124 32 28MB
German Pages 277 Year 2000
SABINE GÖTIE
Die Mitbetroffenheit der Kinder und Ehepartner von Strafgefangenen
Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Klaus Bernsmann. Hans Joachim Hirsch Günter Kohlmann. Michael Waller Thomas Weigend Professoren an der Cniversität zu Köln
Band 32
Die Mitbetroffenheit der Kinder und Ehepartner von Strafgefangenen Eine Analyse aus der Sicht unterhaltsrechtlicher Interessen
Von Sabine GöUe
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
GöUe, Sabine: Die Mitbetroffenheit der Kinder und Ehepartner von Strafgefangenen: eine Analyse aus der Sicht unterhaltsrechtlicher Interessen I von Sabine Götte. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Kölner kriminalwissenschaftliche Schriften; Bd. 32) Zug\.: Köln, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09938-9
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 2000 Duncker &
1SSN 0936-2711 ISBN 3-428-09938-9 Gedruckt auf aherungsbeständigem (säurefreiem) PapIer entsprechend ISO 97060
Vorwort Diese Arbeit hat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Jahre 1998 als Dissertation vorgelegen. Die nach Fertigstellung der Arbeit erfolgten Gesetzesänderungen konnten ebenso wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom l. Juli 1998 - 2 BvR 441/90 u. a. - nachträglich berücksichtigt werden. Das Literaturverzeichnis ist auf dem Stand vom I. April 1999. Danken möchte ich vor allem meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Michael Walter, für die Anregung und Betreuung der Arbeit sowie für die vielen wertvollen Gespräche. Ein weiterer Dank gilt Herrn Professor Dr. Cornelius Nestler, der das Zweitgutachten zu meiner Arbeit erstellt hat. Für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe "Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften" möchte ich den Herausgebern dieser Reihe - insbesondere Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans Joachim Hirsch - meinen Dank aussprechen. Ein besonderer Dank gilt Herrn Rechtsanwalt Dr. Ralf Steffan, der mir stets hilfreich mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Außerdem möchte ich mich bei der wissenschaftlichen Mitarbeiterin, Frau Wylka Bütefisch, für die Korrektur des Manuskripts bedanken. Köln. im Mai 1999
Sabine Görte
Inhaltsverzeichnis Einleitung
A. Problemstellung ....... . . . ........ . ........ . ..... . ..................................
21
B. Umgang mit der Problematik ......................................... . . . . . . . .......
23
C. Zielsetzung der Arbeit......................... . .. .. .. ........ .. . ........ .. .. .......
27
D. Gang der Darstellung ....................................................... . .......
28
I. Kapitel Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner von Gefangenen
A. Einleitende Bemerkungen ........................................................ . .
31
B. Die Betroffenheit der unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner von Gefangenen unter grundrechtlichen Gesichtspunkten ............................................
32
I. Die Familie als grundrechtlich geschütztes Lebenshilfesystem . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
11. Die Beeinträchtigung des familiären Lebenshilfesystems durch die Freiheitsstrafe ..........................................................................
38
I. Vollzug der Freiheitsstrafe und Erfüllung familiärer Aufgaben ...............
38
a) Vollzug der Freiheitsstrafe und Gewährung des materiellen Unterhalts... .
38
b) Vollzug der Freiheitsstrafe und Betreuung der Kinder ....................
42
2. Der Ausfall eines familiären Aufgabenträgers als Ergebnis staatlichen Handelns ......................... .............. ............ .....................
44
111. Die Frage nach der Rechtfertigung der staatlichen Beeinträchtigungen .........
49
8
Inhaltsverzeichnis
C. Der Einfluß der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner von Gefangenen unter zivilrechtlichen Aspekten. . . .. . .. . . . . ... . .. . . . ... . . . . . . . . ... .
57
I. Die Abhängigkeit des Unterhaltsanspruchs von der Leistungsfähigkeit des Inanspruchgenommenen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
I. Der Unterhalt im materiellen Sinne als Gegenstand der unterhaltsrechtlichen Beziehung ..................................................................
57
a) Zur Bedeutung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit im allgemeinen ......................................................................
57
b) Die Bestimmung der Leistungsfähigkeit von Gefangenen.................
61
aal Die Maßgeblichkeit der Haftsituation ........................ .. ......
61
bb) Der Einfluß der §§ 47, 50 Abs. 2,51 Abs. 1,52 StVollzG ............
63
(I) § 47 StVollzG ...................................................
63
(a) § 47 Abs. I StVollzG ............... . ........................
63
(b) § 47 Abs. 2 StVollzG ........................................
66
(2) § 51 Abs. I StVollzG ............. . .... .. ......... .. ..... .. ......
67
(3) § 50 Abs. 2 StVollzG ................... . .......... . ..... . .......
68
(4) § 52 StVollzG ...................................................
69
cc) Die Berücksichtigung der "sonstigen Verpflichtungen" i. S. d. §§ 1603, 1581 BGB .................................................
69
c) Haftbedingte Leistungsunfähigkeit: Eine beachtliche Einwendung? . . . . . . .
72
aal Begriff und Wesen der haftbedingten Leistungsunfähigkeit ..........
72
bb) Die Entscheidung über Beachtlichkeit bzw. Unbeachtlichkeit der haftbedingten Leistungsunfähigkeit ............. . .. . . . . .. . . ... . . . .. . .
74
(I) Meinungsstand ..................................................
74
(a) Rechtsprechung und h.M. im Schrifttum. . . . . . . .... . . . . . . . . . .
74
(b) Mindermeinungen ......................................... ..
76
(2) Stellungnahme ..................................................
77
cc) Sonderfall: Die haftbedingte Leistungsunfahigkeit nach einem Widerruf gemäß § 14 Abs. 2 StVollzG ..................................
83
d) Die Rechtslage bei unterhaltsrechtlicher Leistungsfähigkeit des Gefangenen..................... ...... .............. ......... ........... .......
84
2. Der Betreuungsunterhalt als Gegenstand der unterhaltsrechtlichen Beziehung
88
a) Die Bedeutung der Leistungsfähigkeit beim Betreuungsunterhalt .........
88
Inhaltsverzeichnis
9
b) Die haftbedingte Leistungsunfähigkeit des betreuenden Elternteils
89
c) Die Rechtslage bei Leistungsfähigkeit der inhaftierten Mutter............
90
11. Die zwangsweise Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen .....................
91
1. Die Privilegierung der gesetzlichen Unterhaltsansprüche in der Zwangsvollstreckung ...................................................................
91
a) Erweiterte Zugriffsmöglichkeiten gemäß § 850d Abs. 1 ZPO .............
91
b) Vorratspfändung gemäß § 850d Abs. 3 ZPO ..............................
93
2. Die Geltung des § 850d ZPO zugunsten der Unterhaltsgläubiger von Gefangenen......... ... ...... ..... ....... ........ ......... ...... ........ ..........
94
a) Vollstreckung in Ansprüche aus § 43 StVollzG
94
b) Vollstreckung in Anspruche aus § 44 StVollzG
99
c) Vollstreckung in Ansprüche auf Arbeitsvergütung aus einem freien Beschäftigungsverhältnis ................................................... 10 1 d) Vollstreckung in Ansprüche aus einer Selbstbeschäftigung . ... . . . . . ....... 101 e) Vollstreckung nach Gutschrift der Bezüge................................ 102 aa) Hausgeld ............................................................ 103 bb) Überbruckungsgeld .................................................. 105 cc) Eigengeld ........................................................... 105 3. Die Bedeutung der Privilegierung des § 850d ZPO für die Unterhaltsgläubiger von Gefangenen im Verhältnis zu den sonstigen Gläubigern ............. 108 a) Opfer der Straftat ........................................................ 108 b) Vollzugsbehörde ........................ . .................... . ........... 109 c) Nichtprivilegierte Gläubiger ............................................. 110 III. Die Ersatzhaftung gemäß §§ 1607, 1608 BGB .................................. 114 1. Die Ersatzhaftung bei Ausfall des Kindesunterhalts .......................... 114 a) Die Ersatzhaftung des anderen Elternteils gemäß § 1607 BGB analog .... 114 aa) Analoge Anwendung des § 1607 Abs. I BGB ........................ 114 bb) Analoge Anwendung des § 1607 Abs. 2 BGB ...... ........... ....... 115 b) Die Ersatzhaftung der nachrangigen Verwandten gemäß § 1607 BGB . . . . . 116 2. Die Ersatzhaftung bei Ausfall des Ehegattenunterhalts ....................... 117
10
Inhaltsverzeichnis
D. Der Einfluß der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner von Gefangenen unter sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten ............. 117 I. Gesetzliche Krankenversicherung ................ . ......... . ................... 117
1. Familienversicherung nach § 10 SGB V ..................................... 117 2. Freiwillige Versicherung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ....................... 121 H. Gesetzliche Pflegeversicherung ........................ . . . . . ................... 122 I. Familienversicherung gemäß § 25 SGB XI .......... . ....... . ............ . .. 122 2. Weiterversicherung nach § 26 Abs. I S. 2 SGB XI ........................... 123 III. Gesetzliche Rentenversicherung
123
IV. Gesetzliche Unfallversicherung ........... . ................ . ................... 127 V. Gesetzliche Arbeitslosenversicherung ..... . ................ . ................... 128
E. Zusammenfassende Bemerkungen .................................................. 130
2. Kapitel Die Gewährung staatlicher Leistungen zugunsten der unterhaltsberechtigen Kinder und Ehepartner von Strafgefangenen
A. Einleitende Bemerkungen .......................................................... 133
B. Allgemeine Leistungen zugunsten der unterhaltsberechtigten Angehörigen von Gefangenen ........................................................................... 135
I. Ansprüche bei Ausfall des Barunterhalts ....................................... 135 1. Unterhaltsersatzleistungen gemäß UVG ..................................... 135 a) Allgemeines .............................. . .......... . . . . . . . . . ........... 135 b) Voraussetzungen ...................... . ................ . ... . . . . . . . . . ..... 136 c) Umfang.................................................................. 137 d) Dauer .................................................................... 138 e) Anspruchsübergang .... . . . . . ........ . . . .................. . ... . ........... 138
Inhaltsverzeichnis
11
2. Hilfe zum Lebensunterhalt nach BSHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Allgemeines ......................................................... . ... 138 b) Voraussetzungen ......................................................... 139 c) Umfang.................................................................. 140 d) Ansprüche des Sozialhilfeträgers gegen den Inhaftierten und deren Wirkung auf die Unterhaltsberechtigten...................................... 142 aa) Kostenersatz gemäß § 92a Abs. 1 BSHG ............................. 142 bb) Rückgriff gemäß § 91 BSHG ........................................ 144 11. Ansprüche bei Ausfall des Betreuungsunterhalts ............................... 146 1. Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen nach § 20 SGB VIII
146
a) Allgemeines ............................ .. ................ . ..... . ........ 146 b) Voraussetzungen ......................................................... 148 c) Art, Umfang und Dauer.................................................. 151 2. Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes nach § 70 BSHG .................... 151 a) Allgemeines ......................................... .. .................. 151 b) Voraussetzungen......................................................... 152 c) Art und Umfang ......................................................... 153 d) Dauer.................................................................... 154 3. Vollzeitpflege und Heimerziehung gemäß §§ 27, 33, 34 SGB VIII ........... 154 a) Allgemeines .. :.......................................................... 154 b) Voraussetzungen ............. . ................................ .... ....... 155 c) Ausgestaltung............................................................ 157 III. Ansprüche bei Beeinträchtigung der sozialversicherungsrechtlichen Stellung... 159 I. Absicherung für den Krankheitsfall .......................................... 159 a) Leistungen nach § 13 Abs. 2 BSHG ...................................... 159 b) Leistungen nach §§ 36, 37 BSHG .................... .. .... .. ............ 160 2. Absicherung für den Fall der Pflegebedürftigkeit ............................ 160 a) Übernahme der Beiträge durch die Sozialhilfeträger ...................... 160 b) Leistungen nach §§ 68 f. BSHG .......................................... 161 3. Alters-, Erwerbsunfähigkeits- und Hinterbliebenensicherung ................ 161
12
Inhaltsverzeichnis
C. Entschädigungsleistungen zugunsten der unterhaltsberechtigten Angehörigen von Gefangenen ........................................................................ 162 1. Entschädigung gemäß § 11 StrEG .............................................. 162 I. Allgemeines................................................................. 162 2. Zielsetzung............................. . ...................... . ..... . ....... 164 3. Voraussetzungen ............ . ........................... . ..... . ............. 165 4. Umfang..................................................................... 165 5. Frist......................................................................... 167 6. Belehrung................................................................... 168 H. Entschädigung nach allgemeinem Aufopferungsrecht .......................... 169 1. Allgemeines................................................................. 169
2. Die allgemeine Aufopferungsentschädigung unter dem Aspekt der mittelbaren Betroffenheit ............................................................ 171 3. Die allgemeine Aufopferungsentschädigung unter dem Aspekt der Betroffenheit in eigenen Rechten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 III. Entschädigungsleistungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 175 1. Das Erfordernis eines eIWeiterten Aufopferungsrechts ....................... 175 a) EIWeiterung der aufopferungsrechtlich geschützten Rechtsgüter .......... 175 b) Aufopferungsentschädigung bei immateriellen Nachteilen................ 177 2. Die Sonderopferlage der unterhaltsberechtigten Angehörigen ................ 179 a) Zur grundsätzlichen Verantwortlichkeit der Allgemeinheit für die Angehörigenwirkung der Freiheitsstrafe ....................................... 179 aa) Aspekt der Veranlassung ............................................ 179 bb) Kein allgemeines Lebensrisiko ...................................... 182 b) Das Überschreiten der allgemeinen Opfergrenze ......................... 183 3. Art und Umfang der Entschädigungsleistungen .............................. 187 a) Materielle Schäden ...................................................... 187 b) Immaterielle Schäden.................................................... 188 4. Folgeüberlegungen .......................................................... 189 a) Verhältnis zur Strafrechtsentschädigung .................................. 189 b) Verhältnis zur Opferentschädigung ....................................... 189
Inhaltsverzeichnis IV. Exkurs: Entschädigung bei Tötung des Gefangenen
13 191
D. Zusammenfassende Bemerkungen .................................................. 194
3. Kapitel
Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange im Vorfeld und während des Strafvollzuges: Möglichkeiten und Grenzen
A. Einleitende Bemerkungen ................ . .......... . ................ . ............. 196
B. Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange im Vorfeld des Strafvollzuges ................................................................................. 197
I. Die Anordnung der Freiheitsstrafe und das allen Familienmitgliedern zustehende Grundrecht auf Ehe und Familie ............................................ 197 I. Kein "echter" Familienschutz bei der Anordnung der Freiheitsstrafe ......... 197 2. Kann im Zusammenhang mit der strafgerichtlichen Verurteilung ein "echter" Familienschutz verwirklicht werden? ........................................ 200 3. Veränderungen des Sanktionssystems unter dem Aspekt des Ehe- und Familienschutzes ................................................................. 202 a) Erweiterte Aussetzungsmöglichkeiten nach § 56 StGB ................... 202 b) Wochenend- und Urlaubshaft ...... .. .. .. ............ .. . .................. 203 cj Hausarrest ............................................................... 204 ". Der Aufschub der Strafvollstreckung unter Berücksichtigung familiärer Belange. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 205 I. Die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs nach § 456 StPO ............ 205 a) Die sachlichen Voraussetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 205 b) Antrag des Verurteilten................................................... 208 c) Die Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde .................. 209 d) Rcchtsbehelfe ............................................................ 210 2. Überlegungen zu einem erweiterten Anwendungsbereich des § 456 StPO .... 211 a) Die Aufhebung der zeitlichen Beschränkung nach § 456 Abs. 2 StPO . . . .. 211 b) Die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs von Amts wegen ......... 213
14
Inhaltsverzeichnis c) Die Gewährung einer Vollstreckungsunterbrechung auf der Grundlage des § 456 StPO .............................................................. 214
C. Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange während des Strafvollzuges
216
I. Die Leitgedanken des Strafvollzuges und der Ehe- und Familienschutz ......... 216 1. Der Ehe- und Familienschutz im Verhältnis zu den Vollzugsaufgaben ........ 216 a) Verhältnis zur Resozialisierung ........................................... 216 b) Verhältnis zum Schutz der Allgemeinheit .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . .... 217 2. Die Gestaltungsgrundsätze des § 3 StVollzG unter dem Aspekt des Ehe- und Familienschutzes ............................................................ 218 a) Angleichungsgrundsatz .................................................. 218 b) Gegenwirkungsgrundsatz ...... ... ........................ .. .. ...... ..... 219 c) Integrationsgrundsatz .................................................... 220 3. Die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber den Gefangenen und ihren Familien ......................................................................... 221 11. Die Einbeziehung unterhaltsrechtlicher Belange im Rahmen von einzelfallbezogenen Vollzugsmaßnahmen .................................................... 221 1. Die Bildung und Auszahlung des Überbrückungsgeldes nach § 51 StVollzG 221 a) Der "familienfreundliche" Ansatz des § 51 StVollzG ..................... 221 b) Die Festsetzung des anzusparenden Überbrückungsgeldes ................ 222 cl Die vorzeitige Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes nach § 51 Abs. 3 StVollzG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 224 d) Die Rechtslage bei Auszahlung des Überbrückungsgeldes ................ 225 2. Die soziale Hilfe gemäß den §§ 71-75 StVollzG ............................ 227 a) Die Grundnorm des § 71 StVollzG .................................... . .. 227 b) Die Hilfe bei der Aufnahme nach § 72 StVollzG ............... .. ......... 228 c) Die Hilfe während des Vollzuges nach § 73 StVollzG ...... .......... . .... 230 d) Die Entlassungshilfe nach §§ 74. 75 StVollzG ............................ 231 3. Die Vollzugsentscheidungen zur Erwerbstätigkeit außerhalh der Anstalt ..... 232 a) Die Genehmigung des Freigangs nach § 11 StVollzG ........ . ............ 232
Inhaltsverzeichnis
15
b) Die Gestattungen nach § 39 StVollzG .................................... 236 aal Die Gestattung des freien Beschäftigungsverhältnisses nach § 39 Abs. I StVollzG ..................................................... 236 bb) Die Gestattung der Selbstbeschäftigung nach § 39 Abs. 2 StVollzG .. 237 c) Der Widerruf des Freigangs nach § 14 StVollzG und die Aufhebung der Gestattungen nach § 39 StVollzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 238 4. Die Vollzugsentscheidungen zur Kinderbetreuung innerhalb und außerhalb der Anstalt .................................................................. 240 a) Die Unterbringung eines Kindes in der Vollzugsanstalt gemäß § 80 StVollzG ................................................................. 240 b) Die Vollzugsentscheidungen zum "Hausfrauenfreigang" nach §§ 11, 14 StVollzG ................................................................. 242 aal Die Gewährung des "Hausfrauenfreigangs" nach § 11 StVollzG ...... 242 bb) Der Widerruf des "Hausfrauenfreigangs" nach § 14 StVollzG ........ 244 III. Allgemeine Vollzugsgestaltung unter dem Aspekt familiärer Lebenshilfe ....... 244 I. Die Förderung der Erwerbstätigkeit außerhalb der Vollzugsanstalt ........... 244 2. Die Erhöhung der gesetzlichen Bezüge nach §§ 43 Abs. I, 200 Abs. I StVollzG .................................................................... 247 3. Die Erfassung der Gefangenenarbeit als kranken-, pflege- und rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ........................................... 249 4. Die Vollzugsgestaltung zwecks Gewährleistung der Kinderbetreuung ........ 251 D. Zusammenfassende Bemerkungen ............................. . .................... 252
Schlußbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 256
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 259
Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 274
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Ansicht
Abs.
Absatz abweichend
abw.
a.F. AFG AG AK Allg. ALR
alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Amtsgericht Alternativkommentar (zit.: AK-GesetzlBearbeiter) Allgemeines/er Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794
Anl. Anm. AöR
Anlage
Art. ArzneimitteIG
Artikel
Anmerkung Archiv für öffentliches Recht (Band und Seite)
Aufl.
Arzneimittelgesetz Auflage
AuslG AVG
Ausländergesetz Angestelltenversicherungsgesetz
b. BAG-S
bei Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe e. V.
BAnz.
Bundesanzeiger
Bd.
Band Besonderer (Teil)
Bes. BGB BGB\. BGH BGHSt BGHZ BK BSeuchenG BSG BSGE BSHG
Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (Band und Seite) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Band und Seite) Bonner Kommentar zum Grundgesetz (zit.: BK/Bearbeiter) Bundesseuchengesetz Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Band und Seite) Bundessozialhilfegesetz Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht
BT-Drs. BVerfG BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band und Seite)
BVcrwG
Bundesverwaltungsgericht
Abkürzungsverzeichnis BVelWGE
Entscheidungen des BundesvelWaltungsgerichts (Band und Seite)
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
DaVonn
Der Amtsvonnund (Jahr und Seite)
DDR
Deutsche Demokratische Republik
ders.
derselbe
Diss.
Dissertation
DJT
Deutscher Juristentag
DOK DOV
Die Ortskrankenkasse (Jahr und Seite) Durchführungsverordnung
DRiZ
Deutsche Richterzeitung (Jahr und Seite)
DtZ
Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift (Jahr und Seite)
DVollzO
Dienst- und Vollzugsordnung
EheG
Ehegesetz
Ein\.
Einleitung
EKD
Evangelische Kirche in Deutschland
e.V.
eingetragener Verein
f.
folgende (die folgende Seite)
FamRZ
Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (Jahr und Seite)
FEVS
Fürsorgerechtliche Entscheidungen der VelWaltungs- und Sozialgerichte
ff. Fn. FS
fortfolgende (die fortfolgenden Seiten) Fußnote Festschrift
FuR
Familie und Recht (Jahr und Seite)
GA
GoItdammers Archiv für Strafrecht (Jahr und Seite)
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
ggf.
gegebenenfalls
GK-SGB V
Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch Gesetzliche Krankenversicherung (zi!.: GK-SGB VlBearbeiter)
GVG
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HansOLG
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HbStR
Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland
HGB
Handelsgesetzbuch
h.M.
herrschende Meinung
HPflG
Haftpflichtgesetz
Hrsg.
Herausgeber
Hs.
Halbsatz
HS-KV
Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Krankenversicherungsrecht
HS-PV
Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Pflegeversicherungsrecht
HS-UV
Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Unfallversicherungsrecht
i.d.R.
in der Regel
i.e.S.
im engeren Sinn
2 Gölte
17
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Abkürzungsverzeichnis
InfoStVollzPR
Info zum Strafvollzug in Praxis und Rechtsprechung (Jahr und Seite)
i. S.d.
im Sinne des in Verbindung mit
LV.m.
i.w.S. JA JR JurBüro JuS JZ Kap. KassKomm KG KJHG KK KrimsozBibl krit. Lfg. LG LK LPK-BSHG
im weiteren Sinn Juristische Arbeitsblätter (Jahr und Seite) Juristische Rundschau (Jahr und Seite) Das juristische Büro (Jahr und Seite) Juristische Schulung (Jahr und Seite) Juristenzeitung (Jahr und Seite) Kapitel Kasseler Kommentar - Sozialversicherungsrecht (zit.: KassKommlBearbeiter) Kammergericht Kinder- und Jugendhilfegesetz Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung (zit.: KKlBearbeiter) Kriminalsoziologische Bibliografie (Jahr und Seite) kritisch Lieferung Landgericht Leipziger Kommentar - Strafgesetzbuch (zit.: LKlBearbeiter) Lehr- und Praxiskommentar - Bundessozialhilfegesetz (zit.: LPK-BSHGlBearbeiter)
LPK-KJHG
Lehr- und Praxiskommentar zum Kinder- und Jugendhilfegesetz (zit.: LPK-KJHGlBearbeiter)
LutvG MDR MK MschrKrim NJ NJW NJW-RR
Luftverkehrsgesetz Monatsschrift für Deutsches Recht (Jahr und Seite) Münchener Kommentar (zit.: MKlBearbeiter) Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (Jahr und Seite) Neue Justiz (Jahr und Seite) Neue Juristische Wochenschrift (Jahr und Seite) NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (Jahr und Seite)
NP Nr.
Neue Praxis (Jahr und Seite) Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht (Jahr und Seite) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Jahr und Seite) Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht
NStZ NVwZ OEG OLG OVG ProdHaftG RGRK
Produkthaftungsgesetz Das Bürgerliche Gesetzbuch - mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs (zit.: RGRKlBearbeiter)
Abkürzungsverzeichnis RGZ RiStBV Rn. Rpfleger RVO S. SGB SH SK StGB StHG StPO StrEG StV StVG StVollzG StVollzVergO u. a. Überbl usw. UVG v. VG VGH vgl. v.H. Voraufl. Vorbem VV z. B. ZBIJugR ZfF
ZfStrVo Ziff. ZPO ZRP ZStW
z.T.
ZZP
2"
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Einleitung A. Problemstellung Die Arbeit behandelt Probleme der Drittwirkung von Freiheitsstrafe. Grundlegend ist insofern, daß der Vollzug der Freiheitsstrafe nicht nur den Straftäter, sondern auch an der Straftat unbeteiligte Dritte, insbesondere die Familienmitglieder des Delinquenten, trifft. Dabei werden die Drittbetroffenen durch die unbeabsichtigten, außerhalb des eigentlichen Strafübels liegenden Nebenwirkungen der Freiheitsstrafe belastet. Im Hinblick darauf, daß die Belastungen einerseits durch die strafgerichtliehe Verurteilung und damit durch eine staatliche Maßnahme bedingt sind, andererseits aber auch auf der Straftat beruhen, durch die der Delinquent die erste Ursache für den Strafvollzug gesetzt hat, stehen die Auswirkungen der Freiheitsstrafe regelmäßig im Spannungsfeld zweier Ursachen. Soweit die Belastungen dem Staat zuzurechnen sind, ist von einer (faktischen) Mitbestrafung Dritter auszugehen l . Die Mitbetroffenheit unschuldiger Dritter durch den Strafvollzug bringt zum Ausdruck, daß der Anspruch der (Freiheits-)Strafe als einem höchstpersönlichen Übel nicht eingelöst wird 2 . Vielmehr kollidiert das aus der Tatschuldkonzeption des Strafrechts folgende Postulat der Höchstpersönlichkeit mit dem Umstand, daß der Mensch ein Gemeinschaftswesen ist und daher in vielfältiger Weise in Familie und Gesellschaft eingebunden ist 3 . Verliert der Gefangene infolge der gesellschaftlichen Ausgrenzung seine "funktionelle" Bedeutung für Dritte, so ist es zwangsläufig, daß die Freiheitsstrafe auch für Außenstehende Nebenwirkungen entfaltet. Obwohl die Nebenwirkungen der Freiheitsstrafe auf Dritte unerwünscht sind und das Grundgesetz die sozialen Verflechtungen eines jeden Individuums schützt (vgl. Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG), werden die Belange der Drittbetroffenen nur wenig wahrgenommen. Entsprechend fehlt es an einem (Gesamt-)Konzept, das die richtige Balance zwischen den Interessen der Allgemeinheit am Einsatz des Freiheitsentzuges und den Belangen der Drittbetroffenen herstellt und damit die Nebenwirkungen der Freiheitsstrafe auf Dritte im Rahmen des Möglichen einschränkt4 . Die vorliegende Arbeit soll zur Bewältigung dieser vielschichtigen AufVgl.Walter, Strafvollzug, Rn. 90. Vgl. Walter, Strafvollzug, Rn. 98; siehe auch Pilgram, KrimsozBibl 1977 (Heft 16/17), 44,50 f. 3 Vgl. Walter, StrafvolIzug, Rn. 90; Pilgram, KrimsozBibl 1977 (Heft 16/17), 44, 50 f. 4 Vgl. Wulf, ZfStrVo 1986,81; Walter, Strafvollzug, Rn. 98; Müller-Dietz, NStZ 1990, 305,309. I
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Einleitung
gabe einen Beitrag leisten. Sie beschränkt sich dabei auf die Mitbetroffenheit der unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner von Strafgefangenen und deren Interesse an einer Sicherung ihres Lebensbedarfs. Die Brisanz gerade dieser speziellen Thematik ergibt sich daraus, daß die staatliche Gemeinschaft den unterhaltsberechtigten Kindern und Ehepartnern von Gefangenen erhebliche Belastungen zumutet, obwohl die besondere Schutzwürdigkeit von Personen, die auf eine Unterhaltssicherung im Rahmen der Familie angewiesen sind, allgemein anerkannt ist5 . Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, daß die Möglichkeiten der Gefangenen, familiäre Aufgaben wahrzunehmen, (derzeit) äußerst begrenzt sind. Regelmäßig sind Gefangene weder in der Lage, einer "normalen" Erwerbstätigkeit nachzugehen, um so im Familienverband die Funktion des Ernährers zu erfüllen6 , noch können sie sich der Betreuung ihrer Kinder widmen. Die Leidtragenden dieser Situation sind in erster Linie die minderjährigen Kinder, die nicht nur auf die Zuwendung von Unterhaltsleistungen im materiellen Sinne, sondern auch auf den Betreuungsunterhalt in Form von Pflege und Erziehung (vgl. §§ 1606 Abs. 3 S. 2, 1610 Abs. 2 BGB) angewiesen sind. Des weiteren sind die Ehepartner betroffen, die sich der Kinderbetreuung widmen und daher nicht oder nicht in vollem Umfang erwerbstätig sein können. Ihnen fehlt es an den notwendigen materiellen Unterhaltsleistungen. Fällt der Gefangene, der zuvor für den materiellen Lebensunterhalt seiner Familie Sorge getragen hat und infolge der Inhaftierung auf die nur spärlich vergütete Gefangenenarbeit (vgl. §§ 43, 200 StVollzG i.Y.m. §§ 1-3 StVollzVergO) beschränkt ist7 , als Ernährer der Familie aus, so sind die Angehörigen oftmals gezwungen, staatliche Unterhaltsleistungen in Anspruch zu nehmen 8 . Da diese Unterhaltsleistungen lediglich eine Mindestversorgung gewährleisten, reduziert sich der Lebensstandard der Kinder und Ehepartner von Gefangenen auf das unbedingt Notwendige 9 • Verbunden ist der haftbedingte Ausfall des Ernährers auch häufig mit Nachteilen im sozialversicherungsrechtlichen Bereich. Hintergrund ist insofern die unzureichende Einbeziehung der Gefangenenarbeit in den Schutz der SozialVgl. insbesondere §§ 1601 ff., 844 Abs. 2 BGB; § 850d ZPO; § 170 Abs. I StGB. Vgl. BAG-S, Tarifgerechte Entlohung für Inhaftierte, ZfStrVo 1993, 174, 175; Bundesvereinigung der Anstaltsleiter, ZfStrVo 1993, 180; Neu, ZfStrVo 1995, 149, 154; Walter, Strafvollzug, Rn. 443; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 43 Rn. 5 und § 49; SchwindlBöhml Matzke, StVollzG, § 49; EKD, Strafe: Tor zur Versöhnung, S. 34. 7 Zur Verfassungswidrigkeit der derzeitigen Arbeitsentgeltbemessung bei zugewiesener Arbeit siehe BVerfG NJW 1998,3337 ff. 8 Nationale Armutskonferenz in der Bundesrepublik Deutschland, ZfStrVo 1995, 174, 175; Neu, ZfStrVo 1995, 149, 154; BAG-S, Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftierte, ZfStrVo 1993, 174, 175; BuschIFülbier/Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten, S. 247; Busch, ZfStrVo 1989, 131, 133 f.; Walter, Strafvollzug, Rn. 93, 443; ders., in: Walter/MüllerDietz (Hrsg.), Strafvollzug in den 90er Jahren, S. 191, 201; EKD, Strafe: Tor zur Versöhnung, S. 34; Ortner, Mitbestraft, S. 14; KöhnelQuack, ZfStrVo 1977, 44. 9 Siehe dazu die Darstellung zur materiellen Lage der Angehörigen von Gefangenen bei BuschIFülbier/Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten, S. 237 ff. 5
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B. Umgang mit der Problematik
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versicherung lO • Soweit der Gefangene bereits vor seiner Inhaftierung keine Unterhaltsleistungen erbringen konnte, manifestiert der Strafvollzug diese Situation zu Lasten der unterhaltsberechtigten Angehörigen. Daß die Inhaftierung die Betreuung der Kinder weitgehend ausschließt, fallt insbesondere dann ins Gewicht, wenn der betreuende Elternteil - i.d.R. ist dies die Mutter - eine Haftstrafe verbüßt. Sofern es dem anderen Elternteil nicht möglich ist, den Betreuungsunterhalt zu leisten und weder eine gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind nach § 80 StVollzG noch ein sog. "Hausfrauenfreigang" in Betracht kommt, wachsen die Kinder nicht selten bei Pflegeeltern oder in Heimen aufll . Bereits dieser kurze Überblick macht deutlich, daß sich die Freiheitsstrafe als eine im Interesse der Allgemeinheit liegende staatliche Maßnahme in besonderer Weise störend auf das durch Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG geschützte familiäre Lebenshilfesystem auswirkt. Dabei muß die Situation der unterhaltsberechtigten Angehörigen von Gefangenen insbesondere im Hinblick darauf, daß die general- und spezialpräventiven Strafzwecke zunehmend an Akzeptanz verloren haben 12, kritisch betrachtet werden. Wenn nämlich bereits Zweifel bestehen, inwieweit general- und spezialpräventive Erwägungen den Freiheitsentzug als das eigentliche Strafübellegitimieren, dann ist erst recht fraglich, ob die Nachteile, die der Vollzug der Freiheitsstrafe bei den unterhaltsberechtigten Familienmitgliedern des Gefangenen auslöst, in vollem Umfang zu rechtfertigen sind.
B. Umgang mit der Problematik Ein historischer Rückblick 13 zeigt, daß die Angehörigenwirkung der Strafe ein seit langem erkanntes und erörtertes Problem ist. Bereits 1792 schrieb Wilhelm von Humbolt l4 : "Ebensowenig brauche ich noch zu wiederholen, das schlechterdings keine Strafe geduldet werden muß, die sich über die Person des Verbrechers hinaus auf seine Kinder oder Verwandten erstreckt. Gerechtigkeit und Billigkeit sprechen mit gleichstarken Stimmen gegen sie." Und Berner l5 , der in seinem ,,Lehrbuch des Deutschen Strafrechtes" von 1898 die sieben Eigenschaften eines guten Strafmit10 Vgl. § 198 Abs. 3 StVollzG i.V.m. § 190 Nr. 1-10 und 13-18, §§ 191-193 StVollzG. Zur Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Rechtslage siehe BVerfG NJW 1998, 3337, 3338. 11 Vgl. dazu BinschIRosenkranz, in: BinschIRosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 129. 131; BAG-S, Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftiene. ZfStrVo 1993, 174, 175. 12 Vgl. Walter, in: Müller-Dietz/WaIter (Hrsg.). Strafvollzug in den 90er Jahren, S. 191 ff. 13 Siehe dazu die ausführliche Darstellung bei Römer, Die Nebenfolgen der Freiheitsstrafen auf die Kinder der Delinquenten, S. 51-56. 14 V. Humbolt. Über die Grenzen der Wirksamkeit des Staates, S. 174. IS Berner. Lehrbuch des Deutschen Strafrechtes, S. 183.
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tels darlegte, nannte als sechste Eigenschaft: "Sie muß sich, so weit als möglich, in ihren Wirkungen auf die Person des Schuldigen beschränken." Hervorzuheben sind ferner die Ausftihrungen von Freudenthal 16 , der 1909 in seiner Frankfurter Rektoratsrede forderte: "Die Strafe darf grundsätzlich keinen als den Verurteilten treffen. Alle irgendwie ausschaltbaren schädlichen Wirkungen ftir unschuldige Dritte, so ftir die Familie des Gefangenen, ftir das Opfer des Verbrechens und dessen Familie, wird das künftige Gesetz auszuschalten bemüht sein müssen." In Anbetracht dieser frühen Ansätze, die insbesondere durch die Arbeiten von Römer 17 sowie von Busch. Fülbier und Meyer 18 vertieft wurden, ist es erstaunlich, daß bislang noch nicht die notwendigen Schlußfolgerungen zur Lösung der Problematik gezogen worden sind 19 . Die Familie als Schicksalsgemeinschaft scheint eine so sehr vertraute Erscheinung zu sein, daß die Angehörigenwirkung der Freiheitsstrafe nicht als drängendes Problem empfunden wird. Daß eine am Familienschicksal orientierte Betrachtung auf eine Art "Sippenhaftung" hinausläuft. die in einem Rechtsstaat fehl am Platze ist, fällt demgegenüber nicht ins Gewicht 2o . Im übrigen wird die Mitbetroffenheit der Angehörigen von Gefangenen allzu leicht in die Kategorie der realitätsfernen Randprobleme eingeordnet. Man geht davon aus, daß die Familien der Straffälligen - sei es unter wirtschaftlichen oder persönlichen Aspekten - ohnehin nicht intakt waren und der Strafvollzug daher keinen zusätzlichen Schaden anrichten kann. Richtig ist zwar, daß sich die Gefangenen vielfach aus schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen rekrutieren, doch kann dies nicht verallgemeinert werden, denn Kriminalität ist keinesfalls untrennbar mit gestörten Familienverhältnissen verbunden. Außerdem muß die Problematik auch dann ernst genommen werden, wenn nur relativ wenige Familien aufgrund der Einwirkungen des Strafvollzuges Schaden erleiden 21 • Dafür spricht vor allem die Ge16 FreudenthaI, Die staatsrechtliche Stellung des Gefangenen, abgedruckt in ZfStrVo 1955. 157. 164 f.; siehe auch Landsberg, MschrKrim 1910.65.67,73 ff.; Seyfarth, in: Bumke, Geflingniswesen, S. 434, 436; Kriegsmann, Einführung in die Gefangniskunde, S. 279. 17 Römer, Die Nebenfolgen der Freiheitsstrafen auf die Kinder der Delinquenten, 1967. 18 BuschIFülbier/Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten, 1987. 19 Vgl. Walter, Strafvollzug, Rn. 98; Müller-Dietz, NStZ 1990. 305, 309. 20 Vgl. zum Vorwurf, es werde eine Art "Sippenhaftung" bzw. "Sippenhaft" praktiziert: Pilgram, KrimsozBibl1977 (Heft 16117),44,45; Katzinski. InfoStVollzPR 1986,647; Ortner, Mitbestraft, S. 8 und 15; Geisler/Jung, ZfStrVo 1989, 143, 147; Walter, Strafvollzug, Rn. 98; Römer, Die Nebenfolgen der Freiheitsstrafen auf die Kinder der Delinquenten, S. 52. Zum Begriff der "Sippe" siehe Rachel, Die Diskussion um den französischen Familienrat in Deutschland im 19. Jahrhundert, S. 7 ff. 21 Um festzustellen, inwiefern die Strafhaft zu Unterhaltsschäden bei den Angehörigen von Gefangenen führt, müßten die Lebensverhältnisse der mitbetroffenen Familienmitglieder einer "Vorher-Nachher-Betrachtung" unterzogen werden. Eingehende Untersuchungen liegen insofern nicht vor. Soweit Busch/Fülbier/Meyer die materiellen Auswirkungen der Inhaftierung eines Familienmitgliedes auf dessen Angehörige durch Befragung von 124 Frauen untersucht haben, gelangten sie zu dem Ergebnis, daß sich das Haushaltseinkommen bei 66,9 v.H. der Befragten infolge der Inhaftierung des Ehepartners verschlechtert hat. Bezüglich der 83 betroffenen Familien ergab sich durch den Ausfall des Familienernährers eine durch-
B. Umgang mit der Problematik
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währleistung des Art. 6 Abs. 1 GG, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Als das StVollzG in den Jahren 1967 -1976 erarbeitet wurde, sollte durch eine leistungs gerechte Entlohnung der Gefangenenarbeit u. a. erreicht werden, daß die Inhaftierten zum Lebensunterhalt ihrer Angehörigen beitragen können 22 . Ferner war geplant, die Gefangenen in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung einzubeziehen. Doch scheiterten die Reformbestrebungen aus finanziellen Gründen 23 • Soweit sich unter der Geltung des StVoIlzG "angehörigenfreundliche" Maßnahmen durchsetzen konnten, sind sie fast ausschließlich im Bereich der persönlichen Kontakte angesiedelt. Zu nennen sind beispielsweise verbesserte Besuchsmöglichkeiten, die Einführung von Langzeitbesuchen und die Durchführung von Familienseminaren 24 • Eine entscheidende Wende für die materielle Situation der unterhaltsberechtigten Angehörigen von Strafgefangenen wird auch das am 1. Juli 1998 ergangene Urteil des BVerfG25 zur Höhe des Arbeitsentgelts nach §§ 43, 200 StVollzG nicht herbeiführen können. Das BVerfG hat zwar die verfassungsrechtliche Unvereinbarkeit der Arbeitsentgeltbemessung nach § 200 Abs. 1 StVollzG mit dem Resozialisierungsgebot ausgesprochen und den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2000 ein Resozialisierungskonzept zu entwickeln, das eine angemessene Anerkennung der Pflichtarbeit gewährleistet, doch muß dieses Resozialisierungskonzept - so das BVerfG - kein monetäres Konzept sein26 • Nach den Ausftihrungen des BVerfG kann der Gesetzgeber auch neuartige Formen der Anerkennung von Pflichtarbeit wählen, so soll z. B. die (angemessene) Anerkennung der Gefangenenarbeit auch durch Haftverkürzungen ("good time") und sonstige Erleichterungen möglich sein27 • Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß auch eine Erhöhung des Arbeitsentgelts die Lage der unterhaltsberechtigten Angehörigen nur sehr begrenzt verbessern könnte 28 . Zwar würde sich eine Entlastung der Sozialhilfeträger
schnittliche Einkommensreduzierung von 1.142,- DM, siehe BuschIFülbier/Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten, S. 252 ff. 22 BT-Drs. 7/918, S. 67. 23 Näher dazu BVerfG StV 1998,438 und 441; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 43 Rn. 2 und § 193 Rn. 1; AK-StVollzG/DäublerlPecic, § 43 Rn. 1- 3 und AK-StVollzG/BTÜhl, vor § 190 Rn. 1. 24 Zu diesen Verbesserungen siehe: Preusker, ZfStrVo 1989, 147 ff.; BuchertlMetternichl Hauser, ZfStrVo 1995,259 ff.; Stege, ZfStrVo 1989, 154 f.; Tiedt, ZfStrVo 1979,213 ff.; Roloff, MschrKrim 1980,277-289; Wulf, ZfStrVo 1986,81,88 ff.; KanischlAsprion, ZfStrVo 1997,152 ff. 25 BVerfG NJW 1998,3337 ff. 26 BVerfG NJW 1998,3337,3338; vgl. dazu auch die abweichende Meinung des Richters Kruis, NJW 1998,3337,3342. 27 BVerfG NJW 1998,3337,3338; vgl. dazu auch die abweichende Meinung des Richters Kruis, NJW 1998,3337,3342. 28 Vgl. Rotthaus, NStZ 1987, 1,4; Neu, ZfStrVo 1995, 149, 155.
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ergeben 29 , doch heißt dies noch lange nicht, daß die Angehörigen einen über dem Sozialhilfeniveau liegenden angemessenen Lebensunterhalt beanspruchen könnten und Unterhaltsschäden, die sich durch die Inhaftierung des unterhaltspflichtigen Familienmitgliedes ergeben, ausgeschlossen wären. Die Gründe sind insofern vielfaltig. Zu nennen sind z. B. die beschränkten Möglichkeiten, innerhalb der Anstalt Arbeit anzubieten, das große Potential ungelernter Arbeitskräfte, auf das sich der StrafvolIzug einzustelIen hat, sowie die extrem hohe Fluktuation der Arbeitskräfte in einer Anstalt, die - insbesondere bedingt durch häufige Anlernprozesse - zu einer Herabsetzung der Produktivität führeo. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die Gefangenen nach einer Erhöhung ihrer gesetzlichen Bezüge zur Leistung eines Haftkostenbeitrages verpflichtet wären 31 • Durch die Entrichtung dieses Beitrages würde das für Unterhaltszwecke zur Verfügung stehende Arbeitseinkommen geschmälert. Im Schrifttum wird zunehmend gefordert, daß die Strafhaft (auch) im Interesse der Kinder und Ehepartner der Delinquenten vermieden werden solIte 32 . Gewiß ist der Verzicht auf eine Inhaftierung die wirksamste Möglichkeit, um den Auswirkungen der Freiheitsstrafe auf unbeteiligte Dritte zu begegnen. Das Bemühen um Haftvermeidung kann alIerdings nur dann erfolgreich sein, wenn nicht bereits die Schwere der Schuld oder übergeordnete präventive Erwägungen den Einsatz der Freiheitsstrafe fordern. Ist der Freiheitsentzug unverzichtbar, bedarf es einer Problemlösung auf der Ebene der StrafvolIstreckung und/oder des StrafvolIzuges. Die VolIstreckungsbehörden können nach derzeit geltendem Recht lediglich einen maximal viermonatigen Vollstreckungsaufschub im Interesse der Familienangehörigen gewähren (§ 456 StPO). Das StrafvolIzugsrecht bietet mit den §§ 51, 71 ff., 80 StVolIzG wichtige Ansatzpunkte für eine Berücksichtigung der unterhaltsberechtigten Angehörigen. Allerdings weisen die VolIzugsbehörden ihre "Zuständigkeit" für die Belange der unterhaltsberechtigten Kinder und den Ehepartner des Gefangenen vielfach zurück33 • Vorherrschend ist die Auffassung, der Umgang mit der Angehörigenwirkung der Freiheitsstrafe sei Sache der Sozial- und Jugendämter. Das staatliche Leistungssystem erfaßt die Angehörigen der Strafgefangenen grundsätzlich nicht als eine eigenständige Gruppe. Lediglich für den FalI' daß der 29 Vgl. BAG-S, Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftierte, ZfStrVo 1993, 174, 177; Jehle, ZfStrVo 1994, 259, 264. JO Vgl. BVerfG NJW 1998, 3337, 3338; Neu, ZfStrVo 1995, 149, ISO; Meyer, ZfStrVo 1987,4,7; siehe auch BT-Drs. 7/918, S. 67 f. 31 Vgl. § 50 StVollzG in der noch durch besonderes Bundesgesetz in Kraft zu setzenden Fassung. 32 Vgl. Walter, in: Müller-Dietz/Walter (Hrsg.), Strafvollzug in den 90er Jahren, S. 191, 201; Walter/Geiter/Fischer, NStZ 1989,405,409 und 1990, 16, 19,24; Wulf, ZfStrVo 1986, 81, 85; Maelicke, ZfStrVo 1986, 33 und 144, 146; BuschIFülbier/Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten, S. 836 ff.; Römer, Die Nebenfolgen der Freiheitsstrafen auf die Kinder der Delinquenten, S. 85 ff. 33 Vgl. dazu Busch, ZfStrVo 1989, 131, 135.
C. Zielsetzung der Arbeit
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Gefangene die Haft zu Unrecht verbüßt hat, gewährt § 11 StrEG den unterhaltsberechtigten Angehörigen einen eigenen Anspruch, der auf Ersatz ihres Unterhaltsschadens gerichtet ist. In jüngerer Zeit sind allerdings Verbesserungen des allgemeinen Leistungssystems auch im Hinblick auf die Kinder von Inhaftierten eingeführt worden. Zu nennen sind insofern das UVG 34 und § 20 SGB vm 3S • Nur vereinzelt wird darüber nachgedacht, ob die Allgemeinheit für die Nachteile, die die Angehörigen von Inhaftierten als unschuldige Dritte erleiden, in Form einer Entschädigung einzutreten hae 6 .
c. Zielsetzung der Arbeit Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist in erster Linie die Erstellung einer umfassenden Analyse zur Mitbetroffenheit der unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner von Strafgefangenen. Zu sehen ist dies vor dem Hintergrund, daß effektive Schritte zur Lösung der Problematik nur erfolgen können, wenn der Einfluß der Freiheitsstrafe auf die Situation der unterhaltsberechtigten Angehörigen von Inhaftierten offengelegt ist und die Möglichkeiten der "Gegensteuerung" geklärt sind. Ein besonderes Anliegen der Arbeit ist es, die staatliche Verantwortung für die Drittwirkung der Freiheitsstrafe anzusprechen. Denn während die Ursachen von Unterhaltsschäden im allgemeinen außerhalb des staatlichen Einflußbereichs liegen 37 , stehen die unterhaltsrechtlichen Nachteile, die sich für die Angehörigen der Inhaftierten ergeben können, in einem direkten Zusammenhang zu einer konkreten, einzelfallbezogenen staatlichen Maßnahme. Zu den unterhaltsberechtigten Kindern und Ehepartnern, auf die sich die Arbeit konzentriert, zählen die nichtehelichen Kinder ebenso wie die ehelichen Kinder (vgl. §§ 1601 ff., 1615a BGB). Als unterhaltsberechtigte Ehepartner sind außer dem Ehegatten der bestehenden Ehe (vgl. §§ 1360, 1361 BGB) auch die Ehepartner der geschiedenen Ehen zu berücksichtigen (vgl. §§ 1569-1586b BGB). Die Darstellung bezieht sich sowohl auf den Unterhalt im materiellen Sinne als auch auf den Betreuungsunterhalt der Kinder in Form von Pflege und Erziehung. Zu erfassen sind des weiteren sozialversicherungsrechtliche Aspekte. Von Interesse ist dies, weil die Leistungen der Sozialversicherungsträger darauf gerichtet sind, den Lebensunterhalt in besonderen Risikofällen sicherzustellen.
34 Vgl. die Vorschrift des § 1 Abs. 2 UVG, wonach ein dauerndes Getrenntleben der Ehepartner auch dann anzunehmen ist, wenn ein Ehegatte aufgrund einer gerichtlichen Anordnung flir voraussichtlich wenigstens sechs Monate in einer Anstalt untergebracht ist. 35 Vgl. BT-Drs. 11/6748, S. 81. 36 V gl. Walter, Strafvollzug, Rn. 98; Römer, Die Nebenfolgen der Freiheitsstrafen auf die Kinder der Delinquenten, S. 84; siehe auch Verborgen, MschrKrim 1963, 202, 204. 37 Zu diesen Ursachen zählen insbesondere Krankheit. Langzeitarbeitslosigkeit, Arbeitsund ZahlungsunwiIligkeit sowie der Tod eines Elternteils bzw. Ehepartners.
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Nicht zuletzt soll die Arbeit den Blick für die Angehörigenwirkung der Freiheitsstrafe schärfen, denn im Vergleich zum Täter, dem die volle Aufmerksamkeit der staatlichen Institutionen zukommt, sind die mitbetroffenen Familienangehörigen des Delinquenten lediglich "Randfiguren", deren Interessen nur wenig Beachtung finden. Indem sich die Arbeit den Kindern und Ehepartnern von Inhaftierten in ihrer Rolle als Unterhaltsberechtigte zuwendet, vermag die Darstellung ein Gegengewicht zu der häufig im Vordergrund stehenden Problematik des persönlichen Kontaktes zwischen Gefangenen und Angehörigen 38 zu bilden.
D. Gang der Darstellung Gegenstand des 1. Kapitels sind die Auswirkungen der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner des Inhaftierten. Diese werden unter verfassungs-, zivil- und sozialversicherungsrechtlichen Aspekten analysiert. Die verfassungsrechtlich orientierte Betrachtung betrifft das Verhältnis der Familienmitglieder zum Staat. Maßgebend sind insofern die Gewährleistungen des Art. 6 GG. Dabei gilt es zunächst, den grundrechtlichen Schutz der Familie als Lebenshilfesystem zu beschreiben. Ausgehend von dieser allgemeinen Schutzbereichsbestimmung ist auf die Beeinträchtigung des familiären Lebenshilfesystems durch die Freiheitsstrafe einzugehen. Dies geschieht sowohl im Hinblick auf den Unterhalt im materiellen Sinne als auch bezogen auf die Pflege und Erziehung der Kinder. Zu erörtern ist, inwiefern der Vollzug der Freiheitsstrafe die Erfüllung der familiären Aufgabe behindert und sich damit zum Nachteil der unterhaltsberechtigten Angehörigen auswirkt. Für all jene Fälle, in denen es zu einem haft bedingten Ausfall des familiären Aufgabenträgers kommt, ist der Bezug zum staatlichen Handeln herzustellen. Soweit die Erörterung zu dem Ergebnis führt, daß die Freiheitsstrafe in das Grundrecht auf Ehe und Familie eingreift, schließt sich die Frage nach der Rechtfertigung der staatlich verursachten Beeinträchtigungen an. Die am Zivilrecht ausgerichtete Analyse konzentriert sich auf das unterhaltsrechtliche Verhältnis zwischen dem Gefangenen und seinen Familienmitgliedern. Die Darstellung setzt bei der Abhängigkeit des Unterhaltsanspruchs von der Leistungsfähigkeit des Gefangenen an. Zu unterscheiden ist, ob der Unterhalt im materiellen Sinne oder die Betreuung eines Kindes Gegenstand der unterhaltsrechtlichen Beziehung ist. Bezogen auf den materiellen Unterhalt kommt es insbesondere darauf an, die unterhaltsrechtliche Leistungs(un)fähigkeit der Inhaftierten zu bestimmen. Des weiteren ist zu erörtern, unter welchen Voraussetzungen sich der Gefangene 38 Vgl. BVerfGE42, 95 ff.; 57, 170ff.; 89, 315 ff.; BVerfGE NStZ 1994, 604ff. mit Anm. Rotthaus; OLG Hamm, StV 1997,260; OLG Rostock b. Matzke, NStZ 1997,381; LG Sonn. NStZ 1989, 138 ff.; Krauß, AöR 93 (1968), 395 ff.; Schüler-Springorum, Strafvo\lzug im Übergang, S. 193 ff.; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvo\lzug, S. 196 ff.; Niebecker, ZfStrVo 1984, 335 ff.; Wulf, ZfStrVo 1986, 81 ff.; SKlPirson, GG, Art. 6 Rn. 69; Kruis/Cassardt, NStZ 1995,521,522 f.
D. Gang der Darstellung
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im Verhältnis zu seinen unterhaltsberechtigten Familienmitgliedern mit befreiender Wirkung auf seine haftbedingte Leistungsunfahigkeit berufen kann. Für den Fall, daß ein Gefangener materiell leistungsfahig ist oder er sich nicht mit Erfolg auf seine haftbedingte Leistungsunfähigkeit berufen kann, ist die Stellung der Unterhaltsgläubiger in der Zwangsvollstreckung gegen den Gefangenen zu klären. Im Mittelpunkt der Erörterung steht die Vorschrift des § 850d ZPO. Darüber hinaus ist auf das Institut der Ersatzhaftung gemäß den §§ 1607, 1608 BGB einzugehen. Es greift ein, soweit ein Gefangener entweder rechtlich oder tatsächlich als Unterhaltsschuldner ausfällt. Die Betrachtung der sozialversicherungsrechtlichen Stellung bezieht sich auf die fünf Zweige der Sozialversicherung: gesetzliche Kranken-, Pflege-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung. Gegenstand der Erörterung sind insbesondere die Regelungen, die eine "familienfreundliche" Ausgestaltung des Sozialversicherungsrechts begründen und im Zusammenhang mit dem Strafvollzug weitgehend an Wirkung verlieren. Das 2. Kapitel behandelt staatliche Leistungen, die den unterhaltsberechtigten Angehörigen von Gefangenen zustehen können. Darzustellen sind zunächst die allgemeinen Leistungen. die gemäß den Vorschriften des UVG, BSHG und SGB VIII zu erbringen sind. Anknüpfungspunkt der Erörterung sind die "Defizite", die sich für die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner von Inhaftierten im Bereich der materiellen Unterhaltssicherung, der Pflege und Erziehung sowie der sozial versicherungsrechtlichen Stellung ergeben können. Im einzelnen sind die Unterhaltsersatzleistungen nach UVG und die Hilfe zum Lebensunterhalt nach BSHG sowie - bezogen auf den Ausfall des Betreuungsunterhalts - die Betreuung und Versorgung für Kinder in Notsituationen nach § 20 SGB VIII, die Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes nach § 70 BSHG und die Hilfe zur Erziehung nach § 27, 33, 34 SGB VIII zu beschreiben. Im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtlichen Nachteile sind die Regelungen der §§ 13, 36, 37, 68 f. BSHG von Bedeutung. Außer den allgemeinen staatlichen Leistungen sind des weiteren staatliche Entschädigungsleistungen Gegenstand der Erörterung. Die Ausführungen zu den staatlichen Entschädigungsleistungen beziehen sich zunächst auf die Strafrechtsentschädigung nach § 11 StrEG. Darüber hinaus sollen für die Fälle, in denen ein haftbedingter Unterhaltsschaden nicht anderweitig ausgeglichen ist, die Möglichkeiten einer Aufopferungsentschädigung ausgelotet werden. In einem Exkurs ist auf Entschädigungsleistungen einzugehen, die zu gewähren sind, wenn ein Gefangener durch den tätlichen Angriff eines Mitgefangenen zu Tode kommt und die unterhaltsberechtigten Familienmitglieder infolgedessen einen Unterhaltsschaden erleiden. Das 3. Kapitel hat die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange im Vorfeld und während des Strafvollzuges zum Gegenstand. Insofern gilt es, die Möglichkeiten und Grenzen aufzuzeigen. Die Darstellung zur Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange im Vorfeld des Strafvollzuges ist auf die strafgerichtliche Verurteilung und die Strafvollstreckung bezogen. Da die strafgerichtliche Tätigkeit auf den Täter, dessen Tat und die Interessen der Allgemeinheit konzentriert ist, bedarf es einer Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern bei der
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Einleitung
Anordnung der Freiheitsstrafe eine Steuerung mit Blick auf die unterhaltsberechtigten Anhörigen überhaupt zulässig sein kann. Es ist zu erklären, daß im Zusammenhang mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe kein "echter" Familienschutz stattfindet und auch nicht stattfinden sollte. Diese Erörterungen führen zu Überlegungen, die eine Veränderung des Sanktionssystems unter dem Aspekt des Familienschutzes betreffen. Im Rahmen der strafvollstreckungsrechtlich orientierten Betrachtung ist auf die Gewährung des vorübergehenden Vollstreckungsaufschubs nach § 456 StPO einzugehen; darüber hinaus sollen Überlegungen zu einem erweiterten Anwendungsbereich des § 456 StPO angestellt werden. Die Ausführungen zur Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange während des Strafvollzuges setzen bei einer Betrachtung der vollzugsrechtlichen Leitgedanken an, wobei diese in ihrem Verhältnis zum Ehe- und Familienschutz darzustellen sind. Des weiteren ist die Einbeziehung der unterhaltsrechtlichen Interessen sowohl im Hinblick auf einzelfallbezogene VoIIzugsmaßnahmen als auch in bezug auf die allgemeine Vollzugsgestaltung zu untersuchen. Zu den einzelfallbezogenen Vollzugsmaßnahmen, die es zu erörtern gilt, zählen die Entscheidungen zur Bildung und Auszahlung des Überbrückungsgeldes nach § 5 I StVollzG, die Maßnahmen der sozialen Hilfe gemäß §§ 71-75 StVollzG sowie die Vollzugsentscheidungen zur Erwerbstätigkeit außerhalb der Anstalt (§§ 11, 14, 39 StVollzG) und zur Kinderbetreuung innerhalb und außerhalb der Anstalt (§§ 80, 11, 14 StVollzG). Die Ausführungen zur allgemeinen Vollzugs gestaltung unter dem Gesichtspunkt der familiären Lebenshilfe umfassen Überlegungen zur Förderung der Erwerbstätigkeit außerhalb der Vollzugsanstalt, zur Erhöhung der gesetzlichen Bezüge nach §§ 43, 44 StVollzG, zur Erfassung der Gefangenenarbeit als kranken-, pflege- und rentenversicherungsrechtliche Beschäftigung und zur Vollzugs gestaltung zwecks Gewährleistung der Kinderbetreuung. Im Rahmen der Schlußbemerkungen sollen einzelne tragende Aspekte im Hinblick auf ein Konzept zusammengeführt werden, das nicht nur einen verbesserten, sondern auch einen verfassungsgemäßen Umgang mit der Problematik gewährleisten kann.
1. Kapitel
Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner von Gefangenen A. Einleitende Bemerkungen Der Einfluß der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner von Inhaftierten hat verschiedene Dimensionen, und zwar eine verfassungs-, zivil- und sozialversicherungsrechtliche. Nur wenn diese drei Dimensionen thematisch erfaßt werden, kann die Wirkung der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Familienmitglieder ausreichend deutlich gemacht werden. Während für die verfassungsrechtIiche Dimension das Verhältnis zwischen dem Staat und den (mit-)betroffenen Familienmitgliedern maßgeblich ist, liegt der zivilrechtlichen Dimension die Beziehung der Familienmitglieder untereinander zugrunde. Soweit sich die Freiheitsstrafe in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht auf die Angehörigen eines Gefangenen auswirkt, ist das Verhältnis zu den einzelnen Sozialversicherungsträgern entscheidend. Grundlegend für die Auswirkungen der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Angehörigen von Gefangenen ist ein Zusammenspiel zwischen familiärer Abhängigkeit und den haftbedingten Beschränkungen, denen ein Gefangener unterliegt. In ihrer abhängigen Verbundenheit stehen der Inhaftierte und seine unterhaltsberechtigten Familienmitglieder dem Staat als Einheit gegenüber. Daraus folgt, daß die mit der Strafhaft einhergehenden Beschränkungen nicht nur den Gefangenen, sondern auch dessen Angehörige belasten. Die zivilrechtliehe Beziehung zwischen dem Gefangenen und seinen unterhaltsberechtigten Familienmitgliedern ist unmittelbar durch die familiäre Abhängigkeit geprägt, denn die Unterhaltsberechtigten können sowohl in materieller als auch in immaterieller Hinsicht vom Unterhaltspflichtigen grundsätzlich nur soviel verlangen, wie dieser ihnen unter Einsatz seiner Kräfte und Fähigkeiten zuwenden kann (vgl. §§ 1603 Abs. I, 1581 BGB). Da die Entscheidung zur Unterhaltspflicht des Gefangenen unter Berücksichtigung der zahlreichen strafvollzugsrechtlichen Reglementierungen und Besonderheiten zu treffen ist, bleibt es nicht aus, daß das Strafvollzugsrecht auch für die unterhaltsberechtigten Familienmitglieder des Inhaftierten relevant wird. Im Sozialversicherungsbereich sind die Kinder und Ehepartner, die nicht selbst Mitglied der Sozialversicherung sind, auf einen von den Eltern bzw. dem Ehepartner abgeleiteten Versicherungsschutz angewiesen. Aufgrund des abgeleiteten Versiche-
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
rungsschutzes können die Kinder und der Ehepartner eines Mitgliedes nur insofern Leistungen beanspruchen bzw. an solchen teilhaben, als dies der Rechtsstellung des Elternteils bzw. Ehepartners in der Sozialversicherung entspricht. Soweit Gefangenen der Schutz der Sozialversicherung versagt ist, wirkt sich dies zwangsläufig auch auf dessen Angehörige aus. Die Wirkungen der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Familienmitglieder stellen sich keinesfalls einheitlich dar. Welche Situation für die Angehörigen entsteht, ist jeweils eine Frage des Einzelfalles. Insofern kommt es nicht nur auf die Umstände an, unter denen die Freiheitsstrafe vollzogen wird, sondern auch auf die Familienstruktur und den Grad der wirtschaftlichen und / oder persönlichen Abhängigkeit der betroffenen Familienmitglieder. Während die Unterhaltsberechtigung der Kinder auf deren Unterhaltsbedürfigkeit beruht (vgl. § 1602 Abs. I BGB), besteht die Unterhaltsberechtigung eines Ehepartners - den Bestand der Ehe vorausgesetzt - unabhängig von dessen individueller Bedürftigkeit 1, was allerdings nicht ausschließt, daß ein Ehegatte wirtschaftlich auf die Unterhaltsleistungen des anderen Ehegatten angewiesen ist 2 . Die Betroffenheit der Angehörigen ist um so stärker ausgeprägt, desto mehr der Unterhaltsberechtigte auf die Versorgung durch das inhaftierte Familienmitglied angewiesen ist. Da Minderjährige regelmäßig nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen, werden sie am härtesten getroffen, wenn der Unterhaltspflichtige - ganz oder teilweise - infolge der Haft an der Erbringung der Unterhaltsleistung gehindert ist 3 .
B. Die Betroffenheit der unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner unter grundrechtlichen Gesichtspunkten I. Die Familie als grundrechtlich geschütztes Lebenshilfesystem
Der Schutz des Art. 6 Abs. I GG gilt in persönlicher Hinsicht jedem einzelnen Mitglied einer Ehe bzw. Familie4 und bezieht sich in der Sache auf alle Bereiche des Ehe- und Familienlebens einschließlich der Gründung und Auflösung dieser I BGH FamRZ 1966. 138, 139; RGRK/Wenz. BGB. § 1360 Rn. 6; MK/Wacke. BGB. § 1360 Rn. 9; Soergel 1Lange. BGB. § 1360 Rn. 11; Staudinger 1Hübner. BGB. § 1360 Rn. 8 und 12. Sind die Ehegatten geschieden oder leben sie getrennt. so setzt die U nterhaItsberechtigung - ebenso wie im Fall des VerwandtenunterhaIts - die UnterhaItsbedürftigkeit voraus. Zur U nterhaItsbedürftigkeit als Voraussetzung des GeschiedenenunterhaIts siehe § § 15701576 BGB. Zum Erfordernis der UnterhaItsbedürftigkeit bei UnterhaItsansprüchen aus § 1361 Abs. I BGB siehe Palandt/Diederichsen . BGB. § 1361 Rn. 11-17; AK-BGB/Derleder. § 1361 Rn. 3.9; Erman/Heckelmann. BGB. § 1361 Rn. 6.
2 Soweit sich ein Ehepartner der Betreuung der Kinder widmet und daher nicht oder nicht in vollem Umfang erwerbstätig ist. entspricht dies dem RegelfalL 3 VgL Pilgram. KrimsozBibl 1977 (Heft 16/17).44.51. 4 BVerfGE 76. I, 44 f.; Gernhuber/Coester-WaItjen. Lehrbuch des Familienrechts. § 5111 I; Pieroth. in: Jarass 1Pieroth. GG. Art. 6 Rn. 6.
B. Unter grundrechtlichen Gesichtspunkten
33
Gemeinschaften5 . Ein wesentlicher Bereich des durch Art. 6 Abs. I GG geschützten Ehe- und Familienlebens ist die Lebenshilfe, die sich die Ehepartner bzw. Familienmitglieder untereinander in materiell-wirtschaftlicher und immateriell-persönlicher Hinsicht gewähren 6 . Dabei wird sogar davon ausgegangen, daß die "der gegenseitigen Versorgung im weitesten Sinne dienende Gemeinschaft das Rechtsgut ist, das der auf Erhaltung der bestehenden sozialen Funktionen ausgerichteten verfassungsrechtlichen Verbürgung des Art. 6 Abs. I GG zugrundeliegt,,7. Wahrend die materiell-wirtschaftliche Hilfe den Unterhalt im materiellen Sinne umfaßt, ist die Betreuung der Kinder Teil der immateriell-persönlichen Lebenshilfe!!. Prägend für das familiäre Lebenshilfesystem ist die Aufgabenverteilung, die die Ehepartner aufgrund freier Entscheidung getroffen haben 9 . Je nachdem, in welcher Weise die familiären Aufgaben verteilt sind, lassen sich Haushaltsführungs-, Doppelverdiener- und Zuverdienerehen unterscheiden 10. Die Kinder sind an die von den Eltern festgelegte Aufgabenverteilung gebunden 11. Entspricht die Gestalt, die die Ehepartner ihrem gemeinsamen Leben gegeben haben, dem Leitbild der Haushaltsführungsehe, so versorgt ein Ehegatte die Kinder und den Haushalt und der andere Ehepartner geht einer Erwerbstätigkeit nach, um den materiellen Lebensbedarf der Familie sicherzustellen 12. In der Doppelverdienerehe leisten beide Ehepartner einen finanziellen Beitrag zum gemeinsamen Lebensunterhalt und teilen sich die im Zusammenhang mit der Haushaltsführung und Kinderbetreuung anfallenden Aufgaben entsprechend ihrer beruflichen Belastung 13. Ähnliches gilt für die Zuverdienerehe, die dadurch gekennzeichnet ist, daß der haushaltsführende Ehegatte einer Teilzeitbeschäftigung nachgeht l4 . Ebenso wie der Staat die freige5
Pieroth. in: Jarass I Pieroth, GG. Art. 6 Rn. 3,5; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 641,
644. 6 Vgl. BVerfGE 76, 1,51; BK I Pirson, GG, Art. 6 Rn. 20. 27, 67; Frenz, NJW 1992, 1597, 1599. 1600; ders .. NJW 1993, 1\03 f.; E.M. v. Münch, in: v. Münch I Kunig, GG, Art. 6 Rn. 7; Loschelder. FamRZ 1988. 333. 336, 338; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 208, 271. 7 BK/Pirson, GG. Art. 6 Rn. 20. K Vgl. dazu LecheIer, FamRZ 1979. \, 3; Moritz, Die (zivil-)rechtliche Stellung der Minderjährigen und Heranwachsenden innerhalb und außerhalb der Familie, S. 96, 99; Frenz, NJW 1992. 1597. 1598. 9 Die freie Verteilung der familiären Aufgaben ist ein durch Art. 6 Abs. I GG verbürgtes Recht der Ehepartner. siehe dazu BVerfGE 6,55.81 f.; 39. 169. 183; 53. 257. 296; 61. 319. 347; 66. 84. 94; 68. 256. 268; 87. 234. 259; E.M. v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rn. 11; AK-GG/Richter, Art. 6 Rn. 14. 31a; Pieroth. in: Jarass/Pieroth, GG. Art. 6 Rn. 3; Friauf, NJW 1986. 2595, 2602; Giesen, JZ 1982, 817, 820 f. 10 Palandt I Diederichsen. BGB. § 1360 Rn. 9 - 13; Staudinger I Hübner, BGB, § 1360 Rn. 19-22. 11 BGH FamRZ 1983, 140, 141. 12 Vgl. Palandt I Diederichsen, BGB, § 1360 Rn. 9 f. und § 1606 Rn. 21; Soergell Häberle, BGB. § 1606 Rn. 7. 13 Palandt/Diederichsen. BGB, § 1360 Rn. 12; MK/Wacke. BGB, § 1360 Rn. 8. 14 Vgl. Palandt/Diederichsen. BGB, § 1360 Rn. 13.
3 Gülle
I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
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wählte Familienstruktur zu respektieren hat, muß er auch die unterhaltsrechtlichen Beziehungen achten, die sich entsprechend der jeweiligen Aufgabenverteilung im Rahmen der Familie ergeben. Die Rollen der Ehepartner als Ernährer bzw. betreuender Elternteil stehen nicht zur Disposition des Staates 15. Die unterhaltsrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern (vgl. §§ 1601 ff. BGB) sowie der Ehepartner untereinander (vgl. §§ 1360, 1361, 1569 ff. BGB) sind als familienrechtliche Verhältnisse dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG zuzuordnen l6 • Gegenstand der unterhaltsrechtlichen Beziehung kann sowohl die Zuwendung materiellen Unterhalts als auch die Pflege und Erziehung von Kindern sein (vgl. §§ 1606 Abs. 3 S. 2, 1610 Abs. 2 BGB)17. Soweit die unterhaltsrechtliche Beziehung die Pflege und Erziehung eines Kindes zum Inhalt hat, unterfällt diese Beziehung zusätzlich dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG. Entsprechendes gilt für materielle Unterhaltszuwendungen, die der Wahrnehmung der EIternverantwortung dienen l8 . Da Art. 6 Abs. I GG nicht nur die intakten Ehen und Familien erfaßt 19, sind auch die unterhaltsrechtlichen Beziehungen geschützt, die nach einer Trennung oder Scheidung fortbestehen 20 . Dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. I GG sind des weiteren die unterhaltsrechtlichen Beziehungen zwischen den Eltern und ihren nichtehelichen Kindern zuzurechnen. Entscheidend ist insofern, daß der Familienbegriff des Art. 6 Abs. I GG die nichtehelichen Kinder ebenso einschließt wie die ehelichen Kinder21 • Vgl. BVerfGE 24.119.135; 33. 236. 328; 53, 257. 296; 66. 84. 94. Vgl. BVerfGE 53.257.296 f.; 66.84.93 ff.; 68. 256.266 ff.; BGH FamRZ 1981. 341. 344 und 539. 540; BGH FamRZ 1982.365.366; Frenz. NJW 1992. 1597 ff.; ders .. NJW 1993. 1103 ff.; LK I Dippel, StGB. § 170b Rn. 45. Die Beschränkung des Ehe- und Familienschutzes auf die unterhaltsrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sowie der Ehepartner untereinander ergibt sich daraus. daß Art. 6 Abs. I GG die Familie lediglich als .. Kleinfamilie". d. h. als Gemeinschaft zwischen Eltern und ihren (unverheirateten) Kindern. erfaßt. Zu diesem ..engen" Familienbegriff vgl. BVerfGE 48.327.339; Maunz, in: Maunzl Dürig/Herzog. GG. Art. 6 Rn. 16; Gernhuber/Coester-Waltjen. Lehrbuch des Familienrechts. § 5 [ I; MK I Rebmann. BGB. Einl. Familienrecht Rn. 2. Demgegenüber wird ein .. weiter" Familienbegriff vertreten. vgl. Pieroth. in: Jarass/Pieroth. GG. Art. 6 Rn. 4; AKGG I Richter. Art. 6 Rn. 15a; Friauf. NJW 1986.2595. 2602. 17 Vgl. BVerfGE 37. 217. 251; 57. 361. 384; 66. 84. 94; Palandt/Diederichsen. BGB. § 1610 Rn. 3; MKI Köhler. BGB. § 1606 Rn. 5; siehe dazu auch OLG Hamm JZ 1962.547. IK Vgl. BVerfGE 57.361. 383; Frenz. NJW 1992. 1597. 1598; ders .. NJW 1993. 1103. 1104 f. 19 BVerfGE 71. 364. 385; AK-GG/Richter. Art. 6 Rn. 40; Gernhuber I Coester-Waltjen. Lehrbuch des Familienrechts. § 5 [[[ 2; MK/Rebmann. BGB. Einl. Familienrecht Rn. 24. Der nach einer Trennung oder Scheidung fortwirkende Familienschutz ist Ausdruck der auf Lebenszeit angelegten Ehe. siehe AK-GG/Richter. Art. 6 Rn. 33. 20 Vgl. BVerfGE 31. 194.207; 53. 257. 296; 66. 84. 93; Frenz. NJW 1992. 1597. 1598; ders .. NJW 1993. 1103. 1104. 21 Vgl. BVerfGE 45. 104. 123; 18.97.105 f.; 79. 256. 267; 92.158.176 ff.; Maunz. in: Maunz/Dürig/Herzog. GG. Art. 6 Rn. 16; Pieroth I Schlink. Grundrechte. Rn. 642; Pieroth. in: Jarass/Pieroth. GG. An. 6 Rn. 4; Gernhuber I Coester-Waltjen. Lehrbuch des Familienrechts. § 51 I; MK/Rebmann. BGB. Ein!. Familienrecht Rn. 2. 24; Friauf. NJW 1986.2595. IS
16
B. Unter grundrechtlichen Gesichtspunkten
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Der grundrechtliche Schutz der unterhaltsrechtlichen Beziehung umfaßt das Recht eines Ehepartners, eine familiäre Aufgabe entsprechend der getroffenen Aufgabenverteilung wahrzunehmen. Dieses Recht ist gleichzeitig auch eine Pflicht, die im Interesse der Familienangehörigen zu erfüllen ist 22 . Für die Pflege und Erziehung der Kinder ist dies in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ausdrücklich bestimmt 23 . Der Pflicht zur Wahrnehmung einer familiären Aufgabe steht das Recht der Familienmitglieder auf Unterhalt gegenüber, wobei auch dieses Recht vom grundrechtlichen Schutz der unterhaltsrechtlichen Beziehung umfaßt ist24 • Der eigenständige Grundrechtsschutz der komplementären Rechtsposition ist auch für den Fall anzunehmen, daß die Pflege und Erziehung eines Kindes Gegenstand des unterhaltsrechtlichen Verhältnisses ist. Anknüpfungspunkt eines eigenständigen Schutzes der Kinder im Rahmen einer auf die Betreuung bezogenen unterhaltsrechtlichen Beziehung ist das Recht der Kinder auf Pflege, Erziehung und Beaufsichtigung durch ihre Eltern. Dieses Recht erwächst den Kindern aus dem Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 GG und ist gemäß § 1631 Abs. 1 BGB Gegenstand des Personensorgerechts 25 . Soweit den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgte Rechte im Verhältnis zu ihrem Kind eingeräumt sind, so z. B. das Recht, die Inhalte der Erziehung zu bestimmen 26 oder sich frei für bzw. gegen eine Fremdbetreuung des Kindes zu entscheiden 27 , ist davon auszugehen, daß die Rechte des Kindes überlagert sind und lediglich den Eltern ein Abwehrrecht im Verhältnis zum Staat zusteht 28 . Geht es jedoch um die grundrechtliche Erfassung einer bestehenden unterhaltsrechtlichen Beziehung, die bereits durch die Entscheidungen der Eltern ausgestaltet ist, gibt es keinen Anlaß, einem Recht der Kinder auf Pflege und Erziehung durch die Eltern die Anerkennung zu versagen 29 • Indem der Staat die unterhaltsrechtliche Beziehung gewährleistet, schützt er die Zuwendung von Unterhaltsleistungen. Ob und in welchem Umfang Unterhaltsleistungen erbracht werden können und müssen, ist abhängig von der Leistungsfähig2602. Da Art. 6 Abs. 5 GG eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes statuiert (vgl. BVerfGE 25, 167, 190 f.), kann der Unterhalt des nichtehelichen Kindes nur insoweit Gegenstand dieser Vorschrift sein, als die unterhaltsrechtliche Gleichberechtigung des nichtehelichen Kindes im Verhältnis zum ehelichen Kind in Rede steht. Anders Frenz, NJW 1993, 1103, der davon ausgeht, daß der Unterhalt des nichtehelichen Kindes durch Art. 6 Abs. 5 GG gewährleistet ist. 2~ Vgl. BVerfGE 68,256,267; BK/Pirson, GG, Art. 6 Rn. 76. 23 Siehe dazu BVerfGE 24, 119, 143; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 28. 24 Vgl. Frenz, NJW 1993, 1103; BK I Pirson, GG, Art. 6 Rn. 90, 93, 95. 2S BVerfGE 68, 256, 269; Pieroth, in: Jarass I Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 31; Zacher, in: Isensee I Kirchhof (Hrsg.), HbStR Bd. VI, S. 291; a.A. Maunz, in: Maunzl Dürigl Herzog, Art. 6 Rn. 4. 26 E.M. v.Münch, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rn. 27. 27 AK-GG/Richter, Art. 6 Rn. 31; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 29. 28 Vgl. Zacher, in: Isenseel Kirchhof (Hrsg.), HbStR Bd. VI, S. 291. 29 Vgl. auch Bosch, FamRZ 1980,752,748; Palandt/Diederichsen, BGB, Einf v § 1626 Rn. 3; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 209 f. 3·
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
keit des Unterhaltspflichtigen 30. Diese bemißt sich - soweit es auf die materielle Leistungsfahigkeit ankommt - nicht nur auf der Grundlage des tatsächlich vorhandenen Vermögens, sondern auch danach, was der Unterhaltspflichtige bei gutem Willen in zumutbarer Weise zu leisten vermag 3l . In zeitlicher Hinsicht ist entscheidend, daß die Leistungsfähigkeit gerade in dem Zeitraum vorliegt, für den Unterhalt verlangt wird 32 . Auch wenn die Leistungsfähigkeit als Voraussetzung der Unterhaltspflicht lediglich in den §§ 1603 Abs. I, 1581 S. 1 BGB formuliert ist, so beinhalten diese Vorschriften doch ein allgemeines Prinzip unterhaltsrechtlicher Beziehungen, das auch für den Ehe- und Familienunterhalt gemäß § 1360 BGB 33 sowie den Unterhalt der getrennt lebenden Ehepartner nach § 1361 BGB 34 gilt. Da die Zuwendungen im Rahmen der unterhaltsrechtlichen Beziehung in Abhängigkeit zur Leistungsfahigkeit zu erbringen sind und somit keine "feste Größe" darstellen, kann die verfassungsrechtliche Gewährleistung nicht darin bestehen, Unterhaltsleistungen in einem bestimmten Umfang zu garantieren. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der Staat im Verhältnis zum unterhaltspflichtigen Familienmitglied den ungehinderten Einsatz der Kräfte und Fähigkeiten zum Nutzen der Familie zu gewährleisten hat, während sich der grundrechtliehe Schutz gegenüber den unterhaltsberechtigten Familienmitgliedern auf die Unterhaltsleistungen bezieht, zu deren Erbringung der Unterhaltspflichtige bei ungehindertem Einsatz seiner Kräfte und Fähigkeiten in der Lage ist. Da es im Fall der materiell-wirtschaftlichen Lebenshilfe nicht möglich ist, daß die Kräfte und Fähigkeiten unmittelbar der familiären Aufgabe zugute kommen, besteht die Notwendigkeit, die Umsetzung der Arbeitskraft in finanzielle Mittel ebenso zu gewährleisten wie die Beschaffung von Naturalleistungen (Lebensmittel, Wohnung, Kleidung usw.) durch den Einsatz der erwirtschafteten Mittel. Im Hinblick darauf. daß beide Umsetzungsakte die Teilnahme am freien Erwerbsleben voraussetzen, kann die materiell-wirtschaftliche Lebenshilfe nur sichergestellt werden, wenn Art. 6 Abs. I GG gleichzeitig mit dem Recht auf Wahrnehmung der familiären Aufgabe den Zugang zum freien Erwerbsleben verbürgt. Für eine solche - im Verhältnis zu Art. 2 Abs. I GG spezielle 35 - Gewährleistung spricht zum ei30 Vgl. dazu §§ 1603 Abs. I, 1581 BGB; Kalthoener/Büttner. Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts. Rn. 573. 31 BGH FamRZ 1980. 43; 1981, 539. 540; 1982. 23. 24; 1984. 374. 375; 1985. 158. 159; 1992. 1045. 1047; Mugdan. Materialien zum BGB. Bd. 4. Familienrecht. S. 364; Kalthoener I Büttner. Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts. Rn. 574; Gernhuber I Coester-Waltjen. Lehrbuch des Familienrechts. § 21 15. 32 OLG Zweibrücken FamRZ 1990. 553; MK/Köhler. BGB. § 1601 Rn. 3; RGRKI Mutschler. BGB. Vor § 1601 Rn. 2. 33 Vgl. RGRK/Mutschler. BGB. § 1603 Rn. I; Soergel/Lange. BGB. § 1360 Rn. 11; MKI Wacke. BGB. § 1360 Rn. 8. 34 MK/Wacke. BGB. § 1361 Rn. 14.21; PalandtlDiederichsen. BGB. § 1361 Rn. 1822; AK-BGB/Derieder. § 1361 Rn. 3.9; Erman I Heckelmann. BGB. § 1361 Rn. 6. J~ Als subsidiäres Freiheitsrecht tritt Art. 2 Abs. I GG zurück. sofern der Schutzbereich eines speziellen Freiheitsrechts betroffen ist. vgl. BVerfGE 59. 128. 163; Jarass. in: Jarass I
B. Unter grundrechtlichen Gesichtspunkten
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nen, daß die Teilnahme am freien Erwerbsleben regelmäßig eine unabdingbare Voraussetzung ist, um im materiellen Sinne für die Familie zu sorgen, denn nur in Ausnahmefällen können Unterhaltsleistungen über längere Zeit ausschließlich aufgrund von ertragbringendem oder verwertbarem Vermögen erbracht werden. Außerdem muß grundsätzlich jedes Vermögen erwirtschaftet werden 36 . Zum anderen ist darauf hinzuweisen, daß Ehepartner bzw. Eltern aus Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG verpflichtet sind, ihre Erwerbskräfte unter Einschränkung der negativen Berufsfreiheit (Art. 12 GG) bzw. der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) zum Nutzen der Familie einzusetzen 37 . Da die Wahrnehmung familiärer Aufgaben sowohl eine Pflicht als auch ein Recht ist, läßt dies den Umkehrschluß zu, daß einem Ehepartner bzw. Elternteil auch das Recht zustehen muß, zum Vorteil seiner Familie am freien Erwerbsleben teilzunehmen 38 . Anders als im Fall der wirtschaftlichen Existenzsicherung kann ein Ehepartner bzw. Elternteil, der die Betreuung der Kinder übernommen hat, seine Kräfte und Fähigkeiten ohne Umsetzungsakte zum Vorteil der familiären Aufgabe einsetzen. Erforderlich ist jedoch, daß eine gemeinsame Lebensführung gewährleistet ist. Ein Recht auf Zusammenleben ergibt sich für die Familienmitglieder aus Art. 6 Abs. I GG 39 . Dabei besteht für die Eltern das Recht, sich gegen ein gemeinsames Leben mit ihren Kindern und für eine umfassende Fremdbetreuung der Kinder zu entscheiden 4o . Sofern jedoch die Eltern von ihrem Recht auf ein Zusammenleben mit ihren Kindern Gebrauch gemacht haben, wird man auch den Kindern im Verhältnis zum Staat ein Recht auf dieses Zusammenleben einräumen müssen41 , denn es macht einen Unterschied, ob sich das Kind dem Willen der Eltern oder dem des Staates unterzuordnen hat. Im übrigen setzt das Recht der Kinder auf Pflege, ErziePieroth. GG. Art. 2 Rn. 2. Entsprechend ist zu vertreten, daß auch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit bzw. die freie entgeltliche Verwertung der Arbeitskraft nur soweit durch Art. 2 Abs. I GG geschützt ist. als kein untrennbarer Bezug zu einem speziellen Grundrecht besteht, siehe dazu Jarass, in: Jarass I Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 4. 36 Vgl. dazu Schenk, NJW 1991, 1777, 1781; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 271 (Fn. 64). 37 Vgl. BVerfGE 57,361,378; 68, 256, 267; BGH FamRZ 1981,341,344 und 539, 540; BGH FamRZ 1982,365,366; OLG Celle FamRZ 1983,717,718; BK/Pirson, GG, Art. 6 Rn. 76; Kunig. in: v. Münch I Kunig, GG, Art. 2 Rn. 29; Frenz, NJW 1993, 1103, 1106; Kalthoener I Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, Rn. 584. 38 Im allgemeinen bedarf es keiner Ausführungen zu der Frage, ob Art. 6 Abs. I GG den Zugang zum freien Erwerbsleben zwecks Erfüllung der Unterhaltspflicht gewährleistet, denn grundsätzlich hindert der Staat den Unterhaltspflichtigen nicht, am allgemeinen Erwerbsleben teilzunehmen. Ist ein Ehepartner bzw. Elternteil nicht in der Lage, seine Erwerbskräfte zum Vorteil der Familie einsetzen. liegen die Ursachen - so z. B. Langzeitarbeitslosigkeit oder eine Krankheit - grundsätzlich außerhalb des staatlichen Einflußbereiches. Ein Ausnahmefall ergibt sich jedoch, wenn eine Freiheitsstrafe vollzogen wird. 39 BVerfGE 28. 104, 112; 79, 203, 211; AK-GG/Richter, Art. 6 Rn. 14; Funk, FamRZ 1969,70 f. 40 V gl. BVerfGE 60, 79, 88. 41 Vgl. Maunz, in: Maunz I Dürigl Herzog. GG, Art. 6 Rn. 35.
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
hung und Beaufsichtigung durch ihre Eltern ein Recht auf Zusammenleben mit den Eltern unabdingbar voraus. Eine spezielle Verbürgung des familiären Zusammenlebens enthält Art. 6 Abs. 3 GG, wonach Kinder gegen den Willen des Erziehungsberechtigten nur auf Grund eines Gesetzes von den Eltern getrennt werden dürfen, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Da Art. 6 Abs. 3 GG inhaltlich an das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG anknüpft, schützt Art. 6 Abs. 3 GG die Eltern in ihrer Funktion als Erziehungsberechtigte 42 • Einem eigenen Recht der Kinder auf Zusammenleben mit den Eltern steht Art. 6 Abs. 3 GG nicht entgegen. Vielmehr setzt Art. 6 Abs. 3 GG ein solches Recht voraus43 . Auf der Grundlage dieser Schutzbereichsbestimmung ist im folgenden zu entscheiden, inwiefern die Freiheitsstrafe das verfassungsrechtlich geschützte Lebenshilfesystem beeinträchtigt. Zunächst kommt es jedoch darauf an, das tatsächliche Geschehen im Strafvollzug unter dem Aspekt der familiären Aufgabenerfüllung näher zu betrachten.
11. Die Beeinträchtigung des familiären Lebenshilfesystems durch die Freiheitsstrafe 1. Vollzug der Freiheitsstrafe und Erfüllung familiärer Aufgaben
a) Vollzug der Freiheitsstrafe und Gewährung des materiellen Unterhalts Die Mehrzahl der Strafgefangenen hat keinen Zugang zum freien Erwerbsleben. Sie führen Arbeiten aus, die ihnen im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Verhältnisses zur Anstalt zugewiesen werden und zu deren Verrichtung sie aufgrund der Regelung des § 41 Abs. 1 S. 1 StVollzG verpflichtet sind. In diesem Fall sind die Inhaftierten nicht in der Lage, die Funktion des Ernährers wahrzunehmen. Ihre Möglichkeiten, sich für den Unterhalt ihrer Familienangehörigen einzusetzen, sind dabei in zweifacher Weise beschränkt. Zum einen können sie ihre Erwerbskräfte und -Hihigkeiten nur insoweit einsetzen, als es das Arbeitsangebot innerhalb der Anstalt zuläßt. Gegenstand der Gefangenenarbeit sind i.d.R. einfache betriebliche Tätigkeiten, die leicht erlernt werden können und Teil eines Produktions prozesses sind, den ein privates Unternehmen aufgrund eines Vertrages mit der Anstalt in deren Räumlichkeiten durchführen läßt44 . Des weiteren führen Gefangene handwerk-
42 Vgl. BVerfGE 24, 119, 138; 68, 176, 190; BK IJestaedt, GG, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 219. 43 Maunz, in: Maunzl Dürigl Herzog, GG, Art. 6 Rn. 35; Funk, FamRZ 1969,69,70 ff.; a.A. BK/Jestaedt, GG, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 225; MK/Rebmann, BGB, Einl. Familienrecht Rn. 40. 44 Vgl. Böhm, Strafvollzug, S. 171; Walter, Strafvollzug, Rn. 467 und 477; lehle, ZfStrVo 1994,259,261.
B. Unter grundrechtlichen Gesichtspunkten
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liehe Tätigkeiten in Eigenbetrieben der Anstalt aus, so z. B. in einer Schreinerei, Schlosserei oder Buchbinderei 45 . Verfügt ein Gefangener über berufliche Kenntnisse, die er auf dem freien Arbeitsmarkt zum Vorteil seiner Familie einsetzen könnte, bleiben diese in Anbetracht der nach Art und Umfang begrenzten Gefangenenarbeit regelmäßig ungenutzt. Zum anderen erhält der Inhaftierte für die von ihm eingesetzte Arbeitskraft keinen ausreichenden Gegenwert, der es ihm erlauben könnte, für seine Familie zu sorgen. Das Arbeitsentgelt, das den Gefangenen bei Verrichtung der zugewiesenen Arbeit zu zahlen ist, bemißt sich gemäß § 43 Abs. 1 S. 2 StVollzG auf der Grundlage des in § 200 StVollzG bestimmten Satzes der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV (Eckvergütung)46. Zur Zeit beträgt dieser nach § 200 StVollzG bestimmte Satz fünf v.H. Für das Jahr 1997 ergab sich auf dieser Bemessungsgrundlage eine monatliche Eckvergütung in Höhe von 213,50 DM in den alten Bundesländern und 182,00 DM in den neuen Bundesländern47 . Ausgehend von der Eckvergütung sind gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 StVollzG im Einzelfall je nach Leistung des Gefangenen und Art der Arbeit Stufungen vorgesehen. Möglich ist sowohl eine Überschreitung als auch eine Unterschreitung der Eckvergütung48 . Bezogen auf das Jahr 1997 und das Land Niedersachsen betrug der höchste Grundlohn pro Arbeitstag 12,81 DM49 ; umgerechnet auf einen Monat mit 22 Arbeitstagen ergab sich ein Monatsverdienst in Höhe von 281,82 DM. Ein höheres Arbeitsentgelt konnte der Gefangene nur erreichen, wenn ihm Zulagen gezahlt wurden (vgl. § 2 StVollzVergOr. Beide Aspekte machen deutlich, daß die Möglichkeiten der Gefangenen, ihre Kräfte und Fähigkeiten in finanzielle Mittel umzusetzen, äußerst begrenzt sind. Während ein Familienmitglied ansonsten nicht nur das Recht, sondern unter Einschränkung der negativen Berufsfreiheit (Art. 12 GG) bzw. seiner persönlichen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) auch die Pflicht hat 51 , seine Erwerbskräfte 45 Vgl. Böhm. Strafvollzug. S. 172; Walter, Strafvollzug, Rn. 477; Jehle, ZfStrVo 1994, 259.261. 46 Im Jahre 1997 lag die Bezugsgröße bei 51.240 DM in den alten Bundesländern und bei 43.680 DM in den neuen Bundesländern. BVerfG StV 1998,438. 47 BVerfG StV 1998,438. 4M Die auf der Grundlage des § 43 Abs. 2 StVollzG erlassene Strafvollzugsvergütungsordnung (StVollzVergO) sieht die Eckvergütung als mittlere von fünf Vergütungsstufen vor. Gemäß § I StVollzVergO wird die Eckvergütung gewährt, wenn der Gefangene eine Arbeit verrichtet. die einer Anlernzeit bedarf und durchschnittliche Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und die Geschicklichkeit stellt. 49 Vgl. dazu Calliess I Müller-Dietz. StVollzG. § 43 Rn. 5. 50 Vgl. dazu Calliess/Müller-Dietz. StVollzG, § 43 Rn. 5. In welcher Weise der Gesetzgeber das vom BVerfG bis zum 31. Dezember 2000 geforderte Resozialisierungskonzept zur angemessenen Anerkennung von Gefangenenarbeit ausgestalten wird, bleibt abzuwarten. Da jedoch nach den Ausführungen des BVerfG nicht zwingend ein monetäres Konzept zu entwickeln ist, kann nicht ausgeschlossen werden, daß das derzeitige Niedriglohnsystem im wesentlichen beibehalten wird und eine angemessene Anerkennung der Gefangenenarbeit z. B. durch Haftverkürzung ("good time") erfolgt, siehe BVerfG NJW 1998.3337.3338. 51 Vgl. unter B. I.
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
und -fähigkeiten zum Nutzen seiner Familienangehörigen einzusetzen, ist der Inhaftierte durch die Beschränkung auf die AnstaItsarbeit und die gesetzlich bestimmte Höhe des Arbeitsentgeltes weitgehend gehindert, seine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit im Interesse der Familie auszuschöpfen. Selbst wenn der Inhaftierte unter Verzicht auf einen Eigenbehalt alle verfügbaren Einkünfte aus der Gefangenenarbeit einsetzen würde, könnte er den angemessenen Unterhalt seiner Familie, der alles umfaßt, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Familienmitglieder zu befriedigen (§ 1360a Abs. 1 BGB), nicht annähernd decken. Für Gefangene, die zuvor die Rolle des Ernährers wahrgenommen haben, bedeutet die Verrichtung zugewiesener Arbeit, daß sie ihre familiäre Funktion verlieren 52 . Gleichzeitig kommt es auf seiten der unterhaltsberechtigten Kinder und des Ehepartners zum Ausfall notwendiger Unterhaltsleistungen. Dabei bildet die Betroffenheit der unterhaltsberechtigten Angehörigen das Gegenstück zur Betroffenheit des Verurteilten, denn während das unterhaltspflichtige Familienmitglied durch die Verurteilung und die anschließende Strafhaft gehindert ist, seine Aufgabe als Ernährer der Familie wahrzunehmen, stellen sich Verurteilung und Inhaftierung für die unterhaltsberechtigten Angehörigen - gleichsam spiegelbildlich - als Entzug eines familiären Aufgabenträgers dar. Die Unterhaltseinbußen, die sich für die Angehörigen des Gefangenen ergeben, sind dann besonders schwerwiegend, wenn eine sog. Haushaltsführungsehe bestand und die Funktion des erwerbstätigen Familienmitgliedes ausschließlich dem nunmehr inhaftierten Ehepartner oblag. Doch auch bei Doppelverdienerehen kann nicht davon ausgegangen werden, daß ein Verdienst ausreichend ist, um den Familienunterhalt sicherzustellen. Eine vollständige oder teilweise Freistellung des nichtinhaftierten Ehepartners von der Erwerbstätigkeit im Interesse der Pflege und Erziehung der Kinder scheidet grundsätzlich aus. Übernimmt der nichtinhaftierte Ehepartner die Rolle des Ernährers, so wirkt sich dies i.d.R. nachteilig auf die Kinder aus, die ohnehin bereits dadurch belastet sind, daß sich ein Elternteil in Strafhaft befindet53 . 52 Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Inhaftierte über Vermögen verfügt oder ein Gewerbebetrieb durch einen Vertreter weitergeführt werden kann. Insofern handelt es sich jedoch um seltene Ausnahmefalle. Wieviele Gefangene infolge der Haft ihre Rolle als Ernährer der Familie verlieren, ist nicht bekannt. Grobe Richtwerte ergeben sich daraus, daß ca. 20 v.H. der Gefangenen verheiratet sind oder in eheähnlichen Dauerbeziehungen leben, siehe Busch / Fülbier I Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten, S. 5; Busch, ZfStrVo 1989, 131; Walter, Strafvollzug, Rn. 92. Dieser Wert umfaßt einerseits auch die Gefangenen, die unabhängig von der Strafhaft nicht in der Lage gewesen wären, durch ihr Einkommen oder durch Lohnersatzleistungen zum Unterhalt der Familie beizutragen; andererseits sind Gefangene, die Ehepartner und Kinder aus geschiedenen Ehen bzw. nichteheliche Kinder zu versorgen haben, nicht erfaßt. 53 Vgl. Busch, ZfStrVo 1989, 131, 132; Busch/Fülbier/Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten, S. 487 f.; Römer, Die Nebenfolgen der Freiheitsstrafen auf die Kinder der Delinquenten, S. 22 ff.; Niebecker, ZfStrVo 1984,335; siehe dazu auch die auf die Situation von "Scheidungskindern" bezogenen Ausführungen in BVerfGE 57,361,382 f.
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Die Funktion des Ernährers können grundsätzlich nur diejenigen unter den Gefangenen erfüllen, die außerhalb der Anstalt in einem freien Beschäftigungsverhältnis tätig sind oder einer Selbstbeschäftigung nachgehen 54 . Bezogen auf die Jahre 1989 - 1991 ist davon auszugehen, daß durchschnittlich ca. 12 v.H. der beschäftigten Gefangenen am freien Erwerbsleben teilnehmen konnten 55 . Das freie Beschäftigungsverhältnis ist i.d.R. privatrechtlicher Natu~6 und kommt dadurch zustande, daß der Gefangene einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag mit einem privaten Arbeitgeber abschließt 57 . Dem Inhaftierten steht in diesem Fall die tarifvertraglieh festgelegte Vergütung ZU 58 , so daß sein Erwerb dem eines freien Bürgers entspricht. Bei der Selbstbeschäftigung handelt es sich um eine freiberufliche Tätigkeit59 • Welche Einkünfte sich für den Gefangenen aus einer Selbstbeschäftigung ergeben, ist je nach Arbeitsbereich individuell verschieden. Sowohl die Tätigkeit in einem freien Beschäftigungsverhältnis als auch die Selbstbeschäftigung sind nur möglich, wenn von seiten der Vollzugs behörde die nach §§ 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 39 StVollzG erforderlichen Genehmigungen erteilt werden. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Eignung des Gefangenen für den Freigang. Diese kann gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG nur angenommen werden, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene die Lockerung zur Flucht oder zur Begehung weiterer Straftaten mißbrauchen wird. I.d.R. schließen die Vollzugsbehörden Flucht- und Mißbrauchsgefahr mit hinreichender Sicherheit erst nach einer längeren Haftzeit aus, nachdem sich der Gefangene in einer Einrichtung des geschlossenen Vollzuges bewährt hat60 • In Anbetracht dessen verrichtet die überwie54 Vgl. Schwind I Böhml Matzke, StVollzG, § 39 Rn. I; Rotthaus, NStZ 1987, 1,4; Jehle, ZfStrVo 1994, 259, 265; BAG-S, Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftierte, ZfStrVo 1993, 174, 175. Die Selbstbeschäftigung ist nicht nur innerhalb, sondern unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. I Nr. I, Abs. 2 StVollzG auch außerhalb der Anstalt möglich, siehe dazu BGH NStZ 1990, 452 f.; OLG Celle NStZ 1989, 341 f.; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 39 Rn. 6; AK-StVollzG I Däublerl Pecic, § 39 Rn. 20; Schwind/Böhm/Matzke, StVollzG, § 39 Rn. 11; Schöch, in: Kaiser I Kerner I Schöch, Strafvollzug, § 6 Rn. 30; Walter, Strafvollzug, Rn. 480; a.A. noch OLG Hamm NStZ 1986,428. 55 V gl. Neu, Betriebswirtschaftliehe und volkswirtschaftliche Aspekte einer tariforientierten Gefangenenentlohnung, S. 67, 187; vgl. auch Sigel, ZfStrVo 1990,266, der davon ausgeht, daß 13 v.H. der beschäftigten Gefangenen außerhalb der Anstalt in Betrieben der Privatwirtschaft arbeiten. Die Bedeutung der Selbstbeschäftigung ist dabei äußerst gering. In den Jahren 1989-1991 gingen durchschnittlich fünf Gefangene einer Selbstbeschäftigung nach, siehe Neu, Betriebswirtschaftliehe und volkswirtschaftliche Aspekte einer tariforientierten Gefangenenentlohnung, S. 187. 56 AK-StVollzG/Däubler/Pecic, § 39 Rn. 9; siehe auch LAG Hamm ZfStrVo 1992,256, 257. 57 AK-StVollzG I Däubler I Pecic, § 39 Rn. 9; Walter, Strafvollzug, Rn. 482. 58 AK-StVollzG/Däubler/Pecic, § 39 Rn. 11; Schöch, in: Kaiser I KemerlSchöch, Strafvollzug, § 6 Rn. 107; Keck, NStZ 1989, 309, 310; Jehle, ZfStrVo 1994,259,261. 59 OLG Frankfurt NStZ 1981, 159; OLG Celle NStZ 1989,341,342; AK-StVollzG lDäubler/Pecic, § 39 Rn. 18; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 39 Rn. 5; Schwind I Böhml Matzke, StVollzG, § 39 Rn. 11; Walter, Strafvollzug, Rn. 480. /j() Vgl. Böhm, Strafvollzug, S. 185 f.
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gende Zahl der Gefangenen zunächst zugewiesene Arbeit, bevor sie als Freigänger ein freies Beschäftigungsverhältnis aufnehmen können 61 • Für die unterhaltsberechtigten Angehörigen heißt dies, daß sie zunächst ohne die finanzielle Unterstützung des Inhaftierten auskommen müssen, bevor sie - i.d.R. gegen Ende der Haftzeit Unterhaltszahlungen erwarten können. Daß ein Gefangener die Genehmigung nach § II Abs. I Nr. I, Abs. 2 StVollzG unmittelbar nach seiner Inhaftierung erhält, ist eine Ausnahme, die - soweit ersichtlich - i.d.R. nur im Rahmen von Kurzstrafenprogrammen praktiziert wird 62 . Der Gefangene muß sich des weiteren vor Antritt der Strafhaft auf freiem Fuß befunden haben, "SelbststeIler" sein und ein bestehendes Arbeitsverhältnis fortsetzen können 63 . Soweit die Gefangenen über Einkünfte verfügen, sind sie in Anbetracht der Strafhaft nicht in der Lage, diese zugunsten ihrer Familienmitglieder in Naturalleistungen umzusetzen. Möglich ist allerdings die Weitergabe der erwirtschafteten Mittel an die unterhaltsberechtigten Angehörigen, denn ebenso wie das Arbeitseinkommen der freien Bürger sind auch die Arbeitseinkünfte der Gefangenen grundsätzlich frei verfügbar. Eine Einschränkung ihrer Verfügungsrnacht ergibt sich jedoch insofern, als sie gemäß § 51 Abs. I StVollzG zur Bildung eines Überbrükkungsgeldes verpflichtet sind, das den eigenen notwendigen Lebensunterhalt und den der unterhaltsberechtigten Angehörigen für die ersten vier Wochen nach der Entlassung sichern soll. Das Hausgeld, das den Inhaftierten nach Maßgabe des § 47 StVollzG zusteht, kann für den Einkauf gemäß § 22 StVollzG, aber auch anderweitig verwendet werden 64 • Insbesondere dürfen die Gefangenen das Hausgeld ihren unterhaltsberechtigten Familienmitgliedern zukommen lassen 65 . Soweit das Arbeitsentgelt gemäß § 52 StVollzG als Eigengeld gutgeschrieben wird, untersteht auch dieser Betrag der Verfügungsrnacht der Inhaftierten. Bezüglich der Verfügbarkeit des Eigengeldes ist jedoch die einschränkende Regelung des § 83 Abs. 2 S. 3 StVollzG zu berücksichtigen.
b) Vollzug der Freiheitsstrafe und Betreuung der Kinder
Da die Betreuung von Kindern notwendigerweise die räumliche Nähe zwischen Eltern und Kindern voraussetzt, ist ein inhaftierter Elternteil regelmäßig nicht in der Lage, die Rolle des betreuenden Elternteils wahrzunehmen 66 • Für Gefangene, Vg1. Bundesvereinigung der Anstaltsleiter, ZfStrVo 1993, 180. Vg1. Böhm, Strafvollzug, S. 185 f.; Wulf, ZfStrVo 1986, 81. 84 f.; Dolde, ZfStrVo 1992, 24 ff.; lehle, ZfStrVo 1994,259,261. 63 V g1. Böhm, Strafvollzug, S. 185 f.; Wulf, ZfStrVo 1986, 81, 84 f.; Dolde, ZfStrVo 1992, 24 ff.; Pressemiueilung des lustizministeriums Baden-Württemberg, ZfStrVo 1983, 113 f.: 1984,234; Informationen des Hessischen Ministers der Justiz, ZfStrVo 1985,300 f. 64 Vg1. § 47 Abs. I StVollzG. M Schöch, in: Kaiser I Kerner I Schöch, Strafvollzug, § 6 Rn. 112: Koepsel, Strafvollzug im Sozialstaat, S. 155. 61
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die zuvor ihre Kinder betreut haben, tritt mit der Inhaftierung der Verlust ihrer familiären Funktion ein 67 • Auf seiten der Kinder stellt sich die Situation als Entzug des betreuenden Elternteils dar. Die Kinder verlieren damit nicht nur die gewohnte Betreuung, sondern auch die persönliche Beziehung zu einem Elternteil. Infolge dessen kann ihre Entwicklung nachhaltig beeinträchtigt werden. Dies gilt um so mehr, wenn der nunmehr inhaftierte Elternteil die alleinige Bezugsperson war68 • Strafvollzug und Kinderbetreuung sind nur miteinander zu vereinbaren, wenn es möglich ist, die haftbedingte Trennung zwischen dem inhaftierten Elternteil und dem Kind zu überwinden. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang sowohl die gemeinsame Unterbringung von Müttern und Kindern gemäß § 80 StVollzG69 als auch die Gewährung von Freigang mit dem Ziel, die Betreuung der Kinder und die Versorgung des Haushaltes zu gewährleisten (vgl. § 11 Abs. I Nr. 1, Abs. 2 StVollzG). Die Möglichkeit eines sog. "Hausfrauenfreigangs" besteht, weil die Beschäftigung i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG nicht zwingend eine berufliche Tätigkeit voraussetzt70• Allerdings kann auch in diesen Fällen die Rolle des betreuenden Elternteils nicht ohne haftbedingte Beschränkungen wahrgenommen werden, was insbesondere für die gemeinsame Unterbringung von Müttern und Kindern nach § 80 StVollzG gilt. Da nur die werdenden und die stillenden Mütter im Rahmen der gesetzlichen Beschäftigungsverbote zum Schutze erwerbstätiger Mütter von der Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 S. 1 StVollzG freigestellt werden (vgl. § 41 Abs. 1 S. 3 StVollzG), müssen inhaftierte Frauen, die gemeinsam mit ihren Kindern in der Anstalt leben, die ihnen zugewiesene Anstaltsarbeit verrichten. Die Fremdbetreuung der Kinder durch das Anstaltspersonal beruht folglich nicht auf 66 Darüber hinaus läßt es die haftbedingte Trennung von der Familie nicht zu, daß ein inhaftierter Elternteil - unabhängig von seiner Funktion innerhalb der Familie - sein Erziehungsrecht (vgl. Art. 6 Abs. 2 S. I GG) ausüben kann. Gelegentliche Urlaube im Kreise der Familie oder Telefonate mit den Kindern sind nicht ausreichend, um die Erziehung der Kinder mitzugestalten, vgl. Römer, Die Nebenfolgen der Freiheitsstrafen auf die Kinder der Delinquenten, S. 56 ff. 67 Wieviele Inhaftierte die Rolle des betreuenden Elternteils in Anbetracht der Freiheitsstrafe nicht mehr erfüllen können, ist nicht bekannt. Geht man davon aus, daß die Kinderbetreuung i.d.R. von den Müttern wahrgenommen wird, ergibt sich aus der Feststellung, daß ca. 55-60 v.H. der inhaftierten Frauen Kinder haben, ein grober Richtwert, siehe Birtsch/Rosenkranz, in: Birtsch/Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 129; Dünkel, Empirische Beiträge und Materialien zum Strafvollzug - Bestandsaufnahme des Strafvollzugs in Schleswig Holstein und des Frauenvollzugs in Berlin, S. 191; Fischer-Jeh1e, Frauen im Strafvollzug, S. 71. 68 Zu den Reaktionen der Kinder bei Inhaftierung der Mutter siehe Birtsch / Rosenkranz, in: Birtsch/Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 129, 133 f.; Rosenkranz/Riemann/Birtsch, NP 1987,151,153 f. 69 Zur Frage, ob Kinder auch gemeinsam mit dem Vater untergebracht werden können, siehe OLG Hamm NStZ 1983, 575; AK-StVollzG/Huchting/Schumann, § 142 Rn. 3; Schwind / Böhm / Steinhilper, StVollzG, § 80 Rn. 6; Calliess / Müller-Dietz, StVollzG, § 80 Rn. 1. 70 Harjes, ZfStrVo 1985, 284; Schwind/Böhm/Kühling, StVollzG, § 1\ Rn. 7; AKStVollzG/Hoffmann/Lesting, § 1\ Rn. 21.
