Die materiellen Voraussetzungen der Fürsorgeerziehung in Bayern [Reprint 2021 ed.] 9783112452103, 9783112452097


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Die materiellen Voraussetzungen der Fürsorgeerziehung in Bayern [Reprint 2021 ed.]
 9783112452103, 9783112452097

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Die

materiellen Voraussetzungen -er

Fürsorgeerziehung in Bayern. Dort

Dr. Maximilian hier! in München.

1916

München, Berlin und Leipzig 3- Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).

Druck: Dr. F. P. Datterer L Cie.

Arthur Sellter), München-Freismg.

Inhaltsverzeichnis. Kurze allgemeine Einleitung...............................................................................

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Erster Abschnitt. Kurzer geschichtlicher überblick................................ I. Im römischen Recht......................................................................... n. Im älteren deutschen Recht.......................................................... IDE. Im preußischen Landrecht.............................................................. IV. Im bayerischen Recht.................................................................... V. Im deutschen Reichsstrafrecht vor 1900 VI. Im österreichischen Recht............................................................... VII. Im französischen Recht....................................................................

11 11 12 12 13 14 14 15

Das geltende Recht..........................................

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Dritter Abschnitt. Die materiellen Voraussetzungen der Fürsorge­ erziehung .................................................................................................... Im Allgemeinen.................................................................................... Im Einzelnen.........................................................................................

18 18 21

Zweiter Abschnitt.

Erstes Kapitel. Die Voraussetzungen auf Grund der §§ 1666 (1686), 1838 Satz 2 BGB. und Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 FürsG. I. Das positive pflichtwidrige Verhalten......................... n. Das negative pflichtwidrige Verhalten......................... III. Das sonstige pflichtwidrige Verhalten......................... IV..................................................................................................... Zweites Kapitel. Die Voraussetzungen auf Grund des Art. 2 Abs. 1 Ziff. 2 FürsG. und der §§ 55, 56 RStGB. . Drittes Kapitel. Die Voraussetzungen auf Grund des Art. 2 Abs. 1 Ziff. 3 FürsG........................................................... Viertes Kapitel. Die Voraussetzungen auf Grund deS § 1838 Satz 1 BGB. und des Art. 2 Abs. 2 FürsG. ... Fünftes Kapitel. Die Voraussetzungen auf Grund des Art. 2 Abs. 3 FürsG........................................................................ Sechstes Kapitel. Die Voraussetzungen auf Grund des Art. 81 bayer. PolStGB, und Art. 7 Abs. 3 bayer. ArmG. Alphabetisches Inhaltsverzeichnis...............................................

Hierl, Materielle Voraussetzungen der Fürsorgeerziehung.

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21 22 24 27 30

30 32 34 34

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Literaturverzeichnis. Achilles-Greiff, Bürgerliches Gesetzbuch. 7. Aufl. Berlin 1912. Altona, Fürsorgeerziehung und Kammergericht, Zentralblatt für freiwillige Gerichtsbarkeit und Notariat von Dr. Lobe. 3. Jahrg. Seite 221. Bitter, Handwörterbuch des preußischen Verwaltungsrechtes. 2. Aufl. Leipzig 1911, Art. „Fürsorgeerziehung" Bd. I Seite 638 ff. Blume-Opet, Das Familienrecht. 5. Aufl. Jena 1912. Brunner, Heinrich, Die deutsche Rechtsgeschichte. 2. Aufl. Leipzig 1906. Crome, System des deutschen Bürgerlichen Rechts. 4. Bd. Immaterialgüter­ rechte - Familienrecht. Tübingen 1908. Danzer, Max, Das Bayer. Landrecht (Codex Maximilianeus'Bavaricus civilis) München 1894. Dernburg, H., System des römischen Rechts der Pandekten. 8. Aufl bearb. von Salkowsky. 2. Teil. Berlin 1912. Dernburg, H., Das bürgerl. Recht des Deutschen Reichs und Preußens. 4. Bd. Deutsches Familienrecht. 4. Aufl. Halle 1908. Diefenbach, Zwangserziehung und Berufsvormundschast in Frankreich. Zentral­ blatt für freiwillige Gerichtsbarkeit und Notariat von Dr. L o b e. 15. Jahrg. S. 413. Duensig, Verletzung der Fürsorgepflicht gegenüber Minderjährigen. München 1903. Endemann, Lehrbuch des bürgerl. Rechts. 8. und 9. Aufl. 2. Bd. 2. Abt. Familienrecht 1908. Englert, Dr. Ferdinand, Das ZwangserziehungSgeseh vom 10. Mai 1902 nebst den Ausführungsbestimmungen. München 1902. Feisenberger, Dr., Staatsanwalt in Hamburg, Richtlinien für ein Reichs­ fürsorgegesetz, Zentralblatt für Vormundschaftswesen, Jugendgericht und Fürsorgeerziehung von Dr. Grabowsky. 1. Jahrg. S. 33. Frank, Das Deutsche Strafgesetzbuch 1914. Glücksmann, Strafrechtlicher Schutz der Kinder und Jugendlichen gegen sittliche Delikte und sittliche Verwahrlosung. Inauguraldissertation. Leipzig 1914. Habel, Wie schützt das BGB. Minderjährige gegen Mißhandlungen ihrer Erzieher? Recht 1902. Seite 59.

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Kurze allgemeine Einleitung. (I^Xer Jugend wurde von jeher und wird insbesondere auch heute nicht zum wenigsten auch hier unter der Einwirkung des großen Völkerringens der Jahre 1914 ff. von allen Beteiligten Seiten die größte Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Aufmerksamkeit ist getragen von der richtigen Erkenntnis, daß von der Jugend eines Volkes deffen Zukunft wesentlich mitabhängt. Die wichtigste Voraussetzung für den Bestand, das Ansehen und die Geltung auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet der Völker ist ein körperlich, geistig und sittlich ge­ sund heranwachsendes und gediegenes Geschlecht. Die Jugendfürsorge im weiteren Sinne umfaßt nun alle Be­ strebungen, die dem Schutze des jugendlichen Geschlechtes zu dienen geeignet find. Es lassen sich ohne weiteres zwei große Gruppen fest­ stellen, nämlich die Jugendfürsorge im engeren Sinne und die Jugendpflege. Die Jugendpflege hat es mit der gesunden unverdorbenen Jugend zu tun und sorgt für die körperliche, geistige und sittliche Ausbildung und Durchbildung des Kindes angefangen von der Ge­ burt desselben bis zu dem Zeitpunkt, in welchem ein solcher Schutz fernerhin nicht mehr notwendig ist. Die Jugendfürsorge im engeren Sinne dagegen befaßt sich mit den geeigneten Maßnahmen, die bereits gefährdete, verwahr­ loste und straffällige Jugend bestmöglich zu schützen und noch zu retten. Zunächst steht den Eltern als den natürlichen Erzeugern das Recht und die Pflicht zu, für die Person des Kindes zu sorgen. Die Eltern find die berufenen Personen und haben in erster Linie das Anrecht ihre eigenen Kinder zu tüchtigen und brauchbaren Menschen zu erziehen, aus- und heranzubilden. Sie sind es, welche die natür­ lichen und geistigen Bedürfnisse ihrer Kinder am besten kennen; an­ dererseits fügen sich diese dem Einflüsse und den Anordnungen gerade ihrer Eltern instinktiv am meisten und leichtesten. Die Erziehung begreift in sich die körperliche Erziehung, die geistige und sittliche Erziehung, die allgemeine und be­ sondere Berufsausbildung in Schule und Lehre, die religiöse Erziehung. Zur Erziehung der Kinder stehen den Eltern verschiedene Mittel zu Gebote, insbesondere ist ihnen ein gewisses Züchtigungsrecht ein­ geräumt (§ 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB.). Genügen die gewöhnlichen

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Mittel der Erziehung wie Ermahnung, Warnung, Zurechtweisung und Bestrafung seitens der Erzieher nicht, so ist eine Unterstützung durch das Vormundschaftsgericht mittels Anwendung geeigneter Zuchtmittel vorgesehen (§ 1631 Abs. 2 Satz 2 BGB.). Verschuldet oder unverschuldet entspricht so manche Erziehung nicht den Anforderungen, die der Staat als Volksgemeinschaft an die Erziehung seiner Staatsangehörigen stellen muß. Birgt schon die Zunahme der Bevölkerung Deutschlands und insbesondere das Wachstum der Groß-Städte, die damit verbundene Wohnungsnot, die steigende Jndustriealisierung des Landes als solche große Gefahren für die Jugend in sich, so fehlt es vielen Eltern noch überdies an dem nötigen Können und Wollen ihre Kinder zu richtigen und brauchbaren Menschen zu erziehen. Unter bestimmten Voraus­ setzungen hat sich deshalb der Staat gezwungen gesehen den in erster Linie berufenen Eltern und sonstigen Erziehungsberechtigten die Er­ ziehung abzunehmen und sie geeigneten Personen und Einrichtungen durch seine Behörden übertragen zu lassen. Solche in das natürliche Recht der Erzieher einschneidende Maßregeln ließen sich von jeher und kaffen sich auch bei unserem heutigen Rechtsstaate nur unter bestimmten Voraussetzungen rechtfertigen.

Erster Abschnitt.

Kurzer geschichtlicher Überblick. i.

