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German Pages 372 Year 2008
Axel Drecoll Der Fiskus als Verfolger
LU 150 Jahre Wis sen für die Zukunft
Oldenbourg Verlag
Studien zur Zeitgeschichte Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte Band 78
R. Oldenbourg Verlag München 2009
Axel Drecoll
Der Fiskus als Verfolger Die steuerliche Diskriminierung der Juden in Bayern 1933-1941/42
R. Oldenbourg Verlag München 2009
Bibliografische
Information
Der Deutschen
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Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Umschlagabbildung: Steuer-Warte, Nr. 10, 15. Jg., 17. 5. 1936; der Führer nimmt die Ehrengabe der deutschen Beamtenschaft entgegen, im Bilde links: Reichsbeamtenführer Hermann Neef und Josef Reusch, sein Stellvertreter Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Satz: Schmucker-digital, Feldkirchen b. München Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Bindung: Buchbinderei Klotz, Jettingen-Scheppach ISBN 978-3-486-58865-1
Inhalt Vorwort Einleitung
IX 1
Erster Teil Partei und Staat: Motive, Akteure, Methoden
23
Erstes Kapitel: „Arisierung", berufliche Verdrängung und fiskalische Entziehung: Inhaltliche Deutung der Begriffe
25
Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche Verfolgung
31
I.
Parteirevolution „von unten"
31
II.
1. München und Nürnberg
31
2. Die ländlichen Regionen
40
Wirtschaftliche Verfolgung als Mittel gauspezifischer Regionalpolitik? Zur Bedeutung der Gauleiter und ihrer Entourage
42
1. Der Gau Franken
43
2. Der Gau München-Oberbayern
51
3. Die ländliche Region Unterfrankens
55
III. Gescheiterte Zähmung? Zum Interaktionsverhältnis von Region und Reichsgewalten bei der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden 1933-1938
60
IV. Die endgültige Ausplünderung: Die „Arisierungsstellen" und die Enteignung jüdischen Vermögens 1938-1941
66
1. Die „Arisierungsstelle" in München
68
2. Die „Holzaktion" in Nürnberg
75
3. Der „Rhönfonds" in Unterfranken
84
Drittes Kapitel: Regional- und Kommunalverwaltung
93
I.
München
93
1. Kennzeichnung und Boykott
93
2. Ausplünderung: Zur Rolle der IHK und des „Arbeitskreises für Judenangelegenheiten"
102
VI
II.
Inhalt
Nürnberg
106
1. Kennzeichnung und Boykott
106
2. Ausplünderung: Zur Rolle von G W B und I H K
107
III. Kommunalverwaltung im ländlichen Bereich
109
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung und Judenverfolgung
123
I.
Überwachung und Entziehung von Emigrantenvermögen 1933-1937/38
125
1. Impulse von oben
125
„Reichsfluchtsteuer" und Devisengesetzgebung (126) - Debatten in der Ministerialbürokratie (129)
2. Entziehungspraxis im Vergleich
136
Die Devisenstellen München und Nürnberg (136) - Sicherung und Entziehung der „Reichsfluchtsteuer" in München, Nürnberg und Unterfranken (146)
II.
Die Einziehung konventioneller Steuern 1933-1938
159
1. Instrumente fiskalischer Entziehung
159
2. Impulse von oben
162
Das „Steueranpassungsgesetz" (164) - Debatten im Ministerium (165)
3. Fachbeamte ohne Parteibuch: Merkmale der Personalstruktur am Beispiel des Landesfinanzamts München und des Finanzamts München-Nord
167
4. Entziehungspraxis vor Ort
171
München (171) - Nürnberg (177) - Unterfranken (182)
5. Der „Doppelstaat" im Lichte fiskalischer Überwachung und Entziehung
184
III. Die systematische „Ausschaltung": Finanzverwaltung, „Arisierung" und Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung 1937/38-1941
188
1. Zur Bedeutung der Zäsur 1938
188
2. Zollfahndung, Devisenstellen und die Ausplünderung jüdischen Vermögens
189
Der institutionelle Rahmen: Göring, Heydrich und die Bedeutung des Devisenfahndungsamts (189) - D e r legislative Rahmen: Paragraph 37a Devisengesetz (192) - Uberwachungs- und Entziehungspraxis vor O r t (197)
3. Die Entziehung von Steuern und Sonderabgaben
210
Impulse von oben (210) - Entziehungspraxis (214)
4. Finanzverwaltung und „Arisierung" München (222) - Nürnberg (232) - Unterfranken (236)
222
Inhalt
VII
Zweiter Teil Im Netz der Verfolger
243
Erstes Kapitel: Die Verdrängung aus dem Beruf 1933-1938/39
249
I.
249
Der ländliche Bereich: Die „Ausschaltung" jüdischer Viehhändler. . . 1. Die unterfränkische Region
250
2. Ländliche Gemeinden in Oberbayern
257
D e r Fall Emanuel L. (262) - D e r Fall Adolf F. (264) D e r Fall Willy H . (265)
II.
3. Nürnberg und Mittelfranken
266
Der Textil- und Hopfenhandel
268
1. Textilhandel in München
268
2. Der Textil- und Hopfenhandel in Nürnberg
276
III. Jüdische Arzte in München und Nürnberg
282
Zweites Kapitel: Das endgültige Aus: Die Jahre 1938-1941/42
293
I.
Die vollständige Ausplünderung und ihre Nutznießer
293
II.
Wirkung und Wahrnehmung der Ausplünderung 1938-1941/42
302
III. Reaktionen
309
Zusammenfassung
315
Abkürzungen
329
Quellen und Literatur
333
Personenregister
361
Vorwort Diese Studie ist die gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2005 von der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen wurde. Ich bin vielen Personen dankbar, die zur Entstehung der Arbeit beigetragen haben. Zu allererst meinem Doktorvater Prof. Dr. Hans Günter Hockerts, dessen stetige Anregungen und Unterstützungen für das Gelingen dieser Arbeit unverzichtbar waren. Ohne seine fachliche Betreuung schon lange vor der Promotion hätte ich mich auf das Abenteuer Dissertation wohl nie eingelassen. Auch Herr Prof. Martin H. Geyer hat bereits mein Studium begleitet und anschließend das Korreferat für die vorliegende Arbeit übernommen. Auch ihm sei für seine zahlreichen Hilfestellungen herzlich gedankt. Das Bayerische Staatsministerium für Finanzen hat als Kooperationspartner die Finanzierung des Projektes „Die Finanzverwaltung und die Verfolgung der Juden in Bayern" übernommen, in dessen Rahmen meine Studie entstanden ist. Aber nicht nur das. Mitarbeiter der Bayerischen Finanzverwaltung haben uns bereitwillig ihre Archive geöffnet und dem Projektteam mit Rat und Tat zur Seite gestanden, wenn wir uns auf die Aktensuche in die Behördenkeller begaben. Dass eine derartige Kooperationsbereitschaft und ein solches Interesse an der Sache alles andere als selbstverständlich sind, ist mir bewusst. Hierfür danke ich stellvertretend dem Regierungsdirektor in der Bundesfinanzdirektion Südost Heinz Walker und seinem Team. Auch die Generaldirektion der Bayerischen Archive unter der Leitung von Prof. Dr. Hermann Rumschöttel hat das Projekt als Partner tatkräftig unterstützt. All die vielen Mitarbeiter der staatlichen, aber auch städtischen Archive namentlich aufzuführen, von deren Hilfe ich profitieren konnte, würde zu weit führen. Stellvertretend danke ich Dr. Margit Ksoll-Marcon, Dr. Michael Stephan, Dr. Bernhard Grau, Ursula Schmidt-Fölkersamb, Dr. Herbert Schott, Gunther Friedrich, Dr. Andreas Heusler und Gerhard Jochem. Wissenschaft entsteht im Dialog. Den durfte ich in erster Linie im Rahmen des Projekts mit meinem Kollegen Christiane Kuller und Tobias Winstel führen. Sie standen mir mit Rat und Tat zur Seite, vor allem aber sind sie über die Jahre zu Freunden geworden, ein doppelter Gewinn. Viele weitere wachsame Augen haben mit kritischen Blick den Weg vom ersten Manuskript zum fertigen Text begleitet. Dr. Bernhard Gotto, Dr. Winfried Süß, Dr. Dietmar Süß und Nicole Kramer haben ihre wissenschaftliche Expertise eingebracht, Mathias Irlinger hat es auf sich genommen, die erste Schlacht gegen das Chaos in den Formalia zu schlagen. Die Endredaktion haben dann Dr. Petra Weber und Angelika Reizle vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und Gabriele Jaroschka vom Oldenbourg Verlag übernommen. Das Institut für Zeitgeschichte unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Möller hat das Buch in die Reihe „Studien zur Zeitgeschichte" aufgenom-
χ
Vorwort
men. Großen Dank schulde ich dem IfZ und seinem Direktor aber vor allem dafür, mir seit dem Jahr 2005 bis heute eine berufliche Heimat geboten zu haben. Meine Eltern haben mich bei meinem wissenschaftlichen Werdegang und auf meinem privaten Lebensweg engagiert und kritisch, häufig genug auch aufopferungsvoll, vor allem aber stets mit Liebe gefördert. Das bedeutet mir viel. Was ich meiner Frau Enken und meiner Tochter Lena verdanke, ist in Worten nicht zu messen. Widmen möchte ich dieses Buch Prof. Dr. h.c. Johannes Wilhelm Rohen, der nicht nur diese Studie kritisch begleitet hat. Als Lehrmeister und väterlicher Freund hat er so manches zu dem beigetragen, was ich heute bin. München, im September 2008
Axel Drecoll
Einleitung Ziele und Aufbau der Untersuchung Als der Münchner Universitätsprofessor O t t o N . am 24. Juli 1939 nach England emigrierte, war der einstmals vermögende Chefarzt ein armer Mann. 1933 verlor der Internist seine Anstellung am Krankenhaus München-Schwabing. Durch ständige Ubergriffe verschiedener Parteigliederungen reduzierten sich seine Einnahmen als freiberuflich tätiger Arzt bereits in den ersten Jahren des NS-Regimes drastisch. 1938 zogen ihn die Finanzbehörden zur „Judenvermögensabgabe" in H ö h e von 4 7 0 0 0 Reichsmark heran, vor der Ausreise musste er circa 4 0 0 0 0 Reichsmark „Reichsfluchtsteuer" zahlen. Sein restliches Vermögen - etwa 2 0 0 0 0 0 Reichsmark - blockierten Finanzamt und Devisenstelle durch Sicherungsanordnung, unmittelbar nachdem die Fiskalbehörden von den Ausreiseplänen der Familie erfahren hatten. 96 Prozent davon fielen beim Umtausch in Devisen an die Finanzverwaltung. Nach der Ausbürgerung des Arztes konfiszierte der Fiskus auch die restlichen vier Prozent. Sein Grundbesitz wurde vom Staat eingezogen und vom Oberfinanzpräsidium an private Erwerber veräußert. 1 Das Schicksal des Arztes verweist auf einige spezifische Merkmale der wirtschaftlichen Diskriminierung der Juden im „Dritten Reich". Für die Verfolgten standen spätestens ab 1938 am Ende des wirtschaftlichen „Ausschaltungsprozesses" das berufliche Aus, der soziale Abstieg und der vollständige finanzielle Ruin. Zugleich mit der zunehmenden Verarmung der jüdischen Bevölkerung stieg der Gewinn der Profiteure. Das Vermögen der rund 5 5 0 0 0 0 Juden, die 1933 in Deutschland lebten, wird auf rund 16 Milliarden Reichsmark geschätzt. Man geht davon aus, dass sie rund ein Viertel ihres Vermögens ins Ausland retten konnten. U m den restlichen, weit größeren Teil begann ein Bereicherungswettlauf zwischen konkurrierenden Unternehmen, zwischen Privatpersonen, gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen, zwischen verschiedenen Institutionen der Reichsverwaltung - allen voran der Finanzverwaltung - und unterschiedlichen Parteidienststellen. 2 Die wirtschaftliche Verfolgung der jüdischen Bevölkerung war damit zweifellos der Teil der Judenverfolgung, an dem die meisten Akteure beteiligt waren. 3 Bereits ab dem Frühjahr 1933 begann der Angriff auf die jüdische Wirtschaftstätigkeit mit behördlichen Diskriminierungen, Boykottaktionen und physischen Ubergriffen. Diese standen nicht nur am Anfang der antisemitischen Politik der NS-Regierung, sondern bildeten bis zur vollständigen Ausplünderung der Juden auch eine tragende Säule antisemitisch motivierter Verfolgung. 4 1
E i d e s s t a t t l i c h e E r k l ä r u n g des A r z t e s im R a h m e n seines E n t s c h ä d i g u n g s v e r f a h r e n s ; B L E A / B E G / 1 7 7 9 2 ; B e s c h e i d ü b e r die „ J u d e n v e r m ö g e n s a b g a b e " des F i n a n z a m t s M ü n c h e n - N o r d ; ebd.; B r i e f eines B ü c h e r r e v i s o r s an das F i n a n z a m t M ü n c h e n - S ü d v o m 2 0 . 7. 1940; O F D N ü r n b e r g / B A / 1 2 7 4 .
2
J u n z , M o n e y , S. 86 f. Van L a a k , D i e M i t w i r k e n d e n , S. 2 3 2 . D i e R e i c h s r e g i e r u n g s c h r e c k t e bis 1938 w e g e n a u ß e n - und w i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e r B e w e g g r ü n d e v o r gesetzlichen M a ß n a h m e n w e i t g e h e n d z u r ü c k , so dass die w i r t s c h a f t l i c h e Ver-
3 4
2
Einleitung
D i e Ausplünderung und E n t r e c h t u n g des jüdischen Arztes verweist auf ein zentrales E l e m e n t der vorliegenden U n t e r s u c h u n g . Bei der wirtschaftlichen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung nahm die Finanzverwaltung eine zentrale Stellung ein. Sie war der größte Profiteur der E n t z i e h u n g jüdischer Vermögenswerte. Ihre regionalen Gliederungen erfassten, katalogisierten, entzogen und verwerteten die enteigneten Besitztümer, gleichgültig, o b deren Inhaber emigriert, deportiert oder n o c h im R e i c h zu Tode g e k o m m e n waren. D i e Analyse fiskalischer Ausplünderung führt also - v o m Standpunkt des monetären G e w i n n s aus betrachtet - zum eigentlichen K e r n der wirtschaftlichen Verfolgung der J u d e n im „Dritten R e i c h " . D e r F o k u s auf die R o l l e einer staatlichen Administration bei der „Judenverfolg u n g " lenkt die A u f m e r k s a m k e i t zunächst auf die Spezifika eines traditionellen bürokratischen Apparates bei der Ausplünderung und verweist auf grundlegende methodische Überlegungen, die im Bereich der Verwaltungsgeschichte anzusiedeln sind: zu fragen ist, wie sich die Gliederungen der Finanzverwaltung in den D i e n s t des Regimes stellten, welche legislativen und strukturellen Voraussetzungen ihr Handeln normierten und über welche Ermessensspielräume die einzelnen Funktionsträger verfügten. Als Analyse einer staatlichen Administration ist die U n t e r s u c h u n g damit auch eine G e s c h i c h t e von B e h ö r d e n , ihres organisatorischen Aufbaus und ihrer gesetzlichen Verankerung. 5 D i e Frage nach der konkreten A u s f o r m u n g des Verwaltungshandelns im Verfolgungsprozess ist wiederum zwangsläufig mit der nach Kontinuitäten über die Zäsur von 1933 hinweg und nach den durch die „Machtergreifung" hervorgerufenen B r ü c h e n verbunden. 6 D e n n folgt man M a x Webers Typologie für bürokratische Organisationen, so gehören zu den grundsätzlichen Strukturmerkmalen der Verwaltung die Regelgebundenheit und Regelmäßigkeit des Handelns, dessen Ausrichtung auf sachliche Z w e c k e , ein gut ausgebildetes Personal und dessen Treuepflicht gegenüber dem Dienstherrn genauso wie klar abgesteckte K o m p e tenzbereiche oder eine monokratisch ausgerichtete Amtshierarchie. 7 A u c h w e n n der von W e b e r konstruierte Idealtypus keinesfalls Deckungsgleichheit mit der administrativen Praxis beanspruchen kann, so ist seine Gültigkeit gerade für die F i n a n z b e h ö r d e n offensichtlich. Angesichts der weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten gehörten zu den traditionellen Fundamentalregeln der Steuerverwaltung die strikte Gesetzesbindung, behördeninterne Handlungsnormierung und H a n d lungskontrolle. 8 D i e Gleichmäßigkeit der Besteuerung der Steuerpflichtigen nach
5
6 7 8
folgung bis zu diesem Jahr der Initiative lokaler Parteigliederungen überlassen blieb; hierzu und zur Beteiligung an der „Ausschaltung" der Juden aus dem Wirtschaftsleben Barkai, Boykott, S. 25 f.; ders., Unternehmer, S. 228, 231 und 236; Bruns-Wüstefeld, G e schäfte, S. 73 ff.; Bajohr, Prozess; ders., Verfolgung; ders., „Arisierung" in Hamburg, S. 9 und 265 ff.; Barkai, Volksgemeinschaft. Matzerath, Bürokratie, S. 107; Eibach, Verfassungsgeschichte, S. 151; Rebentisch, Einleitung, S. 10; Nolzen, Editorial, S. 8. Auch hervorgehoben von Gotto, Kommunalpolitik, S. 1 f. Weber, Wirtschaft, S. 551-556; Ellwein, Staat, S. 16; Mayntz, Soziologie, S. 1 - 5 . Franz-Xaver Kaufmann unterscheidet fünf reine Typen der Handlungskoordination. N e ben dem Marktprinzip, der Solidarität, der Professionalität und dem Korporatismus ge-
Einleitung
3
dem Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - dieser Gedanke fasst die beiden bislang geltenden Leitsätze zusammen 9 - warf die Finanzverwaltung zwar während des „Dritten Reiches" im Hinblick auf die jüdische Bevölkerung zunehmend über Bord, gleichzeitig unterzog das Regime allerdings zentrale Bereiche der Steuergesetzgebung über mehrere Jahre hinweg keinen weitreichenden Veränderungen. 1 0 Für die Finanzbeamten bestand damit ein potentielles Dilemma. Auf der einen Seite dem Sachlichkeits- und Gleichheitsprinzip verpflichtet, durchbrach die Ideologie des NS-Regimes solche Grundsätze und machte die rassische Ungleichheit zum beherrschenden Leitmotiv ihrer Weltanschauung. U m die Frage beantworten zu können, wie und in welchem Zeitraum der Nationalsozialismus Verwaltungshandeln nach dem Primat der Ideologie zu verändern vermochte, müssen mehrere Ebenen des Verwaltungshandelns und deren Schnittstellen in den Blick genommen werden. Die Entscheidungen auf zentraler Ebene schufen grundlegende Handlungsvoraussetzungen für regionale Exekutivorgane. Hier sind zunächst die Rahmenbedingungen des Verwaltungshandelns näher zu untersuchen: Inwiefern wurden die Gesetze des liberalen Rechtsstaates - etwa durch vorgeschaltete Leitsätze - ideologisch überformt und w o gerieten sie mit neuen, explizit ideologisch begründeten Normen in Konflikt? Und wie gestaltete sich die Beziehung zwischen lokaler Institution, Mittelbehörden und Reichsregierung und welche Rolle spielte die diesem Verhältnis zugrunde liegende bürokratische Organisationsform für den Verfolgungsprozess? Für die Beamten bestand prinzipiell die Möglichkeit, die Lücken formeller Regelungen zu nutzen, um dank des hohen Professionalisierungsgrades, einer entsprechenden Einstellung und der etablierten Routine zu einer „ergebnisorientierten", „spontanen" Selbstanpassung zu kommen und dadurch die antisemitischen Staatsziele des neuen Systems zu erfüllen. 1 1 Inwieweit die Beamten diese ideologischen Vorgaben adaptierten oder in alten Handlungsmustern verharrten, lässt sich zeigen, wenn man nach dem Vorhandensein und der Ausfüllung von Handlungsspielräumen im Einzelfall fragt. Ein zweites Charakteristikum verdeutlicht die Verfolgung und Ausplünderung des Dr. Otto N. Die Geschichte der wirtschaftlichen Verfolgung ist zugleich die eines vielschichtigen Interaktionsgefüges verschiedener Herrschaftsträger, die danach trachteten, auf einem ideologisch und strategisch bedeutsamen Politikfeld Einfluss und Ressourcen zu mobilisieren. Die Enteignungsmaschinerie des Fiskus
hört hierzu auch die Hierarchie, die auf Rechtspflichten, Befehlen, Planung, Herrschaft, Furcht und Ehrgeiz, einer direktiven Erfolgskontrolle sowie Rigidität und Repressivität beruht; Kaufmann, Sozialpolitik. 9 Weingarten, Finanzverwaltung, S. 1; M a y n t z , Soziologie, S. 47. 10 Hierzu grundsätzlich Ellwein, Staat, S. 91. " Zur prinzipiellen A u s n u t z u n g von Handlungsspielräumen siehe M a y n t z , Soziologie, S. 117ff.; Niklas L u h m a n n bezeichnete diese Handlungsweise als „brauchbare Illegalität" im Dienste einer flexiblen Verwaltung; Luhmann, Funktion, S. 304. Uberwiegend wird betont, dass die Beamten sich den allgemeinen Vorgaben des Antipluralismus nach und nach angepasst haben und daher mit der Zeit auch die antisemitischen Zielvorgaben erfüllten, ohne dass diese explizit vorangetrieben werden mussten; Mehl, Reichsfinanzministerium, S. 18 ff.; Ellwein, Staat, S. 185 ff.; Rebentisch, Einleitung, S. 18 ff.
Einleitung
4
konnte nur durch die enge Verzahnung mit Gestapo, SS u n d anderen Institutionen von Partei und Staat erfolgreich laufen. Andererseits standen private Profiteure, etwa Immobilienmakler, beim Enteignungswettlauf u m das jüdische Vermögen in K o n k u r r e n z z u m Fiskus. H i e r w u r d e nicht selten u m den schnellen Zugriff auf Wertgegenstände, Bares oder Immobilien geradezu gekämpft. Eine A n a l y s e des Anteils der Finanzverwaltung an der Verfolgung der J u d e n i m „Dritten R e i c h " ist daher nur mit Blick auf die Gesamtheit der an der Entziehung jüdischen Vermögens beteiligten Personen oder Institutionen möglich, w o b e i nicht nur fiskalische, sondern auch andere Entziehungs- u n d Interaktionsformen herausgearbeitet w e r den können. Eine derartige U n t e r s u c h u n g legt nicht nur den Blick auf die Kontrollmechanismen gegenüber der jüdischen Bevölkerung frei. Sie ist auch für die A n a l y s e der Willensbildungsprozesse in den Finanzbehörden selbst notwendig. Zunächst w i r d dadurch der Blick auf gesetzlich vorgeschriebene u n d regional initiierte u n d damit beiderseitig intendierte Formen der Zusammenarbeit gelenkt, die das N e t z w e r k der Verfolger stabilisieren und den Verfolgungsprozess verschärfen konnten; darüber hinaus richtet sich der F o k u s auch auf Konfliktpotential, das etwa das Bestreben der schnell expandierenden Gauapparate, die staatliche Administration unter ihre Kontrolle zu bringen, hervorrief. A u c h derartige Konfliktstrukturen konnten den „Ausschaltungsprozess" radikalisieren, die A n a lyse des Interaktionsverhältnisses von N S D A P - G l i e d e r u n g e n u n d F i n a n z v e r w a l tung verweist damit in jedem Fall auf den funktionalen Zusammenhang von Parteigewalt und bürokratischer Enteignung bei der wirtschaftlichen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Die vorliegende Untersuchung betritt damit ein noch wenig bearbeitetes Feld. Die zentrale Rolle der traditionellen Verwaltung bei der Judenverfolgung gerät erst allmählich verstärkt ins Blickfeld der Forschung; dies gilt vor allem für die ersten Jahre der N S - H e r r s c h a f t und darüber hinaus für den gesamten U n t e r s u chungsgegenstand Finanzverwaltung in Bayern, über deren Verfolgungsapparat bisher lediglich wenige kürzere Teilstudien vorliegen. 1 2 Sie knüpft aber gleichzeitig an Diskussionen über das Verhältnis des staatlich administrativen Apparates u n d der N S D A P an, die bereits seit längerer Zeit die Forschung prägten u n d auch heute noch Forschungsanstöße geben. Das Verhältnis zwischen staatlicher Verwaltung auf der einen und der N S D A P auf der anderen Seite ist zentraler Bestandteil einer historischen Debatte, deren Protagonisten noch w ä h r e n d des Zweiten Weltkrieges Interpretationsmuster für das Verständnis der Herrschaftsstrukturen des „Dritten Reiches" entwickelt haben. Besondere Bedeutung erlangte dabei das klassische Doppelstaatsmodell von Ernst Fraenkel. Fraenkel unterschied z w i schen dem normengebundenen Handeln (Normenstaat) auf der einen u n d dem ohne jegliche N o r m e n b i n d u n g agierenden H a n d e l n (Maßnahmestaat) auf der anderen Seite. 1 3 Darauf aufbauend entwickelte die historische Forschung verschiedene Theorien zur Funktionsweise des NS-Systems. Im Gegensatz zur Theorie des „Doppelstaats" entwarf Franz N e u m a n n das Modell eines vierpoligen M a c h t -
12 13
Zum Forschungsstand siehe S. 15-18. Fraenkel, Doppelstaat.
Einleitung
5
gefüges, das vorwiegend von Gesetzlosigkeit und Anarchie bestimmt gewesen sei. 1 4 D i e gegensätzlichen Beziehungen zwischen Staat und Partei, die unterschiedlichen Machtstellungen und Einflussmöglichkeiten der verschiedenen Herrschaftsträger untereinander fasste die Wissenschaft seitdem vielfach unter dem Begriff Polykratie z u s a m m e n . 1 5 Das Verhältnis von M a ß n a h m e - und N o r menstaat sowie die Bedeutung bürokratischer Verfahrensweisen bei der Judenverfolgung sind auch zwei zentrale Fragestellungen der vorliegenden Untersuchung. N i c h t zuletzt H a n s M o m m s e n s Erklärungsmodell eines dynamischen, „kumulativen Radikalisierungsprozesses", der der Judenverfolgung- und ermordung zugrunde lag, haben die Überlegungen zu diesem Ansatz angestoßen. Es kann hier freilich nicht darum gehen, die zäh geführte und ausführlich dokumentierte D i s kussion zwischen Strukturalisten und Intentionalisten neu zu beleben. W ä h r e n d sich dieser Streit auf die Rolle von Hitler und seiner Paladine bei der „ E n d l ö s u n g " bezog, ist die Frage nach einer „kumulativen Radikalisierung" mit Blick auf die Interaktion der mittleren und unteren Verwaltungsebenen mit den Gliederungen der N S D A P allerdings weiterhin vielversprechend. 1 6 D a r ü b e r hinaus bezieht die Arbeit auch das Modell Ernst Fraenkels als kritisch zu überprüfenden Erklärungsansatz für die Bewertung der Interaktion der A k teure und der Radikalisierungstendenzen innerhalb der Verfolgerinstitutionen mit ein. D i e F o r s c h u n g hat den Doppelstaat oftmals als Dualismus zwischen den auf der Grundlage von N o r m e n handelnden staatlichen Institutionen einerseits und
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N e u m a n n , B e h e m o t h , S. 5 4 1 ; einen guten Ü b e r b l i c k dazu bietet R u c k , V e r w a l t u n g , S. 7 11.
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U n t e r P o l y k r a t i e w i r d „eine Vielzahl v o n w e i t g e h e n d a u t o n o m e n , m i t e i n a n d e r k o n k u r r i e r e n d e n H e r r s c h a f t s t r ä g e r n " v e r s t a n d e n ; W u n d e r , Literatur, S. 2 7 0 ; H ü t t e n b e r g e r , P o l y kratie, S. 4 2 0 ; es h e r r s c h t i n z w i s c h e n die M e i n u n g vor, die H e r r s c h a f t s w i r k l i c h k e i t im „ D r i t t e n R e i c h " sei ein organisiertes C h a o s g e w e s e n , das d u r c h das N e b e n e i n a n d e r u n d K o n k u r r i e r e n v o n etablierten V e r w a l t u n g s i n s t i t u t i o n e n u n d P a r t e i ä m t e r n und den daraus e n t s t e h e n d e n regionalen T e i l h e r r s c h a f t e n und k o n k u r r i e r e n d e n Z u s t ä n d i g k e i t e n g e k e n n z e i c h n e t war; H i l d e b r a n d , M o n o k r a t i e o d e r P o l y k r a t i e , S. 22 f.; B e n z , Verhältnis. D i e F r a gestellungen n a c h b ü r o k r a t i s c h e n S t r u k t u r e n u n d P o l y k r a t i e sind in letzter Zeit w i e d e r v e r s t ä r k t in den F o k u s der F o r s c h u n g gerückt; N o l z e n / G r u n e r , E d i t o r i a l ; B a j o h r , „Arisier u n g " in H a m b u r g , S. 2 0 8 ff.; S c h u l t e , K o n v e r g e n z ; einen U b e r b l i c k bietet R u c k , V e r w a l tung, S. 5—11; i m K o n t e x t der G e s u n d h e i t s p o l i t i k w u r d e n p o l y k r a t i s c h e S t r u k t u r e n bei Süß, Volkskörper herausgearbeitet.
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M o m m s e n , N a t i o n a l s o z i a l i s m u s , S. 6 6 - 7 0 ; ders., R e a l i s i e r u n g ; ders., Stellung, S. 5 6 ff.; ders., R a d i c a l i s a t i o n , S. 82; einen guten U b e r b l i c k bietet K e r s h a w , N S - S t a a t , S. 150 ff.; mit d e m Verhältnis v o n Partei und Staat im A l l g e m e i n e n b e s c h ä f t i g t sich R e b e n t i s c h , F ü h r e r staat, S. 17; R u c k , V e r w a l t u n g , S. 2 5 ff.; M o m m s e n , B e a m t e n t u m , S. 3 0 f f . ; N o l z e n / G r u n e r , E d i t o r i a l ; H ü t t e n b e r g e r , P o l y k r a t i e ; M a t z e r a t h , B ü r o k r a t i e , S. 107. I m Z u s a m m e n h a n g mit der I n t e r a k t i o n v e r s c h i e d e n e r H e r r s c h a f t s t r ä g e r w u r d e auch in letzter Zeit w i e d e r der B e g r i f f der P o l y k r a t i e in der einschlägigen F o r s c h u n g diskutiert; S ü ß , V o l k s k ö r p e r , v. a. S. 4 3 . In B e z u g auf die regionale E b e n e w e r d e n in j ü n g e r e n Studien allerdings auch syst e m s t a b i l i s i e r e n d e F a k t o r e n des N S - H e r r s c h a f t s s y s t e m s b e t o n t . F ü r die K o m m u n e n einschlägig: M e c k i n g / W i r s c h i n g , S t a d t v e r w a l t u n g ; G o t t o , K o m m u n a l p o l i t i k ; in B e z u g auf die G a u l e i t e r auch M o l l , S t e u e r u n g s i n s t r u m e n t . D i e F r a g e nach d e m Verhältnis v o n M a ß n a h m e n - u n d N o r m e n s t a a t w a r auch s c h o n bei neueren A n a l y s e n der F i n a n z v e r w a l t u n g eine zentrale F r a g e s t e l l u n g ; M e h l , R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r i u m , S. 8 ff.; F ü l l b e r g - S t o l l b e r g , S o z i a l e r T o d , S. 5 0 ff.
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Einleitung
der Partei andererseits aufgefasst. 1 7 G e g e n eine solche Interpretation hat sich aber bereits Fraenkel gewandt. 1 8 F ü r ihn waren maßnahme- und normenstaatliche Prinzipien fundamentale Strukturen, die viele N S - O r g a n i s a t i o n e n gleichermaßen kennzeichneten. Gerade die dadurch entstandene Mischung aus Willkür und Effizienz sei Charakteristikum der N S - D i k t a t u r gewesen. 1 9 Angesichts der zunehmenden Radikalisierung und Entgrenzung der N S - J u d e n p o l i t i k und des charakteristischen Nebeneinanders von willkürlichen ad hoc-Maßnahmen und geregelten Verwaltungsverfahren bei der Judenverfolgung stellen s o w o h l der Ideologisierungsgrad als auch die Beziehungen zwischen der normensetzenden Reichsregierung, der Partei, den Mittelbehörden und den lokalen Behörden Kategorien für die Beurteilung des Handelns der einzelnen Fiskalinstitutionen und ihrer B e a m ten dar. Tatort der R a u b z ü g e und Diskriminierungen war die Region. D o r t kooperierten und konkurrierten die zahlreichen Täter und Akteure und dort prallten die verschiedenen Interessen aufeinander, wenn es u m die Verteilung der Beute ging. D i e Konfliktlinien verliefen dabei z u m einen zwischen den Machthabern innerhalb der Parteigaue beziehungsweise der staatlich-administrativen Verwaltungseinheiten. Spannungen und Kontroversen gab es z u m anderen zwischen „ o b e n " und „unten", also zwischen Zentrum und Peripherie, wenn es darum ging, sich das erste Zugriffsrecht auf jüdisches Vermögen zu sichern. D i e Analyse der mit der „Arisierung" und A u s p l ü n d e r u n g verbundenen Verteilungskämpfe ermöglicht daher einen methodischen Zugang, der nach regionalspezifischen Interessenlagen und A u s p r ä g u n g e n des Verfolgungsprozesses fragt und die durch den zentralistischen Führerstaat gesetzten Grenzen einer solchen Politik in den Blick nimmt. Räumlich begrenzte Fallbeispiele sollen im Folgenden also den Untersuchungsraum für Fragestellungen bieten, die über den lokalen Kontext hinaus auf generalisierbare Funktionsmechanismen des NS-Staates verweisen; die Studie versteht sich mithin auch als moderne Regionalgeschichte. 2 0 A u f g r u n d des außerordentlich umfangreichen Quellenmaterials ist eine flächendeckende Untersuchung ganz Bayerns schon aus arbeitsökonomischen G r ü n d e n weder möglich noch sinnvoll. D i e Studie setzt vielmehr regionale Schwerpunkte; sie begreift sich zunächst als eine Ortsgeschichte, die nach regio-
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Ruck, Verwaltung, S. 7; Barkai, Boykott, S. 33. „ U m Mißverständnisse auszuschalten", so der Autor des Doppelstaates, „möchte ich auch hier ausdrücklich betonen, daß ich nicht das Nebeneinander von Staats- und Parteibürokratie im Auge habe, wenn ich vom .Doppelstaat' spreche. Staat und Partei werden in zunehmendem Maße identisch und die dualistische Organisationsform bleibt nur aus historischen und politischen Gründen aufrechterhalten." Fraenkel, Doppelstaat, S. 51; Wildt, Ordnung, S. 52. Fraenkel, Doppelstaat, S. 55. Eine Auseinandersetzung mit dem Model Fraenkels in Bezug auf die Beteiligung der Finanzverwaltung an der Verfolgung der Juden bietet auch Füllberg-Stolberg, Bürgerlicher Tod. Zur modernen Regionalgeschichte und der Bedeutung der Gaue im zentralistischen „Führerstaat" haben Schaarschmidt, Grundfragen, und John, Gaue, einen guten Uberblick über den Stand der Forschung geliefert. Auf die regionalgeschichtliche Relevanz hat Ende der 1990er Jahre bereits Frank Bajohr aufmerksam gemacht; ders., „Arisierung" in Hamburg, S. 15.
Einleitung
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nalen Prägungen und Verhaltensweisen auf Seiten der Verfolger und Verfolgten in den Städten München und Nürnberg fragt und damit nicht nur die beiden H o c h burgen des Antisemitismus, sondern auch die beiden größten jüdischen Gemeinden Bayerns in die Untersuchung einbezieht. 2 1 Zusätzlich nimmt sie die ländliche Region um die beiden unterfränkischen Städte Bad Kissingen und Hammelburg als typisches Beispiel für einen ländlichen Bereich mit hoher jüdischer Population in den Blick. 2 2 Hier wies das jüdische Erwerbsleben, besonders wegen der D o m i nanz des jüdischen Viehhandels, einige Besonderheiten auf. 23 Die Berücksichtigung der drei geographischen Untersuchungsräume ermöglicht neben dem regionalgeschichtlichen auch einen komparativen Ansatz, der in der bisherigen F o r schung zwar gefordert, aber auf diesem Themenfeld kaum zur Anwendung gekommen ist. 24 D e r Vergleich bietet die Möglichkeit, wirtschaftliche Verfolgungsmaßnahmen in den einzelnen Untersuchungsräumen zu profilieren und so spezifische Prozesse und Strukturen herauszuarbeiten. Zudem können Gemeinsamkeiten der wirtschaftlichen Verdrängung in den verschiedenen Städten und Regionen aufgezeigt und überregional wirksame strukturelle Voraussetzungen für die wirtschaftliche Verfolgung der Juden dargelegt werden. 2 5 Die Geschichte der wirtschaftlichen Verfolgung wurde bisher weitgehend als eine Geschichte der Akteure geschrieben. Ein solcher Ansatz berücksichtigt kaum, dass die wirtschaftliche Verdrängung neben dem materiellen Verlust auch den Verlust der sozialen Existenz der Verfolgten nach sich gezogen hat. Die wirtschaftlichen Verfolgungsmaßnahmen prägten den Alltag der Betroffenen entscheidend mit. Insofern ist eine Analyse der mit der wirtschaftlichen Verdrängung verbundenen Erlebnisse und Erfahrungen der Opfer immer auch ein Stück weit Alltagsgeschichte der Juden in der NS-Zeit. 2 6 Die vorliegende Untersuchung 21
Z u F o r s c h u n g s t e n d e n z e n der R e g i o n a l schichte; Szejnmann, Chancen.
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A l s R e g i o n B a d K i s s i n g e n w i r d hier d e r R a u m B a d K i s s i n g e n u n d H a m m e l b u r g mit den u m l i e g e n d e n K l e i n g e m e i n d e n definiert, da hier die j ü d i s c h e P o p u l a t i o n a u s n e h m e n d h o c h war; O p h i r / W i e s e m a n n , G e m e i n d e n , S. 2 6 2 - 2 8 4 u n d 3 8 0 - 4 2 5 .
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J ü d i s c h e s L e b e n u n d J u d e n v e r f o l g u n g im ländlichen B e r e i c h sind erst relativ spät in den B l i c k p u n k t der F o r s c h u n g g e r ü c k t u n d b i s h e r auch erst G e g e n s t a n d einiger w e n i g e r S t u dien; F o r s c h u n g s ü b e r b l i c k bei H o f f m a n n , V e r f o l g u n g ; Wildt, G e w a l t p o l i t i k ; W i e s e m a n n , J u d e n auf d e m L a n d e ; V e r s e - H e r m a n n , „ A r i s i e r u n g e n " . S c h a a r s c h m i d t , G r u n d f r a g e n , S. 16; B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 19; ein D i s s e r t a t i o n s p r o j e k t M a r e n J a n e t z k o s u n t e r s u c h t allerdings die „ A r i s i e r u n g " in drei R e g i o n e n B a y e r n s vergleichend. D a s G e s a m t f o r s c h u n g s p r o j e k t , in d e m die Studie entsteht, ist das von D i e t e r Ziegler geleitete P r o j e k t „ D i e . A r i s i e r u n g ' j ü d i s c h e r U n t e r n e h m e n im D e u t s c h e n R e i c h u n d d e m R e i c h s g a u S u d e n t e n l a n d 1 9 3 3 - 1 9 4 5 " . Siehe h i e r z u J a n e t z k o , „ A r i sierung".
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und
Lokalgeschichte
etwa S m i t h ,
Lokalge-
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Z u m h i s t o r i s c h e n Vergleich siehe v o r allem H a u p t / K o c k a , Vergleich. K o c k a und H a u p t u n t e r s c h e i d e n z w i s c h e n k o n t r a s t i e r e n d e n u n d die U b e r e i n s t i m m u n g f ö r d e r n d e n s o w i e s y n c h r o n e n u n d d i a c h r o n e n V e r g l e i c h e n . D i e vorliegende U n t e r s u c h u n g wird den Vergleich zeitlich s y n c h r o n u n d v o r w i e g e n d k o n t r a s t i e r e n d v e r w e n d e n ; H a u p t / K o c k a , Vergleich, S. 11 und 31.
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A l f L ü d t k e prägte den B e g r i f f d e r „ A l l t a g s g e s c h i c h t e " und v e r b a n d damit eine K o n z e p tion, die die alltägliche R o u t i n e des H a n d e l n s u n d die F o r m e n , in d e n e n sich der „kleine M a n n " die Welt aneignete, z u m M i t t e l p u n k t der B e t r a c h t u n g e n m a c h t . E i n e derartige m e t h o d i s c h e H e r a n g e h e n s w e i s e verdeutlicht, dass auch die „ g e w ö h n l i c h e n " M e n s c h e n nicht
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Einleitung
kann allerdings das K o n z e p t der Alltagsgeschichte nicht als grundlegenden methodischen Zugang verwenden. Dies liegt z u m einen in den quellentechnischen Schwierigkeiten begründet 2 7 , zum anderen war die wirtschaftliche Verdrängung aber auch nur ein Teilaspekt der zahlreichen F o r m e n der Judenverfolgung. D i e verschiedenen Verfolgungserfahrungen bündelten sich bei den U b e r l e b e n d e n nach dem Krieg zu einem Trauma mit multiplen Ursachen, w o b e i die Erinnerung an körperliche G e w a l t und physische Schmerzen oftmals die erlittene wirtschaftliche Verfolgung überlagerte. 2 8 Angesichts des ungeheuerlichen Ausmaßes der J u denvernichtung schwiegen nach dem Krieg etliche Verfolgte über die von ihnen als vergleichsweise geringfügig eingestuften wirtschaftlichen und sozialen Schädigungen. 2 9 U m dennoch den täterzentrierten Interpretationsansatz um alltagsgeschichtliche Aspekte ergänzen zu können, werden zunächst die vorhandenen D o k u m e n t e der untersuchten Quellenbestände, die E i n b l i c k e in die Erfahrungsgeschichte der O p f e r erlauben, in die U n t e r s u c h u n g einbezogen und ausgewertet. D a r ü b e r hinaus bietet auch die Analyse überschaubarer Untersuchungsräume die Möglichkeit, die Erfahrungen der Betroffenen in einen k o n k r e t e n K o n t e x t einzuo r d n e n . 3 0 U m ein möglichst breites Spektrum der durchschnittlichen erwerbstätigen jüdischen Bevölkerung in den B l i c k nehmen zu können, greift die Studie schließlich auf verschiedene Berufsgruppen zurück, in denen J u d e n am häufigsten vertreten waren. H i e r b e i handelt es sich neben den sogenannten Freien Berufen vor allem um den Textilhandel, den insbesondere in Urbanen Regionen zahlreiche jüdische Erwerbstätige betrieben, sowie um jüdische Viehhändler und Metzger, die in den ländlichen G e b i e t e n Süddeutschlands das Berufsbild erheblich mitprägten. D e r Vergleich dieser Berufsgruppen erlaubt es, auf die sozialen und materiellen Unterschiede einzugehen, die innerhalb der jüdischen Bevölkerung vorherrschten, denn gerade die Profession bestimmte den sozialen Status und war mitentscheidend für die finanziellen Möglichkeiten der Betroffenen. Beide D e t e r minanten beeinflussten wiederum nicht nur den Zeitpunkt der Auswanderung und damit auch das A u s m a ß der Ausplünderung, sie bestimmten auch A r t und U m f a n g möglicher Gegenstrategien der Verfolgten. Eine solche Herangehensweise erscheint schon deshalb geboten, da die F o r s c h u n g bisher hauptsächlich jüdische Kaufhäuser und große Einzelhandelsgeschäfte untersucht hat, dabei allerdings Angehörige der U n t e r - und Mittelschicht weitgehend ausgeklammert blieben. Schließlich k ö n n e n so auch auf Seiten der Verfolger berufsspezifische D i s k r i -
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nur Objekte des Handelns der Entscheidungsträger, sondern auch handelnde Subjekte mit „Eigensinn" waren; Lüdtke, Alltagsgeschichte; ders., Eigen-Sinn. Für alltagsgeschichtliche Untersuchungen der Juden in der Zeit des „Dritten Reiches" plädiert auch Kaplan, Einleitung, S. 9 f. Zur Quellenbasis S. 11-15. Die psychiatrische Forschung bezeichnet durch belastende Lebensereignisse oder einschneidende Lebensveränderungen hervorgerufene Traumata als Anpassungsstörungen; Faust, Gesundheit; zu den Traumata auch Stoffels, Terrorlandschaften; Baeyer/Häfner/ Kisker, Psychiatrie. Für die psychischen Probleme der Uberlebenden im Umgang mit dem eigenen Überleben prägte Wiliam Niederland den Begriff des „Uberlebenssyndroms" bzw. der „Uberlebensschuld"; Niederland, Folgen, S. 231 f. Lüdtke, Alltagsgeschichte, S. 26.
Einleitung
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minierungsmaßnahmen herausgearbeitet und von der Vermögenslage der Verfolgten abhängige Unterschiede in der fiskalischen Einziehungspraxis aufgezeigt werden. Grundsätzlich ist die Studie in zwei Teile gegliedert. D e r erste richtet seinen B l i c k auf die Verfolger und beginnt mit der Rolle der N S D A P bei der Judenverfolgung. Besonderes A u g e n m e r k gilt hier der bisher immer noch unzureichend aufgearbeiteten Bedeutung der Gauleiter, ihrer Cliquen und N e t z w e r k e , die als dynamisierende E l e m e n t e den Prozess der wirtschaftlichen Verfolgung vorantrieben. 3 1 Beruhte ihre Machtstellung in der Frühphase des N S - R e g i m e s vorwiegend auf den Cliquen aus der „ K a m p f z e i t " , erhielten die Gaue und ihre Leiter ab 1938 durch ihre Einbindung in das staatliche Genehmigungsverfahren bei der „Arisierung" administrativ steuernde F u n k t i o n e n . A n h a n d der Personalpolitik der G a u leiter und der Verfolgungspraxis der N S D A P - F u n k t i o n ä r e zielt die vergleichende Analyse auf die E n t w i c k l u n g der Gaupolitik, auf die Bedeutung von Personenverbünden und bürokratischen Strukturen innerhalb der für die wirtschaftliche Verfolgung verantwortlichen Parteidienststellen. 3 2 U m der Frage nach der Bedeutung der wirtschaftlichen Verfolgung auf dem Feld der Gaupolitik und den regionalen Ausprägungen und A u s f o r m u n g e n der N S - H e r r s c h a f t nachgehen zu können, bezieht die U n t e r s u c h u n g auch den Verwendungszusammenhang des Raubgutes ein, das nicht selten der Profilierung der Gaue und der Stabilisierung der N e t z werkstrukturen ihrer Leiter dienten. 3 3 M i t den Stadt- und Bezirksverwaltungen beziehungsweise den Industrie- und H a n d e l s k a m m e r n wendet sich die Studie anschließend einem zweiten zentralen Bestandteil des Interaktionsgefüges bei der wirtschaftlichen Verfolgung zu. N e ben regionalspezifischen Charakteristika der Verfolgungspraxis der kommunalen Herrschaftsträger gilt hier das besondere Interesse der Ausprägung des H e r r schaftsgeflechts. Angesichts des potentiellen Konkurrenzverhältnisses bei der Ausplünderung ist hier nach polykratischen Konfliktstrukturen genauso zu fragen wie nach Steuerungsmechanismen, die Regellosigkeit und C h a o s auf regionaler E b e n e überwinden konnten; gerade über die institutionellen G r e n z e n hinausragende N e t z w e r k s t r u k t u r e n halfen, so die A n n a h m e , Interessen auszubalancieren und Gegensätze auszugleichen. 3 4
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N o a k e s , V i c e r o y s , S. I I S ; S z e j n m a n n , V e r w ä s s e r u n g , S. 2 3 3 ; J o h n , G a u e , S. 23. A u f die „ B ü r o k r a t i s i e r u n g " i n n e r h a l b der N S D A P ist in letzter Zeit m e h r f a c h h i n g e w i e sen w o r d e n ; H e i n z , N S D A P , S. 6; N o l z e n , F u n k t i o n ä r e , S. 37; ders., L e g i t i m a t i o n , S. 5 0 4 ; A r b o g a s t , H e r r s c h a f t s i n s t a n z e n , S. 32; einschlägig hierzu ist auch das M o d e l d e r „charism a t i s c h aufgeladenen P o l y k r a t i e " bei H a c h t m a n n , A r b e i t s f r o n t ; g r u n d s ä t z l i c h e Ü b e r l e gungen zu einer s y s t e m a t i s c h e n T h e o r i e des N S - H e r r s c h a f t s s y s t e m s auf d e r G a u e b e n e hat R ü d i g e r H a c h t m a n n auch j ü n g s t angestellt; ders., „ N e u e S t a a t l i c h k e i t " .
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D i e F r a g e s t e l l u n g greift eine A n r e g u n g M i c h a e l S c h n e i d e r s auf, der dafür plädiert, R e g i o nalität als k o n s t i t u t i v e s E l e m e n t verstärkt in den B l i c k zu n e h m e n ; Schneider, N a t i o n a l s o z i a l i s m u s , S. 4 3 0 ; S z e j n m a n n , C h a n c e n ; vgl. auch die v e r s c h i e d e n e n B e i t r ä g e in M ö l l e r / Wirsching/Ziegler, Nationalsozialismus.
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D i e B e d e u t u n g stabiler H e r r s c h a f t s s t r u k t u r e n auf regionaler E b e n e ist in letzter Zeit b e s o n d e r s h e r v o r g e h o b e n w o r d e n ; G o t t o , K o m m u n a l p o l i t i k , S. 9; M e c k i n g / W i r s c h i n g , S t a d t v e r w a l t u n g , S. 1 8 f . ; G o t t o , Selbststabilisierung; H a c h t m a n n / S ü ß , K o m m i s s a r e ; R u c k , Z e n t r a l i s m u s , S. 118.
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Einleitung
D i e institutionengeschichtliche Analyse der Finanzverwaltung als weiterer und maßgeblicher A k t e u r im Interaktionsgeflecht der Verfolger steht am E n d e des ersten Teils. A u f b a u e n d auf den vorangegangenen Ergebnissen stehen hier, wie bereits angedeutet, Thesen auf dem Prüfstand, die die „Atomisierung" und „ A u s h ö h l u n g " der staatlichen Verwaltung nach der „Machtergreifung" durch den prinzipiellen Dualismus von Staat und N S D A P und deren zunehmenden Einfluss im N S - H e r r s c h a f t s s y s t e m behaupten. 3 5 Angesichts der weit in die Kriegsjahre hineinreichenden zentralen R o l l e der Finanzverwaltung im Verfolgungsprozess, grenzt sich die vorliegende U n t e r s u c h u n g von derartigen Paradigmen ab. Vielmehr richtet sich der B l i c k auch auf die Überlebensfähigkeit zentralstaatlicher Steuerungselemente und auf Funktionalität ausgerichtete Verfahrensweisen im N S - R e g i m e . D i e U n t e r s u c h u n g fiskalischer Verfolgung impliziert damit am E n d e die Frage nach M e c h a n i s m e n , mit denen sich eine staatliche Administration mit ihren regionalen Gliederungen in den D i e n s t des N S - R e g i m e s stellte. D e n n die umfassende und „effiziente" Ü b e r w a c h u n g , Sicherung und E n t z i e h u n g jüdischen Vermögens war - so die H y p o t h e s e der A r b e i t - letztlich nur möglich, da die F i nanzbehörden die U m s e t z u n g ideologisch begründeter Zielsetzungen mit dem Streben nach professioneller „Ressourcenmobilisierung für das R e g i m e " verbanden.36 Teil II dieser Studie wendet sich dann der G e s c h i c h t e der Wirkung der Verfolgungsmaßnahmen auf die Verfolgten zu und fragt gleichzeitig nach der Bedeutung des sozialen U m f e l d s der Betroffenen bei der beruflichen Verdrängung und A u s plünderung. D i e Gliederung des Teilbereichs folgt systematisch den ausgewählten Berufsgruppen der Betroffenen - jüdische Vieh-, Textil- und H o p f e n h ä n d l e r sowie jüdische Ä r z t e , u m Charakteristika des Verfolgungsprozesses und deren W i r kung auf die B e t r o f f e n e n vergleichend gegenüberstellen zu können. C h r o n o l o gisch unterscheidet Teil II zwischen 1 9 3 3 - 1 9 3 8 , der Phase der sogenannten wilden „Arisierungen" und den Jahren 1 9 3 8 - 1 9 4 1 / 4 2 , in denen die jüdische Bevölkerung nach der beruflichen „Ausschaltung" nun flächendeckend und umfassend ausgeplündert wurde. D i e Schwerpunktsetzung des zweiten Teils steckt den zeitlichen R a h m e n der gesamten U n t e r s u c h u n g ab. D i e vorliegende Studie beginnt mit der „Machtergreifung" der N S D A P im J a h r 1933 und schließt mit dem Beginn der massenhaften E r m o r d u n g der jüdischen Bevölkerung, also mit den D e p o r t a t i o n e n in den J a h r e n 1941 und 1 9 4 2 . 3 7
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Mommsen, Beamtentum, S. 30 ff.; Rebentisch, Führerstaat, S. 17; Kershaw, Führer, S. 104; Wunder, Geschichte, S. 147; ders., Literatur, S. 272 ff. In Bezug auf die Kommunalverwaltung vgl. Mecking/Wirsching, Stadtverwaltung, S. 19. Der massenhafte Besitzwechsel durch Versteigerungen der letzten Gegenstände von D e portierten und auch einigen Emigranten in den letzten Kriegsjahren bleibt daher unberücksichtigt. Der Kriegsverlauf schuf allerdings auch für die Nichtjuden im Reich zunehmend eine Sondersituation, in der der Kauf jüdischen Vermögens nicht ohne weiteres als Zustimmung zu den Zielen des Regimes gewertet werden kann. Die letzten Jahre der N S Herrschaft prägte auch insofern eine Sondersituation, als die jüdische Bevölkerung bereits emigriert, deportiert oder ermordet worden war, die Erwerber mit deren Schicksal also nicht mehr direkt konfrontiert waren; vgl. hierzu auch Rusinek, Gesellschaft, S. 115. Nicht nur die Studie von Götz Aly, sondern auch zahlreiche andere Studien, die den umfangreichen Profit der Deutschen betonen, beziehen sich allerdings auf die Zeit des Zwei-
Einleitung
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Quellenlage Die vorliegende Studie beruht fast ausschließlich auf archivalischem Quellenmaterial. Sie stützt sich dabei auf mehrere Uberlieferungsebenen, von denen als erste die Akten der regionalen Gliederungen der Reichsfinanzverwaltung zu nennen sind. Dabei handelt es sich primär um von den Finanzämtern angelegte sogenannte Veranlagungssteuerakten „rassisch" Verfolgter, Prüfungs- oder Strafsachenangelegenheiten der Devisenstellen oder Einzelfallakten der entsprechenden Sachgebiete in den Landesfinanzämtern beziehungsweise Oberfinanzdirektionen. 3 8 Die Dichte des vorhandenen Schriftgutes ist sehr unterschiedlich. Für alle drei Untersuchungsräume sind die Steuerakten der Finanzämter in weiten Teilen vorhanden. Die vergleichende Perspektive im Hinblick auf die Praxis der Vermögensentziehung dieser Fiskalbehörden stößt daher auf keine Quellenprobleme. Vor allem das in den Steuerakten vorhandene Schriftgut zur „Reichsfluchtsteuer" mit den darin enthaltenen Sicherungsverfügungen lässt Rückschlüsse auf die Ausnutzung von Handlungsspielräumen der einzelnen Beamten zu. Die Uberwachungs- und Prüfungstätigkeit der Devisenstellen, die auch in der antijüdischen Praxis der Finanzverwaltung in anderen Städten eine große Rolle spielte, lässt sich für Mittelfranken gut nachvollziehen. 3 9 Vollständig archiviert sind hier die Einzelfallakten der B u c h - und Betriebsprüfungsstelle der Devisenstelle Nürnberg. In München und Würzburg geben hingegen lediglich die in den Steuerakten der Finanzämter erhaltenen Verfügungen der Devisenstelle Aufschluss über deren Handlungspraxis. Die Einzelfallakten der Zollfahndungsstellen sind in allen drei Untersuchungsräumen dagegen nicht mehr erhalten. Die Uberlieferung der Generalakten ist generell uneinheitlich. Es ist daher in manchen der Untersuchungsräume nur sehr schwer möglich, einen Überblick über Personalstrukturen und interne Entscheidungsprozesse in den Finanzbehörden zu gewinnen. Während etwa in München Geschäftsverteilungspläne des Landesfinanzamts beziehungsweise des Oberfinanzpräsidiums erhalten geblieben sind und Organigramme für die Betriebsprüfungsabteilungen oder die Devisenstellen vorliegen, existieren in dieser Hinsicht weder Generalakten für den Bezirk des Oberfinanzpräsidiums Nürnberg noch für den Würzburgs. Ähnliches gilt für die Personalakten der zuständigen Beamten. Überlieferungslücken konnten ge-
ten W e l t k r i e g e s u n d hier b e s o n d e r s auf die J a h r e ab 1941, als m a s s e n h a f t R a u b g u t aus den b e s e t z t e n G e b i e t e n O s t - und W e s t e u r o p a s ins R e i c h gelangte und o f t m a l s als U n t e r s t ü t z u n g für d e u t s c h e B o m b e n g e s c h ä d i g t e V e r w e n d u n g fand. Vgl. etwa die P i o n i e r s t u d i e von D r e ß e n , „ A k t i o n 3 " ; zu den V e r s t e i g e r u n g e n vgl. auch die u m f a n g r e i c h e Studie von R u m m e l / R a t h , R e i c h , S. 145 ff.; zu den z a h l r e i c h e n P r o f i t e u r e n auch M e i n l / Z w i l l i n g , R a u b , S. 1 7 7 f f . ; B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 3 2 5 ff. A l y beziffert die A n z a h l d e r D e u t s c h e n , die p r o f i t i e r t e n (einschließlich Ö s t e r r e i c h ) , s o g a r auf 9 5 % ; Aly, Volksstaat, S. 48. D e r P r o f i t an R a u b g u t ist G ö t z A l y z u f o l g e allerdings ein B e l e g für die die B e v ö l k e r u n g ü b e r z e u g e n d e F ü r s o r g l i c h k e i t des R e g i m e s ; Aly, Volksstaat, S. 3 8 . 38
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Z u m k r i t i s c h e n U m g a n g mit S t e u e r a k t e n und einschlägigen B e s t ä n d e n in B a y e r n siehe S t e p h a n , Steuer-, D e v i s e n - u n d E i n z i e h u n g s a k t e n . M i t d e r D e v i s e n s t e l l e H a m b u r g setzt sich B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 2 0 8 - 2 1 6 , auseinander.
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Einleitung
rade in dieser H i n s i c h t aber durch entsprechende Bestände des Reichsfinanzministeriums geschlossen werden. D i e Bestände des Reichsfinanzministeriums im Bundesarchiv Berlin sind w e gen der ungeteilten K o m p e t e n z der Finanzverwaltung in Etatfragen und der strikten hierarchischen Gliederung innerhalb der Finanzverwaltung der zweite zentrale Bestand. Dies gilt für Vorschläge und K o n z e p t i o n e n einer antisemitischen Steuergesetzgebung genauso wie für A n o r d n u n g e n und Beschlüsse der Zentralbehörde in B e z u g auf die k o n k r e t e U m s e t z u n g antisemitischer Fiskalpolitik in den R e g i o n e n . Entscheidend ist diese Uberlieferung aber auch für genuin bayerische Aspekte der Fiskalpolitik. D i e regelmäßigen Berichte der Amtsvorsteher beziehungsweise die zahlreichen Besprechungen mit Vertretern der jeweiligen Sachgebiete informieren nicht nur über Behördeninterna der Reichsfinanzverwaltung vor O r t , sie k ö n n e n , falls durch Vorträge oder Besprechungsnotizen überliefert, auch Aufschluss über den Radikalisierungsgrad der B e a m t e n geben. Dasselbe gilt auch für das Schriftgut über Erlassentscheidungen der „Reichsfluchtsteuer" und der „Judenvermögensabgabe" im Bundesarchiv. E r g ä n z t wird dieser Bestand durch die A k t e n des bayerischen Finanzministeriums im Hauptstaatsarchiv M ü n c h e n . Aufschlussreich sind hier vor allem P e r s o nalfragen, etwa in F o r m der teilweise erhalten gebliebenen Personalakten höherer Beamter. Insgesamt ist die Uberlieferungsdichte der Primärquellen der Reichsfinanzverwaltung im „Dritten R e i c h " als relativ gut zu bezeichnen, wenngleich einige erhebliche L ü c k e n die Aussagekraft des Materials einschränken. Dies gilt vor allem für den Vergleich der antisemitischen Praxis der verschiedenen B e h ö r d e n , der nicht in allen Bereichen systematisch angestellt werden kann. H i n z u k o m m e n einige generelle quellenkritische Problemstellungen. Zunächst lassen die stark standardisierten Quellen kaum Rückschlüsse auf individuelle Verhaltensformen und dahinterstehende M o t i v e der B e a m t e n und Angestellten zu. Aussagen über den Ideologisierungsgrad des Personals müssen oftmals aus Personal- oder S p r u c h k a m m e r a k t e n herausgefiltert werden. Dies führt zu einem weiteren P r o blem bei der Aktenauswertung. A u c h eindeutig ideologisch begründete Verwaltungsmaßnahmen sind einerseits nur eingeschränkt aussagefähig, da die B e a m t e n sich mit der Zeit daran gewöhnten, nur im Sinne der Staatspolizei einwandfrei zu formulieren. D a s s y s t e m k o n f o r m e Argumentieren war für die B e h ö r d e n im N S Staat ein Mittel zur D u r c h s e t z u n g rationaler Verwaltungsnormen. 4 0 Andererseits führte die in der Verwaltungssprache z u m Vorschein k o m m e n d e Zweckrationalität und R o u t i n e zu E u p h e m i s m e n und verschleierte Tatbestände, etwa wenn innerhalb der Finanzverwaltung von der „Evakuierung in den O s t e n " die R e d e war, ein Vorgang, der tatsächlich die D e p o r t a t i o n und zigtausendfache E r m o r d u n g der jüdischen B e v ö l k e r u n g in den K o n z e n t r a t i o n s - und Vernichtungslagern bezeichnete. 4 1 Schließlich handelt es sich bei diesen Quellen ganz überwiegend u m „ T ä -
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Rebentisch, Einleitung, S. 22. Generell zu quellenkritischen Aspekten von Verwaltungsschriftgut im Nationalsozialismus siehe Hilberg, Quellen.
Einleitung
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terakten". Erfahrungsgeschichtliche Erkenntnisse über die Perspektive der O p f e r können aus ihnen kaum e n t n o m m e n werden. P r o b l e m e der Uberlieferungslage und Quelleninterpretation können teilweise durch Sekundärüberlieferungen b e h o b e n werden. H i e r ist zunächst das Schriftgut von Prozessen in den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland zu nennen. N e b e n dem Straftatbestand Hausfriedensbruch im R a h m e n des P o g r o m s vom 9. N o v e m b e r 1938 verfolgten die bayerischen Gerichte auch die Beteiligung an der D e p o r t a t i o n der jüdischen Bevölkerung strafrechtlich. D u r c h breite und plastische Schilderungen beteiligter Akteure und Betroffener ist das Schriftgut vor allem im H i n b l i c k auf die enge Zusammenarbeit von Finanzverwaltung und G e heimer Staatspolizei von zentraler Bedeutung, da vorwiegend deren B e a m t e ins Visier der polizeilichen Ermittlung gerieten. 4 2 D a n e b e n komplettieren die Verfahrensakten im R a h m e n der Spruchkammerprozesse die oft nur spärlichen Angaben der Personalakten. Als dritte Uberlieferung von herausgehobener Bedeutung für die empirische Fundierung des Argumentationsgangs erwiesen sich die Wiedergutmachungsakten der Restitutionsbehörden und des Landesentschädigungsamts. D e r A k t e n bestand dient wegen der teilweise ausführlichen Zeugenaussagen und der beigelegten D o k u m e n t e als wichtige Ergänzung zu den oben genannten Primärquellen. D i e Auswertung dieses Aktenmaterials, sei es das Schriftgut der Strafprozesse gegen die T ä t e r oder das der Wiedergutmachung für die Opfer, ist allerdings nicht unproblematisch. D i e Inhalte der Zeugenaussagen sind in beiden Quellengattungen wegen der vor Gericht geltenden Verfahrensregeln begrenzt und verfolgen jeweils ein klares Ziel: das des Schuld- oder Unschuldsbeweises in den Strafprozessen beziehungsweise der Anspruchsdurchsetzung in den Wiedergutmachungsverfahren. Einige Verfolgungstatbestände werden daher besonders eindringlich und zuweilen auch in ihrer Wirkung übertrieben dargestellt, während andere völlig vernachlässigt werden. H i n z u k o m m t die zeitliche Distanz zwischen Verhandlung und tatsächlichem Verfolgungsgeschehen, die im Falle der Wiedergutmachung über 30 J a h r e betragen k o n n t e . 4 3 D e n n o c h sind die Wiedergutmachungsakten gerade für eine Betrachtung der Verfolgung aus der Perspektive der O p f e r unverzichtbar. Vor allem die Entschädigungsakten können dank der oftmals ausführlichen Antragsbegründungen Auskunft über das subjektive Empfinden und
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E n t s p r e c h e n d e P r o z e s s e sind s o w o h l in M ü n c h e n u n d N ü r n b e r g als auch in W ü r z b u r g geführt w o r d e n u n d in den jeweiligen Staatsarchiven gelagert. D i e D e p o r t a t i o n d e r jüdis c h e n B e v ö l k e r u n g ist j ü n g s t in einer D o k u m e n t a t i o n dargestellt w o r d e n ; Staatsarchiv W ü r z b u r g , Wege. I m Staatsarchiv W ü r z b u r g ist in B e z u g auf die S t r a f p r o z e s s a k t e n auch der einzig überlieferte P r o z e s s gegen einen G a u w i r t s c h a f t s b e r a t e r in B a v e r n h e r v o r z u h e b e n . B e s o n d e r s aufschlussreich ist dieses V e r f a h r e n , da der G a u w i r t s c h a f t s b e r a t e r v o r seinem P a r t e i a m t als B u c h - und B e t r i e b s p r ü f e r im L a n d e s f i n a n z a m t W ü r z b u r g beschäftigt war. A n dieser Stelle sei F r a u E d i t h R a i m , die als M i t a r b e i t e r i n im Institut für Z e i t g e s c h i c h t e im P r o j e k t „ D i e V e r f o l g u n g von N S - V e r b r e c h e n d u r c h d e u t s c h e J u s t i z b e h ö r d e n seit 1 9 4 5 " arbeitet, f ü r die w e r t v o l l e n H i n w e i s e herzlich gedankt.
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D a s letzte E n t s c h ä d i g u n g s g e s e t z , das s o g e n a n n t e B u n d e s e n t s c h ä d i g u n g s s c h l u s s g e s e t z , w e l c h e s z a h l r e i c h e neue A n s p r ü c h e legitimierte, w u r d e erst 1965 verabschiedet. F ü r q u e l l e n k r i t i s c h e A n m e r k u n g e n zu E n t s c h ä d i g u n g s a k t e n vgl. B i s c h o f f / H ö ö t m a n n , E r s c h l i e ßung; Grau, Rückerstattungsakten.