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einer freien Entscheidung der sorgeberechtigten Mutter71 . Vielmehr handelt es sich um eine zwingende Notwendigkeit. Ist einer Inhaftierten der "Hausfrauenfreigang" genehmigt, dann tritt damit zwar eine Befreiung von der Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 S. 1 StVollzG ein 72 , doch kann die Betreuung der Kinder im allgemeinen nicht ohne die Hilfe einer weiteren zuverlässigen Bezugsperson erfolgen. Grund dafür ist, daß die Mutter am Abend wieder in die Anstalt zurückkehren muß und sie daher nicht "rund um die Uhr" für ihre Kinder dasein kann. Da die gemeinsame Unterbringung von Müttern und Kindern relativ selten ise 3 und auch dem sog. "Hausfrauenfreigang" nur eine geringe Bedeutung zukommt 74 , ist davon auszugehen, daß die Inhaftierung von Frauen, die für ihre minderjährigen Kinder sorgen, überwiegend zu einer die Betreuung ausschließenden Trennung von Mutter und Kind führt.
2. Der Ausfall eines familiären Aufgabenträgers als Ergebnis staatlichen Handeins
Steht fest, daß der Delinquent ohne die Strafhaft weiterhin in der Lage gewesen wäre, für seine Familienangehörigen zu sorgen, so ist von einem staatlichen Eingriff in die durch Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG geschützten Rechte eines jeden in der Sache betroffenen Familienmitgliedes auszugehen. Entscheidend für die Annahme eines Grundrechtseingriffs ist, daß die Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten Lebenssphäre ursächlich und zurechenbar auf ein hoheitliches Handeln zurückzuführen ist 75 . Dabei kann die Beeinträchtigung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich, mit oder ohne Zwang erfolgt sein 76. Ein staatlicher Eingriff in die Rechte eines jeden in der Sache betroffenen Familienmitgliedes ist anzunehmen, weil nicht nur der Gefangene, sondern auch seine Familienangehörigen dem Staat mit eigenen Rechten aus Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG gegenüberstehen.
71 Vgl. Rosenkranz, ZfStrVo 1985, 77, 78 f.; Riemann, in: Birtsch/Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 33, 38 f. 72 Vgl. Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 212; Bachmann, ZfStrVo 1989,279, 281. 73 Am 31. 3. 1993 waren im gesamten Bundesgebiet 45 Frauen mit 51 Kindern gemeinsam in Justizvollzugsanstalten untergebracht, vgl. H. Maelicke, Ist Frauenvollzug Männersache?, S.44f. 74 Vgl. H. Maelicke, Ist Frauenvollzug Männersache?, S. 44; Bachmann, ZfStrVo 1989. 279; Schwind/Böhm/Steinhilper, StVollzG. vor § 76 Rn. 9. 75 Vgl. VerfGE 66, 39, 60; Pierothl Schlink, Grundrechte, Rn. 240; Jarass, in: Jarass I Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 19. 76 V gl. VerfGE 66, 39, 60; Pieroth I Schlink, Grundrechte, Rn. 240; Jarass, in: Jarass I Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 20-2Ia; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III 12, § 78 II 1 - 3.
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Dem Gefangenen, der seine Kräfte und Fähigkeiten nicht mehr für seine Kinder und den Ehepartner einsetzen kann, wird aufgrund einer konkreten staatlichen Maßnahme - nämlich des Freiheitsentzuges - ein Verhalten unmöglich gemacht, das in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG fällt. Beeinträchtigt wird das grundrechtlieh geschützte Recht, eine familiäre Aufgabe - sei es die des Ernährers oder des betreuenden Elternteils - wahrzunehmen 77 . Gleichzeitig werden die durch Art. 6 Abs. 1 und 2 S. I GG geschützten Rechtspositionen der unterhaltsberechtigten Kinder und des Ehepartners gestört, denn sie können fortan nicht mehr die Lebenshilfe erhalten, zu deren Erbringung der Elternteil bzw. der Ehepartner bei ungehindertem Einsatz seiner Kräfte und Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre 78 • Dabei stehen die unterhaltsberechtigten Kinder und der Ehepartner - ebenso wie das unterhaltspflichtige Familienmitglied - dem Staat mit eigenen, originären Rechten gegenüber. Je nachdem, welche familiären Funktionen der Inhaftierte zuvor erfüllt hat, beeinträchtigt der Staat das Recht auf materiellen Unterhalt oder / und - bezogen auf die Kinder - das Recht auf Pflege, Erziehung und Beaufsichtigung durch die Eltern 79. Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, 77 Die von Bohnert, JZ 1978,710,714, im Zusammenhang mit der Frage, ob die Geldstrafe in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. I GG eingreift, vertretene Auffassung, daß das Grundrecht aus Art. 6 Abs. I GG nicht die wirtschaftlichen Ansprüche der Familienmitglieder untereinander vor Eingriffen des Staates aufgrund des Strafrechts schützt, kann vorliegend nicht richtungsweisend sein: Anders als die Freiheitsstrafe begründet die Geldstrafe für den Delinquenten eine Zahlungsverpflichtung. Diese wird unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen bemessen, vgl. Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, § 40 Rn. 16. Folglich bleibt die Funktion des Verurteilten als Ernährer der Familie - zumindest rein rechnerisch - von der Strafe unberührt. Im übrigen hindert die Geldstrafe den Verurteilten nicht, seine Erwerbskräfte und -fähigkeiten zum Nutzen seiner Familienmitglieder einzusetzen. Wenn sich die Geldstrafe dennoch auf die gesamte Familie auswirkt, weil das Familienbudget geschmälert wird und infolge dessen der Lebensstandard der Familie absinkt, so kann dies nicht als staatlicher Eingriff in der Schutzbereich des Art. 6 Abs. I GG gewertet werden, denn zum einen kennt die Rechtsordnung kein Familienvermögen, das in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. I GG fallen könnte, vgl. Bohnert, JZ 1978, 710, 714. Zum anderen entzieht sich die familieninterne Verteilung der finanziellen Mittel dem staatlichen Einfluß. Es obliegt dem Verurteilten, sich - soweit wie möglich - in seinen Bedürfnissen zu beschränken, um auf diese Weise die Wirkungen der Geldstrafe auf die übrigen Familienmitglieder auszuschließen. Letztlich bleibt es dem Verurteilten auch ungenommen, die Wirkungen der Geldstrafe durch einen vermehrten Einsatz seiner Erwerbskräfte zu kompensieren. 7K Vgl. Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 209. 79 Die Freiheitsstrafe vermag die familiäre Gemeinschaft auch insofern zu beeinträchtigen, als sie die Familienmitglieder trennt, siehe Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 203 f., 209; Niebecker, ZfStrVo 1984, 335 f. Außerdem greift der Staat mit der Inhaftierung eines Elternteils regelmäßig in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. I GG ein, wobei unerheblich ist, welche Funktion dieser im Rahmen der Familie wahrgenommen hat, siehe Römer, Die Nebenfolgen der Freiheitsstrafen auf die Kinder der Delinquenten, S. 56 ff.; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 209 f.; Niebecker, ZfStrVo 1984, 335, 336. Allerdings greift der Staat mit der Freiheitsstrafe, die er gegenüber einem Elternteil verhängt, nicht in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 3 GG ein, denn die Trennung des Kindes von den EItern muß mit dem Ziel erfolgen, das Kind einer staatlichen Zwangserziehung zu unterstellen, vgl. BVerfGE 24, 119, 142; BK/Jestaedt, GG, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 215, 233-237. Zur Fcst-
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daß nur ein Familienmitglied Adressat der schädigenden Maßnahme ist, denn der Schutz des Art. 6 Abs. I GG erfaßt auch dann alle Mitglieder einer Ehe bzw. Familie, wenn eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt ausschließlich gegen ein einzelnes Mitglied der Gemeinschaft gerichtet ist8o • Das BVerfG 81 hat insofern ausgeführt, es liefe dem Leitbild der Einheit von Ehe und Familie und der durch Art. 3 Abs. 2 GG verbürgten Gleichberechtigung der Ehegatten im Kern zuwider, wenn der Schutzbereich des Art. 6 Abs. I GG in persönlicher Hinsicht gegenüber einem dem sachlichen Schutzbereich der Norm unterfallenden Hoheitsakt materiell- wie verfahrensrechtlich auf ein bestimmtes Ehe- und Familienmitglied beschränkt bliebe. Nicht minder gestört sei die Einheit von Ehe und Familie und die Gleichberechtigung der Ehepartner aber auch dann, wenn einem Ehepartner oder Familienangehörigen der Schutz des Art. 6 Abs. I GG nur aus abgeleitetem Recht, d. h. nach Maßgabe und in den Grenzen der Rechtsstellung oder Rechtshandlung des anderen Ehepartners oder eines sonstigen Familienmitgliedes, zustünde. Im Hinblick darauf, daß die Unterhaltsberechtigten ebenso wie die Unterhaltspflichtigen dem Staat mit eigenen, originären Rechten gegenüber stehen, kann die grundrechtliehe Beeinträchtigung der unterhaltsberechtigten Angehörigen von Inhaftierten nicht lediglich als eine bloß mittelbare Beeinträchtigung gewertet werden 82 • Vielmehr ist davon auszugehen, daß auch die Kinder und Ehepartner des Gefangenen unmittelbar in eigenen Rechten betroffen sind83 . Mithin ist die oben beschriebene Spiegelbildlichkeit der Betroffenheit nicht Ausdruck einer bloß mittelbaren Beeinträchtigung, sondern eine Frage der Wirkungsweise einer staatlichen Maßnahme angesichts komplementärer Rechtspositionen 84 . Von der unmittelbaren Betroffenheit der Angehörigen ist die Mittelbarkeit der Verursachung zu unterscheiden, wobei die Feststellung zur Art der Verursachung lediglich der Charakterisierung des staatlichen Eingriffs dient 85 • Im Hinblick darauf, daß die Belastungen der Angehörigen durch die Beschränkungen ausgelöst werden, denen der Inhaftierte unterliegt, läßt sich von einer mittelbaren Verursachung der Drittwirkung sprechen. So betrachtet, ist die vorliegende Situation mit stellung, daß die Freiheitsstrafe in das Grundrecht auf Ehe und Familie eingreift, siehe auch BVerfG NStZ 1985,357; Bohnert, JZ 1978,710,713; BK/Pirson, GG, Art. 6 Rn. 67; v. Münch, JZ 1958,73,75; Katzinski, InfoStVollzPR 1986,647.648; Verborgen, MschrKrim 1963,202. HO BVerfGE 76. 1. 45; Pieroth. in: Jarass/Pieroth, GG. Art. 6 Rn. 6; BK/Pirson. GG. Art. 93. HI BVerfGE 76, 1. 45. H2 Vgl. Krauß, AöR 93 (1968), 395, 398; Bohnert. JZ 1978.710,713; siehe auch BK/Pirson, GG, Art. 6 Rn. 93, der zwar von einer selbständigen Rechtsstellung eines jeden Ehepartners bzw. Familienmitgliedes ausgeht, aber dennoch zwischen "nicht unmittelbar Betroffenen" und "unmittelbar Betroffenen" unterscheidet. KJ Vgl. dazu BVerwGE 42, 141, 142 f.; Krauß, AöR 93 (1968). 395, 398. H4 Vgl. Bohnert, JZ 1978,710,713. H~ Vgl. dazu BGHZ 45.290 ff.
B. Unter grundrechtlichen Gesichtspunkten
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den im Zivilrecht relevanten Schockschädigungen vergleichbar. Die einem Schockschaden zugrundeliegende Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß eine Person (Erstgeschädigter) getötet oder schwer verletzt wird und eine weitere, dem Erstgeschädigten nahestehende Person (Zweitgeschädigter) aufgrund dieses Geschehens einen Schock erleidet, der sich als eine (eigene) Gesundheitsschädigung darstellt 86 . Die Gemeinsamkeit der Fallsituation liegt in der Fernwirkung87 eines Ereignisses, das zur Beeinträchtigung des Zweitgeschädigten in eigenen Rechten führt. Grundlage der Fernwirkung ist jeweils eine familiäre bzw. enge persönliche Beziehung zwischen dem Erst- und dem Zweitbetroffenen. Ebenso wie die Art der Verursachung dient auch die Feststellung, ob eine Beeinträchtigung beabsichtigt oder unbeabsichtigt eingetreten ist, lediglich der Charakterisierung des staatlichen Eingriffs. Soweit die Freiheitsstrafe das Ehe- und Familienleben des Delinquenten und seiner Angehörigen stört, handelt es sich um unbeabsichtigte Folgewirkungen der Freiheitsstrafe 88 • Entscheidend ist dabei, daß die Verurteilung zu einer Haftstrafe ausschließlich darauf gerichtet ist, die Fortbewegungsfreiheit des Straftäters durch die Unterbringung in einer Vollzugsanstalt zu beschränken 89 . Gegenüber dieser primären Strafwirkung, an der die Kinder und Ehepartner des Gefangenen grundsätzlich nicht teilnehmen 90, sind alle weiteren Beeinträchtigungen als sekundäre Strafwirkungen bzw. als Nebenwirkungen der Freiheitsstrafe zu werten. Diese haben, soweit sie die Angehörigen des Gefangenen belasten, den Charakter einer Drittwirkung. Geht von der Freiheitsstrafe eine ehe- und familienschädigende Wirkung aus, so sind die Beeinträchtigungen der öffentlichen Gewalt im Sinne einer grundrechtlichen Verantwortung zuzurechnen. Maßgebend ist insofern, daß die Herrschaft über den Eintritt der Folgen beim Staat liegt und der Geschehensablauf, der zum Eingriff in ein grundrechtlich geschütztes Rechtsgut führt, der staatlichen Steuerung unterliegt 91 . Die Entscheidung, ob ein Straftäter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, liegt ebenso im Machtbereich des Staates wie die Ausgestaltung des Strafvollzuges. Mit der Anordnung und dem Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmt der Staat die Lebensverhältnisse des Delinquenten und nimmt damit gleichzeitig Einfluß auf die Situation der Angehörigen. Inwiefern die familiäre Lebenshilfe während der Haftzeit aufrechterhalten bzw. wiederhergestellt werden kann, ist von staatlichen Entscheidungen abhängig (vgl. §§ 11, 39, 80 StVollzG). Der Gefangene hat demgegenüber keine Möglichkeit, die eheVgl. BGHZ 56, I 63ff.; Deubner, JuS 1971, 622. Vgl. Deubner, JuS 1971, 622. KK Diese Nebenwirkungen sind als eine zusätzliche Verschlimmerung des Strafübels zu verstehen, siehe dazu Walter, in: FS Rechtswiss. Fakultät Köln, S. 557, 564. K9 Vgl. Morlok, in: Bemmann I Manoledakis (Hrsg.), Probleme des staatlichen Strafens unter besonderer Berücksichtigung des Strafvollzuges, S. 45, 55. 90 Vgl. Zipf, ZStW 86 (1974), 513, 529. 91 Vgl. BVerfGE 57, 9, 24; 66,39,62. l!Ii
K7
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
und familienschädigenden Auswirkungen der Freiheitsstrafe aufgrund eigener Initiative abzuwenden. Den getroffenen Feststellungen steht nicht entgegen, daß die Störung des Eheund Familienlebens auch auf die Straftat des Familienmitgliedes zurückzuführen ist. Denn der Umstand, daß der Staat auf ein Verhalten des Bürgers reagiert, ist grundsätzlich kein Kriterium, um einen hoheitlichen Eingriff in eine grundrechtlieh geschützte Sphäre zu verneinen. Anderenfalls könnte z. B. die Freiheitsstrafe nicht in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG eingreifen. Wenn aber eine hoheitliche Maßnahme die Grundrechte des "Veranlassers" beeinträchtigen kann, dann muß dies erst recht gelten, wenn neben dem Adressaten, auf dessen Verhalten der Staat reagiert, auch unbeteiligte Dritte betroffen sind 92 • Ein staatlicher Eingriff in das familiäre Lebenshilfesystem kann dann nicht angenommen werden, wenn der Delinquent bereits beim Einsetzen staatlicher Strafund Strafverfolgungsmaßnahmen außerstande war bzw. nicht gewillt war, seine familiäre Aufgabe - sei es als Ernährer oder als betreuender Elternteil - wahrzunehmen. In diesen Fällen fehlt es an einem kausalen Zusammenhang zwischen staatlicher Maßnahme und dem Verlust der familiären Funktion. Bezieht die Familie des Delinquenten staatliche Unterhaltsersatzleistungen nach §§ II ff. BSHG, weil keiner der Familienmitglieder in der Lage ist, die materielle Versorgung durch den Einsatz seiner Erwerbskräfte oder den Bezug von Lohnersatzleistungen (z. B. Arbeitslosengeld, Erwerbsunfahigkeitsrente) zu gewährleisten, besteht kein Lebenshilfesystem im materiell-wirtschaftlichen Sinne, in das der Staat schädigend eingreifen könnte. Entsprechendes gilt, wenn die immateriell-persönlichen Beziehungen innerhalb der Familie gestört sind und eine Betreuung der Kinder auch ohne die Freiheitsstrafe unterblieben wäre. Gegebenenfalls kann auch mit der Straftat eine Preisgabe der familiären Rolle erfolgt sein, so daß ein schädigender Eingriff des Staates nicht mehr in Betracht kommt. Anzunehmen ist dies z. B. bei Taten nach § 170 Abs. 1 StGB. Der Delinquent gibt in diesem Fall seine Rolle als Ernährer der Familie selbst auf, obwohl er in der Lage wäre, für den materiellen Unterhalt seiner Familienmitglieder aufzukommen. Wurde das Arbeitsverhältnis des Delinquenten nicht in Anbetracht der Strafuaft, sondern aus Anlaß der Straftat (außerordentlich) gekündigt, weil diese gegen den Arbeitgeber gerichtet war oder sich im Zusammenhang mit der Straftat Zweifel an der Zuverlässigkeit und der Eignung des Arbeitnehmers ergeben haben'ß, so ist die Annahme eines staatlichen Eingriffs in das familiäre Lebenshilfesystem nicht zwingend ausgeschlossen. Denn es besteht die Möglichkeit, daß dem Straftäter nach Ablauf der Sperrzeit gemäß § 144 Abs. I Nr. I SGB III ein Anspruch auf 92 Von diesen Voraussetzungen muß auch das BVerfG, NStZ 1985.357. ausgegangen sein. als es die Feststellung traf. die Vollstreckung der Freiheitsstrafe stelle einen tiefgreifenden Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich der Familie dar. 93 KÜllner/Eisemann, Personal handbuch 1998. Kündigung, außerordentliche. Rn. 40. 67. Kündigung, verhaltensbedingte, Rn. 41 - 44.
B. Unter grundrechtlichen Gesichtspunkten
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Arbeitslosengeld zusteht und er aufgrund der Lohnersatzfunktion, die dem Arbeitslosengeld zukommt, weiterhin den Lebensunterhalt seiner Angehörigen sicherstellen kann.
IH. Die Frage nach der Rechtfertigung der staatlichen Beeinträchtigungen
Der Befund, daß die Freiheitsstrafe in die durch Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG geschützten Rechte eines jeden in der Sache betroffenen Familienmitgliedes eingreifen kann, wirft die Frage nach einer verfassungsrechtlichen Legitimation dieser Grundrechtseingriffe auf, denn nur der legitimierte Grundrechtseingriff kann ein verfassungsgemäßer und damit zulässiger Eingriff sein. Da Art. 6 Abs. 1 GG das Recht auf Ehe und Familie ohne Vorbehalte gewährleistet, können Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ihre verfassungsrechtliche Legitimation - mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Werteordnung 94 - ausschließlich in kollidierendem Verfassungsrecht finden 95 . Für die Gewährleistung des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG gilt, daß Beschränkungen insofern zulässig sind, als sie dem Wohl des Kindes dienen (vgl. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG)96. Sind Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nicht durch das Wohl des Kindes zu rechtfertigen, wie dies der Fall ist, wenn ein Elternteil haftbedingt als familiärer Aufgabenträger ausfallt, können auch Beeinträchtigungen des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG lediglich durch kollidierendes Verfassungsrecht legitimiert sein 97 . Das kollidierende Verfassungsrecht umfaßt neben den Grundrechten jeden Rechtswert, der mit Verfassungsrang ausgestattet ist98 . Zu letzteren zählt auch das Institut der Freiheitsstrafe 99 • Die Anerkennung der Freiheitsstrafe durch die Verfassung läßt sich insbesondere anhand der Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 3, 12 Abs. 3,74 Nr. I sowie 104 Abs. I und 2 GG belegen 100. Als kollidierender Verfassungs wert steht Vgl. BVerfGE 28,243,261. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 14: Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 653. 96 Vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 36. 97 Vgl. BVerfGE 72, 122, 137: 66,116, 136: 73, 301, 305: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. I Rn. 37,39. 9R Vgl. BVerfGE 28, 243, 261: 67, 213, 228: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. I Rn. 38. 99 Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 142: Morlok, in: Bemmann / Manoledakis (Hrsg.), Probleme des staatlichen Strafens unter besonderer Berücksichtigung des Strafvollzuges, S. 45, 50. 100 Vgl. Schüler-Springorum, Strafvollzug im Übergang, S. 96 ff.: Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 142: Morlok, in: Bemmann / Manoledakis (Hrsg.), Probleme des staatlichen Strafens unter besonderer Berücksichtigung des Strafvollzuges, S. 45, 50: Tsatsos, in: Bemmann / Manoledakis (Hrsg.), Probleme des staatlichen Strafens unter besonderer Berücksichtigung des Strafvollzuges, S. 141. 94
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4 Gölle
I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
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die Freiheitsstrafe den Rechten eines jeden Familienmitgliedes gegenüber 101 . Dies folgt letztlich aus der Einheit, die eine Familie bildet. So wie es aufgrund der in einer Familie bestehenden persönlichen und wirtschaftlichen Verflechtungen unmöglich ist, nur den straffälligen Ehepartner bzw. Elternteil in seinen durch Art. 6 Abs. I und 2 S. 1 GG geschützten Rechten zu beschränken, ist es auch ausgeschlossen, die Belastungen verschiedenen Rechtfertigungsgründen zuzuordnen. Ebenso wie der Freiheitsentzug selbst kann auch eine Beschränkung des grundrechtlieh verbürgten Ehe- und Familienlebens nur gerechtfertigt sein, wenn das Interesse der Allgemeinheit am Einsatz der Freiheitsstrafe die grundrechtlieh geschützten Belange überwiegt. Ob dies der Fall ist, muß anhand einer einzelfallbezogenen Güterabwägung ermittelt werden, wobei die beiderseitigen Ausstrahlungswirkungen der Rechtswerte zu berücksichtigen sind 102. Als einschränkende staatliche Maßnahme muß sich die Freiheitsstrafe am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen 103. Den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips entspricht eine staatliche Maßnahme, wenn sie in bezug auf ihren Zweck geeignet und erforderlich ist und die rechtlich relevanten Auswirkungen der hoheitlichen Maßnahme nicht außer Verhältnis zu deren Zweck stehen 104. Dem Interesse der Allgemeinheit am Einsatz der Freiheitsstrafe liegen die Strafzwecke der Spezial- und Generalprävention zugrunde. Während die Spezialprävention die Vermeidung weiterer Straftaten durch Einwirkung auf den Täter zum Ziel hat, ist es das Anliegen der Generalprävention, durch Einwirkung auf die Allgemeinheit der Begehung von Straftaten vorzubeugen 105. Unter spezialpräventiven Aspekten erfolgt die Anordnung einer (vollstreckbaren) Freiheitsstrafe entweder zur "Besserung" des Täters oder - falls dieser einer "Besserung" nicht zugänglich ist - zur Sicherung der Allgemeinheit 106 • Soweit generalpräventive Erwägungen für eine Kriminalstrafe sprechen, ist zwischen der negativen und der positiven Komponente der Generalprävention zu unterscheiden 107 . Ziel der negativen Generalprävention ist die Abschreckung potentieller Rechtsbrecher 108 . Demgegenüber
Vgl. BVerfGE 51, 386, 396 ff. Vgl. BVerfGE 28, 243, 261; 30, 173, 195; 51, 324, 345 f.; 63, 131, 144; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II1/I, § 69 [[[ 5; Jarass, in: Jarass I Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn.41. 103 Vgl. BVerfGE 90, 145, 172 f.; Jarass, in: Jarass I Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 57a und 70a; Schönke/SchröderlStree, StGB, § 46 Rn. 74; Maurach/Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. I. § 7 Rn. 14; Walter, Strafvollzug, Rn. 41; Weigend, JZ 1986,260,267. 104 Siehe dazu BVerfGE 63, 131, 144; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 20 Rn. 74-76; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 58-61. 105 Maurach I Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. I, § 7 Rn. 6; Dölling, ZStW 102 (1990), I, 2. 106 Vgl. BVerfGE 45, 187, 257 f.; Maurach/Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. I, § 7 Rn. 9 f. 107 Vgl. BVerfGE45, 187,255; Maurach I Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. I, § 7 Rn. 7 f.; SK I Horn, StGB, § 46 Rn. 9; Walter, Strafvollzug, Rn. 50. 101
102
B. Unter grundrechtlichen Gesichtspunkten
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ist die posItIve Generalprävention darauf gerichtet, die Rechtstreue und das Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit zu stärken 109. Die Schuld des Taters bildet keinen Anknüpfungspunkt für einen eigenständigen Strafzweck l1o . Von Bedeutung ist die Schuld allerdings insofern, als sie Grundlage der Strafe ist 1ll . Darüber hinaus muß jede Strafe in einem gerechten Verhältnis zur Schuld des Taters stehen 112. Unter diesem Aspekt kommt dem Schuldprinzip die Funktion zu, den Strafzweckeinsatz auf das Maß einer schuldangemessenen Strafe zu begrenzen 113. Ist der Freiheitsentzug im Rahmen der schuldangemessenen Strafe spezialpräventiv geboten, um die Allgemeinheit vor einem gefahrlichen Tater zu schützen, so ist dies ein derart gewichtiges Interesse der Allgemeinheit, daß die Belange von Ehe und Familie regelmäßig zurücktreten müssen. Gefahrlich ist ein Tater, wenn von ihm auch in Zukunft schwerwiegende Straftaten zu erwarten sind 1l4 • Zu den schwerwiegenden Straftaten sind insbesondere Delikte zu zählen, die sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit richten. Schwerwiegend können aber auch Eigentums- und Vermögensdelikte sein, sofern sie Schäden großen Ausmaßes zur Folge haben und / oder die wirtschaftliche Existenz der Opfer gefahrden. Gegenüber der Gefahr massivster Straftaten kann weder die materiellwirtschaftliche Lebenshilfe im Rahmen der Familie noch die Pflege und Erziehung der Kinder vorrangig sein, denn es wäre unverantwortlich, einen Tater in Freiheit zu belassen, wenn von diesem eine erhebliche Gefahr für hochrangige Rechtsgüter ausgeht. Dabei entsprechen die Beschränkungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Im Allgemeinen ist davon auszugehen, daß die Freiheitsstrafe, die ohne Gewährung von Freigang und sonstigen Lockerungen vollzogen wird, geeignet ist, den Sicherungszweck zu erfüllen, denn durch die gesellschaftliche Ausgrenzung des Straftäters kann dieser daran gehindert werden, die Rechtsgüter Dritter zu schädigen. Insbesondere Gewalt- und Sexualtäter können durch die Unterbringung
108 BVerfGE 45,187,255; Maurach/Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. I, § 7 Rn. 8; SKI Horn. StGB. § 46 Rn. 11; Walter. Strafvollzug, Rn. 50. 109 BVerfGE 45, 187. 256; BGHSt 24, 40, 44 ff. und 64 ff.; Maurach/Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. I. § 7 Rn. 8; SKIHorn, StGB, § 46 Rn. 11; Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB. § 46 Rn. 3; Walter. Strafvollzug. Rn. 50. 110 Vgl. Maurach I Zipf, Strafrecht. Allg. Teil. Teilbd. I, § 7 Rn. 16; Walter, Strafvollzug, Rn. 48: anders BVerfGE 45, 187,258 f.; Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, § 46 Rn. 3. 111 Vgl. BVerfGE 20.323,331; 58,159,163; 80, 244, 255; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 70a. 112 BVerfGE 45. 187.228: 50. 5. 12; 73, 206. 253 f.; 86.288,313; Jarass, in: Jarass I Pieroth. GG. Art. 20 Rn. 70a. 113 Vgl. Maurach/Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. I, § 7 Rn. 15. 114 Von den gefahrlichen Delinquenten sind insbesondere die Straftäter zu unterscheiden, die zwar eine schwerwiegende Straftat begangen haben, von denen aber keine weiteren Rechtsverletzungen ausgehen werden, weil sie z. B. in einer Konfliktsituation gehandelt haben. vgl. Walter, Strafvollzug, Rn. 119; ders., in: Müller-Dietz IWalter (Hrsg.), Strafvollzug in den 90er Jahren. S. 19I. 196 ff.; ders., in: Gedächtnisschrift ftir Hilde Kaufmann, S. 493,
509.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
in einer geschlossenen Vollzugsanstalt von potentiellen Opfern ferngehalten werden 115. Ausnahmen gelten allerdings für alle Fälle, in denen dem Delinquenten die Rolle des planenden und lenkenden Hintermannes zukommt, denn diese "Funktion" kann dem Tater oftmals auch durch die Inhaftierung nicht genommen werden 116. Erforderlich ist der totale Freiheitsentzug, weil kein milderes Mittel in Betracht kommt, das den Sicherungszweck ebenso wirksam erfüllen kann wie die Strafhaft. Letztlich stehen die Nachteile, die sich für das familiäre Lebenshilfesystem ergeben, auch nicht außer Verhältnis zu dem mit der Freiheitsstrafe verfolgten Sicherungszweck. Insofern ist zu berücksichtigen, daß der Verlust des Ernährers ebenso wie der Ausfall des betreuenden Elternteils zumindest teilweise durch staatliche Leistungen kompensiert werden kann 117. Dient die Freiheitsstrafe ausschließlich dem Ziel, den Delinquenten an ein straffreies Leben heranzuführen, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß das Interesse der Allgemeinheit an der Verhängung der Freiheitsstrafe die Eingriffe in das Ehe- und Familienleben rechtfertigt. Entscheidend ist insofern, daß die Möglichkeiten einer Resozialisierung des Täters in Unfreiheit begrenzt sind l18 . Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Bemühungen um eine "Besserung" des Delinquenten im Rahmen der Strafhaft mit einer Vielzahl von Belastungen verbunden sind, die den Resozialisierungsprozeß wesentlich erschweren l19 . Auch wenn man der Strafhaft nicht jede Eignung, den Delinquenten zu einer straffreien Lebensführung zu veranlassen, abspricht, so kann doch keinesfalls angenommen werden, daß der Freiheitsentzug als schwerste Strafe den weniger einschneidenden Sanktionen - Geldstrafe und Freiheitsstrafe zur Bewährung - überlegen und daher erforderlich ist l2o . Vielmehr müssen zur Resozialisierung des Taters vorrangig Geld- und Bewährungsstrafe eingesetzt werden, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen l21 .
1I~ Vgl. Walter, Strafvol1zug, Rn. 117; ders., in: Mül1er-Dietz I Walter (Hrsg.), Strafvol1zug in den 90er Jahren, S. 191, 1%. 116 V gl. Walter, Strafvol1zug, Rn. 117; ders., in: Mül1er-Dietz I Walter (Hrsg.), Strafvol1zug in den 90er Jahren, S. 191, 196 f. 117 Vgl. dazu das 2. Kap. unter B. 118 Vgl. Walter, Strafvol1zug, Rn. 116. 121, 272 - 326; ders., in: Mül1er-Dietz I Waller (Hrsg.), Strafvol1zug in den 90er Jahren, S. 191, 195; Wagner, in: Müller-Dietz/Waller (Hrsg.), Strafvol1zug in den 90er Jahren. S. 183, 187 ff.; Horstkotte, in: Pfeiffer lOswaid (Hrsg.), Strafzumessung, S. 281, 284; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 760, 879; SK I Horn. StGB, § 46 Rn. 27: Böhm. Strafvollzug, S. 44 f. II~ Vgl. Waller. m: Mül1er-Dietz/Waller (Hrsg.), Strafvollzug in den 90er Jahren, S. 191, 195; ders., Strafvollzug, Rn. 279; Horstkotte, in: Stel1er I Dahle I Basque (Hrsg.), Straftäterbehandlung, S. 255 f. 120 Vgl. Walter, Strafvol1zug, Rn. 272. 121 Vgl. Waller, StrafVOllzug. Rn. 41; ders .. ZStW 95 (1983), 32,51; siehe dazu auch Kaiser, Kriminologie. § 91 Rn. 5; Albrechtl Dünkel I Spieß, MschrKrim 1981,310,314.323; Weigend, JZ 1986. 260. 266 f.; Wittstamm. ZfStrVo 1997,3.5.
B. Unter grundrechtlichen Gesichtspunkten
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Diesen Erwägungen steht nicht entgegen, daß auch Geldstrafen und zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen, sofern sie mit Auflagen nach § 56b Abs. 2 StGB verbunden sind, die Interessen der Familienmitglieder beeinträchtigen können. Entscheidend ist. daß diese Sanktionen auch für die Kinder und Ehepartner des Verurteilten weniger belastend sind 122 . Bezüglich der Geldstrafe ist hervorzuheben, daß sie die Familienmitglieder weder trennt noch dazu führt, daß der Verurteilte seine familiären Aufgaben - sei es als Ernährer oder als betreuender Elternteil - nicht mehr wahrnehmen kann 123. Die Wirkung der Geldstrafe auf die Ehepartner und Kinder des Delinquenten beruht darauf, daß die Familienmitglieder, sofern sie mit dem Verurteilten ein gemeinsames Leben führen und infolge dessen alle verfügbaren Mittel untereinander teilen, am Strafübel der Lebensstandardbeschränkung teilnehmen 124. Indem die Unterhaltsverpflichtungen des Delinquenten bei der Bemessung der Geldstrafe Berücksichtigung finden (§ 40 Abs. 2 S. I StGB)125, kann der Staat der Angehörigenwirkung der Geldstrafe nur begrenzt entgegentreten. Zwar werden dem Täter die finanziellen Mittel belassen, die er rein rechnerisch benötigt, um seine Angehörigen zu versorgen, doch bleibt die Gefahr, daß der Verurteilte die finanziellen Belastungen auf seine unterhaltsberechtigten Familienmitglieder abwälzt 126. Im Fall der Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nach § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt wurde, kann sich die Auflage, einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung (§ 56b Abs. 2 S. I Nr. 2 StGB) oder der Staatskasse (§ 56b Abs. 2 S. I Nr.4 StGB) zu zahlen, ähnlich wie eine Geldstrafe auf den Lebensstandard der unterhaltsberechtigten Angehörigen auswirken 127 • Wird dem Delinquenten nach § 56b Abs. 2 S. I Nr. I StGB zur Auflage gemacht, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, begründet die strafgerichtliehe Verurteilung keine "neue" Verpflichtung, sondern knüpft an eine ohnehin bestehende zivilrechtliehe Schadensersatzpflicht an 128 . So122 Vgl. Baumann. Beschränkung des Lebensstandards statt kurzfristiger Freiheitsstrafe. S. 49; Walter I Geiterl Fischer. NStZ 1990. 16. 19. 123 Dies gilt zumindest dann. wenn die Geldstrafe gezahlt wird. Für den FaII einer uneinbringlichen Geldstrafe steht der Freiheitsentzug als •.Ersatzmittel" im Hintergrund. vgl. § 43 StGB. 114 Vgl. Zipf. ZStW 86 (1974). 513. 529. 125 Vgl. OLG CelIe JR 1975.471 f.; OLG CelIe JR 1977.382 ff. mit Anm. Tröndle; OLG Oldenburg MDR 1975. 1038 f.; BayObLG NJW 1977.2088.2089; Tröndle. in: Tröndle/Fischer. StGB. § 40 Rn. 16; Schönke / Schröder / Stree. StGB. § 40 Rn. 14. 126 Vgl. Jescheck/Weigend. Lehrbuch des Strafrechts. S. 769 (Fn. 9); Tröndle. in: Tröndle/Fischer. StGB. Vor § 40 Rn. 3; Zipf. ZStW 86 (1974).513.529; Eisenberg. Kriminologie. § 33 Rn. 31. 34. 127 Bei der Bemessung der Geldauflage sind die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Taters zu berücksichtigen. vgl. Schönke / Schröder / Stree. StGB. § 56b Rn. 11. Mithin können auch die Unterhaltsverpflichtungen des Delinquenten in Ansatz gebracht werden. 128 Vgl. Trönd1e. in: Tröndle I Fischer. StGB. § 56b Rn. 6; Schönke/SchröderlStree. StGB. § 56b Rn. 9; Baur. GA 1957.338.340; Seelmann. JZ 1989.670.672 f.; krit. dazu Frehsee. NJW 1981. 1253 f.
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
weit nach § 56b Abs. 2 S. I Nr. 3 StGB gemeinnützige Leistungen vom Täter zu erbringen sind, z. B. die Ableistung von Arbeit in Krankenhäusern oder Heimen 129, wird die Arbeitskraft des Verurteilten nicht derart beansprucht, daß sich dies zum Nachteil seiner familiären Funktionen auswirken könnte 130 • Da Grundrechtsbeschränkungen nur gerechtfertigt sein können, wenn die staatliche Maßnahme in dem Sinne erforderlich ist, daß keine mildere, aber ebenfalls geeignete Maßnahme zur Verfügung steht, kann das Anliegen, den Täter im Wege der Strafhaft an ein straffreies Leben heranzuführen, im allgemeinen weder den Freiheitsentzug noch den Eingriff in den grundrechtlichen Ehe- und Familienschutz rechtfertigen 131. Soweit Freiheitsstrafen unter dem Aspekt der ..Besserung" vollstreckt werden, weil z. B. ambulante Resozialisierungsbemühungen fehlgeschlagen sind (vgl. § 56 f Abs. I StGB), können die Eingriffe in das durch Art. 6 Abs. I und 2 S. I GG geschützte Lebenshilfesystem nur dann legitimiert sein, wenn die Einwirkungen einer die Erfüllung familiärer Aufgaben ausschließenden Strafhaft unter (positiv) spezialpräventiven Aspekten erforderlich sind (vgl. § 2 S. I StVollzG). Anderenfalls ist auf das mildere Mittel eines durch die Gewährung von Freigang (§ ll Abs. I Nr. I StVollzG) gelockerten Strafvollzuges 132 oder einer Strafrestaussetzung gemäß § 57 Abs. I oder 2 StGB zurückzugreifen 133 • Vergleicht man den nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG gelockerten Strafvollzug, der eine Erwerbstätigkeit des Gefangenen außerhalb der Anstalt zuläßt, unter wirtschaftlichen Aspekten mit einer Strafrestaussetzung nach § 57 Abs. I oder 2 StGB, die mit einer Geldauflage nach §§ 57 Abs. 3, 56b Abs. 2 S. 1 Nr. 2 oder 4 StGB verbunden sein kann, so ist zu berücksichtigen, daß der außerhalb der Anstalt arbeitende Gefangene nach § 50 Abs. 2 StVollzG einen Haftkostenbeitrag zu entrichten hat l34 , der den Familienaufwand erhöht und das Familien129 Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, § 56b Rn. 8; a.A. Schönke/Schröder/Stree, StGB, § 56b Rn. 15. Zur Verfassungsmäßigkeit der Arbeitsauflage vgl. BVerfGE NJW 1991, 1043 f. 130 Vgl. § 56b Abs. I S. 2 StGB. 131 Zur KlarsteIlung ist darauf hinzuweisen, daß mit diesem Befund keine Absage an das Vollzugsziel der Resozialisierung verbunden ist, denn zum einen dürfte der Vollzug der Freiheitsstrafe auch dann kein "Verwahrungsvollzug" sein, wenn Freiheitsstrafen ausschließlich zur Sicherung der Allgemeinheit vor dem gefährlichen Täter verhängt werden. Der "Verwahrungsvollzug" wäre als ein Verstoß gegen die Menschenwürde zu werten, weil er den Delinquenten zum Objekt herabstufen würde, siehe dazu Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 152. Zum anderen muß es unter der Voraussetzung, daß der Einsatz der Freiheitsstrafe im konkreten Einzelfall durch den Sicherungsgedanken gerechtfertigt ist, das Anliegen des Strafvollzuges sein, die Möglichkeiten, die die Strafhaft für eine Resozialisierung des Taters bietet, im Interesse einer kontinuierlichen Sicherung auszuschöpfen, siehe dazu Walter, in: Müller-Dietz/Walter (Hrsg.), Strafvollzug in den 90er Jahren, S. 191, 196. Auf die Frage, ob andere Resozialisierungsbemühungen den Täter und seine Familie weniger belasten, kann es nicht mehr ankommen, wenn die Freiheitsstrafe bereits unter dem Aspekt der Sicherung der Allgemeinheit vor einem gefährlichen Täter legitimiert ist. 132 Vgl. Böhm, NStZ 1986,201. 133 Vgl. Walter/Geiter/Fischer, NStZ 1990,16,19.
B. Unter grundrechtlichen Gesichtspunkten
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budget ähnlich belasten kann wie eine Geldauflage nach §§ 57 Abs. 3, 56b Abs. 2 S. I Nr. 2 oder 4 StGB. Entsprechendes ist bei einem Vergleich des durch die Gewährung von Freigang gelockerten Vollzuges mit einer Geldstrafe bzw. einer Freiheitsstrafe zu beachten, deren Vollstreckung nach § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ebenso wie das Anliegen, den Täter im Wege des Strafvollzuges an ein straffreies Leben heranzuführen, sind auch generalpräventive Interessen der Allgemeinheit wenig "schlagkräftig", wenn es darum geht, die Auswirkungen der Freiheitsstrafe auf die Grundrechtssphäre des Delinquenten und seiner Familienangehörigen zu rechtfertigen. Dies gilt in erster Linie für den negativen Aspekt der Generalprävention. Von Bedeutung ist insofern, daß die Annahme, potentielle Täter würden gerade aus Furcht vor einem Freiheitsentzug von der Tatbegehung Abstand nehmen, bislang nicht empirisch belegt ist 133. In Anbetracht der schwerwiegenden Belastungen, die sich aufgrund einer Freiheitsstrafe für den Delinquenten und seine Familie ergeben, können Vennutungen nicht ausreichend sein, um die Eignung und Erforderlichkeit des Freiheitsentzuges im Verhältnis zur Geldstrafe bzw. einer Bewährungsstrafe zu begründen 136. Solange nicht feststeht, ob der (vollstreckbaren) Freiheitsstrafe als einer besonders schweren Sanktion im Vergleich zu weniger einschränkenden Maßnahmen ein relativ größerer Abschreckungseffekt zukommt, muß zugunsten der betroffenen Bürger angenommen werden, daß der Freiheitsentzug unter dem Aspekt der negativen Generalprävention kein erforderliches Mittel des Rechtsgüterschutzes ist. Demzufolge kann das Interesse der Allgemeinheit, potenielle Straftäter abzuschrecken, grundsätzlich nicht zur Legitimation der Grundrechtsbeschränkungen herangezogen werden, die mit einem Freiheitsentzug einhergehen. In bezug auf den Gedanken der positiven Generalprävention muß ebenfalls die Feststellung getroffen werden, daß keine Klarheit besteht, ob in bestimmten Fällen gerade der Freiheitsentzug erforderlich ist, um das Rechtsgefühl der Allgemeinheit zu stärken 137. Weitgehend gesichert ist jedoch die Erkenntnis, daß die Verhängung 134 Für das Kalenderjahr 1997 betrug der Haftkostenbeitrag in den "alten" Bundesländern 623.85 DM und in den .. neuen" Bundesländern 516.- DM; vgl. BAnz. Nr. 212 12009. Eine Verringerung des Haftkostenbeitrages kann sich dadurch ergeben. daß dem Gefangenen die Selbstverpflegung gestattet ist. vgl. Abs. I der VV zu § 50 StVollzG. Zu den Auswirkungen des Haftkostenbeitrages auf die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Gefangenen siehe unter C. I. 1. b) bb) (3). 135 Vgl. Albrechtl Dünkel I Spieß, MschrKrim 1981. 3\0, 313; Schöch, in: FS für Jescheck, S. 1081, \I04 f.; Döllinger, ZStW 102 (1990), 1,8; Albrecht, in: Kaiser/Kernerl Sackl Schellhoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch, S. 158 f.; SKI Horn, StGB, § 46 Rn. 30; Walter, in: Müller-Dietz/Walter (Hrsg.), Strafvollzug in den 90er Jahren, S. 191, 194; Weigend, JZ 1986,260,265 f.; Wolfslast, Anm. zu BGH v. 16.9. 1981, NStZ 1982, 112 f.; Wittstamm, ZfStrVo 1997,3,5; siehe dazu auch Ostendorf, ZRP 1976,281,284. 136 Vgl. Ossenbühl, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Bd. I, S. 458, 500. 506 f.; Weigend, JZ 1986, 260, 267. 137 Vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 881; SKI Horn. StGB, § 46 Rn. 10,30; Dölling, ZStW 102 (\990), 1,8 f.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
gerechter, an der Schuld des Täters ausgerichteter Strafen das Rechtsgefühl der Allgemeinheit positiv beeinflußt\38. In Anbetracht dessen spricht viel dafür, daß es unter dem Gesichtspunkt der positiven Generalprävention ausreichend ist, wenn der Freiheitsentzug in all jenen Fällen zum Einsatz kommt, in denen er ohnehin durch die Schuld des Täters geboten ist. Ob darüber hinaus (vollstreckbare) Freiheitsstrafen erforderlich sind, die ausschließlich vor dem Hintergrund der positiven Generalprävention verhängt werden, erscheint zweifelhaft. Geht man davon aus, daß ein Freiheitsentzug, der alleine aus Gründen der Schuldschwere anzuordnen war, geeignet und erforderlich ist, um das Rechtsgefühl und die Rechtstreue der Allgemeinheit zu stärken, dann stellt sich immer noch die Frage, ob der Aspekt der positiven Generalprävention auch einen Freiheitsentzug verlangt, der ohne Gewährung von Lockerungen vollzogen wird und damit den Gefangenen hindert, familiäre Aufgaben wahrzunehmen. Diese Frage ist zu verneinen. Die Ausgestaltung des Vollzuges unterliegt dem Ziel der Resozialisierung und dem Aspekt der Sicherung, nicht aber dem Strafzweck der positiven Generalprävention l39 . Dies hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 2 StVollzG klar zum Ausdruck gebracht l4o . Daß die Exekutive darüber hinaus ermächtigt werden sollte, dem Strafvollzug weitere Aufgaben zuzuweisen, ist nicht anzunehmen 141. Demnach kann für die positiv generalpräventive Wirkung der Freiheitsstrafe nur das Strafquantum entscheidend sein, so daß letztlich keine Form der Vollzugsgestaltung mehr oder weniger geeignet ist, das Ziel der positiven Generalprävention zu erreichen. Da das Verhältnismäßigkeitsprinzip die Wahl der milderen Maßnahme verlangt, ist grundsätzlich dem gelockerten Strafvollzug der Vorrang einzuräumen, ohne daß dieser Entscheidung das Interesse an positiver Generalprävention entgegensteht. Aus den Erörterungen folgt, daß grundsätzlich nur das Anliegen, die Allgemeinheit vor dem gefährlichen Täter zu schützen, den Einsatz der vollstreckbaren Freiheitsstrafe gegenüber den Grundrechten des Delinquenten und seiner Familienangehörigen rechtfertigen kann l42 . Da die Rechtsordnung aber auch Freiheitsstrafen vorsieht, die - im Rahmen der schuldangemessenen Strafe - ausschließlich unter 138 Vgl. Müller-Dietz, in: FS für Jescheck, S. 813, 823; Walter, in: Müller-Dietz/Walter (Hrsg.), Strafvollzug in den 90er Jahren, S. 191, 193 f.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 881. 139 Vgl. Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 64, 285, 287 ff.; Walter, Strafvollzug, Rn. 55 ff.; AK-StVollzG I Hoffmann I Lesting, § 11 Rn. 59; Dopslaff, ZStW 100 (1988), 567, 576; Kaiser, Anm. zu OLG Frankfurt v. 2. 9. 1982, NStZ 1983, 142, 143; Feest, Anm. zu OLG Frankfurt v. 2. 9. 1982, NStZ 1983, 143 f., 143; a.A. OLG Karlsruhe JR 1978, 213, 215 f.; OLG Frankfurt 1983, 140 ff. mit Anm. Kaiser und Feest; OLG Stuttgart NStZ 1984, 429 f. und 525 f. mit Anm. Müller-Dietz; Grunau, DRiZ 1978, 111, 112 f. 140 Vgl. Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 64,285,287 ff.; Dopslaff, ZStW 100 (1988), 567,576. 141 Vgl. Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 64, 285, 288. 142 Vgl. dazu Walter, in: Müller-Dietz/Walter (Hrsg.), Strafvollzug in den 90er Jahren, S. 191, 195; siehe auch Evangelische Akademie Amoldshain, Arnoldshainer Thesen zur Abschaffung der Freiheitsstrafe, S. 20, 24 f.
c. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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dem Aspekt der Resozialisierung oder aus generalpräventiven Erwägungen verhängt werden dürfen (vgl. §§ 47 Abs. 1,56 Abs. 1-3 StGB), ist nach den hier getroffenen Feststellungen davon auszugehen, daß Eingriffe in den familiären Lebensbereich des Delinquenten und seiner Angehörigen in diesen Fällen nicht ausreichend legitimiert und daher zu unterlassen sind. Vom Standpunkt der unterhaltsberechtigten Angehörigen, deren Interesse auf den Erhalt des familiären Lebenshilfesysternes bezogen ist, heißt dies jedoch nicht zwingend, daß von der Verurteilung zu vollstreckbaren Freiheitsstrafen abzusehen ist. Denn Eingriffe in das familiäre Lebenshilfesystem lassen sich auch dadurch verhindern, daß den Vollzugsbehörden die Verpflichtung obliegt, die Vereinbarkeit von familiärer Aufgabenerfüllung und Strafvollzug im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen herbeizuführen. Eine solche Verpflichtung kommt auch dann zum Tragen, wenn die vollstreckbare Freiheitsstrafe ausschließlich wegen der Schuldschwere zum Einsatz gekommen ist l43 .
C. Der Einfluß der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner von Gefangenen unter zivil rechtlichen Aspekten I. Die Abhängigkeit des Unterhaltsanspruchs von der Leistungsfähigkeit des Inanspruchgenommenen 1. Der Unterhalt im materiellen Sinne als Gegenstand der unterhaltsrechtlichen Beziehung
a) Zur Bedeutung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit im allgemeinen
Auch wenn die Bindung der Unterhaltspflicht an die Leistungsfahigkeit ein allgemeines Prinzip unterhaltsrechtlicher Beziehungen ist, so ist doch die Bedeutung, die der Leistungsfähigkeit bzw. der Leistungsunfähigkeit im Rahmen der einzelnen unterhaltsrechtlichen Beziehungen zukommt, nicht einheitlich. Es ist zu differenzieren zwischen dem Verwandtenunterhalt (§§ 1601 ff. BGB), der den Kindesunterhalt umfaßt, und dem Ehe- und Familienunterhalt, der verschiedenen Regelungen unterfäIIt, je nachdem, ob die Ehepartner gemeinsam oder getrennt leben oder geschieden sind (§§ 1360, 1361, 1569-1586b BGB). Für die unterhaltsrechtliche Beziehung zwischen Eltern und Kindern gilt die Regelung des § 1603 Abs. 1 BGB, wonach ein Verwandter dann nicht unterhaltspflichtig ist, wenn er bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefahrdung seines angemessenen Unterhalts einem Dritten Unterhalt zu gewähren. Die in § 1603 Abs. 1 BGB beschriebene Leistungsunfähigkeit l44 143
Dazu näher das 3. Kap. unter C.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
begründet eine rechtshindernde Einwendung 145. Für die Unterhaltsberechtigten (§§ 1601, 1602 BGB) bedeutet dies, daß ihnen grundsätzlich kein Unterhaltsanspruch zusteht, soweit sich der Inanspruchgenommene mit Erfolg auf seine Leistungsunfahigkeit berufen kann. Die Vorschrift des § 1603 Abs. I BGB beruht auf dem Grundsatz, daß der Selbsterhalt dem Fremderhalt vorgeht. Als Selbstbehalt kann der Unterhaltspflichtige gemäß § 1603 Abs. 1 BGB die Mittel beanspruchen, die er benötigt, um seinen eigenen angemessenen Unterhalt zu decken l46 • Dieser sog. angemessene Selbstbehalt muß der Lebensstellung des Unterhaltsschuldners entsprechen 147. Eine Sonderregelung zum Selbstbehalt enthält die Vorschrift des § 1603 Abs. 2 S. 1 und 2 BGB, wonach die Eltern gegenüber ihren minderjährigen unverheirateten Kindern verpflichtet sind, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden, wenn nicht ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist oder das Kind seinen Unterhalt aus dem eigenen Vermögen bestreiten kann. Entsprechendes gilt gemäß § 1603 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB für volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, solange diese im Haushalt der Eltern oder des Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulbildung befinden. Die Verwendung aller verfügbaren Mittel bedeutet für die Eltern, daß sie sich selbst auf das ftir ihre Existenz unbedingt Notwendige zu beschränken haben 148. Die gemäß § 1603 Abs. 1 BGB zu berücksichtigenden "sonstigen Verpflichtungen" umfassen neben den vor- und gleichrangigen Unterhaltsverpflichtungen auch anderweitige Verbindlichkeiten, die nicht im Unterhaltsrecht begründet sind l49 . Wahrend die Behandlung der vor- und gleichrangigen Unterhaltsverpflichtungen durch § 1609 BGB geregelt ist, fehlt es an einer Norm, die das Verhältnis zwischen der Unterhaltspflicht und den anderweitigen Verbindlichkeiten bestimmt. Rechtsprechung und h.M. in der Literatur gehen insofern davon aus, daß es einer am Einzel144 Der Begriff der Leistungsfahigkeit läßt sich sowohl in einem weiten als auch in einem engen Sinne verstehen. Während die Leistungsfähigkeit i.w.S. auch die Deckung des eigenen Bedarfs umfaßt, bezeichnet die Leistungsfähigkeit i.e.S. ausschließlich die Möglichkeit, die der Inanspruchgenommene hat, um für den Unterhalt Dritter aufzukommen, vgl. Erman I Holzhauer, BGB, Vor § 1601 Rn. 6 und § 1603 Rn. 2. Da gemäß § 1603 BGB der Selbsterhalt dem Fremderhalt vorgeht, setzt die Unterhaltspflicht die Leistungsfähigkeit i.e.S. voraus, vgl. Erman I Holzhauer, BGB, Vor § 1601 Rn. 6 und § 1603 Rn. 2. 145 Vg1. RGZ 49, 155, 157; BGHZ 82, 246, 250 f.; BVerfGE 68, 256, 270; RGRKI Mutschler, BGB, § 1603 Rn. I; Gernhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts, § 45 III 1; Palandt I Diederichsen, BGB, Einf v § 1601 Rn. 1; anders Göppinger I van Eis, Unterhaltsrecht, Rn. 1016. 146 Vg1. BGH NJW 1992, 1393, 1394; MK/Köhler, BGB, § 1603 Rn. 23. 147 Dies folgt aus § 1610 Abs. 1 BGB, siehe dazu Ermanl Holzhauer, BGB, § 1603 Rn. 18 und § 1610 Rn. I. Wie hoch der angemessene Unterhalt des Verpflichteten zu bemessen ist, ist eine Frage des Einzelfalles, siehe BGH NJW 1992, 1393, 1394; PalandtlDiederichsen, BGB, § 1603 Rn. 8. 148 Palandt/Diederichsen, BGB, § 1603 Rn. 25. 149 Vgl. MK/Köhler, BGB, § 1603 Rn. 24; Gemhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Fa. milienrechts, § 45 III 4; Soergell Häberle, BGB, § 1581 Rn. 10.
C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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fall ausgerichteten Interessenabwägung bedarf, bei der die Belange des Unterhaltsberechtigten, des Unterhaltsverpflichteten und der Gläubiger des Unterhaltspflichtigen einzubeziehen sind ISO. Dem liegt zugrunde, daß § 1603 Abs. 1 BGB weder den Unterhaltsinteressen noch der Erfüllung sonstiger Verpflichtungen einen grundsätzlichen Vorrang einräumt lsl . Daß die Unterhaltsansprüche in der Zwangsvollstreckung gemäß § 850d ZPO privilegiert sind, ist nur ein Aspekt im Rahmen der Interessenabwägung lS2 , denn die zwangsvollstreckungsrechtlichen Vorschriften bieten keine ausreichende Gewähr für einen sachgerechten Ausgleich zwischen den Beteiligten 1S3 . Im übrigen setzt § 850d ZPO gerade die materielle Entscheidung über den Bestand des Unterhalts anspruch voraus lS4 • In Abweichung zu den Regelungen des Verwandtenunterhalts liegt dem Recht des Ehe- und Familienunterhalts eine kollektive Ausrichtung zugrunde, und zwar insofern, als die wechselseitigen Unterhaltsansprüche der Ehegatten aus § 1360 BGB jeweils auf die Deckung des Bedarfs bei der Ehepartner bzw. des Bedarfs der gesamten Familie gerichtet sind ISS. Dies bringt es mit sich, daß sich ein Ehegatte nicht auf einen - dem Fremdunterhalt vorgehenden - angemessenen Selbstbehalt berufen kann ls6 . Vielmehr haben die Ehegatten in Notlagen alle erreichbaren Mittel einander zur Verfügung zu stellen 157. Die Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts eines Ehepartners führt nach § 1608 BGB lediglich dazu, daß der andere Ehegatte - seine Bedürftigkeit vorausgesetzt - berechtigt ist, seine Verwandten auf Unterhalt in Anspruch zu nehmen ls8 . Letztlich gilt aber auch für den ISO BGH FamRZ 1982, 157, 158; BGH FarnRZ 1984,657,658; BGH FarnRZ 1986,254, 257; BGH FamRZ 1990,283,287; OLG Harnm FarnRZ 1992, 1178, 1179; Palandt/Diederichsen, BGB, § 1603 Rn. 18; SoergellHäberle, BGB, § 1603 Rn. 14; RGRK/Mutschler, BGB, § 1603 Rn. 12; Errnan/Holzhauer, BGB, § 1603 Rn. 20; GöppingerlStrohal, Unterhaltsrecht, Rn. 358 und 374; Kalthoener I Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, Rn. 995 ff.; Gernhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Farnilienrechts, § 45 III 4; Fröschl, JuS 1993, 146, 150; a.A. Hoppenz, FarnRZ 1987,324,327 f. ISI BGH FamRZ 1982, 157, 158; BGH FarnRZ 1984,657,658; BGH FarnRZ 1986,254, 257; Fröschl, JuS 1993, 146, 150. IS2 BGH FamRZ 1984,657,658; OLG Karlsruhe FamRZ 1981,548,549; Palandt I Diederichsen, BGB, § 1603 Rn. 18; Kalthoener I Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, Rn. 1003; vgI. auch MK/Köhler, BGB, § 1603 Rn. 24; kritisch dazu Göppingerl Wax, Unterhaltsrecht, Rn. 16. IS3 Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, Rn. 1003. 154 Hoppenz, FarnRZ 1987, 324, 328. ISS Vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Farnilienrechts, § 2111, 2. IS6 MK/Wacke, BGB, § 1360 Rn. 8; SoergellLange, BGB, § 1360 Rn. 11; RGRK I Wenz, BGB, § 1360 Rn. 6. IS7 MK/Wacke, BGB, § 1360 Rn. 8; vgl. auch Errnan I Holzhauer, BGB, § 1608 Rn. 4. IS8 Der Gedanke der angemessenen Selbsterhaltung begrenzt somit nicht die eheliche Unterhaltspflicht, sondern bestimmt das Rangverhältnis zum nächsten unterhaltspflichtigen Verwandten; siehe dazu MK/Wacke, BGB, § 1360 Rn. 8; Staudinger/Hübner, BGB, § 1360 Rn. 14, 15; Soergel/Lange, BGB, § 1360 Rn. 11; RGRK/Mutschler, BGB, § 1603 Rn. I; Gernhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts, § 21110.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
Ehegatten- bzw. Familienunterhalt, daß derjenige, der nicht leisten kann, nichts schuldet l59 • Insofern kommt das allgemeine Prinzip unterhaltsrechtlicher Beziehungen zum Tragen 160. Ansatzpunkt dieses Prinzips ist im Rahmen des § 1360 BGB das Maß des jeweils geschuldeten Unterhaltsbeitrages 161. Der Unterhaltsbeitrag bestimmt sich nach dem Verhältnis, in dem die Arbeitskraft und das Vermögen des einen Ehegatten zu der Arbeitskraft und dem Vermögen des anderen Ehegatten stehen l62 • Ist ein Ehepartner nicht in der Lage, durch eine Erwerbstätigkeit, sein Vermögen oder durch die Führung des Haushalts zum Familienunterhalt beizutragen, so besteht ihm gegenüber kein Unterhaltsanspruch 163. Die Konzeption, die der Regelung des § 1603 BGB zugrunde liegt, wird für Ehepartner nur relevant, wenn sie getrennt leben (§ 1567 Abs. I S. 1 BGB) oder ihre Ehe geschieden ist. Auch wenn das Gesetz es für den Ehegattenunterhalt bei getrennter Lebensführung l64 nicht ausdrücklich fordert, so ist doch anerkannt, daß der Anspruch aus § 1361 Abs. 1 BGB entsprechend den Vorschriften zum Verwandten- und GeschiedenenunterhaIt die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen voraussetzt l65 . Im Rahmen der Vorschriften zum nachehelichen Unterhalt bestimmt § 1581 S. 1 BGB, daß ein Verpflichteter, der nach seinen Erwerbs- und Vermögensverhältnissen unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefahrdung des eigenen angemessenen Unterhalts dem Berechtigten Unterhalt zu gewähren, nur insoweit Unterhalt zu leisten braucht, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht. Die volle Wirkung einer rechtshindernden Einwendung kommt - anders als im Fall des § 1603 Abs. 1 BGB - erst der absoluten Leistungsunfahigkeit ZU 166 • Diese liegt vor, wenn der geschiedene Ehegatte überhaupt kein Einkommen hat oder seine Einkünfte nur zur Dekkung seines eigenen notwendigen Lebensbedarfs ausreichen l67 •
159 MK/Wacke, BGB, § 1360 Rn. 8; Soerge1/Lange, BGB, § 1360 Rn. 11; Gernhuberl Coester-Waitjen, Lehrbuch des Familienrechts, § 21 13. 160 RGRK/Mutschler, BGB, § 1603 Rn. 1. 161 Soergel/Lange, BGB, § 1360 Rn. 11; RGRK/Wenz, BGB, § 1360 Rn. 6. 162 MK I Wacke, BGB, § 1360 Rn. 8. 163 Soergel/Lange, BGB, § 1360 Rn. 11; MK/Wacke, BGB, § 1360 Rn. 8; Gernhuberl Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts, § 21 13. 164 Da die Ehegatten die Familieneinheit durch ihre Trennung aufgehoben haben, ist der Anspruch aus § 1361 Abs. 1 BGB - anders als der Unterhaltsanspruch aus § 1360 BGB nicht auf den Familienunterhalt, sondern ausschließlich auf den Unterhalt der Ehegatten gerichtet; siehe dazu Palandt/Diederichsen, BGB, § 1361 Rn. I; Erman I Heckelmann, BGB, § 1361 Rn. 5. 165 MK/Wacke, BGB, § 1361 Rn. 14,21; Palandt/Diederichsen, BGB, § 1361 Rn. 1822; AK-BGB I Derleder, § 1361 Rn. 3,9; Erman I Heckelmann, BGB, § 1361 Rn. 6. 166 Vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, § 1581 Rn. 22. 167 Palandtl Diederichsen, BGB, § 1581 Rn. 22.
c. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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Die Abhängigkeit des Unterhaltsanspruchs von der Leistungsfähigkeit des Inanspruchgenommenen unterscheidet die Unterhaltsforderung von anderen, auf eine Geldleistung gerichteten Ansprüchen, denn grundsätzlich gilt, daß der Mangel an Geld oder die Unfähigkeit, dieses zu beschaffen, weder die Entstehung der Geldforderung hindert noch von der Zahlungspflicht befreit l68 . Die abweichende Handhabung im Unterhaltsrecht läßt sich vor dem Hintergrund erklären, daß UnterhaItszahlungen i.d.R. nur sinnvoll sind, wenn sie den gegenwärtigen Bedarf des Berechtigten decken können, und es in Anbetracht dessen nicht sachgerecht sein kann, den Inanspruchgenommenen durch das Auflaufen von Unterhaltsverbindlichkeiten zu belasten 169.
b) Die Bestimmung der Leistungsfähigkeit von Gefangenen aa) Die Maßgeblichkeit der Haftsituation Da die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit gerade während des Zeitraumes vorliegen muß, für den Unterhalt beansprucht wird 170, und vom Unterhaltsschuldner nur das verlangt werden kann, was ihm in seiner jeweiligen Situation möglich und zumutbar ist l71 , hat die Feststellung, ob ein Gefangener unterhaltsrechtlich leistungs(un)fähig ist, unter Berücksichtigung der Haftsituation zu erfolgen. Mithin ist dem Umstand Rechnung zu tragen, daß der Inhaftierte im allgemeinen keiner "normalen" Erwerbstätigkeit nachgehen kann und er auch nicht in der Lage ist, diese Situation eigeninitiativ zu ändern 172. Zugrunde zu legen sind die Erwerbsmöglichkeiten, die sich dem Gefangenen während seiner Inhaftierung bieten. Auf Erwerbsquellen, die dem Inhaftierten vor seiner Verurteilung und der darauf folgenden Strafhaft offenstanden, darf bei der Bestimmung der Leistungsfähigkeit nicht abgestellt werden. Daß gemäß den §§ 11 Abs. I Nr. I, Abs. 2, 39 StVollzG auch eine Erwerbstätigkeit außerhalb der Anstalt möglich ist, gibt keinen Anlaß, den Gefangenen unterhaltsrechtlich einem freien Bürger gleichzusetzen. Insofern handelt es sich um eine Ausnahme von der absoluten Verwaltung des Gefangenen im Arbeitsbereich 173, die an besondere, außerhalb des Unterhaltsrechts liegende 16M OLG Hamm FamRZ 1984, 1033; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 250; ders., Schuldrecht I, Rn. 352. Das Unvennögen des Schuldners, die Geldschuld begleichen zu können, wird erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung relevant. da dem Vollstreckungsschuldner nur soviel genommen werden darf. wie er und seine unterhaltsberechtigten Familienmitglieder entbehren können (vgl. §§ 811. 850 ff. ZPOl. siehe dazu Medicus, Bürgerliches Recht. Rn. 250; ders., Schuldrecht I. Rn. 352 . •69 Vgl. MK/Köhler. BGB. § 1613 Rn. I. 170 Vgl. dazu unter B. I. 171 Vgl. dazu unter B. I.
172 BGH NJW 1982. 1812. 1813; 2491; OLG Hamm FamRZ 1984. 1033. 1034; OLG Zweibrücken FamRZ 1990.553.554; vgl. auch Roth-Stielow. NJW 1982,2853. der diesen Aspekt für unerheblich hält. 173 AK-StVollzG / Däubler / pecic. § 39 Rn. I.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
Voraussetzungen gebunden ist 174 • Im übrigen kann dem Gefangenen nicht entgegengehalten werden, er habe im Hinblick auf eine möglicherweise bevorstehende Freiheitsstrafe aus seinem Einkommen Rücklagen bilden müssen, um so während der Haftzeit seine Unterhaltsverpflichtungen erfüllen zu können; eine solche Obliegenheit wäre mit dem Erfordernis der zeitlichen Kongruenz zwischen Leistungsfähigkeit und Unterhaltsberechtigung unvereinbar 175 • Soweit der Gefangene jedoch Einkünfte erzielt, sind diese unterhaltsrechtlich beachtlich. Dies gilt für das Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG ebenso wie für Einkünfte aus einem freien Beschäftigungsverhältnis oder einer Selbstbeschäftigung; darüber hinaus auch für die Ausbildungsbeihilfe gemäß § 44 StVollzG, die einem Gefangenen als Ersatz für das ansonsten anfallende Arbeitsentgelt gewährt wird und die ihrer Rechtsnatur nach kein Entgelt für erbrachte Leistungen ist 176 . Entscheidend ist in diesem Zusammenhang der allgemeine Grundsatz, daß alle Einnahmen unabhängig von ihrer Herkunft oder Zweckbestimmung unterhaltsrechtlich in Ansatz zu bringen sind 177 . Dieser Sichtweise entspricht auch das StVollzG. Sowohl § 73 StVollzG, der die Anstalt verpflichtet, den Gefangenen in seiner Sorge um die unterhaltsberechtigten Angehörigen zu unterstützen, als auch die Regelung des § 52 StVollzG, die die Gutschrift von Eigengeld u. a. davon abhängig macht, daß die Bezüge nicht als Unterhaltsbeitrag in Anspruch genommen werden, machen nur Sinn, wenn die Einkünfte des Gefangenen zumindest im Grundsatz unterhaltsrechtlichen Zwecken offenstehen 178. Eine andere Frage ist allerdings, in welchem Umfang die Einkünfte eines Gefangenen für Unterhaltszwecke zur Verfügung stehen können 179 • In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß die §§ 47, 51 Abs. 1,52 StVollzG eine Aufteilung der Gefangenenbezüge in Haus-, Überbrückungs- und Eigengeld vorsehen und von Gefangenen, die in einem freien Vgl. §§ 11 Abs. 2, 39 Abs. 1 S. 1 StVollzG. OLG Zweibrücken FarnRZ 1990.553; Erman 1 Heckelmann, BGB. § 1360 Rn. 8; krit. dazu Kalthoener/Büttner. NJW 199\, 398.405. 176 Calliess/Müller-Dietz. StVollzG. § 44 Rn. 2; vgl. auch OLG Celle NStZ 198\, 78.79 mit Anm. Ballhausen. 177 Vgl. BGH FamRZ 1980.342.343; BGH NJW 198\, 1313. 1314; BGH FamRZ 1982. 252.253; PalandtlDiederichsen, BGB. § 1603 Rn. 5; RGRK 1Mutschler. BGB. § 1603 Rn. 2: AK-BGB/Derleder. § 1603 Rn. 3; Luthin. in: Köhler 1Luthin. Handbuch des Unterhaltsrechts. Rn. 108. m Unerheblich ist. daß die Vorschrift des § 49 StVollzG bis zum Inkrafttreten eines besonderen Bundesgesetzes suspendiert ist (vgl. § 198 Abs. 3 StVollzG) und es damit derzeit an einer Norm fehlt. die das Verfahren bei freiwilliger Erfüllung von gesetzlichen UnterhaItsverpflichtungen regelt. Der Gesetzgeber hat mit der Suspendierung des § 49 StVollzG nicht das Ziel verbunden. die Bezüge des Gefangenen der unterhaItsrechtlichen Verfügbarkeit zu entziehen. Vielmehr ist die Suspendierung vor dem Hintergrund zu sehen. daß Gefangene angesichts des geringen ArbeitsentgeIts nach § 43 StVollzG i.d.R. außerstande sind. UnterhaItszahlungen zu erbringen. vgl. BGH NJW 1982. 1812. 1813. Im übrigen ist darauf hinzuweisen. daß der Gesetzgeber durch die Regelungen des StVollzG ohnehin nicht in das UnterhaItsrecht eingreifen wollte. vgl. BT-Drs. 7/918. S. 70. 179 Vgl. KaIthoener 1 Büttner. Die Rechtsprechung zur Höhe des UnterhaItsrechts. Rn. 758. 174
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C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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Beschäftigungsverhältnis stehen, gemäß § 50 Abs. 2 StVollzG ein Haftkostenbeitrag erhoben werden kann. Bei der unterhaltsrechtlichen Bewertung der Einkünfte von Gefangenen kommt es darauf an, Widersprüche zu den Regelungen des StVollzG zu vermeiden. Sofern das Strafvollzugsrecht die Einkünfte des Gefangenen einem bestimmten Zweck unterstellt, sind sie dem Selbstbehalt des Inhaftierten zuzurechnen. Dies gilt auch dann, wenn das bürgerliche Recht - wie es beim Familienunterhalt nach § 1360 BGB der Fall ist - die Berufung auf einen Selbstbehalt grundsätzlich nicht vorsieht. Ausgangspunkt der Überlegung ist insofern, daß die unterhaltsrechtlichen Folgen einer zwangsweisen Trennung der Eheleute im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt sind. Insbesondere kann die Vorschrift des § 1361 BGB nicht maßgebend sein, weil das Getrenntleben i. S. d. § 1567 Abs. 1 S. 1 BGB eine Trennungsabsicht - zumindest eines Ehepartners - voraussetzt 180• Um der besonderen Situation, die durch die Inhaftierung eines Ehepartners entsteht, Rechnung tragen zu können, ist es erforderlich, den Familienunterhalt in seiner kollektiven Ausrichtung aufzuheben und dem inhaftierten Ehepartner einen Selbstbehalt einzuräumen. Dies führt dazu, daß zwischen dem Unterhalt des Gefangenen und seiner in Freiheit lebenden Angehörigen zu unterscheiden ist. Im Hinblick darauf, daß die Ehepartner einander alle verfügbaren Mittel zu gewähren haben, ist von einer gesteigerten Unterhaltspflicht auszugehen. Folglich kann sich der Inhaftierte gegenüber seinem Ehepartner lediglich auf den notwendigen Selbstbehalt berufen. Auch wenn sich die Bestimmung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit nicht in einer Betrachtung der Erwerbsmöglichkeiten erschöpft, sondern darüber hinaus vorhandene Vermögenswerte zu berücksichtigen sind 181 , soll doch im folgenden das Augenmerk lediglich auf die Einkünfte der Gefangenen gerichtet werden, denn zum einen bringt die Strafhaft gerade in diesem Bereich Veränderungen für den Verurteilten und seine Angehörigen. Zum anderen entspricht es dem Regelfall, daß eine Familie auf das Arbeitseinkommen mindestens eines Familienmitgliedes angewiesen ist, um den gemeinsamen Lebensunterhalt zu decken.
bb) Der Einfluß der §§ 47, 50 Abs. 2, 51 Abs. 1,52 StVollzG ( J) §
47 StVollzG
(a) § 47 Abs. 1 StVollzG Gemäß § 47 Abs. 1 StVollzG stehen einem nach §§ 43, 44 StVollzG berechtigten Gefangenen zwei Drittel seiner Bezüge als Hausgeld zu. Dieses darf der Gefangene z. B. für den Einkauf von Genußmitteln, zusätzlichen NahrungsmitIRO Vgl. BGHZ 38. 266 ff.; Palandt/Diederichsen. BGB. § 1567 Rn. 7 f.; MK/Wo1f. BGB. § 1567 Rn. 38. IRI Vgl. dazu unter B. 1.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
tein sowie Körperpflegepräparaten verwenden (vgl. §§ 47 Abs. 1,22 Abs. 1 S. 1 StVollzG). Damit dient es der Befriedigung persönlicher Alltagsbedürfnisse, die nicht von der Anstaltsversorgung abgedeckt werden. In Rechtsprechung und Literatur wird allgemein die Auffassung vertreten, daß der Gefangene das Hausgeld i.d.R. als Selbstbehalt beanspruchen kann, und zwar unabhängig davon, ob dem Gefangenen der angemessene Selbstbehalt zu belassen ist oder er der gesteigerten Unterhaltspflicht unterliegt und daher auf den notwendigen Unterhalt beschränkt ist l82 . Gegen die Heranziehung des Hausgeldes zu Unterhaltszwecken spricht in erster Linie die Bedeutung des § 47 Abs. 1 StVollzG. Die Regelung gewährleistet, daß der Gefangene einen unmittelbaren Vorteil aus seiner Arbeitsleistung zieht und er infolgedessen seinen geringen Lebensstandard verbessern kann l83 • Außerdem kann die Gewährung von Hausgeld dazu beitragen, daß der Gefangene den Umgang mit finanziellen Mitteln übt l84 • Beides wäre ausgeschlossen, wenn das Hausgeld unterhaltsrechtlich verfügbar wäre. Vielmehr müßte damit gerechnet werden, daß dem Gefangenen von seinem Arbeitsentgelt kein Betrag mehr verbleibt, den er nach eigenem Belieben verwenden kann. Im übrigen ist zu bedenken, daß § 47 Abs. 1 StVollzG jedem Gefangenen die Befugnis einräumt, zwei Drittel seiner gesetzlichen Bezüge für den Einkauf oder anderweitig zu verwenden, so daß die Vorschrift nur eingeschränkt Geltung hätte, wenn Gefangene, deren Angehörige unterhaltsberechtigt sind, auf das Hausgeld verzichten müßten. Der BGH I85 hat den Behalt des Hausgeldes bei gesteigerter Unterhaltspflicht wie folgt begründet: "Sonst würde den Strafgefangenen in zahlreichen Fällen, in denen sie ihren Kindern nach § 1603 11 1 BGB erhöht unterhaltspflichtig sind, der niedrige Betrag, den sie aus ihrem Arbeitsentgelt für zwar nicht elementare, aber doch notwendige und ihrer Art nach einfache Bedürfnisse erhalten, regelmäßig zumindest teilweise vorenthalten. Das wäre mit dem auch der Resozialisierung dienenden Grundsatz einer zwar geringfügigen, die Lebensverhältnisse des Gefangenen aber doch spürbar verbessernden Barentlohnung für geleistete Arbeit nicht zu vereinbaren. Dem geringen Nutzen, den ein Zugriff auf das Hausgeld den unterhaltsberechtigten minderjährigen Kindern - und an deren Stelle wohl im Regelfall der Sozialhilfe gewährenden öffentlichen Hand - brächte. stände damit eine erhebliche Beeinträchtigung des Haftziels der Resozialisierung gegenüber. Zudem wäre bei einem notwendig nur einen Teil der Häftlinge treffenden Zugriff auf das Hausgeld eine Gefährdung der Anstaltsordnung zu besorgen."
1M2 BGH NJW 1982. 1812. 1813; 2491; OLG München DAVonn 1984.77.78; LG Hof DAVonn 1980,664,665; Kalthoener/Büuner. Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts. Rn. 759; Göppinger IStroha1. Unterhaltsrecht. Rn. 465; Pa1andtl Diederichsen. BGB. § 1603 Rn. 25; MK/Köh1er. BGB. § 1603 Rn. 12; LKlDippe1. StGB. § 170b Rn.43. 1M3 Vgl. BGH NJW 1982.2491 f. IM Calliessl Müller-Dietz. StVollzG. § 93 Rn. 4; AK-StVollzG I Brühl. § 93 Rn. 9. IK5 BGH NJW 1982.2491 f.
C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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Nach einer Entscheidung des OLG Zweibrücken l86 soll das Hausgeld jedoch ausnahmsweise für den Unterhalt der (erstehelichen) minderjährigen Kinder verfügbar sein, wenn der Gefangene vor Antritt seiner Strafe in zweiter Ehe als Hausmann tätig war und von seiner Ehefrau unterhalten wurde. Das Gericht ging bei seiner Entscheidung davon aus, daß die Ehefrau auch während der Haft für die persönlichen Bedürfnisse ihres Ehemannes einzustehen habe, und zwar in Höhe des für den Gefangenen frei verfügbaren Hausgeldes. Da der Gefangene - so die Auffassung des Gerichts - in der Lage sei, seinen eigenen Bedarf aufgrund der Unterhaltsleistung seiner Ehefrau zu decken, sei ihm die Berufung auf den Selbstbehalt verwehrt. Vielmehr habe er den im Strafvollzug erzielten frei verfügbaren Teil seines Arbeitsentgelts für den Unterhalt seiner Kinder einzusetzen, wobei dies technisch derart gehandhabt werden könne, daß die Ehefrau des Gefangenen diesem das Hausgeld zur Verwendung innerhalb der Anstalt beläßt und ihm außerhalb der Anstalt einen gleich hohen Geldbetrag zur Verfügung stellt, den der Gefangene zugunsten seiner Kinder verwenden kann. Gestützt ist die Entscheidung auf den vom BGH 187 entwickelten Grundsatz, wonach sich ein wiederverheirateter Unterhaltsschuldner, der in der neuen Ehe die Haushaltsführung übernommen hat, gegenüber den Unterhaltsansprüchen seiner erstehelichen minderjährigen Kinder nicht auf einen Selbstbehalt berufen darf, wenn er wegen seines eigenen Unterhaltsbedarfs auf einen Unterhalts anspruch gegen den jetzigen Ehegatten verwiesen werden kann, sondern vielmehr gehalten ist, neben der Haushaltsführung eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und das damit erzielte - wenn auch nur geringfügige - Einkommen uneingeschränkt zur Befriedigung der Unterhaltsansprüche der erstehelichen Kinder einzusetzen. Der Entscheidung des OLG Zweibrücken ist zunächst entgegenzuhalten, daß dem Gefangenen mit dem Hausgeld ein Teil seines Arbeitseinkommens zur Verfügung stehen soll und dies auch gilt, wenn dem Gefangenen ein Anspruch auf Unterhalt gegenüber dem Ehepartner zusteht. Im übrigen kann der Gefangene grundsätzlich nur das aus seinen Bezügen gebildete Hausgeld für den Einkauf innerhalb der Anstalt verwenden. Lediglich unter der Voraussetzung, daß der Gefangene ohne eigenes Verschulden nicht über Haus- oder Taschengeld verfügt, erlaubt das StVollzG den Einkauf vom Eigengeld (§ 22 Abs. 3 StVollzG), das auch Zuwendungen Dritter umfassen kann 188. Ebenso wie es für die Arbeitspflicht nach § 41 StVollzG ohne Belang ist, ob der Gefangene vor dem Haftantritt Unterhaltsschuldner oder -gläubiger war, ist dem StVollzG eine solche Differenzierung auch bei der Zuweisung von Hausgeld fremd. Die Konzeption des StVollzG kann nicht dadurch umgangen werden, daß eine Unterhalts leistung des Ehepartners gedanklich an die 186
OLG Zweibrücken. FamRZ 1990.553 f.; dem folgend: Palandt/Diederichsen. BGB.
§ 1603 Rn. 25; zweifelnd Kalthoener I Büttner. Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts-
rechts. Rn. 759. 187 BGHZ 75. 272 ff. 188 Schwind I Böhml Matzke. StVollzG. § 52 Rn. 1; Schöch. in: Kaiser/KernerlSchöch. Strafvollzug. § 6 Rn. 119. 5 GöllC
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
Stelle des Hausgeldes tritt. Darüber hinaus ist zweifelhaft. ob die für den wiederverheirateten. in Freiheit lebenden Unterhaltsschuldner geltende unterhaltsrechtliche Obliegenheit auf den wiederverheirateten Unterhaltsschuldner. der sich in Strafhaft befindet. übertragbar ist. Die besondere Obliegenheit dessen. der gegenüber seinen erstehelichen Kindern unterhaltspflichtig ist und in zweiter Ehe die Haushaltsführung bzw. die Kinderbetreuung übernommen hat. beruht auf dem Gedanken. daß die Unterhaltspflichten gegenüber den minderjährigen Kindern aus verschiedenen Ehen gleichrangig sind l89 . Demzufolge kommt es darauf an. daß die Pflichterfüllung gegenüber den Kindern bzw. dem Ehegatten der zweiten Ehe nicht unter Vernachlässigung der Unterhaltspflichten gegenüber den erstehelichen Kindern erfolgt. Da ein Gefangener i.d.R. weder Unterhaltspflichten in einer bestehenden (zweiten) Ehe noch gegenüber Kindern aus einer früheren Ehe wahrnehmen kann. besteht für die Kinder aus einer früheren Ehe keine Benachteiligung. die durch den Einsatz des Hausgeldes zu Unterhaltszwecken ausgeglichen werden müßte. (b) § 47 Abs. 2 StVollzG Gemäß § 47 Abs. 2 StVollzG wird Gefangenen. die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen oder denen die Selbstbeschäftigung gestattet ist. ein angemessenes Hausgeld aus ihren Bezügen zugewiesen. Im Hinblick darauf. daß die Gefangenen in einem freien Beschäftigungsverhältnis bzw. aufgrund einer Selbstbeschäftigung besser verdienen als die übrigen Gefangenen. will die Regelung des § 47 Abs. 2 StVollzG einen weitgehend einheitlichen Lebensstandard innerhalb der Anstalt gewährleisten. um auf diese Weise unerwünschten subkulturellen Abhängigkeiten zwischen den Inhaftierten vorzubeugen l90 . Ebenso wie das Hausgeld gemäß § 47 Abs. 1 StVollzG ist auch der nach § 47 Abs. 2 StVollzG zugewiesene Betrag dem Gefangenen zu belassen. Allerdings wird man das Hausgeld nach § 47 Abs. 2 StVollzG lediglich dann im Rahmen des Unterhaltsrechts als verbindlich anerkennen können. wenn es nicht nur unter strafvollzugsrechtlichen Gesichtspunkten. sondern auch im Hinblick auf die unterhaltsrechtliche Situation des Gefangenen angemessen ist. Die Zuweisung des Hausgeldes darf keinesfalls zum Unterhaltsschuldnerschutz werden. Das StVollzG und die Verwaltungsvorschriften lassen offen. unter welchen Voraussetzungen das Hausgeld i. S. d. § 47 Abs. 2 StVollzG angemessen ist. Einen Orientierungspunkt bildet jedoch der Normzweck des § 47 Abs. 2 StVollzG. Wenn diese Vorschrift die Herstellung eines im wesentlichen einheitlichen Lebensstandards zum Ziel hat. dann ist ein Hausgeld. das im Durchschnitt dem nach § 47 Abs. I StVollzG auszuzahlenden Betrag entspricht. i.d.R. als angemessen i. S. d. BGHZ 75, 272, 275, 277. BT-Drs. 7/3998. S. 23; Calliess/Müller-Dietz. StVollzG. § 47 Rn. 3; Schwind 1 Böhm/Matzke. StVollzG. § 47 Rn. 3. 189
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C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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§ 47 Abs. 2 StVollzG zu werten J91 . Neben diesem strafvollzugsrechtlichen Orientierungspunkt bleibt Raum für unterhaltsrechtliche Aspekte. So kann das Hausgeld eines Gefangenen, der keine Unterhaltsansprüche zu erfüllen hat oder sich auf den angemessenen Selbstbehalt berufen kann, höher festgesetzt werden als das Hausgeld eines Gefangenen, der nach § 1603 Abs. 2 BGB der gesteigerten Unterhaltspflicht unterliegt und sich daher auf den notwendigen Selbstbehalt beschränken muß. Dabei darf es jedoch nicht dazu kommen, daß der Gefangene im freien Beschäftigungsverhältnis schlechter steht als der Gefangene, der zugewiesene Arbeit verrichtet, denn für den im freien Beschäftigungsverhältnis tätigen Gefangenen muß sich sein höherer Verdienst auch dann im Vergleich zu den übrigen Gefangenen "auszahlen", wenn er Unterhalt leistet. Ein anderes Ergebnis wäre unter Behandlungsgesichtspunkten kaum vertretbar.
(2) § 51 Abs. 1 StVollzG Gemäß § 51 Abs. 1 StVollzG soll das aus den Bezügen gebildete Überbrükkungsgeld den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangenen und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen für die ersten vier Wochen nach der Entlassung sicherstellen. Da diese Zielsetzung nur erreicht werden kann, wenn die gegenwärtigen Unterhaltsinteressen zurücktreten 192, ist der Regelung des § 51 Abs. 1 StVol1zG zu entnehmen, daß während der Haftzeit weder der als Überbrückungsgeld gutzuschreibende Teil der Bezüge noch das bereits gebildete Überbrückungsgeld für Unterhaltszwecke herangezogen werden darf. Erst nach der Haftentlassung ist das Überbrückungsgeld unterhaltsrechtlich verfügbar l93 . Um der Zweckbindung des § 51 Abs. 1 StVollzG Rechnung zu tragen, ist auch der auf das Überbrückungsgeld entfallende Anteil der Bezüge dem notwendigen Selbstbehalt des Gefangenen zuzurechnen 194. Sofern das Überbrückungsgeld noch nicht in vollem Umfang angespart ist, wird i.d.R. das nach der Gutschrift des Hausgeldes verbleibende Drittel der gesetzlichen Bezüge dem Überbrückungsgeld zugeschrieben 195, was unterhaltsrechtlich zur Folge hat, daß der Gefangene - stel1t man auf seine Bezüge aus der Gefangenenarbeit ab - absolut leistungsunfähig ist. Angesichts des geringen Arbeitsentgelts nach § 43 StVol1zG dauert es insbesondere dann, wenn der Gefangene nach seiner Entlassung eine große Familie zu versorgen hat, oftmals Jahre, bis das Überbrük191 Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 47 Rn. 3; Schwind/Böhm/Matzke, StVollzG, § 47 Rn. 3: anders AK-StVollzG/Däub1er/pecic. § 47 Rn. 10. In Vgl. aber die Ausnahmeregelung des § 51 Abs. 3 StVollzG. 193 BGH NJW 1982. 1812; 1982.2491; OLG München DAVorm 1984.77.78; Kalthoener/Büttner. Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts. Rn. 760; MK/ Köhler, BGB. § 1603 Rn. 12: Göppinger / Strohal. Unterhaltsrecht. Rn. 465. 1'14 OLG München DAVorm 1984.77.78. 195 Schwind/Böhm/Matzke. StVollzG. § 51 Rn. 5; krit. zu dieser Handhabung AKStVollzG/Däubler/pecic. § 51 Rn. 5.
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
kungsgeldkonto den erforderlichen Betrag aufweist. Bereits der Alleinstehende braucht zwei oder mehr Jahre, bis er das erforderliche Überbrückungsgeld angespart hat l96 . Häufig kann nur ein Teil des notwendigen Überbrückungsgeldes gebildet werden l97 . (3) § 50 Abs. 2 StVollzG
§ 50 Abs. 2 StVollzG ermächtigt die Vollzugsbehörde, von Gefangenen, die ihre Arbeitspflicht in einem freien Beschäftigungsverhältnis erfüllen, einen Haftkostenbeitrag zu verlangen. Für die Selbstbeschäftigung gilt gemäß § 50 Abs. 3 StVollzG, daß ihre Gestattung von einem monatlich im voraus zu entrichtenden Haftkostenbeitrag abhängig gemacht werden kann. Im Unterschied zur Gutschrift des Hausund Überbrückungsgeldes wird die Anstalt bei der Erhebung eines Haftkostenbeitrages in eigener Angelegenheit tätig. Es handelt sich hier um einen Anspruch der Vollzugsbehörde gegen den Gefangenen. Da der Haftkostenbeitrag lediglich den eigenen Lebensunterhalt des Gefangenen, nicht jedoch Personal- und Gebäudekosten 198 umfaßt, entspricht er der Sache nach dem Betrag, den ein freier Bürger als Selbstbehalt beanspruchen kann. Im Hinblick darauf, daß es grundsätzlich keinen Unterschied machen kann, ob der Unterhaltspflichtige seinen Lebensbedarf selbst deckt oder er in einer Anstalt versorgt wird und die Kosten dieser Versorgung zu tragen hat, sind dem Gefangenen die Mittel zu belassen, die er benötigt, um den Haftkostenbeitrag zu leisten l99 . Eine Norm, die das Verhältnis zwischen dem Haftkostenbeitrag und den unterhaltsrechtlichen Belangen bei der Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Gefangenen in besonderer Weise regelt, kennt das Strafvollzugsrecht nicht. Die Vorschrift des § 50 Abs. 2 S. 3 StVollzG, wonach der Haftkostenbeitrag von dem unpfändbaren Teil der Bezüge, nicht aber zu Lasten des Hausgeldes und des Unterhaltsbeitrages angesetzt werden darf, regelt nicht die Bemessung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit, sondern setzt diese - da ein Unterhaltsbeitrag nur bei leistungsfähigen Gefangenen in Betracht kommt vielmehr voraus 2OO • § 50 Abs. 2 S. 3 StVollzG privilegiert die Vollstreckungsbehörde bei der Geltendmachung des Haftkostenbeitrages für den Fall, daß andere Gläubiger des Gefangenen im Wege der Zwangsvollstreckung auf das Arbeitseinkommen zugegriffen haben und dem Gefangenen lediglich der nach § 850c ZPO unpfändbare Teil geblieben ist 2ol . 1% Böhm, Strafvollzug, S. 182; Schöch, in: Kaiser I Kerner I Schöch, Strafvollzug, § 6 Rn. 116. 197 Siehe dazu BAG-S, Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftierte, ZfStrVo 1993, 174, 178 f. 19R BVerfG NJW 1998, 3337, 3338; Schwind I Böhml Matzke, StVollzG, § 59 Rn. 2; Schöch, in: Kaiser I KernerlSchöch, Strafvollzug, § 6 Rn. 115; Keck, NStZ 1989, 309, 310; vgl. dazu auch § 50 Abs. 2 S. 3 i.d.F. des § 199 Abs. 2 Ziff. 3 StVollzG. 19'1 Vgl. § 1603 Abs. 1 BGB "bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen". 200 Entsprechendes gilt für Nr. 2 Abs. 3 der VV zu § 39 StVollzG, die die Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht vor der Leistung des Haftkostenbeitrag aufführt. ZUI Siehe dazu unter C. 11. 3. b).
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(4) § 52 StVollzG
Gemäß § 52 StVollzG sind die Bezüge des Gefangenen, die nicht als Hausgeld, Haftkostenbeitrag, Unterhaltsbeitrag oder Überbrückungsgeld in Anspruch genommen werden, dem Eigengeld des Gefangenen gutzuschreiben. Die Bildung von Eigengeld erweist sich damit in bezug auf die Verwendungen gemäß §§ 47, 50 Abs. 2, 51 Abs. I StVollzG als subsidiär202 • Auch im Rahmen des § 52 StVollzG ist davon auszugehen, daß die vorrangige Inanspruchnahme der Bezüge als Unterhaltsbeitrag die Feststellung der Unterhaltspflicht voraussetzt. Daher genügt es nicht, aus der Erwähnung des Unterhaltsbeitrages in § 52 StVollzG auf die unterhaltsrechtliche Verfügbarkeit des als Eigengeld gutzuschreibenden Arbeitseinkommens zu schließen. Vielmehr ist in der Sache zu argumentieren. Der Gefangene, der gesetzliche Bezüge nach §§ 43, 44 StVollzG erhält, kann seinen über die Anstaltsversorgung hinausgehenden persönlichen Lebensbedarf durch das Hausgeld in bescheidenem, aber nicht unzureichendem Umfang dekken 203 . Unterkunft, Verpflegung und Kleidung werden ihm im Rahmen der anstaltsmäßigen Unterbringung kostenfrei gewährt (vgl. § 50 Abs. 1 StVollzG). Vorbehaltlich der Regelung des § 51 Abs. 1 StVollzG und der "sonstigen Verpflichtungen" i. S. d. §§ 1603, 1581 BGB ist daher das verbleibende Arbeitsentgelt weder dem notwendigen noch dem angemessenen Selbstbehalt zuzurechnen 204 . Bei Gefangenen in einem freien Beschäftigungsverhältnis ist zu berücksichtigen, daß sie die Kosten für Fahrten zur Arbeitsstelle, Aufwendungen für Arbeitskleidung und Verpflegung am Arbeitsplatz zu tragen haben und ihnen daher neben dem Hausgeld, Überbrückungsgeld und dem Haftkostenbeitrag auch die insofern erforderlichen Mittel als Selbstbehalt zu belassen sind 205 • Da der von § 52 StVollzG erfaßte Teilbetrag der Gefangenenbezüge keiner bestimmten Verwendung zugeschrieben ist, besteht grundsätzlich keine sachliche Notwendigkeit, diesen Betrag den unterhaltsberechtigten Kindern und Ehepartnern vorzuenthalten.
cc) Die Berücksichtigung der "sonstigen Verpflichtungen" i.S.d. §§ 1603, 1581 BGB Zu den "sonstigen Verpflichtungen" der Gefangenen i.d.S. §§ 1603, 1581 BGB zählen beispielsweise Verbindlichkeiten gegenüber Banken, Finanzierungs- und Inkassobüros sowie Verpflichtungen, die sich im Zusammenhang mit der Straftat Schwind I Böhm I Matzke, StVollzG, § 52 Rn. 2. Vgl. dazu OLG Frankfurt NStZ 1993,559,560, das davon ausgeht, daß die Naturalleistungen der Anstalt keineswegs eine komplette Daseinsftirsorge gewährleisten und auch zusammen mit dem gering bemessenen Hausgeld keine ausreichende Alimentierung des Gefangenen sicherstellen; a.A. F1uhr. ZfStrVo 1994.7.8. 204 Vgl. dazu BVerfG NStZ 1982, 300; Calliess I Müller-Dietz. StVollzG. § 52 Rn. 1. 205 Vgl. Nr. 2 Abs. 3 a) der VV zu § 39 StVollzG. 202 203
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
ergeben haben, so z. B. die Schadensersatzverpflichtung aus unerlaubter Handlung gegenüber dem Tatopfer (§§ 823 ff. BGB), Regreßverbindlichkeiten bei Versicherungen sowie Verpflichtungen gegenüber Anwälten und der Staatskasse wegen der Gerichtskosten 206 • In Anbetracht der geringen Beträge, die der Gefangene überhaupt zur Erfüllung von Verpflichtungen einsetzen kann, ist der Rahmen für eine umfassende, am Einzelfall orientierte Interessenabwägung - wie sie die Rechtsprechung und die h.M. in der Literatur für Verbindlichkeiten nichtunterhaltsrechtlicher Art vorsieht 207 - auf das äußerste beschränkt, was insbesondere dann gilt, wenn der Gefangene die gesetzlichen Bezüge erhält. Werden die Bezüge des Gefangenen in vollem Umfang durch die §§ 47, 50 Abs. 2, 51 Abs. 1 StVollzG erfaßt, so kann weder den Unterhaltsinteressen noch sonstigen Belangen Rechnung getragen werden. Ist ein Teilbetrag des gesetzlichen Arbeitsentgelts verfügbar, kann i.d.R. nur im Sinne der Unterhaltspflicht oder der "sonstigen Verpflichtungen" entschieden werden, wobei offenkundig ist, daß weder eine nennenswerte Schuldentilgung in Betracht kommt, noch Unterhaltsleistungen erbracht werden können, die den Angehörigen die Inanspruchnahme staatlicher Unterhaltsersatzleistungen ersparen. Mithin kann es nur darum gehen, Aspekte aufzuzeigen, die im Einzelfall den Schritt in die richtige Richtung gewährleisten. Angenommen, im Rahmen einer umfassenden Abwägung wird den Unterhaltsbelangen der Vorrang eingeräumt, so führt dies dazu, daß dem Gefangenen kein Betrag verbleibt, den er einsetzen könnte, um seine bestehende Schuldenbelastung zu reduzieren oder zumindest durch Tilgung von Zinsforderungen ein weiteres Anwachsen seiner Verschuldung zu verhindern. Während es noch zumutbar sein mag, das Interesse an einer Reduzierung der Verbindlichkeiten den unterhaltsrechtlichen Belangen der Angehörigen hintanzustellen, so dürfte doch die Grenze dessen, was dem Gefangenen zuzumuten ist, erreicht sein, wenn dieser nicht mehr in der Lage ist, einer wachsenden Verschuldung entgegenzutreten 208 • Im übrigen liegt in einer wachsenden Schuldenbelastung, die das wirtschaftliche Leistungsvennögen bei weitem übersteigt, auch regelmäßig die Gefahr, daß Unterhaltszahlungen auf Dauer ausgeschlossen sind. In Anbetracht dessen ist es sogar im Interesse der unterhaltsbedürftigen Angehörigen, wenn der Unterhaltspflichtige die Möglichkeit hat, seine Verbindlichkeiten zu reduzieren bzw. zu begrenzen 209 .
206 Vgl. Zimmermann, Die Verschuldung der Strafgefangenen, S. 46; Kühne, in: Schwind/Steinhilper, Modelle zur Kriminalitätsvorbeugung und Resozialisierung, S. 203, 211 f.; Bachmann, ZfStrVo 1989,279,280; Baumeister, ZfStrVo 1988,323,324; Maelicke, Entlassung und Resozialisierung, S. 50; Seebode, ZRP 1983, 174, 175; siehe auch BAG-S, Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftierte, ZfStrVo 1993, 174, 178. 207 Vgl. dazu unter C. I. I. a). 208 Vgl. BGH FamRZ 1982, 678, 679; BGH FamRZ 1986, 254, 257; OLG Karlsruhe FamRZ 1981,548,549; Soergel I Häberle, BGB, § 1603 Rn. 15; Fröschl, JuS 1993, 146, 150; Empfehlungen des 10. Deutschen Familiengerichtstages, FamRZ 1994, 358 (A I 1.2. c) 209 Vgl. MK/Köhler, BGB, § 1603 Rn. 24.
C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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Diese Erwägungen haben grundsätzlich auch zu gelten, wenn minderjährige Kinder betroffen sind. Ihren unterhaltsrechtlichen Interessen kommt im allgemeinen ein besonderes Gewicht zu, weil ihnen gegenüber nach § 1603 Abs. 2 BGB eine verstärkte Unterhaltspflicht besteht und sie aufgrund ihres Alters i.d.R. nicht in der Lage sind, durch eigene Anstrengung ihren notwendigen Lebensbedarf zu decken 21O• Auch wenn diese Umstände i.d.R. dazu führen, daß der Unterhaltsschuldner verpflichtet ist, einen den Sätzen der Regelbetrag-Verordnung entsprechenden Kindesunterhalt zu leisten, bevor anderweitige Verpflichtungen Berücksichtigung finden 2ll , so besteht doch kein allgemeiner Grundsatz, wonach den Interessen der minderjährigen Kinder ein genereller Vorrang einzuräumen ist 212 • Eine abweichende Entscheidung wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn der Unterhaltspflichtige eine Freiheitsstrafe verbüßt und auf das Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG beschränkt ist. Das StVollzG läßt die Tendenz erkennen, die unterhaltsrechtlichen Belange stärker hervorzuheben als den Aspekt der Schuldenreduzierung bzw. -begrenzung. Während die unterhaltsrechtlichen Belange wiederholt angesprochen werden 2 \3, findet die allgemeine Entschuldung der Gefangenen keine ausdrückliche Erwähnung 214 • Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, daß die Vorschriften des StVollzG die Feststellung der Unterhaltspflicht voraussetzen (vgl. §§ 52, 73 StVollzG) und damit nicht zu einer vorrangigen Beachtung der unterhaltsrechtlichen Interessen zwingen. Zum Tragen kommt die stärkere Stellung der unterhaltsrechtlichen Belange allerdings bei der Bildung des Überbrückungsgeldes, das den notwendigen Lebensbedarf des Gefangenen und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen für den Zeitraum von vier Wochen nach der Haftentlassung sichern soll. Um das Überbrückungsgeld anzusparen. werden die gesetzlichen Bezüge regelmäßig in vollem Umfang ausgeschöpft 215 , so daß in der Zeit des Ansparens keine Schulden getilgt werden können. Die Schulden aus der Straftat nehmen grundSätzlich keine Sonderstellung unter den ..sonstigen Verpflichtungen" des Inhaftierten ein 216 • Insbesondere sind sie 210 BGH FamRZ 1984,657,659; BGH FamRZ 1986,254,257; Fröschl, JuS 1993, 146, 150; Bernreuther. FamRZ 1995.769,772. 211 Vgl. die auf die früher geltende Regelunterhalt -Verordnung bezogene Rechtsprechung und Literatur: BGH FamRZ 1984,657,659; BGH FamRZ 1986.254.257; SoergellHäber\e, BGB. § 1603 Rn. 15; Bernreuther, FamRZ 1995,769,772. 212 BGH FamRZ 1986.254.257; BGH FamRZ 1984,657,659; Soerge1/Häberle, BGB, § 1603 Rn. 15; Bernreuther. FamRZ 1995,769,772; siehe dazu auch die Empfehlungen des 10. Deutschen Familiengerichtstages, FamRZ 1994. 358 (A I 1.2). 213 Vgl. §§ 51. 52. 73. 75 Abs. 3 S. 2 StVollzG. 214 Im Rahmen des § 73 StVollzG wird lediglich die Pflicht, den durch die Straftat verursachten Schaden zu ersetzen, ausdrücklich erwähnt. Zu den Bemühungen um eine Schuldenregulierung im StrafvOllzug siehe Baumeister ZfStrVo 1988, 323 ff. und ZfStrVo 1991, 339 ff.; Freytag, ZfStrVo 1990,259 ff.; Moll/Wulf. ZfStrVo 1986.323 ff.; Seebode. ZRP 1983, 174 ff. 215 Vgl. Nr. 1 Abs. 1 der VV zu § 51 StVollzG; krit. dazu Vo\ckart, ZfStrVo 1983,41,42 f.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
nicht schlechthin unbeachtlich, weil der Unterhaltsberechtigte auf diese Weise mit den Folgen der Straftat belastet wird. Die Schadensersatzpflicht gegenüber dem Tatopfer ist ebenso wie die Unterhaltspflicht eine kraft Gesetzes auferlegte Verpflichtung, der ein gewichtiges Interesse zugrunde liegt. Treffen beide Verpflichtungen in einer Person zusammen, so ist zunächst von deren Gleichrangigkeit auszugehen 217 . Könnte der Unterhaltspflichtige die Schadensersatzforderung in Anbetracht seines strafbaren Verhaltens bei der Bestimmung seiner Leistungsfähigkeit nicht in Ansatz bringen, so wäre dies eine massive Benachteiligung der Tatopfer, die insbesondere dann zum Tragen käme, wenn das Opfer durch die Tat schwere Schäden erlitten hat und anderweitige Ersatzmöglichkeiten, wie es beim Anspruch auf Schmerzensgeld der Fall ist218 , ausscheiden. Daß § 850f Abs. 3 ZPO den Unterhaltsgläubigem den Vorrang gegenüber den Deliktsgläubigem in der Zwangsvollstreckung einräumt, kann lediglich ein Aspekt im Rahmen der Interessenabwägung sein 219 . Es wird vorgeschlagen, die aus der Straftat entstandene Schadensersatzpflicht entsprechend den Grundsätzen zu behandeln, die zur Beachtlichkeit der haftbedingten Leistungsunfähigkeit entwickelt wurden 220. Diesen Grundsätzen zufolge hat eine Schadensersatzpflicht lediglich dann hinter den unterhaltsrechtlichen Belangen zurückzutreten, wenn ihre Berücksichtigung im Verhältnis der Unterhaltsparteien zueinander als ein Verstoß gegen das Prinzip von Treu und Glauben zu werten ist 221 . I.d.R. werden dies Fälle sein, in denen der Unterhaltsberechtigte selbst oder ein nahes Familienmitglied Opfer der Tat geworden ist222 •
c) Haftbedingte Leistungsunfähigkeit: Eine beachtliche Einwendung?
aa) Begriff und Wesen der haftbedingten Leistungsunfähigkeit Soweit es die Haftsituation nicht zuläßt, daß der Gefangene Unterhaltsleistungen erbringen kann, ist von haftbedingter Leistungsunfähigkeit zu sprechen 223 . Da das 216 Hoppenz, FamRZ 1987, 324, 326. Bezüglich der Kosten der Verteidigung in einem Strafverfahren siehe § 1360a Abs. 4 S. 2 BGB. 217 Vgl. Göppinger I Wenz, Unterhaltsrecht (Voraufl.), Rn. 1203. 218 Vgl. dazu das OEG, das keine Leistungen zum Ausgleich immaterieller Schäden vorsieht. 219 BGH FamRZ 1984,657,658; OLG Karlsruhe FamRZ 1981,548,549; Palandt/Diederichsen, BGB, § 1603 Rn. 18; Kalthoener I Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, Rn. 1003; vgl. auch MK I Köhler, BGB, § 1603 Rn. 24; krit. dazu Göppinger I Wax, Unterhaltsrecht, Rn. 16. 220 Vgl. Göppinger/Wenz, Unterhaltsrecht (Voraufl.), Rn. 1203; Hoppenz, FamRZ 1987, 324, 326. Zu den bei haftbedingter Leistungsunfahigkeit geltenden Grundsätzen siehe die ausführliche Darstellung unter eIl c) bb). 221 Göppinger/Wenz, Unterhaltsrecht (Voraufl.), Rn. 1203; Hoppenz, FamRZ 1987, 324, 326; vgl. auch RGRK/Mutschler, BGB, § 1603 Rn. 14. 222 Vgl. RGRK/Mutschler, BGB, § 1603 Rn. 14.