Im römischen Recht. Im alten römischen Recht fehlte es an einer einheitlichen Norm. Eine Entziehung der väterlichen Gewalt durch den Staat, um den Minderjährigen vor der Verwahrlosung zu schützen und einen Miß­ brauch derselben zu verhüten bzw. diesem Schranken zu setzen, gab es nicht. Bei der unumschränkten Herrschaft, welche die patria potestas dem römischen pater familias gegenüber seinem Hauskinde verlieh, war für solche Maßregeln durchaus kein Raum. Im späteren römischen Rechte dagegen zeigen sich bereits einige diesbezügliche Ansätze.

L 1 § 3 D de liberis exhibendis XLIII, 30. Si vero mater sit, quae retinet, apud quam interdum magis quam apud patrem morari filium debere, ex justissima scilicet causa, Divus Pius decrevit et a Marco et Severo rescriptum est; aeque subveniendum ei erit per exceptionem. L 3 § 5 I) de liberis exhibendis XL111, 30. Etiamsi maxime autem probet filium pater in sua potestate esse: tarnen causa cognita mater in retinendo eo potior erit: idque decretis Divi Pli quibusdam continetur: obtinuit enim mater ob nequitiam patris, ut sine deminutione patriae potestatis apud eam filius moretur. Nach diesen Stellen konnte also die Mutter die Herausgabe des Kindes aus besonderen Gründen verweigern, z. B. wegen Nichts­ nutzigkeit des Vaters.

L 5 I) XXXVII, 12 (Si a parente ..) De coactu emancipare. Divus Trajanus filium, quem pater male contra pietatem adficiebat, coegit emancipare: quo postea defuncto pater, ut manumissor bonorum possessionem sibi competere dicebat: sed consilio Neratii Prisci et Aristonis ei propter necessitatem solvendae pietatis denegata est. Es unterlag somit ein Vater, der seinen Sohn übermäßig schlecht behandelte, manchem rechtlichen Nachteile. Hierl, Materielle Voraussetzunge« der Fürsorgeerziehung.

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II.

Im älteren deutschen Recht. Ursprünglich war Wohl auch das deutsche Recht von ähnlichen Grundsätzen beherrscht wie das römische und bestand auch hier eine unumschränkte Gewalt des Vaters gegenüber seinen Kindern. Allein die deutschrechtliche Auffassung des Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern gestaltete sich schon frühzeitig anders als im römischen Recht. Nach deutschrechtlicher Auffassung hat der Vater das Kind in seinem Schutz (mundium); er hat es zu erziehen und zu vertreten; ander­ seits aber bekommt das Kind Rechte gegenüber dem Vater und ist insbesondere vermögensfähig. Mit der Stellung des Vaters ist allerdings von selbst eine ge­ wisse Herrschaft über die Person des Kindes verbunden; der Vater hat auch die Nutzungen des Kindesvermögens zu eigenem Vorteil dafür, daß er dem Kinde die Pflege in seinem Haushalt angedeihen läßt. Charakteristisch für die deutschrechtliche Auffassung ist weiterhin, daß auch der Mutter neben dem Vater im gewissen Sinne eine recht­ liche Stellung gegenüber dem Kinde eingeräumt wird. Neben dem Vater übte vonaltersher die Sippe eine gewisse Ober­ aufsicht, die teils ergänzend eingriff, teils dem Hauskinde Schutz gegen Übergriffe der Eltern gewährte. Dieses Recht der Sippe brachte zuerst in den Städten die Obrigkeit an sich und im Verlaufe der weiteren Entwicklung machte sich mehr und mehr die Obervormundschaft des Staate geltend. Bei der Rezeption des römischen Rechtes sind einerseits die all­ gemeinen deutschen Grundanschauungen geblieben, anderseits sind verschiedene römische Rechtssätze in unser Recht gelangt. Bei dem innerlichen Gegensatz der beiden Rechtsauffassungen ist es nicht ver­ wunderlich, wenn im späteren Verlaufe der Rechtsentwicklung eine gewisse Unsicherheit sich einschleicht. Die Ausgestaltung in den einzelnen älteren deutschen Rechten soll in den folgenden Kapiteln ganz kurz geschildert werden. III.

Im preußischen Landrecht. Teil II Tit. 2 § 90: Sollten Eltern ihre Kinder grausam miß­ handeln oder zum Bösen verleiten oder ihnen den notdürftigen Unter­ halt versagen, so ist das vormundschaftliche Gericht schuldig, sich der Kinder von Amts wegen anzunehmen. §91. Nach Befund der Umstände kann den Eltern in einem solchen Falle die Erziehung genommen und auf ihre Kosten anderen zuverlässigen Personen anvertraut werden. Ähnliche Bestimmungen enthalten die Paragraphen 97 und 98 für Kinder bei geschiedenen Ehen. Nach § 99 muß der Richter das Nötige von Amts wegen ver­ ordnen.

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§ 266. Eingeschränkt wird die väterliche Gewalt in Ansehung der Erziehung, wenn der Vater dieselbe vernachlässigt, die Kinder grausam mißhandelt, sie zum Bösen verleitet oder ihnen den nötigen Unterhalt versagt (§§ 90, 91). Diesbezügliche ähnliche Bestimmungen finden wir auch im Württem­ bergischen Landrecht (IV, 11 § 2) und im sächsischen bürgerlichen Ge­ setzbuchs (§ 1803).

IV.

Im bayrischen Recht. Im bayrischen Landrecht vom Jahre 1756 ist in Teil I Kap. V § 7 Nr. 2 festgelegt, daß die väterliche Gewalt durch schweren Mißbrauch derselben z. E. durch Grausamkeit, Exposition und Hin­ legung der Kinder, item durch derselben Verkuppelung oder Verführung und dergleichen aufhört und daß gemäß Nr. 7 die Beendigung der väterlichen Gewalt kraft Gesetzes eintritt und nicht wieder auflebt. Im bayrischen Armenrecht enthalten schon die Artikel 33 und 46 der Verordnung über das Armenwesen vom 28. November 1816 (RegBl. S. 779, 860) Bestimmungen über arme verlassene Kinder, Kinder von Bettlern und Landstreichern. Ebenso gab Art. 36 III ArmG. vom 29. April 1869 einen mittel­ baren Zwang insoferne als, wenn die Erziehung von Kindern, für welche Unterstützung aus der Armenkasse gewährt war, von den Eltern oder deren Stellvertretern offenbar vernachlässigt wurde, der Armen­ pflegschaftsrat die Fortsetzung der Unterstützung davon abhängig machen konnte, daß solche Kinder ihm zur besseren Unterbringung und Er­ ziehung überlassen wurden. Nach dem bayrischen Strafgesetzbuche von 1861 Art. 76 war eine Person, welche das 16. Lebensjahr noch nicht zurückgelegt hatte, straflos, wenn ihr die zur Unterscheidung der Strafbarkeit ihrer Tat erforderliche Ausbildung gefehlt hatte. Wenn einer solchen Person eine mit Todes- oder Zuchthausstrafe oder einer zwei Jahre übersteigenden Höchstgefängnisstrafe bedrohte vorsätzliche Tat zur Last fiel und lediglich wegen des bezeichneten Mangels Freisprechung oder Ein­ stellung des Verfahrens erfolgen mußte, so konnte in dem Urteile die Unterbringung in eine Erziehungsanstalt für verwahrloste jugendliche Personen angeordnet werden. Der Vollzug war Sache der Polizei­ behörde. Die erforderlichen Bestimmungen über die Dauer der Unter­ bringung hatte die Kreisverwaltungsstelle zu treffen; über das 18. Lebensjahr durfte die Unterbringung jedoch nicht erstreckt werden. Gemäß §§ 77, 78 konnte eine geringere als die gesetzliche ordent­ liche Strafe verhängt werden; dabei hatte jedoch in allen Fällen, in welchen die Verwahrung in einer Polizeianstalt mit der ordentlichen Strafe hätte verbunden Werder: können, die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt für verwahrloste jugendliche Personen zu treten. 2*

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Gemäß § 90 konnte gegen eine jugendliche Person, wenn sie binnen Jahresfrist dreimal wegen Bettels oder Landstreicherei auf­ gegriffen wurde und wegen Mangels der erforderlichen Ausbildung eine Verurteilung nicht erfolgen konnte, vom Polizeigerichte die Unter­ bringung in eine Erziehungsanstalt für verwahrloste jugendliche Per­ sonen angeordnet werden. Nach dem bayrischen Polizeistrafgesetzbuche Art. 81 älterer Fassung konnte bestraft werden, wer ihm angehörige oder anvertraute Kinder in bezug auf Schutz, Aufsicht, Verpflegung oder ärztlichen Beistand verwahrloste. Dabei konnte ausgesprochen werden, daß die Polizeibehörde ermächtigt sei, in anderer Weise für die Unter­ bringung des betreffenden Kindes auf Kosten des Pflichtigen zu sorgen.

V.

Im deutschen Reichsstrafrecht vor 1900. Gemäß § 55 kann strafrechtlich nicht verfolgt werden, wer bei Begehen der Handlung das 12. Lebensjahr nicht vollendet hat. Es können jedoch nach Maßgabe der landesgesetzlichen Vorschriften die zur Besserung und Beaufsichtigung geeigneten Maßregeln getroffen werden, insbesondere kann die Unterbringung in eine Erziehungs­ oder Besserungsanstalt erfolgen, nachdem durch Beschluß der Vormund­ schaftsbehörde die Begehung der Handlung festgestellt und die Unter­ bringung für zulässig erklärt ist. Gemäß § 56 ist ein jugendlicher Angeschuldigter von über 12 Jahren bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gleichfalls frei­ zusprechen, wenn er bei Begehung der Handlung die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht besessen hat. Ob der Angeschuldigte seiner Familie überwiesen oder in eine Erziehungs­ oder Besserungsanstalt gebracht werden soll, ist im Urteile zu be­ stimmen und in der Anstalt ist er solange, jedoch nicht über das 20. Jahr zu behalten, als die Verwaltungsbehörde es für gut findet. VI.