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Einleitung
die individuelle Wertung der Vermögensentziehung durch die Betroffenen geben. Detailliert informieren die A k t e n auch über die Lebenssituation und die finanziellen Verhältnisse der Opfer vor u n d nach der Verfolgungssituation. Fragen nach der sozialen H e r k u n f t , dem allgemeinen Lebensstandard u n d deshalb auch nach der H ö h e der erlittenen Verluste lassen sich durch die A n a l y s e der Entschädigungsakten verhältnismäßig präzise beantworten. Dieser Aktenbestand erwies sich auch deshalb als besonders wertvoll, da die meisten Betroffenen, deren H i n terbliebene oder die J e w i s h Restitution Successor Organisation ( I R S O ) tatsächlich ihren A n s p r u c h auf Restitution oder Entschädigung einforderten u n d diese Bestände vollständig archiviert sind. 4 4 Die Wiedergutmachungsakten sind auch im Hinblick auf einen zweiten U b e r lieferungsstrang der Quellen von entscheidender Bedeutung. Sie bieten wichtige Erkenntnisse über die Rolle der Partei bei der wirtschaftlichen Verdrängung der jüdischen Bevölkerung. Die A k t e n der Gauleitungen u n d speziell der G a u w i r t schaftsberater sind in B a y e r n nahezu vollständig vernichtet. Für alle drei U n t e r suchungsräume existieren lediglich vereinzelte Akteineinheiten. Ähnliches gilt für die Verfolgungspraxis der Städte. H i e r sind lediglich in M ü n c h e n größere Teile der Überlieferung erhalten geblieben. In N ü r n b e r g kann das vorhandene Schriftgut lediglich Teilaspekte der wirtschaftlichen Verdrängung beleuchten. Auf eine dichte Überlieferung kann sich die Studie i m H i n b l i c k auf die Rolle der Bezirksregierungen stützen. Deren frühe Beteiligung an der „Ausschaltung" jüdischer Viehhändler durch die Aufsicht über Gewerbelegitimationen ist für die Regierungsbezirke Bad Kissingen u n d H a m m e l b u r g gut nachzuzeichnen. Als aufschlussreich erwiesen sich darüber hinaus die Einzelfallakten der Polizeidirektion M ü n c h e n . Ausschlaggebend sind vor allem Korrespondenzen mit der F i n a n z v e r w a l t u n g sowohl hinsichtlich der engen Zusammenarbeit von Zollfahndung, Devisenstellen und Geheimer Staatspolizei bei der Ü b e r w a c h u n g u n d Entziehung von Emigrantenvermögen als auch in Bezug auf die Kooperation von Gestapo und Vermögensverwertungsstellen bei der Entziehung und Verwertung jüdischen Vermögens im R a h m e n der Deportation. Einblick in die zentrale Rolle der M ü n c h n e r K o m m u n a l v e r w a l t u n g bei der A u s p l ü n d e r u n g bieten z u d e m die A k t e n der dortigen Industrie- und H a n d e l s k a m m e r sowie des Gewerbeamts der Stadtverwaltung. Die Studie stützt sich vorwiegend auf die Einzelfallakten der in die U n t e r s u chung einbezogenen Berufsgruppen in den jeweiligen Untersuchungsräumen. Angesichts des enormen U m f a n g e s der Einzelfallakten - allein an Entschädigungsakten existieren in B a y e r n w e i t mehr als 300000 Einheiten - w a r an eine vollständige Aufarbeitung aller Erwerbstätigen nicht zu denken. Es w u r d e n i m m e r mindestens zehn Prozent von Angehörigen der jeweiligen Berufsgruppe untersucht, u m nicht nur eine qualitative, sondern in Ansätzen auch quantitative A n a l y s e des wirtschaftlichen „Ausschaltungsprozesses" zu ermöglichen. A u c h w e n n die Ergebnisse keine repräsentative Gültigkeit beanspruchen können, so handelt es sich doch u m „gesättigte Verlaufstypen", aus denen sich Indikatoren 44
Quellenkritische Überlegung für den Umgang mit Memoiren bei der „Arisierungs"-Forschung bietet Marrenbach, Memoiren.
Einleitung
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gewinnen lassen, mit denen wiederum verallgemeinerbare Ergebnisse durchaus möglich sind. 45 Insgesamt umfasst das Sample etwa 600 jüdische Erwerbstätige, wobei in den meisten Fällen die Bestände der Finanzämter und des Entschädigungsamts sowie der Wiedergutmachungsbehörden und darüber hinaus das Schriftgut der Devisen- und Polizeistellen, der Vermögensverwertungsstelle und der Bezirksregierungen hinzugezogen wurden.
Berufliche Verdrängung, „Arisierung" und fiskalische Entziehung: Anmerkungen zum Forschungsstand Bis weit in die 1980er Jahre hinein hat sich die Forschung über die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im „Dritten Reich" auf die Rolle der Weltanschauungseliten konzentriert und damit die Verantwortung für den Massenmord auf Adolf Hitler und den engeren Führungszirkel der N S D A P begrenzt. 4 6 Angeregt durch grundlegende Forschungsarbeiten in den 1990er Jahren, die durch die Ö f f nung der Archive Osteuropas neue Themen und Fragestellungen aufgreifen konnten, sowie durch öffentlichkeitswirksame mediale Aufarbeitungen im Rahmen der ersten Wehrmachtsausstellung wurde die Aufmerksamkeit der Medien und der wissenschaftlichen Welt zunehmend auch auf die Beteiligung „ganz gewöhnlicher Deutscher" an der Shoa gelenkt. 4 7 Mit der Hinwendung zum „Fußvolk der Endlösung" weitete sich die Perspektive über die Betrachtung der Weltanschauungseliten hinaus auf die Beteiligung der Bevölkerungen an der Verfolgung und Vernichtung der Juden. 4 8 Galt das Hauptaugenmerk dieser neueren Arbeiten dem Prozess der Judenvernichtung im Deutschen Reich und in Europa, so befasste sich die Forschung seit Ende der 1980er Jahre verstärkt mit der wirtschaftlichen Verdrängung und Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung als einem funktional mit der Vernichtung zusammenhängenden Verfolgungsprozess. 4 9 Als Pionierstudie gilt Frank Bajohrs Untersuchung über „Arisierung" in H a m burg, die 1998 erschien. Diese Forschungen erlebten einen erneuten Aufschwung, als Ende der 1990er Jahre neues Quellenmaterial aus der Provenienz der Finanzbehörden zugänglich wurde.
45 46
N i e t h a m m e r , O r a l H i s t o r y , S. 2 0 8 . E i n e n guten U b e r b l i c k ü b e r T e n d e n z e n der F o r s c h u n g bieten H e r b e r t , V e r n i c h t u n g s p o l i tik; K ü h n e , V e r n i c h t u n g s k r i e g ; Paul, P s y c h o p a t h e n , S. 3 9 . Zu v e r s c h i e d e n e n A s p e k t e n des V ö l k e r m o r d s vgl. auch M a t t h ä u s / M a l l m a n n , D e u t s c h e .
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G r u n d l e g e n d h i e r z u P o h l , J u d e n v e r f o l g u n g ; ders., „ J u d e n p o l i t i k " ; Sandkühler, „ E n d l ö s u n g " ; H e r b e r t , B e s t . In der medialen Ö f f e n t l i c h k e i t w u r d e n dann v o r allem die f r a g w ü r digen T h e s e n G o l d h a g e n s diskutiert; G o l d h a g e n , Vollstrecker. Z u r W e h r m a c h t s a u s s t e l lung siehe H a m b u r g e r Institut f ü r S o z i a l f o r s c h u n g , V e r n i c h t u n g s k r i e g ; dass., V e r b r e c h e n .
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Paul, P s y c h o p a t h e n , S. 3 9 . F r a n k B a j o h r n i m m t auf die v o n R a u l H i l b e r g b e s c h r i e b e n e n vier S c h r i t t e der V e r n i c h t u n g - D e f i n i t i o n , E n t e i g n u n g , K o n z e n t r a t i o n und A u s r o t t u n g - B e z u g ; B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 10; H i l b e r g , V e r n i c h t u n g . Ein S t a n d a r d w e r k zu w i r t s c h a f t l i c h e n V e r d r ä n g u n g s m a ß n a h m e n entstand 1988: B a r k a i , B o y k o t t ; ders., „ S c h i c k s a l s j a h r " ; K r a t z s c h , G a u w i r t s c h a f t s a p p a r a t ; vgl. auch die beiden in den 1 9 6 0 e r und 1 9 7 0 e r J a h r e n e r s c h i e n e n e n Pionierstudien zur wirtschaftlichen Verdrängung der jüdischen Bevölkerung: Adam, J u denpolitik und Genschel, Verdrängung.
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Einleitung
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den vielfältigen Formen der A u s p l ü n d e r u n g jüdischen Vermögens hat die Forschungsperspektiven vor allem im H i n b l i c k auf die Bandbreite der Täter u n d die Verfolgungsmechanismen des NS-Staates entscheidend erweitern können. H i e r sollen drei Aspekte besonders hervorgehoben werden: Erstens die unerwartet große Vielfalt der an der wirtschaftlichen Verdrängung beteiligten A k t e u r e u n d Profiteure. Neben bereits bekannten Verfolgungsinstitutionen w i e SA, SS und Gestapo fiel das A u g e n m e r k hier auf Täter, die bisher k a u m oder gar nicht in Zusammenhang mit der Judenverfolgung gesehen w o r d e n w a ren. So w a r e n der Gauwirtschaftsapparat der N S D A P oder die Industrie- u n d H a n d e l s k a m m e r n , Regierungspräsidien, Bezirksämter, Stadt- u n d Kommunalverwaltungen sowie Wirtschaftsverbände massiv an der wirtschaftlichen Verdrängung beteiligt. 5 0 Zweitens w u r d e auch die Verwicklung von Teilen der Bevölkerung in die J u denverfolgung zur NS-Zeit erstmalig genauer untersucht. Die Beteiligung „ganz normaler Deutscher" an der wirtschaftlichen Verdrängung durch direkten Kauf jüdischen Besitzes oder durch indirekten Profit, etwa bei der Vermittlung derartiger Geschäfte oder auch nur bei der Schätzung von Wertgegenständen, führte zu der These, es habe sich u m einen „gesamtgesellschaftlichen Prozess" gehandelt, der ohne die M i t w i r k u n g von Millionen Deutscher nicht denkbar gewesen wäre. 5 1 Bisherige Forschungsergebnisse deuten z u d e m daraufhin, dass die große M e h r heit der Deutschen schwieg, als ihre jüdischen M i t b ü r g e r der wirtschaftlichen Verfolgung ausgesetzt w u r d e n . Viele nahmen die Entrechtung auch w o h l w o l l e n d zur Kenntnis und beteiligten sich aktiv an den antisemitischen Aktionen. Verschwindend gering w a r im Vergleich dazu die A n z a h l derer, die am Schicksal ihrer jüdischen M i t b ü r g e r Anteil nahmen und dagegen protestierten. 5 2 Drittens weisen neuere Arbeiten auf die Bedeutung regionaler Institutionen hin. Wegen der bis 1938 weitgehend fehlenden gesetzlichen Grundlage für die Entziehung jüdischen Vermögens k a m es zunächst zu einer Flut von regional initiierten, aber gesetzlich nicht legitimierten Verdrängungsmaßnahmen. A b h ä n g i g
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Ein guter Überblick bei Laak, Die Mitwirkenden; Schmidt, „Arisierungspolitik"; Kingreen, Raubzüge; vgl. auch die verschiedenen Beiträge in Fritz Bauer Institut, „Arisierung"; Baumann/Heusler, München arisiert; Mönninghoff, Enteignung; Ludwig, Boykott; Eizenhöfer, Stadtverwaltung; Hofmann, Verdrängung; Janetzko, Verdrängung. Auf die internationale Dimension der Raubzüge machten aufmerksam: Aalders, Geraubt; Goschler/Ther, Entgrenzte Geschichte; Center for Advanced Holocaust Studies/United States Holocaust Memorial Museum, Confiscation; zu Nürnberg vgl. den kurzen Aufsatz von Friedrich, Wohnungsschlüssel; für Unterfranken vgl. Schultheis, Juden. Bajohr, Verfolgung; ders., Prozess. Siehe hierzu auch die Debatte um Götz Alys Volksstaat, etwa bei Hachtmann, Knallfrösche; Aufmerksamkeit erweckte in letzter Zeit auch die besondere Verwicklung von Banken und Versicherungsgesellschaften in den wirtschaftlichen Verfolgungsprozess: James, Deutsche Bank; ders., Die Dresdner Bank und die „Arisierung"; ders., Economic War against the Jews; Ziegler, Verdrängung; Lorentz, Commerzbank; Feldman, Allianz; Herbst, Commerzbank; Laube, Mitteilung; Loose, Kredite für NS-Verbrechen. Kulka, Population, S. 273. Zur Haltung der deutschen Bevölkerung zur Judenverfolgung vgl. auch Longerich, „Davon haben wir nichts gewusst!".
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Einleitung von den regionalen Gegebenheiten und der Machtstellung der
Parteifunktionäre
vor O r t w u r d e n einzelne Städte oder Regionen zu Vorreitern der
Verfolgung,
n o c h b e v o r e n t s p r e c h e n d e g e s e t z l i c h e M a ß n a h m e n - t e i l w e i s e a u c h als R e a k t i o n auf bereits geschaffene Tatsachen - erlassen w u r d e n . Erst nach einer
reichsweit
einheitlichen R e g e l u n g ab 1938 w u r d e n diese regionalen U n t e r s c h i e d e
zusehends
e i n g e e b n e t . Sie b l i e b e n a b e r in A n s ä t z e n bis z u r v o l l s t ä n d i g e n E n t z i e h u n g scher Vermögenswerte
jüdi-
bestehen.53
I m Z u s a m m e n h a n g mit der wirtschaftlichen Verdrängung der jüdischen Bevölk e r u n g ist d i e F r a g e n a c h d e m A n t e i l u n d d e r P r a x i s d e r s t a a t l i c h e n
Verwaltung
bisher allerdings eher sporadisch gestellt w o r d e n . 5 4 T r o t z ihrer zentralen tung h a b e n die
fiskalischen
Bedeu-
E n t z i e h u n g s m a ß n a h m e n erst seit e i n i g e n J a h r e n
Ein-
g a n g in die w i s s e n s c h a f t l i c h e L i t e r a t u r g e f u n d e n . 5 5 F ü r B a y e r n liegen b i s h e r lediglich einige kürzere Teilstudien vor.56 In erfahrungsgeschichtlicher einen täterzentrierten
Hinsicht
hat bisher v o r allem Saul
Friedländer
Ansatz mit der Perspektive der O p f e r verbunden.57
A n r e g u n g e n F r i e d l ä n d e r s h a b e n a u c h in d i e „ A r i s i e r u n g s " - F o r s c h u n g gefunden. Ins Blickfeld gerieten hier vor allem Gegenstrategien der zur Rettung von
Vermögenswerten.58
Die
Bedeutung
Die
Eingang
Betroffenen
wirtschaftlicher
Verfol-
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R e g i o n a l s t u d i e n liegen v o r v o n K r a t z s c h , G a u w i r t s c h a f t s a p p a r a t ; B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g ; B a u m a n n / H e u s l e r , M ü n c h e n arisiert; B r u n s - W ü s t e f e l d , G e s c h ä f t e ; F i c h t l , W i r t s c h a f t ; R a p p l , „ A r i s i e r u n g e n " in M ü n c h e n ; B o p f , „ A r i s i e r u n g " in K ö l n ; Selig, „ A r i s i e r u n g " ; ders., L e b e n ; ders., B o y k o t t ; G e i s t / K ü v e r s , T a t o r t ; W o l l e n b e r g , E n t e i g n u n g ; Brucher-Lembach, Hunde.
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N u r sehr selten w u r d e b i s h e r die fiskalische E n t z i e h u n g s p r a x i s in den G e s a m t z u s a m m e n hang d e r „ A r i s i e r u n g " gestellt, etwa bei B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g . D i e s gilt ganz allgemein für die V e r m ö g e n s e n t z i e h u n g w ä h r e n d der D e p o r t a t i o n , die erst in letzter Zeit verstärkt das I n t e r e s s e der F o r s c h u n g auf sich ziehen k o n n t e . E n t s p r e c h e n d e Studien liegen v o r v o n R u m m e l / R a t h , R e i c h ; F r i e d e n b e r g e r , F i n a n z a m t ; S c h m i d , Z u s a m m e n a r b e i t ; M e i n l , F i n a n z b e a m t e . F ü r die R o l l e des F i s k u s bei d e r D e p o r t a t i o n in B a y e r n ist Kuller, G r u n d s a t z einschlägig.
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F ü r W e s t f a l e n liegen U n t e r s u c h u n g e n v o n K e n k m a n n / R u s i n e k , V e r f o l g u n g , s o w i e L e e s c h , G e s c h i c h t e , vor. D i e R o l l e des R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r i u m s w u r d e u n t e r s u c h t v o n M e h l , R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r i u m , die zentrale R o l l e des F i n a n z a m t s M o a b i t - W e s t bei F r i e denberger, F i n a n z a m t ; siehe auch die U b e r b l i c k s d a r s t e l l u n g bei F r i e d e n b e r g e r , R e i c h s f i n a n z v e r w a l t u n g ; R u m m e l / R a t h , R e i c h ; f ü r die D e v i s e n s t e l l e H a m b u r g siehe B a j o h r , „ A r i sierung in H a m b u r g " , S. 1 8 9 - 2 2 3 ; zur R o l l e d e r D e v i s e n s t e l l e n bei d e r V e r f o l g u n g auch F r a n k e , R o l l e ; siehe auch die A u f s ä t z e v o n Kuller, F i n a n z v e r w a l t u n g ; F ü l l b e r g - S t o l b e r g , R o l l e ; M e i n l / Z w i l l i n g , R a u b ; Schleusener, K u n s t h ä n d l e r ; k u r z v o r D r u c k l e g u n g der v o r liegenden Studie ist e r s c h i e n e n : F r i e d e n b e r g e r , A u s p l ü n d e r u n g . V g l . d a r ü b e r hinaus L e fevre, E n t e i g n u n g ; B l a i c h , G r u n d s ä t z e ; S c h m i d , „ F i n a n z t o d " ; Schauer, S t e u e r g e s e t z g e bung; Meinl, Vermögen; Dreßen, „Aktion 3 " .
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Kuller, F i n a n z v e r w a l t u n g ; dies., G r u n d s a t z ; zu den B e a m t e n des b a y e r i s c h e n I n n e n m i n i s t e r i u m s vgl. F o r s t n e r , B e a m t e n . I m E r s c h e i n e n b e g r i f f e n ist d a r ü b e r hinaus eine Studie v o n C h r i s t i a n e K u l l e r ü b e r E n t z i e h u n g - V e r w a l t u n g - V e r w e r t u n g . D e r Z u g r i f f der F i n a n z v e r w a l t u n g auf das V e r m ö g e n d e r J u d e n in B a y e r n . Friedländer, V e r f o l g u n g ; ders., V e r n i c h t u n g ; B a r k a i , B o y k o t t . L e t z t e r e r r ü c k t ebenfalls die P e r s p e k t i v e der j ü d i s c h e n B e t r o f f e n e n in den M i t t e l p u n k t . Z u m P r o b l e m einer B e s c h r e i b u n g des Alltags im N S vgl. auch P e u k e r t , V o l k s g e n o s s e n , S. 21 ff.
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B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 1 3 6 - 1 7 4 ; B o p f , „ A r i s i e r u n g " in K ö l n , S. 1 0 9 - 1 1 1 , 1 7 2 - 1 7 6 und 3 2 5 .
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Einleitung
gungsmaßnahmen für die Lebensgeschichte der Opfer ist von der Forschung bisher kaum aufgegriffen worden. Lediglich Harald Welzer hat den Versuch unternommen, die psychosozialen Folgen der wirtschaftlichen Verdrängung zu analysieren. 5 9 Wohl aber gibt es psychiatrische und psychologische Gutachten, die im Rahmen der Entschädigung für NS-Unrecht entstanden sind, so wie einige neuere medizinische und sozialpsychologische Arbeiten über die Auswirkungen verschiedener Aspekte des Terrors, die in die Untersuchung miteinbezogen werden. 6 0 Ideologie und
Propaganda
Zahlreiche Arbeiten, die sich mittlerweile mit der wirtschaftlichen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung beschäftigen, richten ihren Blick vor allem auf ökonomische Beweggründe und den materiellen Nutzen der Akteure. Die Bedeutung der Ideologie wird meist mit einem kurzen Hinweis auf eine „typisch mittelständische" Variante des Antisemitismus abgehandelt, die in weiten Kreisen der erwerbstätigen Bevölkerung Anklang gefunden habe. 61 Für die häufig gestellte Frage „Wie konnte das geschehen?" oder - in Bezug auf die „Ausschaltung" der Juden aus dem Wirtschaftsleben - „Wie konnten sich so viele beteiligen?" ist aber gerade die Relation von weltanschaulich bedingter Motivation und ökonomischem Nutzenkalkül, also die Frage nach dem Verhältnis von Ideologie und Interesse von besonderer Signifikanz. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Unterscheidung ideeler und materieller Motive ergeben, sind zahlreich und seit langem Gegenstand sozialwissenschaftlicher wie historischer Untersuchungen. 6 2 Gerade bei der Frage nach der Bedeutung der Ideologie für die Akteure der wirtschaftlichen Verfolgung sind verschiedene Probleme evident: Zu fragen ist nach dem Diffusionsgrad einer diskriminierenden Idee und nicht nur nach der Wirkungsmächtigkeit von Weltbildern auf eine klar abgrenzbare Trägergruppe. 63 Hinzu kommen die meist nur unpräzise formulierten Vorstellungen der Nationalsozialisten, die eine Identifizierung sozialer Konsequenzen, die der „Weltanschauung" zuzurechnen sind, zusätzlich erschweren. Inwieweit Ideen und inwieweit ökonomische Interessen handlungsleitend wirkten, ist daher oftmals kaum zu beantworten, zumal die Folgen abhängig vom historischen Kontext vollkommen unterschiedlich sein konnten. 6 4 Es kann daher auch nicht darum gehen, ein abgeschlossenes Bild der Wirkung von Ideolo-
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Welzer, Vorhanden/Nicht-Vorhanden, S. 287. Niederland, Folgen; Baeyer/Häfner/Kisker, Psychiatrie; Stoffels, Terrorlandschaften. Bajohr, „Arisierung" in Hamburg, S. 33 ff.; auf den Zusammenhang zwischen Antisemitismus und mittelständischer Politik hat auch Brucher-Lembach, Hunde, S. 26 und 54, kurz verwiesen. Mit der Unterscheidung von Ideen und Interessen als Handlungsantriebe hat sich Max Weber auseinandergesetzt; Weber, Wirtschaftsethik, S. 85 ff.; ders., Wirtschaft, S. 245; grundlegend zu Webers Arbeiten über das Verhältnis von Idee und Interesse: Lepsius, Interessen. So Lepsius, Interessen, S. 35. Weber, Wirtschaftsethik, S. 109; Lepsius, Interessen, S. 36.
Einleitung
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gie bei der wirtschaftlichen Verfolgung im Nationalsozialismus zu entwerfen. Bei der Untersuchung der konkreten Umsetzung, also der sozialen Praxis der „Ausschaltung" der Juden aus dem Wirtschaftsleben, sollen die Vorstellungen über ihre besondere „Stellung" in der „deutschen" Ö k o n o m i e aber dennoch aus drei Gründen als Analysekategorie einbezogen werden. Erstens fungierte die NS-Ideologie, so die grundsätzliche Annahme, bei der Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung als „Weichensteller". Im Bereich der wirtschaftlichen Verfolgung zeigt sich zwar die handlungsleitende Bedeutung des Strebens nach materiellem Profit. Dass sich derartige Interessen aber überhaupt gegen die jüdische Bevölkerung richteten, dafür war die ideologische Auffassung von einer spezifisch „deutschen" im Gegensatz zu einer „jüdischen" Wirtschaftsweise ausschlaggebend. Mithin konnte sich das Streben nach Effizienz im Sinne ökonomischer Nutzenmaximierung ohne weiteres mit ideologischen Zielsetzungen verbinden, genauso wie das Streben nach der Verwirklichung weltanschaulicher Vorgaben die Gelegenheitsstrukturen für die Verfolgung materieller Interessen schuf. 6 5 Mit zunehmender Dauer des NS-Regimes etablierte sich zweitens die antisemitische „NS-Weltanschauung" nicht nur bei Parteiinstitutionen, sondern auch bei den Institutionen der staatlichen Verwaltung als Kommunikationsmedium ersten Ranges, dessen richtiger Gebrauch nicht nur zum Machterhalt, sondern auch zur Machterweiterung beitragen konnte. Sätze wie die „vollständige Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben" oder die „Entjudung des Erwerbslebens" prägten auch deshalb den Behördenjargon der Reichsfinanzverwaltung. Auch außerhalb der Parteibüros und der Amtsstuben der staatlichen Verwaltung konnte eine derartige „Veralltäglichung" antisemitischer Ideen drittens vorhandene Zweifel an der Berechtigung des eigenen Handelns auszuräumen helfen, indem die möglicherweise auftretende Spannung zwischen Gewissen und Handeln beim Profit an jüdischem Vermögen durch entsprechende Wertvorstellungen überbrückt werden konnte. 6 6 Hier zeigte sich die normative Kraft des Faktischen besonders deutlich: Die ordnungsschaffende Funktion staatlichen Handelns hatte ganz erhebliche negative Auswirkungen auf das Rechts- und Unrechtsempfinden der Gesellschaft. Wer nicht eigentlich Antisemit war, konnte sich - wegen des hohen moralischen Kredits, den die behördliche Obrigkeit genoss - relativ guten Gewissens auf antisemitische Praktiken des Staates verlassen oder sie sogar zum Vorbild nehmen. Die enge Verquickung von Ideologie und ökonomischem Interesse offenbart sich bereits in der Konstruktion des Stereotyps einer besonderen und generalisierbaren Wirtschaftstätigkeit der jüdischen Bevölkerung. Die antisemitische Propaganda konstruierte eine Wechselwirkung zwischen der wirtschaftlichen Sonderstellung der jüdischen Erwerbstätigen und den negativen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und dem dadurch hervorgerufenen erheblichen Konkurs- und
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Z u r F u n k t i o n von Ideen als „Weichensteller" vgl. M a x Weber; Weber, Wirtschaftsethik, S. 101; Lepsius, Interessen, S. 4 2 f . „ D e r G l a u b e an I d e e n " , so Rainer Lepsius, „ ü b e r w ö l b t den Widerspruch der Interessen"; Lepsius, Interessen, S. 38.
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Einleitung
K o n k u r r e n z d r u c k . 6 7 Sie verlieh ihren Behauptungen insofern einen Legitimitätsanstrich, als sie gerade auf die Bereiche verwies, in denen J u d e n besonders häufig vertreten waren: den gewerblichen Einzelhandel, den Finanz- und M e d i z i n s e k t o r sowie den Handel mit A g r a r p r o d u k t e n , Erwerbssektoren, bei denen die A u s w i r kungen der Wirtschaftskrise besonders deutlich zu spüren waren. 6 8 Die begriffliche Konstruktion der „deutschen Wirtschaft" erfolgte dabei nicht nur durch A b grenzung zu der als „typisch jüdisch" diffamierten. Das Versprechen, die J u d e n aus der Wirtschaft „auszuschalten", schuf vielmehr auch eine spezifische E r w a r tungshaltung: die Verheißung einer materiellen Besserstellung der „Volksgemeinschaft". Die Konstruktion der „Wirtschaft der Volksgemeinschaft" w a r somit nicht nur sprachlich eine Privation der jüdischen Bevölkerung, sie schloss faktisch den R a u b bereits mit ein. 6 9 Pseudowissenschaftliche u n d mit zahlreichen antisemitischen Plattitüden angereicherte Werke von Feder, Rosenberg oder Straßer dürfen freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die NS-Ideologie auf Fragen nach der konkreten A u s f o r m u n g der wirtschaftlichen Verdrängung der jüdischen Bevölkerung oder nach ganz allgemeinen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen allenfalls vage A n t w o r t e n parat hatte. 7 0 Ideologie sollte auch aus diesem Grund nicht nur als Deutungsrahmen für konkrete Handlungsanleitungen, sondern ebenso als Postulat utopischer Endziele verstanden werden. 7 1 Gerade die nebulöse, abstrakte u n d schlagwortartige Formulierung leitender Gesichtspunkte ermöglichten die Z u s t i m m u n g eines heterogenen Publikums, da nur so Widersprüche überwölbt u n d unterschiedliche Wertorientierungen integriert w e r d e n konnten. 7 2 Zusammenfassend lässt sich die Funktion antisemitischer Stereotype im Bereich der Wirtschaft i m Wesentlichen mit zwei funktionalen M e r k m a l e n beschrei67
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Auf die Wechselwirkung zwischen wirtschaftlicher Sonderstellung der Juden und Verdrängungsmaßnahmen hat bereits eindringlich Helmut Genschel hingewiesen; Genschel, Verdrängung, S. 42. Vorstellungen über den geldgierigen, wuchernden Shylock schlugen sich ebenfalls in Programmen und Pamphleten nieder und führten zu der häufig wiederholten Formel „Brechung der jüdischen Zinsknechtschaft" und der „jüdisch-kapitalistischen Wirtschaftsordnung". Der jüdische Wucherer Shylock in Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig" aus dem 16. Jahrhundert prägte in besonderem Maße das Bild des geldgierigen jüdischen Wucherers; den Forschungsüberblick vgl. bei Reuveni, Juden, S. 47-58. Niederschlag fanden derartige Vorstellungen etwa in dem weit verbreiteten „Handbuch zur Judenfrage" von Theodor Fritsch, aber auch im Parteiprogramm der NSDAP; Fritsch, Handbuch, S. 361-368; Das Parteiprogramm der NSDAP, Punkt 11; Feder, Brechung der Zinsknechtschaft, S. 16 f. Zur Konstruktion von „Wir-Gruppen" durch Bezeichnung von „Fremdgruppen" siehe Koselleck, Semantik, S. 213. Zur Bedeutung antisemitischer Kommunikation Holz, Antisemitismus, v. a. S. 16-23. Hitler selbst hatte bereits in „Mein Kampf" auf die Notwendigkeit hingewiesen, zuerst das weltanschauliche Gesamtbild zu Ende zu zeichnen, bevor man sich wirtschaftlichen Dingen zuwenden könne; Hitler, Kampf, S. 680. Zu den unklaren wirtschaftspolitischen Vorstellungen vgl. vor allem Herbst, Krieg, S. 26 ff.; Barkai, Wirtschaftssystem, S. 27-33; van Laak, Die Mitwirkenden, S. 232. Nolzen, Broszat, S. 438 f., der sich in seiner Analyse auf die Thesen des Buches „Der Staat Hitlers" von Martin Broszat bezieht. Zur prinzipiellen Bedeutung von Ideologie vgl. Luhmann, Wahrheit, S. 444 ff.
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ben. D a s erste ist eine Klammerfunktion: D i e Vorstellung v o m K o n n e x zwischen spezifisch jüdischer Wirtschaftstätigkeit auf der einen und akuten ö k o n o m i s c h e n Krisensituationen auf der anderen Seite spiegelt eine antisemitische Ideenwelt wider, die traditionelle antijüdische Stereotype mit antikapitalistischen und modernisierungsfeindlichen Tendenzen sowie „ganzheitlichen" und rassistischen K o n zeptionen verband. D i e Verbindung verbreiteter antisemitischer Vorurteile mit der Kritik an der rapiden Ausbreitung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und den daraus resultierenden weitreichenden U m w ä l z u n g e n haben den am Ausgang des 19. Jahrhunderts aufkommenden „rassischen" und „völkischen" Ideen überhaupt erst z u m D u r c h b r u c h verholfen. 7 3 D i e Spezifika des jüdischen B e r u f s lebens überzeugten eine breitere Masse zudem von der vermeintlichen Evidenz abstrakter rassistischer und biologistischer K o n z e p t i o n e n , die sich in der A n p r a n gerung des „Schacherns" und „Wucherns" jüdischer Händler oder in den angeblich „abartigen Sexualpraktiken" jüdischer A r z t e manifestierten. D a r ü b e r hinaus k o n n t e n die antisemitische Propaganda und die Ubergriffe auf Juden als propagandistisches Mittel mit identitätsstiftender Wirkung genutzt werden. Aus Elementen der Realität konstruierten die Antisemiten verzerrte und übertriebene Vorstellungen, die es ihnen ermöglichten, G r e n z e n zwischen sich selbst und den J u d e n zu ziehen und durch die B e t o n u n g von Unterschieden oder Gegensätzen die eigenen Werte herauszustellen und dadurch die eigene Identität zu stärken, gelegentlich auch neu zu definieren. 7 4 D i e antisemitische Ideologie und die damit zusammenhängende Gewalt gegen J u d e n dienten der Etablierung einer „Volksgemeinschaft" und bildeten insofern ein Mittel nicht nur zur „rassischen" Separation, sondern auch zur Stabilisierung der D i k t a t u r bis zur endgültigen Ausplünderung, Vertreibung und Vernichtung der jüdischen B e v ö l k e r u n g . 7 5 D i e Inklusion des „Volkskörpers" erfolgte dabei durch E x k l u s i o n der „ F r e m d k ö r p e r " auf wirtschaftlichem Gebiet, die durch die ständige Polemik gegen die angebliche A u s beutung der „Volksgenossen" durch die Juden Popularität gewinnen sollte. 7 6 Eine Stimulationsfunktion war damit eng verbunden. Gerade die unpräzisen ideologischen und wirtschaftspolitischen Vorstellungen ermöglichten den Gauleitern und der regionalen Parteibasis, mit eigenen Strategien und aus eigener Initiative gegen die jüdische Wirtschaftstätigkeit vorzugehen. U b e r die rein ideologisch begründete Motivation hinaus verfolgte die antisemitische R h e t o r i k gegen jüdische Wirtschaftstätigkeit aber meist auch instrumentelle Ziele. So stand hinter den Forderungen nach Vergesellschaftung der Warenhäuser und Enteignung der „ B ö r s e n - und B a n k j u d e n " nicht nur das Bestreben, Interessen des Mittelstands und der linken Arbeiterschaft miteinander in Einklang zu bringen. Sie bildeten immer auch eine Legitimationsgrundlage für die persönliche Bereicherung, was
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G e n s c h e l , V e r d r ä n g u n g , S. 3 2 ff.; vgl. auch die v o n U h l i g b e s c h r i e b e n e A n g s t des t r a d i t i o nellen E i n z e l h a n d e l s v o r der kapitalistischen W i r t s c h a f t s w e i s e der W a r e n h ä u s e r in U h l i g , W a r e n h ä u s e r , S. 11 ff.; B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 2 7 f . B u r r i n , W a r u m die D e u t s c h e n ? , S. 2 3 . N o l z e n , Party, S. 2 7 3 ff.; B u r r i n , W a r u m die D e u t s c h e n ? , S. 13; E c h t e r n k a m p , K a m p f , S. 12; N o l z e n , N S D A P , S. 101 ff. Z u r B e d e u t u n g v o n I n k l u s i o n u n d E x k l u s i o n vgl. auch Müller, N a t i o n a l i s m u s , S. 2 6 f f . ; P r o l l i u s , Kultur, S. 3 9 7 ; N o l z e n , L e g i t i m a t i o n , S. 5 1 7 .
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Einleitung
sich in den zahlreichen Korruptionsaffären im R a h m e n der wirtschaftlichen Verdrängungsmaßnahmen zeigte. In der „Ausschaltung" der J u d e n aus dem Wirtschaftsleben sahen regionale Parteiführer eine berechtigte „Wiedergutmachung" für die angeblich schädliche W i r k u n g der J u d e n während der Weimarer Republik. A u f diese Weise k o n n t e n sie ihren Einsatz entlohnt sehen und den materiellen B e dürfnissen zahlreicher anderer N S - A n h ä n g e r G e n ü g e tun. 7 7 Rassismus und A n t i semitismus trugen schließlich auch deshalb wesentlich zu einer Radikalisierung der Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung bei, da sie - angesichts der unablässigen Wiederholung entsprechender Parolen durch den NS-Propagandaapparat - Kategorien für die W a h r n e h m u n g der U m w e l t boten, die wiederum Kriterien für die Entscheidungsfindung darstellen k o n n t e n , auch wenn solche Kategorien den A k t e u r e n nicht i m m e r voll zum Bewusstsein g e k o m m e n sind. 7 8
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Auf die Funktion der Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung als Wiedergutmachung für „Alte Kämpfer" hat vor allem Frank Bajohr aufmerksam gemacht; Bajohr, Parvenüs, S. 20 ff. Peukert, Rassismus, S. 72 und 76. Peukert hebt zudem hervor, dass der Appell an ideologische Grundüberzeugungen immer dann an Bedeutung gewonnen habe, wenn die Wahl zwischen verschiedenen Optionen bestanden habe. Hier habe die Ideologie dann eine radikalisierende Funktion gehabt; ebd., S. 77. Angeregt von den Thesen Peukerts hat zuletzt Süß verschiedene Ausprägungen des Rassismus unterschieden; Süß, Volkskörper, S. 21; zur Bedeutung der Ideologie vgl. auch Kroll, der mit einem ideengeschichtlichen Ansatz herausstellt, dass alles, was gedacht wird, immer schon einen Teil der Wirklichkeit darstelle; Kroll, Utopie, S. 17.
Erster Teil Partei und Staat: Motive, Akteure, Methoden
Erstes Kapitel: „Arisierung", berufliche Verdrängung und fiskalische Entziehung: Inhaltliche Deutung der Begriffe D e r B e g r i f f „ A r i s i e r u n g " unterliegt unterschiedlichen, z u m Teil sogar widersprüchlichen D e f i n i t i o n s k o n z e p t e n . D a s ist nicht zuletzt auf die Ü b e r n a h m e eines zeitgenössischen Begriffs z u r ü c k z u f ü h r e n , dessen B e d e u t u n g auch in der n a t i o nalsozialistischen I d e o l o g i e i m m e r s c h w a m m i g blieb. „ A r i s i e r u n g " - zumindest darin b e s t e h t U b e r e i n s t i m m u n g - b e s c h r e i b t die A s p e k t e der wirtschaftlichen Verdrängung der j ü d i s c h e n B e v ö l k e r u n g in der N S - Z e i t . Welche F o r m e n des Verfolgungsprozesses dieser B e g r i f f j e d o c h tatsächlich umfasst, bleibt unklar. W ä h rend ihn einige I n t e r p r e t a t i o n s m o d e l l e relativ eng und spezifisch als U b e r g a n g j ü d i s c h e n V e r m ö g e n s in nichtjüdische ( „ a r i s c h e " ) H ä n d e definieren, fassen ihn andere m ö g l i c h s t weit, u m auf den ganzen U m f a n g der wirtschaftlichen Verfolgung a u f m e r k s a m zu m a c h e n , so dass „ A r i s i e r u n g " dann auch den E n t - und A n eignungsprozess von A r b e i t s k r a f t im R a h m e n der N S - Z w a n g s a r b e i t umschließt. 1 Tatsächlich z o g jede A r t der Verfolgung - v o m B o y k o t t j ü d i s c h e r G e s c h ä f t e bis hin zur D e p o r t a t i o n in die Vernichtungslager - auch i m m e r materielle K o n s e q u e n z e n nach sich. Prinzipiell w a r damit die J u d e n v e r f o l g u n g im „ D r i t t e n R e i c h " i m m e r auch ein A k t der „ A r i s i e r u n g " . 2 So wichtig es ist, auf die zahlreichen A u s p l ü n d e r u n g s f o r m e n und die Beteiligung verschiedener Profiteursgruppen
aus
Staat, Partei und Gesellschaft bei der J u d e n v e r f o l g u n g a u f m e r k s a m zu m a c h e n , so u n s c h a r f bleibt allerdings ein derart umfassender Bedeutungsinhalt im wissenschaftlichen D i s k u r s . 3 E i n e präzisere D e f i n i t i o n von „ A r i s i e r u n g " , die auch die H e r a u s a r b e i t u n g der C h a r a k t e r i s t i k a
fiskalischer
U b e r w a c h u n g s - und E n t z i e -
hungspraxis e r m ö g l i c h t , kann hingegen b e i m E i g e n t u m s b e g r i f f ansetzen. D i e wirtschaftliche Verfolgung der jüdischen B e v ö l k e r u n g war, wie bereits dargestellt, integraler Bestandteil eines K o n z e p t e s , das den A u f b a u einer „Volksgem e i n s c h a f t " durch E x k l u s i o n der als rassisch m i n d e r w e r t i g definierten G r u p p e n anstrebte. Rassistische M o t i v a t i o n zur „ A u s s c h a l t u n g " und Vertreibung ließ sich
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E i n e n b e s o n d e r s w e i t gefassten B e g r i f f enthält der S a m m e l b a n d des F r i t z B a u e r Instituts, „ A r i s i e r u n g " , vgl. v. a. d o r t die E i n l e i t u n g von I r m t r u d W o j a k und P e t e r H a v e s , S. 7 - 1 4 ; vgl. auch B a u m a n n / H e u s l e r , E i n l e i t u n g , in: D i e s . , M ü n c h e n arisiert, S. 1 0 - 1 6 ; B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 9. In der E n z y k l o p ä d i e des H o l o c a u s t wird der B e g r i f f hingegen b e s t i m m t als „die Ü b e r t r a g u n g u n a b h ä n g i g e r W i r t s c h a f t s u n t e r n e h m e n in jüdis c h e m B e s i t z auf ,arische' E i g e n t ü m e r in D e u t s c h l a n d und den b e s e t z t e n L ä n d e r n " ; G u t m a n n , E n z y k l o p ä d i e , S. 78. E i n e n guten U b e r b l i c k ü b e r G e n e s e des Begriffs, zeitlichen A b l a u f und F o r s c h u n g s s t a n d bieten R a p p l , Flagge; van L a a k , D i e M i t w i r k e n d e n , S. 2 5 3 .
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R a p p l , Flagge, S. 2 0 . C o n s t a n t i n G o s c h l e r u n d Philipp T h e r v e r w e n d e n daher je nach Z u s a m m e n h a n g vers c h i e d e n e B e g r i f f e wie etwa L i q u i d a t i o n , E n t e i g n u n g o d e r A u s p l ü n d e r u n g ; G o s c h l e r / T h e r , E n t g r e n z t e G e s c h i c h t e , S. 10.
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Erstes Kapitel: „Arisierung", berufliche Verdrängung, fiskalische Entziehung
mit materiellen Anreizen verknüpfen und mit NS-spezifischen Vorstellungen über „Arbeit" und „Eigentum" ideologisch begründen. Aus den ideologischen Vorurteilen von „Jude und Arbeit" leiteten sich zwei Prämissen ab, die wesentliche Legitimationsgrundlagen für den späteren „Ausschaltungs-" und Ausplünderungsprozess darstellten. Dies war zunächst der als typisch jüdisch bezeichnete Grundsatz „Eigennutz geht vor Gemeinwohl". Jeder Besitz der jüdischen Bevölkerung, wie Grund und Boden, Immobilien, Maschinen oder Fabriken, diente so gesehen lediglich der Befriedigung des „egoistischen Machttriebs". 4 Behauptungen eines Gegensatzes zwischen dieser „raffenden" jüdischen und der „schaffenden" „arischen" Form des Wirtschaftens war eng mit dem NS-typischen Eigentumsbegriff verbunden. In Abkehr vom liberalen, im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerten Eigentumsbegriff bezog sich Eigentum im nationalsozialistischen Sinne nicht mehr auf die Beziehung zwischen Person und Sache, sondern auf den Zustand der Gemeinschaft. Der Schutz des Eigentums war damit zwar nicht aufgehoben, als schutzwürdig sah das NS-Regime aber nur dasjenige Eigentum an, das der Gesamtheit des „Volkskörpers" diente. Dem Individuum wurde Eigentum mithin nicht um seiner selbst, sondern um der Gemeinschaft willen zugesichert. 5 Innerhalb dieses ideologischen Rasters konnte den Juden daher als „Volksschädlingen" das Recht auf Eigentum versagt werden; die meisten wirtschaftlichen Verdrängungsmaßnahmen nach 1933 hatten dann auch die Aneignung von Eigentum zum Ziel. Zwischen zwei unterschiedlichen Aspekten des Eigentums gilt es dabei zu unterscheiden. Erstens: Im bürgerlich-rechtlichen Sinn ist Eigentum als „umfassendes Recht zu tatsächlichen und rechtlichen Herrschaftshandlungen an beweglichen und unbeweglichen Sachen" definiert. Der Eigentumsbegriff nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch hat damit einen ausschließlich materiellen Bedeutungsinhalt und bezieht sich nur auf körperliche Sachen. 6 Zweitens: Im öffentlich-rechtlichen Sinn umfasst der Eigentumsbegriff grundsätzlich alle Vermögenswerten Rechte. Hierunter fallen neben den rein materiellen auch bestimmte Rechtsansprüche beziehungsweise Anwartschaften, die der Autonomie, Rechtssicherheit und Zukunftssicherung des Eigentums dienen. Das gilt etwa für die Anwartschaft auf Rentenzahlungen oder an Patenten. Der erweiterte Eigentumsbegriff genießt zwar erst seit der Gründung der Bundesrepublik einen besonderen und in der Verfassung verankerten Schutz 7 , in historisch-soziologi4
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Hitlers Rede auf einer Parteiversammlung in Rosenheim am 31. 8. 1920; abgedruckt in Jäckel, Hitler, S. 219; sowie die Rede auf der N S D A P - V e r s a m m l u n g am 13. 8. 1920; abgedruckt in ebd., S. 192 und 197. Feder, Staat, S. 20 ff. U b e r die Eingriffsmöglichkeiten des Staates in das Recht auf Eigentum des einzelnen Bürgers bestand in der Rechtslehre des Nationalsozialismus Uneinigkeit. Während Theoretiker wie Feder oder Rosenberg die oben geschilderte Auffassung vertraten, ging die nationalsozialistische „Linke" in ihren Vorstellungen noch erheblich weiter. So wollte eine Gruppe um Gregor Straßer jedes spekulative Eigentum verstaatlichen und bedrohte Schieber und Spekulanten mit der Todesstrafe; zur rechtlichen E n t wicklung des Eigentumsbegriffs im Nationalsozialismus siehe v. a. Brahm, Eigentum, S. 15-35. §§ 903 ff. und 9 0 f f . B G B . Art. 14 G G .
Erstes Kapitel: „ Arisierung",
berufliche
Verdrängung,
fiskalische
Entziehung
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scher Perspektive hat sich der Eigentumsbegriff aber spätestens im Zuge marktwirtschaftlicher Entwicklungen zunehmend entdinglicht. Neben materiellen Besitztümern umfasste er auch die Garantie zukünftiger Einkünfte, etwa bei der Rente. Der Kern des Eigentumsbegriffs in der Marktwirtschaft lässt sich demnach mit dem Bedeutungsinhalt „Recht auf ein Minimum vorhandener oder zukünftiger materieller Mittel zur Gewährleistung der persönlichen Sicherheit" umschreiben. 8 Die Forschung hat sich bisher vor allem mit der Entziehung materieller Vermögenswerte beschäftigt, also mit Eigentum im bürgerlich-rechtlichen Sinn. Der Profit „ganz normaler" Deutscher und die Dynamik der wirtschaftlichen Verfolgung, die auch Teile der Bevölkerung vorantrieben, sowie regionale Besonderheiten wurden meist anhand der Aneignung großer gewerblicher Betriebe untersucht. Anhand solcher Einzelbeispiele lässt sich der Prozess der wirtschaftlichen Verfolgung eindrucksvoll darstellen und leicht zu identifizierende Täter- und Profiteursgruppen können eindeutig zugeordnet werden. 9 Die Verwendung des Begriffs Arisierung in dieser Hinsicht entspricht auch einem zeitgenössischen Sprachgebrauch, der damit den Transfer jüdischen Eigentums in nichtjüdischen Besitz bezeichnete und auf diese Weise besonders die Bedeutung des „arischen" Erwerbers hervorhob. 10 Ein zweiter Bereich, der der wirtschaftlichen Verfolgung zugeteilt werden kann, ist die berufliche Verdrängung. Die damit verbundenen Boykottaktionen und die vor allem ab 1938 einsetzende systematische „Ausschaltung" der Juden aus dem Erwerbsleben hingen zwar unmittelbar mit dem Eigentumstransfer zusammen und waren oftmals dessen Voraussetzung. Eine analytische Trennung dieser beiden Bereiche hilft aber, verschiedene Aspekte der wirtschaftlichen Verfolgung gesondert hervorzuheben. Zunächst wird so die ganze Dimension der Unrechtsmaßnahmen für die Betroffenen deutlich. Das nationalsozialistische Regime raubte den jüdischen Erwerbstätigen nicht nur materiellen Besitz. Durch die mit der Verdrängung aus dem Beruf einhergehende Entziehung der Zukunftssicherung und damit der Lebenschancen verletzte der NS-Staat fundamentale Rechte, die der jüdischen Bevölkerung in dem Sinne gehörten, der oben als öffentlichrechtlich bezeichnet wurde. Während zumindest formal der Ubergang materiellen Besitzes von jüdischen in nichtjüdische Hände bis 1938 im Zuständigkeitsbereich der Vertragspartner lag, machten die früh einsetzenden Aktionen zur beruflichen Verdrängung schnell deutlich, dass das mit dem Eigentum verbundene Recht auf zukünftige Einkünfte, auf Sicherheit und freie persönliche Entfaltung dem Zwang zur Unterwerfung unter den Willen des NS-Regimes gewichen war. Der Blick auf die berufliche Verdrängung zeigt zudem Unterschiede auf, die sich je nach verfolgter Berufsgruppe ergeben konnten. Dies betraf sowohl den
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H o r w i t z , Eigentum, S. 33-44. Einzelbeispiele bei Bajohr, „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g ; Bajohr, Prozess, S. 17; Heusler, Styler. Einige w e n i g e Arbeiten haben sich allerdings mit der Verfolgung anderer Berufsgruppen oder bestimmten M a ß n a h m e n der A k t e u r e auseinandergesetzt: Sachsse, Atelier; Gruner, G r u n d s t ü c k e ; Kingreen, R a u b z ü g e ; für Österreich Felber u.a., Ö k o n o m i e . Van Laak, Die M i t w i r k e n d e n , S. 253; Bajohr, „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 9.
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Erstes Kapitel: „Arisierung",
berufliche Verdrängung,
fiskalische
Entziehung
zeitlichen Verlauf als auch die daran beteiligten Akteure. Der Ausschluss der jüdischen Ärzte aus ihrer Erwerbssparte unterschied sich gerade in den Jahren 1933— 1938 von der „Arisierung" großer Betriebe. So spielte etwa bei den jüdischen Ärzten die Entziehung materieller Werte oftmals eine untergeordnete Rolle. Weder der Gauwirtschaftsapparat der Partei noch eine nennenswerte Anzahl privater Profiteure schaltete sich in die Verdrängung der häufig einfach eingerichteten ärztlichen Praxen ein. Hier liquidierten die Betroffenen - angesichts der immer auswegloseren Situation im Reich - ihre Unternehmen selbst. Im Falle der jüdischen Ärzte waren die Akteure der Verfolgung vorwiegend öffentliche, das heißt staatliche oder kommunale Verwaltungseinheiten, wie etwa die Krankenkassen, deren Handeln zwar die „Ausschaltung", nicht aber den direkten Profit zum Ziel hatte. 11 Generell gesagt: Je nach Art des Eigentums unterschieden sich Tätergruppen, Zeitpunkt und Charakter der wirtschaftlichen Verfolgung. Von der beruflichen Verdrängung und der „Arisierung" unterschied sich die fiskalische Entziehung jüdischen Vermögens in zweifacher Hinsicht. 12 Im Unterschied zu den bisher beschriebenen Maßnahmen hatten Sondersteuern und -abgaben vorwiegend den Zugriff auf das Privatvermögen aller Betroffenen zum Ziel, betrafen also die gesamte steuerpflichtige jüdische Bevölkerung gleichermaßen. 13 Auf der Ebene der Akteure und Profiteure waren hier vorwiegend die regionalen Gliederungen der Reichsfinanzverwaltung und damit nur staatliche Instanzen be11
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Gesetzliche Enteignungsmaßnahmen, die den Ausschluss aus dem Beruf zum Ziel hatten, richteten sich bis 1938 fast ausschließlich gegen jüdische Angehörige der freien Berufe, also gegen Ärzte und Rechtsanwälte, und gegen jüdische Beamte. Von kommunalen Enteignungsmaßnahmen waren aber auch Gewerbetreibende betroffen, etwa in München, wo sie bereits früh Restriktionen unterlagen; Rappl, „Arisierungen" in München, S. 132-140; Drecoll, „Entjudung"; ders., Finanzverwaltung. Begrifflich ist Enteignung Entzug des Eigentums im Sinne des Grundgesetzes. Da zum Eigentum aber auch das Recht zur Ausübung eines eingerichteten Gewerbebetriebes gehört, ist mithin die Verweigerung der Ausübung als Enteignung zu bezeichnen. Auch die berufliche Verdrängung der Ärzte wird in diesem Zusammenhang als Enteignung verstanden, da sie - ähnlich wie bei den Gewerbebetrieben - den Betroffenen das Recht auf die Ausübung der Praxis entzog, dem Vorgang zumindest also enteignungsgleiche Bedeutung zukam. Darüber hinaus zog die berufliche Enteignung - etwa beim „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" - auch den Verlust von Pensionsansprüchen nach sich; zu den juristischen Bestimmungen vgl. Kauffmann/Weber, Rechtswörterbuch, S. 345 und 374. Der Begriff Entziehung steht wie die „Arisierung" in einem zeitgenössischen Kontext. So wurden etwa die Aktenbestände der Vermögensverwertungsstellen beim Oberfinanzpräsidium München, die die Entziehung, Verwaltung und Verwertung jüdischen Vermögens zum Inhalt hatten, Einziehungs- oder Entziehungsakten genannt. Auch das „Bundesrückerstattungsgesetz" von 1957 griff den Begriff der Entziehung auf, indem es von der Rückgabe entzogener Vermögensgegenstände sprach; BGBl. I, 19. 7. 1957, S. 734; Kauffmann/ Weber, Rechtswörterbuch, S. 1067. Fiskalische Entziehungsmaßnahmen führten zu konkreten Vermögensenteignungen, etwa im Rahmen der „rassisch" motivierten „Judenvermögensabgabe" 1938, allerdings nicht wie bei der „Arisierung" - im Sinne einer unmittelbaren Enteignung sogenannter körperlicher Gegenstände, sondern durch die mittelbare Enteignung durch steuerliche Sonderbehandlung. Fiskalische Entziehung umfasste darüber hinaus auch zahlreiche andere Verfolgungsmaßnahmen, wie etwa die vorbeugende Sicherung von Vermögenswerten, mithin eine wesentliche Beschränkung des mit dem Eigentum verbundenen Herrschaftsrechts an einer Sache; siehe hierzu auch Kauffmann/Weber, Rechtswörterbuch, S. 343 und 374.
Erstes Kapitel: „ Arisierungberufliche
Verdrängung,
fiskalische
Entziehung
29
teiligt. I m G e g e n s a t z zu den willkürlichen, nicht selten mit physischer G e w a l t verbundenen M a ß n a h m e n der Partei waren die B e t r o f f e n e n bei der
fiskalischen
E n t z i e h u n g mit einem Verfolgungsapparat k o n f r o n t i e r t , der vorwiegend auf gesetzlicher Basis arbeitete und weitgehend gleichförmig und „leise" die J u d e n ihres V e r m ö g e n s beraubte. D i e U n t e r s c h e i d u n g zwischen „ A r i s i e r u n g " , beruflicher Verdrängung und fiskalischer E n t z i e h u n g lässt eine vergleichende U n t e r s u c h u n g verschiedener B e r u f s gruppen auf Seiten der B e t r o f f e n e n sinnvoll erscheinen; sie akzentuiert z u d e m die Frage nach dem W i r k u n g s g r a d von I d e o l o g i e und Propaganda auf der A k t e u r s ebene. W i e und d u r c h wen wurde die propagandistische M o b i l i s i e r u n g in die Tat u m g e s e t z t ? W i e w i r k t e sich die d u r c h die herrschende Weltanschauung hervorgerufene D y n a m i k auf die innere Verwaltung aus? W i e gestaltete sich die K o n f r o n tation z w i s c h e n totalitärer B e w e g u n g und ordnungsstaatlichen Stabilisierungsfakt o r e n ? U n d schließlich: W e l c h e Interaktionsverhältnisse z w i s c h e n der nach völliger D u r c h d r i n g u n g von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft strebenden N S D A P , der F i n a n z v e r w a l t u n g und privaten A k t e u r e n sind zu b e o b a c h t e n ? 1 4
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Z u dieser F r a g e s t e l l u n g siehe v.a. auch N o l z e n , B r o s z a t , S. 4 4 6 f f . ; ders., O r g a n i s a t i o n , S. 6 7 ff.
Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche Verfolgung I. Parteirevolution „von unten" Ideologischer Fanatismus entlud sich in Bayern bereits in den Märztagen des Jahres 1933 in gewaltsamen Ausschreitungen, die, in wellenförmigem Verlauf, immer wieder die jüdische Wirtschaftstätigkeit erschütterten. Die sogenannte Parteirevolution von unten, die im Frühjahr 1933 nicht nur Süddeutschland, sondern das gesamte Reichsgebiet erfasste, lässt bereits zu Beginn der NS-Herrschaft Grundmuster erkennen, die die wirtschaftliche Verfolgung bis zur endgültigen „Ausschaltung" im Jahr 1938 prägen sollten. 1 D e r Expansionsdrang der N S D A P zur Erweiterung des eigenen Machtbereichs und der umfassenden Kontrolle über die „Volksgemeinschaft" manifestierte sich besonders deutlich in den frühen Bestrebungen der Partei zur „Ausschaltung" der Juden aus dem Wirtschaftsleben. 2 Die berufliche Verdrängung und Ausplünderung war nicht nur von hoher ideologischer Bedeutung, sie war für regionale Parteigliederungen auch Mittel zur Ausweitung des eigenen Kompetenzbereiches. Denn die ideologisch motivierte Stoßrichtung des Vorgehens gegen jüdische Wirtschaftstätigkeit verband sich mit deren Intention, durch das Mittel der „Gegnerbekämpfung" die alte legale Ordnung auszuhebeln, eigene radikale Zielsetzungen durchzusetzen und sich gegebenenfalls durch Exklusion der Juden selbst wieder einen Platz auf dem Arbeitsmarkt zu sichern.
1. München und
Nürnberg
Die „Parteirevolution von unten" war daher im Bereich der wirtschaftlichen Verfolgung kein Phänomen von kurzer Dauer. Beispielhaft für die lang anhaltenden gewaltsamen Ubergriffe sind die Boykottaktionen in München und Nürnberg. Sie verweisen nicht nur auf die von den regionalen NSDAP-Gliederungen ausgehende Dynamik, sondern auch auf Gemeinsamkeiten, die für den Verfolgungsprozess über Stadtgrenzen hinweg bestimmend waren. Zwar ist eine gleichmäßige Erfassung wegen der uneinheitlichen Quellenlage nicht möglich. Die nachweis-
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L o n g e r i c h , P o l i t i k , S. 27; B o p f , „ A r i s i e r u n g " , S. 3 4 ff.; B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 2 7 f f . ; G e n s c h e l , V e r d r ä n g u n g , S. 4 3 ff.; B r u n s - W ü s t e f e l d , G e s c h ä f t e , S. 62; F i e h t l , W i r t schaft, S. 3 6 ff. D e r B e g r i f f „ P a r t e i r e v o l u t i o n v o n u n t e n " w u r d e d u r c h M a r t i n B r o s z a t geprägt, d e r d e r D y n a m i k der Parteibasis b e s o n d e r e B e d e u t u n g z u m a ß ; B r o s z a t , Staat, S. 4 4 2 . M a r t i n B r o s z a t s f u n k t i o n a l i s t i s c h e I n t e r p r e t a t i o n des „ D r i t t e n R e i c h e s " wird bei N o l z e n , B r o s z a t analysiert.
2
Z u den f r ü h e n E x p a n s i o n s b e s t r e b u n g e n der N S D A P vgl. A r b o g a s t , H e r r s c h a f t s i n s t a n z e n , S. 31 ff.; N o l z e n , L e g i t i m a t i o n , S. 5 0 4 u n d 5 1 5 ; ders., O r g a n i s a t i o n , S. 68; H e i n z , N S D A P , S. 6.
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
baren Aktionen weisen jedoch Ähnlichkeiten der Verfolgungspraxis in den beiden größten bayerischen Städten auf. Wie im gesamten Reichsgebiet richteten sich die Angriffe vor allem gegen jüdische Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte. Mitglieder von NS-Organisationen stellten vor jüdischen Geschäften Posten auf, die Inhaber und Kunden anpöbelten, manchmal auch fotografierten, um die Fotos anschließend im „Stürmer" veröffentlichen zu lassen. 3 Im Frühjahr 1935 eskalierte die Situation in der Münchner Innenstadt, als eine allgemeine Boykottwelle die Juden in ganz Bayern und im gesamten Reichsgebiet erfasste. 4 Vorangetrieben durch die Propaganda von „Stürmer"-Verkäufern und die Unterstützung der Deutschen Arbeitsfront mobilisierten organisierte SA- und SS-Trupps Angriffe auf prominente jüdische Geschäfte. Im Mai sammelten sich erste Menschenmengen vor den Kaufhäusern Uhlfelder und Epa, den Textilhäusern Isidor Bach, Bamberger Sc Hertz sowie bei der E L K O GmbH. Als NS-Schlägertrupps Kunden anpöbelten und verletzten und gleichzeitig in die Geschäfte eindringende Parteigenossen die sofortige Schließung verlangten, wurde die Polizei zu Hilfe gerufen. Bereits einige Tage später lebten die Unruhen erneut auf. Ziel der Attacken waren wieder die großen jüdischen Geschäfte in prominenter Lage. 5 Ab 15 U h r drangen organisierte Gruppen in die Geschäfte ein, warfen die Kunden raus und erzwangen mit Gewalt die Schließung der Läden und Unternehmen. Nachdem die Polizei zunächst tatenlos zugesehen hatte, griff sie erst am frühen Abend ein. Als die Beamten einige der Aktivisten verhaften wollten, kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Erst gegen 19 Uhr konnte die Ruhe in der Münchner Fußgängerzone wieder hergestellt werden. 6 Auch in Nürnberg waren besonders die Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte Ziel verschiedener Übergriffe der Parteigliederungen. So verhaftete etwa der durch die N S - H a g o eingesetzte kommissarische Betriebsrat des Kaufhauses Schocken im April 1933 zusammen mit der SA und einem Beauftragten der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation die Direktion des Betriebes, und der kommissarische Betriebsrat übernahm die Leitung des Unternehmens. Proteste des Kaufhauses beim Regierungspräsidium blieben erfolglos, da dieses sich für nicht zuständig erklärte. 7 Ständigen Boykotten waren auch die Kaufhäuser Weißer Turm, Tietz und Zum Strauß ausgesetzt, deren Inhaberin ebenfalls Jüdin war. Bereits 1933 war daher die Belegschaft der Kaufhäuser an ihren Mann mit der Bitte herangetreten, als „Arier" die Kaufhäuser zu übernehmen, um der rund 7003
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5 6
7
Zu der reichsweiten Entwicklung vgl. v. a. Longerich, Politik, S. 27; für München siehe Schreiben der Polizeidirektion München an das bayerische Innenministerium vom 26. 5. 1935; BayHStAM/StK/6411. Der gut dokumentierte Boykott in München im Mai 1935 hat relativ breiten Eingang in die Literatur gefunden; Rappl, „Arisierungen" in München, S. 35 ff.; Hanke, Geschichte, S. 127 ff.; Kershaw, Antisemitismus. Zur Zerstörung der Israelitischen Kultusgemeinde München vgl. auch den kurz vor der Drucklegung der vorliegenden Studie erschienenen Aufsatz von Stefanie Hajak, Adresse. Brief der SA an das bayerische Innenministerium vom 29. 5. 1935; BayHStAM/StK/5618. Briefe der Polizeidirektion an das bayerische Innenministerium vom 20. und 26. 5. 1935; BayHStAM/StK/6411; Vernehmung des SS-Hauptsturmführers Friedrich Walter Müller vom 28. 5. 1935; BayHStAM/StK/5618. Uhlig, Warenhäuser, S. 87.
I. Parteirevolution
„von
unten"
33
köpfigen Belegschaft die Arbeitsplätze zu erhalten. Entsprechende Verträge wurden dann aber durch die Gauleitung boykottiert, da die Partei ihn als „ R e n o m i e r g o y " und „Judenfreund" einstufte. 8 D i e durch B o y k o t t e und diffamierende Kennzeichnung jüdischer Erwerbstätigkeit vorangetriebene Stigmatisierung und Isolierung im F r ü h j a h r 1933 bildete auch in N ü r n b e r g nur den Scheitelpunkt einer antisemitischen Welle, die wiederholt über die jüdische Bevölkerung hereinbrach. Insbesondere das einträgliche Weihnachtsgeschäft, also die traditionell umsatzstärkste Zeit für den Einzelhandel, bot der N ü r n b e r g e r Parteispitze die Möglichkeit, jüdische U n t e r n e h m e n nachhaltig zu schädigen. Im D e z e m b e r 1934 organisierte etwa Gauleiter Julius Streicher einen ausgedehnten B o y k o t t jüdischer Geschäfte, den nicht nur die Partei, sondern offensichtlich auch die Polizei mittrug. 9 Hieran beteiligten sich nicht nur die Gauleitungen, S A und SS sowie NS-Mittelstandsorganisationen wie die N S - H a g o und der „ K a m p f b u n d für den gewerblichen Mittelstand" 1 0 , sondern auch Ortsgruppen, Blockleiter sowie die N S - B a u e r n s c h a f t und das N S K K . " W i e sich die „Parteirevolution von u n t e n " auf das Interaktionsverhältnis von Partei und staatlicher Verwaltung bei der wirtschaftlichen Verfolgung auswirkte, lässt sich ebenfalls anhand der beiden Gauhauptstädte M ü n c h e n und N ü r n b e r g verdeutlichen: Lokale Funktionsträger der N S D A P drängten zum einen frühzeitig in die Schlüsselpositionen der Regierungs- und Kommunalverwaltung, sie etablierten zum anderen Parallelverwaltungen und traten durch eigenmächtige A k t i o n e n in K o n k u r r e n z zu den staatlichen Autoritäten vor O r t . Beispielhaft für die frühe Machtusurpation der N S D A P - F u n k t i o n ä r e und die damit verbundenen Gewaltaktionen ist das Vorgehen gegen J u d e n auf Messen und Märkten. D i e Eingriffe sind hier im R a h m e n der reichsweit zahlreich agierenden Sonderbeauftragten und -kommissare zu sehen, die sich in der Anfangsphase des Reiches durch die „Gleichschaltung" und „Nationalisierung" etablieren k o n n ten. 1 2 In Bayern hatte sich im M ä r z 1933 unter anderem das „Staatskommissariat
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V e r h a n d l u n g e n v o r d e r G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n wegen d e r „ H o l z a k t i o n " in N ü r n berg v o m 20. 2. und 2 8 . 2. 1939; S t A N / S t a a t s p o l i z e i s t e l l e N ü r n b e r g - F ü r t h / A r i s i e r u n g s a k ten/53; A u s f ü h r u n g e n eines R e c h t s a n w a l t s im E n t s c h ä d i g u n g s v e r f a h r e n vom 2 8 . 6. 1950; BavHStAM/EG/42307.
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R u n d b r i e f des R W M S c h a c h t an die L a n d e s r e g i e r u n g e n v o m 12. 12. 1934; B a v H S t A M / StK/6410. D e r 1932 von A d r i a n v o n R e n t e l n gegründete „ K a m p f b u n d für den g e w e r b l i c h e n M i t t e l s t a n d " w a r nicht nur aktiv an den B o y k o t t a k t i o n e n d e r M ä r z t a g e beteiligt, s o n d e r n auch m a ß g e b l i c h in die G l e i c h s c h a l t u n g der E i n z e l h a n d e l s o r g a n i s a t i o n e n involviert. R e n t e l n selber w u r d e im M a i 1933 Präsident des I n d u s t r i e - und H a n d e l s t a g e s . Im A u g u s t 1933 w u r d e der K a m p f b u n d aufgelöst u n d in die N S - H a g o ü b e r f ü h r t ; B r o s z a t , Staat, S. 2 0 8 2 1 1 ; E s e n w e i n - R o t h e , W i r t s c h a f t s v e r b ä n d e , S. 25 ff.; U h l i g , Warenhäuser, S. 8 9 f f . D i e f r ü h e K e n n z e i c h n u n g w u r d e auch in anderen R e g i o n e n des R e i c h e s v o r a n g e t r i e b e n , so etwa in W ü r t t e m b e r g u n d H o h e n z o l l e r n , w o 1935 ein V e r z e i c h n i s j ü d i s c h e r G e s c h ä f t e von der dortigen I n d u s t r i e - u n d H a n d e l s k a m m e r angelegt w u r d e ; W A B W / A 5/Bü 3 7 0 .
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Z u r R o l l e der N S K K bei der J u d e n v e r f o l g u n g vgl. H o c h s t e t t e r , M o t o r i s i e r u n g , S. 4C3 ff.; zur R o l l e der O r t s b a u e r n f ü h r e r M ü n k e l , A g r a r p o l i t i k ; dies., N S - A g r a r p o l i t i k v o r O r t .
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S o gab es etwa in H a m b u r g einen „ S t a a t s k o m m i s s a r für das S c h r e b e r - und K l e i n g a r t c n w e s e n " ; Ba|ohr, „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 71; zu allgemeinen A s p e k t e n auch R e b e n t i s c h , F ü h r e r s t a a t , S. 5 5 3 ; B r o s z a t , Staat, S. 4 3 9 .