C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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unterhaltsrechtliche Leistungsvennögen im Hinblick auf die jeweils bestehende Situation zu bestimmen ist, muß davon ausgegangen werden, daß dieser Begriff den aktuellen Grund der Leistungsunfahigkeit beschreibt224 . So verstanden, sagt der Begriff grundsätzlich nichts über eine Verschlechterung der Leistungsfähigkeit infolge der Strafhaft aus. Haftbedingt leistungsunfähig kann also auch der Gefangene sein, der bereits vor seiner Inhaftierung nicht in der Lage war, zum Lebensunterhalt seiner Familie beizutragen. War der Gefangene z. B. infolge von Langzeitarbeitslosigkeit außerstande, für seine Angehörigen zu sorgen, so ändert sich mit der Inhaftierung der Grund der unterhaltsrechtlichen Leistungsunfähigkeit, denn die Arbeitsmarktlage, die vor der Haft die Leistungsunfahigkeit begründet hat, ist nach der Inhaftierung weitgehend irrelevant. I.d.R. wird die haftbedingte Leistungsunfahigkeit jedoch nur zum Thema, wenn der Gefangene vor dem Einsetzen staatlicher Straf- und Strafverfolgungsmaßnahmen leistungsfahig war. Dann nämlich stellt sich die Frage, ob der Gefangene von einer bislang bestehenden Unterhaltspflicht frei wird oder er trotz tatsächlich bestehender Leistungsunfahigkeit weiterhin unterhaltspflichtig ist, so daß er den Unterhalt nachzuzahlen hat. Sofern der Gefangene schon vor seiner Inhaftierung außerstande war, seine Angehörigen zu unterhalten, läßt sich lediglich die Feststellung treffen, daß er auch weiterhin keinen Unterhalt schuldet. Der Begriff der haftbedingten Leistungsunfahigkeit ist unabhängig davon zu verwenden, ob der Gefangene vor seiner Haft willens war, Unterhalt zu gewähren oder nicht. Denn auch derjenige, der vor seiner Haft nicht zu Unterhaltsleistungen bereit war, kann durch die Strafhaft an Unterhaltszahlungen gehindert sein 225 • Folglich kann eine haftbedingte Leistungsunfähigkeit auch bei Gefangenen eintreten, die wegen Unterhaltspflichtverletzung nach § 170 Abs. 1 StGB verurteilt wurden 226 • Eine andere Frage ist jedoch, ob sich der Gefangene mit Erfolg auf die haftbedingte Leistungsunfähigkeit berufen kann. Die haftbedingte Leistungsunfähigkeit hat regelmäßig den Charakter einer selbstverschuldeten Leistungsunfahigkeit227 • Kennzeichnend ist insofern, daß der Schuldner die Leistungsunfahigkeit selbst verursacht hat, wobei ihm der Vorwurf zu machen ist, er habe die Folgen eines Verhaltens vorhersehen und damit venneiden können228 • Im allgemeinen liegt das schuldhafte Verhalten des Gefangenen in der Straftat, die zur Verurteilung geführt hat. Möglich ist aber auch, daß die Lei-
Vgl. BGH NJW 1982,2491,2492; OLG Zweibrücken FamRZ 1990,553,554. Vgl. BGHSt 14, 165, 169. 225 Vgl. BGHSt 14,165,169; AK-StVollzG I Bertram I Huchting, § 73 Rn. 14. 226 Mit dem Eintritt der haftbedingten Leistungsunfähigkeit kann eine Tat nach § 170 Abs. I StGB ihren Abschluß finden, siehe dazu LK/Dippel, StGB, § 170b Rn. 73. 227 BGH NJW 1982, 1812, 1813; 1982,2491,2492; OLG Düsseldorf FamRZ 1980,718, 719; OLG Hamm FamRZ 1984, 103; Soergel I Häberle, BGB, § 1603 Rn. 13; Ruppin, ZBIJugR 1978,513,514. 228 Vgl. BGH NJW 1982, 1812,1813; Soergel I Häberle, BGB, § 1603 Rn. 13. 223
224
I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
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stungsunfähigkeit des Gefangenen auf einem Verhalten während der Haft beruht. Zu denken ist hier an den Fall, daß ein Gefangener, der aufgrund seiner Tätigkeit in einem freien Beschäftigungsverhältnis leistungsfähig ist, seinen Freigängerstatus und das freie Beschäftigungsverhältnis infolge eines Mißbrauchs oder aufgrund eines Verstoßes gegen Weisungen verliert (v gl. §§ 14 Abs. 2, 39 Abs. 1 S. 2 StVollzG) und in Anbetracht dessen fortan nicht mehr zu Unterhaltszahlungen in der Lage ist. Die haftbedingte Leistungsunfähigkeit stellt sich regelmäßig als ein "Produkt" von Strafhaft und Straftat dar. Sowohl der Gefangene als auch der Staat treten als Verursacher hervor. Während die Bezeichnung "haftbedingt" die Verbindung zum Vollzug der Freiheitsstrafe herstellt, weist die Charakterisierung als "selbstverschuldet" auf die Verursachung durch den Gefangenen hin.
bb) Die Entscheidung über Beachtlichkeit bzw. Unbeachtlichkeit der haftbedingten Leistungsunfähigkeit (1) Meinungsstand
(a) Rechtsprechung und h.M. im Schrifttum Gemäß der Rechtsprechung 229 und der h.M. in der Literatur230 befreit eine infolge längerer Strafhaft eintretende Leistungsunfähigkeit von der Unterhaltspflicht, weil der Gefangene keiner "normalen" Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Eine Ausnahme soll nur dann gelten, wenn sich der Inhaftierte unter Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auf seine Leistungsunfähigkeit beruft. Grundlegend ist dabei die Überlegung, daß die Leistungsunfähigkeit i.d.R. auch dann beachtlich ist, wenn der Unterhaltspflichtige sie schuldhaft verursacht hat231 • Zur Begründung wird angeführt, das Gesetz sehe zwar in schwerwiegenden 229 BGH NJW 1982, 1812, 1813; 2491, 2492; OLG DüsseldorfFamRZ 1980,718 f.; OLG Hamm FamRZ 1984, 1033 ff.; OLG München DAVorm 1984, 77 ff.; OLG Kar1sruhe DAVorm 1987,674 ff.; OLG Stuttgart DAVorm 1989,528 ff.; OLG Zweibrücken FamRZ 1990, 553 ff.; LG Berlin DAVorm 1975,43 f.; LG Hamburg DAVorm 1977,770 f.; AG Baden-Baden DAVorm 1976, 115, 116; AG Groß-Gerau DAVorm 1984, 192 ff. 230 Göppinger IStrohal, Unterhaltsrecht, Rn. 380; Ka1thoener I Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, Rn. 669; RGRK/Mutschler, BGB, § 1603 Rn. 7: Soergell Häberle, BGB, § 1603 Rn. 8, § 1615h Rn. 7, § 1581 Rn. 5; PalandtlDiederichsen, BGB, § 1603 Rn. 15; Erman/Holzhauer, BGB, § 1603 Rn. 9; AK-BGB/Derleder, § 1603 Rn. 6: Hoppenz, NJW 1984,2328; LK I Dippel, StGB, § 170b Rn. 38. 231 BGH NJW 1982, 1812, 1813; 2491, 2492; OLG Düsseldorf FamRZ 1980,718,719; OLG Hamm FamRZ 1984, 1033; OLG München DAVorm 1984,77,79: OLG Stuttgart DAVorm 1989,528,529; GöppingerlStrohal, Unterhaltsrecht, Rn. 378,380: Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, Rn. 574 und 582; RGRK I Mutschler, BGB, § 1603 Rn. 7; Palandt/Diederichsen, BGB, § 1603 Rn. 15; Hoppenz NJW 1984,2327; AK-BGB/Derleder, § 1603 Rn. 6; Soegel I Häberle, BGB, § 1581 Rn. 5 und § 1603 Rn. 13; Erman I Holzhauer, BGB, § 1603 Rn. 9.
c. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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Fällen einer selbstverschuldeten Bedürftigkeit einen Verlust des Unterhaltsanspruches vor (vgl. §§ 1579 Nr. 3, 1611 Abs. I BGB), kenne jedoch keine Vorschrift, die Entsprechendes in bezug auf eine selbstverschuldete Leistungsunfähigkeit bestimmt232 • Ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben soll vorliegen, wenn die Tat verübt wurde, um sich absichtlich der Pflicht zum Unterhalt zu entziehen 233 , ein Zusammenhang mit der Unterhaltspflicht in der Weise besteht, daß die Vorstellungen und Antriebe, die der Straftat zugrunde liegen, sich auf die Leistungsunfähigkeit als Folge des strafbaren Verhaltens erstrecken234 oder der Unterhaltsberechtigte gerade infolge der Tat - etwa durch eine Schädigung seines Vermögens, durch eine Körperverletzung oder die Tötung eines vorrangig Unterhaltspflichtigen - (vermehrt) unterhaltsbedürftig geworden ist 235 . Um die Berufung auf eine durch die Strafhaft bedingte Leistungsunfahigkeit zu verwehren, soll die bloße Ursächlichkeit zwischen Straftat und haftbedingter Leistungsunfähigkeit nicht ausreichend sein236 • Vielmehr wird verlangt, daß die Straftat als ein unterhaltsbezogenes Fehlverhalten zu werten ist237 • Über die Fälle dieser unterhaltsbezogenen Straftaten hinaus soll der Einwand der haftbedingten Leistungsunfähigkeit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen können, wenn besonders schwere Verfehlungen vorliegen, wie z. B. die versuchte Tötung des Unterhaltsberechtigten oder Delikte gegen das Leben der nächsten Angehörigen 238 • Soweit sich der Gefangene entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben auf seine haftbedingte Leistungsunfähigkeit beruft, steht den Unterhaltsberechtigten aus § 242 BGB der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung als Gegenrecht ZU 239 • Sie bleiben in diesem Fall Unterhaltsgläubiger und können daher (Nach-) Zahlung des Unterhalts verlangen.
232 BGH NJW 1982, 1812, 1813; 2491, 2492; GöppingerlStrohal, Unterhaltsrecht, Rn. 378; Soergel/Häberle, BGB, § 1603 Rn. 13; Ennan/Holzhauer, BGB, § 1603 Rn. 9; Hoppenz, NJW 1984,2327. 233 BGH NJW 1982, 1812, 1813; 2491, 2492; OLG Hamm FamRZ 1984, 1033; OLG München DAVonn 1984,77,79; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, Rn. 670; Göppinger I Strohal, Unterhaltsrecht, Rn. 380. 2J4 BGH NJW 1982, 1812, 1813; 2491, 2492; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, Rn. 670. 235 BGH NJW 1982,2491,2492; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, Rn. 670. 236 BGH NJW 1982,2491,2492; Soergel/Häberle, BGB, § 1603 Rn. 13. 237 BGH NJW 1982,2491,2492; OLG Zweibrücken FamRZ 1990,553,554; Göppingerl Strohal, Unterhaltsrecht, Rn. 380; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhahsrechts, Rn. 669; RGRK/Mutschler, BGB, § 1603 Rn. 7; SoergellHäberle, BGB, § 1603 Rn. 13; PalandtlDiederichsen, BGB, § 1603 Rn. 15. 238 BGH NJW 1982,2491,2492; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, Rn. 670; RGRK/Mutschler, BGB, § 1603 Rn. 7; SoergellHäberle, BGB, § 1603 Rn. 13.
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(b) Mindermeinungen Nicht zu übersehen sind jedoch die Gegenstimmen in der Literatur, die einen haftbedingten Wegfall der Unterhaltsverpflichtung nur unter besonders engen Voraussetzungen zulassen möchten und den Umstand der Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Leistungsunfähigkeit seitens des Gefangenen hervorheben. Im Vergleich zur h.M. kommt es damit zur Verkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses.
Von Kroi40 , der von einer Anwendung des § 275 BGB im Rahmen der Unterhaltsvorschriften ausgeht, möchte den Gefangenen grundsätzlich an seiner Unterhaltsverpflichtung festhalten. Da nach der heutigen Strafzumessungspraxis Freiheitsstrafen nur bei sehr schwerwiegenden Ersttaten oder bei Wiederholungstaten verhängt bzw. bei sehr gewichtigen Verstößen gegen Bewährungsauflagen vollstreckt würden, müsse sich dem Unterhaltsschuldner - von ganz besonders gelagerten Fällen abgesehen - die Gefährdung seiner Leistungsunfähigkeit durch eine mögliche Freiheitsstrafe in der Tatsituation geradezu aufdrängen. Unter dieser Voraussetzung sei der Strafgefangene nach § 275 BGB zu der ihm ohne die Strafverbüßung möglichen Unterhaltszahlung verpflichtet 241 . Zur Anwendbarkeit des § 275 BGB führt von Krog aus, daß nach der Systematik des BGB die Regelung der verschuldeten Leistungsunfähigkeit gleichsam als vor die Klammer gezogen im Zweiten Buch erfolgt sei und die unterhaltsrechtlichen Vorschriften daher gar nicht beide Fälle der Leistungsunfähigkeit, sondern nur den Leistungsumfang des pflichtgemäß handelnden Schuldners erfassen 242 . Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, daß der Ptlichtige nicht einen bestimmten Anteil seiner Einkünfte schulde, sondern eine nach normativen Kriterien festgestellte wirtschaftliche Grundlage 243 . Roth-Stielow244 geht davon aus, daß die Regelungen der §§ 1581, 1603 BGB umfassend dazu verpflichten, die Leistungsfähigkeit herbeizuführen und zu erhalten. Die schuldhaft herbeigeführte Leistungsunfähigkeit soll dann den Fortbestand der Unterhaltsverptlichtung zur Folge haben, wenn der Schuldner die Folgen seines Verhaltens hätte voraussehen und vermeiden können. Der vorbestrafte, im Fortsetzungszusammenhang oder jedenfalls langfristig planende und handelnde Täter wisse genau, was ihm im Zusammenhang mit einer Freiheitsstrafe und am Arbeitsplatz "blühe". Wer hingegen leicht- oder grobfahrlässig, vorsätzlich oder bedingt vorsätzlich, aber etwa im Rausch, Affekt oder in Zuständen, die keine rechte Besinnung und Überlegung erlauben, straffällig werde, denke nicht an die Folgen, die sich im Falle einer Bestrafung für den Unterhaltsgläubiger ergeben. 239 240 241 242 243
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Vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, § 242 Rn. 46, 48. Von Krog, FamRZ 1984, 539 ff. Von Krog, FamRZ 1984,539,541. Von Krog, FamRZ 1984,539,540. Von Krog, FamRZ 1984, 539, 540. Roth-Stielow, NJW 1982, 2853 f.
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Die Folgen einer Straftat dürften nicht zu einer "Prämierung" strafbaren Verhaltens durch Entlastung von Unterhaltsschulden führen. Daß der Gefangene in der Vollzugsanstalt keine Möglichkeit zu gut bezahlter Arbeit hat, bewertet Roth-Stielow im Hinblick auf Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der haftbedingten Leistungsunfähigkeit als unerheblich 245 . Nach Ansicht Köhleri 46 soll die Unterhalts verpflichtung Bestand haben, wenn die Straftat irgendwie unterhaltsbezogen war. Eine unterhaltsbezogene Straftat sei schon dann anzunehmen, wenn es für den Täter naheliegend war, daß die Tat den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge haben würde und sich für den Täter auch die Gefährdung des Unterhalts seiner Familie dabei aufdrängen mußte. In Anbetracht der heutigen Strafpraxis seien die durch eine Straftat verschuldeten Leistungsstörungen i.d.R. unbeachtlich. (2) Stellungnahme Für die grundsätzliche Beachtlichkeit der verschuldeten - und damit auch der haftbedingten - Leistungsunfähigkeit spricht zunächst, daß das BGB die Ursachen der Leistungsunfähigkeit nicht thematisiert. So kommt es gemäß § 1603 Abs. 1 BGB lediglich darauf an, ob der Inanspruchgenommene unter Berücksichtigung seines eigenen angemessenen Unterhalts und der sonstigen vorrangigen Verpflichtungen nicht außerstande ist, einem Dritten Unterhalt zu gewähren. Zu verstehen ist dies vor dem Hintergrund, daß der Unterhaltsanspruch nur sinnvoll ist, wenn er bei Fälligkeit erfüllt werden kann, und es von daher unerheblich sein muß, ob der Schuldner die Leistungsunfähigkeit schuldhaft verursacht hat oder Umstände außerhalb seines Verantwortungsbereichs zur Leistungsunfähigkeit geführt haben. Darüber hinaus ist der Umkehrschluß aus den Regelungen der §§ 1579 Nr. 3, 1361 Abs. 3 i.Y.m. §§ 1579 Nr. 3, 1611 Abs. 1 BGB 247 , die ausschließlich an das Vorverhalten des Unterhaltsberechtigten rechtliche Konsequenzen knüpfen, ein gewichtiges Argument für die grundsätzliche Beachtlichkeit einer verschuldeten Leistungsunfähigkeit. Die Regelung des § 275 BGB ist insofern nicht einschlägig 24H • Da § 1603 Abs. I BGB die fehlende oder beschränkte Leistungsunfähigkeit als eine rechtshindernde Einwendung erfaßt, entsteht im Falle der Leistungsunfähigkeit grundsätzlich keine Unterhaltspflicht, von der eine Befreiung nach § 275 BGB eintreten könnte 249 . Im Roth-Stielow, NJW 1982,2853,2854. MK/Köhler, BGB, § 1603 Rn. 7,15. 247 BGH NJW 1982, 1812, 1813; Göppinger IStrohal, Unterhaltsrecht, Rn. 378; Hoppenz, NJW 1984,2327. 24K OLG Hamm FamRZ 1984,1033; Hoppenz, NJW 1984,2327 (Fn. I); Gernhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts, § 45 III I; LKI Dippel, StGB, § 170b Rn. 38. 249 OLG Hamm FamRZ 1984, 1033, 1034; Hoppenz, NJW 1984, 2327 (Fn. I); Gernhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts, § 45 III I. 245
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übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die Pflicht des Unterhalts schuldners die Leistung eines Geldbetrages zum Inhalt hat (vgl. § 1612 Abs. 1 S. 1 BGB) und sich damit die Frage, ob eine Befreiung von der Unterhaltspflicht eintritt, auf der Grundlage des § 275 BGB überhaupt nicht stellen kann, weil der Schuldner im Rahmen dieser Norm den Mangel an Geld zu vertreten hat250 • Eine Unterhaltspflicht mit dem Inhalt, eine wirtschaftliche Basis zu schaffen, ist nicht anzuerkennen. Soweit dem Unterhaltsrecht Verhaltensanforderungen zu entnehmen sind, handelt es sich nicht um Pflichten, sondern vielmehr um Obliegenheiten 251 • Soll dem Gefangenen der Einwand der haftbedingten Leistungsunfähigkeit gegenüber einem Unterhaltsberechtigten verwehrt sein, kann dies nur unter dem Aspekt geschehen, daß der Einwand - bezogen auf die konkrete unterhaltsrechtliche Beziehung - mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar ist. Um einen Verstoß gegen das Prinzip von Treu und Glauben 252 annehmen zu können, bedarf es schwerwiegender Vorwürfe 253 • Dem Gefangenen kann ein schwerwiegender Vorwurf nur gemacht werden, wenn die Straftat als ein unterhaltsrechtliches Fehlverhalten zu werten ist. Dafür, daß ausschließlich gewichtige Gründe gegen die Beachtlichkeit einer verschuldeten Leistungsunfähigkeit sprechen können, lassen sich die §§ 1579 Nr. 3, 1611 Abs. 1 BGB anführen. Gemäß diesen Vorschriften kann sich der Unterhaltsberechtigte nur dann nicht auf seine Bedürftigkeit berufen. wenn er sie mutwillig bzw. durch sittliches Verschulden herbeigeführt hat. Im Hinblick darauf, daß es sachlich nicht gerechtfertigt ist. den Unterhaltspflichtigen strengeren Anforderungen zu unterwerfen als den Unterhaltsberechtigen. sind die §§ 1579 Nr. 3, 1611 Abs. 1 BGB als Maßstab heranzuziehen 254 . Da sich der Unterhaltsschuldner - sieht man von dem besonderen Fall des § 170 StGB ab - durch die Begehung einer Straftat nicht unmittelbar in Widerspruch zu dem Verhalten setzt, das unterhaltsrechtlich von ihm zu verlangen ist, kann eine Straftat nicht schlechthin als ein unterhaltsbezogenes Fehlverhalten gewertet werden 255 . Regelmäßig wird die Straftat erst dann unterhaltsrechtlich relevant, wenn die Verurteilung des Unterhaltspflichtigen zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe erOLG Harnm FamRZ 1984. 1033. Vgl. Göppinger I Strohal. Unterhaltsrecht. Rn. 353 f. m Allgemein verpflichtet der Grundsatz von Treu und Glauben zur billigen Rücksichtnahme auf die schutzwürdigen Interessen des anderen Teils sowie zu einem redlichen und loyalen Verhalten. wobei ..Treue" nach seinem Wortsinn als eine auf Zuverlässigkeit. Aufrichtigkeit und Rücksichtnahme beruhende äußere und innere Haltung gegenüber einem anderen zu verstehen ist und der Begriff des Glaubens das Vertauen auf eine solche Haltung beschreibt. vgl. Palandt I Heinrichs. BGB. § 242 Rn. 3. m BGH FamRZ 1985. 158. 160; 1987.372.374: SoergellHäberle. BGB. § 1603 Rn. 13: Göppinger IStrohal. Unterhaltsrecht. Rn. 380. 2S4 GÖppingerlStrohal. Unterhaltsrecht. Rn. 378; vgl. auch AG Groß-Gerau DAVorrn 1984.192. 193 f.; von Krog. FamRZ 1984.539.540. m Vgl. Palandtl Heinrichs. BGB. § 242 Rn. 46. der darauf hinweist. daß es keinen allgemeinen Grundsatz gibt. wonach nur derjenige Rechte geltend machen kann. der sich selbst rechtstreu verhalten hat. 250 251
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folgt, das Arbeitsverhältnis des Delinquenten gekündigt wird oder er den durch die Straftat entstandenen Schaden ersetzen muß. Dann nämlich fehlen Ld.R. die Mittel, die erforderlich sind, um den Unterhalt zu erbringen. Die Obliegenheit des Unterhaltspflichtigen besteht in erster Linie darin, seine Erwerbskräfte so gut wie möglich einzusetzen und - sofern die Erwerbsfähigkeit nicht mehr besteht - diese durch geeignete Maßnahmen wiederherzustellen 256 . Darüber hinaus ist der Unterhaltsschuldner nicht gehalten, alles zu unterlassen, was bei Hinzutreten weiterer Umstände zur Leistungsunfähigkeit führen könnte. Die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der haftbedingten Leistungsunfähigkeit bei Begehung der Tat bindet die Straftat nicht derart unterhaltsrechtlich ein, daß sie grundsätzlich als unterhaltsbezogenes Fehlverhalten zu werten ist. Es ergibt sich daraus weder ein direkter Zusammenhang zwischen Straftat und Unterhaltspflicht noch ist ein Vorwurf zu erheben, der schwer genug wiegt, um einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben zu begründen. Hinzu kommt, daß Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit bereits Wesenszüge der verschuldeten Leistungsunfähigkeit sind 257 . Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit zu tragenden Kriterien bei der Entscheidung über die Beachtlichkeit der haftbedingten Leistungsunfähigkeit zu machen, bedeutet daher, das Verschulden des Unterhaltspflichtigen zum Anlaß zu nehmen, um ihn an seiner Leistungspflicht festzuhalten. Im Hinblick darauf, daß das Verschulden als solches kein Grund ist, den Einwand der Leistungsunfähigkeit zu versagen, kann dies nicht vertretbar sein. Anders liegen die Dinge jedoch, wenn sich die Straftat des Gefangenen unmittelbar gegen die Interessen des Unterhaltsberechtigten gerichtet hat. Zu den in dieser Weise unterhaltsbezogenen Straftaten zählen zunächst alle Delikte, die zumindest auch mit dem Willen begangen werden, zukünftig keinen Unterhalt mehr leisten zu müssen bzw. in geringerem Umfang unterhaltspflichtig zu sein. Neben den Taten nach § 170 Abs. I StGB ist insbesondere an die Fälle des Prozeßbetruges zu denken, den der Unterhaltspflichtige dadurch begeht, daß er im Unterhaltsprozeß seine wahren Einkommens- und Vermögensverhältnisse verschweigt oder eine krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit vorspiegelt, um auf diese Weise die Verurteilung zu Unterhaltszahlungen ganz oder teilweise abzuwenden 258 . Zu nennen sind außerdem versuchte Tötungsdelikte, die - zumindest auch - mit dem Ziel begangen werden, sich einer bestehenden oder in naher Zukunft entstehenden Unterhaltsverpflichtung zu entledigen. Das Motiv, sich der Unterhaltspflicht zu entziehen, kann die Annahme eines Mordes rechtfertigen 259 • 256 Vgl. Kalthoener I Büttner. Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts. Rn. 648 f.; MK/Köhler. BGB. § 1603 Rn. 8a; Soergel/Häberle, BGB. § 1581 Rn. 6. m Vgl. dazu C. I. I. c) aa). 258 Vgl. dazu die auf den Unterhaltspflichtigen übertragbaren FäHe des Prozeßbetruges durch den Unterhaltsberechtigten: OLG Schleswig NJW-RR 1987. 1481 f.; OLG Düsseldorf FamRZ 1989. 61 ff.; OLG CeHe FamRZ 1991, 1313 f.; AG AItötting FamRZ 1985. 1048 ff. 259 BGHSt 10.399 f.; Schönke/Schröder/Eser. StGB. § 211 Rn. 17; a.A. Tröndle. in: Tröndle/Fischer, StGB. § 21 I Rn. 5.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
Unmittelbaren Bezug zum Unterhaltsrecht haben ferner all jene Taten, die sich gegen einen Angehörigen richten und dessen unterhaltsrechtliche Bedürftigkeit begründen oder mehren. Dies kann in erster Linie dadurch geschehen, daß dem Angehörigen eigene Mittel durch eine Straftat - z. B. durch Veruntreuung oder Unterschlagung - entzogen werden oder infolge einer Straftat - z. B. einer schweren Körperverletzung - dessen Erwerbsfähigkeit ganz oder teilweise aufgehoben wird. In diesen Fällen begründet oder erweitert gerade die Straftat die Unterhaltsverpflichtung des Täters. Da Minderjährige i.d.R. weder über Vermögen verfügen noch in der Lage sind, ihren Unterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu decken, werden sie selten in dieser Weise betroffen sein. Für sie kann sich jedoch eine Beeinträchtigung dadurch ergeben, daß ein Elternteil infolge einer Straftat, deren Täter der andere Elternteil oder ein nachrangig auf Unterhalt haftender Verwandter ist (vgl. §§ 1606 Abs. I und 2, 1607 BGB), leistungsunfähig wird. Als Taten kommen insofern ebenfalls Vermögensdelikte und schwere Körperverletzungen in Betracht. Darüber hinaus ist aber auch an die Tötung des gleich- oder vorrangigen Unterhaltspflichtigen zu denken. Die Folgen der Straftat führen auch hier dazu, daß der Täter - seine Leistungsfähigkeit vorausgesetzt - unterhaltspflichtig bzw. vermehrt unterhaltspflichtig wird. Wendet sich der Unterhaltspflichtige durch eine Straftat unmittelbar gegen die Interessen eines unterhaltsberechtigten Familienmitgliedes, ist dies ein Verhalten, das nicht nur strafrechtlich, sondern auch unterhaltsrechtlich zu mißbilligen ist. Schon angesichts der doppelten unterhaltsrechtlichen Betroffenheit des Unterhaltsberechtigten durch Straftat und Strafhaft sowie des Umstandes, daß der Unterhaltspflichtige die Interessen des unterhaltsberechtigten Angehörigen sogar in strafbarer Weise verletzt hat, widerspricht es jeglicher Rücksichtnahme und Loyalität, wenn sich der Inhaftierte im Verhältnis zum Unterhaltsberechtigten, gegen den sich die Tat richtete, auf seine haftbedingte Leistungsunfähigkeit beruft, um so eine Befreiung von seiner Unterhaltspflicht zu erreichen. Es ist ein Gebot der Billigkeit. die nachteiligen Wirkungen, die sich aus der Haftsituation ergeben, dem Unterhaltspflichtigen aufzuerlegen. der wegen einer unterhaltsbezogenen Straftat verurteilt wurde. nicht aber dem Unterhaltsberechtigten. der Opfer dieser Tat geworden ist. Sind Unterhaltszahlungen zugunsten der von der Straftat unmittelbar betroffenen Angehörigen haftbedingt schon nicht möglich. so sollte den Angehörigen doch wenigstens die Stellung als Unterhaltsgläubiger verbleiben 26o . Die Unterhaltsberechtigten haben damit zumindest die Chance, ihren Unterhaltsanspruch - soweit ihr Bedarf nicht durch staatliche Unterhaltsersatzleistungen gedeckt wurde 261 - zu einem späteren Zeitpunkt zu realisieren 262 • Der Inhaftierte muß es demgegenüber Vgl. Ruppin. ZBIJugR 1978.513.517. Dazu näher im 2. Kap. unter B. I. 2. d). 262 Die Möglichkeiten, eine Nachzahlung des Unterhaltes zu erreichen. sind beschränkt. Gemäß § 1613 Abs. I S. I BGB kann der Unterhaltsberechtigte die Erfüllung seiner Unterhaltsansprüche für die Vergangenheit nur von dem Zeitpunkt an fordern, zu welchem der Verpflichtete zum Zwecke der Geltendmachung des Unterhalts anspruchs aufgefordert worden 260
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c. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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hinnehmen, durch Unterhaltsverbindlichkeiten belastet zu werden 263 . Dieser Wertung steht nicht entgegen, daß ein Gefangener, der zugewiesene Arbeit verrichtet, keine Möglichkeit hat, durch Veränderung seines Verhaltens seine Leistungsfähigkeit herbeizuführen. Wird ein Leistungsunfähiger im Hinblick auf § 242 BOB an seiner zuvor bestehenden Unterhalts verpflichtung festgehalten, so liegt es in der Natur der Sache, daß er nicht in der Lage ist, seine Leistungsfähigkeit herzustellen, denn anderenfalls hätte die Feststellung der Leistungsunfähigkeit gar nicht getroffen werden können. Erforderlich wäre die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit eigeninitiativ wiederherzustellen, nur dann, wenn die Berufung auf die haftbedingte Leistungsunfähigkeit verwehrt wäre, um den Unterhaltsschuldner zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Maßgebend sind Billigkeitserwägungen, die sich ausschließlich auf das Verhältnis zwischen den jeweiligen Parteien beziehen. Problematisch ist die Einordnung der Fälle, in denen der Unterhaltsberechtigte durch eine Straftat des Unterhaltspflichtigen schwer geschädigt wird, die Tat aber keinen unmittelbaren Bezug zum Unterhaltsrecht - genauer gesagt zum Barunterhaltsrecht - aufweist. Zu denken ist z. B. an den sexuellen Mißbrauch von Kindern durch einen unterhaltspflichtigen Elternteil. Straftaten dieser Art sind im allgemeinen weder mit einer Verletzung der Barunterhaltspflicht verbunden noch führen sie zwangsläufig zu einem erhöhten Unterhaltsbedarf. Auch wenn grundsätzlich der Einwand der Leistungsunfahigkeit nur bei unterhaltsbezogenen Straftaten unbeachtlich sein sollte und sich der unterhaltsrechtliche Bezug einer Tat nicht bereits daraus ergibt, daß Täter und Opfer durch die unterhaltsrechtliche Beziehung verbunden sind, spricht doch viel dafür, zumindest dann eine Ausnahme zuzulassen, wenn Kinder durch ihre Eltern schwer geschädigt werden. Die Eltern sind gegenüber ihren minderjährigen Kindern zu besonderer Redlichkeit und Rücksichtnahme verpflichtet. Ausdruck dessen ist zum einen, daß sie mit ihren minderjährigen Kindern alle verfügbaren Mittel gleichmäßig zu teilen haben (vgl. § 1603 Abs. 2 ist. über seine Einkünfte und sein Vennögen Auskunft zu erteilen, zu welchem der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist. Aufgrund der §§ 1360a Abs. 3, 1361 Abs. 4 S. 4, 1585b BGB kann Unterhalt für die Vergangenheit ebenso wie es § 1613 Abs. I BGB a.F. vorsah - nur von der Zeit an gefordert werden, zu welcher der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist. Nonnzweck ist jeweils die Konzentration des Unterhaltes auf die Gegenwart, um den Unterhaltspflichtigen vor hohen Nachforderungen zu schützen, siehe Palandtl Diederichsen. BGB. § 1613 Rn. 2; MKI Köhler. BGB, § 1613 Rn. 1. Nicht zuletzt ist eine nachträgliche Realisierung von Unterhaltsansprüchen auch aus tatsächlichen Gründen begrenzt. Denn regelmäßig ist es dem Schuldner - insbesondere nach einer Straftat - nicht möglich, gleichzeitig Unterhalt für Vergangenheit und Gegenwart zu leisten. vgl. dazu Odersky, FamRZ 1974, 559,565. 263 Siehe dazu Ostennann, ZRP 1995, 204, 206, der die Praxis der Familiengerichte, den Schuldner bei Taten nach § 170 Abs. I StGB an der Unterhaltspflicht festzuhalten, im Hinblick auf die entstehenden Unterhaltsrückstände kritisiert. Er berücksichtigt jedoch nicht, daß hier eine Billigkeitsentscheidung zu treffen ist, deren Grundlage das Verhältnis zwischen den Unterhalts parteien ist. 6 Gölle
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
BGB). Zum anderen sind sie für den Unterhalt ihrer Kinder in Form von Pflege und Erziehung verantwortlich (vgl. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, §§ 1606 Abs. 3 S. 2, 1610 Abs. 2 BGB). Mit dem Schutz, den Eltern ihren Kindern zu gewähren haben, ist es im Hinblick auf den Grundsatz von Treu und Glauben nicht zu vereinbaren, wenn sie sich gegenüber dem Kind mit Erfolg auf ihre haftbedingte Leistungsunfähigkeit berufen können. Soweit die Unterhaltsverpflichtung des Gefangenen infolge haftbedingter Leistungsunfähigkeit entfällt, ist darin keinesfalls eine "Prämierung" strafbaren Verhaltens oder gar ein "Unterhaltsschuldner-Schutz" zu sehen 264 . Vielmehr verbietet es sich, die Straftat als solche zum Anlaß zu nehmen, um den Gefangenen trotz tatsächlicher Leistungsunfähigkeit an seiner Unterhaltspflicht festzuhalten. Die Befreiung des Unterhaltsschuldners von seiner Unterhaltspflicht hat weder den Charakter einer Belohnung noch den einer Sanktion. Im Vergleich zu anderen Unterhaltspflichtigen ist der inhaftierte Unterhaltsschuldner außerstande, seine Erwerbskraft in vollem Umfang einzusetzen. Darüber hinaus kann er seine Erwerbsfähigkeit auch nicht aus eigener Kraft wiederherstellen. Dieser Unterschied ist erheblich und kann keinesfalls mit dem Hinweis, die haftbedingte Leistungsunfähigkeit sei vorhersehbar und vermeidbar gewesen, ausgeräumt werden 265 . Ferner sollte in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, daß die grundsätzliche Beachtlichkeit der haftbedingten Leistungsunfähigkeit dazu beiträgt, Gefangene, die vor ihrer Haftzeit Unterhalt geleistet haben, nicht schlechter zu stellen, als jene, die bereits bei Antritt der Haft leistungsunfähig waren und daher ohnehin nicht in die Gefahr geraten, durch nicht erfüllbare Unterhaltsverbindlichkeiten belastet zu werden. Ein Widerspruch zur grundsätzlichen Beachtlichkeit der haftbedingten Leistungsunfähigkeit ergibt sich nicht daraus, daß die Geldstrafe den Unterhaltsberechtigten regelmäßig nicht als "sonstige Verpflichtung" leistungsmindernd entgegengehalten werden kann 266 . Zum einen werden die Unterhaltsverpflichtungen des Täters bereits bei der Bemessung der Tagessatzhöhe berücksichtigt, da sie Teil der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters sind (vgl. § 40 Abs. 2 S. 1 StGB)267. Die Gerichte tragen damit nicht nur dem Prinzip der Opfergleichheit Rechnung 268 , wonach einem Täter, der Ehefrau und Kinder zu versorgen hat, kein So aber Roth-Stielow. NJW 1982. 2853. 2854. Vgl. OLG Hamm FamRZ 1984. 1033. 1034; a.A. Roth-Stielow. NJW 1982, 2853. 2854; von Krog. FamRZ 1984.539 f. 2M Vgl. GÖppinger/Wenz. Unterhaltsrecht (Voraufl.l. Rn. 1203; RGRK/MutschIer. BGB. § 1603 Rn. 14; differenzierend Kalthoener I Büttner. Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts. Rn. 1020. 267 Vgl. OLG Celle JR 1975.471 f.; OLG Celle JR 1977.382 ff. mit Anm. Tröndle; OLG Oldenburg MDR 1975. 1038 f.; BayObLG NJW 1977.2088.2089; Tröndle. in: Tröndle/Fischer. StGB. § 40 Rn. 16; Schönke I Schröder I Stree. StGB. § 40 Rn. 14. 268 OLG Celle JR 1975.471; OLG Oldenburg MDR 1975. 1038 f.; Tröndle. in: Tröndlel Fischer. StGB. § 40 Rn. 16. 264
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C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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größeres Opfer abverlangt werden soll als einem Ledigen mit gleichem Nettoeinkommen 269 , sondern verfolgen auch das Ziel, die Drittwirkung der Geldstrafe zu begrenzen 270 • Wenn die Geldstrafe in dieser Weise auf den Täter konzentriert wird und ihm die Mittel verbleiben sollen, die erforderlich sind, um seine Angehörigen zu unterhalten, muß es dem Verurteilten grundsätzlich versagt sein, die Geldstrafe leistungsmindernd geltend zu machen. Zum anderen lassen sich die unterschiedlichen Wirkungen von Geld- und Freiheitsstrafe auf die Angehörigen anführen. Während bei der Freiheitsstrafe die primäre Strafwirkung auf den Gefangenen beschränkt ist und die Angehörigen durch die sekundären Wirkungen mitbetroffen werden, führt die gegen einen Unterhaltspflichtigen verhängte Geldstrafe dazu, daß das primäre Strafübel der Lebensstandardbeschränkung auch die Familienmitglieder trifft, mit denen der Verurteilte in häuslicher Gemeinschaft lebt 271 . Soweit die Angehörigen des Verurteilten die primäre Strafwirkung mittragen, wird das Strafübel für den Delinquenten geringer. Könnte dieser die Geldstrafe im Rahmen des Unterhaltsrechts leistungsmindernd in Ansatz bringen, würde dies - anders als im Fall der haftbedingten Leistungsunfähigkeit - bedeuten, daß es dem Straftäter erlaubt wäre, seine Angehörigen mit dem primären Strafübel zu belasten, während er selbst sich von der Strafe entlasten würde. Die sogenannte Abwälzbarkeit der Geldstrafe 272 wäre damit unterhaltsrechtlich zulässig. Da dies nicht sachgerecht sein kann, ist es folgerichtig, wenn die Angehörigenwirkung von Geld- und Freiheitsstrafe keine einheitliche Behandlung im Unterhaltsrecht erfahren.
cc) Sonderfall: Die haftbedingte Leistungsunfähigkeit nach einem Widerruf gemäß § 14 Abs. 2 StVollzG Die Frage nach der Beachtlichkeit der haftbedingten Leistungsunfähigkeit stellt sich auch dann, wenn der Gefangene aufgrund einer Tätigkeit außerhalb der Anstalt (§§ 11 Abs. I Nr. I, 39 Abs. I StVollzG) zu Unterhaltszahlungen in der Lage war und infolge eines Widerrufs nach § 14 Abs. 2 StVollzG und der gleichzeitigen Aufhebung des freien Beschäftigungsverhältnisses fortan (wieder) verpflichtet ist, die gemäß §§ 43, 200 Abs. I StVollzG vergütete Gefangenenarbeit zu verrichten. Die haftbedingte Leistungsunfähigkeit beruht in diesen Fällen auf dem Fehlverhalten des Gefangenen, das den Anlaß zum Widerruf gegeben hat. Das Verhalten, das zur Leistungsunfähigkeit geführt hat, kann wiederum eine Straftat sein; möglich ist aber auch ein strafloses Verhalten. Letzteres trifft insbesondere zu, wenn der Gefangene gegen Weisungen verstößt, die ihm nach § 14 Abs. I StVollzG erteilt wor269 OLG Celle JR 1975.471 f.: Tröndle. in: Tröndle/Fischer, SIGB, § 40 Rn. 16: Schönke / Schröder I Stree, StGB. § 40 Rn. 14. 270 OLG Celle JR 1975.471. 472. 27\ Vgl. Zipf. ZStW 86 (1974). 513, 529. m Vgl. Zipf. ZStW 86 (1974), 513. 529: Baumann. Beschränkung des Lebensstandards an statt kurzfristiger Freiheitsstrafe. S. 49.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
den sind. Inhalt der Weisung kann z. B. sein, alkoholische oder andere berauschende Getränke und Stoffe sowie bestimmte Lokale oder Bezirke zu meiden (vgl. Nr. 1 Abs. 2 e) der VV zu § 14 StVollzG). Tritt die haftbedingte Leistungsunfähigkeit infolge eines Widerrufs nach § 14 Abs. 2 StVollzG ein, so kann bezüglich deren Beachtlichkeit als rechtshindernde Einwendung grundsätzlich nichts anderes gelten, wie dies der Fall ist, wenn die Leistungsunfähigkeit unmittelbar aus der Inhaftierung folgt. Entscheidend ist demnach, ob sich das Verhalten des Gefangenen, durch das er den Widerruf veranlaßt hat, als ein unterhaltsbezogenes Fehlverhalten darstellt oder nicht. Eine abweichende Bewertung ist jedoch dann erforderlich, wenn der Gefangene die Freiheitsstrafe wegen einer unterhaltsbezogenen Straftat verbüßt, das Verhalten, das zum Widerruf nach § 14 Abs. 2 StVollzG geführt hat, aber keinen unterhaltsrechtlichen Bezug aufweist. In einem solchen Fall sollte das Gewicht auf die Straftat gelegt werden, die Grund der Verurteilung war, denn es kann nicht sachgerecht sein, daß eine haftbedingte Leistungsunfähigkeit, die in Anbetracht eines unterhaltsbezogenen Delikts unbeachtlich ist, durch ein nicht unterhaltsbezogenes Fehlverhalten als Freigänger beachtlich wird. Vielmehr muß dem Gefangenen während seiner gesamten Haftzeit die Berufung auf seine haftbedingte Leistungsunfahigkeit versagt sein.
d) Die Rechtslage bei unterhalts rechtlicher Leistungsfähigkeit des Gefangenen Sofern der Gefangene unterhaltsrechtlich leistungsfähig ist, besteht für ihn die Verpflichtung, Unterhalt zu leisten, und zwar unabhängig davon, in welchem Umfang er den Unterhaltsbedarf seiner Kinder und / oder seines Ehegatten decken kann. I.d.R. wird sich eine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nur bei Gefangenen feststellen lassen, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis tätig sind. Verrichtet ein Inhaftierter Gefangenenarbeit und hat er daher einen Anspruch auf das Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG, kann dieses - abzüglich des Hausgeldes gemäß § 47 Abs. 1 StVollzG - allenfalls zu einem Drittel unterhaltsrechtlich verfügbar sein. Entsprechendes gilt, wenn der Gefangene eine Ausbildungsbeihilfe nach § 44 StVollzG erhält. Voraussetzung ist jedoch, daß das Überbrückungsgeld bereits in vollem Umfang angespart ist und keine ..sonstigen Verpflichtungen" bestehen, die dem Unterhaltsberechtigten leistungsmindernd entgegengehalten werden können. Zu erbringen ist der Unterhalt in Form einer Geldrente. Wahrend dies für den Verwandtenunterhalt, den Unterhalt zwischen getrennt lebenden Ehegatten und den nachehelichen Unterhalt ohnehin durch die §§ 1612 Abs. 1 S. I, 1361 Abs. 4 S. I, 1585 Abs. 1 S. I BGB gesetzlich bestimmt ist, weicht diese Form der Leistungsgewährung im Fall des Familienunterhaltes vom .. Üblichen" ab. Gemäß § 1360a Abs. 2 S. I BGB ist der Familienunterhalt in der Weise zu leisten, die
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durch die eheliche Lebensgemeinschaft geboten ist. Regelmäßig ist dies die Gewährung von Naturalunterhalt 273 . Dabei darf sich der erwerbstätige Ehepartner grundsätzlich nicht damit begnügen, die für den Familienunterhalt erforderlichen Geldmittel bereitzustellen, sondern muß sich aktiv um die Versorgung seiner Angehörigen bemühen 274 . Ist ein Ehepartner in Strafhaft, so gilt, daß die Zahlung einer Geldrente die i. S. d. § 1360a Abs. 1 S. 2 BGB gebotene Form der Unterhaltsgewährung darstellt 275 . Die Umsetzung der finanziellen Mittel in Naturalleistungen obliegt dem in Freiheit lebenden Ehegatten. Von der durch § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB eröffneten Möglichkeit, den Kindesunterhalt nicht als Geldrente (vgl. § 1612 Abs. 1 S. 1 BGB), sondern in natura zu gewähren, kann ein Inhaftierter grundsätzlich keinen Gebrauch machen, denn bereits die Entscheidung für den Naturalunterhalt setzt voraus, daß diese Art der Unterhaltsgewährung sowohl unter tatsächlichen als auch rechtlichen Aspekten zu realisieren ist 276 . Demzufolge bleibt es für den Inhaftierten beim Grundsatz des § 1612 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach der Verwandtenunterhalt als Geldrente zu leisten ist. Bezüglich der Gefangenen in einem freien Beschäftigungsverhältnis bestimmt Nr. 2 Abs. 3 c) der VV zu § 39 StVollzG, daß die Bezüge des Inhaftierten auf dessen Antrag hin zur Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflichten zu verwenden sind. Die Verwaltungsvorschrift trifft damit für die Fälle des § 39 Abs. 1 StVollzG eine Anordnung, die der Regelung des noch nicht in Kraft getretenen § 49 Abs. 1 StVollzG ähnlich ist. Entsprechend Nr. 2 Abs. 3 c) der VV zu § 39 StVollzG ist zu verfahren, wenn ein nach §§ 43, 44 StVollzG berechtigter Gefangener ausnahmsweise zu Unterhaltszahlungen verpflichtet ist. Die Erfüllung von Unterhaltspflichten durch Gefangene, die gesetzliche Bezüge erhalten, ist weder gesetzlich geregelt noch Gegenstand einer Verwaltungsvorschrift. Da aber auch der nach §§ 43, 44 StVollzG berechtigte Gefangene die Möglichkeit haben muß, eventuell bestehende Unterhaltsansprüche freiwillig zu erfüllen und die Vollzugsanstalt aus § 73 StVollzG allgemein verpflichtet ist, den Gefangenen in seinen Bemühungen um unterhaltsberechtigte Angehörige zu unterstützen, ist die Anstalt auch in diesen Fällen gehalten, auf Antrag des Gefangenen den Unterhalt an die Angehörigen zu überweisen 277 . Nicht möglich ist allerdings, daß die Anstalt bei der Erfüllung von Unterhaltsforderungen eigenmächtig handelt, und zwar auch dann nicht, wenn der Gefangene gerade wegen einer umerhaltsbezogenen Straftat einsitzt. Denn ebenso wie jeder andere Schuldner kann auch ein Gefangener nur durch seinen Gläubiger zur Erfül-
m Gernhuber I Coester-WaItjen, Lehrbuch des Familienrechts, § 21 1 14; MK I Wacke, BGB, § 1360a Rn. 14; Palandt I Diederichsen, BGB, § 1360a Rn. 6. 274 Palandt/Diederichsen, BGB, § 1360a Rn. 5. m Vgl. Errnan I Heckelmann, BGB, § 1360a Rn. 13. 276 BGH NJW 1985, 1339; BGH NJW 1992,974; Palandt/Diederichsen, BGB, § 1612 Rn. 15; Göppingerl Kodal, UnterhaItsrecht, Rn. 606. m Vgl. Schwind I Böhml Matzke, StVollzG, § 49.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
lung einer Forderung gezwungen werden 278 • Ist der Gefangene trotz Leistungsfahigkeit nicht bereit, den Unterhalt zu erbringen, so muß der Berechtigte im Wege der Zwangsvollstreckung (§§ 704-945 ZPO) gegen den Inhaftierten vorgehen 279 . Erst wenn die Vollzugsbehörde nach dem Erlaß eines Pfandungs- und Überweisungsbeschlusses die Stellung des Drittschuldners erlangt hat, ist sie berechtigt, Beträge gegen den Willen des Gefangenen auszuzahlen. Da die Arbeitseinkünfte der Gefangenen im Vergleich zu sonstigen Erwerbseinkommen vollzugsbedingte Besonderheiten aufweisen, wirft die Zwangsvollstreckung in diesen Fällen einige rechtliche Probleme auf, die kontrovers diskutiert werden 28o . Im Rahmen dieser Diskussion wurde den Interessen der unterhaltsberechtigten Angehörigen bislang kaum Beachtung geschenkt 281 , was im wesentlichen darauf zurückzuführen ist, daß den Unterhaltsberechtigten oftmals kein Unterhaltsanspruch zusteht, den sie zwangsweise durchsetzen könnten. Soweit die Bezüge des Gefangenen unterhaltsrechtlich verfügbar sind und auch eine freiwillige Erfüllung der Unterhaltspflicht zu erwarten ist, dürfen diese Bezüge nicht auf dem Eigengeldkonto gutgeschrieben werden. Dies ergibt sich aus der Regelung des § 52 StVollzG, wonach die Bezüge erst dann dem Eigengeld gutzuschreiben sind, wenn sie nicht als Hausgeld, Haftkostenbeitrag, Unterhaltsbeitrag oder Überbrückungsgeld in Anspruch genommen werden. Zu verstehen ist dies vor dem Hintergrund, daß die auf dem Eigengeldkonto gutgeschriebenen Bezüge grundsätzlich dem zwangsvollstreckungsrechtlichen Zugriff aller Gläubiger des Gefangenen ausgesetzt sind 282 • Die Erwähnung des Unterhaltsbeitrages in § 52 StVollzG ist sowohl auf die Bezüge aus einem freien Beschäftigungsverhältnis als auch auf solche gemäß §§ 43, 44 StVollzG zu beziehen, denn während der ebenfalls in § 52 StVollzG angeführte Haftkostenbeitrag gemäß der Regelung des § 50 Abs. 1 StVollzG nicht von Gefangenen zu erbringen ist, die gesetzliche Bezüge erhalten, fehlt es in bezug auf den Unterhaltsbeitrag an einer solchen Vorschrift.
278 Vgl. Schöch, in: Kaiser 1 Kerner 1Schöch, Strafvollzug, § 6 Rn. 114. Dies gebietet der Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. I StVollzG. Des weiteren ist auf die Vorschrift des § 73 StVollzG hinzuweisen, wonach die Anstalt verpflichtet ist, den Gefangenen in seiner Sorge um unterhaltsberechtigte Familienmitglieder zu unterstützen. In der DDR verwendeten die Einrichtungen des Strafvollzuges staatliche Mittel, um die Unterhaltspflicht des Strafgefangenen zu erfüllen. Da der monatlich geleistete Unterhaltsbetrag von der Arbeitsvergütung der Strafgefangenen abgesetzt wurde, blieb diesen keine Möglichkeit frei zu entscheiden, ob sie den Unterhalt erbringen oder nicht, siehe dazu WeigtlWittwer, Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, § 7 Anm. 2; Autorenkollektiv unter der Leitung von H. Schaffer, Arbeitseinsatz Strafgefangener, S. 83-86. 279 Vgl. BT-Drs. 7/918, S. 70. 280 Siehe dazu Fluhr, ZfStrVo 1994, 7 ff.; 1989, 103 ff.; 1983, 23 ff.; Kenter, Rpfleger 1991,488 ff.; Konrad, ZfStrVo 1990,203 ff.; Hofman, ZfStrVo 1981,344 ff. 281 Vgl. aber die Ansätze bei Fluhr, ZfStrVo 1994,7,9; Kenter, Rpfleger 1991,488,489; Konrad, ZfStrVo 1990, 203, 205; Ballhausen, Anm. zu OLG Celle v. 25. 10. 1979, NStZ 1981,79; AK-StVollzG 1Däublerl Pecic, § 43 Rn. 21. 282 Vgl. dazu unter C. 11. 2. e) cc).
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Unter zivilrechtlichen Aspekten
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Bei der Geltendmachung von Unterhaitsansprüchen MindeIjähriger gegen den Inhaftierten kann der nichtinhaftierte Elternteil die Beratung und Unterstützung des Jugendamtes nach § 18 Abs. 1 S. I SGB VIII in Anspruch nehmen. Gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 SGB VIII haben Mütter und Väter, die alleine für ein Kind oder einen Jugendlichen (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. I, 2 SGB VIII) zu sorgen haben oder tatsächlich sorgen, einen - als subjektiv öffentliches Recht ausgestalteten - Leistungsanspruch 283 auf Beratung und Unterstützung bei der Geltendmachung von Unterhaits- und Unterhaltsersatzansprüchen der Kinder und Jugendlichen. Da die Inhaftierung eines Elternteils regelmäßig dazu führt, daß der andere Elternteil die Betreuungsaufgaben (tatsächlich) alleine wahrnehmen muß, liegen die Voraussetzungen des § 18 Abs. I S. I SGB VIII i.d.R. vor, wenn MindeIjährigen Unterhaltsansprüche gegen den inhaftierten Elternteil zustehen. Für junge Volljährige, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ergibt sich ein Anspruch auf Beratung und Unterstützung aus § 18 Abs.\4 SGB VIll. Die Hilfe nach § 18 Abs. 1 und 4 SGB VIII erstreckt sich auf das Vorfeld rechtlicher Auseinandersetzungen 284 . Insbesondere ist der Anspruchsberechtigte über die Höhe des Unterhaltsanspruchs zu beraten 285 . Die Unterstützung i. S. d. § 18 Abs. 1 und 4 SGB VIII kann in einem Schriftwechsel mit dem Unterhalts schuldner, in einer Zahlungsaufforderung oder im Abfassen einer Klageschrift bestehen, die vom Anspruchsberechtigten allerdings selbst bei Gericht eingereicht werden muß 286 . Wird der Gefangene mit dem Eintritt in ein freies Beschäftigungsverhältnis leistungsfähig, nachdem ihm Unterhaltsleistungen zunächst nicht möglich waren, besteht die Gefahr, daß unterhaltsberechtigte Angehörige - bewußt oder unbewußt Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen, obwohl der Gefangene zu Unterhaltszahlungen in der Lage ist. Um dies zu verhindern, sind die Anstalten durch Nr. 2 Abs. 4 S. 2 der VV zu § 39 StVollzG angewiesen, die Träger der Sozialhilfe vom Beschäftigungsverhältnis und der Höhe der Bezüge zu unterrichten, wenn ihnen bekannt ist, daß Personen, denen gegenüber der Gefangene zum Unterhalt verpflichtet ist, Sozialhilfe erhalten. Sofern Unterhaltsberechtigte gegenüber dem Träger der Sozialhilfe unrichtige Angaben über erfolgte Unterhaltszahlungen bzw. bestehende Unterhaitsansprüche machen, erfüllen sie den Tatbestand des Betruges.
283 MK/Hinz, BGB, § 18 SGB VIII Rn. 2; Kaufmann, in: Wiesner/Kaufmann/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII, § 18 Rn. 7; Preis/Steffan, FuR 1993, 185, 188; Rauscher, NJW 1991, 1087 f.; Rüfner, NJW 1991, 1,3. 284 Kaufmann, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberioskamp I Struck, SGB VIII, § 18 Rn. 11. 13: Krug/Grüner/Dalichau, SGB VIII, § 18 Anm. II 4; MK/Hinz, BGB, § 18 SGB VIII Rn. 3. 285 Kaufmann, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SGB VIII, § 18 Rn. 11: Mrozynski, KJHG, § 18 Anm. 2 a; Krug/Grüner/Dalichau, SGB VIJI, § 18 Anm. II 4; MK/Hinz, BGB, § 18 SGB VIII Rn. 3. 286 Kaufmann, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SGB VIJI, § 18 Rn. 11, 13; Krug I Grüner I Da1ichau, SGB VIII, § 18 Anm. II 4.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe 2. Der Betreuungsunterhalt als Gegenstand der unterhaltsrechtIichen Beziehung
a) Die Bedeutung der Leistungsfähigkeit beim Betreuungsunterhalt
Der Betreuungsunterhalt, der die Pflege und Erziehung des Kindes umfaßt, ist im Verhältnis zum Bar- bzw. Naturalunterhalt (vgl. § 1612 BOB) als ein Teil des gesamten Unterhalts zu werten, der dem minderjährigen Kind zu erbringen ist287 . Aus der Regelung des § 1606 Abs. 3 S. 2 BOB folgt, daß Bar- bzw. Naturalunterhalt und Betreuungsunterhalt gleichwertige Unterhaltsleistungen sind 288 . Da Orundlage des Betreuungsunterhalts das elterliche Sorgerecht ist (vgl. §§ 1626, 1631 Abs. 1 BOB), sind ausschließlich die Eltern berechtigt und verpflichtet, den Betreuungsunterhalt zu erbringen. i
Ebenso wie der Unterhalt im materiellen Sinne ist auch der Betreuungsunterhalt an die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen gebunden. Dabei ist wiederum davon auszugehen, daß nicht die Regelung des § 275 BOB 289 , sondern das allgemeine Prinzip unterhaltsrechtlicher Beziehungen gilt, wonach eine Unterhaltspflicht nur im Rahmen der Leistungsfähigkeit besteht290 . Kann der Betreuungsunterhalt nicht geleistet werden, so folgt daraus noch keine Befreiung von der Barunterhaltspflicht. Dies läßt sich der Regelung des § 1606 Abs. 3 S. 2 BOB entnehmen. Oemäß § 1606 Abs. 3 S. 2 BOB erfüllt der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen (vgl. 1606 Abs. 3 S. 1 BOB), i.d.R durch die Pflege und Erziehung des Kindes. Diese Regelung spricht dafür, daß nur die tatsächlich erbrachte Betreuungsleistung von der Unterhaltspflicht befreit und es für den Fall, daß der Betreuungsunterhalt nicht geleistet werden kann, bei der allgemeinen Regelung des § 1612 Abs. 1 S. 1 BOB - Erfüllung der Unterhaltspflicht durch Entrichten einer Oeldrente - bleibt 291 .
287 Vgl. MK/Köhler, BGB, Vor § 1601 Rn. 58; Göppinger/Kodal, UnterhaItsrecht, Rn. 1504. 288 BGH FamRZ 1978, 177 ff.; BGH NJW 1980,2306; BGH NJW 1981, 1559; OLG Karlsruhe FamRZ 1979,735,736; Göppinger/Kodal, UnterhaItsrecht, Rn. 1507; Palandtl Diederichsen, BGB, § 1606 Rn. 13; MK/Köhler, BGB, Vor § 1606 Rn. 5; Erman I Holzhauer, BGB, § 1606 Rn. 4. 289 A.A. Göppinger I Kindermann, Unterhaltsrecht, Rn. 1079, die Befreiung von der Betreuungspflicht wird dort auf § 275 Abs. 2 BGB gestützt. 290 Vgl. RGRK/Mutschler, BGB, § 1603 Rn. I; MK/Köhler, BGB, Vor § 1601 Rn. 50. 291 Vgl. OLG Karlsruhe JZ 1973,600.
C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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b) Die haftbedingte Leistungsunjähigkeit des betreuenden Elternteils
Während die Bestimmung der materiellen Leistungs(un)fähigkeit von Gefangenen eine relativ eingehende Befassung mit deren Erwerbseinkünften erfordert, läßt sich die Feststellung, ob ein Elternteil während der Haftzeit den Betreuungsunterhalt erbringen kann, leicht treffen. Denn diese Fähigkeit kann nur bestehen, wenn eine Zulassung zum "Hausfrauenfreigang" nach § 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StVollzG oder eine gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind nach § 80 StVollzG erfolgt ist. In allen übrigen Fällen ist ein inhaftierter Elternteil außerstande, den Betreuungsunterhalt zu gewähren. Das haftbedingte Unvermögen, den Betreuungsunterhalt zu leisten, befreit den betreuenden Elternteil von seiner Verpflichtung, das Kind zu pflegen und zu erziehen 292 . Daß der betreuende Elternteil mit Blick auf die von ihm begangene Straftat an seiner Verpflichtung, das minderjährige Kind zu betreuen, festgehalten wird, kommt nicht in Betracht, denn anders als der Barunterhalt kann der Betreuungsunterhalt niemals nachträglich geleistet werden. Folglich kann es auch unter Billigkeitsgesichtspunkten keinen Sinn machen, die Verpflichtung aufrechtzuerhalten. Die Befreiung des inhaftierten Elternteils von der Verpflichtung zur Betreuung des Kindes steht im Einklang mit den Auswirkungen, die das haftbedingte Unvermögen auf das elterlichen Sorgerecht hat. Die Strafhaft kann sowohl nach den §§ 1674, 1675, 1678 Abs. 1 Alt. 2 BGB als auch nach § 1678 Abs. 1 Alt. 1 BGB dazu führen, daß der nichtinhaftierte Elternteil die elterliche Sorge alleine auszuüben hat293 • Auf der Grundlage der §§ 1674, 1675, 1678 Abs. 1 Alt. 2 BGB ergibt sich diese Rechtsfolge aus dem Ruhen der elterlichen Sorge. Gemäß § 1674 Abs. 1 BGB ruht die elterliche Sorge, wenn das Familiengericht die Feststellung getroffen hat, daß diese aus tatsächlichen Gründen für längere Zeit - z. B. längere Strafhaft294 - nicht ausgeübt werden kann. Erst mit der Feststellung, daß der Grund des Ruhens nicht mehr besteht, lebt die elterliche Sorge wieder auf (§ 1674 Abs. 2 BGB). Im Falle des § 1678 Abs. 1 Alt. 1 BGB führt bereits der Umstand, daß ein Elternteil tatsächlich gehindert ist, die elterliche Sorge auszuüben, zur alleinigen Ausübung der elterlichen Sorge durch den anderen Elternteil. Da das tatsächliche Hindernis i. S. d. § 1678 Abs. 1 Alt. 1 BGB - anders als im Fall des § 1674 BGBnicht von längerer Dauer zu sein braucht, kann schon eine kürzere Strafhaft die dort bezeichnete Rechtsfolge auslösen 295 •
Göppinger/Kinderrnann, Unterhaltsrecht, Rn. 1079. BayObLG NJW 1975, 1082; OLG Hamm FamRZ 1966, 260 f.; BayObLG FamRZ 1965,283; MK/Hinz, BGB, § 1674 Rn. 4; PalandtlDiederichsen, BGB, § 1674 Rn. I; vgl. auch LG Berlin FamRZ 1968, 474; Gernhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts, § 64 H. 294 MK/Hinz, BGB, § 1674 Rn. 4. 295 Vgl. MK/Hinz, BGB, § 1674 Rn. 2 und § 1678 Rn. 5; PalandtlDiederichsen, BGB, § 1678 Rn. 2. 292 293
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
Da die Befreiung von der Pflicht, den Betreuungsunterhalt zu erbringen, nicht zwingend mit einer Befreiung von der Barunterhaltspflicht einhergeht (vgl. § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB), bedarf es der Feststellung, ob der inhaftierte Elternteil, der nunmehr an der Pflege und Erziehung des Kindes gehindert ist, im materiellen Sinne leistungsfahig ist. Soweit dies der Fall ist, weil z. B. Einkünfte aus einem freien B~schäftigungsverhältnis erzielt werden, kann das Kind während der Haftzeit die Zahlung des Barunterhalts verlangen. Da Gefangene jedoch häufig nicht in der Lage sind, ihre Angehörigen finanziel1 zu unterstützen, ist für den Regelfall davon auszugehen, daß der zuvor geleistete Betreuungsunterhalt nicht durch die Leistung von Barunterhalt zu ersetzen ist. Liegt der Strafhaft eine Tat zugrunde, die sich gegen das Kind gerichtet hat (z. B. §§ 176, 176a, 224, 226 StGB), muß angenommen werden, daß der inhaftierte Elternteil gegen Treu und Glauben verstößt, soweit er sich auf seine haftbedingte Leistungsunfahigkeit im materiel1en Sinne beruft. Dem Kind steht in diesen Fäl1en ein Anspruch auf Unterhalt zu. Diese Wertung entspricht der Auffassung, daß auch dem Elternteil, der vor der Inhaftierung den materiellen Unterhalt des Kindes gedeckt hat, eine Berufung auf seine Leistungsunfahigkeit wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben versagt sein soll, wenn er das Kind schwer geschädigt hae96 .
c) Die Rechtslage bei Leistungsfähigkeit der inhaftierten Mutter
Ist eine Gefangene gemeinsam mit ihrem Kind untergebracht (§ 80 StVol1zG) oder wurde ihr der "Hausfrauenfreigang" gestattet (§ 11 StVollzG), so gilt für den Regelfall, daß eine zusätzliche Barunterhaltspflicht gegenüber ihrem Kind ausscheidet, weil sie gemäß § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB ihre Unterhaltspflicht in vollem Umfang durch Pflege und Erziehung erfüllt. Der Befreiung von der Unterhaltspflicht nach § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB steht dabei nicht entgegen, daß die Freigängerin am Abend in die Vollzugsanstalt zurückkehren muß oder die Inhaftierte im Fal1 des § 80 StVol1zG ihre Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 StVol1zG zu erfül1en hat bzw. einer Erwerbstätigkeit außerhalb der Anstalt nachgeht. Eine Befreiung nach § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB kann nämlich auch dann eintreten, wenn der betreuende Elternteil erwerbstätig ist oder aus sonstigen Gründen nicht ganztägig für das Kind zur Verfügung steht297 • Unerheblich ist auch, ob in diesem Zusammenhang eine Vgl. dazu unter C. I. 1. c) bb) (2). BGH NJW 1980,2306; BGH NJW 1981, 1559 f.; OLG Karlsruhe, FamRZ 1979,735, 736 f.; KG DAVorm 1979, 1\0, 115; Göppinger/Kodal, Unterhaltsrecht, Rn. 1517; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, Rn. 897; SoergellHäberle. BGB, § 1606 Rn. 9; Pa1andt/Diederichsen, BGB, § 1606 Rn. 24; Erman/Holzhauer, BGB. § 1606 Rn. 5 f.; a.A. OLG Nürnberg FamRZ 1979,737. Eine abweichende Bewertung ist erst dann geboten, wenn die alleinige Belastung des anderen Elternteils mit der Barunterhaltspflicht zu einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führt. vgl. BGH NJW 1980, 2306; BGH NJW 1981, 1559; Göppinger/Kodal, Unterhaltsrecht. Rn. 1517; Derleder/Derleder. NJW 1978, 1129, 1132. 296 297
C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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zeitweise Fremdbetreuung erfolgt 298 • Maßgebliche Kriterien sind vielmehr der Erziehungs- bzw. Betreuungserfolg299 und der Umstand, daß der betreuende Elternteil im wesentlichen ein gemeinsames Leben mit dem Kind führt 3OO • In welcher Weise und zu welchen Zeiten die Betreuungsleistungen erbracht werden, ist dem betreuenden Elternteil überlassen 301 . Da diese Grundsätze konsequenterweise auch für Inhaftierte Geltung haben müssen, besteht grundsätzlich kein Anlaß, einer inhaftierten Mutter, die im Freigang ihre Kinder versorgt oder gemeinsam mit ihrem Kind in der Anstalt untergebracht ist, eine Befreiung von ihrer Unterhaltspflicht nach § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB zu versagen. Insbesondere kann nicht bestritten werden, daß die inhaftierten Mütter in diesen Fällen im wesentlichen mit ihren Kindern zusammenleben. Erfüllt die inhaftierte Mutter ihre Unterhaltsleistung durch die Betreuung des Kindes (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB), dann obliegt es dem Vater, im Rahmen seiner Leistungsfahigkeit den Barunterhalt des Kindes sicherzustellen 302 . Ist allerdings die inhaftierte Mutter alleinige Unterhaltsschuldnerin, weil der Vater verstorben, nicht bekannt oder leistungsunfähig ist, so hat sie nicht nur den Betreuungsunterhalt zu leisten, sondern auch - ihre Leistungsfähigkeit vorausgesetzt - den Barunterhalt des Kindes zu erbringen.
11. Die zwangsweise Durchsetzung von Unterhaltsanspruchen 1. Die Privilegierung der gesetzlichen Unterhaltsansprüche in der Zwangsvollstreckung
a) Erweiterte Zugriffsmöglichkeit gemäß § 850d Abs. 1 ZPO
Gemäß § 850d Abs. 1 ZPO sind Verwandte, Ehegatten, frühere Ehegatten und Elternteile, die wegen ihrer kraft Gesetzes begründeten Unterhaltsansprüche die Zwangsvollstreckung betreiben, gegenüber den sonstigen Gläubigern insofern bevorzugt, als sie den Anspruch ihres Schuldners auf Arbeitseinkommen und die in § 850a Nr. 1, 2 und 4 ZPO genannten Bezüge ohne die in § 850c ZPO festgelegten Beschränkungen pfänden können. Dem Schuldner ist nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO lediglich der notwendige Unterhalt zu belassen 303 . Hat der Schuldner weitere Un298 Vgl. BGH NJW 1981, 1559; LG Kar1sruhe DAVorrn 1990,243; Göppinger/Kodal, Unterhaltsrecht, Rn. 1521 f.; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des UnterhaItsrechts, Rn. 897; Palandt/Diederichsen, BGB, § 1606 Rn. 24; Soergel/Häberle, BGB, § 1606 Rn. 9. 299 Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1979,735,736. 300 Vgl. SoergellHäberle, BGB, § 1606 Rn. 9. 301 BGH NJW 1980,2306; BGH NJW 1981, 1559; OLG Karlsruhe FamRZ 1979,735, 736; Göppinger/Kodal, UnterhaItsrecht, Rn. 1517; Soergel/Häberle, BGB, § 1606 Rn. 9; Derleder I Derleder, NJW 1978, 1129, 1131 f. 302 Vgl. Errnan I Holzhauer, BGB, § 1606 Rn. 4.
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
terhaltsverpflichtungen zu erfüllen, so müssen ihm darüber hinaus die Mittel verbleiben, denen er zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden Berechtigten oder zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten bedarf (vgl. § 850d Abs. 2 ZPO). Um zu verhindern, daß sich die von § 850d Abs. 1 ZPO bezweckte Privilegierung zum Nachteil der UnterhaItsgläubiger auswirkt, bestimmt § 850d Abs. 1 S. 3 ZPO, daß das dem Unterhaltsschuldner verbleibende Arbeitseinkommen nicht den Betrag übersteigen darf, den der Schuldner nach § 850c ZPO gegenüber seinen nicht bevorrechtigten Gläubigern als SelbstbehaIt beanspruchen kann 304 • Mit der Regelung des § 850d Abs. 1 ZPO trägt das Gesetz dem besonderen Interesse der Unterhaltsgläubiger an der Deckung ihres Lebensbedarfs Rechnung. Da ein UnterhaItsgläubiger, dem es nicht gelingt, seine Ansprüche zu realisieren, auf staatliche Leistungen angewiesen ist, wahrt § 850d Abs. 1 ZPO außerdem das Interesse der Allgemeinheit an einer sparsamen Verwendung der öffentlichen Mittee05. Da § 850d Abs. 1 ZPO das Prioritätsprinzip des § 804 Abs. 2 ZPO unberührt läßt, räumt § 850d Abs. 1 ZPO den UnterhaItsgläubigern kein gegenüber anderen Gläubigem vorrangiges Pfändungs pfandrecht ein. Damit ist das Pfandungspfandrecht eines Unterhaltsgläubigers gemäß § 804 Abs. 2 ZPO nachrangig, wenn bereits ein gewöhnlicher Gläubiger den Anspruch des Schuldners auf das Arbeitseinkommen gepfandet hat, bevor ein privilegierter Unterhalts gläubiger auf die Forderung zugreift 306 • In einem solchen FaIl kommt die Privilegierung des § 850d Abs. I ZPO nur insofern zum Tragen, als sie dem Unterhaltsgläubiger den vorrangigen Zugriff auf den Differenzbetrag zwischen dem notwendigen Unterhalt i. S. d. § 850d Abs. I S. 2 ZPO und dem betreffenden Pfändungsfreibetrag gemäß § 850c ZPO ermöglicht307 • Erfolgt die Pfändung durch einen nach § 850d Abs. I ZPO be303 Der notwendige Unterhalt i. S. d. § 850d Abs. I S. 2 ZPO liegt unter dem angemessenen Unterhalt nach §§ I 360a Abs. I, 1610 Abs. I BGB und umfaßt Aufwendungen für Nahrung, Wohnung, Kleidung, Hausrat und ein bescheidenes Taschengeld, vgl. Stein I Jonas I Brehm, ZPO, 850d Rn. 20; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 573. Bei der Bestimmung des notwendigen Unterhalts ist auf die Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, wobei die im Sozialhilferecht geltenden Regelsätze (vgl. §§ 22-24 BSHG) als Orientierungspunkt herangezogen werden können, Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann. ZPO, § 850d Rn. 11; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 573. Von den in § 850a Nr. I, 2 und 4 ZPO bezeichneten Bezügen muß dem Unterhaltsschuldner nach § 850d Abs. I S. 2 Hs. 2 ZPO mindestens die Hälfte des nach § 850a ZPO unpfändbaren Betrages verbleiben. 304 Brox I Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 575; vgl. auch Stein I Jonas/Brehm, ZPO, 850d Rn. 31. 30S Stein /Jonas I Brehm, ZPO, 850d Rn. I; Brox I Walker, Zwangsvollstreckungsrecht. Rn. 568. 306 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 577. 307 Brox I Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 577.
C. Unter zivilrechtIichen Aspekten
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vorrechtigten Unterhaltsgläubiger zeitlich vor der Pfändung durch einen gewöhnlichen Gläubiger und erfaßt die Pfändung wegen der Unterhaltsforderung lediglich den nach § 850c ZPO pfändbaren Teil des Arbeitsentgelts, so muß das Vollstrekkungsgericht gemäß § 850e Nr. 4 ZPO auf Antrag eines Beteiligten den Differenzbetrag zwischen dem notwendigen Unterhalt und der Pfändungsfreigrenze zunächt auf den Unterhaltsanspruch verrechnen. Auf diese Weise kann verhindert werden, daß die Unterhaltsgläubiger die Zwangsvollstreckung nur in den nach § 850c ZPO pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens betreiben und damit den gewöhnlichen Gläubigem, die auf diesen Teil beschränkt sind, die Zugriffsmöglichkeit nehmen 308 .
b) Vorratspfändung gemäß § 850d Abs. 3 ZPO
Unter Bezugnahme auf die gemäß § 850d Abs. 1 ZPO bevorrechtigten Unterhaltsforderungen bestimmt § 850d Abs. 3 ZPO, daß zugleich mit der Pfändung wegen fälliger Ansprüche auch künftig fälliges Arbeitseinkommen wegen der dann jeweils fällig werdenden Ansprüche gepfändet und überwiesen werden kann (sog. Vorratspfändung). Indem § 850d Abs. 3 ZPO den Unterhaltsgläubigem die Möglichkeit einräumt, wegen noch nicht fälliger Unterhaltsansprüche zu pfänden, weicht die Vorschrift von dem in § 751 Abs. 1 ZPO normierten Grundsatz ab, wonach der Beginn der Zwangsvollstreckung die Fälligkeit der Gläubigerforderung voraussetzt 309 . Die von § 850d Abs. 3 ZPO vorgesehene Verbindung einer Pfändung wegen noch nicht fälliger mit der Pfändung wegen bereits fälliger Forderungen beruht auf der Überlegung, daß eine Vorratspfändung, wie sie von § 850d Abs. 3 ZPO vorgesehen ist, nur gerechtfertigt werden kann, wenn bei Erlaß des Pfändungsbeschlusses eine fällige aber noch nicht beglichene Forderung besteht und damit ein Anhaltspunkt dafür gegeben ist, daß der Schuldner die zukünftig entstehenden Ansprüche ebenfalls nicht rechtzeitig erfüllen wird 31O • Die Pfändung der künftigen Lohnforderungen des Schuldners wird im Falle des § 850d Abs. 3 ZPO mit der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Drittschuldner (§ 829 Abs. 3 ZPO) für alle fälligen und zukünftig fällig werdenden Un-
terhaltsforderungen wirksam 3 )). Das damit begründete Pfändungspfandrecht an den Forderungen des Schuldners schafft einen einheitlichen Rang für alle Unterhaltsforderungen des vollstreckenden Gläubigers, so daß spätere Pfändungen oder Verfügungen - auch wenn sie vor Fälligkeit der jeweiligen Unterhaltsforderung erBrox I Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 577. Stein I Jonasl Brehm, ZPO, 850d Rn. 49; Brox I Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 159. 310 Thomas/Putzo, ZPO, § 850d Rn. 15; SteinlJonas/Brehm, ZPO, 850d Rn. 53; Broxl Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 161. 311 Stein lJonasl Brehm, ZPO, 850d Rn. 57; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 159. 30X
31W
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
folgen - dessen Rang nicht mehr beeinträchtigen können 312 . Zur Zahlung an den Vollstreckungsgläubiger ist der Drittschuldner jedoch erst verpflichtet, wenn der Unterhaltsanspruch und der Anspruch des Schuldners auf das Arbeitsentgelt fällig geworden sind313 .
2. Die Geltung des § 850d ZPO zugunsten der UnterhaltsgIäubiger von Gefangenen
a) Vollstreckung in Ansprüche aus § 43 StVollzG
Nach der in Rechtsprechung 314 und Literatur315 überwiegend vertretenen Auffassung ist das Arbeitsentgelt des Gefangenen gemäß § 43 StVollzG Arbeitseinkommen i. S. d. § 850 Abs. 2 ZPO und der Anspruch auf das Arbeitsentgelt unter Berücksichtigung der §§ 850 - 850k ZPO grundsätzlich pfändbar. Für die Unterhaltsgläubiger von Gefangenen ergibt sich daraus, daß sie - privilegiert durch § 850d Abs. I ZPO - bis zur Grenze des notwendigen Unterhalts in den Anspruch aus § 43 StVollzG vollstrecken können 316 und ihnen unter den Voraussetzungen des § 850d Abs. 3 ZPO das Institut der Vorratspfändung zur Seite steht. Da das Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG regelmäßig unterhalb der Pfändungsfreigrenze gemäß § 850c ZPO liegt, folgt für die Unterhaltsgläubiger des Gefangenen aus § 850d ZPO nicht bloß eine gegenüber anderen Gläubigem erweiterte Zugriffsmöglichkeit, sondern die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung in den Entgeltanspruch überhaupt. Voraussetzung ist dabei jedoch, daß das Arbeitsentgelt nicht in vollem Umfang den Verwendungen nach §§ 47 Abs. 1,51 Abs. 1 StVollzG unterliegt. Nach anderer Ansicht 317 sind die §§ 850-850k ZPO nicht auf den Entgeltanspruch aus § 43 StVollzG anzuwenden. Die Vertreter dieser Auffassung gehen da312 MK/Smid, ZPO, § 850d Rn. 32; Stein/Jonas/Brehm. ZPO. 850d Rn. 57; Brox/Walker. Zwangsvollstreckungsrecht. Rn. 159. 313 Brox/Walker. Zwangsvollstreckungsrecht. Rn. 159; Thomas/Putzo. ZPO. § 850d Rn. 16. 314 OLG Celle ZfStrVo 1980. 188; OLG Celle ZfStrVo 1980.253.254; OLG Celle NStZ 1981. 78 f. mit Anm. Ballhausen; OLG Celle NStZ 1988. 334; OLG Frankfurt NStZ 1985. 96; OLG Frankfurt NStZ 1993.559 f.; OLG Saarbrücken ZfStrVo 1988.249 f.; OLG Hamm NStZ 1988.479.480; OLG München NStZ 1987.45 mit Anm. Seebode; OLG Stuttgart NStZ 1986. 47, 48; OLG Karlsruhe StV 1985. 467 mit Anm. Feest / Lesting; LG Koblenz Rptleger 1989. 124 f.; LG Karlsruhe NStZ 1990. 56; LG Krefeld. ZfStrVo 1993. 245; vgl. dazu auch BVerfG NStZ 1982,300; BT-Drs. 7/3998. S. 35. m Calliess/Müllcr-Dietz. StVollzG. § 43 Rn. 6; AK-StVollzG/Däubler/pecic. § 43 Rn. 20; Schwind / Böhm / Matzke. StVollzG. § 43 Rn. 11; Konrad. ZfStrVo 1990. 203. 204 ff.; Hofmann. ZfStrVo 1981, 344; Litwinski / Bublies. Strafverteidigung im Strafvollzug. S. 142; Volckart. Verteidigung in der Strafvollstreckung und im Vollzug. Rn. 59; Stein/ Jonas/ Brehm. ZPO. § 850 Rn. 28; Münzberg. ZZP \02 (1989).129,130. 310 Vgl. Ballhausen. Anm. zu OLG Celle v. 25. 10. 1979, NStZ 1981, 79.
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von aus, daß der Anspruch aus § 43 StVollzG nach § 851 Abs. 1 ZPO unpfändbar ist; die §§ 47 Abs. 1,51 Abs. 1,52 StVollzG werden im Sinne einer die Pfändbarkeit und Übertragbarkeit ausschließenden Zweckbindung verstanden 3I8 . Die Gläubiger sollen nur in das Eigengeld vollstrecken können, und zwar ohne daß Pfändungsbeschränkungen eingreifen 319 . Ein gemäß § 850d ZPO privilegierter Zugriff der Unterhaltsgläubiger auf das Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG scheidet demnach aus. Gegen die Anwendbarkeit der §§ 850 - 850k ZPO wird insbesondere angeführt, daß der Gefangene die Arbeit aufgrund eines hoheitlichen Eingriffs in seine Freiheit leiste und es damit an dienst- und arbeitsvertraglichen Beziehungen fehle, um das Arbeitsentgelt des Gefangenen den §§ 850-850k ZPO zu unterstellen 32o . Das Entgelt für Gefangenenarbeit sei weder vom Wortlaut noch vom Sinn des § 850 ZPO erfaßt. Die Erfüllung der Arbeitspflicht diene nicht, wie eine berufliche Tätigkeit in freier Arbeit, dem Zweck, Mittel für den eigenen Lebensunterhalt und den der Familienangehörigen zu erlangen 321 . Im übrigen wird angeführt, der Anspruch gemäß § 43 StVollzG sei auf Gutschrift gerichtet und daher nicht als Geldforderung i.S.d § 829 ZPO, sondern als ein "anderes Vermögensrecht" i. S. d. § 857 ZPO zu werten, auf das die §§ 850- 850k ZPO nicht anwendbar seien 322 . Die zuletzt dargestellte Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Vielmehr ist mit der h.M. von einer Anwendbarkeit der §§ 850-850k ZPO auszugehen. Es besteht kein zwingender Grund, das Arbeitsentgelt der Gefangenen dem speziell für Arbeitseinkommen geltenden Pfändungsschutz zu entziehen und dem stärkeren Schutz des § 851 Abs. 1 ZPO zu unterstellen. Gemäß § 851 Abs. 1 ZPO ist eine Forderung in Ermangelung besonderer Vorschriften nur insoweit der Pfändung unterworfen, als sie übertragbar ist. Die Übertragbarkeit einer Forderung kann zum einen kraft ausdrücklicher Gesetzesbestimmung ausgeschlossen sein; sie kann aber auch darauf beruhen, daß die Forderung einer Zweckbindung unterliegt und der Zweck nicht mehr erreicht werden kann, wenn die Forderung abgetreten wird 323 . Im Vergleich zu § 851 Abs. 1 ZPO enthalten die §§ 850 - 850k ZPO ein speziell auf das Arbeitseinkommen bezogenes Regelungssystem, das die Interessen des Schuldners, der Unterhaltsgläubiger, der 317 LG Itzehoe JurBüro 1991,872 f.; Fluhr, ZfStrVo 1989, 103, 104 f.; 1983,23,24; Stöber, Forderungspfandung, Rn. 137. m LG Itzehoe JurBüro 1991,872,873; Fluhr, ZfStrVo 1989, 103, 104 f.; 1983,23,24; Stöber, Forderungspfändung, Rn. 137. 319 Fluhr, ZfStrVo 1994,7,8 f.; 1989, 103, 106; 1983,23,25; Stöber, Forderungspfändung, Rn. 134, 137.
3211 LG Itzehoe JurBüro 1991, 872, 873; Stöber, Forderungspfändung, Rn. 137; siehe auch Fluhr, ZfStrVo 1989, 103, 106; Seebode, Anm. zu OLG München v. 17.3.1986, NStZ 1987, 46,47. 321 Stöber, Forderungspfandung, Rn. 137; siehe auch LG Itzehoe JurBüro 1991,872,873; Fluhr, ZfStrVo 1989, 103, 106 f. 322 Fluhr, ZfStrVo 1989, 103, 104. 323 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 521 f.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
sonstigen Gläubiger und der Allgemeinheit berücksichtige 24 . Maßgebend ist dabei, daß das Arbeitseinkommen häufig sowohl die Existenzgrundlage des Schuldners und seiner Familie bildet, als auch das einzige Vollstreckungsobjekt der Gläubiger ist 325 . Für den Schuldner und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen soll ein Betrag verbleiben, der eine menschenwürdige Lebensführung errnöglicht326 . Das Arbeitseinkommen wird durch die §§ 850 - 850k ZPO sowohl in seiner Funktion für den gegenwärtigen Unterhaltsbedarf (vgl. § 850c ZPO) als auch unter dem Aspekt der Vorsorge für die Zeit des Alters sowie für die Fälle von Krankheit und Arbeitslosigkeit erfaßt (§ 850e Nr. 1,2 ZPO). Bezogen auf das den Lebensunterhalt sichernde Arbeitseinkommen sind die §§ 850 - 850k ZPO daher als Spezialregelungen zu verstehen, die einer Anwendung des § 851 Abs. 1 ZPO vorgehen 327 . Zum Arbeitseinkommen i. S. d. § 850 ZPO gehören alle wiederkehrenden und in Geld zahlbaren Bezüge, die sich aus einer jetzigen oder früheren Arbeitsleistung ergeben 328 . Dabei ist gemäß § 850 Abs. 5 ZPO unerheblich, wie die Bezüge bezeichnet oder berechnet werden. Das Arbeitsentgelt der Gefangenen nach § 43 StVollzG ist eine wiederkehrend zu entrichtende Vergütung für geleistete Arbeit, die kraft Gesetzes zu gewähren ist. Der Charakter des Arbeitsentgelts als Vergütung für geleistete Arbeit läßt sich insbesondere dadurch belegen, daß die Arbeitsleistung des Gefangenen entsprechend den gestellten Anforderungen vergütet wird und das Arbeitsentgelt nur unter der Voraussetzung gezahlt wird, daß der Gefangene tatsächlich gearbeitet hat 329 . Außerdem handelt es sich um eine Geldforderung. Entscheidend ist insofern, daß der Anspruch auf Leistung eines bestimmten Geldbetrages gerichtet ise 3o . Dies ist bei einem Anspruch aus § 43 StVollzG der Fall. Die Gutschrift des Arbeitsentgelts auf den einzelnen Konten betrifft lediglich die Art der Zahlung, die für die Einordnung einer Forderung als Geldforderung i. S. d. § 829 ZPO unerheblich ist 33l . Der Anwendung der §§ 850-850k ZPO steht nicht entgegen, daß der Gefangene der Arbeitspflicht nach § 41 StVollzG unterliegt. Zwar ergeben sich die in § 850 Abs. 2 ZPO genannten Bezüge aus Rechtsverhältnissen, die der Schuldner freiwillig eingegangen ist, doch läßt sich der Vorschrift des § 850 ZPO eine Beschränkung auf Einkünfte aus freier Arbeit nicht entnehmen. § 850 Abs. 2 ZPO nennt die verschiedenen Einkunftsarten lediglich beispielhaft und faßt damit den Begriff des 324 Vgl. Ullenbruck, Anm. zu AG Freiburg v. 24. 7.1991. NStZ 1993. 150. 151 f.; Konrad. ZStrVo 1990,203,204. m Vgl. Brox I Walker. Zwangsvollstreckungsrecht. Rn. 540. 326 Vgl. Stöber. Forderungspfändung. Rn. 872. m Vgl. dazu Konrad. ZfStrVo 1990. 203. 204. m Baumbach I Lauterbach I Albersl Hartmann. ZPO. § 850 Rn. 2; Brox/Walker. Zwangsvollstreckungsrecht. Rn. 541; vgl. BGH NJW 1978. 756. m Vgl. AK-StVollzG I Däubler I pecic. § 43 Rn. 5. 330 Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann. ZPO. § 829 Rn. 2; Brox I Walker. Zwangsvollstreckungsrecht. Rn. 506. 331 Konrad. ZfStrVo 1990. 203. 204.
c. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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Arbeitseinkommens sehr weit 332 • Im Hinblick auf den Schutzzweck der §§ 850850k ZPO kann nur verlangt werden, daß das Arbeitsgelt nach § 43 StVollzG einen Bezug zur Unterhaltssicherung aufweist. Auch wenn die Bezüge nach § 43 StVollzG derzeit sehr gering sind und der Lebensbedarf des Gefangenen in erster Linie durch die Anstaltsversorgung abgedeckt ist, so belegen doch gerade die Regelungen der §§ 47 Abs. I, 51 Abs. I, 52 StVollzG. daß das Arbeitsentgelt - wie jedes andere Arbeitseinkommen auch - der Unterhaltssicherung dient 333 . Wahrend das aus dem Arbeitsentgelt gebildete Hausgeld für den laufenden Unterhalt des Gefangenen zur Verfügung steht, ist das Arbeitsentgelt. soweit es gemäß § 51 Abs. 1 StVollzG als Überbrückungsgeld anzusparen ist, auf einen zukünftigen Unterhaltsbedarf des Inhaftierten und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen gerichtet. Nicht zuletzt stellt auch § 52 StVollzG durch die Erwähnung des Unterhaltsbeitrages einen Bezug zur Unterhaltssicherung her. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die ursprüngliche Konzeption des Gesetzgebers, die vorsah, daß der Gefangene aus dem Arbeitsentgelt einen Haftkostenbeitrag leistee 34 . In diesem Fall würde der Gefangene seinen Lebensunterhalt (Unterkunft und Verpflegung) aus den gesetzlichen Bezügen bestreiten. Aus dem Bezug zur Unterhaltssicherung folgt letztendlich auch die Möglichkeit, die in §§ 47. 51 Abs. I, 52 StVollzG vorgesehenen Verwendungen mit den §§ 850 - 850k ZPO in Einklang zu bringen 335 . So ist die Gutschrift von Hausgeld gewährleistet, weil das Hausgeld zum notwendigen Unterhalt des Gefangenen zu zählen ist 336 und dieser dem Vollstreckungsschuldner auch im Rahmen der §§ 850-850k ZPO auf jeden Fall verbleiben muß (vgl. §§ 850d Abs. I, 850 f. Abs. 2 ZPO). Um die Bildung des Überbrückungsgeldes aus dem Arbeitsentgelt auf der Grundlage der §§ 850- 850k ZPO sicherzustellen, empfiehlt sich eine analoge Anwendung des § 850e Nr. 1 S. 1 ZPO. Da sich die Vorschriften des § 51 Abs. 4, 5 StVollzG lediglich auf den Anspruch auf Auszahlung des Überbrükkungsgeldes beziehen, fehlt es an einer ausdrücklichen, den Anspruch aus § 43 StVollzG betreffenden Regelung. Gemäß § 850e Nr. 1 S. 1 ZPO sind bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens u. a. die Beträge nicht mitzurechnen. die nach den sozialrechtlichen Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind. Die Verpflichtung nach § 51 Abs. 1 m Vgl. MK/ Smid. ZPO. § 850 Rn. 20; Stöber. Forderungspfandung. Rn. 875; Stein / Jonas / Brehm. ZPO. § 850 Rn. 20; Brox / Walker. Zwangsvollstreckungsrecht. Rn. 541; Baumbach / Lauterbach / Albers/ Hartmann. ZPO. § 850 Rn. 2; Konrad. ZfStrVo 1990.203.204. 333 Vgl. Münzberg. ZZP 102 (1989).129.130. 334 Vgl. § 50 Abs. I S. I StVollzG in der Fassung, die durch besonderes Bundesgesetz in Kraft zu setzen ist; siehe auch Münzberg. ZZP 102 (1989). 129. 130. m Vgl. Münzberg. ZZP 102 (1989).129.130. 331> Vgl. LG Münster ZfStrVo 1993,58; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 47 Rn. 1; UIlenbruck, Anm. zu AG Freiburg v. 24. 7. 1991, NStZ 1993, 150, 152; siehe auch BT-Drs. 7/ 918, S. 69. 7 Götte
I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
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StVollzG ist mit der von § 850e Nr. 1 ZPO erfaßten Pflicht zur Abführung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung 337 insofern vergleichbar, als in beiden Fällen ein Teil des Arbeitseinkommens aufgrund einer gesetzlichen Regelung mit dem Ziel angespart wird, zu einem späteren Zeitpunkt und bezogen auf eine besondere Situation den Unterhalt des Erwerbstätigen und seiner Angehörigen zu sichern. Bei analoger Anwendung des § 850e Nr. 1 S. 1 ZPO ist das monatlich anzusparende Überbrückungsgeld bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens nicht mitzurechnen. Wenn vertreten wird, die Unpfändbarkeit des Anspruchs aus § 43 StVollzG in Höhe des Betrages, der als Überbrückungsgeld anzusparen ist, auf § 850i Abs. 4 ZPO i.Y.m. § 51 Abs. 1 StVollzG zu stützen 338 , beruht dies auf dem Gedanken, daß § 51 Abs. 1 StVollzG seiner Zielsetzung nach einen zwangsvollstreckungsrechtlichen Zugriff auf den Anpruch aus § 43 StVollzG insoweit verbietet, als das Arbeitsentgelt zur Bildung des Überbrükkungsgeldes heranzuziehen ist. Kritischer Punkt ist dabei jedoch, daß § 850i Abs. 4 ZPO "Vorschriften über die Pfändung von Ansprüchen bestimmter Art" voraussetzt, an denen es vorliegend gerade fehlt. Während die Bildung von Haus- und Überbrückungs geld gewährleistet sein muß, besteht kein Anlaß, die Gutschrift von Eigengeld in den Schutz der §§ 850- 850k ZPO einzubinden 339 . Soweit § 52 StVollzG die Gutschrift von Eigengeld vorsieht, ist damit keine spezielle Verwendung verbunden 340 . Für die Anwendbarkeit der §§ 850 - 850k ZPO spricht ferner der Wille des Gesetzgebers. Mit der Einführung des Anspruchs auf Arbeitsentgelt beabsichtigte der Gesetzgeber eine Anpassung an das Leben außerhalb der Anstalt. Fortan sollte der Gefangene statt einer Arbeitsbelohnung ein Arbeitsentgelt erhalten, das wirtschaftlich der erbrachten Leistung entspricht und den Gefangenen in die Lage versetzt, zum Lebensunterhalt seiner Angehörigen beizutragen, den durch die Straftat verursachten Schaden wiedergutzumachen und Ersparnisse für die Zeit nach der Entlassung zu bilden 341 . In bezug auf das Vollstreckungsrecht kann diese vom Angleichungsgedanken getragene Zielsetzung nur dahin gehend verstanden werden, daß das Arbeitsentgelt der Gefangenen ebenso wie die Erwerbsbezüge der freien Bürger dem Pfändungsschutz der § § 850 - 850k ZPO zu unterstellen ist 342 , womit auch eine Privilegierung der Unterhalts- und Deliktsgläubiger gewährleistet wird 343 .
m Vgl. dazu Brox / Walker. Zwangsvollstreckungsrecht. Rn. 561. J.1X
Konrad. ZfStrVo 1990. 203. 204; vgl. auch Hofman. ZfStrVo 1981. 344.
m Vgl. LG Berlin Rptleger 1992.128 .
Siehe dazu unter C. I. I. b) bb) (4) . BT-Drs. 7/918. S. 67 . .'41 Vgl. OLG Celle ZfStrVo 1980. 188; OLG Frankfurt NStZ 1993. 559. 560; LG Karlsruhe NStZ 1990.56; LG Arnsberg Rptleger 1991. 520. 521; LG Krefeld ZfStrVo 1993.245; Ballhausen. Anm. zu OLG Celle v. 25. 10. 1979. NStZ 1981. 79; Konrad. ZfStrVo 1990.203. 204; siehe auch BT-Drs. 7/3998. S. 35. 34.1 Vgl. Konrad. ZfStrVo 1990.203.205. .140
.~I
c. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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Die Geltung des § 850d ZPO eröffnet den Unterhalts gläubigern die Möglichkeit, den Arbeitsentgeltanspruch des Gefangenen bis zur Grenze des notwendigen Unterhalts zu pfänden, wobei der notwendige Unterhalt dem Betrag entspricht, der dem Gefangenen als Hausgeld gutzuschreiben ist. Hat ein Unterhaltsgläubiger die Pfändung und Überweisung des Anspruchs aus § 43 StVollzG erwirkt, so muß die Anstalt als Drittschuldnerin dem Unterhaltsgläubiger den Anteil am Arbeitsentgelt auszahlen, der weder dem Hausgeld- noch dem Überbrückungsgeldkonto gutzuschreiben ist. Eine Gutschrift dieses Betrages auf dem Eigengeldkonto, durch die dem Gefangenen der Betrag zur Verfügung gestellt wird, darf nicht mehr erfolgen. In diesem Sinne vennag die Zwangsvollstreckung in den Entgeltanspruch die Entstehung eines Anspruchs auf Auszahlung von Eigengeld zu verhindern. b) Vollstreckung in Ansprüche aus § 44 StVollzG
Folgt man der h.M. in Rechtsprechung und Literatur, die die Ausbildungsbeihilfe nach § 44 StVollzG zu den den Studienbeihilfen ähnlichen Bezügen i. S. d. § 850a Nr. 6 ZPO zählt, und daher von der absoluten Unpfändbarkeit des Anspruchs auf Ausbildungsbeihilfe ausgeht 344 , so kann den Unterhaltsgläubigern keine nach § 850d ZPO privilegierte Zugriffsmöglichkeit auf den Anspruch aus § 44 StVollzG zustehen 345 . Im Hinblick darauf, daß die Unterhaltsgläubiger auf den ebenso bemessenen Anspruch aus § 43 StVollzG privilegiert zugreifen können 346 und auch die der Ausbildungsbeihilfe vorrangigen Leistungen nach den Regelungen des SGB m347 von den Unterhaltsgläubigern bevorrechtigt beansprucht werden können (§ 54 Abs. 4 SGB I i.Y.m. § 850d ZPO)348, muß die von der h.M. in Rechtsprechung und Literatur vorgenommene zwangsvollstreckungsrechtliche Einordnung der Ausbildungsbeihilfe Zweifel hervorrufen 349 . § 850a ZPO nennt bestimmte, auf dem Arbeitseinkommen beruhende Bezüge, die in besonderer Weise zweckgebunden sind und daher grundsätzlich dem Schuld3014 OLG Celle ZfStrVo 1980. 188; OLG Celle NStZ 1981. 78 f. mit Anm. Ballhausen; OLG Celle NStZ 1988. 334; Ca\liess 1Müller-Dietz. StVollzG. § 44 Rn. 2; AK-StVollzG 1 Däubler 1Pecic. § 44 Rn. 6; Konrad. ZfStrVo 1990. 205. 209; Litwinski 1Bublies. Strafverteidigung im Strafvollzug. S. 143; Steinl Jonas/Brehm. ZPO. § 850a Rn. 32; F1uhr. ZfStrVo 1983.23.24. der die Unpfändbarkeit des Anspruchs aus § 44 StVollzG allerdings auf § 851 Abs. I ZPO stützt; a.A. Schwind 1 Böhml Matzke. StVollzG. § 44 Rn. 8; Hornung. in: Rechtspflegerjahrbuch 1985. 365. 386 . .'-15 Vgl. AK-StVollzG 1 Däubler 1 Pecic. § 44 Rn. 6. 3~~ Gemäß § 44 Abs. 2 StVollzG ist die Ausbildungsbeihilfe entsprechend den für das Arbeitsentgelt maßgeblichen Vorschriften des § 43 Abs. I und 2 StVollzG zu bemessen. Auf diese Weise soll verhindert werden. daß Gefangene aus finanziellen Gründen von einer Ausbildungs- oder Weiterbildungsmaßnahme Abstand nehmen und es vorziehen. zugewiesene Arbeit zu verrichten; vgl. BT-Drs. 7/918. S. 68 f.; Ca\liess 1Müller-Dietz. StVollzG. § 44 Rn. 2; Schwindl Böhml Matzke. StVollzG. § 44 Rn. 1. ~7 Vgl. § 44 Abs. I StVollzG und § 26 Abs. I Nr. 4 SGB III. 3~~ Vgl. Mrozynski. SGB I. § 54 Rn. 19. 29.
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l. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
ner verbleiben sollen 350. Lediglich für die Fälle des § 850a Nr. I, 2, 4 ZPO gilt gemäß § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO eine Durchbrechung des Pfändungsschutzes zugunsten der Unterhaltsgläubiger. Von § 850a Nr. 6 ZPO werden die Gelder bzw. Beihilfen erfaßt, die zum Zwecke der Erziehung oder der Ausbildung gezahlt werden, wobei gleichgültig ist, ob diese Bezüge von der öffentlichen Hand, von Stiftungen oder Privaten gewährt werden 351 . Da der Gesetzgeber § 850a Nr. 6 ZPO nicht in die Regelung des § 850d Abs. 2 ZPO aufgenommen hat, spricht viel dafür, daß es sich bei den in § 850a Nr. 6 ZPO genannten Studienbeihilfen und diesen ähnlichen Bezügen um Leistungen handelt, die unmittelbar der Ausbildung zugute kommen sollen (z. B. Beihilfe zur Beschaffung von Lernmitteln) und die ihren Zweck nicht mehr erfüllen können, wenn die unterhaltsberechtigten Angehörigen einen Teil davon erhalten 352 . Die Ausbildungsbeihilfe nach § 44 StVollzG erfüllt diese Anforderungen jedoch nicht, da sie an die Stelle des Arbeitsentgelts nach § 43 StVollzG tritt und damit ganz allgemein zur Unterhaltssicherung während der Bildungsmaßnahme beiträgt353 . Somit ermöglicht die Ausbildungsbeihilfe lediglich mittelbar die Bildungsmaßnahme; sie dient aber nicht in direkter Weise diesen Maßnahmen, wie es z. B. der Fall wäre, wenn die Ausbildungsbeihilfe die durch die Maßnahme entstehenden besonderen Kosten abdecken würde. In Anbetracht dessen erscheint es nicht sachgerecht, die Ausbildungsbeihilfe der Vorschrift des § 850a Nr. 6 ZPO zu unterstellen. Vielmehr sollte der Anspruch aus § 44 StVollzG vollstreckungsrechtlich ebenso behandelt werden wie das Arbeitsentgelt und die vorrangigen Leistungen nach SGB m354 . Da weder die §§ 850850k ZPO noch § 54 Abs. 4 SGB I direkt anzuwenden sind, ist an eine analoge Anwendung dieser Vorschriften zu denken. Für die Unterhaltsgläubiger würde dies bedeuten, daß sie den Anspruch aus § 44 StVollzG in gleichem Umfang pfänden und sich überweisen lassen können, wie dies für den Anspruch auf Arbeitsentgelt oder die Leistungen nach SGB III gilt. Eine Vorratspfändung nach § 850d Abs. 3 ZPO wäre ebenfalls möglich. Nicht zuletzt ist es im Hinblick darauf, daß der Gefangene verpflichtet sein kann, ein Drittel der Ausbildungsbeihilfe nach § 44 StVollzG für den Unterhalt seiner Angehörigen zu verwenden 355 , inkonsequent, den Unterhaltsgläubigern einen zwangsvollstreckungsrechtIichen Zugriff auf die Ausbildungsbeihilfe zu versagen.
349 Vgl. Schwind I Böhm I Matzke. StVollzG. § 44 Rn. 8; Hornung. in: Rechtspflegerjahrbuch 1985. 365. 386. 350 Vgl. MK/Smid. ZPO. § 850a Rn. l. 351 ZöllerlStöber. ZPO. § 850a Rn. 13; Stein/Jonas/Brehm. ZPO. § 850a Rn. 32; Stöber. Forderungspfandung. Rn. 1002. m Vgl. LG Bamberg Rpfleger 1974. 30. m Vgl. dazu auch § 37 Abs. 2 S. 1 AFG. 354 Vgl. Schwind I Böhm I Matzke. StVollzG. § 44 Rn. 8; Hornung. in: Rechtspflegerjahrbuch 1985. 365. 386. m Vgl. dazu unter C. I. I. b) aal und d).
C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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c) Vollstreckung in Ansprüche aufArbeitsvergütung
aus einem freien Beschäftigungsverhältnis Steht einem Gefangenen aufgrund seiner Tätigkeit in einem freien Beschäftigungsverhältnis eine Arbeitsvergütung zu, so können die Unterhaltsgläubiger ebenfalls von den Bevorrechtigungen des § 850d ZPO Gebrauch machen. Dies folgt aus der Geltung der §§ 850 - 850k ZP0 356 • Der Auffassung, das Arbeitseinkommen aus einem freien Beschäftigungsverhältnis sei unter der Voraussetzung, daß sich die Anstalt das Entgelt zur Gutschrift überweisen läßt (§ 39 Abs. 3 StVollzG), nach § 851 Abs. 1 ZPO unpfändbar357 , ist nicht zu folgen, denn - ebenso wie im Falle eines Anspruchs aus § 43 StVollzG - ist auch hier eine Anwendung des § 851 Abs. 1 ZPO nicht erforderlich, um die Gutschrift der Bezüge zu gewährleisten. Gerade das Arbeitsentgelt aus einem freien Beschäftigungsverhältnis weist einen besonders engen Bezug zur Unterhaltssicherung auf. Der Gefangene leistet in diesem Fall einen Haftkostenbeitrag (§ 50 Abs. 2 StVollzG) und kommt damit für die Kosten seiner Unterkunft und Verpflegung auf. Außerdem sind Unterhaltsleistungen möglich, soweit der Verdienst des Gefangenen den Selbstbehalt übersteigt. Im übrigen beruhen die Einkünfte auf einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis, so daß sich auch insofern keine Zweifel an der Geltung der §§ 850 - 850k ZPO ergeben. Als notwendiger Unterhalt ist dem Gefangenen zunächst das nach § 47 Abs. 2 StVollzG von der Anstalt festgesetzte Hausgeld zu belassen. Des weiteren sind zum notwendigen Unterhalt die Beträge zu zählen, die der Gefangene benötigt, um den Haftkostenbeitrag zu leisten, seine Auslagen für Fahrtkosten, Arbeitskleidung, Verpflegung außerhalb der Anstalt und andere im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung stehende Aufwendungen zu decken (vgl. Nr. 2 Abs. 3 ader VV zu § 39 StVollzG)358. Verbleiben muß dem Freigänger ferner der Betrag, der erforderlich ist, um das Überbrückungsgeld anzusparen.
d) Vollstreckung in Ansprüche aus einer Selbstbeschäftigung Da die in § 39 Abs. 2 StVollzG geregelte Selbstbeschäftigung einer auf Erwerb gerichteten freiberuflichen Tätigkeit entspricht 359, sind die Vergütungsansprüche, die sich für den Gefangenen aus der Selbstbeschäftigung gegenüber dritten Personen ergeben, nicht auf eine wiederkehrend zahlbare Vergütung gerichtet. Der Pfändungsschutz bestimmt sich in diesen Fällen nach § 850i Abs. 1 ZP0 360 .