Im österreichischen Recht. Das österreichische bürgerliche Gesetzbuch von 1811 bestimmt in seinen Paragraphen 177 und 178, daß Väter, welche die Verpflegung und Erziehung ihrer Kinder gänzlich vernachlässigen, die väterliche Gewalt auf immer verlieren; ferner kann nicht nur das Kind selbst, sondern jedermann, der davon Kenntnis hat und besonders die nächsten Anverwandten den Beistand des Gerichts anrufen gegen den Miß­ brauch der väterlichen Gewalt, wodurch das Kind in seinen Rechten gekränkt wird oder gegen die Unterlassung der damit verbundenen Pflichten. Das Gericht hat sodann den Gegenstand der Beschwerde zu untersuchen und die den Umständen angemessenen Verfügungen zu treffen.

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VII.

Im französischen Recht. Im Code civil findet sich keine besondere hieher gehörige Be­ stimmung, dagegen enthält der Code penal wichtige bahnbrechende Sätze in seinen Artikeln 66 ff.:

Art. 66. Lorsque Faccuse aura moins de seize ans, s’il est decide qu’il a agi sans discernement, il sera acquitte; mais 11 sera, selon les circonstances, remis ä ses parents, ou conduit dans une maison de correction, pour y etre eleve et detenu pendant tel nombre d’annees que le jugement determinera, et qui toutefois ne pourra exceder l’epoque oü il aura accompli sa vingtieme an nee. Art. 67. S’ii est decide qu’il a agi avec discernement, les peines seront prononcees ainsi qu’il suit : S’il a encouru la peine de mort, des travaux forces ä perpetuite, ou de la deportation, il sera condamnö ä, la peine de dix ä vingt ans d’emprisonnement dans une maison de correction; S’il a encouru la peine des travaux forces ä, temps ou de la reclusion, il sera condamne ä etre renferme dans une maison de correction pour un temps egal au tiers au moins et ä la moitie au plus de celui auquel il aurait pu etre condamnö ä l’une de ces peines. Dans tous ces cas, il pourra etre mis, par Farret ou le juge­ ment, sous la surveillance de la haute police, pendant cinq ans au moins et dix ans au plus. S’il encouru la peine du carcan ou du banissement, il sera condamne ä, etre enferme, d’un an ä, cinq ans, dans une maison de correction. Art. 68. Dans aucun des cas prevus par l’article precedent, le condamne ne soubira Fexposition public. Art. 69. Si le coupable n’a encouru qu’une peine correctionelle, il pourra etre condamne ä, teile peine correctionelle qu’il sera jugee convenable, pourvu qu’elle soit au-dessus de la moitie de celle qu’il aurait subie s’il avait eu seize ans. Das wesentliche dieser Bestimmungen ist, daß der jugendliche Übeltäter, der wegen mangelnden Unterscheidungsvermögens frei­ gesprochen werden mußte, entweder seinen Eltern zur Erziehung über­ wiesen oder in eine Verbesserungsanstalt verbracht werden konnte. Hatte der jugendliche Übeltäter mit Unterscheidungskraft gehandelt, so wurde er milder bestraft und wurde ihm insbesondere die Schmach der Ausstellung zur öffentlichen Schau erspart.

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Zweiter Abschnitt.

Das geltende Recht. Nach § 1666 Abs. 1 mit § 1686 des Bürgerlichen GesetzLuches hat das Vormundschaftsgericht die zur Abwendung der Ge­ fahr erforderlichen Maßregeln zu treffen, wenn das geistige oder leib­ liche Wohl des Kindes dadurch gefährdet wird, daß der Vater bzw. die Mutter das Recht der Sorge für die Person des Kindes miß­ braucht, das Kind vernachlässigt oder sich eines ehrlosen oder unsittlichen Verhaltens schuldig macht. Welche Maßregeln im einzelnen Fall zu treffen sind, hat das Gesetz bei der Vielgestaltigkeit des Lebens dem Vormundschaftsrichter nach seinem freien pflichtgemäßen Ermessen über­ lassen. In Betracht kommen Mahnung und Verwarnung des Gewalt­ habers, Beschränkungen in einzelnen Richtungen u. dgl. mehr. Ins­ besondere kann jedoch das Vormundschaftsgericht anordnen, daß das Kind zum Zwecke der Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungsanstalt oder einer Besserungsanstalt untergebracht wird. Gemäß § 1838 BGB. kann das Vormundschaftsgericht bezüglich eines unter Vormundschaft stehenden Mündels ebenfalls die gleichen Anordnungen treffen, es müssen jedoch auch hier die Voraussetzungen des § 1666 mit 1838 BGB. vorliegen, wenn dem Vater oder der Mutter die Sorge für die Person des Mündels zusteht. Die auf Grund der obigen Bestimmungen angeordnete Fürsorge­ erziehung bedeutet die Fürsorgeerziehung im weiteren Sinn. Durch Art. 34 EG. zum BGB. wurde dem § 55 RStGB. ledig­ lich in formeller Beziehung eine Neufassung gegeben, im übrigen wurden die §§ 55 und 56 RStGB. nicht berührt. Gemäß Art. 135 EG. zum BGB. blieben auch die landesgesetz­ lichen Vorschriften über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger un­ berührt, jedoch mit der Einschränkung, daß abgesehen von den §§ 55, 56 RStGB. die Anordnung derselben dem Vormundschaftsgerichte überlassen werden mußte und außer den Fällen des § 1666 (1686) und 1838 BGB. die Zwangserziehung sich als notwendig erweisen mußte, um das völlige sittliche Verderben zu verhüten. Das bayr. AG. zum BGB. Art. 162 Abs. 1 gab dem Art. 81 PolStGB, seine Neufassung dahin, daß die Ermächtigung, wenn es sich um eine Maßregel handelt, zu der eine Anordnung des Vormund­ schaftsgerichts erforderlich ist, von der Erlassung dieser Anordnung abhängig zu machen ist. Auch im neuen Armengesetze vom 21. August 1914 ist der in­ direkte Zwang in Art. 7 Abs. 3 dahin aufrechterhalten, daß Kinder für deren Erziehung Armenunterstützung gewährt wird, der Armen­ pflege zur besseren Unterbringung und Erziehung überlassen werden müssen, wenn die Eltern oder deren Stellvertreter das Kind offenbar

17 vernachlässigen und gleichwohl noch weiter auf Armenunterstützung rechnen wollen. Das bayr. Zwangserziehungsgesetz vom 20. Mai 1902, nunmehr Fürsorgegesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Juli 1915 (GVBl. 38) auf Grund des Art. 97 des bahr. ArmG. vom 21. August 1914 behandelt die Fürsorgeerziehung im engeren Sinne, d. h. wenn öffentliche Mittel bzw. Kosten in Anspruch genommen werden. Wenn die in Frage kommenden Kinder oder unterhaltspflichtige Verwandte auch Vermögen besitzen, so schließt das die Anordnung der Fürsorgeerziehung im engeren Sinne noch nicht notwendig aus, wenn dieses Vermögen nicht hinreichen würde, um die Fürsorgeerziehung für die voraussichtliche Dauer zu ermöglichen oder aber, wenn dadurch der Unterhalt des Kindes wieder in Frage gestellt werden würde (BayObLG. Bd. 14 S. 484 ff.). Nach Art. 1 a. a. O. kann das Vormundschaftsgericht unter den Voraussetzungen des Art. 2 anordnen, daß ein Minderjähriger zum Zwecke seiner Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungsanstalt auf öffentliche Kosten untergebracht wird. Ob im einzelnen Falle der Minderjährige in einer geeigneten Familie oder aber in einer Erziehungsanstalt die Fürsorgeerziehung durchzumachen hat, bestimmt die Verwaltungsbehörde.

Gemäß Art. 2 Abs. 1 a. a. O. ist die Fürsorgeerziehung zulässig, und zwar wenn die Sorge für die Person eines Minderjährigen dessen Vater oder Mutter zusteht: 1. Wenn das geistige oder leibliche Wohl des Minderjährigen da­ durch gefährdet wird, daß der Vater oder, sofern die Sorge für die Person des Minderjährigen der Mutter zusteht, die Mutter das Recht der Sorge für die Person mißbraucht, den Minder­ jährigen vernachlässigt oder sich eines ehrlosen oder unsittlichen Verhaltens schuldig macht und die Fürsorgeerziehung erforderlich ist um die sittliche oder körperliche Verwahrlosung des Minder­ jährigen zu verhüten. 2. Wenn der Minderjährige eine strafbare Handlung begangen hat, wegen deren er in Anbetracht seines jugendlichen Alters straf­ rechtlich nicht verfolgt werden kann und mit Rücksicht auf die Beschaffenheit der Handlung, die Persönlichkeit der Eltern und die übrigen Lebensverhältnisse des Minderjährigen seiner weiteren sittlichen Verwahrlosung nur durch die Fürsorgeerziehung vor­ gebeugt werden kann. 3. Wenn sonstige Tatsachen vorliegen, welche die Fürsorgeerziehung zur Verhütung des völligen sittlichen Verderbens des Minder­ jährigen notwendig machen.