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
für Landwirtschaft" unter Erwin Luber gebildet. Als eine seiner ersten Amtshandlungen ordnete Luber ein Verbot für den Ankauf von Waren aller Art aus „jüdischer H a n d " für das Ministerium und alle ihm untergliederten Stellen an. Im April 1933 präzisierte der Staatskommissar seinen Erlass: Größere Aufträge von behördlicher Seite bedurften nun seiner Genehmigung, während kleinere Aufträge unter strikter Berücksichtigung „arischer" Firmen von den einzelnen Landwirtschaftsstellen selbst erteilt werden konnten. 1 3 Gleichzeitig trieb Luber die Erstellung von Listen nichtjüdischer Lieferanten für landwirtschaftliche Bedarfsstoffe voran, die an die genossenschaftlichen Warenzentralen weitergegeben werden konnten. 1 4 Für antisemitische Ubergriffe auf den Märkten sorgten dann meist die durch Staatskommissar R ö h m eingesetzten Sonderbeauftragten der SA. Vor allem von März bis Juni 1933 meldeten verschiedene Ortschaften im Münchner Umland Aktionen gegen jüdische Händler und spontane Verbote für Juden auf Wochenmärkten, Messen und Jahrmärkten. 1 5 Die zahlreichen Sonderrichtlinien verschiedener Behörden über die Vergabe von Aufträgen und Erhebungen über den „rassischen Charakter" von Zulieferfirmen führten zu so gravierenden Stockungen und Stornierungen beim Warenverkehr, dass sich die bayerische Staatskanzlei schließlich zum Eingreifen veranlasst sah. Die bayerische Regierung hob die Sonderverordnung des Staatskommissars für die Landwirtschaft vom März 1933 im September desselben Jahres wieder auf. Grundsätzlich sollten zwar „christliche" Firmen bei der Vergabe von Aufträgen bevorzugt werden, Entscheidungen hierüber durften aber nur die zuständigen amtlichen Stellen treffen. Wörtlich hieß es im bayerischen Staatsanzeiger: „Schnüffeleien nach dem wahren Charakter einer Firma haben von Seiten der Vergabestellen auf jeden Fall zu unterbleiben." 1 6 Derartige Konflikte verdeutlichten das bereits früh einsetzende Kompetenzgerangel, wenn es um die für die eigene Machtstellung so wichtige Deutungshoheit über die „Judenfrage" im deutschen Wirtschaftsleben ging. 17 Sie dürfen daher auch nicht über durchaus vorhandene antisemitische Intentionen in den zuständigen Ministerien hinwegtäuschen. Zwar war die Intervention der bayerischen R e -
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Ministerialerlass des Staatskommissars für Landwirtschaft vom 26. 3. 1933 und Schreiben des Staatskommissars für die Landwirtschaft an die Landwirtschaftsstelle Regensburg vom 3. 4. 1933; BayHStAM/ML/3399. Schreiben der Genossenschaftlichen Warenzentrale Regensburg des bayerischen Bauernvereins an das bayerische Wirtschaftsministerium vom 12. 4. 1933; ebd. Schreiben des bayerischen Wirtschaftsministeriums an das bayerische Innenministerium vom 2 6 . 5 . 1 9 3 3 ; BayHStAM/ML/3399; zu den Übergriffen vgl. auch Schreiben des bayerischen Wirtschaftsministeriums an die bayerische Regierung vom 5. 10. 1937; BayHStAM/StK/6411; Schreiben des bayerischen Wirtschaftsministeriums an das Innenministerium über die Zustände im März 1933 vom 19. 4. 1933; BayHStAM/ML/3399. „Bayerischer Staatsanzeiger" Nr. 205 vom 6. 9. 1933; ebd. Martin Broszat unterscheidet in diesem Zusammenhang einen „ordnungsstaatlichen Flügel" der bayerischen Regierung, u.a. präsentiert durch Ministerpräsident Siebert und Reichsstatthalter Epp, die versuchten, die zentralistischen und autoritär-bürokratischen Kräfte des neuen Regimes zu stärken, und einen Flügel der „Aktivisten der Bewegung", u. a. vertreten durch Himmler und Gauleiter Wagner; Broszat, Reichszentralismus, S. 186; Heinz, Gaupartikularismus, S. 214.
I. Parteirevolution
„von
unten"
35
gierung in diesem Fall aufgrund der „wirtschaftlichen Schwierigkeiten" und des „absoluten Vorrangs" des Arbeitslosenproblems vor allen anderen M a ß n a h m e n erfolgt. D i e inzwischen eingerichtete Abteilung Landwirtschaft des bayerischen Wirtschaftsministeriums unter Ministerpräsident Siebert gab aber ihre judenfeindliche Einstellung nur wenige M o n a t e später klar zu erkennen, als sie die jüdische Handelssprache auf Messen und Märkten in Bayern verbot. Einzelne Gestüte und H ö f e mussten nun Rechenschaftsberichte über ihr Verkaufsgebaren ablegen. Z u d e m unterstützte das Ministerium andere Ressorts beim Vorgehen gegen jüdische Viehhändler oder forderte sie zu solchen Restriktionen auf. 1 8 A u c h in den Folgejahren forcierte das bayerische Wirtschaftsministerium Angriffe auf die jüdische Wirtschaftstätigkeit, etwa bei der Kenntlichmachung jüdischer G e schäfte. 1 9 E i n e weitere Sonderbehörde der N S D A P zur K e n n z e i c h n u n g jüdischer G e schäftstätigkeit entstand in Bayern unter Federführung des N ü r n b e r g e r Gauleiters Julius Streicher. Spezielle Verzeichnisse jüdischer Gewerbetreibender hatte die Partei bereits in den 1920er Jahren in F r a n k e n angelegt, die der Gauleiter als Vorsitzender des „Zentralkomitees für den B o y k o t t v o m 1. April 1 9 3 3 " nutzte, um damit gegen „Tarnungen" und „Täuschungsmanöver" jüdischer Betriebe vorgehen zu k ö n n e n . 2 0 Zusammen mit der N S - H a g o erstellte das Zentralkomitee B e scheinigungen über den „tatsächlichen C h a r a k t e r " der N ü r n b e r g e r Betriebe, die nichtjüdischen F i r m e n vorbehalten blieben. 2 1 Daraufhin überprüfte auch die N S H a g o Firmen und deren Gesellschafter, um sie dann gegebenenfalls als „jüdisch" einzustufen. 2 2 Z u d e m unterwarf die Gauleitung jüdische Firmen in N ü r n b e r g bereits 1933 einer besonderen Kennzeichnungspflicht. H i e r f ü r verschickte sie
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S o wies das L a n d w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m auf den V i e h h ä n d l e r E m a n u e l L . hin, der in den 1 9 2 0 e r J a h r e n eine R e i h e v o n G r u n d s t ü c k e n d u r c h Z w a n g s v e r s t e i g e r u n g s v e r f a h r e n an sich g e b r a c h t hatte. D e m J u s t i z m i n i s t e r i u m w u r d e w e g e n des V e r d a c h t s des „ K a p i t a l s c h m u g g e l s " geraten, das V e r m ö g e n des V i e h h ä n d l e r s zu b e s c h l a g n a h m e n ; S c h r e i b e n des b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s , A b t e i l u n g L a n d w i r t s c h a f t , an das b a y e r i s c h e J u s t i z m i n i s t e r i u m v o m 8. 9. 1933; zu den M a ß n a h m e n des M i n i s t e r i u m s siehe auch S c h r e i b e n an das b a y e r i s c h e W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m v o m 12. 7. 1933; S c h r e i b e n der A b t e i l u n g L a n d w i r t s c h a f t des b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s an die V e r t r e t u n g B a y e r n s im R e i c h v o m 8. 9. 1933 und S c h r e i b e n der A b t e i l u n g L a n d w i r t s c h a f t an die staatlichen L e h r a n s t a l ten f ü r W e i n - u n d O b s t b a u , N e u s t a d t an d e r H a a r d t u n d V e i t s h ö c h h e i m , v o m 16. 5. 1936; BayHStAM/ML/3399.
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S c h r e i b e n des R e f e r a t s I an das R e f e r a t II im b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m ü b e r S o n d e r b e z e i c h n u n g e n der als j ü d i s c h identifizierten E i n z e l h a n d e l s g e s c h ä f t e v o m 16. 12. 1936; B a y H S t A M / M W i / 3 7 . V e r z e i c h n i s s e in S t A N / N S - M i s c h b e s t a n d / S a m m l u n g S t r e i c h e r / 1 4 0 . S c h r e i b e n der N S D A P - G a u l e i t u n g F r a n k e n an das Z e n t r a l k o m i t e e f ü r die B o v k o t t b e w e gung; ebd.; S c h r e i b e n eines O b m a n n e s der N S - H a g o an den V o r s i t z e n d e n des „ Z e n t r a l k o m i t e e s z u r B e k ä m p f u n g der j ü d i s c h e n G r e u e l - und B o y k o t t h e t z e " v o m 5. 2. 1934; ebd. E i n e lange A u s e i n a n d e r s e t z u n g z o g sich etwa A n f a n g 1934 u m den „ C h a r a k t e r " der Fa. H . und S. A G hin. D e r dortige B e t r i e b s z e l l e n o b m a n n w e i g e r t e sich, die F i r m a als „arisch" e i n z u s t u f e n , da einer der p e r s ö n l i c h h a f t e n d e n G e s e l l s c h a f t e r und zwei leitende A n g e stellte J u d e n w a r e n . D e r B e t r i e b s z e l l e n o b m a n n war gleichzeitig O b m a n n der N S - H a g o , w e s h a l b die A n g e l e g e n h e i t dann auch b e i m Z e n t r a l k o m i t e e b e s p r o c h e n w u r d e ; B r i e f w e c h s e l in ebd.
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
Judensterne, die die Geschäftsinhaber an den Schaufenstern anbringen sollten. 23 Derartige Kennzeichnungen forcierte die N S - H a g o im Rahmen der Reichsparteitage auch in den Folgejahren. Sie vergab als eine Art nationalsozialistisches Gütesiegel Schilder mit der Aufschrift „Deutsches Geschäft", um die dann ein regelrechter, von Denunziationen begleiteter Wettkampf des Einzelhandels einsetzte. 24 Von M ä r z bis April 1934 kam es darüber hinaus im Zuge der Werbewoche der N S - H a g o zu Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte in Franken, die die nationalsozialistischen Aktivisten mit Aufenthaltsbeschränkungen für Juden in verschiedenen fränkischen Ortschaften verbanden. 2 5 Wie im gesamten Reichsgebiet hatten Mitglieder der N S - H a g o auch hier bereits seit dem Frühjahr 1933 Boykotte organisiert, die vor allem während der in Nürnberg zelebrierten Reichsparteitage extreme Ausmaße annahmen. 2 6 Im M ä r z 1934 beschwerte sich daraufhin der Verband der deutschen Wäscheindustrie, Bezirksgruppe Bayern, in einem Schreiben an die IHK München über kursierende Gerüchte, denen zufolge Käufer in jüdischen Geschäften fotografiert würden, weswegen Warenbestellungen aus Nürnberg bereits annulliert worden seien. 27 Auch die jüdische Kultusgemeinde führte Klage darüber, dass die Werbewoche der N S - H a g o zum Zweck des Boykotts gegen jüdische Geschäfte missbraucht werde. 2 8 Die IHK erhob daraufhin Einspruch und forderte in einem Rundschreiben von M ä r z 1934 die Kreis- und Ortsgruppenamtsleiter dazu auf, die Boykottaktionen gegen Juden einzustellen. 2 9 Das sich hier bereits andeutende, noch sehr spannungsreiche Verhältnis von Partei und ordnungsstaatlicher Verwaltung führte letztlich zu einer wechselseitigen Beeinflussung, an deren Ende nicht nur ein institutioneller Wandel, sondern auch eine Veränderung der sozialen Praxis der Funktionsträger auf beiden Seiten stand. 3 0 Auf Seiten der Partei machte der rasche Versuch der „Machtusurpation der N S D A P von der Straße aus" bereits im Frühjahr 1933 deutlich, dass die „Entjudung" der Wirtschaft wie kaum eine andere Unterdrückungsmaßnahme eine lokale Relevanz erlangte. 31 Das Beispiel Nürnberg veranschaulicht darüber hinaus in besonderem Maße die integrierende Wirkung der NS-Ideologie, die eine Verbindung antisemitischer und antikapitalistischer Vorstellungen mit der Hoffnung
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Erinnerungen des jüdischen Geschäftsmannes Kurt Aufochs; StadtAN/F5/QNG/544. Vgl. etwa die Querelen um einen nichtjüdischen Metzger, dem im Rahmen der Reichsparteitage auf Druck der Konkurrenz hin das Schild „Deutsches Geschäft" verweigert wurde und der daraufhin Boykotten ausgesetzt war; Schreiben des bayerischen Wirtschaftsministeriums an die bayerische Staatskanzlei vom 7. 2. 1936; BayHStAM/StK/6411. Schreiben des R W M Schacht an die Regierung von Ansbach vom 26. 3. 1934; BayHStAM/ StK/6410; Schreiben des Wirtschaftsministeriums an die bayerische Staatskanzlei vom 3. 12. 1934; ebd. Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an die bayerische Staatskanzlei vom 7. 2. 1936; BayHStAM/StK/6411. Schreiben des Verbands der Wäscheindustrie vom 14. 3. 1934; BWA/Kl/XXI 16a/l. Akte. Schreiben des bayerischen Wirtschaftsministeriums vom 26. 3. 1934; ebd. Rundschreiben der NS-Hago 13/34; ebd. Nolzen, Broszat, S. 443 ff.; Broszat, Staat, S. 438f. Broszat ging davon aus, dass die Angriffe der N S D A P letztlich zu einer Auflösung des bürokratischen Verwaltungshandelns geführt hätten. Neigenfind, Kreiswirtschaftsberater, S. 385.
I. Parteirevolution
„von
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unten"
auf Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Situation ermöglichte. D i e k o m b i nierte Vorstellung einer ö k o n o m i s c h e n und „rassischen" G e s u n d u n g des „Volksk ö r p e r s " durch E x k l u s i o n der J u d e n entfaltete bei den Parteiaktivisten s c h o n im F r ü h j a h r 1 9 3 3 ihre W i r k u n g . D e n n unverzüglich nutzte die Partei die J u d e n v e r folgung
auch zur Verfolgung
ökonomischer
Zielsetzungen.
S o forderte
die
N S D A P die I n h a b e r der K a u f h ä u s e r dazu auf, m o n a t l i c h 2 0 0 0 R e i c h s m a r k an die G a u l e i t u n g zu zahlen. Sie b r a n d m a r k t e Einheitspreisgeschäfte und Warenhäuser d a r ü b e r hinaus offiziell als „ j ü d i s c h " und strich d e m z u f o l g e sämtliche öffentlichen Aufträge, u m sie d e m E i n z e l h a n d e l vor O r t z u k o m m e n zu lassen. 1934 erz w a n g die Partei schließlich die endgültige S c h l i e ß u n g eines Kaufhauses, welches die G a u l e i t u n g als „ n i c h t a r i s c h " eingestuft hatte. D a b e i setzte sich die N ü r n b e r g e r Parteispitze auch ü b e r A n w e i s u n g e n der R e i c h s r e g i e r u n g hinweg. D i e I n t e r v e n tionen des K a u f h a u s i n h a b e r s bei der Landesregierung in M ü n c h e n blieben zunächst erfolglos. A b e r selbst als dieser eine Bestätigung des R e i c h s w i r t s c h a f t s m i nisteriums in H ä n d e n hielt, die seinen B e t r i e b als „arisch" einstufte, b o y k o t t i e r t e ihn die G a u l e i t u n g . 3 2 A u c h die K e n n z e i c h n u n g s a k t i v i t ä t e n des Z e n t r a l k o m i t e e s für den B o y k o t t am 1. April 1933 verbanden sich mit ö k o n o m i s c h e n Z i e l s e t z u n gen, die dann allerdings 1934 z u r Einstellung der T ä t i g k e i t e n des K o m i t e e s führten. K o r r u p t i o n s v o r w ü r f e hatte es s o w o h l gegenüber den Parteigenossen in den B e t r i e b e n als auch gegenüber den F u n k t i o n ä r e n des Z e n t r a l k o m i t e e s gegeben. Z u m Ä r g e r der G a u l e i t u n g stellten M i t a r b e i t e r des K o m i t e e s beispielsweise jüdischen B e t r i e b e n gegen ein entsprechendes E n t g e l d B e s c h e i n i g u n g e n aus, die diese als „ D e u t s c h e G e s c h ä f t e " auswiesen. In ganz e r h e b l i c h e m M a ß e war der Leiter des Z e n t r a l k o m i t e e s , H a n s D o l i , in derartige M a c h e n s c h a f t e n verwickelt, der sich vierstellige B e t r ä g e auf sein privates K o n t o für e n t s p r e c h e n d e B e s c h e i n i g u n g e n hatte überweisen lassen. D e n bei der N S - H a g o hauptamtlich eingestellten Parteigenossen G ö l l e r stellte eine „ j ü d i s c h e " F i r m a z u m S c h u t z v o r wirtschaftlicher Verfolgung als P r o k u r i s t e n ein, der daraufhin ebenfalls versuchte, entsprechende B e s c h e i n i g u n g e n zu erhalten. 3 3 I m J a n u a r 1934 gab die „ F r ä n k i s c h e Tageszeitung" schließlich b e k a n n t , dass B e s c h e i n i g u n g e n v o m Z e n t r a l k o m i t e e nicht m e h r ausgestellt und auch keine G ü l t i g k e i t m e h r besitzen w ü r d e n . D i e K e n n z e i c h n u n g jüdischer B e t r i e b e war davon aber nicht betroffen. Stattdessen ü b e r n a h m die G a u amtsleitung der N S - H a g o in N ü r n b e r g die V e r a n t w o r t u n g für das F i r m e n - R e g i s ter, bei der gegen eine G e b ü h r von 50 Pfennigen der „ C h a r a k t e r " einer F i r m a erfragt werden k o n n t e . 3 4 I m S e p t e m b e r 1935 wies Julius Streicher zusätzlich die N ü r n b e r g e r P o l i z e i d i r e k t i o n an, ein Verzeichnis der in N ü r n b e r g lebenden J u d e n zu erstellen. 3 5
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V e r h a n d l u n g e n v o r der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n wegen der „ H o l z a k t i o n " in N ü r n berg v o m 2 0 . 2 . und 2 8 . 2 . 1939; S t A N / S t a a t s p o l i z e i s t e l l e N ü r n b e r g - F ü r t h / A r i s i e r u n g s a k t e n / 5 3 ; A u s f ü h r u n g e n eines R e c h t s a n w a l t s im E n t s c h ä d i g u n g s v e r f a h r e n T h e o d o r H . v o m 28. 6. 1950; B a y H S t A M / E G / 4 2 3 0 7 .
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S c h r e i b e n der N S - H a g o an das Z e n t r a l k o m i t e e v o m 5. 2. 1934 und 6. 2. 1934 s o w i e B e richt des Z e n t r a l k o m i t e e s ü b e r den F u l d - K o n z e r n ; S t A N / N S - M i s c h b e s t a n d / S a m m l u n g Streicher/140. B e k a n n t m a c h u n g der „ F r ä n k i s c h e n Z e i t u n g " v o m 4. 1. 1934. O p h i r / W i e s e m a n n , G e m e i n d e n , S. 2 1 0 .
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
Bereicherungsversuche waren nicht nur im Umfeld der Nürnberger Gauleitung und der N S - H a g o zu verzeichnen. Ein Mitglied eines Münchner SS-Sturms, Wilhelm R., verdeutlicht exemplarisch die Bereicherungsversuche von Angehörigen der Münchner Schutzstaffel. D e r SS-Angehörige war Mitte der 1920er Jahre arbeitslos geworden und 1929/30 der SS beigetreten. 1933 fand er eine Anstellung beim „Völkischen Beobachter". Im April 1933 nahm sein SS-Sturm eigenmächtig Hausdurchsuchungen bei Juden vor und bestahl die Betroffenen. O p f e r eines derartigen Raubzuges war auch ein jüdischer Fabrikbesitzer - der ehemalige C h e f des SS-Mannes Wilhelm R. - bei dem die Plünderer eindrangen, Schmuck und Bargeld entwendeten und den Unternehmer zwangen, in seine Fabrik zu fahren und auch noch den dortigen Geldschrank zu leeren. 3 6 Lassen sich die hier dargestellten Charakteristika der „Parteirevolution von unten" mit den Stichworten Mobilisierung, Machterweiterung sowie Bereicherung zusammenfassen, so soll schließlich noch ein weiterer handlungsleitender Faktor hervorgehoben werden: Die Erniedrigung der jüdischen Bevölkerung durch willkürlichen Raub ihres Vermögens verband sich mit Demütigungen und schweren Verletzungen aufgrund körperlicher Gewaltanwendung. Zumindest auf Seiten der Parteiaktivisten blieben in den beiden großen bayerischen Städten diejenigen Funktionsträger maßgeblich für die „Entjudung" der Wirtschaft verantwortlich, die auch die Angriffe auf Leib und Leben der jüdischen Bevölkerung massiv vorantrieben. D e r antisemitische Handlungsdrang dieser Parteiangehörigen schlug sich in Nürnberg wie andernorts auch „in eruptiven, pogromartigen Straßenaktionen nieder, angeführt von wilden antisemitischen Hetzern wie Julius Streicher und durchgeführt von Parteiformationen und SA-Trupps". 3 7 Dass dabei körperliche Gewalt stimulierend wirkte, zeigen die von der Nürnberger SA ausgehenden Ubergriffe gegen Juden besonders deutlich. D e r vor dem Landgericht NürnbergFürth im Dezember 1948 Angeklagte Philipp Wurzbacher kann dabei als Paradebeispiel eines fränkischen SA-Führers und deren Methoden gelten. „Er stammt aus kleinen Verhältnissen", so die Urteilsbegründung des Landgerichts, „und ist durch den Umsturz nach oben gespült worden. Wohl äußerlich an Drill, aber nicht an die Maßhaltung gewöhnt, ungeistig, unbeherrscht und grausam ist es erklärlich [sie], daß er im Rausch des damaligen Geschehens die erstmalige Situation genutzt hat, sich auszutoben. Verroht, jeder menschlichen Regung unzugänglich und in der Wahl seiner Mittel ebenso erfinderisch wie sadistisch, stellt er den Typ eines rücksichtlosen Kraft- und Gewaltmenschen dar, in seiner Person selbst eine Geißel für seine Opfer und noch in ihrer Qual voll H o h n und Spott." 3 8 K o m m u nisten, Juden, Kunden jüdischer Geschäfte, sie alle wurden durch SA-Angehörige brutal misshandelt, gefoltert und mitunter bis zur Besinnungslosigkeit geprügelt. Ein Zentrum ritualisierter Gewaltanwendung der SA war die Nürnberger Kaiserburg. In mittelalterlicher Manier banden Angehörige der SA hier Gefangene an
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Urteil der 3. Strafkammer des L G München I vom 18. 6. 1954; I f Z / G m 07.94/9. Herbert, Best, S. 204; Fichtl, Wirtschaft, S. 36. Urteilsbegründung des L G Nürnberg-Fürth vom 17. 12. 1948 im Strafverfahren gegen den S A - M a n n Wurzbacher; StAN/Staatsanwaltschaft beim L G Nürnberg-Fürth/2264.
I. Parteirevolution
„von unten "
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einem in der Luft hängenden, mit zwei Seilen befestigten Brett mit dem R ü c k e n nach o b e n fest. In der A r t eines Femegerichts traten mit Kapuzen maskierte S A M ä n n e r mit Kreuzen auf die O p f e r zu, bevor sie diese brutal folterten. 3 9 A u c h andernorts traten sadistische Neigungen deutlich hervor. Im Juni 1933 trieben G e walttäter mehrere D u t z e n d Juden, wohl vor allem Geschäftsleute, die Angehörige der B ' N e i B ' R i t h L o g e waren, auf einem SA-Brigadesportplatz zusammen. Sie zwangen die Opfer, mit dem M u n d Gras zu rupfen und zusammenzutragen. A n dere mussten G r u b e n schaufeln, die von wieder anderen immer wieder zugeschüttet wurden. Anschließend wurden die jüdischen Geschäftsleute in einem Barackenlager inhaftiert. 4 0 D i e B e t o n u n g des Zusammenhangs von R a u b und physischen Ubergriffen ist vor allem aus drei G r ü n d e n für das Verständnis der wirtschaftlichen Verfolgung bedeutungsvoll. F ü r die Betroffenen waren erstens soziale Deprivationserfahrungen, ö k o n o m i s c h e Schädigungen und physische Verletzungen Teile eines E r l e b niszusammenhanges und insofern untrennbar miteinander verbunden. Zweitens wirkte auf Seiten der A k t e u r e neben ö k o n o m i s c h e n Interessen und antisemitischen Feindbildern auch das ungehemmte Ausleben derartiger Gewaltexzesse als nicht zu unterschätzendes integratives und motivierendes M o m e n t . 4 1 Drittens waren Ausplünderung, körperliche Ubergriffe, Zerstörungen von Eigentum oder B o y k o t t e gegen jüdische Erwerbstätigkeit zusammengehörige Teile einer antisemitischen Politik mit durchaus rationalem Kalkül. Dies zeigt sich nicht nur in N ü r n b e r g , w o Gauleiter Streicher und dessen Entourage derartige Übergriffe gegen J u d e n forcierten. A u c h in M ü n c h e n trieb Gauleiter Wagner Parteiangehörige zu Ausschreitungen gegen Juden an. D e m z u f o l g e war die Mobilisierung der Parteibasis bei den Ausschreitungen im F r ü h j a h r 1933 Auftakt einer bewusst kalkulierten Politik der regionalen Parteispitze, die dann - im Einklang mit der Reichsleitung - einen H ö h e p u n k t in der P o g r o m n a c h t v o m 9./10. N o v e m b e r 1938 und
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U r t e i l des L G N ü r n b e r g - F ü r t h gegen einen G e s t a p o b e a m t e n v o m 29. 11. 1948; St A N / Staatsanwaltschaft b e i m L G N ü r n b e r g - F ü r t h / 1 4 3 . Z e u g e n a u s s a g e n v o n ehemals verfolgten J u d e n ; F e s t s t e l l u n g der K r i p o N ü r n b e r g v o m 15. 11. 1 9 4 5 ; S t A N / S t a a t s a n w a l t s c h a f t b e i m L G N ü r n b e r g - F ü r t h / 2 2 6 4 ; E r i n n e r u n g e n eines j ü d i s c h e n J u s t i z r a t s ; S t a d t A N / F 5 / 4 9 4 ; M a n u s k r i p t des ehemaligen G e s c h ä f t s f ü h r e r s der Israelitischen K u l t u s g e m e i n d e , B e r n h a r d K o l b , ü b e r „ D i e J u d e n in N ü r n b e r g . T a u sendjährige G e s c h i c h t e einer J u d e n g e m e i n d e v o n ihren A n f ä n g e n bis z u m E i n m a r s c h der a m e r i k a n i s c h e n T r u p p e n " v o m 2 0 . 4 . 1 9 4 5 , S. 28; S t a d t A N / F 5 / 4 0 4 a ; v e r ö f f e n t l i c h t auch u n t e r h t t p : / / h o m e . t - o n l i n e . d e / h o m e / R I J O N U E / k o l b 0 4 . h t m l (3. 4. 2 0 0 4 ) . D i e neuere F o r s c h u n g hat hinsichtlich der A n w e n d u n g k ö r p e r l i c h e r G e w a l t v. a. die W e c h s e l w i r k u n g z w i s c h e n H i l f l o s i g k e i t des O p f e r s und M a c h t e r f a h r u n g des T ä t e r s bet o n t ; P o p i t z , P h ä n o m e n e , S. 4 5 ; S o f s k v , T r a k t a t , S. 5 6 - 5 8 und 70 ff.; ders., O r d n u n g ; vgl. auch die Ü b e r b l i c k e bei N e d e l m a n n , G e w a l t s o z i o l o g i e ; P o p i t z , P h ä n o m e n e ; eine gute Ü b e r s i c h t bietet auch R e i c h a r d t , der D e p r i v a t i o n s e r f a h r u n g e n wie A b s t i e g o d e r F r u s t r a t i o n e n , K o n f o r m i t ä t s d r u c k o d e r s i t u a t i o n s b e d i n g t e E i g e n a r t e n als A n a l y s e k r i t e r i e n einb e z i e h t ; R e i c h a r d t , K a m p f b ü n d e , S. 3 7 f f . D a b e i sollte G e w a l t a b e r o f f e n b a r nicht nur als sinnstiftendes E l e m e n t f ü r A n g e h ö r i g e der N S - G l i e d e r u n g e n dienen. V i e l m e h r lässt sich G e w a l t auch als „ k o l l e k t i v e soziale P r a x i s " b e g r e i f e n , die die N a t i o n a l s o z i a l i s t e n b e w u s s t e i n s e t z t e n , u m die „ V o l k s g e m e i n s c h a f t " d u r c h E x k l u s i o n des „ F r e m d v ö l k i s c h e n " h e r z u stellen; W i l d t , G e w a l t p o l i t i k , S. 2 5 ff.; ders., Stadt, S. 102.
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Zweites Kapitel:
NSDAP
und wirtschaftliche
Verfolgung
ihren Abschluss in den Gewaltexzessen in den Jahren 1939 bis 1941 fand. 42 Die wirtschaftliche Verfolgung war damit Teil einer antisemitischen Politik, die von Beginn des NS-Regimes an betrieben wurde, um die Realisierung ideologischer Zielsetzungen erfüllen und die Entstehung einer breiten Massenbasis fördern zu können. 43 2. Die ländlichen
Regionen
Neben den beiden bayerischen Großstädten erstreckten sich die Aktionen zur „Ausschaltung" der Juden aus dem Wirtschaftsleben auf die ländlichen Gemeinden in ganz Bayern und wurden hier, wie im städtischen Umfeld, zu einem großen Teil von Angehörigen der NS-Mittelstandsorganisationen initiiert. Dies galt auch für die unterfränkische Region Bad Kissingen/Hammelburg. So berichtete etwa die Gendarmeriestation Hammelburg an das Bezirksamt der Stadt, dass es immer wieder zu Pöbeleien gegen Käufer in jüdischen Geschäften komme. Da der „Hauptstänkerer" Reinhard E. Mitglied des „Kampfbundes für den gewerblichen Mittelstand" und zugleich SA-Mann sei, traue sich niemand, gegen ihn vorzugehen. 44 Die Motivation für derartige Aktionen holten sich die örtlichen Funktionäre offensichtlich bei sogenannten Aktionswochen des Kampfbundes beziehungsweise bei der NS-Hago. Im Rahmen einer Werbeaktion für die „zweite Arbeitsschlacht" vom 23. März bis 7. April 1933 kam es zu Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte. Vor jüdischen Läden wurden Posten aufgestellt und die Geschäfte mit Stinkbomben, Sprengkörpern und mitunter sogar mit Tränengas attackiert. 45 Neben derartigen gezielten, von der NS-Hago initiierten und durchgeführten Aktionen kam es auch im dörflichen Umfeld zur Kennzeichnung jüdischer Erwerbstätigkeit, um Geschäftsbeziehungen zwischen Juden und Nichtjuden zu unterbinden. Im Frühjahr 1934 denunzierte beispielsweise der Lehrer und Ortsgruppenleiter in Waizenbach Kunden von jüdischen Geschäften auf Plakaten als „Volksverräter". 46 Auch in einigen anderen Orten bei Bad Kissingen stellten die Ortsbauernführer derartige Schilder auf. 47 In Dittlofsroda zwangen die örtlichen Parteifunktionäre die Bevölkerung, nicht mehr beim jüdischen Fleischer, sondern in einer „arisch" geführten Metzgerei des Nachbardorfes einzukaufen. Die Um-
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Siehe hierzu auch Erster Teil, Zweites Kapitel, IV. 1.-3. der vorliegenden Untersuchung. Vgl. hierzu den grundlegenden Aufsatz von Armin Nolzen über die Funktion von Gewalt bei der Judenverfolgung 1933-1939; Nolzen, Party, S. 274. Schreiben des Gendarmeriebezirks Hammelburg an das Bezirksamt vom 1 5 . 9 . 1933; S t A W / L R A Hammelburg/5038. Rundschreiben der Regierung von Unterfranken an die Bezirkspolizeidirektionen vom 26. 3. 1934; StAW/Sammlung Schumacher/9/1. Zu den Aktionen der N S - H a g o in Hammelburg vgl. auch Schäfer, Eindringen, S. 374 ff. Schreiben der Gendarmeriestation Neuwirtshaus an das Bezirksamt Hammelburg vom 19. 4. 1934; S t A W / L R A Hammelburg/5039. Schreiben der Gendarmeriestation Burkhardroth an das Bezirksamt Bad Kissingen vom 29. 8. 1935; StAW/Sammlung Schumacher/7/3.
I. Parteirevolution
„ von unten "
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s a t z e i n b u ß e n waren so groß, dass die jüdischen I n h a b e r s c h o n 1935 ihr G e s c h ä f t schließen m u s s t e n . 4 8 B e t r a c h t e t man die Strategien z u r Verdrängung j ü d i s c h e r E r w e r b s t ä t i g e r in U n terfranken, so w e r d e n im Vergleich zu M ü n c h e n und N ü r n b e r g allerdings auch regionale U n t e r s c h i e d e bei der wirtschaftlichen „ A u s s c h a l t u n g " deutlich. D i e s gilt z u n ä c h s t im H i n b l i c k auf p h y s i s c h e Ü b e r g r i f f e , von denen die jüdische B e v ö l kerung in der R e g i o n B a d K i s s i n g e n / H a m m e l b u r g in den ersten J a h r e n der N S H e r r s c h a f t offensichtlich weit w e n i g e r b e t r o f f e n war. D a r ü b e r hinaus gilt dies für s p o n t a n e B o y k o t t a k t i o n e n und K e n n z e i c h n u n g e n , die ebenfalls deutlich seltener auftraten als in den beiden bayerischen Städten. D e r a r t i g e U n t e r s c h i e d e verweisen nicht nur auf ein S t a d t - L a n d - G e f ä l l e bei Q u a n t i t ä t und Intensität der Verfolgung. V o r h a n d e n e D i f f e r e n z e n lassen sich auch b e i m Vergleich der ländlichen R e g i o n e n nachweisen. D e n n in zahlreichen G e m e i n d e n in der U m g e b u n g von M ü n c h e n griffen D o r f b e w o h n e r früh und oft zu G e w a l t m a ß n a h m e n gegen jüdische Viehhändler. 4 9 Z u exzessiven G e w a l t a u s b r ü c h e n k a m es v o r allem in den mittelfränkischen G e m e i n d e n . W e l c h e integrative W i r k u n g die M i s c h u n g aus A n g r i f f e n gegen die j ü d i s c h e Wirtschaftstätigkeit und k ö r p e r l i c h e r G e w a l t auch bei Teilen der B e v ö l kerung entfalten k o n n t e , zeigt das Beispiel der mittelfränkischen Kleinstadt G ü n zenhausen, in der etwa 184 J u d e n w o h n t e n . 5 0 E i n J a h r nach den gewaltsamen U n ruhen im F r ü h j a h r 1933 fand hier ein P o g r o m gegen die j ü d i s c h e B e v ö l k e r u n g statt. N a c h d e m ein S A - F ü h r e r die jüdischen Wirtsleute inhaftiert, misshandelt und eine aufpeitschende R e d e v o r einer M e n s c h e n m e n g e gehalten hatte, kam es zu A u s s c h r e i t u n g e n , in deren Verlauf sich der O r t am P a l m s o n n t a g 1934 zu einem wahren „ H e x e n k e s s e l " entwickelte. In G r u p p e n von bis zu 100 P e r s o n e n z o g e n G u n z e n h a u s e n e r B ü r g e r durch die Stadt, warfen Schaufenster der jüdischen G e schäfte ein und b e s c h i m p f t e n die j ü d i s c h e B e v ö l k e r u n g wüst. D e r M o b zerrte die j ü d i s c h e n B ü r g e r schließlich aus ihren H ä u s e r n und misshandelte sie z u m Teil schwer. W ä h r e n d einige J u d e n zu T o d e geprügelt wurden, wählten andere im A n gesicht der j o h l e n d e n M e n g e den F r e i t o d . Insgesamt sollen an den brutalen Ü b e r griffen etwa 1 0 0 0 - 1 5 0 0 P e r s o n e n beteiligt gewesen sein, also ein Viertel bis ein F ü n f t e l sämtlicher E i n w o h n e r der Kleinstadt. 5 1
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E i d e s s t a t t l i c h e V e r s i c h e r u n g im E n t s c h ä d i g u n g s v e r f a h r e n des M e t z g e r s M o s e s G . v o m 29. 5. 1957; B a y H S t A M / B E G / 4 8 6 3 6 . Z u den U b e r g r i f f e n gegen j ü d i s c h e E r w e r b s t ä t i g e in den G e m e i n d e n u m M ü n c h e n vgl. S c h r e i b e n des b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t c r i u m s an das b a v e r i s c h e I n n e n m i n i s t e r i u m v o m 1 9 . 4 . 1933; B a y H S t A M / M L / 3 3 9 9 ; S c h r e i b e n der N S D A P - G a u l e i t u n g M ü n c h e n O b e r b a y e r n an das B e z i r k s a m t M ü n c h e n v o m 2 4 . 10. 1935; S t A M / L R A / 5 8 1 2 8 ; S c h r e i b e n eines R e c h t s a n w a l t s an das B L E A v o m 7. 2. 1957 und Z e u g e n v e r n e h m u n g des A m t s g e richts W o l f r a t s h a u s e n am 2 4 . 4. 1963; B a v H S t A M / E G / 9 3 5 8 1 ; V e r m e r k der P o l i z e i d i r e k t i o n M ü n c h e n v o m 6. 7. 1933; S t A M / P o l i z e i d i r e k t i o n / 1 2 5 4 4 . E x e m p l i f i z i e r e n d w u r d e das Beispiel G ü n z e n h a u s e n in der L i t e r a t u r ö f t e r aufgegriffen; vgl. hierzu u n d im F o l g e n d e n v. a.: K e r s h a w , A n t i s e m i t i s m u s , S. 2 9 5 f.; O p h i r / W i e s e m a n n , G e m e i n d e n , S. 189. A l l e r d i n g s blieb der P o g r o m in G ü n z e n h a u s e n auch im stark antisemitisch geprägten M i t t e l f r a n k e n in seinen exzessiven A u s m a ß e n eine A u s n a h m e e r s c h e i n u n g . D i e R ä d e l s f ü h r e r d e r S A w u r d e n sogar v o r G e r i c h t gestellt, das sie in d e r ersten I n s t a n z verurteilte, auf-
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
Offensichtlich war die antisemitische Atmosphäre in der unterfränkischen Region weniger aufgeheizt als in einigen oberbayerischen und mittelfränkischen G e meinden. 5 2 J e nach den regionalen Bedingungen konnte das Pendel also mehr oder wenigerstark zuungunsten der jüdischen Bevölkerung ausschlagen. Ausschlaggebend war hierfür sicherlich auch die Haltung der Parteispitze und der Garde der „Alten Kämpfer". Inwieweit die antisemitische Einstellung der Gauleiter Einfluss auf den Radikalisierungsgrad der lokalen Parteifunktionäre hatte, geht aus den Quellen zwar nicht eindeutig hervor, sie liefert aber eine Erklärung für die G e waltexzesse in Mittelfranken und die Ubergriffe in unmittelbarer Nähe zur „Hauptstadt der Bewegung" München. Die dortigen Parteiführer Streicher und Wagner waren nicht nur besonders leidenschaftliche Antisemiten, sie verfügten im Gegensatz zum unterfränkischen Gauleiter Hellmuth auch über entscheidenden Einfluss in der Parteihierarchie. Das Augenmerk auf einige maßgeblich an dem wirtschaftlichen „Ausschaltungsprozess" beteiligte Parteifunktionäre darf allerdings nicht zu der Annahme verleiten, die Verfolgung sei nur von wenigen NSDAP-Funktionsträgern durchgeführt worden. Wie bereits gezeigt, mobilisierten Boykotte, Übergriffe und Plünderungen zahlreiche Angehörige nahezu aller Parteigliederungen. Es führt aber die stark personenbezogene Ausprägung der „Ausschaltung" vor Augen, die seit dem Frühjahr 1933 immer wieder zutage trat.
II. Wirtschaftliche Verfolgung als Mittel gauspezifischer Regionalpolitik? Zur Bedeutung der Gauleiter und ihrer Entourage In allen drei Gauen diente jüdisches Vermögen als ein regionalpolitisches Machtmittel in der Hand der Gauleiter. Die durch die Ausplünderung der Juden freigewordenen Gelder und Sachwerte galten als eine Möglichkeit zur infrastrukturellen Verbesserung der jeweiligen Region. In Unterfranken war es der „Dr. Hellmuth Plan", der aus dem „tausendjährigen Notstandsgebiet" R h ö n durch den A n bau von Saatgut ein „Kartoffelsanatorium" machen sollte. Ü b e r spezielle Konten bezuschusste der dortige Gauwirtschaftsberater tatsächlich das Projekt aus „Arisierungsmitteln". 5 3 Ahnliches galt für München und Nürnberg. In beiden Städten diente der Raub jüdischen Vermögens nach Darstellung der lokalen Gliederungen
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grund eines Revisionsverfahrens kamen sie aber letztlich auf freien Fuß; Schreiben eines R R an einen MinDir. vom 26. 3. 1934; BayHStAM/MA/106410; Schreiben des Bezirksamts Günzenhausen an die Bayerische Politische Polizei vom 11. 11. 1935; S t A N / L R A Gunzenhausen/Abg. 1961/4603; Halbmonatsbericht des Regierungspräsidenten von O b e r - und Mittelfranken vom 2 1 . 7 . 1934; Broszat/Fröhlich/Wiesemann, Bayern, S. 440; Kershaw, Antisemitismus, S. 295 f. Die I R S O war der Meinung, die Viehhändler in Oberbayern hätten sich generell keiner Beliebtheit erfreut, und diese Tatsache sei dann von den Nazis aufgegriffen worden; Schreiben der I R S O an die W B I vom 14. 1. 1952; S t A M / W B I/a/3065/Nr. 10. Zur propagandistischen Aufarbeitung vgl. etwa Krauß, N o t , S. 301 ff. Zum „HellmuthPlan" allgemein siehe Hohmann, Landvolk; zu „Hellmuth-Plan" und „Arisierung" vgl. Erster Teil, Zweites Kapitel, IV.3. der vorliegenden Studie.
II. Wirtschaftliche
Verfolgung
als Mittel gauspezifischer
Regionalpolitik?
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der N S D A P d e m A u s b a u der I n f r a s t r u k t u r , e t w a in F o r m e i n e r G a u - U n i v e r s i t ä t oder speziellen G a u s c h u l e n . 5 4 A u c h w e n n d e r a r t i g e A n g a b e n ü b e r die V e r w e n d u n g j ü d i s c h e n V e r m ö g e n s o f t n u r d e n R a u b z u g z u e i g e n e n G u n s t e n v e r d e c k e n s o l l t e n , s o v e r w e i s e n sie d o c h auf einen w i c h t i g e n A s p e k t der V e r f o l g u n g : ihre B i n d u n g an k o n k r e t e l o k a l e u n d r e g i o n a l e Z u s a m m e n h ä n g e . Sie e r k l ä r t a u c h die b e s o n d e r e A u f m e r k s a m k e i t , die die G a u l e i t e r d e r w i r t s c h a f t l i c h e n V e r f o l g u n g s c h e n k t e n . O t t o H e l l m u t h
ver-
suchte e b e n s o wie Julius Streicher und A d o l f W a g n e r auch u m den Preis erheblic h e r K o m p e t e n z ü b e r s c h r e i t u n g e n , die F e d e r f ü h r u n g bei d e r w i r t s c h a f t l i c h e n V e r f o l g u n g in d e n H ä n d e n z u b e h a l t e n . D i e F r a g e , i n w i e w e i t sich die drei G a u l e i t e r bei d e r „ A u s s c h a l t u n g " d e r J u d e n aus d e m W i r t s c h a f t s l e b e n d a b e i d u r c h s e t z e n k o n n t e n , ist u n t e r m e h r e r e n A s p e k t e n b e d e u t u n g s v o l l . Z u n ä c h s t zielt sie auf die r e g i o n a l e A u s p r ä g u n g d e r „ J u d e n p o l i t i k " . A n g e s i c h t s d e r o f t m a l s als „ B ü r o k r a t i sierung" beschriebenen und durch Massenzulauf gekennzeichneten Entwicklung der N S D A P in d e n e r s t e n J a h r e n des R e g i m e s w a r e n die F u n k t i o n s t r ä g e r d e r G a u l e i t u n g e n Teil eines k o m p l e x e n , a u c h i n n e r p a r t e i l i c h w i r k s a m e n I n t e r a k t i o n s g e f l e c h t s r i v a l i s i e r e n d e r R e g i o n a l i n t e r e s s e n , in d e m die G a u l e i t e r d e n e i g e n e n M a c h t a n s p r u c h g e g e n z a h l r e i c h e K o n k u r r e n t e n erst e i n m a l d u r c h s e t z e n
muss-
t e n . 5 5 E i n f l u s s auf d e n P r o z e s s d e r w i r t s c h a f t l i c h e n V e r f o l g u n g h a t t e n d a h e r s o w o h l i h r e S t e l l u n g i m i n s t i t u t i o n e l l e n G e f ü g e des Staates u n d in der P a r t e i h i e r a r c h i e als a u c h das G e w e b e der N e t z w e r k e aus „ A l t e n K ä m p f e r n " u n d G e t r e u e n , die sie u m g a b e n . D e r F ü h r u n g s a n s p r u c h der G a u l e i t e r bei d e r N S - J u d e n v e r f o l g u n g w e i s t d a r ü b e r h i n a u s w e i t ü b e r r e g i o n a l e G r e n z e n hinaus. D e n n die f ü r m e h rere G a u e b e r e i t s f e s t g e s t e l l t e D y n a m i k d e r r e g i o n a l e n P a r t e i s p i t z e im V e r f o l g u n g s p r o z e s s k o n n t e die G a u l e i t e r a u c h in K o n f l i k t m i t der e h e r a u f w i r t s c h a f t l i c h e R ü c k s i c h t n a h m e b e d a c h t e n R e i c h s r e g i e r u n g b r i n g e n . D i e M a c h t s t e l l u n g der G a u l e i t e r h a t t e s c h l i e ß l i c h a u c h E i n f l u s s auf die V e r w e n d u n g d e r „ A r i s i e r u n g s g e l d e r " . Sie k o n n t e n - j e n a c h D u r c h s e t z u n g s f ä h i g k e i t der P a r t e i s p i t z e - v o r w i e g e n d der B e f r i e d i g u n g r e g i o n a l e r S o n d e r i n t e r e s s e n d i e n e n u n d s o m i t ein g a u - o d e r ortsspezifisches Lokalkolorit etablieren.56
1. Der Gau
Franken
In N ü r n b e r g v e r b a n d e n sich P e r s o n e n k u l t , J u d e n h a s s u n d d e m o n s t r a t i v e s r e g i o nales S e l b s t b e w u s s t s e i n in der P e r s o n J u l i u s S t r e i c h e r s . In b e s o n d e r e m
Maße
zielte die A u ß e n d a r s t e l l u n g h i e r a u f die e x p o n i e r t e S t e l l u n g F r a n k e n s i m N S H e r r s c h a f t s s y s t e m , b e g r ü n d e t m i t d e n g r o ß e n „ V e r d i e n s t e n " S t r e i c h e r s in d e r „ J u d e n f r a g e " . 5 7 U n t e r s t r i c h e n d u r c h die s e l b s t g e w ä h l t e B e z e i c h n u n g
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„Franken-
Erster Teil, Zweites Kapitel, IV. 1. und 2. der vorliegenden Studie. Zur Bürokratisierung der Partei in der Anfangsphase des Regimes vgl. Nolzen, Organisation, S. 68; ders., Funktionäre, S. 70. Zur Diskussion über den „regionalen Blickwinkel" auf die Herrschaft der N S D A P vgl. auch Blessing, Diskussionsbeitrag, S. 48; Ziegler, Gaue, S. 139 ff. Preiß, Franken; vgl. aber auch die von Reinhold Schaffer 1936 verfasste Schrift über die Geschichte der Juden in Nürnberg; Stadt A N / E / 1 0 / 2 5 / 4 .
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
Führer" präsentierte sich der Nürnberger Gauleiter selbst und nicht den Reichskanzler als Identifikationsfigur und gleichzeitig als Erlöser von der „jüdischen G e f a h r " . 5 8 Dieses offen zur Schau gestellte regionale Selbstbewusstsein hatte für den Prozess der wirtschaftlichen Ausgrenzung einschneidende Folgen. Julius Streicher gehörte zum Typ des „Tyrannen", der seine Macht vor allem auf die in der „Kampfzeit" erworbenen Meriten stützte. 5 9 D e r 1890 in Fleinhausen bei Nürnberg geborene Gauleiter, von Beruf eigentlich Lehrer, hatte 1921 mit der Parteimitgliedsnummer 17 die N S D A P - O r t s g r u p p e in Nürnberg gegründet und sich seitdem immer wieder Verdienste um die „Bewegung" erworben, die Hitler bis Anfang 1940 mit einer Art Nibelungentreue und in den 1920er Jahren sogar mit einer Erwähnung in „Mein K a m p f " belohnte. 6 0 Seine Bedeutung in der Frühphase der N S D A P und die Rückendeckung Hitlers verstärkten Streichers Abgrenzungsbestrebungen gegenüber der Reichsleitung der N S D A P . E r hatte daher auch nach der „Machtergreifung" hohe, aber eben nicht eines der höchsten Parteiämter inne, obwohl er, wie viele andere Gauleiter auch, zu Hitlers Paladinen der ersten Stunde gehörte. 6 1 Diese ambivalente Stellung im NS-Herrschaftsgefüge beflügelte seinen wohl pathologisch zu nennenden Antisemitismus zusätzlich. Die „Gegnerverfolgung" war für Streicher nicht nur O b session, sondern auch Legitimation seiner Macht im Regime. Wie es der Gauleiter einmal formulierte, war der „Kampf gegen das J u d e n t u m " seine hauptsächliche Lebensaufgabe. Nicht nur er selbst, auch andere Parteigrößen des Gaues verwiesen auf die besondere Bedeutung Frankens für die „Judenfrage" und leiteten aus dieser Tatsache spezielle Befugnisse ab. Nürnberg hatte damit nicht nur als „Stadt der Reichsparteitage", sondern auch als „Hauptstadt des Antisemitismus" eine zentrale Bedeutung, wodurch sie und ihr Gauleiter sich deutlich von anderen Städten des Reiches abhoben. 6 2 Streichers Sonderstellung äußerte sich auch in seiner besonderen Beziehung zu den mittelfränkischen Verwaltungsbehörden. Im Gegensatz zu anderen bayerischen Gauleitern wollte Streicher nach der Machtergreifung kein Staatsamt über-
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Hiemer, Giftpilz, S. 64; Bauer, Bilderbuch; G o t t o , Gauleiter, S. 89. Zu den Gauleitern und zur regionalgeschichtlichen Relevanz des N S im Allgemeinen vgl. Hüttenberger, Gauleiter; Noakes, Viceroys, S. 1 1 8 - 1 2 6 ; Szejnmann, Verwässerung; Schneider, Nationalsozialismus, S. 426 f.; Düwell, Gauleiter, S. 171; Heinz, Gaupartikularismus, S. 213; Schaarschmidt, Regionalität; J o h n , Gaue. Besonders hob Hitler die Verdienste Streichers in der Anfangszeit der Bewegung hervor. V.a. Streicher sei es zu verdanken, dass aus den vielen völkischen Splittergruppen eine handlungsfähige Partei hervorgegangen sei; Hitler, Kampf, S. 575. Zum frühen Wirken Streichers vgl. auch Hamprecht, Aufstieg, S. 111 ff.; Müller, Geschichte, S. 187ff.; vgl. auch die kurzen Uberblicke bei Pätzold, Julius Streicher; Auerbach, Wurzeln, S. 77 f. Die Autarkiebestrebungen und die Frontstellung der Gauleiter zur Zentralgewalt werden v. a. von Hüttenberger herausgehoben; Hüttenberger, Gauleiter, S. 59 und 74; zur sakrosankten Stellung der Gauleiter siehe auch R o t h , Parteikreis, S. 111. Für die bayerischen Gauleiter siehe Ziegler, Gauleiter, S. 434. Baird, Testament; eidesstattliche Aussage Leopold S.s vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal am 1 1 . 1 2 . 1945; StAN/KV-Anklagedokumente/PS/3368/Umdrucke englisch.
II. Wirtschaftliche
Verfolgung
als Mittel gauspezifischer
Regionalpolitik?
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n e h m e n . 6 3 S e i n e r A b n e i g u n g g e g e n ü b e r der s t a a t l i c h e n V e r w a l t u n g u n d d e r „ V e r b o h r t h e i t " i h r e r B e a m t e n s c h a f t , die s e i n e r M e i n u n g n a c h d e r D y n a m i k d e r B e w e g u n g bei d e r J u d e n v e r f o l g u n g e n t g e g e n s t a n d e n , ließ der G a u l e i t e r i m m e r w i e d e r f r e i e n L a u f . 6 4 D i e s e f e h l e n d e i n s t i t u t i o n e l l e R ü c k e n d e c k u n g d u r c h ein S t a a t s a m t b e e i n f l u s s t e die w i r t s c h a f t l i c h e n „ A u s s c h a l t u n g s p r o z e s s e " in z w e i f a c h e r W e i s e . Sie v e r s t ä r k t e e r s t e n s generell den v e h e m e n t v e r t r e t e n e n A n s p r u c h auf die a b s o lute V o r m a c h t s t e l l u n g in F r a n k e n 6 5 , den er u n t e r a n d e r e m d u r c h a n t i s e m i t i s c h e n A k t i o n i s m u s zu b e g r ü n d e n s u c h t e u n d der i h m w e g e n der b r u t a l e n V o r g e h e n s w e i s e den B e i n a m e n „ B l u t i g e r Z a r v o n F r a n k e n " e i n b r a c h t e . E s gelang i h m z w e i tens a u c h , die s t a a t l i c h e R e g i o n a l v e r w a l t u n g u n d d a m i t w i c h t i g e G e n e h m i g u n g s i n s t a n z e n bei der „ E n t j u d u n g " d e r W i r t s c h a f t v o l l s t ä n d i g u n t e r die K o n t r o l l e d e r N S D A P zu z w i n g e n u n d sie - w i e dies ein W e g g e f ä h r t e S t r e i c h e r s nach d e m K r i e g f o r m u l i e r t e - z u „ w i l l e n l o s e n W e r k z e u g e n " zu m a c h e n , o h n e sich s e l b e r in die staatliche Autoritätshierarchie einzufügen. Eindrucksvolles Beispiel für Streichers U m g a n g m i t den V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n ist sein V e r h ä l t n i s zu d e m i h m treu erg e b e n e n R e g i e r u n g s p r ä s i d e n t e n H a n s D i p p o l d , den er in aller Ö f f e n t l i c h k e i t w ü s t b e s c h i m p f t e u n d w ä h r e n d eines R e i c h s p a r t e i t a g s u n t e r den A u g e n der S p i t z e der Reichspartei körperlich züchtigte.66 D i e B e d e u t u n g , die sich der G a u l e i t e r in der „ J u d e n f r a g e " s e l b s t z u m a ß , e n t s p r a c h der A u ß e n w i r k u n g , die die a n t i s e m i t i s c h e n A k t i o n e n in M i t t e l f r a n k e n erz e u g t e n . S o w a r die K r i t i k der R e i c h s m i n i s t e r i e n an den Z u s t ä n d e n in N ü r n b e r g stets m i t der P e r s o n des G a u l e i t e r s v e r b u n d e n . In den T a g e b u c h e i n t r ä g e n
von
J o s e p h G o e b b e l s t a u c h t der N a m e J u l i u s S t r e i c h e r als u n l i e b s a m e r S t ö r e n f r i e d
Die Gauleiter von Mainfranken und Schwaben, Hellmuth und Wahl, waren jeweils Regierungspräsidenten, der oberbayerische Gauleiter Wagner war bayerischer Innen- und Kultusminister; Ziegler, Gauleiter, S. 439ff.; Ziegler, Selbstverständnis, S. 100. 6 4 So konstatierte er in einer Rede am 8. Juli 1933: „Es gibt immer noch Beamte, die glauben, die Bekämpfung der Juden nicht mitmachen zu brauchen oder die diese Bekämpfung sabotieren, Beamte mit verkalkten Hintern, die immer noch glauben, die Juden schützen zu müssen. Dort wird immer auf Paragraphen verwiesen. Wir können uns nicht an Paragraphen halten, wir haben uns nur an den Auftrag des Führers zu halten, die Juden zu bekämpfen und nicht zu unterstützen." Zitiert nach Diehl-Thiele, Partei, S. 94. ( ' 5 Dies wurde bereits dadurch deutlich, dass er nicht in der Verwaltungshauptstadt des Regierungsbezirkes Ansbach residierte, sondern in der von ihm selbst ernannten „Gauhauptstadt" Nürnberg; Ziegler, Gauleiter, S. 443. 6 6 Spruch der Spruchkammer München, Außenstelle Nürnberg, vom 1. 8. 1950 im Zuge der Verhandlung gegen Kar] Holz; StAN/Spruchkammer Nürnberg-Lager/H 151; eidesstattliche Erklärung Prof. Friedrich L.s vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal am 28. 11. 1945; StAN/KV-Anklagedokumente/PS/3250/Umdrucke englisch; Deutinger, Regierungspräsidenten, S. 391. Nachdem am 16. April 1933 bereits Gustav Rohmer in den Ruhestand versetzt wurde, musste auch dessen Nachfolger Georg Hofmann 1934 den Hut nehmen, da er zu den parteiinternen Gegnern Streichers gehörte. Bezüglich des ehemaligen Regierungspräsidenten Mittelfrankens Georg Hofmann siehe BayHStAM/MF'/Personalakten Georg Hofmann; Brief des Präsidenten der I H K Nürnberg an das baverische Wirtschaftsministerium vom Juli 1937; BayHStAM/StK/6715; eidesstattliche Erklärungen Prof. Friedrich L.s vom 28. 11. 1945 und Georg G.s vom 11. 12. 1945 vor dem Nürnberger Kriegs Verbrechertribunal; StAN/KV-Anklagedokumente/PS/3250/Umdrucke englisch und 3345/Umdrucke englisch. 63
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
wiederholt auf. I m M ä r z 1936 echauffierte sich der Propagandaminister über den N ü r n b e r g e r Gauleiter im Zusammenhang mit den „niveaulosen Tiraden des Stürm e r " . 6 7 I m Juli 1936 vertraute er anlässlich einer R e d e des N ü r n b e r g e r Gauleiters seinem Tagebuch an: „Eine Burleske! Ja, er ist und bleibt ein enfant t e r r i b l e . " 6 8 Anlässlich Streichers U m g a n g mit der Presse wurde G o e b b e l s deutlicher, als er seinen N o t i z e n hinzufügte: „Streicher muss zur O r d n u n g gerufen werden [ . . . ] . E r ist ein ewiger R a b a u t z . " 6 9 Zu solchen U n m u t s ä u ß e r u n g e n führte vor allem die erhebliche Offentlichkeitswirksamkeit, die Streicher mit seinen brutalen A k t i o n e n erzeugte. Entsprechend gereizt reagierte etwa der Reichsinnenminister auf die I n haftierung der Geschäftsleute und Mitglieder der B ' n e i B ' R i t h L o g e im S o m m e r 1933 in N ü r n b e r g , die auch in der amerikanischen Presse A u f m e r k s a m k e i t erregt e n . 7 0 Ahnlich verärgert zeigte sich Reichswirtschaftsminister H j a l m a r Schacht auf Streichers W e i h n a c h t s b o y k o t t z u m Jahreswechsel 1 9 3 4 / 3 5 . I m N o v e m b e r desselben Jahres machte Schacht die Landesregierungen auf die Bedeutung und N o t w e n d i g k e i t eines ungestörten Weihnachtsgeschäftes aufmerksam. 7 1 Als der N ü r n b e r g e r Gauleiter keine Anstalten machte, derartigen H i n w e i s e n F o l g e zu leisten, wandte sich der Minister erneut an die Landesregierungen, um eigenmächtige A k t i o n e n zu unterbinden. 7 2 Sogar das bayerische Wirtschaftsministerium rügte im D e z e m b e r 1934 die permanenten Übergriffe in F r a n k e n . 7 3 A b e r nicht nur bei Kabinettsmitgliedern verhärtete sich der E i n d r u c k eines machtbesessenen und unkontrollierbaren Störenfrieds. A u c h in Teilen der N ü r n berger B e v ö l k e r u n g prägte offensichtlich die Allmacht des Gauleiters das Gesicht der N S D A P und weniger der weit entrückte „ F ü h r e r " . So vermittelte Streicher den E i n d r u c k , er selbst sei der alleinige H e r r s c h e r von F r a n k e n und sein Wort stehe im Zweifelsfall auch über dem der Reichsspitze der N S D A P 7 4 W i e sehr Streicher tatsächlich die „Judenpolitik" und damit einen entscheidenden F a k t o r der gesamten G a u p o l i t i k in F r a n k e n dominieren k o n n t e und wie sehr sich dort latent schwelende Konfliktstrukturen an der Person des Gauleiters entzündeten, zeigen die J a h r e 1939 und 1940 besonders deutlich. Vor allem aufgrund seiner eigenmächtigen Vorgehensweise bei dem R a u b jüdischen Vermögens, das er ausschließlich für die fränkischen Gliederungen der N S D A P zu nutzen trachtete, war
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74
Eintrag vom 4. 3. 1936; Goebbels, Tagebücher, Teil I, Band III/2, S. 32. Eintrag vom 5. 7. 1936; ebd. S. 125. Eintrag vom 5 . 1 1 . 1 9 3 6 ; ebd. S. 238. Brief des Reichsinnenministers an die bayerische Staatskanzlei vom 5 . 8 . 1933; BayHStAM/StK/6410. Rundbrief Schachts an die Landesregierungen vom 13. 11. 1934; B a y H S t A M / M W i / 3 5 . Rundbrief Schachts an die Landesregierungen vom 12. 12. 1934; B a y H S t A M / S t K / 6 4 1 0 . Schreiben des bayerischen Wirtschaftsministeriums an die bayerische Staatskanzlei vom 3. 12. 1934; B a y H S t A M / S t K / 6 4 1 0 . So erinnert sich ein Zeitzeuge, Streicher habe 1935 konstatiert, er gebe in Franken die Befehle und niemand anderer. Darüber hinaus habe der Gauleiter die Auffassung vertreten, er lasse sich nicht einmal vom Führer abwählen, dies könne nur das Volk; eidesstattliche Versicherung Leopold S.s während des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses vom 11. 12. 1945; StAN/KV-Anklagedokumente/PS/3368/Umdrucke englisch; zur Bedeutung der Gauleiter für die Bevölkerung der Regionen siehe auch Düwell, Gauleiter, S. 162.
IL Wirtschaftliche
Verfolgung als Mittel gauspezifischer
Regionalpolitik?
47
er nicht nur führenden N a t i o n a l s o z i a l i s t e n ein D o r n im A u g e . 7 5 A u c h regionale Spitzen aus Staat und Partei, allen voran Kräfte innerhalb der G e s t a p o , arbeiteten in N ü r n b e r g verdeckt auf seine A b s e t z u n g hin. I m H e r b s t 1 9 3 9 erreichte das K o m p e t e n z g e r a n g e l im R a h m e n der wirtschaftlichen Verfolgung durch eine von G ö r i n g gegen Streicher eingesetzte S o n d e r k o m m i s s i o n einen vorläufigen H ö h e p u n k t , der N ü r n b e r g nicht nur zu einem Sonderfall bei der wirtschaftlichen Verfolgung machte, s o n d e r n letztlich Streichers Sturz im J a h r 1941 h e r b e i f ü h r t e . 7 6 Fragt man nach einer gauspezifischen Prägung der wirtschaftlichen Verfolgung, so ist also zunächst auf die hier deutlich zutage tretende, stark auf die E i n z e l p e r sönlichkeit des Gauleiters ausgerichtete H e r r s c h a f t s p r a x i s bei der J u d e n v e r f o l gung auf Seiten der N S D A P zu verweisen. D i e s e r E i n d r u c k verstärkt sich bei der B e t r a c h t u n g der neben Streicher für die A u s p l ü n d e r u n g der jüdischen B e v ö l k e rung zuständigen P a r t e i f u n k t i o n ä r e . A h n l i c h wie in anderen G a u e n auch scharte Julius Streicher einen engen Kreis von Vertrauten u m sich, der ihm nicht nur die eigenen M a c h t a n s p r ü c h e innerhalb der N S D A P und gegenüber der fränkischen B e v ö l k e r u n g d u r c h z u s e t z e n verhalf, sondern der auch bei den
ausgedehnten
R a u b z ü g e n eine m a ß g e b l i c h e R o l l e spielte. 7 7 E i n e genaue B e s t i m m u n g dieser E n tourage s t ö ß t z w a r auf Schwierigkeiten, da die A n z a h l der P e r s o n e n , die das N e t z w e r k u m J u l i u s Streicher spannten, nicht vollständig zu identifizieren ist und auch die Intensität der B i n d u n g an den „ F r a n k e n f ü h r e r " nicht i m m e r klar z u m Vorschein k o m m t . E i n i g e b e s o n d e r e M e r k m a l e lassen sich aber d e n n o c h ausmachen.78 Bei der A u s p l ü n d e r u n g der jüdischen B e v ö l k e r u n g vertraute Streicher vor allem Weggefährten, die oftmals in der unmittelbaren U m g e b u n g von N ü r n b e r g g e b o r e n , aufgewachsen und in fast jedem Fall ihre ersten S p o r e n für die N S D A P oder andere völkische B e w e g u n g e n lange v o r 1933 e r w o r b e n hatten. D e n K e r n dieser E n t o u r a g e bildeten der stellvertretende G a u l e i t e r von N ü r n b e r g ,
Karl
H o l z , und der A d j u t a n t Streichers, H a n s K ö n i g . I m V o l k s m u n d wurde diese G r u p p e ihrer M a c h t f ü l l e entsprechend „Dreigestirn am F r a n k e n h i m m e l "
ge-
n a n n t . 7 9 Karl H o l z ' Parteiprofil - durchaus typisch für die F u n k t i o n s t r ä g e r der N S D A P in F r a n k e n - wies Ä h n l i c h k e i t e n mit d e m seines Vorgesetzten Julius Streicher auf. D e r am 2 7 . D e z e m b e r 1895 g e b o r e n e gelernte B u c h h ä n d l e r trat der
75
76 77
Z u Streichers Verhältnis zu den anderen G a u l e i t e r n B a v e r n s vgl. auch Ziegler, Gauleiter, S. 4 4 3 . Z u r „ H o l z a k t i o n " vgl. E r s t e r Teil, Z w e i t e s Kapitel, IV.2. der v o r l i e g e n d e n Studie. A u f die B e d e u t u n g der s o g e n a n n t e n G a u c l i q u e für die M a c h t s i c h e r u n g und den M a c h t erhalt der G a u l e i t e r ist bereits häufig hingewiesen w o r d e n ; S c h m i d t , M o t i v e n ; D ü w e l l , Gauleiter, S. 171; H e i n z , N S A D P , S. 8; N o a k e s , V i c e r o y s , S. 136.
78
E s w u r d e n die D a t e n v o n 23 P a r t e i f u n k t i o n ä r e n ermittelt, die zentral in den A u s p l ü n d e r u n g s p r o z e s s eingeschaltet waren, w o b e i sich die E r h e b u n g e n v. a. auf den B e s t a n d des e h e m a l i g e n B D C im B A B b e z i e h e n , bzw. auf die d u r c h die G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n erhobenen Daten.
79
S p r u c h der S p r u c h k a m m e r M ü n c h e n , A u ß e n s t e l l e N ü r n b e r g , v o m 1 . 8 . 1950; St A N / S p r u c h k a m m e r N ü r n b e r g - L a g e r / H 151; eidesstattliche E r k l ä r u n g G e o r g G . s v o r dem N ü r n b e r g e r T r i b u n a l v o m 7. 12. 1945; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u m e n t e / P S / 3 3 4 5 / U m d r u c k e englisch; A r t i k e l des J o u r n a l i s t e n F r i t z N a d l e r von 1967: Z w i s c h e n S v n a g o g e n a b b r u e h und R e i c h s k r i s t a l l n a c h t 1938; S t a d t A N / F 5 / 4 0 8 .