Vgl. Konrad, ZfStrVo 1990,203,205; Schwind I Böhm/Matzke, StVollzG, § 43 Rn. 11. Fluhr, NStZ 1994, 115, 116; Fluhr, ZfStrVo 1983,23,24; GöppingerlStrohal, Unterhaltsrecht, Rn. 464. 358 Vgl. Fluhr, NStZ 1994,115,117. 359 Vgl. dazu unter B. 11. I. a). 356 357
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
Da der Pfandungsschutz des § 850i Abs. 1 ZPO nur auf Antrag 361 gewährt wird, können Unterhaltsgläubiger - ebenso wie andere Gläubiger - grundsätzlich auf den Vergütungsanspruch des Vollstreckungsschuldners zugreifen, ohne diesem einen Betrag für Unterhaltszwecke belassen zu müssen 362 . Erst wenn der Vollstrekkungsschuldner den Pfandungsschutz nach § 850i Abs. 1 ZPO beantragt, können den Vollstreckungsgläubigern Beschränkungen auferlegt werden. § 850d ZPO findet keine direkte Anwendung. Die Wertungen des § 850d ZPO sind jedoch im Rahmen des § 850i Abs. I S. 4 ZPO zu berücksichtigen 363 . Nach dieser Vorschrift ist der Antrag des Schuldners insofern abzulehnen, als überwiegende Belange des Gläubigers entgegenstehen. Da die Regelungen der §§ 47 Abs. 2, 51 Abs. 1 StVollzG nicht zur Disposition des Gefangenen stehen, sind diese Vorschriften vom Vollstreckungs gericht auch zu berücksichtigen, wenn der Gefangene keinen Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 850i Abs. 1 ZPO gestellt hat. In Anbetracht dessen müssen die Unterhaltsgläubiger dem Gefangenen die Einnahmen aus der Selbstbeschäftigung in dem Umfang belassen, in dem aus ihnen das Haus- und Überbrückungsgeld zu bilden ist, und zwar unabhängig davon, ob der Gefangene Vollstreckungsschutz nach § 850i Abs. 1 ZPO begehrt hat oder nicht.
e) Vollstreckung nach Gutschrift der Bezüge
Mit der Gutschrift der Erwerbsbezüge als Haus-, Überbrückungs- und Eigengeld entstehen für den Gefangenen neue, eigenständige Ansprüche, die gegen die Anstalt gerichtet sind und die Auszahlung der jeweiligen Beträge zum Inhalt haben (§§ 700,607 BGB analog)364. Gleichzeitig erlischt der Anspruch des Gefangenen aus §§ 43, 44 StVollzG gemäß § 362 Abs. I BGB 365 . Ist der Gefangene in einem freien Beschäftigungsverhältnis tätig, erlischt sein Entgeltanspruch gegen seinen A.A. Fluhr, ZfStrVo 1983,23,24, der auch hier eine Unpfandbarkeit nach § 851 Abs. 1 annimmt, soweit sich die Anstalt die Einkünfte nach § 39 Abs. 3 StVollzG zur Gutschrift überweisen läßt. 361 Antragsberechtigt sind neben dem Vollstreckungsschuldner auch dessen unterhaltsberechtigte Angehörige, siehe Stein IJonasl Brehm, ZPO, § 850i Rn. 15; Thomas/Putzo, ZPO, § 850i Rn. 1. 362 Vgl. MK/Smid, ZPO, § 850i Rn. 3; Baumbach I Lauterbach I Albers/Hartmann, ZPO, § 850i Rn. 3. 363 Vgl. Baumbach I Lauterbach I A1bers I Hartmann, ZPO, § 850i Rn. 4; Stein I Jonas I Brehm, ZPO, § 850i Rn. 13. 364 Vgl. LG Regensburg ZfStrVo 1981, 312, 314; Stöber, Forderungspfandung, Rn. 134; AK-StVollzG I Brühl, § 93 Rn. 9; Konrad, ZfStrVo 1990, 203; vgl. auch die Fonnulierung des § 51 Abs.4 S. 1,2 StVollzG. 365 OLG Hamm NStZ 1988,479,480; OLG Frankfurt NStZ 1993,559,560; LG Regensburg ZfStrVo 1981,312,314; Ullenbruck, Anm. zu AG Freiburg v. 24. 7.1991, NStZ 1993, 150, 152; Matzke, Anm. zu LG Kar1sruhe v. 6. 7. 1989, ZfStrVo 1990, 244; Schwind I Böhm I Matzke, StVollzG, § 43 Rn. 11; AK-StVollzG I Brühl, § 93 Rn. 9; Fluhr, ZfStrVo 1989,103; 1983,23,25. 360
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C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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Arbeitgeber mit der Gutschrift auf dem im Arbeitsvertrag bezeichneten Bank- oder Sparkassenkonto der Justizvollzugsanstalt (vgl. § 39 Abs. 3 StVollzG)366. Insofern liegt eine Leistung an einen Dritten zum Zwecke der Erfüllung vor (§ 362 Abs. 2 BGB)367. Die auf Auszahlung gerichteten Ansprüche entstehen mit der Verbuchung des Arbeitseinkommens auf dem Hausgeld-, Überbrückungsgeld- und Eigengeldkonto. Da § 850d ZPO an einen Anspruch auf Arbeitseinkommen gebunden ist, kann diese Regelung nicht ohne weiteres auf die einzelnen, durch die Gutschrift der Erwerbsbezüge entstehenden Auszahlungsansprüche angewandt werden 368 . Sofern nicht der Gesetzgeber - wie in bezug auf das Überbrückungsgeld geschehen (§ 51 Abs.5 StVollzG) - auf die Vorschrift des § 850d ZPO verweist, kann nur die Überlegung. daß die gutgeschriebenen Gelder der Sache nach Arbeitseinkommen sind und daher im Rahmen einer Gesamtbetrachtung wie Arbeitseinkommen zu behandeln sind. zur (analogen) Anwendung des § 850d ZPO bzw. der §§ 850 - 850k ZPO führen.
aa) Hausgeld Angesichts des Bestrebens, dem Gefangenen einen Betrag zu belassen, der es ihm erlaubt, die Kosten der kleinen privaten Anschaffungen zu decken, ist es in Rechtsprechung 369 und Literatur370 h.M., daß der Anspruch auf Hausgeld - von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen gemäß den §§ 93 Abs. 2, 121 Abs. 5 StVollzG abgesehen - dem Zugriff aller Gläubiger entzogen sein soll. Demzufolge haben die Unterhaltsgläubiger den als Hausgeld auszuweisenden Betrag nicht nur bei der Zwangsvollstreckung in die Erwerbsbezüge des Gefangenen zu respektieren, sondern konsequenterweise auch dann, wenn dieser Betrag dem Gefangenen auf seinem Hausgeldkonto zur Verfügung steht.
Fluhr. NStZ 1994. 115. 116. Vgl. Fluhr. NStZ 1994. 115. 116. 368 Vgl. OLG Frankfurt NStZ 1993. 559. 560; HansOLG Harnburg ZfStrVo 1995, 370, 371; Jonas 1Stein 1Brehm. ZPO, § 850 Rn. 9. 369 OLG Celle ZfStrVo 1980, 188; OLG Celle NStZ 1981. 78 f. mit Anm. Ballhausen; OLG Celle NStZ 1984. 334 mit Anm. Seebode; OLG Celle NStZ 1988, 334; OLG Hamm NStZ 1984.432; OLG München NStZ 1987,45 mit Anm. Seebode; LG Regensburg ZfStrVo 1981. 312. 314: LG Münster ZfStrVo 1993.58; AG Freiburg NStZ 1993. 150 mit Anm. Ullenbruch; vgl. BT-Drs. 7/918, S. 69 und BVerfG NStZ 1982,300. 370 AK-StVollzG 1Däubler 1pecic. § 47 Rn. 5: AK-StVollzG 1Brühl, § 93 Rn. 9; Calliess 1 Müller-Dietz. StVollzG, § 47 Rn. 1 und § 93 Rn. 4; Vo1ckart, Verteidigung in der Strafvollstreckung und im Vollzug, Rn. 59; Schöch, in: Kaiser 1Kerner 1Schöch, Strafvollzug, § 6 Rn. 112; Schwind 1 Böhml Matzke, StVollzG , § 47 Rn. 6; Konrad, ZfStrVo 1990,203,206; Fluhr, ZfStrVo 1989, 103. 105: 1983,23,24 f.; Baumbach/Lauterbachl Albers/Hartmann, ZPO. § 850 Rn. 7; Thomas 1Putzo, ZPO. § 829 Rn. 17. 366 367
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
Zur Begründung werden verschiedene Argumente angeführt. So wird Z.T. darauf hingewiesen, der Anspruch auf Hausgeld unterfalle als Teil des Arbeitseinkommens dem Pfändungsschutz der §§ 850-850k ZPO und sei daher unpfändbar37l . Ein anderer Begründungsansatz stellt auf den Zweck des Hausgeldes ab, der mit der Auszahlung an Dritte verfehlt würde, und stützt dessen Unpfandbarkeit auf § 399 BGB i.Y.m. § 851 ZP0 372 . Des weiteren wird die Vorschrift des § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO angeführt, wonach auch Unterhalts gläubigem der Zugriff auf das Hausgeld als notwendiger Unterhalt versagt ist 373 . Entgegen der h.M. wird mit Hinweis auf die §§ 93 Abs. 2, 121 Abs. 5 StVollzG die Ansicht 374 vertreten, die Gläubiger des Gefangenen könnten den Anspruch auf Hausgeld bis zu einem Betrag von 30,- DM pfänden. Diese Auffassung beinhaltet eine analoge Anwendung der §§ 93 Abs. 2, 121 Abs. 5 StVollzG und ist, da es bereits an einer plan widrigen Regelungslücke fehlt, abzulehnen. Gegen eine planwidrige Regelungslücke sprechen in erster Linie die §§ 93 Abs. 2, 121 Abs. 5 StVollzG selbst, die als Ausnahmevorschriften zu werten sind und als solche gerade den Rückschluß zulassen, daß in allen übrigen Fällen ein Zugriff auf das Hausgeld ausgeschlossen sein so1l375. Belegen läßt sich dieser Rückschluß auch durch die Begründung des Regierungsentwurfs 376 , denn dort wird darauf hingewiesen, daß das Hausgeld zum notwendigen Unterhalt des Gefangenen nach § 850d Abs. 1 ZPO zählt und daher auch einem Schuldner zu belassen ist, der wegen Unterhaltsforderungen in Anspruch genommen wird. Im übrigen wäre es nicht mit dem Normzweck des § 47 StVollzG zu vereinbaren, wenn die Gläubiger in entsprechender Anwendung der §§ 93 Abs. 2, 121 Abs. 5 StVollzG auf das Hausgeld zugreifen könnten 377 . Welche Auswirkungen es hätte, wenn Gläubiger das Hausgeld bis auf einen Betrag von 30,- DM pfänden könnten, beschreibt Ullenbruch 378 sehr an37\ OLG Celle ZfStrVo 1980, 188; OLG Celle NStZ 1981,78 f. mit Anm. Ballhausen; OLG Celle NStZ 1988,334; OLG Karlsruhe StV 1985,467 mit Anm. Feest/Lesting; OLG Hamm NStZ 1984,432; OLG München NStZ 1987,45 mit Anm. Seebode; Schöch, in: Kaiser 1Kerner 1Schöch, Strafvollzug, § 6 Rn. 112; Calliess 1Müller-Dietz, StVollzG, § 93 Rn. 4. 372 LG Regensburg ZfStrVo 1981, 312, 314; LG Münster ZfStrVo 1993, 58; AKStVollzG/Brühl, § 93 Rn. 9; AK-StVollzG 1Däub1erl Pecic, § 47 Rn. 5; Calliess/MüllerDietz, StVollzG, § 93 Rn. 4; Fluhr, ZfStrVo 1989, 103, 105; 1983,23,24 f.; Seebode, Anm. zu OLG München v. 17.3.1986, NStZ 1987,46,47. 373 OLG Celle NStZ 1988, 334; LG Münster ZfStrVo 1993, 58; AK-StVollzG 1Däub1er 1 Pecic, § 47 Rn. 5; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 47 Rn. I; Konrad, ZfStrVo 1990,203, 206; Vo\ckart, Verteidigung in der Strafvollstreckung und im Vollzug, Rn. 59. 374 Stöber, Forderungspfändung, Rn. 140; Göppinger 1 Strohal, Unterhaltsrecht, Rn. 465; Zöller 1 Stöber, ZPO, § 829 Rn. 33. 375 LG Münster ZfStrVo 1993, 58; AG Freiburg NStZ 1993, 150 mit Anm. Ullenbruck; vgl. auch OLG Celle NStZ 1981, 78, 79 mit Anm. Ballhausen; LG Regensburg ZfStrVo 1981, 312, 314 f.; Calliess 1Müller-Dietz, StVollzG, § 93 Rn. 4 und § 121 Rn. 4; F1uhr, ZfStrVo 1983,23,25. 376 BT-Drs. 7/918, S. 69. 377 Vgl. LG Münster ZfStrVo 1993, 58. 378 Ullenbruch, Anm. zu AG Freiburg v. 24. 7. 1991, NStZ 1993, ISO, 151.
C. Unter zivilrechtIichen Aspekten
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schaulich, in dem er darauf hinweist, daß dem Hausgeld in Höhe von 30,- DM als dem einzigen, frei verfügbaren Betrag - 140 Arbeitsstunden pro Monat gegenüber stünden. Eine Arbeitsstunde brächte dem Gefangenen ca. 20 Pfennig Hausgeld ein, so daß er einen Tag arbeiten müßte, um z. B. ein Telefongespräch mit seinen Angehörigen führen zu können.
bb) Überbrückungsgeld Die Vorschrift des § 51 Abs. 5 StVollzG nimmt insofern auf § 850d ZPO Bezug, als sie bestimmt, daß der ansonsten unpfändbare Anspruch auf Auszahlung des Überbrückungsgeldes (vgl. § 51 Abs. 4 StVollzG) nur wegen der in § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO bezeichneten Unterhaltsansprüche pfandbar ist. Die Bezugnahme auf § 850d Abs. I S. 1 ZPO erklärt sich vor dem Hintergrund, daß die Interessen der unterhaltsberechtigten Angehörigen bei der Bemessung des anzusparenden Überbrückungsgeldes nach Maßgabe des § 51 Abs. 1 StVollzG zu berücksichtigen sind und es daher erforderlich war, den unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Zugriffsmöglichkeit auf das Überbrückungsgeld zu verschaffen 379 • Befriedigung aus dem Anspruch auf Auszahlung des Überbrückungs geld können die unterhaltsberechtigten Angehörigen jedoch erst nach der Haftzeit erlangen, da der Anspruch entsprechend seiner Zielsetzung erst mit der Haftentlassung fallig wird 380.
cc) Eigengeld Die vollstreckungsrechtliche Behandlung des Anspruchs auf Eigengeld ist äußerst umstritten. In Rechtsprechung 381 und Literatur382 wird z.T. die Ansicht vertreten, daß der Anspruch des Gefangenen auf das aus den Bezügen gebildete Eigengeld ohne Rücksicht auf die Schutzvorschriften der §§ 850-850k ZPO pfändbar sei. Für diese Auffassung spricht, daß der Anspruch auf das Arbeitsentgelt mit der Gutschrift auf den einzelnen Konten erlischt und der Anspruch auf Auszahlung des Eigengeldes gerade nicht mehr auf das Arbeitsentgelt gerichtet ist. Außerdem läßt sich die Begründung des Regierungsentwurfs 383 anführen, denn dort heißt es, Vgl. Schwind I Böhml Matzke, StVollzG, § 51 Rn. 12. HansOLG Bremen ZfStrVo 1991, 309; AK-StVollzG/Däubler/Pecic, § 51 Rn. 8. 381 OLG Nürnberg b. Franke NStZ 1985, 354; OLG Hamm NStZ 1988,479,480; LG Regensburg ZfStrVo 1981,312 ff.; LG Berlin Rpfleger 1992, 128 f.; vgl. auch BVerfG NStZ 1982,300. 382 AK-StVollzG/Däubler/Pecic, § 52 Rn. 4; Stöber, Forderungspfandung, Rn. 134, 137; Fluhr, ZfStrVo 1994,7,8 f.; 1989, 103, 106; 1983,23,25; Volckart, Verteidigung in der Strafvollstreckung und im Vollzug, Rn. 59; Baumbach I Lauterbach I Hartmann, ZPO, § 850 Rn. 7; Stein lJonasl Brehm, ZPO, § 850 Rn. 28; Zöllerl Stöber, ZPO, § 829 Rn. 33; siehe auch LG Berlin, Rpfleger 1981, 445, 446, das § 850c ZPO im Rahmen des § 765a ZPO anwendet; Schwind I Böhml Matzke, StVollzG, § 52 Rn. 4; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 52 Rn. 1. 379 380
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
daß das Arbeitsentgelt, wenn es nicht nach den Vorschriften dieses Titels in Anspruch genommen wird, als Eigengeld sowohl der Verfügung des Gefangenen als auch dem Zugriff seiner Gläubiger offensteht. Folgt man dieser Auffassung, so können sich die Unterhaltsgläubiger bei der Pfändung des Eigengeldanspruchs nicht auf § 850d ZPO stützen. Sie sind damit legt man die h.M. zur Pfändbarkeit der Gefangenenbezüge zugrunde - auf den Vergütungsanspruch des Gefangenen angewiesen, wenn sie von der Privilegierung des § 850d ZPO Gebrauch machen wollen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß den Unterhaltsgläubigern der Anspruch auf Eigengeld ohnehin nur insoweit zur Verfügung steht, als sie nicht bereits privilegiert auf das Arbeitsentgelt zugegriffen haben. Denn in dem Umfang, in dem die Unterhaltsgläubiger den Anspruch auf Arbeitsvergütung gepfändet haben, kann ein Eigengeldanspruch nach § 52 StVollzG nicht mehr zur Entstehung gelangen. Die Unterhaltsgläubiger in erster Linie auf den Arbeitsentgeltanspruch zu verweisen, entspricht der Situation bei freiwilliger Leistung des Gefangenen, die dadurch gekennzeichnet ist, daß die Unterhaltsforderung unmittelbar aus dem Arbeitseinkommen, nicht aber aus dem Eigengeld zu erfüllen ist (vgl. § 52 StVollzG). Ohne jede Privilegierung bleiben die Unterhaltsgläubiger jedoch nach der Mindermeinung, die eine Anwendung der §§ 850-850k ZPO auf die Gefangenenbezüge im Hinblick auf die §§ 47, 51 Abs. 1,52 StVollzG ablehnt und in Konsequenz dessen auch die Geltung der §§ 850-850k ZPO für den Eigengeldanspruch verneint 384 . Die fehlende Einbindung der Unterhaltsgläubiger als privilegierte Vollstreckungsgläubiger ist ein entscheidender Mangel dieser Auffassung 385 . Nach anderer Auffassung 386 soll das aus den Bezügen des Gefangenen gebildete Eigengeld nur unter Beachtung der Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO dem Zugriff der gewöhnlichen Gläubiger offenstehen. Vertreten wird insofern teils eine direkte 387 teils eine analoge 388 Anwendung des § 850c ZPO. Andere befürworten eine entsprechende Anwendung des § 850k Abs. 1 i.V.m. § 850c ZP0389 . Die Fortgeltung des § 850c ZPO über den eigentlichen Vergütungsanspruch hinaus wird im BT-Drs. 7/918 S. 71; siehe dazu auch F1uhr, ZfStrVo 1983,23,25. F1uhr, NStZ 1994, 115, 116 f.; F1uhr ZfStrVo 1994,7,8 f.; 1989, 103, 106; 1983,23, 15; Stöber, Forderungspfändung, Rn. 134, 137. 385 Vgl. Konrad, ZfStrVo 1990,203,205; Kenter, Rpfleger 1991, 488. 489. 386 OLG Frankfurt NStZ 1985, 96; OLG Frankfurt NStZ 1993, 559 f.; HansOLG Hamburg ZfStrVo 1995, 370, 371; LG Karlsruhe NStZ 1990, 56; LG Arnsberg Rpfleger 1991. 520. 521; LG Krefeld ZfStrVo 1993,245; Kenter, Rpfleger 1991,488,489 ff.; Konrad. ZfStrVo 1990, 203, 206. 387 LG Karlsruhe NStZ 1990, 56; LG Krefeld ZfStrVo 1993, 245. 388 OLG Frankfurt NStZ 1993,559,560; HansOLG Hamburg ZfStrVo 1995, 370, 371. 389 LG Kiel ZfStrVo 1994, 120 f.; Konrad, ZfStrVo 1990,203,206; Matzke, Anm. zu LG Karlsruhe v. 6. 7. 1989, ZfStrVo 1990,244; Schwind/Böhm/Matzke, StVollzG, § 52 Rn. 4; vgl. auch OLG Saarbrücken ZfStrVo 1988,249,250 f. (dort offengelassen, da kein Antrag vorlag). 383
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C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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wesentlichen damit begründet, daß die ausschließlich auf Härtefälle bezogene Vorschrift des § 765a ZPO die Gefangenen nicht ausreichend vor Zwangsvollstrekkungsmaßnahmen schützen könne 390 . Von dieser Auffassung ausgehend können die Unterhaltsgläubiger auch bevorrechtigt in den Eigengeldanspruch vollstrecken, denn die Anwendung des § 850d ZPO ist die notwendige Ergänzung zur Regelung des § 850c ZPO, die das Arbeitseinkommen im Interesse des Vollstreckungsschuldners und seiner kraft Gesetzes Unterhaltsberechtigten schützt. Auch wenn der Gedanke, den Pfändungsschutz des § 850c ZPO nach der Gutschrift der Erwerbsbezüge fortwirken zu lassen, in seiner Konsequenz besticht, so kann doch die Anwendung des § 850c ZPO auf den Eigengeldanspruch nur wenig überzeugen. Das aus den Erwerbsbezügen gebildete Eigengeld ist ein Restbetrag, der gemäß der Konzeption des StVollzG verbleibt, nachdem u. a. das Hausgeld gutgeschrieben ist und die Unterhaltsforderungen der Angehörigen - freiwillig oder zwangsweise - erfüllt sind (vgl. § 52 StVollzG und Nr. 2 Abs. 3 der VV zu § 39 StVollzG)391. In Anbetracht dessen ist es widersprüchlich, den Eigengeldanspruch gerade der Pfändungsschutzvorschrift zu unterstellen, die den Unterhalt des Vollstreckungsschuldners und seiner kraft Gesetzes Unterhaltsberechtigten gegenüber den Gläubigerinteressen sicherstellen so1l392. Gegen die Heranziehung des § 850k Abs. 1 ZPO spricht ebenfalls die Einbindung des Eigengeldes in das Konzept des StVollzG. Der Eigengeldanspruch ist mehr als ein bloß in seiner dogmatischen Struktur veränderter Anspruch auf Arbeitsvergütung, wie es z. B. bei dem durch § 850k Abs. 1 ZPO erfaßten Anspruch auf Auszahlung des Bankguthabens der Fall ist. Die von § 850k Abs. 1 ZPO geregelte Interessenlage entspricht damit nicht der Situation, wie sie sich bei der Bildung von Eigengeld nach § 52 StVollzG darstellt. Eine analoge Anwendung des § 850k Abs. 1 ZPO ist daher abzulehnen 393 .
390 OLG Frankfurt NStZ 1993, 559, 560; HansOLG Harnburg ZfStrVo 1995, 370, 371; Konrad, ZfStrVo 1990,203,206; Kenter, Rpfleger 1991,488,490. 391 Vgl. Fluhr, ZfStrVo 1994,7,9. 392 Vgl. dazu Fluhr, ZfStrVo 1994,7,9, der auf eine zweifache Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichlungen bei Anwendung des § 850c ZPO auf den Eigengeldanspruch hinweist. 393 Vgl. dazu OLG Frankfurt NStZ 1993,559 f.; HansOLG Hamburg ZfStrVo 1995,370, 371; LG Berlin Rpfleger 1992, 128 f.; Fluhr, ZfStrVo 1989, 103, 105 f.; Kenler, Rpfleger 1991, 488, 490; Slöber, Forderungspfandung, Rn. 135; SleinlJonas/Brehm, ZPO, § 850 Rn. 9.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
3. Die Bedeutung der Privilegierung des § 850d ZPO für die Unterhaltsgläubiger von Gefangenen im Verhältnis zu den sonstigen Gläubigem
a) Opfer der Straftat
Neben den Unterhaltsgläubigern haben auch die Opfer einer vorsätzlichen Straftat als sog. Deliktsgläubiger die Möglichkeit, ohne Bindung an die Pfändungsfreigrenzen auf das Arbeitseinkommen des Gefangenen zuzugreifen. Dies folgt aus der Regelung des § 850 f. Abs. 2 ZPO, wonach das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens ohne Rücksicht auf die in § 850c ZPO bestimmten Beschränkungen festlegen kann, wenn die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben wird. Anders als im Fall des § 850d Abs. I ZPO handelt es sich jedoch bei der vom Vollstreckungsgericht zu treffenden Entscheidung um eine Ermessensentscheidung, bei der die Interessen des Gläubigers und des Schuldners abzuwägen sind394 • Gemäß § 850d Abs. 3 ZPO kommt für die Opfer einer Straftat eine Vorratspfändung nur in Betracht, wenn ihnen aus Anlaß einer Körper- oder Gesundheitsverletzung ein Anspruch auf eine Verletztenrente - z. B. nach § 843 BGB, § 8 HaftpflichtG, § 13 StVG395 - zusteht. Da dem Schuldner nach § 850 f Abs. 2 ZPO der Betrag zu belassen ist, den er für den eigenen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen benötigt, geht die Privilegierung nach § 850d ZPO einer solchen gemäß § 850f Abs. 2 ZPO vor396 . Demzufolge kann die privilegierte Stellung der Unterhaltsgläubiger in der Zwangsvollstreckung nicht durch eine Vollstreckung seitens der Opfer der Straftat beeinträchtigt werden. Sofern der Gefangene Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG erhält, wird diese Konkurrenzlage zwischen Unterhalts- und Deliktsgläubigern selten eintreten. Beruht nämlich die GläubigersteIlung der Unterhaltsberechtigten darauf, daß sich der Inhaftierte in Anbetracht einer unterhaltsbezogenen Straftat nicht mit Erfolg auf seine haftbedingte Leistungsunfähigkeit berufen kann, so sind Unterhalts gläubiger und Opfer der Straftat i.d.R. personengleich. Ein Konflikt zwischen Unterhaltsgläubigern und nach § 850 f Abs. 2 ZPO privilegierten Deliktsgläubigern kann in diesen Fällen nur auftreten, wenn z. B. durch frühere Straftaten Geschädigte die Zwangsvollstreckung in das Arbeitsentgelt des Gefangenen betreiben oder die unterhaltsbezogene Straftat nicht die einzige Tat ist, derentwegen der Unterhalts394 Zu berücksichtigen sind u. a. der Unrechtsgehalt der unerlaubten Handlung, der dem Gläubiger entstandene Schaden sowie der Vorteil, der dem Schuldner aufgrund der Handlung zugeflossen ist, siehe dazu Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 579; MKI Smid, ZPO, § 850 f. Rn. 19; Stein I Jonas/Brehm, ZPO, § 850 f. Rn. 14. m Vgl. Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann, ZPO, § 850d Rn. 15 und § 850b Rn. 2; Thomas/Putzo, ZPO, § 850d Rn. 14 und § 850b Rn. 7. 396 MK I Smid, ZPO, § 850 f. Rn. 20 und 21.
C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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schuldner die Freiheitsstrafe verbüßt. Soweit nicht ausnahmsweise eine unterhaltsbezogene Straftat vorliegt, wird es im allgemeinen an einem Unterhaltsanspruch fehlen, den die Unterhaltsberechtigten zwangsweise und in Konkurrenz zu den Deliktsgläubigern durchsetzen können. Denn für den Regelfall ist davon auszugehen, daß der Gefangene seine Schadensersatzpflicht gegenüber dem Opfer leistungsmindernd in Ansatz bringen kann 397 .
b) Vollzugsbehörde
In Anbetracht der §§ 50 Abs. 3 S. 3, 93 Abs. 2 StVollzG zählt auch die Vollzugsbehörde zu den privilegierten Gläubigern des Gefangenen. Ist der Gefangene nach § 93 Abs. 1 S. 1 StVollzG zum Aufwendungsersatz verpflichtet, so kann die Vollzugsbehörde gemäß § 93 Abs. 2 StVollzG auch einen 30,- DM übersteigenden Teil des Hausgeldes in Anspruch nehmen. Diese Zugriffsmöglichkeit soll der Vollstrekkungsbehörde - so die Rechtsprechung und ein Teil der Literatur - auch offenstehen, wenn der Gefangene wegen einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen unerlaubten Handlung zum Schadensersatz nach § 823 BGB verpflichtet ist 398 . Die Inanspruchnahme des Hausgeldes kann in der Weise erfolgen, daß die Vollzugsbehörde ihren Anspruch gegen die Hausgeldforderung des Gefangenen aufrechnet 399 • Macht die Behörde von der Ermächtigung nach § 93 Abs. 2 StVollzG Gebrauch, berührt dies weder die Interessen der Unterhaltsgläubiger noch die der sonstigen Gläubiger, da es ihnen ohnehin versagt ist, auf das Hausgeld zuzugreifen 40ü . Da die Vollzugsbehörde - ebenso wie alle nicht gemäß den §§ 850d, 850 f Abs. 2 ZPO privilegierten Gläubiger - an die Pfandungsfreigrenzen des § 850c ZPO gebunden ist und sie diese über § 394 BGB auch bei der Aufrechnung zu beachten hat, ist es der Vollzugsbehörde versagt, gegen den i.d.R. nach § 850c ZPO unpfändbaren Anspruch des Gefangenen aus § 43 StVollzG aufzurechnen. Stützt sich die Vollzugsbehörde nicht auf § 93 Abs. 2 StVollzG, um ihren Aufwendungsersatzanspruch geltend zu machen, so bleibt ihr - geht man von der Pfändbarkeit des Eigengeldanspruchs aus - lediglich die Möglichkeit, ihren Anspruch gegen den jeweils fälligen Anspruch des Gefangenen auf Auszahlung seines Eigengeldes aufzurechnen. Diese Möglichkeit der Befriedigung scheidet jedoch aus, sobald Unterhaltsgläubiger den Anspruch des Gefangenen aus § 43 StVollzG wegen ihrer nach § 850d ZPO privilegierten Forderungen gepfändet haben, denn unter dieser Voraussetzung kann ein Anspruch des Gefangenen auf Auszahlung des Eigengeldes 397
Vgl. dazu unter C. I. I. b) ce).
Siehe zum Meinungsstand und den unterschiedlichen Begründungsansätzen: OLG Celle NStZ 1981, 78, 79 mit Anm. Ballhausen; OLG Karlsruhe StV 1985, 467 ff. mit Anm. Feest I Lesting; OLG München NStZ 1987, 45 mit Anm. Seebode; AK-StVollzG I Brühl, § 93 Rn. 6. m Vgl. Schöch, in: Kaiser I Kerner I Schöch, Strafvollzug, § 6 Rn. 113. ,"Xl Vgl. dazu unter C. I. I. b) bb) (I). 39M
llO
1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
nicht mehr entstehen. Die Vollzugsbehörde ist daher im Verhältnis zu den Unterhaltsgläubigern auf die Privilegierung nach § 93 Abs. 2 StVollzG angewiesen, wenn sie ihren Aufwendungsersatzanspruch realisieren möchte. Bezüglich des Haftkostenbeitrages ist die Anstalt insofern privilegiert, als sie gemäß § 50 Abs. 2 S. 3 StVollzG ermächtigt ist, den Haftkostenbeitrag zu Lasten des unpfändbaren Teils der Bezüge (vgl. § 850c ZPO) anzusetzen. Allerdings darf sich dies - so die Regelung des § 50 Abs. 2 S. 3 StVollzG - nicht zum Nachteil des Hausgeldes oder des Unterhaltsbeitrages auswirken. Die Regelung des § 50 Abs. 2 S. 3 StVollzG stellt einen erheblichen Eingriff in den allgemeinen Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen dar401 . Dieser ist jedoch im Hinblick darauf gerechtfertigt, daß der Haftkostenbeitrag den durch § 850c ZPO geschützten, existenzsichemden Lebensunterhalt des Gefangenen in Form von Unterkunft und Verpflegung betrifft402 . Aus diesem Verständnis des § 50 Abs. 2 S. 3 StVollzG folgt bereits, daß die Anstalt nicht den Betrag in Anspruch nehmen darf, der dem Vollstreckungs schuldner nach § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO zur Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtungen zu belassen ist. Wenn § 50 Abs. 2 S. 3 StVollzG ausdrücklich darauf hinweist, daß sich die Erhebung des Haftkostenbeitrages nicht zu Lasten des Unterhaltsbeitrages auswirken darf, so ist dies im wesentlichen als eine Bestätigung dessen zu verstehen. Da die Verpflichtung des Gefangenen zur Leistung eines Haftkostenbeitrages die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Gefangenen beschränkt und dem. Gefangenen auch im Rahmen des § 850d ZPO die Mittel zu belassen sind, die der Gefangene zur Erfüllung des Haftkostenbeitrages benötigt, bringt § 50 Abs. 2 S. 3 StVollzG für die Unterhaltsgläubiger weder eine zusätzliche Belastung noch eine "neue" Entlastung.
c) Nichtprivilegierte Gläubiger
Im Verhältnis zwischen den Unterhaltsgläubigern und den nichtprivilegierten Gläubigern sind die Grenzen durch die Vorschrift des § 850c ZPO abgesteckt. Während die nach § 850d ZPO bevorrechtigten Unterhaltsgläubiger die Zwangsvollstreckung in das Arbeitseinkommen bis zur Grenze des Betrages betreiben können, der den notwendigen Unterhalt des Gefangenen ausmacht, sind die nichtprivilegierten Gläubiger an die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO gebunden, die sowohl den Unterhalt des Vollstreckungsschuldners als auch dessen unterhaltsberechtigter Angehöriger gewährleisten. Da das Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG i.d.R. nicht die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO überschreitet, ist der Arbeitsentgeltanspruch praktisch den Unterhaltsgläubigem vorbehalten. Anders stellt sich die Situation nur dar, wenn der Gefangene in einem freien Beschäftigungsverhältnis steht und sein Arbeitseinkommen dem eines freien Arbeitnehmers ent-
4(l)
402
Schwind / Höhm / Matzkc. StVollzG. § 50 Rn. 5. Vgl. HT-Drs. 7/3998. S. 23; Schwind/ Böhm/ Matzke. StVollzG. § 50 Rn. 5.
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spricht. In diesem Fall können sowohl Unterhaltsgläubiger als auch gewöhnliche Gläubiger des Gefangenen in dessen Entgeltanspruch aus dem Arbeitsverhältnis vollstrecken. Zu beachten ist dann die Vorschrift des § 850e Nr. 4 ZPO. Im Hinblick darauf, daß Gefangenen, die ein Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG erhalten, keine Kosten für Unterkunft und Verpflegung entstehen (§ 50 Abs. 1 i.d.F.d. § 199 Abs. 2 Nr. 3 StVollzG), die Pflindungsfreigrenzen aber unter Berücksichtigung dieser Lebenshaltungskosten festgelegt werden, und vermieden werden soll, daß ein Inhaftierter einen stärkeren Schuldnerschutz erhält als ein Schuldner, der sich in Freiheit befindet, wird in Rechtsprechung 403 und Literatur404 z. T. die Auffassung vertreten, die von der Anstalt erbrachten Sachleistungen müßten analog § 850e Nr. 3 ZPO als Naturalleistungen bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommes berücksichtigt werden. Als Wert für die von der Anstalt erbrachten Leistungen soll ein fiktiver Haftkostenbeitrag angesetzt werden. Bei Anwendung des § 850e Nr. 3 ZPO ist das Arbeitsentgelt des Gefangenen insoweit pfändbar, als der nach § 850c ZPO unpfändbare Teil des Gesamteinkommens durch den als Wert für Anstaltsunterkunft, -verpflegung und -kleidung anzusetzenden Haftkostenbeitrag gedeckt ist405 . Auch wenn derzeit eine Berechnung des Arbeitsentgeltes nach § 850e Nr. 3 ZPO i.d.R. nicht dazu führt, daß die Pflindungsfreigrenzen überschritten werden 406, so erhöht es doch für die nichtprivilegierten Gläubiger die Chance, mit Erfolg die Zwangsvollstreckung in den Entgeltanspruch zu betreiben. Dies berührt die Interessen der Unterhaltsgläubiger eines Gefangenen. Es besteht daher Anlaß, die analoge Anwendung des § 850e Nr. 3 ZPO bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitsentgeltes näher zu betrachten. Zunächst ergeben sich Bedenken, die die Erforderlichkeit einer entsprechenden Anwendung des § 850e Nr. 3 ZPO betreffen. Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers soll das aus dem Arbeitsentgelt gebildete Eigengeld sowohl der Verfügung des Gefangenen als auch dem Zugriff der Gläubiger offenstehen 407 . Versteht man dies in dem Sinne, daß eine Pfändung des Eigengeldanspruchs (§ 52 StVollzG) ohne die Beschränkung des § 850c ZPO möglich sein so1l40l!, so setzt die Anstalt mit der Gutschrift des Eigengeldes einen Teilbetrag des Arbeitsentgeltes frei, auf den die nichtprivilegierten Gläubiger zugreifen können. Unter dem Aspekt, daß das Arbeitsentgelt des Gefangenen, dem keine Kosten für Unter403 OLG Frankfurt NStZ 1985. 96; OLG Frankfurt NStZ 1993.559 f.; HansOLG Hamburg ZfStrVo 1995. 370. 371; LG Kob1enz Rptleger 1989. 124. 125; LG Arnsberg Rptleger 1991. 520.521; LG Kiel ZfStrVo 1994. 120; a.A. LG Ber1in Rptleger 1992. 128. 41)4 Hofmann. ZfStrVo 1981. 344; Kenter. Rptleger 1991. 488. 490; Schwind/Böhml Matzke. StVollzG. § 43 Rn. 11; vgl. Münzberg. ZZP 102 (1989). 129. 130. 405 OLG Frankfurt NStZ 1985. 96; Hofmann. ZfStrVo 1981. 344. 40" AK-StVollzGIDäub1er/Pccic. § 43 Rn. 20; Schwind/Böhm/Matzke. StVollzG. § 43 Rn. 15; siehe auch VoJckart. Verteidigung in der Strafvollstreckung und im Vollzug. Rn. 59. der davon ausgeht. daß die Summe der beiden Beträge die Pfandungsfreigrenze übersteigt. 41)7 BT-Drs. 7/918. S. 71. 40H Vgl. Regensburg ZfStrVo 1981. 312, 314.
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
kunft, Verpflegung und Kleidung entstehen, durch § 850c ZPO ein ,,zuviel" an Pfändungs schutz erhält, ist in dem Verlust des Pfändungsschutzes für Arbeitseinkommen die Aufhebung einer "Besserstellung" zu sehen409 . Für die nichtpriviJegierten Gläubiger bedeutet dies, daß sie den Betrag erhalten können, der für sie zunächst durch das "Zuviel" an Pfändungsschutz unerreichbar war. Der Möglichkeit eines unbeschränkten Zugriffs auf das Eigengeld kommt somit eine ausgleichende Funktion zu, die es sinnvoll macht, das Eigengeld nicht dem Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen zu unterstellen. Da dem Gefangenen letztendlich nichts mehr verbleibt, was ihn im Verhältnis zu sonstigen Vollstreckungsschuldnern begünstigen könnte, besteht kein Bedarf für eine analoge Anwendung des § 850e Nr. 3 ZP041O • Ferner ist die kostenfreie Anstaltsversorgung nicht mit den Naturalleistungen i. S. d. § 850e Nr. 3 ZPO vergleichbar. Die in § 850e Nr. 3 ZPO vorgeschriebene Anrechnung von Naturalleistungen ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß die Pfändungs freigrenzen für Arbeitseinkommen in Geld bemessen sind und sich derjenige, der von seinem Arbeitgeber neben in Geld zahlbarem Arbeitslohn Naturalleistungen erhält, bei einer Pfändung seines Anspruchs auf Arbeitsentgelt besser stünde als ein Schuldner, dessen Einkommen ausschließlich in Geld gezahlt wird. Eine Anrechnung von Naturalleistungen nach § 850e Nr. 3 ZPO setzt daher voraus, daß die Naturalleistungen im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis erbracht werden und damit als Teil des Arbeitsentgeltes gewertet werden können 411 . Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach objektiven Merkmalen412 . Zwischen dem Arbeitsentgelt gemäß § 43 StVollzG und der Anstaltsversorgung besteht grundSätzlich kein Zusammenhang, der eine Verrechnung zulassen könnte. Während das Arbeitsentgelt für geleistete Arbeit erbracht wird, ist die Gewährung der Anstaltsversorgung erforderlich, um die Freiheitsstrafe zu vollziehen. Insbesondere der Umstand, daß jedem Inhaftierten, unabhängig davon, ob er arbeitet oder nicht, Unterkunft und Verpflegung gewährt werden, macht deutlich, daß zwischen den Naturalleistungen der Anstalt und dem Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG kein innerer Zusammenhang besteht413 . Bezüglich des Verhältnisses von Arbeitsentgelt und Anstaltsversorgung kann lediglich § 50 Abs. I StVollzG in der noch nicht in Kraft getretenen Fassung richtungsweisend sein. Die Vorschrift sieht vor, daß die Anstalt von den gesetzlichen Bezügen des Gefangenen einen Haftkostenbeitrag 409 V gl. dazu Fluhr, ZfStrVo 1994, 7, 8 f., der darauf hinweist, daß sich eine analoge Anwendung des § 850c ZPO auf den Eigengeldanspruch verbietet, wenn eine Besserstellung der Gefangenen gegenüber Arbeitnehmern in Freiheit vermieden werden soll. 410 Vgl. dazu LG Berlin Rpfleger 1992,128. 411 V gl. Stein 1J0nas I Brehm, ZPO, § 850e Rn. 71; VoJckart. Anm. zu OLG Karlsruhe v. 8. 2. 1985, NStZ 1985. 431, 432. 412 KG Berlin AP Nr. I zu § 850d ZPO mit Anm. Pohle. 413 Vgl. BVerfG NJW 1998,3337.3341; Vo\ckart. Anm. zu OLG Karlsruhe v. 8. 2. 1985 NSlZ 1985. 431, 432; Vo\ckart. Verteidigung in der Strafvollstreckung und im Vollzug. Rn. 59; AK-StVollzG I Brühl. § 93 Rn. 9; F1uhr ZfStrVo 1989. 102. 107.
C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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einbehalten darf. Der Gefangene soll folglich mit seinem Arbeitsentgelt für die Kosten von Unterkunft und Verpflegung aufkommen 414 . Des weiteren läßt sich die Bedeutung der Naturalleistungen für die unterhaltsberechtigten Angehörigen anführen. Erhält ein Schuldner als Teil seiner Arbeitsleistung Naturalleistungen, z. B. eine kostenfreie Unterkunft415 , so können diese Leistungen auch den unterhaltsberechtigten Angehörigen zugute kommen. Dies eröffnet zum einen die Möglichkeit, Naturalleistungen nur soweit auf das Arbeitsentgelt des Schuldners anzurechnen, als diese tatsächlich von ihm und nicht von seinen Angehörigen genutzt werden 416 . Zum anderen lassen sich Beschränkungen, die sich für die Unterhaltsberechtigten aus § 850e Nr. 3 ZPO ergeben, durch die Teilhabe an den Naturalleistungen rechtfertigen. Für die Angehörigen von Gefangenen ist aber gerade jede Teilhabe an den Naturalleistungen einer Vollzugsanstalt ausgeschlossen, so daß es keinesfalls sachgerecht sein kann, wenn ihnen die Anstaltsversorgung im Verhältnis zu den nichtprivilegierten Gläubigem zum Nachteil gereicht. Die Anwendbarkeit des § 850d ZPO verleiht den Unterhaltsgläubigem des Gefangenen eine starke Stellung gegenüber den nichtprivilegierten Gläubigem. Unter der Voraussetzung, daß das Arbeitseinkommen des Gefangenen einen frei verfügbaren Teil aufweist, haben die Unterhaltsgläubiger gute Chancen, ihre Ansprüche durchzusetzen. Für den Fall, daß der inhaftierte Unterhaltsschuldner im Hinblick auf eine unterhaltsbezogene Straftat an seiner bisherigen Unterhaltsverpflichtung festgehalten wird, bedeutet dies, daß der Unterhaltsanspruch zumindest insofern durchgesetzt werden kann, als das Einkommen des Gefangenen nicht durch die Vorschriften des StVollzG eingebunden ist. Während sich die Unterhaltsberechtigten i.d.R. neben einem haftbedingt geringen Verdienst auch die "sonstigen Verpflichtungen" des Gefangenen entgegenhalten lassen müssen, können die Unterhaltsgläubiger, deren Unterhalts an spruch unter dem Aspekt von Treu und Glauben Bestand hatte, die "sonstigen Verpflichtungen" des Gefangenen in der Zwangsvollstreckung überwinden. Vorausgesetzt, der Gefangene hat eine Unterhaltsforderung trotz Fälligkeit nicht beglichen, so haben die Unterhaltsgläubiger nach § 850d Abs. 3 ZPO die Möglichkeit, ein Pfandungspfandrecht mit einheitlichem Rang an den künftig fallig werdenden Entgeltforderungen zu erwirken. Die Entgeltforderungen sind damit für den pfandenden Unterhaltsgläubiger gleichsam auf Vorrat "reserviert". Andere Gläubiger können den Rang des Pfandungspfandrechts nicht mehr beeinträchtigen.
Vgl. Konrad. ZfStrVo 1990.203.205; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 43 Rn. 6. Vgl. Brox/Walker. Zwangsvollstreckungsrecht. Rn. 564. 416 Vgl. dazu den Wortlaut des § 850e Nr. 3 S. 2 ZPO: .. der dem Schuldner verbleibenden Naturalleistungen". 414
41S
N Gölle
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
III. Die Ersatzhaftung gemäß §§ 1607, 1608 BGB 1. Die Ersatzhaftung bei Ausfall des Kindesunterhalts
a) Die ErsatzhaJtung des anderen Elternteils gemäß § 1607 BGB analog
aa) Analoge Anwendung des § 1607 Abs. 1 BGB Soweit der Gefangene im Verhältnis zu seinen unterhaltsberechtigten Kindern als Unterhaltsschuldner ausfällt, ist zunächst zu entscheiden, ob und gegebenenfalls in weIchem Umfang der nichtinhaftierte Elternteil den Unterhaltsausfall zu tragen hat. Eine Ersatzhaftung des gleichrangigen Verwandten ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. § 1607 BGB bezieht sich nur auf die Haftung der nachrangig Verpflichteten. Es ist jedoch allgemein anerkannt, daß § 1607 Abs. 1 BGB - ebenso wie § 1607 Abs. 2 BGB - im Verhältnis der gleichrangigen Verwandten zueinander analog anzuwenden ist, und damit ein nachrangiger Verwandter erst in Anspruch genommen werden kann, wenn und soweit das Leistungsvermögen aller gleichrangig haftender Verwandten (Eltern) erschöpft ist417 • Herleiten läßt sich dieses Ergebnis auch aus der Vorschrift des § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB418 . Fällt Z. B. einer von zwei gleichrangigen Verwandten wegen Leistungsunfähigkeit als Unterhaltsschuldner aus, erhöht sich der Haftungsanteil (vgl. § 1606 Abs. 3 BGB) des anderen entsprechend seiner Erwerbs- und Vermögenslage 419 . Die Alleinbelastung des anderen gleichrangigen Verwandten stellt sich als äußerster Fall der Haftungsteilung i.S. dieser Vorschrift dar420 . Da auch die Ersatzhaftung nach § 1607 BGB Leistungsfähigkeit voraussetzt (§ 1603 BGB), kann der nichtinhaftierte Elternteil nur insoweit in Anspruch ge-
nommen werden, als dies seine Erwerbs- und Vermögens verhältnisse zulassen. Bei der Beurteilung dessen, was der nichtinhaftierte Elternteil unterhaltsrechtlich zu leisten vermag, ist seine Beanspruchung durch Pflege und Erziehung minderjähriger Kinder zu berücksichtigen 421 . Leistet der nichtinhaftierte Elternteil nach § 1607 Abs. 1 BGB analog den Unterhalt, den der andere Teil haftbedingt nicht leisten kann, besteht keine Möglichkeit,
417 RGZ 52. 193. 195; BGH FamRZ 1971. 571. 573; Ennan/Holzhauer. BGB. § 1606 Rn. 3 und § 1607 Rn. 2; Soergel/Häberle. BGB. § 1607 Rn. I; RGRK/Mutschler. BGB. § 1607 Rn. 2.4; Palandt/Diederichsen. BGB. § 1607 Rn. 1. 9; AK-BGB/Derleder. § 1607 Rn. I. 418 Ennan/Holzhauer. BGB. § 1607 Rn. 2; Soergel/Häberle, BGB, § 1607 Rn. I; vgJ. auch RGZ52. 193, 195. m RGRK/Mutschler. BGB, § 1607 Rn. 2; Soergel/Häberle. BGB. § 1607 Rn. I. 420 Ennan I Holzhauer. BGB. § 1607 Rn. 2; Palandt I Diederichsen. BGB. § 1607 Rn. I. 421 Siehe dazu Kalthoener I Büttner. Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts. Rn. 402 ff.
C. Unter zivilrechtlichen Aspekten
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Rückgriff zu nehmen422 • Eine Legalzession, wie sie in § 1607 Abs. 2 S. 2 BGB vorgesehen ist, scheidet aus, da es im Fall des § 1607 Abs. 1 BGB an einem Unterhaltsanspruch fehlt. der auf den ersatzweise Leistenden übergehen könnte 423 • Im übrigen ergeben sich auch keine Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung424 • Die Ersatzhaftung erweist sich somit im Zusammenhang mit dem Strafvollzug nicht nur als eine Möglichkeit der Kompensation, sondern auch als ein Institut, das die Auswirkungen von Strafe und Strafvollzug weiterleitet. bb) Analoge Anwendung des § 1607 Abs. 2 BGB Für den Fall. daß der Gefangene trotz unterhaltsbedingter Leistungsunfähigkeit seinem Kind gegenüber weiterhin zu Unterhalts zahlungen verpflichtet ist, kommt eine Haftung des anderen Elternteils nach § 1607 Abs. 2 BGB analog in Betracht. § 1607 Abs. 2.BGB setzt voraus, daß die Rechtsverfolgung des primär Verpflichteten im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist. Eine erhebliche Erschwerung liegt beispielsweise vor, wenn eine Zwangsvollstreckung aussichtslos ist, weil es an pfändbarem Vermögen fehlt42s • Dies ist bei Gefangenen, die zugewiesene Arbeit verrichten und damit auf die gesetzlichen Bezüge nach § 43 StVollzG angewiesen sind. regelmäßig der Fall. Soweit der nicht inhaftierte Elternteil den haftbedingten Unterhaltsausfall ausgleicht, geht der Unterhalts an spruch des Kindes gegen den inhaftierten Elternteil gemäß § 1607 Abs. 2 S. 2 BGB analog426 auf den leistenden Elternteil über und eröffnet diesem die Möglichkeit des Regresses. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß im Falle eines Anspruchsübergangs nach § 1607 Abs. 2 S. 2 BGB analog die Regelung des § 1360b BGB entsprechende Anwendung findet 427 • Für den haftenden Elternteil heißt dies, daß er vom Ehepartner - den Bestand der Ehe vorausgesetzt428 - nur Ersatz verlangen kann. wenn er darlegen und gegebenfalls beweisen kann. daß er zur Zeit der Unterhaltsleistung die Absicht hatte, den Ersatz zu fordern429 • Steht dem ersatzhaftenden Elternteil ein Regreßanspruch nach § 1607 m Vgl. Gernhuber I Coester-Waltjen. Lehrbuch des FamiJienrechts. § 45 V 4; Soergel I Häberle. BGB. § 1607 Rn. I; RGRK/Mutschler. BGB. § 1607 Rn. 2; Palandt/Diederichsen. BGB. § 1607 Rn. 14. 4~3 Vgl. RGRK/Mutschler. BGB. § 1607 Rn. 1. JZJ AK-BGB I Derleder. § 1607 Rn. I; MK I Köhler. BGB. § 1607 Rn. 3. 4Z~ AK-BGB/Derleder. § 1607 Rn. 2: Ennan/Holzhauer. BGB. § 1607 Rn. 3; RGRKI Mutschler. BGB. § 1607 Rn. 5: Soergel I Häberle. BGB. § 1607 Rn. 2; Gernhuber/CoesterWaltjen. Lehrbuch des FamiJienrechts. § 45 V 4. 4Z6 Ennan I Holzhauer. BGB. § 1607 Rn. 6. 427 Siehe dazu BGHZ 50. 266. 270; Soergel I Häberle. BGB. § 1607 Rn. 3; PalandtlDiederichsen. BGB. § 1607 Rn. 18; MK/Köh1er. BGB. § 1607 Rn. 6. 428 Palandt I Diederichsen. BGB, § 1360b Rn. 1. m Vgl. MK/Köhler. BGB. § 1607 Rn. 6; Soergel I Häberle, BGB, § 1607 Rn. 3.
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
Abs. 2 S. 2 BGB analog zu, kann sich dies - unabhängig von § 1360b BGB - nicht zu Lasten des Unterhaltsberechtigten auswirken. Denn gemäß § 1607 Abs. 4 BGB darf der Übergang des Unterhaltsanspruchs nicht zum Nachteil des Unterhaltsberechtigten geltend gemacht werden. Das Subrogationsverbot des § 1607 Abs. 4 BGB begründet den Nachrang der Regreßforderung gegenüber dem Anspruch des Unterhaltsberechtigten auf den laufenden Unterhalt43o . Für den Regreßpflichtigen folgt daraus, daß er die gegen ihn bestehende Regreßforderung nicht als sonstige Verpflichtung i. S. d. § 1603 Abs. 1 BGB in Ansatz bringen d~31.
b) Die ErsatzhaJtung der nachrangigen Verwandten gemäß § 1607 BGB Scheidet der nichtinhaftierte Elternteil ganz oder teilweise wegen fehlender Leistungsfähigkeit als Ersatzhaftender aus, kann sich für das vom Strafvollzug betroffene Kind ein Unterhaltsanspruch in direkter Anwendung des § 1607 BGB gegen die Großeltern väterlicher- und mütterlicherseits als nachrangig haftende Verwandte gerader Linie ergeben. Diese Situation tritt regelmäßig ein, wenn für den nichtinhaftierten Elternteil infolge der notwenigen Kindesbetreuung jede Erwerbsobliegenheit entfällt. Je nachdem, ob der Gefangene von seiner Unterhaltspflicht frei wird oder diese fortbesteht, gilt § 1607 Abs. 1 BGB oder § 1607 Abs. 2 BGB. Während die minderjährigen Kinder ihre Eltern bzw. einen Elternteil bis zum notwendigen Selbstbehalt in Anspruch nehmen können (§ 1603 Abs. 2 BGB), müssen sie den Großeltern jewei Is den angemessenen Selbstbehalt belassen (§ 1603 Abs. 1 BGB). Ebenso wie die Eltern haften auch die Großeltern als Teilschuldner (§ 1606 Abs. 3 BGB). Soweit einer der gleichrangig haftenden Verwandten in der Großelterngeneration leistungsunfähig und daher von der Ersatzhaftung frei ist, haben die übrigen den ausfallenden Haftungsanteil im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit zu tragen (§ 1607 BGB analog). Sind die Großeltern insgesamt leistungsunfähig oder bereits verstorben, besteht für das unterhaltsbedürftige Kind grundsätzlich keine Möglichkeit, einen haftbedingten Unterhaltsausfall durch die Inanspruchnahmen anderer Verwandter auszugleichen 432.
430
Vgl. dazu Erman/Holzhauer. BGB. § 1607 Rn. 7; Soergel I Häberle. BGB. § 1607
Rn. 4. 431 Gernhuber I Coester-Waltjen. Lehrbuch des Familienrechts. § 45 V 4; Erman I Holzhauer. BGB. § 1607 Rn. 7; RGRK/Mutschler. BGB. § 1607 Rn. 9. 432 In diesem Zusammenhang ist auf die am I. Juli 1998 in Kraft getretene Regelung des § 1607 Abs. 3 BGB hinzuweisen. Auch wenn § 1607 Abs. 3 BGB den Kreis der Ersatzhaftenden nicht zugunsten des Kindes erweitert. so kann doch der in § 1607 Abs. 3 BGB normierte gesetzliche Forderungsübergang die Bereitschaft zur freiwilligen Unterstützung des Kindes fördern. vgl. dazu Palandt I Diederichsen. BGB. § 1607 Rn. 21.
D. Unter sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten
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2. Die Ersatzhaftung bei Ausfall des Ehegattenunterhalts
Bei haftbedingtem Ausfall des Ehegattenunterhalts greift die Regelung des § 1608 S. 2 BGB bzw. des § 1608 S. 3 i.Vm. § 1607 Abs. 2 und 4 BGB ein. Gemäß § 1608 S. 2 BGB kann ein Ehegatte seine Verwandten auf Unterhalt in Anspruch nehmen, soweit der Ehepartner bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist. ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Entsprechendes gilt gemäß § 1584 S. 2 und S. 3 BGB für den geschiedenen Ehegatten. Als haftende Verwandte kommen für den Ehegatten die eigenen Eltern und die Kinder in Betracht. Nach den allgemeinen Regelungen des Verwandten unterhalts muß der Ehegatte unterhaltsbedürftig und der ersatzweise in Anspruch genommene Verwandte leistungsfähig sein (§§ 1602, 1603 BGB). Da gemäß § 1608 S. 3 BGB die Vorschrift des § 1607 Abs. 2 BGB im Rahmen des § 1608 BGB entsprechend anzuwenden ist, kann der Ehegatte auch dann Unterhaltsleistungen von einem Ersatzhaftenden verlangen, wenn der inhaftierte Ehegatte weiterhin zu Unterhaltszahlungen verpflichtet ist, die Rechtsverfolgung jedoch erheblich erschwert ist, weil kein pfändbares Vermögen vorhanden ist. Kann der Ehepartner des Inhaftierten z. B. infolge notwendiger Betreuung von Kindern weder den eigenen noch den Barunterhalt der Kinder aufbringen, sind dessen Eltern im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit doppelt gefordert, denn nach § 1608 BGB müssen sie für den Barunterhalt ihrer Tochter bzw. ihres Sohnes aufkommen und über § 1607 BGB haften sie neben den übrigen Großeltern für den Barunterhalt ihrer Enkelkinder433 .
D. Der Einfluß der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner von Gefangenen unter sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten I. Gesetzliche Krankenversicherung 1. Familienversicherung nach § 10 SGB V
Der Einfluß der Strafhaft auf die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner macht sich im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung insofern bemerkbar, als es i.d.R. an einem Anknüpfungspunkt für eine Familienversicherung gemäß § 10 Abs. I SGB V fehlt. Entscheidend ist hier das Zusammenspiel zwischen dem Rechtsinstitut der Familienversicherung und dem weitgehenden Ausschluß der Inhaftierten aus dem Kreis der kraft Gesetzes gegen Krankheit Versicherten. Aufgrund der Regelung des § 10 Abs. I SGB V sind die Kinder und Ehepartner eines Mitgliedes als Familienversicherte in die gesetzliche Krankenversicherung 433 Siehe dazu Busch I Fülbier I Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten, S. 247, 249.250.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
einbezogen, wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben (Nr. I), weder nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 8, 11, 12,9 SGB V anderweitig versichert sind (Nr. 2) noch der Versicherungsfreiheit unterliegen oder von der Versicherungspflicht befreit sind (Nr. 3), nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind (Nr. 4) und kein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschreitet (Nr. 5). Für Kinder ist die Familienversicherung darüber hinaus an die in § 10 Abs. 2 SGB V bestimmten Altersgrenzen gebunden. Nicht erforderlich ist, daß zwischen dem Mitglied und seinen Familienangehörigen eine unterhaltsrechtliche Beziehung besteht434 • Diese nach der früheren Regelung des § 205 RVO notwendige Voraussetzung wurde aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung aufgegeben435 . In Anbetracht der von § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V vorgeschriebenen Einkommensgrenze sind es jedoch faktisch immer noch die unterhaltsberechtigten Kinder und die unterhaltsbedürftigen Ehepartner des Mitgliedes, denen die Familienversicherung zugute kommt436 . Der Versicherungsstatus der mitversicherten Kinder und Ehepartner ist streng an die Mitgliedschaft des Stammversicherten gebunden437 • Erlischt dessen Mitgliedschaft, endet damit auch die Familienversicherung nach § 10 SGB V438 . Die Bedeutung der Familienversicherung liegt darin, daß es sich nach § 3 S. 3 SGB V um eine beitrags freie Krankenversicherung handelt. Weder die nach § 10 SGB V versicherten Familienmitglieder noch die "Stammversicherten" müssen einen (zusätzlichen) Beitrag für die Familienversicherung entrichten 439 . Die Lasten der Familienversicherung trägt die Solidargemeinschaft der Mitglieder. Entscheidend ist hier das Prinzip des sozialen Ausgleichs, das als eine spezielle Ausprägung des Solidaritätsprinzips zu werten ist440 • Für die Kinder und Ehepartner eines Gefangenen scheidet eine beitragsfreie Krankenversicherung nach § 10 Abs. 1 SGB V i.d.R. aus, weil ein Inhaftierter, der - entsprechend dem Regelfall - zugewiesene Arbeit gemäß § 41 Abs. 1 StVollzG verrichtet, keine versicherungspflichtige Beschäftigung i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ausübt und daher nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist. GK-SGB V /Breuer, § \0 Rn. 25. GK-SGB V /Breuer, § 10 Rn. 25. 436 Vgl. GK-SGB V / Breuer, § \0 Rn. 25. 437 Bloch, in: Schulin, HS-KV, § 18 Rn. 1. Im Gegensatz zu der froher geltenden Regelung des § 205 RVO, die lediglich dem Mitglied einen Anspruch auf Familienhilfe gewährte, steht den Angehörigen gemäß § 10 Abs. I SGB V ein eigenes Leistungsrecht zu, das sie als Versicherte gegenüber dem Krankenversicherungsträger geltend machen können, vgl. GK-SGB V /Breuer, § 10 Rn. 6; Bloch, in: Schulin, HS-KV, § 18 Rn. I; Gitter, Sozialrecht, § 7 III. Ziel dieser Gesetzesänderung war, der gesellschaftlichen und familiären Entwicklung, insbesondere dem Verhältnis der Ehegatten untereinander sowie dem Verhältnis der heranwachsenden Kinder zu ihren Eltern, Rechnung zu tragen, vgl. BT-Drs. 11/2237 zu § 10. 438 GK-SGB V /Breuer, § \0 Rn. 15. 439 GK-SGB V / Breuer, § 10 Rn. 7; GK-SGB V / Schirmer, § 3 Rn. 17; Gitter, Sozialrecht, § 7 III. 440 Vgl. Gitter, Sozialrecht, § 5 III; GK-SGB V/Schirmer, § 3 Rn. 17. 434 435
D. Unler sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten
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Eine versicherungspflichtige Beschäftigung i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V wird nur angenommen, wenn die Beschäftigung freiwillig aufgenommen wurde441 . Da die Gefangenenarbeit aber eine unter Anstaltszwang ausgeübte Tätigkeit ist (vgl. Art. 12 Abs. 3 GG, § 41 Abs. 1 StVollzG), entspricht sie diesem Erfordernis nicht442 . Die Regelungen der §§ 190 Nr. 1 - 10, 193 StVollzG, die die Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Krankenversicherung aufgrund eines besonderen Versicherungstatbestandes vorsehen, sind bislang nicht in Kraft getreten (vgl. § 198 Abs. 3 StVollzG)443. Für Inhaftierte gilt grundsätzlich die Gesundheitsfürsorge gemäß den Vorschriften der §§ 56-66 StVollzG. Eine Einbeziehung der Kinder und Ehepartner kommt insofern nicht in Betracht. Inwiefern sich die krankenversicherungsrechtliche Stellung der in Freiheit lebenden Kinder und Ehepartner infolge der Strafhaft eines Familienmitgliedes verändert, ist eine Frage der jeweiligen Familienstruktur. Weitgehend unproblematisch stellt sich die Situation dar, wenn beide Ehepartner einer i. S. d. § 5 Abs. I Nr. 1 SGB V versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sind. Der nichtinhaftierte Ehepartner ist in diesem Fall selbst Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung und die Kinder können, sofern sie zuvor versicherungsrechtlich mit dem nunmehr inhaftierten Elternteil verbunden waren, ihren Status als Fami lien versicherte vom anderen Elternteil ableiten. War der Inhaftierte jedoch das einzige Familienmitglied, das den Versicherungstatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. I SGB Verfüllte, so führt dessen Strafhaft im allgemeinen dazu, daß die gesamte Familie den bisher bestehenden Krankenversicherungsschutz verliert. Kann nämlich der "Stammversicherte" seine Mitgliedschaft infolge der Strafhaft nicht mehr aufrecht erhalten, dann erlischt gleichzeitig auch die daran gebundene Familienversicherung. In dieser Situation kommt es darauf an, ob der in Freiheit lebende Ehepartner eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen kann, um auf diese Weise eine eigene Mitgliedschaft und für die Kinder eine beitragsfreie Familienversicherung gemäß § 10 Abs. 1 SGB V zu begründen. Gelingt dies nicht, dann sind die Angehörigen des Gefangenen i.d.R. auf die Unterstützung durch den Sozialhilfeträger angewiesen (vgl. §§ 13 Abs. 2, 37 BSHG)444. Unter besonderen Voraussetzungen kann sich allerdings für die Kinder ein beitragsfreier Versicherungsschutz auf der Grundlage des § 10 Abs. 4 S. I SGB V ergeben. Gemäß dieser Vorschrift gelten auch Stiefkinder und Enkel, die das Mitglied überwiegend unterhält445 , sowie Pflegekinder als Kinder i. S. d. § 10 Abs. 13 SGB V. In Anbetracht dessen kann z. B. für ein Kind, das aus Anlaß der haftbeBSGE 27, 197 ff.; GK-SGB V !Breuer, § 5 Rn. 3l. Vgl. BSGE 27,197 f.; GK-SGB V !Breuer, § 5 Rn. 31. 443 Zur Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Rechtslage siehe BVerfG NJW 1998,3337, 3338 f. 444 Vgl. Rotthaus, in: FS für Rebmann, S. 401,412. 445 Der Lebensunterhalt des Kindes muß zu mehr als der Hälfte gedeckt werden, vgl. GKSGB V! Breuer, § 10 Rn. 50. 441
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
dingten Leistungsunfahigkeit eines Elternteils überwiegend von seinen Großeltern unterhalten wird, eine Familienversicherung nach § 10 Abs. 1 SGB V i.Y.m. § 10 Abs. 4 SGB V wirksam werden. Dabei ist nicht erforderlich, daß ein Unterhaltsanspruch besteht; entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Gewährung von Unterhalt446 . Die Unterstützung muß auf Dauer angelegt sein, regelmäßig erfolgen und einen relativ gleichmäßigen Unterhaltszufluß sichern 447 . In welcher Form der Unterhalt gewährt wird, ist unerheblich448 . Die freiwillige Weiterversicherung des Inhaftierten nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist regelmäßig kein gangbarer Weg, um die Familienversicherung aufrechtzuerhalten. Möglich ist die freiwillige Weiterversicherung unter der Voraussetzung, daß ein Mitglied aus der Versicherungspflicht ausgeschieden ist und in den vorangegangenen fünf Jahren mindestens zwölf Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens sechs Monate versichert war449 . Für die Mehrzahl der Gefangenen kommt die freiwillige Versicherung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V schon deshalb nicht in Betracht, weil sie die Beiträge nach § 250 Abs. 2 SGB V zu tragen haben und dazu i.d.R. nicht in der Lage sind45o . Eine Übernahme der Beiträge durch den Sozialhilfeträger nach § 13 Abs. 1 BSHG scheidet im allgemeinen aus 451 . Von Bedeutung ist insofern das Verhältnis zwischen den Leistungen gemäß StVollzG und BSHG452 . Aufgrund des in § 2 BSHG für Sozialhilfeleistungen normierten Nachrangprinzips stehen einem Gefangenen Anspruche nach BSHG nur insoweit zu, wie notwendige Leistungen im Rahmen des Strafvollzuges nicht gewährt werden, wobei die Notwendigkeit einer Hilfeleistung nur bejaht werden kann, wenn sie nicht durch die Eigenart des Strafvollzuges ausgeschlossen wird und ihr Zweck trotz der Strafhaft zu erreichen ist453 . Da Inhaftierten ein Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach §§ 56-66 StVollzG zusteht und ihre Leistungsansprüche gegen die gesetzliche Krankenkasse aus der freiwilliGK-SGB V I Breuer, § 10 Rn. 48. GK-SGB V I Breuer, § 10 Rn. 49. 448 GK-SGB V I Breuer, § 10 Rn. 48. 449 Gemäß §§ 9 Abs. 2 Nr. I, 188 Abs. 3 SGB V muß der Beitritt der Krankenkasse innerhalb von drei Monaten nach der Beendigung der Mitgliedschaft schriftlich angezeigt werden. 450 Vgl. Calliess I Müller-Dietz, StVollzG, § 193 Rn. 3. 451 Vgl. Brühl, ZfStrVo 1986,291,292 f.; AK-StVollzG/Brühl, vor § 190 Rn. 5; Schellhorn, ZfStrVo 1978, 17, 18; Mrozynski, Resozialisierung und Soziales Betreuungsverhältnis, S. 187; vgl. auch Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 193 Rn. 3, die davon ausgehen, daß die Kosten für die Weiterversicherung nach § 13 Abs. I BSHG vom Sozialamt getragen werden müssen, wenn die sonstigen Voraussetzungen für die Leistung von Sozialhilfe gegeben sind. 452 Vgl. Brühl, ZfStrVo 1986, 291, 292 f.; Schellhorn, ZfStrVo 1978, 17, 18. Vgl. dazu auch die Auffassung von Mrozynski, Resozialisierung und Soziales Betreuungsverhältnis, S. 187, der davon ausgeht, daß eine Übernahme der Versicherungsbeiträge schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil dem Gefangenen keine Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 11 Abs. I BSHG zu gewähren sei; a.A. Brühl, ZfStrVo 1986,291,292. 453 Brühl, ZfStrVo 1986, 291; AK-StVollzG I Brühl, vor § 190 Rn. 4; Mrozynski, Resozialisierung und Soziales Betreuungsverhältnis, S. 174 ff.; vgl. dazu auch BVerwGE 37, 87 ff. 446 447
D. Unter sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten
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gen Versicherung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V während der Haftzeit ruhen würden, ist davon auszugehen, daß die Leistung nach § 13 Abs. 1 BSHG, die den Krankenversicherungsschutz des Hilfesuchenden sicherstellen soll, ihren Zweck grundsätzlich verfehlt454 . Der Aspekt, daß eine freiwillige Weiterversicherung des Gefangenen die Familienversicherung nach § 10 SGB V begründet und damit die Angehörigen des Gefangenen in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen wären, findet insofern keine Beachtung, da § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V den Familienversicherten ein eigenes Beitrittsrecht einräumt455 . Günstig stellt sich die Rechtslage für die Kinder und Ehepartner eines Inhaftierten dar, wenn dieser aufgrund der Gestattungen nach §§ 11,39 Abs. 1 StVollzG in einem freien Beschäftigungsverhältnis tätig ist. Da die Erwerbstätigkeit des Gefangenen in einem freien Beschäftigungsverhältnis die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 S. 1 SGB Verfüllt456 , können den Kindern und dem Ehepartner des Inhaftierten Ansprüche aus § 10 Abs. 1 SGB V zustehen. Entsprechendes gilt, wenn der Gefangene bereits eine Rente bezieht (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V)457 oder bei Antritt der Strafhaft eine freiwillige Weiterversicherung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB Verfolgte 458 . Ruhen die Ansprüche des Inhaftierten gegen den Krankenversicherungsträger gemäß § 16 Abs. 1 Nr.4 SGB V, wie es der Fall ist, wenn der Gefangene als Rentner krankenversicherungspflichtig ist oder eine freiwillige Weiterversicherung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB Verfolgte459, so hat dies keine Auswirkungen auf den Versicherungsschutz der Angehörigen, denn die Familienversicherung ist ausschließlich an die Mitgliedschaft des "Stammversicherten" gebunden. Beschränkungen, die das Versicherungsverhältnis des Mitgliedes betreffen, berühren den Status der Familienversicherten nicht460 .
2. Freiwillige Versicherung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V
Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V können Personen, deren Familienversicherung nach § 10 SGB Verloschen ist, der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig 454 Vgl. Brühl, ZfStrVo 1986,291,292; Schellhorn, ZfStrVo 1978,17,18; Mrozynski, Resozialisierung und Soziales Betreuungsverhältnis, S. 187, dessen Ausführungen allerdings auf § 13 Abs. 2 BSHG bezogen sind. 455 Brühl, ZfStrVo 1986, 291, 292; vgl. auch Mrozynski, Resozialisierung und Soziales Betreuungsverhältnis, S. 187. 456 GK-SGB V I Breuer, § 5 Rn. 32; AK-StVollzG I Brühl, vor § 190 Rn. 2; Böhrnl Schwind I Matzke, StVollzG, § 193 Rn. I; Calliess I Müller-Dietz, StVollzG, § 193 Rn. 3. 457 AK-StVollzG I Brühl, vor § 190 Rn. 2; Böhrn I Schwindl Matzke, StVollzG, § 193 Rn. 1. 458 AK-StVollzG I Brühl, vor § 190 Rn. 2; Morzynski, Resozialisierung und Soziales Betreuungsverhältnis, S. ISS. 459 Vgl. dazu die für Gefangene in einem freien Beschäftigungsverhältnis geltende Vorschrift des § 62a StVollzG. 460 Siehe dazu GK-SGB V I Breuer, § IO Rn. 19.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
beitreten. Erforderlich ist, daß der Beitritt innerhalb von drei Monaten nach der Beendigung der Familienversicherung der Krankenkasse schriftlich angezeigt wird (§§ 9 Abs. 2 Nr. 2, 188 Abs. 3 SGB V). Demnach haben die Kinder und Ehepartner von Gefangenen, für die eine Familienversicherung infolge der Strafhaft des Ehepartners bzw. Elternteils endet, die Möglichkeit, ihren Krankenversicherungsschutz als beitragspflichtiges Mitglied aufrechtzuerhalten. Problematisch ist auch hier die Finanzierung der Beiträge, denn ebenso wie der Gefangene sind auch dessen Angehörige grundsätzlich nicht in der Lage, die Versicherungsbeiträge aus eigener Kraft aufzubringen. Gemäß § 13 Abs. 2 S. I Hs. I BSHG liegt die Übernahme angemessener Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung im Ermessen des Sozialhilfeträgers461 . Die Beitragsübernahme ist nach § 13 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BSHG nur dann eine Pflichtleistung des Sozialhilfeträgers, wenn es darum geht, eine bereits bestehende freiwillige Krankenversicherung aufrechtzuerhalten, und die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nur für kurze Dauer zu gewähren ist.
11. Gesetzliche Pflegeversicherung 1. Familienversicherung gemäß § 2S SGB XI
Die Vorschriften zur gesetzlichen Pflegeversicherung entsprechen im wesentlichen den Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach dem Vorbild des § 10 SGB V i.V.m. § 3 S. 3 SGB V sieht § 25 SGB XI i.V.m. §§ lAbs. 6 S. 3, 56 Abs. I SGB XI eine beitrags freie Mitversicherung von Familienangehörigen vor. Für die Kinder und Ehepartner eines Gefangenen scheidet dieser Versicherungsschutz i.d.R. deshalb aus, weil die unfreie Arbeit der Gefangenen nicht den Versicherungstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. I SGB XI erfüllt462 und im übrigen kein Sondertatbestand existiert, der die Gefangenenarbeit dem Schutz der gesetzlichen Pflegeversicherung unterstellt. In weIcher Weise sich die pflegeversicherungsrechtliche Stellung der Kinder und Ehepartner von Gefangenen unter dem Einfluß der Strafhaft verändert, ist - wie bereits für die krankenversicherungsrechtliche Stellung beschrieben - von der jeweiligen Familienstruktur abhängig. Eine beitragsfreie Familienversicherung nach § 25 Abs. I SGB XI, die an die Person des inhaftierten Familienmitgliedes gebunden ist, kommt nur in Betracht, wenn der Inhaftierte ein freies Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, bereits eine Rente bezieht (§ 20 Abs. I Nr. II SGB XI) oder eine Weiterversicherung des Inhaftierten nach § 26 Abs. I S. I SGB XI erfolgte. Im Hinblick darauf, daß § 10 Abs. 4 S. 1 SGB V im Rahmen des § 25 SGB XI entsprechend gilt (vgl. § 25 Abs. 2 S. 2 SGB XI), können die Kinder des Inhaftierten - je nach Sachlage - auf461 462
Dazu näher im 2. Kap. unter B. 1lI. 1. a). Vgl. Wollenschläger, in: Wannagat, SGB XI, § 20 Rn. 6.
D. Unter sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten
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grund der Mitgliedschaft ihrer Stiefeltern, Großeltern oder Pflegeeltern in die beitragslose Familienversicherung einbezogen sein.
2. Weiterversicherung nach § 26 Abs. 1 8. 28GB XI
Entsprechend § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V räumt § 26 Abs. 1 S. 2 SGB XI Personen, deren Familienversicherung nach § 25 Abs. 1 SGB XI erlischt, die Möglichkeit einer Weiterversicherung ein. Voraussetzung ist dabei, daß der Versicherungsschutz in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden mindestens zwölf Monate bestand (§ 26 Abs. 1 S. 1, 2 SGB XI). Der Antrag auf Weiterversicherung ist gemäß § 26 Abs. 1 S. 3 SGB XI innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Familienversicherung zu stellen. Nach § 59 Abs. 4 SGB XI haben die gemäß § 26 SGB XI Weiterversicherten den Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung alleine zu tragen. Da die Angehörigen der Gefangenen, soweit sie auf die Familienversicherung angewiesen sind, i.d.R. nicht in der Lage sind, die Beiträge zur Pflegeversicherung aufzubringen, ist eine Weiterversicherung nach § 26 SGB XI praktisch davon abhängig, ob und unter welchen Voraussetzungen die Sozialhilfeträger die Beiträge zur Pflegeversicherung übernehmen können463 .
IH. Gesetzliche Rentenversicherung Ebenso wie die Vorschriften zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sind auch die Regelungen zur gesetzlichen Rentenversicherung "familienfreundlich" ausgestaltet. Die Ausrichtung des Rentenversicherungsrechts auf die Familie des Versicherten macht sich insbesondere bemerkbar, wenn das versicherte Familienmitglied verstirbt. In diesem Fall steht den Kindern und dem Ehepartner des Versicherten nach Maßgabe der §§ 46-48 SGB VI eine Rente wegen Todes zu. Ziel dieser Rente ist der Ausgleich des Unterhaltsschadens, der durch den Tod des Versicherten eingetreten ist464 . Die Hinterbliebenenversorgung wird gewährt, ohne daß familiär gebundene Mitglieder erhöhte Beitragsleistungen erbringen müssen. Des weiteren zeigt sich die familienorientierte Ausgestaltung des Rentenversicherungsrechts in der Weise, daß die Altersrenten (§§ 33 Abs. 2, 35-42 SGB VI) und die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§§ 33 Abs. 3, 43 -45 SGB VI) nicht nur den Lebensunterhalt des Versicherten, sondern auch den der Angehörigen sicherstellen sollen465 . Soweit die Angehörigen eines Inhaftierten vollzugsbedingte 463 464 465
Vgl. dazu das 2. Kap. unter B. III. 2. a). Vgl. Küttner I Ruppelt, Personal handbuch 1998, Hinterbliebenenrente, Rn. 18. Vgl. Hauck, in: Hauck, SGB I, § 48 Rn. 1,3.
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
Nachteile im Zusammenhang mit der Gewährung von Rentenleistungen erleiden, ist dies dadurch bedingt, daß die Gefangenenarbeit nicht als rentenversicherungspflichtige Beschäftigung i. S. d. § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI anerkannt ist466 . Gemäß § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI bedarf es einer Beschäftigung, die gegen ein Arbeitsentgelt oder zur Berufsausbildung ausgeübt wird. Ausgegrenzt ist auch hier die nicht frei gewählte Arbeit467 , so daß zum Kreis der nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI versicherten Personen nur die Gefangenen gehören, die aufgrund der §§ 11 Abs. 1 Nr. 1, 39 Abs. 1 StVollzG in einem freien Beschäftigungsverhältnis tätig sind468 . Während die Wehr- und Zivildienstpflichtigen, die ebenfalls "unfreie" Arbeit leisten469 , aufgrund der Regelung des § 3 S. 1 Nr. 2 SGB VI in die Rentenversicherung einbezogen sind, fehlt es für Gefangene an einer entsprechenden Vorschrift. Die Regelungen der §§ 190 Nr. 13 - 18, 191, 192 StVollzG, welche die Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung vorsehen, bedürfen - ebenso wie die Vorschriften der §§ 190 Nr. 1-10, 193 StVollzG zur Krankenversicherung - eines besonderen Bundesgesetzes, um in Kraft zu treten470. Haftzeiten sind damit regelmäßig versicherungslose Zeiten. Den Tatbestand einer Anrechnungszeit nach § 58 SGB VI erfüllt die Strafhaft nicht471 . Zwar können Gefangene gemäß § 7 Abs. 1 SGB VI der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig beitreten 472 , ohne daß eine zuvor bestehende Versicherungspflicht oder vorausgegangene Beitragszeiten erforderlich sind 473 , doch besteht auch insofern das Problem der Finanzierung474 . Der zu erbringende Mindestbeitrag belief sich im Jahre 1998 auf 125,86 DM monatlich475 . Wenig Hilfe bietet in diesem Fall die Vorschrift des § 14 BSHG. Gemäß § 14 BSHG können die Sozialhilfeträger die Kosten übernehmen, die erforderlich sind, um die Voraussetzungen eines Anspruchs auf eine angemessene Altersversorgung zu erfüllen. Die Angemessenheit der Alterssicherung ist gegeben, wenn die aufzubringenden Beiträge unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls in einem 466 Vgl. AK-StVollzG/Brühl, vor § 190 Rn. 3; Klattenhoff, in: Hauck, SGB VI, K § Rn. 21; Neumann-Duesberg, DOK 1977,8,13. 467 Klattenhoff, in: Hauck, SGB VI, K § I Rn. 21. 468 AK-StVollz/Brühl, vor § 190 Rn. 3; Neumann-Duesberg, DOK 1977,8.13. 469 Vgl. Klattenhoff, in: Hauck, SGB VI, K § I Rn. 21. 470 Vgl. § 198 Abs. 2 StVollzG; zur Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Rechtslage siehe BVerfG NJW 1998. 3337 und 3338 f. 471 Vgl. die Rechtsprechung und Kommentierung zu den zuvor geltenden §§ 1246 Abs. 2 a S. 2, 1259 Abs. I Nr. 1-4 RVO: BSG NJW 1989, 190 f.; AK-StVollzG/Brühl, vor § 190 . Rn. 3; Calliess I Müller-Dietz, StVollzG, § 193 Rn. 3; Böhm, Strafvollzug, S. 183. 472 AK-StVollz/Brühl, vor § 190 Rn. 3; Calliess/Müller-Dietz. StVollzG, § 193 Rn. 3; Böhm, Strafvollzug, S. 183. 473 KassKomm I Gürtner, SGB, § 7 SGB VI Rn. 2, 13. 474 Vgl. Neumann-Duesberg, DOK 1977,8, 13; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG. § 193 Rn. 3. 475 LPK-BSHG/Birk, § 14 Rn. 4.
D. Unter sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten
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vernünftigen Verhältnis zu den späteren Leistungen stehen476 . Ihrer Zielsetzung nach soll die Vorschrift Härten venneiden, die entstehen können, wenn eine begonnene Alterssicherung - gesetzlicher oder auch privater Natur - nicht mit eigenen Mittel fortgeführt werden kann 477 . Unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit wird der Sozialhilfeträger die Kosten einer angemessenen Alterssicherung regelmäßig übernehmen, wenn der Hilfesuchende in der Vergangenheit bereits rentenversichert war, aber aufgrund seines Alters oder sonstiger in seiner Person liegender Umstände nicht damit zu rechnen ist, daß er die für den Bezug einer Altersrente erforderlichen Wartezeiten aus eigener Kraft - z. B. durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung - erfüllen wird 478 . Lehnt der Sozialhilfeträger eine Kostenübernahme ab, weil der Hilfesuchende noch jung ist und - einen gewöhnlichen Lebensverlauf vorausgesetzt - zu erwarten ist, daß er die erforderlichen Wartezeiten erreichen wird, so ist diese Entscheidung ennessensfehlerfrei 479 . In Anbetracht dessen können insbesondere jüngere Gefangene nicht mit einer Kostenübernahme nach § 14 BSHG rechnen. Lediglich bei "Langstrafigen" und älteren Gefangenen, die schon einen Großteil der Wartezeiten erfüllt haben und voraussichtlich erst nach Erreichen des Rentenalters aus der Haft entlassen werden, ist von einer Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger auszugehen 48o . Die Erfahrung zeigt, daß die Sozialhilfeträger von einer Kostenübernahme nach § 14 BSHG wenig Gebrauch machen 481 . Als versicherungs lose Zeit kann die Strafhaft in Extremfällen dazu führen, daß bei Eintritt des Versicherungsfalls (Rentenalter, verminderte Erwerbsfähigkeit oder Tod des Versicherten) die notwendigen Wartezeiten für den Bezug einer Alters-, Erwerbsunfähigkeits- oder Hinterbliebenenrente nicht erfüllt sind und der (ehemalige) Gefangene und seine Angehörigen - bzw. seine Angehörigen als Hinterbliebene - in vollem Umfang auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach BSHG angewiesen sind. Gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI beträgt die allgemeine Wartezeit für einen Anspruch auf Regelaltersrente, Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Rente wegen Todes fünf Jahre: Ist die Wartezeit trotz früherer Strafhaft erreicht, wirken sich längere Haftzeiten regelmäßig auf die Rentenhöhe aus, so daß die AIters-, Erwerbsunfähigkeits- oder Hinterbliebenenrenten oftmals nicht ausreichen, um den Lebensbedarf unabhängig von Sozialhilfeleistungen zu decken 482 . Grund dafür ist, daß sich die Rentenhöhe nach der Höhe der Arbeitsentgelte und Arbeits476 Vgl. Merg\er, in: Mergler/Zink, BSHG, § 14 Rn. 6; Fichtner, in: Knopp/Fichtner, BSHG, § 14 Rn. 4. 417 Gottschick/Giese, BSHG, § 14 Rn. I. 47H Vgl. LPK-BSHG/Birk, § 14 Rn. 8; Schmitt, BSHG, § 14 Rn. 2; Schellhorn/Jirasekl Seipp, BSHG, § 14 Rn. 4. m Vgl. LPK-BSHG/Birk, § 14 Rn. 8. 4KO V gl. Brühl, ZfStrVo 1986, 291, 293; Mrozynski, Resozialisierung und Soziales Betreuungsverhältnis, S. 188. 4KI LPK-BSHG I Birk, § 14 Rn. 9; Böhm, Strafvollzug, S. 183. 4K2 V gl. Bundesvereinigung der Anstaltsleiter, ZfStrVo 1993, 180.
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1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
einkommen richtet, die während des Versicherungslebens durch Beiträge versichert wurden (§ 63 SGB VI). Wahrend sich die Auswirkungen der Strafbaft für den Gefangenen und seine Angehörigen i.d.R. unmittelbar bemerkbar machen, hat der Einfluß der Haft auf die Rentenversicherung "Langzeitwirkung,,483. Für die jüngeren Gefangenen und ihre Familien ist die Frage der Alterssicherung zunächst kein drängendes Problem, denn immerhin ist zu hoffen, daß der Inhaftierte nach der Haftentlassung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen wird. Zu einer Belastung werden die früheren Haftzeiten regelmäßig erst dann, wenn der Versicherungsfall eintritt. War der Gefangene schon vor seiner Inhaftierung rentenberechtigt oder tritt der Versicherungsfall (z. B. Erreichen des Rentenalters) während der Haftzeit ein, so hat der Strafvollzug keine Auswirkungen auf den Rentenanspruch. Da die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu den laufenden Geldleistungen zählen, deren Zweck die Sicherung des Lebensunterhalts ist484, ist die Regelung des § 49 SGB I zu beachten. § 49 Abs. 1 SGB I geht von der Situation aus, daß ein Leistungsberechtigter aufgrund richterlicher Anordnung länger als einen Kalendermonat in einer Anstalt oder Einrichtung untergebracht ist, und bestimmt für diesen Fall, daß laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, an die Unterhaltsberechtigten auszuzahlen sind, soweit der Leistungsberechtigte kraft Gesetzes unterhaltspflichtig ist und er oder die Unterhaltsberechtigten es beantragt haben. Obwohl § 49 SGB I als ein Sonderfall des § 48 SGB I gewertet wird485 , setzt § 49 SGB I keine Verletzung der Unterhaltspflicht voraus486 . Das Gesetz unterstellt insoweit eine konkrete Gefährdung als Folge der Unterbringung487 . Mit der Vorschrift des § 49 SGB I soll gewährleistet werden, daß die Unterhaltsberechtigten den für sie bestimmten Teil der laufenden Geldleistung ohne Schwierigkeiten erhalten 488 . Bezüglich der Höhe des nach § 49 Abs. 1 SGB I auszuzahlenden Betrages ist zu berücksichtigen, daß der notwendige Unterhalt des Leistungsberechtigten weitgehend durch die Versorgung in der Anstalt sichergestellt ist489 . Ist der Versicherungsfall im Zusammenhang mit der Straftat eingetreten, kann § 49 SGB I i.Y.m. § 104 Abs. 2 SGB VI relevant werden. Gemäß § 104 Abs. 2 S. I SGB VI ist es zulässig, Rentenleistungen, die dem Berechtigen versagt worden sind, weil er sich die für den Rentenbezug erforderliche gesundheitliche Beein4M3 Vgl. dazu Rotthaus. NStZ 1987. I. 4. der in bezug auf die Gefangenen von einer resozialisierungsfeindlichcn Spätfolge der Freiheitsstrafe spricht. 4K4 Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 48 Rn. 3. 4M5 Hauck, in: Hauck, SGB I. K § 49 Rn. I. 4M~ Mrozynski, SGB I, § 49 Rn. I; Hauck, in: Hauck, SGB \, K § 49 Rn. 3. 4M7 Mrozynski, SGB \, § 49 Rn. I. 4MM Hauck, in: Hauck, SGB \, K § 49 Rn. I. 4K9 Vgl. Hauck, in: Hauck, SGB \. K § 49 Rn. 5.
D. Unter sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten
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trächtigung bei einem Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen (§ 104 Abs. 1 SGB VI) zugezogen hat, an dessen unterhaltsberechtigten Ehegatten und die Kinder auszuzahlen. Befindet sich der Rentenberechtigte in Strafbaft, dann ist gemäß § 104 Abs. 2 S. 2 SGB VI nach Maßgabe des § 49 Abs. 1 SGB I zu verfahren 490. Mit der Vorschrift des § 104 Abs. 2 SGB VI wird die Abhängigkeit der unterhaltsberechtigten Angehörigen von der sozialversicherungsrechtlichen Stellung des Versicherten durchbrochen. Die Straftat gibt hier Anlaß zu einer differenzierten Betrachtung. Auch wenn die Gemeinschaft der Versicherten die Folgen der durch ein Verbrechen oder ein vorsätzliches Vergehen selbst verschuldeten Gesundheitsbeeinträchtigung nicht tragen SOll491, kann doch dem Umstand Rechnung getragen werden, daß die Rente auch dem Unterhalt der Familienmitglieder dient492 .
IV. Gesetzliche Unfallversicherung Keine wesentlichen vollzugsbedingten Auswirkungen ergeben sich für die Ehegatten und Kinder der Inhaftierten, wenn ein Versicherungsfall i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB VII eintritt und die Gewährung von Renten oder sonstigen Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ansteht. Denn Gefangene, die zugewiesene Arbeit i. S. d. § 41 Abs. 1 S. 1 StVollzG verrichten und damit wie ein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherter tätig werden, sind nach § 2 Abs. 2 S. 2 SGB VII in den Kreis der kraft Gesetzes gegen Unfall versicherten Personen einbezogen. Für Freigänger, die in einem Arbeitsverhältnis außerhalb der Anstalt tätig sind, gilt § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, denn ihre Beschäftigung ist die eines freien Arbeitnehmers 493 . Demnach stehen den Kindern und dem Ehepartner Ansprüche auf Hinterbliebenenrente gemäß den §§ 63 - 71 SGB VII zu, wenn der Gefangene durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit (vgl. § 7 Abs. 1 SGB VII) zu Tode kommt494 . Ist der Gefangene rentenberechtigt, weil er infolge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit seine Erwerbsfähigkeit ganz oder teilweise verloren hat, so kommt die Verletztenrente (§§ 56-62 SGB VII) mittelbar auch den Angehörigen des Inhaftierten zugute. Hauck, in: Hauck, SGB VI, K § 104 Rn. II und 15. Vgl. dazu Hauck, in: Hauck, SGB VI, K § 104 Rn. I und 4. 492 Anders stellt sich die Situation jedoch dar, wenn der Versicherte die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt hat. Gemäß § 103 SGB VI besteht in diesem Fall kein Anspruch auf Rente. Für eine Auszahlung der Rente an die unterhaltsberechtigten Angehörigen bleibt von diesem Ansatz her kein Raum. Zu den unterschiedlichen Rechtsfolgen der §§ 103, 104 SGB VI vgl. Hauck, in: Hauck, SGB VI, K § 103 Rn. I. 493 Siehe dazu die Literatur zu der bislang geltenden Regelung des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO: Hardes, ZfStrVo 1984,6,7; AK-StVollzG! Brühl, § 193 Rn. 2; Kreßel! Wollenschläger, Leitfaden zum Sozialversicherungsrecht, § 7 B. I. 1.; Schlegel, in: Schul in, HS-UV, § 15 Rn. 11. Vgl. auch BSGE 12,71 ff. und die bislang geltende Vorschrift des § 540 S. 2 RVO. 494 Hardes, ZfStrVo 1984,6, 11; AK-StVollzG! Brühl, § 193 Rn. I. 490 491
128
1. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
Die Bemessung der in Geld zu erbringenden Leistungen ist so ausgestaltet, daß nachteilige Auswirkungen des Strafvollzuges vermieden werden. Zentrale Bedeutung kommt dabei dem Begriff des Jahresarbeitsverdienstes zu, der u. a. Grundlage für die Bemessung der Verletztenrente und der Hinterbliebenenrenten ist (vgl. §§ 56 Abs. 3, 65 Abs. 2 Nr. 1,68 Abs. 1 SGB VII). Die Vorschrift des § 82 Abs. 1 SGB VII, wonach der Jahresarbeitsverdienst definiert ist als Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, findet für Gefangene, die zugewiesene Arbeit nach § 41 Abs. 1 S. 1 StVollzG verrichten, keine Anwendung. Dies folgt aus § 82 Abs. 3 SGB VII, denn gemäß dieser Regelung gelten Arbeitsentgelt und Ausbildungsbeihilfe nach den §§ 43, 44 StVollzG nicht als Arbeitsentgelt im Sinne des § 82 Abs. 1 SGB VII. Anwendung findet vielmehr die Vorschrift des § 82 Abs. 2 SGB VII, wonach für Zeiten, in denen der Versicherte in dem von § 82 Abs. 1 S. 1 SGB VII bestimmten Zeitraum kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat, das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt wird, das seinem durchschnittlichen Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen in den mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen belegten Zeiten dieses Zeitraums entspricht. Auf diese Weise wird verhindert, daß der Jahresarbeitsverdienst - und damit letztlich auch die zu gewährende Rentenleistung - auf der Grundlage der geringen Bezüge nach §§ 43, 44 StVollzG berechnet wird. Im Hinblick darauf, daß die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu den Geldleistungen zählt, die der Sicherung des Lebensbedarfs zu dienen bestimmt sind495 , ist den unterhaltsberechtigten Angehörigen eines Gefangenen ihr Anteil an der Verletztenrente gemäß § 49 Abs. I SGB I auf Antrag gesondert auszuzahlen. Dabei ist unerheblich. ob der Versicherungsfall, der zur Rentenberechtigung geführt hat, vor oder nach der Inhaftierung eingetreten ist. Liegt der besondere Fall vor, daß dem Gefangenen die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 101 Abs. 2 S. I SGB VII ganz oder teilweise versagt worden sind, weil der Versicherungsfall bei einer Handlung eingetreten ist, die nach rechtskräftigem strafgerichtlichen Urteil ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen ist, so können die Leistungen, obwohl die dem Versicherten versagt wurden, nach § 101 Abs. 2 S. 3 SGB VII i.Y.m. § 49 Abs. I SGB I an den unterhaltsberechtigten Ehegatten und die Kinder ausgezahlt werden.
V. Gesetzliche Arbeitslosenversicherung Während Gefangene. die Arbeitsentgelt oder Ausbildungsbeihilfe erhalten oder Ausbildungsbeihilfe nur wegen des Vorranges von Leistungen zur Förderung der Berufsausbildung nach SGB III nicht erhalten, aufgrund des § 26 Abs. I Nr. 4 SGB III in die Arbeitslosenversicherung einbezogen sind, gilt für Gefangene, die m Hauck. in: Hauck, SGB I, K
*48 Rn. 3.
D. Unter sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten
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in einem freien Beschäftigungsverhältnis tätig sind, die allgemeine Vorschrift des 96 . Dies bedeutet, daß Gefangenen - insbesondere nach ihrer § 25 Abs. I SGB Haftentlassung - ein Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 117 Abs. 1 SGB III) bzw. ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (§ 190 Abs. 1 SGB III) zustehen kann. Da sowohl das Arbeitslosengeld als auch die Arbeitslosenhilfe den Lebensunterhalt des Versicherten und seiner Familienangehörigen sicherstellen soll (vgl. §§ 129, 195 SGB III), kommen diese Ansprüche mittelbar auch den unterhaltsberechtigten Kindern und dem Ehepartner zugute. Außerdem ist mit dem Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe der sozialversicherungsrechtliche Schutz des Arbeitslosen und seiner Familienangehörigen durch die gesetzliche Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung verbunden (vgl. § 5 Abs. I Nr. 2 SGB V, § 3 Nr. 3 SGB VI, § 20 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI).
nr
Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld setzt gemäß §§ 117 Abs. 1, 118 Abs. 1, 119 Abs. 1 Nr. 2 SGB III u. a. voraus, daß der Anspruchsteller den Vennittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht. Entsprechendes gilt nach § 198 S. 2 SGB III für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Inhaftierte, die der Arbeitspflicht nach § 41 Abs. I StVollzG unterliegen, können grundsätzlich nicht den Vennittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung stehen, weil ihnen der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt verwehrt ist497 . Mithin kann ihnen ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe nur nach der Haftentlassung zustehen 498 . Während der Haftzeit kommt der Bezug von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe lediglich für Freigänger in Betracht499 . Dies ist jedoch nicht unstreitig. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Freigang losgelöst von der Genehmigung eines freien Beschäftigungsverhältnisses nach § 39 Abs. 1 StVollzG gestattet werden bzw. bestehen kann 5OO • Soweit ein "abstrakter" Freigängerstatus und die damit verbundene Verfügbarkeit des Gefangenen für die Arbeitsvennittlung abgelehnt wird. liegt dem die Befürchtung zugrunde, der Gefangene müßte eine Beschäftigung auch dann annehmen. wenn diese zwar nicht den vollzugsrechtlichen Kriterien der Resozialisierung, aber nach den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes sozialrechtlich zumutbar istSol. Insbesondere im Hinblick darauf. daß das Arbeitslosengeld bzw. die Arbeitslosenhilfe auch den Lebensunterhalt der Angehörigen sichern kann, erscheint eine allzu restriktive Hal4% Vgl. AK-StVollzG/Brühl, § 195 Rn. 3; Gagel, in: Gagei. AFG. § 168 Rn. 32; Weber, Die Beiträge 1976.353.354.356; Hardes. ZfStrVo 1986.286. 497 Vgl. AK-StVollzG/Brühl. § 195 Rn. 7; Schwind/Böhm/Matzke, StVollzG, § 194 Rn. 10; Steinmeyer. in: Gagei. AFG. § 103 Rn. 154. 4QK Vgl. Schwind I Böhm I Matzke. StVollzG. § 194 Rn. 10. 499 Vgl. BSG ZfStrVo 1992. 134, 135; AK-StVollzG/Brühl, § 195 Rn. 7; Schwind I Böhm/Matzke. StVollzG. § 194 Rn. 10; Steinmeyer, in: Gagei, AFG, § 103 Rn. 154; einschränkend Mrozynski. Resozialisierung und Soziales BetreuungsverhäItnis. S. 173. ~oo Vgl. Calliess I Müller-Dietz. StVolIzG. § 11 Rn. 9; AK-StVolIzG I Hoffmann I Lesting, § 25 Rn. 11 und AK-StVollzG I Brühl. § 195 Rn. 7. 501 Vgl. Calliess / Müller-Dietz. StVollzG. § 11 Rn. 9. l}
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
tung bezüglich der Verfügbarkeit von Inhaftierten verfehlt. Ziel sollte vielmehr die Harmonisierung der sozial- und vollzugsrechtlichen Belange sein. und zwar in der Weise. daß die Verfügbarkeit der Gefangenen unter Berücksichtigung des Resozialisierungsgedankens zu bestimmen ist 502 . Die Bemessung des Arbeitslosengeldes bzw. der Arbeitslosenhilfe erfolgt nach Maßgabe der §§ 129 ff. SGB III bzw. § 200 SGB III. Anders als die Bemessungsregelungen nach AFG 503 sehen die - im Vergleich zum AFG inhaltlich geänderten Vorschriften des SGB III keine speziellen Regelungen für Gefangene vor. Zugunsten der Gefangenen bzw. der Haftentlassenen und ihrer Familien sind jedoch die Sonderfallregelungen der §§ 131. 133 SGB III zu berücksichtigen.
E. Zusammenfassende Bemerkungen Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Familienmitglieder des Gefangenen sind um so geringer. desto mehr die Situation des Gefangenen der eines freien Bürgers entspricht. Der Entscheidung über die Gewährung von Freigang (§ 11 Abs. 1 Nr. I. Abs. 2 StVollzG) kommt in diesem Zusammenhang eine erhebliche Bedeutung zu. Kann ein Gefangener aufgrund der Genehmigungen nach § 11 Abs. 1 Nr. 1. Abs. 2 StVollzG am freien Erwerbsleben teilnehmen oder besteht die Möglichkeit. im ..Hausfrauenfreigang" die Betreuung der Kinder wahrzunehmen. lassen sich Strafhaft und familiäre Aufgabenerfüllung miteinander in Einklang bringen. Unter der Voraussetzung. daß die Genehmigung nach § 11 Abs. 1 Nr. I. Abs. 2 StVollzG bereits bei Haftantritt erteilt wird. bleibt das familiäre Lebenshilfesystem und damit auch die Stellung der unterhaltsberechtigten Angehörigen weitgehend unbeeinflußt von der Strafhaft des Familienmitgliedes. Vom verfassungsrechtlichen Standpunkt gilt für diesen Fall. daß der Staat nicht in die durch Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG geschützten unterhaltsrechtlichen Beziehungen eingreift. Aus zivilrechtlicher Sicht ist hervorzuheben. daß die Arbeit in einem freien Beschäftigungsverhältnis die Leistungsfahigkeit des Gefangenen erhält bzw. begründet und dieser damit im Verhältnis zu seinen unterhaltsberechtigten Angehörigen unterhaltspflichtig ist. Entsprechend steht den Familienmitgliedern ein Unterhaltsanspruch zu. den sie gegebenenfalls - privilegiert durch § 850d ZPO - im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen können. Für den Fall. daß der Freigang der Kinderbetreuung dient. erfüllt die Inhaftierte ihre Unterhaltspflicht gemäß § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB durch die Pflege und Erziehung des Kindes. Dies gilt auch. wenn Mütter mit ihren Kindern gemeinsam in einer Vollzugsanstalt untergebracht sind (§ 80 StVolIzG). Ist der Gefangene als Freigänger in einem freien Beschäftigungsverhältnis tätig. besteht auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht •.Normalität". Für die unterhaltsberechtigten Angehörigen von Gefange~2 ~3
Vgl. dazu BSG ZfStrVo 1992. 134. 135; Steinmeyer. in: GageI. AFG. § 103 Rn. 155. Vgl. §§ 112 Abs. 5 Nr. 10 und Abs. 7. 136 Abs. 2 AFG.
E. Zusammenfassende Bemerkungen
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nen, die nicht selbst Mitglied der Sozialversicherung sind, heißt dies, daß sie dem beitragslosen Schutz der Familienversicherung nach §§ 10 Abs. 1,3 S. 3 SGB V, §§ 25 Abs. I, 1 Abs. 6 S. 3 SGB XI unterstehen und im Bereich der Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung Leistungen beanspruchen (vgl. §§ 46 -48 SGB VI, §§ 63 - 71 SGB Vll) bzw. an solchen teilhaben können (vgl. §§ 33 Abs. 2, 3542,33 Abs. 3,43-45 SGB VI, §§ 56-62 SGB vrr, §§ 117 Abs. 1, 190 Abs. 1 SGB ill). Grundlegend ist dabei, daß die Arbeit in einem freien Beschäftigungsverhältnis die Tatbestände der § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI, § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, § 25 Abs. 1 SGB ill erfüllt und die Inhaftierten damit umfassend in die Sozialversicherung einbezogen sind. Die Fälle, in denen die Kinder und der Ehepartner des Inhaftierten in ihrer SteIlung als Unterhaltsberechtigte von der Freiheitsstrafe des unterhaltspflichtigen Familienmitgliedes nahezu unberührt bleiben, sind selten und überwiegend im Bereich kurzer Freiheitsstrafen anzutreffen. I.d.R. können Gefangene ihre familiären Aufgaben nicht wahrnehmen, weil sie - zumindest für einen Großteil der Haftzeit - vom freien Erwerbsleben ausgeschlossen sind bzw. durch die Inhaftierung von den betreuungs bedürftigen Kindern getrennt sind. Kann der Gefangene haftbedingt nicht für seine Familienmitglieder sorgen, steht aber fest, daß er ohne Freiheitsentzug weiterhin dazu in der Lage gewesen wäre, ist verfassungsrechtlich von einem staatlichen Eingriff in die durch Art. 6 Abs. 1 und 2 S. I GG geschützte Lebenssphäre der Familie auszugehen. Da die Unterhaltsberechtigten ebenso wie der Unterhaltspflichtige dem Staat mit eigenen, originären Rechten gegenüberstehen und es für den Ehe- und Familienschutz ohne Belang ist, wenn nur ein Familienmitglied Adressat der belastenden staatlichen Maßnahme ist. liegt ein Eingriff in die Rechte eines jeden in der Sache betroffenen Familienmitgliedes vor, wobei neben dem Inhaftierten auch dessen Kinder und Ehepartner unmittelbar betroffen sind. Im Hinblick darauf, daß das gewollte Übel der Freiheitsstrafe ausschließlich die Einwirkung auf den Tater durch Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit zum Inhalt hat, handelt es sich um unbeabsichtigte Eingriffe. Zu rechtfertigen sind diese Eingriffe grundsätzlich nur dann, wenn mit dem Freiheitsentzug der Schutz der Allgemeinheit vor einem gefährlichen Tater bezweckt wird. In allen anderen Fällen kann nicht ohne weiteres ein verfassungsgemäßer Eingriff angenommen werden. Grundlegend ist insofern die Überlegung, daß der Freiheitsentzug (ausschließlich) zum Zwecke der Resozialisierung sowie der (positiven und negativen) Generalprävention nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig ist 504 . Vom zivilrechtlichen Standpunkt ergibt sich, daß den Unterhaltsberechtigten kein Unterhaltsanspruch zusteht, sofern der Unterhaltspflichtige infolge seiner Strafhaft leistungsunfähig wird. Grund dafür ist, daß sich der Inhaftierte mit Erfolg auf seine haftbedingte Leistungsunfähigkeit berufen kann. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Straftat als ein unterhaltsbezogenes Fehlverhalten zu werten ist 504
9"
Siehe dazu unter B. 1JI.
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I. Kap.: Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe
und dem Einwand der haftbedingten Leistungsunfähigkeit der Grundsatz des § 242 BGB entgegensteht. Liegt dieser Ausnahmefall vor, bleiben die Kinder und Ehepartner des Inhaftierten Unterhaltsgläubiger. Als solche können sie in die Zwangsvollstreckung eintreten. Ihre Situation entspricht der anderer (Geld-)Gläubiger, denn deren Ansprüche bestehen unabhängig davon, ob sie erfüllt werden können oder nicht. Gegebenenfalls können haftbedingte Unterhaltsschäden durch die Inanspruchnahme eines Ersatzhaftenden kompensiert werden (§ § 1607, 1608 BGB). Dabei ist unerheblich, ob den Unterhaltsberechtigten ein Anspruch zusteht oder nicht. Voraussetzung ist jedoch, daß der Ersatzhaftende leistungsfähig ist (vgl. § 1603 BGB). Soweit ein Ersatzhaftender den Unterhalt erbringt, wird auch er mit den Nebenwirkungen des Strafvollzuges konfrontiert. Ein Regreßanspruch steht dem Ersatzhaftenden nur zu, wenn der Unterhaltsanspruch des Berechtigten ausnahmsweise Bestand hat (vgl. §§ 1607 Abs. 2 S. 2,1608 S. 3 BGB). Indem die Gefangenenarbeit nicht als kranken-, pflege- und rentenversicherungspflichtige Beschäftigung anerkannt ist, wird den Gefangenen und ihren Angehörigen der Schutz des Sozialversicherungsrechts als einem im besonderen Maße "familienfreundlichen" Nonngefüge weitgehend verwehrt. Infolgedessen fehlt es den Kindern und Ehepartnern von Gefangenen, die selbst nicht Mitglied der Sozialversicherung sind, an einer Möglichkeit, den beitragsfreien Kranken- und Pflegeversicherungsschutz nach § 10 Abs. I SGB V und § 25 Abs. I SGB XI vom arbeitenden Elternteil bzw. Ehepartner abzuleiten. Im Bereich der Rentenversicherung erweist sich die nur unvollständige Einbeziehung der Gefangenenarbeit in den Schutz der Sozialversicherung regelmäßig erst dann als Nachteil, wenn der (ehemalige) Gefangene das Rentenalter erreicht, vennindert erwerbsfähig wird oder stirbt. Die Möglichkeiten einer Weiterversicherung, die aufgrund § 9 Abs. I Nr. 2 SGB V, § 26 Abs. I S. 2 SGB XI und § 7 Abs. I SGB VI gegeben sind, können von den Inhaftierten und ihren Angehörigen i.d.R. nicht aus eigener Kraft genutzt werden, weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen, um die erforderlichen Beiträge aufzubringen. Für alle Fälle, in denen die unterhaltsberechtigten Angehörigen von Gefangenen durch den Strafvollzug belastet werden, werfen die verfassungs-, zivil- und sozialversicherungsrechtlichen Feststellungen die Frage nach den Möglichkeiten der "Gegensteuerung" auf. Dies gilt insbesondere in Anbetracht des Befundes, daß Eingriffe in das durch Art. 6 Abs. I und 2 S. I GG geschützte familiäre Lebenshilfesystem nur unter bestimmten Schutzgesichtspunkten zu rechtfertigen sind und die Grenzen des verfassungsgemäßen Eingriffs nicht in jedem Fall eingehalten werden.