Gemäß Art. 2 Abs. 2 a. a. O. ist die Fürsorgeerziehung zulässig, und zwar wenn die Sorge für die Person eines Minderjährigen nicht dessen Vater oder Mutter zusteht dann, wenn die Entfernung des

18 Minderjährigen aus seiner bisherigen Umgebung zur Verhütung seiner geistigen oder körperlichen Verwahrlosung erforderlich ist. Gemäß Art. 2 Abs. 3 a. a. O. soll die Fürsorgeerziehung nach Vollendung des 16. Lebensjahres eines Minderjährigen nur in be­ sonderen Fällen angeordnet werden.

Dritter Abschnitt.

Die materiellen Voraussetzungen der Fürsorgeerziehung. Zm allgemeinen. Die Fürsorgeerziehung verfolgt al« Zweck die Erziehung des Kindes. Sie ist darum zulässig, wenn und solange eine Erziehung des Kindes überhaupt noch möglich ist. Die Fürsorgeerziehung ist nicht mehr am Platze, wenn die Verwahrlosung bzw. das sittliche Verderben bereits soweit vorgeschritten ist, daß auch durch die strengste Fürsorgeerziehung eine Besserung nicht mehr zu erwarten ist, wenn der Minderjährige dem sittlichen Verderben derart anheimgefallen ist, daß die Mittel der Erziehung nicht mehr ausreichen. In solchen Fällen muß auch der Minderjährige von Fall zu Fall dem Straf­ richter überantwortet bleiben, um ihm mittels der Strafe sein gesetzund gesellschaftswidriges Verhalten so gut als möglich zum Bewußtsein zu bringen (BayObLG. Bd. 11 S. 342 ff.). Ebensowenig ist die Fürsorgeerziehung bei geistigen und sittlichen Defekten eines Minderjährigen am Platze. Die Fürsorgeerziehung soll den Minderjährigen durch förderliche Einwirkung auf Verstand und Gemüt vor dem drohenden sittlichen Verderben bewahren und ihn zu einem brauchbaren Mitglieds der menschlichen Gesellschaft heranbilden. Die Mittel der Erziehung müssen aber gegenüber geistigen Gebrechen, bestehend in einem krankhaften Zustande der Geistesstörung oder Geistesschwäche, versagen und die Verkennung würde vielleicht gerade das Gegenteil bewirken und könnte eine schwere Schädigung des Behafteten bedeuten (BayObLG. Bd. 9 S. 662 ff.). Andererseits ist jedoch die Fürsorgeerziehung wegen eines geistigen Mangels allein noch nicht ausgeschlossen, wenn die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt gleichwohl noch eine erziehliche Einwirkung erwarten läßt. Bei einem lediglich geistesschwachen Kinde kann diese Möglichkeit sehr Wohl noch gegeben sein (BayObLG. Bd. 13 S. 43 ff.). Durch die Fürsorgeerziehung sollen Vorkehrungen getroffen werden, die geeignet find, eine schädliche Beeinflussung zu verhindern. Es

18 Minderjährigen aus seiner bisherigen Umgebung zur Verhütung seiner geistigen oder körperlichen Verwahrlosung erforderlich ist. Gemäß Art. 2 Abs. 3 a. a. O. soll die Fürsorgeerziehung nach Vollendung des 16. Lebensjahres eines Minderjährigen nur in be­ sonderen Fällen angeordnet werden.

Dritter Abschnitt.

Die materiellen Voraussetzungen der Fürsorgeerziehung. Zm allgemeinen. Die Fürsorgeerziehung verfolgt al« Zweck die Erziehung des Kindes. Sie ist darum zulässig, wenn und solange eine Erziehung des Kindes überhaupt noch möglich ist. Die Fürsorgeerziehung ist nicht mehr am Platze, wenn die Verwahrlosung bzw. das sittliche Verderben bereits soweit vorgeschritten ist, daß auch durch die strengste Fürsorgeerziehung eine Besserung nicht mehr zu erwarten ist, wenn der Minderjährige dem sittlichen Verderben derart anheimgefallen ist, daß die Mittel der Erziehung nicht mehr ausreichen. In solchen Fällen muß auch der Minderjährige von Fall zu Fall dem Straf­ richter überantwortet bleiben, um ihm mittels der Strafe sein gesetzund gesellschaftswidriges Verhalten so gut als möglich zum Bewußtsein zu bringen (BayObLG. Bd. 11 S. 342 ff.). Ebensowenig ist die Fürsorgeerziehung bei geistigen und sittlichen Defekten eines Minderjährigen am Platze. Die Fürsorgeerziehung soll den Minderjährigen durch förderliche Einwirkung auf Verstand und Gemüt vor dem drohenden sittlichen Verderben bewahren und ihn zu einem brauchbaren Mitglieds der menschlichen Gesellschaft heranbilden. Die Mittel der Erziehung müssen aber gegenüber geistigen Gebrechen, bestehend in einem krankhaften Zustande der Geistesstörung oder Geistesschwäche, versagen und die Verkennung würde vielleicht gerade das Gegenteil bewirken und könnte eine schwere Schädigung des Behafteten bedeuten (BayObLG. Bd. 9 S. 662 ff.). Andererseits ist jedoch die Fürsorgeerziehung wegen eines geistigen Mangels allein noch nicht ausgeschlossen, wenn die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt gleichwohl noch eine erziehliche Einwirkung erwarten läßt. Bei einem lediglich geistesschwachen Kinde kann diese Möglichkeit sehr Wohl noch gegeben sein (BayObLG. Bd. 13 S. 43 ff.). Durch die Fürsorgeerziehung sollen Vorkehrungen getroffen werden, die geeignet find, eine schädliche Beeinflussung zu verhindern. Es

19 kann nicht Aufgabe der Fürsorgeerziehung sein durch eine der für die Fürsorgeerziehung vorgesehenen Maßregeln eine gedeihliche Er­ ziehung zu vermitteln (BayObLG. Bd. 9 S. 34; Bd. IIS. 548). Der Minderjährige mag zwar bei dritten Personen z. B. bei den Großeltern u. dgl. besser gepflegt werden, ein Grund deshalb den Eltern das Kind vorzuenthalten ist das jedoch an sich nicht (BayObLG. Bd. 1 S. 456 ff.). Es mag auch für den Minderjährigen unter Umständen vorteil­ haft sein in von ihm selbst gewählten Verhältnissen zu bleiben. Selbst Halsstarrigkeit und Eigennutz des Gewalthabers rechtfertigen an sich eine Beschränkung der elterlichen Gewalt noch nicht, eine solche Beschränkung ist nur gerechtfertigt, wenn dabei zugleich eine Gefährdung für das geistige oder leibliche Wohl gegeben ist (BayObLG. Bd. 3 S. 44; Bd. 7 S. 183). Der Zweck der Fürsorgeerziehung muß sein die Erziehung selbst und nicht die Unterbringung und Verpflegung. Durch die Fürsorge­ erziehung soll die sittliche oder körperliche Verwahrlosung auf dem Wege der Erziehung verhütet werden. Anderen Zwecken hat die Für­ sorgeerziehung nicht zu dienen(BayObLG. Bd. 14 S.213ff.; Rechtspr. d. OLG. Bd. 7 S. 78; Bd. 11 S. 302; Bd. 17 S. 268, 277; Bd. 21 S. 267.). Grundsätzlich ist daran festzuhalten, daß die Fürsorgeerziehung nicht als Strafe für den Gewalthaber aufzufassen ist, die Fürsorge­ erziehung ist vielmehr letzten Endes einzig und allein im Interesse des Kindes selbst einzuleiten. Es handelt sich bei Anordnung der Fürsorgeerziehung nicht um eine Strafe, die der Vater oder die Mutter durch Verletzung der mit der elterlichen Gewalt verbundenen Pflichten verwirkt, sondern um den Schutz des Kindes gegen die vom Inhaber der elterlichen Gewalt ausgehende, mit der Ausübung der elterlichen Gewalt durch ihn verknüpfte Gefährdung des Kindes (BayObLG. Bd. 3 S. 802 ff.; Bd. 13 S. 265 ff.).

Das Interesse des Kindes ist auch maßgebend bei einem Vorgehen nach Art. 81 bayr. PolStGB., wenn auch hier den fürsorgeverpflich­ teten Teil zunächst Strafe trifft und die Unterbringung auf seine eigenen Kosten erfolgt. Auch bei Art. 7 Abs. 3 bayr. ArmG. von 1914 läßt sich dieses Interesse für das Kind nicht verkennen. Für die Anordnung der Fürsorgeerziehung genügt aber nicht lediglich eineBefürchtung, daß das Wohl des Kindes in Zukunft gefährdet werden könne, sondern es muß schon eine tatsächliche Ge­ fährdung vorliegen (BayObLG. Bd. 3 S. 802 ff.; Bd. 4 S. 85 ff., 627 ff.; Bd. 10 S. 131 ff.).