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
N S D A P mit der Mitgliedsnummer 77 bei. A b 1925 fungierte der spätere Träger des Goldenen Parteiabzeichens als Landtagsabgeordneter und zwei Jahre später als Stellvertreter des Gauleiters. 8 0 Was ihn aber vor allem mit dem Gauleiter verband, war die finanzielle Abhängigkeit von der Partei. Nachdem er bereits seit den 1920er Jahren hauptamtlich für die Partei gearbeitet hatte, avancierte er 1933 zum Hauptschriftleiter des „Stürmer" und bestritt - wie Streicher auch - mit antisemitischer Propaganda seinen Lebensunterhalt. In dieser Position brachte er es auf ein jährliches Einkommen von fast 7 7 0 0 0 Reichsmark. 8 1 Einige der später maßgeblich an der „Arisierung" jüdischen Vermögens beteiligten Akteure, die zur engeren Führungsspitze der Partei gehörten, hatten vor der „Machtergreifung" ebenfalls mit gravierenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. 8 2 „Altparteigenossen" wie der Hauptstellenleiter der N S D A P Eugen Leissing, der Gauinspektor Friedrich Ritter oder der SA-Standartenführer Philipp Wurzbacher konnten erst wieder ab 1933 auf einen gesicherten Lebensunterhalt vertrauen, als ihnen die Partei durch hauptamtliche Tätigkeiten den Broterwerb sicherte. So entwickelte sich eine für die Protagonisten der Judenverfolgung durchaus typische Karriere: D e r berufliche Einstieg in die bereits 1933 maßgeblich in die wirtschaftliche Verfolgung involvierte SA oder N S - H a g o ; dann, nach deren Übernahme in die D A F 1935, Stellungen als „Fachwalter" oder „Gauobmänner" der Arbeitsfront, Positionen, in denen sie in den Jahren 1938 und 1939
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Spruch der Spruchkammer München vom 1. 8. 1950; Schreiben des Ministers für politische Befreiung in Bayern an das Amtsgericht Nürnberg vom 20. 5. 1952; Schreiben des Präsidenten der Berufungskammer München an Anna H o l z vom 1 . 6 . 1951; S t A N / Spruchkammer N ü r n b e r g - L a g e r / H 151. Daneben betrieb H o l z noch eine „Großdeutsche Buchhandlung", in der er vorwiegend völkisches Schrifttum vertrieb; Spruch der Spruchkammer München vom 1 . 8 . 1950; Schreiben des Ministers für politische Befreiung in Bayern an das Amtsgericht Nürnberg vom 20. 5. 1952; Schreiben des Präsidenten der Berufungskammer München an Anna H o l z vom 1. 6. 1951; ebd.; Lebenslauf Karl H o l z ' , August 1939 und Personalstandsbogen; I f Z / F a 223/39. Eine dieser Personen etwa war Gauinspektor Friedrich Ritter. Seit 1925 Mitglied der N S D A P , wurde er 1930 arbeitslos und kam unmittelbar nach der „Machtergreifung", ohne entsprechende Berufsausbildung, hauptamtlich zur D A F ; zum Lebenslauf Ritters vgl. Denkschriften von Streicher und H o l z mit Beilagen vom April 1939; S t A N / K V - A n klagedokumente/PS/406/Fotokopie; Gestapo-Vorführungsnote vom 10. 3. 1939; S t A N / Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/53; Dienstleistungszeugnis Ritters vom 18. 4. 1935; Β A B (ehemals B D C ) / R i t t e r , Friedrich. Das Gleiche galt für den späteren Gauobmann der D A F Eugen Leissing. D e r im N o v e m b e r 1930 der Partei beigetretene SSMann war bis in die 1930er Jahre selbständiger Baumwollgroßhändler, musste aber 1933 sein Geschäft liquidieren, bis ihn dann bei der Eingliederung der N S - H a g o in die D A F diese als Gaufachabteilungsleiter hauptamtlich übernahm; vgl. die verschiedenen Verhandlungen mit der Gestapo-Prüfungskommission im Frühjahr 1939; B A B / R 58/3514; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/53; Denkschriften von Streicher und H o l z mit Beilagen vom April 1939; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u m e n t e / P S / 4 0 6 / F o tokopie. Auch einer der führenden S A - G r ö ß e n Nürnbergs, der Standartenführer Philipp Wurzbacher, Parteimitglied seit 1927, wurde 1928 arbeitslos und verdingte sich nach der Machtergreifung als hauptamtlicher SA-Führer; Urteilsbegründung des L G NürnbergFürth vom 17. 12. 1948; StAN/Staatsanwaltschaft beim L G Nürnberg-Fürth/2264; F o r m blatt: Werdegang in der Partei; B A B (ehemals B D C ) / W u r z b a c h e r , Philipp.
II. Wirtschaftliche die A u s p l ü n d e r u n g
Verfolgung
maßgeblich
ah Mittel gauspezifischer mitplanten
Regionalpolitik
und d u r c h f ü h r t e n .
f
Dieses
49 Profil
n u t z t e Streicher offensichtlich für eigene Z w e c k e . N a c h der M a c h t e r g r e i f u n g sicherte er seine Stellung in der Partei durch ein S y s t e m der „ S p e n d e n " und s c h w a r zen K a s s e n , band so seine alten Weggefährten weiter an sich und versorgte sie gleichzeitig mit einflussreichen P a r t e i p o s i t i o n e n . 8 3 N e b e n der F i n a n z i e r u n g des P a t r o n a g e s y s t e m s n u t z t e der G a u l e i t e r sein einflussreiches Parteiamt und seine p r o m i n e n t e Stellung bei der „Judenfrage" auch für die F i n a n z i e r u n g seines eigenen luxuriösen Lebensstils. E i n e seiner H a u p t e i n n a h m e q u e l l e n waren der „Stürm e r " und die „ F r ä n k i s c h e T a g e s z e i t u n g " , deren G r ü n d e r und A l l e i n i n h a b e r der G a u l e i t e r selber war. 8 4 D a sich die B e s t r e i t u n g seines L e b e n s u n t e r h a l t e s im H i n blick auf die H e r a u s g a b e des „ S t ü r m e r " u n z e r t r e n n l i c h mit dem A n t i s e m i t i s m u s verknüpfte, war es selbst für Zeitzeugen nicht i m m e r klar ersichtlich, o b die antijüdischen A k t i o n e n des Gauleiters A u s g e b u r t seiner ideologischen U b e r z e u g u n gen waren oder aber seiner exzessiv ausgelebten Vergnügungssucht e n t s p r a n g e n . 8 5 N e b e n d e m „ S t ü r m e r " n u t z t e Streicher auch andere U n t e r n e h m e n wie etwa das F r ä n k i s c h e U b e r l a n d w e r k , u m Parteigenossen mit P o s t e n zu versorgen und G e l d für die Partei e i n z u n e h m e n . S o zahlte das städtische Werk bis 1945 insgesamt 4 1 8 2 7 4 , 8 7 R e i c h s m a r k auf ein K o n t o der N ü r n b e r g e r N S D A P , ü b e r das der G a u leiter V e r f ü g u n g s m a c h t besaß. Z w e i D i r e k t o r e n des Werkes galten als aktive N a tionalsozialisten, die b e v o r z u g t „ A l t p a r t e i g e n o s s e n " in den B e t r i e b aufnahmen und diese d a r ü b e r hinaus mit S o n d e r u r l a u b e n und Zulagen begünstigten. 8 6 N a c h Aussagen ehemaliger Weggefährten
finanzierte
Streicher seinen H a n g z u m L u x u s
schließlich auch durch massive Steuerhinterziehung, die sich allein in den J a h r e n 1935 bis 1 9 3 8 in einer G r ö ß e n o r d n u n g von 2 6 0 0 0 0 R e i c h s m a r k b e w e g t e . 8 7 O b gleich sich Streicher mit einem derartigen P a t r o n a g e s y s t e m im N S - R e g i m e in bester Gesellschaft befand, sprengten die A u s w ü c h s e in F r a n k e n gepaart mit den v o m G a u l e i t e r v e h e m e n t vorgetragenen M a c h t a n s p r ü c h e n selbst den für die Parteispitze n o c h tolerierbaren R a h m e n . B e s o n d e r s deutlich zeigte sich dies im Z u g e der E r m i t t l u n g e n der G e s t a p o - S o n d e r k o m m i s s i o n , die auch nicht davor z u r ü c k s c h r e c k t e , h o h e A m t s t r ä g e r der fränkischen N S D A P und enge Vertraute Streichers zu inhaftieren. K o r r u p t i o n s a f f ä r e n und im Einzelfall sogar Verfahren vor
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S o beispielsweise E u g e n Leissing, G a u i n s p e k t o r Ritter, der K r e i s o b m a n n der D A F E m m e n , der G a u f a c h w a l t e r J o h a n n - H e i n r i c h Schätzler, G a u o b m a n n G e o r g P e ß l e r ; vgl. die verschiedenen V e r h a n d l u n g e n mit d e r G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n im F r ü h j a h r 1939; B A B / R 58/3514; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/53; D e n k s c h r i f t e n von S t r e i c h e r und H o l z mit Beilagen v o m April 1939; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u mente/PS/406/Fotokopie.
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A u s s a g e n des G e s c h ä f t s f ü h r e r s der „ F r ä n k i s c h e n T a g e s z e i t u n g " M a x F. w ä h r e n d der N ü r n b e r g e r P r o z e s s e v o m 5. 12. 1945, d e r o f f e n s i c h t l i c h auch die S t e u e r e r k l ä r u n g e n Streichers bearbeitete; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u m e n t e / P S / 3 3 4 6 / U m d r u c k e englisch.
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E i d e s s t a t t l i c h e E r k l ä r u n g P r o f . F r i e d r i c h L.s v o r dem N ü r n b e r g e r T r i b u n a l v o m 2 8 . 11. 1945; St A N / K V - A n k l a g e d o k u m e n t e / P S / 3 2 5 0 / U m d r u c k e englisch. S c h r e i b e n des B e t r i e b s r a t s des F r ä n k i s c h e n U b e r l a n d w e r k e s an die S p r u c h k a m m e r L a u f v o m 5. 10. 1946; S t A N / S p r u c h k a m m e r L a u f an der P e g n i t z / L - 2 9 . A u s s a g e n des G e s c h ä f t s f ü h r e r s der „ F r ä n k i s c h e n T a g e s z e i t u n g " M a x F. w ä h r e n d der N ü r n b e r g e r P r o z e s s e v o m 5. 12. 1945; S t A N / K V - A n k l a g c d o k u m e n t e / P S / 3 3 4 6 / U m d r u c k e englisch.
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
dem Parteigericht hatte es allerdings schon wesentlich früher gegeben. Allein im Mai und Juli 1935 schwebten gegen acht Angehörige der Nürnberger Arbeitsfront Verfahren beim Obersten Parteigericht wegen Korruption, Parteispendenerpressung und der persönlichen Bereicherung aus schwarzen Spendenkassen. 8 8 Will man im Zusammenhang mit den äußerst brutalen Ubergriffen gegen die jüdische Bevölkerung und den hemmungslosen Bereicherungen an ihrem Vermögen überhaupt von „Eliten" innerhalb der Nürnberger N S D A P reden, so prägte die mit der wirtschaftlichen „Ausschaltung" befasste Parteielite ideologische Linientreue, Bewährung in der Vergangenheit und - von einigen Ausnahmen abgesehen - unbedingte Loyalität zum Gauleiter genauso wie die finanzielle Abhängigkeit von der N S D A P . Derartige Merkmale galten nicht nur für die Funktionsträger innerhalb der D A F . 8 9 Ideologische Linientreue und vor allem die bedingungslose Unterordnung unter den Willen Julius Streichers waren auch für den Gauwirtschaftsapparat der fränkischen N S D A P kennzeichnend. Diese Gemengelage erklärt zunächst, dass die Initiative immer wieder von einzelnen Parteigenossen ausging und die wirtschaftliche „Ausschaltung" der jüdischen Bevölkerung primär zu einem Produkt des Aktionismus von Parteifunktionären machte, während Routinisierung und Bürokratisierung, die in anderen Handlungsfeldern der Partei eine wesentliche Funktion einnahmen, kaum eine Rolle spielten. 9 0 Wie die Viten der Parteifunktionäre vom Schlage eines Philipp Wurzbacher verdeutlichen, fand darüber hinaus die beispiellose Ausplünderung im Rahmen der sogenannten H o l z - A k t i o n zum Jahreswechsel 1938/39 zwar ihren Höhepunkt, in ihren Grundzügen war sie aber bereits im Jahr 1933 angelegt, wofür die zahlreichen und äußerst brutalen Übergriffe gegen die jüdische Bevölkerung in diesem Jahr eindrucksvolle Beispiele liefern. Zwar gab es auch in Nürnberg polykratische Konfliktstrukturen und eine durch die Rivalität hervorgerufene Verschärfung der „Judenpolitik". 9 1 Im Gau Franken war es aber neben derartigen kumulativen Radikalisierungstendenzen vor allem die Mischung aus Ideologie und materiellem Interesse der Funktionsträger der Partei, die die entscheidenden Impulse für Ausgrenzung, Raub und Vertreibung gab. 9 2 Damit werden zugleich auch die Gauspezifika Frankens deutlich, die nicht nur in dem stark fränkisch gefärbten Führungspersonal und dessen selbst für N S Maßstäbe äußerst brutalen Herrschaftspraxis wurzelten, sondern auch in der auf die regionalen Bedürfnisse abgestimmten Verteilung der Raubgüter zu suchen 88
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Brief des O P G an Georg G . vom 8. 7. 1935 und Schreiben der Reichsleitung der N S D A P an das O P G vom 15. 5. 1935; B A B (ehemals B D C ) / H o l z , Karl. Zu personeller Zusammensetzung und Arbeitsweise der DAF-Mitglieder vgl. v. a. H a c h t mann, Arbeitsfront, S. 75. Zu ähnlichen Mechanismen in der D A F allgemein vgl. ebd. Erster Teil, Zweites Kapitel, IV.2. und Viertes Kapitel, III.2. der vorliegenden Studie. In Bezug auf die Judenverfolgung im gesamten Reichsgebiet hat Hans M o m m s e n das M o dell der „kumulativen Radikalisierung" entwickelt, das von einer - durch die Rivalität verschiedener Herrschaftsinstanzen hervorgerufenen - Impulskette ausgeht, die die Judenverfolgung nach und nach aller rechtlichen, moralischen und institutionellen Barrieren entkleidete und sich potenzierend fortzeugte. Auch Hans M o m m s e n hat allerdings darauf hingewiesen, dass die „Arisierung" die verschiedenen Interessengruppen weitgehend zufriedenstellen konnte; Mommsen, Stellung, S. 56; ders. Radicalisation.
II. Wirtschaftliche
Verfolgung als Mittel gauspezifischer
Regionalpolitik?
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sind. E s wäre jedoch irreführend, Streichers unter dem M o t t o „Franken v o r a n " propagierten antisemitischen Aktionismus und sein ausuferndes Patronagesystem vorwiegend als Politik der regionalen Sonderinteressen zu werten. Sie war zwar innerparteilich stark auf die regionalen Gegebenheiten ausgerichtet, in der grundlegenden Stoßrichtung stimmte sie mit den Zielen des NS-Staates aber nahtlos überein. D i e extrem judenfeindliche Politik des Gauleiters entfaltete insgesamt reichsweit eine dynamisierende Wirkung, blieb aber immer an den Staatszielen des Nationalsozialismus orientiert, so dass K o n f l i k t e auf diesem Politikfeld punktuell durchaus vorhanden, aber eben nicht grundlegender N a t u r waren. 9 3
2. Der Gau
München-Oberbayern
W ä h r e n d sich die N S D A P im G a u Franken mit Leidenschaft der U m s e t z u n g antisemitischer Obsessionen hingab, trug auch die benachbarte oberbayerische N S D A P ihr regionales Selbst- und Sendungsbewusstsein zur Schau. Voller Stolz verwies die M ü n c h n e r Partei nicht nur auf die landschaftliche Schönheit und die Bedeutung der K u n s t im Gau, sondern vor allem auf seine Bedeutung als „Wiege der B e w e g u n g " . D a s Prädikat „ G e b u r t s o r t der N S D A P " machte M ü n c h e n und O b e r b a y e r n nicht nur zum „Traditionsgau", sondern verlieh auch dem dortigen Gauleiter eine herausgehobene Stellung, den man mit der Geschichte des Gaues „untrennbar verbunden" w ä h n t e . 9 4 Diesen Attributen entsprechend legte die Partei in ihrer Außendarstellung Wert auf die Tatsache, „daß die ältesten und bewährtesten K ä m p f e r der Bewegung an den entscheidenden Stellen stehen müssen, w o bei Charakterwerte vor dem toten Wissen den Vorrang h a b e n " . 9 5 H i n t e r diesem im „Buch der D e u t s c h e n G a u e " kreierten Erscheinungsbild verbargen sich mehr als nur b l o ß e Worthülsen. U n a n g e f o c h t e n e Schlüsselfigur der wirtschaftlichen Verfolgung war Gauleiter A d o l f Wagner. E r gehörte wie Julius Streicher zu den frühen Paladinen Hitlers, zu dem er bis zu seinem Tod im J a h r 1944 eine enge B e ziehung aufrechterhalten k o n n t e . 9 6 Bereits 1923 hatte er sich der Partei angeschlossen. I m September 1928 ernannte ihn Hitler zunächst zum Gauleiter der O b e r p f a l z , später übernahm er die Führung des neugegründeten Gaus G r o ß m ü n chen. 1930 wurde er schließlich Leiter des Gaus M ü n c h e n - O b e r b a v e r n . D e r 1890 in Lothringen geborene studierte Bergbauingenieur war nicht nur bekannt für sein bulliges Auftreten und seine brutale, bisweilen vulgäre Ausdrucksweise, sondern auch für sein bedingungsloses Streben nach M a c h t . 9 7 F ü r das Verständnis der regionalen Initiativen zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben ist die Schlüsselstellung Wagners wichtig, verband er doch seine herausragende Machtstellung im G a u mit guten Kontakten zur Reichsspitze und wichtigen
93 94
Z u r P o l i t i k der G a u l e i t e r allgemein vgl. Schneider, N a t i o n a l s o z i a l i s m u s , S. 4 2 9 . R o ß m a i e r , M ü n c h e n - O b e r b a y c r n , S. 33; /.um Selbstverständnis der G a u l e i t e r auch Z i e g ler, B a y e r n , S. 2 5 9 f f . ; zur B e d e u t u n g der P a r t e i z e n t r a l e in M ü n c h e n vgl. den k u r z vor der D r u c k l e g u n g dieser Studie e r s c h i e n e n e n A u f s a t z v o n R e i b e l , P a r t e i z e n t r a l e .
' h Z i m m e r m a n n , T r a d i t i o n s g a u , S. 3 1 5 . 9 6 Ziegler, Gauleiter, S. 4 4 4 . 9 7 Zu G a u l e i t e r W a g n e r vgl. die k u r z e n Ü b e r b l i c k e bei Ziegler, N S - A k t e u r e , S. 2 3 1 ; H ü t t e n berger, Gauleiter, S. 2 1 9 .
52
Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
Funktionen in der bayerischen Regierung, die es ihm ermöglichten, von der Partei getragene A k t i o n e n auch administrativ abzudecken. Bereits im M ä r z 1933 w u r d e Wagner z u m Innenminister u n d 1936 z u d e m noch z u m Kultusminister ernannt. Angesichts der relativ schwachen Stellung des Reichsstatthalters Epp avancierte Wagner damit de facto z u m einflussreichsten Politiker in Bayern. Im H i n b l i c k auf die wirtschaftliche Verfolgung hatte die doppelte Spitzenstellung Wagners entscheidende A u s w i r k u n g e n . Zunächst w a r der Gauleiter nicht auf seine H a u s macht in der Partei angewiesen, u m seinen Einfluss auf die staatlichen Behörden geltend machen zu können. Die legale Grundlage seiner staatlichen Macht entschärfte von vornherein den etwa in Franken schwelenden Konflikt zwischen Partei und Staat. Darüber hinaus w a r Wagner als Innenminister in der Lage - dies sollte sich vor allem ab 1938 entscheidend bemerkbar machen - , die staatlichen und parteiinternen Genehmigungsinstanzen in seiner Person zusammenzufassen und damit das H e f t des Handelns auf gesetzlicher Grundlage selbst in der H a n d zu behalten. Als P r o t o t y p für die im Dunstkreis des Gauleiters tätigen „Alten Kämpfer" kann der 1883 in Mittelfranken geborene Pferdeknecht und Pferdehändler C h r i s tian Weber gelten. Weber, der es w ä h r e n d der „Kampfzeit" auf 152 Strafverhandlungen vor Gericht gebracht hatte, erhielt wegen seiner „Verdienste" nach der N e u g r ü n d u n g der Partei 1925 die M i t g l i e d s n u m m e r 15. Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten an die Spitze der regionalen Partei u n d Verwaltung gelangt, brachte es der Träger des Blutordens u n d des Goldenen Parteiabzeichens 1933 z u m Kreistagspräsidenten von O b e r b a y e r n u n d ein J a h r später zur Mitgliedschaft im Vorstand des bayerischen u n d deutschen Gemeindetages. 1937 w u r d e er durch den M ü n c h n e r Oberbürgermeister Fiehler z u m Sonderbeauftragten für Wirtschaftsangelegenheiten ernannt. Als Leiter des „Amts für den neunten N o vember 1923" vertrat er auch offiziell die Interessen der „Alten Kämpfer". So konnte Weber die Möglichkeiten nutzen, die sich ihm nicht nur zur eigenen, sondern auch zur Bereicherung seiner alten Parteigenossen boten, u m diese dann in der M ü n c h n e r Stadtverwaltung unterzubringen. 9 8 Die Vita Christian Weber enthält typische M e r k m a l e der in den wirtschaftlichen Verfolgungsprozess involvierten Parteifunktionäre in M ü n c h e n . Er w a r das Musterbeispiel eines brutalen Schlägers u n d glühenden Antisemiten, der nach der „Machtergreifung" vor allem durch seinen ausschweifenden Lebensstil u n d seine Korruptionsaffären von sich reden machte. Seine luxuriösen Vorlieben finanzierte er nicht zuletzt durch den R a u b jüdischen V e r m ö g e n s . " A h n l i c h w i e Weber w a ren viele Parteigenossen, die später maßgeblich an der wirtschaftlichen „Ausschalt u n g " der J u d e n beteiligt waren, erst durch die „Machtergreifung" zu Geld gek o m m e n und damit ihren wirtschaftlichen Schwierigkeiten entronnen. Sie waren bereits in den 1920er Jahren durch antisemitische Ubergriffe aufgefallen oder bereits in dieser Dekade in Korruptionsaffären verwickelt gewesen. Derartige M e r k male charakterisieren auch zahlreiche Mitarbeiter der in M ü n c h e n 1938 gegründeten „ V e r m ö g e n s v e r w e r t u n g s " - G m b H , die ab diesem J a h r mit der Verwertung 98 99
Zu Christian Weber vgl. v. a. Martin, Aspekte. Zur Korruption im NS-Staat vgl. v. a. Bajohr, Parvenüs.
II. Wirtschaftliche
Verfolgung als Mittel gauspezifischer
Regionalpolitik?
53
jüdischen Vermögens in M ü n c h e n betraut war. 1 0 0 Ihr langjähriger Leiter H a n s Wegner etwa war seit 1929 Parteigenosse, Mitglied der S A und der D A F . Bereits 1924 fiel Wegner wegen politisch motivierter Randale auf und war bereits zu diesem Zeitpunkt mehrfach vorbestraft. Sein Parteifreund und späterer enger M i t arbeiter F r a n z Mugler gehörte seit 1930 der Partei an und war ebenfalls als O b e r sturmführer Angehöriger der S A und als O r t s w a l t e r Mitglied der D A F . Von 1931 bis 1936 arbeitslos, übernahm ihn der N S - D e n t i s t e n v e r b a n d E n d e 1936. H i e r machte er sich vor allem durch Z e c h t o u r e n und seine korrupte Lebensweise einen Namen.101 Vergleicht man die Karriereverläufe der Parteifunktionäre in den Städten N ü r n berg und M ü n c h e n , so fallen zunächst grundlegende Parallelen auf. N e b e n ideologischer Linientreue und mangelndem wirtschaftlichen Sachverstand waren die Parteiangehörigen materiell von ihrer Stellung in der Partei und im Verfolgungsapparat abhängig. Wie noch zu zeigen sein wird, blieb daher die „Ausschaltung" der J u d e n aus dem Wirtschaftsleben auch in M ü n c h e n auf Seiten der maßgeblichen Parteiinstitutionen ein vorwiegend von der Einzelinitiative gesteuerter und nach ö k o n o m i s c h e n Gesichtspunkten dilettantisch durchgeführter Prozess. Diese Feststellung ist wichtig, zeigt sie doch einmal mehr die in mehreren Gauen nachweisbare Bedeutung ideologischer Motivationen, die sich ohne weiteres mit materiellen Interessen in Einklang bringen ließen. D e r jüdischen Bevölkerung trat daher auf Seiten der N S D A P vor allem der antisemitische Aktionismus einzelner Parteifunktionäre und weniger ein bürokratisch organisierter Apparat entgegen. Dabei zielten die antisemitischen Übergriffe nicht nur auf die wirtschaftliche „Ausschaltung". O f t m a l s waren die hierfür zuständigen Parteifunktionäre gleichzeitig auch für andere Aspekte der Judenverfolgung verantwortlich, etwa für die Ü b e r w a c h u n g der Einhaltung antisemitisch motivierter Gesetze und Verordnungen oder die Aufsicht über die ab 1940 errichteten „Sammellager für J u d e n " . 1 3 2 Regionale Spezifika zeigten sich in M ü n c h e n - ähnlich wie in N ü r n b e r g - nicht nur bei der Verteilung der „Arisierungs-Gelder", sie äußerten sich auch in der B e -
100 J3| e Vermögensverwertungs-GmbH München war eine durch den Gauleiter ins Leben gerufene Gesellschaft, die v. a. für die „Arisierung" jüdischer Grundstücke zuständig war. Ihr gehörten etwa 30 Mitarbeiter an. Die meisten Mitarbeiter waren unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten für die Durchführung ihrer Aufgaben nicht ausreichend qualifiziert; Abschlußbericht, S. 8; S t A M / N S D A P / 3 7 ; vgl. auch die unveröffentlichte Magisterarbeit von Seitz, Grundstücksarisierungen, S. 21 ff. IS1
102
Von zehn Mitgliedern der W M , also einem Drittel der Angestellten - darunter alle der leitenden Funktionen —, wurden die Lebensläufe meist durch die Spruchkammerakten rekonstruiert. Einen ähnlichen Lebenslauf hatten die späteren Mitarbeiter der „Arisierungsstelle" Schrott und Westermeyer, die bis 1934/35 arbeitslos waren und sich beide nach ihren eigenen Angaben durch die Parteizugehörigkeit eine bessere wirtschaftliche Situation versprachen; Angaben auf dem Fragebogen der US-Militärregierung von Hans Wegner; StAM/Spruchkammer/Karton 1919; Fragebogen vom 2. 1. 1946 von Franz Mugler und Urteil der Strafkammer am L G Berlin wegen Untreue vom 19. 5. 1942; StAM/Spruchkammer/K.arton 1222; Vernehmung Schrotts am 15. 12. 1948 und Vernehmung Westermeyers am selben Tag; ebd.; Urteil des L G München vom 11.7. 1950; St AM/Staatsanwaltschaften/17856. Zu den Sammellagern in München vgl. v. a. Stadtarchiv, Deportation.
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
tonung der Bedeutung des eigenen Gaues, was sich bei Wagner etwa in der großspurigen Forderung manifestierte, nicht nur die Federführung bei der „Judenverfolgung", sondern überhaupt sämtliche Führungsaufgaben von Preußen nach Bayern zu verlegen, um dessen bis 1938 anhaltender Bedeutung als deutsch-österreichisches Grenzland gebührend Rechnung zu tragen. 1 0 3 Beide Gauhauptstädte waren damit traditionelle Zentren der nationalsozialistischen Bewegung und gleichzeitig Hochburgen des Antisemitismus. Die Verwaltungsspitze beider Städte war seit 1933 mit aktiven und einflussreichen N a tionalsozialisten besetzt. In beiden Städten konnte sich schließlich auch das erhebliche antisemitische Aggressionspotential der Parteibasis ungehindert entfalten. Angesichts ihres Status als „Heimatstadt" der Bewegung, Zentrum der „Alten Kämpfer" und Sitz zahlreicher Institutionen der Parteileitung - etwa des Reichsschatzmeisters oder des Stellvertreters des Führers - war der Nährboden in München in zweifacher Hinsicht besonders fruchtbar für antisemitische Ausschreitungen. Erstens institutionell durch die einflussreiche Stellung vieler Münchner Parteifunktionäre sowohl innerhalb der regionalen Verwaltung als auch innerhalb der Reichsregierung und zweitens durch eine besonders judenfeindliche Stimmung, die bereits in den 1920er Jahren durch die NS-Propaganda geschürt und in zahlreichen Boykottaktionen und Übergriffen gegen Juden auch zum Ausbruch gekommen war. 1 0 4 Wegen des relativ geringen Anteils überregional operierender Industrieunternehmen und der dadurch nur geringen Anbindung der lokalen Wirtschaft an den Weltmarkt waren in München darüber hinaus wesentlich weniger marktpolitische Rücksichtnahmen zu gegenwärtigen, als dies in anderen Gauen - etwa in Hamburg - der Fall war. 1 0 5 Unterschiede ergaben sich auch aufgrund der Stellung des Gauleiters zur Spitze der staatlichen Bürokratie, ein Verhältnis, das in München bereits kurz nach der Machtübernahme nahezu symbiotischen Charakter angenommen hatte und wiederum auf die Bedeutung der obersten Parteiführer im Prozess der wirtschaftlichen Verfolgung verweist. Aufgrund der hier beschriebenen Charakteristika nahmen die Städte München und Nürnberg hinsichtlich des Ausmaßes von Gewalt und Raub gegen Juden eine Sonderstellung ein, und die vehement vorgetragenen Bestrebungen der Parteispitze gaben der Gaupolitik ein regionalspezifisches Gepräge; dennoch zeigten sich auch in den anderen Gauen des Reiches ähnliche Vorgehensweisen. So bildeten Gewalt und Ideologie den roten Faden in der Politik des Hamburger Gauleiters Karl Kaufmann, die in Terrorwellen gegen „Regimegegner" mündete. Ihre Durchsetzung war innerparteilich auch durch ein System von Korruption und Nepotismus abgesichert. 1 0 6
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Broszat, Reichszentralismus, S. 190. Zu den Ausschreitungen in den 1920er Jahren vgl. Dirk, Kriminalität, S. 108 ff. Zur Situation in Hamburg, die als Hafenstadt mit besonderer Anbindung zum internationalen Markt auf weltweite Wirtschaftsbeziehungen Rücksicht zu nehmen hatte, vgl. Bajohr, „Arisierung" in Hamburg, S. 59ff. Bajohr, Gauleiter, S. 272 ff. Zu reichsweiten Tendenzen siehe auch Noakes, Viceroys, S. 132 ff.; Schmidt, Motiven; Benz, Verhältnis, S. 206; Roth, Ausbeutung.
IL Wirtschaftliche
Verfolgung
als Mittel gauspezifischer
Regionalpolitik?
55
D a m i t w i r d einerseits die h ä u f i g betonte regionale B e d e u t u n g der wirtschaftlichen Verfolgung deutlich: In beiden Gauen w a r die A u s p l ü n d e r u n g der J u d e n sow o h l personalpolitisches M a c h t m i t t e l in der H a n d der Gauleiter als auch U n t e r p f a n d für eine verbesserte Stellung des Gaues im Gesamtreich. Eine Vorreiterrolle in der J u d e n v e r f o l g u n g - und hier vor allem bei der „ A u s s c h a l t u n g " der J u d e n aus d e m Wirtschaftsleben - stärkte also die Position in der K o n k u r r e n z z w i s c h e n den Gauen. Andererseits w u s s t e man sich aber nicht n u r in N ü r n b e r g , sondern auch in M ü n c h e n u n d H a m b u r g im Einklang mit den prinzipiellen Zielsetzungen des R e gimes u n d w ä h l t e - ungeachtet der D i f f e r e n z e n in der Intensität - überall ähnliche Mittel zu deren D u r c h s e t z u n g . Die B e d e u t u n g der Gauleiter u n d ihrer C l i q u e n für die wirtschaftliche A u s p l ü n d e r u n g der J u d e n lag also vor allem in d e m „Wann" u n d d e m „ W i e " bei der D u r c h f ü h r u n g , sie selbst w a r jedoch nicht A u s d r u c k f ü r das Verfolgen regionalspezifischer Partikularinteressen.
3. Die ländliche
Region
Unterfrankens
A u c h in U n t e r f r a n k e n w a r e n es der Gauleiter und langgediente „Altparteigenossen", die den Zeitpunkt, den Beteiligungskreis sowie A r t u n d U m f a n g der w i r t schaftlichen Verfolgung bestimmten. S o w o h l auf G a u - als auch auf Kreisebene sind hier in Einzelfällen den Zuständen in M ü n c h e n und N ü r n b e r g d u r c h a u s entsprechende Tendenzen festzustellen. Dies gilt für den Führungsstil von M i t g l i e dern der N S - H a g o genauso w i e für „Sonderbeauftragte" der S A bei den B e z i r k s ämtern, die durch ihre F u n k t i o n innerhalb der N S D A P und den damit v e r b u n denen antisemitischen A k t i o n i s m u s ihre materielle Situation zu sichern und zu verbessern trachteten, w e s h a l b es i m m e r w i e d e r zu K o r r u p t i o n s v o r w ü r f e n kam. A u c h in H a m m e l b u r g / B a d Kissingen gingen f r ü h e Impulse f ü r die Verfolgung der jüdischen B e v ö l k e r u n g von der N S - H a n d e l s - u n d H a n d w e r k s o r g a n i s a t i o n aus, deren M i t g l i e d e r später in der A r b e i t s f r o n t oder anderen N S - O r g a n i s a t i o n e n ebenfalls eine w i c h t i g e Rolle bei der A u s p l ü n d e r u n g spielten. Deutlich w i r d dies e t w a bei d e m ab 1934 hauptamtlich bei der D A F tätigen K r e i s o b m a n n L u d w i g Popp, der ab 1938 ebenfalls als Kreisleiter der N S D A P fungierte. 1 0 7 Gegen seinen Vorgesetzten, M i c h a e l L a n g g u t h , Gauamtsleiter der N S - H a g o in M a i n f r a n k e n , lief 1933 ein Gerichtsverfahren w e g e n Steuerhinterziehung und K o r r u p t i o n . In einem S p r u c h k a m m e r v e r f a h r e n von 1947 charakterisierte ihn ein Zeuge als einen t y p i s c h e n Repräsentanten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft: „Von A m t s a n m a ß u n g über R e c h t s b e u g u n g bis zur verbrecherischen H a n d l u n g reichte das Register seines K ö n n e n s . " 1 0 8 A h n l i c h e C h a r a k t e r i s t i k a kennzeichneten auch den ehrenamtlichen B ü r g e r m e i s t e r von H a m m e l b u r g , den Gaurechtsstellenleiter R a i m u n d R ü t h oder den Sonderbeauftragten der S A beim B e z i r k s a m t H a m m e l burg Adolf S t u m p f . 1 0 9
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,3S
A n t r a g auf Besoldungsfestlegung v o m 1 . 4 . 1934 und Lebenslauf L u d w i g Popps; B A B (ehemals B D C ) / P o p p , L u d w i g , »20. 4. 1902. Schreiben der B e k l c i d u n g s f a b r i k K. & S. vom 10. 11. 1947; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r ton 1012. Bis 1935 kam es gegenüber d e m Sonderbeauftragten i m m e r w i e d e r zu K o r r u p t i o n s v o r -
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
D e n n o c h verweisen einige Aspekte in der ländlichen Region auf bedeutsame Unterschiede im Prozess der wirtschaftlichen Verfolgung. Als Ursache hierfür sind regionalspezifische Besonderheiten zu nennen, sowohl auf Seiten der maßgeblichen NS-Funktionäre als auch im Hinblick auf die Anzahl und Erwerbsstruktur der jüdischen Bevölkerung. Gauleiter Hellmuth, promovierter Zahnarzt und kurz nach dem Ersten Weltkrieg in verschiedenen Freikorps und Kampfbünden aktiv, leitete den Gau Unterfranken seit 1928. E r war somit zwar auch ein früher Anhänger Hitlers und Altparteigenosse in Franken. Seit dem 5. Juli 1934 verfügte er zudem neben seinem Parteiamt auch noch über das Amt des Präsidenten der Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg. Im Gegensatz zu Adolf Wagner oder Julius Streicher fehlte ihm aber der direkte Zugang zu den Schaltstellen der Macht. Auch kam seinem Gau keine ähnlich herausragende Stellung zu wie „München-Oberbayern" oder Streichers „Franken". 1 1 0 Inwieweit diese vergleichsweise schwache Stellung dazu führte, dass Hellmuth über weit weniger Eskapaden stolperte als seine Kollegen in München-Oberbayern und Franken und Rechtsbrüche bei der wirtschaftlichen Verfolgung geschickt zu verschleiern trachtete, kann zwar nur vermutet werden. Definitiv zeigte sich der unterfränkische Gauleiter bei der ökonomischen Verfolgung der Juden aber zurückhaltender, griff nicht so oft in deren „Ausschaltung" aus der Wirtschaft ein und überließ die Federführung ab 1938 dem Gauwirtschaftsapparat. Dessen Leiter, der promovierte Volkswirtschaftler Hans Vogel, verfügte damit, ungeachtet der nur geringen institutionellen Verankerung des Gauwirtschaftsberaters innerhalb des Parteiapparates und seiner lediglich schwammig formulierten Kompetenzen, dank seiner wirtschaftlichen Kenntnisse und mit dem Gauleiter im Rücken über eine nahezu uneingeschränkte Machtstellung bei der „Entjudung" der unterfränkischen Wirtschaft. Sein Kollege Buchner hingegen spielte in München nur eine untergeordnete Rolle bei der „Arisierung" und auch Gauwirtschaftsberater Strobl verfügte in Franken durch die zahlreichen Interventionen Streichers über wesentlich geringere Handlungsspielräume. So konnte Vogel im Jahr 1938 ein engmaschiges und auf seine Person ausgerichtetes N e t z aus Genehmigungsinstanzen, Sonderbeauftragten und Sachverständigen spannen, die an der „Arisierung" beteiligt waren. 1 1 1 Betroffen hiervon waren in der ländlichen Region Bad Kissingen/Hammelburg vor allem jüdische Viehhändler, die einen Großteil der erwerbstätigen jüdischen Bevölkerung ausmachten. Neben Funktionären aus dem Gauwirtschaftsapparat traten hier Parteifunktionäre wie Ortsbauernführer als Verfolgungsinstanzen auf,
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würfen; Aussage von Stumpf gegenüber dem Gaugericht Mainfranken vom 9. 4. 1935; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r t o n 465; Schreiben der Spruchkammer Hammelburg vom 12. 7. 1948; ebd.; Spruchkammerverfahren gegen Hermann Heinritz, den Geschäftsführer der D A F und Kreisleiter der N S D A P in Bad Brückenau; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r ton 665; Spruchkammerverfahren gegen den Kreisleiter der N S D A P in Bad Kissingen Karl Renner; StAW/Spruchkammer Bad Kissingen/1840/Renner, Karl, *13. 8. 1869; zu Renner siehe auch Roth, Parteikreis, S. 426 ff. Zu Gauleiter Hellmuth vgl. B a y H S t A M / P e r s o n a l a k t e n / D r . O t t o Hellmuth sowie die kurzen Ausführungen bei Hüttenberger, Gauleiter, S. 214. „Anordnung des Gauwirtschaftsberaters zur Uberführung jüdischer Betriebe auf deutsche Betriebsführer" vom 13. 5. 1938; S t A W / G a u Mainfranken/288.
II. Wirtschaftliche
Verfolgung
als Mittel gauspezifischer
Regionalpolitik?
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die in den G a u h a u p t s t ä d t e n als T ä t e r g r u p p e n k a u m eine Rolle spielten. W ä h r e n d in O b e r b a y e r n die „ J u d e n f r a g e " in den ländlichen R e g i o n e n eher abstrakter N a tur war, da dort in vielen G e m e i n d e n keine J u d e n ansässig w a r e n 1 1 2 , w e c k t e bei den B a u e r n f ü h r e r n in U n t e r f r a n k e n ein stark „jüdisch" d o m i n i e r t e r Viehhandel Vorurteile. Im H a m m e l b u r g w a r einer der maßgeblichen F u n k t i o n s t r ä g e r des Reichsnährstandes der K r e i s b a u e r n f ü h r e r Georg H a p p , der gleichzeitig als Stadtrat der N S D A P in H a m m e l b u r g fungierte und zeitweise auch das A m t des dortigen O r t s g r u p p e n l e i t e r s bekleidet hatte. 1 1 3 Z w a r w a r auch H a p p - ähnlich w i e die P a r t e i f u n k t i o n ä r e in M ü n c h e n u n d N ü r n b e r g - einer der Nationalsozialisten der ersten Stunde, er betrieb jedoch vor, w ä h r e n d und auch nach der Zeit des N a t i o nalsozialismus eine eigene L a n d w i r t s c h a f t , w e s h a l b er in keine finanzielle A b h ä n gigkeit von der N S D A P geriet. 1 1 4 Vor allem aber die zahlreichen und engen Geschäftsverbindungen z w i s c h e n nichtjüdischen Kunden und jüdischen Viehhändlern sind w o h l die U r s a c h e dafür, dass es in der u n t e r f r ä n k i s c h e n R e g i o n nicht zu ähnlichen radikalen U b e r g r i f f e n gegen die jüdische B e v ö l k e r u n g k a m , w i e dies in N ü r n b e r g oder G ü n z e n h a u s e n der Fall war. 1 1 5 D a m i t blieben die jüdischen Viehhändler z w a r bis 1938 von pog r o m a r t i g e n A u s s c h r e i t u n g e n w e i t g e h e n d verschont, dies darf aber nicht über die zahlreichen Versuche H a p p s u n d anderer F u n k t i o n ä r e des Reichsnährstandes hinw e g t ä u s c h e n , die jüdischen Viehhändler zur A u f g a b e ihres G e w e r b e s zu z w i n g e n . Die K o m p e t e n z e n der O r t s b a u e r n f ü h r e r gegenüber jüdischen Viehhändlern gingen unter a n d e r e m auf eine Intervention des d e m Reichsnährstand unterstehenden Reichsverbands des nationalen Viehhandels, Gau B a y e r n , z u r ü c k , nach der bei der P r ü f u n g der „ U n z u v e r l ä s s i g k e i t " s o w o h l die K r e i s b a u e r n f ü h r e r als auch die O r g a n i s a t i o n e n des Viehhandelsverbands zu hören w a r e n . 1 1 6 Die A u s s a g e n der B a u e r n f ü h r e r verschärften die berufliche Verdrängung jüdischer Viehhändler in mehrfacher Weise. Dies geschah zunächst durch die h o c h g r a d i g ideologisch geprägte Gutachtertätigkeit. Dabei machten die Gutachter in der Regel aus ihrer generellen A b l e h n u n g des „jüdischen Viehhandels" kein H e h l . Die W i r k s a m k e i t der „Blut- u n d B o d e n i d e o l o g i e " , die keine J u d e n im L a n d p r o d u k t e n h a n d e l geschweige denn als L a n d e i g e n t ü m e r duldete, zeigt sich in den Gutachten deutlich. Die Viehhändler w u r d e n als „ H o f j u d e n " bezeichnet, die mit ihrem „oberflächlich guten B e n e h m e n " die Kundschaft lediglich „täuschen" w ü r d e n . Rechtliche H i n dernisse für eine V e r w e i g e r u n g der H a n d e l s l e g i t i m a t i o n w u r d e n als „Kniffe" ei-
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R u n d s c h r e i b e n d e s B e z i r k s a m t s Ebersberg vom 11.6. 1937; S t A M / L R A / 6 7 1 7 1 ; vgl. auch die zahlreichen Fehlanzeigen bei entsprechenden Anträgen, etwa die A n f r a g e der Gauleitung v o m 1. 2. 1938 im B e z i r k Aichach; S t A M / L R A / 9 9 8 4 9 . Schreiben des öffentlichen Klägers der S p r u c h k a m m e r H a m m e l b u r g vom 20. 10. 1948; StAW/Spruchkammer Hammelburg/578. Vgl. die in diesem Punkt relativ g l a u b w ü r d i g e Aussage H a p p s gegenüber der S p r u c h k a m mer H a m m e l b u r g , dort eingegangen am 22. 10. 1948; ebd. H i e r z u auch Zweiter Teil, Erstes Kapitel, 1.1. der vorliegenden Studie. R u n d s c h r e i b e n des Reichsvcrbands des nationalen Viehhandels, Gau Bavern, an die baverischen B e z i r k s v e r w a l t u n g s b e h ö r d e n vom 3 . 9 . 1934; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3569.
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
nes „liberalistischen Staates" diffamiert, mit der sich die deutsche Bauernschaft nicht abgeben könne. 1 1 7 Betrachtet man die Verwendung der Erlöse aus der Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung aus dem Wirtschaftsleben in Unterfranken, so wird auch hier der starke Regionalbezug deutlich erkennbar. Der ökonomische Nutzen der wirtschaftlichen Verfolgung für den Gau Unterfranken manifestierte sich in der sogenannten Rhön-Spessart-Werbestelle. In den Jahren 1936/37 hatte Gauleiter Hellmuth einen Steuerberater mit der Errichtung der Dienststelle beauftragt, die durch den Einsatz von Spendengeldern der Förderung der wirtschaftlichen N o t standsgebiete im Rhön-Spessart-Raum dienen sollte. 118 Als Vogel 1938 die Werbestelle übernahm, etablierte er eine Ausgleichsabgabe, die bei der „Arisierung" zu bezahlen war. Von insgesamt drei Sonderkonten aus finanzierten Gauleiter und Regierungspräsident Hellmuth und Gauwirtschaftsberater Vogel so landwirtschaftliche Darlehen für die Krisenregionen Unterfrankens. 1 1 9 Die Abgabe an den Fonds betrug durchschnittlich zehn Prozent des Kaufpreises. 120 Uber die Werbestelle liefen bis Ende 1938 über eine Million Reichsmark. Noch 1945 wiesen die Konten fast 700000 Reichsmark auf. 121 Hellmuth trachtete letztlich danach, durch den Erlös aus dem Raub jüdischen Vermögens bei der Parteispitze den Eindruck eines Mustergaues zu vermitteln, in dem durch Vertreibung der Juden und dem „Umbau" der Bevölkerung nach „rassenpolitischen" Grundsätzen aus dem „Notstandsgebiet" Rhön eine blühende Landschaft entstehen sollte. 122 Neben der „Arisierungsabgabe" für die Werbestelle vereinnahmte zudem die Deutsche Arbeitsfront drei Prozent der Veräußerungserlöse als „Gebühr". 1 2 3 Schließlich profitierte auch die Gestapo von der „Arisierung" durch Erpressungen der Betroffe-
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S c h r e i b e n d e s B e z i r k s b a u e r n f ü h r e r s H a m m e l b u r g an das B e z i r k s a m t H a m m e l b u r g v o m 8. 5. 1935; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 8 9 ; S c h r e i b e n des B e z i r k s b a u e r n f ü h r e r s an das B e z i r k s a m t H a m m e l b u r g i m Falle des V i e h h ä n d l e r s A r n o l d H . v o m 3. 11. 1935; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 7 7 ; S c h r e i b e n des B e z i r k s b a u e r n f ü h r e r s an d a s B e z i r k s a m t H a m m e l b u r g im Falle d e s V i e h h ä n d l e r s Karl A. v o m 31. 12. 1934; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3593. Z u r V e r f o l g u n g j ü d i s c h e r V i e h h ä n d l e r siehe a u c h E r s t e r Teil, D r i t t e s Kapitel, III. d e r v o r l i e g e n d e n Studie. Bereits seit F e b r u a r 1933 existierten P l ä n e des G W B H a s s l i n g e r f ü r eine V e r b e s s e r u n g d e r w i r t s c h a f t l i c h e n L a g e in d e r R h ö n , die z u d i e s e m Z e i t p u n k t allerdings o f f e n s i c h t l i c h n o c h n i c h t m i t einer E n t e i g n u n g d e r J u d e n v e r b u n d e n w a r e n . K o n k r e t sah d e r f r ü h e P l a n vor, E r w e r b s l o s e u m z u s i e d e l n u n d d a s f r e i g e w o r d e n e L a n d an B a u e r n z u verteilen, U b e r l e g u n g e n , die z u n ä c h s t a u c h d u r c h eine R e g i e r u n g s d e l e g a t i o n des R e i c h s m i n i s t e r s f ü r E r n ä h r u n g u n d L a n d w i r t s c h a f t g u t g e h e i ß e n w u r d e n ; S c h r e i b e n des L a n d w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s an die b a y e r i s c h e n u n d t h ü r i n g i s c h e n B e h ö r d e n v o m 24. 8. 1934 u n d S c h r e i b e n des t h ü r i n g i s c h e n M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n M a r s c h l e r an das O P G v o m 16. 9. 1934; I f Z / F a 223/31.
V e r n e h m u n g d e r M i t a r b e i t e r i n d e r W e r b e s t e l l e B a r b a r a S. a m 25. 7. 1950; S t A W / S t a a t s anwaltschaft Würzburg/558/I. 120 A u s s a g e des J u s t i z r a t s D r . R. v o r d e m L G W ü r z b u r g a m 13. 7. 1950; e b d . 121 V e r n e h m u n g des K r e i s w i r t s c h a f t s b e r a t e r s H e r m a n n W i b l i s h a u s e r a m 18. 7. 1950; e b d . 122 v g L h i e r z u a u c h die - o f t m a l s leider n u r u n z u r e i c h e n d belegte - S t u d i e v o n H o h m a n n , Landvolk. 123 A k t e n n o t i z des G W B v o m 25. 5. 1938, e n t h a l t e n in S t A W / S t a a t s a n w a l t s c h a f t W ü r z b u r g / 558/1.
II. Wirtschaftliche Verfolgung als Mittel gauspezifischer Regionalpolitik?
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n e n . 1 2 4 D e r Plan z u r Verbesserung der W i r t s c h a f t s s t r u k t u r der R h ö n scheiterte j e d o c h , u n t e r anderem, weil er nach wirtschaftspolitischen G e s i c h t s p u n k t e n vollk o m m e n unsinnig und o h n e h i n viel zu teuer w a r . 1 2 5 N e b e n derartigen s t r u k t u r f ö r d e r n d e n V e r w e n d u n g e n der „ A r i s i e r u n g s e r l ö s e " für die „ V o l k s g e m e i n s c h a f t " floss jüdisches V e r m ö g e n aber auch in U n t e r f r a n k e n in die H ä n d e der Parteigliederungen und verdienter „ A l t p a r t e i g e n o s s e n " . Vogel selbst e r w a r b im M ä r z 1941 eines von zwei n o c h nicht veräußerten „ J u d e n h ä u s e r n " in W ü r z b u r g . W i e er seinem T a g e b u c h anvertraute, s t e m m t e er sich z w a r dagegen, jüdisches V e r m ö g e n zu e r w e r b e n , der F r a u und den beiden K i n d e r n wegen sei er aber dazu g e z w u n g e n . 1 2 6 D i e b e s o n d e r e n personellen S t r u k t u r e n in den G a u e n , dies zeigt der Vergleich mit der „Arisierungspraxis" in den bayerischen G r o ß s t ä d t e n in der Zeit v o r dem P o g r o m , beeinflussten den Verlauf der wirtschaftlichen „ A u s s c h a l t u n g " der J u d e n auch in U n t e r f r a n k e n und gaben ihm eine regionalspezifische Prägung. D i e s betraf nicht nur die Stellung des G a u w i r t s c h a f t s b e r a t e r s bei der „ A r i s i e r u n g " , s o n dern auch die institutionelle V e r a n k e r u n g des Gauleiters. In M a i n f r a n k e n wie in M ü n c h e n k o n n t e n die G a u l e i t e r ihre Staatsämter für eine I n t e r e s s e n b ü n d e l u n g nutzen, w ä h r e n d der G a u l e i t e r N ü r n b e r g s weiterhin auf seine durch Brutalität b e gründete und gesetzlich nicht fundierte M a c h t s t e l l u n g vertrauen musste, ein U m stand, der letztlich entscheidend zu seinem Sturz beitrug. B e i der V e r w e n d u n g der E r l ö s e aus der wirtschaftlichen Verfolgung wird schließlich ebenfalls der starke R e g i o n a l b e z u g s o w o h l in dem mit j ü d i s c h e m V e r m ö g e n gestrickten und stabilisierten N e t z w e r k des Gauleiters als auch in den e b e n s o
finanzierten
infrastruktu-
rellen M a ß n a h m e n zugunsten der G a u e deutlich. K a n n damit erneut die regionalgeschichtliche R e l e v a n z und die B e d e u t u n g personalistischer E l e m e n t e des N S H e r r s c h a f t s s y s t e m s bei der J u d e n v e r f o l g u n g h e r v o r g e h o b e n werden, so dürfen die regionalen Spezifika - dies sei n o c h einmal b e t o n t - nicht ü b e r die zahlreichen G e m e i n s a m k e i t e n hinwegtäuschen. Zielsetzung und letztlich E r g e b n i s der wirtschaftlichen Verfolgung - die vollständige „ A u s s c h a l t u n g " der J u d e n aus dem W i r t s c h a f t s l e b e n - waren identisch und w u r d e n insgesamt auch in ähnlichen zeitlichen E t a p p e n durchgeführt. H i n z u k o m m e n Ä h n l i c h k e i t e n , die bei einem reichsweiten Vergleich der Herrschaftspraxis festzustellen sind. D i e B e d e u t u n g der P e r s o n a l p o l i t i k für den M a c h t e r h a l t der Gauleiter, deren F u n k t i o n als Sprecher und Prediger der Ideologie, das H o c h h a l t e n lokaler Traditionen, dies alles waren W e s e n s m e r k m a l e regionaler H e r r s c h a f t s p r a x i s mit überregionaler G ü l t i g keit und sind daher w o h l weniger als gautypisch denn als typisch für die D u r c h setzung politischer M a c h t auf G a u e b e n e innerhalb eines hierarchisch gegliederten Führerstaates zu w e r t e n . 1 2 7
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E i d e s s t a t t l i c h e V e r s i c h e r u n g Karl R.s; ebd. N a c h A u s s a g e n v o n Vogel selbst k a m es zu Streitereien mit M i n i s t e r p r ä s i d e n t Siebert und Staatssekretär B a c k e aus d e m L a n d w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m . O f f e n b a r waren also auch hier K o m p e t e n z s t r e i t i g k e i t e n für die D i f f e r e n z e n a u s s c h l a g g e b e n d ; V o r l a d u n g Vogels am 2 6 . 9. 1950; ebd.
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E i n t r ä g e v o m 30. 3. u n d 2. 4. 1941; S t A W / G a u M a i n f r a n k e n / 7 8 .
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Zu generellen M e r k m a l e n der G a u l e i t e r vgl. H ü t t e n b e r g e r , Gauleiter, aber auch N o a k e s , Viceroys.
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
III. Gescheiterte Zähmung? Zum Interaktionsverhältnis von Region und Reichsgewalten bei der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden 1933-1938 E i n e mögliche Erklärung für die Bedeutung der regionalen D y n a m i k bietet die zögerliche Haltung der Reichsregierung bei der „Ausschaltung" der J u d e n aus dem Wirtschaftsleben. W ä h r e n d sich der aufgestaute Handlungsdrang lokal und regional B a h n brach, zeigte sich die Reichsregierung zögerlicher. Wie bereits gezeigt, gingen tatsächlich maßgebliche Impulse der wirtschaftlichen Verfolgung von der R e g i o n aus, auf die die Reichsregierung in Berlin zunächst mit Unwillen reagierte. Massiven Widerspruch riefen etwa die U b e r g r i f f e in M ü n c h e n im Mai 1935 hervor. S o w o h l das polnische Generalkonsulat als auch der Generalkonsul in N e w Y o r k und das Auswärtige A m t informierten das Reichswirtschaftsministerium über die U n r u h e n in der bayerischen Landeshauptstadt. 1 2 8 A u c h englischsprachige Zeitungen berichteten über die antisemitische S t i m m u n g . 1 2 9 N a c h d e m das bayerische Innenministerium unter Gauleiter Wagner und Ministerpräsident Siebert zunächst versucht hatte, die Geschehnisse herunterzuspielen, Reichswirtschaftsminister H j a l m a r Schacht aber durch Eingaben der polnischen Regierung und der geschädigten jüdischen Geschäftsinhaber über ausreichend I n f o r m a t i o n s material verfügte, forderte der Minister ultimativ das schärfste Vorgehen gegen die Rädelsführer. 1 3 0 Besonders deutlich brachte auch der Reichsinnenminister seine B e d e n k e n z u m A u s d r u c k , als er in einem R u n d b r i e f an die Landesregierungen n o c h einmal unerlaubte Eingriffe in die Wirtschaft mit Hinweis auf eine A n o r d nung des Führers verbot. Wer sich künftig darüber hinwegsetze, so F r i c k , werde als Provokateur, Rebell und Staatsfeind angesehen. A u c h die Nachlässigkeit zuständiger B e a m t e r werde auf das Schärfste geahndet. 1 3 1 D a b e i gingen die Parteiführer in den R e g i o n e n offensichtlich davon aus, die neuen „rassischen" N o r m e n der N S - I d e o l o g i e hätten „ ü b e r k o m m e n e " Wertvorstellungen des alten Rechtssystems obsolet gemacht. D i e Gauleiter wussten sich in Ü b e r e i n s t i m m u n g mit den ideologischen Vorgaben und glaubten daher, mit eigenmächtigen Vorgehensweisen „dem F ü h r e r entgegenzuarbeiten". 1 3 2 Das U n v e r ständnis der regionalen Parteiführer über die zögerliche Haltung der R e i c h s regierung brachte der bei einer K o n f e r e n z im September 1935 im Reichswirtschaftsministerium anwesende oberbayerische Gauleiter Wagner deutlich z u m A u s d r u c k . Seiner Meinung nach handelte es sich u m eine Divergenz zwischen Staat und Partei. 80 P r o z e n t des Volkes würden auf eine L ö s u n g der „Judenfrage"
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Brief des R W M an Siebert vom 24. 6. 1935; B a y H S t A M / S t K / 6 4 1 1 . „Manchester Guardian" vom 20. 6. 1935. Schreiben des R W M an Siebert vom 24. 5. 1935, 24. 6. 1935 und 5. 6. 1935 sowie die Beschwerdenote des polnischen Generalkonsulats an die bayerische Staatskanzlei vom 29. 5. 1935; B a y H S t A M / S t K / 6 4 1 1 . Schreiben Fricks an die Landesregierungen vom 20. 8. 1935; ebd. Auf die Bereitschaft der Parteigenossen, dem „Führer" entgegenzuarbeiten, verweist v. a. Ian Kershaw. E r sieht hierin ein wesentliches Funktionsprinzip des Nationalsozialismus; Kershaw, Hitler.
III. Gescheiterte
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Zähmung?
drängen. A u c h das ihm unterstehende b a y e r i s c h e I n n e n m i n i s t e r i u m war der A u f fassung, der antisemitische K a m p f werde von der R e i c h s r e g i e r u n g nicht mit der nötigen H ä r t e durchgeführt und wirtschaftspolitische G r ü n d e für eine Z u r ü c k haltung würden bei der B e v ö l k e r u n g nicht ausreichend v e r s t a n d e n . 1 3 3 In eine ähnliche R i c h t u n g argumentierten einzelne R e f e r a t e des bayerischen W i r t s c h a f t s m i nisteriums zur J a h r e s w e n d e 1 9 3 6 / 3 7 . H i e r griff man die F r a g e der K e n n z e i c h n u n g j ü d i s c h e r B e t r i e b e auf und äußerte U n v e r s t ä n d n i s ü b e r die
außenpolitischen
R ü c k s i c h t n a h m e n , die gegenüber „rassischen" B e w e g g r ü n d e n n o c h i m m e r ausschlaggebend s e i e n . 1 3 4 In einem weiteren S c h r e i b e n A n f a n g J a n u a r 1937 verwies ein M i t a r b e i t e r des M i n i s t e r i u m s auf die U n k l a r h e i t und U n s i c h e r h e i t der M i n i s terialbürokratie in F r a g e n der wirtschaftlichen Stellung der jüdischen B e v ö l k e rung, die die N S D A P und ihre G l i e d e r u n g e n zu einem u m s o „ z i e l b e w u s s t e r e n " Vorgehen animiere.135 D e r a r t i g e Auffassungen teilte die R e i c h s r e g i e r u n g nur bedingt. R e i c h s j u s t i z m i nister G ü r t n e r sprach sich etwa für eine standhafte H a l t u n g der M i n i s t e r i a l b ü r o kratie aus. R e g i o n a l e Alleingänge, so der Minister, würde es i m m e r wieder geben, solange an der Basis die M e i n u n g v o r h e r r s c h e , A u s s c h r e i t u n g e n würden von der R e i c h s r e g i e r u n g eigentlich gerne gesehen, allein, sie k ö n n e eben nicht so handeln wie sie w o l l e . 1 3 6 In Berlin gab es angesichts der regional initiierten Ü b e r g r i f f e und Alleingänge o f f e n b a r tatsächlich U n k l a r h e i t e n in der Frage, inwieweit liberale R e c h t s n o r m e n etwa das R e c h t auf E i g e n t u m - bei J u d e n weiterhin gelten würden und inwieweit hier nach „rassischen" G e s i c h t s p u n k t e n zu verfahren sei. D i e s e zeigten sich deutlich bei der Verabschiedung der „ N ü r n b e r g e r G e s e t z e " im S e p t e m b e r 1935. S o w o h l in N ü r n b e r g als auch in M ü n c h e n riefen sie E n t t ä u s c h u n g hervor, da entgegen allen vorherigen A n k ü n d i g u n g e n die wirtschaftliche Verdrängung wieder nicht in einen gesetzlichen R a h m e n gegossen w o r d e n w a r . 1 3 7 I m D e z e m b e r 1936 lehnte der R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r M a ß n a h m e n gegen jüdische F i r m e n aus arbeitsmarktpolitischen
Gründen ab.138 Noch
im April desselben J a h r e s
hatte
S c h a c h t j e d o c h b e t o n t , dass es letztlich A u f g a b e der bayerischen Landesregierung sei, auf eine K l ä r u n g der „ J u d e n f r a g e " im Wirtschaftsleben h i n z u w i r k e n , da die Einstellung der R e i c h s r e g i e r u n g den Sonderregelungen einzelner Landesregierungen nicht e n t g e g e n s t e h e . 1 3 9 A h n l i c h hatte sich das W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m im A u gust desselben J a h r e s geäußert, als es angesichts der S t ö r u n g e n des W i r t s c h a f t s lebens eine stärkere D e z e n t r a l i s i e r u n g der Zuständigkeit für diese Fälle forderte.
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S c h r e i b e n des b a y e r i s c h e n I n n e n m i n i s t e r i u m s an den M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n v o m 29. 5. 1935; B a y H S t A M / S t K / 6 4 1 1 . S c h r e i b e n des R e f e r a t s I an R e f e r a t II im b a y e r i s c h e n W i r t s c h a h s m i n i s t e r i u m v o m 16. 12. 1936; B a v H S t A M / M W i / 3 7 . S c h r e i b e n der A b t e i l u n g I im b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m v o m 11. 1. 1937; ebd. V e r m e r k ü b e r die B e s p r e c h u n g im R W M v o m 22. 8. 1935; I f Z / F a / 7 1 2. S c h r e i b e n des R e f e r a t s I an das R e f e r a t II im b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m v o m 6. 12. 1936 u n d S c h r e i b e n der I H K N ü r n b e r g an das R W M v o m F r ü h j a h r 1936; Bav H S t A M / M W i / 3 7 . Ebd. S c h r e i b e n des R W M an das b a y e r i s c h e W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m v o m 28. 4. 1936; ebd.
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
Insbesondere sollten sich die O b e r - und Regierungspräsidenten stärker u m diese Angelegenheiten kümmern. Schacht selber wollte nur n o c h bei besonders gravierenden V o r k o m m n i s s e n in Kenntnis gesetzt w e r d e n . 1 4 0 D i e Stellungnahmen gegen regionale Alleingänge dürfen allerdings nicht über die längerfristigen Intentionen der Berliner Regierung hinwegtäuschen. E s kann inzwischen als erwiesen angesehen werden, dass auch Reichswirtschaftsminister Schacht keine schützende H a n d über die jüdische Bevölkerung hielt. 1 4 1 In B e z u g auf das Ziel der „Ausschaltung" der J u d e n aus der Wirtschaft bestand grundsätzliche U b e r e i n s t i m m u n g . O f f e n b a r hatte der Reichswirtschaftsminister selbst die offizielle K e n n z e i c h n u n g jüdischer Betriebe schon 1934 in Aussicht gestellt. 1 4 2 Lediglich im H i n b l i c k auf das T e m p o existierte Uneinigkeit mit den Gauleitern und der bayerischen Regierung. O f f e n b a r versuchten Wagner und die regionalen Parteigliederungen zusammen mit der hochideologisierten Bayerischen Politischen Polizei, durch antisemitischen Aktionismus die Ministerialbürokratie z u m H a n d e l n zu bewegen und damit die endgültige „Ausschaltung" durch entsprechende Gesetze v o r a n z u t r e i b e n . 1 4 3 D a b e i wusste sich Wagner im Einklang mit Bestrebungen der Reichsspitze der Partei, die bereits im F r ü h j a h r 1933 „Ausschaltungsmaßnahmen" initiiert und gefördert hatte. A n die vorwiegend regional eingeleiteten U b e r g r i f f e v o m M ä r z 1933 knüpfte der von A d o l f Hitler und J o s e p h G o e b b e l s zentral geplante und dann von Hitler persönlich angeordnete B o y k o t t v o m 1. April 1933 gegen jüdische G e schäfte, Rechtsanwälte und A r z t e an. Begründet wurde diese A k t i o n als A b w e h r m a ß n a h m e gegen die „jüdische G r e u e l h e t z e " und R e a k t i o n des „Volkszorns" auf angebliche antideutsche Aktivitäten im Ausland. D i e in der F o r s c h u n g intensiv besprochene, hinsichtlich der Ausdehnung und A u s w i r k u n g allerdings unterschiedlich bewertete A k t i o n begann an einem Samstag u m 10 U h r morgens und bestand vor allem in der Plakatierung jüdischer Geschäfte und deren Belagerung durch Parteimitglieder. O b w o h l Berlin den in den meisten Städten und R e g i o n e n des Reiches wohl friedlich verlaufenen B o y k o t t initiiert hatte, oblag die k o n k r e t e D u r c h f ü h r u n g vor allem den regionalen Gliederungen des „ K a m p f b u n d e s " und den N S - B e r u f s v e r b ä n d e n der Ä r z t e und Rechtsanwälte. Z u m sogenannten Z e n tralkomitee zur A b w e h r der jüdischen Greuel- und B o y k o t t h e t z e gehörten weder nationalsozialistische Regierungsmitglieder n o c h Angehörige des engsten F ü h rungszirkels der N S D A P . 1 4 4 D e m B o y k o t t in M ü n c h e n kam insofern eine S o n -
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Schreiben des R W M an die Reichsstatthalter, Ober- und Regierungspräsidenten vom 2 4 . 8 . 1936; ebd. Bajohr, „Arisierung" in Hamburg, S. 217 ff. Am 16. Dezember 1936 machte das Referat II das Referat I im bayerischen Wirtschaftsministerium darauf aufmerksam, dass Schacht vor zwei Jahren die baldige Kenntlichmachung jüdischer Geschäfte zugesagt habe; B a y H S t A M / M W i / 3 7 . Nolzen, Party, S. 277, der als eine Funktion der Parteigewalt gegen Juden den Druck auf die Ministerialbürokratie herausstellt. Mitglieder des Komitees waren Julius Streicher, sein Stellvertreter Karl Holz, Robert Ley, Heinrich Himmler, der Leiter des NS-Beamtenbunds Jakob Sprenger, Walter Darre, Adrian von Renteln, der Leiter des NS-Juristenbundes Hans Frank sowie der Leiter des NS-Arztebundes Gerhard Wagner; Mitgliederliste des „Zentralkomitees zur Abwehr der
III. Gescheiterte
Zähmung?
