte die Israeliten bewusst über seinen tatsächlichen Zustand täuschen.659 Die damit einhergehende Degradierung Moses zum Trickbetrüger, dessen Taten „der Erhaltung seines Ansehens dienen“660, stünde aber in scharfem Kontrast zur grundsätzlichen Wertschätzung, die er anderswo bei Paulus erfährt.661 Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass τοῦ καταργουμένου sich als Neutrum nicht direkt auf die feminine δόξα beziehen kann, sondern im Anschluss an 3,11 den gesamten Mosedienst meinen müsste.662 Nach dieser Alternative bezeichnet τέλος das mit Christus gekommene Ende des Mosedienstes. In diesem Falle bliebe jedoch erklärungsbedürftig, wie die Israeliten am Sinai dieses Ende hätten „anblicken“ können und inwiefern eine Decke auf dem Gesicht des Mose sie daran gehindert hätte. Schließlich gibt es verschiedene Vorschläge, τέλος nicht zeitlich, sondern final zu übersetzen. In verschiedenen Schattierungen laufen diese zumeist darauf hinaus, dass das wahre Ziel, der Zweck bzw. die Vollendung des mosaischen Dienstes den Israeliten verborgen bleibt, nämlich Christus. „Was die Israeliten nicht sehen sollen, ist, dass der Mosedienst (und der alte Bund) nur 656 So oder ähnlich lesen bspw. Windisch 1924, 119 f.; Lietzmann 1949, 112; Belleville 1991, 200– 203; Back 2002, 112 f. u. v. a. Mit einer ganz eigenen Deutung spricht sich Duff 2015, 179, für die Übersetzung „Ende“ aus. 657 Das gilt auch, wenn Belleville 1991, 63–76, spätere entsprechende Traditionen nachweist. 658 Vgl. Lindemann 1999, 51, mit Anm. 50, oder exemplarisch für den englischen Sprachraum Matera 2003, 92. 659 So vor allem Theißen 1983, 133 f., aber im Grunde schon Windisch 1924, 119, u. v. a. in seinem Gefolge. 660 Windisch 1924, 119. 661 Vgl. v. a. die Mose-Christus-Parallele 1 Kor 10,2, aber auch 2 Kor 3,7–11 in der hier vertretenen Deutung. 662 Vgl. Koch 1986, 334.

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eine Interims- oder Verweisfunktion besitzen, weil sie auf das Christusereignis hin ausgerichtet sind und in diesem erfüllt, d. h. auch: beendet werden.“663 Für diese Deutung spricht neben der möglichen Parallelstelle Röm  10,4 auch das Zeugnis der Kirchenväter, die die Aussage einhellig auf Christus hin auslegen.664 Fraglich bleibt das Motiv hinter der Verhüllung. Die Aussage, die Israeliten sollten das Ziel des Mosedienstes nicht erkennen, verschiebt das Problem lediglich und führt zur Folgefrage, warum sie dies nicht tun sollten.665 Zudem entbindet dieser Vorschlag nicht von der Schwierigkeit, den sachlichen Gehalt auf das Bild der Sinaiszene anzuwenden: Wie hätten die Israeliten Christus bzw. die Vorläufigkeit des Dienstes auf dem Gesicht des Mose erkennen sollen und wie hätte eine Decke dies verhindert?666 Allen angeführten Deutungen steht zudem die Verhärtungsaussage 3,14a entgegen, die mit einleitendem ἀλλά entweder einen Gegensatz oder zumindest einen neuen Aspekt benennt, nicht aber einen Gedanken aus 3,13 nahtlos fortführt. Nimmt man zudem unbeirrt von der traditionellen Verseinteilung eine Parallele im Aufbau von 13–14a/14b–15b an, entspricht die πρὸς τό-Aussage nicht der Verstockungsaussage 3,14a, sondern 3,14c.d. Jegliche Überlegung, die in 3,13b nur die Verstockungsaussage 3,14a vorweggenommen sehen will, scheidet damit aus. Ein weiterführender Deutungsvorschlag ist jeweils eigenständig von Scott Hafemann und David A. Renwick vorgebracht worden. Paulus bezeichne mit τέλος den Ausgang des Mosedienstes, von dem er schon in 3,7.9 gesprochen hatte: Tod und Verurteilung.667 Hafemann denkt eher vom Exodustext her und nimmt an, dass Paulus die Bundesbrucherzählung voraussetzt. Demnach würde Gottes Gegenwart die Israeliten vernichten, würde die Decke sie nicht davor bewahren.668 Ex 33,3 formuliert prägnant: „Ich werde nicht mit dir hinaufziehen, denn du bist ein halsstarriges Volk, damit ich dich nicht auf dem Weg verzehre“ (οὐ γὰρ μὴ συναναβῶ μετὰ σοῦ διὰ τὸ λαὸν σκληροτράχηλόν σε εἶναι ἵνα μὴ ἐξαναλώσω σε ἐν τῇ ὁδῷ).669 Renwick nimmt stärker den paulinischen Text zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Schon 3,7–11 brächten θάνατος, καταργέω und κατάκρισις in einen engen Zusammenhang und auch darüber hinaus sei Paulus die Rede von Tod und Vernichtung als τέλος nicht unbekannt.670 In der Sache stimmen beide überein. Der denkbare Einwand, Hafemanns Vorschlag sei zu voraussetzungsreich, indem er Schmeller 2010, 214. Vgl. Hays 1989, 137 f. 665 Vgl. Renwick 1991, 139. 666 Vgl. Plummer 1915, 96 f. Diesen Einwand heben auch die Überlegungen bei Hays 1989, 139 f., nicht auf. 667 Vgl. Hafemann 1992, 41–43; Renwick 1991, 140–144; Hafemann 1995, 357–360. Für eine entsprechende Verwendung von τέλος bei Paulus verweist letzterer auf Röm 6,21 f.; 2 Kor 11,15; Phil 3,19. 668 Vgl. Hafemann 1995, 204–211, und dort insb. den Verweis auf Moses Fürbitte, das Volk nach dem Bundesbruch zu verschonen. 669 Vgl. ferner Hafemann 1995, 279 f., mit Verweis auf Ex 32,9 f.22; 33,5; 34,9. 670 Vgl. Renwick 1991, 140 f., unter Verweis auf Phil 3,19 und Röm 6,21–22. 663 664

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verschiedene Details der Sinaierzählung in den Text einträgt, greift nicht. Denn die Position lässt sich modifiziert aufnehmen, auch ohne den Exodustext in dem Maße vorauszusetzen, wie Hafemann und teils auch Renwick es tun.671 Weder die Bundesbrucherzählung noch Gottes Klage über die Halsstarrigkeit der Israeliten müssen vorausgesetzt werden, so gut sie auch zum Fortgang in 3,14 zu passen scheinen. Schließlich erwidert Gott auf die Bitte Moses hin, ihm seine δόξα zu zeigen, kategorisch, kein Mensch könne sein Angesicht sehen und leben (οὐ γὰρ μὴ ἴδῃ ἄνθρωπος τὸ πρόσωπόν μου καὶ ζήσεται Ex 33,20). Die Vorstellung, dass ein solch unmittelbarer Kontakt zu Gott verheerend wirkt, ist jedoch nicht auf die Exodustradition beschränkt. Auch andere biblische Texte schreiben der unmittelbaren Schau Gottes potentiell vernichtende Kraft zu.672 Überdies stellen das Alte Testament wie auch die Literatur des zweiten Tempels mehrfach einen expliziten Zusammenhang von δόξα/‫ ָּכבֹוד‬und Gericht her.673 Die Kenntnis eines entsprechenden Konzeptes ist also nicht abhängig von der Kenntnis der Sinaierzählung. Umgekehrt lässt sich der Ansatz jedoch gut mit dem hier vertretenen δόξα-Begriff verbinden und kann so Beobachtungen erklären, die andere Deutungsvorschläge unberücksichtigt lassen. Zum einen zitiert die Formulierung μὴ ἀτενίσαι τοὺς υἱοὺς Ἰσραὴλ εἰς die erklärende Bemerkung aus 3,7, die Israeliten hätten nicht aufmerksam in das herrlichkeitsglänzende Gesicht des Mose blicken können. Da jedoch schon 3,7 vom Unvermögen der Israeliten spricht, Mose anzublicken, stellt sich im Vergleich beider Verse die Frage, wozu es der Decke bedarf. Offenbar geht ihre Funktion nicht darin auf, den Blick auf Mose zu unterbinden.674 Schließlich muss die Aussage von 3,13 in der mit ἀλλά angeschlossenen Verstockungsaussage von 3,14 eine sinnvolle Fortsetzung finden. „Die Verstockung wird in V14 zwar nicht als Folge der Maßnahme des Mose dargestellt, aber der inhaltliche Zusammenhang zwischen beiden Aussagen ist offenkundig.“675 Verbindet man die Vorstellung einer wirksamen δόξα, die ihren Betrachter im Rahmen eines funktionalen Offenbarungsdienstes ansteckt und verwandelt, mit der Vorstellung von δόξα als potentiell tödlicher Gottesgegenwart, ergibt sich eine plausible Erklärung für die Selbstverhüllung des Mose. Der Aussage 3,7 zufolge, sind die Israeliten vom Glanz der göttlichen Herrlichkeit geblendet. Sie nehmen ihn durchaus wahr, können seinen Ort, das Gesicht des Mose, jedoch nicht mehr fest ansehen. Demnach bleiben die Israeliten dem Herrlichkeitsglanz zunächst ausVgl. dazu Schmeller 2010, 202 f., unter Rückgriff auf Baker 2000, 9. Vgl. nur Ri 13,22; Jes 6,5. 673 Duff 2015, 162–170, zeigt diesen Zusammenhang detailliert auf. Bezeichnenderweise beschreiben die angeführten Beispiele ein universales Weltgericht oder aber das Gericht bleibt auf die Heidenvölker beschränkt. 674 Anders Hafemann 1995, 311, der die Decke aus 3,13 unter der Hand schon in 3,7 einträgt. Dies lässt jedoch unberücksichtigt, dass der Gedankengang der Exoduserzählung linear folgt. Ihn nachzuvollziehen würde dann tatsächlich eine gründliche Kenntnis des Bezugstexts erfordern. 675 Koch 1986, 334. 671 672

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gesetzt, ohne dass dieser aber seine verwandelnde Kraft an ihnen entfalten kann. In dieser Situation bedeckt Mose sein Gesicht, damit die Israeliten nicht länger εἰς τὸ τέλος seines herrlichkeitsglänzenden und darin doch nicht wirksam werdenden Gesichtes (τοῦ καταργουμένου) blicken müssen.676 Angewendet auf die δόξα des Mosegesichtes, deren Intensität Paulus mehrfach betont, lässt sich τὸ τέλος τοῦ καταργουμένου als die „Äußerste, höchste Stufe“ dieses Herrlichkeitsglanzes auffassen, sein „Höchstmaß“,677 das die Israeliten versuchen, direkt anzusehen, ohne dies zu vermögen. Vor dem Hintergrund der von Renwick und Hafemann angeführten Traditionen bedeutet der Kontakt mit diesem Höchstmaß der δόξα jedoch zugleich die Vernichtung der Betrachtenden. Aus dieser Warte wird die Verhüllung des Mose als Schutzmaßnahme verständlich, die die Israeliten vor einer solchen Vernichtung bewahrt. Diese Vorstellung harmoniert mit der Beschreibung des mosaischen Dienstes in 3,7.9, der gerade als ein Dienst, der in intensivem Herrlichkeitsglanz geschieht, zu Tod und Verurteilung führt. Freilich ist der Schutz vor der Verurteilung um den Preis der Verhärtung erkauft, von der 3,14a spricht. Selbst in dem Falle, dass die Israeliten in die Lage versetzt werden sollten, die göttliche δόξα zu ertragen – auf welche Weise dies geschehen kann, will heißen, wodurch sich der Dienst des Paulus von dem des Mose unterscheidet, ist bis hierher noch nicht klar formuliert worden –, hätte die Decke die Trennung von ihr verstetigt. Der Schutz vor der negativen Wirkung ungeschützter δόξα-Begegnung verhindert auch ihren positiven Effekt. So bleibt der mosaische Verkündigungsdienst den Israeliten zwar gegenwärtig, er bewirkt jedoch keine umfassende, verwandelnde Gottesbegegnung. Entgegen der mittlerweile eingebürgerten Mehrheitsmeinung, ἀλλά führe in 3,14 in einer eher seltenen Verwendungsweise keinen Gegensatz, sondern einen neuen Aspekt ein und sei mit „ja sogar“ zu übersetzen,678 ist die konventionelle Überset676 Mit Recht weist Hafemann 1992, 41, auf die Textvariante τὸ πρόσωπον τοῦ καταργουμένου hin, die beredtes Zeugnis von der Doppeldeutigkeit des Partizip Neutrum τοῦ καταργουμένου ablegt. Bezugsgröße kann grundsätzlich ebenso der Dienst als Ganzes (vgl. 3,11) wie das herrlichkeitsglänzende Gesicht des Mose sein (3,7). Da die δόξα auf dem Gesicht des Mose jedoch als Wirkprinzip des Offenbarungsdienstes zu verstehen ist, kann der sachliche Unterschied vernachlässigt werden. 677 Auch wenn sie selbst sich von Hafemanns Vorschlag abgrenzen möchte, weisen die Überlegungen bei Gruber 1998, 231 f., letztlich in diese Richtung. Sie übersetzt τέλος mit „Höhepunkt“ und führt eine Fülle von Belegen „für τέλος im Sinn von Höhepunkt, Vollendung, das Äußerste, höchste Stufe oder Grad“ an, etwa „extremum, tum ultimum, tum summum“ (Cic. fin. 3,26); „Gipfel“ (Spec. 2,236; Ebr. 218); „Höchstmaß“ (Spec. 1,345; Cher. 86) oder „Krone“ (Spec. 3,125). Sie folgert: „Die Stärke des Glanzes wird mit τέλος bezeichnet“ und diese Stärke werde durch die Notwendigkeit der Hülle unterstrichen. Im Lichte der Traditionen um die Gefahr, die von der Göttlichen δόξα ausgeht und der Unmöglichkeit, sie bzw. Gott unbeschadet anzuschauen, ist es aber ja gerade diese Stärke, die der δόξα ihren bedrohlichen Charakter gibt. Erfrischend aber nicht überzeugend ist schließlich der Vorschlag, τέλος bezeichne schlichtweg das Gesicht des Mose als „Endpunkt“ des Herrlichkeitsglanzes, den Baker 2000, 13 f., anhand von 1 Kor 13,12 plausibilisieren möchte. 678 Vgl. Schmeller 2010, 251.

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zung mit „sondern“ bzw. „vielmehr“ problemlos möglich, wenn man ἀλλά auf den Finalsatz bezieht.679 Durch die Selbstverhüllung des Mose fielen die Israeliten nicht dem Tod und der Verurteilung anheim. Stattdessen wurden ihre Sinne verhüllt. Eine solche Übersetzung trägt sowohl der sachlichen Übereinstimmung von Verhüllung und Verhärtung Rechnung, wie sie auch herausstreicht, dass das Unverständnis der Israeliten die Kehrseite ihrer Verschonung ist.680 Insgesamt nimmt Paulus im Textsegment 3,13b–14a eines der Kernmotive seines Briefes auf: das Unverständnis der Verkündigung gegenüber.681 Er entfaltet, wie ein solches Unverständnis mit einem defizienten Dienst zusammenhängt. Zugleich baut er eine Kontrastfolie zum Bereich des eigenen Dienstes auf. Während Christus dort durch den göttlichen Geist am Herzen wirkt (3,3), sind die Sinne der Israeliten verstockt.682 4.4.6.3 3,14b–15b: Fortschreibung in die Gegenwart Der zuvor geschilderte Sachverhalt wird in 3,14b–15b von der historischen Situation am Sinai gelöst und in die Gegenwart fortgeschrieben. Wie 3,14 ausführt, dauert der Zustand der Verstockung noch immer an, und zwar insofern, als „dieselbe Decke“ (τὸ αὐτὸ κάλυμμα) bei der Verlesung des „alten Bundes“ wirksam bleibt (ἐπὶ τῇ ἀναγνώσει τῆς παλαιᾶς διαθήκης μένει). Entsprechend der traditionellen Verseinteilung werden 3,14a und 3,14b für gewöhnlich zusammen gelesen. Tatsächlich leistet aber erst die Formulierung „bis zum heutigen Tage“ (ἄχρι τῆς σήμερον ἡμέρας) den zeitlichen Transfer ins Heute der Hörerschaft. Während die Selbstverhüllung des Mose und ihre Folgen für die Israeliten in 3,13 bis einschließlich 3,14a als Ereignis der Vergangenheit geschildert werden, aktualisiert das Segment 3,14b–15b diesen Vorgang für die Gegenwart der Adressaten. Wie Paulus diese aktualisierende Wendung mit γάρ anschließt, ist aufschlussreich. Da der Zustand der Israeliten in der Gegenwart kaum das Ergehen der Israeliten zu Moses Zeiten erklären kann, muss es sich um explizierendes, nicht begründendes γάρ handeln.683 So kehrt sich das heuristische Verhältnis aber gerade um: Das Unverständnis der Israeliten in seiner Gegenwart führt Paulus zu dem Schluss, dass ihre Sinne verstockt sind. Die Ursache dessen findet er in der Selbstverhüllung des Mose, deren Folgen bis heute andauern. 679 Ähnlich urteilt Wolff 1989, 72.74, für diese Stelle wie auch für 3,15. Belleville 1991, 217–225, schlägt eine weitere Deutung vor: Die Israeliten fuhren fort, das Gesicht des Mose anzuschauen und sich von ihm Offenbarung zu erhoffen, obwohl es verhüllt war. Darin drücke sich ihre Verhärtung aus. So verstanden wird jedoch der Anschluss mit γάρ im folgenden Satz problematisch. 680 So entfällt auch die Notwendigkeit den Satzfluss von 3,12 anders zu deuten, um ἀλλά angemessen übersetzen zu können, wie Hafemann 1995, 338–341, es vorschlägt. 681 Vgl. die „propositio“ 1,12–14 nach Wilk 2011. Vergleichbar äußert sich Matera 2003, 48–50. 682 Auf die sachliche Nähe zwischen καρδία und νόημα wurde bereits hingewiesen (s. o. S. 61). 683 Debanné 2006c, 4, versucht dennoch hier ein Enthymem zu rekonstruieren. Seine Rekonstruktion geht jedoch am Anliegen des unmittelbaren Zusammenhangs vorbei.

4.4 Gedankliche Kartierung

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Offenbar bemüht Paulus hier einen allgemein bekannten Sachverhalt, um die Frage von Verstehen und Nichtverstehen, die schon in 3,14a und zuvor in 3,2 anklang, noch deutlicher in seine Argumentation einzuzeichnen: Indem er die Verkündigungssituation in der Nachfolge des Mose als Verlesung (ἀνάγνωσις) bezeichnet, ruft er das Paar erkennen/lesen (γινώσκω/ἀναγινώσκω) aus 3,2 wieder auf und knüpft letztlich an das aus der propositio 1,13 bekannte Problem an. Da die Hörer der Lesung jedoch durch die Decke gehemmt werden und verstockt sind, führt ihr Lesen nicht zu Erkenntnis bzw. Verständnis. Der Gegensatz zur Sphäre des eigenen Dienstes wird so noch verstärkt. Die Decke wird als Bild für die von ihr ausgehende verständnishemmende Wirkung von verschiedenen Seiten und zu verschiedenen Zeiten betrachtet, bewirkt der Sache nach jedoch immer das Gleiche.684 3,14b betrachtet ihre Funktion in der Verkündigungssituation der Gegenwart mit Blick auf die Position des Offenbarungsmittlers, 3,15 mit Blick auf die Folgen für die Offenbarungsempfänger. Ebenso konnte sich 3,13 auf die Verkündigungssituation des Mose beziehen, in der er die Decke anlegte, was für seine Hörer (3,14a) die Verstockung ihrer Sinne mit sich brachte. Hier wie dort macht die Decke einen ungehinderten Kontakt zum Offenbarungsmittler und mit ihm zur δόξα unmöglich. Dass die Decke in der Situation der Verlesung wirksam bleibt (3,14b), bedeutet, dass sie die Herzen der Israeliten gegen die Wirkmacht der Verkündigung abschirmt (3,15). Bei all dem bleibt die Decke unter den Bedingungen des Mosedienstes zwingende Notwendigkeit. Wenn Paulus die Verkündigungssituation in der Nachfolge des Mose umfassend als die „Verlesung des alten Bundes“ (ἀνάγνωσις τῆς παλαιᾶς διαθήκης) bezeichnet, geschieht dies nicht zufällig. Die Anspielung auf 3,6 ist deutlich. Damit handelt es sich bei der Verlesung der Moseworte aber um einen vom „Buchstaben“ bestimmten Verkündigungsdienst. Da dieser unweigerlich zu Tod und Verurteilung führt, ist die schützende Decke noch immer von Nöten. Der Gegensatz zwischen altem und neuem Bund ist damit keineswegs, wie oft angenommen, die zentrale Achse des Textes, aber er ist als interner Textverweis doch von Bewandtnis. Die auf der Hand liegende Frage, warum die Decke noch immer auf der Verlesung bleiben muss, beantwortet Paulus in 3,14 mit Verweis auf Christus. Sie werde nicht fortgenommen, weil sie (dem Zusammenhang nach: „nur“, bzw. „erst“685) in Christus „außer Kraft gesetzt“ werde (μὴ ἀνακαλυπτόμενον ὅτι ἐν Χριστῷ καταργεῖται). 684 Ähnlich auch Koch 1986, 336, der freilich die Funktionsweise des Dienstes anders bestimmt und den Abschnitt als Abhandlung über das Verstehen der Schrift versteht: „Dabei meint das κάλυμμα auf der παλαιὰ διαθήκη während ihrer Verlesung das gleiche wie das κάλυμμα auf den Herzen der Israeliten bei der Verlesung von ‚Mose‘: die Verhüllung des Sinns der Schrift für die ihrer Verlesung beiwohnenden Israeliten.“ 685 Das Fehlen einer entsprechenden Qualifizierung ist nicht eigentlich ein Problem, „since ἐν Χριστῷ is in an emphatic position which may remove the need for amplification“ (Thrall 1994, 265 f.). Vgl. überdies Wolff 1989, 74, Anm. 122, mit Verweis auf einen womöglich semitisierenden Sprachgebrauch und unter Anführung von Röm 3,28; Gal 2,16 und Gal 5,6.

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Auch die angemessene Übersetzung dieser Formulierung ist eine exegetische Herausforderung. So ist die Referenzgröße von ἀνακαλυπτόμενον auf der rein sprachlichen Ebene nicht eindeutig bestimmbar und das Subjekt von καταργεῖται umstritten.686 Verschiedentlich ist ἀνακαλυπτόμενον als Accusativus absolutus aufgefasst worden, der folglich unpersönlich zu übersetzen wäre: „Es wird nicht aufgedeckt, dass …“ Als Subjekt zu καταργεῖται schiede κάλυμμα dann aus. Es müsste allgemeiner vom „alten Bund“ oder dem Mosedienst die Rede sein. Dass dieser außer Kraft gesetzt wird, bliebe verborgen.687 Diese Übersetzung bringt inhaltliche Schwierigkeiten mit sich. Zumindest wäre erklärungsbedürftig, inwiefern der „alte Bund“ ausgerechnet in Christus außer Kraft gesetzt wird. Zum einen ist Paulus mit guten Gründen so zu verstehen, dass die δόξα ihre transformative Wirkung von Anfang an nicht entfalten konnte, zum anderen wäre zu fragen, ob die Moseverkündigung in Christus nicht vielmehr neue Kraft erlangt. Immerhin gründet Paulus sein Argument in der Mose-Exodus-Tradition und damit in einem Zeugnis des Mosedienstes. Ganz unabhängig vom Inhalt spricht die Abwesenheit dieser grammatischen Konstruktion in den Texten des Neuen Testaments gegen sie.688 Eine entsprechende Übersetzung legt sich aber auch vom Text her nicht nahe, denn ein Subjektwechsel ist im Satz nicht angezeigt und 3,18 konnotiert für ἀνακαλύπτω eindeutig die Decke.689 Näher liegt es demnach, beide Verben auf κάλυμμα zu beziehen: Die Decke wird nicht aufgedeckt, weil sie (erst) in/durch Christus außer Kraft gesetzt wird. Die Frage, wie eine Decke „außer Kraft gesetzt werden“ kann, beantwortet sich, sobald man die gedankliche Bewegung von 3,13 zu 3,14 aufgreift und κάλυμμα als Metonymie für ihre zunächst sichthemmende, dann verständnishemmende Wirkung versteht. Diese wird deshalb außer Kraft gesetzt, weil die Erfahrung der δόξα in Christus wieder bzw. erstmals umfänglich möglich wird. 686 Vgl.  u. a. Belleville 1991, 233–237; Thrall 1994, 263–266; und Schmeller 2010, 216–218 für detailliertere Darstellungen der verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten und Positionen. Zu vernachlässigen ist die von Gruber 1998, 240, vorgeschlagene Übersetzung von ὅτι als qualifizierendes Relativpronomen: die „Hülle […], (sie), die doch in Christus außer Kraft gesetzt wird“. Weder bringt diese Übersetzung einen eigentlichen Erkenntnisgewinn, noch ist sie im Lichte des paulinischen Sprachgebrauchs wahrscheinlich (vgl. dazu auch Schmeller 2010, 217). Kaum noch vertreten wird die ältere Ansicht, μὴ ἀνακαλυπτόμενον sei Prädikatsnomen zu μένει (vgl. Wolff 1989, 73). 687 So lesen bspw. Oliveira 1990, 81, und Back 2002, 117, die sich so gegen einen Subjektwechsel von καταργεῖται verwahrt. Grindheim 2001, 108 f., hält dies für die dem Zusammenhang nach zwingende Übersetzung. 688 Vgl.  BDR § 424. Auch dort, wo BDR die Möglichkeit eines Accusativus absolutus zaghaft andeuten, kommen sie zu überzeugenderen Alternativdeutungen. 689 Vgl. Schmeller 2010, 217. Zwar ist die Verwendungsweise von ἀνακαλύπτω in 3,18 eine andere. Dort beschreibt ἀνακαλύπτω mit πρόσωπον den Gegenstand, der aufgedeckt wird, nicht das Aufdecken der Decke selbst. Beide Gebrauchsweisen sind jedoch nicht nur möglich, sie können auch direkt nebeneinanderstehen, wie Jes 22,8 f. LXX illustriert. Jes 22,8 LXX spricht davon, wie die Tore Judas aufgetan werden sollen (ἀνακαλύψουσιν τὰς πύλας Ιουδα als Übersetzung von ‫וַ יְ גַ ל ֵאת‬ ‫הּודה‬ ָ ְ‫)מ ַסְך י‬, ָ der Folgevers beschreibt, wie in diesem Zuge auch das Verborgene aufgedeckt werde (ἀνακαλύψουσιν τὰ κρυπτα τῶν οἴκων).

4.4 Gedankliche Kartierung

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Gegen diese Übersetzung wird ferner eingewandt, dass κάλυμμα nur schwerlich Subjekt von καταργέω sein könne. Da dieses Verb „vorher nie der Hülle, sondern immer dem Glanz und Dienst des Mose galt, ist es unwahrscheinlich, daß es jetzt von der Hülle behauptet wird“690. Jedoch wahrt: „der Bezug auf kalumma […] die Subjektgleichheit zwischen Haupt- und Nebensatz“691. Der Wechsel des Subjekts zu καταργέω vom Herrlichkeitsglanz auf dem Gesicht des Mose bzw. dem eng mit ihm verknüpften Dienst (3,7.11.13) zur Decke auf dem Gesicht des Mose lässt in der Tat stutzen. Dass καταργέω allein hier in einer finiten Form verwendet wird, zeigt jedoch bereits eine Verschiebung im Gebrauch an. Dass κάλυμμα überdies mit καταργέω das Prädikat des Mosedienstes aus 3,11 an sich zieht, ist dabei keineswegs abwegiger, als dass mit μένω das Prädikat des „wirksam bleibenden“ Paulusdienstes auf die Decke bezogen wird.692 Dies ist sprachlich jedoch eindeutig. Paulus wendet die Natur beider Dienste auf die konkrete Frage der Sinnesverhüllung an und kehrt die Prädikation gewissermaßen um. Weil der Dienst des Mose „außer Kraft gesetzt ist“, ist die Decke notwendig. Sie muss „wirksam bleiben“, um Israel vor der Vernichtung zu bewahren. Offenbar hebt Christus diese Notwendigkeit jedoch auf. In ihr wird die durch die Decke repräsentierte Wirkhemmung aufgehoben (καταργεῖται), weil ihre Schutzfunktion nicht weiter von Nöten ist.693 Entsprechend ist in Christus auch die Kehrseite der Schutzfunktion, die Verhärtung, aufgehoben. Dies drückt Paulus nicht explizit aus, scheint es aber vorauszusetzen. Ebenso wenig weist Paulus ausdrücklich darauf hin, dass die Bezugnahme auf Christus als Gegenpol zur Decke den Kontrast zwischen Paulusund Mosedienst weiter schärft. Unter der Hand geschieht jedoch genau das. Denn Christus ist das Proprium des „wirksam bleibenden“ Paulusdienstes (2,15.17; 3,3.4). Abermals festigt Paulus die Position des eigenen Verkündigungsdienstes, ohne die Aufmerksamkeit seiner Adressaten auf die eigene Person zu lenken. Wer in 3,15 hingegen wieder in den Blick kommt, ist „Mose“. Die Formulierung „Mose lesen“ als Chiffre für die Verlesung des „alten Bundes“ lässt Mose mit seiner Botschaft verschmelzen, ganz so wie Paulus nicht klar zwischen sich und der eigenen Verkündigungsbotschaft trennt (vgl.  2,14 f.).694 Der Vers ist parallel zu 3,14b gebaut. Back 2002, 117. Wolff 1989, 73. Gegen diese Deutung ließe sich Jes 22,14 LXX als Beispiel für ἀνακαλύπτω + ὅτι recitativum anführen. Dort handelt es sich jedoch eindeutig um redeeinleitendes ὅτι. Die Rede wird mit ἀνακεκαλυμμένα ταῦτά ἐστιν angekündigt und ihr Inhalt ist ein selbständig stehender Satz. In 2 Kor 3,14 muss hingegen zwingend ein fremdes Subjekt in den ὅτι-Satz eingetragen werden. 692 Hafemann 1995, 380 f., hält diese Beobachtung fest, kommt aber zu einem anderen Ergebnis, da er κάλυμμα seinem eigenen Ansatz folgend als Metonymie für „Israel’s hardened condition“ versteht, die schon an und für sich todbringend sei. 693 Ob Paulus hier das wiederholte Ablegen der Decke nach Ex 34,34 aufgreift und weiterdenkt, wie Thrall 1994, 266, vorschlägt, erscheint mir fraglich, da er diesen Aspekt der Erzählung an anderer Stelle bewusst auszusparen scheint. Zur Deutung des Präsens auf die Gegenwart des Paulus vgl. Wolff 1989, 74, der hier allerdings den Paulusdienst selbst am Werk sieht. 694 Wolff 1989, 74, versteht hingegen die Nennung des Mose in 3,15 ganz als Vorbereitung der Anführung in 3,16. 690 691

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Hatte Paulus dort betont, dass die gegenwärtige Situation der Sinaiszene im Hinblick auf die Verhüllung des Offenbarungsmittlers entspricht, stellt er nun auf die Empfänger des Offenbarungsdienstes ab. Da die Decke nach wie vor wirksam ist, erreicht die Offenbarung nicht deren Herzen. So wird verständlich, warum die jüdischen Zeitgenossen seiner Schriftauslegung und Verkündigung keinen Glauben schenken.695 Einen Versuch, dieses Dilemma zu erklären, wie er in Röm 9–11 vorliegt, unternimmt Paulus an dieser Stelle nicht. Das ginge auch am Aussageinteresse der Passage vorbei. Dass die Verhärtung Israels, die zur gegenwärtigen Herzensblindheit führt, mit einem passivum divinum ausgedrückt wird,696 weist jedoch vorsichtig in eine entsprechende Richtung. 4.4.6.4 3,15–17: Die Aufhebung der Decke Nachdem Paulus in 3,12 die eigene παρρησία als Unterschied zum Mosedienst eingeführt hat, hat er bis einschließlich 3,15 den Differenzpunkt auf Seiten des Mosedienstes beleuchtet: Für Mose war es notwendig sich zu verhüllen, um die Israeliten vor der vernichtenden Kraft der göttlichen δόξα zu bewahren. Diese Verhüllung bringt die geistige Verstockung der Israeliten mit sich und dauert bis in die Gegenwart an. Die Entfaltung zur Seite des eigenen Dienstes steht noch aus. Die Aussage 3,14c.d, Christus überwinde die Notwendigkeit der Hülle, gab zwar einen Hinweis, warum Paulus seinen Verkündigungsdienst in „Freimut“ oder „Offenheit“ ausüben kann, ohne dass die von ihm vermittelte δόξα zur Gefahr wird. Die Brücke zum Paulusdienst wurde jedoch noch nicht ausdrücklich geschlagen. Erst in 3,18 nimmt Paulus einen solchen Dienst, in dem die δόξα frei zugänglich ist, wieder in Anspruch. 3,16–17 bilden das Scharnier zu dieser Aussage. Dabei leitet 3,15 schon auf den nachfolgenden Vers hin. 3,15 entspricht zwar in vielen Aspekten 3,14, – auch hier findet sich einleitendes ἀλλά, gefolgt von einer Beschreibung des bis heute andauernden Zustandes der Israeliten, deren Lektüre von der Hülle des Mose behindert wird. Zugleich ist 3,15 aber allem Anschein nach auch auf das Zitat 3,16 hin gestaltet. Sichtbar wird dies an der Ex 34,34 entlehnten archaisierenden Formulierung ἡνίκα ἂν, die 3,16 ähnlich wieder aufnimmt. Zudem schließen beide Verse mit einer Bemerkung über den Verbleib der Decke, die nach 3,17 fortgenommen wird und nach 3,16 auf dem Herzen der Israeliten liegt. Das veränderte Zitat von Exodus 34,34 bildet somit die Mitte des Segments 3,15–17. Seine Funktion und Bedeutung sind jedoch umstritten. Anlass sind seine weitreichenden Abweichungen vom überlieferten LXX-Text, insbesondere die Tilgung von Mose als explizitem Subjekt, die Änderung des Prädikats von „hinein vor den Herrn gehen“ (εἰσεπορεύετο Μωυσῆς ἔναντι κυρίου) in das allgemeinere „zum Herrn wenden“ Vgl. auch Back 2002, 121. Vgl. Theobald 1982, 196 f., sowie Back 2002, 118, Anm. 19: „Verstocken ist bei Paulus immer ein Handeln Gottes, siehe z. B. auch Röm 11,7–10.“ 695 696

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(ἐπιστρέψῃ πρὸς κύριον) und die Verschiebung der Enthüllungsaussage vom Imperfekt (περιῃρεῖτο) ins Präsens (περιαιρεῖται) (s. o. ‎4.2.3.1a). Ausgangspunkt für die meisten Überlegungen ist die Auslassung des Subjekts, die zur Frage führt, ob Paulus der Textvorlage folgend weiterhin Mose als Subjekt annimmt – warum dann die Auslassung? – oder den Vers in einem freieren Verhältnis zum Ursprungszusammenhang versteht und an ein anderes Subjekt denkt – welches und warum dann die Form des Zitats? Wiederholt vorgeschlagen wurde eine bewusst unpersönliche Formulierung, ein allgemeines τις, bei dem entweder an jeden einzelnen Israeliten, an die Gesamtheit Israels (vgl. 3,15: αὐτῶν) oder an die gesamte Menschheit gedacht ist.697 Auch ein Bezug auf das „Herz“ der Israeliten ist denkbar (vgl. 3,15: ἐπὶ τὴν καρδίαν αὐτῶν).698 All diese Vorschläge tilgen „Mose“ entweder ganz aus Ex 34,34 oder machen ihn zur Identifikationsfigur für eine Person oder eine Personengruppe, die sich „dem Herrn zuwendet“. Für diese Auslegung können die anderen Veränderungen in Anschlag gebracht werden, die die Formulierung im Vergleich zu Ex 34,34 erfahren hat. Dass περιαιρέω nun im Präsens steht, erschwert zum einen den Bezug auf den Mose der Erzählung Ex 34. Zum anderen ist ἐπιστρέφω verschiedenenorts als terminus technicus für Buße und Bekehrung belegt.699 Die Abweichungen werden demnach als Hinweis verstanden, „daß aus der situationsgebundenen alttestamentlichen Notiz über Mose eine prinzipielle Bekehrungsaussage geworden ist“700. Bei all dem ist der Schriftbezug durch die sprachliche Anbahnung in 3,15, vor allem aber durch die kommentierende Bemerkung 3,17 jedoch so hinreichend deutlich markiert, dass ein Bezug auf Mose mit der Deutung des Verses vereinbar sein muss. Aber auch die Variante, einen Bezug auf Mose zwar anzuerkennen, „Mose“ aber als Identifikationsfigur für eine Gruppe zu verstehen, ist um den Preis erkauft, Mose in der Deutung des Paulus keine kohärente Rolle mehr zuschreiben zu können. 3,7–15 steht er als Offenbarungsmittler in funktionaler Parallele zu Paulus, nun käme er seinerseits erstmals als Offenbarungsempfänger in den Blick. So plausibel überdies die Bekehrungsterminologie in der Anwendung auf eine allgemeine Personengruppe, insbesondere das unverständige Israel, scheinen mag, so schwer ist sie vor dem Hintergrund zu verstehen, dass es Mose ist, auf den diese Größe durchsichtig werden soll. Nirgendwo gibt Paulus Mose die Schuld daran, dass sein Offenbarungsdienst zum Tod führt, und ebenso wenig lässt er erkennen, dass Mose 697 Diese Position vertreten in ihren verschiedenen Ausprägungen bspw. Windisch 1924, 123; Furnish 1985, 210 f.; Koch 1986, 126; Hofius 1989, 119; Belleville 1991, 248 f.; Schröter 1993, 112 f.; Hafemann 1995, 389, u. v. a. 698 So u. a. Theobald 1982, 194; Wolff 1989, 75; Stockhausen 1989, 89; Back 2002, 119, Anm. 123. Schon Martin Luther übersetzte ursprünglich so. 699 Dies wird allerorten bemerkt und vertreten. Furnish 1985, 211, verweist für einen entsprechenden Sprachgebrauch einerseits auf Dtn 4,30; 2 Chron 24,19; 30,9; Ps 21,27; Sir 5,7 und Jes 19,22 (Buße/Umkehr), andererseits auf 1 Thess 1,9; Luk 1,16; Apg 9,35; 11,21; 14,15; 15,19; 26,20; 1 Petr 2,25 und Gal 4,9 (Bekehrung). 700 Wolff 1989, 75.

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Bekehrung oder Umkehr nötig hätte.701 Im Gegenteil ist Mose ja gerade der Einzige, der es vermochte, Gott so zu begegnen, dass er von der δόξα angesteckt wurde ohne zu vergehen.702 Versteht man hingegen Mose als Subjekt des Satzes, ohne eine Ausweitung seiner Person anzunehmen, bleibt die Integrität des Gedankenganges gewahrt. Dafür spricht auch die Parallele zu 3,15, wo „Mose“ als Subjekt wieder aufgegriffen wird, das Israel auch in der Gegenwart gegenübersteht.703 ἐπιστρέφω kann dann zwar nicht als Bekehrungsterminus verstanden werden, diese Deutung ist aber ohnehin nicht zwingend.704 Sofern die anderen Abweichungen von Ex 34,34 aus diesem Blickwinkel stringent erklärt werden können, scheint dies die plausibelste Variante zu sein. Eine kontextsensible Auslegung muss demnach die Veränderungen im Zitat einer Deutung zuführen und zudem verschiedenen Beobachtungen Rechnung tragen: Erstens sind dies die einleitende Funktion von 3,15 und Auffälligkeiten, die nicht durch die Zugehörigkeit des Verses zu 3,14b erklärt werden können, vor allem die Rede von der Lektüre des „Mose“. Sie entspricht zwar dem Programm, Verkündiger und Verkündigung miteinander zu identifizieren, ist in der vorgestellten Situation zeitgenössischer Verkündigung aber doch überraschend. Zweitens darf das Zusammenspiel von Schriftbezug 3,16 und Kommentar 3,17 nicht übersehen werden.705 Der Kommentar identifiziert den Kyrios des Schriftwortes mit dem Gottesgeist, von dem zuvor bereits die Rede war, und bringt diesen mit Freiheit (ἐλευθερία) in Verbindung. Dass Paulus mit 3,17 eine deutliche Leseanleitung gibt, zumindest aber darauf hinweist, welcher Aspekt des Schriftworts für das Textverständnis unentbehrlich ist, ist für die Auslegung entscheidend.706 Offensichtlich stehen für ihn weniger die Fragen im Mittelpunkt, die die Exegese seit jeher bewegen, sondern die Identifikation von Kyrios und Geist. Bei Lichte betrachtet erwachsen diese Fragen ja gerade daraus, dass Paulus die entsprechenden Angaben des Exodustextes in ihrer Bedeutung 701 Die Erklärung, Paulus lege die physische Bewegung des Mose allegorisch aus, erscheint gezwungen (vgl. Thrall 1994, 273). 702 Eine zusätzliche Verstehenshürde ist schlicht logischer Natur: Aus welcher Kraft sollte sich Israel bekehren, solange Gott seine Sinne verstockt hat? Aus diesem Grunde spricht sich Back 129, Anm. 7, gegen Bekehrungsterminologie aus. Schmeller 2010, 221, erkennt dieses Problem und deutet es als „eine gewisse Hilflosigkeit“ des Paulus. 703 So auch Schmeller 2010, 220, der den Gedanken freilich anders fortführt. 704 Vgl. aber Jer 38,18 LXX. Bertram 1964, 725, hält fest, dass das Verb auch im NT etwa gleich häufig im wörtlichen wie im übertragenen Sinne gebraucht wird. So ist „auch im frühen Christentum der Sprachgebrauch unseres Verbums nicht terminologisch erstarrt“ (Bertram 1964, 728). 705 Gegen eine Deutung von 3,17 als exegetische Erklärung nimmt Wolff 1989, 76, Stellung. Seine Argumente, dies sei nicht mit 3,18 vereinbar und Paulus spreche sonst nie vom Geist als Kyrios, verfangen jedoch nicht. 1 Kor 15 kennt ja gerade Christus, d. h. den Kyrios, als Pneuma. Ein Gegenbeispiel zu Wolffs Behauptung, Paulus führe „exegetisch-erläuternde Bemerkungen anders (nämlich mit τό) ein[ ]“ (vgl. Gal 4,25), ist 1 Kor 15,56. 706 Ähnlich scheint 1 Kor 15,56 ja eine unentbehrliche Erläuterung zum Zitat in 1 Kor 15,55 zu geben.