Die Gefährdung des Wohles des Kindes muß aber andererseits eine gegenwärtige sein. Von einer solchen Gefährdung kann nicht mehr die Rede sein, wenn zwar früher ein pflichtwidriges Ver­ halten an den Tag gelegt wurde von Seite des Fürsorgeverpflichteten,

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wenn jedoch nunmehr das Kind anständig untergebracht ist und keine Beanstandung mehr vorliegt (BayObLG. Bd. 4 S. 153 ff.). Eine Gefährdung d. h. eine begründete Besorgnis einer Schädigung des Wohles des Kindes kann aber hinwiederum sehr wohl dann angenommen werden, wenn der Vater oder die Mutter sich in naher Vergangenheit verfehlt haben und die Art des Verhallens derselben auf eine Neigung schließen lassen, welche, auch wenn sie eine Zeitlang nicht hervortreten mag, gleichwohl fortleben kann um sodann bei sich ergebender Gelegenheit womöglich sich wieder zu betätigen (BayObLG. Bd. 3 S. 802ff.; Bd. 13 S. 253ff.; Rechtsspr. d. OLG. Bd. 4 S. 411). Eine tatsächliche Schädigung braucht jedoch noch nicht ein­ getreten zu sein, sondern es genügt eben schon die Gefährdung, soweit es überhaupt auf die Gefährdung abgestellt ist (BayObLG. Bd. 1 S. 452; Bd. 11 S. 155 ff.). Um Maßregeln zur Abwendung der Gefahr für das Wohl des Kindes zu rechtfertigen, genügt die bloße Möglichkeit solcher Schädigung wieder nicht (BayrObLG. Bd. 11 S. 89 ff.). Wenn sich der Minderjährige, dem die Anordnung der Fürsorge­ erziehung drohend bevorsteht, zeitweilig eines Wohlverhaltens be­ fleißigt, so hindert das noch nicht die Anordnung der Fürsorge­ erziehung, wenn angenommen werden muß, daß dies der Minder­ jährige nur tut um der Fürsorgeerziehung zu entgehen bzw. um eine solche hintanzuhalten, wenn dagegen eine nachhaltige Besserung nicht zu erwarten ist (BayObLG. Bd. 15 S. 78 ff.). Ebensowenig nützt eine zeitweilige Besserung seitens der Für­ sorgepflichtigen, wenn keine Gewähr dafür gegeben ist, daß die Besse­ rung anhaltender Natur ist (BayObLG. Bd. 3 S. 802 ff.; Bd. 8 S. 26 ff.). Die Anordnung der Fürsorgeerziehung setzt keineswegs immer ein Verschulden der fürsorgepflichtigen Personen voraus. So ist kein Verschulden erfordert bei Anordnung der Fürsorgeerziehung nach Art. 2 Ziff. 2 und 3 FürsG., dagegen ist ein solches erforderlich bei Anordnung der Fürsorgeerziehung gemäß Art. 2 Ziff. 1 FürsG., ebenso bei den §§ 1666, 1686, 1838 BGB. sowie Art. 81 bayr. PolStGB, und Art. 7 Abs. 3 bayr. ArmG. von 1914 (BayObLG. Bd. 15 Heft 1 S. 78 ff.). Wenn überhaupt ein Verschulden vorausgesetzt ist, so muß ein solches in der Person des Fürsorgeverpflichteten selbst gegeben sein; ein pflichtwidriges Verhalten Dritter genügt zur Anordnung der Fürsorgeerziehung nicht. So ist ein pflichtwidriges Verhalten der Mutter nicht ohne weiteres auch dem Vater und umgekehrt zur Last zu legen, das pflichtwidrige Verhalten Dritter kommt aber insoweit in Betracht und kann dann auch dem Fürsorgeverpflichteten angerech­ net werden, als derselbe einem solchen Verhalten nicht mit der ge­ nügenden Strenge entgegentritt und Einhalt gebietet, obwohl er ver­ pflichtet wäre zur Abwendung der für das geistige und leibliche Wohl

21 der Minderjährigen entstehenden Nachteile einzugreifen (BayObLG. Bd. 7 S. 501 ff.; Bd. 14 S. 59 ff.; Rechtspr. der OLG. Bd. 6 S. 288). Wenn es nicht an dem guten Willen fehlt, wenn vielmehr die wirtschaftliche Notlage den wahren Grund eines ungenügenden Ver­ haltens bildet, so kann von einem eigentlichen Verschulden überhaupt nicht die Rede sein (BayObLG. Bd. 4 S 223 ff.; Bd. 10 S. 131 ff.). Weiterhin kann von einem Verschulden keine Rede sein, wenn es zwar nicht an dem guten Willen fehlt, wenn aber Unfähigkeit der Grund ist (BayObLG. Bd. 15 S. 166 ff.). Was nun die einzelnen Fürsorgemaßnahmen bzw. die Fürsorge­ erziehung selbst betrifft, so ist im einzelnen Falle zu Prüfen, ob nicht weniger tief in die Verhältnisse der Minderjährigen und der Fürsorge­ verpflichteten eingreifende Auskunftsmittel als ausreichend zu erachten find. Es darf mit den einzelnen Maßnahmen nicht weiter gegangen werden als nach Lage des Falles notwendig ist. Insbesondere darf die Fürsorgeerziehung auf öffentliche Kosten nur angeordnet werden, wenn auf anderem Wege eine geordnete Erziehung nicht zu erreichen ist. Die Fürsorgeerziehung soll das letzte Auskunftsmittel sein. Von selbst versteht sich, daß in der Befugnis den Eltern die Fürsorge für die Person ganz zu entziehen bzw. die Fürsorgeerziehung anzuordnen auch die Berechtigung enthalten ist, den Gewalthaber nur in einzelnen Richtungen und Beziehungen zu beschränken (MinBek. vom 28. Juni 1902 zum Vollzüge des ZwEG. vom 10. Mai 1902 § 3 [GVBl. S. 180]; BayObLG. Bd. 11 S. 215; Bd. 13 S. 496, 577, 738; Bd. 14 S. 207; Bd. 15 4. Heft S. 450 ff.).

Im einzelnen. Erstes Kapitel.

Die Voraussetzungen auf Grund des BGB. (§§ 1666, [1686], 1838 Satz 2 und des Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 FürsG.).

Es läßt sich ein dreifaches pflichtwidriges Verhalten denken, näm­ lich einmal ein positives pflichtwidriges Verhalten: Es wird das Recht der Sorge für die Person des Minderjährigen mißbraucht und zwar, indem eine bestimmte pflichtwidrige Handlung vorgenommen wird. Sodann ein negatives pflichtwidriges Verhalten:

Der Minderjährige wird vernachlässigt, indem die fürsorgeberechtigte und verpflichtete Person die ihm obliegenden Pflichten unterläßt. Endlich ein ehrloses und unsittliches Verhalten: Durch ein solches Verhalten wird die Gefahr nahe gerückt, 'daß eine ungünstige Einwirkung auf den Minderjährigen sich ergibt.

22 I.

Das positive pflichtwidrige Verhalten. 1. Die Verleitung zum Bösen.

Aufgabe und Pflicht der Eltern ist es ihre Kinder zum Guten und Schönen anzuhalten und ihnen die Grundsätze von Recht und Gerechtigkeit von frühester Jugend einzupflanzen. Dieser Pflicht und Aufgabe gerade entgegengesetzt handeln die Eltern, die ihre Kinder zum Bösen verleiten. Eine solche Verleitung zum Bösen ist anzunehmen, wenn dem Minderjährigen unsittliche und vaterlandsverräterische Grundsätze ein­ geprägt werden, wenn das Kind beharrlich ermuntert und aufgefordert wird sich der Ordnung der Schule zu widersetzen, wenn der Schul­ zucht von den Eltern entgegengearbeitet wird (BayObLG. Bd. 10 S. 569 ff.), wenn das Kind zum Betteln, zu Feld- und Waldfreveln und zu Diebstählen aller Art angeleitet wird, wenn dem Minder­ jährigen endlich auch die Verlogenheit und die Unehrlichkeit angelernt werden (BayObLG. Bd. 7 S. 501 ff.; Bd. 15 1. Heft S. 78 ff.). 2. Die Überschreitung des Züchtigungsrechtes.

Um die Erziehung der Kinder gedeihlich zu gestalten, ist den Gewalthabern ein gewisses Züchtigungsrecht eingeräumt. Daß ein solches notwendig ist, bedarf keiner weiteren Ausführung, da bei den meisten Kindern die Belehrung allein oder die guten Worte allein erfahrungsgemäß nicht ausreichen. In der Überschreitung des Züchtigungsrechtes kann aber ein schwerer Mißbrauch der Erziehungsgewalt liegen. Wenn das Kind ohne Grund und Veranlassung in roher Weise mißhandelt wird, so wird dasselbe verschlossen und es bäumt sich im Innern gegen die Eltern auf; es wird dadurch im Kinde das Gefühl für Recht und Gerechtigkeit in seinen Anfängen erstickt. Durch Übertreibung wird das Kind verschlagen und statt der bessernden Folgen einer weisen und mäßigen Züchtigung würden gerade die gegenteiligen Folgen ge­ zeitigt werden (BayObLG. Bd. 13 S. 738 ff.; Rechtspr. d. OLG. Bd. 6 S. 288). 3. Die ungeeignete Berufswahl. Die wichtigste Aufgabe des Gewalthabers dürfte es sein, den Minderjährigen einem Berufe zuzuführen, der den Interessen, Neigungen und Fähigkeiten des Kindes entspricht, hängt doch von der richtigen Berufswahl in den meisten Fällen die Zukunft, das Glück und die Zufriedenheit des ganzen späteren Lebens ab. Wenn darum der Ge­ walthaber den Minderjährigen zu einem Berufe vorbereitet oder hierin beschäftigt, der den Interessen des Kindes durchaus nicht entspricht, so muß darin ein schwerer Mißbrauch erblickt werden.