2. Kapitel
Die Gewährung staatlicher Leistungen zugunsten der unterhalts berechtigen Kinder und Ehepartner von Strafgefangenen A. Einleitende Bemerkungen Die rechtliche Stellung der Kinder und Ehepartner von Strafgefangenen läßt sich in ihrer Gesamtheit nur erfassen, wenn neben den Auswirkungen, die sich aus der Strathaft des Familienmitgliedes ergeben, auch die Leistungen des Staates Berücksichtigung finden, die den Angehörigen von Gefangenen gewährt werden. Da staatliche Leistungen die Angehörigenwirkung der Freiheitsstrafe - ganz oder teilweise - ausgleichen können, kommt ihnen die Funktion der Gegenwirkung zu. Der Umfang, in dem sie die Auswirkungen des Strafvollzuges kompensieren, entspricht dem Maß an Verantwortung, das die Allgemeinheit für die Angehörigen von Gefangenen übernimmt. In dem nicht durch staatliche Leistungen ausgeglichenen Unterhaltsschaden manifestiert sich die Drittwirkung der Freiheitsstrafe. Soweit den unterhaltsberechtigten Angehörigen des Gefangenen die finanziellen Mittel fehlen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sind sie insbesondere auf die öffentlichen Unterhaltsleistungen gemäß den Vorschriften des BSHG angewiesen 1. Für Kinder kommen Unterhaltsersatzleistungen auf der Grundlage des UVG in Betracht. Die Leistungen der Sozialhilfe sind für die Angehörigen Inhaftierter regelmäßig auch im Hinblick auf ihre nur unzureichende sozialversicherungsrechtliche Einbindung von Bedeutung (vgl. §§ 13 Abs. 2, 36, 37, 68 f. BSHG). Kann der Betreuungsunterhalt infolge der Strathaft nicht erbracht werden, so ist es zur Vermeidung einer Doppelbelastung des Minderjährigen durch den Verlust des Elternteils und der heimischen Umgebung erstrebenswert, daß das Kind in seinem gewohnten Umfeld verbleiben kann. Von Interesse sind insofern die Ansprüche auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 20 SGB VllI und § 70 BSHG. Eine Aufnahme in eine Tageseinrichtung (§ 22 SGB VllI) oder in Tagespflege (§ 23 SGB VllI) kann nicht beansprucht werden 2 • Dies folgt aus § 24 Abs. 1 S. 2 SGB VllI, I Vgl. Busch I Fülbierl Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten, S. 247; Nationale Armutskonferenz in der Bundesrepublik Deutschland: Armut, Kriminalität und Straffälligenhilfe. ZfStrVo 1995, 174, 175. 2 Morzynski, KJHG, § 24 Anm. 2 b; Münder u. a., Frankfurter LPK-KJHG, § 24 Rn. 7; Klinkhardt, Kinder- und Jugendhilfe SGB VIII, § 24 Rn. 16,21; anders Struck, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberioskamp I Struck. SGB VIII, § 24 Rn. 20, denn dort wird von
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
denn gemäß dieser Vorschrift sind für Kinder im Alter unter drei Jahren und Kinder im schulpflichtigen Alter lediglich nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen und, soweit für das Wohl des Kindes erforderlich, Tagespflegeplätze vorzuhalten. Der in § 24 Abs. 1 S. 1 SGB VTII vorgesehene Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gilt vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum Eintritt des Kindes in die Schule. Auf diesen Anspruch soll jedoch im folgenden nicht näher eingegangen werden, da der Besuch des Kindergartens keine Maßnahmen ist, die einer Notsituation bzw. einem Erziehungsdefizit infolge Ausfalls eines Elternteils Rechnung trägt. Näher zu betrachten sind allerdings die Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) und die Heimerziehung (§ 34 SGB VIII). Diese beiden Fonnen der Hilfe zur Erziehung (§ 27 SGB VIII) sollten ultima ratio sein, da sie mit einer Fremdunterbringung des Kindes verbunden sind. Die staatlichen Leistungen, die vorliegend in Betracht kommen, um den haftbedingten Ausfall des Bar- und / oder Betreuungsunterhalts sowie die unzureichende Einbindung der Angehörigen von Inhaftierten in das sozialversicherungsrechtliche System auszugleichen, zählen zur Basisversorgung, die der Staat allen in Not geratenen Personen gewährt, wobei i.d.R. gleichgültig ist, ob sie verschuldet oder unverschuldet in die Notlage gekommen sind. Ein besonderes, auf einer gesteigerten sozialen Verantwortung gegenüber den Angehörigen von Gefangenen beruhendes Entschädigungssystem existiert nicht. Lediglich für den Fall, daß der Gefangene die Strafhaft zu Unrecht verbüßt hat, sieht § 11 StrEG den nachträglichen Ausgleich materieller Unterhaltsschäden vor. Während die von der allgemeinen Basisversorgung erfaßten Notlagen i.d.R. ohne direkten staatlichen Einfluß eintreten, so z. B. infolge von Krankheit oder Arbeitslosigkeit, steht die Notsituation der unterhaltsberechtigten Angehörigen von Strafgefangenen in unmittelbarem Zusammenhang mit einer staatlichen Zwangsmaßnahme, die im Interesse der Allgemeinheit liegt. Dies und der Aspekt ihrer Grundrechtsbetroffenheit rückt die Situation der Kinder und Ehepartner von Inhaftierten in die Nähe der Fälle, in denen eine Aufopferungsentschädigung gewährt wird.
einem Anspruch auf gleichmäßige und fehlerfreie Ermessensausübung LV.m. Art. 3 GG ausgegangen.
B. Allgemeine Leistungen
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B. Allgemeine Leistungen zugunsten der unterhaltsberechtigten Angehörigen von Gefangenen I. Anspruche bei Ausfall des Barunterhalts 1. Unterhaltsersatzleistungen gemäß UVG
a) Allgemeines
Erleiden Kinder, die noch nicht zwölf Jahre alt sind, einen haftbedingten Unterhaltsausfall. so können ihnen öffentliche Unterhaltsleistungen gemäß den Vorschriften des UVG zustehen. Ziel dieses Gesetzes ist, die Situation von Kindern unter zwölf Jahren, die bei einem Elternteil leben und vom anderen Elternteil keinen Unterhalt erhalten, durch die Gewährung staatlicher Unterhaltsleistungen zu verbessern 3 . Der alleinerziehende Elternteil soll im Interesse der Kindesbetreuung von der Erwerbstätigkeit freigestellt werden, die notwendig ist, um den Barunterhalt des Kindes zu erwirtschaften 4 . Auch wenn das UVG die Doppelbelastung des alleinerziehenden Elternteils durch die Sorge für den materiellen Unterhalt und die persönliche Betreuung des Kindes ausräumen will und damit dem Gedanken des Familienlastenausgleichs Rechnung trägt, so ist es doch in erster Linie auf die Interessen der Kinder ausgerichtet, die durch den Unterhaltsausfall in ihrer Entwicklung gefährdet sind5 . Die Leistungen werden bei bestehendem, aber nicht realisierbarem Unterhaltsanspruch als Unterhaltsvorschuß und beim Fehlen eines Unterhaltsanspruchs als Unterhaltsausfalleistung gewährt 6 . Leistungspflichtig sind die Länder, die das UVG gemäß § 8 Abs. I UVG im Auftrage des Bundes ausführen. Anspruchsberechtigt ist das Kind selbst 7 ; lediglich der Antrag ist nach § 9 Abs. 1 UVG von dem Elternteil zu stellen, bei dem das Kind lebt oder der gesetzlicher Vertreter des Kindes ist. Da die Leistungen nach dem UVG zu den Unterhaltsersatzleistungen i. S. d. § 18 Abs. 1 SGB VllI zählen8 , können die alleinerziehenden Mütter oder Väter bei der Geltendmachung von Unterhaltsvorschüssen bzw. Unterhaltsausfalleistungen die Beratung und Unterstützung des Jugendhilfeträgers in Anspruch nehmen.
Vgl. BT-Drs. 8/2774. S. 11; Scholz. UVG. Einf. Rn. 1. Palandt/Diederichsen. BGB. Einf. v. § 1601 Rn. 28; Köhler. NJW 1979. 1812; Bleyl Kreikebohm. Sozialrecht. Rn. 1044; Gitter. Sozialrecht. § 45 I. 5 Vgl. Bley 1 Kreikebohm. Sozialrecht, Rn. 1044. 6 Bley 1 Kreikebohm, Sozialrecht. Rn. 1047; Köhler, NJW 1979. 1812. 7 Vgl. § I Abs. I UVG; Bley/Kreikebohm, Sozialrecht. Rn. 1045. 8 Kaufmann. in: Wiesner/Kaufmann/Mörsberger/Oberloskarnp/Struck. SGB V111. § 18 Rn. 12; Mrozynski. KJHG. § 18 Anm. 2 b; Schellhom/Wienand. KJHG. § 18 Rn. 8; Klinkhardt. Kinder- und Jugendhilfe SGB VIII. § 18 Rn. 4. 3
4
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
b) Voraussetzungen
Ein Anspruch auf die Unterhaltsleistungen gemäß UVG besteht für ein Kind, das noch nicht zwölf Jahre alt ist, im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem Elternteil lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten dauernd getrennt lebt, und dessen anderer Elternteil keine oder zumindest keine regelmäßigen Unterhaltsleistungen erbringt oder verstorben ist (§ 1 Abs. 1 UVG). Gemäß § 1 Abs. 2 UVG ist ein dauerndes Getrenntleben auch dann anzunehmen, wenn der Ehegatte des Elternteils, bei dem das Kind lebt, aufgrund gerichtlicher Anordnung für voraussichtlich wenigstens sechs Monate in einer Anstalt untergebracht ist. Da Anstalt i. S. d. § 1 Abs. 2 UVG auch eine Justizvollzugsanstalt ist9 , bezieht diese Vorschrift die von der Strafhaft eines Elternteils betroffenen Kinder in den Anwendungsbereich des UVG ein. Ob das Kind bei einem Elternteil lebt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden 10. Erforderlich ist, daß das Kind eine dauerhafte Beziehung zum Haushalt dieses Elternteils hat und im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten immer wieder zu diesem Elternteil zurückkehrtlI. Die notwendige Bindung zwischen dem Kind und dem alleinerziehenden Elternteil wird nicht dadurch aufgehoben, daß das Kind tagsüber von einer Haushaltshilfe, einer Kinderfrau oder außerhalb des Hauses in einem Kindergarten, einer Kindertagesstätte, einem Kinderhort oder von einer Wochenmutter betreut wird l2 • Als unterbrochen ist die Bindung jedoch anzusehen, wenn das Kind für voraussichtlich mindestens sechs Monate in einem Heim oder einer Anstalt lebt oder eine andere Familie die Betreuung des Kindes vollständig übernimmt l3 . Da die gesetzliche Regelung ausdrücklich darauf abstellt, daß das Kind bei einem Elternteil lebt, kann eine Leistung nach UVG dann nicht beansprucht werden, wenn das Kind im Haushalt der Großeltern lebt und dort vollständig versorgt wird l4 . Im Hinblick darauf, daß das UVG eine Reaktion auf die Doppelbelastung alleinerziehender Elternteile darstellt, soll auch dann kein Anspruch bestehen, wenn das Kind zwar nur bei einem Elternteil lebt, dieser aber mit einem Ehepartner zusammenlebt, welcher nicht gleichzeitig der andere Elternteil des Kindes ist l5 . 9 BT-Drs. 8 I 2774, S. 12; Scholz, UVG, § I Rn. 23; Scholz, DtZ 1992, 177; Köhler, NJW 1979, 1812, 1813. 10 Scholz, UVG, § I Rn. 9. 11 Vgl. Scholz, UVG, § I Rn. 9. 12 Scholz, UVG, § I Rn. 9. 13 Scholz, UVG, § I Rn. 11. 14 Scholz, DtZ 1992, 177. IS Scholz, UVG, Einf. Rn. 3; Scholz, DtZ 1992, 177, 178; Marschner, NJ 1992, 159, 160; krit. dazu AK-BGB/Derieder/Münder, vor §§ 1601 ff. Rn. 7; Köhler, NJW 1979, 1812. Der Leistungsanspruch soll allerdings nicht ausgeschlossen sein, wenn der erziehende Elternteil mit einem Partner in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt, siehe dazu Marschner, NJ 1992, 159,160; AK-BGBlDerleder/Münder, vor §§ 1601 ff. Rn. 7; Köhler, NJW 1979,1812.
B. Allgemeine Leistungen
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Erhält das Kind vom anderen Elternteil keine Unterhaltsleistungen, so ist es unerheblich, ob infolge Leistungsunfahigkeit keine Unterhaltspflicht besteht oder der Unterhalts anspruch nicht zu realisieren ist 16 . In Anbetracht dessen hat die Entscheidung über Wegfall oder Fortbestand der Unterhaltspflicht bei haftbedingter Leistungsunfahigkeit keine Auswirkung auf die Berechtigung des Kindes gemäß § 1 Abs. 1 UVG. Da der alleinerziehende Elternteil im Interesse der Kindesbetreuung von einer Erwerbstätigkeit freigestellt werden soll, die notwendig ist, um den Barunterhalt des Kindes zu erwirtschaften, ist davon auszugehen, daß die Leistungsfähigkeit des alleinerziehenden Elternteils für die Unterhalts gewährung gemäß UVG ohne Bedeutung ist 17 . Die Bedürftigkeit eines noch nicht zwölf Jahre alten Kindes setzt das UVG stillschweigend voraus 18 . Ist das Kind nicht bedürftig, steht ihm kein Anspruch aufUnterhaltsvorschuß ZU 19 •
c) Umfang
Die Leistungen nach dem UVG werden gemäß § 2 Abs. 1 UVG monatlich in Höhe der für Kinder der ersten und zweiten Altersstufe jeweils geltenden Regelbeträge (§ 1 oder 2 der Regelbetrags-Verordnung) gewährt, wobei die Zahlung von Kindergeld nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 UVG angerechnet wird. Da die Regelbeträge - anders als der Regelunterhalt (vgl. § 1615 f. BGB a.F.) - nicht mehr den Anspruch erheben, in einfachen Lebensverhältnissen bedarfsdeckend zu sein, und im übrigen nicht das Existenzminimum der Kinder sichern 20, wird auf der Grundlage des UVG nur ein "Minimalunterhalt" gewährt. Ein im Einzelfall bestehender höherer individueller Bedarf bleibt dabei ebenso unberücksichtigt wie ein höherer Unterhaltsausfall. Erbringt der Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt, Unterhaltsleistungen, so sind diese gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG anzurechnen. Ob die nach § 2 Abs. 1 UVG gewährten Unterhaltsleistungen einen haftbedingten Unterhaltsschaden ausgleichen können, ist eine Frage des Einzelfalles. Stand dem Kind, bevor der barunterhaltspflichtige Elternteil zur Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ein über dem Regelbetrag liegender Individualunterhalt zu, so gleicht die Unterhaltsleistung gemäß § 2 Abs. 1 UVG den haftbedingten Unterhaltsschaden nur teilweise aus. Hingegen können die staatlichen Unterhaltsleistungen vollen
16 V gl. Spitz, in: Köhler 1Luthin, Handbuch des Unterhaltsrechts, Rn. 863; Bley 1 Kreikebohm, Sozialrecht, Rn. 1047. 17 V gl. BT-Drs. 8/2774, S. 11; Scholz, UVG, Einf. Rn. 2; Bley 1 Kreikebohm, Sozialrecht, Rn. 1047; Erman 1 Holzhauer, BGB, Vor § 1601 Rn. 21; Palandt/Diederichsen, BGB, Einf v § 1601 Rn. 28. 18 AK-BGB/Derleder/Münder, vor § 1601 ff. Rn. 7. 19 Spitz, in: Köhler 1Luthin, Handbuch des Unterhaltsrechts, Rn. 864. 20 Siehe dazu Schuhmacher 1Grün, FamRZ 1998, 778, 779, 780 f.
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
Ausgleich schaffen, wenn das Kind bereits vor der Inhaftierung eines Elternteils auf einen dem Regelbetrag entsprechenden Unterhalt beschränkt war. d) Dauer Die Dauer der Unterhaltsleistung ist gemäß § 3 UVG auf längstens zweiundsiebzig Monate beschränkt. Dabei ist es ohne Belang, ob sich die Gründe für die Berechtigung während dieser Zeit geändert haben 21 . Die zeitliche Begrenzung der Unterhaltsleistung stellt eine wesentliche Einschränkung des Schutzes dar, den das UVG den Kindern gewähren will. Für die noch nicht zwölf Jahre alten Kinder von Strafgefangenen bedeutet dies, daß ihr haftbedingter Unterhaltsausfall nicht in jedem Fall durch das UVG erfaßt ist. Einschränkungen können sich sowohl bei Freiheitsstrafen über sechs Jahren als auch dann ergeben, wenn das Kind schon vor der Inhaftierung des Elternteils aus Gründen, die keinen Bezug zur Strafhaft haben, Leistungen nach dem UVG erhalten hat. e) Anspruchsübergang Steht dem unterhaltsberechtigten Kind für die Zeit, für die es Leistungen nach UVG erhält, ein Unterhaltsanspruch gegen den Elternteil zu, bei dem es nicht lebt, dann geht der Unterhalts anspruch nach § 7 Abs. 1 S. 1 UVG in Höhe der erbrachten staatlichen Unterhaltsleistung auf das jeweilige Land über. Gemäß § 7 Abs. 3 S. 2 UVG kann der Übergang allerdings nicht zum Nachteil des Unterhaltsberechtigten geltend gemacht werden, soweit dieser für eine spätere Zeit, für die er keine Unterhaltsleistungen gemäß UVG erhalten hat oder erhält, Unterhalt vom Unterhaltspflichtigen verlangt.
2. Hilfe zum Lebensunterhalt nach BSHG
a) Allgemeines Die Hilfe zum Lebensunterhalt ist neben der Hilfe in besonderen Lebenslagen Bestandteil der Sozialhilfe (vgl. § lAbs. 1 BSHG). Gemäß § 21 Abs. I BSHG kann die Hilfe zum Lebensunterhalt als laufende oder I und einmalige Leistung gewährt werden. Die unterhaltsbedürftigen Angehörigen von Gefangenen benötigen i.d.R. eine laufende Hilfe zum Lebensunterhalt sowie einmalige Leistungen (vgl. § 21 Abs. la BSHG). Für die Kinder gilt dies nur, soweit sie nicht nach dem UVG berechtigt sind, da diese Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt vorgehen (vgl. § 2 Abs. 1 BSHG). Jeder Hilfsbedürftige hat einen eigenen Anpruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, wobei dies auch gilt, wenn der Hilfsbedürftige in einem Fa21
Scholz, UVG, § 3 Rn. 1.
B. Allgemeine Leistungen
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milienverband mit anderen Hilfsbedürftigen lebt 22 . Zu berücksichtigen ist allerdings, daß der Bedarf der Familienmitglieder mit Blick auf deren gemeinsame lebensführung festgesetzt wird (vgl. § 11 Abs. 1 S. 2 BSHG)23. Die Hilfe zum Lebensunterhalt soll den Grundbedarf des täglichen Lebens - insbesondere Essen, Trinken, Kleidung, Unterkunft - abdecken 24. In diesem Sinne bezweckt die Hilfe zum Lebensunterhalt eine Sicherung des Existenzminimums. Dabei ist die Hilfe darauf gerichtet, den Zustand der Hilfsbedürftigkeit zu beseitigen, ohne daß es auf deren Ursachen ankommt (Finalprinzip)25. Dies gilt sowohl für die Voraussetzungen als auch für den Umfang der Leistung 26 . Grundlegend ist insofern, daß die Sozialhilfe auf einer im Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) verankerten ,,Basisverantwortung" der staatlichen Gemeinschaft beruht, die auch denjenigen nicht im Stich lassen darf, der sich durch eigene Schuld in eine Notlage gebracht hat27 . Gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BSHG soll die Sozialhilfe den Hilfsbedürftigen soweit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben. Damit ist klargestellt, daß die Sozialhilfe keine Basisversorgung darstellt, die unabhängig von den Möglichkeiten des einzelnen, sich selbst in einer Notlage zu helfen, gewährt wird28 . Die Sozialhilfe versteht sich demnach als eine Hilfe zur Selbsthilfe29 . b) Voraussetzungen
Ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt setzt gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 BSHG voraus, daß der Hilfesuchende seinen notwendigen Lebensunterhalt (vgl. § 12 BSHG) nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln decken kann. Verlangt wird der volle Einsatz von Einkommen, Vermögen und eigener Arbeitskraft30• Gemäß § 18 Abs. 1 BSHG ist der Einsatz der Arbeitskraft eine Pflicht des Hilfeempfangers, die von den Sozialhilfeträgem jedoch nur in den Grenzen des Zumutbaren eingefordert werden kann (vgl. § 18 Abs. 3 BSHG). Wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder eine zumutbare Arbeitsgelegenheit anzunehmen, hat gemäß § 25 Abs. I BSHG keinen Anspruch auf Hilfe zum lebensunterhalt. Die Frage der Zumutbarkeit von Arbeitsleistungen stellt sich insbesondere LPK-BSHG/Roscher, § 11 Rn. 3. Siehe dazu LPK-BSHG/Roscher, § 11 Rn. 6-9. 24 LPK-BSHG/Roscher, § 11 Rn. 1. 25 Vgl. BVeIWGE 35, 360, 362; Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 127; Rüfner, Gutachten für den 49. OJT, E 19; Bley/Kreikebohm, Sozialrecht, Rn. 1108; Schmiu, BSHG, Vorbemerkungen Rn. 31. 26 Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 127. 27 Vgl. Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 125; Schmitt, BSHG, Vorbemerkungen Rn. 1 -7. 28 LPK-BSHG/Birk, § 1 Rn. 15. 29 LPK-BSHG/Birk, § 1 Rn. 15. 30 LPK-BSHG I Roscher, § 11 Rn. 4. 22
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
dann, wenn der Hilfsbedürftige Kinder zu versorgen hat. Gemäß § 18 Abs. 3 S. 2 BSHG darf der Einsatz der Arbeitskraft nicht verlangt werden, soweit dadurch die geordnete Erziehung der Kinder gefährdet würde. Kann allerdings die Erziehung der Kinder, die das dritte Lebensjahr vollendet haben, in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege sichergestellt werden, so gilt gemäß § 18 Abs. 3 S. 3 BSHG, daß der Einsatz i. d. R. zumutbar ist. Da für die Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt ausschließlich die tatsächliche Hilfsbedürftigkeit entscheidend ist3l , kommt es auch hier nicht darauf an, ob der Unterhalts anspruch in seiner Entstehung gehindert ist oder ein bestehender Unterhaltsanspruch nicht realisiert werden kann. Im Hinblick darauf, daß die Ursachen der Bedürftigkeit grundsätzlich ohne Bedeutung für den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt sind 32 und die Hilfe zum Lebensunterhalt insbesondere auch gewährt wird, wenn der Unterhaltsschuldner die Bedürftigkeit seiner Familienmitglieder schuldhaft herbeigeführt hat 33 , scheidet jede Berücksichtigung der Straftat aus, wenn es darum geht, ob dem Angehörigen eines Gefangenen Hilfe zum Lebensunterhalt zu bewilligen ist. c) Umfang
Entsprechend der Vorschrift des § 22 BSHG gewähren die Träger der Sozialhilfe laufende Leistungen zum Lebensunterhalt außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen nach Regelsätzen, wenn nicht die Besonderheiten des Einzelfalles eine abweichende Bemessung der Leistung erforderlich machen. Die Regelsätze berücksichtigen die in § 12 BSHG beschriebenen notwendigen Bedürfnisse des täglichen Lebens und gewähren damit das Minimum dessen, was erforderlich ist, um ein menschenwürdiges Leben zu führen 34 . Sofern der Ehepartner des Inhaftierten mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter sechzehn Jahren zusammenlebt und alleine für Pflege und Erziehung dieser Kinder zu sorgen hat, besteht für ihn nach § 23 Abs. 2 BSHG ein Anspruch auf einen Mehrbedarfszuschlag von 40 v.H. des maßgebenden Regelsatzes. Für Alleinerziehende mit vier und mehr Kindern unter sechzehn Jahren ist gemäß § 23 Abs. 2 Hs. 2 BSHG ein Mehrbedarf von 60 v.H. des betreffenden Regelsatzes zu gewähren 35 . Ob der Hilfesuchende alleine für die Pflege und Erziehung der Kinder sorgt, ist anhand der tatsächlichen Verhältnisse zu entscheiVgl. Schellhorn I Jirasekl Sei pp, BSHG, § 11 Rn. 34. ScheJlhorn/Jirasekl Seipp, BSHG, § 11 Rn. 25; Gottschick I Giese, BSHG, § 11 Rn. 12. 33 ScheJlhornl Jirasekl Seipp, BSHG, § 11 Rn. 25; vgl. auch § 92a BSHG. 34 Vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, § 11 Rn. I und § 12 Rn. 2 f. 35 Die Mehrbedarfsregelung für Alleinerziehende beruht insbesondere auf der Erwägung, daß sie wegen der Sorge für ihre Kinder weniger Zeit finden, preisbewußt einzukaufen, und zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen haben, siehe dazu Gottschick/Giese, BSHG, § 23 Rn. 5; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, § 23 Rn. 23; LPK-BSHG I Hofmann, § 23 Rn. 6. 31
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den 36 . Verbüßt ein Elternteil eine Freiheitsstrafe, dann ist der andere Elternteil regelmäßig alleinerziehend 37. Da der Mehrbedarf wegen Kinderbetreuung bereits bei nur vorübergehender Abwesenheit des Ehepartners anzuerkennen ist 38 , kommt die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlages auch in Betracht, wenn der Ehepartner lediglich eine kurze Freiheitsstrafe zu verbüßen hat 39 • Scheidet die Anerkennung eines Mehrbedarfszuschlages nach § 23 Abs. 2 BSHG aus, weil die Kinder über sechzehn Jahre alt sind, kommt eine über den Regelsatz hinausgehende Leistung nach § 22 Abs. I S. 2 BSHG in Betracht4o . Der nicht im voraus abzusehende Bedarf wird durch einmalige Leistungen zum Lebensunterhalt (§ 21 Abs. la BSHG) abgedeckt41 • Einmalige Leistungen kommen z. B. in Betracht, wenn die Kinder an einer Klassenfahrt teilnehmen sollen42 oder Gebrauchsgüter von längerer Gebrauchsdauer zu beschaffen sind43 . Bei der Beurteilung des durch einmalige Leistungen abzudeckenden Bedarfs ist auf die Verbrauchsgewohnheiten von Personen und Familien mit geringem Einkommen abzustellen 44 . Fahrtkosten, die im Zusammenhang mit Besuchen in der Haftanstalt entstehen, sind über den gewährten Regelsatz hinaus vom Sozialhilfeträger zu übernehmen, wenn sie nach Art und Umfang über die normalerweise während des sonstigen täglichen Lebens anfallenden und vom Regelsatz abgedeckten Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel hinaus gehen 45 . Da die Fahrtkosten in diesen Fällen den persönlichen Kontakt zwischen den Eheleuten und im Eltern-Kind-Verhältnis ermöglichen, dienen sie einem persönlichen Bedürfnis des täglichen Lebens und sind daher dem notwendigen Lebensunterhalt nach §§ I1 Abs. I, 12 Abs. I BSHG zuzurechnen 46 . Zu gewähren sind die Fahrtkosten als einmalige Leistungen nach § 21 Abs. la Nr. 7 BSHG, und zwar i.d.R. einmal monatlich in Höhe der Kosten, die sich bei der Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels ergeben 47 • AI30 Zink, in: Mergler/Zink, BSHG, § 23 Rn. 28; Fichtner, in: Kopp/Fichtner, BSHG, § 23 Rn. 13; LPK-BSHG I Hofmann, § 23 Rn. 16. 37 Vgl. LPK-BSHGlHofmann, § 23 Rn. 18; Brühl, ZfStrVo 1986,291,296. 3M Zink, in: Mergler I Zink, BSHG, § 23 Rn. 30. 39 Schmitt, BSHG, § 23 Rn. 9; SchellhornlJirasek/Seipp, BSHG, § 23 Rn. 21. 40 Gottschick/Giese, BSHG, § 23 Rn. 5.3; Zink, in: Mergler/Zink, BSHG, § 23 Rn. 31; Fichtner, in: Knopp I Fichtner, BSHG, § 23 Rn. 14; Schmitt, BSHG, § 23 Rn. 10. 41 Vgl. Fichtner, in: Knopp/Fichtner, BSHG, § 21 Rn. 4; Schmitt, BSHG, § 21 Rn. 5. 42 Vgl. § 21 Abs. la Nr. 7 BSHG; LPK-BSHG/Hofmann, § 21 Rn. 42. 43 Vgl. § 21 Abs. la Nr. 6 BSHG. 44 Fichtner, in: Knopp I Fichtner, BSHG, § 21 Rn.4a. 4~ OVG Münster NStZ 1985, 95 f.; vgl. auch Schellhorn lJirasek I Sei pp, BSHG, § 12 Rn. 42; Fichtner, in: Knopp/Fichtner, BSHG, § 12 Rn. 18 b; Wulf, ZfStrVo 1986,81, 84. 4ti OVG Münster NStZ 1985, 95, dort allerdings nur auf den persönlichen Kontakt zwischen den Eheleuten bezogen; vgl. dazu auch Schwindl Böhm I Best, StVollzG, § 71 Rn. 8; LPK-BSHG I Hofmann, § 21 Rn. 60. 47 LPK-BSHG I Hofmann, § 21 Rn. 60; vgl. auch OVG Münster NStZ 1985,95 f.
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
leine der Umstand, daß ein Familienmitglied inhaftiert ist und aufgrund dessen Fahrtkosten für die Angehörigen entstehen, begründet noch keine besondere Bedarfslage, die eine Einordnung der Fahrtkosten im Rahmen des § 27 Abs. 2 BSHG rechtfertigen könnte48 . Auf der Grundlage des Sozialhilferechts können UnterhaItsschäden nur bis zur Grenze des notwendigen Lebensbedarfs (vgl. §§ 11, 12 BSHG) ausgeglichen werden. Für Unterhaltsberechtigte, die vor der Strafhaft des Ehepartners bzw. Elternteils Anspruch auf einen angemessenen Unterhalt hatten, folgt daraus ein Absinken ihres Lebensstandards. Ebenso wie der Inhaftierte selbst haben auch sie fortan mit dem Nötigsten auszukommen. Während der Inhaftierte diese Situation unter Gleichen zu ertragen hat, sind die Angehörigen in ihrer materiellen Armut dem Vergleich mit Dritten ausgesetzt. Nicht minder schwer ist die Situation für diejenigen, die bereits vor der Inhaftierung eines Familienmitgliedes auf Sozialhilfeleistungen angewiesen waren, denn für sie wird sich langfristig keine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage ergeben. Da die Hilfe zum Lebensunterhalt keinen zeitlichen Beschränkungen unterliegt, kann die materielle Existenz der Angehörigen von Inhaftierten auf Dauer gesichert werden. d) Ansprüche des SozialhilJeträgers gegen den Inhaftierten und deren Wirkung auf die Unterhaltsberechtigten
aa) Kostenersatz gemäß § 92a Abs. I BSHG Gemäß § 92a Abs. 1 S. 1 BSHG ist zum Ersatz der Sozialhilfekosten verpflichtet, wer nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres die Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe an sich selbst oder an seine unterhaltsberechtigten Angehörigen durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat, wobei sich das Verhalten - so die einschränkende Auslegung des BVerwG49 als sozial widrig darstellen muß. Der Regelung liegt der Gedanke zugrunde, daß derjenige, der die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen durch schuldhaftes Verhalten herbeigeführt hat, nicht erwarten kann, daß die Allgemeinheit ihm oder seinen unterhaltsberechtigten Angehörigen ohne Rückzahlungsverpflichtung Hilfe leistet50. Allgemein wird die Auffassung vertreten. daß der Gefangene, dessen Strafhaft zur Sozialhilfebedürftigkeit seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen geführt hat. zur Kostenerstattung nach § 92a Abs. I S. 1 BSHG verpflichtet ist 51 • Grundlegend ist insofern. daß die Straftat als ein sozial4K OVG Münster NStZ 1985. 95. das insofern in Abweichung von der Vorinstanz entschied. 49 BVerwGE 51. 61 ff. so Zeitler. in: Mergler/Zink. BSHG. § 92a Rn. 12; Schmitt. BSHG. § 92a Rn. I. 51 VG Bremen ZIF 1966.24; VGH Hessen FEVS 18.456; Gottschick/Giese. BSHG § 92a Rn. 3.6; Wienand. in: Knopp/Fichtner. BSHG. § 92a Rn. 7; Zeitler. in: Mergler/Zink. BSHG. § 92a Rn. 18; Schmitt. BSHG. § 92a Rn. 6; Schellhorn I Jirasekl Sei pp. BSHG. § 92a
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widriges Verhalten gewertet wird. Da zwischen dem sozial widrigen Verhalten und der SoziaJhilfebedürftigkeit ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muß, ist eine Kostenersatzpflicht nach § 92a Abs. 1 S. 1 BSHG ausgeschlossen, wenn die Familienmitglieder des Inhaftierten auch ohne die Straftat sozialhilfebedürftig gewesen wären 52 . Ist ein Strafentlassener nach § 92a Abs. 1 S. 1 BSHG zur Kostenerstattung verpflichtet, hat der SoziaJhilfeträger zunächst die Vorschrift des § 92a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BSHG zu berücksichtigen 53 . Nach § 92a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BSHG muß von einer Heranziehung zum Kostenersatz abgesehen werden, soweit durch die Heranziehung die Fähigkeit des Ersatzpflichtigen beeinträchtigt würde, künftig unabhängig von Sozialhilfe am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Da sich der Strafentlassene ohnehin in einer schwierigen Lebenssituation befindet54 , stellt die Erstattungspflicht gemäß § 92a Abs. 1 S. 1 BSHG i.d.R. eine zusätzliche Belastung dar, die nicht nur befürchten läßt, daß der Strafentlassene und seine Familie dauerhaft auf öffentliche Hilfen angewiesen sein werden, sondern auch den Erfolg der Resozialisierung in Frage stellt55 • In Anbetracht dessen wird im Regelfall von einer Kostenerstattungspflicht des Strafentlassenen nach § 92a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BSHG abzusehen sein 56 . Für die unterhaltsberechtigten Angehörigen heißt dies, daß sie i.d.R. nicht befürchten müssen, durch die Kostenerstattungspflicht ihres Ehepartners bzw. Elternteils mittelbar belastet zu werden. Die Gefahr der indirekten Betroffenheit ergibt sich, weil die Verpflichtung zur Kostenerstattung bei gemeinsaRn. 14; Schwind/Böhm/Best, StVollzG, § 74 Rn. 7, 14; Brühl, ZfStrVo 1986,291,296; Schellhorn, ZfStrVo 1978, 17, 18. Siehe dazu auch LPK-BSHG/Conradis, § 92a Rn. 9, der darauf hinweist, daß der Gefangene nur ausnahmsweise die Möglichkeit hat, ein Einkommen zu erzielen, das für Unterhaltsleistungen ausreicht, und damit nicht nur die Straftat, sondern auch die geringe Bezahlung während der Strafhaft für den Sozialhilfebezug der Angehörigen ursächlich ist. Diese kritische Anmerkung sollte Anlaß sein, die allgemein vertretene Auffassung, der Inhaftierte sei in Anbetracht seiner Straftat aus § 92a Abs. I S. I BSHG verpflichtet, zu überprüfen, denn für den Fall, daß mehrere Ursachen zur Sozialhilfebedürftigkeit geführt haben, ist zu entscheiden, weIche davon die überwiegende Ursache war; vgl. zur überwiegenden Ursache: Zeitler, in: Mergler/Zink, BSHG, § 92a Rn. 20; Schmitt, BSHG, § 92a Rn. 7. Allerdings muß auch gesehen werden, daß der Gesetzgeber von einer Kostenerstattungspflicht der Inhaftierten ausging, denn anderenfalls läßt sich die Hervorhebung der Strafentlassenen im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 92a Abs. I S. 2 BSHG nicht erklären, vgl. BT-Drs. 7/308, S. 20. 52 Vgl. Brühl, ZfStrVo 1986,291,296. 53 Vgl. BT-Drs. 7/308, S. 20; Brühl, ZfStrVo 1986,291,296; AK-StVollzG I Bertram I Huchting, § 74 Rn. 10; Schell horn, ZfStrVo 1978, 17, 18 f.; Schwind I Böhml Best, StVoJlzG, § 74 Rn. 7, 14; Wienand, in: Knopp/Fichtner, BSHG, § 92a Rn. 9; ScheJlhorn/Jirasekl Seipp, BSHG, § 92a Rn. 26; Zeitler, in: Mergler I Zink, BSHG, § 92a Rn. 26; Gottschick I Giese, BSHG, § 92a Rn. 3.8; LPK-BSHG/Conradis, § 92a Rn. 8 f. 54 Vgl. § 72 BSHG i .V.m. § 5 DVO zu § 72 BSHG. 55 Vgl. Brühl, ZfStrVo 1986,291,296; LPK-BSHG/Conradis, § 92a Rn. 8. 56 Dies ist inzwischen zumindest teilweise gängige Praxis, siehe dazu: Busch I Fülbier I Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten, S. 897 f.; AK-StVollzG/Bertram/Huchting, § 73 Rn. 14; LPK-BSHG/Conradis, § 92a Rn. 8; ScheJlhorn, ZfStrVo 1978, 17, 18.
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
mer Lebensführung das Familienbudget schmälern würde. Letztlich müßten die unterhaltsberechtigten Angehörigen den Kostenersatz nach § 92a Abs. 1 S. 1 BSHG mittragen, obwohl sie ihre Sozialhilfebedürftigkeit nicht verursacht haben57 . Sofern es nicht möglich ist, nach § 92a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BSHG von der Kostenerstattung abzusehen, muß geprüft werden, ob eine Härte i. S. d. § 92a Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BSHG vorliegt 58 . Ist dies der Fall, so steht es im Ermessen des Sozialhilfeträgers, auf die Kostenerstattung zu verzichten (vgl. § 92a Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BSHG). Im Hinblick darauf, daß bei der Feststellung eines Härtefalles i. S. d. § 92a Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BSHG das Gebot zur familiengerechten Hilfe (§ 7 BSHG) zu beachten ist 59 , wird eine Härte i. S. d. § 92a Abs. I S. 2 Hs. 1 BSHG angenommen, wenn die Geltendmachung des Kostenersatzes den Zusammenhalt der Familie gefährdet 60 . Für eine solche Gefahr spricht die Mitbetroffenheit der Familienmitglieder, wie sie bei Strafentlassenen in Betracht kommt, die in ihre Familie zurückkehren 61 . Möglich erscheint auch, das Vorliegen eines Härtefalles ausschließlich auf die Mitbetroffenheit der unterhaltsberechtigten Angehörigen zu stützen, denn anders als die Regelung des § 92a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BSHG, die ausdrücklich auf den Ersatzpflichtigen bezug nimmt, setzt der Tatbestand des § 92a Abs. I S. 2 Hs. I BSHG lediglich eine Härte voraus, wobei offen bleibt, ob diese für den Ersatzpflichtigen und I oder seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen bestehen muß. Die Verringerung des Familienbudgets zu Lasten der unterhaltsberechtigten Angehörigen wird allerdings nur dann als Härte i. S. d. § 92a Abs. 1 S. 2 Hs. I BSHG anzusehen sein, wenn infolge der Kostenerstattung der angemessene Unterhalt der Kinder und des Ehepartners beschränkt wird (vgl. §§ 1360 S. I, 1361 Abs. 1 S. 1, 1578 Abs. 1, 1610 Abs. 1 BGB).
bb) Rückgriff gemäß § 91 BSHG Für den Fall, daß den sozialhilfebedürftigen Angehörigen ein Unterhaltsanspruch gegen den Gefangenen zusteht, weil sich dieser in Anbetracht einer unterhaltsbezogenen Straftat nicht mit Erfolg auf seine haftbedingte Leistungsunfähigkeit berufen kann, kommt ein Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger nach § 91 Abs. I S. I BSHG in Betracht. Dabei kann der Unterhaltsanspruch nur bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Sozialhilfeträger übergehen (vgl. § 91 Abs. I S. I BSHG). Soweit dem Unterhaltsanspruch keine V gl. Busch I Fülbier I Meyer. Zur Situation der Frauen von Inhaftierten. S. 896. Zum Verhältnis zwischen § 92a Abs. I S. 2 Hs. I BSHG und § 92a Abs. I S. 2 Hs. 2 BSHG siehe Wienand. in: Knopp I Fichtner. BSHG. § 92a Rn. 8. 59 Vgl. Schell horn I Jirasek I Seipp. BSHG. § 7 Rn. 5. 9; LPK-BSHG/Conradis. § 92a Rn. 7; siehe auch Giese I Gottschick. BSHG. § 92a Rn. 3.8. 60 LPK-BSHG/Conradis. § 92a Rn. 7. 1>1 LPK-BSHG/Conradis, § 92a Rn. 7. 57
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Sozialhilfeleistungen gegenüberstehen, bleibt die GläubigersteIlung des Hilfeempfängers erhalten. Mithin besteht die Möglichkeit, die verbleibende Unterhaltsforderung nachträglich zu realisieren (vgl. § 1613 BGB). Der Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger ist gemäß § 91 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BSHG ausgeschlossen, wenn dies eine unbillige Härte bedeuten würde. Eine Härte i. S. d. § 91 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BSHG liegt vor, wenn mit der Inanspruchnahme aus der Sicht des Sozialrechts soziale Belange vernachlässigt würden 62 . Da der Rückgriff nach § 91 Abs. 1 S. I BSHG ebenso wie die Kostenerstattung nach § 92a Abs. I BSHG dem Grundsatz der familiengerechten Hilfe (§ 7 BSHG) entsprechen muß 63 , ist eine unbillige Härte anzunehmen, wenn durch die Heranziehung eine nachhaltige Störung des Familienfriedens eintritt, die den weiteren Verbleib des Hilfesuchenden im Familienverband erschweren wird 64 . Darüber hinaus kann sich eine unbillige Härte daFaus ergeben, daß die Heranziehung des Unterhaltspflichtigen andere Familienmitglieder unzumutbar beeinträchtigt 65 . Richtet sich die Unterhaltsforderung, deren Übergang auf den Sozialhilfeträger nach § 91 Abs. 2 S. 2 BSHG in Frage steht, gegen einen Inhaftierten, so ist zu berücksichtigen, daß die Unterhaltsgläubiger bereits Opfer der unterhaltsbezogenen Straftat (z. B. § 170 StGB) geworden sind. In Anbetracht dessen wird von einer unzumutbaren Beeinträchtigung durch den Forderungsübergang auszugehen sein, wenn die unterhaltsberechtigten Angehörigen durch eine Zahlungsverpflichtung des Unterhaltspflichtigen gegenüber dem Sozialhilfeträger erneut belastet würden. Da der Inhaftierte nicht etwa an der Unterhaltspflicht festgehalten wird, um dem Sozialhilfeträger bei unterhaltsbezogenen Straftaten den Regreß gegen den Unterhaltsschuldner zu ermöglichen, sondern das vom Prinzip des § 242 BGB geprägte Rechtsverhältnis zwischen den Unterhaltsparteien den Fortbestand der Unterhaltsverpflichtung gebietet 66 , ist in diesem Zusammenhang zu beachten, daß sich die GläubigersteIlung, die das Unterhaltsrecht den Angehörigen des Gefangenen im Fall von unterhaltsbezogenen Straftaten als Vorteil einräumt, sich nicht im Rahmen des Sozialhilferechts als Nachteil erweist. Konkret heißt dies, daß die Kinder und Ehepartner, deren Unterhaltsanspruch gegen den Inhaftierten Bestand hatte, bei Anwendung des § 91 BSHG nicht schlechter stehen dürfen, als die unterhaltsberechtigten Angehörigen ohne Unterhaltsanspruch, die mit der Vorschrift des § 92a Abs. I BSHG konfrontiert werden. Geht der Unterhaltsanspruch nicht auf den Sozialhilfeträger über, weil ein Ausschlußtatbestand nach § 91 Abs. I S. 3, Abs. 2 S. 2 BSHG vorliegt, dürfen die Unterhaltsberechtigten den Unterhaltsanspruch nicht mit dem Ziel geltend machen, zusätzlich zu den bereits gewährten Sozialhilfeleistungen den Unterhalt zu erhalBVerwGE 29. 229. 235; 58.209.21 I. 216; LPK-BSHG/MÜnder. § 91 Rn. 41. BVerwGE 34. 219. 224; Künkel. FamRZ 1994.540,547; Scholz, FamRZ 1994, 1,4. M BVerwGE 34. 219. 224; 58. 209, 216; LPK-BSHG/Münder, § 91 Rn. 42. 65 Vgl. BVerwGE58, 209, 216; LPK-BSHG/Münder, § 91 Rn. 42. on Siehe dazu im I. Kap. unter C. I. I. c) bb) (2). 6~
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
ten. Zur Begründung wird die Auffassung vertreten, daß ein Unterhaltsanspruch, dessen Übergang auf den Sozialhilfeträger nach § 91 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 BSHG ausgeschlossen ist, unter dem Einfluß des § 91 BSHG entfalle 67 . Der Unterhaltspflichtige werde entsprechend dem Umfang der gewährten Sozialhilfeleistungen von seiner Verpflichtung frei, weil die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten in Abweichung vom Nachrangprinzip des § 2 Abs. 2 BSHG - beseitigt sei 68 . Nach anderer Ansicht läßt die Vorschrift des § 91 BSHG das Nachrangprinzip des § 2 Abs. 2 BSHG unberührt, so daß sich die Ausschlußtatbestände des § 91 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 BSHG nicht auf den bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch aus wirken 69 • Der Anspruchsinhaber verstoße aber gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn er zusätzlich zur Sozialhilfe den Unterhalt verlangeo. Entscheidend sei dabei, daß dem Unterhaltspflichtigen eine vom Gesetz zugedachte Vergünstigung entzogen werde 71. Soweit der Anspruchsübergang ausgeschlossen ist, weil ansonsten die unterhaltsberechtigten Familienmitglieder unzumutbar beeinträchtigt würden, ist zu argumentieren, daß die Unterhaltsberechtigten vor Belastungen geschützt werden sollen und es ein Mißbrauch dieses Schutzes wäre, wenn sie die Unterhaltsforderung geltend machen würden.
11. Ansprüche bei Ausfall des Betreuungsunterhalts 1. Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen nach § 20 SGB VIII
a) Allgemeines Seit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) am I. I. 1990 kann bei haftbedingtem Ausfall des Betreuungsunterhalts die Vorschrift des § 20 SGB VIII anwendbar sein. § 20 SGB VIII geht von der Situation aus, daß ein Kind durch den Ausfall des betreuenden Elternteils in eine Notsituation geraten ist und daher der Hilfe des Staates bedarf. Bereits die Materialien zum KJHG zeigen, daß die Vorschrift nicht nur auf Kinder ausgerichtet ist, deren betreuender EI"7 OLG Hamm FamRZ 1987. 742; Weinbrenner. FamRZ 1963.269.271; Wienand. in: Knopp I Fichtner. BSHG. § 91 Rn. Ib; Kunz, FamRZ 1977.291,292; Paulus, FamRZ 1981. 640 ff.; Brühl. FamRZ 1982. 13 f.; U\1enbruch. FamRZ 1982.664 f.; Hampel. FamRZ 1996. 513.521. NI OLG Hamm FamRZ 1987.742; Weinbrenner. FamRZ 1963.269.271; Hampel. FamRZ 1996. 513. 521; siehe auch OLG Hamburg FamRZ 1991. 1298. 1299. das darauf hinweist. daß Sozialhilfe in diesen Fä\1en trotz ihres subsidiären Charakters bedarfsdeckend wirken kann. weil der Staat selbst den Nachranggrundsatz nicht durchsetzen wi\1. BGH NJW 1992. 115 f.; LG Offenburg FamRZ 1984,307; Schmitt, BSHG. § 91 Rn. 8 f.; Gottschick I Giese. BSHG. § 2 Rn. 5.1 und § 91 Rn. 2; Giese. FamRZ 1982, 11, 12 f.; Künkel. FamRZ 1994.540.547. 7() Vgl. Künkel. FamRZ 1994.540.547. 71 Vgl. Weinbrenner. FamRZ 1963.269.271 f.; kril. dazu Paulus. FamRZ 1981, 640, 643.
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ternteil infolge von Krankheit oder Erholungskur ausfällt, sondern auch den Kindern gilt, die von einer Inhaftierung des betreuenden Elternteils betroffen sind72 • Im Hinblick darauf, daß § 20 SGB VIII lediglich die Betreuung und Versorgung von Kindern erfaßt, ist § 20 SGB VIII nur anwendbar, wenn die Betroffenen das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII) 73. Als ..Soll-Vorschrift" gewährt § 20 SGB VIII insofern einen Rechtsanspruch, als kein atypischer Fall vorliegt 74 . Der so verstandene Anspruch auf Betreuung und Versorgung steht im Fall des § 20 Abs. I SGB VIII dem berufsbedingt abwesenden Elternteil zu 75. Ist der Tatbestand des § 20 Abs. 2 SGB VIII erfüllt, kann die Anspruchsberechtigung nur dem verhinderten Elternteil bzw. den verhinderten Eltern zukommen. Von der Berechtigung des Kindes ist nur in Ausnahmefällen auszugehen, so z. B. beim Tod der Eltern 76. § 20 SGB VIII hat zum Ziel, Kindern in Notsituationen trotz des Ausfalls elterlicher Betreuungsleistungen den Verbleib im eigenen Familienhaushalt zu ermöglichen 77. Ihnen soll ein oft schmerzlicher Milieuwechsel sowie die Trennung von vertrauten Personen erspart werden 78. Darüber hinaus kam es dem Gesetzgeber darauf an, längere Heimaufenthalte zu vermeiden, und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt der schädlichen Wirkungen für das Kind als auch der entstehenden Kosten 79 • Die Vorschrift will eine Hilfe in all jenen Fällen bieten, in denen nach früherem Recht für den erwerbstätigen Elternteil nur die Möglichkeit bestand, sich der Kinderbetreuung zuzuwenden und Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen oder die Kinder in Einrichtungen der Jugendhilfe unterzubringen, ohne daß erzieherische Gründe dies notwendig machten 8o . Das Kind und dessen Eltern sind gemäß § 91 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII zu den Kosten der Betreuung und Versorgung nach § 20 SGB VIII heranzuziehen, wobei das 7~
V gl. BT-Drs. 11/6748. S. 81. MKI Hinz. BGB. § 20 SGB VIII Rn. I: Münder u. a .. Frankfurter LPK-KJHG. § 20 Rn. I. 7~ MK/Hinz. BGB. § 20 SGB VIII Rn. 5: Münder u. a .. Frankfurter LPK-KJHG. § 20 Rn. I: krit. zum Charakter des § 20 SGB VIII als ..Soll-Vorschrift" Preis 1Steffan. FuR 1993, 185.189. 75 Vgl. MK 1 Hinz. BGB. § 20 SBG VII Rn. 5, der den Anspruch darüber hinaus auch dem begünstigten Kind zugestehen will. 7~ Vgl. MKI Hinz. BGB. § 20 SGB VIII Rn. 8. 77 BT-Drs. 11/5948. S. 59: Wienand. in: Schellhorn 1Wienand, KJHG, § 20 Rn. I; MK 1 Hinz. BGB, § 20 SGB VIII Rn. 3: Klinkhardt. Kinder- und Jugendhilfe SGB VIII, § 20 Rn. 8; Gaertner. in: Hauck. SGB Vlll. § 20 Rn. 2; Kaufmann. in: Wiesner 1 Kaufmann 1Mörsberger 1 Oberloskamp/Struck, SGB Vlll. § 20 Rn. I: Münder u. a .• Frankfurter LPK-KJHG. § 20 Rn. I. 7X BT-Drs. 11/5948. S. 60: MKI Hinz. BGB. § 20 SGB Vlll Rn. 3; Klinkhardt. Kinderund Jugendhilfe SGB Vlll. § 20 Rn. 8. 7~ BT-Drs. 11/5948, S. 60; MK 1 Hinz. BGB. § 20 SGB Vlll Rn. 3. xo BT-Drs. 11/5948. S. 59 f.; MK/Hinz. BGB. § 20 SGB Vlll Rn. I; Wiesner. FuR 1990. 325. 330: Gaertner. in: Hauck. SGB Vlll. K § 20 Rn. 2. 73
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
Kind primärer Kostenschuldner ist (vgl. § 91 Abs. 5 SGB VIII)81. Da Kinder (§ 7 Abs. I Nr. 1 SGB VIII) im Regelfall nicht über eigenes Einkommen (z. B. Erträge aus Vermögen) verfügen, sind i.d.R. die Eltern Kostenschuldner. In welcher Weise und in welchem Umfang sie die Kosten zu tragen haben, bestimmt sich nach den Vorschriften der §§ 92, 93 SGB VIII 82 .
b) Voraussetzungen Die Betreuung und Versorgung eines Kindes auf der Grundlage des § 20 SGB VIII setzt zunächst voraus, daß entweder der Elternteil, der die überwiegende Betreuung des Kindes übernommen hat (Abs. 1), der alleinerziehende Elternteil oder beide Elternteile (Abs. 2) aus gesundheitlichen oder anderen zwingenden Gründen, zu denen auch eine Inhaftierung zählt83 , als Betreuungspersonen ausfallen. Da § 20 Abs. I SGB VIII lediglich auf den Ausfall einer überwiegenden Betreuung abstellt, kann keine Hilfe gewährt werden, wenn die Eltern zu gleichen Teilen zur Betreuung ihres Kindes beigetragen haben und ein Elternteil zwingend verhindert ist H4 . Im Hinblick darauf, daß bereits ein hälftiger Ausfall des Betreuungsunterhalts das Kind erheblich belastet, ist die Hilfe nach § 20 Abs. I SGB VIII nur bedingt geeignet, den Notsituationen von Kindern Rechnung zu tragen 85 . Um Betreuungs- und Versorgungsleistungen nach § 20 Abs. 1 SGB VIII zu erhalten, ist des weiteren notwendig, daß der andere Elternteil wegen berufsbedingter Abwesenheit nicht in der Lage ist, die Aufgabe der Betreuung wahrzunehmen (Abs. 1 Nr. 1), die Hilfe erforderlich ist, um das Wohl des Kindes zu gewährleisten (Abs. 1 Nr. 2), und die Angebote der Förderung des Kindes in Tageseinrichtungen oder in Tagespflege nicht ausreichen (Abs. 1 Nr. 3). Die Erforderlichkeit der Hilfe ist gegeben, wenn keine andere im Haushalt lebende Person die Betreuung des
KI Daß in erster Linie das Kind zu den Kosten heranzuziehen ist. entspricht dem in § 1602 BGB normierten Grundsatz der primären Selbstverantwortung für den eigenen Unterhalt. siehe Wiesner. in: Wie sn er 1 Kaufmann 1 Mörsberger IOberloskampl Struck. SGB VIII. § 91 Rn.5. K2 Wiesner. in: Wiesner 1 Kaufmann 1 Mörsberger IOberloskamp 1Struck. SGB VIII. § 91 Rn.5. KJ BT-Drs. 11/6748. S. 81; Wienand. in: Schell horn 1 Wienand. KJHG. § 20 Rn. 6; Stein. ZBlJugR 1991. 579. 580; MK/Hinz. BGB. § 20 SGB VIII Rn. 2; Kaufmann. in: Wiesnerl Kaufmann I Mörsberger/Oberioskampl Struck. SGB VIII. § 20 Rn. 7; Münder u. a .. Frankfurter LPK-KJHG. § 20 Rn. 2; Klinkhardt. Kinder- und Jugendhilfe SGB VIII. § 20 Rn. 2; Gaertner. in: Hauck. SGB VIII. K § 20 Rn. 7; Krug/GrÜner/Dalichau. SGB VIII. § 20 Rn. Anm. 11 I; Morzynski. KJHG. § 20 Anm. I a. K4 V gl. dazu Stein. ZBlJugR 1991. 579. der in Zweifelsfällen eine familienfreundliche Entscheidung befürwortet. K~ Vgl. MK 1Hinz. BGB. § 20 SGB VIII Rn. 2; Münder u. a .. Frankfurter LPK-KJHG. § 20 Rn. 4. Siehe dazu auch Kaufmann. in: Wiesner 1 Kaufmann 1 Mörsberger IOberioskamp 1 Struck. SGB VIII. § 20 Rn. 6.
B. Allgemeine Leistungen
149
Kindes übernehmen kann und auch sonstige Maßnahmen der Selbsthilfe (z. B. Nachbarschaftshilfe) ausscheiden 86 . Vom berufstätigen Elternteil ist zu verlangen, daß er alle Möglichkeiten, sich dem Kind zu widmen, nutzt 87 . Die Frage, ob die Angebote der Förderung des Kindes in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege ausreichend sind. ist anhand der zur Verfügung stehenden Plätze, der Öffnungszeiten sowie der Erreichbarkeit zu beantworten 88 . Entscheidend sollte ferner sein, daß eine sachgerechte Betreuung des Kindes gewährleistet ist89 . Im Einzelfall kann eine ergänzende Betreuung auf der Grundlage des § 20 Abs. 1 SGB VIII in Betracht kommen, so z. B. bei ungünstigen Öffnungszeiten der Tageseinrichtung 90 . Für die Kinder heißt dies konkret, daß ihnen die Hilfe gemäß § 20 SGB VIII erst zugute kommt, wenn der Ausfall des betreuenden Elternteils nicht anderweitig, insbesondere nicht durch eine Aufnahme in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege. ausgeglichen werden kann. Werden Kinder in Tageseinrichtungen gefördert. halten sie sich für einen Teil des Tages oder auch ganztags in einem Kindergarten, einem Hort oder einer anderen Einrichtung auf (vgl. § 22 Abs. 1 SGB VIII). Im Rahmen der Tagespflege kommt sowohl die Betreuung im Haushalt der Tagespflegeperson als auch die Versorgung im Haushalt des Personensorgeberechtigten in Betracht (vgl. § 23 Abs. 1 SGB VIII). Der Vorbehalt eines nicht ausreichenden Angebotes der Förderung in Tageseinrichtungen und Tagespflege besteht auch für den Fall, daß der alleinerziehende Elternteil das Kind nicht mehr betreuen kann oder beide Elternteile ausfallen (vgl. § 20 Abs. 2 SGB VIII). Im übrigen ist hier ebenfalls entscheidend, daß die Hilfe zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Da das Kind im elterlichen Haushalt versorgt werden soll (vgl. § 20 Abs. 2 SGB VIII), muß der Fortbestand des Haushaltes trotz der Verhinderung des alleinerziehenden Elternteils bzw. beider Elternteile möglich und sinnvoll sein 91 • An diesem Erfordernis wird es jedoch regelmäßig fehlen, wenn z. B. ein alleinerziehender Elternteil eine mehrjährige oder gar eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verbüßen hat. Entsprechendes gilt, wenn sowohl die Mutter als auch der Vater zu einer Haftstrafe verurteilt werden. Die elterliche Betreuung des Kindes ist in diesen Fällen auf lange Sicht ausgeschlossen und ein alleiniger Verbleib des Kindes im Haushalt liegt nicht in dessen Interesse. § 20
86 Kaufmann. in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SOB VIII, § 20 Rn. 13. 87 Kaufmann. in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SOB VIII, § 20 Rn. 13. 88 Krug/Orüner/Dalichau. SOB VIII. § 20 Anm. 11 3; MK/Hinz, BOB. § 20 SOB VIII Rn. 3. 89 Krug I Orünerl Dalichau, SOB VIII. § 20 Anm.1I 3. 90 BT-Drs. 11/5948. S. 60; Oaertner. in: Hauck. SOB VIII, § 20 Rn. 12; Kaufmann. in: Wiesner/Kaufmann/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SOB VIII. § 20 Rn. 14; Morzynski. KJHO. § 20 Anm. I b. 91 Vgl. Krug/Orüner/Dalichau. SOB VIII. § 20 Anm. 11 3; Klinkhardt. Kinder- und Jugendhilfe SOB VIII. § 20 Rn. 7.
150
2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
Abs. 2 SGB VIll kann daher allenfalls bei sehr kurzen Freiheitsstrafen hilfreich sein oder die Grundlage für eine Übergangslösung bieten92 • Während § 20 Abs. 1 SGB VIll für den Fall, daß der das Kind überwiegend betreuende Elternteil inhaftiert wird, eine "echte" Hilfe sein kann, bietet § 20 Abs. 2 SGB VIII nur begrenzte Möglichkeiten, um einen haftbedingten Ausfall des BetreuungsunterhaIts aufzufangen. Eine Fremdunterbringung des Kindes über Tag und Nacht wird regelmäßig nicht zu vermeiden sein, wenn der Alleinerziehende inhaftiert ist bzw. beide Elternteile eine Freiheitsstrafe verbüßen und keine Möglichkeit besteht, die durch die Haft bedingte räumliche Trennung zugunsten der Kinder aufzuheben (vgl. §§ 11, 80 StVollzG). Da die inhaftierten Mütter oftmals ihr Kind alleine erziehen93 , wiegt es schwer, daß den vom Strafvollzug mitbetroffenen Kindern aufgrund der Regelung des § 20 Abs. 2 SGB VllI nur begrenzt geholfen werden kann. Da zwingend nur die Gründe sind, die nicht im Einflußbereich des betreuenden Elternteils liegen 94 , findet § 20 SGB VIII keine Anwendung, wenn der betreuende Elternteil eine Erwerbstätigkeit aufnimmt 95 . Damit greift § 20 SGB VITI z. B. nicht ein, wenn der für den Barunterhalt sorgende Vater inhaftiert wird und die Mutter, die sich bislang der Betreuung der Kinder gewidmet hat, in ein Arbeitsverhältnis eintritt, um nicht auf die - lediglich das Existenzminimum sichernden - Leistungen des Sozialhilfeträgers angewiesen zu sein. Diese Rechtslage erscheint insbesondere im Hinblick darauf, daß dem berufstätigen Elternteil - i.d.R. dem Vater nicht zugemutet werden soll, seine Erwerbstätigkeit aufzugeben und sich unter Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Kinderbetreuung zu widmen, als Benachteiligung der betreuenden Elternteile - i.d.R. der Mütter - und ihrer Kinder, wenn der erwerbstätige Elternteil - z. B. in folge einer Inhaftierung - ausfällt. Die Beschränkung des § 20 SGB VIII auf zwingende Gründe in der Person des betreuenden Elternteils ist daher als zu eng zu werten 96 ; auch die Sozialhilfebedürftigkeit sollte als Notsituation der Kinder gewertet werden.
Vgl. BT-Drs. 11/5948, S. 60. Vgl. Fischer-Jehle, Frauen im Strafvollzug, S. 71; H. Maelicke, Ist Frauenstrafvollzug Männersache?, S. 107; Kaiser, in: Kaiser 1Kerner 1Schöch, Strafvollzug, § 9 Rn. 82. 94 Gaertner, in: Hauck, SGB VIII, K § 20 Rn. 7. 95 Vgl. Kaufmann, in: Wiesner 1Kaufmann 1Mörsberger IOberloskamp 1Struck, SGB VIII, § 20 Rn. 7; a.A. Gaertner, in: Hauck, SGB VIII, § 20 Rn. 7, der allerdings die Feststellung, auch die berufsbedingte Abwesenheit sei ein zwingender Ausfallgrund, nicht durch seine nachfolgenden Ausführungen stützt. 96 Vgl. dazu auch den von Wienand. in: Schellhorn/Wienand, KJHG, § 20 Rn. 6, angeführten Fall, daß der betreuende Elternteil den anderen Elternteil und das Kind verläßt, um mit einem neuen Partner zusammenzuleben. Die Anwendbarkeit des § 20 SGB VIII scheitert hier ebenfalls an dem Erfordernis eines zwingenden Grundes. 92
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B. Allgemeine Leistungen
151
c) An. Umfang und Dauer
Welche Betreuungs- und Versorgungsleistungen gemäß § 20 SGB VllI zu erbringen sind, ist gesetzlich nicht geregelt. Maßgebend ist insofern das Wohl des Kindes 97 . Dies erfordert außer der körperlichen Versorgung auch eine erzieherische Betreuung98 . Die im Einzelfall erforderlichen Leistungen richten sich nach dem Alter des Kindes, seinem Entwicklungsstand, dem Grad seiner Selbständigkeit sowie der Umgebung, in der sich das Kind aufhält 99 • Da § 20 SGB VllI dem Kind den Verbleib im eigenen Familienhaushalt ermöglichen soll, bis die Eltern wieder zur Wahrung ihrer Aufgaben in der Lage sind, umfassen die Leistungen nach § 20 SGB VllI auch die Führung des Haushaltes 1oo. Bezüglich des Leistungsumfangs ist entscheidend, ob die Leistungen nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 20 SGB VIII erbracht werden. Während § 20 Abs. 1 SGB VIII lediglich auf die Unterstützung des berufstätigen Elternteils gerichtet ist, kommt es im Fall des § 20 Abs. 2 SGB VllI darauf an, daß die Versorgung des Kindes umfassend sichergestellt wird lO1 . Aus § 20 Abs. 1 Nr. 3 SGB VllI und § 20 Abs. 2 LVm. Abs. I Nr.3 SGB VllI folgt, daß die Hilfe nicht in dem Umfang beansprucht werden kann, in dem Angebote der Förderung in Tageseinrichtungen und in Tagespflege vorhanden sind 102. Da die Vorschrift des § 20 SGB VIII keine zeitliche Beschränkung enthält, ist sie grundsätzlich geeignet, eine dauerhafte Lösung zu bieten. Die zeitlich unbegrenzte Hilfe steht jedoch für die Fälle, in denen der alleinerziehende Elternteil oder beide Elternteile langfristig verhindert sind, unter dem faktischen Vorbehalt, daß der familiäre Lebensraum überhaupt Bestand haben kann.
2. Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes nach § 70 BSHG
a) Allgemeines
Geht es darum, einem haftbedingten Ausfall des Betreuungsunterhalts zu begegnen, kann gegebenenfalls auf die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts nach § 70 BSHG zurückgegriffen werden 103. Entscheidend ist insofern, daß die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts gemäß § 70 Abs. 2 BSHG auch die persönliche Be-
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MK/Hinz, BGB. § 20SGB VIII Rn. 3; Krug 1Grüner 1Dalichau, SGB VIII, § 20 Anm.
111. MK 1 Hinz. BGB. § 20 SGB VIII Rn. 3. MK 1Hinz. BGB, § 20 SGB VIII Rn. 3. 100 MKI Hinz, BGB, § 20 SGB VIII Rn. 3; Morzynski, KJHG. § 20 Anm. 1 b. 101 V gl. MK 1Hinz. BGB, § 20 SGB VIII Rn. 6. 102 Vgl. BT-Drs. 11/5948. S. 60. 103 Vgl. Brühl. ZfStrVo 1986,291. 296; AK-StVollzG 1Bertram 1Huchting, § 72 Rn. 12.
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152
2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
treuung der Haushaltsangehörigen umfaßt. Als "Soll-Vorschrift" gewährt § 70 Abs. I BSHG - ebenso wie § 20 SGB VIII - einen Rechtsanspruch, soweit nicht im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die eine Ablehnung rechtfertigen 104. Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung steht der Person zu, die den Haushalt geführt hat und nun an dessen Weiterführung gehindert ist lO5 • Ihre Funktion soll ersetzt werden 106. Soweit Hilfe nach § 20 SGB VIII geleistet werden kann, tritt § 70 BSHG zurück (§ 10 Abs. 2 S. 1 SGB VIII)107. Die Hilfe gemäß § 70 BSHG soll bei vorübergehender Verhinderung der haushaltsführenden Person die Weiterführung des Haushalts und die Versorgung der Haushaltsangehörigen gewährleisten (vgl. § 7 BSHG)108. Dem liegt die Zielvorstellung zugrunde, die bestehenden familiären Zusammenhänge zu erhalten 109. Anders als § 20 SGB VIII, der die Versorgung und Betreuung der Kinder hervorhebt, ist § 70 BSHG in erster Linie auf die Haushaltsführung gerichtet 110 . Ob und in weIchem Umfang der Hilfesuchende die Mittel für eine Hilfe nach § 70 BSHG aufbringen muß, bestimmt sich gemäß §§ 79, 84, 88 BSHG.
b) Voraussetzungen
Der Vorschrift des § 70 BSHG liegt die Situation zugrunde, daß eine Person mit eigenem Haushalt nicht in der Lage ist, diesen weiterzuführen. Ursache der Verhinderung kann auch eine Strafhaft sein. Das Gesetz macht insofern keine Vorgaben. Voraussetzung für die Gewährung der Hilfe nach § 70 BSHG ist, daß keiner der Haushaltsangehörigen den Haushalt führen kann und die Weiterführung des Haushalts geboten ist. Die Frage, ob keiner der Haushaltsangehörigen den Haushalt führen kann, ist unter dem Aspekt der Zumutbarkeit zu beantworten 111. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die berufliche Inanspruchnahme, das Alter und die körperli104 Zink, in: Mergler 1Zink, BSHG, § 70 Rn. 4; Schubert, in: Knopp 1Fichtner, BSHG, § 70 Rn. 3; Gottschick/Giese, BSHG, § 70 Rn. 3.1. 105 Zink, in: Mergler 1Zink, BSHG, § 70 Rn. 14; Gottschickl Giese, BSHG, § 70 Rn. 3.1. 106 Zink, in: Mergler 1Zink, BSHG, § 70 Rn. 14. 107 Gaertner, in: Hauck, SGB VIII, § 20 Rn. 16; Wienand, in: Schellhorn/Wienand, KJHG, § 20 Rn. 14; Münder u. a., Frankfurter LPK-KJHG, § 20 Rn. 7; Schellhornl Jirasekl Seipp, BSHG, § 70 Rn. 15a; LPK-BSHG/Birk, § 70 Rn. 15; Kaufmann, in: Wiesner/Kaufmannt Mörsberger 1Oberloskamp 1Struck, SGB VIII, § 20 Rn. 22; a.A. MKI Hinz, BGB, § 20 SGB VIII Rn. 1. 108 LPK-BSHG 1 Birk, § 70 Rn. I. 109 LPK-BSHG 1 Birk, § 70 Rn. 1. 110 BT-Drs. 11/5948, S. 59; Kaufmann, in: Wiesner/Kaufmann/Mörsberger/Oberloskamp 1 Struck, SGB VIII, § 20 Rn. 22; Krug/Grüner/Dalichau, SGB VIII, § 20 Anm. I; Gaertner, in: Hauck, SGB VIII, § 20 Rn. 16. 111 Gottschick/Giese, BSHG, § 70 Rn. 3.2; Schellhornl Jirasekl Seipp, BSHG, § 70 Rn. 4.
B. Allgemeine Leistungen
153
che Leistungsfähigkeit der im Haushalt lebenden Personen ll2 . Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, das den Barunterhalt sicherstellt, ist grundsätzlich unzumutbar l13 . Geboten ist die Hilfe nach § 70 BSHG auf jeden Fall dann, wenn die ansonsten drohende Auflösung des Haushaltes nicht zu vertreten wäre. Während die Rechtsprechung auf die drohende Haushaltsauflösung abstellt" 4 , wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, die Hilfe sei bereits geboten, wenn ohne sie die normale Lebensführung der Haushaltsangehörigen in Gefahr ist ll5 . Gehören dem Haushalt minderjährige Kinder an, die ansonsten außerhalb ihrer gewohnten Lebenssphäre untergebracht werden müßten, ist die Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes regelmäßig geboten ll6 . Da die Hilfe nach § 70 BSHG an keine Altersgrenzen gebunden ist, kommt sie im Verhältnis zu § 20 SGB VllI insbesondere dann in Betracht, wenn die im Haushalt lebenden Kinder über vierzehn Jahre alt sind. Ebenso wie § 20 SGB VllI hilft auch § 70 BSHG nur im Rahmen der jeweils bestehenden familiären Aufgabenverteilung. Ersetzt wird das haushaltsführende Familienmitglied. Die Entscheidung, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um nicht auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen zu sein, gilt nicht als Grund, der eine Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes rechtfertigen kann.
c) Art und Umfang
Gemäß § 70 Abs. 2 BSHG umfaßt die Hilfe die persönliche Betreuung der Haushaltsangehörigen und die sonstigen Tätigkeiten, die zur Weiterführung des Haushaltes erforderlich sind. Zur persönlichen Betreuung, die insbesondere für Kinder von Bedeutung ist, gehört z. B. die Erziehung und Pflege der Kinder, die Sorge für regelmäßige Schulbesuche und die Beaufsichtigung von Schulaufgaben ll7 . Die sonstigen zur Weiterführung des Haushaltes erforderlichen Tätigkeiten umfassen beispielsweise das Säubern der Wohnung, den Einkauf von Lebensmitteln, die Zubereitung von Mahlzeiten und das Waschen der Wasche ll8 .
112 113 114 115
Zink, in: Mergler / Zink, BSHG, § 70 Rn. 21. LPK-BSHG/Birk, § 70 Rn. 7; Gottschick/Giese, BSHG, § 70 Rn. 3.2. BVerwGE 30, 19,21 ff.; dem folgend LPK-BSHG/Birk, § 70 Rn. 4. Zink, in: Mergler/Zink, BSHG, § 70 Rn. 20; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, § 70
Rn. 8. 116 LPK-BSHG/Birk, § 70 Rn. 4; Zink, in: Mergler/Zink, BSHG, § 70 Rn. 20; Schellhorn / Jirasek/ Seipp, BSHG, § 70 Rn. 6; Gottschickl Giese, BSHG, § 70 Rn. 3.3. 117 LPK-BSHG I Birk, § 70 Rn. 11; Gottschickl Giese, BSHG, § 70 Rn. 5; Zink, in: Mergler/Zink, BSHG, § 70 Rn. 28; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, § 70 Rn. 16; Schubert, in: Knopp/Fichtner, BSHG, § 70 Rn. 8. m LPK-BSHG / Birk, § 70 Rn. 11; Gottschick/Giese, BSHG, § 70 Rn. 6; Schell horn / Jirasek / Seipp, BSHG, § 70 Rn. 16; Schubert, in: Knopp / Fichtner, BSHG, § 70 Rn. 8.
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
d) Dauer
Gemäß § 70 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BSHG soll die Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes i.d.R. nur vorübergehend gewährt werden. "Vorübergehend" i. S. d. § 70 Abs. 1 S. 2 BSHG ist ein überschaubarer Zeitraum, wobei die Bewertung unter Berücksichtigung des Einzelfalls vorzunehmen ist 1l9 . Im Zusammenhang mit einer haftbedingten Abwesenheit eines haushaltsführenden Familienmitgliedes wird ein überschaubarer Zeitraum regelmäßig nur bei kurzen Freiheitsstrafen anzunehmen sein oder dann, wenn ein absehbarer Zeitraum bis zu einer dauerhaften Lösung überbrückt werden SOll120. Da es sich bei § 70 Abs. 1 S. 2 BSHG um eine "SollRegelung" handelt, kommt die Hilfe nach § 70 BSHG auch bei längeren Freiheitsstrafen in Betracht 121 . Voraussetzung ist insofern, daß besondere Umstände des Einzelfalls ein Abweichen von der Regelung des § 70 Abs. 1 S. 2 BSHG rechtfertigen. Von besonderen Umständen des Einzelfalls ist auszugehen, wenn durch die Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes verhindert werden kann, daß Kinder bzw. Jugendliche in einem Heim untergebracht werden müssen 122 . Eine solche Situation kann eintreten, wenn § 20 SGB VIII nicht eingreift, weil der verhinderte Elternteil die Kinder nicht überwiegend betreut hat oder die im Haushalt lebenden minderjähigen Personen das vierzehnte Lebensjahr bereits vollendet haben.
3. VoUzeitpflege und Heimerziehung gemäß §§ 27, 33, 34 SGB VIll
a) Allgemeines
Soweit die Betreuung der Kinder nicht aufgrund der §§ 20, 22, 23 SGB VIII, 70 BSHG gewährleistet werden kann, stellt sich die Frage nach Hilfen, die mit einer Fremdunterbringung des Kindes verbunden sind und die Versorgung des Kindes über Tag und Nacht sicherstellen. In Betracht kommen insofern Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) und Heimerziehung (§ 34 SGB VIII) als klassische Fonnen der Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII 123. Unter den in § 27 Abs. 1 SGB VIII genannten Voraussetzungen steht den Personensorgeberechtigten ein Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung ZU 124. Dabei kann allerdings der Gegenstand des Anspruchs nicht unmittelbar dem Gesetz entnommen werden 125. Entscheidend ist, 119 Zink, in: Mergler/Zink, BSHG, § 70 Rn. 24; konkrete Zeiträume nennen LPK-BSHGI Birk, § 70 Rn. 9 (6 Monate) und Schubert, in: Knopp I Fichtner, BSHG, § 70 Rn. 9 (4-6 Wochen). 120 Vgl. Gottschick/Giese, BSHG, § 70 Rn. 4. 121 Vgl. Gottschick I Giese, BSHG, § 70 Rn. 4; LPK-BSHG I Birk, § 70 Rn. 9. 122 LPK-BSHG I Birk, § 70 Rn. 10 mit Hinweis auf den Umkehrschluß aus § 70 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BSHG; vgl. hierzu auch VG Münster NVwZ 1987,455. 123 Vgl. Mrozynski, KJHG, § 33 Anm. 2 c. 124 Krit. zur Anspruchsberechtigung der Personensorgeberechtigten: Münder u. a., Frankfurter LPK-KJHG, § 27 Rn. 19-23; Coester, FamRZ 1990,253,255; Kiehl, ZRP 1990,94 ff.
B. Allgemeine Leistungen
ISS
weIche Fonn der Hilfe geeignet ist, den erzieherischen Bedarf zu decken (vgl. § 27 Abs. 2 S. 2 SGB VIII)126. Die typischen Arten der Hilfe zur Erziehung sind in den §§ 28-35 SGB VIII beispielhaft genannt 127 • Ein originär öffentliches Erziehungsrecht besteht nicht 128 • Die Legitimation des Staates, die Erziehung und Versorgung von Minderjährigen - entweder selbst oder durch die Einbeziehung eines freien Trägers der Jugendhilfe - wahrzunehmen, ergibt sich aus der Willenserklärung des Personensorgeberechtigten 129. Zu den Kosten der Leistungen werden das Kind bzw. der Jugendliche und seine Eltern herangezogen (§ 91 Abs. 1 Nr. 4b und 4c); letztere jedoch nur in den Grenzen der §§ 92, 93, 94 SGB VIII und lediglich dann, wenn das Kind oder der Jugendliche die Kosten nicht tragen kann (vgl. § 91 Abs. 5 SGB VIII).
b) Voraussetzungen
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Vollzeitpflege und Heimerziehung ergeben sich zunächst aus § 27 Abs. 1 SGB VIII 130. Gemäß dieser Vorschrift kommt es darauf an, daß eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung ist dann nicht gewährleistet (vgl. § 27 Abs. 1 SGB VIll), wenn die zur Verfügung stehenden Erziehungsleistungen unzureichend sind, um eine erfolgreiche Erziehung sicherzustellen 131. Es müssen Umstände vorliegen, die die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen belasten und von den Beteiligten nicht aus eigener Kraft beWältigt werden können 132. Entscheidend ist die bereits eingetretene oder bevorstehende 133 erzieheri125 Wiesner, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SGB VIII, § 27 Rn. 19. 126 Wiesner, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SGB VIII, § 27 Rn. 1,19. 127 Wiesner, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SGB VIII, § 27 Rn. 1,19; Münder u. a., Frankfurter LPK-KJHG, § 27 Rn. 12. 128 Stähr, in: Hauck, SGB VIII, § 27 Rn. 5; Mrozynski, KJHG, § 27 Anm. I c; Wiesner, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SGB VIII, § 34 Rn. 54; Münder u. a., Frankfurter LPK-KJHG, § 27 Rn. 8. 129 Stähr, in: Hauck, SGB VIII, § 27 Rn. 5; Wiesner, in: Wiesner/Kaufmann/Mörsberger I Oberloskamp I Struck, SGB VIII, § 34 Rn. 55. 130 Stähr, in: Hauck, SGB VIII, § 33 Rn. 5 und § 34 Rn. 4.
131 Vgl. Wiesner, in: Wiesnerl Kaufmann I Mörsbergerl Oberloskamp I Struck, SGB VIII, § 27 Rn. 28; Klinkhardt, Kinder- und Jugendhilfe SGB VIII, § 27 Rn. 2 f. 132 Wiesner, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SGB VIII, § 27 Rn. 29. 133 Stähr, in: Hauck, SGB VIII, § 27 Rn. 21, 24, 25.
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
sche Mangelsituation, nicht aber die Ursache, die zu dieser Situation geführt hat l34 . Die Eignung der Hilfe ist gegeben, wenn sie ein tauglicher Ansatz ist, um das erzieherische Defizit auszugleichen 135. Maßstab ist dabei der sozialpädagogische bzw. therapeutische Gehalt der Hilfe l36 • Von der Notwendigkeit der Hilfe ist auszugehen, wenn das Problem weder aus eigener Kraft noch durch den Einsatz anderer "Mittel" - z. B. der Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege - gelöst werden kann 137. Demnach ist es eine Frage des Einzelfalles, ob für Kinder, deren betreuender Elternteil sich in Strafhaft befindet, eine Hilfe zur Erziehung in Betracht kommt. Daß die Kinder ihre gewohnte Betreuung verlieren, kann alleine nicht maßgebend sein. Ausschlaggebend ist letztlich, inwieweit der Ausfall des Betreuungsunterhalts vom anderen Elternteil - ggf. mit staatlicher Unterstützung (§ 20 Abs. I SGB VII) - aus eigener Kraft bewältigt werden kann. Erst wenn dies geklärt ist, läßt sich entscheiden, ob der Tatbestand des § 27 Abs. I SGB VIII erfüllt ist. Eine erzieherische Mangelsituation, die eine Hilfe zur Erziehung rechtfertigt, wird allerdings regelmäßig dann vorliegen, wenn ein alleinerziehender Elternteil bzw. beide Elternteile inhaftiert sind. Auch wenn darauf hingewiesen wird, der Gesetzgeber habe u. a. für den Fall der Inhaftierung eines Elternteils anderen Leistungen, z. B. nach §§ 13, 19,20 SGB VIII, vorgesehen 138 , so kann doch die Hilfe zur Erziehung nur insoweit ausgeschlossen sein, als auf der Grundlage dieser Vorschriften eine effektive, dem Wohl des Kindes entsprechende Hilfe geleistet werden kann l39 . Die Regelungen der §§ 13, 19 SGB VIII können zwar für Kinder, die durch die Strafhaft eines Elternteils mitbetroffen sind, hilfreich sein, sie sind aber nicht geeignet, den haftbedingten Ausfall eines betreuenden Elternteils auszugleichen. Wahrend § 13 SGB VIII darauf gerichtet ist, junge Menschen mit sozialen und individuellen Beeinträchtigungen zu fördern, betrifft § 19 SGB VIII eine Notsituation, die in der Persönlichkeit des alleinerziehenden Elternteils begründet liegt 140. Lediglich § 20 SGB VIII dient dem Ziel, den Ausfall des betreuenden Elternteils zu kompensieren. Die begrenzte Reichweite dieser Regelung wurde bereits dargelegt.
Stähr, in: Hauck, SGB VIII, § 27 Rn. 22. Stähr, in: Hauck, SGB VIII, § 27 Rn. 26; Klinkhardt, Kinder- und Jugendhilfe SGB VIII, § 27 Rn. 5. 136 Stähr, in: Hauck, SGB VIII, § 27 Rn. 26. 137 Stähr, in: Hauck, SGB VIII, § 27 Rn. 30; Klinkhardt, Kinder- und Jugendhilfe SGB VIII, § 27 Rn. 5. 138 Wiesner, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SGB VIII. § 27 Rn. 33. 139 Vgl. dazu Mrozynski, KJHG, § 33 Anm. 2 c, der in bezug auf die Kurzzeit- und Übergangspflegestellen nach § 33 SGB V111 feststellt, daß heute diese beiden Pflegeformen in Konkurrenz zu den Leistungen nach § 20 SGB V111 treten. 140 Vgl. Münder u. a., Frankfurter LPK-KJHG, § 19 Rn. 2; Kaufmann. in: Wiesner/Kaufmann I Mörsbergerl Oberloskamp I Struck, SGB VIII. § 19 Rn. 9. 134 135
B. Allgemeine Leistungen
157
Außer den Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 SGB VIII muß ein erzieherischer Bedarf für eine Vollzeitpflege bzw. die Heimerziehung bestehen (vgl. § 27 Abs. 2 S. 2 SGB VIII)141. Ob Vollzeitpflege oder Heimerziehung dem erzieherischen Bedarf des Minderjährigen gerecht wird, ist eine unter pädagogischen Aspekten zu treffende Einzelfallentscheidung. Richtungsweisend kann das Alter des Minderjährigen sein. Während für Jugendliche, die ohnehin aus der Familie "herauswachsen", eher eine Heimerziehung bzw. eine sonstige betreute Wohnform (vgl. § 34 SGB VIII) als geeignete Hilfeform in Betracht kommt, empfiehlt sich für Kinder oftmals eine Unterbringung in einer Pflegefamilie l42 . Ein allgemeiner Grundsatz, demgemäß die Heimerziehung gegenüber der Vollzeitpflege nachrangig ist, besteht nicht 143.
c) Ausgestaltung Die Vollzeitpflege läßt sich als eine Erziehung in einer anderen Familie unter öffentlicher Mitverantwortung charakterisieren 144. Der Begriff "Familie" ist in Abgrenzung zu institutionellen Hilfeformen zu verstehen und bezeichnet einen privaten Haushalt außerhalb des Elternhauses, in dem eine oder mehrere Bezugspersonen vorhanden sind, die den Bedürfnissen des Kindes gerecht werden können l45 . Eine pädagogische Ausbildung der Pflegepersonen ist nicht erforderlich 146. Demgegenüber bietet die Heimerziehung, die mit einer institutionalisierten Fremdunterbringung des Minderjährigen verbunden ist, professionelle Hilfe zur Erziehung l47 . Die Heimerziehung soll Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von AIItagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern (§ 34 S. 1 SGB VIII). Sowohl Vollzeitpflege als auch Heimerziehung können Minderjährigen eine langfristige bzw. auf Dauer angelegte Lebensform bieten (vgl. §§ 33 S. 1, 34 S. 2 141
Stähr, in: Hauck, SGB VIJI, § 33 Rn. 5 und § 34 Rn. 4.
Münder u. a., Frankfurter LPK-KJHG, § 33 Rn. 14 und § 34 Rn. 16; Stähr, in: Hauck, SGB VIJI, K § 33 Rn. 12 und K § 34 Rn. 7. 143 Vgl. Stähr, in: Hauck, SGB VIJI, K § 33 Rn. 12 und K § 34 Rn. 7; Wiesner, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SGB VIJI, § 33 Rn. 38. 142
144 Wiesner, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger I Oberloskampl Struck, SGB VIJI, § 33 Rn. 21; zur öffentlichen Mitverantwortung siehe Schell horn, in: Schell horn I Wienand, KJHG, § 33 Rn. 3, 9 - I!. 145 Wiesner, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SGB VIJI, § 33 Rn. 21; MKI Hinz, BGB, § 33 SGB VIJI Rn. I; Münder u. a., Frankfurter LPK-KJHG, § 33 Rn.3. 146 V gl. Wiesner, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger IOberloskamp I Struck, SGB VIJI, § 33 Rn. 24; eine Ausnahme gilt jedoch für die Sonderpflegestellen nach § 33 S. 2 SGB VIJI, vgl. Schellhorn, in: Schellhorn I Wienand, KJHG, § 33 Rn. 8. 147 Wiesner, in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger I Oberloskampl Struck, SGB VIJI, § 34 Rn. 9, I!.
2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
158
Nr. 3 SGB VIII); möglich ist aber auch eine bloß kurzfristige Unterbringung 148. Demzufolge sind beide Hilfeformen geeignet, um - je nach Dauer der Freiheitsstrafe - auf die damit verbundene erzieherische Mangelsituation zu reagieren. Ist davon auszugehen, daß das Kind bzw. der Jugendliche wieder mit dem inhaftierten Elternteil zusammenleben wird, so ist dies im Rahmen der Vollzeitpflege bzw. Heimerziehung zu berücksichtigen. Konkret heißt dies, daß der Kontakt zum inhaftierten Elternteil aufrecht zu erhalten ist. Dabei gilt es, ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Pflegeeltern bzw. den Betreuern und dem inhaftierten Elternteil zu vermeiden 149• Auch wenn die Kinder und Jugendlichen, deren betreuender Elternteil eine Freiheitsstrafe verbüßt, im Rahmen der Vollzeitpflege bzw. der Heimerziehung ganztägig - d. h. über Tag und NachtiSO - versorgt werden und folglich davon auszugehen ist, daß die Unterhaltsleistungen des Inhaftierten ersetzt werden, so bleiben doch die Fremdplatzierung und die Trennung vom inhaftierten Elternteil als belastende Faktoren. Weder Vollzeitpflege noch Heimerziehung können den betreuenden Elternteil ersetzen, zu dem das Kind bzw. der Jugendliche eine besondere ggf. über Jahre gewachsene - persönliche Beziehung hatte. Im Fall der Heimerziehung kommt als weitere Belastung hinzu, daß ein häufiger Wechsel der Bezugspersonen nicht auszuschließen ist 151 • Wenn eine Fremdunterbringung aus Anlaß einer Inhaftierung des betreuenden Elternteils nicht zu vermeiden ist. dann muß versucht werden, die Belastungen für das Kind oder den Jugendlichen so gering wie möglich zu halten. Unter diesem Aspekt empfiehlt sich z. B. die gemeinsame Unterbringung von Geschwistern. Außerdem ist an eine Unterbringung im gewohnten sozialen Umfeld des Kindes zu denken, so daß dem Kind zusätzliche Nachteile durch einen Kindergarten- bzw. Schul wechsel sowie durch den Verlust des Freundeskreises erspart bleiben 152.
14~
Stähr. in: Hauck. SGB V1I1. § 33 Rn. 13 - 18 und § 34 Rn. 10. 13: Mrozynski. KJHG.
§ 33 Anm. 2 c. 3 b.
Vgl. Rosenkranz/Riemann/Birtsch. NP 1987. 15\, 158. Vgl. § 34 S. 1 SGB V1I1: Wiesner. in: Wiesnerl Kaufmann I Mörsberger/Oberloskamp1Struck. SGB V1I1. § 33 Rn. 19: Mrozynski. KJHG. § 33 Anm. 2 a und § 34 Anm. 2 a. l~l Vgl. Wiesner. in: Wiesner I Kaufmann I Mörsberger I Ober los kamp I Struck. SGB V111. § 34 Rn. 10: Rosenkranz I Riemannl Birtsch. NP 1987. 15\, 159. 1~2 Vgl. Rosenkranz I Riemann I Birtsch. NP 1987. 15\, 158. 14~ l~n
B. Allgemeine Leistungen
159
III. Anspruche bei Beeinträchtigung der sozialversicherungsrechtlichen Stellung 1. Absicherung rur den Krankheitsfall
a) Leistungen nach § 13 Abs. 2 BSHG
Auf der Grundlage des § 13 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BSHG können die Sozialhilfeträger angemessene Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V übernehmen l53 . Von der Angemessenheit der Beitragssätze einer gesetzlichen Krankenversicherung ist grundsätzlich auszugehen 154. Ob Beiträge für eine freiwillige Versicherung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung angemessen sind, ist eine Frage des Einzelfalles ISS. Da die Kinder und Ehepartner von Gefangenen, die zuvor über § 10 SGB V in die gesetzliche Krankenversicherung eingebunden waren, i.d.R. nicht in der Lage sind, die Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufzubringen, ist die Übernahme der Beiträge durch den Sozialhilfeträger oftmals die einzige Möglichkeit, den bestehenden Krankenversicherungsschutz aufrechtzuerhalten. Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 13 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BSHG sind insbesondere der Grundsatz der präventiven Hilfe, die Dauer der bestehenden Krankenversicherung und der Aspekt der Wirtschaftlichkeit von Bedeutung l56 • Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist entscheidend, ob sich im Einzelfall die Übernahme der Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung oder die Gewährung von Krankenhilfe nach § 37 BSHG als die kostengünstigere Maßnahme erweist l57 . Ist der Hilfesuchende bereits krank oder muß die Versorgung eines Erwachsenen einschließlich dessen Kindern sichergestellt werden, sprechen die wirtschaftlichen Erwägungen i.d.R. für die Übernahme der Krankenversicherungsbeiträge nach § \3 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BSHG I5X • Eine ablehnende Entscheidung wird sich in diesen Fällen regelmäßig als ermessensfehlerhaft erweisen 159. Ein Anspruch auf die Pflichtleistung nach § 13 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BSHG kommt für die Angehörigen des Gefangenen, die zuvor familienversichert waren, nicht in Betracht, da § 13 Abs. 2 S. I Hs. 2 BSHG den Bestand einer freiwilligen Krankenversicherung voraussetzt 11',(1. Die Beiträge, die es zu übernehmen gilt, müssen der Aufrechterhaltung einer freiwilligen Versicherung dienen. Ferner ist erforderlich, 1~3 154
15~ 15~ 15? 15X IW 160
LPK-BSHG / Birk, § 13 Rn. 16. Gottschick / Giese, BSHG. § 13 Rn. 11; Schell horn / Jirasekl Seipp. BSHG. § 13 Rn. 25. Gottschick/Giese. BSHG. § 13 Rn. 11. LPK-BSHG/Birk. § 13 Rn. 18. Schellhorn/Jirasek/Seipp. BSHG. § 13 Rn. 26; LPK-BSHG/Birk. § 13 Rn. 18. Schellhorn/Jirasek/Seipp. BSHG. § 13 Rn. 26; LPK-BSHG/Birk. § 13 Rn. 18. Vgl. LPK-BSHG/Birk. § 13 Rn. 18. Vgl. Gottschick/Giese. BSHG. § 13 Rn. 13.
160
2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
daß die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt voraussichtlich nur für kurze Dauer zu gewähren ist. b) Leistungen nach §§ 36,37 BSHG Unter der Voraussetzung, daß weder eine Familienversicherung nach § 10 SGB V besteht noch ein freiwilliger Beitritt nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB Verfolgt ist, sind die unterhaltsbedürftigen Angehörigen des Gefangenen auf die vorbeugende Gesundheitshilfe nach § 36 BSHG und die Krankenhilfe nach § 37 BSHG angewiesen. Die Leistungen nach §§ 36, 37 BSHG zählen zu den Hilfen in besonderen Lebenslagen und umfassen im wesentlichen die Leistungen, die auch den kraft Gesetzes Krankenversicherten gewährt werden l61 . Auf Gewährung von Krankenhilfe besteht ein Rechtsanspruch (vgl. § 37 Abs. 1 BSHG). Für die Leistungen der vorbeugenden Gesundheitshilfe gilt dies insoweit, als Versicherte nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung Anspruch auf Leistungen zur Förderung der Gesundheit sowie zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten haben (vgl. § 36 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BSHG). Zeitliche Grenzen setzen die Vorschriften der §§ 36, 37 BSHG nicht. Unter den Ärzten und Zahnärzten, die sich zur Behandlung im Rahmen der Krankenhilfe und vorbeugenden Gesundheitshilfe zu den von der Ortskrankenkasse gezahlten Vergütungen bereit erklärt haben, besteht gemäß § 37 Abs. 3 S. 2 und § 36 i.Y.m. § 37 Abs. 4 BSHG freie Arztwahl. I.d.R. handelt es sich um die Ärzte und Zahnärzte, die eine kassenärztliche bzw. eine kassenzahnärztliche Zulassung haben 162. Da die Leistungen der §§ 36, 37 BSHG der Regelung des § 92a BSHG unterliegen 163, ist ein Strafentlassener verpflichtet, für die Krankenhilfe bzw. die vorbeugende Gesundheitshilfe, die seinen unterhaltsberechtigten Angehörigen gewährt wurde, Kostenersatz zu leisten (§ 92a Abs. I S. I BSHG). I.d.R. wird aber von einer Erstattung durch den Haftentlassenen gemäß § 92a Abs. I S. 2 BSHG abzusehen sei n 164. 2. Absicherung für den Fall der Pflegebedürftigkeit
a) Übernahme der Beiträge durch die SozialhilJeträger Ausgehend von der Feststellung, daß sich die Angehörigen von Gefangenen oftmals in einer wirtschaftlichen Notlage befinden, gilt auch bezüglich der gesetzli101 Vgl. §§ 36 Abs. 1 S. 2 Hs. 2, 37 Abs. 1 S. 2 BSHG; LPK-BSHG/Birk. § 37 Rn. 5-20; Fichtner. in: Knopp I Fichtner. BSHG. § 37 Rn. 3a. 102 LPK-BSHG I Birk. § 37 Rn. 29. lo~ Vgl. Zcitlcr, in: Mergler/Zink. BSHG. § 92a Rn. 13; Schmitt. BSHG. § 92a Rn. 4. IM Vgl. dazu unter B. I. 2. d) aa).
B. Allgemeine Leistungen
161
chen Pflegeversicherung, daß diese im Wege der Weiterversicherung nach § 26 Abs. 1 S. 2 SGB XI nur aufrecht erhalten werden kann, wenn eine Übernahme der Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung durch den Sozialhilfeträger erfolgt. Ob und unter welchen Voraussetzungen die Sozialhilfeträger die Möglichkeit haben bzw. verpflichtet sind, Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung zu übernehmen, war zunächst umstritten 165. Die Rechtslage hat jedoch durch die Vorschrift des § 13 Abs. 3 BSHG eine abschließende Klärung erfahren. Gemäß § 13 Abs. 3 BSHG sind die mit den Krankenversicherungsbeiträgen zusammenhängenden Pflegeversicherungsbeiträge (vgl. § 20 Abs. 1 S. 1 SGB Xl) nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 und 2 BSHG von den Sozialhilfeträgern zu übernehmen.
b) Leistungen nach §§ 68f BSHG
Sind die Kinder und der Ehepartner eines Gefangenen nicht durch die soziale Pflegeversicherung geschützt, steht ihnen im Fall der Pflegebedürftigkeit ein Rechtsanspruch auf Hilfe zur Pflege gemäß den §§ 68 f. BSHG zu. Ebenso wie die Kranken- und vorbeugende Gesundheitshilfe zählen auch die Leistungen nach §§ 68 f. BSHG zu den Hilfen in besonderen Lebenslagen. Im Gegensatz zur partiellen Grundversicherung, die durch die gesetzliche Pflegeversicherung gewährleistet ist, sind die Hilfen nach §§ 68 f. BSHG individuell und bedarfsdeckend ausgestaltet l66 . Daß der Haftentlassene die Kosten der Hilfe zur Pflege, die einem Familienmitglied während seiner Haftzeit gewährt wurden, nach § 92a Abs. 1 S. 1 BSHG zu tragen hat, kommt im allgemeinen nicht in Betracht, denn regelmäßig sehen die Sozialhilfeträger nach § 92a Abs. 1 S. 2 BSHG von einer Kostenerstattung durch Haftentlassene ab 167 .
3. Alters-, Erwerbsunfähigkeits- und Hinterbliebenensicherung
Haben Zeiten der Strafhaft dazu geführt, daß bei Eintritt des Versicherungsfalles eine Altersrente, eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Rente wegen Todes nicht oder nur zu einem sehr niedrigen Betrag gewährt werden kann, so sind die ehemaligen Strafgefangenen und ihre Familien bzw. die Kinder und Ehepartner als Hinterbliebene i.d.R. auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 11 Abs. 1 S. I BSHG angewiesen l6R . Daß die Möglichkeiten des § 14 BSHG äußerst 16~
Vgl. Lachwitz. in: Schulin. HS-PV. § 9 Rn. 11 ff. Vgl. Schell horn. FuR 1994. 317. 326. Eingehend zum Verhältnis zwischen der Hilfe zur Pflege nach §§ 68 f. BSHG und den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung Lachwitz. in: Schul in. HS-PV. § 9 Rn. 75 ff. Ib7 Vgl. dazu unter B. I. 2. d) aa). 16~ BAG-S. Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftierte. ZfStrVo 1993. 174. 177; Bundesvereinigung der Anstaltsleiter. ZfStrVo 1993. 180. 1(,(,
11 Gülle
162
2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
begrenzt sind, um haftbedingten Nachteilen zu begegnen, wurde bereits im 1. Kapitel unter D. III. dargelegt. Die haftbedingten Nachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung werden von seiten des Staates nur ausgeglichen, wenn der Gefangene die Freiheitsstrafe zu Unrecht verbüßt hat und zu seinen Gunsten eine Entschädigungspflicht der Staatskasse gemäß den Vorschriften des StrEG rechtskräftig' festgesetzt wurde. Der Gefangene erhält in diesem Fall eine staatliche Entschädigung nach § 7 Abs. 1 StrEG, die die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung umfaßt 169 . Unter Bezugnahme auf die rechtskräftig festgesetzte Entschädigungspflicht der Staatskasse räumt § 205 Abs. 1 S. 1 SGB VI dem Versicherten die Möglichkeit ein, auf Antrag freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nachzuzahlen. Dabei steht es der Nachzahlung - so die Vorschrift des § 205 Abs. 1 S. 4 SGB VI - nicht entgegen, wenn die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente bereits erfüllt sind. Die Regelungen des § 205 SGB VI sind erst am 1. 1. 1992 in Kraft getreten. Zuvor hatte auch der zu Unrecht Inhaftierte i.d.R. keine Möglichkeit, Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig nachzuentrichten, um auf diese Weise haftbedingten Nachteilen entgegenzuwirken. Die Nachentrichtungsfristen gemäß §§ 1418 RVO, 140 AVG waren zum Zeitpunkt der Entschädigung regelmäßig verstrichen 170.
C. Entschädigungsleistungen zugunsten der unterhaltsberechtigten Angehörigen von Gefangenen I. Entschädigung gemäß § 11 StrEG 1. Allgemeines
Einen entschädigungsrechtlichen Ausgleich ihres Unterhaltsschadens können die kraft Gesetzes unterhaltsberechtigten Angehörigen eines Gefangenen unter den besonderen Voraussetzungen des § 11 StrEG verlangen 171. Die Entschädigung gemäß § 11 StrEG ist ein Teil der Entschädigung, die dem zu Unrecht Inhaftierten als Hauptanspruchsberechtigten aus § 1 StrEG zusteht; sie umfaßt den Betrag, den der Inhaftierte kraft Gesetzes für Zwecke des Fremdunterhalts hätte verwenden müssen 172. Daß die Unterhaltsberechtigten von ihrem selbständigen l73 EntschädiRiStBV Anl C Teil I. B II 2 d); Kleinknecht / Meyer-Goßner, StPO. § 7 StrEG Rn. 3. Gleitze / Dötsch. in: Wannagat. SGB VI. § 205 Rn. 3 - 7. 171 Zu den .. Vorläufern" des § 11 StrEG. den §§ lAbs. 2. 2 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Entschädigung für im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochene Personen von 1898 und §§ lAbs. 2. 3 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft von 1904. vgl. Burlage. Die Entschädigung der unschuldig Verhafteten und der unschuldig Bestraften. S. 72 - 77. 126. 130. 172 Vgl. BT-Drs. 6/460. S. 9; Meyer. Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung. § 11 Rn. 15; Schätzler. StrEG. § 11 Rn. 1. 4. 169
170
C. Entschädigungsleistungen
163
gungsanspruch aus § 11 StrEG Gebrauch machen, ist nicht zwingend. Möglich ist auch, daß ausschließlich der Hauptanspruchsberechtigte eine Entschädigungsleistung auf der Grundlage des § 1 StrEG geltend macht und die Unterhaltsberechtigten an dieser Leistung teilhaben 174 . Da eine Entschädigung gemäß den Vorschriften des StrEG ihrer Natur nach erst gewährt wird, wenn die zu Unrecht erlittene Maßnahme bereits beendet ist, kann durch eine Strafrechtsentschädigung grundsätzlich nicht verhindert werden, daß die Angehörigen eines Inhaftierten in finanzielle Not geraten und darauf angewiesen sind, ihren Lebensbedarf durch die Inanspruchnahme staatlicher Unterhaltsersatzleistungen zu decken. Der Entschädigungsanspruch aus § 11 StrEG ist in seiner Entstehung und seinem Umfang aufs engste mit dem Entschädigungsanspruch des Hauptanspruchsberechtigten nach § 1 StrEG verbunden. Anknüpfungspunkt für die Entschädigung nach § 11 StrEG ist die hoheitliche Maßnahme, die sich gegen die Person des Unterhaltspflichtigen richtet und diesen unmittelbar in seinem Grundrecht auf Freiheit (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) beeinträchtigt. Die Unterhaltsberechtigten werden lediglich als mittelbar Geschädigte erfaßt 175. Grundlegend ist insofern, daß sich der Nachteil der Unterhaltsberechtigten in einem Vermögensschaden erschöpft und das Vermögen als solches nicht als eigenständiges Schutzgut i. S. d. Entschädigungsrechts anerkannt ist 176 • Indem § 11 StrEG die (bloß) mittelbar Geschädigten zur selbständigen Geltendmachung ihres Unterhaltsschadens berechtigt, durchbricht die Vorschrift den Grundsatz, daß nur demjenigen, der unmittelbar in seinen Rechten verletzt ist, ein Ersatzanspruch gegen den Schädiger zusteht 177 • Damit entspricht die Regelung des § 11 StrEG der Vorschrift des § 844 Abs. 2 BGB, die den mittelbar betroffenen Unterhaltsberechtigten für den Fall, daß ihnen das Recht auf Unterhalt infolge der Tötung des Unterhaltspflichtigen entzogen wird, einen Direktanspruch gegen den Schädiger einräumt 178. Da der Entschädigungsanspruch des Hauptanspruchsberechtigten seiner Rechtsnatur nach ein spezialgesetzlich erfaßter Aufopferungsanspruch ist 179, ersetzt § 11
173
Schätzler. StrEG. § 11 Rn. I; Meyer. Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung.
§ 11 Rn. I. 174 Der Hauptanspruchsberechtigte und die Unterhaltsberechtigten haben eine ähnliche Stellung wie Gesamtgläubiger nach § 428 BGB. siehe Meyer. Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung. § 11 Rn. 4. 15; Kleinknechtl Meyer-Goßner. StPO. § 11 StrEG Rn. 2. 175 Entsprechend wird dem Anspruch aus § 11 StrEG ..eine gewisse Ausgleichsfunktion für die durch die Strafverfolgung mittelbar am stärksten Betroffenen" beigemessen. vgl. Meyer. Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung. § 11 Rn. 2. 17~ Vgl. BGHZ 17.172 ff.; 20. 81 ff. 177 Vgl. BGHZ 20.81 ff.; 23. 235. 240; RGRK/Kreft. BGB. vor § 839 Rn. 166. m BGH NJW 1986.984; StaudingerlSchäfer. BGB. § 844 Rn. 3; MK I Stein. BGB. § 844 Rn. I; Palandt I Thomas. BGB. § 844 Rn. I; Erman I Schiemann. BGB. § 844 Rn. I; Emmerich. BGB-Schuldrecht. Bes. Teil. § 25 Rn. 22 f. Zu den historischen Verbindungslinien zwischen § 844 Abs. 2 BGB und § I1 StrEG vgl. Burlage. Die Entschädigung der unschuldig Verhafteten und der unschuldig Bestraften. S. 74.
164
2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
StrEG einen Unterhaltsschaden, der sich aus einer Aufopferungslage in der Person des Unterhaltspflichtigen ergibt. Die Aufopferungslage des zu Unrecht Inhaftierten ist dadurch gekennzeichnet, daß er aufgrund einer hoheitlichen, am Allgemeinwohl ausgerichteten Maßnahme seine grundrechtlich verbürgte Freiheit (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) einbüßt, ohne daß dies durch das Verfahrensergebnis gerechtfertigt ist l80 . Ausreichend ist dabei die bloße Vermutung, daß sich der Betroffene für das allgemeine Wohl aufgeopfert hat, denn im Rahmen des StrEG genügt es, daß der Betroffene die Strafverfolgungsmaßnahme nicht erwiesenermaßen zu Recht erlitten hat lSI .
2. Zielsetzung
Durch die Vorschrift des § 11 StrEG soll sichergestellt werden, daß die Entschädigung, die dem Hauptanspruchsberechtigten zusteht, auch dessen unterhaltsberechtigten Angehörigen zugute kommt. Im Hinblick darauf, daß auf der Grundlage des § 7 Abs. 1 StrEG ein Verdienstausfall zu entschädigen ist l82 , sollen die unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht leer ausgehen, wenn der Hauptanspruchsberechtigte durch die Entschädigungszahlung nachträglich die Mittel erhält, die ihm ohne die Strafhaft für Unterhaltsleistungen zur Verfügung gestanden hätten l83 . Da eine Geltendmachung des gesetzlichen Unterhalts für die Vergangenheit nach den Vorschriften der §§ 1613 Abs. I, 1360a Abs. 3,1361 Abs. 4 S. 4, 1585b BGB grundsätzlich ausgeschlossen ist, folgt die Schutzbedürftigkeit der unterhaltsberechtigten Angehörigen bereits aus der Konzeption des Unterhaltsrechts. Fehlt es nämlich an einem Unterhaltsanspruch, der notfalls eingeklagt und im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden kann, sind die Angehörigen auf die freiwillige Leistung des Hauptberechtigten angewiesen. Dies begründet insbesondere bei getrennter Lebensführung die Gefahr, daß die unterhaltsberechtigten Angehörigen ohne Entschädigung bleiben ls4 .