4.4 Gedankliche Kartierung

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mindert, indem er sie streicht und das Zitat geradezu dekontextualisiert. Alle Aussagen, die auf die konkrete Situation verweisen, in der Mose sein Gesicht enthüllt, fehlen, so wie Paulus auch den gesamten Handlungsablauf Ex 34,32 f. ausspart, der die Details des Verkündigungsvorgangs schildert und ein regelmäßig wiederholtes An- und Ablegen der Decke voraussetzt.707 An dessen Stelle tritt das unverbindlichere ἐπιστρέφω, das lediglich eine allgemeine Hinwendung bezeichnet.708 Indem er den Vers aus seinem narrativen Kontext löst, transzendiert Paulus den Vorgang im Wüstenheiligtum. Dafür spricht auch die Wendung ins Präsens. Die Enthüllung verwandelt sich von einer Handlung, die Mose an sich selbst vollzieht, zu einer passiv erfahrenen Gotteshandlung. Von der konkreten Szene bleibt lediglich eine Rumpfaussage, die wenig mehr ist als ein Vehikel, das den entscheidenden Nachsatz transportiert: In der Begegnung mit dem Gottesgeist wird die hinderliche Decke aufgehoben. Ausgehend von Ex 34,34 formuliert Paulus somit eine allgemeingültige Maxime, bleibt jedoch nah genug am Exodustext, dass diese Maxime dessen Autorität trägt. Die Dekontextualisierung hebt das Problem auf, plötzlich von Mose als Offenbarungsempfänger denken zu müssen. Diese Frage stellt sich so nicht mehr. In der Tat ist es zum Verständnis der Aussage nicht mehr unabdingbar, Mose vor Augen zu haben. Auch dort, wo die Verbindung zu Ex 34,34 nicht erkannt wird, ist deutlich, dass Paulus Gottesgeist und Fortnahme der Decke miteinander verbindet und dieser Aussage die Autorität eines Schriftwortes zuschreibt. Wo Mose mitgedacht wird, forciert die Einleitung durch 3,15 jedoch seine Rolle als Offenbarungsmittler, ist er dort doch nicht als Empfänger, sondern als verhinderter Mittler der δόξα im Blick. Nicht sein Gottesverhältnis, sondern sein Gegenüber zu den Israeliten steht im Mittelpunkt. An dieser Stelle, wie in der gesamten Passage, wird sein nahes Gottesverhältnis schlicht vorausgesetzt. Der halboffene Bezug auf Mose durch die Auslassung des Subjekts im Zitat hebt den Vorgang auf eine allgemeingültige Ebene. Dies passt ins pragmatische Gefälle des Abschnitts, denn so wird die Aussage in ihrer Allgemeingültigkeit auch auf Paulus in seiner Rolle als Offenbarungsmittler anwendbar. Wenn Gott die Decke im Kontakt zu seinem Geist fortnimmt und Paulus eben diesen Geist für seinen Dienst reklamiert, bedeutet dies, dass die Decke keinen Ort im Einflussbereich des Paulusdienstes hat, sondern das mit ihr einhergehende Hindernis überwunden ist. 3,18 führt eindrücklich aus, was das für die Gemeinschaft der Christusgläubigen bedeutet. Paulus verleiht seinen Äußerungen zur eigenen Wirksamkeit damit die ganze Autorität der Schrift, so wie er schon die Überlegungen zum Ergehen der Israeliten mit einem Exodusverweis eingeleitet hatte. Der Zielpunkt, auf den die ganze Argumentation hinausläuft, wird mit einem eigenen Schriftzitat gestärkt. 707 Vgl. Koch 1986, 114: „Übergangen oder geändert werden jeweils diejenigen Zitatteile, die den damaligen Vorgang während des Exodusgeschehens beschreiben.“ 708 Das Verb mag aus dem direkten Umfeld (Ex 34,31) entliehen sein (so Hofius 1989, 119, der daraus aber gerade auf eine allgemeine Öffnung des Subjekts schließt).

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So verstanden knüpft die Aussage „wo aber der Geist des Kyrios ist, da ist Freiheit“ (3,17: οὗ δὲ τὸ πνεῦμα κυρίου, ἐλευθερία) an 3,14c.d. an. Schon dort hatte Paulus betont, dass in Christus die Decke aufgehoben wird. Paulus kann Christus und den Geist aber gleichermaßen mit dem Kyrios identifizieren (vgl. 3,17 mit 4,5). Bedenkt man die Bedeutung, die ἐλευθερία bei Paulus häufig trägt, erschließt sich der theologische Hintergrund dieser Aussage.709 Gerade dass Paulus den Begriff hier unvermittelt fallen lässt, legt die Vermutung nahe, dass er ihn gefüllt verstanden wissen will, und zwar im Zusammenspiel mit πνεῦμα als „das Heilshandeln Christi in seiner den Menschen vom Gesetz befreienden Wirkung“710. „Paulus denkt an den seit der Taufe am Christen wirksamen Geist (vgl. 1,22; 1. Kor. 12,13) […], der umfassende Freiheit schenkt und damit dann auch Freiheit vom Gesetz, das den Menschen unter das Todesurteil stellt (V. 68; vgl. Gal. 5,18; Röm 8,2).“711 Die Freiheit von der Decke kommt zu Stande durch die in Christus gewonnene Freiheit. Diese Vorstellung scheint schon 3,14c.d zu Grunde zu liegen und wird hier erneut aufgerufen. Auch der oben dargestellte Hintergrund des Wortes παρρησία passt dazu. Dass Paulus mit „Freimut“ sprechen kann und die Empfänger des paulinischen Offenbarungsdienstes in ungehinderten Kontakt zur göttlichen δόξα treten können, gehört in den Zusammenhang der Neuschöpfung in Christus.712 4.4.6.5 3,18: Verwandlung durch die Schau der δόξα Im direkten Anschluss expliziert 3,18, was die Gegenwart des Kyrios, der der Geist ist, für die Gemeinschaft der Christusgläubigen bedeutet. Zum ersten Mal seit 3,12 rückt Paulus wieder das Wir in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, nun aber so, dass das bis hierher exklusive Wir der Paulusgruppe im ἡμεῖς πάντες aller Christusgläubigen aufgeht.713 Vgl. etwa Röm 6,22; 8,2 und Gal 2,5; 5,1. Ferner Niederwimmer 2011, 1054–1056. Koch 1986, 340. 711 Wolff 1989, 76. Koch 1986, 338, Anm. 37, verweist für den „festen Zusammenhang von πνεῦμα und ἐλευθερία bei Pls“ ferner auf Röm 8,15. 712 Für eine entsprechende Vorstellung im näheren Zusammenhang vgl. Paulus Ausführungen zum eigenen Versöhnungsdienst mit der Spitzenaussage 2 Kor 5,17. In nahezu allen Punkten anschlussfähig zum hier rekonstruierten Gedankengang ist auch die Schlussfolgerung von Vollenweider 1989, 282: „Das ständige Hinübergleiten der Gedankenführung von Aussagen über das Apostelamt zu solchen über den Christenstand in 2 Kor 3 legt es nahe, die Eleutheria als Bedingung der Möglichkeit von Parrhesia anzusehen. Parrhesia ist die der Eleutheria entsprechende Form der Verkündigung. In der Parrhesia geht es um die Transparenz des Verkündigers für seine Botschaft, das Evangelium.“ 713 Vgl. Wolff 1989, 77. ἡμεῖς πάντες benutzt Paulus auch andernorts als sprachliches Signal um inklusives Wir zu markieren (vgl. 1 Kor 12,13; 2 Kor 5,10). Ein exklusiver Bezug auf die Paulusgruppe, wie er mitunter vorgeschlagen wird (vgl. Belleville 1991, 275 f.; Schröter 1993, 118), widerspricht dem gedanklichen Gefälle des Kapitels. „So wie Paulus in 3,1–3 mit dem Effekt seines Verkündigungsdienstes in Korinth argumentiert hatte, schließt er seine Argumentation mit einem entsprechenden Verweis“ (Schmeller 2010, 225). Der Wechsel zurück zum exklusiven Wir in 3,1 ist durch die explizite Nennung des Verkündigungsdienstes hinreichend deutlich markiert. 709 710

4.4 Gedankliche Kartierung

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In der Freiheit des Kyrios-Geistes können die Christusgläubigen die Herrlichkeit des Herrn unverhüllt schauen, so dass sie an ihnen wirksam wird. Auf diese Weise werden sie durch die Schau des Herrlichkeitsglanzes selbst in das gleiche Bild der Herrlichkeit verwandelt (τὴν αὐτὴν εἰκόνα μεταμορφούμεθα ἀπὸ δόξης εἰς δόξαν).714 Im Einflussbereich des geistbestimmten Dienstes ereignet sich somit das, was dem Mosedienst verwehrt blieb: Der Herrlichkeitsglanz auf dem Gesicht des Offenbarungsmittlers wird nicht gehemmt, sondern an die Offenbarungsempfänger weitergegeben. Von der Analogie zur Offenbarungsszene am Sinai, wie sie zuletzt 3,15 forciert wurde, legt sich die Übersetzung von ἀνακεκαλυμμένῳ προσώπῳ mit „auf einem unverhüllten Angesicht“ anstelle des gängigeren „mit unverhülltem Angesicht“ nahe.715 Zumindest scheint diese Vorstellung in 4,4.5 vorausgesetzt. Sähen die Christusgläubigen selbst mit unverhülltem Angesicht, wären sie zudem in die Rolle des Mose aufgerückt. Abermals läge ein Bruch im Mosebild vor. Während die Israeliten den Herrlichkeitsglanz aber eben nicht unverhüllt auf dem Gesicht ihres Offenbarungsmittlers sehen konnten, können die Christusgläubigen genau dies tun. Dieser Offenbarungsmittler ist nun aber nicht etwa Paulus, der in 3,18 ja Teil des allgemeinen Wir ist, sondern Christus, durch den die Decke „außer Kraft gesetzt“ wird, der das Bild Gottes ist (4,4), in dessen Abbild sich die Gläubigen verwandeln und der, wie der Geist, Kyrios ist (4,5), auf dessen Gesicht die Erkenntnis Gottes erstrahlt (4,6).716 Die Vorstellung, dass auch die Christusgläubigen nicht Gott selbst, sondern seine δόξα auf dem unverhüllten Gesicht Christi sehen, erklärt die Verwendung des ungewöhnlichen Verbums κατοπτρίζω. An den wenigen Stellen, in denen es überhaupt in der griechischen Literatur begegnet, bedeutet es weniger „reflektieren“ als „(wie in einem Spiegel) schauen“.717 Die Konnotation des Spiegels ist dabei wesentlich.718 Das Konzept einer verwandelnden Spiegelschau hat an dieser Stelle Anlass zu weitreichenden Spekulationen und religionsgeschichtlichen Vergleichen gegeben.719 714 Zum hier vertretenen Verständnis von ἀπὸ δόξης εἰς δόξαν vgl. Wolff 1989, 79: „Die Wendung ‚von Herrlichkeit zu Herrlichkeit‘ drückt dann – immer noch unter Bezugnahme auf Mose – das ständige Übergehen der Doxa des Kyrios auf die Glaubenden aus, in dem Sinne: ‚von der Herrlichkeit des Herrn her (vgl. ἀπὸ κυρίου πνεύματος) hin zu unserer Herrlichkeit‘.“ 715 S.o. Anm. 337. Überhaupt geht Paulus ins seinen Überlegungen ja am Text von Ex 34,29–35 linear entlang. Daraus ergibt sich eine Entsprechung von Ex 34,35 und 2 Kor 3,18, die auch für diese Übersetzung spricht. Dort legt Mose sich im Zusammenhang der Verkündigung die Decke an. 716 Vgl.  auch 1 Kor  15,45. Dort bezeichnet Paulus Christus, den „letzten Adam“, als πνεῦμα ζῳοποιοῦν. 717 Eine knappe Literaturübersicht bietet Schmeller 2010, 225 f. Wolff 1989, 77, merkt an, die aktive Bedeutung „widerspiegeln“ sei „für das Medium sonst nicht zu belegen“. Anders urteilt Belleville 1991, 278–280. 718 Vgl.  Lambrecht 1983b, 248: „Already because of its very rareness it can be presumed that κατοπτρίζομαι in 2 Cor 3,18 most probably retains its original force, i. e., the mirror-notion. The weakened sense of ‚seeing‘, which in later patristic Greek occurs more frequently, is extremely unlikely.“ 719 Für eine Übersicht vgl. Back 2002, 1–15, und als neuere Position Litwa 2012.

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Gleich welche Vorstellungen Paulus durch die Verwendung des Bildes bei der Hörerschaft aufrufen will, ist sein sachlicher Gehalt in der hier vorgeschlagenen Auslegung leicht zugänglich: Die Korinther sehen die Herrlichkeit des Kyrios „wie in einem Spiegel“, weil sie nicht Gott selbst, sondern Christus, sein Abbild, sehen.720 So lassen sich Verwandlung durch Spiegelschau und Verwandlung durch „den Herrn, den Geist“ zusammendenken. δόξα κυρίου bezeichnet dann gleichermaßen den Herrlichkeitsglanz Gottes, des Kyrios, wie ihm Mose begegnete, wie auch denselben Herrlichkeitsglanz, den Christus, der Kyrios, trägt.721 Dass Paulus Christus und Mose als Vermittler der δόξα nebeneinanderstellt, überrascht zunächst. Bis hierher schien er stets sich selbst Mose gegenüberzustellen.722 Bei genauerem Hinsehen dient dies jedoch ganz der Aussageabsicht. In dem Szenario, das Paulus entwirft, stehen sich Gott als Offenbarungssender und die jeweiligen Offenbarungsempfänger gegenüber. In der Mitte steht einerseits Mose als Offenbarungsmittler für Israel. Er selbst trägt zwar den göttlichen Herrlichkeitsglanz, kann ihn aber nicht weitergeben. Die Rolle des Offenbarungsmittlers für die Gegenwart teilen sich andererseits Christus und Paulus.723 Christus trägt den göttlichen Herrlichkeitsglanz und vermag ihn auch weiterzugeben. Auf der Ebene des Bildes ist damit alles gesagt. Paulus kann die eigene, umstrittene Person außen vor lassen und mit der Zustimmung der Hörerschaft rechnen. Im konkreten Vollzug der Verkündigung ist Paulus jedoch unentbehrlich. Hier kommt zum Tragen, dass die Rede von der δόξα für die Gegenwart doch „nur“ Metapher ist. Schließlich sehen die Gläubigen Christus nicht leiblich, wie die Israeliten Mose gesehen haben. Der Herrlichkeitsglanz vermittelt sich ihnen nicht visuell, sondern durch die Verkündigung, in der sie Christus zu „sehen“ bekommen. Auf diese Weise kommt Paulus wiederum als Verkündiger ins Spiel, der seinerseits den Offenbarungsmittler vermittelt. Nicht umsonst ist seine Verkündigung εὐαγγέλιον und hat allein Christus zum Inhalt (vgl.  4,3–5). Wer aber seine Verkündigung anerkennt, muss auch seine Person anerkennen. Beide sind nicht zu trennen (vgl. insb. 2,14–16; 4,2.6). Was Paulus verschiedentlich ausgedrückt hatte, nämlich dass sein Verkündigungsdienst durch Christus besteht, bringt er in der Anwendung des Exodusbildes auf die eigene Situation auf den Punkt: Christus und er bilden eine funktionale Einheit. Darin, dass Paulus die Hörerschaft zu diesem Schluss 720 Ähnlich Schmeller 2010, 226, der jedoch vorschnell die Verkündigungsrealität des Paulus ins Bild einträgt. Diese Ambiguität entspricht genau der schillernden Doppeldeutigkeit von κατοπτρίζω zwischen vermittelter und unmittelbarer Schau, wie sie bspw. bei Philo belegt ist (vgl. Cover 2015, 288–290 über Leg 3.101). 721 Die Debatte, ob Kyrios theologisch oder christologisch zu verstehen ist, erübrigt sich von daher. 722 Bezeichnenderweise werden die Personen Paulus und Mose nirgends miteinander verglichen. Die Vergleiche zielen auf den Dienst des neuen Bundes und den Dienst des Mose, sowie das Vorgehen der Paulusgruppe und das Vorgehen des Mose bei der Ausübung des Dienstes. 723 Dem Gedanken liegt eine ähnliche Vorstellung zu Grunde wie die, dass Paulusmimesis in der Sache Christusmimesis ist (vgl. 1 Kor 4,16; 11,1; 1 Thess 1,6).

4.4 Gedankliche Kartierung

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führt, ohne auch nur ein einziges Mal ausdrücklich von sich zu sprechen, liegt die rhetorische Raffinesse des Abschnitts. Alles in allem bedient sich Paulus der Autorität und des Erzählstoffes von Ex 34,33–35, um theologische Aussagen über die Natur des Verkündigungsdienstes zu treffen, ohne sie durch einen offenen Bezug auf den eigenen, umstrittenen Dienst zu kompromittieren. Die Fragen nach der Wirksamkeit und Verständlichkeit des Mosedienstes, die er anhand des Exodusberichtes erörtert, entsprechen dabei dem Anspruch, den Paulus für seinen eigenen Dienst erhebt. Zugleich setzt er in 3,18 die rhetorische Strategie vom Beginn des Kapitels fort, positive Aussagen zu formulieren, von denen er annehmen kann, dass die Hörerschaft sie für sich in Anspruch nehmen will, und dabei explizit oder implizit klarzustellen, dass sie dies nur insofern tun kann, als sie Paulus als legitimen Verkündiger des Wortes Gottes anerkennt. Auf diese Weise trägt auch 3,12–18 zum argumentativen Gesamtziel bei, die Legitimität und Autorität des paulinischen Verkündigungsdienstes zu beweisen. Die verschiedenen argumentativen Linien führt Paulus im Abschnitt 4,1–6 zusammen und entfaltet die am Exodustext gewonnene Erkenntnis in einer abschließenden Warnung zu ihrer negativen Seite hin. 4.4.6.6 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Den Auftakt des Abschnittes bildet die Behauptung, den Korinthern gegenüber aus den angeführten Gründen freimütig auftreten zu können, die eine detaillierte Gegenüberstellung von Mose und Paulus im Hinblick auf den Modus, die Wirkweise und den Effekt ihres Verkündigungsdienstes einleitet. Bezugsrahmen ist durchweg der biblische Bericht Ex 34,33–34/35, der entsprechend jüdisch-hellenistischer, zumindest jüdisch-alexandrinischer Konventionen ausgelegt wird (s. o. ‎4.2.3.4). Insofern der Text Mose als Boten Gottes begreift, bewegt er sich in einem „prophetischen“ Bezugsrahmen. Durch die drohende Vernichtung durch die δόξα (3,13: τὸ τέλος τοῦ καταργουμένου), das Verstockungsmotiv (3,14a) und die prominente Rolle des Geistes ab 3,17 treten dominante „apokalyptische“ Motive hinzu. Besonders deutlich wird dies in 3,17 und dem theologisch stark verdichteten Vers 3,18, wenn dort die Rede von einer Verwandlung der Gläubigen im Angesicht der göttlichen δόξα ist. Die Nähe zwischen Christus und Geist, auf die im Laufe der Passage beide der Titel Kyrios angewendet wird (3,17.18; 4,5), erinnert an die Rede von Christus, dem letzten Adam, als πνεῦμα ζῳοποιοῦν in 1 Kor 15,45, der klassischen Belegstelle für „apokalyptischen“ Diskurs in der Korintherkorrespondenz.724 724 Vgl. Robbins 2009, 419 f., zur Rolle des Geist-Messias im „apokalyptischen“ Rhetorolekt unter Berücksichtigung von 1 Kor 15,4.

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Argumentationsebene Ähnlich wie 3,7–11 stärkt der Abschnitt das Ethos der Paulusgruppe dadurch, dass er ihre Kunstfertigkeit in der Schriftauslegung unter Beweis stellt – und dies in stilistisch ansprechender Form. Die Schrift scheint ihr ebenso geläufig zu sein wie ihr entsprechende Auslegungstechniken. Das Vorgehen ähnelt 3,7–11, wo auch zunächst der Inhalt eines Verses, später eine konkrete Formulierung aufgerufen werden. Hier tritt dies aber deutlicher zu Tage, da der Text nicht mehr an einer Exodusparaphrase entlanggeht, sondern dem Bezugstext selbst in seiner Struktur folgt. Dabei entwickelt er seine Gedanken aus diesem Text heraus und scheint zunächst mehr an dessen Auslegung interessiert als am Konfliktfall in Korinth. Entsprechend legt er weniger Wert auf ein übergreifendes logisches Begründungsschema. Dennoch durchzieht eine Kette von logischen Schlüssen den Abschnitt. Eingeleitet wird diese durch die Habe-Formel 3,12. Sie blickt mit οὖν auf die in den vorangegangenen Sätzen geäußerte Hoffnung zurück und folgert aus ihr das Recht, freimütig aufzutreten. Worin genau die Hoffnung besteht, bleibt zunächst unklar. In Frage kommen der Verkündigungsdienst selbst und seine verschiedenen Attribute, sodass der Schluss in etwa lautet: „Weil wir einen Verkündigungsdienst ausüben, in dem Gott durch den Geist verwandelnd wirkt“ (D), „gehen wir in Freimut vor“ (K). Die zugrundeliegende Schlussregel bleibt zunächst offen. Mit dem Anspruch auf παρρησία kommt an dieser Stelle jedoch indirekt das Verhältnis der Paulusgruppe zur Hörerschaft wieder in den Blick, da die παρρησία zumindest ein offenes und freundschaftliches Verhältnis, wenn nicht gar eine Autoritätsposition voraussetzt.725 Es folgt die kontrastierende und deutende Schilderung des Mosedienstes nach Ex 34,33. Daraus abgeleitet behauptet 3,14a-b, Israels Sinne seien verhärtet worden (K), und begründet die Evidenz dieses Sachverhalts damit, dass „die gleiche Decke bis heute bei der Verlesung des alten Bundes wirksam bleibt“ (D). Dem angeführten Argument liegt in der Tat nicht Ex 34,33 zu Grunde. Es steht zu vermuten, dass es eher in der Erfahrung der Gemeinde begründet liegt, eine sich auf die Tora beziehende Verkündigung des Evangeliums von Seiten der Synagoge abgelehnt zu sehen. Diese Erfahrung deutet der Text im Lichte seiner Auslegung von Ex 34,33. Dabei ist zunächst jedoch keineswegs einsichtig, warum dieses Beispiel in den Blick kommt, um die Evidenz der Textauslegung in 3,14a zu steigern. Sollte es tatsächlich an Erfahrungen der Hörerschaft anknüpfen, kann jedoch mit deren Zustimmung gerechnet werden. 3,14c–d zieht diese argumentative Linie weiter aus. Dort wird das eben angeführte Argument aufgegriffen und seinerseits begründet: Die Decke werde nicht aufgedeckt (nun K), weil sie in Christus außer Kraft gesetzt werde (D). Vorausgesetzt ist dabei, dass das verstockte Israel nicht in Christus ist (SR). Dass es dem Text dabei nicht um Israel an sich geht, zeigt schon der Umstand, dass diese Schlussregel schlicht vorausgesetzt und nicht weiter gestützt wird. 725

Vgl. Oropeza 2016, 243, Anm. 151.

4.4 Gedankliche Kartierung

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Hingegen formulieren die folgenden Verse im Modus der Schriftauslegung ein Argument, das die Prämisse stützt, in Christus werde die Decke außer Kraft gesetzt. Nach der emphatischen Wiederholung, bis zum heutigen Tage läge eine Decke auf den Herzen Israels/der Juden, sooft Mose verlesen werde (3,15), zitiert 3,16 frei Ex 34,34: „Sooft er sich aber zum Kyrios wendet, wird die Decke fortgenommen“, woraufhin 3,17 kommentiert: „Der Kyrios aber ist der Geist. Wo aber der Geist des Kyrios ist, ist Freiheit.“ Auch ohne dass dies durch begründende Partikeln angezeigt würde, stehen diese drei Aussagen in logischer Abhängigkeit zueinander. Im Kontakt mit dem Kyrios wird die Decke weggenommen (nun K), weil der Kyrios der Geist ist (D), entsprechend der dann zwingenden Schlussregel: „Wo der Geist des Kyrios ist, da ist Freiheit“ (SR). Für die Argumentation selbst sind demnach die Entsprechungsverhältnisse zwischen 2 Kor 3,16 und Ex 34,34 zunächst nur von nachgeordneter Bedeutung, weil das Subjekt des Satzes keinen Einfluss auf dieses Begründungsverhältnis hat. Erkennt man in 3,16 jedoch Mose als Subjekt, gelingt der Transfer dieser Aussage auf den Verkündigungsdienst des Paulus allerdings leichter. Mit dem Erweis dieser Schlussregel hat die Argumentation ihr vorläufiges Ziel erreicht, liegt sie doch auch dem Anspruch auf παρρησία in 3,12 zu Grunde. Entsprechend der Schlussregel „Wo der Geist des Kyrios ist, da ist Freiheit“ (SR), kann die Paulusgruppe die Freiheit der παρρησία für sich in Anspruch nehmen (K), weil in ihrem Dienst der Geist Gottes wirkt (D), wie die vorangegangene Argumentation demonstriert hatte. Den grundlegenden Zusammenhang zwischen dem Wirken des Geistes und der Verwandlung durch die Begegnung mit Christus buchstabiert 3,18 aus. Die Gläubigen werden in das Bild Christi verwandelt (K), weil sie seine Herrlichkeit unverhüllt sehen können (D), entsprechend der verwandelnden Wirkkraft der δόξα (SR). Weil es der Geist ist, der die Freiheit dazu gibt, geschieht dies καθάπερ ἀπὸ κυρίου πνεύματος. Nach der vergleichsweise nüchternen Gedankenführung im Zuge der Schriftauslegung spricht die theologisch dichte, fast hymnische Sprache von 3,18 wieder die Gefühle der Leserschaft an. Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Die argumentative Grundbewegung des Abschnitts ist wirklichkeitsetablierend. Er argumentiert anhand des biblischen Beispiels und stellt in mehreren Punkten Bezüge zwischen Mose- und Paulusdienst her.726 Die Vergleichspole bilden zum einen die Notwendigkeit des Mose, sein Gesicht zu verhüllen, im Gegensatz zum Freimut

726 Entgegen der Einschätzung der Verse als reiche Anti-Analogie von Siegert 1985, 106–107.186, handelt es sich hier nicht um eine Analogie im Sinne von Perelmann/Olbrechts-Tyteca. Da Analogiethema (Paulus und sein Verkündigungsdienst) und Analogieträger (Mose und sein Verkündigungsdienst) „zu ein und demselben Argumentationsbereich gehören“ und sich „unter eine gemeinsame Struktur subsumieren [lassen]“, handelt es sich vielmehr „um eine Beweisführung mittels Beispielen“ (Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004, 531).

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der Paulusgruppe, zum anderen die Gemeinsamkeit zwischen Mose und Paulusdienst, dass dort, wo der Kyrios-Geist ist, keine solche Notwendigkeit besteht. b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang Der Abschnitt 3,12–18 geht in drei entscheidenden Punkten über den scheinbar abstrakten Vergleich zwischen dem Dienst des Mose und dem Dienst des neuen Bundes in 3,7–11 hinaus: Erstens vergleicht er nun ausdrücklich Paulus- und Mosedienst miteinander. Zweitens erläutert er, inwiefern der Paulusdienst dem Mosedienst in seiner Wirkweise überlegen ist. Und drittens orientiert er sich dabei stärker am Exodustext selbst. Im Modus der Schriftauslegung entwirft er einen eigenen narrativ strukturierten kategorialen Rahmen mit eigenen Plausibilitätsstrukturen, die er mit den bisher angeführten Argumenten korreliert. Auf diesem Wege erläutert er zunächst den Freimut der Paulusgruppe anhand ihres Verkündigungsdienstes mit der Prämisse, dort, wo der Geist des Kyrios ist, sei Freiheit. Der Gedanke bekräftigt, dass es der Geist ist, der den Unterschied zwischen Paulus- und Mosedienst ausmacht, die Decke vergehen lässt und damit der Paulusgruppe den Freimut gibt, so aufzutreten, wie sie es tut. Da es ja auch der Geist ist, der durch den Dienst der Paulusgruppe an den Korinthern gewirkt hat (vgl. 3,2–3), bekommt παρρησία im Textzusammenhang eine doppelte Valenz: Zum einen steht sie für den Dienst der Paulusgruppe und seine Wirksamkeit, die über die Wirksamkeit des Mose hinausgeht. Zum anderen bezeichnet sie den Anspruch der Paulusgruppe auf Autorität. Die dichte Bibelauslegung geht jedoch über den argumentativen Bogen, der den Freimut der Paulusgruppe erläutert, hinaus. So entsteht ein Bedeutungsüberschuss, der erst im nächsten Abschnitt argumentativ aufgegriffen wird. 4.4.7 4,1–6 Die argumentativen Linien der gesamten Passage laufen im rekapitulierenden Abschnitt 4,1–6 zusammen. Hier zieht der Text Schlüsse aus dem gesamten Gedankengang und führt den Korinthern deren Konsequenzen vor Augen. Vor dem Hintergrund der aufgewiesenen gedanklichen Linie handelt es sich dabei keineswegs um einen „harten Neueinsatz“727, der zum Thema des apostolischen Dienstes zurückführt. Vielmehr wird das implizite Thema auch der vorangegangenen Verse nun wieder explizit benannt. 4.4.7.1 4,1–2: Selbstempfehlung durch Offenbarung Dass die Paulusgruppe einen Verkündigungsdienst ausübt, wie er in 2,14–3,18 beschrieben ist, nimmt der Text zum Ausgangspunkt der zusammenfassenden Über727

Koch 1986, 332.

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legungen. Aufgrund dieses Dienstes ermatte die Paulusgruppe nicht, sondern lege die verborgenen Dinge der Schande ab,728 wandele nicht in Verschlagenheit und verfälsche nicht das Wort Gottes. Verschiedentlich wurde der Aorist ἠλεήθημεν 4,1 als biographische Reminiszenz an das Damaskuserlebnis des Paulus verstanden. Auch wenn Paulus hier im Plural spreche, gehe es ihm vor allem um sich selbst.729 Zwar stünde dies in Spannung zur rhetorischen Strategie des Textes, Paulus als Person in den Hintergrund treten zu lassen. Vor dem Hintergrund ähnlicher Aussagen in 4,6 gewinnt diese Ansicht jedoch an Plausibilität und zeigt, wie stark der Text die eigene Überzeugungswirkung einschätzt, an dieser Stelle weniger vorsichtig mit Paulus als Person umgehen zu müssen. Die Beteuerung, nicht mutlos zu werden, ist das Gegenstück zur Bekräftigung des Freimuts der Paulusgruppe in 3,12.730 Im Anschluss nehmen die in den correctiones aufgezählten Verhaltensweisen den Gedanken aus 2,17 wieder auf. Die „verborgenen Dinge der Schande“ „could pertain to traditional tricks or devices of rhetoric used by orators“731. Seit Platon ist πανουργία als Gegensatz zu σοφία ein feststehender Begriff der philosophischen Polemik.732 In ihr zu wandeln bedeutet, „die Wahrheit durch zwielichtiges, nicht durchsichtiges Verhalten und Reden verdunkeln“733. In der Narrenrede begegnet πανοῦργος im Zusammenhang mit der Verführungskunst der Rivalen des Paulus (12,16).734 Dort wie hier steht der Begriff zusammen mit δόλος/ δολόω. Die Wiederaufnahme des Syntagmas „Wort Gottes“ und die Bekräftigung, es nicht zu verfälschen, schlagen einen Bogen zurück zu 2,17. Die Paulusgruppe verfälscht das Wort Gottes eben nicht zum eigenen Vorteil, sondern verkündet es lauter. Dass hinter diesen Verwahrungen Vorwürfe stehen, lässt sich vermuten, jedoch nicht mit Sicherheit demonstrieren. Ebenso ist denkbar, dass der Text tatsächlich geäußerte Vorwürfe bewusst übersteigert, um die Sympathie der Hörerschaft zu wecken. Der aufzählende Charakter der correctiones macht die Verse emotional ein728 Zur Frage der Übersetzung vgl. Wolff 1989, 84: „Die Genitivverbindung kann übersetzt werden: ‚Schande bringende Heimlichkeiten‘ (Genitivus qualitatis), ‚verheimlichte Schändlichkeiten‘ (Genitivus subjectivus), ‚Dinge, die die Scham verbirgt‘. Das alles sind nur geringfügige Nuancen, die eigentliche Aussage – der Gegensatz zur furchtlosen Offenheit – ist auf jeden Fall deutlich.“ 729 Vgl. etwa Thrall 1994, 298. Schmeller 2010, 237, verweist überdies auf die ähnlich lautende Selbstbezeichnung ἠλεημένος ὑπὸ κυρίου in 1 Kor 7,25. Ähnlich auch schon 3,5. 730 Vgl. Schröter 1993, 130; Schmeller 2010, 137 f. Vgl. auch die ähnliche Formulierung 4,16. Auch dort bildet die Teilhabe am Geist und Gottes Werk durch die Paulusgruppe die Grundlage des οὐκ ἐγκακοῦμεν. 731 Oropeza 2016, 258, unter Verweis auf Marshall 1983, 314, und Winter 1997, 215 f. Vgl. ferner Schröter 1993, 132. 732 Schröter 1993, 131. 733 Schröter 1993, 132. 734 Oropeza 2016, 258: „Philo uses the term in a similar sense associated with the fallen Adamic nature as opposed to godliness and holiness, a flawed characteristic that comes into view after the serpent tempted Eve (Op. mund. 155–156). Philo places the term on the top of his vice list (Sacr. 32).”

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dringlicher.735 Dass etwaige Gegner, gegen die die Paulusgruppe sich abgrenzt, hier am Ende der Passage nicht explizit aufgerufen werden, verleiht dem Text abermals einen eher apologetischen als polemischen Charakter.736 Nachdem das Verhalten der Paulusgruppe zur negativen Seite hin abgegrenzt wurde, wird es im Zielpunkt der correctiones in 4,2 zur positiven Seite entfaltet: Die Paulusgruppe empfiehlt sich durch die Offenbarung der Wahrheit dem Gewissen aller Menschen vor Gott. Damit kann sich die Paulusgruppe nun doch selbst empfehlen, allerdings gründet diese Empfehlung nicht in eigener Kraft, sondern in Gottes befähigendem Handeln. Es ist die Effektivität des Dienstes, die sie empfiehlt, und diese hängt am Handeln Gottes und am Wirken Christi, wie 3,7–18 breit dargestellt haben. Eine solche Empfehlung ἐν κυρίῳ ist keine eigentliche Selbstempfehlung mehr.737 Etwaigen Vorwürfen begegnet der Text somit nicht dadurch, die Lauterkeit der Paulusgruppe gegen Zweifel zu beteuern, sondern dadurch, zur Hauptsache vorzudringen, ihren Dienst zu verteidigen und von dort aus zu schließen, dass bestimmtes Verhalten für sie ausgeschlossen ist. Da der Dienst wirksam ist, muss auch die Verkündigung lauter und redlich sein. Verfälscht wirkt Gottes Wort nicht. Dieser Gedanke entspricht dem Grundtenor des Textes, den Dienst der Paulusgruppe ausschließlich von Gott und Gottes befähigendem Handeln her denken zu können. Die Frage nach dem integren Handeln der Paulusgruppe ist der Frage der Befähigung nachgeordnet. Auch sie beurteilt der Text aus einem Blickwinkel, der Gottes Handeln an die erste Stelle rückt. Das Forum der Selbstempfehlung qua Offenbarung der Wahrheit bilden alle Menschen. Ihr Gewissen, mithin ihre unvoreingenommene innere Urteilsinstanz,738 ist es, an die sich die Verkündigung und damit die Empfehlung der Paulusgruppe richtet. Insofern als der Horizont dieser Beurteilung aber Gottes Urteil ist (ἐνώπιον τοῦ θεοῦ), versetzt 735 Vgl. Quint. Inst. 6,1,9 zum Zusammenhang von Pathos und enumeratio als Überzeugungsmittel. 736 Vgl.  ähnlich Schröter 1993, 136, zu 4,3–4: „Wir haben es hier also in ganz überwiegendem Maße mit einer positiven theologischen Grundlegung zu tun, bei der die Gegner zunehmend in den Hintergrund treten.“ Wolff 1989, 83, hingegen merkt an, die „gehäuft begegnende Lichtterminologie (vgl. V. 4–6) deutet darauf hin, daß der Apostel an die visionäre Sprache der Kontrahenten (vgl. 11,14; 12,1) anknüpft“. So eine Konstruktion ist aber mitnichten notwendig, fließt diese Terminologie doch schlicht aus der Schriftverarbeitung. Wolff 1989, 86, schlüsselt auch 4,5 als Polemik auf. 737 Vgl. Schröter 1993, 128, unter Verweis auf 2 Kor 10,17, ferner ebd. 133. 738 Zum „Gewissen“ vgl.  noch immer Eckstein 1983, 314: „Die Syneidesis ist für Paulus eine neutrale, anthropologische Instanz im Menschen, die das Verhalten nach vorgegebenen Normen objektiv beurteilt und entsprechend kritisch oder bestätigend bewußtmacht und zu der der Mensch selbst im Verhältnis der Verantwortlichkeit steht.“ Dazu auch Klein 2016, 264: „Das Gewissen ist im Verständnis des Apostels Paulus zunächst ein Wissen um das, was geschehen ist oder was besteht. […] Daneben wird ihm auch eine Urteilskraft zugewiesen, über das, was richtig ist und was falsch. […] Das Gewissen ist eine Instanz, die den Forderungen von außen entspricht. Es ist unabhängig vom Willen des Menschen, wohl aber wirkt es auf diesen ein. Sein Zeugnis ist von Menschen nicht manipulierbar und darum sehr wesentlich. […] Die Stimme des Gewissens ist nach Paulus nicht […] Gottes Stimme.“

4.4 Gedankliche Kartierung

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der Text auch die rhetorische Situation vor das richtende Auge Gottes.739 Unausgesprochen wendet der Text so das Blatt und nötigt die Korinther zur Zustimmung und Annahme seines Anspruchs. Insgesamt nehmen die Verse 4,1–2 den Faden der Verse 2,17–3,1 wieder auf und formulieren zusammenfassend die legitime Grundlage der Selbstempfehlung. Mit dem Schluss „Wir verhalten uns redlich (K), weil wir Anteil an einem wirksamen und geistbestimmten Verkündigungsdienst haben (D)“ kehrt der Text die Logik, auf die sich die Abwehrreaktion 2,17/3,1 bezog, genau um. Nicht weil sie redlich handelt, kann die Paulusgruppe ihren Dienst ausüben, sondern der Dienst ist Grundlage und Anlass ihres unanstößigen Lebenswandels. Die Selbstempfehlung der Paulusgruppe besteht mithin nicht in ihrer Lauterkeit (3,1), sondern im Dienst selbst. 4.4.7.2 4,3–4: Ablehnung bedeutet Verblendung Das rhetorische Manöver 4,3–4 bekräftigt die Notwendigkeit, die Paulusgruppe als legitime Verkündiger des Wortes Gottes anzuerkennen. Für den hypothetischen Fall, dass die συνείδησις einiger Menschen die Botschaft der Paulusgruppe weiterhin ablehnt, zieht der Text die ἀπολλυμένοι aus 2,15 wieder heran und verschmilzt sie mit der Verhüllungssprache aus 3,13–15. Nur jene, die verloren gehen, können dem verkündigten Evangelium weiterhin ablehnend gegenüberstehen. Hier von der Verkündigung der Paulusgruppe als „Evangelium“ zu sprechen ist rhetorisch geschickt, da die Wortwahl sie einmal mehr mit Christus verbindet. Zugleich können nur jene die Verkündigung der Paulusgruppe ablehnen, die sie nicht als Evangelium erfassen, weil ihnen ihre Botschaft verhüllt (κεκαλυμμένον) ist. Nach den ausführlichen Einlassungen zur Decke des Mose muss diese Formulierung an die Israeliten denken lassen, denen ihre Offenbarungsquelle nur verhüllt zugänglich ist. Im Gegensatz zu Israel aber, dessen Verhüllung Konsequenz einer Schutzhandlung war, deren Notwendigkeit in Christus aufgehoben wird, ist eine fortdauernde Verhüllung im Bereich des Paulusdienstes ein Widerspruch in sich selbst. So formuliert der Folgevers in aller Schärfe: Es ist der Gott dieser Welt, der die Gedanken derer, die das Evangelium und damit die Paulusgruppe ablehnen, geblendet hat. Die bei Paulus in dieser Form fast nur in 2 Kor bezeugte Rede von τὰ νοήματα740 nimmt die Verstockungsaussage 3,14 wieder auf und unterstreicht so die Stoßrichtung von 4,3. Schon im Gedankengang 3,13–18 sind die Israeliten diejenigen, die sich im Vergleich zu den Christusgläubigen in einer prekären Situation befinden. Während die Sinne der Israeliten aber von Gott verstockt wurden, weil ihre Verstockung in Anbetracht der Umstände notwendig war und ihrem Schutz diente, hat jedwede Verblendung im Bereich des neuen Bundes ihren positiven Zweck verloren. Sie ist von der Verstockung der Israeliten zur Zeit des Mose quali739 740

Vgl. oben S. 395. Vgl. neben den hier erwähnten Stellen 2 Kor 4,4; 10,5; 11,3; zudem Phil 4,7.

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tativ unterschieden, weil sie Gottes Plan zuwiderläuft.741 Hinter ihr muss folglich eine widergöttliche Macht stehen. Vor dem Hintergrund dieses Gedankenganges erklärt sich der ansonsten unvermittelte Auftritt Satans.742 „Early Jewish and Christian traditions often depict anti-God forces as blinding or deceiving inhabitants who belong to the world.“743 Dass ohne jede Ankündigung der Satan als Akteur auftritt, unterstreicht zudem den „apokalyptischen“ Denkrahmen des gesamten Arguments. All dies lässt sich als rhetorischer Schachzug verstehen, der eine die Paulusgruppe ablehnende Haltung letztgültig delegitimiert. Da sich wohl kein Mitglied der korinthischen Gemeinde im Lager der „Ungläubigen“, wie der Text betont herausstellt, unter der Herrschaft Satans finden möchte, entfalten die Verse 4,3–4 eine starke emotionale Überzeugungswirkung.744 Für gewöhnlich bezeichnet Paulus mit ἄπιστοι Heiden, mitunter aber auch Juden, in jedem Falle aber eine Größe außerhalb der Heilsgemeinschaft. Dies stützt auch der Befund in der Korintherkorrespondenz.745 Wie schon ἀπολλυμένοι hängt dieser Begriff gewissermaßen in der Schwebe zwischen zwei Bezugsgrößen. Gerade weil er dem Gemeinschaftsverständnis nach nicht die Hörer bezeichnet, entfaltet er seine rhetorische Kraft.746 Notwendig ist die Verbindung von teuflischer Verblendung auf der einen und Ablehnung des Paulus auf der anderen Seite aber nur im Lichte der 2,14–3,18 vorgetragenen Gedanken. Sie bilden den Verstehenshorizont der Aussage. In einem anderen Zusammenhang würde die Einlassung ihre Wirkung verfehlen und bliebe erklärungsbedürftig. Bezeichnenderweise vereitelt die Verblendung, dass die Ungläubigen den „Lichtglanz des Evangeliums vom Herrlichkeitsglanz Christi“ wahrnehmen.747 Die For741 Womöglich spricht Paulus 4,3 bewusst nicht von Verhärtung, sondern von Verblenden. Im Bild der Sinaiszene ist die Verhärtung schließlich Konsequenz eines äußeren Sehhindernisses. Eine verblendetes Sehorgan trägt den Schaden hingegen an sich selbst. 742 Thrall 1994, 306–308, erörtert verschiedene Deutungen für die Formulierung „Gott dieser Welt“ und kommt zum Schluss, dass tatsächlich Satan gemeint ist  – auch wenn er nirgendwo sonst so bezeichnet wird, v. a. nicht als „Gott“. Williams 2011, 99, weist darauf hin, dass es sich bei Satan als „Gott dieser Welt“ um eine allein in frühchristlichen Texten bezeugte Vorstellung handelt (vgl. Joh 12,31; 14,30; 16,11). „It also fits with the early deutero-Pauline understanding of this figure: Satan is the deceiver of the world (2 Thess 2.9–10) and rules the authority of the air (Eph 2.2, cf. 6,11–17).“ 743 Oropeza 2016, 263, mit Textbeispielen. 744 Vgl. Schmeller 2010, 244, unter Verweis auf Röm 3,3; 11,20.23. 745 Vgl. 1 Kor 6,6; 7,12–15; 10,27; 14,22–24; 2 Kor 6,14 f. und dazu Thrall 1994, 306. Das bedeutet freilich nicht, dass der Begriff hier auf „unconverted gentiles“ in der Hörerschaft zielen muss (so Oropeza 2016, 265). Er erfüllt vielmehr eine rhetorische Funktion. 746 Wenn Thrall 1994, 305, zum Schluss kommt, dass ἀπολλυμένοι die nicht christusgläubigen Kritiker des Paulus bezeichne, geht sie vom allgemeinen Gebrauch der Formulierung aus, kann den Satz aber als implizite Warnung stehen lassen. Auch nach Schmeller 2010, 241, ist in 2,15 f.; 3,18 und auch 4,3 f. „indirekt eine Mahnung zu hören“. Für ἀπόλλυμι in Bezug auf die Gruppe der Gläubigen vgl. 1 Kor 8,11; 10,9–10. 747 Das Strahlen ist schon durch die Wahl des Verbs αὐγάζω betont. Es hat den Beisinn „erstrahlen“, „so daß sich der Sinn ‚etwas strahlen sehen‘ ergibt“ (Wolff 1989, 86).