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Bei Mädchen insbesondere kann die willkürliche Versagung zur Einwilligung einer Heirat einen schweren Mißbrauch der elterlichen Gewalt bedeuten; denn für das Mädchen ist die Verheiratung immer noch die beste Versorgung für das Leben und die Zuführung zu ihrem natürlichen Gattinnen- und Mutterberufe. 4. Die ungerechtfertigte Ausnützung der Arbeitskraft. Ein Mißbrauch der elterlichen Gewalt ist ferner zu erblicken in der ungerechtfertigten Ausnützung der Arbeitskraft des Kindes. Der Minderjährige ist allerdings verpflichtet in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise im Hauswesen und Geschäfte der Eltern mitzuarbeiten (§ 1617 BGB.). Wenn das Kind arbeitsfähig ist, so kann den Eltern die Berechtigung nicht abgesprochen werden, das Kind zu geeigneten Arbeiten anzuhalten, um auf diese Weise sich von Jugend auf an die Arbeit zu gewöhnen und seinen Lebensunterhalt mitverdienen zu helfen. Dabei müssen aber in erster Linie die Interessen des Kindes berücksichtigt werden, es darf darunter die körperliche, geistige und sittliche Entwicklung nicht leiden. Das Kind darf nicht zu lange und nicht über Gebühr zur Arbeit gezwungen werden; es dürfen dem Minderjährigen nicht Arbeiten zugemutet werden, die über seine Leistungsfähigkeit hinausgehen (BayObLG. Bd. 3 S. 45 ff.; Rechtspr. d. OLG. Bd. 6 S. 288; Bd. 10 S. 1 ff.).

5. Unberechtigtes Herausgabeverlangen. Gemäß § 1632 BGB. kann der Gewalthaber die Herausgabe des Kindes von jedermann verlangen, der es ihm widerrechtlich vor­ enthält. Nicht berechtigt dagegen ist ein solches Herausgabeverlangen, wenn der Gewalthaber nicht imstande ist, dem Kinde die notwendige Pflege angedeihen zu lassen; in einem solchen Falle mißbraucht er seine Gewalt. Wenn die Mutter das Kind in die eigene Pflege be­ kommen will, obwohl sie außerstande ist, demselben die notwendige Sorge und Aufmerksamkeit zu schenken oder es gegen die Mißhand­ lungen, die ihm von dessen Stiefvater drohen mögen, zu schützen, so ist sie hierzu nicht berechtigt (BayObLG. Bd. 1 S. 456 ff.).

Ebenso bedeutet es eine Gefährdung des leiblichen Wohles des Kiu des und einen Mißbrauch des Fürsorgerechts des Vaters, wenn er das Kind herausverlangt, obwohl er sich bisher nicht um dasselbe gekümmert hat, das Kind sich auch in völlig gesicherten und ihm zu­ sagenden Verhältnissen befindet und ohne Not in völlig unsichere Ver­ hältnisse versetzt werden soll (BayObLG. Bd. 15 S. 259 ff.). Ganz gleich verhält es sich, wenn der körperliche Zustand des Kindes den Aufenthalt auf dem Lande bei der von ihrem Manne getrennt lebenden Mutter notwendig macht, da bereits zwei Geschwister in der Stadt an Lungenschwindsucht gestorben waren und das in

24 Frage kommende Kind ebenfalls an der Lunge verdächtig war, so daß außerdem die mütterliche Obhut und Pflege erforderlich ist, wenn aber gleichwohl der Vater trotz seiner bescheidenen Mittel, welche ihm eine Unterbringung des Kindes in einer Lungenheilstätte auf längere Dauer nicht ermöglichen, dieses Kind von der Mutter herausverlangt. In einem solchen Falle würde das Kind schon durch die Trennung gesundheitlich ernstlich gefährdet (BayObLG. Bd. 11 S. 155 ff.). Die Herausgabe liegt ferner nicht im Interesse des Kindes, wenn die Eheleute nicht gut mit einander lebten, wenn das Kind vom Vater der Frau überlassen wurde, wenn derselbe die Unterhaltsbeiträge verweigert hatte und nun gleichwohl auf Herausgabe des Kindes be­ steht (BayObLG. Bd. 13 S. 496 ff.). Wenn der Vater das Kind gegen dessen Interesse, vielmehr in seinem eigenen Interesse herausverlangt, so mißbraucht er auch die elterliche Gewalt. Der Vater hat ohnehin acht Kinder, hat sich jahre­ lang nicht um das fragliche Kind gekümmert. Wenn das Kind aus der ihm lieb gewonnenen Umgebung herausgerissen würde, hätte es nicht nur einen zeitweiligen Trennungsschmerz zu überwinden, es würde sich vielmehr ein Haß gegen den Vater und gegen den Staat in sein Herz eingraben. Das um so mehr, wenn der Vater ein Trinker und arbeitsscheuer Mensch ist und vom Vermögen seiner Frau lebt (BayObLG. Bd. 13 S. 260 ff., 369 ff.). 6. Die ungehörige religiöse Erziehung.

Ein Mißbrauch der elterlichen Gewalt muß endlich in einer un­ gehörigen Einwirkung auf das Kind in religiöser Hinsicht gefunden werden. Dies ist der Fall, wenn der überlebende Ehegatte die gesetz­ lichen Vorschriften über religiöse Kindererziehung nicht einhält, ebenso wenn die Kinder von ihm entgegen den gesetzlichen Vorschriften frei­ religiös erzogen werden. Es verstößt gegen das Wohl der Kinder, wenn entgegen dem Gesetze und vertragsmäßig übernommener Ver­ pflichtung die Sorge für die Kinder dazu benützt wird, dieselben der religiösen Unterweisung zu entziehen oder sie religiösen Anschauungen zuzuführen, über deren Berechtigung sie mangels der erforderlichen Verstandesreife nicht selbst urteilen können, zumal keine Gewähr für die Durchführung gegeben ist, da bei Kenntnis die Behörden leicht zum Eingreifen Veranlassung nehmen könnten (BayObLG. Bd. 13 S. 178; Rechtspr. d. OLG. Bd. 8 S. 357 ff., Bd. 7 S. 419).

II. Das negative pflichtwidrige Verhalten. 1. In bezug auf das körperliche Wohl.

Eine solche Vernachlässigung ist gegeben, wenn sich die Eltern für die Gesundheit ihrer Kinder überhaupt nicht sorgen, wenn sie

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ihre Kinder im Stiche lassen und sich um dieselben durchaus nicht kümmern. Ein Verschulden trifft jedoch die Eltern nur, wenn es an dem guten Willen fehlt, nicht wenn der Grund der Vernachlässigung in wirtschaftlicher Not zu suchen ist (BayObLG. Bd. 4 S. 223). Wenn die Mutter die Gesundheit des Kindes gefährdet, so ist der Vater berechtigt, dasselbe seiner getrennt lebenden Ehefrau weg­ zunehmen und es in fremde Pflege zu bringen (BayObLG. Bd. 1 S. 507 ff.). Eine offenbare Vernachlässigung liegt darin, wenn die uneheliche Mutter sich um das Kind nicht kümmert, es der Obhut der Verwandten überläßt, obwohl sie die Erziehung selbst in die Hand nehmen könnte und obwohl vom außerehelichen Vater anständige Unterhaltsbeiträge für das Kind bezahlt werden (BayObLG. Bd. 2 S. 465 ff.). Wenn die Mutter leidend ist und nur wenig arbeiten kann, der Vater dagegen in das Ausland geht um sich seiner Unterhaltsver­ pflichtung zu entziehen, obwohl er bei gutem Verdienste die sitt­ liche und gesetzliche Pflicht hätte sich seiner Frau und Kinder anzu­ nehmen, so ist eine solche Unterlassung der Fürsorge ganz unentschuld­ bar und eine grobe Vernachlässigung (BayObLG. Bd. 15 S. 259 ff.). Vernachlässigt wird das Kind weiterhin, wenn dasselbe nicht sauber und rein gehalten wird, wenn ihm nicht die nötige Nahrung verab­ reicht wird und wenn es an der notwendigsten Kleidung Mangel leidet. Trotz gut bezahlter Stelle hat sich der Vater nicht um das Kind gekümmert, nichts zu seinem Unterhalte beigetragen, obwohl er durch einstweilige Verfügung des Gerichtes dazu angehalten war. Es fehlte so an der nötigsten Nahrung und die Frau war gezwungen in Arbeit zu gehen und die Kinder unter Tags in fremde Pflege zu geben. Nachdem der Vater zum Unterhalte imstande war, ist die Gefährdung des leiblichen Wohles verschuldet (BayObLG. Bd. 13 S. 39 ff.; vgl. hieher auch BayObLG. Bd. 3 S. 91 ff., 1016ff.; Bd. 8 S. 26ff.; Bd. 10 S. 359ff.; Bd. 12 S. 323ff.; Bd. 13 S. 557ff., 738ff.). Eine Vernachlässigung bedeutet es endlich, wenn der Minderjährige nicht gegen unberechtigte körperliche Einwirkungen (Schläge und Mißhandlungen) dritter Personen in Schutz genommen wird. So, wenn die uneheliche Mutter das Kind nicht vor den unbe­ rechtigten Schlägen des Stiefvaters schützt (BayObLG. Bd. 2 S. 465 ff.; Bd. 1 S. 456 ff.). 2. In bezug auf das geistige Wohl. Eine Vernachlässigung in bezug auf das geistige Wohl des Minder­ jährigen ist gegeben, wenn das geistige Wohl des Kindes im allge­ meinen nicht genügend berücksichtigt wird, wenn der Gewalthaber es an der nötigen Anleitung und Ausbildung fehlen läßt, wenn das Kind insonderheit nicht zum Schulbesuch angehalten wird (BayObLG. Bd. 9 S. 34ff.; Bd. 11 S. 570ff.; Bd. 8 S. 26ff.; OLGRspr. Bd. 3 S. 422).