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derstellung zu, als die reichsweite Zentrale in der Barer Straße der „Hauptstadt der B e w e g u n g " M ü n c h e n eingerichtet worden war. 1 4 5 Bereits am 30. M ä r z 1933 ordnete der Vorsitzende des Zentralkomitees, der fränkische Gauleiter Julius Streicher, an, dass die Leiter der regionalen G a u k o m i t e e s die F ü h r e r des „Kampfbundes" seien und Transparente gegen jüdische Gewerbetreibende, A r z t e und Rechtsanwälte bei den Aufmärschen mitgeführt werden sollten. 1 4 6 Ähnlich wie in den übrigen Städten des Reiches wurde der B o y k o t t auch in M ü n c h e n von Reden und Aufmärschen begleitet. In der bayerischen Landeshauptstadt scheint es dabei nicht zu größeren gewalttätigen Ubergriffen g e k o m m e n zu sein. 1 4 7 N o c h am 1. April 1933 erließ Streicher ein D e k r e t , das eine Pause des B o y k o t t s bis zum folgenden M i t t w o c h 10 U h r anordnete, „damit m a n " , so die offizielle Begründung, „dem internationalen J u d e n t u m die C h a n c e zur Besserung geben k ö n n e " . 1 4 8 D e r B o y k o t t wurde dann auch reichsweit nicht wieder aufgenommen. Dabei handelte es sich bei dieser A k t i o n nicht um einen B o y k o t t im eigentlichen Sinne. Das antijüdische Vorgehen wurde zentral angeordnet und gesteuert und stieß bei dem überwiegenden Teil der Bevölkerung auf Ablehnung. D i e vorherrschende skeptische Zurückhaltung der Bevölkerung war dann wohl auch der G r u n d für den raschen A b b r u c h dieser A k t i o n . 1 4 9 Was aber hatte die Parteispitze zu dem reichsweiten B o y k o t t gegen jüdische E r werbstätige b e w o g e n ? D i e möglichen G r ü n d e reichen von einer „Demonstration der Stärke" über die A b w e h r antinationalsozialistischer Bestrebungen im Ausland bis hin zu einer „Ventilfunktion", um die hohe Gewaltbereitschaft der Parteibasis und der mittelständischen Organisationen in kontrollierbare Bahnen zu lenken.™ Bereits v o m F r ü h j a h r 1933 an, dies ist zunächst wichtig zu betonen, war die wirtschaftliche „Ausschaltung" der jüdischen Bevölkerung ein wichtiges Ziel sowohl der Reichs- wie auch der Regionalführungen der N S D A P . Ungeachtet dieser grundlegenden Einigkeit gab die Berliner Politik in den ersten drei Jahren der N S Herrschaft jedoch der Konsolidierung der Wirtschaft den Vorrang, dem sich andere Ziele unterzuordnen hatten. Dieses Primärziel schloss allerdings nicht aus,
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j ü d i s c h e n G r e u c l - u n d B o y k o t t h e t z e " v o m 29. 3. 1933; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u m e n t e / PS/2156/Fotokopie. Z u m B o y k o t t in M ü n c h e n und N ü r n b e r g und zu dessen O r g a n i s a t i o n siehe v. a. H a n k e , G e s c h i c h t e , S. 85; Selig, B o y k o t t , S. 186; J ä c k l e , S c h i c k s a l e , S. 14; R a p p l , „ A r i s i e r u n g e n " in M ü n c h e n , S. 128; M ü l l e r , ' G e s c h i c h t e , S. 2 1 2 f. P a r t e i k o r r e s p o n d e n z v o m 3 0 . 3 . 1933; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u m e n t e / P S / 1 9 2 0 / F o t o kopie. Siehe hierzu v.a. Müller, G e s c h i c h t e , S. 2 1 2 f . ; H a n k e , G e s c h i c h t e , S. 8 3 f f . D e k r e t N r . 7 v o m 1. 4 . 1 9 3 3 ; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u m e n t e / P S / S E A / 2 1 9 2 . K u l l e r / D r e c o l l , V o l k s z o r n , S. 81 ff. H e l m u t G e n s c h e l sieht in d e m B o y k o t t v.a. fünf I n t e n t i o n e n : der a n t i d e u t s c h e n H e t z e e n t g e g e n z u w i r k e n , die S t ä r k e u n d E n t s c h l o s s e n h e i t der M a c h t h a b e r h e r v o r z u h e b e n , den r e v o l u t i o n ä r e n E i f e r der S A u n d SS zu befriedigen, d e m B ü r g e r t u m zu zeigen, dass nun etwas gegen die J u d e n u n t e r n o m m e n wird und s c h l i e ß l i c h weitere A n h ä n g e r im mittels t ä n d i s c h e n Milieu zu g e w i n n e n ; G e n s c h e l , V e r d r ä n g u n g , S. 55 f.; die „ V e n t i l f u n k t i o n " des B o y k o t t s wird auch in neueren A r b e i t e n b e t o n t : B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 44; F i c h t l , W i r t s c h a f t , S. 50; i n s b e s o n d e r e auch in L o n g e r i c h , P o l i t i k , S. 32 f.
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
dass alle möglichen Variationen des Antisemitismus zur Mobilisierung einer breiteren Masse der Bevölkerung getestet und bei Misserfolg, wie im Falle des Boykotts, auch wieder fallen gelassen wurden. Hierauf deuten auch die frühen Gesetzesmaßnahmen zur wirtschaftlichen Verfolgung der Juden hin, die wirtschaftspolitisch vergleichsweise ungefährlich waren. So erging z u m Beispiel bereits am 22. April 1933 eine durch Hitler und Reichsärzteführer Wagner mitinitiierte „Verordnung über die Zulassung der Ärzte bei den Krankenkassen", die im Rahmen der umfangreichen Neubestimmungen durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" verabschiedet wurde. 1 5 1 Ebenfalls im April 1933 beschränkte die Reichsregierung die Zulassung jüdischer Rechtsanwälte. Wie die jüdischen Ärzten verloren auch sie ihre Zulassung, wenn sie nicht bestimmte Ausnahmekriterien, wie etwa die Teilnahme am 1. Weltkrieg erfüllten. 1 5 2 Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" zwang unter anderem „nichtarische" Beamte in den Ruhestand, sofern sie nicht unter die von Hindenburg durchgesetzten Ausnahmeregelungen fielen.153 In zwei Durchführungsverordnungen vom Mai 1933 wurde die Gruppe der Betroffenen auf das Lehrpersonal an Hochschulen und auf öffentliche Angestellte und Arbeiter erweitert. 1 5 4 Gegen unzulässige, regional gesteuerte Eingriffe in die Wirtschaft wandten sich das Innen- und Wirtschaftsministerium sowie die obersten Parteibehörden aus taktischen Gründen, weil man wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Schwierigkeiten sowie akute Zwangslagen berücksichtigen wollte, die sich durch die nationale Devisenund Rohstoffknappheit ergeben hatten. 1 5 5 Dass die Politik der Reichsregierung sowohl in Bezug auf allgemeine Fragen zur „Ausschaltung" der Juden aus dem Wirtschaftsleben als auch in Bezug auf die regionalen Alleingänge von taktischer Zurückhaltung geprägt war, kam in einer Sitzung auf höchster Ebene im Spätsommer 1935 besonders deutlich zum Ausdruck. An diesem Treffen nahmen neben Schacht und Frick auch Justizminister Gürtner und Finanzminister Schwerin von Krosigk teil. Schacht und Frick betonten hier einmal mehr die Notwendigkeit, nur auf gesetzlicher Grundlage gegen die jüdische Wirtschaftstätigkeit vorzugehen. 1 5 6 Dementsprechend kam es nach der Besprechung zu einem Schriftwechsel zwischen dem Innenminister und dem Wirtschaftsminister, der eine Veränderung
Art. II Abs. 1 dieser neuen Verordnung bestimmte, dass die berufliche Tätigkeit sowohl von „nichtarischen" als auch von Ärzten, die sich im „kommunistischen Sinne" betätigt hatten, für beendet erklärt wurde; RGBl. I (1933), S. 222 f. 152 Bei den sogenannten Hindenburgschen Ausnahmeregelungen handelte es sich um eine aktive Fronttätigkeit oder um eine nachgewiesene Tätigkeit in dem entsprechenden Beruf bereits vor 1914; RGBl. I (1933), S. 188f. 153 Den entscheidungsbefugten Institutionen stand jedoch die Möglichkeit zu, ein Ruhegehalt zu gewähren, allerdings nur, wenn eine zehnjährige Dienstzeit nachgewiesen werden konnte; §§ 2, 3 und 8 des Gesetzes; RGBl. I (1933), S. 175. 154 Art. 2 der „Dritten Durchführungsverordnung" bzw. § 1 der „Zweiten Durchführungsverordnung"; RGBl. I (1933), S. 245-252 und 233 ff. 155 Schreiben des Deutschen Industrie- und Handelstages an das Reichswirtschaftsministerium vom 27. 7. 1933 und Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an den Industrieund Handelstag vom 8. 9. 1933; BayHStAM/ML/3399. 156 Vermerk über die Besprechung im Reichswirtschaftsministerium vom 22. 8. 1935; IfZ/ Fa/71 2. 151
III. Gescheiterte
65
Zähmung?
der geltenden gesetzlichen B e s t i m m u n g e n propagierte. Ins A u g e gefasst war u n t e r anderem eine drastische
Einschränkung
der G e w e r b e f r e i h e i t
für J u d e n ,
ein
K e n n t l i c h m a c h e n jüdischer F i r m e n und deren Ausschluss von öffentlichen A u f trägen sowie ein generelles V e r b o t j ü d i s c h e r H ä n d l e r für V i e h - und
andere
M ä r k t e . D a r ü b e r hinaus sollte J u d e n der E r w e r b von G r u n d b e s i t z sowie die Teiln a h m e an der h a n d w e r k l i c h e n M e i s t e r p r ü f u n g untersagt w e r d e n . 1 5 7
Derartige
Ü b e r l e g u n g e n waren schon im S e p t e m b e r 1933 in den beiden Ministerien angestellt w o r d e n , wurden aber ungeachtet der grundsätzlichen Z u s t i m m u n g der beiden M i n i s t e r wegen a u ß e n p o l i t i s c h e r B e d e n k e n erst 1938 in gesetzliche F o r m e n g e g o s s e n . 1 5 8 E i n e derartige, in den A u g e n der regionalen Parteiführer äußerst widersprüchliche P o l i t i k der R e i c h s r e g i e r u n g und der Weltanschauungselite der N S D A P lässt sich auch anhand zahlreicher anderer Beispiele verdeutlichen. I m m e r wieder b r a n d m a r k t e sie das E i n k a u f e n in jüdischen G e s c h ä f t e n und bei jüdischen H ä n d l e r n . M i t Erlass v o m 11. April 1934 wurde Parteigenossen nicht nur das E i n k a u f e n in jüdischen L ä d e n , sondern der V e r k e h r mit J u d e n überhaupt verb o t e n . 1 5 9 R e i c h s i n n e n m i n i s t e r F r i c k machte in einem R u n d b r i e f v o m 17. J a n u a r 1934 deutlich, dass B e s t i m m u n g e n , die das Vorgehen gegen j ü d i s c h e W i r t s c h a f t s tätigkeit weitgehend u n t e r b a n d e n , nicht i m m e r den nationalsozialistischen A u f fassungen entsprächen. R e g i o n a l e Initiativen schloss F r i c k nicht generell aus, behielt sich aber seine Z u s t i m m u n g vor. Kategorisch wandten sich die R e i c h s m i n i s terien allerdings gegen regionale Alleingänge. D e r R e i c h s i n n e n m i n i s t e r hatte in einem Schreiben v o m J a n u a r 1934 daher eindringlich darauf hingewiesen, dass A k t i o n e n gegen J u d e n v o r allem im R a h m e n ihrer Wirtschaftstätigkeit nur innerhalb der geltenden gesetzlichen B e s t i m m u n g e n erfolgen dürften und die ausführenden O r g a n e keinesfalls befugt seien, die ihnen gesetzten G r e n z e n eigenmächtig zu ü b e r s c h r e i t e n . 1 6 0 V o r allem Avraham Barkai hat darauf hingewiesen - und diese T h e s e ist seitdem auch i m m e r wieder aufgegriffen w o r d e n - , dass man keinesfalls von einem K o n flikt zwischen M a ß n a h m e n - und N o r m e n s t a a t , das heißt zwischen Partei und Staat ausgehen k ö n n e . 1 6 1 V i e l m e h r gab es eine S y n t h e s e zwischen dem F u ß v o l k der Partei und der R e i c h s r e g i e r u n g aufgrund gleicher Zielsetzungen. D i e A k t i o nen waren dieser Interpretation gemäß aufeinander a b g e s t i m m t und taktisch flexibel in der H a n d h a b u n g . F ü r diese A r t der Verdrängungspolitik war der B o y k o t t der S t a r t s c h u s s . 1 6 2 O f f e n s i c h t l i c h angestoßen durch die Feststellungen
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Barkais
S c h r e i b e n F r i c k s an S c h a c h t v o m 3. 9. 1935; ebd. Zu der B e s p r e c h u n g des R e i c h s i n n e n m i n i s t e r s mit dem R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m vgl. die N o t e v o n S t u c k a r t an den M i n R a t L ö s e n d e r im R e i c h s i n n e n m i n i s t e r i u m v o m 2 3 . 9 . 1933; ebd. A n o r d n u n g des „Stellvertreters des F ü h r e r s " , R u d o l f H e ß , verbreitet d u r c h einen R u n d brief d e r B a y e r i s c h e n P o l i t i s c h e n P o l i z e i v o m 8. 5. 1935; S t A M / G e s t a p o / 6 3 . S c h r e i b e n des R e i c h s i n n e n m i n i s t e r s an die o b e r s t e n R e i c h s b e h ö r d e n und L a n d e s r e g i e rungen; I f Z / F a / 1 - 1 ; B a y H S t A M / M F / 7 1 6 4 5 . In der F o r s c h u n g s l i t e r a t u r zur V e r w a l t u n g s g e s c h i c h t e des N S - S t a a t e s ist diese d o r t b e s o n d e r s langlebige T h e s e m i t t l e r w e i l e auch widerlegt w o r d e n ; siehe v. a. R o s e r , N S - K o m munalpolitik. B a r k a i , B o y k o t t , S. 33; F i c h t l , W i r t s c h a f t , S. 49; L o n g e r i c h , P o l i t i k , S. 33.
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
wurde erst kürzlich die T h e s e vertreten, „dass die Regierung nicht unbewusst halbherzig agierte, sondern vorausschauend die antisemitischen Potentiale innerhalb der Partei und der Verwaltung pflegte, u m diese später instrumentalisieren zu k ö n n e n " . 1 6 3 Das vorausschauende Taktieren mit dem Ziel, antisemitische P o t e n tiale der Basis zu testen oder zu entwickeln, darf aber auch nicht ü b e r b e t o n t w e r den. Was in der R ü c k s c h a u wie taktisch flexible M a n ö v e r und langfristige Planungen erscheinen mag, war oftmals nicht mehr als situatives Handeln. Wegen der antisemitischen Grundlinie, die von den regionalen Hoheitsträgern der Partei geteilt wurde, entstanden ungeachtet der weitgehenden Konzeptlosigkeit der R e i c h s regierung im U m g a n g mit regionalen Alleingängen bei der Judenverfolgung denn o c h folgerichtige A k t i o n e n , denen aber kein abgestimmter Handlungsplan zugrunde lag. Wie bereits erwähnt, hatte Berlin erhebliche M ü h e , den A k t i o n i s m u s der Gauleiter zu bremsen, und es kam immer wieder zu handfesten K o n f l i k t e n mit der Reichsregierung. Dies hatte sich auch schon beim B o y k o t t v o m 1. April 1933 gezeigt, als man eindringlich darauf hinwies, dass G e w a l t unter allen U m ständen zu vermeiden sei. 1 6 4 Initialzündung und M o t o r der ö k o n o m i s c h e n Verfolgung der J u d e n waren eindeutig die Hoheitsträger der N S D A P in den R e g i o nen. Gerade bei der „ E n t j u d u n g " der Wirtschaft manifestierte sich die erhebliche E i g e n d y n a m i k der regionalen Parteigliederungen und vor allem der selbstherrlichen Gauleiter. D i e notwendigerweise m e h r auf Vorsicht bedachte Berliner Reichsregierung n a h m zwar auf der einen Seite die Beschleunigung des Verfolgungsprozesses in einigen Bereichen auch dann billigend in Kauf, wenn sie geltendem R e c h t widersprach, und forcierte diese E n t w i c k l u n g durch die Gesetzgebung auch selber, griff aber auf der anderen Seite i m m e r wieder regulierend in den P r o zess ein. So k o n n t e sie generelle Entwicklungslinien weitgehend in der H a n d behalten, Initiative und D u r c h f ü h r u n g der „Ausschaltung" der J u d e n aus dem W i r t schaftsleben lagen in der Regel aber in den H ä n d e n der G a u e und ihrer Leiter. Insgesamt entstand damit in den ersten Jahren des Regimes ein Wechselspiel von lokalen und reichsweiten A k t i o n e n , von Z e n t r u m und Peripherie. E r n e u t wird deutlich, dass die wirtschaftliche Verfolgung der J u d e n ein zumindest in Teilbereichen bewusst gesteuerter Prozess und nicht nur Ergebnis unkontrollierter Radikalisierungstendenzen war.
IV. Die endgültige Ausplünderung: Die „Arisierungsstellen" und die Enteignung jüdischen Vermögens 1938-1941 In den J a h r e n 1 9 3 7 / 3 8 änderte sich die Politik der N S - R e g i e r u n g . W ä h r e n d sie vorher aufgrund außen- und wirtschaftspolitischer R ü c k s i c h t n a h m e n die A u s plünderung der jüdischen B e v ö l k e r u n g n o c h verzögert hatte, bewirkten institu163 164
Bopf, „Arisierung" in Köln, S. 97. Anordnung des Zentralkomitees Nr. 3 vom 3 1 . 3 . 1933: Die Schließung jüdischer Geschäfte oder Gewaltanwendung sind unter allen Umständen zu unterlassen. Anordnung Nr. 5: Betreten jüdischer Geschäfte durch SS oder SA ist strengstens untersagt; S t A N / KV- Anklagedokumente/PS/2154/Fotokopie.
IV. Die endgültige
67
Ausplünderung
tionelle V e r ä n d e r u n g e n u n d legislative V e r s c h ä r f u n g e n ab E n d e 1 9 3 7 eine aggressive N S - E x p a n s i o n s p o l i t i k , in d e r e n Z u s a m m e n h a n g a u c h die w a h r e F l u t v o n G e setzen u n d V e r o r d n u n g e n z u r „ A u s s c h a l t u n g " der J u d e n aus d e m b e n z u s e h e n ist, d i e a b F r ü h j a h r
Wirtschaftsle-
1938 über die jüdische B e v ö l k e r u n g
herein-
b r a c h . 1 6 5 D a m i t trieb die R e i c h s r e g i e r u n g n u n ihrerseits deren A u s g r e n z u n g u n d Ausplünderung
voran.166
Bis
Herbst
1938
erfolgte
die
endgültige
berufliche
„ A u s s c h a l t u n g " d e r j ü d i s c h e n E r w e r b s t ä t i g e n . 1 6 7 Parallel d a z u m a c h t e die Ministerialbürokratie den Verkauf jüdischen
Eigentums
und beteiligte verschiedene Institutionen v o n Partei u n d Staat am prozess". An dem Genehmigungsverfahren auch die Gauleiter, der Reichsnährstand
waren
„Arisierungs-
neben staatlichen
Instanzen
u n d die D e u t s c h e Arbeitsfront
ligt.168 N a c h d e m P o g r o m v o m 9. N o v e m b e r
NS-
genehmigungspflichtig
1938 erreichte die
betei-
wirtschaftliche
Verfolgung dann eine neue Radikalisierungsstufe.169 U n m i t t e l b a r nach den schreitungen im R a h m e n des P o g r o m s leitete G ö r i n g den ausschließlichen
Ausund
u m f a s s e n d e n Zugriff des Staates auf jüdische V e r m ö g e n s w e r t e ein.170 D e n Alleina n s p r u c h d e r R e i c h s r e g i e r u n g h a t t e e r b e r e i t s i m O k t o b e r 1 9 3 8 in e i n e r B e s p r e -
I m N o v e m b e r 1 9 3 7 entließ H i t l e r S c h a c h t und ersetzte ihn letztlich d u r c h den ihm treu e r g e b e n e n W a l t h e r F u n k ; A u ß e n m i n i s t e r N e u r a t h w u r d e im F e b r u a r 1938 entlassen; H i l d e b r a n d , R e i c h , S. 6 4 4 ff. Z u den e i n z e l n e n G r ü n d e n für die e n o r m e R a d i k a l i s i e r u n g d e r J u d e n v e r f o l g u n g im J a h r 1938 vgl. ausführlich L o n g e r i c h , P o l i t i k , S. 155 ff. 166 a n h a n d des E i n f l u s s e s des D e v i s e n f a h n d u n g s a m t s u n d des § 37a des D e v i s e n g e s e t z e s n o c h aufgezeigt wird, w u r d e n w e s e n t l i c h e G r u n d l a g e n der vollständigen A u s s c h a l t u n g bereits 1937 gelegt, die G e s e t z e s f l u t z u r endgültigen w i r t s c h a f t l i c h e n V e r d r ä n g u n g der J u d e n erfolgte dann allerdings erst im J a h r 1938; zu der V e r s c h ä r f u n g der J u d e n p o l i t i k 1 9 3 6 / 3 7 und den zwei Phasen der R a d i k a l i s i e r u n g 1938 vgl. auch die G l i e d e r u n g e n bei B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g ; L o n g e r i c h , P o l i t i k , S. 155 ff. 165
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„ V e r o r d n u n g gegen die U n t e r s t ü t z u n g der T a r n u n g j ü d i s c h e r G e w e r b e b e t r i e b e " v o m 22. 4. 1938; R G B l . I ( 1 9 3 8 ) , S. 4 0 4 ; „ D r i t t e V e r o r d n u n g z u m R e i c h s b ü r g e r g e s e t z " v o m 14. 6. 1 9 3 8 ; R G B l . I ( 1 9 3 8 ) , S. 6 2 7 ; „ G e s e t z z u r Ä n d e r u n g der G e w e r b e o r d n u n g für das D e u t s c h e R e i c h " v o m 6 . 7 . 1 9 3 8 ; R G B l . I ( 1 9 3 8 ) , S. 8 2 3 f.; „Vierte V e r o r d n u n g z u m R e i c h s b ü r g e r g e s e t z " v o m 2 5 . 7. 1 9 3 8 ; R G B l . I ( 1 9 3 8 ) , S. 9 6 9 ; und „ F ü n f t e V e r o r d n u n g z u m R e i c h s b ü r g e r g e s e t z " v o m 2 7 . 9. 1938; R G B l . I ( 1 9 3 8 ) , S. 1403 f.
168
S c h r e i b e n des R W M an die O b e r - und R e g i e r u n g s p r ä s i d e n t e n v o m 5. 7. 1938, das hierbei auf die D u r c h f ü h r u n g s v e r o r d n u n g z u r „ V e r o r d n u n g ü b e r die A n m e l d u n g j ü d i s c h e n Vermögens" Bezug nahm; S t A W / L R A Miltenberg/2541. Die bayerischen Regierungspräsid e n t e n avancierten bereits durch die V e r o r d n u n g ü b e r die A n m e l d u n g j ü d i s c h e n V e r m ö gens zu G e n e h m i g u n g s i n s t a n z e n ; vgl. § 6 (1) der „ V e r o r d n u n g ü b e r die A n m e l d u n g des V e r m ö g e n s v o n J u d e n " v o m 26. 4. 1 9 3 8 ; R G B l . I ( 1 9 3 8 ) , S. 4 1 5 .
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D i e V o r g e s c h i c h t e und die P l a n u n g e n im R a h m e n der „ R c i c h s k r i s t a l l n a c h t " w e r d e n in der S e k u n d ä r l i t e r a t u r breit und relativ einheitlich geschildert; Friedländer, R e i c h , S. 2 5 7 f . ; L o n g e r i c h , P o l i t i k , S. 198 f.; B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 2 6 6 f.; A d a m , J u d e n p o l i t i k , S. 1 8 4 f . ; B r u n s - W ü s t e f e l d , G e s c h ä f t e , S. 9 7 f . ; B a r k a i , B o y k o t t , S. 147; Graml, Rcichskristallnacht.
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D i e „ E r s t e V e r o r d n u n g z u r A u s s c h a l t u n g der J u d e n aus dem d e u t s c h e n W i r t s c h a f t s l e b e n " untersagte j ü d i s c h e n E r w e r b s t ä t i g e n den B e t r i e b v o n E i n z e l - und V e r s a n d g e s c h ä f ten s o w i e H a n d w e r k s g e s c h ä f t e n nach dem 1. J a n u a r 1939. „ V e r o r d n u n g zur A u s s c h a l tung der J u d e n aus d e m d e u t s c h e n W i r t s c h a f t s l e b e n " v o m 12. 11. 1938; R G B l . I ( 1 9 3 8 ) , S. 1 5 8 0 . D i e „ V e r o r d n u n g ü b e r den E i n s a t z j ü d i s c h e n V e r m ö g e n s " v o m 3. D e z e m b e r 1938 stellte schließlich auch den j ü d i s c h e n P r i v a t b e s i t z u n t e r u m f a s s e n d e staatliche K o n trolle; R G B l . I ( 1 9 3 8 ) , S. 1709.
68
Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
chung mit führenden Vertretern des N S - R e g i m e s unmissverständlich klargemacht: D i e Exportgewinne mussten gesteigert werden, u m die Rüstung anzukurbeln. D i e „Judenfrage" sollte zwar „mit allen Mitteln angefasst" werden: „sie müssten auch aus der Wirtschaft raus"; die „Arisierung" sei aber allein Sache des Staates und nicht der Partei. 1 7 1 Ahnlich argumentierte G ö r i n g nach dem P o g r o m , als er n o c h einmal forderte, die Ü b e r n a h m e jüdischer B e t r i e b e dürfe nur auf streng gesetzlicher Grundlage erfolgen. 1 7 2 Alle Verordnungen, die die Judenfrage beträfen, sollten mit ihm abgesprochen werden, jede selbständige A k t i o n habe zu unterbleiben. 1 7 3 Derartige M a h n u n g e n hatten eine eindeutige Stoßrichtung: Sie zielten auf die vorhergegangenen Einzelaktionen der Gauleiter, die in Z u k u n f t in jedem Fall zu unterbleiben h a t t e n . 1 7 4 F ü r den Prozess der wirtschaftlichen Verfolgung bedeutete die neue Linie der Reichsregierung einschneidende Veränderungen. Z u m einen verfügten die Gauleiter und andere regionale Parteigliederungen als Genehmigungsinstanzen nun über die Autorität gesetzlich legitimierter Entscheidungsträger und k o n n t e n sich auf entsprechende K o m p e t e n z e n berufen. Z u m anderen hatte G ö r i n g aber regionalen Alleingängen eine deutliche Absage erteilt. I m Zusammenhang mit diesem neu entstandenen Interaktionsverhältnis sind bei der U n t e r s u c h u n g der regionalen E n t w i c k l u n g der Verfolgungspolitik ab 1938 vor allem zwei Fragen von Interesse: erstens die nach personellen oder organisatorischen Veränderungen angesichts der neuen legislativen Einbindung, die den Parteigliederungen vor O r t administrativsteuernde F u n k t i o n e n zuwies, und zweitens die nach der Durchsetzungsfähigkeit regionaler Sonderinteressen auf einem Politikfeld, das regionale Entscheidungsträger zwar einband, aber zumindest de jure n u n m e h r klar der zentralen Steuerung unterlag.
1. Die „Arisierungsstelle"
in
München
D e n ersten Schritt in R i c h t u n g eines umfassenden Vermögensentzuges im Zuge des P o g r o m s unternahm in M ü n c h e n die D e u t s c h e Arbeitsfront. Sie versuchte damit erneut, an ihrer Führungsposition bei der wirtschaftlichen Ausplünderung festzuhalten und avancierte tatsächlich kurzzeitig zu einer der zentralen Institutionen der wirtschaftlichen Verfolgung. A m 10. N o v e m b e r gründete die Arbeitsfront in M ü n c h e n die Vorbereitungsstelle für die Liquidation jüdischer Betriebe in
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Mitschrift der Konferenz vom 14. 10. 1938 im Reichsluftfahrtministerium; S t A N / K V Anklagedokumente/PS/1449/Umdrucke deutsch. Rechtswidrige Geschäfte, die nach dem 1. November 1938 getätigt worden waren, sollten rückgängig gemacht werden; Schreiben Görings an die Obersten Reichsbehörden vom 10. 12. 1938; StAN/KV-Anklagedokumente/NG/1250/Fotokopie. Schreiben Görings an die Obersten Reichbehörden vom 14. 12. 1938; B a y H S t A M / M F / 71645. So meinte Göring am 12. November in einer Sitzung im Reichsluftfahrtministerium, Richtlinien seien zwingend notwendig, da die Gauleiter sich sonst selbständig machen würden. Auch hätten sich Parteigenossen bereichert, was er in Zukunft unterbinden würde. Stenographische Niederschrift von der Besprechung über die Judenfrage vom 12. 11. 1938; StAN/KV-Anklagedokumente/PS/1816/Fotokopie.
IV. Die endgültige
Ausplünderung
69
der Landwehrstraße. D i e D A F nutzte hierbei ihr enges N e t z an Vertrauens- und B e t r i e b s o b m ä n n e r n , um die Kassenbestände, andere Barmittel und Schecks sowie sonstige Wertgegenstände aus den jüdischen Firmen sicherzustellen, während sich deren Inhaber in Haft befanden. D i e Leitung der Vorbereitungsstelle übernahm der Vorsitzende der Gaufachabteilung „ D e r D e u t s c h e H a n d e l " der D A F , L e i n felder, der sämtliche Beträge auf ein S p e r r k o n t o der B a n k der deutschen Arbeit überweisen ließ oder in der Dienststelle deponierte. Insgesamt richtete die Vorbereitungsstelle 106 Sicherungskonten ein. N a c h A b z u g von Lohnfortzahlungen, die die D A F den nichtjüdischen Beschäftigten der betroffenen Firmen bezahlte, und geringer Unterstützungsleistungen an die jüdischen Inhaber verblieben ihr allein von den K o n t e n 1 8 4 9 5 1 , 7 0 Reichsmark. Zudem entzog sie Barmittel in H ö h e von 7 6 3 9 4 , 4 2 Reichsmark. N a c h A b z u g der Zahlungen verbuchte die D A F aus diesen Mitteln insgesamt 5 2 4 3 3 , 6 1 R e i c h s m a r k . 1 7 5 D i e Arbeitsfront k o n n t e in M ü n c h e n ihre Führungsposition allerdings nicht lange behaupten und wurde bereits nach wenigen W o c h e n wieder aufgelöst. Dies lag zum einen an den „chaotischen Zuständen bei der Vorbereitungsstelle", die ein 1940 als B u c h p r ü f e r eingesetzter B e a m t e r der Bayerischen G e m e i n d e b a n k scharf rügte. Bargeld hatte die D A F in Briefumschlägen ohne Q u i t t u n g aufbewahrt und auch die K o n t o f ü h r u n g war höchst undurchsichtig. 1 7 6 Z u m anderen besaß die D A F bei ihren A k t i o n e n offensichtlich nicht die volle R ü c k e n d e c k u n g des G a u leiters. Dieser nahm E n d e N o v e m b e r 1938 die Zügel selbst in die H a n d und gründete die V e r m ö g e n s v e r w e r t u n g s - G m b H M ü n c h e n als Auffanggesellschaft für jüdischen Besitz. D i e Gesellschaft verfügte über mehr als 30 Mitarbeiter, die sich neben der Geschäftsführung auf eine Abteilung für Grundstückswesen, eine G e schäfts- und Rechtsabteilung, auf eine allgemeine Verwaltungs- und eine Häuserverwaltungsabteilung verteilten. N e b e n Rechtsanwälten und N o t a r e n arbeiteten hier auch Ingenieure und M a k l e r . 1 7 7 Offiziell diente die G m b H gemeinnützigen Z w e c k e n . Gegenstand des U n t e r n e h m e n s waren der E r w e r b , die Verwaltung und die anschließende Veräußerung jüdischen Vermögens. Tatsächlich verfügte die Gesellschaft über ein Stammkapital von 2 0 0 0 0 Reichsmark, wobei 5 0 0 0 Reichsmark ihr erster Geschäftsführer, der Kaufmann Matthäus D ö t s c h , hielt. Weitere 5 0 0 0 Reichsmark stammten v o m Dispositionsfond des Gauleiters, der am 20. J a nuar 1939 alle Geschäftsanteile selbst übernahm. Die G m b H war damit de facto eine Gesellschaft in den Händen des Gauleiters. 1 7 8 D i e M e t h o d e n bei der E n t z i e hung jüdischer Vermögenswerte waren radikal. D i e Mitarbeiter der Dienststelle nutzten die Inhaftierung zahlreicher jüdischer U n t e r n e h m e r in Dachau, um die Vermögenswerte unter ihre K o n t r o l l e zu bringen. Im D e z e m b e r 1938 erzwangen die mit der G m b H eng zusammenarbeitenden Rechtsanwälte W o l f und Kügle im
B e r i c h t ü b e r die P r ü f u n g der R e c h n u n g s l e g u n g der V o r b e r e i t u n g s s t e l l e für die L i q u i d a t i o n der j ü d i s c h e n B e t r i e b e der R e v i s o r e n der R e i c h s l e i t u n g v o m 7. 11. 1940; S t A M / NSDAP/37. I7i> E b d . 1 7 7 A b s c h l u s s b e r i c h t ü b e r die T ä t i g k e i t der V e r m ö g e n s v e r w e r t u n g s - G m b H M ü n c h e n v o m 2 5 . 1. 1939, S. 15 f.; S t A M / S t a a t s a n w a l t s c h a f t e n / 1 7 8 5 6 . 1 7 8 P r ü f u n g der V e r m ö g e n s v e r w e r t u n g s - G m b H M ü n c h e n v o m 16. 11. 1940, P r ü f u n g s z e i t raum 2 2 . 11. 1 9 3 8 - 3 1 . 8 . 1940; S t A M / N S D A P / 3 7 . 17:1
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
Konzentrationslager mittels zweier Musterschriftstücke die Unterschriften von 176 Juden, die damit den unwiderruflichen Auftrag erteilten, ihre Liegenschaften, Geschäfte und sonstigen Vermögenswerte zu „arisieren" oder zu liquidieren. 1 7 9 Die Dienststelle übernahm zudem die Vermögenswerte der „Vorbereitungsstelle" und bediente sich weiterhin der Mithilfe der D A F , um Juden zur Veräußerung ihres Vermögens zu zwingen. 1 8 0 Allein der Verkehrswert der von der G m b H entzogenen jüdischen Grundstücke, etwa ein Sechstel des nach wie vor in den Händen der jüdischen Bevölkerung des Gaugebiets befindlichen Grundbesitzes, belief sich auf 6,8 Millionen Reichsmark. Nach Abzug der durch die Entziehung übernommenen Belastungen und Verbindlichkeiten rechnete man mit einem Erlös von etwa acht Millionen Reichsmark. Den Gesamtwert der Immobilien von Münchner Juden schätzten die Mitarbeiter der G m b H auf etwa 50 Millionen Reichsmark. 1 8 1 D e r Zusammenhang von ideologischer Motivation und dem damit verbundenem Aktionismus der lokalen Parteigliederungen nach dem Pogrom von N o v e m ber 1938 auf der einen und utilitaristischen Zielsetzungen auf der anderen Seite lässt sich anhand der G m b H besonders gut nachzeichnen. D e r Befehl der Gauleitung lautete zunächst auf vollständige ökonomische „Ausschaltung" der Juden, wobei das Vermögen zum Wiederaufbau der Münchner Wirtschaft verwendet werden sollte: „Die in den Händen der Juden befindlichen Vermögenswerte", so der Schlussbericht über die Tätigkeit der Vermögensverwertungs-GmbH M ü n chen, „stellen nach nationalsozialistischer Anschauung einen Teil des deutschen Volksguts dar, um den größtenteils im Laufe der Zeit deutsche Volksgenossen, wenn auch unter dem Schein des Rechts, gebracht wurden. Eine individuelle Wiedergutmachung ist im ganzen gesehen unmöglich." Daher sollten den Juden die Vermögenswerte weggenommen und dem „Volkskörper" zugeführt werden. Des Gegensatzes zwischen geltenden und kurz bevorstehenden zentralen Regelungen war man sich offensichtlich bewusst. Den Zwang zu schnellem Handeln begründete die G m b H mit der laschen Haltung der staatlichen Verwaltung, die der Sachlage nicht gerecht werde: „Bezeichnend ist, dass nicht der Jude die Behauptung aufstellte, unter Druck gehandelt zu haben, sondern dass sich eine Anzahl Juden auf der Dienststelle freiwillig zur Abgabe der Vollmacht meldeten, um ihre Auswanderung zu beschleunigen. Dagegen haben die mit bürokratischen Hemmungen beseelten, der Kategorie der ewigen .Wenn und Abersager' Angehörenden die Frage der Rechtmäßigkeit in die öffentliche Debatte geworfen und nicht der Jude."182
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Urteil des L G München im Prozess gegen Hans Wegner vom 11. 7. 1950; Aussage des Notars Hans D., der sich aufgrund fehlender rechtlicher Grundlagen geweigert hatte, entsprechende Musterschriftstücke notarisch zu beglaubigen; Aussage vom 15. 12. 1949; StAM/Staatsanwaltschaften/17856. Zeugenaussage Leo S.s am 11. 10. 1949 im Rahmen des Strafprozesses gegen Wegner; ebd.; Bericht des Reichsschatzmeisters Schwarz vom 1 1 . 1 0 . 1940; StAM/NSDAP/37. Ebd., S. 17. Abschlussbericht über die Tätigkeit der Vermögensverwertungs-GmbH vom 25. 1. 1939, S. 2; StAM/Staatsanwaltschaften/17856.
IV. Die endgültige
Ausplünderung
71
Alle bisher geschilderten C h a r a k t e r i s t i k a , die den wirtschaftlichen Verfolg u n g s p r o z e s s auf Seiten der regionalen Parteigliederungen prägten - die d o m i nante Rolle des Gauleiters u n d seiner E n t o u r a g e , die A u s w e i t u n g des eigenen K o m p e t e n z b e r e i c h e s u n d das Streben nach materiellem P r o f i t - k u m u l i e r t e n sich in der v o n Adolf W a g n e r 1938 ins L e b e n gerufenen Dienststelle. W ä h r e n d sich die A k t i o n e n vor der radikal verschärften „ J u d e n p o l i t i k " w e i t g e h e n d auf A d - h o c A k t i o n e n u n d Ü b e r g r i f f e b e s c h r ä n k t hatten u n d z u r vollständigen A u s p l ü n d e r u n g bis 1937/38 der organisatorische U n t e r b a u gefehlt hatte, zeigte sich bei der G m b H eine deutliche T e n d e n z hin zu einer besser organisierten u n d damit effizienteren F o r m der A u s p l ü n d e r u n g . Bei den F ü h r u n g s k r ä f t e n setzte Wagner allerdings weiterhin v o r n e h m l i c h auf seine in der „ G e g n e r b e k ä m p f u n g " e r p r o b t e n u n d t r e u e n Altparteigenossen, die nicht i m m e r die erforderliche sachliche K o m p e t e n z m i t b r a c h t e n . 1 8 3 Anlass z u r Kritik hatte etwa das dilettantische G e s c h ä f t s gebaren des G e s c h ä f t s f ü h r e r s der G m b H D ö t s c h geboten. 1 8 4 Z u d e m hatten die eigenwilligen P r a k t i k e n der G m b H z u g u n s t e n der Parteikasse Gauleiter Wagner offensichtlich in Schwierigkeiten mit der Parteizentrale u n d der Reichsregierung gebracht. 1 8 5 M i t d e m eklatanten Verstoß gegen reichsweite Regelungen zeigten sich d a h e r k u r z f r i s t i g auch die G r e n z e n gauspezifischer Verfolgungspolitik. Mit den u m f a s s e n d e n Regelungen im R a h m e n der „ V e r o r d n u n g z u r A u s s c h a l t u n g der J u d e n aus d e m W i r t s c h a f t s l e b e n " v o m 3. D e z e m b e r 1938 w a r einer privatrechtlichen Gesellschaft wie der G m b H der rechtliche B o d e n endgültig e n t z o g e n . D i e Dienststelle hatte i n n e r h a l b k ü r z e s t e r Zeit den Besitz von 400 M ü n c h n e r J u d e n enteignet. D i e R e g i e r u n g von O b e r b a y e r n hatte aber als G e n e h m i g u n g s i n s t a n z ihre Zusage verweigert, so dass die Verträge hinfällig g e w o r d e n w a r e n . 1 8 6 Bereits am 22. April 1939 löste Gauleiter Wagner daher die V e r m ö g e n s v e r w e r t u n g s G m b H M ü n c h e n w i e d e r auf. 1 8 7 W ä h r e n d er damit f o r m a l seinen alleinigen Verfü-
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D e r M i t a r b e i t e r L u d w i g S c h r o t t e t w a h a t t e z w a r die H a n d e l s s c h u l e b e s u c h t , w a r a b e r seit A n f a n g d e r 1930er J a h r e a r b e i t s l o s u n d a r b e i t e t e v o r seiner A n s t e l l u n g bei der G m b H als H a u s v e r w a l t e r in e i n e m H J - H e i m ; U r t e i l d e r 3. S t r a f k a m m e r des L G M ü n c h e n v o m 11. 7. 1950; S t A M / S t a a t s a n w a l t s c h a f t e n / 1 7 8 5 6 . D ö t s c h h a t t e das Kapital n a h e z u v o l l s t ä n d i g a u f g e b r a u c h t . E r w u r d e d a r a u f h i n v o n d e m n e u e n G e s c h ä f t s f ü h r e r D z i e w a s a b g e l ö s t . N o c h A n f a n g 1939 r e c h n e t e m a n mit e i n e m Verlust v o n r u n d 6 0 0 0 0 0 R M . Ein B e r i c h t des G a u r e v i s o r s k a m zu d e m Schluss, dass das W e i t e r w i r t s c h a f t e n auf dieser Basis „nicht m e h r zu v e r a n t w o r t e n " sei; Bericht des G a u r e visors f ü r d e n s t e l l v e r t r e t e n d e n G a u l e i t e r N i p p o l d , o . D . ; S t A M / N S D A P / 3 7 . S c h r e i b e n d e r V e r m ö g e n s v e r w e r t u n g s - G m b H an d e n G a u r e v i s o r A l o i s B r a n d , in d e m sich die D i e n s t s t e l l e a u s d r ü c k l i c h f ü r die S c h w i e r i g k e i t e n e n t s c h u l d i g t e , die m a n d e m G a u l e i t e r bereitet habe; S c h r e i b e n v o m 2 7 . 2 . 1939. A m 11. 10. 1940 s c h r i e b R e i c h s s c h a t z m e i s t e r S c h w a r z an W i r t s c h a f t s m i n i s t e r F u n k , es gebe i m m e r n o c h U n k l a r h e i t e n ü b e r Beträge d e r V e r m ö g e n s v e r w e r t u n g s - G m b H , w e s h a l b B u c h p r ü f e r die Sache in die H a n d n e h m e n sollten; S t A M / N S D A P / 3 7 . L e t z t l i c h h a t t e die D i e n s t s t e l l e n u r ein G r u n d s t ü c k w e i t e r v e r ä u ß e r n k ö n n e n ; P r ü f u n g d e r V e r m ö g e n s v e r w e r t u n g s - G m b H M ü n c h e n v o m 16. 11. 1940; e b d . Siehe h i e r z u S p r u c h k a m m e r u r t e i l W e g n e r v o m 20. 12. 1948; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r t o n 1919. D i e S p r u c h k a m m e r stellte fest, die V e r m ö g e n s v e r w e r t u n g s - G m b H M ü n c h e n h a b e sich bei d e r V e r w e r t u n g des j ü d i s c h e n V e r m ö g e n s nicht e i n s c h r ä n k e n w o l l e n , sei j e d o c h in dieser F o r m g e g e n ü b e r d e n V e r w e r t u n g s i n s t i t u t i o n e n des F i s k u s g e r a d e als p r i v a t e G e s e l l s c h a f t n a h e z u r e c h t l o s g e w e s e n , w e s h a l b m a n eine a l l g e m e i n e U n t e r d r ü -
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
gungsanspruch über jüdische Vermögenswerte zunächst aufgeben musste, zeigte sich hier das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen dem von Göring formulierten alleinigen Zugriffsrecht des Staates und den Machtbestrebungen der regionalen Parteifunktionäre deutlich. Denn bereits wenige Monate nach Auflösung der G m b H , am 28. September 1939, erweckte sie der Gauleiter in veränderter G e stalt als „Treuhänder gemäß Beschluss des Regierungspräsidenten und Dienststelle des Beauftragten des Gauleiters" wieder zu neuem Leben. Die neue Dienststelle, in München meist einfach „Arisierungsstelle" genannt, sollte sich im Rahmen der wirtschaftlichen Verdrängung der Juden jetzt vor allem um die Verwaltung von Liegenschaften kümmern. Mit ihrer Etablierung war dem Gauleiter und dem neuen Dienststellenleiter Hans Wegner ein geschickter Schachzug gelungen. Sie machten sich die Verordnungen Görings zu Nutze, die sowohl die Partei in der Person des Gauleiters, als auch die Verwaltungsbehörden durch die Regierungspräsidenten an der Verwertung jüdischer Grundstücke beteiligte. 188 Wagner hatte seine Doppelfunktion als Innenminister der Landesregierung und als Gauleiter der Partei dazu benutzt, sowohl die Beteiligung der Verwaltung als auch die der Partei in den beiden Dienststellen, die in Personalunion durch Wegner geleitet und damit de facto vereinigt wurden, auch formal zusammenzufassen. Die neue Dienststelle konnte damit ihren Zuständigkeits- und Tätigkeitsauftrag sowohl vom obersten staatlichen Organ als auch vom höchsten politischen Hoheitsträger ableiten. 1 8 9 Die Tätigkeit der „Arisierungsstelle" bezog sich aber nicht ausschließlich auf die Entziehung und Verwertung von Grundbesitz. Auch hier diente die wirtschaftliche Verfolgung als Instrument für weitergehende Machtansprüche in der „Judenfrage". So arbeitete Wegner bei der ab 1939 einsetzenden umfassenden „Entmietung" der jüdischen Bevölkerung eng mit den zuständigen Referaten von Oberbürgermeister Fiehler zusammen. 1 9 0 Die „Entmietung" von Wohnungen benutzte die Dienststelle gleichzeitig zum Raub jüdischen Eigentums, was sie auf zwei Ebenen realisierte. Zum einen zwang sie die jüdische Bevölkerung durch
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190
ckungsstelle habe schaffen wollen. Eine Beurteilung dieser Vorgänge ist jedoch äußerst schwer, da als Uberlieferung nur die spärlichen Informationen in der Spruchkammerakte Wegner und in dem Tätigkeitsbericht 1942 der Nachfolgeorganisation dienten. D e r Tätigkeitsbericht der „Arisierungsstelle" ist - allerdings nicht kommentiert oder ausgewertet - in einer vom Stadtarchiv München herausgegebenen Studie über die Deportationen in München abgedruckt; Stadtarchiv, Deportation, D o k u m e n t 22 [ohne Seitenangabe]. Siehe hierzu die „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens" vom 12. 3. 1938, die dem Regierungspräsidenten die Einsetzung von Treuhändern für Grundstücke ermöglichte; R G B l . I (1938), S. 1709. Siehe auch „Durchführung der auf Grund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden erlassenen Anordnung der B V P " vom 5. 7. 1938, die bei Veräußerung von Grundstücken oder Gewerbebetrieben die Anhörung des Gauleiters erforderlich machte; Walk, Sonderrecht, S. 231. Tätigkeits- und Abschlußbericht, S. 1; siehe auch die kurze Beschreibung Hankes, die auf Material der Gedenkstätte Yad Vashem fußt; Hanke, Geschichte, S. 237. Tätigkeits- und Abschlußbericht, S. 14; Haerendel, Schutzlosigkeit; dies., Wohnungspolitik; zur Funktion des Treuhänders und zur Bedeutung, die der I H K auch nach dem Pogrom noch bei der „Arisierung" gewerblichen Vermögens zukam: Selig, „Arisierung", S. 60 ff.
IV. Die endgültige
Ausplünderung
73
eine „ I n s t a n d s e t z u n g s a b g a b e " dazu, die angeblichen K o s t e n der R e n o v i e r u n g selber zu t r a g e n . 1 9 1 Z u m anderen b e s c h l a g n a h m t e sie g r o ß e Teile der E i n r i c h t u n g , n a c h d e m sie die jüdischen M i e t e r z u m A u s z u g g e z w u n g e n h a t t e . 1 9 2 Von ihrem B ü r o in der W i d e n m a y e r s t r a ß e aus ü b e r n a h m die Dienststelle schließlich generell die Ü b e r w a c h u n g der jüdischen B e v ö l k e r u n g und etablierte eine A r t „ J u d e n p o h z e i " , was sie auch in m e h r f a c h e n K o n f l i k t mit der G e s t a p o brachte. Sie k ü m m e r t e sich u m die E i n h a l t u n g antisemitischer Vorschriften, indem sie jüdische W o h n u n gen nach E d e l m e t a l l - , S c h m u c k - und Wertsachen durchsuchte. D a r ü b e r hinaus ü b e r p r ü f t e die „Arisierungsstelle" das Tragen des „ J u d e n s t e r n s " und ü b e r w a c h t e die öffentlichen Verkehrsmittel, deren B e n u t z u n g der M ü n c h n e r jüdischen B e v ö l kerung seit d e m 14. O k t o b e r 1941 v e r b o t e n w o r d e n w a r . 1 9 3 D a m i t waren W e g n e r und seine G e f o l g s l e u t e nicht nur für die A u s p l ü n d e r u n g , s o n d e r n auch für die vollständige Isolation der jüdischen B e v ö l k e r u n g v e r a n t w o r t l i c h , die sie auch durch den E i n s a t z gezielter k ö r p e r l i c h e r
Gewalt vorantrieben.194
Besonders
krasse F o r m e n n a h m e n die U b e r g r i f f e im Sammellager M i l b e r t s h o f e n an, in dem B e t r o f f e n e barfuß die L a t r i n e n g r u b e n reinigen mussten und die Wegner eigenhändig mit F e u e r w e h r s c h l ä u c h e n
und S t ö c k e n bis zur U n k e n n t l i c h k e i t
verprü-
g e l t e . 1 9 5 D e r v o m G a u l e i t e r eingesetzte T r e u h ä n d e r sicherte sich mit derartigen M e t h o d e n weitreichende K o n t r o l l m ö g l i c h k e i t e n ü b e r die M ü n c h n e r J u d e n und deren Besitz. N e b e n der V e r w e r t u n g in eigener Regie beteiligte sich W e g n e r z u d e m d u r c h die E r h e b u n g von „ V e r w a l t u n g s g e b ü h r e n " an dem R a u b von V e r m ö g e n s w e r t e n . 1 9 6 D i e scheinlegale K o n s t r u k t i o n „Treuhänder gemäß Beschluss des R e g i e r u n g s p r ä s i d e n t e n " und der Einfluss des M ü n c h n e r Gauleiters Wagner beziehungsweise dessen N a c h f o l g e r s Giesler hatten der Dienststelle ungeachtet der H a l t u n g der R e i c h s r e g i e r u n g und der offensichtlichen
Kompetenzanmaßungen
Wegners das U b e r l e b e n gesichert. Allein bis z u m O k t o b e r 1940 erwirtschaftete die „Arisierungsstelle" einen G e w i n n von 7 2 2 4 0 6 , 4 0 R e i c h s m a r k . 1 9 7 Vergleicht man die ausgedehnten R a u b z ü g e und die umfassenden
Kontroll-
f u n k t i o n e n der „Arisierungsstelle" mit grundsätzlichen T e n d e n z e n im Z u g e der
191
192 193 194
196
197
S c h r e i b e n der S ü d d e u t s c h e n B a n k an das B L E A v o m 2 8 . 3 . 1957; B a v H S t A M / B E G / 1 3 4 0 6 ; V e r f o l g u n g s s c h i l d e r u n g v o n H e d w i g B . , 24. 2. 1955; B a y S t A M / B E G / 1 6 8 7 7 . Z e u g e n a u s s a g e D i e t e r L.s am 26. 7. 1947; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r t o n 1919. T ä t i g k e i t s - und A b s c h l u ß b e r i c h t , S. 29. A u f der D i e n s t s t e l l e verprügelte W e g n e r die B e t r o f f e n e n regelmäßig mit einer R e i t p e i t sche. „ A u s g e s c h l a g e n e Z ä h n e und F a u s t s c h l ä g e " , so gab ein B e t r o f f e n e r 1 9 4 7 an, „waren d o r t keine Seltenheit. B e s c h i m p f u n g e n w ü s t e s t e r A r t alltäglich." U r t e i l der 3. S t r a f k a m m e r des L G M ü n c h e n v o m 1 1 . 7 . 1950; S t A M / S t a a t s a n w a l t s c h a f t e n / 1 7 8 5 6 ; eidesstattliche V e r s i c h e r u n g D i e t e r L.s v o m 26. 7. 1947; ebd. E r m i t t l u n g s b e r i c h t gegen W e g n e r und S p r u c h der S p r u c h k a m m e r M ü n c h e n v o m 2 0 . 12. 1948; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r t o n 1919. W e g n e r fungierte als G u t a c h t e r des G a u l e i t e r s für alle „ A r i s i e r u n g s v e r t r ä g e " und erhielt hierfür eine G e b ü h r v o n 3 % der K a u f s u m m e . Z u d e m erhielt er weitere 3 % G e b ü h r e n als G e n e h m i g u n g s i n s t a n z tür die „ A r i s i e r u n g " ; P r ü f u n g des T r e u h ä n d e r s gem. B e s c h l u s s des R e g i e r u n g s p r ä s i d e n t e n v o n R e v i s o r e n und B u c h p r ü f e r n am 1 6 . 1 1 . 1940; S t A M / NSDAP/37. N a c h der endgültigen D e p o r t a t i o n und E r m o r d u n g der M ü n c h n e r J u d e n w u r d e die D i e n s t s t e l l e 1943 aufgelöst; ebd.
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
„Parteirevolution von unten" im Frühjahr 1933, so wird deutlich: die mit der wirtschaftlichen Verfolgung verbundenen Zielsetzungen - neben der Umsetzung ideologischer Vorgaben diente sie als ein Schlüsselelement für Expansions- und Kontrollbestrebungen der Partei - sind nach 1938 im Wesentlichen gleich geblieben. Durch die sich radikal verschärfende Judengesetzgebung in ein zunehmendes Konkurrenzverhältnis zur Reichsregierung um jüdisches Vermögen geraten und zugleich in ein staatlich legitimiertes Genehmigungsverfahren eingebunden, veränderten sich die Mittel der regionalen Parteidienststellen zur Durchsetzung dieser Ziele allerdings in Richtung eines expandierenden und wirkungsvoll organisierten Apparates unter Federführung des Gauleiters. So erklärt sich auch die nicht nur äußerst brutale, sondern in den Jahren 1938-1941 auch äußerst schnell vollzogene vollständige Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung. Insgesamt war Gauleiter Wagner in der Lage, zumindest partiell auch weiterhin eine gauspezifische „Arisierungspolitik" durchzusetzen, die stark von der Initiative der regionalen Parteifunktionäre geprägt blieb. Das häufig verwendete Bild der „wilden Arisierungen" im „gesetzesfreien R a u m " in der Zeit 1 9 3 3 - 1 9 3 7 / 3 8 darf also nicht den Eindruck erwecken, eine völlig willkürliche und unkontrollierte Verfolgungspraxis sei einer zentral gesteuerten und bürokratisch umgesetzten „Ausschaltung" der jüdischen Bevölkerung gewichen. Staatliche Verwaltungsbehörden und Parteiinstanzen zogen zwar bei der grundlegenden antisemitischen Zielsetzung an einem Strang, die Umsetzung blieb aber ein umstrittenes Feld, auf dem auch in den Jahren ab 1938 Positionskämpfe ausgetragen wurden. D e r Pogrom vom 9. N o vember 1938 und die damit im Zusammenhang stehenden zahlreichen Gesetze und Verordnungen wirkten daher in zweifacher Weise als Katalysator der weiterreichenden Ausplünderung. Zunächst sahen die lokalen Parteigliederungen im Pogrom den Startschuss und eine Legitimation für die radikale Vertreibung der Juden sowie regional initiierte Ausplünderungen. Darüber hinaus versuchten regionale Gliederungen der N S D A P angesichts der neuen legislativen Regelungen, durch eigene Aktionen der zentralen Reglementierung zuvorzukommen. Die dem Gauleiter gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen bei der „Arisierung" von Vermögenswerten gab diesem zwar auch administrativ-steuernde Funktionen. Die Einbindung in ein gesetzliches Genehmigungsverfahren führte aber nur partiell zu einer Veränderung der administrativen Strukturen und zu der von Göring geforderten Verfahrenskontrolle durch die maßgeblichen Berliner Ministerien. Fragt man nach Strukturen, Funktionen, Netzwerken oder Bürokratisierungstendenzen bei der „Arisierung", so muss festgestellt werden: Entscheidend für den Ausplünderungsprozess blieb die starke Stellung des Gauleiters und seines N e t z werkes, bürokratische Strukturen oder neue Eliten spielten in München auf Seiten der Parteiinstitutionen hingegen kaum eine Rolle. Innerhalb des für die „Arisierung" verantwortlichen Personenkreises waren weiterhin Werte wie unbedingte Loyalität, Bewährung in der Vergangenheit und ideologische Linientreue ausschlaggebend. 1 9 8
198
Rüdiger Hachtmann beschreibt am Beispiel der D A F diese Merkmale einer NS-Verwaltung als „charismatisch aufgeladene Polykratie"; Hachtmann, Arbeitsfront, S. 71; zu
IV. Die endgültige
75
Ausplünderung
2. Die „Holzaktion" in Nürnberg N o c h viel deutlicher tritt die grundlegende Kontinuität in Organisation und A k tion der maßgeblichen regionalen Parteigliederungen und die Bedeutung personalistischer Herrschaftsbeziehungen bei der wirtschaftlichen Verfolgung in N ü r n berg zutage. H i e r begann die Partei mit der systematischen „Arisierung" gewerblichen Vermögens Ende 1937. A u c h hier war es die Deutsche Arbeitsfront, die an vorderster F r o n t gegen die jüdische Bevölkerung aktiv war. A m 1. D e z e m b e r 1937 erhielt der M a k l e r J o h a n n - H e i n r i c h Schätzler von der D A F durch Gauleiter Julius Streicher den Auftrag, das prominente Einkaufsviertel in der N ü r n b e r g e r K ö n i g s - und Karolinenstraße von jüdischen Geschäften zu „ r e i n i g e n " . 1 9 9 N o c h im selben M o n a t , am 16. Dezember, organisierte Streicher einen umfassenden W e i h n a c h t s b o y k o t t jüdischer Geschäfte, in dessen Verlauf sich S A - W a c h e n mit übermannshohen gelben Plakaten vor die Eingänge jüdischer Warenhäuser und Einzelhandelsgeschäfte postierten und so mit den üblichen antisemitischen A k t i o nen den Einkauf zu verhindern s u c h t e n . 2 0 0 I m Gegensatz zu M ü n c h e n nutzte der Gauleiter den weitverzweigten Apparat der Arbeitsfront und deren Einfluss in den Betrieben längerfristig, um das gewerbliche Vermögen der jüdischen Bevölkerung unter seine K o n t r o l l e zu bringen. D i e verschiedenen Fachgruppen der D A F waren dabei für die „Säuberung" ihres Spezialgebiets zuständig. F ü r die Industriebetriebe war federführend der entsprechende K r e i s o b m a n n Schulz zuständig, der Gauamtsleiter der D A F , Matthias Schröder, kümmerte sich um die Großhandelsbetriebe. D e r K r e i s o b m a n n E m m e n und ein weiterer Vertreter des Gauhandwerkswalters, Albert M ö r t e l , bestimmten die Richtlinien für die „ E n t j u d u n g " des H a n d w e r k s . Ludwig K ö h l e r war schließlich für die „Ausschaltung" des jüdischen Einzelhandels eingesetzt.- 0 1 Wie bereits erwähnt, waren die meisten der hauptverantwortlichen Parteigenossen bereits 1933 in der D A F oder früher Mitglieder der N ü r n b e r g e r Gliederungen der N S - H a g o gewesen und dann direkt in die D A F ü b e r n o m m e n worden. Es handelte sich also meist um „Alte K ä m p f e r " der ersten Stunde, die nicht nur langjährige Weggefährten des Gauleiters waren, sondern angesichts der frühen führenden Stellung der N S - H a g o bei der B o y k o t t i e r u n g jüdischer Geschäfte auch seit 1933 gegen die jüdische Wirtschaftstätigkeit vorgingen. 2 0 2 Innerhalb der D A F bil-
generellen Ü b e r l e g u n g e n b e z ü g l i c h einer T h e o r i e des N S - H e r r s c h a f t s s v s t e m s auch ders., „Neue Staatlichkeit". 199
Teil I V des B e r i c h t s der v o n G ö r i n g eingesetzten P r ü f u n g s k o m m i s s i o n ü b e r die „Arisier u n g e n " in F r a n k e n , S . 2 3 5 ;
StAN/KV-Anklagedokumente/PS/1757.
200 B e r i c h t d e s K a u f h a u s i n h a b e r s T h e o d o r H . v o r d e r S o n d e r k o m m i s s i o n d e r G e s t a p o v o m 20. 2. 1939; StAN/Staat:spolizeistelle 201
polizeistelle 202
Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/53.
E b d . , S. 1 0 1 ff.; B e r i c h t d e r G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n v o m 3. 4. 1 9 3 9 ; S t A N / S t a a t s Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/45.
D e r F a c h g r u p p e n w a l t e r d e r D A F , J o h a n n - H e i n r i c h Schätzler, e t w a , w a r seit M a i Parteimitglied. I m O k t o b e r
1934 w u r d e er L e i t e r der F a c h g r u p p e H a u s - und
1933
Grund-
s t ü c k s w e s e n in d e r N S - H a g o . A l s d i e s e 1 9 3 5 in d i e D A F a u f g i n g , w u r d e e r d o r t L e i t e r der U n t e r a b t e i l u n g H a u s u n d H e i m ; Teil I V des B e r i c h t s der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s sion, S. 2 3 7 ; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u m e n t e / P S / 1 7 5 7 . D e r G a u o b m a n n der D A F , G e o r g Peßler, w a r ebenfalls seit 1933 bei der N S - H a g o , genau wie d e r
Gaubetriebsgemein-
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
dete sich in F o r m von eigenen Arbeitskreisen und den Betriebsführern in den jüdischen Unternehmen eine Art „Ausschaltungsverwaltung" heraus, die sich mit den potentiellen Erwerbern und den Ubernahmebedingungen auseinandersetzte. 2 0 3 Besonderes Augenmerk der Parteigenossen galt den jüdischen Kaufhäusern in der Nürnberger Innenstadt, die ihnen nicht nur aus ideologischen Gründen ein D o r n im Auge waren, sondern auch zahlreiche Möglichkeiten des eigenen Profits boten. Das eigenmächtige Vorgehen, das die Funktionsträger der Nürnberger Partei dabei an den Tag legten, führte, wie bereits in den Jahren zuvor, zu erheblichen Konflikten mit der Reichsregierung. Prägnantes Beispiel hierfür ist das Vorgehen gegen das Kaufhaus „Weißer T u r m " . Das bereits 1933 häufig durch die N S - H a g o boykottierte Kaufhaus war auch erklärtes Ziel des Weihnachtsboykotts im D e zember 1937. D e r nichtjüdische Ehemann der jüdischen Inhaberin, T h e o d o r H., fuhr aufgrund der Übergriffe hilfesuchend ins Reichswirtschaftsministerium nach Berlin, wo ihm auch Unterstützung zugesagt wurde. Im Mai 1938 erhielt T h e o d o r H . allerdings einen Brief des Gauwirtschaftsberaters Strobl mit der darin enthaltenen Auflage, sich unverzüglich von seiner jüdischen Ehefrau zu trennen. O b gleich T h e o d o r H . unmittelbar darauf die Scheidung einreichte, erhielt er die Androhung weiterer Boykottaktionen im Zuge des Reichsparteitags vom September 1938. Auch ein durch Reichswirtschaftsminister Funk erstellter Ausweis, der dem Kaufhaus den „arischen" Charakter bescheinigte, konnte die Nürnberger Parteiaktivisten nicht aufhalten. Wegen erneuter Boykottaktionen der Nürnberger N S D A P erlitt das Kaufhaus weiterhin erhebliche Umsatzeinbußen. Schließlich setzte Gauwirtschaftsberater Strobl auch in der Führungsstruktur des Kaufhauses erhebliche Veränderungen durch. Ein O b m a n n der DAF, Eugen Leissing, musste als Geschäfts- und Betriebsführer mit einem monatlichen Gehalt von 1250 Reichsmark und für einen Zeitraum von zehn Jahren eingestellt werden. Ü b e r diese stattliche Vergütung hinaus ergaunerte sich das Mitglied der Arbeitsfront weitere Geldbeträge und Mobilien. Als neuer Geschäftsführer erzwang sich Leis-
schaftswalter Georg Leissing; Verhandlung der Gestapo-Prüfungskommission vom 16. 3. 1939; B A B / R 58/3514. D e r Gaufachgruppenwalter der D A F , Fachgruppe G r o ß - und Außenhandel, Fritz Schäfer, hatte diese Position seit dem 1. Januar 1935 für den Bereich Nürnberg-Stadt; Verhandlung der Gestapo-Prüfungskommission vom 1 4 . 3 . 1939; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Ärisierungsakten/40. Ahnliches galt für Gauamtsleiter Matthias Schröder, der seit 1934 der N S - H a g o angehörte; ebd. Gauinspektor Ritter, gleichzeitig Personal waiter der D A F , gehörte der Partei bereits seit 1925 an; Lebenslauf Ritters in: Denkschriften von Streicher und H o l z mit Beilagen vom April 1939; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u m e n t e / P S / 4 0 6 / F o t o k o p i e . Albert Mörtel von der Handwerksorganisation der D A F war seit 1933 in der N S - H a g o ; Verhandlung der Gestapo-Prüfungskommission vom 21. 3. 1939; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/45. 203
Beim Einzelhandel gehörten dieser Gruppe neben deren Leiter Ludwig Köhler, Gauinspektor der D A F Haberkern, Fekl aus der Fachabteilung für den Einzelhandel der D A F , Rauh von der Unterabteilung G r o ß - , Ein- und Ausfuhrhandel und dessen Geschäftsführer Schoenekäs an. D e r Großhandel wurde neben dem Gauwirtschaftsberater durch Gauamtsleiter Schröder und Gaufachgruppenwalter Schäfer „arisiert"; Teil II des Berichts der Gestapo-Prüfungskommission, S. 101 ff.; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u m e n t e / P S / 1757.
IV. Die endgültige
Ausplünderung
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sing nicht nur eine vierprozentige G e w i n n b e t e i l i g u n g , er n a h m sich neben einem luxuriösen D i e n s t w a g e n auch regelmäßig dreistellige R e i c h s m a r k b e t r ä g e als „Spes e n " aus den Kaufhauskassen. K o n t r o l l e errang der G a u w i r t s c h a f t s a p p a r a t ü b e r das K a u f h a u s auch durch einen dreiköpfigen Verwaltungsrat, bestehend aus S A - G r u p p e n f ü h r e r H a n s G ü n t e r von O b e r n i t z , G a u i n s p e k t o r Friedrich R i t t e r und dem K r e i s o b m a n n der D A F , E m m e r t , der durch O t t o S t r o b l eingesetzt w o r d e n war. Sämtliche Mitglieder des Verwaltungsrats erhielten ein m o n a t l i c h e s Salär von 4 0 0 R e i c h s m a r k .