4.4 Gedankliche Kartierung

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mulierung enthält in komprimierter Form das gesamte theologische Programm der Passage: Quelle der Offenbarung im neuen Bund ist der an Christus sichtbare Herrlichkeitsglanz Gottes. Nicht umsonst führt 4,4 weiter aus, Christus sei Bild Gottes und damit dem Zusammenhang nach das Bild, in dessen Abbild die Christusgläubigen durch die Schau seines Herrlichkeitsglanzes nach 3,18 verwandelt werden.748 Vermittelt wird dieser Herrlichkeitsglanz jedoch durch die Verkündigungsbotschaft des Paulus. Deshalb kann hier auch vom Lichtglanz des Evangeliums gesprochen werden, das dem Herrlichkeitsglanz auf dem Angesicht Christi entspricht. Die Christusbegegnung ist eine durch die Verkündigung vermittelte Begegnung. Was sich auf der Ebene der Sinaigeschichte in tatsächlich sichtbarem Glanz äußerte und nun mit einer entsprechenden Bildsprache beschrieben wird, ereignet sich konkret in der Verkündigung der Paulusgruppe. Dem Evangelium begegnen, bedeutet Christus begegnen. Nur wenn das begriffen ist, erschließt sich die Tragweite, die eine Ablehnung der Paulusgruppe hat. 4.4.7.3 4,4–6: Die Verkündigung der Paulusgruppe Bei 4,4 handelt es sich um einen Scharniervers, der einerseits das Segment 4,3–4 abschließt, andererseits die neue gedankliche Einheit 4,4–6 eröffnet. Eine ähnliche strukturelle Funktion kam schon dem Scharniervers 3,15 zu. In einem weit gespannten Parallelismus stellt der Text das Bild der Verblendung durch Satan der Erleuchtung der Paulusgruppe durch Gott gegenüber, die sie überhaupt erst zum Verkündigungsdienst befähigt. Ganz so, wie das Programm des Textes in 4,4 komprimiert aufgegriffen wurde, gibt der Text in 4,5 eine prägnante Zusammenfassung der Verkündigungsbotschaft: Die Paulusgruppe verkündige nicht sich selbst, sondern Christus als Kyrios. Bei der Identifikation von Christus und Kyrios handelt es sich um eine Spitzenaussage, auf die das gedankliche Gefälle der gesamten Passage zuläuft. In Christus entfällt die Notwendigkeit der Decke (3,14) und im Kontakt mit dem Kyrios-Geist wird die Decke aufgehoben (3,16). Der Dienst der Paulusgruppe ist von Christus her bestimmt und ein Dienst des Geistes (3,6.8). Beides zusammen drückt aus, wie und warum der paulinische Verkündigungsdienst wirkmächtig ist. Die Verbindung beider Größen als essentielle Kurzformel der Verkündigung zu präsentieren, ist somit nur folgerichtig. Zugleich stellt die Wiederaufnahme von Reflexivpronomen und Verkündigungssprache auch diesen Vers in den Horizont der Frage von Selbstempfehlung und redlicher Verkündigung. Dadurch gibt sie der Aussage eine apologetische Färbung und erhellt weiter das Wechselspiel von Dienst und lauterer Verkündigung. Genauso wie die Verkündigung Ergebnis des Dienstes ist, den die Paulusgruppe aus Gottes 748 Vgl. Kuschnerus 2002, 219–221, für eine Erörterung der εἰκών-Terminologie im Zusammenhang mit 3,18 und im Lichte hellenistisch-jüdischer, philosophischer Tradition.

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Erbarmen heraus erhalten hat (4,1), begründet der unverfälschte Charakter ihrer Verkündigung, die Christus in den Mittelpunkt stellt, den Anspruch ihres Dienstes. Schließlich kann 4,5 den Zusammenhang 4,3–4 damit begründen (οὐ γάρ). Einmal mehr wird sichtbar, wie sehr die Wirksamkeit des Dienstes und die Lauterkeit der Verkündigung ineinandergreifen. Es handelt sich um zwei Seiten derselben Medaille, die unmöglich voneinander getrennt werden können. Nur wo Christus angemessen verkündigt wird, ist der Dienst wirksam. Entsprechend gelten die Aussagen von 4,3–4 auch nur unter diesem Vorzeichen. Wenn der Text fortfährt, sich selbst verkündige die Paulusgruppe als Sklaven (δοῦλοι) der Korinther, spricht er seine Adressaten zum ersten Mal seit 3,3 wieder ausdrücklich an und ordnet das Gesagte so in die konkrete Kommunikationssituation ein. Die Existenz als Sklave der Korinther erscheint hier ebenso als Bestandteil der Heilsbotschaft wie die Verkündigung Jesu als Kyrios.749 Am ehesten ist die Aussage so zu verstehen, dass die Paulusgruppe den Korinthern durch ihren Verkündigungsdienst zum Heil dient. Insofern sind sie Sklaven „wegen Jesus“ (διὰ Ἰησοῦν).750 Schon im Bild vom Brief in 3,3 nahm die Paulusgruppe ja eine dienende Rolle im Geschehen zwischen Christus und den Korinthern ein. Insofern schließt das Bild vom Sklaven an das Bild des Dienstes an.751 Der stärkere Ausdruck zusammen mit dem Überraschungseffekt der Aussage – immerhin betont 4,5 nicht, dass die Paulusgruppe Sklaven des Kyrios Jesus seien, sondern Sklaven der Korinther – erzeugt einen rhetorischen Effekt, der die Verkündiger in ein gutes Licht stellt und schon präventiv einem möglichen Einspruch entgegentritt. So sehr das Wirken Christi und der Dienst der Paulusgruppe nicht voneinander zu trennen sind, erhebt sich die Paulusgruppe mit diesem Anspruch nicht über die Korinther, sondern ordnet sich ihnen unter. Damit entspricht ihr Verhalten den Erwartungen an rechtschaffene Redner, das Interesse der Allgemeinheit und der Hörer vor das eigene Interesse zu stellen.752 Schon 1,24 hatte Paulus betont, nicht Herr über den Glauben der Korinther sein zu wollen, sondern an ihrer Freude mitzuwirken. Als Begründung (ὅτι) führt 4,6 wiederum Gottes Wirken an der Paulusgruppe an.753 Er „ließ es in unseren Herzen aufleuchten zum Erstrahlen der Erkenntnis des Herrlichkeitsglanzes Gottes auf dem Angesicht Christi“. Auch dieser Vers ist mit einigen Übersetzungsproblemen behaftet. Zunächst wird λάμπω an dieser Stelle entgegen der Mehrzahl der antiken Belege transitiv aufzufassen sein. Es ist nicht Gott selbst, der aufleuchtet, sondern Gott, der etwas im Herzen aufleuchten lässt: Vgl. Gerber 2005, 218. Schröter 1993, 137, weist auf die Ähnlichkeit zur Bitte ὑπέρ Χριστοῦ in 5,20 in. 751 Von daher kann Schröter 1993, 137, den Vers auch als Explikation der Selbstempfehlung 3,2 lesen. 752 Vgl. Oropeza 2016, 266, unter Verweis auf Hdt. 5,6; Demosth. Steph. 267–281. 753 Auch zur Begründung von 4,5 durch 4,6 verweist Schröter 1993, 138, auf eine argumentationsstrukturelle Parallele zu 5,12–18. Hier wie dort sei eine „Bekehrung aus der Finsternis zum Licht die Grundlage für diese Verhaltensweise, nämlich um Jesu willen von sich selbst abzusehen“. 749 750

4.4 Gedankliche Kartierung

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„Zwar läßt sich die transitive Verwendung von λάμπειν offenbar nur aus poetischen Texten nachweisen, doch gibt die kontrastierende Parallelführung der Verse 4 und 6 und hier insbesondere der Gegensatz zu ἐτύφλωσεν den Ausschlag zugunsten der zweiten Alternative.“754 Sodann ist die Übersetzung von φωτισμός umstritten und deshalb relevant, weil sich an ihr zu entscheiden scheint, ob der in den Blick genommene Vorgang im Herzen der Paulusgruppe verbleibt oder nach außen drängt. Wirkmächtig ist Luthers Übersetzung geworden, Gott habe „einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, daß (durch uns) entstünde die Erleuchtung von der Erkenntnis der Klarheit GOttes in dem Angesichte JEsu Christi“755. Reduziert man die umschreibende Formulierung, versteht Luther φωτισμός also aktivisch und transitiv als ein „Anslichtbringen, Offenbarmachen“.756 Damit zielt die Aussage letztlich auf die missionarische Verkündigung. Dieser Auffassung ist vor allem mit dem Argument widersprochen worden, eine solche Bedeutung sei für φωτισμός in keiner Quelle belegt und stünde auch im Widerspruch zur Verwendung des Begriffs in 4,4. Da dort intransitiv vom Erstrahlen des Evangeliums die Rede sei, müsse auch hier intransitiv übersetzt werden.757 Damit verharrt der Blick zunächst beim inneren Geschehen der Paulusgruppe: Im Gegensatz zu den geblendeten Ungläubigen hat Gott es in deren Herzen aufstrahlen lassen, mit dem Ergebnis, dass nun dort die Erkenntnis erstrahlt, die den Herrlichkeitsglanz Gottes auf dem Angesicht Christi wahrnehmen lässt. Freilich bedeutet dies noch nicht, dass eine „Schilderung der Paulus widerfahrenen Christophanie“758 vorliegen muss. Zwar weist der Aorist ἔλαμψεν auf ein konkretes Geschehen und die Vorstellung mag dafür in hohem Grade anschlussfähig sein.759 Nach wie vor spricht der Text jedoch dezidiert im Plural, sodass Paulus Bekehrungsgeschehen in diesem Falle einen „paradigmatischen oder typischen“760 Charakter gewinnen würde. 754 Heininger 1996, 203. Anders Dautzenberg, 2001, 328: „er ist erstrahlt“. Sein Argument ist stilistischer Natur. Ihm widerstrebt der lange, sinntragende Relativsatz. Dafür nimmt er auch eine „Verschiebung oder sogar Steigerung in der Anwendung der Metapher“ (329) in Kauf. Während Gott zunächst Licht erstrahlen lässt (4,6a), erstrahle er nun selbst (4,6b). Gewissermaßen käme dies der hier vorgetragenen Gesamtinterpretation der Passage entgegen, ist aber doch unwahrscheinlich. 755 So Luther 1545. 756 Diese Übersetzung schlägt Dautzenberg, 2001, 328 vor, um ihr sogleich vehement zu widersprechen. 757 So befinden Klauck 1987, passim; Reichardt 1999, 189; Heininger 1996, 203, und andere. Die dort zudem getroffene Unterscheidung zwischen passivischer (Erleuchtung) und aktivischer (Erstrahlen) Übersetzung (Heininger 1996, 203: „strahlt die Erkenntnis Licht aus oder fällt Licht auf die Erkenntnis“?), fällt im Lichte der Parallele von 4,4 für die zweite Variante. So auch Dautzenberg 2001, 330, Anm. 17: „τῆς γνώσεως ist gen. subj. oder gen. auctoris, d. h. das Aufleuchten besteht in dieser speziellen Erkenntnis oder wird durch diese bewirkt“. Wilk 2008a, 683, übersetzt passivisch: „‚[…] (er ist es,) der es aufleuchten ließ in unseren Herzen zur Erleuchtung, (die) zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Christi (führt)‘“. 758 So aber Dautzenberg, 2001, hier 329. 759 Vgl. Dautzenberg, 2001. 760 Schmeller 2010, 248.

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„[A] palatable choice between the purely autobiographical and the missionary explanations, does not appear possible“,761 entspricht es doch gerade der Aussageabsicht des Textes, diese Möglichkeiten miteinander zu verschmelzen. Weil Gott an der Paulusgruppe rettend gehandelt hat, kann diese nun ihrerseits ihren Verkündigungsdienst ausüben. Somit gilt dann doch wieder, dass Gott „im Christusgeschehen den Apostel und durch ihn die korinthischen Christen erleuchtet hat, um ihm und ihnen Gottes Herrlichkeit zu erschließen“762. Dieser positive Entwurf des paulinischen Verkündigungsdienstes knüpft in seiner Lichtmetaphorik an die δόξα-Sprache des Exodusbezuges an und verschmilzt sie mit anderen Bildwelten.763 φῶς und φωτισμός werden auch im hellenistischen Denken als „eine religiöse und philosophische Erkenntnisterminologie, in der es um eine ‚gnadenhafte Heilsverleihung‘ geht“, verstanden.764 Zudem ist Lichtmetaphorik sowohl fester Bestandteil jüdisch-hellenistischer Bekehrungssprache, als auch im Neuen Testament bezeugter Traditionen, die Bekehrung als Erleuchtung bezeichnen können und sich dabei in der Nähe schöpfungstheologischer Aussagen bewegen.765 Zudem vereint der Text die Lichtmetaphorik durch die Rede von Herz, Erkenntnis und Angesicht mit einer Reihe zentraler Motive der Textpassage 2,14–4,6. Mitunter lässt der Duktus auch Anklänge an liturgische Sprachformen erkennen und wirkt demgemäß emotional erhebend.766 Wieder verwurzelt der Text den Verkündigungsdienst im Wirken und Willen Gottes. Es ist der Gott, der sprach: „Aus Finsternis soll Licht aufleuchten“ (ἐκ σκότους φῶς λάμψει), der im Einklang mit diesem seinem Schöpfungshandeln auch an der Paulusgruppe gehandelt hat. Die Stilisierung des Kompositzitats als Gotteswort duldet an dieser Stelle keinen Widerspruch. Unhinterfragbar ist das Handeln des Schöpfergottes dem Handeln des „Gottes dieser Welt“ vor- und übergeordnet. Der analoge Aufbau der Verse 4,4 und 4,6 stärkt diese Gegenüberstellung.767 Die Herzenserleuchtung der Paulusgruppe ist aber kein Selbstzweck, sondern ganz auf die Weitergabe dieses Lichtes hingeordnet. Schließlich begründet 4,6 die 761 Lambrecht 2009, 144. Ebenso Reichardt 1999, 189 f.: „Aufgrund der Parallelität von V. 6 zu V. 4 und angesichts der Tatsache, daß Gott als handelndes Subjekt für den gesamten V. 6c aufzufassen ist, wird man die mit πρός eingeleitete Aussage in erster Linie auf die Berufung des Paulus und nicht auf seine Evangeliumsverkündigung beziehen. Doch sollten beide Aspekte nicht vorschnell gegeneinander ausgespielt werden.“ 762 Wilk, 2008, 683. 763 Jervell 1960, 197, betont den unpaulinischen Charakter der Terminologie. Reichardt 1999, 192, merkt richtig an, sie sei durch die LXX bedingt. 764 Kuschnerus 2002, 207. Vgl. Kuschnerus 2002, 209–219, für einen ausführlichen Exkurs zum Bildspendebereich „Licht“. 765 Vgl. Schröter 1993, 135 f. Vgl. ferner Jervell 1960, 197, für eine Deutung als Taufterminologie. 766 Kuschnerus 2002, 205, verweist etwa auf die Lichtisotopie, die lange Genitivkette, und die Rede von Christus als Bild Gottes. 767 S.o. S. 383; vgl. für eine Analyse Schmeller 2010, 242.248.

4.4 Gedankliche Kartierung

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Aussage 4,5. Auch hier findet sich das gesamte theologische Programm der Passage in komprimierter Form. Wo die Botschaft der Paulusgruppe angenommen und verstanden wird, entspricht diese Erkenntnis der Christusschau und vermittelt auf diese Weise den Herrlichkeitsglanz Gottes. Dieser aber ist es nach 3,18, der die weitere Wesensveränderung der Christusgläubigen bewirkt. 4.4.7.4 Zuspitzung auf die Untersuchungskategorien und Funktion im Zusammenhang a Detailbetrachtung Gedanklicher Rahmen Die thematisch-strukturelle Analyse hatte den Abschnitt 4,1–6 als zusammenfassenden Abschnitt ausgewiesen. Entsprechend bewegt er sich weiterhin im „prophetisch-apokalyptischen“ Diskurs und integriert andere Rhetorolekte in diesen Rahmen. Die „prophetischen“ Anteile finden sich vor allem in der Betonung der eigenen Verkündigung (4,2.5.6) und sind unauflöslich mit „apokalyptisch“ geprägten Vorstellungen und Formulierungen verschränkt. Dies zeigt sich etwa in der Rede von der Offenbarung (φανέρωσις) der Wahrheit vor (ἐνώπιον) Gott (4,2) und der abermaligen Erwähnung der ἀπολλυμένοι (4,3). Vor diesem Hintergrund überrascht auch das plötzliche Auftreten einer widergöttlichen Gestalt wie des Gottes dieser Welt nicht (4,4). Hinzu kommen „prä-schöpfungs“-Elemente, wie etwa die Lichtmetaphorik in 4,6 und „weisheitlich“-philosophische Elemente wie die moralische Bewährung der Paulusgruppe in 4,2 und die Rede von Erkenntnis (γνῶσις) in 4,6. Der bestimmende gedankliche Rahmen bleibt jedoch der „prophetisch-apokalyptische“, und zwar in der Zuspitzung, die er in den schriftauslegenden Passagen 3,7–11 und 12–18 erfahren hat. So ist die Lichtmetaphorik des Schlussabschnittes ganz von der Vorstellung der göttlichen δόξα bestimmt und vermutlich überhaupt erst durch sie aufgerufen worden.768 Während die gedankliche Einheit 4,1–2 eher an 2,16c–3,6 anknüpft, bauen 4,3–6 auf dem narrativ strukturierten kategorialen Rahmen auf, den die Verse 3,13–18 konstruiert haben. Die schroffe Zurechtweisung derer, denen das Evangelium der Paulusgruppe verhüllt ist (κεκαλυμμένον), löst den dort festgestellten Bedeutungsüberschuss ein. Ihre Situation ist analog zur Situation der Israeliten, denen „Mose“ bis auf den heutigen Tag verhüllt ist. Argumentationsebene Der Schluss-Abschnitt 4,1–6 bewegt sich zugleich auf mehreren Argumentationsebenen. 4,1 f. begründet die Kraft und das ethisch integre Verhalten der Paulusgruppe (K) mit dem Erbarmen Gottes, das sie zum Dienst befähigt (D). Damit ist 768

Vgl. dazu die Analyse der von δόξα ausgehenden Bildwelt unter 4.3.2.2.

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nun ausdrücklich die intuitive Begründungsrichtung umgekehrt: Nicht der Charakter der Paulusgruppe befähigt sie zu ihrem Dienst, sondern der Dienst ist Grund und Ursache ihres moralischen Verhaltens. Kritik an der Art und Weise ihrer Verkündigung trifft ihren Dienst demnach nicht im Kern. Dass sie trotzdem zurückzuweisen ist, zeigen die emphatischen correctiones in 4,2, die in der abermaligen Bekräftigung gipfeln, sich dem Gewissen aller Menschen vor Gott durch die Offenbarung der Wahrheit und damit durch einen wirksamen Dienst zu empfehlen. Der Verweis auf das Gewissen als der Urteilsinstanz des Menschen und die entworfene Szene ἐνώπιον τοῦ θεοῦ kommen abermals einem impliziten Ruf zur Entscheidung coram Deo gleich. Entsprechend thematisiert der Text im unmittelbaren Anschluss den Fall, dass die Verkündigung der Paulusgruppe, die nun offen mit εὐαγγέλιον benannt werden kann, weiterhin auf Ablehnung trifft. Dies kann nur dort der Fall sein, wo Satan als Gott dieser Welt die Sinne der Ungläubigen blendet. Spätestens hier ist die Ebene des Pathos betreten: Wer sich der Textlogik nach nicht als satanisch verblendeter Ungläubiger verstehen will, muss den Dienst der Paulusgruppe anerkennen. Durch die Gegenüberstellung zu Israel, dessen Sinn verhärtet wurde (3,14), gewinnt die Aussage an Schärfe. Während die Decke auf dem Herzen Israels in Christus fortgenommen wird, sollte die Hörerschaft bereits in Christus sein. Da Christus aber die Hindernisse zum Verständnis der Offenbarung Gottes aufhebt, wie der vorangegangene Abschnitt ausgeführt hat, muss es eine widergöttliche Macht sein, die diejenigen in der Gegenwart verblendet, die dem Evangelium nicht glauben. Als logisch begründender Satz wird 4,5 eingeschoben: Der Umstand, dass nur geblendete Ungläubige das Evangelium der Paulusgruppe ablehnen (K), ist dadurch begründet, dass diese nicht etwa sich selbst verkündigt – womöglich eine letzte Spitze gegen gängige Muster der Selbstempfehlung – sondern Christus als Kyrios (D). Die Verkündigung der Paulusgruppe kann also auf diese Formel gebracht werden, der entsprechend auch die Wirkkraft zukommt, die der Text für ihren Verkündigungsdienst beansprucht (SR; vgl. auch die Rede vom Evangelium als δύναμις θεοῦ in Röm 1,16). Wenn der Text die Paulusgruppe im Anschluss als Sklaven bezeichnet, stünde zu erwarten, dass es sich um Sklaven Christi handelt. Anstelle dessen weist er sie als Sklaven der Hörerschaft aus und stellt so abermals auf die tiefe Verbundenheit beider ab. Der logische Schluss der Verse 4,3–5 lautet vor dem Verstehenshorizont von 3,12–18: (D) Die Paulusgruppe predigt Christus als Herrn, (d. h. Christus wirkt in ihrer Verkündigung). Das Wirken Christi räumt Verstehenshindernisse nach Art der Decke des Mose aus (SR). Deshalb müssen jene, die der Verkündigung der Paulusgruppe keinen Glauben schenken, dem Wirkungskreis Christi entnommen sein und sind vom Satan geblendet (K). Im abschließenden, theologisch dichten Vers 4,6 findet die Verkündigung der Paulusgruppe ihrerseits ihre Begründung in Gottes berufendem Handeln. Sie verkündet Christus als Kyrios (K), weil Gott „es in ihren Herzen hat aufscheinen lassen zum Leuchten der Erkenntnis des Herrlichkeitsglanzes Gottes im Angesicht Jesu Christi“ (D). Die metaphorische Sprache verstärkt den Effekt dieser Begründung.

4.4 Gedankliche Kartierung

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Dem als Gotteswort ausgewiesenen Mischzitat zu Beginn des Verses kommt die gleiche Funktion zu. Argumentative Bewegung und Argumentationsmuster Die argumentative Bewegung des Abschnittes changiert zwischen wirklichkeitsetablierender und wirklichkeitsbezogener Argumentation. Sie ist insofern wirklichkeitsbezogen, als sie ihren Ausgangspunkt bei den im Laufe der Passage etablierten Geltungsansprüchen nimmt. Besonders deutlich wird dies, wenn der Abschnitt ab 4,3 an die Plausibilitätsstrukturen anknüpft, die im Rahmen der Schriftauslegung des vorangegangenen Abschnittes etabliert wurden. Zugleich wirkt die metaphorische Sprache des Schlussverses wirklichkeitsetablierend. Bezeichnenderweise nimmt der Text hier wieder ein Schriftwort zum Ausgangspunkt, das die entsprechenden Plausibilitätsstrukturen begründet. Gott ist es, der Licht aus dem Dunkel hat scheinen lassen. So entspricht es seinem Wesen, zu erleuchten und scheinen zu lassen, wie er es – metaphorisch – an der Paulusgruppe getan hat und noch durch sie tut. Der Kontrast zum Gott dieser Welt, der die Sinne der Ungläubigen verblendet, verstärkt den Effekt der Aussage. b Funktion und Funktionsweise im Zusammenhang Der Schlussabschnitt 4,1–6 bündelt die argumentativen Linien der Passage 2,14–3,18 auf zweierlei Weise. Zunächst leitet er aus dem Dienst der Paulusgruppe ihr moralisch integres Verhalten und die Lauterkeit ihrer Verkündigung ab (4,1 f.). Schien die Begründung der eigenen Tauglichkeit zum Verkündigungsdienst 2,17 noch die Lauterkeit voranzustellen, wurde diese Denkweise durch die Ablehnung der Selbstempfehlung in 3,1 problematisiert. Aus verschiedenen Blickwinkeln haben die folgenden Verse und Abschnitte Gottes Wirken im Paulusdienst als seine einzige valide Empfehlung herausgearbeitet und so die Aussage in 4,1 f. vorbereitet, dass allein das Erbarmen Gottes den Dienst der Paulusgruppe begründet. Demnach ist es auch die Ausübung dieses Dienstes, d. h. die Offenbarung der Wahrheit, die die Paulusgruppe empfiehlt (4,2). Die Ablehnung der Selbstempfehlung in 3,1 bedeutet also keine Ablehnung jedweder Empfehlung, sondern nur die Ablehnung aller Empfehlung, die in dem Charakter und den Fähigkeiten der Paulusgruppe selbst begründet liegt. Die Verse 4,1–2 beziehen sich damit vor allem auf die Frage der Fähigkeit und Empfehlung der Paulusgruppe zum Verkündigungsdienst. Da der Text wiederholt die Ausübung des Verkündigungsdienstes zum zentralen Argument seiner Legitimität gemacht hat, geht er nun dazu über, für die Verkündigung der Paulusgruppe einzutreten. Diese Bewegung klingt schon in der Bemerkung an, die Ausübung ihres Dienstes empfehle sie dem Gewissen aller Menschen (4,2). Der zweite Punkt, an dem die argumentativen Linien der Passage zusammenlaufen, ist demnach die emphatische Bekräftigung, es seien nur die Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt die Sinne verblendet hat, denen das Evangelium der Paulusgruppe

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weiterhin verhüllt ist. Die Aussage greift maßgeblich auf die Bibelauslegung des vorangegangenen Abschnittes zurück. Vor dem Hintergrund der Konfliktsituation in Korinth kommt sie einem letzten emotionalen Appell gleich, den Dienst der Paulusgruppe anzuerkennen. Ausgehend von der Bildwelt der schriftauslegenden Abschnitte, wird dessen göttliche Ursache und Beglaubigung abschließend noch einmal in suggestiv-metaphorischer Sprache ausgedrückt. 4.4.8 Übersicht über Ziel und Gang der Argumentation Die thematisch-strukturelle Analyse hatte als Thema des Textes „Gottes Handeln an Paulus, das ihn in die Lage versetzt, einen ganz auf Christus hin ausgerichteten Offenbarungsdienst auszuüben“ festgehalten. Die rhetorisch-argumentationslogische Analyse hat gezeigt, dass der Text die Hörerschaft in der Tat auf verschiedenen Ebenen und in immer neuen Anläufen zu überzeugen versucht, dass die Paulusgruppe einen auf Christus hin ausgerichteten Offenbarungsdienst ausübt. Dass dieser Dienst in Gottes Handeln begründet liegt, ist eine der zentralen Maximen der Argumentation. Die zentrale Streitfrage des Textes ist demnach das Ethos der Paulusgruppe. Daraus erklärt sich sowohl die Struktur der Argumentation im Großen wie auch die häufig ethisch-emotionalisierende Argumentationsweise im Kleinen. Der Text schreitet nacheinander die klassischen Referenzgrößen der captatio benevolentiae ab, die darauf zielt, das Wohlwollen der Hörerschaft dem Redner gegenüber zu erregen: die eigene Person (2,14–17; 3,4–6), die Kontrastfolie ihrer Gegner (2,17–3,1), die Hörerschaft (3,2–3) und schließlich die Sache selbst (3,4–3,18).769 Da der Redner als Zeuge für sich selbst befangen ist, ist er auf andere Zeugen als die eigene Meinung angewiesen. In diesem Falle sind dies die Erfahrungen der Korinther, die Schrift und letztlich Gottes beglaubigendes Handeln. Bei alledem ist die Argumentation jedoch nicht anhand einer solchen Gliederung stringent nachzuvollziehen. Wie so oft bei Paulus ist sie „mäanderförmig“770. Der Text argumentiert amplifizierend: Seine Gedanken sind mehrfach in sich selbst verschränkt und einzelne Punkte werden von verschiedenen Blickwinkeln wiederholt aufgegriffen und verstärkt. Alle diese Bewegungen zielen jedoch darauf, den kategorialen Rahmen des Diskurses zu verschieben. Während sich die Kritik, die Paulus abwehrt, an den „menschlichen“ Maßstäben eines weisheitlich-philosophischen Diskurses zu orientieren scheint, beharrt der Text durchgehend darauf, dass der Paulusdienst und sein Verhältnis zu Gott nur im Bezugsrahmen eines „prophetisch-apokalyptischen“ Diskurses angemessen erfasst werden können. Es handelt sich nicht um eine Frage menschlicher (Geistes-)Leistung, sondern göttlicher Kommunikation. Entsprechend arbeitet der ganze Text darauf hin, ein zentrales Plau769 770

Zu den klassischen loci der captatio benevolentiae vgl. Schweinfurth-Walla 1986, 175. C. L. Bauer, zitiert bei Siegert 1985, 197.

4.4 Gedankliche Kartierung

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sibilitätsmuster umzukehren: Nicht Fähigkeiten und Verhalten der Paulusgruppe befähigen zum Dienst, sondern allein Gottes Handeln. Sprachlich macht dies schon der einleitende Vers 2,14 deutlich, dessen Subjekt Gott ist. Ein erstes Mal problematisiert wird der Schluss vom Charakter der Paulusgruppe auf ihre Befähigung zum Dienst in 2,17 und 3,1. Nicht dass sie das Wort Gottes „wie aus Lauterkeit“ (ὡς ἐξ εἰλικρινείας) verkündigt, empfiehlt sie – das käme einer Selbstempfehlung gleich – sondern dass sie es „wie aus Gott, vor Gott, in Christus“ (ὡς ἐκ θεοῦ κατέναντι θεοῦ ἐν Χριστῷ) tut. Gewissermaßen orientiert sich der übrige Text des Abschnittes an diesen drei Größen: ἐκ θεοῦ, κατέναντι θεοῦ und ἐν Χριστῷ. Die von Gottes Geist ausgehende, Leben schaffende Wirkung ist das einzige legitime Argument für den Paulusdienst (3,1–6), der die δόξα der Gottesgegenwart vermittelt (3,7–11), was aber nur in Christus möglich ist (3,12–18). Durch den Verweis auf die Glaubenserfahrung der Korinther gelingt es Paulus zunächst, auf eine für seine Adressaten kaum zu hinterfragende Weise zu demonstrieren, dass Gottes Geist durch seinen Verkündigungsdienst wirkt (3,1–3). Sein eigentliches Verkündigungshandeln tritt dabei jedoch so weit in den Hintergrund, wie es irgend möglich ist, ohne es aus dem Blick zu verlieren. Lediglich dessen Tatsache wird festgehalten. Vielmehr betont Paulus durch das biblische Bild des göttlichen Geistes, der auf die Herzen schreibt, Gottes Anteil an diesem Geschehen. Wenn er im Anschluss abermals betont, dass auch seine Befähigung nicht von ihm selbst herrührt, sondern gottgegeben ist (3,4 f.), schließt sich der erste, in 2,16c begonnene gedankliche Kreis. Die Gegenüberstellung konventioneller Empfehlungsbriefe und des eigenen, lebendigen Empfehlungsbriefs, die schon in 3,3 ins Gegenüber tintenbeschriebener Steintafeln und geistbeschriebener Tafeln lebendiger Herzen transponiert wird, gibt Paulus die Gelegenheit, seinen Gedankengang beginnend mit 3,6 neu auszurichten. Indem er seinen eigenen, Leben schaffenden Dienst des neuen Bundes und des Geistes vom todbringenden Dienst des Buchstabens, den Mose ausübte, absetzt, kann er den eigenen Verkündigungsdienst profilieren. Da auch Mose zu seinem Dienst von Gott befähigt wurde und nicht aus eigener Kraft schöpfte (s. o. zu 2,16c), legt dieser Anschluss sich nahe. Mit dem ausdrücklichen Verweis auf eine biblische Erzählung führt Paulus dabei einen vertrauenswürdigen Zeugen an und führt durch den Verweis auf Mose das für den folgenden Gedankengang grundlegende Wirkprinzip gottgegebener Verkündigung ein: Sie vermittelt die transformative Kraft der göttlichen δόξα. Dass diese im Dienst des Mose am Werk war, bezeugt die biblische Erzählung. Die verwandelnde Geistwirkung des Paulusdienstes, die die Korinther am eigenen Leib erfahren haben, hatte bereits 3,1–6 in Erinnerung gerufen. Durch den Schluss a fortiori kann Paulus den eigenen Dienst gleichermaßen in Kontinuität zu Mose zeichnen (er teilt das Beglaubigungszeichen und Wirkprinzip der göttlichen δόξα) wie als dessen Überbietung (er kommt im Gegensatz zum Dienst des Mose zur Vollendung, indem er Leben bringt, von Gerechtigkeit bestimmt ist und überhaupt „bleibt“).

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Dieser Effekt seines Dienstes ist es, der es Paulus ermöglicht, in παρρησία zu verkündigen (3,12). Auch hier denkt Paulus seinen Verkündigungsdienst also von dessen gottgegebener Wirksamkeit her, aus der dessen Art und Weise folgt. Indem Paulus dem biblischen Beispiel folgend nun weiter ausführt, warum Mose sein Gesicht verhüllte und damit die Wirkkraft seines Dienstes auf eine Weise einschränkte, die noch heute das Unverständnis Israels zur Folge hat (3,13–15), baut er das zweite Standbein seines Arguments auf. Bisher kann ihm als erwiesen gelten, dass er einen Verkündigungsdienst ausübt, durch den Gott nach dem Modell des Mosedienstes verwandelnd wirkt, d. h. durch die Begegnung mit seinem Herrlichkeitsglanz Leben gibt und Gerechtigkeit schafft. Weil er diese Wirksamkeit nun voraussetzen kann, erweisen die weiteren Erläuterungen Christi Wirksamkeit im Paulusdienst: Der Mosedienst musste verhüllt werden und konnte deshalb seine Wirksamkeit nicht in Gänze entfalten, weil Christus in ihm nicht unter den Bedingungen des neuen Bundes am Werk war. In der unmittelbaren Begegnung mit dem Kyrios wird die Hülle jedoch weggenommen. Weil Paulus Dienst nun Veränderung durch den Heiligen Geist bewirkt, muss Christus in ihm gegenwärtig sein. Andernfalls käme er ebenso wie der Dienst des Mose nicht zur Vollendung, weil eine Hülle auf ihm läge. Nun aber kann die christliche Existenz unter dem Vorzeichen dieses „Dienstes des neuen Bundes“ so zusammengefasst werden, wie 3,18 es tut: die ungehinderte Schau der δόξα auf dem Angesicht Christi, die zur geistgewirkten Verwandlung der Gläubigen führt. Auch wenn vom Verkündigungsdienst des Paulus in 3,13–18 nicht ausdrücklich die Rede ist, handelt es sich bei ihm doch um den Zielpunkt der Argumentation. Dies macht spätestens die Fortführung 4,1–6 deutlich. Zusammenfassend hält 4,1 f. die Vorordnung des aus Gottes Erbarmen geschenkten Dienstes vor alle anderen vermeintlichen Beglaubigungsinstanzen fest. Erst jetzt spricht Paulus wieder das Problem an, das von Beginn des Texts an im Hintergrund stand: Wie ist etwaige Kritik, ja Ablehnung seines Dienstes zu erklären, wenn es sich dabei doch um einen von Gott herkommenden und auf Christus hin ausgerichteten Verkündigungsdienst handelt? Vor dem Hintergrund des entworfenen Modells göttlichen Verkündigungsdienstes und seiner Inanspruchnahme durch Paulus erklärt sich die plötzliche Anführung Satans in 4,4. Sie ist die einzig folgerichtige Antwort: Dort, wo Paulus derart qualifizierter Dienst auf Ablehnung stößt, muss mit dem „Gott dieser Welt“ eine widergöttliche Macht am Werk sein. Die abschließenden Verse 4,5 f. fassen noch einmal begründend zusammen: Wesentlicher Inhalt der paulinischen Verkündigung ist die Herrschaft Christi, da Gott selbst es im Herzen (des Paulus/der Paulusgruppe) hat aufleuchten lassen, um die Erkenntnis seiner selbst auf dem Angesicht Christi zu verbreiten. Denkt man dies im Horizont der aufgebauten Bildwelt zu Ende, bedeutet es eine funktionale Verschmelzung von Christus und Paulus, die Paulus letztgültig legitimiert. Während Mose Gottes Herrlichkeitsglanz auf dem Gesicht trägt und verkündigt, dabei jedoch gehindert wird, trägt nun Christus Gottes ver-

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wandelnden Herrlichkeitsglanz auf dem Gesicht, was durch die Verkündigung des Paulus erfahrbar wird. Als Gegenargument steht sofort der Mangel an einer erfahrbaren Herrlichkeit des Paulusdienstes im Raum. Dass die unmittelbar folgenden Erörterungen zur Niedrigkeitsgestalt des paulinischen Verkündigungsdienstes eine Seite des Bildes von 2,14 aufnehmen und einem solchen Einwand entgegentreten, kommt also nicht von ungefähr. Insgesamt begründet Paulus damit zunächst, dass er einen Dienst ausübt, in dem Gottes Geist verwandelnd wirkt (3,1–6), erinnert unter Verweis auf Mose an die göttliche δόξα als Wirkprinzip dieser Verwandlung, die er für sich in Anspruch nehmen kann (3,7–11) und führt aus, dass dies nur dort möglich ist, wo Christus bzw. der Geist am Werk ist (3,12–18). Damit aber kann als belegt gelten, dass Paulus einen ganz auf Christus ausgerichteten Offenbarungsdienst ausübt, zu dem Gott ihn befähigt (4,1 f.). Die gesamte Argumentation läuft so auf eine mehrfach abgesicherte Legitimation des eigenen Verkündigungsdienstes hinaus, die im Umkehrschluss seine Kritiker delegitimiert (4,3 f.), Paulus Verhältnis zu den Adressaten klärt (4,5) und sein untadeliges Verkündigungsverhalten damit zwar unterstreicht, aber nicht zum Maßstab seines Dienstes macht (4,1 f.). Dieser liegt eben ganz in Gottes Handeln begründet (4,6). So verstanden wird 2,14–4,6 von einer kohärenten, wenn auch durch die gefältelte Gedankenführung komplexen Sinnlinie durchzogen, die auf den Verkündigungsdienst des Paulus ausgerichtet ist und dessen Wirkweise anhand der Folie des Mosedienstes verdeutlicht. Zwar fordert diese Interpretation weitreichende Setzungen, was die Präsuppositionen des Textes anbelangt, namentlich zum Konzept der δόξα und der Verstockung Israels. Jedoch ist eben diese Kohärenz, die gleichermaßen dem erhobenen Thema der Passage wie auch seinem Ort im Gedankengang des Briefes gerecht wird, ihr stärkstes Argument. In diesem Lichte lässt sich nicht mehr beanstanden, die Aufgabe von 3,12–18 sei nur mit Mühe zu bestimmen, „weil dieser Abschnitt keinen evidenten Sachbezug zu der prinzipiellen Begründung des Apostelamtes, die Paulus in 2,14–4,6 gibt, aufweist“771. Vielmehr legt Paulus in 3,12–18 den Schlussstein für die Vorstellungswelt, die zur Beglaubigung seines Dienstes führt. Durch diese Bestimmung verliert die Hilfsüberlegung, Paulus greife auf einen bereits vorliegenden Midrasch zurück, an Plausibilität. Ein Rekurs auf die Moseauslegung seiner Gegner bleibt weiterhin denkbar, ist jedoch nicht mehr denknotwendig. Herausstechendes Merkmal der Argumentation in 2 Kor 2,14–4,6 ist damit neben ihrem biblischen Gepräge ihr hoch metaphorischer Charakter. Die Aneinanderreihung, Verflechtung und Transformation immer neuer metaphorischer Bilder leiten die Hörerschaft durch die Passage, binden sie zugleich gedanklich ein und setzen auf diese Weise ähnlich viel auf der Leserseite voraus, wie es der Schriftgebrauch tut. Denn sowohl Metapher als auch Schriftbezug sind darauf angewiesen, von Seiten 771

Koch 1986, 331.

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der Textrezipienten auf angemessene Weise aktualisiert zu werden, will der Text auf die vom Autor intendierte Weise verstanden werden (s. o. ‎2.1.2.1). Diese doppelte Hürde mag zur Vielfalt an Deutungen beigetragen haben, die 2 Kor 3 im Laufe der Zeit erfahren hat. Wie eng oder weit der Verstehensraum ist, d. h. welche Wissensbestände die Leserschaft einbringen muss, um den Schriftbezügen auf eine Weise zu folgen, die der erhobenen Aussageintention dient, bleibt im letzten Untersuchungsschritt herauszuarbeiten.