26 Stellt der Gewalthaber nicht die nötigen Mittel zur Berufsaus­ bildung des Kindes bereit, obwohl er dazu sehr wohl in der Lage wäre, so ist das ebenfalls eine schwere Vernachlässigung des geistigen Wohles. So, wenn z. B. der Vater seinem Sohne die zum Universitäts­ studium oder zum Besuche einer Hochschule erforderlichen Mittel vor­ enthält und wenn dadurch der Sohn, der die nötige Vorbildung bereits besitzt, in einer seinen geistigen Fähigkeiten, der sozialen Stellung seiner Familie und den Vermögensverhältnissen des Gewalthabers nicht ent­ sprechenden Weise und Stellung zu bleiben gezwungen wäre (OLGRspr. Bd. 1 S. 450).

3. In bezug auf das sittliche Wohl.

Die Eltern sind verpflichtet den auftretenden schlechten Neigungen ihrer Kinder mit der erforderlichen Strenge entgegenzutreten. Der Vater muß den Minderjährigen sorgfältig überwachen und seinen auf­ tauchenden schlimmen Neigungen durch Handhabung angemessener Zuchtmittel entgegentreten und ihn so zu einem ordentlichen Menschen er­ ziehen. Die fürsorgeverpflichteten Personen dürfen nicht aus Bequem­ lichkeit und Scheu vor entschlossenem Eingreifen die Kinder sich selbst überlassen und sie der Gefahr sittlicher Verwilderung aussetzen (BayObLG. Bd. 2 S. 368 ff.). Wenn der Minderjährige auf dem Wege ist ein arbeitsscheuer und gewohnheitsmäßiger Streuner zu werden, wenn er lieber auf den Bettel als in die Schule geht, wenn er sich strafbare Handlungen wie Diebstähle u. dgl. zuschulden kommen läßt, so dürfen die Eltern einem solchen Gebaren nicht gleichgültig zusehen; sie müssen vielmehr in einem solchen Falle für strenge Erziehung und Überwachung anderweitig sorgen, wenn sie selbst bei ihren Arbeitsverhältnissen es nicht in eigener Person tun können, wenn sie gezwungen sind tagsüber auswärts zu arbeiten oder dem Hausierhandel nachzugehen (BayObLG. Bd. 13 S. 19 ff.). Eine Gefährdung des sittlichen Wohles ist gegeben, wenn die Mutter die Tochter zum Hausieren und in Wirtschaften mitnimmt, wo sie mitunter die schlimmen Redensarten der Gäste zu hören be­ kommt, wenn die Mutter in Lokalen als Sängerin auftritt und dabei auch ihre Tochter in solchen Lokalen, die in wenig gutem Rufe stehen, Musikstücke vortragen läßt (BayObLG. Bd. 13 S. 212 ff.). Ebenso, wenn der Vater seine Kinder nicht einmal zum Sonntag­ gottesdienste anhält (BayObLG. Bd. 8 S. 26 ff.). Nicht minder, wenn die Kinder vom Stehlen, Betteln, Lügen, von unsittlichen Redensarten und Handlungen u. dgl. nicht abgehalten werden, wenn sie bei derartigen Handlungen sogar in Schutz ge­ nommen werden (vgl. hieher BayObLG. Bd. 4 S. 85 ff.; Bd. 6 S. 648ff.; Bd. 7 S. 501 ff.; Bd. 8 S. 195ff.; Bd. 10 S. 569ff.; Bd. 11 S. 592ff.; Bd. 15 S. 78ff.). Die Eltern sind wohl weiterhin als verpflichtet zu erachten, ihre

27

Kinder mit den religiösen Anschauungen vertraut zu machen, damit dieselben nach genügender geistiger Reife selbständig das Religions­ bekenntnis wählen können. Bei der religiösen Erziehung ist vor allem darauf zu achten, daß das Kind feste und einheitliche religiöse Grund­ sätze eingeprägt bekommt, daß dasselbe vor allem nicht zu frühzeitig in den Streit der religiösen Anschauungen hineingezogen wird, damit das religiöse Empfinden nicht verwirrt und die Religiosität nicht über­ haupt untergraben wird. Soweit der freireligiöse Unterricht diesen Erfordernissen nachkommt und sich insbesondere von religiöser Polemik fernhält, dürfte auch dieser geeignet sein dem Kinde in sich geschlossene und feste Grundsätze in dieser Richtung mit auf den Weg zu geben, auf Grund deren dann der Minderjährige, zur genügenden Berstandes­ reife gelangt, sich in den religiösen Problemen und mit seinem eigenen Innern zurecht finden kann (vgl. hieher BayObLG. Bd. 13 S. 178ff.; OLGRspr. Bd. 8 S. 357; Bd. 12 S. 332; Bd. 18 S. 280; Bd. 21 S. 253). Schließlich hat der Gewalthaber den Minderjährigen vor den verderblichen sittlichen Einflüssen dritter Personen zu schützen. Es ist zu billigen, wenn der Vater seiner übelbeleumundeten, von ihm getrennt lebenden Ehefrau, welche die sittliche Erziehung des Kindes gefährdet, es wegnehmen und in Pflege bringen läßt (BayObLG. Bd. 1 S. 507 ff.). Der Vater ist verpflichtet dem vorhandenen verderblichen Einfluß der Mutter entgegen zu wirken, indem er die Kinder mit der erforder­ lichen Strenge von strafbaren Handlungen, vom Betteln und Müßig­ gang ab- und zu einem gesitteten Lebenswandel anzuhalten hat, wenn die Mutter in völliger Verkennung ihrer Pflichten und Aufgaben die Kinder zum Betteln, zu Diebstählen und zum Lügen veranlaßt und überdies die schlimmen Neigungen ihrer Kinder begünstigt (BayObLG. Bd. 7 S. 501 ff.). Andererseits ist die Mutter verpflichtet, ihr Kind dem ungünstigen Einflüsse des Stiefvaters zu entziehen, wenn dieser den Jungen sittlich verdirbt, ihn vom Schulbesuch abhält und zum Betteln und Stehlen veranlaßt (BayObLG. Bd. 15 S. 78 ff.).

III.

Das sonstige pflichtwidrige Verhalten. Bei dem sonstigen pflichtwidrigen Verhalten — gemeint ist vor allem ein ehrloses und unsittliches Verhalten — der Eltern und sonstigen Erziehungsberechtigten und -verpflichteten liegt die Gefahr nahe, daß eine ungünstige Einwirkung auf den Minderjährigen ge­ zeitigt wird, zumal das Kind auf Grund seines Nachahmungstriebes dem Beispiele, dem guten sowohl als auch insbesondere dem schlechten der Erwachsenen sehr zugänglich ist. Im einzelnen Falle ist jedoch zu prüfen, ob nach Lage der Verhältnisse und mit Rücksicht auf das

28 jeweilige Alter des Minderjährigen eine solche ungünstige Beeinflussung möglich und wahrscheinlich ist. Der Vater und die Mutter waren zwar bestraft und hatten auch ihre Strafe abzubüßen gehabt; das Kind war unterdessen in der Heimatgemeinde untergebracht. Mögen nun auch in einem solchen Falle den Eltern Verfehlungen zur Last liegen, so kann doch von einem nachteiligen Einflüsse bei ihrem dreijährigen Kinde, wenn eine ver­ nünftige Erwägung angestellt wird, noch keine Rede sein (BayObLG. Bd. 10 S. 131 ff.). 1. Ein pflichtwidriges Verhalten ist dann anzunehmen, wenn sich die Eltern strafbare Handlungen zuschulden kommen lassen. Die Eltern haben ihre Kinder anzuhalten, daß sie die staatliche Rechtsordnung, ohne die ein geordnetes gesellschaftliches Zusammenleben der Völker nicht denkbar wäre, respektieren und sich hüten dieselbe zu übertreten. Dazu ist es notwendig, daß die Eltern selbst vor allem ein straffreies Leben führen. Wenn der Vater wegen groben Unfug, Körperverletzung, Dieb­ stahl und Unsittlichkeit sich viele Bestrafungen zugezogen hat, so ist auf sein elfjähriges Mädchen ein schlimmer Einfluß bezüglich der sitt­ lichen Entwicklung desselben zu fürchten (BayObLG. Bd. 4 S. Iff.; vgl. weiter Bd. 12 S. 499ff.; Bd. 13 S. Iff.; Bd. 15 S. 78ff.).

2.