Zudem
erhielt Streichers G a u - A p p a r a t das R e c h t , den Aufsichtsrat für das Kaufhaus zu ernennen und abzulösen. Als B e g r ü n d u n g für ihr Vorgehen gab die G a u l e i t u n g später an, nur sie b e s t i m m e in F r a n k e n , w e l c h e r B e t r i e b als „arisch" zu gelten habe. D a h e r erhielten Leissing und der Verwaltungsrat auch die A u f g a b e , in dem U n t e r n e h m e n nach V o r w ä n d e n zu suchen, um T h e o d o r H . nach D a c h a u zu bringen. D e m Treiben der D A F setzte erst eine B e r l i n e r S o n d e r k o m m i s s i o n 1939 ein E n d e . D e r fachlich v o l l k o m m e n ungeeignete Leissing hatte sich parallel v o m K a u f h a u s und der D A F bezahlen lassen, das Personal b e d r o h t und w a r z u d e m b e t r u n k e n z u m D i e n s t erschienen. A n g e h ö r i g e der G e s t a p o n a h m e n ihn daher in H a f t u n d setzten anschließend wieder T h e o d o r H . als alleinigen G e s c h ä f t s f ü h r e r ein.204 E i n e deutliche Verschärfung erfuhr die Verdrängung der jüdischen B e v ö l k e rung aus der W i r t s c h a f t ebenfalls am 10. N o v e m b e r 1938 im R a h m e n der sogenannten Reichskristallnacht. Allein in M i t t e l f r a n k e n zerstörten die Parteigliederungen im Verlauf dieser A k t i o n 17 S y n a g o g e n und 115 jüdische G e s c h ä f t e . 3 9 jüdische L ä d e n wurden geschlossen und in 5 9 4 jüdischen W o h n u n g e n die I n n e n einrichtung vollständig zerstört o d e r b e s c h ä d i g t . 2 0 5 A u c h in N ü r n b e r g waren es offensichtlich zwei B e w e g g r ü n d e , die G a u l e i t e r Julius Streicher und die F u n k t i o näre der N ü r n b e r g e r Partei nach d e m 9. und 10. N o v e m b e r zu einer raschen, vollständigen und eigenmächtigen A u s p l ü n d e r u n g der N ü r n b e r g e r J u d e n veranlassten. Z u n ä c h s t handelte es sich hierbei um die w ä h r e n d des P o g r o m s staatlich initiierte und geschürte G e w a l t , die Streicher und seinen Stellvertreter Karl H o l z zu der A n n a h m e verleiteten, bei der Verfolgung der J u d e n seien nun endgültig alle rechtlichen D ä m m e g e b r o c h e n . S c h w e r w i e g e n d e r dürfte sich allerdings der antisemitische Radikalismus und das daraus resultierende Sendungsbewusstsein des Gauleiters ausgewirkt haben, an dem bereits v o r dem P o g r o m alle I n t e r v e n t i o n s versuche der Reichsregierung zerschellt waren. Streichers Auffassung g e m ä ß standen die E r l ö s e aus j ü d i s c h e m V e r m ö g e n dem G a u F r a n k e n und nicht der R e i c h s kasse zu. D a h e r sah er sich schon v o r der „Verordnung zur A u s s c h a l t u n g der J u d e n aus dem W i r t s c h a f t s l e b e n " v o m 3. D e z e m b e r 1938, also der umfassenden staatlichen Regulierung des „ A u s s c h a l t u n g s p r o z e s s e s " , z u m H a n d e l n veranlasst. In den B e g r ü n d u n g e n der G a u l e i t u n g , die in vielen A s p e k t e n Ä h n l i c h k e i t e n mit
- 3 4 Siehe hierzu die z a h l r e i c h e n S c h r i f t s t ü c k e im R a h m e n der U n t e r s u c h u n g der G e s t a p o P r ü f u n g s k o m m i s s i o n im F e b r u a r und Mär/. 1939; S t A N / S t a a t s p o l i z e i s t e l l e N ü r n b e r g Fürth/Arisierungsakten/53. - 0 5 M o n a t s b e r i c h t des R e g i e r u n g s p r ä s i d e n t e n v o n O b e r f r a n k e n und M i t t e l f r a n k e n für N o v e m b e r 1938 v o m 8. 12. 1938; H S t A M / M A / 1 0 6 6 7 8 .
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
den Ausführungen der „Vermögensverwertungsstelle" in M ü n c h e n aufwiesen, schlug sich das offen zur Schau gestellte Selbstbewusstsein des fränkischen Parteiapparates deutlich nieder. D a die Juden, so Karl H o l z , die G r u n d s t ü c k e in der I n flationszeit für zehn P r o z e n t des tatsächlichen Wertes erworben hätten und darüber hinaus ihre I m m o b i l i e n tarnen und „ J u d e n k n e c h t e n " schenkungsweise überlassen würden, habe man handeln müssen. Wegen der besonderen Verdienste des Gaues in der „Judenfrage" und den speziellen Aufgaben als „Stadt der Reichsparteitage" müsse man auch besonders entlohnt w e r d e n . 2 0 6 A u c h die Entschädigung von „Altparteigenossen" spielte in der späteren Rechtfertigungsstrategie des G a u leiters eine Rolle. I m N a c h h i n e i n meinte Streicher, mancher Parteigenosse habe halt gehofft, endlich mal ein menschenwürdiges L e b e n führen zu k ö n n e n . 2 0 7 U n m i t t e l b a r nach dem P o g r o m zwang die Gauleitung sämtliche jüdischen B e triebs- und Grundstückseigner, ihren Besitz für fünf bis zehn P r o z e n t des E i n heitswertes zu verkaufen 2 0 8 E n t z o g e n wurden auch Kraftfahrzeuge und M ö b e l s t ü c k e . 2 0 9 D i e E r l ö s e wurden dabei nicht an die ehemaligen Inhaber, sondern auf ein S p e r r k o n t o der Partei überwiesen 2 1 0 E r h o b e n wurde darüber hinaus eine „Spende" von einem bis drei P r o z e n t des Kaufpreises, die an die Gauleitung überwiesen werden musste. 2 1 1 D i e „Arisierung" der jüdischen B e t r i e b e verlief in ähnlicher Weise. A u c h hier hatte der Käufer eines jüdischen Betriebes 25 P r o z e n t des Kaufpreises auf ein Sperrkonto zugunsten der Partei zu bezahlen. D e m Veräußerer wurde - wie bei den G r u n d s t ü c k e n - bis zur E n d a b r e c h n u n g nichts b e z a h l t . 2 1 2 Prinzipiell übernahm der E r w e r b e r nur den Einheitswert des Grundstückes eines Betriebes und das Warenlager; für Einrichtungsgegenstände, Außenstände und Fagonwert der F i r m a bezahlte die Partei nichts. 2 1 3 Jüdische F i r m e n wurden also, wie dies selbst Mitglieder der SS 1939 einräumten, „regelrecht ausgeschlachtet" 2 1 4 A u f diese Weise gelang es den Spitzenfunktionären der N ü r n b e r g e r Partei, etwa 5 7 0 G r u n d s t ü c k e mit einem Weiterveräußerungswert von 12 bis 15 Millionen R e i c h s m a r k an sich zu r e i ß e n . 2 1 5 D a r ü b e r hinaus erzwang die Gauleitung etwa 72 „Arisierungen" auf dem G e b i e t des G r o ß h a n d e l s und der Industrie. Insgesamt enteignete sie die Inhaber von über 2 0 0 jüdischen F i r m e n , die daraufhin als „ent-
206 'Xeil ι des Berichts der Gestapo-Prüfungskommission, S. 16 und 30; StAN/KV-Anklagedokumente/PS/1757. 207
208 209
210 211
212 213
214 2)5
Denkschrift Julius Streichers vom 14.4. 1939; StAN/KV-Anklagedokumente/PS/404/ Fotokopie. Xeil I des Abschlussberichts der Gestapo-Prüfungskommission über die „Arisierung" im Gau Franken; StAN/KV-Anklagedokumente/PS/1757, S. 18. Vernehmung des Grundstücksmaklers Johann-Heinrich Schätzler am 1. 4. 1939 im Rahmen der Uberprüfung der„Arisierungsaktion"; StAN/Staatspolizeistelle NürnbergFürth/ Arisierungsakten/40. Ebd. Teil III des Berichts der Gestapo-Prüfungskommission, D o k . 143; StAN/KV-Anklagedokumente/PS/1757. Teil II des Berichts der Gestapo-Prüfungskommission, D o k . 102-107; ebd. Ebd., Dok. 128. Ebd. Ebd., Dok. 65.
IV. Die endgültige
79
Ausplünderung
j u d e t " g a l t e n . 2 1 6 Schließlich eignete sich die Partei n o c h etwa 4 0 F a h r z e u g e von j ü d i s c h e n H a l t e r n an - meist zugunsten von M i t a r b e i t e r n der G a u l e i t u n g . 2 1 7 Z u r D u r c h f ü h r u n g dieses R a u b z u g e s hatte Streicher auf seine altbewährten Seilschaften zurückgegriffen. D i e D u r c h f ü h r u n g der A k t i o n oblag fast ausschließlich Mitgliedern der D A F , die in ihrer F u n k t i o n als S a c h b e a r b e i t e r der A b t e i l u n g „ H a u s und H e i m " die jüdischen E i g e n t ü m e r zur Veräußerung z w a n g e n . 2 1 8 D i e F e d e r f ü h r u n g hatte als Stellvertreter von H o l z der G a u f a c h s c h a f t s w a l t e r H e i n r i c h W o l f inne. D e r I m m o b i l i e n h ä n d l e r G e o r g Nagel von der A r b e i t s f r o n t fungierte als „Beauftragter für die Stadt N ü r n b e r g "
219
D i e M ö b e l verwertete G a u a m t s l e i t e r
Schröder. F ü r die „ A r i s i e r u n g " und L i q u i d i e r u n g der B e t r i e b e war eine K o m m i s sion des G a u w i r t s c h a f t s b e r a t e r s und der D A F zuständig. M ö b e l und E i n r i c h tungsgegenstände der jüdischen F i r m e n stellten Angestellte der A r b e i t s f r o n t n o c h in den R ä u m e n der jüdischen F i r m e n sicher und veräußerten sie w e i t e r . 2 2 0 Weitere Verhandlungen und Veräußerungen wurden von der Zentrale, dem A m t s s i t z der D A F in der E s s e n w e i n s t r a ß e , aus getätigt. D i e „ A r i s i e r u n g " und L i q u i d i e r u n g der 62 n o c h in N ü r n b e r g v o r h a n d e n e n jüdischen H a n d w e r k s b e t r i e b e
übernahm
federführend K r e i s o b m a n n E m m e r t von der A b t e i l u n g „ D a s D e u t s c h e H a n d w e r k " . D i e G a u f a c h g r u p p e n w a l t e r dieses B e r e i c h s begaben sich mit vorgefertigten F o r m u l a r e n in die b e t r o f f e n e n B e t r i e b e und stellten nach geleisteter U n t e r schrift die E i n r i c h t u n g s g e g e n s t ä n d e sicher. I n n u n g s o b e r m e i s t e r der H a n d w e r k s k a m m e r schätzten deren Wert, um sie anschließend zu veräußern. D i e „ A b w i c k lung" der B e t r i e b e erfolgte durch die G a u f a c h g r u p p e n w a l t e r . 2 2 1 D i e „ A r i s i e r u n g " der K r a f t w a g e n ü b e r n a h m schließlich S A - S t a n d a r t e n f ü h r e r Hutzier, R e f e r e n t der K a n z l e i des Gauleiters und gleichzeitig L e i t e r der S A - W a c h e bei der „Arisierungsstelle".222 D i e U b e r s c h r e i b u n g der zahlreichen jüdischen G r u n d s t ü c k e auf den N a m e n von Karl H o l z in den G r u n d b ü c h e r n trieb G a u r e c h t s b e r a t e r und O b e r s t a a t s a n walt b e i m L a n d g e r i c h t N ü r n b e r g D e n z l e r v o r a n , der gleichzeitig persönlicher juristischer B e r a t e r des A d j u t a n t e n des Gauleiters K ö n i g w a r . 2 2 3 A h n l i c h wie R e g i e rungspräsident D i p p o l d wagte O b e r l a n d e s g e r i c h t s p r ä s i d e n t H ö s c h offensichtlich nicht, sich Streicher in den Weg zu stellen. Seiner M e i n u n g nach hatten - rein rechtlich gesehen - die Verträge keine bindende W i r k u n g . E r habe aber keine B e -
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B e r i c h t des P o l i z e i p r ä s i d e n t e n M a r t i n an O R R G . v o m R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m v o m 18. 5. 1940; S t A N / S t a a t s p o l i z e i s t e l l e N ü r n b e r g - F ü r t h / A r i s i e r u n g s a k t e n / 3 7 . Teil II des B e r i c h t s der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n , D o k . 125 und 2 4 5 ; S t A N / K V - A n klagedokumente/PS/1757. B e r i c h t des F i n a n z a m t s N ü r n b e r g - W e s t , R R D r . H . an den O F P N ü r n b e r g , v o m 9. 3. 1939; S t A N / O F P N ü r n b e r g - L a n d / 8 a . D u r c h s u c h u n g s b e r i c h t der G e s t a p o b e i m G r u n d s t ü c k s m a k l e r N a g e l v o m 10. 2. 1939; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/41. Teil II des B e r i c h t s der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n , S. 106; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u mente/PS/1757. B e r i c h t der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n v o m 3 . 4 . 1939; S t A N / S t a a t s p o l i z e i s t e l l e Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/45. Teil I V des B e r i c h t s der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n , S. 2 4 5 f.; St A N / K V - A n k l a g e dokumente/PS/1757. E b d . , S. 2 9 0 .
80
Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
denken, da jeder im G a u gewissen Zwängen unterliege. 2 2 4 Gleiches galt w o h l auch für die N ü r n b e r g e r Polizeibeamten, die sich nach Schilderungen ihres Präsidenten B e n n o Martin „unter derartigem D r u c k befanden, daß sie u m ihre Existenz fürchteten, wenn sie in dieser Angelegenheit Erklärungen machen s o l l t e n " . 2 2 5 Angesichts der Brutalität Streichers und seiner Gefolgschaft waren derartige B e d e n k e n nicht unbegründet. W ä h r e n d eines Verhörs mit der Gestapo gab einer der betroffenen J u d e n am 16. Januar 1939 ein prägnantes Beispiel für die Vorgehensweise der dortigen Parteifunktionäre: „ A m 12. 11. 1938, etwa u m 15.30 U h r wurde ich durch einen Kriminalpolizeibeamten von meiner Wohnung mittels Kraftwagen abgeholt und zur D e u t s c h e n Arbeitsfront in die Essenweinstraße 1 gebracht. Ich kann mich entsinnen, daß auch einige N S K K - L e u t e in U n i f o r m mit im Kraftwagen saßen. D o r t a n g e k o m m e n , wurde ich in einen verhängten Keller geführt. E r w ä h n e n m u ß ich noch, daß gleichzeitig mein F r e u n d Ludwig R . , der sich bei mir aufhielt, festgenommen und mit zur D A F verbracht wurde. I m weiteren Verlauf mußten wir dort unseren R o c k und Weste ausziehen und sämtliche Gegenstände aus allen Taschen entfernen. H i e r a u f wurden wir mit dem Gesicht zur Wand gestellt. M e i n Freund und ich wurden anschließend gefragt, wann wir erschossen werden wollten! Mein Freund sagte: ,Sofort'. Ich dagegen äußerte: ,daß ich zuerst noch einmal meine Frau sprechen m ö c h t e und dann k ö n n e n sie schießen.' Hierauf folgten Kniebeugen, ferner mußte ich mit den etwa 7 A n w e senden, ebenfalls J u d e n , einen S p r e c h c h o r einstudieren, der etwa sinngemäß wie folgt lautete: , A m 7. 11. 1938 wurde in Paris ein D e u t s c h e r von einem J u d e n ermordet, auch wir gehören dieser Mörderrasse an.' Ich selbst war etwa im ganzen 6 - 7 Stunden bei der D A F . E r w ä h n e n muß ich n o c h , daß wir zwischendurch auch z u m photographieren geschickt wurden und zwar in den 2. S t o c k . Es wurden dort zuerst A u f n a h m e n in Zivil gemacht, hernach mußten wir uns nackt ausziehen und wurden dann so in dieser A u f m a c h u n g im Bilde festgehalten. Anschließend führte man mich wieder in den Keller. D a fällt mir eben noch ein, daß ich während meines Aufenthaltes im Keller einmal von einem H e r r n gefragt wurde: ,Wie geben sie ihr Anwesen ab, das heißt um welchen Preis?' Ich sagte nichtsahnend den n o r m a len Preis von R M 1 2 0 0 0 0 . " Makler Nagel zwang den jüdischen Kaufmann n o c h während des Verhörs zur A b g a b e seines Grundstücks an den G a u für 1 0 5 6 0 Reichsmark. U m 22.30 am selben Tag entließ die D A F den Geschäftsmann, um ihn allerdings am 14. N o v e m b e r erneut zu verhaften. J e t z t musste er sein A n w e sen urkundlich abtreten und Eigentumsvormerkungskosten in H ö h e von 105,58 Reichsmark bezahlen.226 D i e fast vollständige Ausplünderung der N ü r n b e r g e r J u d e n , die bereits durch die der „ H o l z a k t i o n " vorangegangenen B o y k o t t e und Übergriffe wirtschaftlich
224
225 226
Schilderung des Landgerichtsdirektors G. an den Oberstaatsanwalt vom 5 . 2 . 1939; StAN/KV-Anklagedokumente/NG/616/Fotokopie. Schreiben Martins an die Reichsregierung 1939; I f Z / M A / 6 1 2 / 8 0 2 8 1 - 8 2 . Protokoll der Gestapo-Prüfungskommission vom Verhör des Kaufmanns am 16. 1. 1939; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/39; vgl. auch die zahlreichen weiteren Schilderungen der Betroffenen in dieser Akte.
IV. Die endgültige
Ausplünderung
81
erheblich g e s c h w ä c h t w o r d e n w a r e n 2 2 7 , ging mit einer B e r e i c h e r u n g einher, die nicht nur bei den im Kaufhaus „Weißer T u r m " eingesetzten Parteigenossen fast skurrile F o r m e n a n n a h m . N e b e n dem Gauleiter, der mit der „ H o l z a k t i o n " seinen aufwendigen Lebensstil zu
finanzieren
g e d a c h t e 2 2 8 , und seinen Weggefährten, die
sich an j ü d i s c h e m V e r m ö g e n b e r e i c h e r t e n 2 2 9 , profitierten auch zahlreiche Trittbrettfahrer. E i n e r von ihnen w a r der wegen B e t r u g e s vorbestrafte Volkswirt W i l helm H . E r verfügte ü b e r K o n t a k t e zu einer Wahrsagerin, die den Spitzen der N ü r n b e r g e r Partei die Z u k u n f t voraussagte. D i e s e vermittelte ihm eine Beteiligung an zahlreichen „ A r i s i e r u n g s g e s c h ä f t e n " . D e r K a u f m a n n H . w i e d e r u m beteiligte die Wahrsagerin und eine C a f e b e s i t z e r i n mit vierstelligen R e i c h s m a r k b e t r ä g e n . 2 3 0 D i e „ A r i s i e r u n g s g e w i n n e " sollten aber auch s t r u k t u r f ö r d e r n d im Sinne der „ V o l k s g e m e i n s c h a f t " eingesetzt werden. So plante der G a u sie für die F i n a n zierung neuer G e b ä u d e , darunter auch einer H o c h s c h u l e ein
231
Ä h n l i c h wie in M ü n c h e n blieben s o m i t die M a c h t und der antisemitische A k t i o n i s m u s des Gauleiters und seiner „ C l i q u e " auch unter der veränderten K o n stellation nach 1 9 3 8 für die wirtschaftliche „ A u s s c h a l t u n g " der J u d e n m a ß g e b lich, w o b e i sich j e nach regionalen G e g e b e n h e i t e n die in den Verfolgungsprozess involvierten N S D A P - G l i e d e r u n g e n - durch den Beteiligungsgrad der D A F wird dies besonders deutlich - unterscheiden k o n n t e n . W i e das N ü r n b e r g e r Beispiel d a r ü b e r hinaus verdeutlicht, k o n n t e es im Z u g e der wirtschaftlichen Verfolgung weiterhin zu erheblichen S p a n n u n g e n zwischen R e i c h und R e g i o n k o m m e n , die sich im Falle Streichers im S t u r z der F ü h r u n g s s p i t z e der fränkischen
NSDAP
entluden. Z w a r stellen die Z u s t ä n d e im G a u F r a n k e n auch im Vergleich mit anderen G a u e n des R e i c h e s einen Sonderfall dar, wegen des massiven Eingriffs der S p i t z e der Reichspartei und der M i n i s t e r i a l b ü r o k r a t i e lassen sich aber die M ö g l i c h k e i t e n und G r e n z e n gauspezifischer „ J u d e n p o l i t i k " in den J a h r e n 1938— 1941 anhand des Beispiels der „ H o l z a k t i o n " exemplarisch aufzeigen. Z u n ä c h s t stellte die Vorgehensweise des Gauleiters und der N ü r n b e r g e r N S D A P
selbst
nach M a ß s t ä b e n des N S - S t a a t e s einen eklatanten R e c h t s b r u c h dar. N a c h der „ V e r o r d n u n g ü b e r die A n m e l d u n g jüdischen V e r m ö g e n s " v o m 26. April
1938
bedurfte j e d e V e r ä u ß e r u n g von j ü d i s c h e m land- oder f o r s t w i r t s c h a f t l i c h e m B e sitz der G e n e h m i g u n g der h ö h e r e n V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n . Bereits am 2. August 1938 hatte der R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r z u d e m angeordnet, dass die letztgültige E n t s c h e i d u n g ü b e r die „ A r i s i e r u n g " bei den staatlichen Stellen liege. Seit 1935
227
Teil II des B e r i c h t s der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n , S. 129; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u mente/PS/1757.
228
A u s s a g e eines Verlegers vor der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n v o m 19. 3. 1939; B A B / R 3001/3381. S o erhielten die M a k l e r der D A F 3 % der E r l ö s e als „ A u f w a n d s e n t s c h ä d i g u n g " . D a r ü b e r hinaus w u r d e n auch j ü d i s c h e W e i n g e s c h ä f t e ausgeplündert und die F l a s c h e n für F e i e r lichkeiten der Partei v e r w e n d e t ; „ A r i s i e r u n g " der W e i n h a n d l u n g S e l m a O . , 6. 3. 1939; S t A N / S t a a t s p o l i z e i s t e l l e N ü r n b e r g - F ü r t h / A r i s i e r u n g s a k t e n / 3 2 ; V e r h ö r des K r e i s o b m a n n e s E m m e r t v o r der P r ü f u n g s k o m m i s s i o n am 2 3 . 2. 1939; B A B / R 5 8 / 3 5 1 4 . Teil I des B e r i c h t s der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n ; ebd. A u s s a g e des D A F - M i t g l i e d s N a g e l v o r der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n am 2 4 . 2. 1939; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/41.
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Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
waren Grundstückserwerbe durch die Gliederungen der Partei schließlich dem Reichsschatzmeister zur Genehmigung vorzulegen. Gleiches galt für Rechtsgeschäfte, die einen Gegenstand im Wert von mehr als 10000 Reichsmark beinhalteten. 2 3 2 Waren schon die Boykottaktionen in Nürnberg zum Teil gegen den Willen der Reichsregierung durchgeführt worden, so führte bei dem Raub jüdischen Vermögens die Trias aus ungesetzlichem Vorgehen, sadistischen Methoden und Korruption zu einem Konflikt mit der Spitze von Partei und Staat, der schließlich mit der Absetzung des Gauleiters endete. Unter Obersturmbannführer Meisinger vom Reichssicherheitshauptamt begann am 10. Februar 1939 eine Untersuchungskommission, bestehend aus 14 Mitgliedern der Polizei sowie des Wirtschafts- und Finanzministeriums, die Vorgänge in Nürnberg zu untersuchen. 2 3 3 Die Sonderkommission überprüfte insgesamt 206 Fälle von „Entjudungen", wobei sie letztlich drei Fälle als eindeutig nachweisbare „Korruption" wertete. 2 3 4 Zahlreiche N ü r n berger Parteigenossen wurden verhaftet und das durch die Plünderungen eingenommene Geld eingezogen, die Verantwortung für die Abwicklung der weiteren Enteignung jüdischen Vermögens in die Hände der Gestapo gelegt. 235 U n t e r den Verhafteten befanden sich vor allem Mitglieder der Parteispitze in Nürnberg, unter anderem Gauschatzmeister Rudi Höllerich, der im Frühjahr 1939 aus seinem Amt ausscheiden musste 2 3 6 , SS-Obersturmbannführer Friedrich Ritter, dem das SS-Hauptamt Dienstgrad und Mitgliedschaft in der SS aberkannte 2 3 7 , Gauwirtschaftsberater Strobl, den man von seinen Posten als Gauwirtschaftsberater und Präsident der I H K beurlaubte 2 3 8 , sowie der D A F - F u n k t i o n ä r Johann-Heinrich Schätzler, gegen den ein OPG-Verfahren angestrengt und den das Parteigericht letztlich wegen „jüdischen Bluteinschlags seiner G r o ß m u t t e r " aus der Partei ausschloss. 2 3 9 Schließlich wurde auch gegen den Gauleiter Julius Streicher 1940 ein Ehrengerichtsverfahren durchgeführt. Ein Gremium aus sechs Gauleitern kam zu dem Urteil, Streicher sei für die Menschenführung ungeeignet. Wohl auf Anweisung Hitlers selber hatte sich Streicher daraufhin auf seinen Gutshof Pleikershof
Teil I des Berichts der Gestapo-Prüfungskommission, S. 2 - 1 2 ; StAN/KV-Anklagedokumente/PS/1757. 2 3 5 Brief des Gauschatzmeisters Höllerich an den Reichsschatzmeister Schwarz vom 1 5 . 2 . 1939; StAN/NS-Mischbestand/Gauleitung/181. 2 3 4 Bericht über die im Gau Franken erfolgten „Arisierungen"; B A B (ehemals B D C ) / W u r z bacher, Philipp. 2 3 5 Bericht des Oberlandesgerichtspräsidenten vom 11. 1. 1940; BAB/3001/3381. 2 3 6 Schreiben des Reichsschatzmeisters an Höllerich vom 4. 5. 1939; B A B (ehemals B D C ) / Höllerich, Rudi, * 1 4 . 4. 1902. Höllerich wurde dann allerdings wieder in sein A m t eingesetzt, der Umgang mit dem Gauleiter war ihm verboten; Aktenvermerk über eine Belehrung Höllerichs in der Parteikanzlei vom 6. 4. 1940; ebd. 2 3 7 Schreiben des SS-Hauptamts vom 4. 3. 1940; B A B (ehemals BDC)/Ritter, Friedrich. 238 J 9 4 0 wurde Strobl dann zwar kurzfristig wieder in seine Ämter berufen, schied am 31. August 1940 allerdings wegen gesundheitlicher Gründe endgültig aus; Schreiben an die Reichsleitung der N S D A P vom 14. 6. 1940; Schreiben des R W M vom 3. 3. 1939; B A B (ehemals BDC)/Strobl, O t t o , "19. 9. 1887. 2 3 9 Untersuchungen im Falle Schätzler vom 25. 7. 1939 und N o t i z des O P G vom 10. 10. 1942; B A B (ehemals BDC)/Schätzler, Johann-Heinrich, »21. 5. 1877.
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IV. Die endgültige
Ausplünderung
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in der N ä h e von F ü r t h zurückzuziehen und seine Amtsgeschäfte ruhen zu lass e n . 2 4 0 W ä h r e n d man seinen Stellvertreter H o l z an die F r o n t schickte, übernahm der ehemalige Kreisleiter Z i m m e r m a n n zunächst die Amtsgeschäfte des Gauleiters. 2 4 1 A u f den ersten B l i c k überrascht das harte Vorgehen gegen den Gauleiter, zumal die Gauleitung in M ü n c h e n gegen dieselben G e s e t z e verstoßen und kurzzeitig auch Konflikte mit der Reichsregierung heraufbeschworen hatte, die sich auch in einer deutlichen Kritik an den Zuständen in M ü n c h e n äußerte. 2 4 2 D e r dortige Gauleiter Wagner behielt aber bis zu seinem Tod 1942 seine Machtstellung in O b e r b a y e r n . D i e genaueren Hintergründe von Streichers Sturz sind heute nur schwer zu eruieren. Offensichtlich waren aber nicht die Gesetzesübertretungen die eigentliche U r s a c h e für den Sturz des Gauleiters. Vielmehr konnte sich dieser nicht, wie Wagner in M ü n c h e n , neben dem Parteiamt auch auf die institutionelle M a c h t eines Staatsamts stützen und war daher u m s o mehr auf persönliche L o y a litäten angewiesen. Sein herrschaftliches G e b a r e n und sein brutales Auftreten hatten ihm nicht nur in seinem G a u Feinde und N e i d e r geschaffen. Streichers L o k a l rivalen, der Polizeipräsident B e n n o Martin und der O b e r b ü r g e r m e i s t e r Williy Liebl, hatten bereits vor der „ H o l z a k t i o n " belastendes Material über die ständigen Eskapaden des Gauleiters gesammelt. Anfang 1937 etwa wollte die G r u p p e um Martin eine Abtreibungsaffäre, in die der Adjutant des Gauleiters K ö n i g verwickelt war, zunächst durch Postkarten, dann durch Flugblätter im R a h m e n des Reichsparteitages publik m a c h e n . 2 4 3 Streicher vermochte seinen ehemaligen Weggefährten K ö n i g allerdings rechtzeitig zum Suizid zu zwingen, bevor dieser unliebsame Details über die Machenschaften seines Vorgesetzten preisgeben k o n n t e . 2 4 4 O b e r b ü r g e r m e i s t e r Liebl nutzte vor allem seine guten K o n t a k t e zu G o e b b e l s , um dem Propagandaminister Dinge „durchaus unerfreulicher N a t u r " über Streicher zu berichten und auf den „wahren Saustall", wie der Propaganda-
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G r i e s e r , M a n n , S. 195 f. B e r i c h t des O b e r l a n d e s g e r i c h t s p r ä s i d e n t e n v o m 8. 5. 1940; B A B / 3 0 0 1 / 3 3 8 1 . W i e G o e b b e l s s e i n e m T a g e b u c h am 2 8 . A u g u s t 1942 anvertraute, beklagte sich R e i c h s s c h a t z m e i s t e r S c h w a r z ü b e r eine R e i h e v o n M ü n c h n e r K o r r u p t i o n s e r s c h e i n u n g e n . K u r z e Zeit später n o t i e r t e G o e b b e l s ü b e r ein G e s p r ä c h mit d e m neuen G a u l e i t e r Giesler, die Z u stände im G a u seien nicht erfreulich, da W a g n e r die D i n g e habe schleifen lassen und sich mit einer K a m a r i l l a u m g e b e n habe, die falsch o r i e n t i e r t g e w e s e n sei. „ E s ist s c h o n nicht l e i c h t " , so G o e b b e l s , „in M ü n c h e n für die Integrität und S a u b e r k e i t d e r nationalsozialistischen L e h r e u n d H a l t u n g zu w i r k e n . H i e r liegt einiges im argen. M a n kann s c h o n verstehen, dass g r o ß e Teile der B e v ö l k e r u n g sich nicht m e h r nach dem G a u l e i t e r W a g n e r z u r ü c k s e h n e n . W e r w e i ß , w o z u es gut ist, w e n n er sein A m t n i c h t m e h r antreten k a n n . " G o e b b e l s - T a g e b ü c h e r , E i n t r ä g e v o m 28., 29. und 30. 8. 1942, S. 4 1 1 - 4 2 4 .
243
A u f die B e t e i l i g u n g M a r t i n s bei der A f f ä r e weist der B e r i c h t der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m mission lediglich hin; B e r i c h t der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n ; I M T , S. 1 5 0 - 1 5 4 ; auf die I n v o l v i e r u n g des P o l i z e i p r ä s i d e n t e n v e r w e i s e n allerdings auch die A u s s a g e n der W a h r s a g e r i n M a r i a O . , die in e n g e m K o n t a k t mit M i t g l i e d e r n der F ü h r u n g s s p i t z e der N ü r n b e r g e r Partei stand; B r i e f an K ö n i g v o m 2 9 . 5. 1938; Aussage H a n s R . s im A u g u s t 1939; B A B ( e h e m a l s B D C ) / M a r t i n , B e n n o ; Grieser, M a n n , S. 1 7 0 f . G i e s e r kann die U r h e b e r s c h a f t M a r t i n s u n d seiner M i t a r b e i t e r n a c h z e i c h n e n .
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B e r i c h t der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n ; I M T , S. 1 5 0 - 1 5 4 .
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Zweites
Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
minister in seinem Tagebuch die Zustände in Franken beschrieb, hinzuweisen. 2 4 5 W ä h r e n d frühere Skandalisierungsversuche an der fast uneingeschränkten M a c h t stellung des Gauleiters scheiterten, brachte die Korruption im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Verfolgung der J u d e n nach dem P o g r o m 1938 offensichtlich das Fass z u m Uberlaufen. Martin w a r es schließlich gelungen, durch Berichte, geschickt gestreute Gerüchte u n d gezielt lancierte Indiskretionen die Parteispitze, vor allem H e r m a n n Göring, gegen Streicher zu mobilisieren. 2 4 6 Der Sturz des Gauleiters w a r also letztlich ein von langer H a n d vorbereiteter C o u p , bei dem die „ H o l z a k t i o n " nur ein Glied in der Argumentationskette darstellte. 2 4 7 Entscheidend für die Gruppe u m M a r t i n w a r der Zugang zu den Schaltstellen der Macht, w o sie die Klaviatur aus persönlichen Beziehungen, Animositäten und öffentlichkeitswirksamen A k t i o n e n geschickt zu spielen verstanden. Zu den Gegnern Streichers gehörten Reichsjustizminister Gürtner, H e y d r i c h , Reichsschatzmeister Schwarz und schließlich wohl auch Göring und Himmler. 2 4 8 Die Ursache für das harte Durchgreifen gegen Streicher w a r e n mithin keine grundsätzlichen Erwägungen, die Machtverteilung zugunsten der Reichsregierung zu verschieben. Die Absetzung des Gauleiters beruhte aller Wahrscheinlichkeit nach auch auf polykratischen Strukturkonflikten innerhalb des N S - R e g i m e s . A k t i o n i s m u s u n d Eigenmächtigkeiten der einflussreichen Gauleiter bei der w i r t schaftlichen Verfolgung der J u d e n w a r man also auch nach 1938 offensichtlich so lange bereit zu tolerieren, solange diese nicht an den Stühlen führender Parteigenossen zu sägen begannen.
3. Der „Rhönfonds"
in
Unterfranken
Wie sehr die wirtschaftliche Verfolgung auch nach 1938 von regionalen M a c h t konstellationen abhängig blieb, kann abschließend auch das Beispiel U n t e r f r a n ken verdeutlichen. In U n t e r f r a n k e n verschärften, ähnlich w i e dies in M ü n c h e n 245
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248
Goebbels-Tagebücher, Bd. 1/6, Eintrag vom 1. 5. 1939, S. 334. Der Nürnberger Kreisleiter Zimmermann war der Meinung, v. a. Göring habe Martin unterstützt; Aussage Zimmermanns im Spruchkammerverfahren gegen Martin, Protokoll vom 18. 4. 1950; StAM/ Spruchkammer/Karton 1122. Goebbels notierte in seinem Tagebuch am 1. Mai 1939: „Göring äußert sich schärfstens gegen Streicher, der auch tolle und gemeine Sachen gemacht hat. Er hat die Verbindung mit ihm abgebrochen." Goebbels-Tagebücher, Bd. 6, August 1938 bis Juni 1939, S. 334. Zur Bedeutung Martins beim Sturz des Gauleiters siehe v. a. Grieser, Mann, S. 179 ff. In die Aktion waren Reichsschatzmeister Schwarz und wohl auch Heinrich Himmler, Hermann Göring, Rudolf Heß und andere verwickelt. Auch die Spruchkammer, die mit der Entnazifizierung Martins befasst war, mutmaßte, dass es sich um eine Rivalität zwischen SS und der Nürnberger Gauleitung gehandelt haben könnte; vgl. die zahlreichen Zeugenaussagen und den Spruch vom 30.6. 1950; StAM/Spruchkammer/Karton 1122. Wer letztlich für die Absetzung hauptverantwortlich war, bleibt allerdings unklar. Zu den erklärten Gegnern des Gauleiters gehörten neben dem Polizeipräsidenten Benno Martin v. a. der Oberbürgermeister Willy Liebl. Beide hatten bereits lange vor der Holzaktion auf den Sturz des Gauleiters hingewirkt; vgl. v. a. die zahlreichen Aussagen im Spruchkammerverfahren gegen Martin; StAM/Spruchkammer/Karton 1122; Nachlass Streichers; BAB/A L/127; Akte von Karl Holz; BAB (ehemals BDC)/Holz, Karl; siehe hierzu ausführlich Kuller/Drecoll, Volkszorn; Grieser, Mann.
IV. Die endgültige
85
Ausplünderung
und N ü r n b e r g der Fall war, v o r allem die regionalen P a r t e i - I n s t i t u t i o n e n die w i r t schaftliche Verfolgung durch z u n e h m e n d e B o y k o t t e , durch die K e n n z e i c h n u n g j ü d i s c h e r B e t r i e b e und die systematische E n t z i e h u n g des V e r m ö g e n s der jüdischen B e v ö l k e r u n g . D a b e i k o o p e r i e r t e n sie eng mit den lokalen V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n . O f f e n s i c h t l i c h richteten sich die „ A r i s i e r u n g s b e s t r e b u n g e n " auch hier z w a r vorwiegend gegen jüdische Warenhäuser, im Einzelfall aber auch gegen den H a n d e l im A l l g e m e i n e n , w o b e i die G a u b e t r i e b s g e m e i n s c h a f t „ H a n d e l " der D A F , die ihren Einfluss in den B e t r i e b s g e m e i n s c h a f t e n
auch für die
„Arisierung"
nutzte, eine wichtige R o l l e s p i e l t e . 2 4 9 D i e F e d e r f ü h r u n g in U n t e r f r a n k e n ü b e r nahm G a u w i r t s c h a f t s b e r a t e r H a n s Vogel mit den ihm u n t e r g e o r d n e t e n Institutionen, w ä h r e n d sich der G a u l e i t e r aus den laufenden
„Entjudungsverfahren"
weitgehend heraushielt und sich auch in organisatorischen F r a g e n wesentlich zur ü c k h a l t e n d e r zeigte als Julius Streicher oder A d o l f Wagner. Vogel etablierte in U n t e r f r a n k e n eine straffe und hierarchisch gegliederte O r g a n i s a t i o n , die den Verfahrensablauf der „ E n t j u d u n g " bis ins kleinste D e t a i l regelte: U b e r alle laufenden Verhandlungen w a r der K r e i s w i r t s c h a f t s b e r a t e r regelmäßig zu i n f o r m i e r e n . D e r K r e i s w i r t s c h a f t s b e r a t e r hatte seinerseits den G a u w i r t s c h a f t s b e r a t e r über Sitz und N a m e n des j ü d i s c h e n B e t r i e b e s , ü b e r den E r w e r b s z w e i g , ü b e r Verkaufswilligkeit und J a h r e s b i l a n z e n B e r i c h t zu erstatten. D e r G a u w i r t s c h a f t s b e r a t e r entschied dann letztinstanzlich ü b e r Kaufpreis, wirtschaftspolitische Auflagen o d e r A u s wahl der Käufer, w e n n er nicht ausdrücklich die E n t s c h e i d u n g s b e f u g n i s an ihm u n t e r g e b e n e F u n k t i o n s t r ä g e r delegierte. D i e G e w ä h r l e i s t u n g einer „einheitlichen F o r m " und die K o n t r o l l e des „jüdischen Kapitalflusses" bildeten die H a u p t k r i t e rien für die A u s w a h l der O p f e r . D i e Beauftragten v o r O r t waren die jeweiligen Kreiswirtschaftsberater, die die Verhandlungen selbst führten o d e r an die ihnen u n t e r g e b e n e n A p p a r a t e delegieren k o n n t e n . J e d e Dienststelle der Partei war angewiesen, sich v o r d e m E r w e r b j ü d i s c h e n V e r m ö g e n s mit dem K r e i s w i r t s c h a f t s b e r a ter in Verbindung zu s e t z e n . 2 5 0 D i e B e d i n g u n g e n für die Ü b e r n a h m e j ü d i s c h e r U n t e r n e h m e n legte Vogel minutiös fest. J u d e n mussten sich an die K r e i s w i r t s c h a f t s b e r a t e r w e n d e n , wollten sie ihre B e t r i e b e verkaufen. D i e s e r legte dann den Preis fest und m a c h t e dem jüdischen I n h a b e r z u r Auflage, mit niemand anderem als ihm selbst zu verhandeln. B e i der F e s t s e t z u n g der Preise w a r der Leiter der F a c h g r u p p e der gewerblichen W i r t s c h a f t zu h ö r e n . D i e v o m j ü d i s c h e n I n h a b e r veranlagten Preise galten generell als etwa 2 5 bis 3 0 P r o z e n t zu h o c h angesetzt. Bei G r u n d s t ü c k e n und G e b ä u d e n war der E i n h e i t s w e r t die m a ß g e b l i c h e G r ö ß e . E s sollte bei der F e s t s e t z u n g der Preise auch berücksichtigt w e r d e n , dass der „ J u d e " ab der „ S y s t e m z e i t " keine A n schaffungen mehr gemacht und i m m e r nur auf den U m s a t z spekuliert habe. A u c h
- 4 9 Vgl. e x e m p l a r i s c h die V e r h a n d l u n g e n ü b e r die „ A r i s i e r u n g " des K a u f h a u s e s Z a p f in W ü r z b u r g , an d e n e n n e b e n dem K r e i s w i r t s c h a h s b e r a t e r und d e r D A F auch die I H K , der Stadtrat und das G e w e r b e a m t beteiligt w a r e n ; S t A W / G a u M a i n f r a n k e n / 8 0 3 ; vgl. a b e r auch die anderen B e i s p i e l e in d e r A k t e s o w i e S c h r e i b e n der N S D A P - G a u l e i t u n g M a i n f r a n k e n an die G a u a m t s l e i t e r u n d Kreisleiter v o m 7. 4. 1938; S t A W / G a u M a i n f r a n k e n / 288. A n o r d n u n g des G a u w i r t s c h a f t s b e r a t e r s zur U b e r f ü h r u n g „ j ü d i s c h e r B e t r i e b e " „ d e u t s c h e " B e t r i e b s f ü h r e r v o m 13. 5. 1938; S t A W / G a u M a i n f r a n k e n / 2 8 8 .
auf
86
Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
die Kriterien, die die Erwerber zu erfüllen hatten, oblagen letztlich Vogels Entscheidung. Der Käufer musste in der Lage sein, den Betrieb noch weiterzuführen, daher musste er die Art seiner Finanzierung dem Gauwirtschaftsapparat der Partei offenlegen. Nichtjüdische Arbeiter und Angestellte mussten unter gleichen Bedingungen weiterbeschäftigt werden, wobei Ausnahmen nur mit Zustimmung der D A F möglich waren. Als Grundsatz galt also nicht die Liquidierung, sondern die Weiterführung der Betriebe in vollem Umfang, wobei Sondergewinne, mit Ausnahme der „Alten Kämpfer", nicht dem Käufer, sondern dem Gau in Form einer Abgabe zukommen sollten. 2 5 1 Bei Anzeichen für eine geplante Veräußerung erhielten die Inhaber von Betrieben, aber auch die Besitzer von Immobilien per Formblatt die Anweisung, sich im Büro des Kreiswirtschaftsberaters oder bei der Gemeinde einzufinden. Durch die Beamten des Reichsnährstands, der Gendarmeriestationen, durch die Bürgermeister oder die D A F verfügte der Gauwirtschaftsberater über ausreichende Informationsquellen, durch die er auf mögliche Veräußerungen hingewiesen wurde. Bei Nichterscheinen oder Unpünktlichkeit verhängte der Gauwirtschaftsberater eine „Gehorsamsstrafe", etwaige Einwände wie etwa fehlende Veräußerungsabsicht - mussten rechtzeitig im Büro des Gauwirtschaftsberaters eingehen. 2 5 2 Die Vorprüfung übernahm dabei immer Vogel selbst. Schätzungen, Preise oder Gutachten sammelte der Kreiswirtschaftsberater. Kaufverträge genehmigte der Gauwirtschaftsberater erst dann, wenn der Käufer die Bezahlung per Quittung nachweisen konnte. 2 5 3 Mit der federführenden Funktion des Gauwirtschaftsberaters Vogel erlebte die „Arisierung" jüdischer Betriebe einen erheblichen Professionalisierungs- und Systematisierungsschub. Der promovierte Volkswirt hatte 1936 das Amt des Wirtschaftsberaters und Kreiskassenrevisors übernommen, war aber bis zu seiner hauptamtlichen Anstellung als Gauwirtschaftsberater 1938 als Regierungsrat in der Betriebsprüfungsstelle des Landesfinanzamts Würzburg tätig. 254 In seinem antisemitischen Eifer unterschied sich Vogel zunächst nicht wesentlich von den maßgeblichen NSDAP-Protagonisten in Franken und MünchenOberbayern. „Die Juden hetzen gegen Deutschland" - notierte der Parteifunktio-
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Geheime Richtlinien des Gauwirtschaftsberaters an die Kreiswirtschaftsberater für die Durchführung der „Arisierung" vom 4. 6. 1938; ebd. Vorladung des Viehhändlers Arnold H. aus Hammelburg am 14. 7. 1938; StAW/WB IV/ a/2556. Schreiben des stellvertretenden Gauleiters an die Kreisleiter und Kreiswirtschaftsberater vom 4. 1. 1939; StAW/Staatsanwaltschaft Würzburg/558/II. Briefumschlag mit verschiedenen Ausweisen von Vogel; StAW/Gau Mainfranken/71; Tagebucheintrag Vogels vom 3. 1. 1938; StAW/Gau Mainfranken/73. Auch sein Vorgänger Kurt Hasslinger war Steuer- und Wirtschaftsberater und erst 1933 in die Partei eingetreten. Er war bis 1937 kommissarischer Wirtschaftsberater in Mainfranken; Arbeitsblatt der Spruchkammer Uffcnheim, 7. 1. 1948; StAW/Spruchkammer/3505a; Β AB (ehemals BDC)/Hasslinger, Kurt, "'26. 10. 1902. Kreiswirtschaftsberater in Hammelburg war Michael Gemperlein, über den allerdings keine weiteren Informationen ermittelt werden konnten. In Bad Kissingen waren die beiden Wirtschaftsberater der 1900 geborene Kaufmann Max Nägle sowie Dr. Wilhelm Feineis, der das Amt bis 1936 und ab 1942 ausübte; Personalbogen Nägle; BAB (ehemals BDC)/Nägle, Max, *7. 8. 1900; Brief Staatsarchiv Würzburg vom 30. 6. 2006/Privatbesitz.
IV. Die endgültige
Ausplünderung
87
när in einem Tagebucheintrag v o m F e b r u a r 1937 - und trachten danach, die „deutsche Seele zu vernichten." D i e schädliche „Spekulationswirtschaft" führte der Gauwirtschaftsberater auf den jüdisch-liberalistischen Einfluss z u r ü c k . 2 5 5 U b e r die „Judenfrage in der Wirtschaft" referierte Vogel zudem auf Einladung Ministerpräsident Sieberts auf Lehrgängen der K o m m i s s i o n für Wirtschaftspolit i k . 2 5 6 Sein Antisemitismus paarte sich allerdings mit der Fähigkeit zu äußerst effizientem Vorgehen und einer Einstellung zur „Judenfrage", die zwar auf rassischem Gedankengut gründete, aber in ihrer äußeren F o r m „ k o r r e k t " erschien und die „Lösung der Judenfrage" „ F a c h m ä n n e r n " , nicht wilden Schlägern überlassen wollte. A u f die Bedeutung von Wirtschaftsfachmännern im Prozess der wirtschaftlichen Verfolgung verwies der Gauleiter selbst, etwa in einem Schreiben vom April 1938, das eindringlich Vogels große Erfahrungen und ausgezeichnete Einblicke in die Wirtschaft Unterfrankens hervorhob. „Ich glaube", so Vogel, „dass es den Kreisleitern nur angenehm sein wird, wenn ein Fachmann diese umfangreiche Arbeit a b n i m m t und es Ihnen damit erspart bleibt, mit Juden zu verh a n d e l n . " 2 5 7 H a t t e n sich in M ü n c h e n und N ü r n b e r g die maßgeblichen Parteiinstitutionen weitgehend dem ungeregelten und sprunghaften Führungsstil ihrer Gauleiter angepasst, so lässt sich in U n t e r f r a n k e n angesichts der F a c h k o m p e t e n z des Personals und den klar geregelten und strikt auf den Anordnungen des G a u wirtschaftsberaters beruhenden Verfahrensweisen am ehesten von einer „ B ü r o kratisierungstendenz" innerhalb der Partei sprechen. F ü r die D u r c h s e t z u n g seiner Entscheidungen bediente sich Gauwirtschaftsberater Vogel - wie in M ü n c h e n und N ü r n b e r g auch - maßgeblich der weitverzweigten Organisation der D A F . I h m direkt untergeordnet war der mit besonderen Zuständigkeiten versehene Kreisleiter und Kreiswalter der Arbeitsfront, Ludwig P o p p , der 1938 durch den Kreisobmann der D A F W ü r z b u r g , Heinrich R i e del, abgelöst wurde. Beide waren lange vor der „Machtergreifung" Parteimitglieder geworden und bereits vor Ü b e r n a h m e durch die D A F 1935 Mitglieder der N S - H a g o gewesen. 2 5 8 F ü r die Textilbranche war Eduard H u t h verantwortlich, Gaufachabteilungswalter der „Fachabteilung Textil und L e d e r " der Arbeitsfront. A u c h er war bereits seit 1933 aktives Mitglied der N S B O und langjähriges Parteimitglied. 2 5 9 A u ß e r mit der D A F kooperierte Vogel auch eng mit der G e s t a p o bei der Ausplünderung jüdischen Vermögens. B e a m t e der G e h e i m e n Staatspolizei waren nicht nur als zusätzliche B e d r o h u n g bei den Verkaufsverhandlungen anwesend, sie konnten durch die Schutzhaft auch direkt die Veräußerung der Betriebe
E i n t r a g v o m 14. 2. 1 9 3 7 ; S t A W / G a u M a i n f r a n k e n / 7 2 . E i n l a d u n g z u m f ü n f t e n g r o ß e n L e h r g a n g der K o m m i s s i o n für W i r t s c h a f t s p o l i t i k v o m 2 4 . - 2 9 . 1. 1938; B a y H S t A M / S t K / 6 7 2 9 . 2 5 7 S c h r e i b e n der G a u l e i t u n g M a i n f r a n k e n an die G a u a m t s l e i t e r u n d Kreisleiter v o m 7. 4. 1938; S t A W / G a u M a i n f r a n k e n / 2 8 8 . 2 5 8 L u d w i g P o p p , g e l e r n t e r B u c h d r u c k e r , seit 1929 N S D A P - M i t g l i e d u n d seit 1 9 3 5 K r e i s walter d e r D A R H e i n r i c h Riedel w a r seit 1931 N S D A P - M i t g l i e d und seit 1938 K r e i s o b m a n n d e r A r b e i t s f r o n t ; V o r l a d u n g L u d w i g P o p p s am 2 4 . 7. 1950 u n d V e r n e h m u n g H e i n rich Riedels am 18. 7. 1950; S t A W / S t a a t s a n w a l t s c h a f t W ü r z b u r g / 5 5 8 / I . 259 V e r n e h m u n g E d u a r d H u t h s am 2 4 . 7. 1950; ebd. 255
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88
Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
und sonstigen Vermögenswerte erzwingen. 2 6 0 Die Gestapo blieb in die Verkaufsverhandlungen eingeschaltet und schlug auch von sich aus potentielle Erwerber jüdischen Vermögens vor. 2 6 1 Mit dem Zugriff auf die Abteilungen der D A F war es dem Gauwirtschaftsberater gelungen, einen Konkurrenten im Wettlauf um das jüdische Vermögen seiner Kontrolle zu unterstellen. Offensichtlich hatte die D A F auch hier versucht, nach Eingliederung der Handels- und Handwerks- sowie der Betriebszellenorganisation in die Arbeitsfront im Jahr 1935 und nach der zunehmenden innen- und außenpolitischen Konsolidierung des Reiches 1936 die „Arisierung" ab 1937 in eigener Initiative und als „Wiedergutmachung" für ihre oft altgedienten Kämpfer voranzutreiben. Nach Aussagen von betroffenen jüdischen Erwerbstätigen ließ sich die D A F ab 1937 Veräußerungsverträge jüdischer Firmen zur Genehmigung vorlegen. Die Arbeiter und Angestellten sollten an dem Betrieb beteiligt werden, während jüdische Arbeitnehmer von allen Leistungen ausgeschlossen blieben. Bereits zu diesem Zeitpunkt musste bei geplanter Übernahme eines jüdischen Betriebes mit Popp und Riedel verhandelt werden, die meist 100 Reichsmark pro Beschäftigungsjahr für jeden Betriebsangehörigen als „ G e b ü h r " verlangten. 2 6 2 Ein führender Mitarbeiter des Gauwirtschaftsapparates führte im Jahr 1950 aus, der Gauleiter und sein Gauwirtschaftsberater hätten auch deshalb bereits Anfang 1938 so massiv in die wirtschaftliche „Ausschaltung" der Juden eingegriffen, um die „wilden Arisierungen" der D A F in geordnete Bahnen zu lenken. 2 6 3 Diese B e hauptung ist nicht vollkommen aus der Luft gegriffen. Die Aussagen bestätigt ein Schreiben der N S D A P - G a u l e i t u n g Mainfranken an die Gauamts- und Kreisleiter vom 7. April 1938, in dem der Gauleiter noch einmal auf die Verfahrensweisen bei der „Entjudung" hinwies: „Es ist festgestellt worden, dass sich eine Reihe von Dienststellen mit der Uberführung jüdischer Betriebe in arische Hände beschäftigen, die für die Bewältigung einer so wichtigen und teilweise auch schwierigen Aufgabe gar nicht berufen und vielfach auch nicht befähigt sind. U m Einheitlichkeit in diese Verhandlungen zu bringen und unter allen Umständen zu vermeiden, dass sich 3 oder 4 Stellen ohne gegenseitige Verständigung mit einer einzigen A n gelegenheit beschäftigen, hat der Gauleiter mit der Durchführung der Übernahme jüdischer Betriebe durch Arier den Gauwirtschaftsberater Pg. Vogel beauftragt." U n d weiter heißt es: „Ich bitte den Gauobmann, von dieser Anordnung die D A F Dienststellen in Kenntnis zu setzen. Von allen Verhandlungen, die bisher von der Kreisverwaltung der D A F , ohne Verständigung des Gauwirtschaftsberaters durchgeführt worden sind, ist dem Gauwirtschaftsberater auf dem Dienstweg über Kreisleitung-Kreiswirtschaftsberater unverzüglich Mitteilung zu machen. Das Gleiche gilt für irgendwelche bei Gaudienststellen der D A F gestellte Anträge,
Aussage des Justizrats Dr. R . am 13. 7. 1950; ebd; Vernehmungsniederschrift des Verhörs von der Stenotypistin Elisabeth B. vom 12. 8. 1950; ebd. 2 6 1 Eidesstattliche Versicherung Karl R.s im Prozess gegen den Gauwirtschaftsberater Vogel, o . D . ; ebd. 2 6 2 Aussage des Justizrats Dr. R. am 13. 7. 1950, der mehrere jüdische Unternehmen als Rechtsanwalt betreut hatte; ebd. 263 Vernehmung des Kreiswirtschaftsberaters Hermann Wiblishauser am 8. 9. 1950; ebd. 260
IV. Die endgültige
89
Ausplünderung
die d e m G a u w i r t s c h a f t s b e r a t e r u n m i t t e l b a r zugeleitet werden müssen, der dann seinerseits die Kreisleitung e n t s p r e c h e n d in K e n n t n i s setzt. D e r G a u l e i t e r legt auf die genaue B e a c h t u n g dieser A n o r d n u n g den g r ö ß t e n W e r t . " 2 6 4 D a s S c h r e i b e n der G a u l e i t u n g verweist auch auf v o r h a n d e n e Rivalitäten z w i schen den Parteigliederungen bei der „ A r i s i e r u n g " jüdischen V e r m ö g e n s untereinander. D u r c h das M a c h t w o r t des Gauleiters k o n n t e n diese K o n f l i k t e ab 1938 zugunsten des G a u w i r t s c h a f t s b e r a t e r s o f f e n b a r ausgeräumt werden. U n t e r der A u f s i c h t des G a u w i r t s c h a f t s b e r a t e r s hatte die D A F nun die A u f g a b e , auf die B e legschaft D r u c k a u s z u ü b e n , um j ü d i s c h e B e t r i e b e so von innen heraus z u r Veräuß e r u n g zu zwingen. N a c h erfolgter „ A r i s i e r u n g " hatte sich die A r b e i t s f r o n t u m die Ü b e r n a h m e der „nichtjüdischen G e f o l g s c h a f t " zu k ü m m e r n und durch S o n derabgaben für das W o h l der A r b e i t e r s c h a f t zu s o r g e n . 2 6 5 A u c h in der R e g i o n Bad K i s s i n g e n / H a m m e l b u r g
leitete der P o g r o m
vom
9. N o v e m b e r 1938 eine Radikalisierung der J u d e n v e r f o l g u n g ein. In der K u r s t a d t selber zerstörten A n g e h ö r i g e von Parteigliederungen 16 G e s c h ä f t e mit einem G e samtschaden von etwa 5 5 0 0 0 R e i c h s m a r k . 21 j ü d i s c h e Angestellte und A r b e i t e r waren durch die A k t i o n erwerbslos g e w o r d e n . 2 6 6 W i e in den meisten G e b i e t e n des R e i c h e s war auch hier die S A maßgeblich für die U b e r g r i f f e auf die jüdische B e v ö l k e r u n g v e r a n t w o r t l i c h . 2 6 7 In der Verfahrensweise bei der „ A r i s i e r u n g " änderte sich durch die personelle V e r s c h r ä n k u n g von G a u l e i t e r und R e g i e r u n g s p r ä sident aber o f f e n b a r nicht viel. F ü r die „ A r i s i e r u n g " von G r o ß h a n d e l s g e s c h ä f t e n und Industriebetrieben w a r grundsätzlich die G e n e h m i g u n g des G a u w i r t s c h a f t s beraters e i n z u h o l e n . B e i der Veräußerung von G r u n d b e s i t z und G e b r a u c h s g e g e n ständen w a r das G u t a c h t e n eines eng mit dem O r t s g r u p p e n l e i t e r der Partei z u s a m m e n a r b e i t e n d e n Sachverständigen m a ß g e b l i c h . 2 6 8 Vogel selbst bestätigte nach d e m Krieg, dass die „ A r i s i e r u n g s p r a k t i k e n " auf Initiative der G a u v e r a n t w o r t l i c h e n entstanden und die V e r o r d n u n g e n nach dem P o g r o m daher lediglich eine „längst gängige P r a x i s " sanktionierten. Bereits v o r den entsprechenden G e s e t z e n habe „ G e w o h n h e i t s r e c h t " b e s t a n d e n . 2 6 9 O b D i f f e r e n z e n mit der R e i c h s r e g i e r u n g das V o r g e h e n Vogels e i n s c h r ä n k t e n und letztlich die A r b e i t der „Werbestelle" z u m Erliegen b r a c h t e n , ist unklar. N a c h Aussagen von Vogel selbst k a m es zu Streitereien mit Ministerpräsident Siebert und Staatssekretär B a c k e aus d e m R e i c h s l a n d w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m . Tatsächlich finden
264
265
sich keine H i n w e i s e auf grundsätzliche E r w ä g u n g e n Berlins hinsichtlich
S c h r e i b e n der N S D A P - G a u l e i t u n g M a i n f r a n k e n an die G a u a m t s - u n d K r e i s l e i t e r v o m 7. 4. 1938; S t A W / G a u M a i n f r a n k e n / 2 8 8 . A k t e n n o t i z der G a u l e i t u n g v o m 2 5 . 5 . 1938; V e r n e h m u n g H e i n r i c h Riedels am 1 8 . 7 . 1 9 5 0 ; V o r l a d u n g L u d w i g P o p p s am 24. 7. 1950; V e r n e h m u n g H e r m a n n W i b l i s h a u s e r s am 18. 7. 1950; S t A W / S t a a t s a n w a l t s c h a f t W ü r z b u r g / 5 5 8 / I .
A u f s t e l l u n g der K r i m i n a l p o l i z e i B a d K i s s i n g e n v o m 14. 11. 1938; S t A W / L R A B a d K i s singen/3101. 2 6 7 V g l . hierzu ausführlich das Strafverfahren der G r o ß e n S t r a f k a m m e r des L G S c h w e i n f u r t , U r t e i l am 14. 12. 1949; I f Z / G s / 0 3 . 0 4 . 2 6 8 A n w e i s u n g des stellvertretenden G a u l e i t e r s an die Kreisleiter und K r e i s w i r t s c h a f t s b e r a ter v o m 4. 1. 1939; S t A W / S t a a t s a n w a l t s c h a f t W ü r z b u r g / 5 8 8 / I I . 269 V e r n e h m u n g Vogels am 7. 10. 1950; ebd. 266
90
Zweites Kapitel: NSDAP und wirtschaftliche
Verfolgung
des Tempos oder der Umsetzung der Ausplünderung, die für die Differenzen und damit letztlich für das Ende des Rhönfonds ausschlaggebend waren. 2 7 0 Insgesamt setzten damit in München, Nürnberg und Unterfranken um die J a h reswende 1937/38, begünstigt durch die Gesetzgebung der Reichsregierung, die systematische Überwachung und Entziehung von jüdischem Vermögen ein. Mehrere Institutionen - auf Seiten der Partei neben dem Gauwirtschaftsapparat vor allem die Deutsche Arbeitsfront - beteiligten sich je nach regionalen Gegebenheiten in unterschiedlicher Intensität an dem Bereicherungswettlauf. Die ausgewählten Beispiele verdeutlichen nicht nur die von der Region ausgehenden Impulse und die Unterschiede in der Verfolgungspraxis, die die Gauspezifika der wirtschaftlichen „Ausschaltung" der Juden deutlich vor Augen führen. Es zeigt sich darüber hinaus die zentrale Stellung, die die „Entjudung" im gesamten Feld der Gaupolitik einnahm. Diese besondere Bedeutung der „Arisierung" hob auch Gauwirtschaftsberater Vogel explizit hervor, als er im Sommer 1938 seinem Tagebuch anvertraute: „Seit 1. 7. 1938 bin ich nun ganz beim Gau. In engster Zusammenarbeit mit dem Gauleiter werden die großen Probleme der Jetztzeit gelöst. Die größte und auch die schwierigste Arbeit sind die Arisierungen. D e r Ausschluss der Juden aus der Wirtschaft ist vordringlich. Lange und schwierige Verhandlungen schließen so manches jüdisches Geschäft für alle Zeit ab."27i In allen drei Gauen verbanden sich ideologische Motive mit dem Bestreben, Macht und Ressourcen auf einem Politikfeld zu akkumulieren, dem eine hohe strategische Bedeutung zukam. Nach dem Ende außen- und wirtschaftspolitischer Rücksichtnahmen in den Jahren 1937 und 1938 bestimmten machtstrategische Gesichtspunkte auch das Verhältnis zwischen Zentrum und Region. N u n trachteten vermehrt Angehörige der Führungsspitze von Staat und Partei, allen voran Hermann Göring, danach, ihren Einfluss durch eine Profilierung auf dem Feld der wirtschaftlichen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung zu vergrößern und gleichzeitig die Erlöse der Ausplünderung für die Staatskasse zu sichern. Dies führte jedoch weder zu einem Ende der „wilden Arisierungen" zugunsten einer zentralen Steuerung noch zu einer zügellosen regionalen Kraftentfaltung. Das Verhältnis von Reich und Region bis zur endgültigen Ausplünderung, Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in den Jahren 1941/42 war vielmehr durch ein fragiles System mühsam ausbalancierter Interessen gekennzeichnet. Aufbauend auf einem gemeinsamen ideologischen Fundament brach es nur in Ausnahmefällen durch radikale Intervention Berlins zusammen. Die Umstände, die zum Sturz Julius Streichers führten, sind zudem ein Hinweis auf ähnlich instabile regionale Interaktionssysteme im Verfolgungsprozess. Nicht nur die Gauleiter und ihre Spitzenfunktionäre waren auf diesem Politikfeld aktiv. Zahlreiche andere Institutionen wie Stadt- und Regionalverwaltungen, die Bayerische Politische Polizei oder Gendarmeriestationen beteiligten sich an der wirtschaftlichen „Ausschaltung" der jüdischen Bevölkerung genauso wie am Bereicherungswett-
Vorladung Vogels am 26. 9. 1950; StAW/Staatsanwaltschaft W ü r z b u r g / 5 5 8 / I . » i Eintrag vom 20. 4. 1938; S t A W / G a u Mainfranken/73. 270
IV. Die endgültige
Ausplünderung
91
lauf um deren Vermögen. Ziel der folgenden Überlegungen ist es daher, nicht nur die R o l l e der Regional- und Kommunalverwaltung bei der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden zu analysieren, sondern darüber hinaus auch die besondere Ausprägung regionaler Herrschaftsgefüge und insbesondere das Zusammenspiel von staatlicher Verwaltung und parteilichen Hoheitsträgern in den Blick zu nehmen.
Drittes Kapitel: Regional- und Kommunalverwaltung
I. München 1. Kennzeichnung
und
Boykott
U n m i t t e l b a r nach der Ü b e r n a h m e der R e g i e r u n g s g e s c h ä f t e d u r c h die neue b a y e r i s c h e N S D A P - R e g i e r u n g i m F r ü h j a h r 1 9 3 3 s e t z t e n in M ü n c h e n die e r s t e n l a n des- u n d k o m m u n a l p o l i t i s c h gesteuerten V e r f o l g u n g s m a ß n a h m e n gegen die jüdis c h e B e v ö l k e r u n g e i n , d i e in e n g e m Z u s a m m e n h a n g m i t d e n a n t i s e m i t i s c h e n A u s s c h r e i t u n g e n n a c h der „ M a c h t e r g r e i f u n g " zu sehen sind.1 Z u n ä c h s t setzte sich das Personalkarussell in der „ G a u h a u p t s t a d t " u n d „ H a u p t s t a d t der B e w e g u n g " heftig in B e w e g u n g u n d b r a c h t e b e s o n d e r s v e r d i e n t e u n d l i n i e n t r e u e „ A l t e K ä m p f e r " in die k o m m u n a l e n S p i t z e n p o s i t i o n e n . 2 U n t e r deren F e d e r f ü h r u n g und im E i n k l a n g mit den Zielen der „Parteirevolution
von unten"
trieb die Stadt v o r allem
die
K e n n z e i c h n u n g u n d d e n B o y k o t t j ü d i s c h e r W i r t s c h a f t s t ä t i g e r v o r a n . Sie tat dies allerdings mit der behördlichen Autorität und den administrativen Mitteln Kommunalverwaltung,
die damit
die W i r k u n g
der brutalen
einer
„radauantisemiti-
schen" Übergriffe und B o y k o t t e v o m M ä r z und April 1933 auf
bürokratischem
Wege verschärfte. U n t e r dem D a c h gemeinsamer ideologischer
Überzeugungen
k n ü p f t e n die l o k a l e n P a r t e i g r ö ß e n so f r ü h z e i t i g ein N e t z aus
unterschiedlichen
1
D i e R o l l e der G l i e d e r u n g e n der N S D A P u n d der k o m m u n a l e n V e r w a l t u n g bei d e r „ E n t j u d u n g " der M ü n c h n e r W i r t s c h a f t v. a. seit d e m J a h r 1938 ist d u r c h die in den letzten J a h ren v e r m e h r t p u b l i z i e r t e n Studien gut b e l e u c h t e t w o r d e n ; M o d e r t , M o t o r ; R a p p l , „ A r i s i e r u n g e n " in M ü n c h e n ; Selig, „ A r i s i e r u n g " ; mit U b e r b l i c k s c h a r a k t e r : Selig, B o y k o t t ; B o k o voy, H e i m a t ; vgl. auch die z a h l r e i c h e n A u f s ä t z e zu E i n z e l s c h i c k s a l e n bei B a u m a n n / H e u s ler, M ü n c h e n arisiert; L a n d e s h a u p t s t a d t M ü n c h e n , J ü d i s c h e s L e b e n ; H a e r e n d e l , S c h u t z losigkeit; zu k o m m u n a l e r W o h n u n g s p o l i t i k und „ A r i s i e r u n g " in M ü n c h e n vgl. auch den k u r z v o r D r u c k l e g u n g dieser A r b e i t e r s c h i e n e n e n A r t i k e l v o n H a e r e n d e l , M u s t e r s i e d lung.
2
D e r M ü n c h n e r S t a d t v e r w a l t u n g stand seit F r ü h j a h r 1933 Karl F i e h l e r vor. D e r neue O b e r b ü r g e r m e i s t e r w a r n i c h t nur T e i l n e h m e r des H i t l e r p u t s c h e s v o n 1923, er b e s a ß auch als Präsident des d e u t s c h e n G e m e i n d e t a g e s und R e i c h s l e i t e r gute K o n t a k t e zur S p i t z e der Partei. B e r e i t s 1921 betätigte sich F i e h l e r aktiv in v ö l k i s c h e n W e h r v e r b ä n d e n , trat 1 9 2 5 in die N S D A P ein, w u r d e vier J a h r e später S e k t i o n s l e i t e r der Partei und 1 9 2 9 / 3 0 Stadtrat und F r a k t i o n s v o r s i t z e n d e r . M i t d e m Stadtrat und K r e i s t a g s p r ä s i d e n t e n C h r i s t i a n W e b e r und mit M a x K ö g l m a i e r , Stadtrat u n d S t a a t s s e k r e t ä r im b a y e r i s c h e n I n n e n m i n i s t e r i u m und damit G a u l e i t e r W a g n e r direkt unterstellt, v e r s t ä r k t e sich die f ü h r e n d e R o l l e d e r N S D A P in d e r M ü n c h n e r S t a d t v e r w a l t u n g z u s ä t z l i c h . Tatsächlich n a h m G a u l e i t e r W a g n e r ü b e r K ö g l m a i e r i m m e r w i e d e r E i n f l u s s auf die P o l i t i k der Stadt, was auch zu h a n d f e s t e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n mit d e m B ü r g e r m e i s t e r u n d anderen Stadträten führte; H a n k o , K o m m u n a l p o l i t i k , S. 4 1 0 ; H a n k e , G e s c h i c h t e , S. 126. Z u r P e r s o n F i e h l e r s H a e r e n d e l , R a t h a u s , S. 3 6 9 f . ; dies., W o h n u n g s p o l i t i k , S. 4 4 - 5 1 ; R a p p l , „ A r i s i e r u n g e n " in M ü n c h e n , S. 130. Z u r P o l i t i k der Städte G r u n e r , W o h l f a h r t , S. 4 6 f . ; für A u g s b u r g G o t t o , K o m m u n a l p o l i t i k , S. 15 ff.