4.5 Die intertextuelle Skalierung: Möglichkeiten intertextueller Digression und Reintegration Aufgabe des abschließenden Kapitels zur intertextuellen Skalierung ist es, die Ergebnisse der vorangegangenen Untersuchungsschritte zusammenzubringen und auszuwerten: Welche biblischen Texte oder Wissensgehalte müssen oder können aktualisiert werden, um 2 Kor 2,14–4,6 im Einklang mit dem erhobenen Thema und Gedankengang zu verstehen? Zu diesem Zwecke lassen sich die im Text vorausgesetzten biblischen Gehalte und die mit ihnen verbundenen Bezugstexte in verschiedene Themenfelder aufteilen, die 2 Kor 2,14–4,6 sukzessive aufruft: die göttliche Befähigung zum Dienst (‎4.5.1.1), die prophetischen Verheißungen eines neuen Bundes (‎4.5.1.2) sowie die Gesetzestafeln (‎4.5.1.3a), Moses Begegnung mit Gott, seine Verwandlung und die δόξα auf seinem Gesicht (‎4.5.1.3b) und Israels Ungehorsam und Verhärtung (‎4.5.1.3c). Die Überlegungen, welche Wege intertextueller Digression zu einer sinnvollen intertextuellen Reintegration führen, ergeben ein plastisches Bild von Paulus als Schriftausleger einerseits, von der intendierten Hörerschaft und ihren Bildungsvoraussetzungen andererseits. Überdies ermöglichen sie es, die Schriftbezüge im Gedankengang zu verorten und so die eingangs gemachte Feststellung von ihrer doppelten, ebenso inhaltlich-theologischen wie rhetorisch-kommunikativen Funktion zu konturieren (‎4.5.2). Abschließend wird die Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14– 4,6 noch einmal dezidiert in ihrer Dimension als Bildungsvorgang zu erfassen sein (‎4.5.3). 4.5.1 Möglichkeiten intertextueller Digression und Reintegration 4.5.1.1 Die göttliche Befähigung zum Dienst Für 2 Kor 2,14–4,6 grundlegend ist der Gedanke, nicht aus eigener Kraft, sondern allein durch Gottes Tun zum Verkündigungsdienst befähigt zu sein. Die ἱκανόςTerminologie in 2,16 und 3,5 f. gemahnt an das Beispiel des Mose. Jedoch hat die

4.5 Die intertextuelle Skalierung

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rhetorisch-argumentationslogische Analyse gezeigt, dass das Wissen um die Berufungsgeschichte des Mose nicht unbedingt notwendig ist, um dem Gedankengang folgen zu können. Ohne einen solchen Bildungshintergrund wird man die Frage καὶ πρὸς ταῦτα τίς ἱκανός; auf den in 2,14–16b erhobenen Anspruch beziehen und als rhetorische Frage verstehen, mit der Paulus etwaige Zweifel an seiner Person aufnimmt. Die Ausdrucksweise ist der Hörerschaft aus 1 Kor 15,9 vertraut und stärkt so den Bezug auf den eigenen Verkündigungsdienst. 3,5 f. buchstabiert sodann aus, wie es sich mit der Befähigung zum Dienst verhält, wenn auch in sprachlich etwas sperriger Form. Je tiefer ein Hörer in der jüdischen Tradition verwurzelt ist, desto deutlicher birgt jedoch schon die rhetorische Frage in 2,16c ihre Antwort in sich selbst. Für einen Hörer, der mit biblischen Geschichten und Traditionen vertraut ist, mag die Rede von Paulus „Fähigkeit“ die Erinnerung an Traditionen um die Befähigung von Propheten wachrufen. An formgeschichtliche Untersuchungen des Alten Testaments anknüpfend hat Scott Hafemann vorgeführt, dass die Berufungsgeschichte des Mose nach Ex 3,1–4,16, in der Abfolge von Theophanie, Beauftragung, Widerspruch durch Mose und den Widerspruch überwindender Befähigung durch Gott, archetypisch für eine Reihe alttestamentlicher, insbesondere prophetischer Berufungsgeschichten ist.772 Gerade auch „[d]ie Frage nach der menschlichen Fähigkeit zum göttlichen Dienst ist eine stereotype Frage der prophetischen Berufungsgeschichten“773. Abhängig vom Grad der Schriftkompetenz liegt es damit nahe, Paulus Angaben zu seiner Befähigung vor dem Hintergrund prophetischer Berufungsgeschichten zu hören oder gar auf Mose selbst und Ex 4,10 zurückzuführen. Paulus würde sich so in eine Linie mit den alttestamentlichen Verkündigern des Gotteswortes stellen, die nicht aus eigener Kraft schöpften, sondern von Gott befähigt wurden.774 Je vertrauter Ex 4 als Text ist, desto mehr Berührungspunkte lassen sich konstruieren. So ist etwa auffällig, dass innerhalb des gesamten Pentateuch nur in Ex 4,28, also kurz nach Moses Beauftragung und Befähigung durch Gott, davon die Rede ist, Mose gebe πάντας τοὺς λόγους (!) κυρίου weiter (vgl. 2 Kor 2,17).775 Die geläufige 772 Vgl. Hafemann 1995, 47–62. Hafemann führt dies an den Beispielen Gideons, Jesajas, Jeremias und Ezechiels vor. Die Berufung des Mose sei nicht nur die erste und damit maßgebliche Erzählung dieser Art in der kanonischen Abfolge, „the narrative actually repeats the basic pattern found in all prophetic calls four times!“ Aernie 2013, 118–120, knüpft an Hafemann an und fokussiert sich auf die Prophetenrolle des Mose: „Moses is seen as a ‚fountainhead‘ for the entire prophetic tradition.“ 773 Theobald 1982, 171, Anm. 15. Dazu, dass die entsprechende Berufungstradition auch dann aufgerufen wird, wenn sich das Signalwort ἱκανός in den Bezugstexten nicht findet, vgl. Hafemann 1995, 59–62. 774 Sollte der schriftgelehrte Teil der Hörerschaft zudem eine Anspielung auf die Resignationsfrage Joel 2,11 wahrnehmen (s. o. 4.2.2.2), würde dies den eschatologischen Akzent und die Dringlichkeit des paulinischen Dienstes verstärken. Da Paulus den Offenbarungsdienst deutlich für sich beansprucht, unterstriche dies noch stärker die Notwendigkeit, dass ihm die Kraft dazu von Gott her zuwächst. Je konsequenter man Joel 2,11 an dieser Stelle einträgt, desto sperriger lässt sich der Text jedoch deuten. 775 In diesem Falle an Aaron.

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Wendung ‫ ִּד ְב ֵרי יְ הוָ ה‬übersetzt LXX sonst stets mit ῥήματα. Auch die deutende Verarbeitung der Berufungsgeschichte des Mose bietet vielfältige Anknüpfungspunkte allgemeinerer Natur, wenngleich offenbleiben muss, ob entsprechende Traditionen bereits zur Zeit des Paulus bekannt waren.776 Im Hinblick auf die spätere Rede von der Verstockung Israels bemerkenswert ist der direkte Folgevers zu 4,10. Ex 4,11 ergänzt die Berufung des Mose mit der nachdrücklichen Aussage, Gott selbst sei es, der über Blindheit und Taubheit gebiete.777 Eine solche biblische Gewähr muss das vorgebrachte Argument in den Augen des schriftkundigen Teils der Hörerschaft stärken: In der Tat hat Gott immer wieder auf die Weise gewirkt, die die Paulusgruppe für sich in Anspruch nimmt. Etwaige persönliche Mängel, die Paulus oder die Paulusgruppe an den Tag legen oder ihr vorgeworfen werden, müssen ihren Dienst also nicht diskreditieren. Wird dieser Bezug aktualisiert, stellt sich zudem die Frage, wie sich Paulus bzw. die Paulusgruppe im Verhältnis zu Mose bzw. den Propheten in seiner Nachfolge verortet. Die verschiedenen Möglichkeiten, eine Analogie zwischen Paulus und Mose bzw. den alttestamentlichen Propheten zu konstruieren, finden sich in der Forschungsliteratur wieder, die Paulus seinem Selbstbild nach hier teils als neuen oder zweiten Mose im Sinne von Dtn 18,18 verstanden wissen will,778 auf einen bestimmten Aspekt des mosaischen Dienstes abstellt,779 oder Paulus allgemeiner als endzeitlichen Propheten zeichnet.780 Im Lichte der hier angestellten Überlegungen liegt es am nächsten, die Analogie in der Funktion des göttlich befähigten Offenbarungsmittlers zu suchen, ohne in eine exklusive Position zu verfallen. Das Entsprechungsverhältnis von Mose und Paulus folgt weitgehend der bereits in 1 Kor 10 eingeführten typologischen Logik: Am Beispiel des Mosedienstes werden bestimmte Aspekte des paulinischen Dienstes sichtbar. In erster Linie unterstützt die Anspielung auf die Berufungsgeschichte des Mose damit den vorgetragenen Anspruch und folgt so einer gängigen Legitimierungsstrategie.781 Sofern sie schon in 2,16c wahrgenommen wird, weckt sie bestimmte Leseerwartungen. So betrachtet wird auch die rhetorische Frage von 3,1 eben dies umfassen: Wenn wir uns in der Berufungstradition des Mose verstehen und auf diese Weise legitimieren, bleibt die mosaische Würde unseres Dienstes dann bloße 776 Hafemann 1995, 81–89.108, merkt z. B. an, dass die göttliche Befähigung des Mose in der rabbinischen Tradition wiederholt als Neuschöpfung gedeutet wurde und so bereits 2 Kor 5,17–21 vorbereiten könnte. 777 Vgl. Danker 1973, 89, zu Ex 4,11 als Generalstelle für die Verstockungsaussagen des Exodus. 778 So bspw. Stockhausen 1989, 169–174. Dagegen überzeugend Hafemann und Aernie 2013. Zusammenfassend Hafemann 1995, 102 f.: „There is no allusion, verbal or conceptual, to this expectation in 2 Cor. 3 or elsewhere in the Pauline corpus. Nor does Paul use any fulfilment language in developing parallels between his ministry and the ministry of Moses.“ 779 So etwa Hafemann 1986, 41–47, über das Leiden des Mose. 780 So Aernie 2013. Weitere wichtige Bezugstexte für ein prophetisches Selbstbild des Paulus sind Gal 1,15 f.; 1 Kor 9,16 und 1 Thes 4,15. 781 Vgl. Aernie 2013, 119. So auch ausführlicher Hafemann 1995, 104–106.

4.5 Die intertextuelle Skalierung

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Behauptung und Selbstempfehlung oder lässt sie sich noch anders demonstrieren? Der ausführlichere Vergleich von Mose- und Paulusdienst wäre damit schon angebahnt. Dass der Dienst des neuen Bundes den Dienst des Mose in seiner Wirksamkeit übertrifft, nimmt diese Erwartungen dann auf und spielt mit ihnen. In jedem Falle etabliert eine Aktualisierung der Mosetradition hinter 2,16c und 3,5 f. Mose als grundsätzlich positive Bezugsgröße für den weiteren Gedankengang und beugt Deutungen vor, die in 3,7–11 eine Abwertung des Mose erkennen oder seinen integren Charakter durch das vermeintlich in 3,13 beschriebene Täuschungsmanöver in Frage stellen. Von den weiteren in der Literatur vorgetragenen Vorschlägen, Teile der übrigen Passage maßgeblich im Lichte dieser Tradition zu lesen, ist keiner zwingend oder vom Text her auch nur angedeutet.782 Insgesamt ist auch die auf Mose verweisende ἱκανός-Sprache ein Beispiel, wie ein weiter biblischer Bildungshorizont der Argumentation in 2 Kor 2,14–4,6 Kohäsion gibt, indem er es erlaubt, Anspielungen auf eine Weise zu folgen, die Teile des Gedankenganges vorwegnimmt oder zumindest andeutet. Um die grundsätzliche Aussageintention zu erfassen, sind solche Kenntnisse an dieser Stelle jedoch nicht unabdingbar. 4.5.1.2 Die prophetischen Verheißungen Der Stellenwert der Anspielungen auf Jeremia und Ezechiel in 2 Kor 3,3 wird ganz unterschiedlich bewertet. Während Carol Stockhausen in ihnen „an indispensable background apart from which II  Corinthians 3:1–6 is not coherent or meaningful“783 erkennt, deutet das Ergebnis der rhetorisch-argumentationslogischen Analyse darauf hin, dass ein basales Textverständnis auch dort möglich ist, wo diese Anspielungen übersehen werden. Ungeachtet denkbarer Ungereimtheiten, die darauf hindeuten, dass sich mehr oder anderes hinter den Worten des Paulus verbirgt, lassen sich eine Vielzahl der hier gebrauchten Metaphern auch ohne jede Schriftkompetenz konzeptualisieren. Zuallererst gilt dies von Paulus Aussage, die Korinther seien in sein Herz geschrieben (3,2). Eve-Marie Becker gibt zu bedenken, die Rede vom eigenen Herzen, insbesondere auch vom Schreiben auf das Herz, sei ein gängiger Topos antiker 782 Vgl. etwa Hafemanns Zuspitzung auf das Leiden des Mose (die Hafemann 1995 selbst etwas zurücknimmt) oder Aernies Lektüren von 2 Kor 2,14–17 und 4,1–6 im Lichte jesajanischer Traditionen, etwa die Überlegung bei Aernie 2013, 214, 4,1–6 „may parallel the rhetorical progression of the concept of light in the LXX version of Isaiah, in which it develops from a broad reference to the redemptive activity of the Lord (Isa. 9) into a theme specifically associated with the work of the Isaianic servant (Isa. 53)“. Auch die Lektüre von 2,16c als Resignationsfrage in Anlehnung an Joel 2,11 verliert vor der Breite gedanklicher Anschlussmöglichkeiten, die eine Anspielung auf die Berufung des Mose zeigt, an Plausibilität. 783 Stockhausen 1989, 41.

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Philophronesis.784 So verstanden fügt sie sich auch gut in den Aussagezusammenhang, würde man von einem „Empfehlungsbrief “ doch eben das erwarten: einen Bezug auf das freundschaftliche Verhältnis zwischen Absender und Adressat,785 zumal die Tätigkeiten „erkennen und lesen“ schon in 1,13 mit dem Vorgang brieflicher Mitteilung verknüpft worden sind. Zudem beschreibt Paulus sein Verhältnis zu den Briefadressaten auch andernorts unter Bezug auf sein Herz (vgl. 2 Kor 7,3; 1 Thess 2,17) oder drückt seine Freude über sie aus (Phil 4,1)786 und auch nach 1 Kor 1,22 ist das Herz der Ort, an dem Gottes Geist wirkt. So schwierig die plötzliche Gegenüberstellung von Steintafeln in 3,3 ohne biblische Kenntnisse zu deuten ist, ist doch zumindest die Vorstellung innerer „Gedächtnistafeln“, die mitunter im Herzen verortet werden, vielfach belegt, und die Überlegenheit des Verinnerlichten über das rein äußerlich Geschriebene in diesen Zusammenhängen einhellig anerkannt,787 bemerkenswerterweise auch und gerade in Bezug auf sittliche Normen und Gesetze.788 Auch diese Vorstellung ist dem weiteren Gedankengang zunächst zuträglich. Steinerne Stelen als Textträger für Gesetze und Verlautbarungen bieten eine weitere Möglichkeit, 3,3 ohne biblische Anspielungskompetenz zu deuten.789 Zusätzlich darf man in Anbetracht von Mark J. Goodwins Untersuchungen zum Syntagma „lebendiger Gott“ und zur Rolle des göttlichen Geistes in der urchristlichen Missionspredigt790 annehmen, dass die entsprechenden Aussagen in 3,3 bei den Adressaten die Erinnerung an eigene Bekehrungserfahrungen und Paulus Gründungsaufenthalt wachrufen können, den Grundgedanken der Verse also auch ohne Aktualisierung der biblischen Bezüge transportieren: Paulus führt das in der Begegnung mit ihm und seiner Verkündigung gründende geistliche Leben der Korinther als Argument für seinen Verkündigungsdienst an. Spätestens mit 3,6 wird die eschatologische Tragweite dieses Geschehens, wie es die Prophetentexte transportieren, so deutlich, dass sie sich auch Hörern ohne derartige Kenntnisse erschließen muss. Die an und für sich jeremianische Rede vom „neuen Bund“ ist in Korinth zumindest von 1 Kor 11,25 als Teil der Abendmahlsparadosis bekannt. Verbindet man das Gehörte vor diesem Hintergrund mit dem Erlösungswerk Christi, ist der Boden für weiteres Verstehen bereitet.791 Davon unberührt bleiben die markante Wortwahl in 3,2 f. und die eigenwillige Entwicklung der Grundmetapher, die bei einem entsprechend kenntnisreichen Vgl. Becker 2002, 209. Für Beispiele vgl. Thuk. 2,43,2 und Schrenk 1933, 770. Vgl. Klauck 1998, 76. 786 Vgl. Kuschnerus 2002, 156. 787 Kuschnerus 2002, 168, Anm. 297, verweist unter anderem auf Aischyl. Prom.789; Soph. Phil. 1325; Plat. Tht. 191,c.d; Phaidr. 276a. 788 Vgl. Dion. Chrys. 26. Weitere Beispiele bei Thrall 1994, 227, und Furnish 1985, 195. Ein jüdisch-hellenistisches Beispiel ist Spec. 5,149 f. 789 Vgl. Thiessen 2013, 122, Anm. 2. 790 Vgl. Goodwin 2001, 15–41.42–64.169–170. 791 Im Zusammenhang relevant ist auch die Beschreibung Christi als ὁ ἔσχατος Ἀδὰμ [ἐγένετο] εἰς πνεῦμα ζῳοποιοῦν in 1 Kor 15,45. 784 785

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Publikum die Verheißungen Jer 38,31–34 LXX und Ez 11,19/36,26 aufrufen müssen. Wenn Paulus in Anspruch nimmt, dass Gott im Zusammenhang des eigenen Verkündigungsdienstes durch seinen Geist auf Herzen bzw. Tafeln lebendiger/fleischerner Herzen schreibt, dann handelt es sich dabei um die dem Gottesvolk verheißene Bundeserneuerung am Ende der Tage.792 Die Wirkbedingungen des Paulusdienstes sind damit eminent eschatologisch qualifiziert. Auch an dieser Stelle bereitet eine gute Kenntnis der Bezugstexte, ihrer Zusammenhänge und ihrer traditionellen Deutung den weiteren Gedankengang vor.793 Jeremia 38,32 LXX (31,32 MT) setzt den „neuen Bund“ in ein direktes Verhältnis zum Bundesschluss im Zuge des Exodus. Dieser Bund bleibt ewig (vgl. Jer 39,40 LXX mit 2 Kor 3,11) und bewirkt universale Gotteserkenntnis (vgl. Jer 38,33 LXX794 mit 2 Kor 3,3; 4,6).795 Die Zusammenschau mit zentralen Texten des Buches Deuteronomium verdeutlicht, dass dieser neue Bund das Ideal verwirklicht, das bereits unter dem „alten“ Bund gefordert, jedoch allenfalls von einer Minderheit erreicht wurde.796 So fordert schon Dtn dazu auf, die Worte, die Mose spricht, im oder auf dem Herzen zu tragen (vgl. Dtn 6,6; 11,18 u. ö.).797 Jer 17,1 MT weiß jedoch Israels Sünde an diese Stelle geschrieben und zwar tiefer, als der Opferkult es heilen kann.798 Der Sache nach entsprechen sich die Vorstellung Jeremias (Gott schreibt die Tora auf die Herzen), Ezechiels (Gott verleiht ein neues Herz und einen neuen Geist)

792 Hafemann 1995, 145, formuliert pointiert: „Paul […] sees his apostolic ministry of the Spirit in fulfillment of Ezek. 11:19 and 36:26 f., with its focus on the work of the Spirit on the renewed heart, to be conceptually at one with his role as a servant of the new covenant in fulfillment of Jer. 31:31.34.“ Vgl. jetzt auch Hafemann 2020. 793 Interessant ist, wie sich  – bei aller deutlichen Verschiedenheit der Vorstellungen  – auch bezeichnende Parallelen zu CD finden. Blanton, IV 2010, 140, fasst einen Aspekt seiner Analyse des Motivs vom „Neuen Bund“ im Damaskusdokument so zusammen: „The Essene ‚new covenant‘ signified an act of covenant renewal that […] was made possible only by the Teacher’s reception of divine inspiration in matters of legal interpretation. According to the sect’s interpretation, the Teacher had been appointed by God to lead Israel […] out of a period of ‚blindness,‘ in which the true interpretation of the Torah had been obscured by Israel’s stubborn refusal to accept the terms of the covenant that had been mandated at Sinai.“ Für eine „apokalyptische“ Lektüre von Jer 31 vgl. Vandergriff 2017. 794 Vgl. Koch 1991, 135. 795 Potter 1983, 353, versteht bereits Jeremias „neuen Bund“ im Gesamtzusammenhang des Buches so, dass dieser nicht mehr der Schreiber als Sinnbild der korrupten Herrscherelite bedarf, die das Gotteswort vermitteln: „This then is what is new about the covenant: it will no longer be mediated by scribes and the élite, but will be universally apprehended by one and all, from the greatest to the least.“ Dieser Gedanke würde Paulus Abgrenzung gegen andere Prediger eine besondere Spitze verleihen. 796 Coxhead 2017, 81–84, bringt dies mit der Vorstellung des Rests in Israel zusammen. Damit schließt er an Hafemann an. 797 Vgl. Coxhead 2017, 79. Zum spannungsvollen Zusammenhang von Dtn 6,6 und Jes 31,31–34 vgl. Potter 1983, 351. 798 Vgl. Potter 1983, 352.

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und des Buches Deuteronomium (Beschneidung der Herzen nach Dtn  30,6):799 Es bedarf des göttlichen Eingreifens, um angemessen auf sein Wort zu reagieren. All dies nimmt Paulus im Folgenden für den eigenen Dienst in Anspruch: Christusgeschehen und Geistwirken lassen seinen Verkündigungsdienst dort zum Ziel kommen, wo die Verkündigung des Mose gehindert wurde. „Knowing righteousness parallels having divine torah in the heart.“800 Der Geist, der im Herzen wirkt, ist der des geistbestimmten Paulusdienstes, der Gerechtigkeit schafft. Von der Anspielung auf Ezechiel her gedacht werden diese Motive verstärkt und auf die Rolle des Geistes hin zugespitzt. Insgesamt bekräftigt auch Ezechiel die Notwendigkeit einer inneren Erneuerung, die Israel aus eigener Kraft nicht zu leisten vermag (vgl.  Ez  18,31), präludiert die Verheißung Ez  36,26 mit der Schilderung von Israels Ungehorsam (Ez 36,16–21) und umgibt sie mit Exodusanspielungen.801 Geist, Leben und Erkenntnis korrespondieren miteinander auch nach Ez 37,6 LXX. Zudem vermag die Gegenüberstellung von steinernem und lebendigem/fleischernem Herz in Ez 11,19/36,26 den ganz außergewöhnlichen, negativen Beiklang der Steintafeln in 2 Kor 3,3 und die ebenso außergewöhnliche positive Verwendung von „fleischern“ erklären. Der wesentliche Gewinn, den Vertrautheit mit den ezechielischen Texten für das Verständnis von 2 Kor 3 bringt, liegt jedoch im dort bezeugten Geistverständnis. Was die Verhältnisbestimmung von Gott und Gottesgeist anbelangt, hält Block fest: „The rwh can hardly be identified as one other than God himself “ (vgl. 2 Kor 3,17 f.).802 Ganz anders als Jeremia, der die Rede von Gottes Geist aus programmatischen Gründen vermeidet,803 zeigt Ezechiel außergewöhnliches Interesse am Geist Gottes, das in Ez 36,26f; 37,1–14 kulminiert.804 12 der 52 Belege von ‫רּוח‬ ַ in Ez MT805 bzw. 11 der 36 Belege von πνεῦμα in Ez LXX finden sich hier. Von

799 Vgl. auch die mitunter als Bezugstext angeführte Stelle Spr 3,3. Auch Robson 2006, 262, setzt Beschneidung des Herzens (Dtn 30,6–8), Ez 36,27 und Jer 31,33 dem Gehalt nach gleich. Dazu Kuyper 1974, 471, im Vergleich zur Verhärtung Israels. Coxhead möchte für diesen Vorstellungszusammenhang den Begriff „Kardionomographie“ prägen und bringt die Breite der entsprechenden alttestamentlichen Vorstellung auf den Punkt: „Cardionomography is necessary in order for people to respond to God in obedience to his word“ (Coxhead 2017, 80). 800 So Coxhead 2017, 81, zu Jes 51,7 als weiterem Exponenten der von ihm beschriebenen Tradition. 801 Vgl. Ez 36,22 mit Ez 20,9.44 und die sinnfällige Paraphrase bei Koch 1991, 131. Gleichwohl sind diese Anspielungen weniger explizit als bei Jeremia. 802 Block 1989, 49. Ebenso handelt es sich beim „neuen Geist“ in Ez 36,26 um den Geist Gottes selbst. Vgl. Schafroth 2009, 66 f. 803 Koch 1991, 135, deutet dies als Abwehr gegen das verkommene Berufsprophetentum. 804 Koch 1991, 133, meint gar, Ez biete „in einzigartiger Weise eine auf neutestamentlicher Höhe stehende Geisttheologie“. Zum Zusammenhang der Verheißung Ez 36,26 mit dem Kapitel Ez 37 s. o. 4.2.3.3c. 805 Vgl. Block 1989, 30 f., davon die Hälfte aller Belege, in denen Block den Geist als „agency of animation“ versteht.

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der Schilderung des Geistes nach Ez 36,26 f.37,1–14806 können durchaus Linien zu Vorstellungen der Neuschöpfung gezogen werden, die in 2 Kor 4,6 angedeutet und in 2 Kor 5,17 explizit werden.807 Den Platz der Entsündigung, der diesem gesamten Erneuerungsgeschehen nach Ezechiel vorangehen muss,808 wird im paulinischen Verständnishorizont am ehesten das Kreuzesgeschehen einnehmen. Auch so ließe sich die Rede vom neuen Bund deuten. Daneben versteht Ezechiel Gottes Geist als die Kraft, die es dem Propheten ermöglicht, Gottes Wort auszurichten, auch und gerade im Unterschied zu anderen Lehrern und vermeintlichen Propheten.809 Auch diese Vorstellung resoniert im Zusammenhang von 2 Kor 3, zumal in Anbetracht der mosaisch-prophetischen Selbstdarstellung des Paulus. Die Erzählabfolge von Ez 37 macht zudem deutlich, dass erst die Kombination aus prophetisch ausgerichtetem Gotteswort und weiterem Wirken des Geistes zur Belebung der Knochen führt, „the obvious implication being that word and Spirit need to be united to achieve the aim of bringing people to God“810. Diese Vorstellung entspricht der im Zuge der rhetorisch-argumentationslogischen Analyse herausgearbeiteten Legitimierungsstrategie des Paulus, das Wirken seines Dienstes ganz Gott zuzuschreiben, jedoch zugleich daran zu erinnern, wie notwendig er selbst in der dienenden Funktion des Verkündigers ist. Die Korinther „sehen“ den Herrlichkeitsglanz Gottes zusammen mit Paulus auf dem Angesicht Christi, doch „sehen“ die Korinther diesen vermittels der paulinischen Verkündigung. Überhaupt findet der oben herausgearbeitete Zusammenhang zwischen dem Wirken des Geistes und der Schau des göttlichen Gesichts bzw. seiner δόξα Bestätigung bei Ezechiel. In engem inhaltlichem Anschluss an Ez 36,26 f.811 formuliert Ez 39,29 MT, Gott werde sein Gesicht nicht mehr von Israel abwenden, sobald er seinen Geist ausgegossen habe (‫ל־ּבית יִ ְׂש ָר ֵאל‬ ֵ ‫ת־רּוחי ַע‬ ִ ‫א־א ְס ִּתיר עֹוד ָּפנַ י ֵמ ֶהם ֲא ֶׁשר ָׁש ַפ ְכ ִּתי ֶא‬ ַ ֹ ‫)וְ ל‬,

806 Vgl. Koch 1991, 26–31.130–133. Koch ordnet Ez 36 und 37 in den Vorstellungszusammenhang der Neuschöpfung ein und formuliert ohne angezeigte Bezugnahme auf 2 Kor 3: Ez „lüftet […] den Schleier über die Herrlichkeit der kommenden Neuschöpfung.“ (130). Eine Analyse der Parallelen von Ez 37 und Schöpfungsbericht bietet Robson 2006, 225 f. 807 Bemerkenswerterweise geht auch Moses Verwandlung nach Mos. 2,69 mit einer körperlichen Erneuerung einher, die einer Neuschöpfung gleicht. Vgl. die programmatische Einordnung von 3,17 bei Vollenweider 1989, 278: „Freiheit (3,17) ist nichts weniger als das Ereignis neuer Schöpfung. Die Verwandlung in die Eikon Christi ist Erlangung derjenigen Gottesebenbildlichkeit, die nicht schon seit Adam, sondern erst jetzt mit Christus dem Menschen ermöglicht wird (3,18). Die Erkenntnis des Aufstrahlens der Doxa erscheint 4,6 explizit als souveränes göttliches Schöpfungsereignis (vgl. 5,17).“ 808 Vgl. Schafroth 2009, 75. Koch 1991, 132, beschreibt dies als „die negative Seite der Begnadigung“. 809 Vgl.  Block 1989, 41–43, zum Geist als „agency of prophetic inspiration“ bei Ezechiel und Ez 13,3 für entsprechende Beschreibung der falschen Propheten. 810 Schafroth 2009, 70. Vgl. auch Robson 2006, 230. 811 Vgl. dazu Robson 2006, 262.

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und gibt dem verbreiteten Motiv, dass Gott sein Gesicht als Reaktion auf Israels Ungehorsam verbirgt, damit ein eigenes Gepräge.812 In der Tat wirft Ezechiel sich angesichts der göttlichen δόξα nieder und wird erst dadurch, dass der Geist in ihn fährt, aufgerichtet und in die Lage versetzt, dass Gott mit ihm redet (vgl. Ez 3,23; ferner Ez 2,2).813 Auch beschreibt Ezechiel in einem Textzusammenhang, in dem das Fehlen jeder Bezugnahme auf den Geist auffällig ist,814 mehrmals die richtende und vernichtende Funktion der δόξα gegenüber den Heiden.815 Je nach Blickwinkel bieten die angespielten prophetischen Texte demnach einen reichen Nährboden, aus dem sich die Vorstellungswelt von 2 Kor 3 speist, oder einen weiten Resonanzraum, in dem sie widerhallen können. Bei all dem darf jedoch nicht außer Acht geraten, wie kreativ Paulus sich die Texte aneignet. Die Angabe, Gott schreibe im Wirkungsbereich des paulinischen Dienstes durch seinen Geist auf Herzenstafeln, signalisiert deutlich, dass Paulus sein Verkündigungshandeln in den Rahmen der eschatologischen Bundeserneuerung stellt. Zugleich ist es zunächst ja gerade nicht die Tora, die durch Paulus Verkündigung auf die Herzen der Korinther geschrieben wird, sosehr der Geist auch an ihnen wirkt. Vielmehr werden sie, die Korinther, ins Herz des Paulus geschrieben.816 Nach Jeremia wird Gott allerseits erkannt, nach 2 Kor 3,2 wird dieser Brief, d. h. der von Paulus ausgedrückte Sachverhallt allseits „erkannt und gelesen“. Eine simple Punkt-für-Punkt-Übertragung der prophetischen Verheißungen ist demnach nicht angezeigt.817 Ihre Adaption wahrt sich einen gewissen Grad an Flüssigkeit und Elusivität, in der mehr angedeutet als benannt wird. Auf diese Weise ist sie freilich bedeutend für die Deutung der übrigen Passage mit ihren biblischen Anspielungen, sei es auf die δόξα-Traditionen, die Verhärtung Israels oder die Verwandlung der Gläubigen.

812 Vgl. Schafroth 2009, 74, zu Jes 5,25; 9,11; 10,4; 30,4 und ferner die referierten Berührungspunkte zur Exodustradition. Ez 39,29 LXX spricht zwar auch vom πρόσωπον Gottes, ebnet diese Nuance aber ein, indem dort Geist durch θυμός ersetzt und so die Wendung „etw. ausgießen“ dem sonstigen Sprachgebrauch bei Ezechiel angepasst wird. 813 Vgl. ferner Jes 6. Block 1989, 37, klassifiziert diese Belege ebenso wie Ez 37: als „agency of animation“. Auch Schafroth 2009, 71, bestimmt den Geist dort als „animating principle of life that makes a person a living being“ in originell ezechielischer Anverwandlung der Schöpfungsvorstellung. 814 Vgl. Block 1989, 29. 815 S.o. und vgl. Duff 2015, 162–170. 816 Zumindest, sofern man der textkritischen Entscheidung von NA folgt (s. o. 4.4.3.2). 817 Deshalb ist der Schluss, das Wirken des Geistes bestünde auch unter den Bedingungen des neuen Bundes wesentlich in der Befähigung zur Toraobservanz, nicht zwingend, so sehr dies für Jer 31 und Ez 36 ausgesagt sein mag. Für eine von vielen möglichen Alternativen vgl. Back 2002, 132: „Den bekehrten Völkern wird aber nach Paulus nicht die Tora ins Herz geschrieben, wie es in Jer 38,31–34 (LXX) vorausgesetzt wird, sondern Christus“. Wenn sie daraus schließt „Als ‚Brief ‘ werden die Korinther von allen Menschen gelesen, das heißt, ‚Christus‘ wird an ihnen sichtbar“, vereindeutigt und verengt aber auch sie die Metapher.

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4.5.1.3 Die Gesetzesgabe am Sinai und Moses Rückkehr nach Ex 34,29–35 Im direkten Zusammenhang mit der Erzählung von der Gesetzesgabe am Sinai und Moses Rückkehr nach Ex 34,29–35 sind drei Themenfelder zu bedenken: die Gesetzestafeln, die Natur der göttlichen δόξα auf Moses Gesicht und Israels Unfähigkeit zum Gehorsam. Die Frage nach den Gesetzestafeln ist insofern relevant, als die Bemerkung zu den „steinernen Tafeln“ in 3,3 der erste deutliche Bezug auf die entsprechende Tradition und außerdem durch 3,7a mit den ausdrücklichen Exodusbezügen verklammert ist. Zudem setzt Ex 34,29–35 die Begegnung Moses mit Gott auf dem Sinai voraus. Sodann handelt es sich bei der δόξα auf dem Gesicht des Mose um die für den gesamten Text maßgebliche Vorstellung. Schließlich spricht Paulus in 3,14 von der Verhärtung Israels und bezieht dies auf die Geschehnisse von Ex 34,29–35. a Gesetzestafeln Wie zu sehen war lässt sich die hinter 3,3 stehende Aussageabsicht auch grob erfassen, ohne den Bezug auf die Gesetzestafeln zu aktualisieren. Da sich in diesem Falle jedoch keine kohärente und geschlossene Bildwelt ergibt, blieben mutmaßlich Fragen offen, die Nachfragen innerhalb der Gemeinde provozieren und so einen Austausch innerhalb der Gemeinde anstoßen könnten. Ansonsten bliebe die in 3,7 geschilderte Szene, vor allem die Angabe, der Dienst des Mose sei auf Steine eingegraben, unverständlich. Wird der Bezug hingegen aktualisiert, steht die scheinbar negative Konnotation der „steinernen Tafeln“ in Spannung zur ansonsten durchweg positiven Bewertung der Gesetzestafeln.818 Das Gegenüber von steinernen und fleischernen/lebendigen Tafeln erschließt sich dann nur vor dem Hintergrund der prophetischen Tradition. Das bedeutet jedoch auch, dass eine entsprechende biblische Anspielungskompetenz schon hier polarisierende Interpretationen, die Mose und das Gesetz abqualifizieren, bremst. Nicht Gesetz und Mosedienst an sich sind negative Größen. Das Problem des Mosedienstes besteht vielmehr darin, dass die Gläubigen „Mose“ nicht auf angemessene Weise entsprechen können. Überhaupt erscheint der Gedankengang geschlossener, wenn das plötzliche Auftreten Moses, der andernorts in der korinthischen Korrespondenz als Instanz begegnet, die für den Inhalt des Gesetzes steht (1 Kor 9,9: ἐν γὰρ τῷ Μωϋσέως νόμῳ γέγραπται), durch 3,3.5 f. vorbereitet ist. Wie ferner zu sehen war, verweist der Ausdruck „steinerne Tafeln“ auf die Gesetzestafeln an sich, ohne dezidiert das erste oder zweite Tafelpaar in den Blick zu nehmen oder diese Unterscheidung überhaupt aufzurufen.819 Die Bewegung von „Steintafeln“ zur Rede vom Bund in 3,6 lässt sich dabei jedoch nicht nur vor dem S.o. und vgl. Hafemann 1995, 204–215. Dies schwächt Hafemanns Vorschlag, Ex  32–34 insgesamt als Bezugstext zu verstehen, in dessen Mitte die Bundesbrucherzählung steht. 818 819

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Hintergrund von Jer 31, sondern ebenso gut im Lichte der „Tafeln des Bundes“820 verstehen, was die Gegenüberstellung der Dienste weiter konturieren und seinerseits die Gegenüberstellung von 3,7 vorbereiten würde. So sehr zu beachten bleibt, dass Paulus jede νόμος-Terminologie vermeidet und damit eher Mose als Vermittler der göttlichen Offenbarung und weniger den Inhalt dieser Offenbarung selbst in den Blick nimmt, ist doch anzuerkennen, dass bestimmte Vorstellungen vom Gesetz helfen, 3,7–11 kohärent zu deuten. Das gilt sowohl für das Motiv der δόξα als auch für die Angabe, der Dienst des Mose führe zum Tod. Hafemann merkt an: „That the Law was associated with the Glory of God and ‚came in glory‘ was, of course, a common theological maxim in post-biblical Judaism.“821 Folgt man 4 Esr 3,19, sei es gar die Herrlichkeit, die das Gesetz spendet. Zugleich erschließt sich der „tötende“ Charakter des Mosedienstes nicht nur vor dem Hintergrund anderer paulinischer Aussagen (vgl. Röm), sondern auch vor dem Hintergrund der in der Exodustradition bezeugten Strafwunder – zumal vor dem Hintergrund des Exodusreferats von 1 Kor 10 – und der Fluchandrohungen bei Gesetzesbruch (vgl. insb. Dtn 27,11–26). b Moses Begegnung mit Gott, seine Verwandlung und die δόξα auf seinem Gesicht Beginnend in 3,7 setzt der Text die Vorstellung von Gottes verwandelnder δόξα voraus. Im landläufigen Sinne als „Ruhm/Ansehen“ verstanden, würde δόξα nur oberflächlich an den Gedankengang anknüpfen, etwa so, dass Paulus begründen möchte, warum seinem Verkündigungsdienst ein solches Ansehen zusteht. Da die δόξα mit ihrer besonderen Wirkweise jedoch den gedanklichen Dreh- und Angelpunkt für 3,7–18 und darüber hinaus bildet, bliebe ohne dieses Wissen Wesentliches unverstanden. Die meisten übrigen Details der kurzen Erzählung Ex 34,29–35 werden in 3,7.13(.16) zwar knapp, aber im Grunde doch ausführlich genug referiert, um das wesentliche Geschehen zu erfassen, solange ein Grundwissen um Mose als den für die „Kinder Israel“ maßgeblichen Vermittler der Offenbarung Gottes gegeben ist.822 Was die δόξα auf dem Gesicht des Mose und ihre Wirkweise anbelangt, ist der Zusammenhang von Ex 34,29–35 insofern relevant, als sich das Motiv zweifelsohne aus dem direkten Umfeld der Erzählung speist. Die potentielle Gefahr, die von der Begegnung mit Gott ausgeht, ist in Ex 33,20 direkt ausgesprochen. Dass es die Begegnung mit Gott ist, die bezeichnenderweise als das „Reden“ mit ihm gefasst wird, die die δόξα auf Mose übergehen lässt, setzt Ex 34,29 implizit voraus (s. o. ‎4.2.3.1). Beide Vorstellungen finden sich zwar bemerkenswert selten in der der Exoduserzählung zugehörigen Auslegungstradition, die den Glanz auf Moses Gesicht

S.o. 4.2.3.2a. Hafemann 1995, 276, Anm. 61. 822 Vgl. Stanley 2004, 110–113, für eine differenzierte Abwägung. 820 821

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überwiegend als göttliches Beglaubigungszeichen versteht.823 Jedoch begegnen sie andernorts an prominenter Stelle und sind nicht auf die Exoduserzählung beschränkt. Die Vorstellung muss sich in den Augen der Hörerschaft demnach nicht notwendigerweise aus der Exodustradition speisen, um verständlich zu sein. Auf den bedrohlichen Charakter der göttlichen δόξα in der prophetischen Tradition war oben bereits eingegangen worden. Mit ihm vertraut sind aber auch andere Traditionsstränge.824 Auch die Weitergabe des Herrlichkeitsglanzes ist nicht nur Teil der altorientalischen Vorstellungswelt, aus der Ex 34 schöpft,825 sondern findet sich in anderer Terminologie auch in Texten wie Ps 34,6 oder Jes 60,5 MT.826 Der eschatologische Horizont von Jes 60,5 fügt sich ebenso gut in die Deutung, die Paulus in 3,18 vornimmt, wie die spätere rabbinische Verarbeitung der Tradition vom Glanz auf Moses Gesicht, die in ihm die Wiederherstellung der Gottesebenbildlichkeit erkennt.827 Überhaupt finden sich für die Vorstellung einer Verwandlung durch Schau reichlich Anknüpfungspunkte innerhalb und jenseits der biblischen Tradition, die auf verschiedene Weise auch für die Vorstellung von der Spiegelschau in 3,18 angebracht werden können und somit Anhalt am Text haben.828 Wie sehr Paulus ein solches Wissen voraussetzt, zeigt sich daran, dass er die Verwandlung, die mit dem Ansehen der δόξα einhergeht, erst in 3,18 benennt, diese Wirkweise der δόξα jedoch gedanklich im Mittelpunkt der Verarbeitung von Ex 34,29–35 steht. Auch die komplexe Struktur von 3,7–18, die Ex  34,29–35 auslegend folgt, erschließt sich nur von der Kenntnis dieses Textes her. Bereits mit seiner Handlung vertraut zu sein, ermöglicht es, die Angaben in 3,7 und 13 als Anspielungen auf eine bestimmte Episode zu erkennen und im Zusammenhang des Bezugstextes zu verorten: Paulus bezieht sich auf Moses erste Begegnung mit dem Volk Israel, nachdem dieser auf dem Sinai Gott begegnet war und mit den Gesetzestafeln vom Sinai herabkommt, deren Inhalt er dem Volk verkündet. Vor dem Anblick seines Gesichts fürchten sich die Israeliten, so dass er es später verhüllt, die Hülle in der Begegnung mit Gott jedoch wieder(holt) ablegt. Mitunter mögen die interpretieS.o. 4.2.3.1 und vgl. Back 2002, 73–75. S.o. unter 4.3.2.2a. Hafemann 1995, 291, Anm. 109, verweist etwa auf Hen(sl) 37 für die unerträgliche Herrlichkeit Gottes auf Henochs Gesicht. Ferner führt Theißen 1983, 274, Anm. 389, zur „Korrelation von Doxa und Gericht“ in einer sehr breiten Wahrnehmung des Motivs Dan 7,14; äthHen 50,4; 45,3; 55,4; 4 Esr 7,42; Mk 8,38; 10,37; 13,26; und Mt 25,31 an. 825 Haran 1984, 167 f., findet die nächste altorientalische Parallele im mesopotamischen mellamu: „This substantive basically indicates the brilliant light that radiates from the gods and seems to be taken as mostly surrounding their heads […]. The gods are even able to impart this light to other beings“. 826 Propp 1987, 381, Anm 27: „To my mind, texts such as Isa 60 5 and Ps 34 6 (cf also Eccl 8 1) are the strongest support for the traditional understanding of Exod 34 29–35, since they refer to the shining […] of faces after beholding Yahweh.“ Vgl. zu Jes 60,5 auch Hafemann 1995, 241. Er versteht dies als „a reversal of the cause and effects of the sin of the golden calf “. 827 Vgl. dazu Hafemann 1995, 294, Anm. 122, v. a. DevR 11,3. 828 Vgl. Schmeller 2010, 227 f., zu den entsprechend breit gestreuten Herleitungen von 2 Kor 3,18. 823 824