Ein pflichtwidriges Verhalten ist weiter gegeben, wenn die Eltern ihren Kindern ein schlechtes Beispiel geben. So, wenn die Eltern nicht gut mitsammen leben, wenn sie sich in Gegenwart ihrer Kinder streiten, wenn sie dabei häßliche Schimpf­ worte einander ins Gesicht schleudern, wenn sich der Vater zu rohen Mißhandlungen der Mutter hinreißen läßt und die Kinder Zeugen solcher unliebsamer Auftritte der Eltern sind (BayObLG. Bd. 8 S. 195ff.; Bd. 10 S. 569ff.; Bd. 13 S. Iff.; Bd. 15 S. 259ff.). Wenn die Eltern ein arbeitsscheues Leben führen und sich dem Trünke hingeben, so haben die Kinder das denkbar schlechteste Beispiel. Statt Mäßigkeit und Fleiß anerzogen zu bekommen, werden die Kinder den gleichen Lastern wie die Eltern verfallen, wenn nicht rechtzeitig Abhilfe geschaffen wird (BayObLG. Bd. 15 S. 78). Ebenso, wenn der Vater den Arbeitslohn vergeudet und sich der Trunksucht hingibt (BayObLG. Bd. 11 S. 66 ff.). Desgleichen, wenn der Vater oder die Mutter der Trunksucht, insbesondere dem Schnapstrunk verfallen ist (BayObLG. Bd. 11 S. 592 ff.; Bd. 13 S. 212 ff.). Endlich, wenn der Vater überhaupt nichts arbeitet, sondern vom Vermögen seiner Frau lebt und statt zu arbeiten in den Wirtshäusern sich herumtreibt (BayObLG. Bd. 13 S. 369 ff.).

29 Und, Wenn der Vater ein arbeitsscheuer, der Trunksucht anheim­ gefallener Mann ist, der dabei sein Handwerk und seinen Feldbau vernachlässigt (BayObLG. Bd. 8 S. 26 ff.).

3.

Ein pflichtwidriges Verhalten liegt sodann in der Ergreifung und Ausübung eines schimpflichen Gewerbes. Dies ist der Fall, wenn g. B. die Kuppelei gewohnheitsmäßig und gewerbsmäßig betrieben wird. Es kann den Kindern ein solches Verhalten der Eltern nicht verborgen bleiben, und daß unter solchen Umständen den Kindern das Gefühl für Anstand, Sitte, Sittlichkeit und Sittsamkeit geraubt wird, bedarf keiner weiteren Ausführung (BayObLG. Bd. 12 S. 499ff.; Bd. 13 S. 1 ff.). 4. Ein pflichtwidriges Verhalten tritt ferner zutage, wenn in Gegenwart der Kinder unzüchtige Handlungen an dritten Personen vorgenommen werden oder wenn die Eltern die Vornahme solcher Handlungen dulden. Von sittlicher Roheit zeugt es, wenn der Vater, mochte er auch in angetrunkenem Zustande sein, sich vor seinen Kindern und dritten Personen entblößte (BayObLG. Bd. 11 S. 66 ff.). Ein verderblicher Einfluß auf die Seele der Kinder wird aus­ geübt, wenn die Kinder von ihren Eltern in Gasthäuser mitgenommen werden, wo sie Gelegenheit haben schlechte Dinge zu hören und zu sehen (BayObLG. Bd. 13 S. 212 ff.).

5. Für die Erziehung der Kinder besteht größte Besorgnis und Ge­ fahr, wenn die Eltern unsittliche Beziehungen unterhalten, wenn sie ein ehebrecherisches oder doch ehewidriges Verhalten sich zuschulden kommen lassen. Wenn die Mutter zu verschiedenen Männern ungehörige Be­ ziehungen unterhält, so mögen das die Kinder wohl merken und es wird dann namentlich den Mädchen schon in frühester Jugend ein sehr schlechtes Beispiel gegeben (BayObLG. Bd. 3 S. 802 ff.). Wenn der Vater mit seinem Sohne und der Haushälterin in einem Zimmer zusammenwohnt und einen ungeordneten Lebenswandel führt, so wird dadurch ein schlimmer Einfluß auf die sittliche Ent­ wicklung des Kindes ausgeübt (BayObLG. Bd. 4 S. 1 ff.). Durch den ehebrecherischen Verkehr, durch das Zusammenleben in nicht rechtmäßiger Verbindung ist das geistige und sittliche Wohl der Kinder ohne Zweifel gefährdet. Wenn der Vater sonst ein ordent­ licher Mann und für das leibliche Wohl der Kinder entsprechend be­ sorgt ist, so ist dadurch die in sittlicher Richtung bestehende Gefahr keineswegs beseitigt (BayObLG. Bd. 13 S. 253 ff.; vgl. hieher auch BayObLG. Bd. 11 S. 89 ff.; Bd. 12 S. 870 ff.; Bd. 13 S. 1 ff.).

30 IV. Abgesehen von den erörterten Voraussetzungen, die das BGB. in den angezogenen Paragraphen übereinstimmend mit Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 FürsorgeG. verlangt, hat letzteres noch die besondere Voraus* setzung aufgestellt, daß die Fürsorgeerziehung erforderlich sein muß^ um die sittliche oder körperliche Verwahrlosung des Minderjährigen zu verhüten. Soweit die sittliche oder körperliche Verwahrlosung des Minderjährigen noch durch anderweitige Mittel verhütet werden kann, darf die Fürsorgeerziehung auf öffentliche Kosten nicht angeordnet werden. Es müssen somit sonstige Maßnahmen, die zur Abwendung der Gefahr ergriffen worden find, sich als wirkungslos herausgestellt haben oder aber es muß bereits feststehen, daß andere Mittel unzu­ länglich sind und nicht mehr zum Ziele führen. Die Fürsorgeerziehung im engeren Sinne muß der letzte Ausweg bleiben um den Minder­ jährigen noch auf die richtigen Bahnen zu bringen bzw. ihn darauf zu erhalten. Wenn das Kind einer strengen Erziehung und Beaufsichtigung bedarf und diese ihm zu Hause nicht zuteil wird, so ist die Fürsorge­ erziehung nicht zu umgehen (BayObLG. Bd. 15 S. 78 ff.). Wenn die Mutter das Kind anerkanntermaßen vernachlässigt und auch der Lehrmeister den Jungen statt zum Arbeiten anzuhalten seinem Nichtstun Vorschub leistet, ihn zum Borgen von Geld ausschickt und über die Leute schimpft, wenn derselbe kein Geld nach Hause bringt, in einem solchen Falle ist ebenfalls die Fürsorgeerziehung notwendig, um das Kind dauernd diesem schlimmen Einflüsse zu entziehen und dasselbe durch eine strenge angemessene Erziehung zu einem arbeitsfermen und brauchbaren Menschen zu machen, zumal auch die Ver­ hältnisse bei seinem Stiefvater, dem er noch dazu entlaufen war, keine günstigen waren (BayObLG. Bd. 3 S. 1016 ff.).

Zweites Kapitel.

Die Voraussetzungen auf Grund des Art. 2 Abs. 1 Ziff. 2 FürsorgeG. und der §§ 55, 56 RStGB.

1. Damit die Fürsorgeerziehung auf Grund dieser Bestimmungen angeordnet werden kann, muß der Minderjährige zunächst eine strafbare Handlung begangen haben. Wann eine strafbare Handlung gegeben ist, d. h. eine Handlung, die sich nach den Strafgesetzen als Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung darstellen würde, ist nach den allgemeinen Grundsätzen unseres Strafrechts zu beurteilen. Es muß darum der Tatbestand der straf-

31 baren Handlung in objektiver und subjektiver Beziehung hergestellt sein. In letzterer Richtung muß Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit vor­ handen sein. Die Tat muß ferner rechtswidrig sein; Notstand, Not­ wehr, unwiderstehliche Gewalt oder Drohung mit einer Gefahr für Leib oder Leben schließen die Strafbarkeit aus, ebensowenig kann von einer strafbaren Handlung bei Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit gesprochen werden (§§ 52, 54, 51 RStGB.).

2.

Weiterhin ist die Beschaffenheit der Handlung zu berücksichtigen. Maßgebend ist vor allem die Art der strafbaren Handlung, z. B. Sittlichkeitsdelikte, Diebstähle, Beitel und Landstreicherei, Tierquälerei, Gewerbsunzucht u. dgl. Im übrigen ist darauf zu achten, ob die Handlungen lediglich in jugendlicher Unüberlegtheit und in jugendlichem Leichtsinne be­ gangen sind oder, ob sich hiebei ein bewußter verbrecherischer Wille «gezeigt hat (BayObLG. Bd. 14 S. 59 ff.). 3. Ferner kommt die Persönlichkeit der Eltern und die übrigen Lebensverhältnisse des Minderjährigen in Betracht. Es läßt sich hier alles das anziehen, was im früheren ausgeführt ist, wenn die Eltern die persönliche Sorge für das Kind mißbrauchen, das Kind in jeder Beziehung vernachlässigen und ein ehrloses und un­ sittliches Verhalten zur Schau tragen. Es genügt aber hier schon, wenn die Persönlichkeit der Eltern derart ist, daß sie nicht geeignet und nicht gewillt sind, der weiteren sittlichen Verwahrlosung entHegenzuarbeiten. Was die übrigen Lebensverhältnisse anlangt, so müssen sie gleich­ falls derart sein, daß von ihnen weiterhin Schlimmes für den Minder­ jährigen zu befürchten ist. Bei einem schon verdorbenen Jungen ist