94
Drittes Kapitel: Regional- und
Kommunalverwaltung
Verfolgungsmaßnahmen und -Institutionen, wobei vor allem Personalunionen und Ämterhäufungen die einzelnen Verknüpfungspunkte stabilisierten. Direkten Einfluss auf die jüdische Erwerbstätigkeit konnten die Städte zunächst über lokale Verordnungen ausüben, die auf die Isolation der jüdischen B e völkerung durch Beschneidung ihrer Berufstätigkeit zielten. Besonders betroffen war hiervon der Einzelhandel: „Ausschluss jüdischer Händler vom Oktoberfest", schrieb die Bayerische Israelitische Gemeindezeitung in ihrer 17. Ausgabe von 1933: „Jüdische Händler werden künftighin nach einem Beschluss des städtischen Leihamtes nicht mehr zugelassen, ebenso nicht mehr zum Oktoberfest und zu den Dulten." 3 Bereits vorher waren auf Geheiß der Stadt jüdische Firmen in München von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen und städtischen Bediensteten der Kauf von Dienstkleidung in jüdischen Geschäften untersagt worden. 4 Die B e gründung, die Oberbürgermeister Fiehler für seine Erlasse angab, zielte einerseits auf die „rassische" Separation und andererseits auf die Integration des Münchner Mittelstandes: „Der schwer um seine Existenz ringende deutschstämmige und deutschbewusste Mittelstand", so das Oberhaupt der städtischen Verwaltung, „hat unbedingt ein Anrecht darauf, dass die Stadt München sich mit allen Mitteln für seine Erhaltung und Förderung einsetzt. Das geschieht am besten dadurch, daß die Stadtverwaltung selbst mit gutem Beispiel vorangeht." 5 Damit verbundene Bestrebungen für eine Bevorzugung ortsansässiger Firmen nahmen nahezu groteske Formen an: Unter Maßgabe der Benachteiligung ausländischer Firmen wurden auch österreichische Firmen von städtischen Aufträgen gänzlich ausgeschlossen, was zu zahlreichen Beschwerden und Diskussionen führte. 6 Die oftmals im öffentlichen Bereich tätigen und daher von der Kommunal- und Landespolitik besonders abhängigen jüdischen Mediziner und Juristen waren von den „Ausschaltungsmaßnahmen" in erster Linie betroffen. Ein erster Erlass Fiehlers zur Vertreibung der jüdischen Arzte, der ihnen in den städtischen Krankenanstalten nur noch das Behandeln jüdischer Patienten gestattete, erging bereits am 27. März 1933. Jüdische Arzte, die Prosekturen vornahmen, durften nur noch jüdische Leichen sezieren, jüdische Medizinalpraktikanten und Studierende in den Kliniken nicht mehr beschäftigt werden. 7 Die betroffenen Arzte erhielten von der Stadtverwaltung ein Schreiben, das ihnen lediglich mitteilte, sie seien ihrer Stellung aufgrund „rassischer Gesichtspunkte" ab sofort enthoben. Als offizielle Begründung für die Beendigung des Dienstverhältnisses wurden „gesundheitliche G r ü n d e " angeben. 8 Nachdem ab August 1933 kein jüdischer Arzt mehr an einer
3 4
5 6 7 8
„Bayerische Israelitische Gemeindezeitung" Nr. 17 vom 10. 10. 1933. Ausnahmen hierfür waren nur durch entsprechende Genehmigung des Gewerbeamts zulässig. A m 19. D e z e m b e r 1933 präzisierte Fiehler die Anordnung noch einmal dahingehend, dass Aufträge auch an nichtdeutsche Firmen zu vergeben seien, wenn ein entsprechender Auftrag durch deutsche Firmen nicht gleichwertig erledigt werden könne; Verfügung der Stadt vom 15. 3. 1933; Verfügung Fiehlers vom 19. 12. 1933; StadtAM/Personalamt/405/II; „Bayerischer Staatsanzeiger" vom 24. 3. 1933, S. 3; Hanke, Geschichte, S. 104. Verfügung Fiehlers vom 24. 3. 1933; StadtAM/Personalamt/405/II. Vgl. die zahlreichen Schreiben und Briefwechsel; ebd. „Völkischer B e o b a c h t e r " vom 27. 3. 1933; zitiert nach Schwarzbuch, S. 210. Brief der Landeshauptstadt an das B L E A wegen des Entschädigungsanspruches des lei-
I.
München
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städtischen Krankenanstalt beschäftigt war, traf ein nächster Erlass auch jüdische Patienten. Die rituelle Abteilung des Krankenhauses München-Schwabing wurde aufgelöst. Danach konnten gläubige Juden nur noch im Israelitischen Krankenheim medizinisch versorgt werden. 9 Neben den Ärzten in den städtischen Krankenanstalten entließ die Stadtverwaltung auch jüdische Schulärzte aus ihren Dienstverhältnissen. 1 0 In einer Besprechung des Oberbürgermeisters mit dem Vorstand des Vereins für freie Arztwahl beschlossen die Teilnehmer darüber hinaus, alle Verträge mit Fürsorgeärzten der Stadt zu kündigen, um vom ersten Juli 1933 an neue Verhandlungen führen zu können. Jüdische Ärzte wurden bei den neuen Vertragsverhandlungen nicht mehr berücksichtigt. 1 1 Zwei Jahre später, im Juni 1935, setzte sich der Bezirksfürsorgeverband München mit dem Oberbürgermeister Fiehler in Verbindung, um mit der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands die ärztliche Versorgung vertraglich neu zu regeln. 12 Das endgültige Vertragswerk schloss jüdische Ärzte in München de facto im Sommer 1936 von jeder Fürsorgepraxis aus. Ebenfalls 1935 drohte Oberbürgermeister Fiehler mit disziplinarischen Konsequenzen für städtische Beamte, Angestellte oder Arbeiter, die es weiterhin noch „wagten", einen jüdischen Arzt in Anspruch zu nehmen. 1 3 Dem jüdischen Medizinernachwuchs hatte man bereits im April 1933 den Zugang zu den bayerischen Hochschulen verwehrt. 1 4 Die bayerische Staatskanzlei verfügte Anfang April 1933 zudem für die „Aufrechterhaltung von Ruhe und O r d n u n g " des Rechtsbetriebs die Beurlaubung jüdischer Richter und Staatsanwälte rückwirkend zum 1. April. A m gleichen Tag untersagte sie jüdischen Rechtsanwälten das Betreten von Gerichtsgebäuden, jüdische Notare und Notarsvertreter sollten sich ebenfalls der Vornahme jeglicher
tenden Arztes des S c h w a b i n g e r Krankenhauses, Dr. Siegfried O . , vom 29. 1. 1958; B a y H S t A M / B E G / 3 2 0 9 3 ; Brief des Stadtrats M ü n c h e n an das B L E A vom 26. 1. 1951 w e gen der A n s p r ü c h e eines weiteren Chefarztes des Schwabinger Krankenhauses, des B a k teriologen Dr. E r i c h M . ; B a y H S t A M / B E G / 4 4 3 6 2 . 9
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Schriftwechsel der S c h w a b i n g e r K r a n k e n h a u s d i r e k t i o n mit dem M ü n c h n e r Stadtrat vom 24. 8. und 6. 9. 1933; S t a d t A M / K r a n k e n h a u s Schwabing/75; Gruner, Wohlfahrt, S. 53 f. Dr. Julius Spanier etwa musste seine Stellung als Schularzt bereits am 1. April 1933 aufgeben; Bitte Dr. Spaniers um Erlass der fünften R a t e der „ J u d e n v e r m ö g e n s a b g a b e " vom 14. 11. 1939; S t A M / F i n a n z a m t / 1 9 1 2 7 . „Bayerische A r z t e z e i t u n g " 27 (8. 4. 1933), S. 1 und Schriftverkehr bezüglich der Vertragsverhandlungen; Stadt AM/Wohlfahrt/3489. D e r Vertag wurde dann endgültig am 1. Juli 1936 unterzeichnet. Zu dem endgültigen Vertrag und den vorausgehenden Verhandlungen und Vertragsentwürfen siehe S t a d t A M / Wohlfahrt/3429. A n o r d n u n g vom 10. 12. 1935; S t a d t A M / M i c r o f i c h e Yad V a s h e m / M / D N 9; Selig, „Arisier u n g " , S. 24. Erlass des kommissarischen Innenministers Wagner bezüglich der Neuinskription Studierender, abgedruckt in der „Vossischen Z e i t u n g " vom 8. 4. 1933; auch in: S c h w a r z b u c h , S. 2 1 0 . D i e wachsende Zahl von Medizinstudenten gab wohl nicht nur in M ü n c h e n , sondern auch reichsweit Anlass zur Besorgnis. S o schrieb Hadrich 1934, von 1919 bis 1933 sei die Zahl der Medizinstudenten auf das D o p p e l t e angestiegen und der Bedarf an Ä r z t e n sei gedeckt. Es gebe sogar einen U b e r s c h u s s von 2 0 0 % ; Hadrich, A n g e b o t , S. 568 f.
96
Drittes Kapitel: Regional- und
Kommunalverwaltung
Amtsgeschäfte enthalten. 1 5 Darüber hinaus drohte Oberbürgermeister Fiehler seinen Beamten, Angestellten und Arbeitern auch mit disziplinarischen Maßnahmen beim Aufsuchen eines „nichtarischen" Anwalts. 1 6 Einen zweiten Hebel zur Zurückdrängung und „Ausschaltung" jüdischer Wirtschaftstätigkeit bot das „Gesetz zum Schutz des Einzelhandels". Das am 12. Mai 1933 verkündete Regelwerk sollte in erster Linie der Sicherung der mittelständischen Wirtschaft dienen. 1 7 U n t e r bestimmten Voraussetzungen konnte der Handel mit einzelnen Artikeln verboten werden. Die Entscheidung hierüber oblag in München dem Gewerbeamt der Stadt, das die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen zum Vorgehen gegen jüdische Geschäftstätigkeit nutzte. 1 8 N u r zwei Jahre später traf es dann alle jüdischen Einzelhändler. „Nichtariern" sollte nach dem Willen der Stadtverwaltung nur noch in seltenen Einzelfällen die N e u gründung oder Übernahme eines Einzelhandelsgeschäfts gewährt werden, eine Verfügung, die weit über die reichsweiten Bestimmungen hinausging. D e n n eine derartige antisemitisch motivierte Beschränkung der Geschäftstätigkeit sah das „Gesetz zum Schutz des Einzelhandels" selbst gar nicht vor. Eine Versagung der Zulassung verlangte das Regelwerk nur nach Verurteilung wegen schwerwiegender Verstöße. 1 9 Parallel zur Umsetzung des „Gesetzes zum Schutze des Einzelhandels" forcierte das Gewerbeamt auch die Kennzeichnung „jüdischer" Betriebe. Laut Verfügung der Stadtverwaltung hatte das Gewerbeamt seit März 1933 Auskunft über den „Charakter" einer Firma zu geben. Als „nichtdeutsch" galten neben „marxistischen" Unternehmen auch Firmen, deren Inhaber Juden waren. 2 0 Bereits im Mai 1933 legte die K o m m u n e zwei Verzeichnisse an. Das erste listete diejenigen Firmen auf, deren Besitzer Verpflichtungsscheine mit Angaben zu dem „Charakter" der Firma ausgefüllt hatten und die daher unter Vorbehalt für Bestellungen der Stadt München in Frage kamen. Das zweite enthielt diejenigen Firmen, die die B e scheinigungen nicht ausgefüllt hatten und die daher bei Aufträgen unberücksichtigt bleiben sollten. 21
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Anordnung der bayerischen Staatskanzlei Nr. 78 vom 2. und 3. 4. 1933; B a y H S t A M / M L / 3187. Anordnung vom 10. 12. 1935; StadtAM/Microfiche Yad Vashem/M/DN 9; Selig, „Arisierung", S. 24. Präambel des „Gesetzes zum Schutze des Einzelhandels" vom 12. 5. 1933; R G B l . I (1933), S. 262. Verboten wurde etwa die Übernahme einer Verkaufsstelle durch ein Unternehmen, das bereits mehrere Verkaufsstellen innehatte. Generell durfte ein Verkauf darüber hinaus dann nicht genehmigt werden, wenn dadurch die Betriebsart zu einem Warenhaus oder Einheitspreisgeschäft umfunktioniert werden würde; §§ 2 und 3 dieses Gesetzes; R G B l . I (1933), S. 262; zum Gesetz siehe auch Uhlig, Warenhäuser, S. 91 ff. Art. II Abs. 1 des „Gesetzes zum Schutz des Einzelhandels" vom 12. 5. 1933; R G B l . I (1933), S. 263; Rappl, „Arisierungen" in München, S. 131 ff. Art. II Abs. 1 des „Gesetzes zum Schutze des Einzelhandels" vom 12. 5. 1933; RBG1. I (1933), S. 263; Hanko, Kommunalpolitik, S. 421. Verfügung der Stadt vom 15. 3. 1933; StadtAM/Personalamt/405/II. Schreiben der Direktion der städtischen Elektrizitätswerke vom 29. 4. 1933; StadtAM/ Bürgermeister und Rat/1735; zur Rolle des Gewerbeamts vgl. auch Rappl, „Arisierungen" in München, S. 132 ff.
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München
A m 2. M ä r z 1 9 3 7 gab das G e w e r b e a m t anderen städtischen Dienststellen dann auch offiziell b e k a n n t , dass mit der Erstellung einer „Juden- und A u s l ä n d e r k a r tei" b e g o n n e n w o r d e n sei. B e i ihrer Fertigstellung am 15. F e b r u a r 1938 erfasste die freiverkäufliche L i s t e die N a m e n von 1 7 5 0 G e w e r b e b e t r i e b e n . 2 2 D i e langfristigen A u s w i r k u n g e n , die diese frühe Erfassung und K e n n z e i c h n u n g jüdischer G e w e r b e b e t r i e b e nach sich zog, waren gravierend. A b E n d e J a n u a r 1938 begann die Stadtverwaltung auf G r u n d l a g e dieser Verzeichnisse, jüdischen H ä n d l e r n die G e werbelegitimation zu verweigern, w o b e i sie als B e g r ü n d u n g die generelle „ U n z u verlässigkeit" j ü d i s c h e r H ä n d l e r a n f ü h r t e . 2 3 D a m i t w a r die Stadt M ü n c h e n reichsweiten R e g e l u n g e n u m fast ein halbes J a h r voraus. E r s t das „ G e s e t z zur Ä n d e r u n g der G e w e r b e o r d n u n g " v o m 6. Juli 1 9 3 8 b o t die legale M ö g l i c h k e i t , J u d e n jede T ä t i g k e i t als Handelsvertreter zu v e r b i e t e n . 2 4 Teil des regionalen Herrschaftsgefüges im wirtschaftlichen Verfolgungsprozess und zentral in die K e n n z e i c h n u n g jüdischer B e t r i e b e eingebunden waren neben den G l i e d e r u n g e n der N S D A P und der K o m m u n a l v e r w a l t u n g auch die Industrieund H a n d e l s k a m m e r n ( I H K ) . Bereits im F r ü h j a h r 1933, u n m i t t e l b a r nach der Ü b e r n a h m e der bayerischen R e g i e r u n g durch die N S D A P , ging ein erster w i c h t i ger Schritt in R i c h t u n g V o r b e r e i t u n g und D u r c h f ü h r u n g der wirtschaftlichen „ A u s s c h a l t u n g " der J u d e n , indem die neue R e g i e r u n g die U m f o r m u n g der B e rufsorganisationen im nationalsozialistischen Sinne erwirkte und parallel dazu die „ A u s s c h a l t u n g " der jüdischen S t a n d e s f u n k t i o n ä r e betrieb. I m Z u g e dessen entließ die I H K M ü n c h e n ihre sieben jüdischen Vorstandsmitglieder. 2 5 A h n l i c h wie die Stadtverwaltung auch, vollzog die M ü n c h n e r I H K parallel dazu schnell die G l e i c h s c h a l t u n g und besetzte die S p i t z e n p o s i t i o n e n mit überzeugten N a t i o n a l s o zialisten, die ihre regionalen Aktivitäten durch A m t e r h ä u f u n g und gute B e z i e h u n gen z u r Spitze der Partei absichern k o n n t e n . D e u t l i c h wird diese Vernetzung vor allem bei den drei S p i t z e n f u n k t i o n ä r e n der M ü n c h n e r H a n d e l s k a m m e r : D e r im April 1933 z u m C h e f s y n d i k u s ernannte H a n s B u c h n e r galt als profilierter W i r t schaftsfachmann der Partei und w a r z u d e m Mitglied des Wirtschaftsrats
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D i e L i s t e ist überliefert in S t a d t a r c h i v M ü n c h e n , B e s t a n d G e w e r b e a m t . Vgl. die z a h l r e i c h e n E i n z e l f ä l l e in den B e s t ä n d e n des B a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s a r c h i v s , etwa die E n t z i e h u n g der G e w e r b e l e g i t i m a t i o n bei der F i r m a L . S ö h n e O H G ; S c h r e i b e n eines R e c h t s a n w a l t s v o m 8 . 2 . 1938; B W A / K l / X X I 1 6 b / A k t e 2 3 / F a I l 64. A l l e r d i n g s war die V e r w e i g e r u n g d e r G e w e r b e l e g i t i m a t i o n im J a n u a r 1938 n o c h keine generell a n g e w a n d t e Praxis; eigenständige A b m e l d u n g des G e w e r b e s d u r c h den G e s c h ä f t s m a n n J u l i u s H . v o m 1. 10. 1 9 3 8 ; E i n t r a g u n g des G e w e r b e a m t s v o m 4. 10. 1938; S t a d t A M / G e w e r b e a m t / 7 12a/ B u n d 8 / 4 H . , J u l i u s ; vgl. hierzu auch die z a h l r e i c h e n anderen E i n z e l f ä l l e im B e s t a n d G e w e r b e a m t des Stadtarchivs M ü n c h e n . D e r Studie w u r d e n jeweils S t i c h p r o b e n h a f t 2 5 E i n zelfälle aus den B e s t ä n d e n des B a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s a r c h i v s und städtischen G e w e r b e amts z u g r u n d e gelegt, die z u s a m m e n mit der bereits v e r ö f f e n t l i c h t e n L i t e r a t u r eine solide D a t e n g r u n d l a g e darstellen. Allerdings w u s s t e sich F i e h l e r bei seinen a n t i s e m i t i s c h e n A k t i o n e n im E i n k l a n g mit dem W i l l e n der R e i c h s f ü h r u n g der N S D A P , w e s h a l b hier nicht v o n e i n e m G e g e n s a t z z w i s c h e n R e g i o n u n d Z e n t r u m auszugehen ist; S c h r e i b e n H e ß ' an F i e h l e r v o m 16.3. 1938; S t a d t A M / G e w e r b e a m t / 1 7 7 b ; Selig, „ A r i s i e r u n g " , S. 2 9 . Z u r I H K vgl. auch R a p p l , „ A r i s i e r u n g e n " in M ü n c h e n , S. 1 5 7 f f . ; Selig, S. 6 0 ff.
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Drittes Kapitel: Regional- und
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Reichsleitung der N S D A P . Darüber hinaus ernannte ihn Gauleiter Wagner 1933 zum Gauwirtschaftsberater für den Gau Oberbayern, so dass Buchner ab 1938 zwei Genehmigungsinstanzen der „Arisierung" in Personalunion miteinander verband. Buchner war der Partei bereits Anfang der 1920er Jahre beigetreten und hatte daher den Status des „Alten Kämpfers" erhalten. 1896 geboren, gehörte er zeitweise der Redaktion des „Völkischen Beobachters" an und nahm durch seine publizistischen Tätigkeiten, allen voran durch das 1928 erschienene Pamphlet „Dämonen der Wirtschaft" aktiv Einfluss auf die Programmatik der N S D A P . 2 6 Präsident der Industrie- und Handelskammer München war seit 1933 Albert Pietzsch, einer der frühen Weggefährten Hitlers, der nicht nur über gute Kontakte zur Reichsleitung der N S D A P verfügte, sondern als Spitzenfunktionär der N S Wirtschaft mehrere Ämter in seiner Person vereinigte. E r verfügte über die Amter „Beauftragter des Führers in Wirtschaftsfragen", Leiter der Hauptgruppe Chemie der gewerblichen Wirtschaft, Präsident der Wirtschaftskammer Bayern und Leiter der Reichswirtschaftskammer. 2 7 Eine ähnlich große Anzahl von Amtern hatte schließlich Pietzschs Stellvertreter O t t o Pfäffle angehäuft, der neben seiner F u n k tion bei der Industrie- und Handelskammer auch als Vorstand des Reichsverbands des deutschen Nahrungsmittelgroßhandels, Leiter der Bezirksgruppe der Wirtschaftsgruppe G r o ß - und Einzelhandel sowie Leiter der Handelsabteilung der Gauwirtschaftskammer fungierte. Pfäffle war bis 1935 auch Aufsichtsratsvorsitzender der Barbarino und K i l p - O t t o Pfäffle A G und Geschäftsführer der Deutschkaffee - Deutsche Kaffee-Einfuhr-Gesellschaft. 2 8 Aufgrund der herausgehobenen Stellung ihrer Spitzenfunktionäre im regionalen Herrschaftsgefüge, aber auch aufgrund der institutionell bedingten intimen Kenntnisse über die besonderen Gegebenheiten der lokalen Wirtschaft konnte sich die I H K München frühzeitig als Schnittstelle für umfangreichere binneninstitutionelle Interaktionen bei der wirtschaftlichen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung etablieren. 2 9 In erster Linie entwickelte sie sich zu einer „Auskunftei"
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Buchners Rolle bei der „Arisierung" wird zwar als eher passiv beschrieben, es kann aber kein Zweifel darüber bestehen, dass Buchner, seit 1923 Mitglied der N S D A P , Träger des „Grünen Dauerausweises" und des Goldenen Parteiabzeichens, durch seine beiden Positionen die „Arisierung" entscheidend mitbeeinflusste; Arbeitsblatt des öffentlichen Klägers vom 23. 2. 1948; StAM/Spruchkammer/Karton 4557; Modert, Motor, S. 155ff.; zur generellen Bedeutung der Gauwirtschaftsberater vgl. v. a. Kratzsch, Gauwirtschaftsapparat, S. 112 ff. Klageschrift des Generalklägers beim Kassationshof München vom 2. 3. 1948; S t A N / K V Anklagedokumente/Organisation/492-G. Verschiedene Angaben in der Spruchkammerakte O t t o Pfäffles; B a y H S t A M / S p r u c h k a m m e r / O t t o Pfäffle. Erste Ansätze hierfür zeigten sich in München seit der „Machtergreifung" auch bei anderen Institutionen. Prägnantes Beispiel ist etwa die enge Zusammenarbeit der Stadtverwaltung mit dem „Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand" im Frühjahr 1933. Im B e nehmen mit dem „Kampfbund" hatte die Stadtverwaltung 1 0 0 0 0 Formblätter an die Firmen versandt, die mit Auftragsarbeiten der Stadt befasst waren. Ende April 1933 wurde die Auskunftserteilung bei Firmen dann allerdings beim städtischen Gewerbeamt zusammengefasst. Bereits vorher hatte es harsche Kritik des Reichskommissars für die Wirtschaft, Wagener, gegen die Alleingänge der Kampfbünde gegeben. In einer Anordnung vom 25. Mai 1933 löste er nahezu sämtliche Kampfbünde auf. So wurde die Kooperation
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über jüdische Firmen und „jüdische" Wirtschaftstätigkeit. Dementsprechend übernahm sie bereits 1933 neben dem G e w e r b e a m t den Auftrag, Anfragen über den „rassischen" C h a r a k t e r einer F i r m a zu beantworten, ein Zuständigkeitsbereich, den die Stadtverwaltung ab D e z e m b e r 1933 in einer A r t Arbeitsteilung ausschließlich der H a n d e l s k a m m e r überlassen hatte. 3 0 D i e I H K betrieb im R a h m e n dieses Aufgabenbereiches eine weitreichende Informationspolitik; sie wandte sich an verschiedenste Institutionen, unter anderem an die B a n k e n , um Auskünfte über jüdische Geschäftsleute zu erhalten. 3 1 Gleichzeitig diente sie regionalen B e hörden als Sammel- und Verarbeitungsstelle für Informationen über jüdische F i r men und „jüdisches" Geschäftsgebaren. 3 2 W i e umfangreich die in den Jahren 1936 und 1937 sprunghaft anwachsende Tätigkeit der I H K auf dem G e b i e t der „ G e g nerkontrolle- und - b e k ä m p f u n g " tatsächlich war, verdeutlicht ein Geschäftsbericht des Chefsyndikus aus dem J a h r 1937. Insgesamt, so der Bericht, habe die Feststellung derjenigen Firmen, bei denen jüdischer Einfluss vorhanden ist, einen Gutteil der Arbeit der K a m m e r eingenommen. Allein in den M o n a t e n Januar bis O k t o b e r 1937 erteilte die I H K M ü n c h e n 2 3 0 0 schriftliche Auskünfte über den „rassischen" C h a r a k t e r ortsansässiger F i r m e n . 3 3 D i e enge E i n b i n d u n g der H a n d e l s k a m m e r in den Verfolgungsprozess und die rasche Gleichschaltung und N e u b e s e t z u n g der Führungsetage mit einflussreichen Nationalsozialisten bedeutete aber nicht einen Verlust von Wirtschaftskompetenz zugunsten ideologischer Linientreue, im Gegenteil: Mit den neuen Spitzenfunktionären der I H K schalteten sich Fachleute als „ A r i s i e r u n g s " - F u n k t i o n ä r e der N S D A P und Kommunalverwaltung in die wirtschaftliche Ausplünderung ein, die neben ihren A m t e r n in Wirtschaftsverbänden und in der N S D A P auch über Spitzenpositionen in der Privatwirtschaft verfügten. 3 4 Im Gegensatz zum oftmals
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der S t a d t v e r w a l t u n g mit d e m „ K a m p f b u n d " a u f g r u n d derartiger I n t e r v e n t i o n e n bereits im M a i 1933 b e e n d e t ; S c h r e i b e n des städtischen G e w e r b e a m t s v o m 2 6 . 4. 1933 und A b schrift aus d e r „ T e x t i l z e i t u n g " v o m 2 5 . 5. 1933; S t a d t A M / P e r s o n a l a m t / 4 0 5 / I I . S c h r e i b e n des G e w e r b e a m t s v o m 4. 9. 1933 u n d S c h r e i b e n des Stadtrats an das b a y e r i s c h e W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m v o m 20. 12. 1933; S t a d t A M / P c r s o n a l a m t / 4 0 5 / I I . W ä h r e n d A n f r a gen ü b e r die A b s t a m m u n g d e r G e s c h ä f t s i n h a b e r w e i t e r h i n in den Z u s t ä n d i g k e i t s b e r e i c h des G e w e r b e a m t s fielen, w a r die I H K auch für die p o l i t i s c h e B e u r t e i l u n g v o n G e s c h ä f t s i n h a b e r n v e r a n t w o r t l i c h ; V e r f ü g u n g F i e h l e r s v o m 10. 9. 1934; ebd.
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S c h r e i b e n der B a v e r i s c h e n H y p o t h e k e n - und W e c h s e l b a n k an die I H K v o m 19. 4. 1933 im Falle des F l e i s c h h ä n d l e r s A d o l f F.; B W A / K l / X V Α 1 0 c / A k t e 2 3 0 / F a l l 2 7 .
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S o w a n d t e sich e t w a die P o l i z e i in Fällen „ u n e r l a u b t e r " A u s w a n d e r u n g an die I H K , bei denen G l ä u b i g e r v o r h a n d e n e A u ß e n s t ä n d e n i c h t m e h r e i n z i e h e n k o n n t e n . D i e H a n d e l s k a m m e r ü b e r n a h m daraufhin die A u f g a b e , G e s c h ä f t s l e u t e auf e n t s p r e c h e n d e „ G e f a h r e n " bei G e s c h ä f t s a b s c h l ü s s e n mit J u d e n h i n z u w e i s e n ; S c h r e i b e n d e r P o l i z e i d i r e k t i o n an die I H K v o m 15. 5. 1 9 3 5 im Falle des I n h a b e r s eines K l e i d e r g e s c h ä f t s , J o s e p h K . , d e r n a c h F r a n k r e i c h geflüchtet war, und S c h r e i b e n d e r I H K an die A r b e i t s g e m e i n s c h a f t des B a v e rischen E i n z e l h a n d e l s v o m 1 2 . 6 . 1935; B W A / K l / X X I 1 6 a / l . A k t e ; B e s c h w e r d e n der D A F bei der I H K im Falle der T e x t i l f i r m a E . ; S c h r e i b e n der D A F an die I H K v o m 15. 5. 1935 u n d S c h r e i b e n der I H K v o m 24. 5. 1935; B W A / K l / X X I 1 6 / A k t e 9 0 / F a l l 4.
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T ä t i g k e i t s b e r i c h t des C h e f s y n d i k u s H a n s B u c h n e r v o m 2 . 11. 1 9 3 7 ; B A B / R 3 1 0 1 / 9 6 5 5 . D i e s galt etwa f ü r O t t o Pfäffle, d e r n e b e n seinem E n g a g e m e n t in den W i r t s c h a f t s o r g a n i s a t i o n e n gleichzeitig in den A u f s i c h t s r ä t e n v e r s c h i e d e n e r F i r m e n vertreten war. U n t e r anderem g e h ö r t e er d e m A u f s i c h t s r a t der A l l g e m e i n e n D e u t s c h e n T r e u h a n d A k t i e n g e s e l l s c h a f t an, ein U n t e r n e h m e n , das seit E n d e 1938 mit der T r e u h ä n d e r s c h a f t für z a h l r e i c h e jüdische
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blinden Aktionismus und Fanatismus der Parteigliederungen wie SA, N S - H a g o oder auch später der „Arisierungsstelle", präsentierte sich hier die nationalsozialistische „Revolution" mit einem ganz anderen Gesicht. D e n n die Kammer behielt ganz offensichtlich die Funktionstüchtigkeit der regionalen Wirtschaft im Auge und richtete daher ihr Handeln weiterhin an ökonomischen Effizienzkriterien aus. Deutlich zeigt sich dies im Umgang mit einzelnen jüdischen Firmen, zu deren Gunsten die I H K ungeachtet ihrer zentralen Einbindung im Verfolgungsprozess zu intervenieren bereit war, wenn sie dies für wirtschaftspolitisch notwendig erachtete. So stellte die I H K der Münchner Wäschefabrik Neumeyer & Triest, die unter anderem das Reichsheer belieferte, einen guten Leumund aus, nachdem einige nichtjüdische Firmen auf deren Bedeutung und ihre gute Zusammenarbeit mit dieser Textilfirma hingewiesen hatten. Tatsächlich tauchte der Name Neumeyer & Triest dann auch in einem Verzeichnis auf, das die „deutschen" Firmen in München erfasste. 35 N o c h im Spätsommer 1937 empfahl die I H K München darüber hinaus auf Anfrage das jüdische Möbelhaus Wallach als Hersteller bayerischer Bauernmöbel, was ihr prompt eine Rüge der Deutschen Arbeitsfront einbrachte. 3 6 Auch bei ihren gutachterlichen Stellungnahmen in Bezug auf die Ausstellung von Reisepässen für Juden blieb die Kammer an ökonomischen Zwecken orientiert. Dies zeigte sich etwa, als sie im Interesse der deutschen Devisenbewirtschaftung mit Nachdruck auf die Ausstellung entsprechender Dokumente bei exportorientierten jüdischen Kaufleuten drängte. 3 7 In anderen Fällen, in denen Parteiinstitutionen die prinzipielle Entlassung jüdischer Vertreter in Münchner Firmen erzwangen, versuchte die I H K , auch aufgrund ausländischer Proteste, vermittelnd und im Sinne einer „friedlichen" Einigung einzugreifen. 3 8 Inwieweit sich hinter einer solchen Interventionspolitik eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der nationalsozialistischen „Rassepolitik" verbarg, wie dies für Hamburg festgestellt worden ist 39 , lässt sich abschließend zwar nicht mehr beurteilen, ist aber angesichts der generellen Verhaltensweise der Kammer gegenüber jüdischen Geschäftsleuten und der herausgehobenen Stellung einzelner Mitglieder in der
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Firmen beauftragt wurde; Angaben in der Spruchkammerakte O t t o Pfäffles; B a y H S t A M / Spruchkammer/Otto Pfäffle. N o c h deutlicher wird dies bei Albert Pietzsch, der nicht nur eine eigene Wasserstoffsuperoxydfabrik besaß, die U - B o o t e ausrüstete. E r war zudem Aufsichtsrat bei den Siemens-Schuckert-Werken, Aufsichtsrat der Braunkohlen- und Brikett-Industrie A G (Bubiag) und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der D e u t schen Bank; Klageschrift des Generalklägers beim Kassationshof München vom 2. 3. 1948; StAN/KV-Anklagedokumente/Organisation/492-G. Schreiben der Fa. Neumeyer & Triest an die Bayerische Landesauftragsstelle München vom 8. 6. 1933 und Schreiben der Fa. Loden Frey an die I H K vom 6. 5. 1933; B W A / K l / X X I 16/Akte 1 /Fall 1. Schreiben der D A F an die I H K vom 22. 9. 1937; B W A / K l / X X I 16a/2. Akte. Schreiben der I H K München an die Polizeidirektion München vom 3. 9. 1936 im Falle des Tuchgroßhändlers Julius H.; StAM/Polizeidirektion/13632. Vgl. etwa den Fall des Textilhändlers Wilhelm H., der einen jüdischen Vertreter beschäftigte; N o t i z der I H K bezüglich der Entlassung des Vertreters Salomon Markus L. vom 15. 10. 1935; Aussage Wilhelm H.s vor der I H K am 29. 1 0 . 1 9 3 5 ; Schreiben der I H K an das bayerische Wirtschaftsministerium vom 14. 11. 1935; Schreiben der N S D A P an die I H K vom 5. 11. 1936; B W A / K l / X X I 16a/l. Akte. Bajohr, „Arisierung" in Hamburg, S. 77.
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Führungsetage des NS-Wirtschaftssystems eher unwahrscheinlich. In der uneinheitlichen Politik der I H K spiegelt sich vielmehr die fehlende konzeptionelle Stringenz der NS-Wirtschaftspolitik auf regionaler Ebene wider, die die wirtschaftliche Verfolgung der Juden aus ideologischen G r ü n d e n zwar propagierte, aufgrund ökonomischer Rationalitätskriterien aber immer wieder abbremste und im Einzelfall auch verhinderte. Ahnlich wie die durch die Parteigliederungen initiierten antisemitisch motivierten Ubergriffe stieß nämlich auch die Verfolgungspolitik der K o m m u n e n auf harsche Kritik der Reichsregierung, die beide Städte betraf. Moniert w u r d e n nicht nur die Richtlinien zur Vergabe öffentlicher A u f träge, die zu chaotischen Zuständen führten, U n m u t erzeugte auch die drastische Bevorzugung einheimischer Unternehmer. 4 0 Kritik kam aber auch von anderer Seite. Der Reichskommissar f ü r die Wirtschaft, O t t o Wagner, hatte sich bereits im Mai 1933 öffentlich an Fiehler als Vorsitzenden des kommunalpolitischen A m t s der N S D A P gewandt, u m Störungen des Wirtschaftslebens durch Alleingänge der K o m m u n e n abzustellen. 4 1 Daraus einen grundsätzlichen Konflikt zwischen Staat u n d Partei oder gar eine Trennung beider Sphären ableiten zu wollen, die, wie f ü r andere Städte konstatiert, gar zu Dauerkonflikten geführt habe, ist f ü r die Kommunalverwaltung in M ü n c h e n allerdings nicht festzustellen. 4 2 Eine Interventionsnotwendigkeit sahen sowohl Regierungsstellen als auch H a n d e l s k a m m e r offensichtlich nur hinsichtlich taktischer Beweggründe, grundlegende Einigkeit herrschte hingegen beim gemeinsamen formulierten Ziel der „Ausschaltung" der Juden aus dem Wirtschafsleben. Dies zeigt erneut die Bedeutung des Gauleiters und anderer „Alter K ä m p fer", die in den Zentren der Bewegung die entscheidenden F u n k t i o n e n des Verwaltungsapparates übernahmen u n d die fachliche K o m p e t e n z staatlicher Institutionen zur D u r c h s e t z u n g der neuen, ideologisch begründeten N o r m e n zu nutzen verstanden. Innerhalb der regionalen D y n a m i k waren nicht nur die Parteigliederungen, sondern auch K o m m u n e u n d Landesverwaltung den normativen Regelungen der Legislative teilweise u m Jahre voraus, erweiterten also aus eigenem Antrieb ihr Handlungsfeld und etablierten sich damit zu entscheidenden A k t e u ren der Ausgrenzungspolitik. D e r Blick auf das gesamte Reichsgebiet verdeutlicht allerdings, dass diese G r u n d t e n d e n z keine Sonderentwicklung der bayerischen Landeshauptstadt darstellte. Auch in zahlreichen anderen deutschen Städten kam den K o m m u n e n als Schrittmachern der Verfolgung eminente Bedeutung zu. 4 3 40
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Diese w u r d e nur dann f ü r sinnvoll gehalten, wenn tatsächlich gleiche Eignung gewährleistet sei. Eine darüber hinausgehende Praxis f ü h r e zu innerdeutschen Wirtschaftsgrenzen. „Die Wirtschaftskrise und das Wohl der Volksgemeinschaft", so ein Resümee der Interventionen, „machen es erforderlich, den G r u n d s a t z . G e m e i n n u t z geht vor Eigennutz' nicht an die G r e n z e n und Interessen einzelner Städte oder Länder zu binden." Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Hauptausschusses vom 3. 8. 1933; StadtAM/Personalamt/405/II. „Berliner Tageblatt" 244 vom 27. 5. 1933. In H a m b u r g etwa scheint zwischen Staat und Partei ein solcher Dauerkonflikt in den ersten Monaten nach der „Machtergreifung" geherrscht zu haben; Bajohr, „Arisierung" in H a m b u r g , S. 74 f. Gruner, Wohlfahrt, S. 46 ff.; ders., Judenverfolgung; ders., Fürsorge; Kingreen, Raubzüge; Fleiter, Stadtverwaltung. Auch die Rolle der Stadt München w u r d e bereits in mehreren
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2. Ausplünderung: Zur Rolle der IHK und des „Arbeitskreises Judenangelegenheiten "
für
Dafür, dass die Kammer vor allem ökonomische Zweckrationalität zu ihrer anfänglich zurückhaltenden Politik veranlasste, spricht auch ihre Rolle bei der Entziehung und Veräußerung jüdischen Vermögens. Bereits früh etablierte sich die I H K als eine zentrale Abwicklungsstelle für die „Arisierung". Sie arbeitete zwar vor 1938 noch nicht flächendeckend, in Einzelfällen beriet sie allerdings schon Mitte der 1930er Jahre Kaufinteressenten, vereitelte die „Tarnung" jüdischen Vermögens durch stille Teilhabe und arbeitete hierfür eng mit dem Gauwirtschaftsberater zusammen. 4 4 Auch hier nahm die Tätigkeit der Kammer 1937 einen sprunghaften Anstieg, wobei sie offensichtlich um einen Ausgleich ideologischer und ökonomischer Interessen bemüht war: „Sehr beachtlich ist auch die Tätigkeit", so Chefsyndikus Buchner im N o v e m b e r 1937, „die die Kammer entfaltet hat, um die Überführung jüdischer Betriebe in deutsche Hände zu fördern und hierbei drohende Nachteile wirtschaftlicher Art tunlichst hinzuhalten." 4 5 Auch in anderen Berichten war die Kammer um einen ausgleichenden und sachlichen Ton bemüht; so etwa im Januar 1936, als einzelne nichtjüdische Firmen und Institutionen auf für alteingesessene Geschäfte „schädliche Umstände" und „Betrügereien" jüdischer Geschäftsleute bei der „Arisierung" aufmerksam machten. Die I H K M ü n chen und der in Personalunion verbundene Gauwirtschaftsberater konnten bis zu diesem Zeitpunkt allerdings keine derartigen Praktiken jüdischer Geschäftsleute feststellen. Damit bekundete die Kammer aber keinesfalls Bedenken gegen die Rassepolitik des nationalsozialistischen Staates. Die reibungslose Übertragung jüdischen Vermögens führte sie vielmehr auf das Verhalten der „arischen" Kaufinteressenten zurück, die sich wegen ihrer Anerkennung als „deutsche" Unternehmer ohnehin rechtzeitig mit der Kammer und den Parteidienststellen in Verbindung setzen würden. Die endgültige „Ausschaltung" der Juden aus dem Wirtschafsleben und das damit verbundene umfassende gesetzliche Regelwerk konkretisierte und vermehrte die Aufgaben der Kammer und stärkte gleichzeitig ihre Stellung bei der „Arisierung". Letztinstanzlich waren zwar, je nach Art des Gewerbes, das Gewerbeamt der Stadt, die Regierung von Oberbayern oder das Reichswirtschaftsministerium entscheidungsbefugt, die Kammer war aber in jedem Fall gutachterlich zu hören. 4 6 Auch hier war sie um den „korrekten" Vollzug der „Entjudung" der
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Studien thematisiert: Rappl, „Arisierungen" in München, S. 132 ff.; Hanke, Geschichte, S. 100 ff.; Selig, „Arisierung", S. 17 ff.; Haerendel, Rathaus; H a n k o , Hauptstadt; Drecoll, „Entjudung", S. 76f.; Schott, Ausschaltung, S. 150ff. Vgl. etwa den „Arisierungsfall" eines Kolonialwarenhändlers; Schreiben eines Richters an die I H K vom 14. 12. 1936 und Schreiben der I H K an den G W B vom 18. 12. 1936; B W A / K l / X X I 16/Akte 34/Fall 11. Tätigkeitsbericht des Chefsyndikus Hans Buchner vom 2. 11. 1937; B A B / R 3 1 0 1 / 9 6 5 5 . Die „Ausschaltung" jüdischer Gewebetreibender wurde im J a h r 1938 in mehreren kurz aufeinanderfolgenden Schritten vollzogen. Die Veräußerung „jüdischer" Gewerbebetriebe machte die „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" genehmigungspflichtig; R G B l . I (1938), S. 414. Gegen die „Verschleierung" des rassischen Charak-
I. München
103
M ü n c h n e r Wirtschaft bemüht. Sie setzte Sachverständige als Schätzer von Warenlagern ein, überprüfte die Liquidität der Kaufinteressenten, achtete darauf, dass die Firmen tatsächlich „frei von jüdischem Einfluss" waren, dass kein Fa5onwert an die jüdischen E i g e n t ü m e r und für die Warenlager nur der Einkaufspreis bezahlt wurde und war schließlich auch für die E r h e b u n g einer Ausgleichsabgabe mitverantwortlich, die der E r w e r b e r bei einem zu niedrigen Kaufpreis an die Staatskasse abzuführen hatte. 4 7 Mit ihrer exponierten Stellung bei der „Arisierung" war die K a m m e r freilich auch in das Kompetenzgerangel bei der Entziehung und Verwertung jüdischen Vermögens involviert. Dies äußerte sich etwa in der durch den Gauleiter initiierten Einsetzung Christian Webers als „Sonderbeauftragten für Wirtschaftsangelegenheiten" im Juli 1938, die einen Streit um Zuständigkeitsfragen auslöste. 4 8 Streitereien um den Einfluss auf die „arisierten" jüdischen Betriebe gab es auch bei der E r n e n n u n g der Treuhänder. W ä h r e n d sich die Gauleitung auf den Standpunkt stellte, als A b w i c k l e r solle grundsätzlich ein Mitarbeiter der Vermögensverwert u n g s - G m b H fungieren, lehnte die Stadt mit Hinweis auf das Einzelhandelsschutzgesetz ein solches Ansinnen ab und p o c h t e auf die eigene Zuständigkeit und das Vorschlagsrecht der Handelskammer. 4 9 N a c h d e m auch die Devisenstelle M ü n c h e n selbständig Treuhänder einsetzte und die Gauleitung zudem ohne vorherige Absprache über die „Arisierung" oder Liquidation eines Betriebes entschied, kam es nicht nur zu Doppelbesetzungen bei den Treuhänderstellen, sondern auch zu erheblichen Verzögerungen bei der A b w i c k l u n g der jüdischen B e triebe. 5 0 D i e K a m m e r k o n n t e dennoch ihre einflussreiche Rolle bei der „Arisierung" wahren. Letztlich folgten Regierungspräsident und G e w e r b e a m t fast immer den Empfehlungen der I H K ; der „Treuhänder gemäß Beschluss des Regierungspräsidenten" verlegte sich aufgrund seines schwindenden Einflusses bei der gewerblichen „Arisierung" mehr und mehr auf die Enteignung von H a u s - und G r u n d besitz. 5 1 D i e gleichbleibend exponierte Stellung der K a m m e r unterstreicht die Bedeutung funktionaler Prinzipien bei der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden. Sie ermöglichten eine im Sinne der „Entjudungspolitik" effizientere A b w i c k l u n g der
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ters einer F i r m a ging die „ V e r o r d n u n g gegen die U n t e r s t ü t z u n g der T a r n u n g j ü d i s c h e r G e w e r b e b e t r i e b e " v o m 22. 4. 1938 vor; R G B l . I ( 1 9 3 8 ) , S. 4 0 4 . Vgl. hierzu die z a h l r e i c h e n im B a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s a r c h i v d o k u m e n t i e r t e n E i n z e l f ä l l e , etwa die „ A r i s i e r u n g " d e r Fa. M a x H . ; B W A / K l / X V Α 1 0 c / A k t e 2 4 2 / F a l l 6; die „ A r i s i e r u n g " der Fa. A l b e r t W ; B W A / X X I 16a/2. A k t e o d e r die „ A r i s i e r u n g " der H o p f e n h a n d lung Stephan K . ; B W A / X X I 1 6 b / A k t e 2 5 / F a l l 8; Selig, „ A r i s i e r u n g " , S. 38. S c h r e i b e n W e b e r s an H e l m r e i c h v o m G e w e r b e a m t der Stadt M ü n c h e n v o m 27. 9. 1938; T e l e f o n i s c h e A n o r d n u n g Vilsmaiers v o m G e w e r b e a m t am 3. 12. 1938 und S c h r e i b e n F i e h lers v o m 9. 8. 1938; S t a d t A M / G e w e r b e a m t / 1 7 7 a .
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V o r b e m e r k u n g ü b e r eine B e s p r e c h u n g v o m 7. 12. 1938; ebd; S c h r e i b e n Vilsmaiers v o m 6. 1. 1939; ebd. Vgl. h i e r z u e x e m p l a r i s c h die „ A r i s i e r u n g " des M o d e h a u s e s M a x H . im D e z e m b e r 1938; B W A / K l / X X I 16b 1 7 / 1 . A k t e / F a l l 7; S c h r e i b e n Vilsmaiers v o m städtischen G e w e r b e a m t v o m 6. 1. 1939; S t a d t A M / G c w e r b e a m t / 1 7 7 a .
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Selig, „ A r i s i e r u n g " , S. 64.
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104
Drittes Kapitel: Regional- und
Kommunalverwaltung
„Arisierung" als die bereits beschriebenen brutalen Übergriffe einzelner Parteigliederungen, die den Verfolgungsprozess häufig eingeleitet hatten. Es würde jedoch in die Irre führen, wollte man die prägende Rolle der I H K nur auf ihre D u r c h setzungsfähigkeit innerhalb polykratischer Strukturkonflikte zurückführen. N e b e n vorhandenen Differenzen gab es durchaus Bereitschaft zur Kooperation. Besonders deutlich wird dies bei dem im Juli 1938 ins Leben gerufenen „Arbeitskreis für Judenangelegenheiten" unter Federführung der I H K . Wegen der durch die neue Gesetzgebung zahlreich etablierten Genehmigungsbehörden hatten die Kammer, die Arbeitsfront, das Gewerbeamt, die Fachorganisationen der Wirtschaft und der Gauwirtschaftsberater eine gemeinsame Bearbeitung der „in großer Zahl vorliegenden Anträge auf Übernahme jüdischer Geschäftsbetriebe" vereinbart. Dieser Ausschuss erfuhr nur kurze Zeit später noch eine Ausweitung, da nun auch der „Sonderbeauftragte für die Wirtschaft der Hauptstadt der Bewegung" Christian Weber einbezogen wurde; außerdem kamen ein Vertreter des Reichstreuhänders der Arbeit, ein Gestapobeamter, der Kreisleiter und Vertreter des Oberfinanzpräsidiums hinzu. 5 2 Den Kompetenzen der federführenden B e hörde entsprechend gutachtete der „Arbeitskreis" über „Arisierung" oder Liquidation einer „jüdischen" Firma, überwachte Überweisungsmodalitäten und die H ö h e der Kaufpreise, überprüfte die „Zuverlässigkeit" der Kaufinteressenten, kümmerte sich - dies war vor allem auf das Ansinnen der D A F zurückzuführen aber auch um die berufliche Zukunft nichtjüdischer Arbeitnehmer in zu liquidierenden jüdischen Firmen und übernahm schließlich die Absprache mit externen Institutionen, etwa dem Reichswirtschaftsministerium. 5 3 D e m „Arbeitskreis" kam damit eine Koordinierungsfunktion in einem insgesamt komplexen Prozedere zu: Ü b e r die Bedingungen einer Übernahme informierte zunächst die Industrie- und Handelskammer. Die nichtjüdischen Bewerber sollten sich mit dem jüdischen Besitzer in Verbindung setzen und nach den Verhandlungen den Kaufvertrag der Regierung von Oberbayern vorlegen. Hatte die Regierung den Vertrag in Händen, gab sie diesen an die I H K weiter, die nach Überprüfung des Kaufpreises das D o k u m e n t ihrerseits an den „Arbeitskreis für Judenangelegenheiten" weitergab. Mit einer gutachterlichen Stellungnahme leitete der „Arbeitskreis" das vorläufige Ergebnis wiederum an die federführende K a m mer weiter, die den Vertrag dann endgültig zum Entscheid an die Regierung oder das Gewerbeamt der Stadt schickte. 5 4 52
53
54
„Arbeitskreis für Judenangelegenheiten", Sitzungsprotokoll vom 5. Juli 1938; B W A / K l / X X I / 1 6 a ; hierzu auch Selig, „Arisierung", S. 3 7 f f . Verhandlung des Arbeitskreises vom 26. 7. 1938 über die „Arisierung" der Fa. Max & Leo W. oder die „Arisierung" der Fa. Ernst Weil; vgl. aber auch die anderen Verhandlungen des Arbeitskreises; B W A / K l / X X I 16a/Beiakte. D e r sogenannte Judenarbeitskreis korrespondierte in „Arisierungsangelegenheiten" mit zahlreichen externen Institutionen, etwa dem Reichsnährstand oder den Berufsverbänden; siehe hierzu exemplarisch die „Arisierung" der Hopfenhandlung Stephan K.; B W A / K l / X X I 16b/Akte 25/Fall 8. Verschiedene Arbeitsgruppen waren für die „Arisierung" einzelner Wirtschaftsbereiche verantwortlich. Eine Arbeitsgruppe, der neben einem Mitarbeiter der I H K und Vertretern der Partei auch städtische Beamte angehörten, übernahm etwa die „Arisierung" des Einzelhandels; Schreiben Dr. Meisters vom 22. 11. 1938; StadtAM/Gewerbeamt/177d. D i e Installierung dieser zahlreichen gutachterlich zu hörenden Institutionen geht neben
I.
105
München
W i e effektiv sich eine k o o r d i n i e r t e Interessenspolitik ungeachtet der zahlreichen involvierten G e n e h m i g u n g s i n s t a n z e n gestalten ließ, verdeutlicht die L i q u i dation des Kaufhauses U h l f e l d e r in der M ü n c h n e r Innenstadt. N a c h mehreren gescheiterten Veräußerungsverhandlungen sah sich dessen I n h a b e r M a x U h l f e l d e r im F r ü h j a h r 1938 nicht m e h r in der Lage, das einstmals profitable U n t e r n e h m e n w e i t e r z u f ü h r e n . D a die I H K
gegen einen K a u f v e r t r a g s e n t w u r f
grundsätzlich
nichts e i n z u w e n d e n hatte, diskutierten innerhalb des „ A r b e i t s k r e i s e s " v o r allem die I H K und der M ü n c h n e r E i n z e l h a n d e l ü b e r die Frage, was mit dem Kaufhaus zu geschehen habe. In den zäh geführten Verhandlungen zeigt sich der Einfluss der lokalen A k t e u r e bei der „ A r i s i e r u n g " besonders deutlich. D e r M ü n c h n e r E i n zelhandel und mit ihm die I H K b e f ü r w o r t e t e n aufgrund der e r d r ü c k e n d e n K o n kurrenzsituation durch das m o d e r n e U n t e r n e h m e n die „ L i q u i d i e r u n g " des K a u f hauses. 5 5 D i e s e Auffassung teilten nicht nur der M ü n c h n e r O b e r b ü r g e r m e i s t e r und die R e g i e r u n g von O b e r b a y e r n , sondern auch die G a u l e i t u n g und das b a y e rische
Wirtschaftsministerium.
Sie
widersprach
allerdings
der
Haltung
des
R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s , das an der W e i t e r f ü h r u n g des U n t e r n e h m e n s aufgrund des volkswirtschaftlichen Interesses festhielt. E s b e g r ü n d e t e diese A n s i c h t mit der B e d e u t u n g des Warenhauses für „ m i n d e r b e m i t t e l t e " B e v ö l k e r u n g s s c h i c h ten. A u c h der R e i c h s t r e u h ä n d e r der A r b e i t trat wiederholt dieser Auffassung bei, da d u r c h die Ü b e r n a h m e die Weiterbeschäftigung der zahlreichen nichtjüdischen Angestellten gesichert sei und genügend liquide und f a c h k u n d i g e B e w e r b e r existierten.56 Tatsächlich k o n n t e n sich die regionalen I n s t i t u t i o n e n von Staat und Partei letztlich durchsetzen. Sie zwangen die jüdischen G e s c h ä f t s i n h a b e r des Kaufhauses, einem R e c h t s a n w a l t V o l l m a c h t e n für die L i q u i d i e r u n g zu erteilen, der w i e d e r u m mit der A b w i c k l u n g die D e u t s c h e A l l g e m e i n e Treuhand A G , k u r z D A T A G , beauftragte. L e t z t l i c h verkaufte diese die W a r e n b e s t ä n d e an B e a u f t r a g t e des M ü n c h ner Einzelhandels. L e b e n s m i t t e l ü b e r g a b man o h n e G e g e n l e i s t u n g an die N a t i o nalsozialistische V o l k s w o h l f a h r t ( N S V ) . D e n überwiegenden Teil des G r u n d b e sitzes erwarb die M ü n c h n e r L ö w e n b r ä u A G . 5 7
den bereits g e n a n n t e n G e s e t z e n v. a. auf einen D u r c h f ü h r u n g s e r l a s s des R W M zur „Vero r d n u n g ü b e r die A n m e l d u n g des V e r m ö g e n s v o n J u d e n " v o m 5. 7. 1938 z u r ü c k , d e r die B e t e i l i g u n g des G a u l e i t e r s der N S D A P , der I H K , der H a n d w e r k s k a m m e r n , des R e i c h s nährstandes s o w i e d e r f a c h l i c h e n O r g a n i s a t i o n e n der g e w e r b l i c h e n W i r t s c h a f t v o r s c h r i e b ; Durchführungsverordnung; B W A / K l / X X I 16a/2. Akte. 33
I m S e p t e m b e r 1 9 3 9 w u r d e n Vor- u n d N a c h t e i l e der „ A r i s i e r u n g " diskutiert. W ä h r e n d der E i n z e l h a n d e l auf die L i q u i d a t i o n drängte, w o l l t e der R e i c h s t r e u h ä n d e r der A r b e i t erst auch die älteren „ G e f o l g s c h a f t s m i t g l i e d e r " in e i n e m neuen A n s t e l l u n g s v e r h ä l t n i s wissen; S i t z u n g „ A r b e i t s k r e i s f ü r J u d e n a n g e l e g e n h e i t e n " am 19. 9. 1938; B W A / K l / X X I 1 6 a / B e i akte; zu „ A r i s i e r u n g " u n d R e s t i t u t i o n des K a u f h a u s e s U h l f e l d e r siehe v. a. auch den A u f satz v o n S c h m i d e d e r , K a u f h a u s , S. 134 f.
56
S c h r e i b e n des R W M BayHStAM/MWi/36.
57
B e r i c h t d e r D A T A G v o m 15. 4. 1 9 4 4 ; A u f z e i c h n u n g e n der O F D M ü n c h e n zur V e r n e h m u n g D r . B.s v o n der D A T A G v o m 26. 11. 1969; B e r i c h t e r s t a t t u n g des F i n P r ä s R a u c h , O F P M ü n c h e n , v o m 5. 5. 1943; O F D N ü r n b e r g / B I / 4 5 9 .
an
das
baverischc
Wirtschaftsministerium
vom
10. 11.
1938;
106
Drittes Kapitel: Regional-
und
Kommunalverwaltung
Ein derartiges Ausbalancieren regionaler Interessen lässt sich nicht nur beim „Arbeitskreis für Judenangelegenheiten" entdecken. 5 8 A u f anderer E b e n e k o n n ten mögliche K o n f l i k t e auch durch Personalunionen ü b e r b r ü c k t werden. Wie bereits gezeigt, vereinte H a n s B u c h n e r die A m t e r des Gauwirtschaftsberaters und des Chefsyndikus der I H K in seiner Person. S o k o n n t e er im August 1938 „im Sinne einer Geschäftsvereinfachung" von einer Zustellung der „Arisierungsfälle" an seinen Parteiapparat mit H i n w e i s auf das G u t a c h t e n der H a n d e l s k a m m e r prinzipiell Abstand n e h m e n . 5 9 D a s Interaktionsverhältnis der M ü n c h n e r Entscheidungsträger bei der wirtschaftlichen Verfolgung der J u d e n lässt sich daher mit K o m p e t e n z a n m a ß u n g e n , C h a o s und Regellosigkeit nur unzureichend beschreiben. 6 0 T r o t z durchaus vorhandener M a c h t k ä m p f e waren die vielen beteiligten Institutionen durchaus in der Lage, die durch die Gesetzgebung von 1938 aufgetretenen K o m p e t e n z v e r w i r r u n gen bei Zuständigkeitsfragen durch eigene Initiative zu entflechten. Was die K a m mer allerdings deutlich von einigen Parteiinstitutionen unterschied und was zu Kompetenzstreitigkeiten führte, war ihr an „Effizienzkriterien" im Sinne eines geordneten Wirtschaftsablaufes ausgerichtetes Handeln. Kein grundsätzlicher Zielkonflikt mit der Partei prägte das Bestreben der Kammer, wohl aber das B e mühen, den A k t i o n i s m u s und die ideologischen Impulse der „Parteirevolution von u n t e n " abzufedern und in geordnete und ö k o n o m i s c h verträgliche B a h n e n zu lenken. Dies machte letztlich die konsequente und umfassende Ausplünderung der jüdischen B e v ö l k e r u n g überhaupt erst möglich.
II. Nürnberg 1. Kennzeichnung
und
Boykott
D i e Rolle der Stadt N ü r n b e r g bei der wirtschaftlichen Verdrängung bleibt zwar weitgehend im D u n k e l n , tendenziell zeigen sich aber Parallelen zur Verfolgungspraxis in M ü n c h e n . 6 1 D i e berufliche „Ausschaltung" untermauerte die Stadtverwaltung mit disziplinarischen M a ß n a h m e n gegenüber B e a m t e n , Angestellten oder Arbeitern. 1934 hatte ein Stadtrat den Beamten und Angestellten bereits die Trennung von allen „nicht blutreinen P a r t n e r n " nahegelegt. „ D i e B l u t s v e r m i s c h u n g " , Auch auf informellerem Wege bildeten sich durchsetzungsfähige Interessensgemeinschaften. So verhinderten I H K , Gewerbeamt und Oberfinanzpräsident gemeinsam eine Hinterlegung von Kaufpreissummen auf dem Konto der „Vermögensverwertungs-GmbH", um einen geregelten Verfahrensablauf zu gewährleisten; Schreiben Vilsmaiers vom 23. 12. 1938; Stadt AM/Gewerbeamt/177a. 59 Modert, Motor, S. 158. 6 0 Vgl. hierzu exemplarisch Rebentisch, Führerstaat; Rebentisch, Verwaltung; dagegen vgl. v. a. die Studie von Bernhard Gotto, Kommunalpolitik, die anhand der Stadtverwaltung Augsburg die Tragfähigkeit regionaler Herrschaftsgeflechte überzeugend darlegt; Gotto, Kommunalpolitik, zusammenfassend S. 428. 6 1 Bestände, die Aufschluss über die Beteiligung der Stadt und der Kommunalverwaltung geben könnten, sind fast vollständig vernichtet. Gleiches gilt für Quellenmaterial über berufsständische Organisationen. 58
II.
Nürnberg
107
so Stadtrat R ü h m , „und das dadurch bedingte Senken des Rasseniveaus ist die alleinige U r s a c h e des Absterbens aller Kulturen, denn die Menschen gehen nicht an verlorenen Kriegen zugrunde, sondern am Verlust jener Widerstandskraft, die nur dem reinen Blute zu eigen i s t . " 6 2 I m selben Zeitraum verbot eine Direktorialverfügung allen städtischen B e a m t e n , Lehrkräften und Angestellten jede G e schäftsverbindung mit Juden aller A r t . 6 3 1936 bestrafte der O b e r b ü r g e r m e i s t e r schließlich auch den allgemeinen „Verkehr" mit J u d e n drakonisch. So verfügte er die Entlassung eines Vollzugsbeamten in U n i f o r m , nachdem dieser auf offener Straße mit einem J u d e n gesprochen hatte. Mit Hinweis auf die besondere Bedeutung Frankens und Nürnbergs im K a m p f gegen das J u d e n t u m verwies der B ü r germeister auf die N o t w e n d i g k e i t der absoluten Zurückhaltung gegenüber Juden und des Verbots jeder Äußerungen oder Handlungen persönlicher Natur. 6 4 Das rasche und harte Vorgehen gegen jüdische Berufstätigkeit in beiden Städten erklärt sich wohl aus ähnlichen strukturellen und personellen Voraussetzungen. A u c h in N ü r n b e r g hatte die „Machtergreifung" zum Aufstieg „Alter K ä m p f e r " in die Spitzenpositionen des Rathauses geführt. Prominentes Beispiel ist der gelernte Kaufmann Willy Liebl, der im April 1933 die Spitze der Stadtverwaltung übernahm. Liebl, ein Nationalsozialist der ersten Stunde, fungierte gleichzeitig als Vorstandsmitglied des deutschen Gemeindetages sowie als Mitglied des Reichstags und verfügte als S A - O b e r g r u p p e n f ü h r e r über gute K o n t a k t e zur Reichsregierung und Parteispitze. Bereits 1921 hatte sich Liebl aktiv in völkischen Wehrverbänden betätigt und trat 1925 in die Partei ein, w o er vier J a h r e später zum Sektionsleiter der Partei und 1 9 2 9 / 3 0 zum Stadtrat und Fraktionsvorsitzenden avancierte. 6 5 S o w o h l N ü r n b e r g als auch M ü n c h e n waren darüber hinaus Gauhauptstädte, traditionelle Zentren der nationalsozialistischen Bewegung und damit gleichzeitig H o c h b u r g e n des Antisemitismus, was sich unter anderem im erheblichen Aggressionspotential der Parteibasis äußerte.
2. Ausplünderung:
Zur Rolle von GWB und
IHK
Art und U m f a n g der binneninstitutionellen Interaktion und damit auch die Verfolgungspraxis blieben aber dennoch stark von der lokalen Prägung des N S - H e r r schaftsgefüges abhängig. D e n n die fehlende institutionelle Verankerung des G a u leiters im staatlichen Herrschaftsgefüge führte bei der Organisation der „Arisier u n g " in N ü r n b e r g zu einer D u r c h s e t z u n g der Parteiinteressen mit Brachialgewalt auf Kosten staatlicher G e n e h m i g u n g s b e h ö r d e n . 6 6 S o schaltete, wie bereits
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R u n d s c h r e i b e n des Stadtrats R ü h m v o m 30. 6. 1934; S t a d t A N / C 18/1 3 4 8 .
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D e r genaue Z e i t p u n k t des Erlasses dieser Verfügung ist nicht m e h r zu r e k o n s t r u i e r e n . Sie w u r d e am 6. Juli 1 9 3 5 allerdings b e k r ä f t i g t ; R u n d s c h r e i b e n des O B L i e b l ; S t a d t A N / C 18/ I, 3 4 0 . V e r f ü g u n g O B L i e b l s v o m 3. 12. 1936; ebd. S c h r e i b e n des Stadtrats v o n N ü r n b e r g an das P r ä s i d i u m der R e g i e r u n g von O b e r - und M i t t e l f r a n k e n v o m 2 7 . 4. 1933; S c h r e i b e n des R e i c h s i n n e n m i n i s t e r s an den D e u t s c h e n G e m e i n d e t a g v o m 13. 12. 1934; B a y H S t A M / M I n n / 8 0 4 3 4 ; L e b e n s l a u f Willv L i e b l s ; B A B (ehemals B D C ) / L i e b l , Willy.
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66
A u f g r u n d der ä u ß e r s t s c h w i e r i g e n Q u e l l e n l a g e lassen sich auch ü b e r die I H K N ü r n b e r g
108
Drittes Kapitel: Regional- und
Kommunalverwaltung
geschildert, Gauwirtschaftsberater O t t o Strobl Ende 1938 die I H K als Genehmigungsinstanz faktisch aus und bezog stattdessen eine weitere Parteistelle in die „Arisierung" ein. D e r informelle Einfluss Streichers unterlief jede eigenständige Entscheidung des Regierungspräsidenten von vornherein. 6 7 Im Gegensatz zu München war die I H K damit seit Ende N o v e m b e r 1938 aus dem Entscheidungsprozess ausgeschlossen, die „Arisierungen" wurden letztlich unter Federführung der D A F durchgeführt, und auch nach Streichers Sturz kam der Kammer durch die Etablierung der Gestapo als Genehmigungsinstanz keine entscheidende B e deutung mehr zu. Bis Dezember 1938 war die Kammer allerdings auch in Nürnberg Schnittstelle verschiedener Interessen aller möglichen Institutionen. Ihr Personal kennzeichnete nicht nur Fachkompetenz, sondern auch zahlreiche enge Verschränkungen mit der Partei: Seit 1933 leitete Georg Schaub, ein Wirtschaftsfunktionär mit exzellenten Verbindungen, gleichzeitig die Industrie- und Handelskammer und den Gauwirtschaftsapparat. 6 8 Sein Nachfolger im Amt, IHK-Präsident Strobl, war ebenfalls in Personalunion Gauwirtschaftsberater und gleichzeitig Vorstandsmitglied der großen Nürnberger A E G - W e r k e . 6 9 Die personellen Verschränkungen betrafen aber nicht nur die Vorstandsebene, sie erstreckten sich vor allem auch auf die Deutsche Arbeitsfront. Ein leitender Angestellter des Gauwirtschaftsberaters Beckh war gleichzeitig der Geschäftsführer der I H K und sowohl in der N S - H a g o als auch in der D A F als Sachbearbeiter tätig. A b 1938 gehörten dem Beirat der I H K zudem der Leiter der Fachgruppe Grundstücks- und Hypothekenmakler der D A F , Heinrich Wolf, und Franz Fekl, Gaufachgruppenwalter der Gaubetriebsgemeinschaft Handel, an. Langjähriges Mitglied der Handelskammer war auch der Kreiswirtschaftsberater Josef Lang. 7 0 N e b e n diesen Positionen bekleidete Lang einen Vorstandsposten bei den Fränkischen Überlandwerken. 7 1 Zumindest in der Anfangszeit des Regimes war die I H K Nürnberg bereit, J u den weiterhin positive Gutachten zu erstellen. So attestierte die Kammer dem
67 68
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nur wenige gesicherte Aussagen treffen. Sowohl die einschlägigen Quellen des Gewerbeamts der Stadt als auch die der Handelskammer selbst und des Regierungspräsidiums sind nicht mehr erhalten. Siehe hierzu Erster Teil, Zweites Kapitel, I I . l . der vorliegenden Studie. Schaub, seit 1932 N S D A P - M i t g l i e d , stand gleichzeitig einer großen Speditions- und Schifffahrtsgesellschaft vor, war Vorstandsmitglied der A D E K R A - G m b H , Vorsitzender der Vereinigten Papierwerke A G , Aufsichtsrat der Ardi-Werke, Vorsitzender der G e meinschaft deutscher Kraftwagenspediteure, Vorstandsmitglied der Uberlandtransportgenossenschaft; Schreiben eines Rechtsanwalts an den öffentlichen Kläger der SpruchHauptkammer München, Außenstelle Nürnberg, vom 31. 8. 1950; Meldebogen G e o r g Schaubs vom 6. 5. 1946; S t A N / S p r u c h k a m m e r Nürnberg-Lager/24202. Teil II des Berichts der Gestapo-Prüfungskommission, S. 99; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u mente/PS/1757; Gauleiter Streicher bezeichnete ihn in einem Schreiben an den Reichsorganisationsleiter der N S D A P vom 17. Februar 1936 als „Mann von unbeugsamen Willen", der bereit sei, „am Aufbauwerk des Führers tatkräftig mitzuarbeiten". Β A B (ehemals B D C ) , Strobl, O t t o , »19. 9. 1887. Schreiben des G W B Strobl an den R W M vom 27. 4. 1938; B A B / R 3101/9665. Schreiben Josef Langs an die amerikanische Militärregierung vom 8. 11. 1945; Spruch der Spruchkammer Lauf vom 20. 5. 1948; S t A N / S p r u c h k a m m e r Nürnberg-Lager/12341.