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renden Zusätze, die Paulus vornimmt, als solche erkannt und als Teil der Erzählung anerkannt worden sein. Je vertrauter Ex 34,29–35 als Text ist, desto klarer treten jedoch das Auslegungsmuster und die Schwerpunkte, die Paulus setzt, hervor. Das Textverständnis wird gelenkt: Paulus spitzt das Geschehen ganz auf das Gegenüber von Mose und Israeliten zu und betont dabei das Problem der δόξα auf Moses Gesicht. Der eigentlichen Gesetzesverkündigung durch Mose widmet er sich hingegen nicht. Ganz im Gegenteil macht der Zusammenhang deutlich, dass Paulus den Mosedienst zwar als Verkündigung begreift, jedoch die entsprechenden Details bei der Wiedergabe des Geschehens in 3,13 außen vor lässt. Stattdessen scheinen „Mose“ und die in 3,7.13 berichtete Begegnung mit Mose diesen Verkündigungsdienst zu verkörpern, wodurch die δόξα weiter in den Mittelpunkt rückt. Auf den wiederkehrenden Wechsel von Moses Aufenthalt im Festzeitenzelt und Gesetzesverkündigung weist allerhöchstens noch die Imperfektform in 3,13 hin. Auch erlaubt erst eine nähere Vertrautheit mit dem Text von Ex 34,29–35, die nicht explizit ausgewiesenen Bezüge in 3,10 und 3,16 auf eine Weise wahrzunehmen, die 2 Kor 3,7–18 als fortlaufenden Kommentar sichtbar macht. Dies rückt vor allem 3,10 aber auch 3,16 in neues Licht. Erst die sprachlichen Berührungspunkte zwischen 3,10 und Ex 34,29 f. legen die oben angedachte Deutung nahe, dass Paulus hier von der überbordenden aber gehemmten δόξα des Mosedienstes spricht und so die Grundlage seines Argumentationsmusters a fortiori stärkt. Ohne Aktualisierung dieses Bezugs wird 3,10 in der Tat so zu verstehen sein, dass die δόξα des Paulusdienstes der des Mosedienstes quantitativ überlegen ist, was ein sachgemäßes Verständnis der Passage zwar nicht verhindert, aber doch zu einer logischen Spannung führt (s. o. ‎4.4.5.2). An 3,16 wird in besonderem Maße deutlich, wie Paulus den Bezugstext auf die für ihn relevanten Elemente verdichtet. Moses Eintreten ins Festzeitenzelt ist nicht Teil der relevanten und damit referierten Szenerie. Paulus bedient sich also allgemeinerer Sprache und adaptiert das Verb ἐπιστρέφω, das in Ex 34,31 die Hinwendung Aarons zu Mose wiedergibt, um Moses Begegnung mit Gott zu beschreiben. Traditionen um einen regelmäßigen, unmittelbaren Kontakt zwischen Mose und Gott, wie sie sich etwa in Num 12,6–8 finden (s. o. ‎4.2.3.2d), erleichtern an dieser Stelle die Vorstellung.829 Das Verb verändert Paulus hingegen so, dass das Abtun der Hülle nun nicht mehr als Moses Handlung beschrieben wird, sondern als unpersönlicher Akt – im Einklang mit der Deutung, die die Hülle in 3,13fin. erfährt. Entgegen der in der Literatur immer wieder begegnenden Ansicht, gegenüber den schriftkompetenten Teilen seiner Hörerschaft disqualifiziere Paulus sich durch seine Interpretation von Ex 34,29–35, da sie in wesentlichen Details vom Bezugstext abweicht,830 steht das Gegenteil zu vermuten. In der Tat ließ sich zeigen, wie 829 Bedenkenswert aber nicht zwingend ist der Einwand, wolle man ἐπιστρέφω im hier vertretenen Sinne deuten, bedeute dies eine Rückkehr Moses auf den Sinai (Bertram 1964, 728). 830 Am prominentesten vorgetragen von Stanley 2004, 110–112. Unabhängig von den hier vor-

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Paulus durch seine deutenden Eintragungen auf exegetische Probleme im Text selbst reagiert und diese vor dem Hintergrund weiterer biblischer Traditionen einer Lösung zuführt. Anstatt seine Autorität zu untergraben, führt er folglich eher seine exegetische Expertise vor. Greifbar wird dies an zwei Stellen. Zum einen füllt Paulus mit der Angabe, die Israeliten haben Mose wegen des Herrlichkeitsglanzes nicht fest ins Gesicht blicken können, eine Leerstelle des Exodusberichts.831 Ex 34,29 f. berichtet lediglich, dass Israel sich fürchte, benennt dafür jedoch keinen Grund. Zum anderen erinnert Haran an eine Spannung im Text, die wiederholt Anlass zu literarkritische Operationen an Ex 34 gegeben hat: „if Moses could speak to the people without a veil, why should he put it on after he has already finished speaking“832? Diese Frage beantwortet Paulus, indem er impliziert, Israel habe Mose sehr wohl begegnen, aber nicht fest anblicken können, und die bedrohliche Intensität des Herrlichkeitsglanzes in 3,13 als Grund für die Verhüllung angibt.833 Im Übrigen ähnelt Paulus Deutung der Exoduspassage anderen verbreiteten alttestamentlichen Motiven. Biblische Beispiele für die Vorstellung, dass der Mensch in Gottes Gegenwart vergeht, gibt es viele.834 Gottes Gegenwart ist aber regelmäßig durch seine δόξα bestimmt. Besonders bezeichnend ist der bereits mehrfach angeführte Text Jes 6,5, in dem der Prophet klagt, als ein unreiner Mensch müsse er nun sterben, weil er Gott gesehen habe. Bei dieser Vision ist „das Haus von Gottes Herrlichkeitsglanz erfüllt“ (Jes 6,1 LXX: πλήρης ὁ οἶκος τῆς δόξης αὐτοῦ)835 und auch die Seraphim bedecken ihr Gesicht (Jes 6,2). Da sich eine ganz verwandte Vorstellung im direkten Umfeld von Ex 34,29–35 findet – nach Ex 33,20 kann kein Mensch Gottes Angesicht (und damit seine δόξα, vgl. Ex 33,18) sehen und leben –, handelt es sich dabei um eine im Wortsinne naheliegende Antwort auf die Frage, warum Israel sich vor dem Glanz auf Moses Gesicht fürchtete. Zugleich zeigt die getragenen Überlegungen ist gegen Stanley zu Recht in Anschlag zu bringen, er setze vorschnell seine Sicht auf die „eigentliche“ Bedeutung der Bezugstexte mit der Sicht der Erstrezipienten gleich. 831 Vgl. Stockhausen 1989, 97, und s. o. 4.2.3.1a. Dass Paulus damit keineswegs allein ist, muss in Anbetracht dessen nicht für eine Abhängigkeit von einer gemeinsamen Tradition sprechen. Die Parallelen können ebenso gut auf jeweils selbstständige exegetische Arbeit zurückgehen. 832 Haran 1984, 160. 833 Vgl. auch Back 2002, 121, die den Unterschied zu Ex 34 hervorhebt: „Das Motiv der Hülle […] gewinnt hier also einen ganz anderen Sinn als in Ex 34: Folgt man der eben dargelegten Auslegung des Textes, liefert das verhüllte Auftreten des Mose nach paulinischer Sicht die notwendige Erklärung dafür, weshalb sich die Mehrheit Israels gegenüber der christlichen Botschaft verschließt. Das Verhalten Israels entspricht nach paulinischer Überzeugung dem göttlichen Verstockungsplan.“ 834 Vgl. etwa Gen 32,31; Ex 3,6; Dtn 4,33; Ri 6,22; 13,22. Im NT bewahrt Offb 3,16 diesen Reflex. In diesem Zusammenhang sind womöglich auch die Vorstellung vom φῶς ἀπρόσιτον als Wohnstatt Gottes in 1 Tim 6,16 und die Aussage in 1 Joh 3,2 zu verstehen, die Gläubigen würden Gott einst gleich werden, weil sie ihn sehen werden wie er ist (ὅμοιοι αὐτῷ ἐσόμεθα, ὅτι ὀψόμεθα αὐτὸν καθώς ἐστιν). Für Ex 34,29 f. selbst vgl. auch die Grundidee von Propp 1987, die sperrige hebräische Formulierung als Hinweis auf Verbrennungen in Moses Gesicht zu verstehen, die die Begegnung mit Gott hinterlassen hat. 835 So auch der Targum (‫יכ ָלא‬ ְ ‫תמ ִלי ֵה‬ ְ ‫)ּומזִ יו יְ ָק ֵריה ִא‬. ִ Nach MT hingegen füllt lediglich Gottes Gewand/Saum das Heiligtum (‫יכל‬ ָ ‫ת־ה ֵה‬ ַ ‫ׁשּוליו ְמ ֵל ִאים ֶא‬ ָ ְ‫)ו‬.

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nicht unbeträchtliche Verbreitung einer solchen Vorstellung, dass sie von Seiten der Hörerschaft nicht erst aus Ex 33,20 abgeleitet werden muss, sondern auch ohne diesen konkreten textlichen Haftpunkt vertraut gewesen sein mag. Ob Jes 6 Paulus bei Abfassung von 2 Kor 3 vor Augen stand, ist durchaus erwägenswert (s. o. ‎4.2.3.2c). Während diese beiden Texte eher allgemein davon sprechen, dass „kein Mensch“ (Ex 33,20), zumindest kein sündhafter (Jes 6,5), Gott bzw. seine δόξα sehen könne, lässt sich vor dem Hintergrund von Ex 32–34 auch eine Lektüre entwickeln, die stärker das Volk Israel in den Blick nimmt. Scott Hafemann rekonstruiert dies folgendermaßen:836 Vom Schlagwort „steinern“ spanne sich eine dichte Assoziationskette bis hin zum Bundesbruch am Sinai. Es rufe unmittelbar Gottes Aufforderung in Ex 34,1 in Erinnerung, Mose solle Steintafeln anfertigen und auf den Sinai steigen. Dem Zusammenhang nach handele es sich dabei jedoch um das zweite Paar steinerner Tafeln. Nun sei der gesamte Vorgang nur deshalb nötig, weil Mose das erste Tafelpaar als Reaktion auf Israels Sünde zerstört hatte (Ex  32,15–19).837 In diesem Lichte erschließe sich aber die gesamte Rede von Gottes δόξα neu, zeige Gott Israel doch in Ex 33,3 an, er könne hinfort nicht mehr inmitten des Volkes sein. Seine Gegenwart würde es vernichten. Infolge dessen müsse Israel τὰς στολὰς τῶν δοξῶν ὑμῶν ablegen (Ex 33,5). „Once placed within its overall context, Israel’s fear is thus the natural response to YHWH’s prior warning in Exod. 33:3, 5 that due to their sin/fall with the golden calf his presence among them ‚for one moment‘ would mean their destruction. As a ‚stiff-necked people,‘ Israel cannot endure the glory of God (cf. 32:9 f.; 22; 34:9).“838 War Israels Angst, im Angesicht Gottes zu vergehen, in Ex 20,19 f. noch verfehlt, sei sie nun berechtigt, ja notwendig.839 So wenig sich im Text Signale finden, die diese Lektüre forcieren, handelt es sich doch um einen plausiblen Gedankengang, wenn man eine entsprechende Schriftkompetenz voraussetzt und den Ausgangspunkt bei Ex 32–34 nimmt.840 Überdies provozieren Hafemanns Überlegungen die Frage, in welchem Verhältnis Israels „Verstockung“ – in der Tat ein zentrales Motiv der Exodustradition – zur „Verhärtung“ in 2 Kor 3,14 steht (s. o. ‎4.2.3.2c). Während Hafemann beides in eins setzt,841 weist die Formulierung von 3,14 f. zunächst auf einen anderen Text: Dtn 29,3. Vgl. Hafemann 1995, 275–286; im Ansatz ähnlich Renwick 1991, 48. Vgl. Hafemann 1995, 277. 838 Hafemann 1995, 279 f. Hafemann führt weiter an, die targumischen Tradition deute das Ablegen der Gewänder insofern als Verlust der göttlichen Gegenwart, als der Gottesname auf ihnen geschrieben stand. Dazu verweist er auf TFrag PV Ex 32,25 und TFrag P Ex 33,6. 839 Vgl. Hafemann 1995, 280. 840 In der Tat fehlt jeder Hinweis, dass Paulus zwischen dem ersten und zweiten Tafelpaar differenziert (s. o.) oder den Bundesbruch von Ex 32 anderweitig in den Blick nimmt (anders als in 1 Kor 10). Hafemanns sehr globale Betrachtungsweise, die nicht durchgängig den Textsignalen folgt, zeigt sich beispielsweise auch daran, dass er das Wirken der Hülle schon in 2 Kor 3,7 mitdenkt. Alles andere hieße, den Text „atomistisch“ zu lesen (Hafemann 1995, 276, Anm. 62). Dabei geht diese Überlegung jedoch über die Beobachtung hinweg, dass Paulus Ex 34,29–35 linear folgt. 841 Vgl. Hafemann 1995, 375. Dies bedingt freilich eine eigenwillige Auslegung von 2 Kor 3,12– 836 837

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c Israels Ungehorsam und Israels Verhärtung Der letzte Vorstellungskomplex, der hier in den Blick zu nehmen ist, findet sich in 3,14 f.: die Verhärtung Israels bzw. das Wirken der Hülle „bis heute“. Schenkt man dem lukanischen Bericht Apg 18,1–18 insoweit Glauben, dass die Gemeindegründung in Korinth durch Ablehnungserfahrungen seitens der Synagoge geprägt war, in der Paulus zuvor (mutmaßlich anhand der Schrift) gelehrt hatte, greift Paulus hier eine Erfahrung auf, die auch ohne Rekurs auf die Schriften verständlich ist. Die auffällig wiederholte Angabe, der Zustand der Verhüllung dauere „bis auf den heutigen Tag“ an, wird ein entsprechend schriftkundiges Publikum jedoch zur intertextuellen Digression anleiten. Die nächstliegende Parallele findet sich in Dtn 29,3. Von Seiten des Paulus ist die Verarbeitung dieses Textes wahrscheinlich, weil er Dtn 29,3 zusammen mit Jes 29,10 in ähnlichem Zusammenhang und mit deutlichen sprachlichen Ähnlichkeiten zu 2 Kor 3,14 in Röm 11,7 f. verarbeitet (s. o. 4.2.3.2c). Beide Texte würden sich thematisch gut in den Zusammenhang einfügen, schließlich drücken sie aus, „wie Gottes Heilshandeln vor Israel verborgen wird, und stellen dessen Unverständnis mit dem Bild nicht seh-fähiger ‚Augen‘ dar“842. So wahrscheinlich demnach aus der Perspektive des Paulus auch Jes 29,10 im Hintergrund stehen mag, gibt es im Text keinerlei Signale, die die Hörerschaft auf diesen Text hinweisen würden. Freilich ist ein Bezug dadurch nicht ausgeschlossen, handelt es sich doch um einen der prominenteren Texte, die Israels mangelndes Verständnis geistlicher Dinge beschreiben,843 zumal die Vorstellungswelt von Jes 29,10 im Hinblick auf die Hülle, die die Seher verhüllt (nur MT: ‫יכם ַהחֹזִ ים ִּכ ָּסה‬ ֶ ‫אׁש‬ ֵ ‫ת־ר‬ ָ ‫)וְ ֶא‬, und das versiegelte und deshalb unverständliche Buch (Jes 29,11) grundsätzlich anschlussfähig für 2 Kor 3 ist, auch wenn eine saubere Zuordnung der Motive zueinander nicht ohne weiteres gelingt.844 Von den verschiedenen verwandten prophetischen Texten845 bietet jedoch Jes 6,9 f. den höheren Erklärungswert.846 Mit der Gefahr, in die die Gottesunmittelbarkeit den Propheten bringt, seiner Veränderung, diese auszuhalten (Jes 6,4 f.) und schließlich der Aussage, Israel werde hören und nicht verstehen, sehen aber nicht erkennen (Jes 6,9 f.), verbindet Jes 6 ähnliche Motive miteinander, wie Paulus es in 2 Kor 3 tut. Das Wissen um Jes 6 verliehe dem Argument somit zusätzliche Überzeugungskraft. In Anbetracht der Verarbeitung der gleichen Texte in Joh 12,39–41 mag man eine traditionelle und bekannte Verbindung dieser Texte vermuten,847 zumal eine Übersetzung kursiert haben mag, nach der 14, die die Verstockung als Voraussetzung, nicht als Folge der Verhüllung versteht. S.o. 4.4.6.2. Vgl. Danker 1973, 90 f., zur begrifflichen Vielfalt der Vorstellung der Verhärtung im AT. 842 Wilk 1998, 211. 843 S.o. ‎4.2.3.2c zur Rezeption bei Johannes. Zur Prominenz von Dtn 29 vgl. Waters 2006, 29–78. 844 S.o. und Stockhausen 1989, 141–144. 845 Vgl. v. a. Jer 5,21 und Ez 12,2. Dazu Hafemann 1995, 366. 846 S.o. ‎4.2.3.2c zur Vermutung Jes 6,9 f. stünde auch hinter Röm 11,7 f. 847 S.o. ‎4.2.3.2c und vgl.  Wagner 2002, 251, zur Ähnlichkeit von Röm  11,8 und Joh 12,39–41.

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Jes 6,10 als einziger thematisch einschlägiger Text des Alten Testaments das Verb πωρόω verwendet, von dem auch Paulus hier Gebrauch macht.848 Freilich ist auch dieser Bezug in keiner Weise markiert. Von allen verwandten Texten zeigt Jes 6,9 f. jedoch wohl nicht von ungefähr die größte sprachliche und konzeptuelle Nähe zu Dtn 29,3.849 Orientiert man sich an den vorhandenen Textsignalen, gibt nämlich bereits das Wissen um Dtn 29,3 dem Text stärkere Kohäsion und fügt ihm eine weitere Bedeutungsebene hinzu. Zunächst entspricht die Trias von Herzen, die nicht wissen, Augen, die nicht sehen, und Ohren, die nicht hören, den verschiedenen Vorgängen, die Paulus im Bild von der Hülle miteinander verschmilzt.850 Von Herzen spricht er selbst (3,15), Augen und Ohren sind konnotiert. Sodann steht Dtn 29,3 am Anfang einer breiten biblischen Tradition, die drei Themenkomplexe miteinander verbindet. „[T]he LXX often speaks of Israel’s rebellion (theme 1) in the context of the ongoing covenantal proclaiming of God’s word (theme 2), while affirming that such a rebellion has lasted until the present day (theme 3).“851 Im Wesentlichen entspricht dieser Gedanke den genannten prophetischen Traditionen. Weitere Tiefe gewinnt die Anspielung, sobald man Dtn 29,3 in seinem Zusammenhang betrachtet. Das Wort σήμερον, dessen Wiederholung wesentlich den intertextuellen Signalwert von 2 Kor 3,14 f. ausmacht, fehlt als solches in Dtn 29,3 ja gerade. Das Konzept des „heutigen“ Tages, vor allem des „heutigen“ Tages, an dem Mose das Gesetz verkündet852 und Gott seinen Bund mit Israel aufrichtet,853 ist hingegen charakteristisch für Dtn und dort praktisch allgegenwärtig. Ein schriftkundiger Leser mag Paulus Beharren auf σήμερον als Verweis auf diesen Vorstellungszusammenhang verstehen:854 Auch Paulus „heute“ ist als Verkündigungssituation qualifiziert855 und während Israel der „alte Bund“ verschlossen bleibt, übt Paulus einen Dienst des „neuen Bundes“ aus.856 Aus einer höheren Warte arbeitet Danker 1973, 89–100, am Beispiel des Johannesevangeliums den Zusammenhang von Verhärtung des Herzens und der Unfähigkeit, Jesu δόξα zu erkennen, heraus. 848 Solches vermutet Wagner 2002, 211, in Anbetracht des Gebrauchs von πωρόω in der Wiedergabe von Jes 6,10 in Joh 12,40. 849 Wagner 2002, 244, versteht Jes 6,9 f. deshalb als „strategic hermeneutical hub“ für Paulus. Er merkt an: „In the entire LXX, the combination ‚hearts-eyes-ears‘ occurs a mere six times; of these, only Isaiah 6:9–10 and Deuteronomy 29:4 speak of the failure to perceive with heart, eyes, and ears.“ 850 Vgl. für die letzten beiden Punkte Angers 2007, 125 f. 851 Angers 2007, 121. Er verweist dafür in der LXX auf Dtn 29,3; Jos 22,17; 1 Reg 8,8; 4 Reg 17,23; 21,15; 1 Esd 8,73 f.; 2 Esd 9,7; 19,32; Jer 3,25; 7,25; 25,3; 39,20.31; 51,10; Bar 1,13.19; Ez 2,3; 20,31. 852 Vgl. Angers 2007, 133–138. Besonders bezeichnend dafür ist die regelmäßige Verknüpfung von σήμερον und Promulgationssatz. Angers führt dafür 36 Belege an. 853 Vgl. etwa Dtn 29,13 f.; 30,15–20 und Angers 2007, 138–143. 854 Vgl. Angers 2007, 150. 855 Die Verarbeitung von Dtn 30,12–13 in Röm 10,8.16 f. verdeutlicht, dass für Paulus das Evangelium zumindest in Röm der dem Gesetz äquivalente Verkündigungsinhalt ist (vgl. Angers 2007, 137). 856 Unter Verweis auf Bar 1,15–3,8 und 2 Kor 6,2 forciert Angers die Deutung als heilsgeschicht-

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Die Prominenz der Kapitel Dtn 29–32 macht das für derartige Aktualisierungen notwendige Wissen bei Teilen der Hörerschaft durchaus wahrscheinlich.857 Von daher sind auch Bezüge, wie Jane Heath sie herstellt, denkbar.858 Vor dem Hintergrund von Dtn 29–32 mag das Szenario, das Paulus entwirft, in der Tat an die Gesetzesverlesung zu Sukkoth im Angesicht des Kyrios und die Ablösung Moses durch Josua/Jesus erinnern.859 Allerdings baut eine solche Deutung nicht nur auf eine unklare Datierung, sondern auch auf sehr spezifische Details des Bezugstexts auf und harmoniert nicht in allen Punkten mit der oben vorgetragenen Interpretation von 2 Kor 3, wohingegen eine Lektüre im Lichte der breiter bezeugten Tradition um das deuteronomische „heute“ der Passage weitere Geschlossenheit verleiht. Vom Bund und dem Problem des Gesetzesgehorsams sprechen schließlich auch die in 3,2 f.6 aufgerufenen prophetischen Texte. Bereits diese bezeugen ein Ringen um die Frage, inwiefern Israel seine Verhärtung selbst zu verschulden hat. Vergleicht man etwa Jes 6,10 MT und LXX, wird deutlich, dass nach MT der Prophet in Gottes Auftrag die Verstockung über Israel bringt, wohingegen diese nach LXX Grund für dessen Sendung ist.860 In Röm 11,8 macht Paulus deutlich, „daß Gottes Handeln die alleinige Ursache der Verstockung darstellt, diese also von außen an Israel herangetragen worden ist“,861 indem er den Geist der Betäubung (πνεῦμα κατανύξεως) aus Jes 29,10 in Dtn 29,3 einträgt. Das dahinterstehende Paradox löst er freilich nicht auf. Auf die Frage, ob die Verstockung aus dem Ungehorsam Israels hervorgeht, gibt Paulus dort ebenso wenig eine eindeutige Antwort wie hier.862 Umgekehrt findet sich eine entsprechende Ambivalenz auch in Hinsicht auf die Erneuerung des Bundes/der Herzen nach Jer 31 und Ez 36:„A difference is that Ezekiel sees this inward change preceding the outward restoration, while according to Jeremiah it can also follow it.“863 Paulus hingegen thematisiert dies nicht, sondern verschmilzt den Horizont beider Texte wie selbstliche Gegenüberstellung noch weiter. Dabei baut er über weite Strecken jedoch vor allem auch auf die Deutung, die Dtn 29,3 in Röm 11 erfährt (vgl. Angers 2007, 143–149). 857 S.o. Anm. 843. 858 S.o. S. 319. 859 S.o. und vgl.  Heath 2013, 45 f.50–58. Dazu führt Heath 2013, 47, LAB 20,1; Virt. 66; A. J. 4,165.186 f.324 und AssMos 1,14–18 an, um „Jewish interest in both Moses’ end and Joshua’s succession in Paul’s day“ zu illustrieren. Allerdings unterscheidet sich die Ablösung Moses durch Josua doch in vielem vom Verhältnis zwischen Mose und Christus, das Paulus beschreibt. Ganz allgemein fußen Heaths Beobachtungen auf eindrücklichen aber unscharfen Berührungspunkten, die überwiegend nicht dazu beitragen, die Passage fokussiert wahrzunehmen. Gerade das ist programmatisch für das, was sie als „mysterious amphiboly“ (Heath 2013, 51) beschreibt. 860 Vgl. Kuyper 1974, 460–462, zur Spannung zwischen eigenem Verschulden und Gottes Tun in der Verhärtung am Beispiel des Pharaos und Israels nach Dtn 29 und Jes 6. 861 Wilk 1998, 54. 862 Vgl. dazu Wilk 1998, 142 f. Wilk 1998, 143, nähert sich dem Gedanken der Verstockung mit der Formulierung, es handele sich um „ein vom menschlichen Verhalten unabhängiges, es aber umgreifendes Handeln Gottes“, an. Zur Grundfrage s. o. Anm. 109. 863 Leene 2000, 167.

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verständlich miteinander. Allem Anschein nach entspricht eine Unterscheidung von Ungehorsam und Verstockung nicht seinem Gedankengang.864 Zusammen mit dem Fehlen jeglicher νόμος-Terminologie865 stützt dies die Beobachtung, dass es Paulus um Mose als Vermittler der göttlichen Offenbarung und das Erkennen dieser Offenbarung geht und weniger um Mose als Mittler des Gesetzes und Fragen der Toraobservanz. Unter diesem Vorbehalt kann die „Verhärtung“ Israels in 3,14 mit Israels „verhärtetem Nacken“ und Bundesbruch korreliert werden, sodass Paulus einer spezifischen innerbiblischen Auslegungsbewegung folgte.866 Notwendig zum Verständnis der Passage ist dies jedoch nicht. Bereits das bloße Motiv der Verhärtung interagiert vielfältig mit den prophetischen Bezugstexten. 4.5.2 Funktion der Schriftbezüge Die intertextuelle Erkundung hatte eine doppelte Funktion der Schriftbezüge in 2 Kor 2,14–4,6 festgestellt: eine inhaltlich-theologische und eine rhetorisch-kommunikative. Beide lassen sich nun genauer bestimmen. Auf der inhaltlichen und theologischen Ebene bemüht Paulus die Schrift zunächst als Autorität, auf deren Aussagen er gedanklich aufbauen kann. Aus sich selbst heraus mag er nicht in der Lage sein, etwas zu ersinnen oder zu beurteilen (s. o. S. 427 zu 3,5 f.). Anhand biblischer Aussagen und Vorstellungen scheint ihm dies sehr wohl möglich zu sein.867 So wie bereits der in 1 Kor 10 vorgeführte und vermittelte „typologische“ Umgang mit der Mose-Exodus-Tradition im Rückgriff auf biblische Vorstellungen eine nicht unmittelbar einsichtige Tiefenebene der Wirklichkeit sichtbar gemacht hatte, beruft sich Paulus hier auf biblische Vorbilder (Mose in seiner Berufung und seinem Dienst), Verheißungen (Bundeserneuerung), Vorstellungen (Gottes δόξα, Verstockung Israels) und Vorgänge (Ex  34,29–35 in seinem narrativen Zusammenhang; Gottes Schöpfungshandeln), um die wahre, den Adressaten jedoch verborgene Natur seines Verkündigungsdienstes aufzuzeigen und plausibel zu machen. Die rhetorisch-argumentationslogische Analyse hatte eine doppelte gedankliche Grundbewegung ausmachen können, die sich im Anschluss 864 Dies entbindet die Exegese von einer Fülle logischer Probleme. Vgl. die Bemühungen, die zeitliche Abfolge von 2 Kor 3,12–15 in eine stimmige Reihenfolge zu bringen, bei Hafemann 2020. 865 Und zwar nicht nur hier. Vgl. die Einschätzung von Blanton, IV 2010, 223, zu 1 Kor 11,23–26: „Paul’s modification is explicitly to remove from this covenantal theology any association that it may have had with the Torah.“ 866 So Hafemann 1995, 377: „Paul’s move from Exod. 32–34 to the summary statement in Deut. 29:3 f., together with the later prophetic traditions from Jeremiah and Ezekiel, has been prepared for by the canonical tradition itself.“ Ferner zu Dtn 29,3: „[The] deficiency within the old covenant was not the Law, but the continuing hardened hearts of the people. As a result, Paul’s move from the prophetic background of his argument in 3:6 to Exodus 32–34 in 3:7 ff. is not only a natural one thematically, but also an effective one apologetically.“ 867 Vgl. Stanley 2004 für eine Analyse der Funktionsweise und Bünger 2020 für eine vergleichende Analyse von Zitaten als Autoritätsträgern bei Cicero und Paulus.

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an die auffällige Häufung von correctiones mit „nicht …, sondern …“ benennen lässt. Dabei bezeichnet „nicht“ die dissoziative Bewegung des Textes, nämlich in erster Linie die Verschiebung des gedanklichen Rahmens von weisheitlich-philosophischen Kategorien, die eine Beglaubigung des Paulus in seinem eigenen Verhalten und seiner rednerischen Kunstfertigkeit suchen, zu apokalyptisch-prophetischen Kategorien, die erkennen, dass und warum Paulus für seine Befähigung allein auf Gott verweisen kann. „Sondern“ bezeichnet die wirklichkeitsetablierende Bewegung, die diese neuen Kategorien anhand des biblischen Beispiels herleitet und mit Plausibilitätsstrukturen füllt. Beide Seiten sind maßgeblich biblisch bestimmt. Im Unterschied zu 1 Kor 10 reihen sich Paulus biblische Zeugen nun jedoch kaum je als direkte Begründung eines gedanklichen Schlusses (D) ins Argument ein. Vielmehr agieren sie auf einer gedanklich höher liegenden Ebene, indem sie entweder biblische Vorbilder und Vorstellungen mit den ihnen zugehörigen Plausibilitätsstrukturen aufrufen oder aber diese Plausibilitätsstrukturen anhand des biblischen Beispiels zuallererst etablieren. Letzteres wird im direkten Vergleich mit 1 Kor 10 besonders deutlich. Das biblische Argument in 1 Kor 10 nimmt insgesamt die Form eines Analogiearguments oder eines gerichteten Vergleichs zwischen der Wüstengeneration und der Gemeinde in Korinth ein.868 „Der Vergleich dient dazu, eine bestimmte Eigenschaft am thematischen Gegenstand herauszustellen oder ihn neu zu beschreiben.“869 Die zahlreichen, dort in Anschlag gebrachten Beispiele dienen zwei Grundgedanken: die Analogie zwischen damals und heute zu erweisen (10,1–5) und sodann ihre Implikationen auszuführen (10,6–11), nämlich die Gefahr zu demonstrieren, in der jene stehen, die dem Götzendienst gleichzusetzende pagane Opfer verzehren (10,7.15–22). Steht die Analogie einmal fest, ist eine direkte Übertragung der Verhältnisse möglich: Hier wie dort drohen Gottes Zorn und Vernichtung. 2 Kor 3 hingegen entfaltet seine argumentative Kraft nicht von einem einfachen Vergleich oder einer Analogie, sondern von Metaphern bzw. einer metaphorischen Entsprechung her. Beide Argumentationsweisen sind eng miteinander verwandt und doch zu unterscheiden.870 Christine Gerber bestimmt einen der wesentlichen Unterschiede zwischen Metapher und Vergleich so, dass in der Metapher „der Bildspender den Bildempfänger zum Teil ‚übermalt‘, also in bestimmten Aspekten 868 „Gerichtet“ ist dieser Vergleich, weil die Vergleichsgrößen nicht umkehrbar sind. Vgl. zum gerichteten Vergleich Kuschnerus 2002, 45 f. Zum Analogieargument vgl. Gerber 2005, 104. 869 Kuschnerus 2002, 53 (Hervorhebung K. O.). 870 Gerber 2005, 104 f., äußert sich zur Ähnlichkeit von Metapher und Analogieargument: „Das Analogieargument rückt insofern in die Nähe zur Metapher, als es den hypothetischen Charakter der Analogie übergehend eine Übertragbarkeit behauptet, die nachvollzogen werden muss. Hier wurzelt die argumentative Funktion der Metapher […], und es überrascht nicht, dass Paulus aus demselben Bildfeld eine Metapher und ein Analogieargument schöpfen kann.“ Sie führt dort z. B. aus dem Bildfeld „Familienbeziehungen“ die Metaphern 1 Kor 4,14 ff.; 2 Kor 6,13 und das Analogieargument 2 Kor 12,14 an.

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ausblendet“871. In der Metapher werden die Adressaten „in einer Weise angesprochen, die sich von ihrer faktischen Situation unterscheidet“872. Eben dies geschieht in 2 Kor  2,14–4,6 durch die Reihe unterschiedlicher Metaphern, die alle auf den gleichen Bildspender zielen: den Verkündigungsdienst des Paulus.873 Dieser ist ja gerade nicht von einem sichtbaren Herrlichkeitsglanz begleitet, wie Paulus ab 4,7 eindrücklich ausführt. Auch führt die durch den paulinischen Verkündigungsdienst vermittelte δόξα nicht zu einer sichtbaren Verwandlung oder gar physischen Neuschöpfung der Gläubigen. Trotzdem möchte Paulus die Plausibilitätsstrukturen und Wirkgesetze des physisch wahrnehmbaren mosaischen Herrlichkeitsglanzes auf den eigenen Dienst übertragen wissen. Das Ansehen seines Dienstes und der Herrlichkeitsglanz mit all seinen Implikationen fließen ineinander. Dies ist sogar essentiell notwendig, um dem Text gedanklich folgen zu können. Das Publikum muss sich in die Gedankenwelt hineingeben, um den Text nachvollziehen zu können. Offensichtlich ist Paulus auf die spezifische Art des wirklichkeitsetablierenden Mitdenkens angewiesen, die die metaphorische Rede fordert. Dies mag erklären, warum die Argumentation nicht schon in 3,4–6 endet. Während 1 Kor 10 unabhängig vom Erfahrungshintergrund der Korinther bzw. gegen deren Einschätzung der Wirklichkeit auf biblische Plausibilitätsmuster zurückgreift und diese per Analogieschluss in Anschlag bringt, erweist Paulus seine Fähigkeit zum Dienst in 2 Kor 2,14–3,6 ja unter deutlichem Rückgriff auf den Erfahrungshorizont der Korinther. Freilich geschieht auch dies anhand biblischer Bilder. Diese als solche zu verstehen ist jedoch nicht unabdingbar. Material hat er sein Argumentationsziel damit schon erreicht, ehe die ausführliche Exodusbezugnahme beginnt. Erst indem Paulus die Mose-δόξα als metaphorische Entsprechung der Wirkweise des eigenen Dienstes aufbaut und ausdeutet, gelingt es ihm aber, seinen Adressaten zu vermitteln, auf welche Weise, d. h. innerhalb welches gedanklichen Bezugsrahmens, diese von seinem Dienst und seiner Fähigkeit denken sollen. Durch die Verarbeitung der Exodusepisode und ihrer Wirklichkeitsstruktur verändert der Text die Wirklichkeitswahrnehmung der Adressaten. Argumentationstheoretisch gesprochen etabliert Paulus durch die Exodusbezugnahme ein implizites „Inventar Gerber 2005, 104. Kuschnerus 2002, 53. 873 D. h. sie verorten allesamt die Tätigkeit des Paulus zwischen Gott und den Verkündigungsempfängern: Triumphzug und Duft, Empfehlungsbrief bzw. Gottes Schreiben auf lebendige Herzen, Mosedienst. Vgl. die Übersicht bei Gerber 2005, 227 f., zu den Metaphern in 2 Kor 2–7 und ihre Erläuterungen, 228 f. Zur Vielfalt der in 2 Kor 2,16–4,6 angeführten Metaphern hilfreich sind auch folgende Überlegungen bei Gerber 2005, 110: „Unterstellt man, dass die Metaphorik als Sprachform eine strukturelle ‚Rekurrenz‘ darstellt, rückt die Häufung der Metaphern das mit ihnen kommunizierte Thema in den Mittelpunkt. Metaphern schärfen aber auch die Aufmerksamkeit für die jeweils verbildlichten Aspekte. Sie ergänzen sich also, beschränken sich aber auch: Der Wechsel zwischen Bildspendebereichen verhindert eine Bevorzugung und Ontologisierung eines Konzeptes, wie es etwa die juridische Metaphorik im Röm in der Dogmengeschichte anregte; solch Wechsel weist immer wieder auf die Grenzen auch metaphorischer Kommunikation hin.“ 871 872

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von Schlußregeln“874, auf das er im Folgenden zurückgreifen kann. Dies ist die klassische argumentative Funktion der Metapher.875 Wie im Zuge der rhetorisch-argumentationslogischen Analyse deutlich wurde, lässt sich dieses Inventar von Schlussregeln nur unter Schwierigkeiten in abstrakte Sätze überführen.876 Dies korrespondiert der katachrestischen Dimension der Metapher, die als Metapher Dinge auszudrücken vermag, die umschreibend nicht auszudrücken sind.877 Auch so betrachtet erweitert Paulus durch die biblisch gefüllte Metaphorik die Grenzen des Denkbaren. Dass Paulus, wenn er metaphorisch spricht, „als Bildspender in der Regel der Alltagserfahrung zugängliche Aspekte“878 wählt, macht den metaphorischen Charakter der Schriftverwendung umso bemerkenswerter. Die Autorität der Schrift potenziert die der Metapher inhärente argumentative Kraft bis dahin, dass die in 3,7–18 entwickelte Bildsprache schließlich schriftunabhängig gebildete Metaphern überschreibt (vgl. 2,14–16b mit 4,1–6)879. Im metaphorischen Gebrauch treffen sich somit die inhaltlich-theologische und die rhetorisch-kommunikative Funktion der Schriftbezüge in 2 Kor 2,16–4,6. In rhetorischer und kommunikativer Hinsicht baut Paulus durch die Expertise und Auslegungskompetenz, die er im Umgang mit der Schrift an den Tag legt, zunächst sein rednerisches Ethos auf. Auch so dienen die Schriftbezüge ganz der Aussageabsicht der Passage. Hatte 1 Kor 10 den Vorgang der Schriftauslegung noch kommentierend demonstriert, demonstriert Paulus nun seinen eigenen souveränen Umgang mit der Schrift, der ihn als bevollmächtigten Verkündiger und Experten ausweist, der eine Episode der Mose-Exodus-Tradition vor einem weiten biblischen Hintergrund zu betrachten, sie ihrem Text folgend detailliert auszudeuten und en passant exegetische Probleme zu lösen vermag. Zugleich bewirkt das Muster zunächst verborgener, dann zunehmend deutlich werdender intertextueller Mar874 So Pielenz 1993, 138, über die „analoge argumentative Gebrauchsfunktion zwischen der Topik und einem konzeptuell entwickelten Metaphernverbund“. 875 Buntfuß 1997, 61, spricht von der „Schlußregelhaftigkeit des [antiken] Topos“ der Metapher. Im Anschluss an Pielenz 1993, 138 f., sind Metaphern als „Argumentationsmatrix“ aufzufassen: „In ihrer argumentativen Verwendbarkeit sind sowohl konzeptuelle Metaphern als auch Topoi demnach funktional deckungsgleich. So wie wir vom schlußregelfixierenden Topos x – e. g. der Topos des ‚Mehr und Minder‘ – reden, können wir uns auf die argumentative Funktion der Metapher y beziehen – e. g. ‚Sexualität als Naturgewalt‘“. Pielenz Überlegungen zur argumentativen Funktion von Konzeptmetaphern lassen sich dabei mit Gerber über den Bereich der konzeptuellen Metaphern hinaus ausdehnen. 876 Eine Schlussregel, nämlich die Analogie der Situationen, etabliert Paulus auch in 1 Kor 10 anhand des biblischen Beispiels, jedoch ist der Vorgang dort ungleich weniger komplex, sodass Paulus die SR klar fassen und benennen kann (10,6.11). 877 Vgl. Gerber 2005, 110. 878 Gerber 2005, 106. 879 Wenn Gerber 2005, 199, schreibt, 4,1–6 „greift die Konzeptmetapher auf, die religiöse Erkenntnis als Schau oder Sehen darstellt“, ist das zwar richtig, aber nicht vollständig erkannt: die Metapher ist durch den ausführlichen biblischen Bezug ihrem Bildspender nach entscheidend verändert.

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kierungen Solidarisierungseffekte mit dem schriftkundigen Teil der Hörerschaft, appelliert diese Textstrategie doch an dessen eigene Expertise.880 Folglich hat die Schriftverwendung für diese Gruppe auch leserlenkende Funktion. Die Aktualisierung bestimmter Schriftbezüge bereitet den weiteren Gedankengang vor, vereindeutigt nachfolgende Aussagen und beugt so bestimmten Deutungen, etwa einer Abwertung des Mose, vor. 4.5.3 Rezeption und Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6 als Bildungsprozess Abschließend nach der Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 2,14–4,6 als Bildungsprozess zu fragen, bedeutet, die Ergebnisse der Untersuchung auf ihre Aussagekraft für die Schriftbildung des Paulus, die durch den Text vorausgesetzte Schriftbildung auf Seiten der Adressaten und das sich im Text selbst ereignende oder durch ihn angestoßene Bildungsgeschehen zuzuspitzen. Was die Bildung anbelangt, die zur Abfassung des Textes nötig ist, bestätigt die Untersuchung die Ergebnisse aus 1 Kor  10,1–22 und fügt ihnen nur wenig Neues hinzu. Paulus spricht aus einer intimen Vertrautheit mit Israels heiligen Schriften und den sie umgebenden Auslegungstraditionen heraus. Die Art der Verarbeitung von Ex  34,29–35 zeugt von exegetischem Problembewusstsein und hoher Auslegungskompetenz, wie sie etwa in der Verschmelzung verschiedener biblischer Traditionen sichtbar wird, durch die der Text einen Grund rekonstruiert, warum die Israeliten Angst vor Moses Anblick hatten. Eine „gewaltsame Uminterpretation des Alten Testaments“881 wird man Paulus jedenfalls nicht vorwerfen können. Ein weiter, biblisch-theologischer Horizont ist ebenso greifbar wie das Wissen um Auslegungstraditionen, die sich im überlieferten biblischen Text nicht finden. Für diese Auslegungstraditionen können keine Bezugstexte, sondern nur parallele Zeugen ausgemacht werden, jedoch ist nicht erkennbar, dass der Schriftgebrauch zwischen solchen Deutungen und dem kanonisch gewordenen Text differenziert. Insgesamt orientiert sich Paulus am griechischen Text der LXX. Kenntnis des hebräischen Textes oder einer hebraisierenden Bearbeitung ist durch einige Beobachtungen wahrscheinlich zu machen, aber nicht mit Sicherheit zu belegen. Ähnlich wie dies für direkte Zitate bei Paulus zu zeigen ist, dienen Zuspitzungen der Erzählung und Abweichungen von der vermuteten Textvorlage dem Aussageinteresse. Durch die detaillierte Aufnahme und Kommentierung sprachlicher Details wird noch deutlicher als in 1 Kor 10, dass Paulus sein primärer Bezugstext als Text vor Augen stand. Auch hier lässt sich kein Beweis führen, ob Paulus Ex 34,29–35 und dessen Umfeld mündlich, d. h. in memorierter Gestalt, oder schriftlich konsultiert 880 S.o. S. 27 und vgl.  Quintilians Bemerkungen zur Überzeugung durch Andeutungen und Vorwegnahme in inst. 9,2,65.68.77; 9,1,14 und Lampe 2009, 189. 881 So Theißen 1983, 157.