179 BGHZ 60. 302 ff.; 72. 302. 305; OLG Nürnberg MDR 1975. 779. 780; OLG Karlsruhe MDR 1976.515; Kleinknecht/Meyer-Goßner. StPO. Vor § 1 StrEG Rn. I; Schätzler. StrEG. Einl. Rn. 23; Ossenbühl. Staatshaftung. S. 142; Maurer. Allg. Verwaltungsrecht. § 27 Rn. 5; MKI Papier. BGB. § 839 Rn. 55; Rüfner. in: Erichsen (Hrsg.). Allg. Verwaltungsrecht. § 48 Rn. 90; Baumann. in: FS für Heinitz. S. 705. 706 f.; Böing. Beiheft der ZStW 1974.73.78 f.; anders Paeffgen. Vorüberlegungen zu einer Dogmatik des Untersuchungshaft-Rechts. S. 211 ff. IKO Vgl. auch BGHZ 72.302.305; OLG Nürnberg MDR 1975.779.780; Baumann. in: FS für Heinitz. S. 705. 707. IKI OLG Nümberg MDR 1975.779 f. IK2 OLG Düsseldorf NJW-RR 1993.35: Meyer. Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstauung. § 7 Rn. 12; Kleinknecht I Meyer-Goßner. StPO. § 7 StrEG Rn. 3. IK.' Schätzler. StrEG. § 1I Rn. I. IK4 Schätzler. StrEG. § 1I Rn. I.
C. Entschädigungsleistungen
165
Außerdem dient § ll StrEG dem Ausgleich von Unterhaltsschäden in Fällen einer postumen Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach den §§ 361,371 StPO I85 . Die kraft Gesetzes Unterhaltsberechtigten können durch eine Entschädigung nach § ll StrEG schadlos gestellt werden, obwohl der Hauptanspruchsberechtigte bereits verstorben ist. 3. Voraussetzungen
Der Entschädigungsanspruch nach § ll StrEG setzt grundSätzlich eine Hauptanspruchsberechtigung gemäß den §§ I, 2 StrEG voraus. Da § ll Abs. I S. I StrEG die Berechtigten als "die Personen, denen er kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war" beschreibt, muß der nach §§ I, 2 StrEG Berechtigte im Verhältnis zu den nach § ll StrEG Begünstigten kraft Gesetzes zum Unterhalt verpflichtet gewesen sein. In Anbetracht seiner akzessorischen Natur kann der Anspruch aus § ll StrEG nur unter den Voraussetzungen zur Entstehung gelangen, die das StrEG in bezug auf den Anspruch des Hauptanspruchsberechtigten formuliert. Demnach kommt ein Entschädigungsanspruch der kraft Gesetzes unterhaltsberechtigten Angehörigen eines Gefangenen lediglich dann in Betracht, wenn dieser durch ein Wiederaufnahmeverfahren oder in sonstiger Weise erreicht, daß seine rechtskräftige Verurteilung in einem weiteren Strafverfahren fortgefallen oder zumindest gemindert worden ist, in seiner Person weder Ausschließungsgründe gemäß § 5 StrEG noch Versagungsgründe gemäß § 6 StrEG vorliegen und das Strafgericht eine Entschädigungspflicht der Staatskasse rechtskräftig festgestellt hat (§ 8 StrEG)186. Da der Anspruch der unterhaltsberechtigten Angehörigen aus § ll StrEG an die Aufopferungslage beim Unterhaltspflichtigen anknüpft, ist es ohne Belang, ob die Unterhaltsberechtigten möglicherweise in eigener Person ein Sonderopfer erbracht haben. 4. Umfang
Nach § ll Abs. I S. 2 StrEG ist den kraft Gesetzes Unterhaltsberechtigten insoweit Ersatz zu leisten. als ihnen durch die Strafverfolgungsmaßnahme der Unterhalt entzogen worden ist. Entzogen i. S. d. § ll StrEG ist der Unterhalt, wenn ihn der Unterhaltspflichtige infolge der Strafverfolgungsmaßnahme nicht leisten und I oder der Unterhaltsberechtigte ihn auch nicht nachträglich beanspruchen kann lS7 . 185
Schätzler. StrEG. § 11 Rn. I.
186 Vg!. SchätzIer. StrEG. § I Rn. 24. Ein Verzicht des Hauptanspruchsberechtigten kann nur für diesen selbst Wirkung entfalten. siehe dazu Seebode, NStZ 1982, 144, 146. 187 Meyer. Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 11 Rn. 8; Schätzler, StrEG, § 11 Rn. 3; siehe auch RiStBV An!. C Teil I. B II 3 a).
166
2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
Da § 11 StrEG - anders als § 844 Abs. 2 BGB - nicht vom Entzug des Rechts auf Unterhalt spricht, sondern lediglich auf den Entzug des Unterhalts durch die Strafverfolgungsmaßnahme abstellt, muß davon ausgegangen werden, daß es im Rahmen des § 11 StrEG ausreichend ist, wenn die Strafverfolgungsmaßnahme zu einem tatsächlichen Unterhaltsausfall geführt hat. Der Verlust des Unterhaltsanspruchs, der eine nachträgliche Geltendmachung des Unterhalts ausschließt, kann aus anderen Gründen eingetreten sein, so z. B. weil § 1613 Abs. 1 BGB eingreift oder der Unterhaltspflichtige verstorben ist. Im Hinblick darauf, daß sich der Inhaftierte nach der heute in Rechtsprechung und Literatur h.M. regelmäßig mit befreiender Wirkung auf seine haftbedingte Leistungsunfahigkeit berufen kann und der Unterhaltsanspruch damit bereits infolge der Haft des Unterhaltspflichtigen entfallt, wird i.d.R. sogar das Recht auf Unterhalt entzogen. In Anbetracht dessen, daß die Strafverfolgungsmaßnahme adäquat kausal zum Unterhaltsentzug geführt haben muß, kommen Ersatzleistungen nach § 11 StrEG nicht in Betracht, wenn die Unterhaltsberechtigten bereits vor der Inhaftierung ihres Familienmitgliedes auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 11 ff. BSHG angewiesen waren und sich diese Situation auch ohne die Haft des Angehörigen nicht verändert hätte l88 . Wegen Unterhaltsleistungen, die unabhängig von der Strafverfolgungsmaßnahme nicht erbracht worden wären, kann folglich keine Entschädigung von der Staatskasse verlangt werden 189. Entschädigt werden die unterhaltsberechtigten Angehörigen ausschließlich flir den Ausfall ihres Barunterhalts. Ein immaterieller Schaden, der sich für ein Kind z. B. aus dem äußerst schmerzlichen Verlust des Elternteils sowie einer Fremdunterbringung in einem Heim oder einer Pflegefamilie ergeben kann, wird nicht abgedeckt. Lediglich der zu Unrecht Inhaftierte kann nach § 7 Abs. 1 und 3 StrEG wegen seines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine Entschädigungsleistung in Höhe von 20,00 DM für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung beanspruchen. Soweit den Unterhaltsberechtigten ein Entschädigungsanspruch nach § 11 StrEG zusteht, erhalten sie wegen ihres (Bar-)Unterhaltsschadens vollen Ausgleich 190. Hat ein Unterhaltsberechtigter den Unterhaltspflichtigen in der Haftanstalt besucht, zählen auch die in diesem Zusammenhang entstandenen Fahrtkosten sowie die notwendigen Nebenauslagen zum entzogenen Unterhalt l91 • Hingegen kann ein etwaiger Verdienstausfall des Unterhaltsberechtigten aus Anlaß des Besuchs nur dann als entzogener Unterhalt geltend gemacht werden, wenn er zur Deckung des Unterhaltsbeitrages verwendet wurde, den ansonsten der Unterhaltsberechtigte hätte lei188 189
Vgl. Meyer, Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 11 Rn. 8. Vgl. § 7 Abs. 4 StrEG; Meyer, Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 11
Rn. 8. Vgl. §§ 11 Abs. I S. 2, 7 Abs. 1 StrEG. Vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 1993,35; LG Flensburg JurBüro 1981, 1045; Meyer, Strafrechtsentschädigung und Aus)agenerstattung, § 11 Rn. 12. 190 191
C. Entschädigungsleistungen
167
sten müssen 192 . Zu berücksichtigen ist in diesen Fällen jedoch die Bagatellgrenze des § 7 Abs. 2 StrEG 193 • Soweit die nach § 11 StrEG berechtigten Angehörigen während der Haft ihres Familienmitgliedes Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 11 ff. BSHG in Anspruch genommen haben, bietet § 90 BSHG dem Sozialhilfeträger keine Möglichkeit, auf die Entschädigungsleistung zuzugreifen und diese "zu schmälern". Hintergrund ist insofern, daß die Leistungen des Sozialhilfeträgers bereits vor der Entstehung des Entschädigungsanspruchs erbracht werden; die Regelung des § 90 Abs. 1 S. 3 BSHG aber bestimmt, daß der Übergang des Anspruchs nur insoweit bewirkt werden darf, als bei rechtzeitiger Leistung des anderen die Hilfe nicht gewährt worden wäre l94 • Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 92a Abs. 1 S. 1 BSHG gegen den Unterhaltspflichtigen kommt ebenfalls nicht in Betracht, denn der Tatbestand des § 92a Abs. 1 S. 1 BSHG, wonach die Sozialhilfebedürftigkeit auf einem vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verhalten beruhen muß, wird nicht vorliegen, wenn dem zu Unrecht Inhaftierten ein Entschädigungsanspruch nach § 1 StrEG zusteht (vgl. §§ 5 Abs. 2 S. I, 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG).
S. Frist
Ist die Entschädigungspflicht der Staatskasse rechtskräftig festgestellt (vgl. § 8 StrEG), müssen die Unterhaltsberechtigten - ebenso wie der Hauptberechtigte ihren Anspruch nach §§ 10 Abs. 1 S. I, 11 Abs. 2 S. 2 StrEG binnen sechs Monaten bei der Staatsanwaltschaft geltend machen, die im ersten Rechtszug die Ennittlungen geführt hat. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Belehrung ( §§ 10 Abs. I S. 3, 11 Abs. 2 StrEG). Das schuldhafte Versäumen der Frist führt dazu, daß der Unterhaltsberechtigte nach §§ 10 Abs. I S. 2, 11 Abs. 2 S. 2 StrEG mit seinem Anspruch ausgeschlossen ist. Im übrigen gilt auch für den Anspruch aus § I I StrEG die absolute Ausschlußfrist nach § 12 StrEG 19S . Gemäß dieser Vorschrift kann ein Entschädigungsanspruch nicht mehr geltend gemacht werden, wenn seit dem Ablauf des Tages, an dem die Entschädigungspflicht rechtskräftig festgestellt ist, ein Jahr verstrichen ist, ohne daß ein Antrag nach § 10 Abs. 1 StrEG gestellt worden ist.
192 Meyer. Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 11 Rn. 12; dazu ausführlicher Meyer, JurBüro 1976, 147 ff. 193 Meyer, Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 11 Rn. 13a. 194 Meyer, Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 11 Rn. 7. 19~ Meyer, Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 11 Rn. 21; Schätzier, StrEG, § 11 Rn. 6.
168
2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
6. Belehrung
Gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 StrEG soll die Staatsanwaltschaft die Unterhaltsberechtigten, soweit sie bekannt sind, über ihr Antragsrecht und die Frist nach § 10 Abs. 1 StrEG belehren. Zweck der Vorschrift ist es, den Unterhaltsberechtigten die Geltendmachung des Entschädigungsanspruches nach § 11 Abs. 1 StrEG zu ermöglichen 196 . Die Belehrung ist für die Unterhaltsberechtigten insbesondere dann von Bedeutung, wenn ihnen unbekannt ist, daß ein Entschädigungsanspruch des Hauptberechtigten besteht 197 . Da der Gesetzgeber § 11 Abs. 2 S. 1 StrEG als "Soll-Vorschrift" formuliert hat, muß davon ausgegangen werden, daß der Staatsanwaltschaft lediglich ein geringer Ermessensspielraum zusteht und sie nur in wenigen Ausnahmefällen von einer Belehrung der Unterhaltsberechtigten absehen kann. Zu weitgehend erscheint daher die Auffassung, daß die Belehrung entbehrlich ist, wenn die Unterhaltsberechtigten im Haushalt des Hauptanspruchsberechtigten leben und keine Anzeichen dafür vorliegen, daß die Unterhaltsberechtigten von der Entschädigung, die dem Hauptberechtigten gewährt wird, ausgeschlossen sein werden 198. Ein solches Verständnis des § 11 Abs. 2 S. 1 StrEG führt unweigerlich dazu, daß eine Belehrung regelmäßig nur in den Fällen erfolgt, in denen die Staatsanwaltschaft ohnehin aufgrund der ihr bekannten Sachlage verpflichtet ist, einen Teil der Entschädigungsleistung gesondert an die Unterhaltsberechtigten auszuzahlen l99 . Wird das Ermessen, das die Vorschrift des § 11 Abs. 2 S. 1 StrEG einräumt, allzu weit ausgelegt, besteht die Gefahr, daß die Unterhaltsberechtigten, die sicherlich am besten einschätzen können, ob der Hauptanspruchsberechtigte sie an der Entschädigungsleistung teilhaben läßt oder nicht, übergangen werden. Da die Unterhaltsberechtigten möglicherweise leer ausgehen, wenn die Staatskasse die Entschädigungsleistung ausschließlich an den Hauptanspruchsberechtigten auszahlt, hätte dies weitreichende Konsequenzen.
196 Schätzler, StrEG, § 11 Rn. 5; Meyer, Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung. § 11 Rn. 17. 197 Meyer, Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 11 Rn. 17. 198 Meyer, Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, § 11 Rn. 20; Kleinknechtl Meyer-Goßner, StPO, § I1 StrEG Rn. 3. 199 Auch wenn der Gesetzgeber in § 11 StrEG nicht zwingend festgelegt hat. daß die Entschädigung in jedem Fall aufzuteilen und den einzelnen Berechtigten gesondert zu gewähren ist. so ist es doch nicht in das Belieben der Staatskasse gestellt, ob sie ausschließlich an den Hauptanspruchsberechtigten oder auch an die nach § 11 StrEG berechtigten Personen leistet, siehe Schätzier, StrEG, § 11 Rn. 4. Zu einer Auszahlung der Entschädigung an die Unterhaltsberechtigten ist die Staatskasse verpflichtet, wenn dies nach der Sachlage - z. B. weil die Familienmitglieder getrennt leben - und unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks geboten ist, siehe Schätzler, StrEG, § 11 Rn. 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 11 StrEG Rn. 2.
C. Entschädigungsleistungen
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11. Entschädigung nach allgemeinem Aufopferungsrecht 1. Allgemeines
Da die nachteiligen Auswirkungen der Freiheitsstrafe auf die Kinder und Ehepartner von Gefangenen nur in begrenztem Umfang durch allgemeine staatliche Leistungen ausgeglichen werden und § ll StrEG lediglich dann eingreift, wenn der Unterhaltspflichtige die Freiheitsstrafe zu Unrecht verbüßt, stellt sich die Frage, ob den Angehörigen von Inhaftierten ein Entschädigungsanspruch zustehen kann, der eine weitergehende Kompensation ihrer Nachteile gewährleistet. Grundlegend ist dabei die Überlegung, daß die Familienmitglieder des Delinquenten durch eine staatliche Zwangsmaßnahme beeinträchtigt werden und sie infolgedessen besondere Nachteile erleiden, die andere Bürger im Zusammenhang mit der Freiheitsstrafe nicht zu tragen haben. Da der Vollzug der Freiheitsstrafe im Interesse der Allgemeinheit erfolgt2OO und die Familienmitglieder des Straftäters weder "Veranlasser" noch "Begünstigte" der hoheitlichen Maßnahme sind, spricht viel dafür, daß die Allgemeinheit für die Nebenwirkungen der Freiheitsstrafe auf unbeteiligte Dritte im Sinne einer gesteigerten Verantwortlichkeit einzustehen hat. Um die Kinder und Ehepartner der Inhaftierten von der Drittwirkung der Freiheitsstrafe zu entlasten, kommt nach geltendem Recht lediglich eine billige und angemessene Entschädigung gemäß den gewohnheitsrechtlich anerkannten und in Anlehnung an §§ 74, 75 EinlALR entwickelten 201 Grundsätzen des allgemeinen Aufopferungsrechts in Betracht. Dem Versuch, haftbedingte Nachteile auf der Grundlage des allgemeinen Aufopferungsrechts auszugleichen, sind jedoch enge Grenzen gesetzt. Gewährt wird die allgemeine Aufopferungsentschädigung unter der Voraussetzung, daß eine hoheitliche, dem Allgemeinwohl dienende Maßnahme in ein immaterielles Recht bzw. Rechtsgut eingreift und dem Betroffenen dadurch ein besonderes - d. h. von anderen Bürgern oder anderen Personen in vergleichbarer Lage nicht zu tragendes - Opfer abverlangt wird 202 • Als immaterielle Rechtspositionen, deren Beeinträchtigung eine Sonderopferlage begründen kann, sind das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Gesundheit und Freiheit anerkannt 203 • Dem Allgemeinwohl dient die Maßnahme, wenn sie ihre Legitimation in der Wahrnehmung öffentlicher Interessen sucht; nicht erforderlich ist, daß sich aufgrund des be-
200 BGHZ 17, 172, 175; BGH NJW 1971, 1881, 1882; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 204; Walter, Strafvollzug, Rn. 48. 201 Vgl. BGHZ 9,83,85 f.; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. I; Palandt/Bassenge, BGB, Überbl v § 903 Rn. 50. 202 Vgl. BGHZ 9,83 ff.; 20, 81, 83; 25, 238 ff.; Ossenbühl, Staatshaftung, S. 134 ff.; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 8 ff.; Rüfner, in: Erichsen (Hrsg.), Allg. Verwaltungsrecht, § 48 Rn. 82; Palandt/Bassenge, BGB, Überbl v § 903 Rn. 51 f. 203 BGHZ 66, 118, 119; Ossenbühl, Staatshaftung, S. 131, 134; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 3, 12; Rüfner, in: Erichsen (Hrsg.), Allg. Verwaltungsrecht, § 48 Rn. 82; Palandt/Bassenge, BGB, Überbl v § 903 Rn. 50.
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
sonderen Opfers ein konkreter Vorteil für die Allgemeinheit ergibt204 . Der Aufopferungsanspruch ist Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens, wonach der einzelne für ein Sonderopfer, das ihm durch hoheitlichen Zwang unter Verletzung des Gleichheitssatzes im öffentlichen Interesse auferlegt wurde, eine billige Entschädigung von der Allgemeinheit erhalten so1l205. Liegt eine Sonderopferlage vor, heißt dies, daß die Allgemeinheit eine gesteigerte Verantwortung trägt und es nicht ausreichend ist, die Betroffenen auf die allgemeine Basisversorgung zu verweisen 206 . Anspruchsberechtigt ist grundsätzlich nur derjenige, der durch den staatlichen Eingriff unmittelbar in seinen Rechten beeinträchtigt ist207 . Bei bloß mittelbarer Betroffenheit kann der Drittschaden nur in Anbindung an die Rechte des unmittelbar Betroffenen und aufgrund einer besonderen Norm selbständig geltend gemacht werden208 . Da das Merkmal der Unmittelbarkeit im Rahmen des Aufopferungsrechts im Sinne einer unmittelbaren Betroffenheit, nicht aber als unmittelbare Verursachung zu verstehen ist209 , kann die Beeinträchtigung in eigenen Rechten auch durch den Adressaten der hoheitlichen Maßnahme "vermittelt" worden sein21O . Ausgehend vom staatlichen Eingriff in die Freiheit des Gefangenen (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) können die unterhaltsberechtigten Angehörigen nur als mittelbar Geschädigte erfaßt werden. Die Voraussetzungen eines Aufopferungsanspruchs müssen in diesem Fall in der Person des Gefangenen gegeben sein211 . Eine eigenständige entschädigungsrechtliche Erfassung der vom Strafvollzug betroffenen Angehörigen ist nur unter der Prämisse möglich, daß ein staatlicher Eingriff in die durch Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG verbürgte familiäre Lebenssphäre einen Aufopferungsanspruch begründen kann 212 , denn in bezug auf diesen Eingriff sind die Familienmitglieder des Inhaftierten unmittelbar in eigenen Rechten betroffen 213 . Da der Aufopferungsanspruch keinen gezielten Eingriff voraussetzt214 , ist es ohne Be204 BGHZ 36,379,388 f.; RGRK/Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 152; Ossenbühl, Staatshaftung, S. 136; ders., JuS 1970,276. lOS BGHZ 45, 59, 76. 206 Vgl. Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 111. 207 BGHZ 23, 235, 240; StaudingerlSchäfer, BGB, Vorbem. zu § 839 Rn. 30; RGRKI Kreft, BGB, vor § 839 Rn. 166; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 9. 208 Vgl. RGRKI Kreft, BGB, vor § 839 Rn. 166. 209 Vgl. dazu BGH NJW 1971, 1881, 1883; StaudingerlSchäfer, BGB, Vorbem. § 839 Rn. 30; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 9. 210 Dies belegt BGHZ 45,290 ff.: Die Klägerin, deren Tochter gegen Pocken erstgeimpft worden war, erkrankte an einer Augenentzündung, die zur Erblindung eines Auges führte, weil sie sich an dem ihrer Tochter verabreichten Impfstoff angesteckt hatte. Der BGH ging hier davon aus, daß die Mutter, die das Kind betreute, durch den Vollzug des Impfzwanges unmittelbar in eine Gefahrenlage gestellt war, und bejahte letztlich eine Aufopferungslage. 211 Dazu näher unter C. 11. 2. 212 Dazu näher unter C. 11. 3. 213 Siehe dazu im I. Kap. unter B. 11. 2.
C. Entschädigungsleistungen
171
lang, daß die Beeinträchtigung eine unbeabsichtigte Nebenfolge der Freiheitsstrafe ist. Da nach den Grundsätzen des allgemeinen Aufopferungsrechts nur Vermögensschäden (z. B. Heilungskosten, Verdienstausfall) ausgeglichen werden, die sich aufgrund eines hoheitlichen Eingriffs in eine immaterielle Rechtsposition ergeben haben 21S , kommt für die unterhaltsberechtigten Angehörigen von Gefangenen allenfalls ein Ausgleich ihrer materiellen Nachteile in Betracht. Die Nichtvermögensschäden, die die Kinder infolge des staatlichen Eingriffs in den immateriellpersönlichen Lebensbereich der Familie erleiden (Trennung vom Elternteil, Fremdplatzierung), lassen sich durch das derzeit geltende Aufopferungsrecht nicht ausgleichen. Die Beschränkung des Aufopferungsanspruchs auf Vermögensschäden entspricht dem in § 253 BGB normierten Grundsatz, wonach wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen (vgl. §§ 651 f. Abs. 2, 847, 1300 Abs. 1 a. F. BGB) gefordert werden kann216 . Dem Gedanken, die Kinder und Ehepartner durch Entschädigungsleistungen von der Drittwirkung der Freiheitsstrafe zu entlasten, steht eine verfassungsrechtliche Legitimation der Beeinträchtigungen nicht entgegen 217 • Ziel des Aufopferungsrechts ist die Kompensation gleichheitswidriger Belastungen218 • Diese können sich unabhängig davon ergeben, ob der zugrundeliegende staatliche Eingriff rechtmäßig oder rechtswidrig ist219 • Da rechtmäßige Beeinträchtigungen von den Betroffenen nicht abgewehrt werden können, kommt den Entschädigungsleistungen gerade in diesen Fällen eine besondere Bedeutung ZU220.
2. Die allgemeine Aufopferungsentschädigung unter dem Aspekt der mittelbaren Betroffenheit
Legt man den staatlichen Eingriff in die Freiheit des Gefangenen (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) zugrunde, durch den dessen Angehörige mittelbar betroffen wer214 StaudingerlSchäfer, BGB, Vorbem. § 839 Rn. 21; Palandt/Bassenge, BGB, Überbl v § 903 Rn. 51; Maurer, Allg. VelWaltungsrecht, § 27 Rn. 9; vgl. auch BGHZ 20,81 ff.; 45, 290 ff. 215 BGHZ 20, 61, 68; 45, 59, 77; RGRK/Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 164; Ossenbühl, Staatshaftung, S. 139; Maurer, Allg. VelWaltungsrecht, § 27 Rn. 15; Rüfner, in: Erichsen (Hrsg.), Allg. VelWaltungsrecht, § 48 Rn. 91. 216 Vgl. BGHZ 20,61,68 ff. 217 Vgl. dazu das 1. Kap. unter B. III. 218 BGHZ 9,83,90; 45, 59, 76. 219 BGHZ 45,59,77; Ossenbühl, Staatshaftung, S. 133; Maurer, Allg. VelWaltungsrecht, § 27 Rn. 4; RGRK/Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 148; Palandt/Bassenge, BGB, Überbl v § 903 Rn. 51; vgl. auch Rüfner, in: Erichsen (Hrsg.), Allg. VelWaltungsrecht, § 48 Rn. 84; Schenke, NJW 1991, 1777. 220 Vgl. BVerfGE 58,300,322 f.; Maurer, Allg. VelWaltungsrecht, § 27 Rn. 4.
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
den, kommt ein auf die Entschädigung ihres Unterhaltsausfalls gerichteter allgemeiner Aufopferungsanspruch lediglich dann in Betracht, wenn in der Person des Gefangenen als dem unmittelbar Betroffenen eine Aufopferungslage besteht. Diese kann nur angenommen werden, wenn dem Gefangenen ein Sonderopfer abverlangt wird. Eine solche Feststellung kann allerdings für den Regelfall nicht getroffen werden 221 . Auf die Frage, ob die Angehörigen ein Sonderopfer erbringen, kommt es - ebenso wie im Rahmen des § 11 StrEG - nicht an. Charakteristisch für das Vorliegen einer Sonderopferlage ist, daß der Bürger in Anbetracht eines staatlichen Eingriffs mit Nachteilen belastet wird, die über das hinausgehen, was der einzelne nach dem Willen der Rechtsordnung entschädigungslos hinzunehmen hat 222 • Bei allgemeinen staatlichen Zwangsmaßnahmen, zu denen auch der Freiheitsentzug aufgrund richterlicher Anordnung zählt223 , sind nach dem Willen der Rechtsordnung alle zwangstypischen Beeinträchtigungen entschädigungslos zu tragen 224 • Eine Sonderopferlage wird erst dann begründet, wenn der staatliche Eingriff zu atypischen Nachteilen führt und damit im Verhältnis zu anderen Betroffenen eine ungleiche Belastung eintritt 225 . Da die überwiegende Zahl der Gefangenen nicht am allgemeinen Erwerbsleben teilnehmen kann, gehören die damit verbundenen Belastungen (kein "normales" Einkommen, Verlust der familiären Funktion als Ernährer) zu den zwangstypischen Beeinträchtigungen, die vom Inhaftierten zu tragen sind 226 . Die Gefangenen unterliegen insofern einer einheitlichen Belastung; ein Sonderopfer erbringen sie nicht. Bei der Entscheidung, welche Belastungen von Strafgefangenen entschädigungslos zu tragen sind, spielt es eine Rolle, daß sich die Inhaftierten - von den wenigen Ausnahmen einer zu Unrecht erlittenen Strafhaft abgesehen - durch eigenes Verschulden in die Haftsituation gebracht haben 227 • Soweit der Betroffene die gegen ihn angeordnete Maßnahme in zurechenbarer Weise veranlaßt hat, kann die Allgemeinheit nicht zur Entschädigung der damit verbundenen Nachteile verpflichtet sein. Ihr sind in diesem Falle die Belastungen nicht zuzurechnen, denn es lag im Verantwortungsbereich des Betroffenen, seine Sonderlage zu vermeiden 228 . Einen Niederschlag hat der Aspekt der Veranlassung auch im StrEG gefunden 229 . Vgl. dazu den Exkurs unter C. IV. Vgl. BGHZ 9,83,92; 17, 172, 174 f.; 45, 290, 293 f.; 60, 302, 307 f.; BGH NJW 1971, 1881, 1882 f.; RGRKI Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 154; Staudinger I Schäfer, BGB, Vorbem zu § 839 Rn. 21; Ossenbühl, JuS 1970, 276, 277. 223 Palandtl Bassenge, BGB, Überbl v § 903 Rn. 52. 224 Vgl. Palandt/Bassenge, BGB, Überbl v § 903 Rn. 52; Ossenbühl, JuS 1970,276,277; RGRKI Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 155; Staudinger I Schäfer, BGB, Vorbem zu § 839 Rn. 21. m Vgl. Palandt I Bassenge, BGB, Überbl v § 903 Rn. 52; Ossenbühl, JuS 1970,276,277; RGRKI Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 155; Staudinger I Schäfer, BGB, Vorbem zu § 839 Rn. 21. 226 Vgl. BGHZ 60,302,308. 227 Vgl. BGHZ 17,172,175; 60, 302, 303 ff.; BGH NJW 1971, 1881, 1883. 228 Vgl. BGHZ 60, 302, 303 ff.; Palandt/Bassenge, BGB, Vor § 903 Rn. 52; RGRKI Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 157; Böing, Beiheft der ZStW 1974,73,85. 221
222
C. Entschädigungsleistungen
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So ist die Entschädigung ausgeschlossen, wenn und soweit der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat (§ 5 Abs. 2 S. I StrEG) oder dadurch verursacht hat, daß er einer ordnungsgemäßen Ladung vor den Richter nicht Folge geleistet oder einer Anweisung nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 3 StPO zuwidergehandelt hat (§ 5 Abs. 3 StrEG). Ferner kann die Entschädigung ganz oder teilweise versagt werden, wenn der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG). Wenn die Rechtsordnung bereits dem Inhaftierten, dessen Verurteilung keinen Bestand hatte, zumutet, den Freiheitsentzug und einen damit verbundenen Verdienstausfall zu tragen, weil er sich der Verurteilung nicht in der rechtlich zulässigen Weise entzogen hat, so muß die Ausgrenzung vom allgemeinen Erwerbsleben erst recht vom Gefangenen ohne Entschädigung hingenommen werden, wenn kein Fall vorliegt, der durch das StrEG erfaßt ist. Diese Schlußfolgerung spricht eindeutig dafür, daß der Inhaftierte, der seine Situation schuldhaft veranlaßt hat, kein Sonderopfer erbringt, wenn er infolge der Strafbaft einen Verdienstausfall erleidet. Doch selbst dann, wenn eine Sonderopferlage in der Person des Gefangenen gegeben wäre, könnte den unterhaltsberechtigten Angehörigen als (bloß) mittelbar Betroffenen kein eigener Aufopferungsanspruch zustehen, da ein Drittschaden nur aufgrund einer besonderen Norm eigenständig geltend gemacht werden kann und es an einer solchen Norm fehlt. Weder § 844 Abs. 2 BGB noch § 11 StrEG könnten analog angewandt werden, weil die Situationen nicht vergleichbar wären: Der Direktanspruch der Unterhaltsberechtigten gegen den Schädiger aus § 844 Abs. 2 BGB ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß die Tötung des Unterhaltspflichtigen keinen Raum für eine den Verdienstausfall umfassende Schadensersatzleistung (vgl. § 842 BGB) an den unmittelbar Verletzten läßt und für die Unterhaltsberechtigten damit keine Möglichkeit besteht, ihren Schaden durch einen Zugriff auf die Ersatzleistungen zu decken 2JO, wie es z. B. der Fall ist, wenn der Unterhaltspflichtige eine Körperverletzung erleidet 231 • Gerade diese Situation besteht aber nicht, wenn der Unterhaltspflichtige inhaftiert wird. Stünde dem Gefangenen ein allgemeiner Aufopferungsanspruch zu, so wäre er als unmittelbar Verletzter anspruchsberechtigt. Die Unterhaltsberechtigten könnten ihren Unterhaltsschaden im Verhältnis zum Inhaftierten geltend machen. Die Vorschrift des § l1 StrEG beruht auf dem Gedanken, daß den unterhaltsberechtigten Angehörigen die Entschädigung möglicherweise nicht zugute kommt, weil ihnen zu dem Zeitpunkt, in dem der UnVgl. BGHZ 60,302,305; Böing, Beiheft der ZStW 1974,73,85 f. Bezogen auf diese Situation beinhaltet § 844 Abs. 2 BGB ein allgemeines Prinzip, das nicht nur im Zivilrecht sondern auch im öffentlichen Recht gilt, vgl. dazu: § 618 Abs. 3 BGB, § 62 Abs. 3 HGB, § 10 StVG, § 5 HPflG, § 35 LufVG, § 28 AtG, §§ 86 Abs. 2, 89 Abs. I ArzneimitteIG, § 7 Abs. 2 ProdHaftG, § 51 Abs. 4 BScuchenG, § lAbs. 80EG. 231 Vgl. BGHZ 18,286,290 f.; BGH NJW 1986,984,985. 229
230
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
terhaltspflichtige durch die Entschädigungsleistung nachträglich die finanziellen Mittel erhält, die er für den Unterhalt seiner Angehörigen benötigt, oftmals kein Rechtsanspruch zur Seite steht, der eine Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber dem nach § 1 StrEG Entschädigungsberechtigten gewährleisten könnte 232 • Unterstellt, der Gefangene müßte in Anbetracht seines Verdienstausfalls entschädigt werden, könnte er bereits während der Haft, und zwar fortlaufend, einen Ausgleich in Form einer Geldrente verlangen 233 • Da es den Angehörigen in diesem Fall möglich wäre, ihre Unterhaltsansprüche zeitgleich geltend zu machen, würde die besondere von § 11 StVollzG erfaßte Situation nicht eintreten.
3. Die allgemeine Aufopferungsentschädigung unter dem Aspekt der Betroffenheit in eigenen Rechten
Der Versuch, ausgehend von der unmittelbaren Betroffenheit der Kinder und Ehepartner in ihren Rechten aus Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG einen eigenständigen Aufopferungsanspruch herzuleiten, begegnet zunächst der Schwierigkeit. daß die durch Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG geschützten Rechte weder als Schutzgüter i. S. d. Aufopferungsrechts anerkannt sind noch ausschließlich als immaterielle Rechtspositionen zu qualifizieren sind. Außerdem können Schäden. die infolge eines staatlichen Eingriffs in die Rechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG eintreten. materieller oder immaterieller Natur sein 234 • Da das allgemeine Aufopferungsrecht auf hoheitliche Eingriffe in (bestimmte) immaterielle Rechte und Rechtsgüter festgelegt ist und diese Eingriffe einen Vermögensschaden zur Folge haben müssen 23S • kann ein Aufopferungsanspruch der Angehörigen von Gefangenen aus eigener Rechtsbetroffenheit nur bestehen. wenn durch die Freiheitsstrafe der immateriell-persönliche Lebensbereich der Familie beeinträchtigt ist und sich daraus Vermögensnachteile ergeben. Dies ist jedoch regelmäßig nicht der Fall. Soweit die Kinder und Ehepartner von Inhaftierten in ihrem Recht auf materielle Unterstützung im Rahmen der Familie betroffen sind. liegt zwar ein Vermögensschaden vor. doch fehlt es an einem Eingriff in ein immaterielles Recht. Das Recht auf Unterhalt läßt sich beschreiben als eine nichteigentumsfähige vermögenswerte Position. die den Vermögenszuwachs zwecks Sicherung der wirtschaftlichen Existenz zum Inhalt hat. Um staatliche Eingriffe in das Recht auf Unterhalt aufopfeVgl. unter C. 1. 2. Die Aufopferungsentschädigung kann gewährt werden als Geldrente oder einmalige Kapitalleistung. siehe BGHZ 22. 43. 49; RGRK/Kreft. BGB. Vor § 839 Rn. 162; Palandtl Bassenge. BGB. Überbl v § 903 Rn. 54. 2:14 Vgl. dazu das I. Kap. unter B. 1. m Die Beschränkung auf bestimmte immaterielle Rechtsgüter ergibt sich im wesentlichen daraus. daß das geltende Aufopferungsrecht nur Vermögensschäden ersetzt und Eingriffe in immaterielle Rechtsgüter oftmals (nur) immaterielle Schäden zur Folge haben. Grundsätzlich ist der Katalog der immateriellen Rechtsgüter aber offen. vgl. BGHZ 45. 58. 76; 65. 196. 206; 66. 118. 119; Schenke. NJW 199 J, 1777. 1779 f. 232
233
c. Entschädigungsleistungen
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rungsrechtlich erfassen zu können, müßte auch das Vermögen ein Schutzgut des allgemeinen Aufopferungsrechts sein. Bislang ist dies jedoch nicht anerkanne 36 • Bezüglich der Kinder, die in ihrem Recht auf Pflege und Erziehung durch die Eltern (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) beeinträchtigt sind, ist festzustellen, daß sie in einem immateriellen Recht betroffen sind. Ein Aufopferungsanspruch scheidet jedoch deshalb aus, weil der staatliche Eingriff in diese immaterielle Rechtsposition die Entwicklung der Kinder beeinträchtigt und es sich dabei um einen immateriellen Schaden handelt, den das geltende Aufopferungsrecht grundSätzlich nicht ausgleicht. Lediglich unter der Voraussetzung, daß ein Kind die Kosten der Heimerziehung bzw. der Pfegeerziehung nach § 91 Abs. 1 und 5 SGB VIII selbst zu tragen hat, können sich aus dem hoheitlichen Eingriff in das immaterielle Recht Vermögensschäden ergeben, die einem aufopferungsrechtlichen Ausgleich zugänglich sind. Da Kinder jedoch i.d.R. weder erwerbstätig sind noch über eigenes Vermögen verfügen, handelt es sich insofern um einen seltenen Ausnahmefall. Den getroffenen Feststellungen zufolge bietet das geltende Aufopferungsrecht weder unter dem Aspekt der mittelbaren Betroffenheit noch unter dem Gesichtspunkt der Beeinträchtigung in eigenen Rechten einen gangbaren Weg, um die Nachteile der Angehörigen von Gefangenen angemessen zu entschädigen. Mithin verbleiben die besonderen Belastungen, welche die Freiheitsstrafe im familiären Bereich zur Folge hat, bei unbeteiligten Dritten. Aufgrund des negativen Befundes, den die Überlegungen zu einem Aufopferungsanspruch aus eigener Betroffenheit der Angehörigen ergeben haben, läßt sich jedoch die positive Aussage treffen, daß ein angemessener Ausgleich der Schäden im Rahmen eines erweiterten Aufopferungsrechts denkbar ist. Erforderlich wäre zum einen die Erweiterung der aufopferungsrechtlich geschützten Rechte bzw. Rechtsgüter auf nichteigentumsfahige vermögenswerte Rechtspositionen. Zum anderen müßten auch immaterielle Schäden, die aufgrund eines staatlichen Eingriffs in eine immaterielle Rechtsposition eintreten, vom Aufopferungsrecht erfaßt sein. Nur unter diesen Voraussetzungen besteht die Möglichkeit, die besondere Situation der Angehörigen von Gefangenen entschädigungsrechtlich zu erfassen, ohne daß das inhaftierte Familienmitglied im Mittelpunkt der Betrachtung steht.
111. Entschädigungsleistungen de lege ferenda 1. Das Erfordernis eines erweiterten Aufopferungsrechts
a) Erweiterung der aufopferungsrechtlich geschützten Rechtsgüter
Auch wenn eine Aufopferungsentschädigung am dringlichsten sein mag, wenn ein hoheitlicher Eingriff in das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Gesund23~
Vgl. Schenke. NJW 1991. 1777. 1786.
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
heit oder die Bewegungsfreiheit zu Vermögensschäden geführt hat, so ist doch eine Beschränkung auf diesen Kreis von Beeinträchtigungen keinesfalls zwingend 237 • In Anbetracht der Zielsetzung des Aufopferungsanspruchs, ungleiche Belastungen auszugleichen, spricht viel dafür, den Aufopferungsanspruch - über die bislang anerkannten Schutzgüter hinaus - auf alle grundrechtlichen Gewährleistungen, einschließlich der nichteigentumsfähigen vermögenswerten Rechtspositionen, auszudehnen 238 • Auf diese Weise ließe sich eine Effektivierung des Grundrechtsschutzes in den Fällen einer gleichheitswidrigen Beeinträchtigung erreichen 239 . Im übrigen könnte eine Lücke im Entschädigungsrecht geschlossen werden, die dadurch bedingt ist, daß der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff nur das Eigentum erfaßt und das Aufopferungsrecht auf (bestimmte) immaterielle Rechte und Rechtsgüter beschränkt ist 24o • Das Bedürfnis, diese Lücke zu schließen, ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, daß der BGH auch den - zunächst auf Art. 14 GG gestützten - Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff dem Rechtsgedanken der Aufopferung unterstellt hat und damit beide Entschädigungsinstitute dem Ziel dienen, ungleiche Belastungen zu kompensieren 241 . Die Einbeziehung nichteigentumsfähiger vermögenswerter Rechtspositionen in den Schutz des Aufopferungsrechts würde bedeuten, daß - entgegen der sonstigen Struktur des Aufopferungsanspruchs - die Verletzung des Rechtsgutes und der Vermögensschaden deckungsgleich wären. Dies sollte jedoch kein Grund sein, von einer Einbeziehung dieser Rechtspositionen abzusehen. Entscheidend muß sein, daß eine Aufopferungsentschädigung auch in diesen Fällen ihre ausgleichende Funktion erfüllen kann 242 . Des weiteren ist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des wirtschaftlichen Aspektes im Rahmen des geltenden Aufopferungsrechts hinzuweisen. Die gleichheitswidrigen Verletzungen immaterieller Rechtsgüter werden - so zumindest der Grundsatz - ausschließlich in ihren wirtschaftlichen Folgen kompensiert. Die Aufopferungsentschädigung, die in Form einer Geldrente gewährt werden kann, hat für den Verletzten und seine Familie oftmals eine unterhaltssichernde Funktion. In Anbetracht dessen kann es nicht überzeugen, wenn vermögenswerte Rechtspositionen vom Schutz des Aufopferungsrechts ausge-
237 Vgl. Schenke. NJW 1991. 1777 ff.; Maurer. Anm. zu SGH v. 7. 6. 1990. JZ 1991. 38. 39; Schulin. Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs. S. 9. 23K Vgl. Schenke. NJW 199 I. 1777. 178 I. 1786. Diskutiert wird insbesondere eine Erweiterung der immateriellen Rechtspositionen um das Grundrecht aus Art. 12 GG und das in Art. 2 Abs. I GG verankerte Persönlichkeitsrecht. vgl. dazu Rüfner. in: Erichsen (Hrsg.l. Allg. VerwaItungsrecht. § 48 Rn. 83; Maurer. Anm. zu SGH v. 7.6. 1990. JZ 1991. 38. 39; Maurer. Allg. VerwaItungsrecht. § 27 Rn. 3; Soujong. in: FS für Nick. S. 61. 66; Schenke. NJW 1991. 1777. 1779 ff. m Vgl. Schenke. NJW 1991. 1777. 1781. 240 Vgl. Schenke. NJW 1991. 1777. 1779. 1786. 241 Vgl. Schenke. NJW 1991. 1777. 1779. 1786; Maurer. Anm. zu SGH v. 7. 6. 1990. JZ 1991.38.39. 242 Vgl. Schenke. NJW 1991. 1777. 1786.
C. Entschädigungsleistungen
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schlossen sind. Dies gilt insbesondere, wenn sie - wie das Recht auf Unterhalt der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz dienen. Die Aufnahme des verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf Unterhalt in den Kreis der aufopferungsrechtlich geschützten Rechte und Rechtsgüter würde zu einer Aufhebung des abhängigen Ausgleich von Unterhaltsschäden im Aufopferungsrecht führen. Die Unterhaltsberechtigten könnten ihren Unterhaltsschaden, der auf einem hoheitlichen Eingriff beruht, aus eigenem Recht geltend machen, ohne daß es darauf ankäme, ob das Familienmitglied, das den hoheitlichen Eingriff veranlaßt hat, ein Sonderopfer erbringt. Staatliche Maßnahmen, die den Unterhaltspflichtigen z. B. in seinem Recht auf Leben, Gesundheit oder Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigen, wären gleichzeitig als Eingriff in das Grundrecht aus Art. 6 Abs. I GG aufopferungsrechtlich erfaßt, und zwar als Eingriff in den Rechtskreis eines jeden Familienmitgliedes. Eine solche Veränderung der bestehenden Rechtslage wäre zu begrüßen, denn der abhängige Ausgleich von Unterhaltsschäden behindert den Weg zu einer eigenständigen Erfassung der mitbetroffenen Familienmitglieder und führt letztendlich dazu, daß Schäden, die aufgrund einer im Interesse der Allgemeinheit liegenden staatlichen Maßnahme eintreten, bei unbeteiligten Dritten verbleiben. Daß das Zivilrecht den Unterhaltsschaden lediglich als Drittschaden ausgleicht (vgl. § 844 Abs. 2 BGB), sollte kein Grund sein, im Aufopferungsrecht an diesem ,,Modell" festzuhalten. Werden nämlich die Unterhaltsberechtigten, die infolge einer im öffentlichen Interesse liegenden staatlichen Maßnahme Nachteile erleiden, ebenso behandelt wie Unterhaltsberechtigte, deren Unterhaltsausfall auf das schädigende Verhalten eines privaten Dritten zurückzuführen ist, so bleibt unberücksichtigt, daß die jeweiligen Ausgangssituationen verschieden sind. Denn anders als der "private Schädiger", dem keine besondere Verantwortung gegenüber der Familie des Geschädigten obliegt, ist der Staat aus Art. 6 Abs. I GG verpflichtet, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern; dabei steht ihm jedes Familienmitglied mit eigenen, originären Rechten aus Art. 6 Abs. I GG gegenüber. In Anbetracht dessen wäre es sachlich gerechtfertigt, wenn das Aufopferungsrecht beim Ausgleich von Unterhaltsschäden einen anderen Weg als das Zivilrecht einschlägt.
b) Allfopferungsentschädigllng bei immateriellen Nachteilen Ebenso wie die Erfassung aller grundrechllich geschützter Positionen durch das Aufopferungsrecht könnte auch die Gewährung einer Aufopferungsentschädigung bei immateriellen Nachteilen den Rechtsschutz in Fällen gleichheitswidriger Belastung verbessern. Beim Ausgleich immaterieller Schäden ist jedoch zu berücksichtigen, daß Geldleistungen regelmäßig nur einen unvollkommenen Ausgleich herbeiführen können. Sie müssen daher als eine ,,Notlösung" gewertet werden, die zu ergreifen ist, wenn es nicht möglich war, den Schaden zu verhindern. 12 Gülle
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
Gegen die al1gemeine Anerkennung einer Entschädigung für Schmerzen und sonstige immaterielle Nachteile im Rahmen des Aufopferungsanspruchs wird angeführt, daß die Rechtsordnung diese Formen des Schadensausgleiches mit dem Gedanken der Genugtuung verbindet, die der Schädiger dem Verletzten in Anbetracht eines - vermeidbaren - schuldhaften Verhaltens schulde243 . Da der Aufopferungsanspruch nicht auf einer schuldhaften Schädigung beruhe, sei für den Ausgleich immaterieller Nachteile grundsätzlich kein Raum 244 • Unberührt von dieser Argumentation bleibt jedoch die Möglichkeit des Gesetzgebers, eine abweichende Regelung zu treffen 245 . Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Vorschrift des § 7 Abs. I und 3 StrEG246. Der Gesetzgeber ist in diesem Fall von dem Grundsatz, daß eine Aufopferungsentschädigung nur den materiel1en Schaden ausgleicht, abgerückt und hat demjenigen, der aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung seine Freiheit zu Unrecht eingebüßt hat, einen Anspruch auf Ersatz seines immateriel1en Schadens eingeräumt. Die Gewährung einer Aufopferungsentschädigung bei immateriel1en Nachteilen würde der Zielsetzung des Aufopferungsrechts, ungleiche Belastungen auszuräumen, entsprechen, denn ausgehend von dieser Zielsetzung besteht kein zwingender Grund, den Ersatz immaterieller Schäden auszuschließen. Dies gilt insbesondere für schwerwiegende ideelle Beeinträchtigungen, so z. B. erhebliche körperliche Verletzungen, die infolge eines staatlichen Eingriffs eintreten. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf das vom BVerfG wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes für nichtig erklärte StHG247 . Denn gemäß § 7 StHG sollte bei Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, der Gesundheit, der Freiheit oder einer schweren Verletzung der Persönlichkeit der Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, angemessen in Geld ersetzt werden 248 . Diese Regelung ist als ein Beleg dafür zu werten, daß der Gesetzgeber den Ersatz immateriel1er Schäden auch außerhalb einer verschuldensabhängigen Staatshaftung für erforderlich hielt 249 .
BGHZ 20, 61. 68. BGHZ 20, 61. 68. 245 Vgl. BGHZ 20, 61. 70; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 15. 246 Vgl. RGRK/Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 164. 247 Vgl. BVerfG 61. 149 ff. 248 Kritisch zur Beschränkung dieser Vorschrift auf bestimmte Rechtsgüter Schäfer, in: Schäfer I Bonk. Staatshaftungsgesetz, § 7 Rn. 10. 24q Vgl. Ossenbühl. Staatshaftung. S. 140. 243
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C. Entschädigungsleistungen
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2. Die Sonderopferlage der unterhaltsberechtigten Angehörigen
a) Zur grundsätzlichen Verantwortlichkeit der Allgemeinheit für die Angehörigenwirkung der Freiheitsstrafe
aa) Aspekt der Veranlassung Im Hinblick darauf, daß die Belastungen der Angehörigen von Inhaftierten nicht nur durch die staatliche Maßnahme bedingt sind, sondern sich auch auf die Straftat des Familienmitgliedes zurückführen lassen, ist zu erörtern, ob der Staat die Verantwortung für die Angehörigenwirkung der Freiheitsstrafe unter Hinweis auf die Straftat des Familienmitgliedes zurückweisen kann. Es handelt sich insofern um eine Überlegung zur Risikoverteilung zwischen Staat und Betroffenen. Dabei kann es jedoch nur darum gehen, ob sich die Angehörigen die Veranlassung ihrer Sondersituation durch das unterhaltspflichtige Familienmitglied entgegenhalten lassen müssen. Klar herauszustellen ist, daß die Angehörigen ihre Lage nicht selbst veranlaßt haben. Insbesondere hat der Ehepartner des Delinquenten die Situation nicht in der Weise (mit-)veranlaßt, daß er es unterließ, die Straftat zu verhindern. Zwar folgt aus § 1353 BGB die Pflicht, den Ehepartner von strafbaren Handlungen abzuhalten 2So , doch besteht diese Pflicht ausschließlich zum Schutz des Ehepartners und darf keinesfalls in dem Sinne verstanden werden, daß die Rechtsgüter Dritter vor dem eigenen Ehegatten zu schützen sind2sl . Ein solches Verständnis würde eine Art Sippenhaft begründen 2s2 . Im übrigen muß ins Gewicht fallen, daß eine Verletzung der ehelichen Pflichten aus § 1353 BGB grundsätzlich ohne Folgen bleibt 253 und ein jeder Ehepartner eigenverantwortlich handelt 2s4 . Ausgehend von der Feststellung, daß der Gefangene die gewöhnlichen Nachteile der Strafhaft, zu denen letztlich auch die Belastungen der Angehörigen zu zählen sind, nicht auf die Allgemeinheit abwälzen kann, weil er die Situation durch seine Straftat veranIaßt hat, mag der Gedanke naheliegen, der Staat könne sich auch gegenüber den mitbetroffenen Kindern und Ehepartnern auf die Verantwortlichkeit des Gefangenen berufen. Gegen eine solche Schlußfolgerung läßt sich jedoch ein2~O Gernhuber/Coester-WaItjen, Lehrbuch des Farnilienrechts, § 18 V 3; MK I Wacke, BGB. § 1353 Rn. 23; Soergell Lange. BGB. § 1353 Rn. 25; Palandtl Diederichsen, BGB, § 1353 Rn. 10. 2~ I OLG Stuttgart NJW 1986. 1767. 1768; Gernhuber I Coester-WaItjen. Lehrbuch des Familienrechts. § 18 V 3; MK/Wacke. BGB. § 1353 Rn. 23; Soergel/Lange, BGB, § 1353 Rn. 25; Schönke I Schröder I Stree. StGB. § 13 Rn. 53; LK/Jescheck, StGB. § 13 Rn. 43; Tröndle. in: Tröndle I Fischer. StGB. § 13 Rn. 6; Ranft. JZ 1987.908,909 ff.; Lilie, JZ 1991, 541. 543; a.A. noch BGH NJW 1953.591; BGHSt 6.322.323 f.; OLG Bremen, NJW 1957, 72.73; vgl. dazu auch Geilen. FamRZ 1961. 147. 157 ff. 252 MK/Wacke. BGB. § 1353 Rn. 23; Staudinger/Hübner, BGB, § 1353 Rn. 51; Schönke/SchröderlStree. StGB, § 13 Rn. 53; vgl. dazu auch Geilen, FamRZ 1961. 147. 157. 253 MK/Wacke. BGB. § 1353 Rn. 13. 254 Vgl. OLG Stuttgart NJW 1986. 1767. 1768 f.; Schönke/SchröderlStree. StGB, § 13 Rn. 53.
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
wenden, daß die Rechtsordnung keine familiäre Verantwortung in dem Sinne kennt, daß die gesamte Familie für das Verhalten eines Familienmitgliedes im Verhältnis zum Staat einzustehen hat. Vielmehr ist das Bemühen des Gesetzgebers festzustellen, bei der Gewährung bzw. Nichtgewährung staatlicher Leistungen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern zu differenzieren und diejenigen innerhalb der Familie zu schützen, die keine Veranlassung zu der hoheitlichen Maßnahme geben haben, aber dennoch - aufgrund der familiären Abhängigkeiten - mitbetroffen sind. So lassen die Regelungen der §§ 104 Abs. 2 SGB VI, 101 Abs. 2 S. 3 SGB VII (Teil-)Auszahlungen von Renten an die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner zu, obwohl dem Berechtigten der Bezug der Rente im Hinblick darauf versagt ist, daß er den Versicherungsfall bei einer Handlung erlitten hat, die nach strafgerichtlichem Urteil ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen ist. Des weiteren ist die Vorschrift des § 25 Abs. 3 BSHG anzuführen. Sie verpflichtet die Sozialhilfeträger für den Fall, daß mit einem Anspruchsausschluß nach § 25 Abs. 1 BSHG oder einer Anspruchskürzung nach § 25 Abs. 2 BSHG auf ein Fehlverhalten des Hilfeempfängers zu reagieren ist, die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die unterhaltsberechtigten Angehörigen des Hilfeempfängers soweit wie möglich zu venneiden. Folgt man diesen Ansätzen der Rechtsordnung, die dem Familienschutz in besonderer Weise Rechnung tragen, so heißt dies für die vorliegend zu treffende Entscheidung, daß der Vorwurf der Veranlassung auf den Inhaftierten zu beschränken ist 255 . Dabei stellt das Ergebnis, daß der Gefangene im Verhältnis zum Staat die Verantwortung für die gewöhnlichen Belastungen durch den Strafvollzug zu tragen hat, während der Staat gleichzeitig die Unterhaltsschäden der Angehörigen zu verantworten hat, keinen unauflösbaren Widerspruch dar. Denn der Staat kann den Unterhaltspflichtigen unter Hinweis auf seine Verantwortlichkeit im Wege des Regresses auf Kostenersatz in Anspruch nehmen (vgl. § 92a BSHG), wobei allerdings wiederum eine Beeinträchtigung der Familienmitglieder zu venneiden ist. Soweit sich die unterhaltsberechtigten Angehörigen im Rahmen des StrEG eine Veranlassung des Unterhaltspflichtigen entgegenhalten lassen müssen (vgl. § 5 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 StrEG und § 6 Abs. I S. I StrEG), kann dies vorliegend nicht richtungs weisend sein. Entsprechendes gilt für die Regelung des § 846 BGB, wonach den Unterhaltsberechtigten ein mitwirkendes Verschulden des Getöteten bei der Entstehung ihres - nach § 844 Abs. 2 BGB zu ersetzenden - Unterhaltsschadens anzurechnen ist. Die Anbindung der Unterhaltsberechtigten an die rechtliche Stellung des Unterhaltspflichtigen beruht darauf, daß sie lediglich als mittelbar Geschädigte erfaßt sind und sie daher ihre Rechte vom unmittelbar Betroffenen herleiten müssen. In diesem Fall kann eine Anspruchsberechtigung nur insofern entm Ein Widerspruch zu der im I. Kap. unter B. III getroffenen Feststellung, wonach sich die Familienmitglieder das Interesse der Allgemeinheit am sichernden Einsatz der Freiheitsstrafe entgegenhalten lassen müssen. ergibt sich daraus nicht. Denn es macht einen Unterschied. ob den Angehörigen ein Interesse der Allgemeinheit oder die Straftat entgegengehalten wird. die ein Familienmitglied begangen hat.
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stehen, als auch der unmittelbar Verletzte - handelte es sich um seine Ansprüche Schadensersatz verlangen könnte 256 . Die vorliegenden Überlegungen gehen jedoch von der unmittelbaren Betroffenheit der unterhaltsberechtigten Angehörigen als Grundlage eigener Ansprüche aus. In Anbetracht dessen besteht kein Grund, die Rechte der Unterhaltsberechtigten in der Weise zu beschränken, daß ihnen die Straftat ihres Familienmitgliedes, die den Anlaß zur Stratbaft gegeben hat, entgegenzuhalten ist. Eine andere Sicht der Dinge kann auch der Umgang des Zivilrechts mit den sog. Schockschäden, die jemand beim Tod oder einer schweren Verletzung eines Angehörigen erleidet, nicht nahelegen. Die Fälle des Schockschadens sind der hier behandelten Problematik insofern ähnlich, als auch die Schockgeschädigten durch die Fernwirkung eines Ereignisses in eigenen Rechten beeinträchtigt werden. Die h.M?57 geht trotz der Betroffenheit in eigenen Rechten davon aus, daß sich der Schockgeschädigte das Mitverschulden des Angehörigen am Unfall analog § 254 BGB anrechnen lassen muß. Zur Begründung wird die besondere persönliche Beziehung zum Unfallopfer angeführt, ohne die es nicht zu der psychisch vermittelten Schädigung gekommen wäre 258 . Einer Übertragung dieses Ansatzes auf die Fälle haftbedingter Unterhaltsschäden steht zum einen die besondere Verpflichtung des Staates aus Art. 6 Abs. 1 GG entgegen. Mag es noch angehen, die Familie im Verhältnis zu einem privaten Schädiger als Einheit zu betrachten, weil diesem keine besondere Verpflichtung gegenüber den Familienmitgliedern des Geschädigten obliegt, so kann dies nicht mehr hingenommen werden, wenn der Staat durch eine hoheitliche Maßnahme in die Rechte eines jeden Familienmitgliedes aus Art. 6 Abs. 1 GG eingreift, obwohl nur einer aus der Familie eine Veranlassung gegeben hat. Zum anderen kann die von der h.M. getroffene zivilrechtliche Wertung nicht überzeugen, so daß ihr auch aus diesem Grunde keine Vorbildfunktion zukommen sollte. Ansatzpunkt der Kritik ist die analoge Anwendung des § 254 BGB. Da die Vorschrift des § 254 BGB auf ein eigenes Mitverschulden des Geschädigten und damit auf ein von diesem beherrschbares Verhalten abstellt, werden die Grenzen einer zulässigen Analogie überschritten, wenn dem Schockgeschädigten in entsprechender Anwendung des § 254 BGB ein Verhalten zugerechnet wird, das von ihm nicht zu beeinflussen war259 . Außerdem wird zurecht kritisiert, daß die Wertung der h.M. zu einer Belastung eines Unschuldigen und zu einer Entlastung eines Schuldigen führt 260 .
256
V gl. Staudinger I Schäfer, BGB, § 844 Rn. 20.
m BGHZ 56, 163 ff.; MK/Grunsky, BGB, § 254 Rn. 6; Palandt/Thomas, BGB, § 846 Rn. 2; a.A. Selb, Anm. zu BGH v. 11. 5. 1971, JZ 1972, 124 ff.; Deubner, JuS 1971,622 ff. m Vgl. BGHZ 56, 163, 179 ff. 259 Vgl. Selb, Anm. zu BGH v. 11. 5.1971, JZ 1972, 124 ff.; Deubner, JuS 1971,622,625. 260 Deubner, JuS 1971, 622, 626.
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
bb) Kein allgemeines Lebensrisiko Ebenso wie die Allgemeinheit nicht für Sonderlagen eintreten muß, die der Betroffene selbst veranIaßt hat, entfällt die Verantwortung der staatlichen Gemeinschaft auch dann, wenn sich im Rahmen der hoheitlichen Maßnahme lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht hat 261 . In diesem Fall sind die Beeinträchtigungen dem Staat nicht zuzurechnen. Der Betroffene hat Nachteile dieser Art selbst zu tragen 262 . Hintergrund ist insofern, daß das rein persönliche Schicksal nicht zum Gegenstand ausgleichbarer Rechtsverluste werden so1l263. Die Wirkungen, die eine Freiheitsstrafe auf die Kinder und den Ehepartner des Inhaftierten hat, unterfallen nicht dem allgemeinen Lebensrisiko. Vielmehr realisiert sich eine dem Staat zurechenbare Gefahrenlage. Vom allgemeinen Lebensrisiko umfaßt sind Schädigungen, die nicht auf einer durch die hoheitliche Maßnahme neu geschaffenen Gefahrenlage beruhen, sondern auf der Grundlage einer vorgegebenen, auch ohne die hoheitliche Maßnahme bestehenden Risikolage schicksalhaft eintreten 264 . Unerheblich ist, daß auch bei Schädigungen, die dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen sind, eine kausale Beziehung zur hoheitlichen Maßnahme besteht 265 . Charakteristisch ist allerdings der lose Zusammenhang zwischen staatlicher Maßnahme und Schädigung266 . In den Fällen, in denen sich das allgemeine Lebensrisiko konkretisiert, treten die Nachteile lediglich im Rahmen der hoheitlichen Maßnahme ein, und zwar, ohne daß von seiten des Staates das Risiko wesentlich erhöht worden ist267 . Neben Arbeitslosigkeit, Leistungsunwilligkeit, Krankheit und Tod stellt die Inhaftierung des Unterhaltspflichtigen eine mögliche Gefahrenlage für die unterhaltsberechtigten Angehörigen dar. Realisiert sich diese Gefahrenlage, dann sind die Belastungen der Unterhaltsberechtigten auf das engste mit der hoheitlichen Maßnahme verbunden. Der Lebenssachverhalt, der zum Ausfall des Unterhaltes führt, ist nur in Verbindung mit der Inhaftierung des Familienmitgliedes denkbar, nicht aber als ein Ereignis, das - in Anbetracht der abhängigen Lebensstellung der Unterhaltsberechtigten - lediglich zufallig im Zusammenhang mit der staatlichen Vollzugsmaßnahme eintritt. Die Angehörigenwirkung der Freiheitsstrafe kann mithin nicht dem aIlgemeinen Lebensrisiko zugeschrieben werden. Vielmehr ist davon
26\ Vgl. BGHZ 46, 327 ff.; Ossenbühl, JuS 1970, 276 ff.; Rüfner, in: Erichsen (Hrsg.), Allg. Verwaltungsrecht, § 48 Rn. 87; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 14; RGRKI Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 156; Staudinger I Schäfer, BGB, Vorbem. zu § 839 Rn. 22. 262 Vgl. BGHZ 46,327,330; Ossenbühl, JuS 1970,276,277. 263 Vgl. RGRKI Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 156. 264 Vgl. BGHZ 46, 327, 330; Staudinger I Schäfer, BGB, Vorbern. zu § 839 Rn. 22. 265 Vgl. Staudingerl Schäfer, BGB, Vorbern. zu § 839 Rn. 22. 266 Vgl. BGHZ 46,327,330. 267 Vgl. BGHZ 46, 327, 330; Rüfner, in: Erichsen (Hrsg.), Allg. Verwaltungsrecht, § 48 Rn. 87.
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auszugehen, daß der Staat mit der Inhaftierung des Unterhaltspflichtigen eine neue Risikolage für dessen unterhaltsberechtigte Angehörige schafft. Für diese Wertung spricht im übrigen der Einfluß, den Vollzugsentscheidungen auf die unterhaltsrechtliche Situation der Angehörigen haben. Während z. B. die Gestattung von Freigang in Verbindung mit der Genehmigung eines freien Beschäftigungsverhältnisses Unterhaltszahlungen des Inhaftierten ermöglicht, schließt die Verrichtung von Gefangenenarbeit die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit regelmäßig aus. Eine Situation, die in dieser Weise von staatlichen Einflüssen abhängig ist, wird wohl kaum als schicksalhaft zu bezeichnen sein. Von Nachteilen, die lediglich zufällig und nur bei Gelegenheit der staatlichen Maßnahme eintreten, ohne daß staatlicherseits das Risiko wesentlich erhöht worden ist, kann nicht die Rede sein. Ferner läßt es sich nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbaren, wenn die Betroffenheit durch eine hoheitliche Maßnahme, die gezielt einer anderen Person gilt, dem allgemeinen Lebensrisiko zugerechnet wird.
b) Das Überschreiten der allgemeinen Opjergrenze
Bei der Entscheidung, ob die Angehörigenwirkung der Freiheitsstrafe die Grenze dessen überschreitet, was der einzelne im Interesse der Allgemeinheit entschädigungslos hinzunehmen hat, ist davon auszugehen, daß die Angehörigen des Gefangenen ebenso unbeteiligte Dritte sind wie jeder andere auch, der die Straftat nicht begangen hat. Daß sie mit dem Straftäter eine Familie bilden, vermag keine Differenzierung zu rechtfertigen, denn in bezug auf die Wirkungen einer Strafe kann es nur vertretbar sein, nach Straftätern und ,,Nicht-Tätern" zu unterscheiden. Jede andere Wertung würde einer ..Sippenhaftung" Vorschub leisten, die es gerade zu vermeiden gilt. Die unterhaltsrechtliche Beziehung zum Delinquenten ist lediglich der Grund für die Mitbetroffenheit der Angehörigen. So wie ausschließlich derjenige durch einen ..Querschläger" verletzt oder getötet werden kann, der sich in räumlicher Nähe zu der Person befand, der der Schußwaffengebrauch galt, können auch nur Personen, die in einem rechtlichen oder persönlichen Verhältnis zum Straftäter stehen, durch dessen Strafe mitbetroffen werden. Wäre der Umstand, der die Drittbetroffenheit auslöst, gleichzeitig ein Anknüpfungspunkt, um dem Geschädigten ein besonderes Opfer abzuverlangen, könnten ungleiche Belastungen, die auf einer Drittbetroffenheit beruhen, grundsätzlich keinen Aufopferungsanspruch begründen. Dies ist jedoch - wie die Rechtsprechung zeigt 268 - nicht der Fall. Unter welchen Voraussetzungen die Grenze zum entschädigungspflichtigen Sonderopfer überschritten wird, ist vorrangig durch Auslegung der Rechtsordnung zu ermitteln 269 • Bezüglich der Frage, ob und in welchem Umfang die NebenwirkunVgl. BGHZ 20,81 ff.; 45, 290 ff. BGHZ 17, 172, 175; BGH NJW 1963, 1828, 1830; BGH NJW 1971, 1881, 1883; RGRK/Kreft, BGB. Vor § 839 Rn. 154. 268 269
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
gen einer Freiheitsstrafe auf unbeteiligte Dritte als Sonderopfer zu entschädigen sind, kann der Rechtsordnung keine eindeutige Antwort entnommen werden. Insbesondere läßt die Ausrichtung der Freiheitsstrafe auf den rechtswidrig und schuldhaft handelnden Straftäter nicht den Schluß zu, der Staat habe für alle Benachteiligungen, die bei Dritten infolge der Freiheitsstrafe eintreten, eine Entschädigung zu leisten. Daß es sich um unbeabsichtigte Beeinträchtigungen handelt, reicht als solches nicht aus, um ein entschädigungspflichtiges Sonderopfer zu begründen. Soweit sich der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den Arbeiten zum StVollzG dem Problem der Drittwirkung zugewandt hat, steht der Aspekt der Vermeidung im Vordergrund. In welcher Weise mit den nicht abwendbaren Drittwirkungen der Freiheitsstrafe umzugehen ist, bleibt letztlich offen. Indem der Gesetzgeber die unvermeidbaren materiell-wirtschaftlichen Folgen der Strafhaft zu den Lasten zählt, "die als Nebenfolgen des Vollzuges der Freiheitsstrafe von den Betroffenen getragen werden müssen, sofern nicht in besonderen Regelungen hierfür ein Ausgleich gefunden werden kann,mo, stellt er nicht abschließend fest, daß die sekundären Wirkungen der Freiheitsstrafe von Dritten entschädigungslos zu tragen sind. Vielmehr weist er gerade auf die Möglichkeit eines Ausgleiches hin. Im übrigen ist weder dem StrEG noch der Regelung des § 456 StPO ein klärender Hinweis auf eine Opfergrenze zu entnehmen. Das StrEG setzt bezüglich der Angehörigenwirkung der Freiheitsstrafe keine Maßstäbe, da es in seiner Konzeption auf den Adressaten einer Strafverfolgungsmaßnahme ausgerichtet ist und der Entschädigungsanspruch der Unterhaltsberechtigten aus § 11 StrEG lediglich ein Annex ist, dem keine eigenständige Erfassung der Angehörigensituation zugrundeliegt. Die Vorschrift des § 456 StPO thematisiert zwar die Wirkungen einer Kriminalstrafe auf die Familie des Verurteilten, doch geht es um die Vermeidung der Nebenfolgen unter der Voraussetzung, daß ein maximal viermonatiger Vollstreckungsaufschub Abhilfe schaffen kann. Da es nicht möglich ist, anhand der geltenden Rechtsordung eine Opfergrenze zu bestimmten, muß darauf abgestellt werden, wo nach allgemeiner Überzeugung, d. h. nach dem vernünftigen Urteil aller billig und gerecht Denkenden, die Opfergrenze liegt 271 . Entscheidend ist dabei, was eine Gemeinschaft, die ihre verfassungsrechtliche Ordnung in einem sozialen Rechtsstaat gefunden hat, dem Einzelnen entschädigungslos zumuten kann und will 272 . Zu den Nachteilen, die die Kinder und der Ehepartner eines Gefangenen entschädigungslos zu tragen haben, ist die (bloße) Trennung vom verurteilten Familienmitglied zu zählen. Die Ausgrenzung des Gefangenen liegt in der Natur der Strafhaft und trifft außer den Familienmitgliedern auch andere Personen, die in einer persönlichen Beziehung zum Verurteilten stehen (Freunde, nichteheliche LeBT-Drs. 7/918, S. 68. BGHZ 17, 172, 175; BGH NJW 1963, 1828, 1830; BGH NJW 1971, 1881, 1883; RGRKI Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 154. 212 BGHZ 31,187,191; RGRK/Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 154. 270 271
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benspartner). Auch wenn die Trennung der Familienmitglieder in Anbetracht der grundrechtlichen Verbürgung des Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG eine besondere Qualität hat, so kann doch nicht von einer wesentlichen Ungleichheit im Verhältnis zu anderen Personen ausgegangen werden. Vielmehr wird die Trennung vom Delinquenten jedem zugemutet, der mit dem Inhaftierten in Kontakt treten möchte. Die Grenze dessen, was den Familienmitgliedern des Gefangenen im Interesse des Rechtsgüterschutzes entschädigungslos zumutbar ist, wird allerdings dann überschritten, wenn die Angehörigen von Inhaftierten - zusätzlich zur Trennung vom Familienmitglied - ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage verlieren und fortan auf das nach BSHG zu gewährende Existenzminimum angewiesen sind oder die Kinder auf die Pflege und Erziehung durch die vertraute Bezugsperson verzichten müssen. Es handelt sich insofern um erhebliche Beeinträchtigungen, die andere Bürger nicht im Zusammenhang mit der Freiheitsstrafe zu tragen haben. Die Erheblichkeit der Beeinträchtigung ergibt sich daraus, daß die genannten Belastungen das bisherige Leben grundlegend verändern und es wesentlich erschweren. Soweit sich für die Angehörigen ein Absinken ihres Lebensstandards ergibt, entspricht die Drittwirkung der Freiheitsstrafe sogar den primären Wirkungen einer Geldstrafe. In Anbetracht dessen sollte kein Zweifel bestehen, daß auch die wirtschaftlichen Belastungen, die Angehörige in folge der Strafhaft ihres Familienmitgliedes zu tragen haben, gewichtig sind. Das, was einem Delinquenten als (Geld-) Strafe auferlegt wird, kann keine außer acht zu lassende Benachteiligung sein, wenn sie im Zusammenhang mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe auftritt und unschuldige Dritte trifft. Neben der Erheblichkeit der Beeinträchtigung spricht eine besondere Schutzwürdigkeit der betroffenen Personen für ein entschädigungspflichtiges Sonderopfer. Die besondere Schutzwürdigkeit der unterhaltsbedürftigen Angehörigen ergibt sich aufgrund ihrer abhängigen Lebensstellung. Daß Unterhaltsberechtigte in ihrer materiell-wirtschaftlichen Abhängigkeit zu schützen sind, ist von der Rechtsordung anerkannt. Zu nennen sind z. B. die Regelungen der § 170 Abs. 1 StGB, § 850d ZPO, § 48 SGB I, § 844 Abs. 2 BGB. Diese Vorschriften sollen Unterhaltsschäden vermeiden, wobei sowohl der Schutz der Unterhaltsberechtigten vor einer Gefährdung ihres Lebensunterhalts als auch das Interesse der Allgemeinheit, nur in berechtigten Fällen für den Lebensunterhalt einzelner aufzukommen, eine Rolle spielt 273 . Außer Frage steht des weiteren, daß Kinder des Schutzes und der Hilfe
273 Nach heute allgemein vertretener Auffassung dient die Vorschrift des § 170 Abs. 1 StGB in erster Linie dem Schutz der Unterhaltsberechtigten vor einer Geflihrdung ihres Lebensbedarfs, siehe BVerfGE 50, 142, 153; BGHSt 12, 166, 169; 26,111, 116; BGHZ 28,359, 365 ff.; Fischer, in: Tröndle/Fischer, StGB, § 170 Rn. I; LK/Dippel, StGB, § 170b Rn. 3; Schönke I Schröder I Lenckner, StGB, § 170b Rn. I. Für § 850d ZPO gilt, daß diese Regelung dem besonderen Interesse der Unterhaltsgläubiger an der Deckung ihres Lebensbedarfs Rechnung trägt und darüber hinaus auch das Interesse der Allgemeinheit an einer sparsamen Verwendung der öffentlichen Mittel wahrt, siehe Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 850d Rn. I; Brox I Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 568. Die Vorschrift des § 48 SGB I soll den
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
bedürfen, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln 274 • Im Hinblick auf die besondere Schutzwürdigkeit unterhaltsbedürftiger Personen widerspricht es billigem und gerechtem Denken, wenn Unterhaltsschäden, die durch staatliche Maßnahmen ausgelöst werden, von den Betroffenen entschädigungslos hinzunehmen sind. Denn gerade in bezug auf Personen, deren Schutz ein hoheitliches Anliegen ist, kann nicht davon ausgegangen werden, daß die staatliche Gemeinschaft ihnen besondere Opfer im Interesse der Allgemeinheit abverlangen will. Der Staat würde die Unterhaltsberechtigten einerseits vor Schäden bewahren, sofern diese durch das Verhalten des Unterhaltspflichtigen (vgl. § 170 Abs. 1 StGB, § 850d ZPO, § 48 SGB I) oder eines Dritten (vgl. § 844 Abs. 2 BGB) bedingt sind, und ihnen andererseits Unterhaltsschäden zumuten, wenn diese im Zusammenhang mit einer hoheitlichen Maßnahme eintreten. Ein solches Ergebnis kann nicht sachgerecht sein. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, der Schutz unterhaltsrechtlicher Belange erfolge ausschließlich, um die Allgemeinheit vor finanziellen Lasten zu bewahren. Der Widerspruch zwischen Schutz einerseits und Belastung andererseits zeigt sich massiv, wenn Kinder im Zusammenhang mit der Anordnung einer Freiheitsstrafe auf die Pflege und Erziehung durch die vertraute Bezugsperson verzichten müssen. Denn grundsätzlich kommt eine Trennung des Kindes von den Eltern nur in Betracht, wenn dies dem Wohl des Kindes entspricht (vgl. Art. 6 Abs. 2 und 3 GG). Im Falle einer haftbedingten Trennung des Kindes vom betreuenden Elternteil werden dem Kind hingegen schwere Belastungen zugemutet, die seinem Wohl in besonderer Weise abträglich sind. An einem entschädigungspflichtigen Sonderopfer sollten daher keine Zweifel bestehen. Daß andere Personen, ebenso wie die Kinder und Ehepartner von Gefangenen, unverschuldet in Not geraten, so z. B. weil ein unterhaltspflichtiges Familienmitglied langfristig erkrankt oder dauerhaft arbeitslos wird, kann kein Grund sein, die Drittwirkung der Freiheitsstrafe in den Bereich dessen zu verweisen, was vom Bürger entschädigungslos hinzunehmen ist. Sowohl im Aufopferungsrecht als auch im Recht der sozialen Entschädigung entscheidet eine Bewertung der Schadensentstehung über die Frage, ob, wie und in welchem Umfang ein Schaden auszugleichen ist (Kausalitätsprinzip)275. Gleiche Zustände erfahren damit keine gleiche, sondern je nach den Umständen ihrer Entstehung eine unterschiedliche Behandlung276 • Beunterhaltsberechtigten Familienmitgliedern des Leistungsberechtigten zeitraubende Prozesse und Pfändungen ersparen, siehe Hauck, SGB I, § 48 Rn. I. Neben diesem Zweck wird man allerdings auch ein öffentliches Interesse annehmen können, denn Unterhaltsberechtigte, die ihren Lebensbedarf nicht aufgrund einer Geldleistung i. S. d. § 48 Abs. I SGB I (z. B. Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung) decken können, sind letztlich auf Sozialhilfeleistungen angewiesen. Für § 844 Abs. 2 BGB als einer bürgerlich-rechtlichen Schadensersatznorm ist davon auszugehen, daß sie dem Interesse der Unterhaltsberechtigten dient, vgl. Staudinger / Schäfer, BGB, § 844 Rn. 42. 274 Vgl. BVerfGE 57,361,383. 275 Vgl. Gitter/Schnapp, JZ 1972,474,478; Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 126 ff.; Rüfner, Gutachten rur den 49. DJT, E 19 f.
C. Entschädigungsleistungen
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zogen auf die Belastungen, die Angehörige infolge der Strafe ihres Familienmitgliedes erleiden, bedeutet dies, daß nicht die Tatsache der Notsituation, sondern der staatliche Eingriff im Interesse der Allgemeinheit ausschlaggebend ist.
3. Art und Umfang der Entschädigungsleistungen
a) Materielle Schäden
Nach den allgemeinen Grundsätzen des Aufopferungsrechts ist eine angemessene und billige Entschädigung zu leisten, wobei der angemessene Ausgleich hinter dem vollständigen Ersatz des Schadens zurückbleiben kann 277 • Möglich ist nicht nur eine einmalige Entschädigungsleistung, sondern auch die Gewährung einer Geldrente 278 • Für die unterhaltsberechtigten Angehörigen des Inhaftierten, die ein de lege ferenda entschädigungspflichtiges Sonderopfer erbringen, bedeutet dies, daß sie während der Haftzeit in Form einer monatlichen Geldrente entschädigt werden könnten, die Allgemeinheit aber nicht verpflichtet wäre, den jeweils bestehenden Lebensstandard aufrechtzuerhalten 279 • Da die Entschädigungsleistungen nur während der Haftzeit des Unterhaltspflichtigen zu leisten wären, ist nicht zu befürchten, daß sie dem Straftäter zugute kommen. Der im Recht der Opferentschädigung relevante Gedanke, daß eine Entschädigung nach § 2 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 OEG wegen Unbilligkeit zu versagen ist, weil Täter und Opfer in häuslicher Gemeinschaft leben und die Entschädigungsleistungen daher auch dem Tater zum Vorteil gereichen könnten 28o, kommt folglich nicht zum Tragen. Im Hinblick darauf, daß der Aufopferungsanspruch einen staatlichen Eingriff voraussetzt, könnten nur die Nachteile entschädigt werden, die kausal auf die Inhaftierung des Unterhaltspflichtigen zurückzuführen sind. Auszugrenzen wären damit all jene Belastungen, die auch ohne die staatlichen Straf- und Strafverfolgungsmaßnahmen eingetreten wären. Eine wesentliche Rolle würden hier die Nachteile spielen, die sich für die unterhaltsberechtigten Angehörigen unmittelbar aufgrund der Straftat des Unterhaltspflichtigen ergeben hätten. Insofern käme es entscheiSo die treffende Formulierung bei Gitter I Schnapp, JZ 1972,474,478. BGHZ 9, 83, 93; 20, 81, 83; 45, 58, 77; Ossenbühl, Staatshaftung, S. 139; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 16; RGRK I Kreft, Vor § 839 Rn. 162; Palandt I Bassenge, Überbl v § 903 Rn. 54. 278 Vgl. BGHZ 22, 43, 49; Ossenbühl, Staatshaftung, S. 139; RGRK/Kreft, BGB, Vor § 839 Rn. 162; PalandtlBassenge, BGB, Überbl v § 903 Rn. 54. 279 Vgl. dazu auch Rüfner, Gutachten für den 49. DJT, E 31. 280 Vgl. dazu BSGE 49, 104, \09; Kunz/Zellner, OEG, § 2 Rn. 3, 11; Schoreit/Düsseldorf, OEG, § 2 Abs. 1 Rn. 29 ff.; Schoreit, Entschädigung der Verbrechensopfer als öffentliche Aufgabe, S. 60; Röhme1, JA 1977, 39,44; von Hippe\, ZRP 1971, 5,6; Rüfner, NJW 1976, 1249, 1250. 276 277
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
dend darauf an, ob die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Straftat oder durch die Strafhaft bzw. die Untersuchungshaft bedingt war281 . Für den Fall einer straftatbedingten Kündigung wäre zu prüfen, ob und in weIchem Umfang der Delinquent einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. -hilfe gehabt hätte, und wie sich seine Chancen dargestellt hätten, trotz der Straftat eine neue Arbeitsstelle zu finden. Keinesfalls sind Unterhaltsschäden auszugleichen, die dadurch bedingt sind, daß der Unterhaltspflichtige infolge seiner Inhaftierung an rechtswidrigen und sittenwidrigen Geschäften gehindert ist, die zuvor den Lebensstandard der Familie gewährleisteten. Eine solche Entschädigung wäre im höchsten Maße unbillig. Auch die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner können insofern keinen Schutz genießen. Die Subsidiarität des Aufopferungsanspruchs 282 legt den Gedanken nahe, daß eine Aufopferungsentschädigung nur insoweit zu gewähren ist, als der Schaden nicht durch die Unterhaltsersatzleistungen nach UVG und BSHG abgedeckt ist. Auch wenn die Allgemeinheit den haftbedingten Unterhaltsschaden auf diese Weise teilweise übernimmt, so wird man doch die Leistungen nach UVG und BSHG nicht zu den Leistungen zählen können, die eine Entschädigung gemäß den Grundsätzen des Aufopferungsrechts verdrängen. Sie sind ihrerseits subsidiär und greifen erst ein, wenn der Unterhalt nicht anderweitig zu erlangen ist (vgl. § 1 UVG, § 2 Abs. 1 BSHG). Des weiteren sollte die Aufopferungsentschädigung nicht hinter den Unterhaltsleistungen eines Ersatzhaftenden (§§ 1607, 1608 BGB) zurücktreten, denn es kann nicht angehen, daß die Allgemeinheit durch Leistungen einzelner von ihrer gesteigerten Verantwortung für haftbedingte Unterhaltsschäden entlastet wird (vgl. § 843 Abs. 4 BGB). Weder die Unterhaltsberechtigten noch deren Verwandte sollten die Drittwirkung der Freiheitsstrafe zu tragen haben.
b) Immaterielle Schäden
Geht man von einem auf der Rechtsfolgenseite erweiterten Aufopferungsanspruch aus, so kann den Kindern, die im öffentlichen Interesse vom betreuenden Elternteil getrennt werden, eine Entschädigungsleistung wegen ihrer immateriellen Nachteile gewährt werden. Da graduelle Unterschiede beim Eintritt der immateriellen Schäden schwer bestimmbar sind, empfiehlt sich eine Pauschalisierung der Entschädigungsleistungen nach dem Vorbild des § 7 Abs. 3 StrEG. In Betracht kommt sowohl die Zahlung einer Geldrente während der "Trennungszeit" als auch Vgl. dazu im I. Kap. unter B. 11. 2. Der allgemeine Aufopferungsanspruch ist nicht nur gegenüber speziellen Aufopferungsansprüchen, sondern auch insofern subsidiär, als eine andere Regelung einen "Schadensausgleich" bestimmungsgemäß vorsieht, so z. B. das Sozialversicherungsrecht, siehe dazu BGHZ 20, 81 ff.; üssenbühl, Staatshaftung, S. 142; Rüfner, in: Erichsen (Hrsg.), Allg. Verwaltungsrecht, § 48 Rn. 90; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 6; Palandt/Bassenge, BGB, Überbl v § 903 Rn. 53. 281
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die Leistung eines einmaligen Kapitalbetrages nach Beendigung der haftbedingten Trennungszeit. Da die Gewährung einer Aufopferungsentschädigung einen kausalen Zusammenhang zwischen staatlichem Eingriff und immateriellem Schaden voraussetzt, muß die Trennung des Kindes vom betreuenden Elternteil durch die Haft bedingt sein. Eine Entschädigungsleistung scheidet mithin aus, wenn z. B. die Straftat und / oder sonstige Umstände eine Herausnahme des Kindes aus der elterlichen Familie rechtfertigen (§§ 1666, 1666a BGB). Denkbar ist dies bei Straftaten, die sich als schwerwiegender Mißbrauch des Sorgerechts darstellen, so z. B. der Tötungsversuch am Kind oder der sexuelle Mißbrauch des Kindes 283 .
4. Folgeüberlegungen
a) Verhältnis zur Strafrechtsentschädigung Das Verhältnis der Aufopferungsentschädigung de lege ferenda zur Strafrechtsentschädigung nach §§ I, 11 StrEG läßt sich vor dem Hintergrund erklären, daß den unterhaltsberechtigten Kindern und Ehepartnern von Gefangenen, die ein de lege ferenda entschädigungspflichtigtes Sonderopfer erbringen, wegen ihrer (materiellen) Unterhaltsschäden (lediglich) eine angemessene Entschädigung in Form einer fortlaufend zu zahlenden Geldrente zu gewähren ist. Da den zu Unrecht Inhaftierten und ihren Familienangehörigen nach Beendigung der Haftsituation der voile Ausgleich ihrer Vermögensschäden zusteht (vgl. § 7 Abs. I StrEG), können die Unterhaltsberechtigten, die von einer zu Unrecht vollzogenen Freiheitsstrafe betroffen sind und denen zunächst (nur) ein angemessener Ausgleich für ihre haftbedingten Nachteile gewährt wurde, nachträglich die Differenz zum vollen Schadensausgleich verlangen. Mithin würden die besonderen Regelungen zur Strafrechtsentschädigung nicht leerlaufen. Zwischen den unterhaltsberechtigten Angehörigen, deren unterhaltspflichtiger Elternteil bzw. Ehepartner die Haft zu Recht verbüßt hat, und denen, die von einer zu Unrecht vollzogenen Freiheitsstrafe betroffen sind, würde ein abgestuftes Verhältnis bestehen.
b) Verhältnis zur Opferentschädigung Die Opferentschädigung nach den Vorschriften des OEG gehört zum System der sozialen Entschädigung 2x4 • Während die Entschädigung gemäß den Grundsätzen des Aufopferungsrechts einen im allgemeinen Interesse liegenden hoheitlichen Grundrechtseingriff voraussetzt, durch den eine gesteigerte Verantwortlichkeit der Vgl. Palandt/Diederichsen. BGB. § 1666 Rn. 19 ff. BSGE 49.104. \06; Kunz/Zellner. OEG, § 1 Rn. I; Rüfner. NJW 1976. 1249; Bleyl Kreikebohm. Sozialrecht. Rn. 914; Gitter. Sozialrecht. Vor § 35. 2M3
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
Allgemeinheit indiziert wird, fehlt den Tatbeständen der sozialen Entschädigung regelmäßig das Merkmal des staatlichen Eingriffs28s . Die gesteigerte Verantwortlichkeit der Allgemeinheit bedarf in diesen Fällen einer besonderen Begründung286 . Ebenso wie das allgemeine Aufopferungsrecht sehen auch die Tatbestände der sozialen Entschädigung lediglich den Ausgleich materieller Schäden vor. Diese müssen auf einer Beeinträchtigung der Gesundheit beruhen (vgl. § 5 SGB I). Entsprechend ist auch die Opferentschädigung auf den Ausgleich materieller Schäden beschränkt, die infolge einer gesundheitlichen Schädigung eingetreten sind (vgl. § 1 Abs. 1 OEG)287. Könnten die Angehörigen von Inhaftierten im Rahmen eines erweiterten Systems aufopferungsrechtlicher Entschädigungen einen angemessenen Ausgleich ihrer Nachteile verlangen, so würde sich im Hinblick darauf, daß der Gesetzgeber ein ausgewogenes Entschädigungssystem zu schaffen bzw. zu erhalten hat 288 , insbesondere die Frage stellen, ob die Opferentschädigung weiterhin auf gesundheitliche Beeinträchtigungen und die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen beschränkt bleiben kann. Wären die Angehörigen von Gefangenen berechtigt, einen angemessenen Ausgleich ihrer haftbedingten Unterhaltsschäden zu verlangen, ohne daß gleichzeitig auch schwere, die wirtschaftliche Existenz bedrohende Vermögensschäden bei den Opfern der Straftat von der Allgemeinheit übernommen würden, so müßte von einem erheblichen Ungleichgewicht staatlicher Entschädigungen ausgegangen werden, das auch nicht damit zu rechtfertigen wäre, daß die Belastungen der Familienangehörigen - anders als die der Opfer - auf eine hoheitliche Maßnahme zurückzuführen sind. Des weiteren wäre es nicht vertretbar, wenn die Kinder der Strafgefangenen, die in einem Heim aufwachsen, wegen ihrer immateriellen Nachteile entschädigt würden, während die Opfer der Straftat (möglicherweise auch Kinder!), die infolge schwerer, irreparabler Verletzungen und häufiger Krankenhausaufenthalte einen Großteil an Lebensqualität verloren haben, ohne eine Entschädigung ihrer ideellen Beeinträchtigungen blieben. Daß dem Opfer ein Schmerzensgeldanspruch im Verhältnis zum Täter zusteht (§ 847 BGB), kann nicht entscheidend ins Gewicht fallen, denn oftmals besteht keine Chance, diesen Anspruch zu realisieren. Dies gilt insbesondere, wenn der Tater eine Freiheitsstrafe verbüßt.
2K~ Vgl. Schulin. Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs. S. 111. 2H6 Vgl. Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs. S.164ff. 2K? Die Beschränkung der Opferentschädigung auf materielle Schäden ist schon vor dem Inkrafttreten des OEG auf Kritik gestoßen. vgl. Brockmann. DRiZ 1974. 346. 348; von Hippel. ZRP 1971.5.6. 2KK Vgl. Schulin. Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs. S.8.
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IV. Exkurs: Entschädigung bei Tötung des Gefangenen Die Frage nach einer Entschädigung der unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner stellt sich auch dann, wenn ein Gefangener durch den tätlichen Angriff eines Mithäftlings getötet wird. Der BGH289 hatte 1955 in einem solchen Fall zu entscheiden: Ein in einer Gemeinschaftszelle untergebrachter Strafgefangener war dadurch zu Tode gekommen, daß ein an paranoider Schizophrenie leidender Zellengenosse ihn mit dem Schemel erschlug. Die Angehörigen des getöteten Häftlings machten daraufhin mit einer gegen das Land gerichteten Klage den Schaden geltend, der ihnen durch den Tod des Ehemannes bzw. Vaters entstanden war. Das erstinstanzlich zuständige Landgericht hatte der Klage unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung stattgegeben. Es wertete den Tod des Gefangenen als ein besonderes Opfer, das völlig außerhalb des Rahmens und Zwecks der Freiheitsstrafe gelegen habe. Der aufgrund der Sprungrevision des beklagten Landes zuständige BGH ging davon aus, daß der Gefangene kein Sonderopfer erbracht habe und lehnte aus diesem Grund eine Entschädigung nach allgemeinem Aufopferungsrecht ab. Der Strafvollzug als solcher sei - so der BGH - kein Sonderopfer, soweit er zwangsläufig Gefahren mit sich bringe 290 . Im Tod des Gefangenen sah der BGH eine adäquate Folge des Strafvollzuges, die vom Gefangenen in Kauf genommen werden mußte 291 . Dabei war die Überlegung von Bedeutung, daß sich der Strafgefangene selbst in die Sonderlage der Haft gebracht hat292 . Die Begründung des BGH überzeugt nicht: Erleidet ein Gefangener tödliche Verletzungen, die ihm ein Mithäftling zufügt, so handelt es sich dabei keinesfalls um eine adäquate und damit zwangstypische Beeinträchtigung aufgrund des Strafvollzuges. Der Tod durch tätlichen Angriff eines Mitgefangenen gehört nicht zu den Belastungen, die üblicherweise mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe verbunden sind293 . Ware die Auffassung des BGH zutreffend, so müßte von einer Gewaltbereitschaft unter den Gefangenen ausgegangen werden, die einen geordneten Strafvollzug in Frage stellen würde 294 . Auch die Überlegung, der Gefangene habe sich selbst in die Gefahrenlage gebracht, kann die Opfergrenze nicht derart erhöhen, daß sogar der Tod hinzunehmen ist 295 . Der Aspekt der Selbstgefährdung kann nur dazu führen, daß der Gefangene die zwangstypischen, für jeden Inhaftierten bestehenden Belastungen des Strafvollzuges zu tragen hat. Mit schweren oder gar 2H~
BGHZ 17, 172 ff.; zur Verletzung eines Untersuchungshäftlings siehe BGHZ 60.302 ff. BGHZ 17.172.173. 2~J BGHZ 17. 172. 174. 176. m BGHZ 17. 172. 175. m Tiedemann. NJW 1962. 1760, 1762; Schöch, in: Kaiser / Kerner / Schöch. Strafvollzug, § 6 Rn. 155. 294 Vgl. Schöch. in: Kaiser/ Kerner / Schöch. Strafvollzug. § 6 Rn. 155. m Staudinger / Schäfer, BGB. Vorbem. zu § 839 Rn. 23a; Palandtl Bassenge, BGB, Überbl v § 903 Rn. 52; Tiedemann, NJW 1962. 1760. 1762; a.A. RGRK / Kreft. BGB. vor § 839 Rn. 157; vgl. auch Maurer. Allgemeines VerwaItungsrecht. § 27 Rn. 10. 2~O
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
tödlichen Verletzungen durch Mitgefangene muß der Delinquent nicht rechnen, wenn er eine Straftat begeht 296 . Indem der BGH den Tod des Gefangenen nicht als Sonderopfer anerkannte, versagte er den unterhaltsberechtigten Angehörigen einen verschuldensunabhängigen Ausgleich 297 gemäß den Grundsätzen des Aufopferungsrechts i.Y.m. § 844 Abs. 2 BGB analog29R . Ihre ohnehin schwierige Situation wurde damit zusätzlich belastet299 • Daß hier die vom Gefangenen selbst veranlaßte Haftsituation eine entscheidende Rolle spielte, macht eine Entscheidung des BGH 300 aus dem Jahre 1971 deutlich. Ein kraft gerichtlicher Anordnung Untergebrachter, der im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit strafbare Handlungen begangen hatte, wurde durch den Angriff eines Patienten in der Landesnervenklinik schwer verletzt. Weil der Untergebrachte schuldlos handelte, hielt der BGH die Annahme eines Sonderopfers trotz eigener Veranlassung nicht für unbillig 301 . Damit ist davon auszugehen, daß den unterhaltsberechtigten Angehörigen des Untergebrachten im Falle eines tötlichen Angriffs ein Aufopferungsanspruch i.Y.m. § 844 Abs. 2 BGB analog zugestanden hätte. Während im Jahre 1955 für den BGH ausschließlich der allgemeine Aufopferungsanspruch als Tatbestand einer verschuldensunabhängigen Staatshaftung in Betracht kam, ist nach der heute geltenden Rechtslage an eine Entschädigung der unterhaltsberechtigten Angehörigen nach § 1 Abs. 8 OEG zu denken 302 . Der Gefangene, der von einem Mithäftling getötet wird, ist das Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG. Legt man den vom BGH im Jahre 1955 entschiedenen Fall zugrunde, so kann nicht davon ausgegangen werden, daß ein Versagungsgrund nach § 2 OEG gegeben ist, den sich die Hinterbliebenen des Gefangenen in Anbetracht ihrer vom Opfer abgeleiteten Rechtsstellung entgegenhalten lassen müssen 303 . Insbesondere deutet nichts darauf hin, daß der Gefangene die Schädigung verursacht hat oder es aus sonstigen Gründen, die in seinem Verhalten liegen, unbillig wäre, eine Entschädigung zu gewähren (vgl. § 2 Vgl. Tiedemann, NJW 1962, 1760, 1762; Walter, Strafvollzug, Rn. 117. Sofern die Vollzugs behörde schuldhaft gehandelt hat, kommt ein Amtshaftungsanspruch der Hinterbliebenen in Betracht, vgl. BGHZ 17, 172. 176: Schöch. in: Kaiser / Kerner / Schöch. Strafvollzug. § 6 Rn. 152. 29K Zur entsprechenden Anwendung des § 844 Abs. 2 BGB im Recht der allgemeinen Aufopferungsentschädigung siehe BGHZ 18. 286. 290 f.; 20. 81 ff.; 34. 23. 24 ff.: Ossenbühl, Staatshaftung. S. 141; MK/Stein. BGB. § 844 Rn. 10; RGRK/Kreft. BGB. Vor § 839 Rn. 166: Palandt / Bassenge. BGB. Überb1 v § 903 Rn. 54; Erman / Schiemann. BGB. § 844 Rn. 4; Rüfner. in: Erichsen (Hrsg.). Allg. Verwaltungsrecht. § 48 Rn. 91. 299 Vgl. dazu Tiedemann. NJW 1962. 1760. 1762. JlKI BGH NJW 1971. 1881 ff. 301 BGH NJW 1971. 1881. 1883; zustimmend RGRK/Kreft. BGB. vor § 839 Rn. 157. 302 Vgl. Staudinger / Schäfer. BGB. Vorbem. zu § 839 Rn. 23a; Schöch. in: Kaiser / Kerner / Schöch. Strafvollzug. § 6 Rn. 156. m Vgl. BSGE49. 104. 106 f.; Kunz/Zellner. OEG. § 2 Rn. 2. 296 297
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Abs. 1 OEG). Der Aspekt, daß sich der Gefangene durch seine Straffälligkeit selbst in die Haftsituation gebracht hat, kann für sich alleine eine Versagung der Entschädigung nach § 2 Abs. 1 OEG nicht rechtfertigen 304 . Eine solche Sicht der Dinge wäre mit dem Anliegen des Strafvollzuges, den Straftäter (wieder) in die staatliche Gemeinschaft zu integrieren, nicht zu vereinbaren. Bei der Gewährung der Opferentschädigung kann allerdings - je nach Sachlage - ein über die Straftat als solche hinausgehendes selbstgefährdendes Vorleben des Inhaftierten von Bedeutung sein: Auf der Grundlage des § 2 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 OEG sind Entschädigungsleistungen zu versagen, wenn sich das Opfer bewußt von der staatlichen Gemeinschaft entfernt hat - so z. B. bei Zugehörigkeit zum "Milieu" oder zur "Szene" - und sich die damit verbundene Gefahr realisiert hat 305 • Es liegt in diesem Fall eine zu mißbilligende Selbstgefährdung des Opfers vor, wobei es nicht darauf ankommen soll, ob das gefahrbringende Verhalten in mittelbarem oder unmittelbarem Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis steht 306 . Sogar derjenige, der sich mit eigener Kraft aus einem kriminellen Milieu befreit hat, soll von einer Entschädigung ausgeschlossen sein. Hintergrund ist dabei die Befürchtung, daß das Recht der Opferentschädigung zu einer Art Unfallversicherung für ehemalige Teilnehmer der organisierten Kriminalität werden könnte 307 . Geht man von einem solchen Verständnis des § 2 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 OEG aus, ist auch bei einem Gefangenen zu prüfen, ob sich mit der Tat, deren Opfer er geworden ist, eine Selbstgefährdung realisiert hat, die eine Verbindung zum früheren Leben des Inhaftierten aufweist. Denn so, wie der Vollzug der Freiheitsstrafe nicht dazu führen soll, daß der Gefangene und seine Angehörigen im Rahmen des Opferentschädigungsrechts benachteiligt werden, darf die Haftsituation auch nicht Anlaß einer Besserstellung der Betroffenen sein. Dies wäre aber der Fall, wenn dem Gefangenen bzw. dessen unterhaltsberechtigten Familienmitgliedern eine Opferentschädigung ohne Beachtung eines selbstgefährdenden Vorlebens gewährt würde. Da der allgemeine Aufopferungsanspruch im Verhältnis zu anderen Regelungen, die einen "Schadensausgleich" bestimmungsgemäß vorsehen, subsidiär ist, muß dem Anspruch auf Opferentschädigung der Vorrang gegenüber dem allgemeinen Aufopferungsrecht eingeräumt werden 308 . Folglich ist die Frage, ob den unterhaltsberechtigten Angehörigen eines Gefangenen, der durch den tätlichen Angriff eines Mithäftlings zu Tode gekommen ist, ein Aufopferungsanspruch zusteht, nach heute geltendem Recht weitgehend obsolet 309 . Allerdings bleibt in jedem Einzelfall zu Vgl. dazu Schöch. in: Kaiser 1Kerner 1Schöch. Strafvollzug, § 6 Rn. 156. BSGE 49. 104. 110 f.: BSG NJW 1993.2957.2958; Kunz 1Zellner . OEG. § 2 Rn. 12; Röhmel. JA 1977.39.44: Rüfner. NJW 1976. 1249. 1250; BT-Drs. 7/2506. S. 15. ~()t, BSG NJW 1993.2957.2958. m BSG NJW 1993.2957.2958. 30X Vgl. Maurer. Allg. Verwaltungsrecht. § 27 Rn. 6. 309 Vgl. Schöch. in: Kaiser 1 Kerner 1Schöch. Strafvollzug - Einführung in die Grundlagen, § 6 Anm. 10.2: ders .. in: Kaiser 1 Kerner 1Schöch. Strafvollzug. § 6 Rn. 156. 304 305
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2. Kap.: Die Gewährung staatlicher Leistungen
prüfen, ob eine Entschädigung der Hinterbliebenen gemäß den Vorschriften des OEG in Relation zu der Verantwortung, die der Staat für den Strafvollzug trägt, angemessen ist oder möglicherweise eine über die Opferentschädigung hinausgehende Aufopferungsentschädigung zu gewähren ist.
D. Zusammenfassende Bemerkungen Die allgemeinen staatlichen Leistungen nach den Vorschriften des UVG, BSHG und SGB VIll sind geeignet, die unterhaltsberechtigten Angehörigen von Gefangenen mit dem Nötigsten zu versorgen. Grundsätzlich stehen den Kindern und den Ehepartnern der Delinquenten alle Leistungen zu, die auch anderen unverschuldet in Not geratenen Personen gewährt werden. Soweit der Gesetzgeber mit den Regelungen des UVG und des § 20 SGB VIll - zumindest auch - den Interessen der Kinder von Strafgefangenen Rechnung getragen hat, kann nicht davon ausgegangenen werden, daß es sich dabei um befriedigende Lösungen handelt. Da der Unterhaltsvorschuß gemäß § 3 UVG nur maximal 72 Monate gewährt werden kann, versagt diese Hilfe gerade bei langen Haftstrafen, die auch für die Kinder der Inhaftierten eine besonders schwere Belastung darstellen. Außerdem ist es denkbar, daß UnterhaltsvorschußIeistungen nicht erbracht werden können, weil der zeitliche Rahmen des § 3 UVG bereits vor der Inhaftierung des unterhaltspflichtigen Elternteils aus anderen Gründen, so z. B. wegen Zahlungsunwilligkeit des Unterhaltspflichtigen, ausgeschöpft wurde. Die Hilfe nach § 20 SGB VIII kann ihre Wirkung nur dann entfalten, wenn der nichtinhaftierte Elternteil als Bezugsperson für das Kind zur Verfügung steht. In allen Fällen, in denen der nunmehr inhaftierte Elternteil das Kind alleine erzogen hat oder der andere Elternteil nicht in der Lage ist, die Verantwortung für die Kinder zu übernehmen, muß der Nutzen der Vorschrift in Frage gestellt werden. Eine Fremdunterbringung der Kinder wird sich i.d.R. nicht vermeiden lassen. Letztlich bleibt jedoch abzuwarten, in weIcher Weise sich die noch relativ neue Regelung des § 20 SGB VIII bewähren wird. Eine über die ,.Basisversorgung" hinausgehende Kompensation der haftbedingten Beeinträchtigungen im Wege staatlicher Entschädigungsleistungen ist nach geltendem Recht nur möglich, wenn der Unterhaltspflichtige die Strafhaft zu Unrecht verbüßt hat. In diesem Fall findet ein nachträglicher Ausgleich der materiellen Unterhaltsschäden statt (vgl. §§ I. 7, ll StrEG). Von diesem Ausnahmefall abgesehen, verbleiben die Nebenwirkungen der Freiheitsstrafe, sofern sie nicht durch die allgemeinen Leistungen nach UVG, BSHG und SGB VIII ausgeglichen werden, als besondere Belastungen bei den Familienmitgliedern des Gefangenen. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, daß das geltende Aufopferungsrecht einen (materiellen) Unterhaltsschaden lediglich als Drittschaden erfaßt und die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch in der Person des Unterhaltspflichtigen vorliegen müssen. Wird ausschließlich geprüft, ob der Unterhaltspflichtige als Adressat der Freiheitsstrafe ein Sonderopfer erbringt, ist es zwangsläufig, daß die
D. Zusammenfassende Bemerkungen
195
Familie zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengefaßt wird, obwohl es geboten wäre, die Situation eines jeden Familienmitgliedes gesondert zu würdigen. Die Frage, ob die Belastungen der Angehörigen als Sonderopfer zu werten sind und der Allgemeinheit damit eine gesteigerte Verantwortung gegenüber den Kindern und Ehepartnern von Inhaftierten obliegt, stellt sich im Rahmen des geltenden Rechts nicht. Soweit die Strafhaft eines unterhaltspflichtigen Familienmitgliedes zu immateriellen Schäden führt, können diese de lege lata schon deshalb nicht ausgeglichen werden, weil das allgemeine Aufopferungsrecht nur den Ausgleich materieller Schäden vorsieht. Der Versuch, die nicht anderweitig ausgeglichenen Belastungen der Angehörigen von Gefangenen auf die Allgemeinheit überzuleiten, kann nur im Rahmen eines erweiterten Aufopferungsrechts gelingen. Das Aufopferungsrecht müßte alle Grundrechtspositionen umfassen und im übrigen Entschädigungsleistungen bei immateriellen Schäden vorsehen. Ausgehend von einem erweiterten System aufopferungsrechtlicher Entschädigungen, das eine eigenständige Bewertung der Situation unterhaltsberechtigter Kinder und Ehepartner ermöglichen würde, ergibt sich, daß die unterhaltsberechtigten Familienmitglieder des Gefangenen, die infolge der Strafhaft Nachteile erleiden, ein de lege ferenda entschädigungspflichtiges Sonderopfer erbringen. Dem liegt die Feststellung zugrunde, daß der Staat die Verantwortung für die Angehörigenwirkung der Freiheitsstrafe zu tragen hat. Von dieser Verantwortung kann sich die staatliche Gemeinschaft weder mit dem Hinweis auf die Straftat des Unterhaltspflichtigen noch durch das Argument, es habe sich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, befreien. Für den besonderen Fall, daß ein Strafgefangener von einem Mithäftling getötet wird und die Unterhaltsberechtigten infolgedessen einen Unterhaltsschaden erleiden. sollte von einem Sonderopfer des Gefangenen ausgegangen werden. Unter dieser Voraussetzung können die unterhaltsberechtigten Angehörigen einen verschuldensunabhängigen Ausgleich gemäß den Grundsätzen des Aufopferungsrechts i.v.m. § 844 Abs. 2 BGB analog verlangen. Seit dem Inkrafttreten des OEG kann eine Kompensation des Unterhaltsschadens (auch) durch eine Entschädigung nach § 1 Abs. 8 OEG erreicht werden. In Anbetracht der Subsidiarität aufopferungsrechtlicher Entschädigungsleistungen ist von einem Vorrang der Opferentschädigung auszugehen.
I.~.