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hat. Der Detailgrad der Bearbeitung lässt jedoch letzteres vermuten, zumal ein Studium schriftlicher Vorlagen für Paulus auch an anderen Beispielen demonstriert werden kann.882 Das hermeneutische Vorgehen entspricht der in 1 Kor  10 demonstrierten „typologischen“ Auslegung: Der biblische Text macht nicht unmittelbar einsichtige Tiefenstrukturen der gegenwärtigen Wirklichkeit sichtbar. Neben dem Bezugstext und den durch ihn aufgeworfenen Fragen selbst kontrollieren dabei zwei Parameter die Auslegung: das weitere biblische Zeugnis und das Christusbekenntnis, das die Verkündigungssituation eschatologisch qualifiziert. Ganz eindeutig liest Paulus die Exodusereignisse im Horizont der angeführten prophetischen Verheißungen. Durch sie wird eine Aktualisierung des Geschehens auf die durch Christus bestimmte Gegenwart hin möglich. Zugleich zeigt die Schriftverwendung in 2 Kor 3 deutlicher noch als in 1 Kor 10, inwiefern das Evangelium für Paulus „Grundlage und Regulativ des Verstehens der Schrift“883 ist, die ihrerseits das Evangelium erhellt. So ist die Erlösungsbedürftigkeit, die in Christus befriedigt wird, eine zentrale Achse der paulinischen Aneignung von Ex 34,29–35. Anders als 1 Kor 10, wo der biblische Horizont so weit ist, dass konkrete Bezugstexte nur mit Schwierigkeit zu greifen sind, lassen sich die prophetischen Bezugstexte in 2 Kor 3 recht klar fassen. Weitere biblische Anschlussmöglichkeiten wurden hingegen erst im Schritt der Skalierung sichtbar und plausibel. In Anbetracht der thematischen Berührungspunkte zwischen den verschiedenen Vorstellungen von Bundeserneuerung wäre es wohl grundsätzlich möglich, das theologisch-hermeneutische Programm im weiteren Sinne als „deuteronomisch“ zu bezeichnen. Allerdings bieten sich Passagen aus Paulus „Lieblingstexten“ wie Dtn und Jes zwar durchaus als gedanklicher Hintergrund an, jedoch handelt es sich dabei um schwächer bzw. gar nicht markierte Bezugnahmen. Auch die von Stockhausen und anderen aufgeworfene Frage, ob die einschlägigen Ezechiel- und Jeremiastellen den Text so dominieren, dass sie der Mose-ExodusTradition inhaltlich vorgeordnet sind, erweist sich als unglücklich gestellt. Insofern es ohne diese Vorstellungen als hermeneutischem Rahmen nicht möglich wäre, den Exodustext für das Argumentationsziel in Anspruch zu nehmen, lassen sich diese Texte durchaus als vorgeordnet betrachten. Gleichwohl lassen sich viele Elemente der Ausdeutung von Ex 34,29–35 auch aus dessen direktem Umfeld herleiten und es ist dieser Text, den Paulus auf eine Weise referiert und an den er auf eine Weise anknüpft, dass auch kleinste Details hohe Relevanz für den Gedankengang besitzen. Wenn Stockhausen dagegen einwendet: „Only δόξα is taken from Exodus 34 in this series of inferences“884, denn alle anderen inhaltlichen Motive speisten sich aus Vgl. Wilk 1998, 404 f. Koch 1986, 349. 884 Stockhausen 1989, 116. Vgl. in gegensätzlicher Variante Hafemann 1995, 227: „The themes of judgment, and restoration thus provide the theological structure for the narrative on Exod. 32–34 as a whole, and for its climax in Exod. 34:29–24 in particular.“ 882 883

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dem „pool“ der anderen Bezugstexte, verkennt sie die Bedeutsamkeit der δόξα als gedanklichem Angelpunkt von 2 Kor 3. Insofern ließe sich auch dieser Text als vorgeordnet bezeichnen.885 Letztlich geht die Auslegung beider Texte bzw. Textgruppen Hand in Hand und es ist gerade ihr Zusammenspiel, das die Passage auszeichnet. Ähnliches gilt für die Frage, ob der Text oder die an ihn herangetragene Problemlage in Korinth Priorität besitzt. Es ist die Problemlage, die das Nachdenken über die Texte anstößt, aber die Texte sind mehr als Stichwortgeber. Sie tragen etwas zur Fragestellung bei und lassen sie in anderem Licht erscheinen. Aufschlussreicher ist die Untersuchung im Hinblick auf die vorausgesetzte Schriftkompetenz auf Seiten der Adressaten. Zwar wurde deutlich, dass der Idealleser von 2 Kor 2,14–4,6 ein hohes Maß an Schriftkompetenz besitzt, doch scheint es einen recht breiten Toleranzraum zu geben. Um dem Gedankengang von 2 Kor 2,14–4,6 in den wesentlichen Punkten folgen zu können, ist es gerade nicht unbedingt notwendig, alle vorhandenen biblischen Anspielungen zu aktualisieren oder auch nur zu erkennen. Zwar führt das Muster zusehends deutlich werdender intertextueller Markierungen zu Bestätigungseffekten, wenn Anspielungen erkannt werden, ehe sie offengelegt werden. Auch stärkt etwa Vertrautheit mit Moses Berufungsgeschichte, wie sie in 2,16c angespielt wird, die Kohärenz des Gedankengangs, indem sie Paulus Insistieren, nicht aus eigener Kraft fähig zu sein (3,5), und das Beispiel des Mose ab 3,7 angemessen einzuordnen hilft. Unabdingbar für das Textverständnis ist jedoch auch ein solches Wissen nicht. Nicht einmal zentrale Konzepte wie das des neuen Bundes (3,6) oder das Motiv der beschriebenen Stein- und Herzenstafeln (3,2 f.) müssen von ihrem biblischen Hintergrund her gefüllt oder in ihrer intertextuellen Tiefe verstanden werden, wenngleich beides dem Text eine größere theologische Prägnanz verleiht. Sogar das Wissen um die Handlungsfolge der Sinaiperikope, besonders um die Verhärtung des Volkes, die zum Bundesbruch (vgl. 1 Kor 10) und zur Zerstörung der ersten Gesetzestafeln führt, ehe Mose wie in Ex 34 beschrieben und in 2 Kor 3,7 aufgenommen mit dem zweiten Tafelpaar vom Berg herabsteigt, erscheint als notfalls entbehrlich. Zwar hilft all dies, den inneren Zusammenhang der Anspielungen wahrzunehmen, jedoch teilt Paulus die notwendigen Details der Handlung in 3,7.13 mit und erläutert sie je im Anschluss. Unabdingbar, um den Text in der oben beschriebenen Weise verstehen zu können, ist jedoch das Wissen um die transformative und unter Umständen bedrohliche Macht des göttlichen Herrlichkeitsglanzes, ohne das sich die inneren Zusammenhänge von 3,7 und 3,13 f. und die Übertragung des Konzepts auf den gegenwärtigen Verkündigungsdienst nicht erschließen.

885 Dass nicht einfach prophetische Texte „vorgeordnet“ sind, wird auch darin deutlich, dass die im weiteren Sinne prophetische Tradition ums Unverständnis Israels ab 3,13 in das Exodussetting eingezeichnet wird.

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Ferner ist eine grundsätzliche Vertrautheit mit und ein grundsätzlich positives Verhältnis zur Schrift als normativer Größe unbedingt vorausgesetzt. Dies schließt die Gestalt des Mose als zunächst einmal positiver Bezugsgröße ein. Ein solches positives Mosebild bewahrt vor klassischen Fehlinterpretationen der Passage, wobei zu sehen war, dass eine hohe Vertrautheit mit den angespielten Texten gewissermaßen noch weiter gegen ein negatives Mosebild immunisiert. Vertrauen in die Schriftauslegungskompetenz des Paulus wird auf Leserseite nur bedingt vorausgesetzt. Für ein biblisch gebildetes Publikum erzeugt der Text ein solches Vertrauen durch seine rhetorische Anlage selbst. Zugleich demonstriert Paulus hier seine Expertise auf eine Weise, die sich der Leserschaft nicht erschließen muss, um dem Gedankengang zu folgen. Weder das mehrmalig sich wiederholende Muster zunehmend deutlicher Markierung noch das komplexe Kommentarmuster, nach dem Paulus Ex 34,29–35 behandelt, ist inhaltlich unentbehrlich. Damit argumentiert Paulus ähnlich wie in 1 Kor  10 mit einem doppelten biblischen Boden. Während dieser doppelte Boden in 1 Kor 10 jedoch in einen schriftdidaktischen Rahmen eingebunden war, in dem Paulus sein Vorgehen erklärt und zugleich – und sei es mit einem Augenzwinkern für die Eingeweihten – demonstriert, fehlt hier eine solche Erklärung. Paulus scheint die richtige Weise der Schriftauslegung nicht mehr mit dem Zweck der Vermittlung zu demonstrieren, sondern demonstriert vielmehr seinen eigenen souveränen Umgang, der ihn als bevollmächtigten Verkündiger und Experten ausweist. Alles in allem wird 2 Kor 2,14–4,6 die größte Überzeugungswirkung auf ein hoch schriftkompetentes Publikum haben, das Mose in Ehren hält und mit den zentralen angespielten Traditionen und Texten ebenso vertraut ist wie mit gängigen Auslegungstraditionen und -verfahren. Mit diesen Augen betrachtet gleicht die Passage für Paulus einem exegetischen Schaulaufen. Bemerkenswert ist vor dem Hintergrund des Einflusses von Apollos in Korinth und etwaiger programmatischer Auseinandersetzungen,886 wie stark Paulus Traditionen aufnimmt und im Vorübergehen modifiziert, die durch Philo aus dem alexandrinischen Judentum bekannt sind. So reizvoll es wäre, diesem Gedanken weiter zu folgen, lassen sich entsprechende Schlussfolgerungen jedoch nur mit äußerster Vorsicht ziehen. Zum einen dürfen Philo und Apollos nicht übereilt zu nah aneinandergerückt werden. Das alexandrinische Judentum war größer als Philo und Apollos zählt nicht einmal notwendigerweise zu dessen profilierten Vertretern. Zum anderen mag der Befund durch die Quellenlage ein gewisses Ungleichgewicht erhalten, sind viele Auslegungstraditionen doch überhaupt nur bei Philo überliefert. Verfängt die argumentative Strategie des Textes also vor allem bei einem hoch schriftkompetenten Publikum, befähigt der Text jedoch auch weniger schriftkom-

886 Vgl. etwa Wilk 2017, 162–164, und Cover 2015, 13 f.; ferner Sterling 2012, 169; van Kooten 2012, 326–328.

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petente Hörer, zentrale Aussagen nachzuvollziehen und vermittelt ausreichend Informationen, die es erlauben, offen gebliebene Fragen zu formulieren. Betrachtet man endlich den angestoßenen Bildungsprozess, wird im Vergleich zu 1 Kor 10 deutlich, dass mit einem weniger schriftkundigen Publikum vielleicht auch nur noch bedingt zu rechnen ist.887 Wie bereits festgestellt wurde, legen die biblischen Bezüge in 1 Kor  10,1–22 die Art und Weise des Schriftgebrauchs offen und kommentieren sie. Wenn der Schriftgebrauch in 2 Kor 3 den Grundsatz einer solchen Lektüre, d. h. die Auslegbarkeit der Gegenwart durch den biblischen Text, ohne erklärende Bemerkungen nach Maßgabe von 1 Kor  10,6.11 voraussetzt und auch keine grundsätzlichen hermeneutischen Überlegungen mehr anstellt, die darauf zielen, ein bestimmtes Schriftverständnis erst noch zu vermitteln, zeugt dies vom Ergebnis eines (auch) in 1 Kor 10 angestoßenen Bildungsprozesses.888 Wenn Paulus es als wünschenswert darstellt, dass die Hülle, die auf dem „alten Bund“ liegt, abgetan wird, bedeutet dies zwar eine Grundsatzaussage zur bleibenden Gültigkeit dieses „alten Bundes“ als göttlichem Offenbarungs- und Begegnungsmedium. Allerdings erfolgt auch diese Aussage geradezu beiläufig, was die ihr zu Grunde liegenden Überzeugungen als bereits geteilte Überzeugungen wahrscheinlich macht. Auch die Einheit der Schrift, im Sinne der Kraft verschiedener Schriftworte und -vorstellungen sich gegenseitig auszulegen, wird ebenso demonstriert wie vorausgesetzt. Daneben ermöglicht das Muster der zunehmend deutlich werdenden intertextuellen Markierungen einen selbstverstärkenden Bildungsprozess durch Relektüre und innergemeindliches Gespräch. Zum einen mögen die stärkeren textuellen Interferenzen ein Nachfragen provozieren, zum anderen erschließt sich die intertextuelle Dimension von 2 Kor 2,14–4,6 bei der zweiten Lektüre leichter als bei der ersten. Da verschiedene intertextuelle Spuren zum Ende des Textes hin aufgelöst werden, wird die Hörerschaft sensibilisiert und wird bei einem zweiten Textdurchgang auch Signale zu deuten wissen, die ihr beim ersten Hören verschlossen geblieben waren. Lässt sich der erste Korintherbrief insgesamt als ein „Dokument der Unterweisung“889 verstehen, das unter anderem darauf abzielt, „allen Gemeindegliedern die 887 In der Tat vermittelt 1 Kor 10 biblische Vorstellungen, die das Verständnis von 2 Kor 3 fördern, von der Analyse aber als entbehrlich ausgewiesen wurden. Ein Verzicht auf diese Vorstellungen sollte jedoch nicht nötig sein, wenn 1 Kor 10 einen erfolgreichen Bildungsprozess angestoßen hat. 888 Den Text insgesamt auf die Legitimierung des Paulusdienstes hin zu lesen und auch 3,12–18 in diese Gedankenbewegung einzuordnen, bedeutet, die biblische Einlassung nicht als dezidierte hermeneutische Handreichung bzw. „eine[ ] grundsätzliche[ ] Reflexion des Paulus über das Verstehen der Schrift ἐν Χριστῷ“ (Koch 1986, 340) verstehen zu können. In der Tat ist auffällig, dass es Paulus „offenbar vermeiden […] [möchte] Schrift überhaupt als ‚Schrift‘ zu bezeichnen“ (340). Koch möchte dies mit der Gesprächssituation erklären und lässt die Beobachtung von daher nicht als Argument gegen seine Einschätzung, „Thema des Paulus ist hier tatsächlich die Verlesung der Schrift“ (335), gelten. Wie oben gezeigt und vom Text selbst beschrieben, geht es Paulus an dieser Stelle jedoch viel mehr um Mose als Vergleichspunkt seines Verkündigungsdienstes als um eine Abhandlung über die Rolle und Interpretation der Schrift. 889 Wilk 2019, 22.

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bei manchen schon vorhandene, eingehendere Schriftkenntnis zu erschließen“,890 zeigen sich Spuren eines solchen Programms auch noch hier. Insgesamt ist es jedoch weniger eine Technik der Schriftauslegung oder ihre Notwendigkeit, die 2 Kor 3 vermittelt. Vielmehr führt der Text das ebenso in 1 Kor vorfindliche Programm, die Schrift als existenzbestimmenden Standard des christlichen Lebens zu begreifen, fort, indem er Denkkategorien und Vorstellungen in biblische Bahnen überführt. Während sich aus dem ersten Korintherbrief verschiedene Beispiele anführen lassen, in denen eine doppelbödige biblische Argumentation zur Delegitimierung einer oberflächlichen Bibelauslegung führt,891 betreibt 2 Kor  3 eher eine Überschreibung paganer Vorstellungen mit biblischen Kategorien.892 Ein Motiv wie die Erleuchtung etwa lässt sich auf vielfältige Weise pagan konzeptualisieren, aber Paulus füllt das Konzept dezidiert biblisch. Auch über „Befähigung“ lässt sich durchaus in einem diesseitig-philosophischen Sinne nachdenken, aber Paulus forciert den göttlichen, prophetisch-apokalyptischen Blickwinkel, nach dem δόξα (Ansehen) allein in der Vermittlung der göttlichen δόξα zu finden ist und der die Verkündigungssituation des Paulus als eine eschatologische begreift. Auch dies mag letztlich zum hoch metaphorischen Charakter der Passage beitragen, können Metaphern doch einerseits als „sprachlich kondensierter Niederschlag des kollektiven Überzeugungshaushaltes einer Gemeinschaft (Mentalität) gelten“893, der auf dem Weg der Metapher greifbar, aber andererseits auch formbar wird. Buntfuß resümiert: „Auf die mentale Prägekraft konzeptueller Metaphern wird zurückgegriffen, wenn Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt oder brüchig werden.“894 In eben eine solche Situation „zwischen den Welten“ spricht Paulus hinein.

Wilk 2019, 40 f. Vgl. Wilk 2019 zu 1 Kor 2,6–16 und 14,20–25, letztlich aber auch oben 3.5.2 zu 1 Kor 10. 892 In dieser Weise ähnelt das Vorgehen doch 1 Kor 10, auch wenn die Begründungslogik dort umgekehrt war. 893 Buntfuß 1997, 84. 894 Buntfuß 1997, 84. 890 891

5 Auswertung Die Untersuchung hatte es sich zum Ziel gesetzt, am Beispiel der Mose-ExodusTradition in 1 Kor 10 und 2 Kor 3 – die im Text vorausgesetzten Schriftbezüge zu erheben und – ihre kommunikative Funktion auf eine Art und Weise zu bestimmen, die es erlaubt: a) Schriftkenntnis und -verständnis des Paulus zu beschreiben, b) auf Schriftkenntnis und -verständnis der Adressaten zu schließen und c) den Schriftgebrauch des Paulus in seiner Logik als Bildungsvorgang nachzuzeichnen. Abschließend sollen ihre Ergebnisse auf diese Aspekte hin gebündelt werden.

5.1 Bezüge auf die Mose-Exodus-Tradition und ihre Bestimmung Die Schwierigkeit, Schriftbezüge im Werk des Paulus mit hinreichender Sicherheit zu bestimmen, ist im Verlauf der Untersuchung deutlich zu Tage getreten. Vor allem die intertextuelle Erkundung von 1 Kor 10 ergab ein über die Maßen buntes Tableau diskutierter und potentieller Bezugstexte, die in dieser Breite noch an keinem anderen Ort zusammengetragen worden sind. Aber auch eine Passage wie 2 Kor 3, deren Bezugstexte sich aufgrund markanter wörtlicher Übereinstimmungen mehrheitlich gut lokalisieren lassen, lässt genügend Unschärfen, um hinsichtlich möglicher Bezugstexte und ihrer kommunikativen Funktion in lebhafte Debatten zu geraten. Ungeachtet der unterschiedlichen Schriftverwendung in beiden Kapiteln hat sich dabei das Vorgehen bewährt, die Untersuchung entlang der Frage nach Bildungsprozessen zu strukturieren. Die eingehende Untersuchung des Textes unter Berücksichtigung zunächst nur klar markierter Schriftbezüge erlaubt es, das Aussageinteresse der jeweiligen Passage deutlich genug zu fassen, um den Wert weiterer denkbarer intertextueller Digressionen an ihm zu messen. Dabei ließ sich Verschiedenes beobachten: – In beiden Textbeispielen führt die Reintegration nicht deutlich angezeigter Bezüge auf die Mose-Exodus-Tradition nicht nur zu einem Textverständnis, das dem rhetorischen Ziel der Passage dient, die Aktualisierung dieser Bezüge steigert auch erheblich die Kohärenz des Gedankengangs. – Zwar verbirgt sich der Schlüssel, der die gedankliche Struktur der Passage im Wesentlichen erschließt, jeweils in deutlich markierten Bezugnahmen. Um sie auf

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5 Auswertung

diese Weise zu aktualisieren, bedarf es jedoch einer gewissen Schriftkompetenz. Vor allem das Zitat von Ex 32,6 in 1 Kor 10,7 kodiert mehr, als auf der Textoberfläche sichtbar ist. An diesen Stellen sind der Zusammenhang des Bezugstextes und mit ihm verbundene Auslegungstraditionen von inhaltlicher Bedeutung. – Zugleich ist ein zumindest rudimentäres Textverständnis im Sinne der erhobenen Aussageintention auch ohne eine entsprechend hohe Schriftkompetenz möglich, wenn man Vertrautheit mit grundlegenden Handlungselementen des MoseExodus-Geschehens und spezifischen theologischen Konzepten unterstellt; in 2 Kor 3 noch mehr als in 1 Kor 10, wobei 1 Kor 10 sich stärker müht, die Adressaten an das notwendige Wissen heranzuführen. Auf diesem Wege entsteht ein Korridor möglicher intertextueller Digressionen und unterschiedlicher Grade von Schriftkompetenz, die eine sinnstiftende und kohärente Lektüre ermöglichen. – Unbeschadet dessen bleiben Unschärfen an den Rändern dieses Korridors. Eine Fülle denkbarer Bezüge steht in einem losen Verhältnis zum Aussageinteresse, ohne es zu behindern, aber auch ohne es wesentlich zu befördern. Auch lassen sich viele Bezüge im Einklang mit dem Textziel aktualisieren, ohne dass der Text durch sie in erheblichem Maße an Kohärenz gewönne. Dies gilt vor allem für 1 Kor  10. Diese Bezüge mögen von Seiten der Hörerschaft teils gehört worden sein. Fraglich bleibt, inwiefern sie vom Autor intendiert sind. Mitunter erlaubt die Aktualisierung dieser Bezüge je und je unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, ohne aber den Kern des Anliegens zu berühren. – Verschiedene diskutierte Schriftbezüge lassen sich nach dieser Methode jedoch auch als nicht intendiert ausscheiden, da sie dem Textziel nicht dienen oder sogar deutlich zuwiderlaufen. Mitunter korrelieren diese Bezüge mit verbreiteten Fehldeutungen der Texte, so dass sich auf deren Aktualisierung durch verschiedene Leser schließen lässt. Von ihnen ausgehend lässt sich jedoch keine kohärente Gesamtdeutung der jeweiligen Passage entwickeln, die den exegetischen Befund und die expliziten Schriftbezüge gleichermaßen berücksichtigt. Die Einsicht, dass Schriftbezüge sich nicht hinreichend anhand starrer, formaler Kriterien bestimmen lassen, stärkt die Position jener, die sich mit Richard Hays und anderen auch auf flexibel zu handhabende, inhaltliche Kriterien und exegetisches Augenmaß stützen. Dass dies keineswegs mit methodischer Beliebigkeit gleichzusetzen ist, die zu wenig belastbaren Ergebnissen führt, sollte deutlich geworden sein. Zu stark ist die Verdichtung von Hinweisen auf bestimmte Bezüge, auch wenn die Ränder offenbleiben müssen und weiterhin zur Spekulation einladen. Zwei Schwierigkeiten drängen sich dabei für die Rekonstruktionsarbeit auf, denen methodisch noch kaum beizukommen ist. Beide weisen über diese Arbeit hinaus. Eine betrifft den Maßstab der „Kohärenz“, entspricht dieser doch zwangsweise den Verstehensbedingungen der Gegenwart. Antikem Kohärenzempfinden ließ sich nur vereinzelt und bruchstückhaft nachspüren, etwa anhand andernorts bezeugter

5.1 Bezüge auf die Mose-Exodus-Tradition und ihre Bestimmung

517

Auslegungsmuster oder anhand von Maßgaben in den rhetorischen Handbüchern. Gleiches gilt für Fragen von Emotionalisierung und emotionalem Empfinden, die wiederholt für die rhetorische Analyse von Belang waren. Die Argumentation trägt dadurch zuweilen spekulative Züge, was unter anderem in den beschriebenen Unschärfen resultiert. Die Orientierung an einem festen methodischen Raster, das sich dem Textanliegen in mehreren Schritten nähert, bedeutete den Versuch, an dieser Stelle gegenzusteuern und gerade in der Mitte der Argumentation zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen. Ob Modelle, neutestamentliche Exegese mit Kognitionslinguistik und Neurowissenschaften zusammenzudenken,1 oder die beginnende historische Emotionsforschung2 in Zukunft Abhilfe zu schaffen vermögen, bleibt abzuwarten. In bescheidenen Anfängen hat diese Arbeit begonnen, derartige Impulse aufzunehmen, ohne dass sie den Gang der Untersuchung jedoch maßgeblich hätten verändern können. Die zweite Schwierigkeit bedeutet eine Konkretion der ersten im Hinblick auf die Fragestellung der Untersuchung. Sie betrifft die Kluft zwischen der schriftlich geprägten Textkultur der Gegenwart und der mündlich geprägten der Antike. Während schriftliche Texte die einzige Referenzgröße sind, an der die Forschung sich orientieren kann, hat die Untersuchung besonders anhand von 1 Kor 10 doch deutlich werden lassen, wie wenig die Fokussierung auf schriftliche Textzeugen dem Befund der Paulusbriefe gerecht wird; zum einen, weil die wenig repräsentative Überlieferungssituation Abhängigkeiten verzerrt wahrnehmen lässt  – ein klassisches Beispiel ist das Gewicht Philos für die Paulusexegese –, zum anderen, weil das vorfindliche Geflecht von Schriftbezügen seiner Komplexität halber einen verinnerlichten, assoziativen Zugang zur Schrift nahelegt. Eine wirklich sachgemäße Exegese müsste diesen nicht nur aus dem Befund heraus passiv anerkennen, sondern aktiv mitdenken können. Dass die Auseinandersetzung mit dem Bibeltext als Text in seiner (auch) schriftlich fixierten Gestalt an verschiedenen Stellen überdeutlich wurde – dies nun besonders anhand von 2 Kor 3 –, mag versöhnen. Dennoch gilt es, in Zukunft nicht nur der sprachlichen Gestalt, sondern auch dem Vorstellungsgehalt möglicher „Text“-Bezüge stärker Rechnung zu tragen. Dies trifft nicht nur auf die Analyse narrativer Stoffe wie der Mose-Exodus-Tradition zu, die Paulus zuweilen mehr als Erzählung aufzurufen scheint als als Text. Das Beispiel der erwägenswerten Anspielung auf das Schma in 1 Kor 10,17 illustriert, wie auch in anderen Textgattungen die Trennlinie zwischen sprachlichem Bezugstext und gedanklichem Bezugstext (im Sinne eines weiten Intertextualitätsbegriffs) verschwimmen kann. Freilich sind derlei flüssige Gehalte methodisch kaum zu greifen. Indem sie ihren Ausgangspunkt bei deutlichen Schriftbezügen nimmt und sich von dort aus voran wagt, hat die vorliegende Arbeit versucht, auf diesem Feld Wege zu bahnen. 1 2

Vgl. die Bemühungen der SRI, insb. Thaden 2017; ferner Eastman 2017. Vgl. Inselmann 2015; Inselmann 2016; Selby 2016, Spencer 2017.

518

5 Auswertung

5.2 Die kommunikative Funktion der Schriftbezüge Dort, wo Bezüge auf die Mose-Exodus-Tradition im gedanklichen Gefälle der Texte verortet werden konnten, zeigte sich eine doppelte Funktion: Die Schriftbezüge tragen vor allem inhaltliches und rhetorisches Gewicht. Dies entspricht zu großen Teilen den bekannten Einsichten zur Funktion v. a. der Schriftzitate bei Paulus: Paulus bezieht sich auf die Schrift, um die eigene Position erklärend zu bestätigen3 und im Horizont von Anfragen zu begründen,4 letzteres mitunter angereichert um eine „relationale Funktion“5. Der Befund geht in diesen Schlagworten jedoch nicht auf. Inhaltlich betrachtet begründen Schriftbezüge die Argumentation in doppeltem Sinne. Dies geschieht in 1 Kor  10 und 2 Kor  3 auf ähnliche aber unterscheidbare Weise. Beiden Texten gemein ist der Rückgriff auf die Schrift als unhinterfragte Autorität mit normativ orientierender Bedeutung für die Lebensgestaltung (v. a. 1 Kor 10) und das Denken der Gläubigen (v. a. 2 Kor  3). An keiner Stelle sieht Paulus sich veranlasst, Aussagen der Schrift zu rechtfertigen. Vielmehr verstärkt er seine Argumentation verschiedentlich durch Schriftbezüge, gerade auch dort, wo seine Stimme allein nicht zu tragen vermag. Dabei scheinen inhaltliche Gesichtspunkte auf zwei verschiedenen Ebenen den Ausschlag für Rekurse auf die Mose-ExodusTradition zu geben. Zunächst berührt die Streitfrage in beiden Fällen theologische Vorstellungen, die aufs Engste mit den Ereignissen von Exodus und Wüstenwanderung und den entsprechenden Auslegungstraditionen verknüpft sind: Bund und Alleinverehrung in 1 Kor 10, Offenbarung und Gottesbegegnung in 2 Kor. Derlei biblische Vorstellungen und ihnen verwandte Schriftaussagen rücken entweder als Daten oder Schlussregeln in die Argumentation ein oder werden durch diese angebahnt. Sodann vermag das biblische Beispiel Sachverhalte offenzulegen, die aus der Struktur der alltäglich erfahrenen Wirklichkeit nicht abzuleiten sind, weil sie in Gott und Gottes Handeln gründen, wie es in der Schrift bezeugt ist: den Zusammenhang von paganem Kultmahl und der vernichtenden Eifersucht Gottes in 1 Kor  10, die Natur eines im göttlichen Herrlichkeitsglanz gründenden Offenbarungsdienstes in 2 Kor 3. Der Gedankengang schöpft folglich auf zweierlei Weise aus der Mose-ExodusTradition: im Sinne der Kopperschmidt’schen Terminologie funktional und material. Darin, wie dies geschieht, unterscheiden sich die beiden untersuchten Texte. In 1 Kor  10 begegnen Schriftbezüge auf der funktionalen Ebene vor allem als Daten zur Begründung gedanklicher Schlüsse, und zwar unabhängig vom Grad ihrer intertextuellen Markierung und der Art des Schriftbezugs. Von daher geht der gedankliche Nachvollzug Hand in Hand mit der Aneignung biblischer Aussagen. Vgl. Koch 1986, 101; Wilk 1998, 60; Stanley 2012b, 322. Vgl. Stanley 1992, 339; Wilk 1998, 79 f.; Stanley 2012b, 322; Bünger 2020, 174–179. 5 Bünger 2020, 190. 3 4

5.2 Die kommunikative Funktion der Schriftbezüge

519

Diese „typologische“ Aneignung zielt auf einen gerichteten Vergleich zwischen der Wüstengeneration und den Gläubigen der Gegenwart: Auf dem Weg der Analogie lassen sich bestimmte Aspekte übertragen, so dass die verborgene Tiefenstruktur der eigenen Wirklichkeit anhand der Mose-Exodus-Tradition sichtbar wird. Auf der materialen Ebene verschiebt sich so der kategoriale Bezugsrahmen der Argumentation. Dass 1 Kor 10 dies nicht nur demonstriert, sondern erklärend begleitet, macht die Eigenart des Textes aus. Die Schrift bestimmt nicht nur den Inhalt des Gedankengangs, sie wird zum Medium ihrer eigenen Vermittlung. Notwendig ist dies, da Paulus einen derartigen Schriftumgang offenbar nicht voraussetzen kann. So tritt neben die erste Kapitelhälfte, in der Paulus vor allem die Schrift sprechen lässt, die Passage 10,15–22, die stärker durch persönliche Äußerungen des Apostels strukturiert ist und sich müht, den gedanklichen Gehalt der Schriftbezüge anhand allgemein bekannter Kategorien einzuholen. Alles in allem rekurriert Paulus auf die Mose-Exodus-Tradition, um einen Sachverhalt zu begründen und den Überzeugungswert seiner Ausführungen zu steigern. 2 Kor 3 hingegen führt auf der funktionalen Ebene kaum biblische Zeugen als Daten zur Begründung eines gedanklichen Schlusses an. Eher etabliert die Passage durch ihren metaphorischen Schriftgebrauch ein Inventar von Schlussregeln, das die Adressaten sich zu eigen machen und anwenden müssen, um dem Gedankengang folgen zu können. Auch hier bedeutet der gedankliche Nachvollzug also eine Aneignung biblischer Gehalte. Nun handelt es sich jedoch nicht mehr allein darum, Sachaussagen anzuerkennen und einzelne Punkte zu übertragen, sondern sich ganz in eine gedankliche Welt hineinzubegeben, die die Plausibilitätsstrukturen der erfahrenen Wirklichkeit nicht nur ergänzt, sondern überschreibt. Damit geht der Schriftgebrauch in 2 Kor  3 auf der materialen Ebene einen Schritt über 1 Kor  10 hinaus. Folgerichtig kennt 2 Kor 3 auch keine Plausibilisierung seiner Gedanken in allgemein verständlichen Kategorien. Das Textziel kann nicht ohne die Schrift erreicht werden, die das gedankliche Koordinatensystem der Adressaten transformiert. Während 1 Kor 10 auf die gedankliche Welt der Schrift verweist, möchte 2 Kor 3 die Hörerschaft in diese gedankliche Welt hineineinheben. Paulus rekurriert auf die Mose-Exodus-Tradition, um ein Wirklichkeitsverständnis zu etablieren, das zu einer angemessenen Beurteilung seines Dienstes führt. Insgesamt illustriert die funktionale und materiale Doppelfunktion der Schrift, auf welche Weise sie Paulus „Zeugnis und Interpretament“6 des Evangeliums ist. Angetrieben von einer konkreten Sachfrage wählt er Aspekte der Mose-Exodus-Tradition, die seine Argumentation im Horizont des Evangeliums funktional stützen. Der materiale Wechsel in biblische Bezugsrahmen macht jedoch deutlich, wie sehr die Schrift dabei auch das Denken des Paulus informiert und prägt.

6

Wilk 1998, 380.

520

5 Auswertung

Rhetorisch betrachtet befördern die Schriftbezüge die Argumentation. Neben der Überzeugungskraft, die ihnen schon ob der schieren Autorität der Schrift innewohnt, geschieht dies auf dreifache Weise. Indem sie Paulus Gelegenheit geben, sich als sachkundigen Ausleger der Schrift zu inszenieren, befördern die Schriftbezüge sein persönliches Ethos. Der nach allen Regeln der Kunst ausgeführte Rekurs auf biblische Zeugen in 2 Kor 3 scheint auch dadurch motiviert zu sein, dass Paulus eigene Stimme den Korinthern gegenüber an Gewicht verloren hat und er sich ihnen gegenüber erst wieder profilieren muss. Die beiden weiteren Aspekte stehen im Zusammenhang der Schriftauslegung als Bildungsvorgang und verfangen jeweils gegenüber einer Hörerschaft mit höherer bzw. niedrigerer Schriftkompetenz. Durch die in beiden Texten beobachtete Strategie zunehmend deutlicher Markierung erzielt Paulus einen „Effekt der augenzwinkernden Kommunikation zwischen Eingeweihten“7, der auf Zustimmung und Solidarisierung seitens der schriftkompetenten Hörerschaft zielt. Auch dort, wo sie Paulus kritisch gegenübersteht, wird sie anerkennen müssen, dass er auf sachkundige und souveräne Weise valide Zeugen anführt und ihr hinsichtlich seiner Expertise in nichts nachsteht. Der Überzeugungseffekt verstärkt sich, sollten einzelne Bezüge erst bei wiederholter Lektüre erkannt und aktualisiert werden. Weniger schriftkompetente Teile der Hörerschaft werden in ihren Verstehensbemühungen je und je auf die Schrift verwiesen. Eine erneute Lektüre des Briefes nach entsprechender Unterweisung in der Schrift führt zu vertieftem Verstehen, das gleichermaßen das Ansehen der Schrift wie das des Apostels stärken dürfte. Die intertextuelle Strategie führt die Hörerschaft damit in einem selbstverstärkenden Prozess zur Schrift hin, in dem sich ihr die Autorität der Schrift und die Kohärenz des paulinischen Gedankengangs wechselseitig verstärkt imponieren. Damit korrespondiert eine nachgeordnete formale Funktion der Schriftbezüge.8 Sie strukturieren den Gedankengang des Paulus; je nach Schriftkompetenz des Publikums deutlich oder weniger deutlich wahrnehmbar. Fast unübersehbar ist dies in 2 Kor 3, wo der Gedankengang dem Text von Ex 34,29–35 folgt und in sich parallel aufgebaut ist. Aber auch in 1 Kor 10 ist dies der Fall, insbesondere in der ersten Kapitelhälfte. Dabei dienen die expliziten Schriftbezüge, zumal das Zitat in 1 Kor 10,7, ebenso als strukturelle wie als gedankliche Ankerpunkte, die ein rudimentäres Textverständnis sicherstellen. Dass sich darüber hinaus keine formalisierbaren Muster beobachten ließen, wann Paulus die Schrift auf welche Weise anführt, stärkt den Eindruck, dass die Art der Schriftverwendung in erster Linie durch ihre kommunikative Funktion bestimmt ist. Eine solche funktionale Kategorisierung der Schriftbezüge scheint sachdien-

7 8

Helbig 1996, 89. S.o. 2.1.2.1. Vgl. für explizite Zitate Bünger 2020, 161–174.

5.3 (Schrift-)Bildung des Paulus

521

licher zu sein als eine formale. Dies mag die Schwierigkeiten erklären, hinsichtlich letzterer zu einem tragfähigen Konsens zu gelangen.9

5.3 (Schrift-)Bildung des Paulus Hinsichtlich der Schriftbildung des Paulus bestätigt die Untersuchung im Wesentlichen den sensus communis und vermag ihn an einigen Stellen zu nuancieren. Die untersuchten Bezugnahmen auf die Mose-Exodus-Traditionen unterstreichen eindrücklich die hohe Schriftkompetenz des Apostels. Die teils ausführliche Anführung von Texten in ihrem biblischen Wortlaut legt den Rückgriff auf schriftliche Quellen nahe (v. a. 2 Kor  3, aber auch Dtn  32 in 1 Kor  10 u. a.). Zugleich können Komplexität und Dichte des durch gemeinsame Motive und Stichwortverbindungen zusammengehaltenen intertextuellen Gewebes als Hinweise auf einen hohen Grad an Vertrautheit und einen verinnerlichten Umgang mit den Texten verstanden werden (v. a. 1 Kor 10 aber auch die prophetische Tradition in 2 Kor 3 u. a.). Auch findet sich für einige kleinere Abweichungen vom biblisch überlieferten Wortlaut nach wie vor keine wesentlich plausiblere Erklärung, als ein Lapsus in der Erinnerung sie bietet (etwa in 1 Kor 10,8). Die Breite der Schriftbezüge und der Grad ihrer Verschränkung lassen die (interpretierte) Schrift für Paulus als einen selbstauslegenden Nexus erscheinen, der in der oben beschriebenen Weise auf das Christusgeschehen ausgreift. Wie im Fall expliziter Zitate nimmt Paulus auch bei weniger explizit markierten Schriftbezügen in großer Freiheit Zuspitzungen vor. Dort, wo ein Bezugstext eindeutig bestimmt werden kann, werden diese besonders deutlich, so etwa die pointierte Bündelung der komplizierten verbalen Formulierungen in Ex  34,29 f. durch das Schlagwort δόξα, der gerade in Anbetracht des Kommentarschemas selektive Textzugriff in 2 Kor  3,7–18 oder auch die sachdienliche Auswahl des Versausschnitts Ex 32,6b in 1 Kor 10,7. Diese Zuspitzungen erfolgen weder willkürlich, noch nimmt Paulus sie vor, um einseitig das Evangelium zu bezeugen. Sie entspringen vielmehr einem theologischem Interesse, das seinerseits aus der Auseinandersetzung mit der Schrift gewonnen zu sein scheint. Auch wenn ab einem gewissen Punkt die Grenze zwischen Schriftbezug und dem losen Bezug auf biblisch verortbare Vorstellungen verwischt, wurde doch deutlich, wie sehr im Hintergrund des Gedankengangs biblische Deuteschemata stehen. Indizien für das gedankliche Modell eines neuen Exodus fanden sich dabei allerhöchstens peripher im Sinne der Aktualisierung prophetischer Texte im Zuge von Mose-Exodus-Anspielungen und können vernachlässigt werden (vgl.  2 Kor  3,2 f. und denkbare Bezugstexte hinter 1 Kor 10,3 f.). Einen stärkeren Einfluss scheinen 9 Gewissermaßen stützen die Ergebnisse der Untersuchung damit das Plädoyer von Porter 2017, auch ohne sich auf dessen Terminologie einzulassen.

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5 Auswertung

mit dem Buch Dtn verknüpfte Vorstellungen zu haben, was kaum überraschen dürfte. Dies ließ sich allgemein an der Rolle des Schma für den Gedankengang 1 Kor 8,1–11,1 und seine mögliche Aktualisierung in 1 Kor 10,17 beobachten, konkret am Einfluss von Dtn 7–9; 29; 32 (oder zumindest dort verankerter oder bezeugter Traditionen) auf 1 Kor  10,4.13.18–22 bzw. 2 Kor  3,14 f. Insgesamt berührt sich das hermeneutische Programm hinter 1 Kor 10 ebenso mit Forderungen und Deutungen des Dtn wie mit den paränetischen Exodusrückblicken v. a. der Psalmen. Auch vermochte ein Text wie Jes 6 hilfreiches Licht auf die Vorstellung von der Wirkweise der δόξα in 2 Kor 3 zu werfen. Dass Paulus in 1 Kor 10,1–5 eigenständig einen Geschichtsrückblick nach Art der Psalmen zu formulieren vermag, spricht ebenso für sein exegetisches Selbstbewusstsein wie für seine biblische Expertise. Gerade auch auf der Ebene konkreter Texte zeigt sich eine große Sensibilität für den Wortlaut und Zusammenhang des jeweiligen Textes, besonders dort, wo eigene Zutaten des Paulus Leerstellen seines Bezugstextes füllen (2 Kor 3,7.13 f.) oder die Anspielung auf ein einzelnes Wort oder einen einzelnen Vers dessen narrativen oder theologischen Kontext aufrufen (1 Kor 10,5.6–10 u. ö.). Hier und andernorts demonstriert Paulus seine Vertrautheit mit Auslegungstraditionen und -methoden. Für die Vertrautheit mit dem hebräischen Text selbst ließen sich einzelne Indizien finden, etwa die Anspielung auf die in Dtn 32 LXX getilgte Gottesbezeichnung „Fels“. Solche Bezüge mögen aber ebenso wahrscheinlich durch hebraisierende Übersetzungen oder die palästinische Auslegungstradition vermittelt sein. Dass Paulus mit dort bezeugten Auslegungstraditionen vertraut ist, steht außer Frage (v. a. infolge des Befundes zu 1 Kor 10 hinsichtlich der targumischen und rabbinischen Tradition). Gleichzeitig sind Ähnlichkeiten zu Vorstellungen und Auslegungsmustern zu erkennen, die aus dem hellenistischen, insb. alexandrinischen Bereich bekannt sind (bspw. mögliche moralisierende Deutungen und Deutungen auf die Weisheit hinter 1 Kor 10,1–5.6; vor allem aber die secondary exegesis in 2 Kor 3). Im Urteil über etwaige Abhängigkeiten schlägt die Schwierigkeit der nur bruchstückhaften Überlieferung möglicher Bezugstraditionen und ihrer teils unklaren Datierung besonders stark zu Buche. In jedem Falle ist dem Gesamtbefund nach nicht anzunehmen, dass Paulus bei der Abfassung von 1 Kor 10 oder 2 Kor 3 auf vorfindliche Textkombinationen angewiesen war, sei es ein Midrasch oder die Mosedeutung seiner Gegner. Hier wie dort passt die Art und Weise des Schriftgebrauchs zu genau zur jeweiligen Textintention, als dass die Adaption eines fremden Textes wahrscheinlich wäre. Alles in allem begegnet Paulus in 1 Kor 10 und 2 Kor 3 als schriftkundiger Briefschreiber, dessen Denken biblisch gesättigt ist, der sich in kritischen Situationen in diesen Bezugsrahmen zurückzieht und darüber hinaus nicht nur um die Vermittlung der Schrift bemüht ist, sondern diese durch eine adressatensensible, gestufte Aufbereitung seiner Schriftbezüge zu unterstützen weiß. Der lebendige Traditionsstrom der Schrift ist ihm ebenso Denk- wie Lebensraum.

5.4 (Schrift-)Bildung der Adressaten

523

Was Exodusdeutung und Mosebild des Paulus anbelangt, entzieht sich der Befund eindimensionalen Zuordnungen. Auffallend, vor dem Hintergrund neuerer Untersuchungen zur Bandbreite der antik-jüdischen Mosevorstellungen jedoch nicht überraschend,10 ist, dass Mose weder in 1 Kor 10 noch in 2 Kor 3 vorrangig als Gesetzesgeber in den Blick kommt. 1 Kor 10 ist er Repräsentant des Bundes und Garant des Gottesverhältnisses. 2 Kor 3 stellt auf Mose als Offenbarungsmittler ab. In beiden Fällen ermöglicht Mose folglich eine Form der Gottesbegegnung oder des Gottesverhältnisses. Entsprechend hält Paulus die Gestalt des Mose in hohen Ehren. Sowohl 1 Kor 10 als auch 2 Kor 3 zeichnen ihn in einer Christus analogen Funktion. Auch 2 Kor 3 enthält gerade keine Abwertung des Mose. Dass Paulus sich selbst im Zuge des Kapitels mosaischen Rang zusprechen kann, um Zweifeln an seiner Person zu begegnen, unterstreicht dies nur.

5.4 (Schrift-)Bildung der Adressaten Die Einsicht, dass Paulus in Korinth ein größeres Maß an Schriftkenntnis vorauszusetzen scheint als andernorts, ist ebenso wenig neu11 wie die Vermutung, dass dies mit seiner Unterweisung im Zuge des Gründungsbesuchs zusammenhängt.12 Einen Gewinn bedeutet hingegen der Einblick in die Varianz der korinthischen Schriftkompetenz, die der Befund der Untersuchung erlaubt.13 Während eine maximal kohärente Lektüre der Brieftexte auch im Falle von 1 Kor 10 und 2 Kor 3 „eine beträchtliche Vertrautheit mit aus der Schrift erwachsenen Traditionsbeständen voraus[setzt]“14, macht die intertextuelle Strategie der Kapitel doch wahrscheinlich, dass Paulus gerade nicht durchgehend mit einer derart kompetenten Leserschaft rechnet. Die Schriftbezüge sind auf eine Weise eingebunden und erläutert, dass es auch Hörern mit geringerer Schriftbildung möglich ist, wesentliche Punkte der Argumentation zu erfassen.15 Für einen Adressatenkreis von nicht einheitlich hoher Schriftbildung spricht auch die Tatsache, dass Paulus zwar Einverständnis in die Autorität der Schrift und den grundsätzlichen hermeneutischen Zugang voraussetzt, die nähere Umgangsweise und Auslegungskompetenz ausweislich 1 Kor  10 jedoch erst noch zu vermitteln, zumindest aber aufzufrischen ist.16 Vgl. Graupner/Wolter 2007; Sommer u. a. 2017; Mittmann 2020. Vgl. Harnack 1928. 12 Vgl. durchaus gegen Harnacks Anliegen Wilk 2017, 155–159; Konradt 2020; Oropeza 2020. 13 Teils mit, teils gegen Stanley 2004. 14 Wilk 2017, 155; vergleichbar Stanleys „informed audience“. 15 Das notwendige Minimalwissen wäre zwischen Stanleys „competent“ und „minimal audience“ anzusiedeln, wobei sich die Selbstreferenzialität seiner Kategorien schwerlich mit dem Programm dieser Untersuchung verbinden lässt. 16 Unterschiedliche Ansichten über den rechten Gebrauch der Schrift, wie Wilk 2018b sie hinter 10 11

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5 Auswertung

Möchte man den Korridor an Schriftkompetenz bestimmen, innerhalb dessen kohärente Textwahrnehmung möglich ist, wäre er nach unten hin durch das Wissen um Mose, die Erzählung der Wüstenwanderung und der Sinaioffenbarung in ihren wesentlichen Zügen, die Vorstellung der Einzigkeit und Alleinverehrung Gottes und für 2 Kor 3 das (zugegebenermaßen sehr voraussetzungsreiche) Konzept des göttlichen Herrlichkeitsglanzes abgesteckt, wobei die Sachaussage des Kapitels schon getroffen ist, ehe Paulus beginnt, von der δόξα zu sprechen. In Anbetracht der allgemeinen Prominenz der Mose-Exodus-Tradition ist allerdings davon auszugehen, dass auch ansonsten weniger schriftkompetente Adressaten in der Lage sind, an dieser Stelle Schriftbezüge zu aktualisieren. Abgestuft gilt dies auch von einigen prominenten Texten, die deutend im Hintergrund stehen. Nach oben hin scheint keine Grenze gesetzt. Um die exegetische Raffinesse einiger Details wertschätzen zu können, ist eher eine ausgesprochen hohe Schriftbildung vonnöten, wobei die Gefahr, Paulus durch die Aktualisierung nicht intendierter Schriftbezüge misszuverstehen, bereits besprochen wurde. Wie treffend der Text die Schriftbildung der Erstadressaten eingeschätzt hat, muss offenbleiben. Einerseits scheint Paulus mit der Gemeinde wohlvertraut, andererseits rät schon die früheste Rezeptionsgeschichte zu einer gewissen Vorsicht. Dennoch entspricht der Befund im Wesentlichen dem, was sich auch auf dem Weg historischer Rückfrage und der Analyse anderer Teile der Korintherkorrespondenz für die Ersthörergruppe wahrscheinlich machen lässt. Fragt man nach den mentalen Enzyklopädien, die die Schriftbezüge und ihre Einbindung voraussetzen, ergibt sich die Anwesenheit einer wohl größeren Gruppe, der die Zusammenhänge paganer Kultmahlzeiten einsichtiger sind als die biblische Bundesvorstellung (1 Kor 10,16–22). Daneben setzt 2 Kor 2,16–4,6 das Schauspiel des Triumphzugs bis hinein in Details als bekannt voraus und nimmt einen Ausgangspunkt bei allgemeinen Topoi antisophistischer Polemik und der mit ihnen verbundenen Plausibilitätsschemata, von denen Paulus sich gerade absetzen möchte. All dies spricht für eine eher pagane Prägung der Gemeinde in Korinth, was nicht nur der allgemeinen Problemlage von 1  Kor entspricht, sondern auch die Ausdehnung des Verstehenskorridors nach unten erklärt.17 Mögliche Erklärungen für die daneben existierende Schriftgelehrsamkeit bieten einerseits die Angaben des Lukas, der in Apg 18,1–17 auf eine Entstehung aus der Synagoge, die Bedeutung von Gottesfürchtigen und Paulus längeren Gründungsaufenthalt hinweist, andererseits der Einfluss des Apollos. Anhand verschiedener

4,6 erkennt, mögen im Hintergrund stehen, können den Befund jedoch nicht umfänglich erklären (vgl. auch Wilk 2019). 17 Allerdings zeigt 1 Kor 10, dass sich die Gruppenbildung zwischen den sogenannten Starken und Schwachen in Korinth nicht sauber mit der Schriftbildung der intendierten Leserschaft korrelieren lässt, ist es doch gerade die mutmaßlich pagan geprägte und damit weniger schriftkundige Gruppe der „Starken“, gegen die Paulus in 1 Kor 10 argumentiert.

5.5 Schriftauslegung als Bildungsvorgang

525

Indizien lässt sich im Anschluss an Florian Wilk erwägen,18 ob Paulus auch in den hier untersuchten Texten einen Schriftumgang zurückdrängen möchte, der sich auf Apollos beruft (etwa durch die mögliche Korrektur dem Denken Philos verwandter weisheitlicher Deutungen zu 1 Kor 10,4, durch die dezidiert hebräisch-palästinische Rede von Christus als Fels oder das exegetische Schaulaufen in 2 Kor 3, das in der Art und Weise der Kommentierung abermals ähnlich bei Philo bezeugt ist). Diese Gedanken sind jedoch mit zu großen Unwägbarkeiten behaftet, als dass sich zu irgendeiner Form von Sicherheit kommen ließe. In jedem Falle ist ein Bildungsvorgang, wie ihn 1 Kor 10 und 2 Kor 3 ausweislich ihrer intertextuellen Strategie anstoßen möchten, auf den Austausch zwischen den verschieden schriftkompetenten Gruppen der Gemeinde angewiesen.

5.5 Schriftauslegung als Bildungsvorgang Alles in allem ließe sich der Gebrauch der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor 10 und 2 Kor 3 als didaktisch-performative Schriftauslegung beschreiben: Auf dem Boden der eigenen Schriftkompetenz gestaltet Paulus Texte, die Varianzen in der Schriftkompetenz seiner Hörerschaft auf eine Weise berücksichtigen, dass deren Lektüre zum innergemeindlichen Austausch im Rekurs auf die Schrift reizt, da nur auf diesem Wege Leerstellen gefüllt und gedankliche Spannungen aufgelöst werden können. So betrachtet ist gerade die ungenügende Markierung von Schriftbezügen ein Mittel, Bildungsprozesse anzustoßen und zu befördern, analog der in der antiken Rhetorik verbreiteten Praxis, gedankliche Prämissen zu unterschlagen, weil dies „die tätige Mitarbeit der Rezipienten aktiviert“19. Dass Paulus die Pointen seines Gedankengangs in verborgenen oder uneindeutigen Schriftbezügen kodiert, die sich einem breiteren Publikum, wenn überhaupt, dann erst von späteren Äußerungen her erschließen, hat vor diesem Hintergrund Methode. Er möchte zum Studium der Schrift anleiten und womöglich auch eine falsche Selbstsicherheit der Schriftkundigen korrigieren, die schwach markierte Bezugnahmen entdecken mögen, diese aber mitunter auf andere Art und Weise füllen, als es der Aussageintention des Paulus entspricht. Hierin berührt sich die Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor 10 und 2 Kor 3 mit der von Florian Wilk andernorts in 1 Kor beobachteten intertextuellen Strategie. In der Tat führt nur „Schriftkenntnis zur Vollkommenheit“20, wie Paulus sie seinen Adressaten zudenkt. Allerdings ist er hier stärker bemüht, auch weniger schriftkompetente Hörer gedanklich nicht vollends zu verlieren.

Vgl. Wilk 2018b. Mayordomo 2005, 229. 20 Vgl. Wilk 2019. 18 19

526

5 Auswertung

Damit dieses Programm aufgeht, bedarf es eines Austauschs innerhalb der Gemeinde über die Briefe des Paulus, in dem sich eingehendes Schriftstudium mit einer wiederholten Lektüre der Paulusbriefe verbindet. Der hohe Grad gedanklicher Kohärenz, der erst in der Auseinandersetzung mit dem spezifischen Wortlaut einzelner Bezugstexte ans Licht kommt, lässt vermuten, dass der Text auch für die Gemeinde schriftliche Referenzmöglichkeiten wie den Zugang zu Schriftrollen voraussetzt. Dieses Programm ließe sich für 1 Kor durchaus auf die Einheit der Gemeinde hin deuten, die Paulus befördern möchte: Nur im gemeinsamen Ringen in Gesprächskonstellationen, die womöglich quer zu etablierten Konfliktlinien liegen, erschließt sich der volle Sinn des Textes, ganz so wie die Gemeinde Leib Christi ist, dessen Glieder aufeinander angewiesen sind (1 Kor 12,25). So schön ein solcher Gedanke anmutet, ist mit ihm jedoch endgültig das Feld freier Spekulation betreten. Greifbar ist hingegen der „Lernfortschritt“, den Paulus durch die Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 2 Kor 3, verglichen mit der Schriftverwendung in 1 Kor 10 voraussetzt. Nur wenige Jahre nach der grundlegenden Einführung in einen angemessen „typologischen“ Schriftgebrauch, wie dieser Text ihn bietet, wagt Paulus es, das Ansehen seiner eigene Person von einem neuerlichen Bildungsprozess abhängig zu machen, der durch seine metaphorische Grundlegung von vornherein auf einer höheren Ebene operiert. Zwar darf dieser Fortschritt nicht überbewertet werden; auch 2 Kor 3 macht deutlich, wieviel die Adressaten aus Sicht des Paulus noch zu lernen haben, und wie wenig sie innerhalb biblischer Plausibilitätsstrukturen denken. Und doch ist sein bloßes Vorhandensein aufschlussreich für die Auseinandersetzung der Gemeinde mit den Briefen des Paulus in einer Dynamik, die als gemeinschaftlicher Bildungsprozess verstanden werden kann. Insgesamt zielen die anhand der Verarbeitung der Mose-Exodus-Tradition in 1 Kor 10 und 2 Kor 3 greifbar gewordenen Bildungsprozesse darauf, die Hörerschaft von einer äußeren Anerkenntnis der Autorität der Schrift zu einer inneren Anerkennung ihres Sinnes zu führen. In einem ersten Schritt bedeutet dies, die Schrift als den für die Begründung der Lebensführung maßgeblichen Denkraum anzuerkennen (1 Kor 10), in einem zweiten Schritt, sich in dieser Welt so einzurichten, dass sie zum gedanklichen Lebensraum wird (2 Kor 3). Es handelt sich damit in der Tat um einen Transfer zwischen den Welten.

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Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen Altes Testament Genesis 1,2 1,3 1,26–27 1,9 2,7 6,2 6,17 7,11 7,15 7,22 8,2 8,7 21,9 26,8 28,8 32,31 Exodus 3,1–4,17 3,6 4,1 4,10 4,11 4,21 4,28 7,3 7,22 8,20 10,1 10,20 10,21 12,15 12,19 12,21–22 12,23 13,17–22 13,17–18

130, 139 298–299 298 139 332 131 332, 419 130 419 419 130 130 171 102 171 499 327 499 108 288, 326, 357, 411, 428, 487–488 488 296 487 296 296 167 296 296 296 167 167 83 95, 105, 168 106–107 106

13,21–22 13,21 13,22 14 14,1–9 14,1 14,4 14,8 14,10–12 14,11–12 14,11 14,13 14,14 14,15–16 14,15 14,17–18 14,17 14,19–20 14,19 14,21–22 14,21 14,22 14,23–31 14,23–28 14,24 14,25 14,26 14,27 14,28 14,29 14,31 14,39 15–17 15 15,8 15,19 15,22–27 15,22 15,24–26

83, 106 106 84, 106 81–84, 107–109 107 108 108, 268, 296 108, 268, 296 107 89 108 107–108 107 107 108 107 296 83, 107 84, 268 108 108 81, 108 108 108 83, 107 108, 268 108 108 82 81–82, 108 82, 108, 271 139 160 81 81 81 109 90, 109 268

558 15,24 15,25 15,26 15,27 16 16,1–2 16,1 16,2 16,2–12 16,3 16,4–16 16,4 16,6–8 16,7–9 16,8 16,9–12 16,10 16,12 16,13–31 16,13 16,15 16,19–20 16,22 16,31–33 16,34–36 17,1–11 17,1–7 17,1 17,2–3 17,2 17,3 17,4 17,5–6 17,6 17,7 19–34 19,5 19,9 20,2–3 20,4–5 20,20 22,19 23,22 24–40 24,1–11 24,3 24,7–8 24,9–11

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

94, 109, 161 96, 109, 173 109 109 109–111 84 109 94, 110 220 110, 161 127 85, 96, 110, 173 110 95 85, 110 110 83, 110 110 110 85 85 110 90 110 110 161 85–86, 111–112 84, 111 161, 219 94, 111, 116, 268 94, 111, 220 111 111 85, 111 94, 96, 111, 133, 268 104 292 84, 108 314 99 96, 500 168 292 316 262 105, 259 292 105, 259

24,11 24,12 24,15–18 24,16–17 27,16 28,2 29,18 29,25 29,42 30,33 31–34 31,14 31,18 32–34 32 32,3 32,1–6 32,4 32,5 32,6

32,7–14 32,9 32,11–13 32,11 32,15–20 32,15 32,16 32,19 32,21–29 32,21 32,22 32,28 32,38 32,30–35 32,30 32,31 33–34 33,3 33,5–11 33,5 33,7 33,9–10 33,11

104 262, 312 83 294, 316, 365 295 316 287 287 287, 316 167 312 167 290–291, 312–313, 421 321–322, 495 98, 139, 144–145, 272, 321 84 92 102 102 80, 91–92, 101–105, 124, 144, 152, 164, 170–171, 216–219, 225, 254–257, 259–261, 516 102 296, 453, 500 113, 128 99 102, 500 290–291, 312–313 290–291, 313 290, 313 102 104 453, 500 103–104 102 102 104 104 294, 296 102, 296, 321, 453, 500 323 102, 296, 316, 321, 453, 500 323 84 303, 316, 323

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

33,12–23 33,13 33,14 33,16 33,17–23 33,18 33,19–23 33,20 33,22–23 34,1–4 34,1 34,4 34,5 34,9 34,10 34,12 34,14 34,15 34,27–35 34,27–34 34,27–28 34,27 34,28 34,29–35

34,29–30 34,29–34 34,29 34,30 34,31 34,32–33 34,32 34,33–35 34,33 34,34 34,35 36,21 LXX 39,14

316 325 303 316–317 325 297, 316, 363, 499 316 297, 303, 316, 323, 363, 454, 496, 499–500 316 333 290–291, 312–313, 500 290, 312 83 296, 321, 453, 500 294, 317 292 99 292 333–335 314 291–292 300 104, 290, 292, 300, 313– 314 285–287, 299, 300–312, 313–316, 321, 324, 334, 337, 465, 495–500, 508– 511, 520 294–295, 300, 303, 309, 311, 314, 317, 322–323, 336, 437, 446, 498–499 292, 447–448 363, 440, 496 294–295, 300–301, 317, 443–444 300, 308, 463, 498 463 300–301, 305 323, 335–336, 467 295, 305, 311, 451, 468 286, 297, 301, 305, 307–308, 320, 348, 367, 459–463, 469 295, 297, 301, 303, 305, 308, 311, 465 290, 313, 333 313

40,5 40,34–37 40,34 40,38

295 83, 316 325 84

Levitikus 1,9 1,13 1,17 2,2 2,9 2,12 10,9–19 17,4 17,9 16 16,2 18,29 19,8 20,17–18 22,13 23,29 26,30

287, 401 287, 401 287, 401 287, 401 287, 401 287 98 167 167 399 83 167 167 167 167 167 167, 220

Numeri 1,1 1,19 3,4 3,14 3,25 4,10 4,14 4,18 4,25 5,6 4,25 7,89 9,1 9,5 9,13 9,15–22 9,17 9,18 9,19 9,22 10 10,11–12 10,12

89 89 89 89 295 295 295 168 295 229 295 323 89 89 167 84 81 137 201 137 112 84, 112 89

559

560 10,31 10,33 10,34 10,35–36 10,35 10,36 11 11,1–6 11,1–3 11,1–2 11,1 11,4–9 11,4 11,9 11,10–12 11,16–30 11,16–17 11,24–30 11,25 11,21–33 11,31–32 11,33 11,34 12,6–10 12,6–8 12,8 12,10 12,16 14–17 14 14,1–10 14,1 14,2–4 14,2 14,10–19 14,10 14,11 14,12 14,13–19 14,14 14,16 14,20–35 14,22 14,23 14,27–29 14,27

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

89 112 112 168 112 84, 112, 133, 137, 139 112–113, 160, 214–215 220 112, 272 94 95, 110, 112, 161 112 91, 112, 134 85 112 112 112 112 83 113 85 85, 90 90–91, 113 298 297, 324–325, 498 325, 364 83 89 161 89, 95, 113–114, 132, 272 113 161 220 84, 89, 114, 128, 161–162, 219 113 83–84 161 95 99, 113–114 81, 84, 133 89–90, 113–114, 268 113 84, 89, 94, 114, 133, 161–162, 219 84 220, 271 94, 114, 161

14,29 14,32 14,33 14,34 14,35 14,36–38 14,36 14,37 14,39–45 14,39 15,30 15,32 16 16,1–17,15 16,1–3 16,3–4 16,4–19 16,11 16,12 16,20–23 16,24–34 16,25–35 16,33 16,35 16,41 16,42–45 17 17,6–15 17,6 17,7 17,11 17,20 17,25 17,27 19,20 20,1–13 20,1–11 20,2–13 20,2–3 20,2 20,3–5 20,6–8 20,9–11 20,11 20,12 20,13 20,15 20,24

94, 114, 161, 166 166 89 114 89 113 94, 114, 128, 161, 220 95 114 84, 114 167 89 114–115, 168, 221 114–115 114 221 114 94–95, 115, 161 90 115, 272 134 115 95 134 115 115 106 326 94, 161 83 95 94 94 95 167 115–116 86 134 85 115 115 115 115 111 115 115–116, 132, 133 116 133

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

21 21,4–9 21,4–5 21,5 21,6 21,7–9 21,10–20 21,11 21,15 21,16–18 21,16 21,17–18 21,19 21,33 25 25,1 25,2 25,4–5 25,6–15 25,6 25,8–9 25,9 26,9–10 26,61 26,64–65 27,3 27,14 27,20 31,6 31,15–16 32,13 32,15 33,15 33,36

260 117 93, 117 94 93, 117 117 117 89 89 86, 115–116 85 116 116 89 92, 102, 117–118, 134– 135, 218, 260 92, 117 92, 118 117 118 94 118 92–93, 104 134 89 90 89 85, 89 304 117 118 90 90 89 89

Deuteronomium 1–5 1,19 1,27 1,31 1,33 2,25 2,30 2,34 3,6 4,1 4,3

125 90 94, 134, 220 90 83 334 296 168 168 313 117

4,13 4,24 4,30 4,33 4,34 4,30 4,38 5,1–6,9 5,5 5,9 5,22 5,25–33 5,26 6–9 6 6,1–7,11 6,4–5 6,5–11 6,6 6,7 6,12–15 6,13–15 6,14–15 6,15 6,16–19 6,16 6,20–25 7–9 7 7,1–5 7,4 7,6–11 7,8 7,9 7,10 7,12–8,20 7,12–16 7,12 7,15 7,17 7,19 7,20–24 7,23 7,25–26 7,25 8 8,1–6 8,1–5

561

290–292, 312, 314 99 461 419, 499 94, 96, 173 309 167 124 160 99 290–291, 312–313 124 419 125–129, 143 125 125 125, 161, 239, 264–266 161 491 125 125 161 125 220 125 94, 96, 131, 161 125 262–263, 522 125–126 126, 263 126, 220, 263 126 96, 120 96, 126 263 125 126 125 109 263 96, 126, 263 126 126, 263 126 126, 260, 263 125–128 128 127

562 8,2 8,3 8,6–10 8,10 8,11–18 8,11–14 8,15–16 8,15 8,16 8,17–18 8,17 8,19–20 8,20 9 9,1–10,1 9,1–21 9,3–5 9,6 9,7–24 9,8 9,9–11 9,9–10 9,9 9,10 9,11 9,13 9,14 9,15 9,17 9,18 9,19 9,20 9,22–24 9,22 9,23 9,25–29 9,25–26 9,25 9,26 9,28 10,1–11 10,12–11,32 10,12–11,21 10,1–5 10,1–4 10,2 10,4

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

96, 127–128, 131, 263 85, 127–128 127 125 127 127 127, 263 85, 90, 117 84–85, 96, 127–128, 131, 263 128 127 127, 263 125 128 125 128 263 296 128 127, 263 290, 313–314 312 127, 290, 292 290–291, 313 290, 292 296 263 290, 313 290, 313 129, 272 129, 263 263 129 91, 94, 96, 113 89 129, 272 129, 263 129 129 129 124 125 124 290 312, 313 313 290–291, 313

10,5 10,16 11,3–6 11,18 11,4 12,1 12,29 18,18 28–29 27–30 27,11–26 29–32 29,3 29,9 29,13–14 30,6 30,10 30,12–13 30,15–20 31 31,11 31,15 31,16 31,25 32 32,1–47 32,4 32,6 32,7–27 32,8–14 32,10 32,11 32,12 32,13 32,14 32,15–21 32,15–18 32,15 32,16 32,17 32,18 32,19 32,20–25 32,20

313 296 129 491 82 129 167 488 262 144 496 319, 503, 522 296–297, 318–323, 333, 335, 501–504 96 502 492 309 502 502 262 319 84 319 319 97–98, 118–124, 131, 141, 144, 261–264, 269–270, 276 87 96, 119–120, 126, 261 120, 122, 264 136 119 90 133 120, 264 88, 119–120, 123, 132 120 122 119, 247 88, 119–120, 261, 264 98–99, 247 97–99, 121–122, 244, 247, 261 88, 119 122 119 247

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

32,21 32,22 32,26–35 32,29 32,30–31 32,30 32,31 32,37 32,37–38 32,37 32,39–42 32,39 32,51 33,8 34,5

98–99, 121–122, 247 122 119 122 88, 120 119–120 119, 122 119–120 119 88 119 144 85, 89, 133 94, 133 292

Josua 1,1 1,13 1,15 8,31 9,2 LXX 9,18 11,12 12,6 13,8 24,19 29,24

292 292 292 292 292 161 292 292 292 99 161

Richter 6,11–14 6,22 13,22 16,25–28

327 499 454, 499 170

Rut 1,20–21

327

1 Samuel 2,2 3,13

119 222

2 Samuel 33,32

119

1 Könige 8,9 19,3

314 90

2 Könige 18,12

292

1 Chronik 6,24 15,29

292 170

2 Chronik 1,2 5,10 24,6 24,19 30,9

292 314 292 461 461

Nehemia 4,15 9 9,2 9,3 9,6–37 9,6–31 9,9–11 9,9 9,11 9,12 9,13–14 9,14 9,15 9,16 9,17 9,18 9,19 9,20 9,21 9,22–24 9,24–31 9,32–37 10,30

344 135–136, 137, 141 135 135 136 129 135 81, 136 82, 84, 135–136 81, 83, 135–136 135 136 85, 135–136 81, 135 135 135 81, 135–136 85–86, 135–136 135 135 136 136 292

Hiob 4,4 5,17 6,18 9,32 12,23 12,24 21,15 23,15

222 222 90 99 113, 166 90 327 222

563

564 31,2 37,15 37,23 Psalmen 18,21 18,31 24 21,27 25,2 27,1 33,3–4 34,6 44,4 59,16 66,6 72,16 77,17–21 77,20 77,25 78 78,1–4 78,3 78,5 78,7 78,8 78,12–31 78,12 78,13–14 78,13 78,14 78,15–31 78,15 78,15–29 78,15 78,17–21 78,17–18 78,18 78,19–20 78,21–22 78,23–25 78,24 78,26–31 78,29–30 78,31 78,32–37 78, 35

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

327 298–299 99 119 119 326 461 173 298 119 497 298 161 82 86 81 130 85 120, 126, 129–131,136, 143, 267, 271 129 131 129 130 130 130 130 82, 84 108, 130, 137 81, 83, 130, 131, 298 85 130 86 85 130 117 94, 131 131 130 130 85, 131 130 91, 131 89, 131 130 131

78,38 78,41 78,44–51 78,49 78,52–55 78,53 78,56–64 78,56 78,57–58 78,58 78,65–72 81 81,7–8 81,8 81,11 81,17 82,8 90,8 89,37 92,16 94,8 95 95,7 95,8 95,9 95,10–11 95,8–11 95,8 95,9 96,5 104,7 105 105,8–23 105,24–38 105,25 105,39 105,40 105,41 106 106,1–5 106,6 106,7 106,8 106,9 106,10–11 106,12–14 106,14

130 130–131 130 131 130 82 130 130–131 131 99, 130 130 129, 132 132 85, 132 132 132 133 298 295 119 96 132 132 132 132 132 129 81, 133 94 121, 246 82 133, 136, 271, 276 133 133 94 81, 83, 133, 137, 269 84–85, 133 85, 133 92, 129, 133–136, 143, 267, 271, 276 134 81–82, 134 134 134 122, 134 134 134 91, 94, 113, 134

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

106,15 106,16 106,17 106,18 106,19–22 106,19 106,22 106,23 106,25 106,26 106,28–31 106,28 106,24–27 106,28–30 106,29 106,32–29 106,32 106,37 106,39 106,40–42 106,43–48 107,40 112,4 112,9 114,3–5 136 136,13 144,13 151,5 LXX

134 134 134 134 134–135 134, 262 82 134–135, 272 134, 161 134 134 134 89 117 81 134 85, 133 121 118 134 134 90 298 445 82 267 82 120 89

Sprüche 1,22 3,3 7,3 8,1 9,1–6 24,16

90 332, 492 290, 332 497 140, 269 167

Prediger 4,10 6,10

167 99

Jesaja 3,16 4,2–6 4,5–6 5,25 6

171 140 84, 107 494 494, 522

6,1–3 6,1 6,2 6,4–5 6,5 6,9–10 6,9 6,10 9 9,1 9,2 9,11 10,4 11,1–15 11,10–16 11,15–16 19,1 19,22 22,8–9 22,14 24,20 24,21–23 25,6–8 26,20 27,12–13 29,11–12 29,10–12 29,10 30,4 31,5 32,15 35 40,3–5 41,18–19 41,4 43,2–17 43,10 43,13 43,16–17 43,18–21 44,3 45,9 46,4 48,12 48,20–21 48,21 49,7 51,7

565

327 320, 499 320, 499 501 454, 499–500 319–322, 501–502 367 309, 320, 333, 502–503 489 298 298 494 494 140 141 82 140 461 458 459 167 322 322 140 140 321 319, 333 318–320, 501–502 494 140 141 140 140 140 144 140 144 144 82 141 141 99 144 144 140–141 85–86, 269 120 492

566 51,10 51,17 53 56–66 60,1–5 60,5 63,7–14 63,7–9 63,9–13 63,10 63,11–13 63,14 63,15 63,16 65,3 65,11 Jeremia 1,4–10 2,19 2,27 5,21–24 9,1 LXX 14,10 14,12 15,17 LXX 16,7 17,1 17,5–6 31,31–32 31,32–39 31,33–34 31,33 32,40–41 38,8 LXX 38,16 LXX 38,18 LXX 38,20 LXX 38–29–30 LXX 38,31–34 LXX 38,31 LXX 38,32 LXX 38,33 LXX 38,34 LXX

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

82 98 489 141 322 497 140 141 141 141 82, 141 141 141 141 246 98 327 89 119 322, 501 299 89 89 171 16 329, 491 90 445 334 141 492 334, 445 329 329 462 329 329 287, 328–330, 337, 420, 491, 494 293, 328–329, 418, 421, 491 328, 330, 430 289, 328–329, 331–332, 338, 432, 491 329, 418, 491

39,37 LXX 39,40 LXX Ezechiel 1,1–28 1,20–21 2,2 3,23 10,17 11,9 11,16 11,17 11,18 11,19 11,20 12,2 13,3 16 18,31 20 20,9 20,44 23 23,31–11 26,12 36 36,16–21 36,22 36,24–27 36,24 36,25 36,26–27 36,26 36,27 36,28 37 37,1–14 37,5 37,6 37,14 37,26 39,29 41,22 44,16

329 329–330, 491 327 332 494 494 332 289 287 330 330 289, 330–333, 337–338, 420, 491–492 331 322, 501 493 92 492 129 492 492 92 98 90 140 492 492 141 330 330 287, 332, 491–493 289, 330–333, 337–338, 420, 491–492 331 331 331–332, 493–494 492–493 419 332–333, 492 289, 330 445 493 98 98

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

Daniel 4,19 LXX 7,14 9,11 12,1 12,10

419 497 292 290, 313 173

Hosea 1–3 2,1 4,11–19 9,10

92 419 92 117, 135

Joel 2,11 2,28–32 3,7 4,18

288, 411, 487, 489 141 334 86

Amos 5,2

167

Micha 7,8

167

Habakuk 2,4 3,3–4

89 322

Sacharja 12,10–13,1

141

Maleachi 1,7 1,12

98, 251 98, 251

Deuterokanonische Schriften Judith 7,14 7,25 8,25–26 8,27 12,1 14,4

113, 166 113 173 222 113 113, 166

Weisheit 1,2 1,5–7 3,5 4,2 7,25–26 10–15 10 10,17–18 10,17 10,18–20 10,19 11,2 11,4 11,5 11,6–7 11,9

161 137, 269 173 159 324 137–138 272 140 81, 83–84, 137, 269 269 137 137 87, 137, 140 138 138 96

11,10 11,15–12,18 12,2 12,19–27 12,26 13,1–15,39 14,12 15,1 16–19 16,2 16,5 16,6 16,10 16,20 16,21 17,1–21 18,1–4 18,5–19 18,6 18,13 18,15 18,20 18,21 18,25 19

222 138 222 138 222 138 92, 138 332 138–140 85, 138 138 222, 273 85 138 138 138 138 138 81 138 138 138 138 95, 138, 168 139

567

568

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

19,1 19,7 19,8 19,9 19,12

139 81–83, 139, 140 139 139 85

2,8 4,12

367 121

Sirach 2,1 5,7 10,5 15,3 24,15 33,1 34,19 39,14 44,20 45,3 45,19 46,7

1 Makkabäer 2,52 13,40

96 313

173 461 399 140, 269 402 173 89 402 173 302 89 220

2 Makkabäer 2,8 5,26 7,22–23 11,11 12,28 15,27

84 113, 166 332 113, 166 113, 166 113, 166

Baruch 1,15–3,8

4 Makkabäer 1,33–35 2,6 5,2 7,11

159 160 165 106

502

Neues Testament 10,20 11,1–13

313 48

48 48 367 322 367 497 497 497

Johannes 1,1–18 3,14 5,47 6 6,31 6,63 7 12,31 12,39–41 12,40 14,30 16,11

47 117 293 85 81, 85 419 85 474 319, 322, 501 319, 367, 502 474 474

399 461 302

Apostelgeschichte 2,32 308, 344 4,29 450 9,27–28 450

Matthäus 4,4 5,3–12 6,12 23,1–15 25,31

127 47 232 47 497

Markus 1,32-33 5,21–34 6,25 8,16 8,17 8,38 10,37 13,26 Lukas 1,8–20 1,16 4,20

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

9,35 11,21 13,46 14,3 14,15 15,19 15,29 18,1–17 19,8 21,25 22,11 26,20 26,25–26 28,31

461 461 450 450 461 461 165 24, 501, 524 450 165 302 461 450–451 450

Römer 1,13 1,16 1,24 2,27–29 2,29 3,3–4 3,5 3,22 3,28 3,31–4,3 4,1 4,14 5 5,2–5 5,2 5,8 5,14 5,15–16 5,16 6,12–13 6,16 6,17–18 6,19 6,21–23 6,22 7,6 7,7–8 7,8 7,10 7,12 7,24–25 7,25

77 480 367 293, 432 353, 432 131 414 442 457 420 243 365 222 449 341 414 168 439 354 160 354 339 354 353, 453 464 293, 353, 432 160 91 353 433 408 339

8,2 8,10 8,15 8,29 8,14–39 8,24 8,31 8,33 8,35 8,38 9–11 9,1–3 9,4 9,6 9,19 9,26 9,27 10,4–5 10,6–8 10,8 10,11 10,16–17 10,18–21 10,19 11,2 11,7–10 11,7–8 11,7 11,8–10 11,8 11,11–14 11,13 11,17–24 11,25 11,27 12,13 12,19 13,4 14,4 14,15 14,17 15,8 15,10 15,12 15,15–16 15,25 15,26

569

464 419 464 352 142 408 408 408 408 246 460 324 430 355 408 420 286, 450 442 116, 144 502 144 502 144 121 352 460 296, 318–320, 322, 501 296, 320, 367 144 321, 501 122 430 77 77, 367 430 175 233 430 228 167 354 430 144 144 401 430 175

570

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

15,27 16,1

175, 177 414, 430

1 Korinther 1–3 1,9 1,10–4,21 1,10 1,13–15 1,13 1,15 1,18–2,16 1,18 1,22 1,24 1,26 1,30 2,1 2,4 2,6–16 2,8 2,16 3,1–4,21 3,1 3,3 3,5 3,11 3,16 3,18 3,21 4,5 4,6 4,7 4,10 4,14 4,15 4,16 5–7 5,1–10,22 5,1 5,3 5,5 5,6 5,7 5,8 6 6,2 6,3

277 120, 175, 188 67 166 208 206 206 62, 67 167, 353, 403 24, 490 24, 87 166 87 166 419 277, 513 363 277 67 166, 245 229, 245 361 361 157, 419 156, 227 227, 341 352, 359 24, 166, 523–524 408 157, 234, 363 170, 233, 505 417 466 92 124 172 235 105, 168, 263, 268 157 239 288, 356 218 157 157

6,6 6,9 6,12–20 6,12–17 6,15–16 6,16 6,18 6,19 6,20 7,1 7,7 7,10 7,12–15 7,18–24 7,18–20 7,24 7,25 7,29 7,32 8,1–11,1 8,1–9,27 8,1–13 8,1–8 8,1–6 8,1–3 8,1 8,2 8,3 8,4–6 8,4 8,5–6 8,5 8,6 8,7–9,27 8,7–9 8,7 8,8 8,9–13 8,9–12 8,10–9,22 8,10–13 8,10 8,11 8,12 8,13–9,23

474 157 218 67, 218 157 218 62, 67, 218, 233 157 218 62 157, 203 353 474 65 24 166 62, 471 166 157 24, 61–69, 79, 148, 522 67 79, 135 148 97, 264 67–69 61–62, 64, 157, 165, 248 156, 227–228 352 62, 66–69, 228, 240 62, 66, 97, 157, 165, 240, 245–246, 248 264 251 62, 125, 155, 264 67–68 66 62, 68, 135, 164–165, 235, 241, 246 62, 64, 66–69, 85, 148, 164, 224, 240 76 62, 68 76 66, 75 62, 164–165 167, 237, 474 226, 266 159

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

8,13 8,15–16 9 9,1–23 9,1 9,3–10 9,3 9,4 9,6 9,7 9,8–10 9,9 9,11–14 9,11 9,12 9,13 9,15–23 9,15–18 9,16 9,18 9,19–23 9,19–22 9,19 9,20–23 9,22 9,23 9,24–27

9,24

9,25–27 9,25

9,26–27 9,26 9,27

62–63, 85, 135, 148, 164, 228, 232 86 148 64, 68, 75–77, 200–201, 203 63, 76 63 63 62, 164 148 62–63, 164, 408 63 495 63 63 63, 151, 203 62–63, 151, 157, 164, 183 150 63 488 202 76, 79 63, 75 63–64, 75–76, 201, 203 256, 266 63–64, 66, 203 64, 76–77, 148 64, 68, 75–78, 80–81, 146–151, 157–158, 160, 162, 164, 166, 177, 182, 193–194, 197–199, 201, 211–212, 226, 253 75–78, 146–147, 150–151, 156–158, 163, 183–184, 189, 191, 199–200, 203, 206, 209, 229 201 146–148, 157–158, 163–164, 166, 183–184, 189, 199–202, 205–206, 209, 226 147, 150–151, 163, 183– 184, 200 157–158, 163, 190, 199, 201, 203 147, 152, 157–158, 166, 184, 200–201, 203

10,1–33 10,1–22 10,1–14 10,1–13 10,1–11 10,1–10 10,1–5

10,1–4 10,1–2 10,1

10,2 10,3–4 10,3 10,4

10,5–9 10,5

10,6–13 10,6–11

10,6–10

571

123 64–69, 149, 162, 234, 508, 511–513 177 64, 77–78, 123, 135, 177, 253, 256 80, 103, 123, 149–153, 157, 182, 184, 226 77 68, 13, 149, 182, 185, 190, 193–194, 197–198, 203–213, 254, 263–264, 267, 505, 522 106, 119, 125, 136, 144– 145, 150–153, 162, 190, 208, 211, 213, 224, 254 81–84, 106–108, 131, 133, 141, 184 64, 75, 76, 80, 112, 114, 125, 128, 146–153, 156–157, 162, 166, 178, 182, 184, 190–191, 203, 204–206, 208, 210, 234, 250 80, 82, 112, 145, 149, 152, 162, 206, 208, 265, 270–272, 452 84–88, 164, 187, 208–209, 217, 269, 521 62, 109–111, 120, 127, 162, 164, 184, 206–207 80, 97, 110, 111–112, 119–124, 131, 149, 152, 162, 164, 184, 207–210, 261–262, 265, 269–270, 272, 522, 525 187 88–90, 112–114, 132, 166, 178, 185, 190, 206, 209–210, 212, 254, 268, 522 193–194, 197–198 103, 132, 142, 149–153, 159, 162, 182, 185, 187, 190, 212, 213–226, 231–232, 254, 505 68, 90–91, 152–155, 163, 170, 185, 229, 522

572 10,6

10,7–11 10,7–10 10,7–8 10,7

10,8–10 10,8–9 10,8 10,9–10 10,9 10,10

10,11–13 10,11–12 10,11

10,12–13 10,12

10,13

10,14–22

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

80, 103, 112, 126, 134, 159–160, 169, 177, 185–187, 190–191, 200, 213–216, 224–225, 507, 512, 522 160, 216–220 160, 162, 164, 177, 185, 190, 214, 259, 272 160, 216–219 62, 80, 91–92, 96, 102–104, 123–124, 127, 134, 149, 151–153, 164, 170–173, 178, 186–187, 225, 227, 254, 259–261, 505, 516, 520–521 168, 178, 186, 217–219, 224 152–153 92–93, 96, 103–105, 167, 172–173, 187, 218–219, 260, 521 126, 160, 216, 219–221, 474 93–94, 117, 128, 134–135, 167, 172–173, 187, 219– 220, 227, 260, 265, 267 94–95, 115, 129, 134–135, 145, 149, 151–153, 166– 167, 172, 187–188, 220, 263 68 185 1, 80, 95, 122, 140, 153, 168–170, 185–187, 190–191, 221–224, 227, 272, 507, 512 188, 226–232 96, 149–150, 153–154, 156–157, 167, 172–173, 182, 187, 189, 190, 214, 226–228, 231–232, 255 78, 96, 120, 126, 128, 150, 153–154, 173–174, 182, 187, 190, 192, 228–232, 235, 261–262, 522 64, 67–68, 78, 100, 122, 135, 150, 154–156, 218, 263