3. Kapitel
Die Berücksichtigung der unterhalts rechtlichen Belange im Vorfeld und während des Strafvollzuges: Möglichkeiten und Grenzen A. Einleitende Bemerkungen Sollen die unterhaltsrechtlichen Nachteile, die sich infolge des Strafvollzuges ergeben, im Rahmen des Möglichen vermieden werden, so ist es notwendig, die Interessen der unterhaltsberechtigten Familienmitglieder sowohl im Vorfeld als auch während des Strafvollzuges in ausreichendem Maße und entsprechend den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu berücksichtigen. Dabei gilt es nicht nur, die Kinder und Ehepartner vor Belastungen zu schützen, sondern auch ihre Interessen angemessen zu fördern. Ersteres ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil nach geltendem Recht ein voller Ausgleich haftbedingter Unterhaltsschäden durch staatliche Leistungen nicht möglich ist. Entscheidender Ansatzpunkt für eine Berücksichtigung der Interessen unterhaltsberechtigter Angehöriger ist das Grundrecht auf Ehe und Familie, das alle staatlichen Organe verpflichtet, für den Schutz von Ehe und Familie einzutreten (vgl. Art. lAbs. 3 GG). In Anbetracht der tatsächlichen und rechtlichen Verbundenheit zwischen dem Delinquenten und seinen mitbetroffenen Angehörigen können die Belange der Angehörigen grundsätzlich nicht isoliert berücksichtigt werden. Vielmehr liegt es in der Natur der Sache, daß die Berücksichtigung der mitbetroffenen Angehörigen die Beachtung von Ehe und Familie insgesamt erfordert bzw. mit dieser zusammentrifft. Bezogen auf das Vorfeld des Strafvollzuges sind zunächst die Möglichkeiten auszuloten, die den Strafgerichten zur Verfügung stehen, um die unterhaltsberechtigten Familienmitglieder vor Belastungen zu bewahreni. Insofern fehlt es jedoch weitgehend an geeigneten Anknüpfungspunkten, denn die Wirkungen, die eine I Auch wenn grundSätzlich die Überlegungen zur Berücksichtigung der unterhaltsberechtigten Angehörigen von Delinquenten schon bei der Untersuchungshaft anzusetzen haben, so sollen sich die folgenden Erörterungen doch ausschließlich auf den Wirkungskreis der Freiheitsstrafe beschränken. Zur Beachtung der familiären Interessen bei der Anordnung von Untersuchungshaft siehe BK I Pirson. GG. Art. 6 Rn. 67 f.; Busch I Fülbier I Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten. S. 831 ff. Zur Ausgestaltung der Untersuchungshaft unter Berücksichtigung des Ehe- und Familienschutzes siehe BVerfGE 42. 95 ff.; BVerfG NStZ 1994, 604 ff.; OLG Hamm StV 1997,260; Kruis/Cassardt. NStZ [995,521, 522 f.
B. Im Vorfeld des Strafvollzuges
197
Freiheitsstrafe für die Kinder und Ehepartner eines Beschuldigten haben wird, zählen zumindest nicht zu den "offiziellen" Kriterien, die bei der Zumessung der Strafe in Ansatz zu bringen sind 2 . Soweit die Strafgerichte den Angehörigen keinen Schutz gewähren können, muß versucht werden, der familienschädigenden Wirkung der Freiheitsstrafe auf der Ebene der Strafvollstreckung und des Strafvollzuges zu begegnen. Sowohl im Rahmen des Strafvollstreckungsrechts als auch des Strafvollzugsrechts existieren Vorschriften, die eine Berücksichtigung der (unterhaltsberechtigten) Angehörigen vorsehen. Für den Bereich der Strafvollstreckung ist § 456 StPO zu nennen. Die Familie des Verurteilten ist dort ausdrücklich erwähnt. Gemäß den Vorschriften des StVollzG haben die Vollzugsbehörden die unterhaltsrechtlichen Belange der Angehörigen im Rahmen des § 51 StVollzG und im Zusammenhang mit der sozialen Hilfe gemäß den §§ 71- 75 StVollzG zu beachten. Des weiteren ist auf § 80 StVollzG hinzuweisen, wonach die Vollzugsanstalt ermächtigt ist, ein noch nicht schulpflichtiges Kind einer Gefangenen aufzunehmen.
B. Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange im Vorfeld des Strafvollzuges I. Die Anordnung der Freiheitsstrafe und das allen Familienmitgliedern zustehende Grundrecht auf Ehe und Familie 1. Kein "echter" Familienschutz bei der Anordnung der Freiheitsstrafe
Wahrend z. B. die §§ 7, 18 Abs. 3,25 Abs. 3, 88 Abs. 3 BSHG und § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG den Blick der staatlichen Institutionen auf alle Familienmitglieder lenken, werden Freiheitsstrafen verhängt, ohne daß die Belange der gesamten Familie Beachtung finden. Die strafgerichtliche Entscheidung konzentriert sich ausschließlich auf die Person des Delinquenten, um die für ihn "passende" Strafe festzulegen. Den Maßstab bildet dabei die Tatschuld (§ 46 StGB). Darüber hinaus sind spezialund generalpräventive Gesichtspunkte bestimmend 3 . Der Aspekt von "Ehe und Familie" findet nur insofern Berücksichtigung, als sich ein Bezug zum Tater herstellen läßt. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang sowohl die Vorschrift des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB als auch die Regelung des § 46 Abs. 2 StGB. Gemäß § 46 Abs. 1 S. 2 StGB müssen die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Taters in der Gesellschaft zu erwarten sind, bei der Zumessung der Strafe Berücksichtigung finden. Zu den Wirkungen i. S. d. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB zählen nicht nur die beabsichtigten Strafwirkungen, sondern auch die unbeabsichtigten Nebenfolgen, die Verurteilung und Vollzug der Strafe für den Tater
2 3
Vgl. Walter, Strafvollzug, Rn. 172. Vgl. Jescheck / Weigend. Lehrbuch des Strafrechts. S. 876 - 882.
198
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
haben werden (z. B. Verlust des Arbeitsplatzes, Beeinträchtigung familiärer Beziehungen, finanzielIe Belastungen{ Soweit unbeabsichtigte, belastende Nebenwirkungen die Strafempfindlichkeit des Täters erhöhen, sind diese bei der Strafzumessung strafmindernd in Ansatz zu bringen 5 . Möglich ist demnach, daß die unbeabsichtigten Nebenwirkungen der Freiheitsstrafe deren Höhe beeinflussen. Denkbar ist aber auch, daß das Gericht von der Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe absieht und statt dessen eine Geldstrafe bzw. eine Freiheitsstrafe zur Bewährung verhängt. Voraussetzung ist dabei jedoch, daß sowohl der gesetzliche Strafrahmen als auch die Schuld des Täters die Wahl zwischen den Strafarten zuläßt. In Anbetracht des ausdrücklichen Wortlautes ,,für das künftige Leben des Täters" bietet § 46 Abs. 1 S. 2 StGB keine Grundlage, um die Wirkungen der Freiheitsstrafe auf die Familienmitglieder (eigenständig) zu berücksichtigen 6 • Sofern die Auffassung vertreten wird, es sei ..abzuwägen zwischen dem Strafanspruch des Staates und dem Resozialisierungsanspruch der Frau sowie dem Wohl der betroffenen Kinder auf der Grundlage der jeweiligen individuelIen Lebenslage der Täterin und ihres mitbetroffenen Kindes..7, bleibt offen, in welcher Weise die Abwägung unter direkter Berücksichtigung des Kindeswohls mit dem Wortlaut des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB zu vereinbaren ist. Für die Angehörigen kann auf der Grundlage des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB jedoch mittelbar ein Vorteil entstehen. Möglich ist dies, soweit die Wirkung der Freiheitsstrafe auf die Angehörigen einem Umstand entspricht, der gleichzeitig die Strafempfindlichkeit des Delinquenten erhöht. Bei intakten Familienverhältnissen werden der Verurteilte und seine Familienmitglieder unter der haftbedingten Trennung gleichermaßen leiden, so daß die Berücksichtigung der Strafwirkung auf den Täter als mittelbare Erfassung der Angehörigenbetroffenheit zu werten ist. Soweit der Delinquent jedoch infolge der Strafhaft außerstande ist, für seine Familienmitglieder zu sorgen, wird zwar in dessen Recht auf Wahrnehmung familiärer Funktionen eingegriffen, doch ergibt sich für ihn im alIgemeinen kein Nachteil in dem Sinne, daß er - gleichsam als Kehrseite zum Unterhaltsschaden der Angehörigen - durch auflaufende Unterhaltsschulden belastet wird. Entscheidend ist dabei, daß die haftbedingte Leistungsunfähigkeit des Verurteilten i.d.R. zur Befreiung von der Unterhaltspflicht führt 8 • Für die Kinder und den Ehepartner des Täters heißt dies, daß ihrem Unterhaltsschaden grundsätzlich keine adäquate Beeinträchtigung auf der Seite des Delinquenten gegenübersteht, die dessen Strafempfindlichkeit erhöhen 4 Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, § 46 Rn. 5; SKI Horn, StGB, § 46 Rn. 16; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 878. 5 Zur Strafempfindlichkeit bzw. Strafempfänglichkeit siehe Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. 2, § 63 Rn. 117 ff. 6 LK/Gribbohm, StGB, § 46 Rn. 21. 7 Maelicke, in: Birtsch/Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 169, 171; vgl. auch Maelicke, ZfStrVo 1986, 33; Maurach I Gössel I Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. 2, § 63 Rn. 169; Krauß, AöR 93 (1968),395,398. 8 Vgl. dazu das I. Kap. unter C. I. I. c) bb).
B. Im Vorfeld des Strafvollzuges
199
und zu einer ihren Belastungen entsprechenden Strafminderung Anlaß geben könnte. Berücksichtigt werden kann im Rahmen des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB allenfalls die psychische Belastung des Täters, die durch den Verlust der familiären Funktion ausgelöst wird. In diesem Fall leidet der Täter an den Wirkungen, die seine Strafe auf Dritte hat 9 . Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang insbesondere auf Frauen, die infolge einer Freiheitsstrafe außerstande sind, ihre Kinder zu betreuen 10. Die Mitbetroffenheit der Familie wird den Verurteilten jedoch regelmäßig nur dann belasten, wenn die Familienverhältnisse intakt sind bzw. eine enge persönliche Beziehung zu dem Drittbetroffenen besteht. Sofern ein Straftäter durch die Freiheitsstrafe gehindert ist, einen geschiedenen oder getrenntlebenden Ehepartner finanziell zu unterstützen, kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Täter die Auswirkungen, die seine Strafe auf andere hat, als Belastung empfindet. Entsprechendes hat für den Unterhalt nichtehelicher Kinder sowie der Kinder aus geschiedenen Ehen zu gelten. Familiäre Interessen, die keine oder nur eine begrenzte Wirkung auf das Strafempfinden des Täters haben, bleiben demzufolge außen vor. Ebenso wie § 46 Abs. 1 S. 2 StGB kann auch § 46 Abs. 2 StGB mittelbar die Situation aller Familienmitglieder beeinflussen. Gemäß § 46 Abs. 2 S. 1 StGB wägt das Gericht bei der Zumessung der Strafe die für und gegen den Täter sprechenden Umstände gegeneinander ab. Dabei sind gemäß § 46 Abs. 2 S. 2 StGB die persönlichen Verhältnisse des Täters zu berücksichtigen. Diese umfassen u. a. die familiäre Situation des Delinquenten 11. Von Bedeutung sind die persönlichen Verhältnisse des Täters für die Bewertung seiner Schuld sowie der präventiven Notwendigkeit der strafrechtlichen Reaktionsmiuel 12 • Im Hinblick darauf, daß intakte Familienverhältnisse geeignet sind, die Resozialisation des Delinquenten zu fördern, während gestörte familiäre Bindungen den Weg zu einem straffreien Leben erschweren können, ist es unter dem Aspekt der Spezialprävention von Belang, ob der Täter in einer intakten Ehe oder Familie lebt l3 . Lassen sich tragfähige familiäre Beziehungen feststellen, so ist es möglich, daß das erkennende Gericht die Verurteilung zu einer Geldstrafe oder einer Bewährungsstrafe - verbunden mit Weisungen und / oder Auflagen - als ausreichend ansieht. Sind die Familienverhältnisse hingegen gestört, kann das Gericht die Einwirkung des Strafvollzuges als notwendig erachten, um den Delinquenten von weiteren Straftaten abzuhalten 14. In diesem Sinne können die familiären Beziehungen des Straftäters für die Wahl der Strafart von Bedeutung sein. Möglich ist allerdings auch, daß sie die Höhe der Strafe beeinflussen. LK/Gribbohm, StGB, § 46 Rn. 21: siehe dazu auch Wulf, ZfStrVo 1986,81, 83. Vgl. LK/Gribbohm, StGB, § 46 Rn. 21. 11 SKI Horn, StGB, § 46 Rn. 116: Schönkel Schröder I Stree, StGB, § 46 Rn. 34. 12 Vgl. SKI Horn, StGB, § 46 Rn. 116 f. \3 Maurach I Gössel I Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. 2, § 63 Rn. 132. 14 Vgl. Maurach I Gössel I Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. 2, § 63 Rn. 132.
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
Damit zeigt sich, daß die familiären Beziehungen, die aufgrund der Vorschrift des § 46 Abs. 2 StGB zu beachten sind, in erster Linie Indikator für eine günstige bzw. ungünstige Sozialprognose sind. Für die Angehörigen des Delinquenten kann sich al1enfal1s ein mittelbarer Vorteil ergeben. Dieser Vorteil ist an intakte Familienverhältnisse gebunden. Damit werden bei weitem nicht al1e familiären Interessen erfaßt. Außen vor bleiben insbesondere die Belange der nichtehelichen Kinder und der Kinder aus geschiedenen Ehen, deren Unterhaltsansprüche in keinem Zusammenhang mit intakten Familienverhältnissen stehen. Daß im Rahmen der strafgerichtlichen Verurteilung kein "echter" Familienschutz erfolgt, offenbart letztlich auch das Strafverfahren. So werden die Kinder und Ehepartner des Beschuldigten nicht angehört, obwohl die Freiheitsstrafe auch ihre rechtlich geschützten Interessen berührt 15 . Im übrigen ist auf die Vorschriften der §§ 296 - 298 StPO hinzuweisen, wonach ausschließlich der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft sowie der Verteidiger und der gesetzliche Vertreter des Beschuldigten berechtigt sind, die gegen Strafurteile statthaften Rechtsmittel einzulegen.
2. Kann im Zusammenhang mit der strafgerichtlichen Verurteilung ein "echter" Familienschutz verwirklicht werden?
Ein "echter" Familienschutz in dem Sinne, daß im Rahmen von Einzelfallentscheidungen verbleibende Handlungsspielräume im Interesse des Ehe- und Familienschutzes ausgeschöpft werden, kommt nur dann in Betracht, wenn die Entscheidungen die Interessen der Ehepartner bzw. der Familienmitglieder berühren und die ermächtigenden Rechtsnormen nach ihrem Sinn und Zweck die Einbeziehung familiärer Belange zulassen 16 . Während es unbestreitbar ist, daß die Anordnung einer Strafe - insbesondere einer Freiheitsstrafe - die Belange von Ehe und Familie beeinträchtigt, kann letztgenannte Voraussetzung im Falle der Strafzumessung nicht bejaht werden. Die Berücksichtigung familiärer Belange im Rahmen der Strafzumessung würde bedeuten, daß eine Abwägung zwischen den spezial- und generalpräventiv motivierten Interessen der Allgemeinheit und den Belangen aller Familienmitglieder stattzufinden hätte. In Konsequenz dessen wäre es möglich, daß eine Strafe - in den Grenzen ihrer Schuldangemessenheit - ausschließlich deshalb milder ausfällt, weil die Interessen der Familie von besonderem Gewicht sind. In den Grenzbereichen zwischen Geld- und Freiheitsstrafe sowie einer vollstreckbaren und einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe könnten die Belange der Familie den Ausschlag zur Geldstrafe bzw. zur Bewährungsstrafe geben. Denkbar wäre auch, 15 Für ein selbständiges Anhörungsrecht der Ehepartner und Kinder eines Angeklagten, dem eine längere Freiheitsstrafe droht, spricht sich Bohnert, JZ 1978,710,713, aus; a.A. BK I Rüping, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 81; Schmidt-Aßmann, in: Maunzl Dürigl Herzog, GG, Art. 103 Abs. I Rn. 40. 16 Vgl. BK/Pirson, GG, Art. 6 Rn. 61 f.
B. Im Vorfeld des Strafvollzuges
201
daß eine Freiheitsstrafe mit Rücksicht auf familiäre Interessen niedriger festgesetzt werden müßte, als dies bei einem Straftäter ohne Familie der Fall wäre. Die dabei entstehende Ungleichbehandlung aus familiären Gründen wäre grundsätzlich kein Novum. So kann z. B. die Ausweisung eines wegen einer Straftat verurteilten Ausländers, der mit einer deutschen Frau verheiratet ist und mit ihr ein eheliches Kind hat, aufgrund generalpräventiver Ermessenserwägungen nur dann zulässig sein, wenn die Straftat besonders schwer wiegt 17 . Bezogen auf die Strafzumessung kann eine Ungleichbehandlung aus familiären Gründen jedoch nicht akzeptabel sein l8 . Zum einen läßt sich anführen, daß die Kriminalstrafe mehr als jede andere staatliche Maßnahme auf die Person des Adressaten und dessen Verhalten abgestimmt ist. Insbesondere durch die Regelung des § 46 StGB hat der Gesetzgeber dies eindeutig zum Ausdruck gebracht. Angestrebt wird dabei die Gleichbehandlung der Tater sowie ein an der jeweiligen Strafempfindlichkeit bzw. Strafempfänglichkeit ausgerichtetes Strafquantum 19. Diesen Zielsetzungen würde eine Ungleichbehandlung aus familiären Gründen zuwiderlaufen 2o • Zum anderen ist von Belang, daß ein "familienfreundlicher" Einsatz von Strafe nicht zwingend mit ungleichen Strafquanten verbunden sein muß. Abgesehen davon, daß der Strafvollzug Raum bietet, um den Interessen aller Familienmitglieder Rechnung zu tragen 21 , sollten die Überlegungen zu einem "familienfreundlichen" Umgang mit kriminalrechtlichen Sanktionen bei der Frage nach der Erforderlichkeit des Freiheitsentzuges ansetzen 22 • Wenn nämlich die Feststellung zu treffen ist, daß die Anordnung einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe, die ausschließlich aus Gründen der Generalprävention oder der positiven SpezialpräBVerfGE 51,386 ff. Vgl. dazu Horstkotte, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 281. 19 Vgl. dazu Maurach I Gössel/Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. 2, § 63 Rn. 75, 117 ff. 2D Bezogen auf den Tatbestand des § 170 Abs. I StGB würde die Kritik an dieser Vorschrift zum Strafzumessungsgrund, siehe LG Koblenz MDR 1982, 70; Ostermann, ZRP 1995, 204, 206. Eine eigenständige Berücksichtigung der familiären Belange erfolgt auch dann nicht, wenn eine Geldstrafe verhängt wird. Zwar ist die Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen bei der Bemessung der Tagessatzhöhe auch unter dem Aspekt zu sehen, daß auf diese Weise die Wirkungen der Geldstrafe auf die unterhaltsberechtigten Familienmitglieder verringert werden können (vgl. OLG Celle JR 1975,471,472), doch wird damit in erster Linie dem Prinzip der Opfergleichheit Rechnung getragen, das u. a. verhindern soll, daß einem Tater, der Ehefrau und Kinder zu versorgen hat, ein größeres Opfer abverlangt wird als einem Ledigen mit gleichem Nettoeinkommen, vgl. OLG Celle JR 1975, 471 f.; Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, § 40 Rn. 16; Schönke/SchröderlStree, StGB, § 40 Rn. 14. 21 Zur Verortung des Ehe- und Familienschutzes im Vollzugsrecht vgl. BK/Pirson, GG, Art. 6 Rn. 69; Niebecker, ZfStrVo 1984,335,336; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 205; Koepsel, ZfStrVo 1989, 151, 153; siehe auch Bernsmann, in: Blau/Kammeier (Hrsg.), Straftäter in der Psychiatrie, S. 142, 154 f. 22 Zum Anliegen der Haftvermeidung im Interesse der Angehörigen siehe Wulf, ZfStrVo 1986, 81, 85; Walter, in: Müller-Dietz/Walter (Hrsg.), Strafvollzug in den 90er Jahren, S. 191,201; Maelicke, ZfStrVo 1986,33 und 144, 146. 17 18
202
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
vention erfolgt, nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig ist 23 , dann muß dies erst recht bezüglich der grundrechtsrelevanten Nebenwirkungen gelten, durch die nicht nur der Tater, sondern auch dessen Kinder und Ehepartner belastet werden. Gelingt es, die Anordnung der vollstreckbaren Freiheitsstrafe auf die Fälle zu beschränken, in denen der Freiheitsentzug durch den Sicherungsgedanken gerechtfertigt ist oder deshalb unumgänglich ist, weil die Schwere der Schuld die vollstreckbare Freiheitsstrafe gebietet, dann wäre auch für die (unterhaltsberechtigten) Angehörigen viel gewonnen 24 , und zwar ohne daß familiäre Belange das jeweilige Strafmaß beeinflussen. Soweit die Verurteilung zu einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe erforderlich ist, um den Schutz vor gefahrlichen Tatern zu gewährleisten, kann generell davon ausgegangen werden, daß das Interesse der Allgemeinheit am Einsatz der vollstreckbaren Freiheitsstrafe die Belange von Ehe und Familie überwiegt 25 . Grund dafür ist das besondere Gewicht, das dem Gedanken der negativen Spezialprävention zukommt26 . Ebenso wie ein an den verfassungsmäßigen Anforderungen orientierter Verzicht auf vollstreckbare Freiheitsstrafen entspricht auch ein mit Blick auf familiäre Belange ausgestaltetes Sanktionsrecht den Interessen der unterhaltsberechtigten Angehörigen. Durch eine Veränderung des Sanktionssystems i. S. d. Ehe- und Familienschutzes würde kein Sonderrecht für Delinquenten mit Familie geschaffen, denn zu den "familienfreundlichen" - i.d.R. milderen Sanktionen könnten alle Straftäter verurteilt werden.
3. Veränderungen des Sanktionssystems unter dem Aspekt des Ehe- und Familienschutzes
a) Erweiterte Aussetzungsmöglichkeiten nach § 56 StGB
Derzeit kann die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nur dann zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn sie zwei Jahre nicht übersteigt. Für die Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr gilt gemäß § 56 Abs. I StGB, daß das Gericht unter den dort aufgeführten Voraussetzungen verpflichtet ist, die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung auszusetzen. Bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren ist die Strafaussetzung nach Maßgabe des § 56 Abs. 2 StGB fakultativ. Bezüglich der Freiheitsstrafen von mindestens sechs Monaten bestimmt § 56 Abs. 3 StGB, daß deren Vollstreckung nicht zur Bewährung auszusetzen ist, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet. Um die für den Delinquenten und seine Angehörigen besonders belastende Sanktion des Freiheitsentzuges weiter als "Ersatzmittel" in den Hintergrund treten zu lassen und einen größeren Rahmen für weniger beeinträchtigende ambulante Resozialisierungsmaßnahmen zu schaffen, empfiehlt es sich, den Anwendungsbe23 24 2S 26
Siehe das I. Kap. unter B. 1II. Siehe dazu das I. Kap. unter B. 1II. Vgl. dazu das I. Kap. unter B. 1II; siehe auch BK/Pirson. GG, Art. 6 Rn. 67. Vgl. dazu das 1. Kap. unter B. III.
B. Im Vorfeld des Strafvollzuges
203
reich der § 56 Abs. 1 und 2 StGB zu erweitern. Vorstellbar wäre dies in der Weise, daß die Regelung des § 56 Abs. I StGB auf Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren und die Vorschrift des § 56 Abs. 2 StGB auf Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren ausgedehnt würden27 • Eine solche Veränderung wäre möglich, ohne daß dies dem Interesse der Allgemeinheit an einem effektiven Schutz vor (weiteren) Straftaten zuwiderlaufen würde 28 . Unter den Auflagen des § 56b Abs. 2 S. I Nr. 1-4 StGB sollten bevorzugt Wiedergutmachungsauflagen nach § 56b Abs. 2 S. 1 Nr. I StGB sowie ,,Arbeitsauflagen" nach § 56b Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StGB Anwendung finden, denn die Geldauflagen nach § 56b Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 4 StGB belasten - ähnlich wie eine Geldstrafe - auch die unterhaltsberechtigten Familienmitglieder, sofern sie mit dem Verurteilten ein gemeinsames Leben führen 29 • Die Wiedergutmachungsauflage nimmt bereits aufgrund der Regelung des § 56b Abs. 2 S. 2 StGB, wonach die Auflagen des S. 1 Nr. 2-4 nur erteilt werden sollen, soweit die Erfüllung der Auflage der Wiedergutmachung nicht entgegensteht, eine besondere Stellung im Katalog der Auflagen ein. Es ist davon auszugehen, daß diese Vorschrift, die u. a. die Geldauflage zurückdrängt, auch den Interessen der unterhaltsberechtigten Angehörigen entspricht. Ob sich die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstrekkung das Gericht zur Bewährung ausgesetzt hat, im Einzelfall als eine "familienfreundliche" Sanktion erweist, liegt letztendlich in den Händen des Delinquenten. Führt sein Verhalten dazu, daß das Gericht die Strafaussetzung nach § 56f Abs. I StGB widerrufen muß, ist die Vollstreckung der Freiheitsstrafe unumgänglich. Hat der Verurteilte eine Geldauflage nach § 56b Abs. 2 S. 1 Nr. 2 oder 4 StGB ganz oder teilweise erfüllt, so werden diese Leistungen nicht erstattet (§ 56f Abs. 3 S. I StGB). Möglich ist allerdings, daß bereits gezahlte Geldbeträge gemäß § 56f Abs. 3 S. 2 StGB auf die Strafe angerechnet werden.
b) Wochenend- und Urlaubshaft
Solange nicht darauf verzichtet wird, die Strafhaft zwecks "Besserung" des Täters anzuordnen, sollte die Einführung von Wochenend- und Urlaubshaft erwogen werden 30. Diese kürzesten Freiheitsstrafen hätten den Vorteil, daß sie das familiäre Lebenshilfesystem weitgehend unberührt lassen und - sofern ein solches nicht besteht - dessen Aufbau nicht behindern würden. Eine Wochenend- oder Urlaubshaft wäre sowohl mit einer Erwerbstätigkeit als auch mit der Betreuung von Kindern zu vereinbaren. Der Betreuungsunterhalt würde zwar wiederholt, aber lediglich für ei27 Vgl. dazu Horstkotte, in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, S. 281, 285; AlmMerk, ZRP 1991, 328, 331; Wittstamm, ZfStrVo 1997, 3, 10 f. 28 Vgl. Alm-Merk, ZRP 1991,328,331; siehe dazu auch Schöch, in: Verhandlungen des 59. DJT, Bd. I, C 82 f. 29 Vgl. dazu das 1. Kap. unter B. III. 30 Zu den kürzesten Freiheitsstrafen vgl. Walter, ZfStrVo 1985, 325, 329; Weigend, JZ 1986, 260, 268.
204
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
nen relativ kurzen Zeitraum ausfallen, so daß schädliche Auswirkungen auf die Kinder nicht zu befürchten wären. Für den Fall, daß der andere Elternteil außerstande wäre, den haftbedingten Ausfall des Betreuungsunterhaltes auszugleichen, ließe sich eine Versorgung der Kinder auf der Grundlage des § 20 Abs. 1 SGB VIII sicherstellen. Ohne weiteres könnte auch der Ausfall eines alleinerziehenden Elternteils durch die Regelung des § 20 Abs. 2 SGB VIII überbrückt werden, denn Wochenend- und Urlaubshaft würden den Fortbestand des Haushaltes nicht in Frage stellen 3 !. Zur KlarsteIlung ist darauf hinzuweisen, daß Wochenend- und Urlaubshaft nicht zu einem kurzfristigen Verwahrungsvollzug führen dürfen, sondern einer effektiven Ausgestaltung i. S. d. Resozialisierung bedürfen. Dies könnte z. B. durch Gespräche über die Tat und ihre Folgen sowie durch eine gezielte Unterstützung bei der Bewältigung von wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten geschehen. Einen Beitrag zur (direkten) Sicherung der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern kann eine Wochenend- bzw. Urlaubshaft selbstverständlich nicht leisten 32 . c) Hausarrest
Im Zusammenhang mit den Bemühungen um ein "familienfreundliches" Sanktionssystem sind die Möglichkeiten eines elektronisch kontrollierten Hausarrestes von Interesse 33 . Der Delinquent wird in diesem Fall durch ein elektronisches Gerät, das am Arm oder Bein angebracht wird, überwacht 34 • Ein Verlassen der Wohnung ist nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig, so z. B. um einer Arbeitstätigkeit nachzugehen, einzukaufen oder einen Arzt aufzusuchen 35 • Der elektronisch überwachte Hausarrest kann insbesondere dann eine Alternative zur "herkömmlichen" Freiheitsstrafe sein, wenn durch den Strafvollzug die Betreuung von Kindern beeinträchtigt würde, denn der Hausarrest vermag eine Trennung von Kind und betreuendem Elternteil zu vermeiden 36 • Soweit eine gemeinsame UnterVgl. dazu im 2. Kap. unter B. 11. 1. b). Vgl. Walter, Strafvollzug, Rn. 37. 33 Gemäß eines Beschlusses der Konferenz der Justizminster des Bundes und der Länder sollen künftig in Berlin und Hamburg Modellversuche zum elektronisch überwachten Hausarrest stattfinden, siehe dazu Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.6. 1997, S. I. Zur Thematik des elektronisch überwachten Hausarrestes siehe Jolin/Rogers, MschrKrim 1990,201 ff.; Weigend, BewHi 1989, 289 ff.; ders., GA 1992, 345, 363; Walter, Strafvollzug, Rn. 23, 99, 139; Schöch, in: Verhandlungen des 59. DJT, Bd. I, C 100 ff.; Wittstamm, ZfStrVo 1997,3, 14; Krahl, NStZ 1997,457 ff. 34 Vgl. Jolin/Rogers, MschrKrim 1990,201,202; Walter, Strafvollzug, Rn. 23. In Anbetracht der besonderen Grundrechtseingriffe, die mit einem elektronisch überwachten Hausarrest verbunden sind, sollte diese spezielle Form des Freiheitsentzuges vom Gericht angeordnet werden, siehe dazu Krahl, NStZ 1997,457,459 f. 35 Vgl. Jolin I Rogers, MschrKrim 1990, 201 f.; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.6. 1997, S. 1. 36 Vgl. Schwarz I Torrebruno, MschrKrim 1990, 184, 186. 31
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B. Im Vorfeld des Strafvollzuges
205
bringung von Mutter und Kind nach § 80 StVollzG nicht in Betracht kommt, weil das Kind bereits schulpflichtig ist, und ein "Hausfrauenfreigang" daran scheidet, daß die Straftäterin nicht heimatnah untergebracht werden kann, könnte der elektronisch überwachte Hausarrest eine Möglichkeit sein, um Freiheitsentzug und Kinderbetreuung miteinander in Einklang zu bringen. Im übrigen ist anzunehmen, daß der Hausarrest die Kinder der Delinquentinnen weniger beeinträchtigt als eine gemeinsame Unterbringung in der Vollzugsanstalt nach § 80 StVollzG. Auch gegenüber einem "Hausfrauenfreigang" erscheint die "Haft zuhause" als die mildere Maßnahme, da die Mutter wahrscheinlich weniger belastet ist. Insbesondere muß sie nicht täglich den oftmals weiten Weg zwischen der Anstalt und ihrem Wohnort zurücklegen. Ein Vorteil des elektronisch überwachten Hausarrestes ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß die Betreuungsaufgaben rund um die Uhr wahrgenommen werden können. Da der elektronisch kontrollierte Hausarrest eine Sanktion von erheblichem Gewicht ist, kann seine Anordnung nur dann in Betracht kommen, wenn ansonsten eine vollstreckbare Freiheitsstrafe verhängt würde 37 . Um die Familienverträglichkeit einer "Haft zuhause" im Vergleich zur herkömmlichen Strafhaft nutzen zu können, sollte diese Sanktion die vollstreckbare Freiheitsstrafe auch im Bereich längerer Haftstrafen ersetzen können 38 • Letztlich bleibt jedoch abzuwarten, welche Erfahrungen sich aus einem Einsatz des Hausarrestes in der Praxis ergeben.
11. Der Aufschub der Strafvollstreckung unter Berücksichtigung familiärer Belange 1. Die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs nach § 456 StPO
a) Die sachlichen Voraussetzungen
Gemäß § 456 StPO kann ein viermonatiger Vollstreckungsaufschub gewährt werden, "sofern durch die sofortige Vollstreckung dem Verurteilten oder seiner Familie erhebliche, außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile erwachsen". Erhebliche, außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile i. S. d. § 456 Abs. 1 StPO sind Nebenwirkungen, die über das gewöhnliche Strafübel hinausgehen 39 . Wesentlich ist, daß sie begrifflich nicht zum Wesen des Strafübels gehören 40. Die Nachteile können wirtschaftlicher, sozialer und auch ideeller Natur sein41 . Der GeVgl. Weigend, GA 1992,345,363. Im Rahmen des in Berlin und Hamburg geplanten Modellversuches soll der Hausarrest die Haft im Gefängnis bei Freiheitsstrafen von weniger als sechs Monaten ersetzen können, siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.6. 1997, S. I. 39 OLG Düsseldorf JR 1992. 435; OLG Schleswig NStZ 1992, 558; Kleinknechtl MeyerGoßner, StPO, § 456 Rn. 3. 40 Vgl. Löwe I Rosenberg I Wendisch, StPO, § 456 Rn. 5. 41 OLG Düsseldorf JR 1992. 435; Löwe I Rosenberg I Wendisch, StPO, § 456 Rn. 6; KMR/Paulus, StPO, § 456 Rn. 9; KK/Fischer, StPO, § 456 Rn. 5. 37 3K
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
brauch des Wortes "Strafzweck" meint im Rahmen des § 456 Abs. I StPO lediglich die Verwirklichung der im rechtskräftigen Urteil festgesetzten Rechtsfolge der Tat; eine Auseinandersetzung mit den legitimierenden Strafzwecken der Spezialund Generalprävention ist hier nicht gefordert42 . Bezogen auf die Belastungen, die sich aufgrund einer Freiheitsstrafe für das Ehe- und Familienleben ergeben, läßt sich die Feststellung treffen, daß diese Nachteile grundsätzlich außerhalb des Strafzwecks liegen, weil sie nicht zu dem mit der Freiheitsstrafe beabsichtigten Strafübel, nämlich einer Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit durch Unterbringung in einer Anstalt, zu zählen sind. Dies gilt für den Delinquenten ebenso wie für seine Kinder und den Ehepartner. Soweit die familienschädigende Wirkung die Familienmitglieder belastet und damit den Charakter einer Drittwirkung hat, liegen die Beeinträchtigungen auch deshalb außerhalb des Strafzwecks, weil die Angehörigen nicht Adressaten der Freiheitsstrafe sind. In Anbetracht der Formulierung "dem Verurteilten oder seiner Familie" ist davon auszugehen, daß das Interesse am Vollstreckungsaufschub ausschließlich mit den Belangen der betroffenen Familienangehörigen begründet werden kann. Die Belastungen der Familienmitglieder müssen sich demnach nicht gleichzeitig als erhebliche Nachteile des Verurteilten darstellen. Der Begriff der "Familie" ist nicht auf die durch Art. 6 Abs. I GG geschützte Kleinfamilie beschränkt, sondern wird in einem weiten Sinne verstanden 43 . Mithin erfaßt § 456 Abs. I StPO neben dem Ehepartner und den Kindern des Verurteilten auch andere Angehörige, die als Dritte durch die Freiheitsstrafe belastet werden. Da § 456 Abs. I StPO nur vor Nachteilen schützt, die durch eine sofortige Vollstreckung ausgelöst werden, können Belastungen, die bei einer späteren Vollstrekkung ebenso wie bei einer sofortigen Vollstreckung eintreten, den vorübergehenden Aufschub nach § 456 StPO nicht rechtfertigen 44 • Auf diese Weise soll verhindert werden, daß der vorübergehende Aufschub lediglich zu einer zeitlichen Verlagerung der Nachteile führt, womit den Interessen der Betroffenen nicht gedient wäre. Im Hinblick darauf, daß der Vollstreckungsaufschub gemäß § 456 Abs. 2 StPO den Zeitraum von vier Monaten nicht übersteigen dart 5 , kommt es letzte nd-
Löwe I Rosenbergl Wendisch. StPO. § 456 Rn. 5: Lemberg. DRiZ 1965.265. KMR I Müller. StPO (Voraufl.). 456 Rn. 4: vgl. auch die Regelung des § 456c StPO. wonach das Gericht das Wirksamwerden des Berufsverbots im Interesse des Verurteilten oder seiner Angehörigen (vgl. § I1 Abs. I Nr. I StGB) aufschieben bzw. aussetzen kann. 44 OLG Zweibrücken NJW 1974.70 mit Anm. Kaiser: OLG Köln MDR 1985.695: OLG Düsseldorf JR 1992.435: OLG Schleswig NStZ 1992.558.559: LG Itzehoc StV 1993.206 f.: Kleinknecht I Meyer-Goßner. StPO. § 456 Rn. 3: Löwe I Rosenberg I Wendisch. StPO. § 456 Rn. 5: KMR/Paulus. StPO. § 456 Rn. 10: KK I Fischer. StPO. § 456 Rn. 5: Bringewart. Strafvollstreckung. § 456 Rn. 8. 45 Die Frist des § 456 Abs. 2 StPO beginnt mit dem Tag. an dem der Verurteilte die Strafe antreten soll. nicht dagegen bereits mit dem Zugang der Ladung zum Strafantritt. vgl. dazu OLG Zweibrücken NJW 1974.70 mit Anm. Kaiser: OLG Stuttgart MDR 1982.601 f.: OLG Stuttgart NStZ 1985. 331: OLG Düsseldorf JR 1992. 435 f. mit Anm. Wendisch: Löwe I 42 43
B. Im Vorfeld des Strafvollzuges
207
lich darauf an, ob durch einen viermonatigen Vollstreckungsaufschub erhebliche, außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile vermieden werden können. Ein über den Zeitraum von vier Monaten hinausgehender Vollstreckungsaufschub kann lediglich im Wege der Gnade gewährt werden46 • Die Voraussetzungen des § 456 StPO sind z. B. gegeben, wenn der Verurteilte kurz vor dem Abschluß einer Berufsausbildung steht47 , er auf dem elterlichen Hof zur Einbringung der Ernte benötigt wird48 , die Niederkunft der Ehefrau bevorsteht49 oder sich die Ehefrau einer Operation unterziehen muß, so daß während der Zeit ihres Krankenhausaufenthaltes keiner für die gemeinsamen Kinder sorgen kann 5o . Des weiteren werden die Erfordernisse des § 456 StPO bejaht, wenn der Verurteilte einen Betrieb leitet und ein Vertreter der Einarbeitung bedarf5 ! oder ein geeigneter Geschäftsführer bzw. - als Alternative - ein Kaufinteressent zu suchen ist, um erhebliche wirtschaftliche Schäden abzuwenden 52 . Muß der betreuende Elternteil eine Haftstrafe antreten, kann ein vorübergehender Vollstreckungsaufschub in Betracht kommen, um die Betreuung eines Kindes durch den verurteilten Elternteil solange sicherzustellen, bis eine geeignete und dauerhafte Fremdunterbringung des Kindes gewährleistet ist 53 . Auf diese Weise läßt sich zumindest verhindern, daß das Kind durch häufiges Wechseln der Bezugspersonen in seiner Entwicklung Schaden nimmt. Mit Blick auf die genannten Beispielsfälle sind zwei Anwendungsbereiche des § 456 StPO zu unterscheiden. Zum einen kommt ein Vollstreckungsaufschub in Betracht, wenn der sofortige Vollstreckungsbeginn mit einer besonderen, der Art nach vorübergehenden Situation zusammentrifft. Zum anderen kann der vorübergehende Vollstreckungsaufschub genutzt werden, um für die Zeit der Strafhaft die Verhältnisse so zu ordnen, daß die wirtschaftliche Existenz der Familie bzw. die
Rosenberg/Wendisch, StPO, § 456 Rn. 10; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 456 Rn. 6; Bringewart, Strafvollstreckung, § 456 Rn. 10. 4/) OLG Stuttgart NStZ 1985,331 f.; Löwe/Rosenberg/Wendisch, StPO, § 456 Rn. 12; KK I Fischer, StPO, § 456 Rn. 9; KMR I Paulus, StPO, § 456 Rn. 7; Kleinknecht I Meyer-Goßner, StPO, § 456 Rn. 3, 6; Bringewart, Strafvollstreckung, § 456 Rn. 15; Volckart, NStZ 1982, 496, 498. 47 Vgl. Volckart, NStZ 1982,496,497; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 456 Rn. 3; Bringewart, Strafvollstreckung, § 456 Rn. 9. 4X Vgl. Kleinknechtl Meyer-Goßner, StPO, § 456 Rn. 3; Volckart, NStZ 1982,496,497; Bringewart, Strafvollstreckung, § 456 Rn. 9. 4Y Vgl. Volckart, NStZ 1982,496,497; Bringewart, Strafvollstreckung, § 456 Rn. 9. 50 Vgl. OLG Zweibrücken NJW 1974,70 mit Anm. Kaiser; Kleinknechtl Meyer-Goßner, StPO, § 456 Rn. 3; Bringewart, Strafvollstreckung, § 456 Rn. 9. 51 Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1966, 1767 f.; OLG Düsseldorf JR 1992, 435; Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, § 456 Rn. 3; Bringewart, Strafvollstreckung, § 456 Rn. 9. 52 Vgl. OLG Frankfurt NStZ 1989,93. 53 Vgl. Birtsch I Riemann I Rosenkranz, in: Birtsch I Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 187, 189.
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtIichen Belange
Betreuung der Kinder sichergestellt ist 54 . Da allerdings gemäß § 456 Abs. 2 StPO nur ein maximal viermonatiger Aufschub zulässig ist, müssen die vorsorgenden Maßnahmen kurzfristig getroffen werden können.
b) Antrag des Verurteilten
Neben den sachlichen Erfordernissen setzt ein Vollstreckungs aufschub nach § 456 StPO einen Antrag des Verurteilten voraus 55 . Über Anträge der Angehörigen entscheiden die Vollstreckungsbehörden nur, wenn eine ausdrückliche oder stillschweigende Ermächtigung des Verurteilten vorliegt oder sich dieser den Antrag durch Zustimmung zu eigen gemacht hat 56 . Demzufolge sind die Angehörigen bei der Ge1tendmachung ihrer Nachteile mangels eines eigenen Antragsrechts auf die Initiative des Verurteilten bzw. dessen Einverständnis angewiesen. Das Antragsrecht des Verurteilten wird damit begründet, daß sich die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs auch zum Nachteil des Verurteilten auswirken kann 57 . Im Hinblick darauf, daß die Angehörigen durch die Freiheitsstrafe in eigenen Rechten beeinträchtigt werden, ist das alleinige Antragsrecht des Verurteilten zu kritisieren. Im übrigen kann das Argument, der Aufschub der Vollstreckung könne sich auch zum Nachteil des Verurteilten auswirken, nicht überzeugen. Berücksichtigt man, daß der Delinquent die erste Ursache für seine Bestrafung und damit für die Betroffenheit seiner Angehörigen gesetzt hat, kann es nicht gerechtfertigt sein, die Belange des Verurteilten in den Vordergrund zu stellen, wenn es darum geht, einen Vollstreckungsaufschub im Interesse der mitbetroffenen Angehörigen zu gewähren. Letztlich ist jedoch nicht zu übersehen, daß ein Vorteil für die Angehörigen nur zu erreichen ist, wenn sich der Verurteilte während der Zeit des Vollstreckungsaufschubs für seine Familie einsetzt. Im allgemeinen wird dies nur dann zu erwarten sein, wenn der Verurteilte durch einen Antrag bzw. seine Zustimmung signalisiert hat, daß er mit einem Aufschub der sofortigen Vollstreckung im Interesse seiner Familienmitglieder einverstanden ist. Unter diesem Aspekt erscheint es vertretbar. an der derzeitigen Rechtslage festzuhaiten.
54 Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1966. 1767. 1768; OLG Stuttgart MDR 1982.601; Wendisch. Anm. zu OLG Düsseldorfv. 15. 11. 1991. JR 1992.436. 55 Im Falle der Freiheitsstrafe muß der Antrag vor Beginn des Strafvollzuges gestellt werden. siehe OLG Zweibrücken NJW 1974. 70 mit Anm. Kaiser; Kleinknecht I Meyer-Goßner. StPO. § 456 Rn. 4; Löwe I Rosenbergl Wendisch. StPO. § 456 Rn. 8. 51> Löwe/Rosenberg/Wendisch. StPO. § 456 Rn. 7: KMR/Paulus. StPO. § 456 Rn. 13: Bringewart. Strarvollstreckung. § 456 Rn. 6: vgl. auch Feisenberger. StPO und GVa. § 456 Anm.2. 57 Löwel Rosenbergl Wendisch. StPO. § 456 Rn. 7.
B. Im Vorfeld des Strafvo\1zuges
209
c) Die Emlessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde
Steht fest, daß durch einen maximal viermonatigen Vollstreckungsaufschub erhebliche, außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile im Interesse des Verurteilten oder seiner Familie vermieden werden können, so hat die Vollstreckungsbehörde über den Antrag des Verurteilten nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden 58 . Der vorübergehende Vollstreckungsaufschub ist zu versagen, wenn überwiegende Gründe für die sofortige Durchführung der Strafvollstreckung sprechen 59 . Zu den Gründen, die eine sofortige Vollstreckung nahelegen, zählt die Befürchtung, daß sich der Verurteilte dem Vollzug der Freiheitsstrafe durch Flucht entzieht oder er den Strafaufschub zur Begehung weiterer Straftaten mißbraucht 60 . Die Gefahren, die mit einem Vollstreckungsaufschub verbunden sein können, sind im Rahmen der Ermessensentscheidung gegen die Belastungen abzuwägen, die sich im Falle einer sofortigen Vollstreckung für den Verurteilten oder seine Familie ergeben würden 61 • Betreffen die Nachteile, die es durch die Gestattung eines Vollstreckungsaufschubs zu verhindern gilt, den Schutzbereich des Art. 6 Abs. I und 2 GG, so ist das Gewicht dieser grundrechtlichen Gewährleistungen zu berücksichtigen. Desto bedeutsamer die familiären Interessen sind, desto erheblicher müssen die Argumente sein, die gegen die Gestattung eines vorübergehenden Vollstrekkungsaufschubs sprechen. Das Ermessen der Vollstreckungsbehörden ist allerdings dann zu Lasten familiärer Belange auf Null reduziert, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte während des Vollstreckungsaufschubs schwere Straftaten begeht. In diesem Fall müssen die Belange von Ehe und Familie zwingend hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer sofortigen Vollstreckung zurücktreten. Da die Schwere der Schuld für sich genommen kein Kriterium ist, das die Versagung eines Vollstreckungsaufschubs zu rechtfertigen vermag, kann ein vorübergehender Aufschub nach § 456 StPO grundsätzlich auch bei langen und sogar bei lebenslangen Freiheitsstrafen gestattet werden 62 • Im Hinblick darauf, daß gerade bei langfristiger Abwesenheit ein besonderes Bedürfnis besteht, die Versorgung der Familienmitglieder sicherzustellen, sollte die Vorschrift des § 456 StPO in diesen Fällen als eine wesentliche Hilfe verstanden werden. Im Bereich geringer Schuld kann ein Vollstreckungsaufschub nach § 456 StPO verhindern, daß durch die sofortige Vollstreckung Härten entstehen, die außer Verhältnis zur Schuld des Täters stehen 6J . ~x Dafür spricht die Formulierung des § 456 Abs. I StPO als "Kann-Vorschrift". Siehe auch Kleinknecht/Meyer-Goßner. StPO. § 456 Rn. 5: Löwe I Rosenberg I Wendisch, StPO, § 456 Rn. 9: Lemberg. DRiZ 1965.265. ~9 Vgl. §§ 455 Abs. 4 S. 2. 455a Abs. IStPO: Kleinknechtl Meyer-Goßner. StPO, § 456 Rn. 5: Lemberg. DRiZ 1965.265. (,() Vgl. Vo1ckart. NStZ 1982.496.498: Häberle. in: Isenseel Kirchhof (Hrsg.), HbStR Bd. I. S. 815. 858. 6\ Vgl. Lemberg, DRiZ 1965.265. 62 V gl. dazu Kleinknecht I Meyer-Goßner. StPO. § 455 Rn. I. \4 Gülle
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
Bestehen Bedenken gegen die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs, so ist zu prüfen, ob sich diese durch geeignete Maßnahmen ausräumen lassen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Regelung des § 456 Abs. 3 StPO, wonach die Vollstreckungsbehörde die Bewilligung des Aufschubs an eine Sicherheitsleistung oder an andere Bedingungen knüpfen kann 64 . Bezüglich der Sicherheitsleistung gelten die §§ 116 Abs. 1 Nr.4, 116a Abs. 1 und 3 StPO entsprechend65 . Daraus folgt, daß die von der Vollstreckungsbehörde nach Art und Höhe festgelegte Sicherheitsleistung durch den Verurteilten oder einen anderen, z. B. ein Familienmitglied, erbracht werden kann. Als Sicherheitsleistung kommt die Hinterlegung von Bargeld oder Wertpapieren, die PfandbesteIlung oder eine Bürgschaft geeigneter Personen in Betracht. Eine "andere Bedingung" i. S. d. § 456 Abs. 3 StPO kann eine wöchentliche oder tägliche Meldepflicht bei der Polizei sein 66 • Möglich ist aber auch die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Behörden zu verlassen 67 • Steht fest, daß eine Sicherheitsleistung oder eine andere Bedingung den Verurteilten davon abhalten kann, sich der bevorstehenden Strafvollstreckung zu entziehen oder den Vollstreckungsaufschub zur Begehung weiterer Straftaten zu mißbrauchen, darf der beantragte Vollstreckungsaufschub nicht mehr versagt werden. Die Anordnungen nach § 456 Abs. 3 StPO sind in diesem Fall mildere Mittel im Verhältnis zur Ablehnung des Antrages.
d) Rechtsbehelfe Die Anordnungen der Vollstreckungsbehörde nach § 456 StPO sind im Wege der §§ 458 Abs. 2, 462 Abs. I und 3, 462a Abs. I und 3 StPO gerichtlich überprüfbar. Berechtigt sind insofern der Verurteilte, sein Verteidiger und Bevollmächtigte 68 . Da auch Dritten die Erhebung von Einwendungen nach § 458 Abs. 2 StPO zugestanden wird, sofern sie durch die Vollstreckung betroffen sind"'!, ist davon auszugehen, daß sich die Familienmitglieder gegen eine Versagung des Vollstrekkungsaufschubs nach § 456 StPO ebenso zur Wehr setzen können wie der Verurtei Ite selbst.
Vo\ckart. NStZ 1982.496.497. Vgl. Volckart. NStZ 1982.496. 498. ~~ Kleinknecht I Meyer-Goßner. StPO. § 456 Rn. 7; Bringewart. Strafvollstreckung. § 456 Rn. 13; KMR/Paulus. StPO. § 456 Rn. 16. M Kleinknechtl Meyer-Goßner. StPO. § 456 Rn. 7. ~7 Vgl. § 116 Abs. I Nr. 2 StPO. ~x Kleinknecht I Meyer-Goßner. StPO. § 458 Rn. 5. 12. ~~ Kleinknecht I Meyer-Goßner. StPO. § 458 Rn. 5. 12. M
M
B. Im Vorfeld des Strafvollzuges
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2. Überlegungen zu einem erweiterten Anwendungsbereich des § 456 StPO
a) Die Aufhebung der zeitlichen Beschränkung nach § 456 Abs. 2 StPO Durch den engen zeitlichen Rahmen. den § 456 Abs. 2 StPO für den vorübergehenden Vollstreckungsaufschub setzt. wird der weitgefaßte Ansatz des § 456 Abs. 1 StPO wesentlich beschränkt. Auch wenn es nicht das Ziel eines Vollstreckungsaufschubs sein kann. die im Strafurteil festgesetzten Rechtsfolgen einer Straftat zu unterlaufen. so stellt sich dennoch die Frage. ob eine Aufhebung der zeitlichen Grenzen des § 456 Abs. 2 StPO angezeigt ist. Ohne die Beschränkung des § 456 Abs. 2 StPO hätte die Vollstreckungsbehörde anhand der Umstände des Einzelfalles über die Dauer des Aufschubs zu entscheiden. Dabei wäre auch ein mehrfacher Aufschub möglich. sofern dies in Anbetracht der konkreten Situation geboten erscheint. Letztlich hätte dies zur Folge. daß die Betroffenen für den Fall. daß sich erhebliche. außerhalb des Strafzwecks liegende Belastungen nur durch einen über die Dauer von vier Monaten hinausgehenden Vollstreckungsaufschub verhindern lassen. nicht mehr auf eine Gnadenentscheidung angewiesen wären 70. Im Rahmen des Strafvollstreckungsrechts bildet § 456 StPO die zentrale Vorschrift. die den Schutz von Ehe und Familie ermöglicht71. Der Vollstreckungsaufschub kann eine wichtige Rolle spielen. wenn es darauf ankommt. für die Zeit der Strafhaft Vorsorge zu treffen. Je nach Lage des Einzelfalles können die Belastungen. die sich für die Angehörigen des Delinquenten ergeben. zumindest verringert werden. Hervorzuheben ist insbesondere die Möglichkeit. die Betreuung eines Kindes durch den verurteilten Elternteil solange zu gewährleisten. bis eine dauerhafte und für das Kind geeignete Fremdbetreuung sichergestellt ist 72 . Auch ist daran zu denken. der Familie Zeit zu geben. damit sie eine .. Umstrukturierung" ihres familiären Lebenshilfesystems vornehmen kann. Konkret kann dies z. B. bedeuten. daß die Strafvollstreckung solange aufgeschoben wird. bis die Ehefrau des Verurteilten durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit die Rolle des Ernährers in der Familie übernehmen kann. Zu erwägen ist dies insbesondere. wenn sich die Ehefrau des Delinquenten bereits vor der Verurteilung ihres Ehemannes um einen Arbeitsplatz bemüht hat und es in Antracht ihrer beruflichen Vorbildung sowie der Arbeitsmarktlage wahrscheinlich ist. daß sie die Funktion des erwerbstätigen Familienmitgliedes übernehmen kann. Um das Institut des Vollstreckungsaufschubs effektiv im Sinne des Ehe- und Familienschutzes nutzen zu können. ist eine zeitlich flexible Handhabung notwendig. Zwar mag ein viermonatiger Vollstreckungsaufschub in Einzelfällen ausreichen. um die für die Zeit der Haft erforderliche Vorsorge zu treffen. doch kann dies kein 70 Zur Verrechtlichung der Gnadenpraxis siehe Müller-Dietz. DRiZ 1987.474 ff.; Walter. Strafvollzug. Rn. 368 - 373. 71 Vgl. BVerfG NStZ 1985.357.
n Vgl. Birtsch / Riemann / Rosenkranz. in: Birtsch / Rosenkranz (Hrsg.). Mütter und Kinder im Gefängnis. S. 187. 189. 14"
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
allgemeiner Maßstab sein. Außerdem sollte nicht Eile, sondern der Wille, eine sinnvolle Lösung zu finden, bestimmend sein. Nur dies kann der Bedeutung, die dem Ehe- und Familienschutz in Anbetracht seiner grundrechtlichen Gewährleistung zukommt, gerecht werden. Im übrigen ist zu bedenken, daß es auch darum geht, Beeinträchtigungen von Familienmitgliedern abzuwenden, die ohne ihr Verschulden mit den Nebenwirkungen der Strafe konfrontiert werden. Der Verweis des Verurteilten und seiner Angehörigen auf den Gnadenweg, wie er derzeit erfolgt, wenn sich erhebliche, außerhalb des Strafzwecks liegende Belastungen nur durch einen über die Dauer von vier Monaten hinausgehenden Vollstreckungsaufschub verhindern lassen, kann kein "Ersatz" für eine notwendige rechtliche Regelung sein 73 . In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf hinzuweisen, daß ablehnende Gnadenentscheidungen grundsätzlich nicht von den Gerichten überprüft werden 74. Vergleicht man die Tatbestände der §§ 455, 455a StPO mit der Regelung des § 456 StPO, so ist kein zwingender Grund ersichtlich, warum der Aufschub nach § 456 StPO einer engen zeitlichen Grenze unterliegt, während die §§ 455, 455a StPO den Vollstreckungsbehörden die Entscheidung zur Dauer des Aufschubs überlassen 75 und damit einen flexiblen Umgang mit dem Institut des Strafausstandes ermöglichen. Bezüglich des Vollstreckungsausstandes wegen Vollzugsuntauglichkeit nach § 455 StPO mag man die besondere Bedeutung von Leben und körperlicher Integrität anführen, die es rechtfertigt, das Interesse an einer sofortigen Vollstreckung bzw. einer Fortsetzung der Vollstreckung weitgehend hintanzustellen. Im Fall des § 455a StPO hat der Gesetzgeber jedoch auf eine zeitliche Beschränkung verzichtet, obwohl der Strafausstand ausschließlich auf organisatorischen Gründen beruht 76. Wenn aber die Vollstreckungsbehörde aus Gründen der Vollzugsorganisation - orientiert an den Erfordernissen des Einzelfalles - über die Dauer des Vollstreckungsausstandes entscheiden kann, dann sollte dies auch zulässig sein, wenn das Grundrecht auf Ehe und Familie betroffen ist. Dieser Argumentation steht die Vorschrift des § 456c StPO nicht entgegen. Ebenso wie der Vollstreckungsaufschub nach § 456 StPO ist auch der Aufschub des Berufsverbots, den das Gericht nach § 456c StPO gewähren kann, an eine zeitliche Schranke gebunden. Maßgebend ist insofern die Regelung des § 456c Abs. 3 S. 2 StPO, wonach der Ausstand den Zeitraum von sechs Monaten nicht übersteigen darf. Die zeitliche Begrenzung des § 456c Abs. 3 S. 2 StPO läßt sich vor dem Hintergrund rechtfertigen, daß gemäß § 70 Abs. I StGB ein Berufsverbot 73
Vgl. Müller-Dietz. DRiZ 1987.474.479.
Vgl. BVetfGE 25. 352 ff.; BVerwGE 14.73 ff.; BVerwG N1W 1983. 187 ff.; OLG Stuttgart NStZ 1985. 331. 332. Für eine lustitialität von Gnadenentscheidungen sprechen sich z. B. aus: abw. Votum in BVetfGE 25. 352. 363 f.; Schmidt-Bleibtreu. in: Schmidt-Bleibtreu I Klein. GG. Art. 19 Rn. 24h; Walter. Strafvollzug. Rn. 370. 75 V gl. Kleinknecht I Meyer-Goßner. StPO. § 455 Rn. 2. 74
76 Zur praktischen Bedeutung des § 455a StPO siehe Walter I Geiter I Fischer. NStZ 1989. 405.415.
B. Im Vorfeld des Strafvollzuges
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nur angeordnet werden kann, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen läßt, daß bei weiterer Ausübung des Berufs erhebliche rechtswidrige Taten begangen werden. In Anbetracht der Gefahr, die vom Verurteilten ausgeht, besteht ein besonderes Interesse an einer baldigen Durchsetzung des Berufsverbots. Demgegenüber sind die möglichen Anwendungsfälle des § 456 StPO nicht zwangsläufig mit der Prognose verbunden, der Delinquent werde auch in Zukunft erheblichen Schaden anrichten. Von § 456 StPO werden auch Straftaten erfaßt, die nicht auf eine Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit schließen lassen, so z. B. Konflikttaten im sozialen Nahbereich. Mithin besteht - anders als im Fall des § 456c StPO - kein durch die Gefährlichkeit des Verurteilten begründetes generelles Interesse an einer zeitnahen Realisierung des Urteils. Vielmehr muß von dem Bedürfnis ausgegangen werden, je nach Lage des Einzelfalles entscheiden zu können, ob ein längerfristiger Vollstreckungsaufschub vertretbar ist. Daß die Aufhebung des § 456 Abs. 2 StPO zu einer uferlosen Ausdehnung des Vollstreckungsaufschubs nach § 456 StPO führen könnte, ist nicht zu befürchten, denn es ist an dem Prinzip des § 456 StPO festzuhalten, wonach ein Vollstrekkungsaufschub nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn die spätere Vollstreckung der Strafe gegenüber der sofortigen Vollstreckung einen wesentlichen Vorteil bringt. Keinesfalls darf ein längerfristiger Vollstreckungsaufschub zu einer bloß zeitlichen Verlagerung der Drittbetroffenheit führen. Insofern hat eine sorgfältige Prüfung stattzufinden. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß über einen Vollstreckungsaufschub im Interesse der mitbetroffenen Kinder zu entscheiden ist. Der Auffassung, daß Müttern von Kleinkindern statt der gemeinsamen Unterbringung nach § 80 StVollzG eine (vorübergehende) Haftverschonung gewährt werden sollte 77, kann nicht ohne weiteres gefolgt werden, denn es steht nicht fest, ob Kinder unter dem Verlust eines Elternteils weniger leiden, wenn sie älter geworden sind 78 .
b) Die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs von Amts wegen Da der Vollstreckungsaufschub nach § 456 StPO nur auf Antrag gewährt wird, obliegt es den Betroffenen, sich an die Vollstreckungsbehörde zu wenden. Damit besteht die Gefahr, daß die Möglichkeiten des § 456 StPO aus Unkenntnis oder aufgrund einer Überforderung, die im Zusammenhang mit dem Strafverfahren eintritt, ungenutzt bleiben. Im Hinblick darauf, daß die Vorschrift des § 456 StPO ein wichtiger Ansatz ist, um den Ehe- und Familienschutz im Rahmen des Vollstrekkungsverfahrens zu realisieren, und alle staatlichen Stellen durch Art. 6 Abs. I GG 77 Häberle, in: Isenseel Kirchhof (Hrsg.), HbStR Bd. I, S. 815, 857 ff.; Morlok, in: Bemmann I Manoledakis (Hrsg.), Probleme des staatlichen Strafens unter besonderer Berücksichtigung des Strafvollzuges, S. 45, 55; siehe auch Maelicke, ZfStrVo 1986, 144, 146. 78 Vgl. Birtsch I Riemann I Rosenkranz, in: Birtsch/Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefangnis, S. 187, 189.
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
zur Förderung von Ehe und Familie verpflichtet sind, wäre es wünschenswert, wenn die Vollstreckungsbehörden die Voraussetzungen des § 456 Abs. 1 StPO nicht nur auf Antrag, sondern auch von Amts wegen zu prüfen hätten. Die Vollstreckungsbehörden könnten dann von sich aus die Initiative ergreifen und - mit Zustimmung der Beteiligten - einen Vollstreckungsaufschub gewähren. Ein Vorbild findet die hier vorgeschlagene Veränderung des § 456 Abs. 1 StPO in der Regelung des § 456c Abs. 1 StPO, wonach das Gericht auf Antrag oder mit Einwilligung des Verurteilten das Wirksam werden des Berufsverbots durch Beschluß aufschieben kann, wenn das sofortige Wirksamwerden des Verbots für den Verurteilten oder seine Angehörigen eine erhebliche, außerhalb seines Zwecks liegende, durch späteres Wirksamwerden vermeidbare Härte bedeuten würde. Eine Prüfung der Voraussetzungen des § 456 Abs. I StPO von Amts wegen würde für die Vollstreckungsbehörden bedeuten, daß sie im Interesse des Verurteilten und seiner Familienangehörigen zu ermitteln hätten, ob durch den Aufschub der sofortigen Vollstreckung erhebliche Nebenwirkungen der Freiheitsstrafe zu vermeiden sind. Dabei könnte sich die Vollstreckungsbehörde gemäß § 463d StPO der Gerichtshilfe bedienen. Sofern Kinder durch die Freiheitsstrafe eines Elternteils betroffen sind, wäre eine Zusammenarbeit mit dem zuständigen Jugendamt empfehlenswert. Eine wesentlich höhere Arbeitsbelastung wäre mit einer von Amts wegen durchzuführenden Prüfung des § 456 Abs. 1 StPO nicht verbunden, weil die Vollstreckungsbehörden auf die Akten des Strafverfahrens zurückgreifen könnten. Da diese Auskunft über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten geben (vgl. § 46 Abs. 2 StGB)79, sind bereits erste Informationen für eine Entscheidung nach § 456 StPO vorhanden. So wird z. B. bekannt sein, ob Kinder mitbetroffen sind und ob der Verurteilte bzw. die Verurteilte bislang für das Kind gesorgt hat.
c) Die Gewährung einer Vollstreckungsunterbrechung auf der Grundlage des § 456 StPO
Die Vorschrift des § 456 StPO läßt lediglich einen Vollstreckungsaufschub, nicht aber eine Vollstreckungsunterbrechung zu 80. Ist eine Unterbrechung der Vollstrekkung erforderlich, um den Verurteilten oder seine Familie vor erheblichen, außerhalb des Strafzwecks liegenden Wirkungen der Strafe zu schützen, kann diese nur im Wege der Gnade gewährt werden 81 . 79 Gegebenenfalls kann die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde sogar auf ihre eigenen Ermittlungen nach § 160 Abs. 3 S. I StPO i.V.m. § 46 Abs. 2 StGB zurückgreifen. 80 BGHSt 19, 148, 150 f.; OLG Stuttgart NStZ 1985,331,332; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 456 Rn. I; KK I Fischer, StPO, § 456 Rn. I, 9; Löwe I Rosenberg I Wendisch, StPO, § 456 Rn. 12; Bringewart, Strafvollstreckung, § 456 Rn. 2; Wetterich I Hamann, Strafvollstreckung, Rn. 677; KMR/Paulus, StPO, § 456 Rn. 5; a.A. Volckart, NStZ 1982,496, 498, der für eine entsprechende Anwendung des § 456 StPO im Fall der Strafunterbrechung eintritt.
B. Im Vorfeld des Strafvollzuges
215
Um den Rechtsschutz zugunsten der Verurteilten und ihrer Familien zu verbessern, empfiehlt es sich, die Regelung des § 456 Abs. I StPO um die Möglichkeit der VolJstreckungsunterbrechung zu erweitern. Auf diese Weise könnte ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, der eine Abwägung zwischen dem Interesse am Erhalt von Ehe und Familie und dem Interesse am Fortgang der VolJstreckung erlauben würde. Die VolJstreckungsunterbrechung wäre z. B. geeignet, um während der Haftzeit auf den AusfalJ des betreuenden Elternteils oder die Erkrankung eines Kindes zu reagieren. Dabei käme eine VolJstreckungsunterbrechung insbesondere dann in Betracht, wenn die Mittel des StrafvolJzuges, d. h. die Gewährung von Hafturlaub nach § 13 StVoIJzG und die Bewilligung des Urlaubs aus wichtigem Anlaß nach § 35 Abs. I StVoIJzG, erschöpft wären bzw. nicht ausreichen würden, um der Notsituation der Familie angemessen Rechnung zu tragen. Ebenso wie für die Gewährung von Urlaub nach §§ 13, 35, II Abs. 2 StVoIJzG wäre auch für die Bewilligung einer VolJstreckungsunterbrechung von Bedeutung, daß weder fluchtnoch Mißbrauchsgefahr besteht 82 . Ein Unterschied zur Gewährung von Urlaub nach §§ 13. 35, 11 Abs. 2 StVoIJzG würde sich jedoch insofern ergeben, als die Zuverlässigkeit des Inhaftierten nicht Voraussetzung, sondern Kriterium der Ermessensentscheidung wäre. Für eine Erweiterung des § 456 StPO um die Alternative der Vollstreckungsunterbrechung spricht des weiteren ein "Erst-Recht-Schluß". Wenn es nämlich zulässig ist, einen Strafausstand vor dem Antritt der Strafe zu bewilJigen, dann solJte es um so mehr möglich sein, eine Unterbrechung der VolJstreckung zu gestatten, weil in diesem Fall die Strafe bereits zum Teil verbüßt ist83 . Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß die Regelungen der §§ 455, 455a, 456c StPO neben dem VolJstrekkungsaufschub auch die Vollstreckungsunterbrechung vorsehen. Einzig die Vorschrift des § 456 StPO ist auf die Gewährung eines VolJstreckungsaufschubs beschränkt, ohne daß dies in der Sache gerechtfertigt ist84 .
81 Vgl. OLG Stuttgan NStZ 1985,331,332; KK/Fischer, StPO, § 456 Rn. 9; Löwe/Rosenberg/Wendisch. StPO, § 456 Rn. 12; Bringewan. Strafvollstreckung, § 456 Rn. 2; KMRI Paulus. StPO. § 456 Rn. 7. 8~ Vgl. Vo\ckan. NStZ 1982,496.498. 83 Vgl. Vo\ckan. NStZ 1982, 496, 498. 84 Während die Vorschrift des § 456 StPO seit dem Inkrafttreten der StPO am 1. 2. 1877 inhaltlich nicht verändert worden ist. wurde die Regelung des § 455 StPO, die ursprünglich ebenfalls auf die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs beschränkt war, nachträglich um die Alternative der Vollstreckungsunterbrechung erweitert, siehe dazu Vo\ckan, NStZ 1982, 496,497; Löwe/Rosenberg/Wendisch, StPO, § 455 Rn. I f. Daß nach heutigem Rechtsverständnis nicht nur der Vollstreckungsaufschub, sondern auch die Vollstreckungsunterbrechung möglich sein soll. belegen im übrigen die nachträglich eingefügten Vorschriften der §§ 455a. 456c StPO.
216
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
C. Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange während des Strafvollzuges I. Die Leitgedanken des Strafvollzuges und der Ehe- und Familienschutz 1. Der Ehe- und FamiUenschutz im Verhältnis zu den VoUzugsaufgaben
a) Verhältnis zur Resozialisierung
Da die Strafvollzugs behörden - wie alle anderen Behörden auch - unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG), besteht für sie die Pflicht, und zwar unabhängig davon, ob der Gesetzgeber es im StVollzG ausdrücklich vorgesehen hat oder nicht, für den besonderen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) einzutreten 85 . Im Verhältnis zum Vollzugsziel der Resozialisierung (§ 2 S. 1 StVollzG) ist der Schutz von Ehe und Familie ein eigenständiges Prinzip, das auch dann von den Strafvollzugsbehörden zu berücksichtigen ist, wenn es keinen Beitrag zur Resozialisierung des Gefangenen leisten kann 86 . Ein Zusammentreffen von Resozialisierung einerseits und Ehe- und Familienschutz andererseits wird sich oftmals im Rahmen von Ermessensentscheidungen (vgl. §§ 11, 80 StVolIzG) ergeben. Möglich ist aber auch, daß beide Prinzipien die allgemeine Vollzugsgestaltung bestimmen. Soweit der Ehe- und Familienschutz zum Ziel der Resozialisierung in Konkurrenz tritt, hat eine Abwägung bei der Rechtswerte stattzufinden 87 . Im allgemeinen ist jedoch festzustellen, daß ein und dieselbe Vollzugsmaßnahme sowohl der Resozialisierung als auch dem Schutz von Ehe und Familie dienen kann 88 . Während das Ziel der Resozialisierung die Arbeit der Vollzugsbehörden auf die Person des Gefangenen konzentriert, verpflichtet der Ehe- und Familienschutz zu einer Berücksichtigung beider Ehegatten bzw. aller Familienmitglieder. Damit haben die Vollzugsbehörden den Blick auch auf die mitbetroffenen Kinder und Ehepartner von Gefangenen zu richten. Daß dies grundsätzlich nur im Rahmen der 85 Vgl. BVerfGE 42,95,101; 89, 315, 322; BVerfG NStZ 1994,604 f. mit Anm. Rotthaus; OLG Schieswig-Hoistein ZfStrVo 1981, 64; OLG Saarbrücken ZfStrVo 1984, 379; OLG Hamm StV 1997,260; BK/Pirson, GG, Art. 6 Rn. 67; AK-GG/Richter, Art. 6 Rn. 25; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 196 ff.; Koepse1, ZfStrVo 1989, 151, 153; Niebecker, ZfStrVo 1984, 335; Morlok, in: Bemmann/Manoledakis (Hrsg.), Probleme des staatliehenStrafens unter besonderer Berücksichtigung des Strafvollzuges, S. 45, 55; Kruis I Cassardt, NStZ 1995, 521. 522; siehe auch Bernsmann, in: Blau I Kammeier (Hrsg.), Straftäter in der Psychiatrie, S. 142, 154 ff. 86 BVerfGE 89,315,322; Kruis/Cassardt, NStZ 1995,521,522; AK-StVollzGI Bertram I Huchting, vor § 71 Rn. 9. 87 Vgl. BVerfGE 89, 315, 322 f.; Kruis/Cassardt, NStZ 1995, 521, 522; AK-StVollzGI Bertram I Huchting, vor § 71 Rn. 9. 88 Vgl. Mor1ok, in: Bemmann I Manoledakis (Hrsg.), Probleme des staatlichen Strafens unter besonderer Berücksichtigung des Strafvollzuges, S. 45, 56; BKI Pirson, GG, Art. 6 Rn. 69.
C. Während des Strafvollzuges
217
auf den Gefangenen ausgerichteten - Vollzugsarbeit geschehen kann, liegt in der Natur der Sache, denn den Strafvollzugsbehörden stehen im allgemeinen keine Befugnisse zu, die sich ausschließlich auf die Angehörigen des Gefangenen konzentrieren. Von diesem Ansatz her ergibt sich, daß die Vollzugsbehörden eine mittelbare Begünstigung der Anhörigen von Gefangenen anzustreben haben. Konkret bedeutet dies, daß die Lebensverhältnisse der Gefangenen "familienfreundlich" auszugestalten sind. Da die Verpflichtung des Staates, Ehe und Familie zu schützen, in der Sache auf alle Bereiche des Ehe- und Familienlebens bezogen ist89 , gilt dies nicht nur bezüglich des persönlichen Kontakts zwischen den Familienmitgliedern, sondern auch im Hinblick auf die unterhaltsrechtlichen Aspekte des Ehe- und Familienlebens. Aus der Eigenständigkeit des Ehe- und Familienschutzes im Verhältnis zum Ziel der Resozialisierung folgt, daß die familiären Belange des Gefangenen und seiner Angehörigen um ihrer selbst willen zu berücksichtigen sind. Auch wenn es sinnvoll und zulässig ist, die stabilisierende Wirkung von Ehe und Familie für den Resozialisierungsprozeß zu nutzen 90, so darf die Beachtung der ehelichen und familiären Beziehungen doch keinesfalls auf diesen Aspekt reduziert werden, denn in diesem Fall würde der Schutz von Ehe und Familie dem Vollzugsziel der Resozialisierung generell untergeordnet. Darüber hinaus hätte eine ausschließlich auf das Ziel der Resozialisierung bezogene Förderung der familiären Belange zur Folge, daß die Angehörigen des Gefangenen auf eine dem Strafvollzug dienende Funktion festgelegt wären. Im Hinblick darauf, daß die Familienmitglieder des Gefangenen in vielfältiger Weise belastet werden, wäre dies nicht vertretbar91 .
b) Verhältnis zum Schutz der Allgemeinheit
Außer dem Ziel der Resozialisierung dient der Vollzug der Freiheitsstrafe dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten (§ 2 S. 2 StVollzG). Zu verstehen ist dies in dem Sinne, daß während der Haftzeit durch sichere Unterbringung der Insassen eine Gefährdung der Allgemeinheit durch weitere Straftaten verhindert werden soll92. Damit findet die Sicherungsfunktion der Freiheitsstrafe ihre Entsprechung im Strafvollzugsrecht93 . Anders als § 2 S. 1 StVollzG beschreibt § 2 S. 2 StVollzG kein (weiteres) Vollzugsziel, sondern eine Aufgabe des StrafVgl. dazu das 1. Kap. unter B. I. Vgl. dazu BVerfGE 89, 315, 322; Gareis, ZfStrVo 1978,207 ff.; Tiedt, ZfStrVo 1979, 213,214; Niebecker, ZfStrVo 1984,335; Wu1f, ZfStrVo 1986,81 f.; Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V., Die inhaftierte Familie, S. 18-23. 91 Vgl. Busch, ZfStrVo 1989,131; Meyer, ZfStrVo 1989, 138, 139. 92 Schöch, in: Kaiser I Kerner I Schöch, Strafvollzug, § 4 Rn. 20 ff.; Böhm, Strafvollzug, S. 29; AK-StVollzG I Feest, § 2 Rn. 15; Feest, Anm. zu OLG Frankfurt v. 2. 9. 1982, NStZ 1983, 143. 93 Walter, in: Müller-Dietz I Wa1ter (Hrsg.), Strafvollzug in den 90er Jahren, S. 191, 198. K9
90
218
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
vollzuges 94 , die bei der Konzeption der Resozialisierung ausreichend zu berücksichtigen ist 95 . Der Ehe- und Familienschutz steht der Vollzugsaufgabe des § 2 S. 2 StVollzG ebenso wie dem Vollzugsziel der Resozialisierung - als eigenständiges Prinzip gegenüber. Da der Schutz der Allgemeinheit während der Vollzugszeit am wirksamsten durch eine weitgehende Ausgrenzung des Delinquenten zu erreichen ist, während der Ehe- und Familienschutz die Durchlässigkeit des Strafvollzuges erfordert, ergibt sich zwischen der AufgabensteIlung des § 2 S. 2 StVollzG und dem Eheund Familienschutz ein stärkeres Spannungs verhältnis, als dies zwischen dem Eheund Familienschutz und dem Interesse an Resozialisierung der Fall ist 96 . Die Ermessensentscheidungen der Vollzugsbehörden nach § 11 Abs. I StVollzG bieten allerdings keinen Raum, um zwischen dem Sicherungsgedanken des § 2 S. 2 StVollzG und den Belangen von Ehe und Familie abzuwägen, denn das Ermessen ist nach § ll Abs. 2 StVollzG erst eröffnet, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen wird. Da Aucht- und Mißbrauchsgefahr i. S. d. § ll Abs. 2 StVollzG Ausdruck der Sicherungsfunktion sind, die dem Strafvollzug nach § 2 S. 2 StVollzG zugewiesen ist 97 , kommt dem Interesse der Allgemeinheit, während der Haftzeit des Delinquenten vor weiteren Straftaten geschützt zu sein, ein automatischer Vorrang ZU98. Eine Abwägung zwischen den Belangen von Ehe und Familie und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit kann allerdings im Zusammenhang mit Ermessensentscheidungen nach § 14 StVollzG erfolgen 99 .
2. Die Gestaltungsgrundsätze des § 3 StVollzG unter dem Aspekt des Ehe- und Familienschutzes
a) Angleichungsgrundsatz
Der in § 3 Abs. I StVollzG normierte Angleichungsgrundsatz begründet für die Vollzugsbehörden die Verpflichtung, das Leben im Strafvollzug soweit wie möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen anzugleichen. Besonderheiten des Strafvollzuges, die den Gefangenen lebensuntüchtig machen können, sollen im Rahmen des Möglichen zurückgedrängt werden, so daß Unterschiede zwischen dem Leben 94 Schöch, in: Kaiser / Kerner / Schöch, Strafvollzug, § 4 Rn. 11; Walter, Strafvollzug. Rn. 54; Kaiser, Anm. zu OLG Frankfurt v. 2. 9. 1982, NStZ 1983, 142. 95 Walter, Strafvollzug, Rn. 54. 96 Vgl. Busch, ZfStrVo 1989,131. 97 Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 65, 285, 287; Böhm, Strafvollzug, S. 29; Treptow, NJW 1978, 2227, 2230; Grunau, DRiZ 1978, 111, 112. 98 Vgl. dazu Böhm, Strafvollzug, S. 29. 99 Vgl. dazu unter C. 11. 3. c).
C. Während des Strafvollzuges
219
in der Anstalt und dem in Freiheit nur in dem Umfang bestehen, in dem sie unvermeidbar sind 1oo . Den Angleichungsgrundsatz haben die Vollzugsbehörden bei Einzelmaßnahmen ebenso wie bei organisatorischen Maßnahmen zu berücksichtigen 101. Ein subjektiv-öffentliches Recht des Gefangenen begründet § 3 Abs. 1 StVollzG nicht I02 • Im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidende Grundsatznorm I03 ist § 3 Abs. 1 StVollzG dahingehend zu verstehen, daß die Vollzugsbehörde die Angleichung der Lebensverhältnisse auch zum Vorteil ehelicher und familiärer Interessen zu fördern hat. Soweit es dem Gefangenen nicht möglich ist, seine familiären Aufgaben zu erfüllen, beruht dies auf einer von den allgemeinen Lebensverhältnissen abweichenden Vollzugssituation. Im Umkehrschluß folgt daraus, daß eine dem Angleichungsgrundsatz entsprechende Vollzugs gestaltung zur "familienfreundlichen" Ausrichtung des Strafvollzuges beitragen kann. So eindeutig diese Erkenntnis ist, so klar ist andererseits auch, daß die Vollzugsbehörden grundsätzlich nicht in der Lage sind, das Anstaltsleben in der Weise zu gestalten, daß den Gefangenen die Wahrnehmung familiärer Aufgaben möglich ist. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang nicht nur auf das Arbeitsangebot, das im Rahmen der Anstalt lediglich ein begrenztes sein kann, sondern auch auf die Vergütung der Gefangenenarbeit, die durch die §§ 43, 200 StVollzG gesetzlich festgelegt ist lO4 •
b) Gegenwirkungsgrundsatz
Gemäß § 3 Abs. 2 StVollzG ist den schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken. In erster Linie ist dieser Grundsatz mit dem Vollzugsziel der Resozialisierung in Verbindung zu bringen. Schädlich sind demnach alle Wirkungen der Freiheitsentziehung, die eine erfolgreiche Resozialisierung verhindern oder den bei Antritt der Haft sozial eingegliederten Gefangenen belasten I05 . Zum Tragen kommt der Gegenwirkungsgrundsatz, soweit eine Angleichung der Vollzugssituation an die allgemeinen Lebensverhältnisse aus zwingenden Gründen nicht möglich ist lO6 . Da der Ehe- und Familienschutz die Strafvollzugsbehörden verpflichtet, die Belange aller Familienmitglieder zu berücksichtigen, ist der Gegenwirkungsgrundsatz des § 3 Abs. 2 StVollzG auch auf die Kinder und Ehepartner der Inhaftierten zu AK-StVollzG I Feest, § 3 Rn. 4. AK-StVollzG I Feest, § 3 Rn. 4. 102 Vgl. BT-Drs. 7/3998, S. 6; Calliess, Strafvollzugsrecht, S. 34. 103 BVerfGE 6, 55, 71 f.; 24, 119, 135; 28, 104, 112; E.M. v. Münch, in: v. Münchl Kunig, GG, Art. 6 Rn. 19; MK/Rebmann, BGB, Einl. Familienrecht Rn. 27. 104 Vgl. AK-StVollzG/Feest, § 3 Rn. 11. 105 Vgl. Schwind I Böhm, StVollzG, § 3 Rn. 11. 106 Vgl. AK-StVollzG/Feest, § 3 Rn. 15; Walter, Strafvollzug, Rn. 390. 100 101
220
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaItsrechtIichen Belange
beziehen, deren Belastungen ebenfalls zu den schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges zu zählen sind 107 . Daß dieses Verständnis des Gegenwirkungsgrundsatzes dem StVollzG zugrunde liegt, lassen insbesondere die Regelungen der §§ 72, 80 StVollzG erkennen, deren Ziel es - zumindest auch - ist, die Angehörigen der Gefangenen vor Nachteilen zu bewahren. Den Willen des Gesetzgebers, die Vorschrift des § 3 Abs. 2 StVollzG nicht ausschließlich in den Dienst der Resozialisierung zu stellen, bringt die Begründung des Regierungsentwurfs zur Regelung des § 80 StVollzG eindeutig zum Ausdruck, denn dort heißt es: "Die Vorschrift soll Schäden abwenden, die dem Kind durch die Trennung von der Mutter entstehen würden, und konkretisiert damit den Grundsatz des § 3 Abs. 2 StVollzG". Instrumentarien der Gegenwirkung können - auch in bezug auf die Angehörigen - grundsätzlich nur die im StVollzG vorgesehenen Maßnahmen sein, deren Adressat der Gefangene ist. Der Angehörigenwirkung kann die Vollzugsbehörde jedoch in der Weise entgegentreten, daß sie ihr Ermessen - je nachdem, ob die Maßnahme einen belastenden oder begünstigenden Charakter hat - unter Berücksichtigung der Angehörigenbelange schonend bzw. fördernd einsetzt. Unter dem Gesichtspunkt der Belastung bzw. Begünstigung kommt den Vollzugsmaßnahmen grundSätzlich eine Doppelwirkung zu. So wirkt sich ein begünstigender Verwaltungsakt i.d.R. auch positiv auf die Angehörigen aus. Umgekehrt beschweren belastende Vollzugsentscheidungen sowohl den Gefangenen als auch dessen Familienmitglieder.
c) Integrationsgrundsatz
Gemäß § 3 Abs. 3 StVollzG ist der Strafvollzug darauf auszurichten, daß er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. Da das Leben in Freiheit die ehelichen und familiären Bindungen um faßt, beinhaltet § 3 Abs. 3 StVollzG die Pflicht zur Förderung der familiären Integration. Insofern sind die Vollzugsbehörden gehalten, dem Gefangenen zu helfen, familiären Aufgaben sowohl im materiell-wirtschaftlichen als auch im immateriell-persönlichen Sinne zu erfüllen. Ein wichtiges Instrumentarium zur Verwirklichung der familiären Integration ist die Gewährung von Freigang, denn grundsätzlich ermöglicht nur die Teilnahme am Leben in Freiheit eine effektive Wahrnehmung der familiären Funktionen. Die Bemühungen der Vollzugsbehörden um eine familiäre Integration haben nicht nur den Gefangenen zu gelten, die bereits vor ihrer Inhaftierung außerstande waren, zum Familienunterhalt beizutragen, sondern müssen sich auch auf jene beziehen, die durch die Haft ihrer familiären Funktion entfremdet werden. Bezogen auf die Rolle des Ernährers sind familiäre und berufliche Integration miteinander verbunden. Die Förderung der familiären Eingliederung kommt mittelbar auch den Angehörigen des Gefangenen zugute. 107 Vgl. AK-StVoIlzG I Feest, § 3 Rn. 14; BuschI Fülbier I Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten. S. 845; Busch. ZfStrVo 1989, 131. 135.
C. Während des Strafvollzuges
221
3. Die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber den Gefangenen und ihren Familien
Ausgehend von Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidender Grundsatznorm ist die Fürsorgeptlicht, die dem Staat gegenüber den Gefangenen obliegt lO8 , auch auf die Familienmitglieder des Gefangenen zu beziehen 109. Daß diese Sichtweise dem StVollzG zugrunde liegt, belegt die Vorschrift des § 72 Abs. 1 StVollzG, wonach die Vollzugsanstalt verpflichtet ist, dem Gefangenen zu helfen, die notwendigen Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige zu veranlassen. Allerdings können die Familienmitglieder des Gefangenen nicht ausnahmslos in die staatliche Fürsorgepflicht eingebunden werden, denn es ist zu berücksichtigten, daß die Angehörigen unschuldige Dritte sind und sie als solche nicht ohne weiteres einer Fürsorge unterstellt werden können, die in erster Linie dem Delinquenten gilt. So kommt es z. B. nicht in Betracht, daß die Gesundheitsfürsorge gemäß den §§ 56 - 66 StVollzG auf die Kinder und Ehepartner der Gefangenen ausgedehnt wird. Von Bedeutung ist die auf den Gefangenen und seine Familienmitglieder bezogene Fürsorgeptlicht insbesondere deshalb, weil sich der Gefangene nur mit Hilfe der Vollzugsanstalt für seine Angehörigen einsetzen kann. Indem die Anstalt ihre Fürsorgeptlicht erfüllt, wird sie für den Gefangenen gleichsam als "verlängerter Arm" tätig (vgl. §§ 72 Abs. I, 73 StVollzG). So betrachtet ist die staatliche Fürsorgeptlicht ein Ausgleich dafür, daß der Gefangene infolge des Freiheitsentzugs gehindert ist, seine familiäre Verantwortung wahrzunehmen 110.
11. Die Einbeziehung unterhaltsrechtlicher Belange im Rahmen von einzelfallbezogenen Vollzugsmaßnahmen 1. Die Bildung und Auszahlung des Überbrückungsgeldes nach § 51 StVollzG
a) Der "familienfreundliche" Ansatz des § 51 StVoLlzG
Indem die Vorschrift des § 51 Abs. I StVollzG den Gefangenen verpflichtet, das Überbrückungsgeld nicht nur für den eigenen Lebensbedarf, sondern auch für den seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen anzusparen, arbeitet das Strafvollzugsrecht bewußt darauf hin, daß der Gefangene in den ersten vier Wochen nach seiner Haftentlassung in der Lage ist, für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen zu lOH BVerfGE 35, 202, 236; Loschelder, in: Isenseel Kirchhof (Hrsg.), HbStR V, § 123 Rn. 46. 109 Vgl. AK-StVollzG I Bertram I Huchting, vor § 71 Rn. 12; Römer, Die Nebenfolgen der Freiheitsstrafen auf die Kinder der Delinquenten, S. 83 f. 110 V gl. Loschelder, in: Isensee I Kirchhof (Hrsg.), HbStR V, § 123 Rn. 46; Bemmann, in: Bemmann I Manoledakis (Hrsg.), Probleme des staatlichen Strafens unter besonderer BerückSichtigung des Strafvollzuges, S. 35, 42.
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
sorgen. Dem Gefangenen wird damit die Möglichkeit gegeben, nach der Entlassung als Ernährer in die Familie zurückzukehren. Unter diesem Aspekt dient § 51 Abs. 1 StVollzG der familiären Integration des Gefangenen. Gleichzeitig ergibt sich für die unterhaltsberechtigten Angehörigen eine mittelbare Begünstigung, denn das bei der Entlassung ausgezahlte Überbrückungsgeld begründet, soweit es nicht dem Selbstbehalt zuzurechnen ist, die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Haftentlassenen für den Zeitraum von vier Wochen 111 • Infolge dessen steht den unterhaltsberechtigten Familienmitgliedern in dieser Zeit ein Unterhaltsanspruch gegen den Haftentlassenen zu. Entscheidend sind dabei die allgemeinen Regelungen des Unterhaltsrechts, denn allein aus dem Umstand, daß die Vollzugsanstalt ein bestimmtes Familienmitglied bei der Bemessung des Überbrückungsgeldes berücksichtigt hat, folgt kein Recht, den Strafentlassenen auf Unterhalt in Anspruch zu nehmen. Mithin wird durch die Bildung des Überbrükkungsgeldes die Basis geschaffen, die dem Entlassenen die Erfüllung seiner familiären Aufgabe ermöglicht. Im Hinblick darauf, daß Gefangene während der Haftzeit regelmäßig nicht in der Lage sind, ihre Angehörigen finanziell zu unterstützen, und das Überbrükkungsgeld den Unterhalt lediglich für den Zeitraum von vier Wochen nach der Haftentlassung gewährleisten kann, kommt dem "familienfreundlichen" Ansatz des § 51 StVollzG eine eher geringe praktische Bedeutung zu. Sinn macht die Einbeziehung der unterhaltsrechtlichen Belange im Rahmen des § 51 StVollzG erst, wenn auch Gefangene, die zugewiesene Arbeit verrichten, während der Haftzeit einen Beitrag zum Unterhalt ihrer Angehörigen leisten können 112.
b) Die Festsetzung des anzusparenden Überbrückullgsgeldes
Die Höhe des anzusparenden Überbrückungsgeldes legt die Anstalt - vorbehaltlich späterer Veränderungen 113 - zu Beginn der Haftzeit fest. Maßstab ist - entsprechend der Zweckbestimmung des § 51 Abs. I StVollzG - der notwendige lebensunterhalt des Gefangenen und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen für die ersten vier Wochen nach seiner Entlassung. Zum Lebensbedarf des Gefangenen und seiner Familienangehörigen zählen insbesondere die Aufwendungen. die erforderlich sind, um ausreichend wohnen, essen und sich kleiden zu können 114. Ob die Unterhaltsverptlichtung des Gefangenen infolge der Haft entfällt. 111 Vgl. BGH NJW 1982. 1812. 1813; Kalthoener/Büttner. Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts. Rn. 760. m Vgl. BT-Drs. 7/918. S. 67. ID Diese können sich dadurch ergeben. daß sich der Kreis der Unterhaltsberechtigten. z. B. durch die Geburt eines Kindes oder den Tod eines Angehörigen. verändert oder die für die Festsetzung des Überbrückungsgeldes geltenden Pauschalbeträge durch die Landesjustizverwallung erhöht bzw. herabgesetzt werden. 114 Schwind/Böhm/Matzke. StVollzG. § 51 Rn. 2; Grunau/Tiesler. StVollzG. § 51 Rn. I.
C. Während des Strafvollzuges
223
ist für die Festsetzung des Überbrückungsgeldes ohne Bedeutung. Entscheidend ist ausschließlich die Unterhaltsberechtigung der Familienmitglieder (vgl. §§ 1360 S. 1, 1361 Abs. 1 S. 1, 1569-1579, 1602 BGB). Des weiteren ist ohne Belang, ob der Delinquent vor seiner Inhaftierung für seine Familie sorgt hat oder nicht. Gemäß Nr. 1 Abs. 2 S. 1 der VV zu § 51 StVollzG wird die angemessene Höhe des Überbrückungsgeldes durch die Landesjustizverwaltung festgesetzt. Sie soll gemäß Nr. 1 Abs. 2 S. 2 der VV zu § 51 StVollzG das Zweifache der nach § 22 BSHG jeweils festgesetzten monatlichen Mindestbeträge der Regelsätze für den Gefangenen und seine Unterhaltsberechtigten nicht unterschreiten. Die in dieser Weise bestimmten Pauschalbeträge können jedoch nur Maßstab für den Normalfall sein, mit dem Ziel, eine gleichmäßige Verwaltungspraxis zu gewährleisten l15 . Denn der notwendige Lebensunterhalt des Gefangenen und seiner Angehörigen kann grundsätzlich nur individuell unter Berücksichtigung der jeweiligen persönlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse bestimmt werden 116. In Anbetracht dessen ist es gegebenenfalls erforderlich, daß die Anstalt die notwendigen Informationen durch ihren sozialen Dienst in Zusammenarbeit mit der Gerichtshilfe und den Sozialbehörden einholt 1l7 • Sofern die unterhaltsberechtigten Angehörigen im Ausland leben und der Gefangene nach der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe dorthin abgeschoben werden soll, ist der notwendige Bedarf im Heimatland maßgebend l18 . Im Rahmen der am Einzelfall orientierten Festsetzung des Überbrükkungsgeldes können die von der Landesjustizverwaltung bestimmten Regelsätze nicht nur, wie es in Nr. 1 Abs. 2 S. 3 der VV zu § 51 StVollzG vorgesehen ist, überschritten, sondern auch unterschritten werden 119. Ein unter dem festgesetzten Regelsatz liegendes Überbrückungsgeld kommt jedoch nur in Betracht, wenn zu erwarten ist, daß der notwendige Unterhalt des Gefangenen und seiner Angehörigen anderweitig sichergestellt sein wird. Anhaltspunkte dafür sind z. B. ausreichendes Einkommen und Vermögen des Gefangenen außerhalb der Anstalt oder ein einkommensstarker Ehepartner l2o . Die Entscheidung der Anstalt über die Höhe des anzusparenden Überbrückungsgeldes kann von den Strafvollstreckungskammern im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG in vollem Umfang überprüft werden l21 . Dem Anstaltsleiter steht weder ein Beurteilungsspielraum noch Ermessen zu, wenn es darum geht, das ÜberbrükVgl. OLG Hamm b. Bungert, NStZ 1989,360; VoJckart, ZfStrVo 1983, 4J. BT-Drs. 7/918, S. 71; VoJckart, ZfStrVo 1983,41 f.; Seebode, Anm. zu OLG Celle v. 23.2.1984, NStZ 1984,335; Callicss, Strafvollzugsrecht, S. 177. 117 BT-Drs. 7/918, S. 71; Callicss/Müllcr-Dictz, StVollzG, § 51 Rn. 5; Schwind/Böhml Matzkc, StVollzG, § 5 I Rn.3. Ilk OLG Ccllc NStZ 1983,239; Volckart, ZfStrVo 1983,41,42. IIY Vgl. dazu Schindl Böhml Matzkc, StVollzG, § 51 Rn. 3; AK-StVollzG/Däublcr/PcCle, § 51 Rn. 4; Calliess/Müllcr-Dictz, StVollzG, § 51 Rn. 5; Volckart, ZfStrVo 1983,41, 42. 120 Schwind/Böhm/Matzke, StVollzG, § 51 Rn. 3; AK-StVollzG/Däublcr/Pccic, § 51 Rn. 4; VoJckart, ZfStrVo 1983, 4 1,42. 121 OLG Celle NStZ 1984, 334; VoJckart, ZfStrVo 1983,41. 115
II~
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
kungsgeld der Höhe nach festzusetzen 122. Der "notwendige Lebensunterhalt" i. S. d. § 51 Abs. 1 StVollzG ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der vom Anstaltsleiter auszufüllen ist und dessen Konkretisierung ohne Einschränkungen der gerichtlichen Überprüfung unterliegt 123. Rechtswidrig sind Festsetzungen, die über den "Vier-Wochen-Bedarf' hinausgehen 124 • Grund dafür ist, daß in einem solchen Fall sowohl die Verfügungs befugnis des Gefangenen über sein Eigentum als auch der zwangsvollstreckungsrechtliche Zugriff der Gläubiger auf die Bezüge des Gefangenen in gesetzes widriger Weise beschränkt wird 125. Da die Gläubiger - einschließlich der Unterhaltsgläubiger - durch eine überhöhte Festsetzung des Überbrückungsgeldes in ihren eigenen Rechten verletzt werden, können sie nach § 109 StVollzG die gerichtliche Entscheidung beantragen 126 • Auf diese Weise kann verhindert werden, daß die Gutschrift von Überbrückungs geld zum Schutz des inhaftierten Schuldners mißbraucht wird.
c) Die vorzeitige Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes
nach § 51 Abs. 3 StVollzG
Eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß das Überbrückungsgeld während der Haftzeit nicht verfügbar ist, läßt § 51 Abs. 3 StVollzG zu. Gemäß dieser Vorschrift kann der Anstaltsleiter gestatten, daß das Überbrückungsgeld für Ausgaben in Anspruch genommen wird, die der Eingliederung des Gefangenen dienen. In Betracht kommen Ausgaben, die dem Gefangenen zu einem Arbeitsplatz oder einer Unterkunft für die Zeit nach der Haft verhelfen 127. Im Gegensatz zu Nr. 97 Abs. 1 S. 2 DVollzO, wonach eine Inanspruchnahme der Rücklagen während des Vollzuges auch für den Fall vorgesehen war, daß die Not der Familie des Gefangenen dies dringend erforderte, haben die Interessen der Angehörigen des Gefangenen in § 51 Abs. 3 StVollzG keine Erwähnung gefunden. Dennoch ist eine vorzeitige Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes zugunsten der Angehörigen auch im Rahmen des § 51 Abs. 3 StVollzG möglich l28 . Anzuer-
122 OLG Hamm b. Bungert. NStZ 1989. 360; Vo1ckart. ZfStrVo 1983. 41; Calliess I Müller-Dietz. StVollzG. § 51 Rn. I. 123 Vgl. Vo1ckart. ZfStrVo 1983.41. 124 OLG Hamm ZfStrVo 1985. 380 f.; Schwind I Böhm I Matzke. StVollzG. § 51 Rn. 2. m OLG Hamm ZfStrVo 1985.380 f.; Schwind/Böhm/Matzke. StVollzG. § 51 Rn. 2: vgl. dazu auch Seebode. Anm. zu OLG Celle v. 23. 2. 1984. NStZ 1984. 335. 12~ Vgl. dazu OLG Celle NStZ 1984. 334 mit Anm. Seebode. Allgemein zur Antragsbefugnis Dritter gemäß § 109 Abs. 2 StVollzG: OLG Hamm ZfStrVo SH 1977.49.50; OLG Koblenz ZfStrVo 1980. 252; OLG Nürnberg ZfStrVo 1982. 248; OLG Frankfurt NStZ 1982. 221; KG ZfStrVo 1982. 125; Calliess I Müller-Dietz. StVollzG. § 109 Rn. 9. Böhm. Strafvollzug. S. 212. 127 Vgl. Nr. 2 Abs. 2 der VV zu § 51 StVollzG. 12K Vgl. auch Koepsel. Strafvollzug im Sozialstaat. S. ISS.
C. Während des StrafvolJzuges
225
kennen ist dies allerdings nur für den Fall, daß sich die Angehörigen in einer extremen Notlage befinden, die auf andere Weise nicht bewältigt werden kann, und durch die Freigabe des Überbrückungsgeldes eine Aufwendung ermöglicht wird, die auch der Eingliederung des Gefangenen förderlich ist l29 . Sofern die Angehörigen in der Bundesrepublik Deutschland leben, ist grundsätzlich davon auszugehen, daß sie auf staatliche Hilfen zurückgreifen können, um Notlagen zu überwinden, und somit nicht auf das Überbrückungsgeld angewiesen sind 130. Leben die Angehörigen des Gefangenen jedoch in einem Staat, der ein geringeres Maß an sozialer Absicherung bietet, als dies in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist, kann es durchaus geboten sein, eine Notlage, die z. B. durch eine Krankheit oder einen Unfall ausgelöst wurde, mit Hilfe des Überbrükkungsgeldes zu lindern, sofern weder dem Gefangenen noch dessen Angehörigen andere Mittel- so z. B. ein ausreichendes Eigengeld l31 - zur Verfügung stehen l32 . Der Eingliederung des Gefangenen dient eine Unterstützung der Angehörigen beispielsweise dann, wenn die Möglichkeit, die Not seiner Angehörigen zu lindern, den psychischen Zustand des Gefangenen sowie dessen Aussichten auf ein künftig straffreies Leben günstig beeinflussen kann I33. Darüber hinaus wird sich die Unterstützung von Angehörigen dann günstig auf die Eingliederung des Gefangenen auswirken, wenn der Gefangene durch die Bereitstellung von finanziellen Mitteln seine Akzeptanz innerhalb der Familie stärken kann und auf diese Weise ein Beitrag zu einer tragfähigen familiären Bindung geleistet wird. Ebenso wie in sonstigen Fällen einer vorzeitigen Inanspruchnahme ist auch bei einer vorzeitigen Heranziehung des Überbrückungsgeldes zugunsten der unterhaltsberechtigten Angehörigen erforderlich, daß bei der Entlassung gleichwohl ein Überbrückungsgeld in angemessener Höhe zur Verfügung steht I34 .
d) Die Rechtslage bei Auszahlung des Überbrückungsgeldes
Der Anspruch auf Auszahlung des Überbrückungsgeldes, der mit der Entlassung des Gefangenen in Freiheit fällig wird I35, steht ausschließlich dem Gefangenen zu 136. Zu einer Auszahlung an einen Unterhaltsberechtigten ist die Vollzugsbehör1~9 OLG CelJe NStZ 1983, 239 f.; CalJiess I MülJer-Dietz, StVoIJzG, § 51 Rn. 7; a.A. LG Karlsruhe ZfStrVo 1979. 125; AK-StVolJzG I Däubler I Pecic, § 51 Rn. 13; Grunau I Tiesler, StVollzG. § 51 Rn. 6. 130 Vgl. OLG Celle. NStZ 1983.239 f. 131 Vgl. OLG Frankfurt ZfStrVo 1979. 186. 187. m Vgl. OLG Celle NStZ 1983,239 f. 133 OLG Celle NStZ 1983,239,240. \34 Vgl. Nr. 2 Abs. I der VV zu § 51 StVollzG; OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 186, 187; Schwind I Böhm I Matzke. StVollzG. § 51 Rn. 10. 135 HansOLG Bremen ZfStrVo 1991, 309; AK-StVollzG I Däubler I Pecic, § 51 Rn. 8. 15 Gölle
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
de gemäß § 51 Abs. 2 S. 4 StVollzG nur befugt, wenn der Gefangene dem zugestimmt hat. Ziel des § 51 Abs. 2 S. 4 StVollzG ist, einer unsachgemäßen Verwendung des Überbruckungsgeldes durch den Gefangenen vorzubeugen 137. Entsprechend dieser Zielsetzung muß der Unterhaltsberechtigte die Gewähr für eine sorgsame Verwaltung des Überbruckungsgeldes bieten 138 . Da eine unsachgemäße Verwendung des Überbrückungs geldes durch den Haftentlassenen dessen Weg in ein straffreies Leben gefährden kann, läßt sich die Feststellung treffen, daß die Regelung des § 51 Abs. 2 S. 4 StVollzG die Unterhaltsberechtigten in den Dienst der Resozialisierung stellt. Letztlich darf aber nicht übersehen werden, daß eine Auszahlung nach § 51 Abs. 2 S. 4 StVollzG auch den Unterhaltsberechtigten zugute kommt, denn ihr Lebensunterhalt würde gefährdet, wenn der Haftentlassene das Überbruckungsgeld unzweckmäßig verwendet. Das Überbrückungs geld muß auch dann vollständig an den Haftentlassenen ausgezahlt werden, wenn zu erwarten ist, daß er die Unterhaltsanspruche seiner Familienmitglieder nicht freiwillig erfüllen wird. Die unterhaltsberechtigten Angehörigen können in diesem Fall eine Befriedigung ihrer Anspruche nur im Wege der Zwangsvollstreckung erreichen. Diese Möglichkeit eröffnet ihnen die Vorschrift des § 51 Abs. 5 S. I StVollzG. Gemäß § 51 Abs. 5 S. 2 StVollzG muß dem Entlassenen der Betrag verbleiben, den er benötigt, um seinen eigenen notwendigen Unterhalt und den Lebensbedarf seiner sonstigen kraft Gesetzes unterhaltsberechtigten Angehörigen für die Zeit von der Pfändung bis zum Ablauf von vier Wochen seit der Entlassung zu decken. Da § 51 Abs. 5 S. 2 StVollzG nicht auf § 850d Abs. 1 S. 3 ZPO verweist, kann dieser Eigenanteil den Betrag übersteigen, der dem Schuldner nach § 850c ZPO bei der Einkommenspfändung gegenüber nichtprivilegierten Gläubigem für den gleichen Zeitraum zu belassen wäre 139. Gerechtfertigt ist dies aufgrund der besonderen Bedürfnisse, die sich für einen Strafentlassenen ergeben 140. Ein zwangsvollstreckungsrechtliches Vorgehen bleibt den Unterhaltsberechtigten auch dann nicht erspart, wenn die Anstalt nach § 51 Abs. 2 S. 2 StVollzG das Überbruckungsgeld an einen Bewährungshelfer oder eine Betreuungsstelle überwiesen hat und der Haftentlassene eine Erfüllung der Unterhaltsforderungen verweigert. Denn § 51 Abs. 2 S. 2 StVollzG gibt dem Bewährungshelfer ebenso wie der Betreuungsstelle lediglich die Befugnis, zu entscheiden, "wie das Geld innerhalb der ersten vier Wochen nach der Entlassung an den Gefangenen ausgezahlt wird". Mit einer Entscheidung über Unterhaltsforderungen wollte der Gesetzgeber die Bewährungshelfer und Betreuungsstellen nicht belasten 141 . 13~ 137 13M
13~ 14() 141
Vgl. § 51 Abs. 2 S. 1.4 StVollzG. Schöch. in: Kaiser 1Kerner 1Schöch. Strafvollzug. § 6 Rn. 118. Vgl. Schwind 1 Böhm/Matzke. StVollzG. § 51 Rn. 9. Stöber. Forderungspflindung. Rn. 139. Stöber. Forderungspfandung. Rn. 139. Vgl. BT-Drs. 7/3998. S. 24: Calliessl Müller-Dietz. StVollzG. § 51 Rn. 9.
C. Während des Strafvollzuges
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2. Die soziale Hilfe gemäß den §§ 71-75 StVoUzG
a) Die Grundnorm des § 7J StVollzG
Die Vorschrift des § 71 S. 1 StVollzG begründet für den Gefangenen das Recht, die soziale Hilfe der Anstalt in Anspruch zu nehmen, um seine persönlichen Schwierigkeiten zu lösen l42 . Diese Berechtigung wird durch die §§ 72-75 StVollzG konkretisiert l43 . Grundlegend für die soziale Hilfe sind das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) und die besondere staatliche Fürsorgepflicht, die gegenüber Inhaftierten besteht 144. Gemäß § 71 S. 2 StVollzG soll die Hilfe darauf gerichtet sein, den Gefangenen in die Lage zu versetzen, seine Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu regeln, und zwar im Sinne einer sozial verantwortlichen Lebensbewältigung l45 . Aus den Vorschriften der §§ 72 Abs. 1, 73 StVollzG ergibt sich, daß zu den Angelegenheiten des Gefangenen i. S. d. § 71 StVollzG auch dessen Sorge um unterhaltsberechtigte bzw. hilfsbedürftige Angehörige zählt. Auf diese Weise erfassen die §§ 71-75 StVollzG auch die Belange der Angehörigen. Dabei erstreckt sich die Fürsorge der Anstalt auf die Familienmitglieder des Gefangenen, ohne daß ihnen eine eigene Berechtigung eingeräumt wird. Im Hinblick darauf, daß das StVollzG in erster Linie das zwischen Staat und Gefangenen bestehende Sonderrechtsverhältnis regelt und die Angehörigen diesem Verhältnis nicht angehören, ist dies systemgerecht. Es liegt jedoch auf der Hand, daß diese mittelbare Begünstigung der Angehörigen nur greifen kann, wenn das Verhältnis des Gefangenen zu seinen Angehörigen intakt ist und der Gefangene die Belange seiner Familienmitglieder auch tatsächlich als seine Angelegenheit empfindet. Sind die familiären Beziehungen gestört, ist kaum zu erwarten, daß der Gefangene die soziale Hilfe der Anstalt im Interesse seiner Angehörigen in Anspruch nehmen wird. Vielmehr wird er versuchen, die Hilfe ausschließlich für seine Belange zu nutzen. Die Anstalt kann in einem solchen Fall zwar vermittelnd tätig werden, letztlich kann sie sich jedoch nicht gegen den Willen des Gefangenen den Familienmitgliedern zuwenden 146. In Anbetracht dessen muß den Angehörigen von Inhaftierten ein "Ansprechpartner" zur Verfügung stehen, dessen Unterstützung sie aus eigenem Recht einfordern können. Insofern bildet § 72 BSHG einen wichtigen Anknüpfungspunkt 147.