10,14–17 10,14–15 10,14

10,15–22 10,15 10,16–22 10,16–17 10,16

10,17

10,18–22 10,18–20a 10,18

10,19–22 10,19–20a 10,19 10,20b–22 10,20–21 10,20 10,21–22 10,21 10,22

10,23–11,1

68, 96–97 149–150, 193, 195, 197– 198, 232–236 64, 78, 96, 134, 154–155, 163, 166, 171, 178, 182, 190–191, 217, 232–236, 253, 255 505, 519 96, 154–157, 182, 188, 190–192, 232–236, 255 182, 255–256, 524 150, 154–155, 164, 182, 193, 195–198, 255, 265 64, 97, 149, 164, 174–176, 178, 188, 190–192, 210, 213–216, 236–239, 241–243 97, 125, 163–164, 174, 178, 188, 190, 192, 209, 239–243, 256, 264–267, 517 134, 155, 522 68, 97–98, 150, 182, 193, 196–198, 243–249, 256 62, 80, 149, 154–155, 164, 171, 173, 175–176, 189, 190–192, 243–245, 248–249, 262 66 190, 245–249 62, 64, 66, 69, 97, 121, 149, 154–156, 164–165, 171, 189, 191 150, 182, 193, 196–198, 250–253 149, 163 97, 121, 131, 149, 154– 156, 163, 171, 175, 189, 207, 244, 250, 261 68, 146–149, 155–156 98, 147, 155–156, 164, 171, 174, 189, 190, 192, 250–253, 265, 267 67, 97, 99, 114, 121–122, 128, 141, 147, 155–156, 174, 189, 190, 250–253, 261–262, 267 67, 79, 149

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

10,23–30 10,23 10,24 10,25–27 10,25–26 10,25 10,27–28 10,27 10,28–30 10,28 10,29–30 10,29 10,30 10,31–11,1 10,31–32 10,31 10,32–11,1 10,32–33 10,32 11,1 11,3 11,5 11,7 11,13 11,16 11,20 11,23–26 11,25 11,29–34 11,30 11,32 11,33 12–14 12–13 12 12,1 12,2 12,4–26 12,4–6 12,11 12,13 12,25 12,27 13,12 14 14,5 14,6

68 62, 79, 148, 257 266 66 64 164 64 164, 474 66, 266 62, 164–165 64 149 148 65, 68 266 64, 148, 164, 218, 257, 363 64 148 24, 148, 256 61, 148, 465 157 266 364 157 156 208 504 237, 265, 293, 329, 361, 430, 490 34 288, 357 251 166 67 67 265 62, 77, 157, 166 24 262 207 266 24, 209, 265, 271, 344, 464 526 265 455 67 157 166

573

14,8 14,20–25 14,20 14,21 14,22–24 14,25 14,26 14,29 14,36 14,37 14,39 15 15,1 15,3 15,8–9 15,9–10 15,9 15,10 15,22 15,26 15,45 15,55 15,56 15,57 15,58 16,1 16,7 16,12 16,15–18 16,15

408 277, 513 166, 235 144 474 144 166 166 355 156 166 222 157, 166 24 291 327 288, 357, 487 166 353 365 433, 447, 465, 467 382, 462 185, 208, 382, 439, 462 339 166, 233 62 157 62 430 166

2 Korinther 1–7 1,3–11 1,3–4 1,3 1,4 1,6–7 1,5 1,6 1,7 1,8–11 1,8 1,11 1,12–14 1,12 1,13–14 1,13

281 281, 283 281 398 281 281 283 77, 281 175, 281 398 77, 341 281, 303 281–282, 403, 456 281, 288, 356, 411 281 282, 457, 490

574 1,14 1,15 1,18 1,19 1,20 1,22 1,24 2,1 2,6 2,7–8 2,10–13 2,10 2,11 2,12–13 2,13 2,14–7,4 2,14–7,3 2,14–5,21 2,14–4,6 2,14–3,18 2,14–3,6 2,14–17 2,14–16

2,14–15 2,14

2,15–16b 2,15 2,16c–3,6 2,16c–17 2,16 2,16c

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

281 281, 427 120, 188 342 364 281, 367, 419, 464 476 367 288 281 282 303, 444 296, 349 283, 395, 398, 406 280–281, 395 280, 404 280 282 282–284, 339–341, 485–486, 489, 504, 506, 508, 510 79, 470, 474 345–346, 392, 506 284, 482 287, 339–340, 342, 350, 370, 375, 388–389, 394, 395–406, 407–408, 465, 487 325–326, 360, 411, 425, 427, 459 280, 282–283, 325–326, 339–340, 342, 345, 351– 355, 369, 370–374, 376, 387, 395–401, 402–405, 407, 483, 485 395–396, 403–404, 437, 448 326, 339, 342, 345, 353–354, 370–374, 375, 376–377, 401–406, 473 407, 479 388–389, 407–413, 425, 436 353–354, 356, 370–374, 376–377, 405, 433, 438 282, 288, 291, 326–327, 345, 370–374, 377, 386,

2,17–3,6 2,17–3,1 2,17

3,1–5,10 3,1–4,6 3,1–6 3,1–3 3,1

3,2–3

3,2

3,3

3,4–18 3,4–6 3,4–5 3,4

3,5–6

407–408, 436, 483, 486, 488–489, 510 343, 349 370, 375, 473, 482 281–282, 284, 288–289, 341, 342, 344–345, 355–356, 370–374, 377, 408–413, 414–415, 417, 422, 425, 427, 436, 441, 471, 481, 483, 487 282 282, 284 483, 485, 489 281, 289–291, 357–359, 375, 388–389, 403, 413– 425, 428, 435, 483 289, 341, 344, 345, 352, 357–358, 370–374, 378, 386, 409–410, 413–416, 414–415, 417, 422, 436, 481, 483, 488–489 286–287, 289, 291–294, 328, 334–345, 367, 378, 415, 416–425, 433, 435–437, 439, 448, 470, 482, 503, 510 282, 289, 342, 345–346, 352–353, 357–359, 370– 374, 378, 386, 416–417, 422–424, 457, 489–490 280–281, 289, 312–313, 329–332, 337–338, 341–342, 345–346, 348, 350, 352–353, 357–360, 370–374, 378, 416–424, 427–432, 440, 456, 483, 489–491, 495 482 286, 291–294, 345, 363, 388–389, 415, 425–437, 482 284, 429, 441 281, 283, 291, 341–342, 345, 359, 370–374, 375, 378–379, 426–427, 435, 451 326–327, 356, 375, 427– 437, 486–487, 489, 495

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

3,5 3,6–9 3,6

3,6c 3,7–4,6 3,7–18 3,7–17 3,7–15 3,7–14 3,7–11

3,7–9 3,7–8 3,7

3,8 3,9–10 3,9

3,10 3,11

291, 327, 338, 342, 370– 374, 386, 427–429, 436, 471, 510 360 281, 287, 291, 314, 328– 329, 332, 337–338, 345, 348–349, 353, 360–362, 370–374, 386, 417, 429– 437, 475, 483, 495, 503, 510 293–294, 379, 432–435, 438 283 284, 310–312, 313, 333, 335, 344, 364, 392, 472, 496–498 346–349 461 321 280, 294–295, 311, 315, 323, 326, 336, 362, 375, 379–380, 388, 390, 437– 448, 449–450, 453, 468, 479, 483, 485, 489, 496 360 437, 440–442, 446–447 280, 284, 286–287, 294, 300–303, 305–306, 311, 322, 336–338, 340–341, 344, 347, 353, 362–363, 365, 370–374, 379–380, 387, 432, 437–438, 440–441, 444, 446–447, 453–455, 495–498, 510, 522 280–281, 344, 347, 353, 362, 365, 370–374, 379– 380, 441, 475 442–445 280, 294, 344, 347, 353, 362, 370–374, 379–380, 386, 437, 442, 444, 446– 447, 453, 455 286, 294, 304, 311, 336, 364, 370–374, 380, 386, 443–445, 447, 498 294, 330, 337, 344, 347, 360, 362, 365–365, 370–

3,12–18 3,12–13a 3,12

3,13–18 3,13–15 3,13b–14a 3,13

3,14–18 3,14–17 3,14–16 3,14b–15 3,14

3,15–17 3,15–16 3,15

3,16–17 3,16

3,17

3,18

575

374, 379–380, 386, 437, 442, 445–447, 452, 491 295–298, 336, 360, 388, 390, 443, 448–470, 479, 483, 485, 504 449–451 283–284, 295, 341, 344, 359, 360, 370–375, 380, 386, 449–450, 456, 460, 468, 471, 484 311, 323, 375, 402, 473, 484 301, 371, 381, 473, 484 451–456, 510, 522 284, 286, 295, 305–307, 311, 322, 336–337, 344, 365–365, 367–367, 370– 374, 451–454, 456–458, 467, 489, 496–499, 510 330, 336 207, 344, 348 282, 352, 522 318–324, 381, 453, 456–460, 501 296, 311, 322, 330, 332, 337, 344, 347–348, 362, 365–365, 367–367, 370–374, 381, 387, 431, 453–458, 467–468, 473, 475, 495, 504 460–464 286, 297, 381 286, 307–308, 347, 367– 367, 370–374, 381, 387, 456–463, 465, 469, 475, 502 460–464 286, 297, 307–308, 311, 320, 323, 336, 347, 370– 374, 381–382, 387, 460, 462, 469, 475, 496, 498 185, 207, 281, 286, 297, 323, 370–375, 382, 387, 432, 460–464, 467, 469, 493 281, 297–299, 309–310, 324–325, 343–344, 349, 364, 367–367, 370–375,

576

4,1–6

4,1–2 4,1

4,2–6 4,2

4,3–6 4,3–4 4,3 4,4–6 4,4

4,5–6 4,5 4,6

4,7–5,10 4,7–18 4,7–15 4,7 4,8 4,10 4,11 4,12 4,13

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

382, 387, 440, 448, 458, 460, 463–467, 469, 475, 484, 497 79, 284, 298–299, 343, 349–350, 364, 369, 370, 388, 391–392, 394, 470– 482, 484, 489, 507 284, 341–342, 382, 471– 473, 479–481, 484–485 280, 282–283, 342, 344, 349, 359–360, 360, 370– 375, 386, 471, 476, 479, 481 342, 375 280, 282, 298, 341–342, 349, 353–357, 370–374, 382, 409–410, 414–415, 465, 472, 479–481 479–480 342, 354, 465, 473–475, 476 349, 369, 370–374, 382– 383, 403, 479–481 383–384, 472, 475–479 283, 296, 298, 342, 349, 356, 364–365, 367, 369, 370–374, 392, 465, 473, 475–480, 484 339–340, 394, 484 342, 350, 352, 356, 369, 370–374, 386, 464–466, 475–476, 479–480 282–283, 284, 298–299, 303, 336, 340, 342, 350, 352, 354, 359, 364–365, 369, 370–374, 383–384, 386, 402, 429, 465, 471, 476–481, 485, 491 282 364 283 282–283, 326, 360, 398, 407, 443 283 280 280, 283, 398 353, 402 281–283, 360

4,15 4,16 4,17 5,1 5,5 5,10–11 5,10 5,11–7,1 5,11–6,10 5,11 5,12–18 5,12 5,16 5,17 5,18–19 5,18 5,20 5,28 6,1–2 6,1 6,2 6,3 6,4 6,6 6,8 6,13 6,11–7,1 6,14–7,4 6,14 6,16 7,1 7,3 7,4 7,5 7,6–7 7,11 7,12 7,13 7,14 7,16 8,4 8,6 8,16–24 8,16 8,17 8,19 8,22

283, 364, 444 283, 471 283, 364 283, 360 281–282 352 280, 343, 464 282 282 280 476 280, 282, 303, 341, 357, 414 283 141, 493 282 283, 427 281, 476 280 282 281 502 280, 361 280, 292, 357, 361, 414 281 363 505 282 126 24, 175, 365, 474 419 233, 281 280, 490 280–281, 341, 395, 450 280 281 414 280 281 341 280 175, 280–281 281 357 339 281 444 281

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

8,23 8,24 9,1 9,5 9,9 9,12–13 9,13–14 9,13 9,15 10–13 10,1 10,2 10,5 10,7 10,8 10,10 10,12–16 10,12 10,13 10,17 10,18 11,2 11,3 11,4 11,6 11,8 11,14 11,15 11,20 11,23 11,29 12,1 12,8 12,11 12,14 12,16 12,18 12,19 12,21 13,2 13,11 13,13

175, 364 303 280 281 445 280 364, 444 175 339 414 281, 303 281 296, 367, 473 303 341 401, 407 417 280, 357, 414 341 472 280, 357, 414 417 296, 367, 473 281 280, 352 280 365, 472 292, 453 303 292 407 472 281 280, 414 505 471 281 233 218 352 281 175, 281

Galater 1,11 1,15–16 2,1 2,9

77 488 464 175

2,16 2,17 2,18 3,1–6 3,10 3,13 3,14 3,15 3,17 3,19–20 4,6 4,9 4,23 4,24 4,25 4,29 5,1 5,6 5,11–12 5,18 5,29–21 5,23 5,25 6,3 6,6 6,8 6,16

457 430 414 354 144 144 144 430 430 271 239, 359, 367 461 311 430 462 311 464 457 324 464 203 203 160 156 175 353 151

Epheser 2,2 2,3 6,4 6,19–20

474 309, 344 170 450

Philipper 1,1 1,5 1,7 1,10 1,11 1,14 1,20 2,1 2,9 2,12 2,17 3,4 3,9

430 175 358, 418 288, 356 442 409 450 175 265 233 401 156, 281, 426 354

577

578

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

3,10 3,12 3,19 4,1 4,7 4,15 4,18

175, 352 352 453 233, 490 296, 367, 473 175 401

Kolosser 1,11–20 1,12 2,15

47 357 354, 397

1 Thessalonicher 1,6–7 1,6 1,8 1,9 2,2 2,3 2,4 2,9 2,13 2,17–20 2,17 4,9 4,13 4,15 5,1 5,27

168 465 355 419, 461 450 355 359 451 409 417 490 62 77, 215 488 62 25–26

2 Thessalonicher 2,9–10 474 1 Timotheus 4,10 6,16

2 Timotheus 3,15

293

Titus 3,10

170

Phlm 6 8 13 17

175 450 430 175

Hebräer 3,17 4,11 10,31

89 167, 169 89

Jakobus 2,1–13

48

1 Petrus 2,18–25 2,25

48 461

1 Johannes 3,2

499

Offenbarung 2,5 2,14 2,20 3,16 4,2–11 7,2

167 118, 165 165 499 47 419

419 302, 499

Andere frühjüdische und apokryphe Schriften Apokalypse des Mose 1,1 314 19,3 91 Assumptio Mosis 1,14–18 503

1,14 3,12

271 271

Syrische Baruchapokalypse 29,8 86, 95

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

4 Esra 3,19 7,42 9,29

496 497 81

Äthiopisches Henochbuch 24,3–25,7 402 39,14 302 45,3 497 50,4 497 55,4 497 89,21–33 129 89,24 107 95–99 129 100,1–6 47 Slawisches Henochbuch 37 497 Josef und Asenat 8,5 13,12 16,2 16,14

251 292 86 207

Josephus Antiquitates 2,338–344 3,90 3,101 3,138 4,50 4,129–139 4,137–138 4,139–140 4,155 4,165 4,186–187 4,200 4,253 4,304 4,319 4,324 5,97 5,112 7,2 8,104

82 313 313 313 115 118 260 118 93 503 503 241 293 313 293 503 240 240 367 313

10,79 11,244 11,288 13,282 14,17 18,162

293 293 293 293 293

De bello Judaico 2,210 159 Contra Apionem 1,12 293 2,45 91 2,193 241 Jubiläenbuch 1,1 1,26–2,1

314 314

Liber Antiquitatem Biblicarum 9,8 271 10,6 82 10,7 85–86 11,5 269 11,15 87 12,1 302, 306 15,5 114 19,2 303 19,7 314 20,1 503 Oden Salomos 1,19

82

Philo De Cherubim 46 81 86

327 201 455

De congressu eruditionis gratia 1,58 293 De decalogo 50–51 106–107 173

314 314 91

Quod deterius potiori insidiari soleat 85 87

579

580

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

101–103 115 117 118

159 87 87 87

De ebrietate 108 112–113

367 116

De fuga et inventione 137 110 165 302 De gigantibus 17

131

Quis rerum divinarum heres sit 203–204 109, 137, 268 203 84 258 293 De vita Mosis 1,40 1,176–180 1,298 1,302–303 1,303 1,304 2,44 2,69 2,70 2,210 2,254–255 2,271 2,280

289 82 118 92, 118 93 118 223 493 302 87 82 303 303

De mutatione nominum 27 327 159 87 259 110 Quod omnis probus liber sit 113 159 De opificio mundi 155–156 471 172–173 241 De posteritate Caini 125–128 87 De praemiis et poenis 122 87

De sacrificiis Abelis et Caini 32 471 86–87 87 De somniis 1,48–50 1,58 1,178 2,221–222 2,241–242 2,270–271

87 293 402 87 87 116

De specialibus legibus 1,44 327 1,52 240 1,67–68 240–241 1,96 293 1,129–132 160 1,345 455 1,149 159 1,280 314 2,86 87, 110–111, 138, 269 2,87 117, 260 2,195 159 2,236 455 3,8 293 3,99–101 325, 364 3,101 466 3,116 160 3,125 172, 455 3,126 92 3,162 110 3,169 110 3,174 127 3,175 87 4,1 314 4,9 160 4,41 314 4,48 91 4,84 160 5,149–150 490 De Virtutibus 34 35 66

93 240 503

Psalmen Salomos 14,1 120

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

17 17,10

95 120

Testament Abrahams Rez A 16 399, 402

1QH 4

330

1QHa 5,29–32

Testament Hiobs 4,10 159, 199 27,3–5 159, 199

303

1QpHab 8,1–8

223

Testament Rubens 4,6–7 92 4,11 92 6,3 92

4Q365 31a–c

81

Testament Simeons 5,3 92

4QdibHama

119

Sibyllinen 2,96

165

Vita Adae et Evae 19 160

Rabbinische Schriften bShabbat 35a 88b 89a

87 355 106

bYoma 72b

355

bTaanit 7a 9a 20a

355 87 334

bSanhedrin 99a

223

Mekhilta Ex 13,21 Ex 14,16 Ex 16,25 Ex 31,21 (30a)

107 108 85 81, 83

Memar Marqah 5,4 304 6,3 302

Midrasch Exodus Rabba 18 304 Midrasch Levitikus Rabba 1,14 325 Midrasch Numeri Rabba 9,24 171 19 (187a) 117 Midrasch Deuteronomium Rabba 11,3 497 Midrasch Kohelet Rabba 1,9 (9b) 86, 269 Midrasch Rut Rabba 2,14 (132b) 86 Midrasch Hohelied Rabba 3,7,5 302 mPesachim 10,5

169

581

582

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

mAvot 56

87

Pesikta Rabbati 10,6 21,6

302 304

Sifre Devarim 43

171

Midrasch Tanchuma 2,21 171 15 106 Targum Onkelos Ex 12,23 Ex 32,6 Ex 34,29 Ex 34,30 Ex 34,35 Num 10,35–36 Num 14,13–19 Num 21,16–20 Num 21,18–20 Num 21,19 Dtn 33,3

95 102 313, 317 302 303 112 114 87 86 116 83

Targum Neofiti Ex 32,6 Ex 32,15 Ex 34,29–30 Ex 34,29 Ex 34,30 Ex 34,35 Num 10,35–36 Num 14,13–19 Num 17,11 Num 17,12 Dtn 34,7

102 313 317 313 302 303 112 114 95, 106 106 304

Targum Pseudo-Jonathan Ex 12,23 95 Ex 12,37 106 Ex 13,20–21 81, 83, 106 Ex 16,4–6 307 Ex 17,1–7 111 Ex 33,7 308, 323 Ex 33,11 323 Ex 33,16 317 Ex 34,29 294, 313 Ex 34,30 302 Ex 34,35 303 Num 7,89 323 Num 10,35–36 112 Num 11,4 91 Num 11,34 91 Num 14,14 107 Num 17,11 95 Num 20,2 87 Num 21,19 116 Num 22,15 87 Dtn 32 122–123 Dtn 32,1 123 Dtn 32,6 123 Dtn 32,7 122 Dtn 34,7 304 Jer 31,20 329 Targum Jesaja 6,1

499

Targum Hohelied 2,6 107 tSukka 3,11–12 (196)

86–87

tSota 6,6

171

Griechische und lateinische pagane Autoren Aischylos Prometheus 789

Aristoteles 490

Nikomachische Ethik 2,4–6 159

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

Politik 49,1

158

Rhetorik 1395b 3,17 [1418a] 27–34 (1415a) 38 (1368a)

434 212 409 439

Athenäus Deipnosophistae 227d–228c 200 Cicero

8,15 77

167 172

Hesych Theta 266,1

165

Homer Ilias 8,67 23,565

167 167

Odyssee 8,251

171

Isokrates

Brutus 276

57

De finibus 3,26

455

De inventione 1,45,6–13

415

De oratore 2,115 2,128

205 57

Orationes 6,82 7,84 8,36–37

209 209 209

Epistolae 1,3

427

Ovid

Partitiones Oratoriae 5 57

Amores 1,2,19–20 1,2,28

Demosthenes

Plato

Orationes 15,25

209

Dio Chrysostomus Orationes 3,2 7,67 8,15 26 31,56 49,7–6 77/78,37 77/78,45

451 361 159 490 169 361 451 451

Herodot Historien 4 5,6

172 476

400 400

Gorgias 481b 526e

172 199

Nomoi 9,854a

160

Phaidros 234d 276a

172 490

Politeia 10,602b 371

172 361

Politikos 290

361

Theaitetos 191c–d

490

583

584

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

Plutarch Moralia 417bc

247

Quaestiones convivales 5,3,1–3 200 Porphyrius De abstinentia 2,40–42 2,42

247 246–247

Pseudo–Longinus 23.2 2216 26.1 216 Pseudo–Phokylides 31 165 Quintilian Institutio oratoria 1,7,9 37 3,8 199 3,12 199 3,48 199 4,1,5 205 4,1,30 205 4,1,52 409 4,5 409 5,11,1 65 8,2,21 431 8,4,3 445

8,4,9 8,5,3 8,5,8 8,5,12 8,5,18 8,5,27 9,1,14 9,1,43 9,2,16 9,2,27–29 9,2,65 9,2,68 9,2,77

439 433 433 431 433 434 431, 508 409 245 235 431, 508 431, 508 431, 508

Rhetorica ad Herennium 4,43.56–44.57 38 Seneca Epistulae 78,16

159

Sextus Empiricus Adversus mathematicos 9,73 288 Thukydides 2,43,2 2,60,6

490 427

Xenophon Memorabilia 4,1,1

159, 172

Frühchristliche Autoren und Kirchenväter Ambrosiaster Kommentar zu 2 Korinther 2 Kor 3,10 445 1 Clemens 4,12

90

2 Clemens 7,1

199

Didache 10,3 10,4

207 86

Eusebius Praeparatio evangelica 9,27 82 9,36 82

Verzeichnis der Bibelstellen und antiken Quellen

Ignatius

Origenes

Brief an die Römer 7,3 207

Homilien zu Numeri 20,1 118

585

Autorenregister Aageson, James 116, 123 Angers, Dominique 296–297, 319, 502 Aus, Roger David 326 Bachtin, Michail 10–11 Back, Frances 317, 460–462 Baker, William 366 Baumert, Norbert 175–176 Becker, Eve-Marie 489–490 Becker, Matthias 450–451 Belleville, Linda 302–311, 344, 456 Brändl, Martin 158, 201 Breytenbach, Cilliers 398–399 Bünger, Christina 3, 504, 518 Byers, Andrew 97, 125, 240–241, 266 Collins, John 361 Cover, Michael 123, 136, 208, 310–312 Coxhead, Steven 491–492 Debanné, Marc 42 Duff, Paul Brooks 400–401, 418 Eemeren, Frans van 53–55 Fitzmyer, Joseph 98, 207 Gäckle, Volker 65–67, 70–74 Gemeinhardt, Peter 5–6 Gerber, Christine 416–417, 505–506 Goodwin, Mark 419, 490 Grootendorst, Rob 53–55 Gruber, Maria 304, 455, 458 Gülich, Elisabeth 35 Guthrie, George 366 Habermann, Jürgen 137–140 Hafemann, Scott 321, 326–328, 366, 398, 453–456, 487, 500 Hanson, Anthony 122 Harvey, John 32–33

Hays, Richard 3–4, 10, 18, 88, 264 Heath, Jane 319, 503 Hebel, Udo 15–16 Heilig, Christoph 397–398, 400–401 Helbig, Jörg 11–12, 17–20, 27 Hellholm, David 35–36, 376–381 Hentschel, Anni 430 Hietanen, Mika 54–55 Hwang, Jerry 104–105 Käfer, Eduard 17, 85–86 Kennedy, George 41, 46–47, 55 Klauck, Hans-Josef 83, 209–210 Knowles, Michael 119–120 Koch, Dietrich-Alex 2, 333, 457, 512 Koet, Bart 103–105 Kopperschmidt, Josef 49–53, 56 Kristeva, Julia 10–12, 45 Kuschnerus, Bernd 425, 433, 505–506 Liebers, Reinhold 137–140 Lincicum, David 120, 124 Linebaugh, Jonathan 139 Litwa, M. David 325 Meeks, Wayne 103, 217–218 Merz, Anette 13–15, 19, 21 Mitchell, Margaret 41, 65, 90, 240 Nicklas, Tobias 443 Nikkanen, Markus 174–177, 238–239, 243 Oestreich, Bernhard 25–26 Ogereau, Julien 176 Olbrechts-Tyteca, Lucie 42–44 Oliveira, Anacleto de 376–384 Oropeza, BJ 133–135, 140–142 Ostmeyer, Karl-Heinrich 169–170 Perelmann, Chaïm 42–44 Porter, Stanley 12, 521

588

Autorenregister

Raible, Wolfgang 35 Renwick, David 453–455 Robbins, Vernon 45–48 Rosner, Brian 99 Schaller, Berndt 84, 87, 91, 95, 109 Schleiermacher, Friedrich 30–31 Schneider, Michael 78 Schröter, Jens 398, 424, 472 Seesemann, Heinrich 175 Smit, Joop 67–74 Stanley, Christopher 4, 26, 338, 498–499, 523–524 Stocker, Peter 13–14, 16–20 Stockhausen, Carol 28, 290–291, 320–321, 332, 366, 489 Sumney, Jerry 76–77

Thiessen, Matthew 88, 119–120 Thrall, Margaret 324, 414, 474 Toulmin, Stephen 50 Waaler, Eric 264–267 Wagner, Ross 320, 501–502 Waters, Guy 121–133 Wilk, Florian 2, 7, 277–278, 281–282, 284, 289–299, 337, 525 Windisch, Hans 365 Witherington, Ben 165

Sachregister a fortiori-Schluss 52, 203, 384, 422, 437–446 Abendmahl, siehe Herrenmahl Allusionskompetenz, siehe Kompetenz amplificatio, siehe Argumentation / Amplifikation Analogie 43, 273, 469, 505–507 – siehe auch Typologie Analyse, pragma-dialektische 53–56 Analyse, rhetorisch-argumentationslogische 36–59 – siehe auch Argumentationsanalyse Analyse, thematisch-strukturelle 30–36 – metakommunikative Ausdrücke 34–35, 80, 166, 191, 386 – Handlungsträger 31–32, 148–156, 341–350 – Segmentierung 36, 56, 78, 182, 193–196, 374–375, 388–391 – Stil 32–34, 57, 182–191, 375–385 – Textinventar 31–32, 156–182, 351–374 – Textthema 30–31, 146–148, 197, 339– 341, 394 – Verweisstruktur 34–35, 191, 386–387 – Wiederaufnahmen 34, 182, 197–198, 392–393 Anspielung, latente 23, 25, 516, 524 Antithese 34, 182, 358, 370–371, 375, 431 Apollos 221, 277, 336–337, 360–361, 511, 524–525 Apologie des Paulus 280–284, 395, 404 Apostolat des Paulus 63, 75, 280, 482–485 Archaismus 34, 460 Argumentation, abduktive 47 Argumentation, amplifizierende 38, 63, 65, 273, 442, 447, 482 Argumentation, deduktive 38, 43 – siehe auch Argumentation, wirklichkeitsbezogene

Argumentation, dissoziative 42–45, 211–212, 231, 249, 406, 409, 412, 424, 427, 435, 450 Argumentation, induktive 38, 43 siehe auch Argumentation, wirklichkeitsetablierende Argumentation, quasi–logische 42–45, 204, 210, 424 Argumentation, wirklichkeitsbezogene 42–45, 204, 224–225, 232, 236–237, 242, 249, 253, 424, 447, 481 Argumentation, wirklichkeitsetablierende 42–45, 199, 204–205, 210, 212–213, 225, 231–232, 236, 249, 409, 424, 469, 481, 505–506 Argumentationsanalyse, formale 49, 52, 58, 204, 211, 224–225, 438–440, 446–447, 469 – siehe auch nouvelle rhétorique Argumentationsanalyse, funktionale 49–51, 57, 203, 207, 210–213, 224, 226, 231, 236, 239, 242, 248–249, 252–253, 409, 412, 415, 423, 433, 435–436, 447, 450, 468–469, 473, 479–481, 518–519 Argumentationsanalyse, makrostrukturelle 49, 58, 61–69, 253–258, 280–284, 482–486 Argumentationsanalyse, materiale 49, 51–52, 56, 506–507, 518–519 – siehe auch rhetorolect Argumentationsebene 37–38, 57–58 – Ethos 37–38, 46, 57, 203, 211, 236, 252, 405–406, 413, 423–425, 435, 446–447, 468, 482, 520 – Logos 37–38, 46, 57 – siehe auch Argumentationsanalyse, funktionale – Pathos 37–38, 46, 57, 252, 423, 433, 472, 480 Argumentationsmuster, siehe Argumentationsanalyse, formale

590

Sachregister

Ausnahmebedingung 50–51, 236 Autor 19–22 – siehe auch Kompetenz des Autors Autorität der Schrift 212, 225, 273, 276, 467, 507, 518–522 Autorität des Paulus 202, 261, 276, 430, 467 – siehe auch Argumentationsebene, Ethos Autoritätsargument 43, 217, 225, 254, 257, 259 Befähigung 291, 326–328, 356–357, 407– 413, 427–429, 435–437, 486–489 Begierde 90–91, 112–113, 138–139, 159– 162, 214–217, 223–224, 259–260 Begriffszergliederung, siehe Argumentation, dissoziative Beispiel, siehe exemplum Bekehrung 308–309, 461–462, 477–478, 490 Bildung, siehe Kompetenz Bildungsprozess 5–6, 272–278, 512–513, 525–526 Buchstabe (γράμμα) 293, 359–362, 431– 437, 447–448 Bund 250–259, 262, 267–268, 292, 314– 315, 336–337, 518 Bund, alter 320, 431, 457–458, 512 Bund, neuer 265, 293, 328–333, 419–422, 430–431, 445, 490–492 Bundesbruch 97, 101–105, 164, 243–244, 321–322, 453–454, 504 Bundesmittler 265, 271–272, 523 Bundesschluss 104, 259, 317, 491 Bundestafeln, siehe Tafeln

Dienst (διακονία) 360–362, 415, 429–433, 448–449, 482–485 Digression 16–20, 29, 65, 270, 277, 284– 287, 515–516 disclosure-Formel 75, 77, 151, 157, 204–205 Echo 3–4, 88, 142, 264, 315 Eifersucht 99, 121–122, 141, 147, 247, 251–253, 256–257, 262, 265, 518 Einleitungsformel 80, 91, 101, 170, 225, 286 Einleitungsformel (Schriftbezug) 3, 80, 101, 170, 225, 261, 286 Empfehlungsbrief 287, 289, 357–359, 414–425, 448, 490 Ende (τέλος) / siehe auch Höchstmaß (τέλος) Ende (τέλος) 222, 319, 452–453 Enthaltsamkeit, siehe Selbstkontrolle (ἐγκράτεια) Enthymem 38, 42, 51, 415, 456 Erkenntnis (γνῶσις) 62–63, 340, 351–352, 457–458, 476–479 Erkenntnis / siehe auch Verständigkeit 227–228 Ermahnung, siehe Warnung (νουθεσία) exemplum 43, 64–65, 72, 142, 169, 214, 505 Exodus, neuer 6–7, 140, 142, 521

captatio benevolentiae 205, 415, 482 Chiasmus 32–33, 104, 183–190, 226, 375–385 correctio 190, 246, 375, 377–379, 382–385, 505 

Fels 85–88, 100, 109–112, 115–116, 119–124, 127, 130–133, 135–137, 140, 145–146, 206–209, 269–270 Frage, rhetorische 189–190, 245–246, 251, 384–385, 407–408, 425 Freiheit (ἐλευθερία) 64, 66, 462, 464–465, 469–470, 493 Freiheit (ἐξουσία) 62–63, 69 Freimut (παρρησία) 235, 281, 341, 359, 450–452, 468–471 Fürbitte des Mose 89, 105, 108, 266, 272, 453

Dämonen 97–98, 121–122, 131, 147–148, 197, 244–253, 256–257 Dankesformel 283, 339, 395, 406 Decke, siehe Hülle (κάλυμμα) Desintegration 16–20, 29, 80, 285–287, 294–295, 335–336, 520 Diatribe 76, 182–183, 199, 246, 378

Geist (Gottes) 137, 140–141, 207, 359–362, 419, 462–464, 492–493 Gemeinschaft (κοινωνία) 97, 174–177, 225, 236–245, 248–253, 261–262 Gesetz 109, 270, 329–330, 420–421, 432– 433, 439, 495–496 Gesetzestafeln, siehe Tafeln

Sachregister

Gesicht 295, 303–305, 316, 454–455, 465, 476–478 Gewissen 64, 66, 281–282, 472–473 gezerah shava 333–334 Götzendienst 170–172, 216–225, 227–230, 232–236, 239–243, 246–249, 253–255 Götzenopferfleisch 61–68, 97–98, 118, 134, 164–165, 171, 220–221, 245–246, 253–256 Hebraismus 89, 98 Herrenmahl 85–86, 205–210, 212–214, 236–239, 241–245, 250–253, 255–256, 430, 490 Herrlichkeitsglanz (δόξα) 315–318, 365– 369, 493–494, 496–500 Herz 289–290, 358–359, 367–368, 383, 418–424, 476–478, 489–492 Höchstmaß (τέλος) 306, 453–455 Höre Israel, siehe Schma Hörerschaft, siehe Leserschaft Hülle (κάλυμμα) 295, 305–307, 367–369, 451–452, 454–460, 480, 497–501 inclusio 64, 78, 91, 185, 190, 234, 385 Intention (Autorenintention, Allusionsintention) 13–14, 16, 20, 23, 274, 516, 525 Intertextualität 10–30 – Bezugstext 13–15, 22, 25, 27–29, 274– 275, 515–517 – Definition 13 – Geschichte des Begriffs 10–12 – Markierung 16–20, 27, 29–30, 34, 100, 324, 335 – Problematik des Begriffs 12–13 Ironie 105, 108, 157, 234–235, 250, 277, 416 – siehe auch Verständigkeit Israel (Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα) 97, 149, 243–245 Israeliten (υἱοὶ Ἰσραήλ) 294, 301, 305, 336 Klangfiguren 34 – Alliteration 34, 186 – Anapher 34, 185, 180, 376–377, 384 – complexio 34, 379, 384 – Epipher 34, 376, 379, 384

591

– Homöoptoton 34, 379–380, 384 – Homöoteleuton 34, 381, 385 – Paronomasie 188, 375–376, 380–381, 384–385, 428 – Polyptoton 183, 189–190, 379–380, 384 Kompetenz (Schrift– bzw. Allusionskompetenz) – des Autors 22–23, 274–275, 508–510, 521–523 – der Leserschaft 25–27, 275–278, 510– 512, 523–525 Konkurrenten (des Paulus) 357, 407, 410, 414, 471 Kultmahlzeit, siehe Götzenopferfleisch Lauterkeit (εἰλικρίνεια) 281, 356, 409–412, 436, 472–473, 481 Leerstelle 28, 212, 273, 307, 431, 499, 522 Leserschaft, empirische, siehe Leserschaft, historische Leserschaft, historische 20–22, 24, 276, 524–525 Leserschaft, implizite  20, 257–258, 275– 278, 510–513, 523–525 – siehe auch Kompetenz Litotes 76, 183–184, 189–190 Liturgie 120, 123–124, 276, 334–335, 478 Manna 85–87, 109–111, 126–128, 130, 133, 135–136, 138, 145, 206–207, 214, 260, 269, 271 Meeresdurchzug 81–84, 107–109, 119–120, 130, 134–137, 139, 145, 268–269, 271 Metapher 17, 34, 43, 119–123, 424, 505– 507, 513 – Duftmetaphorik 284, 399–404, 407, 438 – Lichtmetaphorik 369, 399, 476–479 – siehe auch Herrlichkeitsglanz – Sportmetaphorik 64, 81, 146–147, 157–162, 199–204 Metonymie 243, 367, 445, 458–459 Midrasch 3, 7, 122–123, 205, 263, 274, 298, 333, 522 Mimesis, siehe Nachahmung Modaloperator 50–51, 226 Mose 80–82, 260–272, 303–304, 317, 461–462, 504, 523 Mündlichkeit 28, 32–34, 275, 517

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Sachregister

Murren 89, 94–95, 109–111, 113–116, 161–162, 219–221, 271–272 Nachahmung 75, 150, 168, 209, 214, 466 Neuschöpfung 139, 464, 488, 493, 506 nouvelle rhétorique 42–45, 52–53, 58 Offenbarungsmittler 272, 447, 449, 465– 467, 488, 523 oral patterns 32–33, 183, 187, 375, 380 – siehe auch Mündlichkeit Parallelismus 32–33, 120, 184–190, 194– 196, 250, 375–377, 382–385, 390–391, 395, 433, 475 Performanz 25, 237 Pescher 3, 297, 333 Plural, literarischer 342–343, 396, 464 Primärerzählung 28–30, 103, 142, 300–310 Reintegration 17–20, 23, 30, 259–272, 486–504, 515–516 rhetography 46, 48, 57 rhetology 46, 48, 57 Rhetorik, klassische 37–42, 58, 516–517 – dispositio 34, 39–40 – dispositio / siehe auch Argumentationsanalyse, makrostrukturelle – dispositio / digressio 39, 65 – dispositio / narratio 39, 68, 281 – dispositio / partitio 39, 68–69 – dispositio / peroratio 39, 68, 203 – dispositio / propositio 39, 68, 281–282, 404 – dispositio / refutatio 39, 71, 73 – genus, deliberatives 39, 209, 212, 214 – inventio 37, 39–40, 52 – inventio / siehe auch Argumentationanalyse, formale Rhetorik, Neue, siehe nouvelle rhétorique rhetorolect 46–48, 57 – apokalyptisch 47, 204, 211, 223, 231, 241, 248, 252, 405, 411, 422, 434–435, 438, 446, 467, 479 – prä-Schöpfung 47, 479 – priesterlich 48, 241, 248, 252, 405, 434–435, 446

– prophetisch 47, 405, 411, 422, 434–435, 446, 467, 479 – weisheitlich 47, 202, 223, 231, 405, 422, 434–435, 479 – Wunder- 48, 446 Sakramentalismus 210, 213, 227, 234, 270 Satan 168, 229, 473–474, 480, 484 Schilfmeer, siehe Meeresdurchzug Schlangen 93–94, 107, 117, 122, 127–128, 138, 166–168, 181, 197, 220, 260 Schma 97, 125, 240–241, 264–267, 275, 514, 522 Schöpfung 120, 125, 130, 132, 139, 264, 268, 288, 298–299, 383, 478, 494, 504 – siehe auch Neuschöpfung Schriftbezug – Funktion 58–59, 272–274, 504–508, 518–521 – Kategorisierung 19, 520–521 Schriftbildung des Paulus 1–5, 274–275, 508–510 – siehe auch Kompetenz Schriftkompetenz, siehe Kompetenz Schutz, göttlicher 82–84, 106–109, 112, 114, 137, 268–270, 455 Selbstempfehlung 357–358, 414–415, 423, 472–473, 480–481 Selbstkontrolle (ἐγκράτεια) 146–149, 158–159, 177–178, 200–204, 215–216, 253–254 Sentenz 187, 227, 293, 432–435 Septuagintismus 89, 160, 286, 297 Sexualsünde 92, 102–103, 117–118, 135, 138 , 172, 216–219 socio–rhetorical interpretation (SRI) 45–48, 57 Sophismus 410, 471 Spiegelschau 324–325, 336, 465–466, 497 Sprechakttheorie 53–55, 422 Stärke Gottes 99, 108, 114, 122, 135, 141, 143, 251–253, 256, 262, 265–266, 270 Tafeln lebendiger Herzen 289–290, 329, 333, 358–359, 420–425, 491 Tafeln, steinerne 289–292, 312–315, 331, 358–359, 420–425, 492, 495–496 Taufe (Christus) 82, 145, 265, 269, 464

Sachregister

Taufe (Mose) 81–82, 106–109, 206, 208, 269, 271 Timotheus 168, 282, 342–343 Trank und Speise (geistlich) 84–88, 111, 120, 127–128, 145, 210; 265–266 Treue Gottes 96, 104, 118–120, 134, 143, 228–232, 262–264, 267–271 Triumphzug 287–288, 354–355, 397–406, 418, 524 Typologie 168–170, 222–223, 249, 504, 509, 518–519 Unzucht, siehe Sexualsünde Verderber (ὀλοθρευτής/ὀλεθρεύων) 95, 105–106, 115, 126, 138–139, 166–168, 220–221 Vergleich, gerichteter 273, 505, 519 Vergleich, gerichteter / siehe auch Typologie Verhärtung 318–323, 367, 455–456, 459– 460, 501–504 Verkündigungsdienst, siehe Dienst (διακονία)

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Verständigkeit (ὡς φρονίμοις λέγω) 156– 157, 234–236, 243, 255, 277 Verstockung 296, 451–454, 456–457, 473–474, 488, 501–504 Versuchung Christi/Gottes 93–94, 96, 111–112, 116–117, 132–134, 160–162, 173–174 Versuchung durch Gott 96, 126–127, 161, 173, 229–230, 267–268 Warnung (νουθεσία) 95, 139–140, 170, 221–222, 272–273 Weisheit 87, 109–111, 116–117, 137–140, 269–270, 272, 355, 402, 522 Wolke 82–85, 106–107, 112, 114–115, 119– 120, 123, 131–133, 135–136, 137–139, 145, 205–206, 268–270 Wolkensäule, siehe Wolke Wortspiel 34, 309, 322 Zitat (expliziter Schriftbezug) 3, 100–104, 225, 259–261, 508, 518, 521 Zuversichtsformel 427