14~ Vgl. Calliess/Müller-Dietz. StVollzG. § 71 Rn. I; AK-StVollzG/Bertram/Huchting. § 71 Rn. 2; Schwind/Böhm/Best. StVollzG. § 71 Rn. I. 143 144
14~ 14~ 147
IS·
Calliess. Strafvollzugsrecht. S. 144. Calliess. Strafvollzugsrecht. S. 143; Schwind I Böhm I Best. StVollzG, vor § 71 Rn. I. Vgl. Calliessl Müller-Dietz. StVollzG. § 71 Rn. 2; Calliess. Strafvollzugsrecht. S. 144. Vgl. Wulf. ZfStrVo 1986.81. 86. Siehe dazu unter C. 11. 2. b).
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
b) Die Hilfe bei der Aufnahme nach § 72 StVollzG Gemäß § 72 StVollzG ist die Anstalt bei der Aufnahme eines Gefangenen verpflichtet, ihm zu helfen, die notwendigen Maßnahmen für die hilfsbedürftigen Angehörigen zu veranlassen (§ 72 Abs. I Alt. 1), ihn bei der Sicherung seiner Habe außerhalb der Anstalt zu unterstützen (§ 72 Abs. 1 Alt. 2) und ihn über die Aufrechterhaltung einer Sozialversicherung zu beraten (§ 72 Abs. 2). Zielsetzung ist insofern, den schädlichen Folgen, die sich aufgrund des Strafvollzuges für den Gefangenen und seine Angehörigen ergeben, entgegenzuwirken (§ 3 Abs. 2 StVollzG) 148. Die notwendigen Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige, die es zu veranlassen gilt, können sowohl finanzieller als auch psycho-sozialer Art sein l49 . Um festzustellen, ob die Angehörigen der Hilfe bedürfen und weIche Maßnahmen i. S. d. § 72 Abs. I StVollzG "notwendig" sind, empfiehlt sich ein gemeinsames Zugangsgespräch zwischen dem Gefangenen, seinen Angehörigen und einem Sozialarbeiter der Anstalt l50 . Notwendig für die hilfsbedürftigen Angehörigen sind grundsätzlich alle Maßnahmen, die - ganz oder teilweise - einen haftbedingten Unterhaltsausfall ausgleichen können. Mithin ist zu veranlassen, daß die Angehörigen, soweit erforderlich, die staatlichen Leistungen nach UVG und / oder BSHG erhalten. Hat die Familie bereits vor ihrer Betroffenheit durch den Strafvollzug Sozialhilfeleistungen bezogen, ist zu berücksichtigen, daß nach der Inhaftierung eines Ehepartners bzw. Elternteils Mehrbedarfszuschläge nach § 23 Abs. 2 BSHG in Betracht kommen 151 und den Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nach der haftbedingten Trennung der Familie ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuß nach §§ I Abs. I und 2, 2 Abs. 1 UVG zustehen kann l52 . Für den Fall, daß die Frage der Pflege und Erziehung der Kinder noch nicht (abschließend) geklärt ist, müssen die Bemühungen dahin gehen, die Versorgung der Kinder durch Dritte (dauerhaft) zu gewährleisten. Notwendig ist ferner, auf den Erhalt des kranken- und pflegeversicherungsrechtlichen Schutzes zugunsten der Angehörigen hinzuwirken (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V i.Y.m. § 13 Abs. 2 S. I Hs. I BSHG, § 26 Abs. I S. 2 SGB XI i.Y.m. § 13 Abs. 3 BSHG) sowie - mittelbar über den Gefangenen - für eine Absicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung Sorge zu tragen (§ 7 Abs. I SGB VI i.Y.m. § 14 BSHG). Insofern überschneidet sich die Hilfe nach § 72 Abs. I Alt. I StVollzG mit der Beratung des Gefangenen über die Aufrechterhaltung einer Sozialversicherung nach § 72 Abs. 2 StVollzG. Aus dem Wortlaut des § 72 Abs. I StVollzG, wonach "dem Gefangenen geholfen" wird, folgt, daß ausschließlich der Gefangene anspruchsberechtigt ist m. 148
14~ I~O I~I
1~2
AK-StVollzG I Bertram I Huchting. AK-StVollzG I Bertram I Huchting. AK-StVollzG I Bertram I Huchting. Vgl. dazu das 2. Kap. unter B. I. 2. Vgl. dazu das 2. Kap. unter B. I. I.
§ 72 Rn. 2. § 72 Rn. 2. § 72 Rn. 11. cl. b).
C. Während des Strafvollzuges
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Kommt die Anstalt ihrer Verpflichtung, den Gefangenen in seiner Sorge um seine Angehörigen zu unterstützen, nicht oder nur unzureichend nach, kann der Gefangene eine gerichtliche Überprüfung nach §§ 109 ff. StVollzG beantragen 154. Die "notwendigen Maßnahmen" und "hilfsbedürftige Angehörige" sind als unbestimmte Rechtsbegriffe in vollem Umfang justiziabel 155 . Soweit der Gefangene die Hilfe der Anstalt nach § 72 Abs. 1 Alt. 1 StVollzG nicht in Anspruch nimmt, sind dessen Angehörige auf die Beratungsansprüche gemäß § 14 SGB I und die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 72 BSHG angewiesen. Den Angehörigen von Gefangenen steht ein Rechtsanpruch auf Hilfe nach § 72 BSHG zu, wenn besondere Lebensverhältnisse mit soziale Schwierigkeiten verbunden sind und diese aus eigener Kraft nicht überwunden werden können 156. Da die Durchführungsverordnung zu § 72 BSHG den anspruchsberechtigten Personenkreis nicht abschließend bestimmt 157, ist es unerheblich, daß die Angehörigen von Strafgefangenen nicht als anspruchsberechtigte Personen i. S. d. § 72 Abs. 1 S. 1 BSHG erfaßt sind. Im Gegensatz zu den Beratungsansprüchen nach § 14 SGB I, die gegenüber dem jeweiligen Leistungsträger bestehen, vermag die Hilfe nach § 72 BSHG einen umfassenden Planungs- und Koordinierungsbedarf zu decken 158. Ihr kommt damit eine besondere Bedeutung zu. Busch/ Fiilbier / Meyer l59 gehen aufgrund ihrer Untersuchung zur Situation der Frauen von Inhaftierten davon aus, daß bei einer Vielzahl der mitbetroffenen Angehörigen Lebensverhältnisse bestehen, die eine Anwendung des § 72 BSHG rechtfertigen. Einige Stellungnahmen überörtlicher Sozialhilfeträger machen jedoch deutlich, daß die Verwaltungspraxis dazu neigt, die Angehörigen von Gefangenen aus dem Anwendungsbereich des § 72 BSHG auszuklammern 160. Folglich muß angenommen werden, daß den Angehörigen von Gefangenen, soweit sie nicht die mittelbare Unterstützung der Vollzugsanstalt nach § 72 Abs. 1 Alt. 1 StVollzG erhalten, nur unzureichend geholfen wird.
Vgl. AK-StVollzG I Bertram I Huchting, § 72 Rn. 14. AK-StVollzG I Bertram I Huchting, § 72 Rn. 14. 155 Vgl. AK-StVollzG I Bertram I Huchting, § 72 Rn. Il. 156 Vgl. Busch I Fülbier I Meyer. Zur Situation der Frauen von Inhaftierten. S. 883. 157 Schellhorn/Jirasek/Seipp. BSHG. § 72 Rn. 19. § 72 Abs. 2 BSHG i.V.m. §§ I Abs. 2 S. I Nr. 4. 5 DVO zu § 72 BSHG erfaßt ausdrücklich nur die Angehörigen des Haftentlassenen. Die Angehörigen sind in diesem Fall Nebenadressaten ohne eigene Ansprüche aus § 72 Abs. I BSHG. vgl. dazu Busch I Fülbier I Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten. S. 882. Wahrend der Haftzeit kommt für die Angehörigen des Strafgefangenen die Stellung als Nebenadressat nach § 72 Abs. 2 BSHG i.d.R. nicht in Betracht. da für den Gefangenen die soziale Hilfe nach §§ 71-75 StVollzG gegenüber der Hilfe gemäß § 72 BSHG vorrangig ist. vgl. Brühl. ZfStrVo 1986,291,295. 158 Vgl. LPK-BSHG I Roscher. § 72 mit VO Rn. I, 36. 159 Busch I Fülbier I Meyer. Zur Situation der Frauen von Inhaftierten. S. 883. 160 Busch I Fülbier I Meyer, Zur Situation der Frauen von Inhaftierten. S. 884 f.; vgl. auch Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.v.. Die inhaftierte Familie. S. 24 f. 153 154
230
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
c) Die Hilfe während des Vollzuges nach § 73 StVollzG
Die Hilfe während des Vollzuges gemäß § 73 StVollzG bezieht sich insofern auf die unterhaltsberechtigten Angehörigen, als die Anstalt verpflichtet ist, den Gefangenen in seiner Sorge um die unterhaltsberechtigten Familienmitglieder zu unterstützen. Inhalt der Sorge um die Unterhaltsberechtigten ist das Bemühen, die Unterhaltspflicht wahrzunehmen 161. Anspruchsberechtigt ist auch hier ausschließlich der Gefangene selbst. Soweit der Inhaftierte bislang seine Unterhalts pflichten nicht oder nicht in ausreichendem Umfang erfüllt hat, ist es die Aufgabe der Anstalt, das Verantwortungsgefühl des Gefangenen gegenüber seinen unterhaltsberechtigten Angehörigen zu stärken 162. Kommt der Gefangene mit Unterstützung der Anstalt seiner Unterhaltspflicht nach, dient dies sowohl dem Gefangenen als auch dessen Angehörigen 163. Da die Mehrzahl der Gefangenen jedoch nicht in der Lage ist, Unterhalt zu leisten, fehlt in vielen Fällen der entscheidende Ansatzpunkt, um die Wahrnehmung der Unterhaltspflicht zu fördern. Die Verpflichtung der Anstalt aus § 73 StVollzG läuft damit weitgehend leer l64 . Besonders gravierend ist dies, wenn der Gefangene gerade wegen einer unterhaltsbezogenen Straftat die Freiheitsstrafe verbüßt. Da § 73 StVollzG von bestehenden Rechten und Pflichten des Gefangenen ausgeht, kommt es darauf an, dem Inhaftierten angesichts seiner haftbedingten "Handlungsunfähigkeit" zur Seite zu stehen. Eine Verpflichtung der Anstalt, die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Inhaftierten zu fördern bzw. zu erhalten, läßt sich der Regelung des § 73 StVollzG nicht entnehmen. Im Hinblick darauf, daß die Kenntnis der Unterhaltspflicht erste Voraussetzung für deren Erfüllung ist, sollte die Anstalt die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Gefangenen anhand der Bezüge sowie der bekannten Verbindlichkeiten prüfen und den Gefangenen über eine gegebenenfalls bestehende Unterhaltspflicht unterrichten. Steht fest, daß der Gefangene leistungsfähig ist, und sind mehrere unterhaltsberechtigte Angehörige vorhanden, die nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist zu klären, wer in welchem Umfang anspruchsberechtigt ist. Letztlich ist es jedoch dem Inhaftierten zu überlassen, ob und in welchem Umfang er einen Unterhaltsanspruch erfüllt l65 .
161 Dies ergibt sich daraus, daß § 73 StVollzG die Anstalt allgemein verpflichtet, die Gefangenen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten zu unterstützen, und die Sorge um die Unterhaltsberechtigten lediglich ein namentlich genannter Unterfall der allgemeinen Verpflichtung aus § 73 StVollzG ist. 162 BT-Drs. 7/918, S. 75. 163 Vgl. Calliess 1 Müller-Dietz, StVollzG, § 73 Rn. 3. 164 Vgl. AK-StVollzG 1 Bertram 1 Huchting, § 73 Rn. 14; Busch, ZfStrVo 1989, 131. 165 Siehe dazu das 1. Kap. unter C. I. 1. d).
C. Während des Strafvollzuges
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d) Die Entlassungshilfe nach §§ 74. 75 StVollzG
Die Regelungen der §§ 74, 75 StVollzG betreffen die Entlassungshilfe. Auch wenn die Angehörigen hier nicht ausdrücklich erwähnt sind, so kann doch die Berücksichtigung der Angehörigenbelange nicht auf die Hilfe bei der Aufnahme und die Hilfe während des Vollzuges beschränkt sein l66 . Kehrt der Gefangene nach der Entlassung zu seiner Familie zurück, sind seine persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten kaum von denen seiner Angehörigen zu trennen. Gemäß § 75 Abs. 1 StVollzG ist die Anstalt verpflichtet, einem Gefangenen, dem im Zeitpunkt seiner Entlassung keine bzw. nur unzureichende Eigenmitte1 zur Verfügung stehen, neben Reisekostenbeihilfe und ausreichender Kleidung eine Überbrückungsbeihilfe zu gewähren. Die Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 StVollzG liegen vor, wenn es dem Gefangenen infolge kurzer Strafhaft oder einer ungünstigen Beschäftigungslage nicht möglich war, ein ausreichendes Überbrükkungsgeld anzusparen und Eigengeld, das dem Überbrückungsgeldkonto gutgeschrieben werden könnte, bei der Entlassung nicht vorhanden ist l67 . Die Überbrükkungsbeihilfe greift somit dort ein, wo Überbrückungs- und Eigenge1d fehlen. Ihrer Natur nach ist sie eine staatliche Hilfe 168. Zur Bemessung der Überbrückungsbeihilfe führt § 75 Abs. 2 S. 1 StVollzG aus, daß die Dauer des Freiheitsentzuges, der persönliche Arbeitseinsatz des Gefangenen und die Wirtschaftlichkeit seiner Verfügungen über Eigen- und Hausgeld während der Strafzeit zu berücksichtigen sind. Der Bedarf der unterhaltsberechtigten Familienmitglieder wird nicht erwähnt. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Belange der Unterhaltsberechtigten bei der Bemessung der Überbrückungsbeihilfe außer acht zu lassen sind l69 . Anzuführen ist insofern, daß der Gesetzgeber den unterhaltsberechtigten Angehörigen durch den Verweis auf § 51 Abs. 5 StVollzG die Möglichkeit des zwangsvollstreckungsrechtlichen Zugriffs auf die Überbrückungsbeihilfe eingeräumt hat (§ 75 Abs. 3 S. 2 StVollzG). Da dies nur sinnvoll ist, wenn bei der Bemessung der Beihilfe die Berücksichtigung von Unterhaltsverpflichtungen in Betracht kommt, ist davon auszugehen, daß die Einbeziehung der Unterhaltsberechtigten gesetzlich gewollt ist 170. Zu beachten ist allerdings, daß durch die Gewährung von Überbrückungsbeihilfe lediglich der Zeitraum überbrückt werden soll, bis der Entlassene eine Arbeitsvergütung bzw. staatliche Unterhaltsersatzleistungen erhält l7l. Wesentlich ist dabei die Überlegung, daß das Arbeitsentgelt nicht unmittelbar mit der Aufnahme der Vgl. Calliess/Müller-Dietz. StVollzG. § 74 Rn. 2. Vgl. Calliess/Müller-Dietz. StVollzG. § 75 Rn. 1; AK-StVollzG/Bertram/Huchting. § 75 Rn. 2. 168 AK-StVollzG I Bertram I Huchting. § 75 Rn. I. 169 Calliess I Müller-Dietz. StVollzG. § 75 Rn. 1,3; AK-StVollzG I Bertram I Huchting. § 75 Rn. 6; a.A. LG Trier ZfStrVo SH 1977.3 f.; Schwind I Böhml Best, StVollzG. § 75 Rn. 6. 170 Vgl. AK-StVollzG I Bertram I Huchting. § 75 Rn. 10. 166
167
232
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
Arbeit fällig wird und auch die Behörde nicht direkt über die beantragte Leistung entscheiden kann. Da die Familienmitglieder bei der Gewährung von Überbrükkungsbeihilfe nicht unter einer anderen Zielsetzung berücksichtigt werden können wie der Gefangene selbst, sind sie nur dann bei der Bemessung einzubeziehen, wenn auch für sie eine "Versorgungslücke" entsteht. Ob eine derartige Abhängigkeit von der Situation des Haftentlassenen besteht, ist eine Frage des Einzelfalles. Nach § 75 Abs. 2 S. 3 StVollzG kann die Überbrückungsbeihilfe ganz oder teilweise dem Unterhaltsberechtigten überwiesen werden. Die Zustimmung des Gefangenen ist hier nicht erforderlich 172 . Erklären läßt sich dies damit, daß die Überbrückungsbeihilfe - anders als das Überbrückungs geld - eine staatliche Hilfe ist. Die Vorschrift des § 75 Abs. 2 S. 3 StVollzG soll - ebenso wie § 51 Abs. 2 S. 4 StVollzG - einer unzweckmäßigen Verwendung vorbeugen l73 .
3. Die VoUzugsentscheidungen zur Erwerbstätigkeit außerhalb der Anstalt
a) Die Genehmigung des Freigangs nach § 11 StVollzG
Die unterhaltsrechtliche Relevanz einer Erwerbstätigkeit außerhalb der Vollzugsanstalt ist bereits mehrfach deutlich geworden. Daß die Zulassung des Gefangenen zum Freigang und die Aufnahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses bzw. einer Selbstbeschäftigung außerhalb der Anstalt l74 den Gefangenen unterhaltsrechtlich leistungsfähig machen bzw. dessen Leistungsfähigkeit erhalten, steht außer Frage 175 . Wesentlich sind auch die sozialversicherungsrechtlichen Wirkungen einer Beschäftigung außerhalb der Anstalt. Da die Tatigkeit eines Gefangenen in einem freien Beschäftigungsverhältnis als kranken-, pflege- und rentenversicherungspflichtige Beschäftigung anerkannt ist 176 , können die Belastungen, die sich anderenfalls für die nicht erwerbstätigen Angehörigen des Gefangenen unter sozialversicherungsrechtlichen Aspekten ergeben, vermieden werden. Von diesem 171 Vgl. dazu Nr. 3 der VV zu § 75; BT-Drs. 7/918, S. 75; LG Trier ZfStrVo SH 1977,3 f.; LG Bonn NStZ 1985, 142; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 75 Rn. 3; Schwind/Böhml Best, StVollzG, § 75 Rn. 6; AK-StVollzG/Bertram/Huchting, § 75 Rn. 4; Weiß, ZfStrVo 1981, 115. 172 Calliess 1 Müller-Dietz, StVollzG, § 75 Rn. 4. 173 AK-StVollzG 1 Bertram 1 Huchting, § 75 Rn. 9; Calliess 1 Müller-Dietz, StVollzG, § 75 Rn. 4; Schwind 1 Böhm 1 Best, StVollzG, § 75 Rn. 12. 174 Vgl. dazu das 1. Kap. unter B. 11. 1. a). 175 Einen Niederschlag hat dies auch in der VV zu § 39 StVollzG gefunden. So bestimmt Nr. 2 Abs. 3c der VV zu § 39 StVollzG, daß die Bezüge des Gefangenen auf dessen Antrag zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten zu verwenden sind, und Nr. 4 der VV zu § 39 StVollzG weist darauf hin, daß der Gefangene anzuhalten ist, seine Unterhaltspflichten zu erfüllen. 176 Vgl. dazu das 2. Kap. unter D. I. 1., H. 1., III.
C. Während des Strafvollzuges
233
Befund ausgehend, stellt sich die Frage, inwiefern die "angehörigenfreundliche" Wirkung des Freigangs bei der Entscheidung nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG Berücksichtigung finden kann. Die Gestattung des Freigangs beruht auf einer Ermessensentscheidung des Anstaltsleiters (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG). Das Ermessen ist eröffnet, wenn der Gefangene der Lockerung zugestimmt hat und nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entzieht oder die Lockerung des Vollzuges zu Straftaten mißbraucht (§ 11 Abs. 2 StVollzG)177. Ihr Ermessen muß die Anstalt entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und im Rahmen der gesetzlichen Ermessensgrenzen ausüben 178. Erforderlich ist eine umfassende Abwägung aller Umstände, die im Einzelfall für bzw. gegen die Lockerungsmaßnahme sprechend 179 . Zu berücksichtigten sind die Grundsätze der §§ 2, 3 StVollzG 180 . Als Maßnahme der Resozialisierung dient der Freigang sowohl der sozialen Integration des Gefangenen als auch der Gegenwirkung, da durch die Teilnahme am Leben in Freiheit schädliche Folgen des Freiheitsentzuges verhindert werden können 181 . Beide Zielsetzungen sind unter beruflichen sowie familiären Gesichtspunkten zu sehen l82 . Lernt der Gefangene im Freigang, für den Unterhalt seiner Familienmitglieder aufzukommen, fördert dies die familiäre Integration. Gleichzeitig kann i. S. d. Gegenwirkungsgrundsatzes verhindert werden, daß der Gefangene seinen familiären Aufgaben entfremdet wird. Die familienbezogene Zielsetzung des Freigangs bleibt jedoch weitgehend abstrakt, wenn der Blick nur auf den Gefangenen gerichtet ist, denn von diesem sind im allgemeinen keine konkreten Belastungen abzuwenden. Er wird i.d.R. von seiner Unterhaltspflicht frei, sofern er haftbedingt leistungsunfahig ist 183 • Lediglich für den Fall, daß dem Inhaftierten der Einwand der haftbedingten Leistungsunfahigkeit versagt ist l84 , muß in bezug auf den Gefangenen berücksichtigt werden, daß die Erwerbstätigkeit außerhalb der Vollzugsanstalt eine Belastung durch auflaufende Unterhaltsverbindlichkeiten verhindern kann. In Anbetracht des Umstandes, daß die mit der haftbedingten Leistungsunfahigkeit verbundenen Nachteile von den unterhaltsberechtigten Angehörigen des Gefangenen getragen werden, erhält das Anliegen des Freigangs, die Erfüllung 177 Flucht- und Mißbrauchsgefahr sind unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum, siehe BGHSt 30, 320 ff.; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 11 Rn. 15; Schwind I Böhm/Kühling, StVollzG, § 11 Rn. 12; a.A. Dopslaff, ZStW 100 (1988), 567 ff., der sich gegen das Vorliegen eines Beurteilungsspielraumes ausspricht. 178 Vgl. Joester I Quensel I Hoffmann I Feest, ZfStrVo 1977, 93, 98. 179 AK-StVollzG I Hoffmann I Lesting, § 11 Rn. 52; Calliess I Müller-Dietz, StVollzG, § 11 Rn. 1. 180 AK-StVollzG I Hoffmann I Lesting, § 11 Rn. 52; Joester I Quensel I Hoffmann I Feest, ZfStrVo 1977,93,98. 181 AK-StVollzG/Hoffmann/Lesting, § 11 Rn. 22. 182 Siehe dazu unter B. 11. 2. und 3. 183 Vgl. dazu das 1. Kap. unter C. I. 1. c) bb) (2). IR4 Vgl. dazu das 1. Kap. unter C. I. 1. c) bb) (2).
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
von Unterhaltspflichten zu fördern l85 , erst dann Gewicht, wenn die Belange der unterhaltsberechtigten Familienmitglieder Beachtung finden. Da der Ehe- und Familienschutz von den Vollzugsbehörden als ein eigenständiges Prinzip neben dem Vollzugsziel der Resozialisierung zu verfolgen ist, ist es nicht nur zulässig, sondern auch geboten, die Belastungen der unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner bei der Ermessensentscheidung in Ansatz zu bringen. Die Beachtung unterhaltsrechtlicher Interessen im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG hat unabhängig davon zu erfolgen, ob der Gefangene vor seiner Inhaftierung zum Lebensunterhalt seiner Familie beigetragen hat oder nicht. Maßgebend ist insofern, daß Art. 6 Abs. I GG nicht nur ein Schädigungsverbot enthält, sondern den staatlichen Stellen auch die Pflicht auferlegt, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern 186. Im übrigen läßt sich der Gegenwirkungsgrundsatz des § 3 Abs. 2 StVollzG anführen, denn auch die Manifestation von unterhaltsrechtlichen Nachteilen ist als eine schädliche Folge des Strafvollzuges zu werten, der es zu begegnen gilt. Letztlich kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, daß der Inhaftierte ohne die Freiheitsstrafe zu einem späteren Zeitpunkt wieder in der Lage gewesen wäre, für seine Familie zu sorgen. Besteht die Möglichkeit, durch die Gewährung von Freigang ein familiäres Lebenshilfesystem zu erhalten bzw. zu fördern, müssen die gegen die Vollzugslockerung sprechenden Umstände - z. B. die Gefahr eines Alkoholmißbrauchs oder anstaltsorganisatorische Erwägungen l87 - von besonderem Gewicht sein, wenn sie die ablehnende Entscheidung rechtfertigen sollen. Die Schwere der Schuld kann dabei kein entgegenstehendes Kriterium sein. Den Ansätzen der Rechtsprechung, wonach insbesondere die Urlaubsentscheidung nach § 13 StVollzG von Tatschulderwägungen beeinflußt werden kann l88 , ist entgegenzuhalten, daß dem StVollzG eine Vollzugsgestaltung nach Schuldgesichtspunkten fremd ist l89. Seit der Einfüh185 Vg\. AK-StVollzG/Hoffmann/Lesting, § 1\ Rn. 23, die ein Ziel des Freigangs in der Heranführung des Gefangenen an seine Unterhaltspflicht sehen. Siehe auch die Pressemitteilung des Justizministeriums Baden-Württemberg, ZfStrVo 1984, 234; Wulf. ZfStrVo 1986, 81,85. 186 Vg\. BVerfGE 6,55,76; 21, 1,6; 28, 104, 1\3; 75, 348, 360; 82, 60,81 f.; MK/Rebmann, BGB, Ein\. Familienrecht Rn. 27; Gemhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts, § 5 11 1. 187 Vg\. Joester/Quensel/Hoffmann/Feest, ZfStrVo 1977,93,99. 188 Vg\. BVerfGE 64,261,272 ff.; OLG Karlsruhe JR 1978,213 ff.; OLG Frankfurt NStZ 1981,157; OLG Frankfurt NStZ 1983, 140 ff. mit Anm. Kaiser und Feest; OLG Hamm NStZ 1981,495; OLG Stuttgart NStZ 1984,429 f. und 525 f. mit Anm. Müller-Dietz; OLG Nürnberg NStZ 1984,92 f.; LG Hamburg b. Franke, NStZ 1986, 305; a.A. LG Heilbronn NStZ 1986,380 f. 189 Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 64,285 ff.; Peters, JR 1978, 177, 178 f.; Kaiser, Anm. zu OLG Frankfurt v. 2. 9. 1982, NStZ 1983, 142, 143; Feest, Anm. zu OLG Frankfurt v. 2. 9. 1982, NStZ 1983, 143, 144; Müller-Dietz, JR 1984,353.356; Rotthaus, NStZ 1987. I, 4; Walter, Strafvollzug, Rn. 55; AK-StVollzG / Hoffmann / Lesting, § 1\ Rn. 56; Calliess / Müller-Dietz, StVollzG, § 1\ Rn. 14; a.A. Treptow, NJW 1978, 2227. 2230. Auch die
C. Während des Strafvollzuges
235
rung der Einheitsstrafe durch die Strafrechtsreform von 1969/70 bestimmt das Maß der Schuld ausschließlich das Quantum der Strafe, nicht aber deren Ausgestaltung im Vollzug l90 . Eine abweichende Handhabung muß daher als verdeckte Rückkehr zum Vollzugsklassensystem gewertet werden 191. Im übrigen bilden Schulderwägungen keinen geeigneten Maßstab, um vollzugsrechtliche Ermessensfreiräume auszufüllen 192. Wesentlich ist insofern, daß die Schuld auf die Straftat bezogen ist und sich damit ein Widerspruch zum präventiv ausgerichteten Strafvollzug ergibt l93 . Letztlich ist das Kriterium der Schuld auch nicht als Korrektiv erforderlich, um Tätern, die ein besonders schwerwiegendes Delikt begangen haben, trotz fehlender Flucht- und Mißbrauchsgefahr eine Vollzugslockerung versagen zu können l94 . Wenn den "Schuldigeren", von denen in Zukunft keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit ausgehen wird, häufiger Lockerungen gewährt werden als den "weniger Schuldigen", aber i. S. d. § 11 Abs. 2 StVollzG für Lockerungen ungeeigneten Gefangenen, beruht dies auf einer konsequenten Anwendung des StVollzG, das lediglich die Flucht- und Mißbrauchsgefahr als zwingende Grenze für die Gestattung von Vollzugslockerungen normiert hat (vgl. §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 2, 13 Abs. 1 S. 2 StVollzG)195. Ebenso wie die Schwere der Schuld kein Kriterium ist, das die Ermessensentscheidungen der Vollzugsbehörden bestimmen kann, müssen auch Erwägungen außen vor bleiben, die sich auf den Strafzweck der positiven Generalprävention
Vorschrift des § 13 Abs. 3 StVollzG, wonach ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter Gefangener erst beurlaubt werden kann, wenn er sich einschließlich einer vorhergehenden Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung zehn Jahre im Vollzug befunden hat oder wenn er in den offenen Vollzug überwiesen ist, bildet insofern keine Ausnahme. § 13 Abs. 3 StVollzG ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß bei lebenslänglicher Freiheitsstrafe eine Strafrestaussetzung frühestens nach fünfzehn Jahren in Betracht kommt (§ 57a Abs. Nr. I StGB) und daher - vorausgesetzt der Gefangene befindet sich nicht ohnehin im offenen Vollzug - eine Beurlaubung des Gefangenen vor Ablauf von zehn Jahren sowohl unter Behandlungsgesichtspunkten als auch aus Gründen der allgemeinen Sicherheit ein zu großes Risiko wäre. Die Ausgrenzung der Fälle, in denen der zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte dem offenen Vollzug überwiesen ist, bildet einen wichtigen Hinweis darauf, daß die Regelung des § 13 Abs. 3 StVollzG nicht durch Tatschulderwägungen motiviert ist; siehe dazu LG Heilbronn NStZ 1986, 380; Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 64, 285, 290 f.; MüllerDietz, JR 1984,353,356 f.; Kaiser, Anm. zu OLG Frankfurt v. 2. 9. 1982, NStZ 1983, 142 f.; a.A. BVerfGE 65, 261, 272 ff.; OLG Karlsruhe JR 1978,213,216; Grunau, DRiZ 1978, 111, 112. 190 Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 64, 285, 295; Müller-Dietz, JR 1984, 353, 360; ders., Anm. zu OLG Stuttgart v. 28. 5. 1984, NStZ 1984, 526; Walter, Strafvollzug, Rn. 54, 58; AK-StVol\zG I Hoffmannl Lesting, § 11 Rn. 58. 191 Müller-Dietz, JR 1984, 353, 358; Walter, Strafvollzug, Rn. 58. 192 Müller-Dietz, JR 1984,353,358; Bayer, MschrKrim 1987, 167, 171; Rotthaus, NStZ 1987, 1,4; Walter, Strafvollzug, Rn. 58. 193 Vgl. Bayer, MschrKrim 1987, 167, 171; siehe auch Peters, JR 1978, 177, 179. 194 So aber Böhm, Strafvollzug, S. 36 f. und NStZ 1986,201,204 f. 19S Vgl. Walter, Strafvollzug, Rn. 59; Müller-Dietz, JR 1984,353,357.
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
beziehen 196. Das Anliegen, durch die Verweigerung von Vollzugslockerungen einen Beitrag zur Verteidigung der Rechtsordnung zu leisten, findet im StVollzG keine Stütze l97 • Mit der Vorschrift des § 2 StVollzG hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, daß von den Strafzwecken nur die positive und die negative Spezialprävention im Rahmen des Strafvollzuges Berücksichtigung finden sollen l98 . Für eine Korrektur besteht weder ein Bedürfnis noch kann davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber die Exekutive zur Aufnahme weiterer Strafzwekke ermächtigen wollte l99 . Da den unterhaltsrechtlichen Belangen im Rahmen der Entscheidung über den Freigang ein erhebliches Gewicht zukommt, wird die Entscheidung bei Gefangenen mit Familie eher zugunsten des Freigangs ausfallen als dies bei Gefangenen ohne Familie der Fall ist. Die damit verbundene Ungleichbehandlung ist jedoch im Hinblick auf den Schutz von Ehe und Familie, dem die Vollzugsbehörden verpflichtet sind, sachlich gerechtfertigt. Wenn die Vollzugsbehörden dem Ehe- und Familienschutz unabhängig davon Rechnung zu tragen haben, ob er einen Beitrag zum Vollzugsziel der Resozialisierung leisten kann, dann können Ungleichbehandlungen, die sich aufgrund der Beachtung des Ehe- und Familienschutzes ergeben, nicht unzulässig sein.
b) Die Gestattungen nach § 39 StVollzG
aa) Die Gestattung des freien Beschäftigungsverhältnisses nach § 39 Abs. 1 StVollzG Auf einer Ermessensentscheidung der Vollzugsverwaltung beruht auch die Gestattung des freien Beschäftigungsverhältnisses nach § 39 Abs. 1 S. 1 StVollzG. Die Grenzen einer Ermessensausübung sind hier jedoch eng gezogen, da dem Gefangenen ein freies Beschäftigungsverhältnis gestattet werden soll, wenn dies im Rahmen des Vollzugsplanes dem Ziel dient, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern, und nicht überwiegende Gründe des Vollzuges entgegenstehen (§ 39 Abs. 1 S. 1 StVollzG)2oo. Ein 196 Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 64, 285, 287 ff.; Waller, Strafvollzug, Rn. 55 ff.; AK-StVollzG I Hoffmann I Lesting, § 11 Rn. 59; Calliessl Müller-Dietz, StVollzG, § 1I Rn. 14; Dops1aff, ZStW \00 (1988), 567, 576; Kaiser, Anm. zu OLG Frankfurt v. 2. 9. 1982, NStZ 1983, 142, 143; Feest, Anm. zu OLG Frankfurt v. 2. 9.1982, NStZ 1983, 143 f.; a.A. OLG Karlsruhe JR 1978,213,215 f.; OLG Frankfurt NStZ 1983, 140 ff. mit Anm. Kaiser und Feest; OLG Stuttgart NStZ 1984, 429 f. und 525 f. mit Anm. Müller-Dietz; Grunau. DRiZ 1978, 111, 112f. 197 Vgl. Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 64,285,287 ff.; Dopslaff, ZStW 100 (1988), 567,576; Walter, Strafvollzug, Rn. 57. 198 Vgl. Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 64,285,287 ff.; Dopslaff, ZStW 100 (1988), 567,576. 199 Vgl. Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 64, 285, 288.
C. Während des Strafvollzuges
237
überwiegender Grund des Vollzuges wird z. B. angenommen, wenn ein qualifizierter Gefangener innerhalb der Anstalt bei der Einrichtung von Arbeitsplätzen mitwirken muß 201 . Ein solcher Grund bedarf insbesondere dann der kritischen Überprüfung, wenn der Inhaftierte Angehörige zu versorgen hat, denn grundsätzlich erscheint es im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG nicht vertretbar, die familiären Belange hinter vollzugsorganisatorischen Gründen zurücktreten zu lassen. Zu versagen ist eine Gestattung nach § 39 Abs. 1 StVollzG, wenn der Gefangene zu untertariflichen Bedingungen beschäftigt werden so1l202. Entscheidend ist dabei, daß ein Arbeitsverhältnis, das keine tarifliche Vergütung gewährleistet, weder die soziale Integration des Gefangenen fördern kann noch geeignet ist, den schädlichen Folgen des Strafvollzuges entgegenzuwirken 203 . Im übrigen soll Praktiken des Lohndumpings kein Vorschub geleistet werden 204 . Eine solche Handhabung liegt sowohl im Interesse des Gefangenen als auch seiner Angehörigen.
bb) Die Gestattung der Selbstbeschäftigung nach § 39 Abs. 2 StVollzG Gemäß § 39 Abs. 2 StVollzG kann dem Gefangenen gestattet werden, sich selbst zu beschäftigen. Anders als § 39 Abs. 1 StVollzG formuliert § 39 Abs. 2 StVollzG keine Voraussetzungen, unter denen die Vollzugsbehörden berechtigt sind, das ihnen nach § 39 Abs. 2 StVollzG eingeräumte Ermessen auszuüben. Orientierungspunkte sind daher die allgemeinen Grundsätze des Strafvollzugsrechts und die in § 37 Abs. 1 StVollzG bestimmten Ziele 205 . Soweit Nr. 3 Abs. 1 der VV zu § 39 StVollzG die Gestattung der Selbstbeschäftigung vom Vorliegen eines wichtigen Grundes abhängig macht, kann dem nicht gefolgt werden, da der Anwendungsbereich des § 39 Abs. 2 StVollzG durch diese Voraussetzung in einer mit dem Gesetz nicht zu vereinbarenden Weise eingeschränkt wird206 . Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 39 Abs. 2 StVollzG sind die positiven Wirkungen, die von einer konkreten Selbstbeschäftigung unter den Aspekten der Gegenwirkung und der familiären Integration zu erwarten sind, den Bedenken gegenüberzustellen, die sich in bezug auf eine weitgehend unkontrollierbare 21Wl Vgl. dazu die Ausführungen des BVerfG NJW 1998,3337,3340, wonach nur gewichtige Vollzugsbelange die Versagung einer Erlaubnis nach § 39 Abs. 1 S. 1 StVollzG rechtfertigen können. 201 BT-Drs. 7/3998, S. 19; AK-StVollzG 1 Däubler 1 Pecic, § 39 Rn. 6; kritisch zum Merkmal der überwiegenden Gründe des Vollzuges: Schwind 1Böhm 1Matzke, StVollzG, § 39 Rn.7. 202 Vgl. AK-StVollzG 1Däubler 1Pecic, § 39 Rn. 11. 203 Vgl. AK-StVollzG 1Däubler 1Pecic, § 39 Rn. 11. 204 Vgl. AK-StVollzG 1 Däubler 1 Pecic, § 39 Rn. 11. 205 Vgl. OLG Celle NStZ 1989,341,342; AK-StVollzG 1 Däublerl Pecic, § 39 Rn. 19; Calliessl Müller-Dietz, StVollzG, § 39 Rn. 5. 206 AK-StVollzG 1 Däubler 1 Pecic, § 39 Rn. 19; Böhm, Strafvollzug, S. 184 f.
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3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
Beschäftigung des Gefangenen ergeben. Eine Versagung der Selbstbeschäftigung ist dann naheliegend. wenn der Gefangene z. B. Straftaten als selbständiger Gewerbetreibender begangen hat oder der geplanten SeIbstbeschäftigung die erforderliche finanzielle Grundlage fehlt 207 . In diesen Fällen ist - ebenso wie bei Arbeitsverhältnissen mit untertariflicher Vergütung - davon auszugehen. daß die ablehnende Entscheidung im Interesse des Inhaftierten und seiner Familie liegt.
c) Der Widerruf des Freigangs nach § 14 StVollzG und die Aufhebung der Gestattungen nach § 39 StVollzG
Während die Genehmigungen nach §§ 11. 39 StVollzG die Stellung der unterhaltsberechtigten Angehörigen günstig beeinflussen. belastet ein Widerruf des Freigangs und die damit verbundene Aufhebung des freien Beschäftigungsverhältnisses 208 die Position der Familienmitglieder. Der Gefangene ist fortan (wieder) zur Arbeit in der Anstalt verpflichtet und infolge dessen nicht (mehr) zu Unterhaltsleistungen in der Lage; die Mitgliedschaft des Gefangenen in der Rentenversicherung endet und eine bestehende Familienmitversicherung nach § 10 SGB V bzw. § 25 SGB XI entfällt. weil der Gefangene. der zugewiesene Arbeit verrichtet. nicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. I SGB V. § 1 Nr. 1 SGB VI bzw. § 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI in die Sozialversicherung eingebunden ist. Die Gestattung des Freigangs kann nach § 14 Abs. 2 S. I StVollzG durch den Anstaltsleiter widerrufen werden. wenn er aufgrund nachträglich eingetretener Umstände berechtigt wäre. den Freigang zu versagen (Nr. 1). der Gefangene die Lockerung mißbraucht hat (Nr. 2) oder Weisungen nicht nachgekommen ist (Nr. 3). Haben die Voraussetzungen für die Bewilligung des Freigangs nicht vorgelegen. ist der Anstaltsleiter gemäß § 14 Abs. 2 S. 2 StVollzG ermächtigt. die Lockerung mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Ein Mißbrauch i. S. d. § 14 Abs. 2 S. Nr. 2 StVollzG kommt nicht nur in Betracht. wenn der Gefangene im Rahmen der Lockerung Straftaten begeht. sondern z. B. auch dann. wenn er während der Lokkerung dem Alkohol zuspricht 209 • Der Widerruf des Freigangs gemäß § 14 Abs. 2 StVollzG ist - ebenso wie dessen Gestattung - eine Ermessensentscheidung. Damit bleibt - trotz des Vorliegens eines Widerrufsgrundes - Raum. um die Belange von Ehe und Familie zu berückOLG Celle NStZ 1989,341, 342. Hier soll davon ausgegangen werden, daß der Freigänger einen Widerrufstatbestand des § 14 Abs. 2 StVollzG erfüllt hat und infolge eines Widerrufs die "Basis" für die Genehmigung nach § 39 Abs. I S. I StVollzG bzw. § 39 Abs. 2 StVollzG entfällt. Möglich ist aber auch, daß sich eine vom Freigänger nicht zu vertretende Störung des freien Beschäftigungsverhältnisses ergibt und (alleine) die Gestaltung des konkreten Arbeitsverhältnisses zu widerrufen ist, vgl. AK-StVollzG I Däubler I Pecic, § 39 Rn. 8. 20~ Vgl. Calliess I Müller-Dietz, StVollzG, § 14 Rn. 4: AK-StVollzG I Hoffmann I Lesting, § 14 Rn. 14. 207 20M
C. Während des Strafvollzuges
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sichtigen. Diese sind mit dem öffentlichen Interesse am Widerruf abzuwägen. Da das öffentliche Interesse am Widerruf im wesentlichen durch das Interesse am Schutz der Allgemeinheit repräsentiert wird, steht der Sicherungsgedanke des § 2 S. 2 StVollzG der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen familiären Lebenshilfesystems gegenüber. Als belastender Verwaltungsakt muß sich der Widerruf am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen 21O • Dies heißt, daß der Widerruf zum Schutz der Allgemeinheit geeignet und erforderlich sein muß 2lI • Darüber hinaus dürfen die Nachteile, die der Widerruf des Freigangs für den Delinquenten und seine Familienmitglieder zur Folge hat, nicht außer Verhältnis zum Zweck des Widerrufs stehen 212 • Ld.R. ist der Widerruf einer Vollzugslockerung eine geeignete Maßnahme, um dem (unmittelbaren) Schutz der Allgemeinheit Rechnung zu tragen. Erforderlich ist der Widerruf nur, wenn keine milderen, ebenso geeigneten Maßnahmen zur Verfügung stehen. Als solche sind "Abmahnungen" und / oder die Erteilung von Weisungen (vgl. § 14 Abs. 1 StVollzG) in Erwägung zu ziehen 213 • Erst wenn die Erfolglosigkeit dieser Maßnahmen feststeht, kann der Widerruf des Freigangs als letztes Mittel ausgesprochen werden 214 • Um auszuschließen, daß die Belange des Inhaftierten und seiner Familie nicht außer Verhältnis zu dem Anliegen stehen, das mit dem Widerruf des Freigangs verfolgt wird, sind Wert und Wichtigkeit der jeweiligen Interessen zueinander in Beziehung zu setzen. Dabei gilt, daß das Interesse am Widerruf um so gewichtiger sein muß, desto erheblicher die schädlichen Folgen für den Delinquenten und seine Familienmitglieder sind. Die Ermessensentscheidung nach § 14 Abs. 2 StVollzG ist im Hinblick auf die Angehörigenbelange problematisch, wenn der Freigänger trotz Leistungsfähigkeit seinen Unterhaltspflichten nicht nachkommt und damit den Straftatbestand des § 170 Abs. 1 StGB erfüllt. Eine Aufhebung des Freigangs und des freien Beschäftigungsverhältnisses wegen Mißbrauchs der Lockerung nimmt dem Inhaftierten gerade die Leistungsfähigkeit, derer er bedarf, um die Unterhaltszahlungen zu erbringen. In dieser Situation müssen die Angehörigen auf Unterhalt verzichten, obwohl sie ohne den Widerruf die Möglichkeit gehabt hätten, im Wege der Zwangsvollstrekkung auf die Bezüge des Gefangenen aus dem freien Beschäftigungsverhältnis zuzugreifen. Hier zeigt sich deutlich, daß ein Widerruf in Anbetracht einer Tat nach § 170 Abs. 1 StGB den Interessen der unterhaltsberechtigten Angehörigen abträglich ist und eine Lösung der Problematik im Zwangsvollstreckungsrecht zu suchen ist 215 . 210 Vgl. OLG Frankfurt NStZ 1981, 159, 160; Schwind I Böhml Kühling, StVollzG, § 14 Rn. 5; AK-StVollzG I Hoffmann I Lesting, § 14 Rn. 11 und 15; Walter, Strafvollzug, Rn. 350. 211 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 59 und 60. 212 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 61. 213 Vgl. OLG Frankfurt NStZ 1981, 159, 160; AK-StVollzGI Hoffmann I Lesting, § 14 Rn. 11. 214 Vgl. AK-StVollzG I Hoffmannl Lesting, § 14 Rn. 11. m Vgl. dazu Ostermann, ZRP 1995,204,207.
240
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
Da die Aufrechterhaltung des familiären Lebenshilfesystems ein gewichtiges Argument gegen den Widerruf des Freigangs darstellt, sind Inhaftierte, die als Freigänger für den Unterhalt ihrer Familie Sorge tragen, weit weniger in der Gefahr, ihren Freigängerstatus zu verlieren, als Gefangene ohne Familie. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch sachlich gerechtfertigt und daher nicht zu beanstanden 216 . Im Hinblick darauf, daß lediglich strengere Anforderungen an die gegen den Widerruf sprechenden Gründe zu stellen sind, kann nicht angenommen werden, daß den unterhaltspflichtigen Freigängern ein "Freibrief' erteilt wird, während alle übrigen mit der vollen Härte der Vollzugsbehörden zu rechnen haben. Für den Fall, daß der Freigang widerrufen und das freie Beschäftigungsverhältnis aufgehoben wird, besteht auch für die unterhaltsberechtigten Kinder und Ehepartner des Gefangenen die Möglichkeit, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 109 ff. StVollzG zu stellen. Grund dafür ist, daß eine Betroffenheit in eigenen Rechten vorliegt (vgl. § 109 Abs. 2 StVollzG).
4. Die Vollzugsentscheidungen zur Kinderbetreuung innerhalb und außerhalb der Anstalt
a) Die Unterbringung eines Kindes in der Vollzugsanstalt gemäß § 80 StVollzG
Gemäß § 80 Abs. I S. 1 StVollzG sind die Vollzugsbehörden ermächtigt, ein Kind gemeinsam mit der Mutter in der Vollzugsanstalt unterzubringen. Dies setzt zunächst voraus, daß das Kind noch nicht schulpflichtig ist und der Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts 217 zugestimmt hat. Darüber hinaus muß die gemeinsame Unterbringung dem Wohl des Kindes entsprechen. Insofern bedarf es einer sorgfältigen Einzelfallprüfung, an der gemäß § 80 Abs. I S. 2 StVollzG das Jugendamt zu beteiligen ist. Dem Kindeswohl kann eine Unterbringung in einer Vollzugsanstalt grundsätzlich nur dann entsprechen, wenn die Eignung der Mutter als Erziehungsperson festgestellt werden kann 218 und eine Mutter-Kind-Einrichtung (§ 142 StVollzG) vorhanden ist, die den Bedürfnissen des Kindes gerecht wird 219 . Wesentlich ist des weiteren das Alter des Kindes sowie die Dauer der von der Mutter zu verbüßenden Strafhaft, denn es kann nicht sinnvoll sein, ein Kind zunächst gemeinsam mit der Mutter in einer Vollzugsanstalt unterzubringen. um ihm dann mit dem Eintritt der Schulpflicht die Trennung von der Mutter zuzumuten. Zu berücksichtigen ist ferner, ob die Mutter nach ihrer Entlassung mit dem Vgl. dazu unter C. 11. 3. a). Siehe dazu AK-StVollzG I Dürkop. § 80 Rn. I. 21M Riemann. in: Birtsch I Rosenkranz (Hrsg.). Mütter und Kinder im Gefangnis. S. 33.40. m Vgl. Calliess I Müller-Dietz. StVollzG. § 80 Rn. I. Zur Ausgestaltung der Mutter-KindEinrichtungen siehe Riemann. in: Birtsch/Rosenkranz (Hrsg.). Mütter und Kinder im Gefängnis. S. 33. 35 ff.; Rosenkranz. ZfStrVo 1985. 77. 78 f. 216 217
C. Während des Strafvollzuges
241
Kind zusammenleben wird, inwiefern stabile Beziehungen zum Vater, den Geschwistern und den Großeltern durch die Unterbringung in der Haftanstalt beeinträchtigt werden und welche Auswirkungen das Leben in der Anstalt auf die Entwicklung des Kindes haben wird 22o . Belastend kann das Anstaltsleben für das Kind insbesondere deshalb sein, weil der "normale" Alltag als Erfahrungswelt fehlt, denn ebenso wie die Mutter ist auch das Kind weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten 221 • Im übrigen können die starren Reglementierungen des Strafvollzuges, die weitgehende Handlungsunfahigkeit der Mutter sowie das Auftreten von Konflikten zwischen den inhaftierten Frauen und dem Personal bzw. den Inhaftierten untereinander die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen 222 • Letztlich kommt es darauf an, daß das Leben in der Anstalt das Kind weniger belastet als eine haftbedingte Trennung von der Mutter 23 . Sind die Voraussetzungen des § 80 Abs. I S. I StVollzG gegeben und steht fest, daß die gemeinsame Unterbringung für das Kind die - relativ gesehen - beste Lösung bietet, dürfte das Ermessen, das § 80 Abs. I S. I StVollzG den Vollzugsbehörden einräumt, regelmäßig auf Null reduziert sein, so daß sich eine Verpflichtung ergibt, das Kind aufzunehmen. Die fehlende Erfahrung mit der Unterbringung von Kindern in Haftanstalten, die für den Gesetzgeber Anlaß war, § 80 Abs. I S. I StVollzG als "Kann-Vorschrift" auszugestalten 224 , vermag heute - nachdem das StVollzG 20 Jahre in Kraft ist - den weiten Ermessensspielraum der Vollzugsbehörden bei Entscheidungen nach § 80 Abs. I S. I StVollzG nicht mehr zu rechtfertigen. Die Regelung des § 80 Abs. I S. I StVollzG weist insofern eine Besonderheit auf, als sie einen Drittbetroffenen, nämlich das noch nicht schulpflichtige Kind, in den Mittelpunkt einer Vollzugsentscheidung stellt. Während ansonsten die Angehörigen eine "nachgeordnete" Rolle spielen, entscheidet hier in erster Linie das Wohl der Kinder (vgl. § 80 Abs. I S. I StVollzG). Von ihnen sollen Schäden, die sich durch die Trennung von der Mutter ergeben würden, abgewandt werden 225 . Der vom Gesetzgeber formulierten Erwartung, die soziale Verantwortung der Mütter lasse sich durch die Verbindung zu ihrem Kind stärken 226 , kann nur entsprochen werden, wenn das Anliegen, die Resozialisierung der Mütter zu fördern, mit dem Wohl der Kinder zu vereinbaren ist 227 . 120 Vgl. AK-StVollzG/Dürkop, § 80 Rn. 2-5; Schwind 1 Böhm 1Steinhilper, StVollzG, § 80 Rn. 7; Riemann, in: Birtsch/Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefängnis,
S. 33, 39. m Rosenkranz 1Riemann 1 Birtsch, NP 1987,151, 155. 122 Vgl. Rosenkranz 1Riemann 1 Birtsch, NP 1987, 151, 154 ff.; Rosenkranz, ZfStrVo 1985,77,79; Walter, Strafvollzug, Rn. 99. 113 Vgl. Schwind/Böhm/Steinhilper, StVollzG, § 80 Rn. 1; Calliess 1Müller-Dietz, StVolIzG, § 80 Rn. 1. 214 BT-Drs. 7/918, S. 76. m BT-Drs. 7/918, S. 76. 126 BT-Drs. 7/918, S. 76. 16 Gülle
242
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
b) Die VoLlzugsentscheidungen zum "Hausfrauenfreigang" nach §§ 11, 14 StVollzG
aa) Die Gewährung des "Hausfrauenfreigangs" nach § 11 StVollzG Grundlage für die Gestattung des "Hausfrauenfreigangs" ist die Vorschrift des § 11 StVollzG 228 • Folglich kommt ein "Hausfrauenfreigang" nur in Betracht, wenn nicht zu befürchten ist, daß die Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entzieht oder den Freigang zur Begehung von Straftaten mißbrauchen wird (§ 11 Abs. 2 StVollzG). In Anbetracht der geringen Gefährlichkeit, die im allgemeinen bei straffälligen Frauen zu diagnostizieren ist229 , spricht viel dafür, daß die Voraussetzungen für die Gewährung des Freigangs i.d.R. vorliegen, und zwar bereits zum Zeitpunkt der Inhaftierung 23o . Da der Begriff des "Hausfrauenfreigangs" rechtlich nicht verbindlich ist, besteht auch die Möglichkeit, daß Männern der Freigang mit dem Ziel gewährt wird, die Versorgung der Kinder und des Haushaltes sicherzustellen. Ist eine Entscheidung über die Gewährung von "Hausfrauenfreigang" zu treffen, so muß das nach § 11 Abs. 1 StVollzG eröffnete Ermessen unter besonderer Berücksichtigung des Kindeswohls ausgeübt werden. Für die Vollzugsbehörden heißt dies, daß sie nicht nur zu prüfen haben, inwiefern durch die Gestattung des "Hausfrauenfreigangs" die Resozialisierung der Inhaftierten unter dem Aspekt der Integration und der Gegenwirkung gefördert werden kann, sondern auch beachten müssen, daß der "Hausfrauenfreigang" ein wichtiges Instrumentarium ist, um den schädlichen Auswirkungen der Strafhaft auf die Kinder der Delinquentin entgegenzuwirken. Die Frage, ob die Inhaftierte der Doppelbelastung durch Strafhaft und Kinderbetreuung standhalten kann, ist folglich sowohl in bezug auf den Resozialisierungserfolg als auch unter dem Aspekt zu beantworten, daß der "Hausfrauenfrei gang" dem Wohl der Kinder gerecht werden soll. Ebenso wie im Fall des § 80 StVollzG muß das Wohl des Kindes gegenüber dem Anliegen der Resozialisierung Vorrang haben 231 . Ist z. B. nicht gewährleistet, daß das Kind während der zeitweisen Abwesenheit der Mutter durch eine dritte Person ausreichend versorgt wird, kann die Genehmigung des "Hausfrauenfreigangs" auch dann nicht sinnvoll sein, wenn damit die Resozialisierung der inhaftierten Frau gefördert werden könnte 232 . Vgl. dazu Kaiser, in: Kaiser I Kerner I Schöch, Strafvollzug, § 9 Rn. 83. Vgl. dazu das I. Kap. unter B. 11. I. b). 229 Vgl. Simmerdinger, in: Cornell Maelicke I Sonnen (Hrsg.), Handbuch der Resozialisierung, S. 195,2\0; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 212. 230 Vgl. Maelicke, ZfStrVo 1986, 144, 146. 231 Es ergibt sich jedoch der Unterschied, daß nach § 80 Abs. I S. I StVollzG das Ermessen der Vollzugsbehörden erst eröffnet ist, wenn die gemeinsame Unterbringung dem Wohl des Kindes entspricht, während das Kindeswohl im Rahmen der Entscheidung über den "Hausfrauenfreigang" ausschließlich ein Ermessenskriterium sein kann (vgl. § 11 StVollzG). 232 Ebenso wie die Unterbringung eines Kindes in der Vollzugsanstalt kann auch die Gewährung des "Hausfrauenfreigangs" nur insoweit in den Dienst der Resozialisierung gestellt werden, als dies dem Wohl des Kindes entspricht. 227 228
C. Während des Strafvollzuges
243
Um sicherzustellen, daß die Belange der Kinder sachgerecht beurteilt werden, sollte das Jugendamt an der Ermessensentscheidung beteiligt werden. Auch insofern sollte grundsätzlich nichts anderes gelten als im Rahmen des § 80 StVollzG. Steht fest, daß durch die Gewährung des "Hausfrauenfreigangs" dem Wohl des Kindes entsprochen werden kann, ist die Gestattung des "Hausfrauenfreigangs" auch dann auszusprechen, wenn dieser nicht gleichzeitig in den Dienst der Resozialisierung gestellt werden kann. Dies folgt aus dem Grundsatz, wonach der Eheund Familienschutz und das Vollzugsziel der Resozialisierung zwei eigenständige Prinzipien sind und der Schutz von Ehe und Familie infolge dessen unabhängig davon zu verwirklichen ist, ob er einen Beitrag zur Resozialisierung leisten kann. Im Allgemeinen werden jedoch beide Prinzipien in Einklang zu bringen sein, weil im Grundsatz davon auszugehen ist, daß das Wohl des Kindes und das der Mutter weitgehend miteinander verbunden sind 233 . Da weder die Schwere der Schuld noch positiv generalpräventive Erwägungen zu den Kriterien zu zählen sind, die die Ermessensausübung im Rahmen des § 11 StVollzG bestimmen sollten 234 , ist der "Hausfrauenfreigang" grundsätzlich unabhängig davon zu gewähren, ob die Inhaftierte eine kurze, eine langjährige oder gar eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verbüßen hat. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil der "Hausfrauenfreigang" bei langen und lebenslangen Freiheitsstrafen die einzige Möglichkeit bietet, Strafvollzug und Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren. Die gemeinsame Unterbringung von Müttern und Kindern nach § 80 StVollzG kann das Betreuungsproblem nur insoweit lösen, als die Haftzeit der Mutter mit dem Vorschulalter der Kinder zusammentrifft 235 . Um den "Hausfrauenfreigang" effektiv im Interesse der Kinder zu nutzen, ist es erforderlich, diese Vollzugslockerung - entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten - zeitlich flexibel zu handhaben. So sollten die Vollzugsbehörden z. B. berücksichtigen, zu welchen Zeiten eine andere Bezugsperson die Betreuung des Kindes übernehmen kann. Ist der inhaftierte Elternteil die einzige Vertrauensperson des Kindes und kann die Versorgung des Kindes tagsüber durch die Schule, eine Tageseinrichtung oder eine Tagespflege - ggf. in Ergänzung zur Schule - sichergestellt werden, bedarf es der Überlegung, ob der Freigang in der Weise zu gewähren ist, daß der betreuende Elternteil die Anstalt am Spätnachmittag verläßt und am Morgen zurückkehrt 236 . Auch wenn es dem Regelfall entspricht, daß ein Freigänger die Anstalt tagsüber verläßt, sind doch Freigänge über Nacht nicht ausgeschlossen D7 . Für den Freigang besteht keine zeitliche Vorgabe; entscheidend ist die Rem V gl. dazu Kaiser. in: Kaiser I Kerner I Schöch. Strafvollzug, § 9 Rn. 82; Walter. Strafvollzug. Rn. 99. ~J4 Vgl. dazu unter C. 11. 3. a). 2.'5
V gl. dazu unter C. 11. 4. a).
Vgl. Joester/Quensell Hoffmann I Feest. ZfStrVo 1977.93,97, die die Überlegung anstellen. ob das aus der Psychiatrie bekannte Modell der Tagesklinik auch im Strafvollzug als Lockerung eingeführt werden könnte. 231>
16'
244
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
gelmäßigkeit der Beschäftigung238 . Im übrigen führt § 11 Abs. 1 StVollzG die genannten Vollzugslockerungen lediglich "namentlich" auf und läßt damit Raum für weitere Lockerungen 239 , die unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 StVollzG und im Einklang mit den sonstigen Vorschriften des StVollzG gewährt werden können.
bb) Der Widerruf des "Hausfrauenfreigangs" nach § 14 StVollzG Hat eine Inhaftierte, die im Freigang ihre Kinder betreut, einen Widerrufsgrund i. S. d. § 14 Abs. 2 StVollzG verwirklicht, so muß das öffentliche Interesse von besonderem Gewicht sein, um den Widerruf des "Hausfrauenfreigangs" und die damit verbundenen Belastungen für die Kinder rechtfertigen zu können. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß eine Aufhebung des "Hausfrauenfreigangs" nur bei gravierenden Verfehlungen der Inhaftierten und schwerwiegenden Gefahren für die Allgemeinheit in Betracht kommt. In Anbetracht der erheblichen Nachteile, die sich für die Kinder aufgrund eines Widerrufs ergeben, müssen die Vollzugsbehörden mit besonderer Sorgfalt der Frage nachgehen, ob der Widerruf des "Hausfrauenfreigangs" erforderlich ist, d. h. kein ebenso geeignetes, aber milderes Mittel zur Verfügung steht. Unter der Voraussetzung, daß sich ein elektronisch kontrollierter Hausarrest für Delinquentinnen mit Kindern bewährt, ist daran zu denken, daß ein elektronisch überwachter "Hausfrauenfreigang" eine mildere Maßnahme im Vergleich zum Widerruf sein könnte.
IH. Allgemeine VollzugsgestaItung unter dem Aspekt familiärer Lebenshilfe l. Die Förderung der Erwerbstätigkeit außerhalb der Vollzugsanstalt
In Anbetracht der besonderen Situation, in der sich die Inhaftierten und ihre Angehörigen befinden, kann sich der Staat nicht darauf beschränken, die Freiheit der familiären Lebensgemeinschaft zu gewährleisten. Die Förderung von Ehe und Familie im Strafvollzug muß bei der Schaffung der Voraussetzungen ansetzen, die notwendig sind, um die familiären Beziehungen - sei es in persönlicher oder wirtschaftlicher Hinsicht - zu erhalten und aufzubauen 24o . So wie (Langzeit-)Besuchs237 Vgl. AK-StVollzG/Hoffmann/Lesting. § 11 Rn. 5; Calliess/Müller-Dietz. StVollzG. § 11 Rn. 2 und 3. m AK-StVollzG I Hoffmann I Lesting. § 11 Rn. 21. m AK-StVollzG I Hoffmann I Lesting. § 11 Rn. 26; Calliess I Müller-Dietz. StVollzG. § 11 Rn. 3; Harjes. ZfStrVo 1985.284; Joester/Quensel I Hoffmannl Feest. ZfStrVo 1977.93.95. 96 f.
C. Während des Strafvollzuges
245
räume und Besuchszeiten erforderlich sind, damit die Familienmitglieder in persönlichen Kontakt zueinander treten können, so muß sich der Staat auch dafür einsetzen, daß der Gefangene familiäre Aufgaben wahrnehmen kann. Da grundsätzlich nur die Erwerbstätigkeit außerhalb der Anstalt die Gewähr dafür bietet, daß ein Gefangener seine Arbeitskräfte in vollem Umfang zum Nutzen seiner Familie einsetzen kann, muß die Förderung von Freigang zwecks Aufnahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses ein besonderes Anliegen im Rahmen einer familienorientierten Vollzugsgestaltung sein 241 . Dabei sollte verstärkt darüber nachgedacht werden, die Genehmigung zum Freigang in weiterem Umfang als bisher bereits zu Beginn der Haft zu erteilten. Soweit ersichtlich kommt eine unmittelbare Gestattung des Freigangs nur in Betracht, wenn ein bestehendes Arbeitsverhältnis während der Zeit des Strafvollzuges aufrechterhalten werden kann, die Haftdauer im kurzen bzw. mittleren Bereich einzuordnen ist, der Verurteilte auf freiem Fuß war und sich freiwillig zum Strafantritt gestellt hat 242 . Im Rahmen des baden-württembergischen Kurzstrafenprogramms konnten zunächst nur Gefangene mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten unmittelbar den Freigängerstatus erhalten 243 . Diese Möglichkeit wurde dann ab dem I. Januar 1983 auch Gefangenen mit Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr und ab I. Juli 1991 Inhaftierten mit Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr und drei Monaten eingeräumt 244 . Gemäß einer Pressemitteilung des Justizministeriums BadenWürttemberg 245 vom 12. März 1984 ergab sich durch die Erweiterung des Kurzstrafenprogramms auf Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr keine Beeinträchtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit 246 . Dies sollte ermutigen. Ansatzpunkt für eine vermehrte Gestattung des Freigangs bereits zu Beginn der Strafhaft ist zunächst der Befund, daß sich Eingriffe in das familiäre Lebenshilfesystem grundsätzlich nur rechtfertigen lassen, wenn die Allgemeinheit vor einem gefährlichen Tater geschützt werden muß 247 . Da Eingriffe in das Lebenshilfesystem in allen anderen Fällen zu vermeiden sind, muß die Gestattung des Freigangs unmittelbar nach Haftantritt auch für Gefangene in Betracht kommen, die ausschließlich deshalb eine Freiheitsstrafe verbüßen, weil die Schwere der Schuld nur diese Sanktion zuließ. Zu denken ist hier insbesondere an Konflikttäter, die zwar eine schwerwiegende Straftat begangen haben, von denen aber in Zukunft keine weiteren Rechtsverletzungen zu erwarten sind. Im Hinblick darauf, daß weder die Schwere der Schuld noch das Anliegen, die Rechtsordnung zu verteidigen, zu den
Vgl. AK-StVollzGI Bertram I Huchting. vor § 71 Rn. 9. Vgl. Rotthaus. NStZ 1987. 1. 4. 242 V gl. dazu das I. Kap. unter B. 11. I. 243 Vgl. Dolde. ZfStrVo 1992. 24. 25. 244 Vgl. Wulf. ZfStrVo 1986. 81. 84; Dolde. ZfStrVo 1992.24. 25. 245 ZfStrVo 1984, 234. 246 Zu den positiven Erfahrungen mit der sofortigen Zulassung zum Freigang siehe auch Dolde. ZfStrVo 1992. 24 ff. 247 Vgl. dazu im I. Kap. unter B. 111. 240 241
246
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
Kriterien zählen, die eine Versagung des Freigangs rechtfertigen 248 , können Freigänge grundsätzlich auch dann zu Beginn der Haftzeit gewährt werden, wenn der Täter eine längere Freiheitsstrafe zu verbüßen hat. Die Gestattung des Freigangs ist erst dann zwingend ausgeschlossen, wenn Flucht- oder Mißbrauchsgefahr i. S. d. § 11 Abs. 2 StVollzG besteht. Ist davon auszugehen, daß ein Täter keine weiteren Straftaten begeht, scheidet die Mißbrauchsgefahr als Versagungsgrund aus. Die Fluchtgefahr kann nicht all eine deshalb angenommen werden, weil eine Freiheitsstrafe von erheblicher Dauer zu verbüßen ist, denn ein allgemeiner Erfahrungssatz, wonach die Fluchtgefahr bei "Langstrafigen" höher einzuschätzen ist als bei Gefangenen mit kurzen oder mittleren Freiheitsstrafen, existiert nicht249 . Soweit Täter ausschließlich unter dem Aspekt der Resozialisierung oder aus generalpräventiven Erwägungen in den Strafvollzug gelangt sind, gilt ebenfalls, daß Eingriffe in das familiäre Lebenshilfesystem durch eine Zulassung zum Freigang zu vermeiden sind25o . Bei der Bewertung der Mißbrauchsgefahr i. S. d. § 11 Abs. 2 StVollzG ist in diesen Fällen zu berücksichtigen, daß die Straftaten, die von dieser Tätergruppe in Zukunft zu erwarten sind, i.d.R. nicht im Bereich der Schwerkriminalität liegen werden und die Vollzugsbehörden im übrigen nicht gehalten sind, während der Haftzeit jedes Risiko weiterer Straftaten auszuschließen 251 . Begründen läßt sich dies zum einen damit, daß langfristige Sicherheit durch Resozialisierung statt kurzfristige Sicherheit durch bedingungsloses "Wegschließen" geschaffen werden sollte 252 . Zum anderen ist der Mißbrauchsbegriff ein unbestimmter Rechtsbegriff253 , der (auch) im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG auszulegen ist 254 . Da die Vereinbarkeit von Strafhaft und familiärer Aufgabenerfüllung die Öffnung des Strafvollzuges verlangt, spricht ein an Art. 6 Abs. I GG orientiertes Verständnis des § 11 Abs. 2 StVollzG dafür, daß nicht jede Befürchtung, der Gefangene werde weitere Straftaten begehen, den Mißbrauchstatbestand des § 11 Abs. 2 StVollzG erfüllt. Im übrigen stellt sich bei der Gewährung von Freigang zwecks Aufnahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses regelmäßig die Frage, inwiefern dem Gefangenen überhaupt Raum für die Begehung weiterer Straftaten verbleibt, denn anders als im Fall der Urlaubsgewährung besteht beim Freigang ein relativ enger Kontakt zur Vollzugsanstalt 255 . Vgl. dazu unter C. 11. 3. a). Vgl. Calliess I Müller-Dietz. StVollzG. § 11 Rn. 18; AK-StVollzG I Hoffmann I Lesting, § 11 Rn. 36. 250 Vgl. dazu das I. Kap. unter B. III. 251 Vgl. AK-StVollzG I Hoffmann I Lesting. § 11 Rn. 45. 252 Vgl. dazu Böhm, NStZ 1986. 20\. 205; Bayer. MschrKrim 1987. 167. 173; Dopslaff. ZStW 100 (1988), 567, 590 ff.; AK-StVollzG I Hoffmann I Lesting. § 11 Rn. 42, 45; Schwind I Böhm I Kühling, StVollzG. § 11 Rn. 14. 253 Vgl. BGHSt 30, 320 ff.; Calliess I Müller-Dietz, StVollzG, § 11 Rn. 15; Schwind I Böhm I Kühling, StVollzG, § 11 Rn. 12; Dopslaff, ZStW 100 (1988), 567 ff. 254 Vgl. AK-GG/Richter, Art. 6 Rn. 22; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 210; Niebecker. ZfStrVo 1984,335,341. 248
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C. Während des Strafvollzuges
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Einen weiteren Anknüpfungspunkt für die Forderung, Gefangene vermehrt zum Freigang zuzulassen, bietet die Überlegung, daß die Vollzugsbehörden unabhängig davon, ob der Gefangene zuvor die familiäre Aufgabe des Ernährers erfüllt hat, zur Förderung des materiell-wirtschaftlichen Zusammenhaltes der Familie verpflichtet sind 256 . Wenn die Genehmigung des Freigangs bei Haftantritt an das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geknüpft ist, ergibt sich daraus eine Benachteiligung für Gefangene, die zum Zeitpunkt der Inhaftierung ohne Arbeit waren. Ihnen sollte, sofern § 11 Abs. 2 StVollzG nicht entgegensteht, im Wege des "abstrakten" Freigangs die Möglichkeit eingeräumt werden, eine Beschäftigung außerhalb der Anstalt zu suchen und aufzunehmen. Da der "abstrakte" Freigang die Verfügbarkeit des Gefangenen für die Vermittlungs bemühungen des Arbeitsamtes (vgl. § 119 Abs. I Nr. 2 SGB III) begründet 257 , kann der Gefangene auch weiterhin Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe beanspruchen und auf diese Weise seine familiäre Funktion als Ernährer der Familie aufrechterhalten. Sofern das Arbeitsverhältnis des Gefangenen in Anbetracht der Straftat gekündigt wurde, kommt der Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe nach Ablauf der Sperrfrist gemäß § 144 Abs. I Nr. I SGB III in Betracht258 . Kann der Gefangene, der bei Haftantritt arbeitslos war, als Freigänger in ein Beschäftigungsverhältnis eintreten und aufgrund seiner Einkünfte Unterhalt zahlen, ist dies das Ergebnis erfolgreicher Bemühungen um den Aufbau eines funktionsfähigen familiären Lebenshilfesystems. Soweit der Inhaftierte in die Lage versetzt wird, für den Lebensunterhalt seiner Angehörigen aufzukommen, liegt dies auch im Interesse der Allgemeinheit, denn fortan ist die Familie des Gefangenen nicht mehr oder zumindest nicht in vollem Umfang auf die Leistungen der Sozialhilfeträger angewiesen 259 .
2. Die Erhöhung der gesetzlichen Bezüge nach §§ 43 Abs. 1, 200 Abs. 1 StVollzG
Um Gefangenen, die zugewiesene Arbeit verrichten, die Leistung von Unterhalt zu ermöglichen, müßte das derzeitige Niedriglohnsystem aufgegeben werden und eine leistungsgerechte, an den Gehältern der freien Wirtschaft orientierte Vergütung der Gefangenenarbeit eingeführt werden 260 . Diese Veränderung würde der ur-
255 Vg\. Calliess I Müller-Dietz, StVollzG, § 11 Rn. 6. Desto mehr sich der Strafvollzug erfolgreich nach außen öffnet, um so deutlicher wird, daß die Anordnung der vollstreckbaren Freiheitsstrafe zur "Besserung" des Straftäters nicht erforderlich ist. Insofern ist von einer wünschenswerten Selbstauflösung des Strafvollzuges auszugehen, vg\. dazu Walter, in: FS für Oehler, S. 693, 696. 256 Vg\. BVerfGE 13,331,347; 28, 104, 113; 75,348,360; MK/Rebmann, BGB, Ein\. Familienrecht Rn. 27. m Vg\. BSG ZfStrVo 1992, 134 f.; siehe auch das 1. Kap. unter D. V. m Vg\. dazu das I. Kap. unter B. 11. 2. 259 Vg\. dazu Walter, Strafvollzug, Rn. 468.
248
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
sprünglichen Konzeption des StVollzG entsprechen 261 und stellt für den Gesetzgeber eine Möglichkeit dar, um das vom BVerfG geforderte Resozialisierungskonzept zur angemessenen Anerkennung von Pflichtarbeit zu verwirklichen 262 . Allerdings kann nicht erwartet werden, daß die Unterhaltsbeiträge, die Gefangene aufgrund eines leistungsgerechten Arbeitsentgeltes erbringen könnten, den Angehörigen einen über dem Sozialhilfeniveau liegenden Lebensstandard ermöglichen würden 263 . Die Gefangenen wären lediglich in der Lage, einen Teil des Unterhaltsbedarfs ihrer Kinder und Ehepartner zu decken. Grund dafür ist die im Vergleich zu Unternehmen der freien Wirtschaft geringere Produktivität der Gefangenenarbeit 264 . Hinzu kommt, daß es sich im allgemeinen um einfache, leicht erlernbare Tatigkeiten handelt, die ohnehin nur minimale Einkünfte gewährleisten. Die Bedeutung eines Arbeitsentgelts, das die finanzielle Unterstützung der Angehörigen - zumindest teilweise - zuläßt, ist insbesondere darin zu sehen, daß das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen ein Stück näher gebracht wird. Das Anliegen der familiären Integration und der Gegenwirkung könnte damit wenigstens im Ansatz realisiert werden. Darüber hinaus könnte die bislang fragmentarisch gebliebene Ausrichtung des StVollzG auf unterhaltsrechtliche Aspekte vervollständigt werden. Die Berücksichtigung der unterhaltsberechtigten Angehörigen bei der Bildung des Überbrückungsgeldes würde eine notwendige Ergänzung erfahren. Die Situation, daß der Gefangene das Arbeitsentgelt im Hinblick auf einen späteren Unterhaltsbedarf seiner Angehörigen anspart, ohne deren gegenwärtigen Lebensbedarf auch nur ansatzweise decken zu können, wäre aufgehoben. Der wegen einer Tat nach § 170 StGB Verurteilte könnte im Rahmen des Strafvollzuges an das herangeführt werden, was unterhaltsrechtlich seine Pflicht ist, ohne daß es dazu zwingend eines freien Beschäftigungsverhältnisses bedarf, dessen Aufnahme der Gefangene durch die Verweigerung seiner Zustimmung (vgl. § 11 Abs. 2 StVollzG) verhindern könnte. Desto mehr Gefangene einer Beschäftigung außerhalb der Anstalt nachgehen, desto eher wird eine leistungsgerechte, an den Gehältern der freien Wirtschaft orientierte Entlohnung der Gefangenenarbeit zu verwirklichen sein. Denn der Kostenaufwand, der durch eine Erhöhung der Bezüge nach § 43 StVollzG entsteht, ist um so geringer, desto weniger Inhaftierte wegen ihrer Arbeitsleistungen innerhalb 260 Vgl. SeidlerlSchaffner/Kneip, ZfStrVo 1988, 328, 332; Jehle, ZfStrVo 1994, 259, 264. Zur Forderung, das Niedriglohnsystem aufzugeben, siehe Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 269 ff.; BAG-S, Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftierte, ZfStrVo 1993, 174, 176; Bundesvereinigung der Anstaltsleiter, ZfStrVo 1993, 180; Jehle, ZfStrVo 1994, 259, 266; Müller-Dietz, NStZ 1990, 305, 307; Wetzler, ZfStrVo 1987, 32; Bemmann, in: Bemmann/Manoledakis (Hrsg.), Probleme des staatlichen Strafens unter besonderer Berücksichtigung des Strafvollzuges, S. 35, 41 f. 261 Vgl. BT-Drs. 7/918, S. 67; AK-StVollzG/Däubler/Pecic, § 43 Rn. 1-3. 262 Siehe dazu BVerfG NJW 1998,3337,3338. 263 Vgl. Neu, ZfStrVo 1995, 149, 155. 264 Vgl. Neu, ZfStrVo 1995, 149, 152 f.; Jehle, ZfStrVo 1994,259,263 ff.
C. Während des Strafvollzuges
249
der Anstalt entlohnt werden müssen. Daß die Unterhaltsverpflichtungen gerade dann entfallen bzw. nicht mehr erfüllbar sind, wenn der Staat die Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen bestimmt, ist ein Mißstand, der im Rahmen des Möglichen ausgeräumt werden sollte. Unweigerlich muß dies den Eindruck vermitteln, daß die Leistung von Unterhalt nicht so wichtig ist. Damit wird all jenen Vorschub geleistet, die die Erfüllung von Unterhaltspflichten ohnehin nicht ernst nehmen und die Sorge für die Familie vorzugsweise der Allgemeinheit überlassen.
3. Die Erfassung der Gefangenenarbeit als kranken-, pflege- und rentenversicherungspflichtige Beschäftigung
In unmittelbarem Zusammenhang mit der Einführung eines leistungsgerechten Arbeitsentgelts steht die Forderung, Gefangene, die zugewiesene Arbeit verrichten, in den Kreis der kraft Gesetzes kranken-, pflege- und rentenversicherten Personen aufzunehmen. Denn nur, wenn die Gefangenenarbeit leistungsgerecht vergütet wird, können die Inhaftierten die erforderlichen Versicherungsbeiträge aufbringen. Ebenso wie die Veränderung des Vergütungssystems ist auch die vollständige sozialversicherungsrechtliche Erfassung der Gefangenenarbeit eine seit langem ausstehende Maßnahme, deren Umsetzung jedoch nach Auffassung des BVerfG keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit darstellt 265 . Wahrend sich die Situation der unterhaltsberechtigten Angehörigen von Inhaftierten durch eine leistungsgerechte Entlohnung der Gefangenenarbeit nicht wesentlich verbessern ließe, könnte durch eine Anerkennung der Gefangenenarbeit als kranken- und pflegeversicherungspflichtige Beschäftigung erreicht werden, daß nachteilige Wirkungen des Strafvollzuges auf die Kinder und Ehepartner von Gefangenen im Bereich des Kranken- und Pflegeversicherungsschutzes in vollem Umfang ausgeschlossen wären. Wer vor der Inhaftierung des "Stamm versicherten" über § 10 SGB V bzw. § 25 SGB XI beitragslos kranken- bzw. pflegeversichert war, könnte unter der Voraussetzung, daß dem Inhaftierten eine Arbeit zugewiesen werden kann, weiterhin seinen besonderen Status als Familienversicherter behalten. Für Angehörige, die zuvor auf die Leistungen nach §§ 36, 37, 68 f. BSHG angewiesen waren, weil z. B. der nunmehr inhaftierte Ehepartner bzw. Elternteil 265 BVerfG NJW 1998, 3337, 3338 f. Zur Forderung nach einer vollständigen Einbeziehung der Gefangenenarbeit in das sozialversicherungsrechtliche System siehe Müller-Dietz, ZRP 1974. 249. 252; ders., Gutachten C zum 48. DJT (1970), S. 64 ff.; ders., NStZ 1990, 305.307; Calliess I Müller-Dietz, StVollzG, § 193 Rn. I; Schwind I Böhm I Matzke, StVollzG, § 193 Rn. I; AK-StVollzG I Brühl, vor § 190 Rn. I; Böhm. Strafvollzug, S. 183; Walter, Strafvollzug. Rn. 410; Klallenhoff, in: Hauck, SGB VI, § I Rn. 21; ROllhaus, NStZ 1987, I, 4; ders., in: FS für Rebmann, S. 401, 413; Meyer, ZfStrVo 1987,4,9; Wetzler, ZfStrVo 1987. 32; Beck, ZRP 1995,281. 286; Katzinski, InfoStVollzPR 1986, S. 647, 651; Neumann-Duesberg, DOK 1977,8, 15. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß Gefangene in der DDR kranken- und rentenversicherungsrechtlich abgesichert waren, vgl. Walter, Strafvollzug, Rn. 461.
250
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtIichen Belange
keine nach § 5 SGB V bzw. § 20 SGB XI versicherungspflichtige Beschäftigung ausübte, würde sich sogar eine Verbesserung ihrer rechtlichen Stellung ergeben 266 . Die Einbeziehung der Gefangenenarbeit in den Kreis der rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungen hätte insofern eine positive Wirkung, als die Langzeitwirkung der Freiheitsstrafe reduziert werden könnte. Ein vollständiger Ausschluß aller haftbedingten Nachteile wird jedoch nicht zu erreichen sein, weil die Höhe der späteren Rente von der Höhe der im Laufe des Arbeitslebens geleisteten Beiträge abhängig ist (vgl. § 63 SGB VI) und nicht auszuschließen ist, daß der Versicherte ohne die Freiheitsstrafe höhere Beiträge erbracht hätte. Vollständig vermeidbar wären allerdings die Extremfälle, in denen beim Eintritt des Versicherungsfalles die notwendigen Wartezeiten für den Bezug einer Alters-, Erwerbsunfähigkeitsoder Hinterbliebenenrente infolge der Haft nicht erfüllt sind und der (ehemalige) Strafgefangene und seine Familie - bzw. die Kinder und der Ehepartner als Hinterbliebene - in vollem Umfang auf die Leistungen der Sozialhilfeträger angewiesen sind. Die Regelungen der § 10 SGB V, § 25 SGB XI, §§ 46-48 SGB VI sind Ausdruck des sozialversicherungsrechtlichen Familienschutzes. Diese "familienfreundliche" Ausgestaltung des Sozialversicherungsrechts wird derzeit preis gegeben, wenn ein Elternteil bzw. Ehepartner Gefangenenarbeit verrichtet. Da das Strafvollzugsrecht ebenso wie das Sozialversicherungsrecht eine Materie ist, die am Ehe- und Familienschutz auszurichten ist, kann es nicht hingenommen werden, wenn der Vollzug der Freiheitsstrafe den Weg zu den "familienfreundlichen" Vorschriften des Sozialversicherungsrechts versperrt. Vielmehr müssen die Rechtsgebiete so aufeinander abgestimmt sein, daß ein umfassender sozialversicherungsrechtlicher Schutz des Gefangenen und seiner Familienangehörigen sichergestellt ist. Dies läßt sich nur erreichen, wenn auch Inhaftierte, die zugewiesene Arbeit verrichten, in den Kreis der kranken-, pflege- und rentenversicherten Personen einbezogen sind. Im Hinblick auf die Nachteile, die sich für die Angehörigen von Gefangenen im sozialversicherungsrechtlichen Bereich ergeben können, sollte die umfassende Einbeziehung der Gefangenen in den Schutz der Sozialversicherung ein besonderes Anliegen einer auf die Familie des Delinquenten ausgerichteten Vollzugsgestaltung sein. Dabei wäre die Förderung der Erwerbstätigkeit außerhalb der Anstalt nicht nur eine Chance für eine leistungsgerechte Entlohnung der Gefangenenarbeit, sondern würde unter finanziellen Gesichtspunkten auch die Erfassung der Gefangenenarbeit als kranken-, pflege- und rentenversicherungspflichtige Beschäftigung erleichtern. Denn desto mehr Inhaftierte in freien Beschäftigungsverhältnissen tätig sind und damit nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 SGB XI, § 1 Nr. 1 SGB VI versichert sind, desto weniger Gefangene müssen aufgrund der Arbeitsleistungen, die sie in der Anstalt erbringen, in den Sozialversicherungsschutz einbezogen werden. 266
Vgl. dazu Rotthaus, in: FS für Rebmann, S. 401, 413.
C. Während des Strafvollzuges
251
4. Die Vollzugsgestaltung zwecks Gewährleistung der Kinderbetreuung
Im Vergleich zur gemeinsamen Unterbringung von Müttern mit ihren Kindern nach § 80 StVollzG bietet der "Hausfrauenfreigang" den Vorteil, daß die Kinder nicht in der Haftanstalt aufwachsen und ihre Betreuung auch dann (noch) sichergestellt werden kann, wenn sie schulpflichtig sind267 • Die Vorzüge des "Hausfrauenfreigangs" können jedoch häufig nicht genutzt werden, weil es nicht möglich ist, die Delinquentinnen in der Nähe ihres Wohnortes zu inhaftieren, und sie daher nicht in der Lage sind, den Weg zwischen Vollzugsanstalt und Wohnort täglich zurückzulegen 268 . Grund dafür ist, daß in Anbetracht der geringen Zahl inhaftierter Frauen nur relativ wenige Frauenhaftanstalten bzw. Abteilungen für Frauen in Männeranstalten zur Verfügung stehen 269• Da die Behandlungsangebote im Frauenstrafvollzug ohnehin defizitär sind27o , ist eine Dezentralisierung dieser Vollzugsform grundsätzlich nicht wünschenswert. Eine solche wäre jedoch erforderlich, um die heimatnahe Unterbringung der Frauen als tatsächliche Voraussetzung für die Betreuung der Kinder im "Hausfrauenfreigang" zu gewährleisten: Ein Ausgleich der damit verbundenen (weiteren) Nachteile ließe sich dadurch schaffen, daß die Chancen eines ,,koedukativen" Strafvollzuges umfassend genutzt werden 271 • Rechtliche Grundlage ist insofern die Vorschrift des § 140 Abs. 3 StVollzG, wonach von der - in § 140 Abs. 2 StVollzG vorgeschriebenen - getrennten Unterbringung von Frauen und Männern abgewichen werden darf, um dem Gefangenen die Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen in einer anderen Anstalt oder in einer anderen Abteilung zu ermöglichen 272 . Mit einer Förderung des "Hausfrauenfreigangs" sollte keine Abkehr von der gemeinsamen Unterbringung nach § 80 StVollzG einhergehen, denn die Möglichkeit, daß Kinder im Vorschulalter gemeinsam mit ihren inhaftierten Müttern untergebracht werden können, ist trotz der Belastungen, die sich für das Kind ergeben können, als eine besondere Hilfe für unterhaltsberechtigte Angehörige zu werten273 • Anders als der "Hausfrauenfreigang" setzt die gemeinsame Unterbringung Vgl. Niebecker, ZfStrVo 1984,335,341. Zur Planung siehe Maelicke, in: Birtsch/Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefangnis, S. 169, 174. 269 Kaiser, in: Kaiser I Kerner I Schöch, Strafvollzug, § 9 Rn. 76 f.; Böhm, Strafvollzug, S. 84 f.; Geiter, in: Walter I Rotthaus I Geiter (Hrsg.), Bruchstücke, S. 41 f. 270 Vgl. Kaiser, in: Kaiser I Kerner I Schöch, Strafvollzug, § 9 Rn. 76 ff.; Calliess/MüllerDietz, StVollzG, § 140 Rn. 3; Geiter, in: Walter I Rotthaus I Geiter (Hrsg.), Bruchstücke, S. 41, 42. 271 Vgl. Böhm, Strafvollzug, S. 86; Walter, Strafvollzug, Rn. 177; Geiter, in: Walter/Rotthaus I Geiter (Hrsg.), Bruchstücke, S. 41, 42; siehe dazu auch Siekmann, ZfStrVo 1985, 11 ff. 212 Vgl. Böhm, Strafvollzug, S. 86; Geiter, in: Walter/Rotthaus/Geiter (Hrsg.), Bruchstücke, S. 41, 42. 273 Vgl. Koepsel, Strafvollzug im Sozialstaat, S. 156; Kaiser, in: Kaiser I Kerner I Schöch, Strafvollzug, § 9 Rn. 82; Schwindl Böhm I Steinhilper, StVollzG, § 80 Rn. I; AK-StVollzG I Quensel I Dürkop, vor § 76 Rn. 9; Maelicke, ZfStrVo 1986, 144, 146. 267 268
252
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
nicht die Zuverlässigkeit der Inhaftierten i. S. d. § 11 Abs. 2 StVollzG voraus. Ferner ist nicht erforderlich, daß eine weitere Bezugsperson zur Verfügung steht, die die Versorgung des Kindes während der Abwesenheit des inhaftierten Elternteils sicherstellen kann. Mithin ist eine gemeinsame Unterbringung nach § 80 StVollzG insbesondere dann von Bedeutung, wenn Mütter und Kinder weder in einem intakten Familienverband noch in sonstigen tragfähigen sozialen Beziehungen eingebunden sind. Im Hinblick darauf, daß ein Großteil der inhaftierten Frauen ihre Kinder alleine erziehen 274 , sollte dieser Aspekt nicht unterschätzt werden. Da die in der Anstalt lebenden Kinder als unschuldige Dritte sogar mit den primären Wirkungen der Freiheitsstrafe konfrontiert werden, besteht die Notwendigkeit einer am Wohl der Kinder orientierten Vollzugsgestaltung. So sollte im Interesse der Kinder die Gefängnisqualität der Unterbringung soweit wie möglich reduziert werden 275 . Da der offene Vollzug im Vergleich zum geschlossenen Vollzug einen deutlich größeren Bezug zum "normalen" Leben aufweist, läßt sich diese Zielsetzung am ehesten verwirklichen, wenn die Mutter-Kind-Einrichtungen als Einrichtungen des offenen Vollzuges ausgestaltet sind 276 . Ein weiteres wesentliches Anliegen muß es sein, den Kontakt der Kinder zur Außenwelt zu fördern 277 . Dies heißt insbesondere, daß die Beziehungen der Kinder zum anderen Elternteil, zu Geschwistern, Großeltern und Freunden zu erhalten und zu stabilisieren sind. Außerdem sollte Kindern, die das dritte Lebensjahr vollendet haben, der Besuch eines Kindergartens ermöglicht werden, denn auf diese Weise kann ihre Erfahrungswelt wesentlich vergrößert werden 278 • Soweit eine am Wohl der Kinder orientierte Vollzugsgestaltung mit den Belangen von Sicherheit und Ordnung in Konflikt gerät, hat eine Interessenabwägung stattzufinden.
D. Zusammenfassende Bemerkungen Insgesamt gesehen läßt sich feststellen, daß die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange im Vorfeld und während des Strafvollzuges hinter dem zurückbleibt, was verfassungsrechtlich geboten ist. Gleichzeitig heißt dies, daß bei weitem nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, um die Nebenwirkungen der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Angehörigen effektiv zu begrenzen. Vgl. Kaiser, in: Kaiser / Kerner / Schöch, Strafvollzug, § 9 Rn. 82. Mae1icke, ZfStrVo 1986, 33, 34. 276 Vgl. H. Maelicke, in: Birtsch/Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefangnis, S. 77 ff.; Birtseh/Riemann/Rosenkranz, in: Birtseh/Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefangnis, S. 187, 190,200. 277 Birtseh/Riemann/Rosenkranz, in: Birtseh/Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 187, 190; Rosenkranz, ZfStrVo 1985,77,79. 278 Birtseh / Riemann / Rosenkranz, in: Birtseh / Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 187, 190; Wester, in: Birtseh/Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 137 ff. 274 275
D. Zusammenfassende Bemerkungen
253
Wesentlich ist zunächst ein Verzicht auf die Anordnung vollstreckbarer Freiheitsstrafen in all jenen Fällen, in denen es, ohne daß die Schwere der Schuld den Freiheitsentzug gebietet, ausschließlich darum geht, den Täter an ein straffreies Leben heranzuführen, potentielle Täter abzuschrecken oder das Rechtsgefühl der Allgemeinheit zu stärken. Da die vollstreckbare Freiheitsstrafe im Hinblick auf diese Zielsetzungen nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig ist279 , handelt es sich um eine Forderung, die im Interesse der Delinquenten und ihrer Angehörigen zwingend zu verwirklichen ist. Zurückzugreifen ist vielmehr auf Geldstrafen und Freiheitsstrafen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Aus der Perspektive unterhaltsrechtlicher Interessen ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, daß eine einzelfallbezogene Steuerung der familiären Belange im Rahmen des Strafzumessungsvorganges aus Gründen der Höchstpersönlichkeit von Strafe nicht in Betracht kommt und ein Verzicht auf die Anordnung von vollstreckbaren Freiheitsstrafen, der auch im Interesse der unterhaltsberechtigten Angehörigen erfolgt, die Möglichkeit bietet, den unterhaltsrechtlichen Interessen der mitbetroffenen Angehörigen Rechnung zu tragen. Außer einem Verzicht auf vollstreckbare Freiheitsstrafen, denen eine ausschließlich generalpräventive oder positiv spezialpräventive Motivation zugrunde liegt, ist eine "familienfreundliche" Ausgestaltung des Sanktionsrechts zu fordern, wobei auch dies vor dem Hintergrund zu sehen ist, daß es nicht möglich ist, die familiären Belange im Rahmen der Strafzumessung einzelfallbezogen zu berücksichtigen. Einen wichtigen Ansatzpunkt bieten insofern die Regelungen des § 56 Abs. 1 und 2 StGB, deren Anwendungsbereich auf Freiheitsstrafen bis zu zwei bzw. drei Jahren erweitert werden sollte. Auf diese Weise könnten die im Vergleich zum Freiheitsentzug "familienfreundlicheren" ambulanten Resozialisierungsmaßnahmen vennehrt zum Einsatz kommen. Darüber hinaus sind unter dem Aspekt der "FamilienverträgIichkeit" kürzeste Freiheitsstrafen in Fonn der Wochenend- und Urlaubshaft ebenso zu erwägen wie die Anordnung von elektronisch überwachten Hausarresten. Soweit die unterhaltsberechtigten Angehörigen bereits dadurch geschützt werden können, daß im Vergleich zum (herkömmlichen) familienschädlichen Freiheitsentzug mildere Sanktionen zum Einsatz kommen, scheidet eine Verlagerung der Angehörigenproblematik in den Bereich der Strafvollstreckung und / oder des Strafvollzuges aus. Grund dafür ist zum einen, daß der gänzliche Verzicht auf einen familienschädIichen Strafvollzug einen besonders weitreichenden Schutz zu gewährleisten vennag. Zum anderen kann es nicht sachgerecht sein, der Drittwirkung der Freiheitsstrafe erst im Rahmen der Strafvollstreckung und / oder des Strafvollzuges begegnen zu wollen, obwohl bereits der Freiheitsentzug als das eigentliche Straftibel nicht gerechtfertigt und damit verfassungswidrig ist. Eine Verortung der Drittwirkungsproblematik im Strafvollstreckungs- und / oder Strafvollzugsrecht ist jedoch dann zwangsläufig, wenn die Verhängung einer vollstreckba279
Siehe dazu das 1. Kap. unter B. III.
254
3. Kap.: Die Berücksichtigung der unterhaltsrechtlichen Belange
ren Freiheitsstrafe zum Schutz der Allgemeinheit vor schweren Straftaten erforderlich ist, die Schwere der Schuld den Freiheitsentzug notwendig macht oder eine Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen werden mußte. Für den Bereich der Strafvollstreckung sieht § 456 StPO zwar einen Vollstrekkungsaufschub im Interesse der Familienmitglieder vor, doch wird diese Regelung in ihrer derzeitigen Fassung den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 GG nicht gerecht. Wesentlicher Kritikpunkt ist, daß auf der Grundlage des § 456 StPO lediglich ein maximal viermonatiger Vollstreckungsaufschub gewährt werden kann. Um dem verfassungsrechtlich verbürgten Ehe- und Familienschutz im Rahmen des Vollstreckungsrechts ausreichend Rechnung zu tragen, ist es notwendig, die zeitliche Beschränkung des § 456 Abs. 2 StPO aufzuheben und einen flexiblen Umgang mit der Dauer des zu gewährenden Vollstreckungsausstandes zu ermöglichen. Darüber hinaus könnte der Familienschutz dadurch verbessert werden, daß die Vollstreckungsbehörden die Voraussetzungen des § 456 Abs. 1 StPO nicht nur auf Antrag, sondern auch von Amts wegen prüfen. Außerdem erscheint es im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG geboten, daß die Regelung des § 456 StPO auch die Gewährung einer Vollstreckungsunterbrechung im Interesse des Verurteilten und seiner Familie vorsieht. Die Möglichkeiten des § 456 StPO sind in ihrer Reichweite durch das Interesse der Allgemeinheit an einer sofortigen Vollstreckung begrenzt. Eine "absolute" Grenze in diesem Sinne ist erreicht, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte während des Vollstreckungsausstandes schwere Straftaten begehen wird. Im übrigen kann ein Vollstreckungsaufschub bzw. eine Vollstreckungsunterbrechung lediglich dann in Betracht kommen, wenn die spätere Vollstreckung gegenüber der sofortigen Vollstreckung einen wesentlichen Vorteil bringt. Den Vollzugsbehörden steht mit der Vorschrift des § 11 StVollzG ein wichtiges Instrumentarium zur Verfügung, um eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. I GG entsprechende (vermehrte) Berücksichtigung unterhaltsrechtlicher Interessen im Rahmen des Strafvollzuges zu gewährleisten. Erforderlich ist allerdings, daß die Vollstreckungsbehörden den Ermessensrahmen, den ihnen § 11 Abs. 1 StVollzG für die Gestattung des Freigangs bietet, bis an die Grenze des rechtlich Zulässigen ausschöpfen. Konkret heißt dies, daß grundsätzlich allen Gefangenen, von denen in Zukunft keine schweren Straftaten zu erwarten sind, der Freigang - sei es zum Zwecke der Erwerbstätigkeit oder der Kinderbetreuung - zu gewähren ist. Auf diese Weise können die Vollzugsbehörden nicht nur verfassungswidrige, d. h. nicht durch den Sicherheitsgedanken legitimierte, Eingriffe vermeiden, sondern auch ihrer aus Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Verpflichtung zur Förderung von Ehe und Familie nachkommen. Ersteres ist von Bedeutung, wenn die durch den Strafvollzug betroffene Familie über ein funktionsfähiges Lebenshilfesystem verfügt; zweiteres gilt insbesondere dann, wenn Familien unabhängig vom Einfluß des Strafvollzuges auf staatliche Unterhaltsleistungen angewiesen sind. Vorausgesetzt, es wird - entsprechend der hier vertretenen Auffassung - insoweit von der Anordnung vollstreckbarer Freiheitsstrafen abgesehen, als diese nur
D. Zusammenfassende Bemerkungen
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auf generalpräventive Erwägungen oder den Aspekt der positiven Spezialprävention gestützt werden können, dann kommt dem Strafvollzug die Aufgabe zu, in allen Fällen, in denen nicht auf den Freiheitsentzug verzichtet werden kann, Strafhaft und familiäre Aufgabenerfüllung soweit wie möglich miteinander in Einklang zu bringen. Während den mit schwerer Schuld belasteten, aber nicht für die Allgemeinheit gefährlichen Gefangenen ebenso wie den "Bewährungsversagern" vom Grundsatz her der Weg in den Freigang zwecks Erfüllung familiärer Aufgaben zu eröffnen ist, müssen Gefangene, von denen auch in Zukunft schwere Straftaten zu erwarten sind, nach § 11 Abs. 2 StVollzG zwingend vom Freigang ausgeschlossen werden. Für Gefangene, die aus Sicherheitsgründen nicht zum Freigang zuzulassen sind, kann eine "familienfreundliche" Vollzugsgestaltung nur in der Weise verwirklicht werden, daß eine Erhöhung des gesetzlichen Arbeitsentgelts nach § 43 StVollzG und eine Anerkennung der Gefangenenarbeit als kranken-, pflege- und renten versicherungspflichtige Beschäftigung erfolgt. Solange die Grenze zur vollstreckbaren Freiheitsstrafe auch mit der Begründung überschritten wird, dies sei (alleine) aus Gründen der Generalprävention oder zur Resozialisierung des Täters erforderlich (vgl. §§ 47 Abs. 1, 56 Abs. 1- 3 StGB), obliegt es dem Strafvollzug auch in diesen Fällen, für die Vereinbarkeit von Strafhaft und familiärer Aufgabenerfüllung zu sorgen. Möglich ist dies wiederum durch die Gewährung von Freigang. Wenn nämlich sogar auf den Freiheitsentzug verzichtet werden müßte, dann kann eine Versagung des Freigangs erst recht nicht angezeigt sein. Könnte empirisch belegt werden, daß Inhaftierte, die ausschließlich und unmittelbar aus Gründen der Generalprävention oder zur Resozialisierung in den Strafvollzug gelangt sind, überwiegend erfolgreich am Freigang teilnehmen, so wäre dies ein gewichtiges Argument gegen die ausschließlich general- oder positiv spezialpräventiv motivierte Anordnung der vollstreckbaren Freiheitsstrafe. Insofern könnten die Vollzugsbehörden durch die Gewährung von Freigang mittelbar einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Angehörigenproblematik leisten. Letztlich schließt sich damit der Kreis zu der eingangs erhobenen Forderung nach einer Beschränkung bei der Anordnung vollstreckbarer Freiheitsstrafen.
Schluß bemerkungen Die Ausführungen haben gezeigt, daß die Wirkungen der Freiheitsstrafe auf Dritte spürbar verringert werden können. Aus der Sicht unterhaltsrechtlicher Belange bieten sich grundsätzlich zwei verschiedene Lösungen an, nämlich die Vermeidung der Nachteile durch gezielte Berücksichtigung unterhaltsrechtlicher Interessen und die Gewährung einer Aufopferungsentschädigung de lege ferenda zwecks Kompensation all jener Unterhaltsschäden, die haftbedingt auftreten und sich als ungleiche Belastungen darstellen. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, ob die Beeinträchtigungen, die sich für die unterhaltsberechtigten Angehörigen ergeben, verfassungsgemäß oder nicht zu rechtfertigen und daher verfassungswidrig sind. Zu rechtfertigen sind die nachteiligenWirkungen des Strafvollzuges auf die unterhaltsberechtigten Angehörigen von Inhaftierten i.d.R. nur dann, wenn die Allgemeinheit vor einem gefährlichen Täter zu schützen ist und infolgedessen weder ein Verzicht auf eine (vollstreckbare) Freiheitsstrafe noch ein durch die Gestattung von Freigang gelockerter Strafvollzug vertretbar sein kann. Da gegenwärtig - entgegen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - auch vollstreckbare Freiheitsstrafen verhängt werden, die ausschließlich dem Gedanken der Generalprävention oder dem Anliegen der Resozialisierung Rechnung tragen, obwohl unter Schuldgesichtspunkten auch eine Geld- bzw. Bewährungsstrafe möglich wäre (vgl. §§ 47 Abs. 1, 56 Abs. I - 3 StGB), und außerdem auf der Ebene der Strafvollstreckung und des Strafvollzuges nicht alle Möglichkeiten genutzt werden, um den unterhaltsrechtlichen Belangen Geltung zu verschaffen, ist davon auszugehen, daß derzeit bei weitem nicht alle Nachteile, die sich für die unterhaltsberechtigten Angehörigen von Gefangenen ergeben, verfassungsgemäß sind. Um die verfassungswidrigen Zustände zu beheben, ist es - je nach Lage des Einzelfalles - insbesondere notwendig, entweder von der Anordnung einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe abzusehen oder - sofern dies nicht in Betracht kommt - auf der Grundlage der §§ 11, 39, 80 StVollzG die Vereinbarkeit von Strafhaft und familiärer Aufgabenerfüllung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen herzustellen. Eine solche auf Vermeidung ausgerichtete Konzeption ist - sofern es um die Beseitigung verfassungswidriger Zustände geht - der Problemlösung im Wege einer Aufopferungsentschädigung de lege ferenda aus mehreren Gründen überlegen. Von Bedeutung ist zunächst, daß die Entschädigungsleistungen regelmäßig nur eine Korrektur der Schadenslage bewirken können. Während bei materiellen Unterhaltsschäden - zumindest im Ergebnis - eine angemessene Kompensation erreicht werden kann, lassen sich immaterielle Schäden, wie sie die Kinder beim haftbe-
Schlußbemerkungen
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dingten Ausfall ihres Betreuungsunterhalts erleiden, grundsätzlich nur unzureichend ausgleichen, so daß - insbesondere bei immateriellen Schäden - die Gewährung von Entschädigungsleistungen nur ein letzter Ausweg sein kann. Des weiteren kann es unter fiskalischen Gesichtspunkten nicht sachgerecht sein, verfassungswidrige Zustände durch staatliche Leistungen zu kompensieren, statt sie von vornherein zu venneiden. So gesehen, sind nicht nur Entschädigungsleistungen de lege ferenda, sondern auch die gegenwärtig erbrachten staatlichen Leistungen nach den Vorschriften des UVG, BSHG und SGB VIII als unnötige Belastungen der Allgemeinheit zu werten. Im übrigen weist die "Venneidungslösung" gegenüber der "Entschädigungslösung" den Vorteil auf, daß sie nicht nur die Situation der mitbetroffenen Angehörigen verbessert, sondern auch zugunsten der Delinquenten wirkt. Dies ist insofern von Interesse, als auch dem Straftäter das verfassungsrechtlich verbürgte Recht zusteht, familiäre Aufgaben wahrzunehmen (Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß die verfassungswidrigen Nebenwirkungen zumindest teilweise mit einer unzureichend legitimierten Freiheitsstrafe einhergehen und von daher bereits die Anordnung der Freiheitsstrafe vennieden werden muß. Sind die Eingriffe in das familiäre Lebenshilfesystem durch den Sicherungsgedanken legitimiert, dann heißt dies nicht, daß die unterhaltsrechtlichen Nachteile, die nicht durch die allgemeinen Leistungen nach den Regelungen des UVG, BSHG und SGB VIII ausgeglichen werden, bei den Familienangehörigen der Inhaftierten verbleiben müssen. Im Gegensatz zu den Fällen, in denen von verfassungswidrigen Zuständen auszugehen ist, bietet hier die de lege ferenda mögliche "Entschädigungslösung" eine zwar ungewohnte, aber keinesfalls fern liegende Perspektive. Entscheidend ist dabei die Überlegung, daß die (ausschließlich) haftbedingten Unterhaltsschäden infolge einer im Interesse der Allgemeinheit liegenden hoheitlichen Maßnahme auftreten und die unterhaltsberechtigten Angehörigen, die weder "Veranlasser" noch "Begünstigte" sind, im Vergleich zu anderen "Nicht-Tätern" ungleich belastet werden. Durch die Gewährung angemessener Entschädigungsleistungen könnten die besonderen Belastungen im Sinne einer gesteigerten Verantwortlichkeit - vorbehaltlich einer Regreßforderung gegenüber dem Delinquenten - von der Allgemeinheit übernommen werden I. ZU verwirklichen ist die "Entschädigungslösung" allerdings nur im Rahmen eines insgesamt erweiterten Entschädigungssystems, das auch den Opfern der Straftat mehr Rechte einräumt. Aus dem Umstand, daß andere unverschuldet in Not geratene Personen ebenso wie die Angehörigen von Inhaftierten auf die allgemeinen Leistungen nach UVG, BSHG und SGB VIII angewiesen sind, läßt sich kein tragfähiges Argument gegen die "Entschädigungslösung" herleiten, denn gleiche Zustände erfahren nicht zwingend eine gleiche, sondern je nach den Umständen ihrer Entstehung eine unterschiedliche Behandlung. Insofern ist von Bedeutung, daß die (haftbedingten) Unterhaltsschäden, die sich für die An-
1
Siehe dazu das 2. Kap. unter C. 11. und 1/1.
17 Gölte
258
Schlußbemerkungen
gehörigen von Gefangenen ergeben können, auf eine staatliche Maßnahme zurückzuführen sind 2 . Die Bemühungen um einen sachgerechten Umgang mit den Wirkungen der Freiheitsstrafe auf die unterhaltsberechtigten Angehörigen von Inhaftierten müssen in erster Linie bei der Vermeidung der Belastungen ansetzen. Dies sollte schon im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen ein besonderes Anliegen sein. Für die "Entschädigungslösung" gilt, daß sie aus den dargelegten Gründen zwar als sinnvoll zu erachten ist, aber nach derzeitiger Rechtslage keine zwingende Notwendigkeit darstellt. Alles in allem ist festzustellen, daß es noch vieler mutiger Schritte bedarf, um die Familienmitglieder der Delinquenten von der Drittwirkung der Freiheitsstrafe zu entlasten.
2
Siehe dazu das 2. Kap. unter C. III. 2. b).
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