III. Kommunalvervjaltung
im ländlichen
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Bereich
B a n k h a u s A n t o n K o h n t r o t z dessen „ n i c h t a r i s c h e n " C h a r a k t e r s einen guten R u f und gutes A n s e h e n . 7 2 W i e in M ü n c h e n und anderen G r o ß s t ä d t e n des R e i c h e s etablierte die I H K auch in N ü r n b e r g seit dem F r ü h s o m m e r 1938 gemeinsam mit d e m Gauwirtschaftsberater, der D A F , dem G e w e r b e a m t der Stadt und den zuständigen F a c h g r u p p e n aus der W i r t s c h a f t einen „ A r b e i t s k r e i s " , der ü b e r „Arisier u n g " o d e r L i q u i d a t i o n g e w e r b l i c h e r B e t r i e b e nach dem g e w o h n t e n M u s t e r entschied. Bei der „ A r i s i e r u n g " b e s t i m m t e der „ A r b e i t s k r e i s " die E r w e r b e r . E r legte z u d e m die Preise für die B e t r i e b e fest, w o b e i grundsätzlich nur Waren, E i n r i c h tung und I m m o b i l i e n bezahlt w u r d e n , nicht aber der F a g o n w e r t einer F i r m a . Sämtliche „arischen G e f o l g s c h a f t s m i t g l i e d e r " mussten z u d e m ü b e r n o m m e n , alle j ü d i s c h e n Angestellten hingegen entlassen werden. A u ß e n s t ä n d e und Schulden durfte der E r w e r b e r schließlich nicht ü b e r n e h m e n . D i e b e t r o f f e n e n J u d e n , die der „ A r b e i t s k r e i s " grundsätzlich ü b e r Verkaufsverhandlungen und festgesetzte Preise nicht informierte, erhielten lediglich U n t e r s t ü t z u n g s l e i s t u n g e n , da die K ä u f e r die Kaufpreise auf S p e r r k o n t e n der D e u t s c h e n A r b e i t s f r o n t zu überweisen hatten. 7 3 G r u n d s ä t z l i c h sollte die L i q u i d i e r u n g j ü d i s c h e r B e t r i e b e forciert werden, eine „ A r i s i e r u n g " k a m nur dann in Frage, w e n n die Weiterführung der Verkaufsstelle für die V e r s o r g u n g der B e v ö l k e r u n g unbedingt n o t w e n d i g war. 7 4
III. Kommunalverwaltung im ländlichen Bereich R e g i o n a l s p e z i f i s c h e U n t e r s c h i e d e bei der wirtschaftlichen Verfolgung der J u d e n waren nicht nur der unterschiedlichen Prägung der G a u e und ihrer L e i t e r geschuldet, sie bildeten auch D i f f e r e n z e n zwischen U r b a n e n und ländlichen L e b e n s r ä u men ab. D i e s lag zunächst an den unterschiedlichen in die Verfolgung involvierten A k t e u r e n , hing aber auch mit anderen F a k t o r e n , wie der B e v ö l k e r u n g s d i c h t e der jüdischen B e v ö l k e r u n g oder mit Spezifika ihrer E r w e r b s s t r u k t u r
zusammen.
W e n n im F o l g e n d e n der u n t e r f r ä n k i s c h e B e z i r k H a m m e l b u r g als Vergleichsmaßstab in die U n t e r s u c h u n g e i n b e z o g e n wird, so ist eine solche Vorgehensweise deshalb gerechtfertigt, weil in seinem stark dörflich geprägten U m f e l d ein ausgesprochen h o h e r Anteil j ü d i s c h e r E r w e r b s t ä t i g e r lebte. 7 5 Abseits der Z e n t r e n der B e -
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S c h r e i b e n der I H K N ü r n b e r g an die I H K M ü n c h e n v o m 19. 1. 1934; B W A / K l / X X I 16a/ 1. A k t e . Teil II des B e r i c h t s der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n , S. 9 6 f f . ; S t A N / K V - A n k l a g e d o k u m e n t e / P S / 1 7 5 7 ; U b e r n a h m e v e r h a n d l u n g e n b e z ü g l i c h der H o p f e n f i r m a M a r t i n W.; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/52. S c h r e i b e n des O B N ü r n b e r g , B e z i r k s v e r w a l t u n g s - und B e z i r k s p o l i z e i r e f e r a t , an die B e r liner G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n u n t e r O R R M ü l l e r v o m 8. 3. 1939; S t A N / S t a a t s p o l i zeistelle N ü r n b e r g - F ü r t h / A r i s i e r u n g s a k t e n / 4 8 . I m G e g e n s a t z zu O b e r b a v e r n w a r e n die B e h ö r d e n im B e z i r k H a m m e l b u r g mit e i n e m für den ländlichen B e r e i c h a u s g e s p r o c h e n h o h e n Anteil j ü d i s c h e r E r w e r b s t ä t i g e r k o n f r o n tiert, in m a n c h e n O r t s c h a f t e n weit ü b e r 5 % , der sich zu einem G r o ß t e i l aus V i e h h ä n d l e r n z u s a m m e n s e t z t e . In O b e r t h u l b a gab es beispielsweise am 1. J a n u a r 1933 55 J u d e n bei 821 E i n w o h n e r n , also sogar 6 , 7 % . In V o l k e r s l e i e r w a r e n es 3 0 J u d e n bei 4 9 7 E i n w o h n e r n . In m a n c h e n O r t s c h a f t e n des B e z i r k s waren fast 1 0 % der B e v ö l k e r u n g J u d e n . D a m i t g e h ö r t e U n t e r f r a n k e n zu den g r ö ß t e n ländlichen j ü d i s c h e n G e m e i n d e n im R e i c h s g e b i e t ; B r i e f des
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Drittes Kapitel: Regional-
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wegung mit ihrem genauso fanatischen wie mächtigen Führungspersonal und aufgrund der hohen Dichte und Erwerbsstruktur jüdischer Berufstätiger gab es, so die dahinterstehende Annahme, signifikante Unterschiede in Zeitpunkt und Verlauf der wirtschaftlichen Verfolgung. Ohne weiteres lassen sich derartige Differenzen auf der Akteursebene feststellen. Schnittstelle der beruflichen „Ausschaltung" der jüdischen Bevölkerung im ländlichen Bereich war das Bezirksamt. Vergleichbar den Aufgaben der städtischen Gewerbeämter war es für Ausstellung und Verlängerung von Gewerbelegitimationskarten verantwortlich. Da jüdische Erwerbstätige in den stark agrarisch geprägten Gemeinden zu einem ganz überwiegenden Teil Viehhändler waren, kam fast jeder von ihnen in der einen oder anderen Weise mit dem Bezirksamt in Berührung. Anfragen und Anträge jüdischer Viehhändler bearbeitete es wiederum in enger Zusammenarbeit mit den Gendarmerie-Beamten, den Bauernführern des Reichsnährstandes, der bayerischen Regierung und der Bayerischen Politischen Polizei. Bei der kritischen Uberprüfung von Anträgen konnte sich die Behörde auf eine „Verordnung über Handelsbeschränkungen" vom 28. Juli 1923 stützen. Hiernach konnte der Handel mit Gegenständen jeglicher Art untersagt werden, wenn der Handeltreibende die für den Betrieb notwendige Zuverlässigkeit nicht besaß. 76 Entscheidend war jedoch vor allem die Novellierung dieses Gesetzes vom 3. Juli 1934. Ein neu eingefügter Paragraph 57 bestimmte, dass die Legitimation einem Handeltreibenden dann entzogen werden könne, „wenn er wegen Hochverrats oder Landesverrats verurteilt wurde oder wenn Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, dass der Nachsuchende sein Gewerbe zu staatsfeindlichen Zwecken missbrauchen wird". 7 7 Mit der Verweigerungsmöglichkeit aufgrund „staatsfeindlicher Zwecke" hatte der Gesetzgeber ein Einfallstor für den Ausschluss der „Regimegegner" errichtet und gleichzeitig die Wahrung normgebundener Verfahrensweisen garantiert. Wegen der äußerst weiten und schwammigen Definition des „Staatsfeindes" verfügte der einzelne Sachbearbeiter damit gleichzeitig auch über ein breites Spektrum juristisch vertretbarer Handlungsalternativen. Bei Anträgen von Juden gingen die Beamten des Bezirksamts H a m melburg offensichtlich generell von der Unzuverlässigkeitsvermutung aus. Der Verdacht der „Staatsfeindlichkeit" bildete fortan die Grundlage für die systematische Verweigerung der Legitimationskarten gegenüber Juden. Da die „Rassezugehörigkeit" als Ausschlusskriterium nicht ausreichend war, suchte das Bezirksamt
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Bürgermeisters des Markts Oberthulba an den Landrat in Hammelburg vom 14. 6. 1946; Schreiben des Bürgermeisters von Völkersleier an den Landrat in Hammelburg vom 12. 6. 1946; StAW/LRA Hammelburg/3566; Landkreise Hammelburg und Bad Kissingen, in: Nachschlagewerke zur Geschichte des Dritten Reiches. Personen, Gaue und Kreise der NSDAP; Ophir/Wiesemann, Gemeinden, S. 284 ff.; Wiesemann, Juden auf dem Lande. In Gemeinden wie Oberthulba, Westheim oder Untererthal waren nahezu alle jüdischen Erwerbstätigen Viehhändler oder Metzger; vgl. hierzu die verschiedenen Aufstellungen in StAW/LRA Hammelburg/4246. Art. 3 § 20 der „Verordnung über Handelsbeschränkungen" vom 23. 7. 1923; RGBl. I (1923), S. 708. § 57 Abs. 2a des „Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung" vom 3. 7. 1934; RGBl. I (1934), S. 566.
III. Kommunalverwaltung
im ländlichen Bereich
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in enger Z u s a m m e n a r b e i t mit d e n i h m u n t e r s t e h e n d e n G e n d a r m e r i e s t a t i o n e n u n d den B a u e r n f ü h r e r n des R e i c h s n ä h r s t a n d e s nach „ s c h w a r z e n F l e c k e n " in der Vergangenheit der B e t r o f f e n e n . D e n A u s s c h l u s s g r u n d bildeten d a n n meist z u r ü c k liegende A n k l a g e n o d e r Verurteilungen. 7 8 Wie sehr dabei die E n t s c h e i d u n g e n der V e r w a l t u n g s e i n r i c h t u n g auf ideologischen B e g r ü n d u n g e n f u ß t e n , zeigt die A b l e h n u n g einer B e s c h w e r d e des H a m m e l b u r g e r Viehhändlers Seligmann S. im J u n i 1936: „Es ist ausgeschlossen, d a ß ein M a n n , der es darauf abgesehen hatte, in einer solchen Weise Bauern zu hintergehen u n d zu schädigen, im H a n d e l belassen w e r d e n k a n n . S. hat diese Eigenschaft verwirkt; er ist als im h ö c h s t e n G r a d e u n z u v e r lässig z u r A u s ü b u n g des H a n d e l s zu erachten, w e s h a l b das Bezirksamt mit vollem Recht d e m S. die A u s ü b u n g untersagt u n d ihn damit f ü r die Bauern unschädlich gemacht hat. D i e A u s s c h a l t u n g des M a n n e s wie des B e s c h w e r d e f ü h r e r s aus d e m Viehhandel ist ein G e b o t der nationalsozialistischen Weltanschauung, die mit g u t e m G r u n d e die S ä u b e r u n g des Viehhandels v o n allen u n l a u t e r e n P e r s o n e n verlangt. D a r a n v e r m a g die Tatsache, d a ß sich S. in den letzten J a h r e n nichts hat zu schulden k o m m e n lassen, nichts zu ä n d e r n . " 7 9 D i e R e g i e r u n g u n d das B e z i r k s a m t s t ü t z t e n ihre A b l e h n u n g auf die „Verordn u n g ü b e r H a n d e l s b e s c h r ä n k u n g e n " u n d beriefen sich auf eine Verurteilung des Viehhändlers w e g e n eines geringen Vergehens im J a h r 1932. 8 0 D a s Bezirksamt vertrat auch g e g e n ü b e r der R e g i e r u n g von U n t e r f r a n k e n „ g r u n d s ä t z l i c h " die A u f fassung, B e s c h w e r d e n von J u d e n seien wegen der g r u n d s ä t z l i c h e n S t e l l u n g n a h m e des NS-Staates in „rassenpolitischen" Fragen abzulehnen. 8 1 D a b e i ging die Beh ö r d e sogar so weit, die U n z u v e r l ä s s i g k e i t s v e r m u t u n g auf das fortgeschrittene Alter der B e t r o f f e n e n zu stützen. 8 2 N i c h t n u r in diesem Fall sah sich das Bezirksamt zu einem Spagat g e z w u n g e n , wollte es die I n t e r p r e t a t i o n b e z i e h u n g s w e i s e inhaltliche U m d e u t u n g v o n G e s e t zen im nationalsozialistischen Sinne erreichen u n d gleichzeitig an einer „legalen" Verfahrensweise festhalten. Wenn die Balance nicht zu halten war, dies sollen zwei weitere Einzelfälle veranschaulichen, d a n n k o n n t e das Verhältnis z u g u n s t e n antisemitischer B e s t r e b u n g e n k i p p e n u n d zu eigenmächtigen K o m p e t e n z a n m a ß u n gen f ü h r e n . I m Falle der beiden Viehhändler N a t h a n u n d Julius B. hatte das Bezirksamt gegenüber der K r e i s b a u e r n s c h a f t W ü r z b u r g n o c h a u s g e f ü h r t , dass keine Tatsachen vorlägen, die eine E n t z i e h u n g der H a n d e l s l e g i t i m a t i o n b e g r ü n d e n k ö n n t e n . D i e B e h ö r d e f o r d e r t e d a h e r zu weiterer scharfer Ü b e r w a c h u n g auf, u m bei der
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Die betroffenen Juden hatten zwar das Recht, innerhalb einer Frist von zwei Wochen den Senat der Regierung von Unterfranken als Beschwerdeinstanz anzurufen. Dieser revidierte die Urteile des Bezirksamts aber in keinem Fall. Bescheid des zweiten verwaltungsrechtlichen Senats der Regierung von Unterfranken vom 18. 6. 1936; StAW/LRA Hammelburg/3582 und 3571. Ebd. Schreiben des Bezirksamts Hammelburg an die Regierung von Unterfranken vom 10. 8. 1936; StAW/LRA Hammelburg/3589. Schreiben des Bezirksamts Hammelburg an die Gendarmeriestation Hammelburg vom 24. 2. 1936; StAW/LRA Hammelburg/3578.
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Drittes Kapitel: Regional- und
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kleinsten Beanstandung die Betreffenden sofort „ausschalten" zu können. 8 3 Zwei Wochen später entzog das Bezirksamt den Brüdern tatsächlich die Legitimation aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten aus dem Jahr 1930. Die fassungslose R e aktion des eingeschalteten Rechtsanwalts veranschaulicht das skrupellose Vorgehen der Behörde: „Ich kann nicht ernsthaft glauben, dass das Bezirksamt erwägen könnte, die in dem Schreiben vom 25. 4. 1936 genannten Vorgänge als Gründe für die Untersagung des Viehhandels erörtern zu können. Denn diese an sich harmlosen Vorgänge haben unmittelbar mit der Tätigkeit des Händlers in der Ausübung seines Gewerbebetriebes nichts zu tun, geschweige denn, dass sie für die Frage, ob der Betreffende die für die Ausübung des Gewerbebetriebes erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, herangezogen werden können. Es fällt schwer, bei einem solch untauglichen Versuch des Bezirksamts sachlich zu bleiben und nicht schärfer die Art eines solchen Verfahrens zu kennzeichnen. Das Bezirksamt Hammelburg kann nicht die Rolle des Staatsanwalts, aber auch nicht die Rolle des Richters an allen möglichen Dingen sich aneignen wollen, um nach einem Vorwand des Vorgehens gegen den Viehhändler suchen zu k ö n n e n . " 8 4 A m 28. März 1936 fasste das Bezirksamt Hammelburg den Entschluss, dem Pferdehändler Willi F. mit sofortiger Wirkung seine Gewerbefähigkeit zu untersagen. Das Amt folgte damit einem früheren Beschluss sowie einer ein Jahr zuvor von der Regierung von Unterfranken getroffenen Entscheidung. Auch wenn sich Finsterwald einigen Kunden gegenüber fair verhalten habe, so die Begründung, würde dies dennoch nichts an seiner generellen Unzuverlässigkeit ändern. Auch die Vernehmung von Zeugen ändere hieran nichts. 8 5 Eine solche Ausschlusspraxis entsprach den ideologischen Prämissen des Regimes, verließ aber die Marschroute des Reichswirtschaftsministeriums im U m gang mit jüdischen Kaufleuten, das seine ablehnende Haltung gegen solche Praktiken bereits 1935 deutlich zum Ausdruck gebracht und sich dabei auf ein bindendes Urteil des Reichsverwaltungsgerichtshofes berufen hatte. Demzufolge durfte Juden die Legitimationskarte ausdrücklich nicht aufgrund ihrer „rassischen Zugehörigkeit" verweigert oder entzogen werden. Weitere Ausschlussgründe mussten, so die Meinung des Gerichts, zwingend vorliegen. 8 6 Das Bezirksamt Hammelburg hatte also den geltenden Spielraum der N o r m e n nicht nur extensiv ausgeschöpft, es hatte die ihm auferlegten gesetzlichen Schranken einfach beiseite geschoben. Zwar suchte die Behörde nach Gründen, um seiner Ausschlusspraxis einen scheinlegalen Anstrich zu geben, de facto war aber für die Verweigerungspolitik die „rassische" Zugehörigkeit der Viehhändler ausschlaggebend.
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Schreiben des Bezirksamts Hammelburg an die Kreisbauernschaft Würzburg vom 20. 4. 1936; S t A W / L R A Hammelburg/3588. Schreiben eines Rechtsanwalts an das Bezirksamt Hammelburg vom 4. 5. 1936; ebd. Das erste Mal war dem Viehhändler die Gewerbelegitimation am 17. O k t o b e r 1935 entzogen worden; Beschluss des Bezirksamts Hammelburg vom 28. 3. 1936; S t A W / L R A H a m melburg/3589; Beschluss des Bezirksamts Hammelburg vom 1 6 . 9 . 1935; S t A W / L R A Hammelburg/3553; Beschluss des Bezirksamts Hammelburg vom 28. 3 . 1 9 3 6 ; S t A W / L R A Hammelburg/3589. Bericht des bayerischen Wirtschaftsministeriums an die Regierungen vom 21. 12. 1935; S t a d t A B K / C 32.
III. Kommunalverwaltung
im ländlichen
Bereich
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D e r a r t i g e - selbst a n g e m a ß t e o d e r durch den G e s e t z g e b e r eingeräumte - H a n d lungsspielräume führten im Einzelfall allerdings auch zu einem Ausschlag des Pendels in die andere R i c h t u n g . N i c h t alle jüdischen Viehhändler waren bereits 1936 von der rigiden Ausschlusspraxis betroffen. F e h l t e n negative G u t a c h t e n anderer staatlicher Stellen oder Parteigliederungen und war daher keine M ö g l i c h k e i t gegeben, strafbare H a n d l u n g e n o d e r die „ U n z u v e r l ä s s i g k e i t " zu k o n s t r u i e r e n , so k o n n t e n j ü d i s c h e Viehhändler des B e z i r k s ihre L e g i t i m a t i o n bis zur endgültigen beruflichen „ A u s s c h a l t u n g " im J a h r 1938 b e h a l t e n . 8 7 D i e allgemeine T e n d e n z , daran besteht kein Zweifel, war antisemitisch geprägt. B l i e b e n N a c h w e i s e für die „ U n z u v e r l ä s s i g k e i t " aus, so erklärten dies die G u t a c h t e r - wie etwa der B ü r g e r meister von Westheim - mit dem „ W i s s e n " der J u d e n , dass sie ihre „ S c h w i n d e l m a n ö v e r " im N S - S t a a t nicht mehr so treiben k ö n n t e n wie n o c h zur „ S y s t e m z e i t " . 8 8 D e n n o c h : D a s Festhalten an „legitimen Verfahrensweisen" durch neutrale Stell u n g n a h m e n der lokalen B e h ö r d e n k o n n t e im Einzelfall den Ausschluss der jüdischen V i e h h ä n d l e r auch v e r h i n d e r n . 8 9 R ü c k e n d e c k u n g und Impulse für die antisemitischen Initiativen erhielt das unterfränkische B e z i r k s a m t durch die bayerische R e g i e r u n g unter Ministerpräsident Siebert. G a l t e n die B e t r a c h t u n g e n bisher vorwiegend h o r i z o n t a l e n H e r r s c h a f t s g e flechten auf lokaler E b e n e , so zeigen sich hier auch überregionale vertikale I n t e r a k t i o n s s t r u k t u r e n auf L a n d e s e b e n e , die den Einfluss Berlins e i n z u d ä m m e n imstande waren. In einem Beschluss des bayerischen Staatsministeriums für W i r t schaft bezüglich einer generellen U b e r p r ü f u n g des Viehhandels in B a y e r n v o m 2. August 1934 o f f e n b a r t sich die antisemitische P o l i t i k der Landesregierung. D e r H a n d e l mit Z u c h t - und N u t z v i e h sollte hiernach von „unzuverlässigen P e r s o n e n " gesäubert w e r d e n . 9 0 D r e i W o c h e n später präzisierte das M i n i s t e r i u m die E n t schließung. B e s o n d e r s bei der Ausstellung von W a n d e r g e w e r b e l e g i t i m a t i o n s k a r ten sei „sorgfältig zu p r ü f e n " , bei Unzuverlässigkeit forderte die Landesregierung die L e g i t i m a t i o n s v e r w e i g e r u n g . 9 1 M i t dieser A n o r d n u n g verließ das bayerische W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m eindeutig die Generallinie Berlins. E s i n f o r m i e r t e z w a r die ihm u n t e r g e o r d n e t e n Stellen ü b e r die vorsichtige H a l t u n g der R e i c h s r e g i e r u n g hinsichtlich des Ausschlusses j ü d i s c h e r Handeltreibender, b e t o n t e aber gleichzei-
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S c h r e i b e n der G e n d a r m e r i e s t a t i o n O b e r t h u l b a an das B e z i r k s a m t H a m m e l b u r g v o m 27. 2. 1 9 3 6 ; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 8 3 ; S c h r e i b e n des B e z i r k s a m t s H a m m e l b u r g an die K r e i s b a u e r n s c h a f t H a m m e l b u r g v o m 6 . 4 . 1936; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 7 2 ; S c h r e i b e n des B e z i r k s a m t s H a m m e l b u r g an die N S D A P - K r e i s l e i t u n g B r ü c k e n a u - H a m m e l b u r g v o m 2 5 . 2. 1938; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 6 8 .
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S c h r e i b e n des B ü r g e r m e i s t e r s v o n W e s t h e i m an das B e z i r k s a m t H a m m e l b u r g und die G e n d a r m e r i e H a m m e l b u r g v o m 2 0 . 1. 1938; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 8 1 ; S c h r e i b e n der G e n d a r m e r i e H a m m e l b u r g an das B e z i r k s a m t H a m m e l b u r g v o m 2 1 . 1. 1938, in dem darauf h i n g e w i e s e n w u r d e , dass sich die j ü d i s c h e n V i e h h ä n d l e r b e s o n d e r e M ü h e geben w ü r d e n , n i c h t gegen das G e s e t z zu v e r s t o ß e n ; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 6 8 .
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S c h r e i b e n des B e z i r k s a m t s O b e r t h u l b a an die G e n d a r m e r i e s t a t i o n O b e r t h u l b a v o m 14. 1. 1938; ebd. R u n d s c h r e i b e n des b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s , A b t e i l u n g L a n d w i r t s c h a f t , an die R e g i e r u n g e n v o m 2 4 . 12. 1 9 3 5 ; S t a d t A B K / C 32. R u n d s c h r e i b e n des b a y e r i s c h e n S t a a t s m i n i s t e r i u m s f ü r W i r t s c h a f t , A b t e i l u n g L a n d w i r t schaft, an die R e g i e r u n g e n v o m 3. 9. 1934; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 6 9 .
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tig die Möglichkeiten, in diesem Bereich kontrollierend tätig zu werden. Praktisch kam dies einer Aufforderung an die entsprechenden Stellen zur Verfolgung jüdischer Händler gleich. 9 2 Darüber hinaus versuchte die Landesregierung, durch eine besonders rigide Auslegung gesetzlicher Bestimmungen auch nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofes eine schnelle Ausschaltung jüdischer Viehhändler zu erreichen. Ihrer Meinung nach bot Paragraph 57 der Gewerbeordnung die M ö g lichkeit, jede „gehässige" oder „hetzerische" Äußerung als „staatsfeindlich" im Sinne des Gesetzes auszulegen. 9 3 Tatsächlich setzte die Uberprüfung der Viehhändler durch die Bezirksämter unmittelbar nach diesem Beschluss des bayerischen Wirtschaftsministeriums ein. 9 4 Obgleich die Entschließungen des Ministeriums de jure nicht explizit jüdische Viehhändler ins Visier nahmen, war es sowohl für die zuständigen Bezirksämter als auch für die mit der Überprüfung beauftragte Gendarmerie selbstverständlich, ausschließlich jüdische Viehhändler zu überprüfen. 9 5 Die Gendarmeriestationen waren es auch, die neben derartigen Impulsen von oben die Bezirksämter als untergeordnete Behörden mit den für die Ausschlusspraxis notwendigen Informationen versorgten. Die Dorfpolizisten verfuhren dabei nach einem festgelegten Muster: Das Bezirksamt schickte an die Gendarmeriewache einen standardisierten, zwölfteiligen Fragenkatalog über den betreffenden Viehhändler. Ausschlaggebend waren vor allem Punkte, die nach der allgemeinen Zuverlässigkeit und dem wirtschaftlichen Verhalten fragten. Dass rassistische Vorurteile bei den Bearbeitern der Fragebögen eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben, zeigt der Fragebogen für den Viehhändler Nathan H . aus Westheim. Als Antwort auf Punkt eins schrieb die zuständige Gendarmeriestation: „Er versucht seine Kunden durch echt jüdische Kniffe hereinzulegen." Dies machte auch das Begleitschreiben zu dem Fragebogen deutlich, in dem der Gendarmeriehauptwachtmeister meinte: „Es wird hierzu bemerkt, daß Nathan H . in Westheim ein echt jüdisches Geschäftsgebaren besitzt und darauf ausgeht, seine Kunden hereinzulegen w o er nur kann. Eine Zuverlässigkeit im Viehhandel muss ihm deshalb abgesprochen werden." 9 6
92 Ebd. 9 3 Schreiben des bayerischen Wirtschaftsministeriums an die N S D A P Oberbayern vom 20. 1. 1936; B a y H S t A M / M L / 3 3 5 0 . 9 4 Überprüfung verschiedener Viehhändler aus Hammelburg; Schreiben der Gendarmeriestation Neuwirtshaus an das Bezirksamt Hammelburg vom 5. 1 2 . 1 9 3 4 ; S t A W / L R A H a m melburg/3569. D i e Gendarmerie gliederte sich in Stationen und Posten. Sie unterstanden auch nach 1933 unmittelbar dem Landrat bzw. dem Oberbürgermeister. Im Landkreis Hammelburg gab es drei Gendarmeriestationen: Hammelburg, Euerdorf und Neuwirtshaus; Hofmann, Unterfranken, S. 1 5 3 - 1 5 6 . 9 5 Überprüfung der Viehhändler aus Völkersleier und Hammelburg; Schreiben der Gendarmeriestation Neuwirtshaus an das Bezirksamt Hammelburg vom 5. 12. 1934; S t A W / L R A Hammelburg/3569. 9 6 Fragebogen vom 2 1 . 2 . 1936 und Begleitschreiben an das Bezirksamt Hammelburg vom 9. 3. 1936; S t A W / L R A Hammelburg/3580; Bericht der Gendarmeriestation Hammelburg an das Bezirksamt Hammelburg vom 21. 2. 1936 im Falle des Viehhändlers Nathan H.; S t A W / L R A Hammelburg/3581.
III. Kommunalverwaltung
im ländlichen
Bereich
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D i e G e n d a r m e r i e verband w i e d e r u m mit den B a u e r n f ü h r e r n des R e i c h s n ä h r standes ein enges K o o p e r a t i o n s v e r h ä l t n i s . 9 7 D i e Z u s a m m e n a r b e i t mit den lokalen G l i e d e r u n g e n des R e i c h s n ä h r s t a n d e s ging auf eine Intervention des dem R e i c h s nährstand unterstehenden R e i c h s v e r b a n d s des nationalen Viehhandels, G a u B a y ern, z u r ü c k , nach der bei der P r ü f u n g der „UnZuverlässigkeit" s o w o h l die K r e i s b a u e r n f ü h r e r als auch die O r g a n i s a t i o n e n des Viehhandelsverbands zu hören w a r e n . 9 8 D i e Aussagen der B a u e r n f ü h r e r verschärften die berufliche Verdrängung jüdischer Viehhändler in m e h r f a c h e r Weise. D i e s geschah zunächst durch die hochgradig ideologisch geprägte G u t a c h t e r t ä t i g k e i t , bei der die G u t a c h t e r in der Regel aus ihrer generellen A b l e h n u n g des „jüdischen V i e h h a n d e l s " kein H e h l m a c h t e n . D i e W i r k s a m k e i t der „ B l u t - und B o d e n i d e o l o g i e " , die keine J u d e n im L a n d p r o d u k t e n h a n d e l geschweige denn als L a n d e i g e n t ü m e r duldete, zeigt sich in den G u t a c h t e n deutlich. D i e Viehhändler w u r d e n als „ H o f j u d e n " bezeichnet, die mit ihrem „oberflächlich guten B e n e h m e n " die K u n d s c h a f t lediglich „ t ä u s c h e n " w ü r d e n . R e c h t l i c h e H i n d e r n i s s e für eine Verweigerung der Handelslegitimation wurden als „ K n i f f e " eines „liberalistischen Staates" b e z e i c h n e t , mit der sich die deutsche B a u e r n s c h a f t nicht abgeben k ö n n e . 9 9 B e s o n d e r s gravierend w i r k t e sich das R e c h t der L a n d e s b a u e r n f ü h r e r aus, A u s k ü n f t e ü b e r das Strafregister der als „unzuverlässig" geltenden j ü d i s c h e n Viehhändler e i n z u h o l e n . 1 0 0 Viele von ihnen waren angesichts der s c h w e r w i e g e n d e n wirtschaftlichen K r i s e n z e i t A n f a n g der 1 9 3 0 e r J a h r e in Verfahren verwickelt, sei es wegen eigener Z a h l u n g s s c h w i e r i g k e i ten o d e r aufgrund von L i q u i d i t ä t s p r o b l e m e n der K u n d e n . D e r a r t i g e Verfahren wurden von den B a u e r n f ü h r e r n dann gegenüber den B e z i r k s ä m t e r n aufgegriffen und als A u s s c h l u s s g r u n d v o r g e b r a c h t . D i e G l i e d e r u n g e n des R e i c h s n ä h r s t a n d e s k o n n t e n a u ß e r d e m auch direkt eingreifen. E i n e H a n d h a b e b o t die „ V e r o r d n u n g ü b e r den V e r k e h r mit Vieh und F l e i s c h " v o m 2 8 . J u l i 1923, die den H a n d e l mit derartigen Waren von einer b e s o n deren Erlaubnis abhängig machte. A u c h hier k o n n t e die E r l a u b n i s bei „ U n z u v e r lässigkeit" verweigert w e r d e n . 1 0 1 D a m i t ebnete diese B e s t i m m u n g neben der „ V e r o r d n u n g ü b e r H a n d e l s b e s c h r ä n k u n g e n " n o c h einen zusätzlichen Weg, jüdi-
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B i s z u m 13. M ä r z 1 9 3 6 m a c h t e der R e i c h s n ä h r s t a n d v o n einer direkten E i n f l u s s m ö g l i c h keit d u r c h die „ V e r o r d n u n g ü b e r den V e r k e h r mit Z u c h t - u n d N u t z v i e h " keinen G e b r a u c h ; S c h r e i b e n des b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s an die R e g i e r u n g v o n S c h w a ben u n d N e u b u r g v o m 13. 3. 1936; B a y H S t A M / M L / 3 3 5 0 .
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R u n d s c h r e i b e n des R e i c h s v e r b a n d s des n a t i o n a l e n V i e h h a n d e l s , G a u B a y e r n , an die b a v e r i s c h e n B e z i r k s v e r w a l t u n g s b e h ö r d e n v o m 3 . 9 . 1934; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3569. S c h r e i b e n des B e z i r k s b a u e r n f ü h r e r s H a m m e l b u r g an das B e z i r k s a m t H a m m e l b u r g v o m 8. 5. 1935; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 8 9 ; S c h r e i b e n des B e z i r k s b a u e r n f ü h r e r s an das B e z i r k s a m t H a m m e l b u r g im Falle des V i e h h ä n d l e r s A r n o l d H . v o m 3. 11. 1935; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 7 7 ; S c h r e i b e n des B e z i r k s b a u e r n f ü h r e r s an das B e z i r k s a m t H a m m e l b u r g im Falle des V i e h h ä n d l e r s Karl A. v o m 31. 12. 1934; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3593.
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S c h r e i b e n des b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s an die A b t e i l u n g I im H a u s e v o m 4. 2. 1936; B a y H S t A M / M L / 3 3 5 0 .
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§ § 4 und 10 der „ V e r o r d n u n g ü b e r den V e r k e h r mit Vieh und F l e i s c h " v o m 28. 7. 1923; R G B l . 1 ( 1 9 2 3 ) , S. 7 1 5 f .
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Drittes Kapitel: Regional- und
Kommunalverwaltung
sehe Viehhändler von ihren Erwerbsmöglichkeiten auszuschließen. In einer weiteren „Verordnung über den Verkehr mit N u t z - und Zuchtvieh" vom 22. November 1935 erweiterte die Ministerialbürokratie diese Möglichkeiten noch einmal. Den Reichsnährstand ermächtigte sie, den entsprechenden Handel von einer besonderen Zulassung abhängig zu machen. Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, dass andere Vorschriften wie etwa die Gewerbeordnung von den Maßnahmen des Reichsnährstandes unberührt bleiben sollten. 102 Seit April 1936 konnte schließlich der Handel mit Schlachtvieh durch den Viehwirtschaftsverband in den Fällen versagt werden, in denen ein Betriebsinhaber nicht die erforderliche „Zuverlässigkeit" besaß. Dies war unter anderem dann gegeben, wenn entweder eine Verurteilung wegen eines schwerwiegenden Vergehens während der Berufsausübung vorlag oder Verwarnungen des Viehwirtschaftsverbands missachtet worden waren. 103 Die Ministerialbürokratie hatte damit einmal mehr einen Paragraphendschungel geschaffen, der mehrere Institutionen nebeneinander mit nahezu den gleichen Zuständigkeiten versah. Eine eindeutige Zuordnung der Kompetenzen fiel daher offenbar schwer, vorhandene Unklarheiten überbrückten die beteiligten Institutionen allerdings mit Alleingängen, im Bedarfsfall aber auch kooperativ: Während die Bezirksämter einen Ausschluss der jüdischen Viehhändler bis 1935 wohl zum überwiegenden Teil selbständig und mit Verweis auf die „Verordnung über Handelsbeschränkungen" legitimierten, nahm in Einzelfällen auch der Reichsnährstand Einfluss auf die Erteilung von Gewerbelegitimationskarten. Darüber hinaus beauftragten die Bauernführer die Bezirksämter mit Überwachungsaufgaben. 1 0 4 Bis 1936 war dies aber offensichtlich die Ausnahme. 105 Ab Frühjahr 1936 verstärkte sich die direkte Einflussnahme des Reichsnährstandes ganz wesentlich. Dies hing zum einen mit der veränderten Gesetzgebung zusammen, zum anderen aber auch mit der deutlichen Kritik der Reichsregierung an dem Vorgehen einzelner Bezirksregierungen, die nun auf die Kompetenz der Parteiinstitutionen verweisen konnten. 1 0 6 Die Bezirksämter konnten zwar weiter102
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§§ 1 und 2 der „Verordnung über den Verkehr mit N u t z - und Zuchtvieh" vom 22. 11. 1935; RGBl. I (1935), S. 1353. Eine Beschwerde war beim Schiedsgericht der Hauptvereinigung des Viehwirtschaftsverbands zulässig; Art. II § 1 der „Dritten Verordnung zur Regelung des Verkehrs mit Schlachtvieh" vom 8. 4. 1936; RGBl. I (1936), S. 367. Schreiben des Bezirksamts Hammelburg an den Bezirksbauernführer vom 10.2. 1936; StAW/LRA Hammelburg/3570. Der Reichsverband des nationalen Viehhandels, Kreisverband Unterfranken, sandte am 14. Januar 1935 eine Liste an das Bezirksamt Hammelburg, aus der hervorging, welchen Viehhändlern die Zulassung zu erteilen sei und welchen nicht; StAW/LRA Hammelburg/3593. Bis zum 13. März 1936 machte der Reichsnährstand von einer direkten Einflussmöglichkeit durch die „Verordnung über den Verkehr mit Zucht- und Nutzvieh" keinen Gebrauch; Schreiben des bayerischen Wirtschaftsministeriums an die Regierung von Schwaben und N e u b u r g vom 13. 3. 1936; BayHStAM/ML/3350. Rundschreiben des bayerischen Wirtschaftsministeriums an die Regierungen vom 21. 12. 1935, in dem zwar auf die Kritik der Reichsregierungen an dem Vorgehen einzelner Bezirksämter hingewiesen, gleichzeitig aber darauf aufmerksam gemacht wird, dass dem Reichsnährstand auch eine Entscheidung über die Zulassung zum Viehhandel zustehe; StadtABK/C 32.
III. Kommunalverivaltung
im ländlichen Bereich
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hin selbständig ü b e r die Ausstellung v o n G e w e r b e l e g i t i m a t i o n s k a r t e n entscheiden. G i n g es aber u m den Viehhandel, blieb die Z u s t ä n d i g k e i t der Verwaltungsbeh ö r d e n u r so lange bestehen, bis der R e i c h s n ä h r s t a n d von seinen G e s e t z e s k o m p e t e n z e n G e b r a u c h m a c h t e . 1 0 7 W e n n dieser die Versagung der Z u l a s s u n g b e s t i m m t e , diente das B e z i r k s a m t lediglich als a u s f ü h r e n d e s O r g a n . 1 0 8 Generell trug die b a y e rische R e g i e r u n g den B e z i r k s ä m t e r n n u n auch offiziell auf, bei der U n t e r s a g u n g des Viehhandels mit d e r H a u p t v e r e i n i g u n g der D e u t s c h e n Viehwirtschaft K o n takt a u f z u n e h m e n . 1 0 9 D a s Schiedsgericht des nationalen Viehhandels f u n g i e r t e als letzte E n t s c h e i d u n g s i n s t a n z u n d löste damit die R e g i e r u n g von U n t e r f r a n k e n in dieser F u n k t i o n ab. 1 1 0 I m N o v e m b e r 1936 i n f o r m i e r t e der Viehwirtschaftsverb a n d die B ü r g e r m e i s t e r der Städte schließlich von seinem Vorhaben, den Viehhandel von u n l i e b s a m e n P e r s o n e n zu reinigen. 1 1 1 D i e Ausschlusspraxis des B e z i r k s a m t s u n d die G u t a c h t e n der Parteigliederungen u n d G e n d a r m e r i e s t a t i o n e n des Kreises H a m m e l b u r g e n t s p r a c h e n Verhaltenst e n d e n z e n , die o f f e n b a r in ganz U n t e r f r a n k e n zu finden w a r e n . So schrieb die O r t s g r u p p e N S D A P M a i n s t o c k h e i m im April 1937 an die Kreisleitung Kitzingen: „Auf ihr Schreiben v o m 2. 3. 1937 wegen Z u l a s s u n g der beiden J u d e n L. u n d N . v o m M a i n s t o c k h e i m z u m Viehhandel habe ich n u r B e d e n k e n , w e n n wir ihnen die Möglichkeiten z u m Schachern geben. Wir b e k o m m e n diese M e n s c h e n s o r t e in M a i n s t o c k h e i m ü b e r h a u p t nicht m e h r los." 1 1 2 D i e O r t s g r u p p e der N S D A P D e t telbach w a r der M e i n u n g , u m „die Bauern u n d L a n d w i r t e vor weiteren Schädigungen zu s c h ü t z e n , wäre es angebracht, den J u d e n f ü r die Z u k u n f t die Viehhandelserlaubnis zu e n t z i e h e n " . 1 1 3 Das bisher beschriebene K o o p e r a t i o n s g e f l e c h t bei der Vergabe von G e w e r b e l e gitimationen ergänzten schließlich noch die P o l i z e i b e h ö r d e n . D u r c h die Ä n d e r u n g der G e w e r b e o r d n u n g v o m 3. Juli 1934 besaßen auch sie das Recht, P e r s o n e n
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S c h r e i b e n der R e g i e r u n g v o n U n t e r f r a n k e n an das b a y e r i s c h e W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m v o m 29. 10. 1936 u n d A n t w o r t s c h r e i b e n v o m 17. 11. 1936; B a v H S t A M / M L / 3 3 5 0 . S c h r e i b e n des V i e h w i r t s c h a f t s v e r b a n d s B a y e r n an das b a y e r i s c h e W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m v o m 19. 11. 1937; B a y H S t A M / M L / 3 3 5 0 . ' S c h r e i b e n des b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s an die R e g i e r u n g e n v o m 17. 11. 1936; S t a d t A B K / C 32. Z u r f r ü h e r e n T ä t i g k e i t d e r r e g i o n a l e n G l i e d e r u n g e n des V i e h w i r t s c h a f t s v e r b a n d s vgl. e t w a ein S c h r e i b e n des K r e i s v e r b a n d s U n t e r f r a n k e n an das B e z i r k s a m t H a m m e l b u r g , in d e m die V e r w e i g e r u n g v o n zwei L e g i t i m a t i o n s k a r t e n an J u d e n bestätigt, z w e i a n d e r e n j ü d i s c h e n V i e h h ä n d l e r n die L e g i t i m a t i o n allerdings a u c h b e d e n k e n l o s erteilt w u r d e ; S c h r e i b e n v o m 14. 1. 1935; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 9 3 . A b E n d e 1936 trat d a n n bei d e n u n t e r s u c h t e n E i n z e l f ä l l e n n u r n o c h der V i e h w i r t s c h a f t s v e r b a n d als letzte E n t s c h e i d u n g s i n s t a n z auf; Schreiben des B e z i r k s a m t s H a m m e l b u r g an das Schiedsgericht f ü r l a n d w i r t s c h a f t l i c h e M a r k t r e g e l u n g v o m 3. 3. 1938; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 7 3 . S c h r e i b e n des V i e h w i r t s c h a f t s v e r b a n d s B a y e r n an d e n B ü r g e r m e i s t e r v o n Bad Kissingen v o m 3. 11. 1936; S t a d t A B K / C 32. A u s e i n e m S c h r e i b e n des b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s an die R e g i e r u n g v o n S c h w a b e n u n d N e u b u r g v o m 15. M ä r z 1936 geht hervor, dass d e r R e i c h s n ä h r s t a n d bis d a h i n v o n seiner K o n t r o l l f u n k t i o n k e i n e n G e b r a u c h gem a c h t hatte; B a y H S t A M / M L / 3 3 5 0 . S c h r e i b e n d e r O r t s g r u p p e M a i n s t o c k h e i m an die K r e i s l e i t u n g K i t z i n g e n v o m 10.4. 1937; StAW/LRA Hammelburg/3568. S c h r e i b e n d e r O r t s g r u p p e D e t t e l b a c h v o m 12. 3. 1937; S t A W / N S D A P / 4 0 6 .
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v o m Wandergewerbe, als Handlungsreisende oder Straßenhändler auszuschließen, wenn Missbrauch des G e w e r b e s zu „staatsfeindlichen Z w e c k e n " zu befürchten war. 1 1 4 D e r Reichswirtschaftsminister hatte darauf hingewiesen, dass „staatsfeindliches Verhalten" in diesen Berufen besonders leicht möglich sei und daher alle Personen, die wegen H o c h - oder Landesverrats angeklagt worden waren, auszuschließen seien. 1 1 5 Besonders drastisch wirkte sich der zunehmende Einfluss der Bayerischen Politischen Polizei auf die jüdischen Viehhändler aus, da diese den Hinweis des Wirtschaftsministeriums in antisemitischer Weise interpretierte. E n d e 1935 sah sich das Reichswirtschaftsministerium daher gezwungen, die Praxis verschiedener Polizeistellen zu kritisieren, die offensichtlich dazu übergegangen waren, J u d e n aufgrund ihrer „Rassezugehörigkeit" generell die G e w e r b e legitimation nach der G e w e r b e o r d n u n g zu verweigern. D a s Ministerium machte darauf aufmerksam, dass ein ausnahmsloser Ausschluss der J u d e n nicht möglich sei und die Entscheidung über eine Einschränkung jüdischer Wirtschaftstätigkeit allein der Reichsregierung obliege. A u c h sollte eine Verzögerung der Verfahren vermieden w e r d e n . 1 1 6 D i e rigide Ausschlusspolitik der Polizeidienststellen war offensichtlich auf den Einfluss der Bayerischen Politischen Polizei z u r ü c k z u f ü h ren. Gewerbelegitimationskarten und Wandergewerbescheine wurden durch die Polizeibehörden ausgestellt und durch die Bayerische Politische Polizei überprüft. F ü r die Ausstellung von Legitimationskarten waren besondere B e r e c h t i gungsscheine notwendig. D e r Bayerischen Politischen Polizei waren diese B e scheinigungen vor der endgültigen Ausstellung zu übersenden und diese entschied dann über die tatsächliche Erteilung. Dies galt auch für Handelsvertreter, die nicht in dem B e z i r k ihrer F i r m a tätig w a r e n . 1 1 7 A u f diesem Wege hatte die P o lizeibehörde damit auch Einfluss auf die Vergabepraxis der Bezirksämter. Ihre radikale Handlungsweise stellte die B e h ö r d e mehrfach unter Beweis. In B e z u g auf die Berechtigungsscheine machte die Bayerische Politische Polizei deutlich, dass bei jüdischen Antragstellern die „schärfsten M a ß s t ä b e " anzulegen seien und der „leiseste Verdacht" für den „rücksichtslosen G e b r a u c h " der Versagung ausreichen w ü r d e . 1 1 8 D a m i t forderte die B e h ö r d e , ähnlich wie bereits das bayerische Wirtschaftsministerium, direkt zu einer Verdrängung der jüdischen Viehhändler aufgrund „rassischer" Gesichtspunkte auf. D i e s e H a l t u n g wurde in einem Rundschreiben v o m Juli 1936 noch einmal unterstrichen. E s k ö n n e zwar nicht grundsätzlich aus G r ü n d e n der „Rasse" die Legitimation verweigert werden, so erklärte die Polizeidirektion W ü r z b u r g die Haltung der Bayerischen Politischen Polizei, es sollten jedoch die geringsten U m s t ä n d e ausreichen, u m die L e -
§ 57 Ziff. 2 des „Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung" vom 3. 7. 1934; R G B l . I (1934), S. 566. 1 1 5 Rundschreiben des R W M an die Landesregierungen vom 14. 9. 1934; S t A W / L R A Hammelburg/3569. 116 J3j e Polizeidienststellen konnten aufgrund der §§ 44a Abs. 3 und 57b Ziff. 2 der Gewerbeordnung unter bestimmten Voraussetzungen die Legitimation verweigern; Rundschreiben des R W M an die Regierungen vom 28. 12. 1935; S t a d t A B K / C 32. 1 1 7 Rundschreiben der Bayerischen Politischen Polizei vom 13. 2. 1936; ebd. 1 1 8 Rundschreiben der Bayerischen Politischen Polizei an die Polizeidirektionen vom 15. 7. 1936; ebd. 114
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Bereich
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gitimation zu versagen. V o r allem sollten die G e s u c h e j ü d i s c h e r H ä n d l e r schleppend behandelt w e r d e n , bis eine allgemeine R e g e l u n g die J u d e n generell von der E r w e r b s t ä t i g k e i t a u s s c h l i e ß e . 1 1 9 D a s R u n d s c h r e i b e n und insbesondere die A u f f o r d e r u n g z u r V e r f a h r e n s v e r z ö g e r u n g erreichte die P o l i z e i d i r e k t i o n e n nur wenige Tage nach der P r o t e s t n o t e des W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s , das - wie bereits gezeigt die Verweigerung von L e g i t i m a t i o n s k a r t e n allein wegen der „ R a s s e " - K r i t e r i e n ablehnte. O f f e n s i c h t l i c h w a r der W i d e r s p r u c h der B a y e r i s c h e n Politischen Polizei eine u n m i t t e l b a r e A n t w o r t auf die H a l t u n g des M i n i s t e r i u m s . 1 2 0 Insgesamt lässt sich festhalten: D i e A u s s c h a l t u n g jüdischer Viehhändler in einzelnen unterfränkischen R e g i o n e n setzte bereits 1935 und 1936 ein und nicht, wie bisher a n g e n o m m e n , erst 1 9 3 7 . 1 2 1 I h r e V e r f o l g u n g fing dort j e d o c h erheblich später an als etwa in M i t t e l f r a n k e n , w o durch S c h i k a n e n und d u r c h den E n t z u g der G e w e r b e l e g i t i m a t i o n die berufliche A u s s c h a l t u n g bereits 1934 weit vorangeschritten w a r . 1 2 2 Zeitlich versetzt zeigt die H a l t u n g des B e z i r k s a m t s H a m m e l b u r g allerdings Ä h n l i c h k e i t e n mit dem radikalen und eigenmächtigen Vorgehen der Städte bei der beruflichen E n t e i g n u n g der jüdischen B e v ö l k e r u n g . O b die Spitzen der H a m m e l b u r g e r R e g i e r u n g s b e h ö r d e mit denen der N S - B e w e g u n g besetzt w a ren, wie dies in N ü r n b e r g und M ü n c h e n der Fall war, ist nicht b e k a n n t . D a s R e gierungspräsidium unterstand d e m mainfränkischen G a u l e i t e r und die B e z i r k s ämter unterlagen d e m Einfluss der Kreisleiter, die ab Mai 1934 für die B e h ö r d e n beratend tätig w a r e n . 1 2 3 U n g e a c h t e t der undurchsichtigen G e s e t z e s l a g e und der schwierigen K o m p e t e n z v e r t e i l u n g finden sich d a r ü b e r hinaus auch in der ländlichen R e g i o n keine H i n w e i s e auf K o n f l i k t e z w i s c h e n der R e g i e r u n g s b e h ö r d e und der Parteiinstitution. D i e entsprechenden normativen G r u n d l a g e n wurden vielm e h r als Basis der Z u s a m m e n a r b e i t genutzt und e r h ö h t e n damit den D r u c k auf die b e t r o f f e n e n Viehhändler. D a b e i legitimierten die entsprechenden N o r m e n nur Vorgehensweisen, die in der R e g i o n o h n e h i n bereits praktiziert wurden. D i e s wird b e s o n d e r s bei der Z u s a m m e n a r b e i t mit den B a u e r n f ü h r e r n deutlich. B i s 1936 w a r im bayerischen W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m die Auffassung v o r h e r r s c h e n d , die K r e i s b a u e r n f ü h r e r seien nur bei der Ausstellung neuer L e g i t i m a t i o n s k a r t e n zu
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R u n d s c h r e i b e n der P o l i z e i d i r e k t i o n W ü r z b u r g an die B e z i r k s ä m t e r v o m 6. 1. 1936; ebd. D i e Alleingänge der B a y e r i s c h e n P o l i t i s c h e n P o l i z e i reihten sich allerdings spätestens ab 1 9 3 7 in reichsweite T e n d e n z e n ein. I n n e r h a l b des S D gab es in diesem J a h r B e s p r e c h u n gen b e z ü g l i c h des V o r g e h e n s bei W a n d e r g e w e r b e s c h e i n e n f ü r J u d e n . Z u s a m m e n mit S t a a t s s e k r e t ä r S t u c k a r t arbeitete der S D seit M i t t e 1937 an e i n e m G e s e t z e s e n t w u r f , der es V e r w a l t u n g s g e r i c h t e n u n m ö g l i c h m a c h e n sollte, E n t s c h e i d u n g e n d e r G e s t a p o bei L e g i t i m a t i o n s - und W a n d e r g e w e r b e s c h e i n e n a b z u ä n d e r n . D a m i t sollte erreicht w e r d e n , dass die E n t s c h e i d u n g ausschließlich in die H ä n d e der G e s t a p o ü b e r g i n g . D i e S D - F ü h r e r d e r S S - O b e r a b s c h n i t t e sollten in dieser H i n s i c h t nach B e r l i n B e r i c h t erstatten; S c h r e i b e n des S D an alle F ü h r e r der S S - O b e r a b s c h n i t t e v o m 29. 12. 1 9 3 7 ; R G V A / S o A M o s k a u / F o n d 5 0 0 c / o p . 1/d. 290/1. 2 0 3 .
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K e r s h a w , A n t i s e m i t i s m u s , S. 3 0 0 f.
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O p h i r / W i e s e m a n n , G e m e i n d e n , S. X X I f. W e g e n der a n g e s t r e b t e n E i n h e i t v o n Partei u n d Staat sollten die A u ß e n b e h ö r d e n der S t a a t s v e r w a l t u n g ihre A u f g a b e n im E i n v e r n e h m e n mit den K r e i s l e i t e r n erledigen. D i e E n t s c h e i d u n g e n sollten a b e r w e i t e r h i n den B e h ö r d e n z u s t e h e n ; S c h r e i b e n d e r R e g i e r u n g v o n U n t e r f r a n k e n an die B e z i r k s ä m t e r v o m 14. 5. 1934; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 4 2 4 2 .
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Drittes Kapitel: Regional- und
Kommunalverwaltung
hören, nicht aber bei deren Verlängerung. Diese Ansicht wurde bei anderen B e zirksämtern auch in die Praxis umgesetzt. 1 2 4 Erst im März 1936 wies das Ministerium dann darauf hin, dass grundsätzlich auch bei der Erneuerung der Legitimationskarten die Institutionen des Reichsnährstands zu hören seien, eine Vorgehensweise, die in Hammelburg bereits seit 1934 Anwendung gefunden hatte. 1 2 5 Fragt man nach regionalen Initiativen bei der NS-Judenverfolgung, nach Interaktionsmustern der an der „Ausschaltung" der Juden beteiligten Akteure und dem daraus resultierenden Verhältnis von Zentrum und Region im ländlichen B e reich, so wird deutlich, dass wesentliche Charakteristika des regionalen Herrschaftsgeflechts bei der wirtschaftlichen Verfolgung über die Grenzen der Gauhauptstädte hinaus Gültigkeit beanspruchen konnten. Gerade das Mischungsverhältnis aus bürokratischen Verfahrensweisen, polizeilicher Hoheitsgewalt und Aktionismus der lokalen N S D A P - F u n k t i o n ä r e ermöglichte eine schnelle und konsequente „Ausschaltungspolitik". Auch jenseits der NS-Metropolen ersetzte das regionale Interaktionsgefüge anfängliche fehlende gesetzliche Bestimmungen zur wirtschaftlichen Verfolgung der Juden und stieß in Lücken, die die Reichsregierung aufgrund fehlender wirtschaftspolitischer Strategien und taktischer Zurückhaltung für regionale Initiativen gelassen hatte. Ein erster bilanzierender Blick auf Charakteristika der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden mit überregionaler Bedeutung bleibt damit an drei markanten Punkten hängen: Erstens bestätigen sich aktuelle Forschungsergebnisse, die nicht mehr von einer Trennung und einem Konkurrenzverhältnis zwischen staatlicher Verwaltung und N S D A P ausgehen. Vielmehr dürfen die verbindenden Prinzipien, entstanden unter anderem durch die zahlreichen Personalunionen und personalen Netzwerke, nicht übersehen werden.' 2 6 Zweitens kennzeichneten polykratische Konflikte zwar offensichtlich das Verhältnis der Reichsbehörden untereinander, sie reproduzierten sich aber nicht zwangsläufig auf regionaler Ebene. U n t e r dem gemeinsamen Dach der ideologischen Zielsetzungen entstanden vielmehr auch regional initiierte Kooperationsmuster, die das durch die unklare Gesetzgebung hervorgerufene Kompetenzenchaos abfedern und ihrerseits die Reichsregierung zu einer Verschärfung der antisemitischen Politik veranlassen konnten. N u r so war die umfassende und konsequente Verfolgung und Ausplünderung der jüdischen B e völkerung überhaupt möglich. 1 2 7 Damit soll schließlich drittens noch einmal auf die Bedeutung der antisemitischen Motivation hingewiesen werden. Sie führte be-
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Schreiben des Bezirksamts Kemnath an die Regierung der Nieder- und der Oberpfalz vom 27. 1. 1936; B a y H S t A M / M L / 3 3 5 0 . Rundschreiben des bayerischen Wirtschaftsministeriums, Abteilung Landwirtschaft, an die Bezirksregierungen vom 23. 3. 1936; S t a d t A B K / C 32. Nolzen, Broszat, S. 443 ff.; G o t t o , Kommunalpolitik, S. 9; Mecking/Wirsching, Stadtverwaltung, S. 5. Aber auch schon Mommsen, Beamtentum, S. 31, und Rebentisch, Einleitung, S. 18, wiesen auf die Unzulässigkeit der Trennung von Staat und Partei hin. Zum Modell polykratischer Konfliktstrukturen vgl. Hüttenberger, Polykratie; und für den Bereich des Gesundheitswesens Süß, Volkskörper; zum durchaus stabilen Herrschaftsgefüge auf kommunaler Ebene in Augsburg G o t t o , Kommunalpolitik, etwa S. 11.
III. Kommunalverwaltung
im ländlichen
Bereich
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reits seit F r ü h j a h r 1933 zu bewusst eingesetzter k ö r p e r l i c h e r G e w a l t , zu B o y k o t ten, A u s p l ü n d e r u n g , A u s g r e n z u n g und M o r d . I m Z u s a m m e n h a n g mit den zahlreichen K o o p e r a t i o n s m u s t e r n
auf regionaler E b e n e betrachtet, ist daher die
s c h r e c k l i c h e K o n s e q u e n z der wirtschaftlichen Verfolgung mit d e m M o d e l l einer durch Führungsrivalitäten hervorgerufenen „kumulativen R a d i k a l i s i e r u n g " , die ihr Ventil in der J u d e n v e r f o l g u n g fand und sich dann p o t e n z i e r e n d f o r t z e u g t e , nicht hinreichend zu erklären.
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung und Judenverfolgung D i e Reichsfinanzverwaltung verursachte in den Lebensverhältnissen der jüdischen B e v ö l k e r u n g einen tiefgreifenden Wandel wie k a u m eine andere Institution des N S - S t a a t e s . D u r c h F e s t s e t z u n g und E i n z i e h u n g von Steuern, Ü b e r w a c h u n g und Sicherung, B e s c h l a g n a h m u n g und Verwertung von V e r m ö g e n s g e g e n s t ä n d e n entwickelte sich der F i s k u s z u m größten Profiteur jüdischen E i g e n t u m s . Vom S t a n d p u n k t des monetären G e w i n n s aus betrachtet, führt die U n t e r s u c h u n g fiskalischer V e r f o l g u n g s p r o z e s s e daher z u m eigentlichen Kern der wirtschaftlichen „ A u s s c h a l t u n g " der J u d e n im „Dritten R e i c h " . T r o t z ihrer zentralen F u n k t i o n im A u s p l ü n d e r u n g s p r o z e s s werden fiskalische E n t z i e h u n g s m a ß n a h m e n in den M e m o i r e n von V e r f o l g u n g s o p f e r n k a u m thematisiert. A u c h die Verfolgungsschilderungen in den E n t s c h ä d i g u n g s a k t e n der Wiedergutmachungsverfahren nach 1945 befassen sich selten mit den folgenreichen Beschlüssen der F i n a n z b e h ö r d e n . A u f den ersten Blick verwundert diese geringe Rezeption; bei näherem H i n sehen verrät dieser B e f u n d allerdings viel über den C h a r a k t e r der bürokratisch organisierten F o r m der fiskalischen Verfolgung: D e r Verfolgungsapparat der Fin a n z b e h ö r d e n bewegte sich auf leisen Sohlen. Zu seinen Waffen gehörte die alltägliche Routine. N i c h t offener Terror, sondern standardisierte, u m f a s s e n d e und zentral gesteuerte Kontrollverfahren s o w i e effiziente Vermögensentziehung kennzeichnen die Vorgehens weise. 1 Als klassische E l e m e n t e staatlicher Administration hatten die Institutionen des F i s k u s eine Schlüsselfunktion im G e f ü g e der staatlichen Verwaltung inne. Ihr H a n d e l n als V o l l z u g s o r g a n der Steuergesetzgebung wirkte sich b e s o n d e r s gravierend auf das Verhältnis zwischen Staat und B ü r g e r aus. E s traf die B e v ö l k e r u n g im sensiblen Bereich ihrer finanziellen Existenz. Erwerbstätige begegneten der Finanzverwaltung bei den jährlich einzureichenden Steuererklärungen, die zahlreichen Selbständigen bei der regelmäßigen U b e r p r ü f u n g ihrer Betriebe. D i e Finanzbeamten verfügten über detaillierte Kenntnisse der E i n k o m m e n s - und Vermögensverhältnisse. Sie waren z u d e m routinierte Spezialisten, die über die notwendige H a n d h a b e verfügten, K a p i t a l b e w e g u n g e n zu registrieren, zu unterbinden und V e r m ö g e n s w e r t e gegebenenfalls zu entziehen. D a b e i erhöhte das Prinzip der G e h e i m h a l t u n g und des A u s s c h l u s s e s der Öffentlichkeit bei den A m t s h a n d lungen die Überlegenheit des B e a m t e n und die Undurchsichtigkeit seiner A k t i o nen noch zusätzlich. D i e s alles verlieh den F i n a n z b e h ö r d e n eine starke Machtposition. Angesichts der weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten gehörten zu den „ D i e P o l i z e i m a ß n a h m e n sollten", so Christiane Kuller, „die politischen G e g n e r durch offenen Terror und Willkür einschüchtern, die F i n a n z v e r w a l t u n g wickelte dagegen ihre Verfahren im Stillen ab, w a s die ideologische A u s r i c h t u n g ihrer Tätigkeit lange verschleiern k o n n t e . " Kuller, D i m e n s i o n e n , S. 45.
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung und
Judenverfolgung
traditionellen Fundamentalregeln der Steuerverwaltung nicht nur die strikte G e setzesbindung, sondern auch die Gleichmäßigkeit der Besteuerung der Steuerpflichtigen nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 2 - zwei L e i t sätze, die die Finanzverwaltung während des „Dritten R e i c h e s " im H i n b l i c k auf die jüdische B e v ö l k e r u n g zunehmend über B o r d warf. D i e hier angedeuteten bürokratischen F u n k t i o n s m e c h a n i s m e n der Finanzverwaltung stehen im Mittelpunkt des folgenden Kapitels. Vor dem Hintergrund der zuvor geschilderten Ausprägung regionaler Herrschaftsgeflechte bei der wirtschaftlichen Verfolgung der J u d e n scheint die staatlich zentral gesteuerte, routinierte Verwaltungspraxis auf den ersten B l i c k der D o m i n a n z der Gauleiter und den Eigenmächtigkeiten regionaler Institutionen im Verfolgungsprozess entgegenzustehen. D i e Frage nach den Interaktionsmustern von administrativen Eliten und N S D A P ist daher von entscheidender Bedeutung. Wie interagierten die Fiskalinstitutionen mit Parteigliederungen, Kommunalverwaltung und regionalen gesellschaftlichen Verbänden, und wie wirkte sich schließlich die Einflussnahme der Finanzverwaltung auf die Gliederungen der N S D A P aus? U m g e k e h r t stellt sich die Frage nach den Auswirkungen der Verfolgungspraxis durch Partei und gesellschaftliche Kräfte auf eine Institution, zu deren wesentlichen Strukturelementen die Gleichförmigkeit in der Behandlung der Steuerpflichtigen gehörte. D i e F i n a n z b e a m t e n standen im Spannungsfeld zwischen traditioneller institutioneller Prägung und Indoktrination durch die N S - P r o p a g a n d a . "Wie veränderte sich die administrative Praxis des Fiskus angesichts der erheblichen E i g e n d y n a m i k und des weitreichenden Einflussbereichs des Gauleiters bei der wirtschaftlichen Verfolgung der jüdischen B e v ö l k e r u n g in der R e g i o n ? H i e r sind zunächst die Rahmenbedingungen des Verwaltungshandelns näher zu untersuchen: Inwiefern wurden die weiterhin geltenden Gesetze des liberalen Rechtsstaates - etwa durch vorgeschaltete Leitsätze - ideologisch ü b e r f o r m t und w o gerieten sie mit neuen, explizit ideologisch begründeten N o r m e n in K o n f l i k t ? U n d wie gestaltete sich die B e z i e h u n g zwischen lokaler Institution, M i t t e l b e h ö r den und Reichsregierung, und welche R o l l e spielte die diesem Verhältnis zugrunde liegende bürokratische Organisationsform für den Verfolgungsprozess? D a m i t richtet sich der Blick auch auf die Uberlebensfähigkeit zentralstaatlicher Steuerungselemente und auf Funktionalität ausgerichtete Verfahrensweisen im N S - R e g i m e , das nach Ansicht vieler Interpreten von einer durch die D y n a m i k der Partei hervorgerufenen Atomisierung staatlicher Verwaltung und dadurch bedingten Auflösungserscheinungen gekennzeichnet war. 3 D i e U n t e r s u c h u n g fiskalischer Verfolgung impliziert damit am E n d e die Frage nach R e a k t i o n e n einer staatlichen Administration mit ihren regionalen Gliederungen auf die Indienstnahme durch das N S - R e g i m e . D e n n die umfassende und „effiziente" Ü b e r w a chung, Sicherung und E n t z i e h u n g jüdischen Vermögens war - so die A n n a h m e letztlich nur möglich, da die F i n a n z b e h ö r d e n die U m s e t z u n g ideologisch begrün-
2 3
Weingarten, Finanzverwaltung, S. 1; Mayntz, Soziologie, S. 47. Einleitung, S. 10.
I. Überwachung
und Entziehung
von
Emigrantenvermögen
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deter Zielsetzungen mit dem Streben nach professioneller „ R e s s o u r c e n m o b i l i s i e rung für das R e g i m e " v e r b a n d e n . 4 D i e skizzierte Fragestellung greift ein zweistufiger A u f b a u des folgenden K a p i tels auf, der den K o m p l e x fiskalischer Verfolgung c h r o n o l o g i s c h und systematisch untergliedert. E i n e entscheidende Zäsur stellen auch hier die J a h r e 1 9 3 7 / 3 8 dar. Sie brachten nicht nur eine drastische Schlechterstellung der J u d e n in w i r t s c h a f t s p o litischer, sondern auch in steuerrechtlicher H i n s i c h t mit sich. I n n e r h a l b dieser zeitlichen Zweiteilung ist für die ersten J a h r e des N S - R e g i m e s zwischen der steuerlichen B e h a n d l u n g von E m i g r a n t e n und der inländischen jüdischen B e v ö l k e rung zu unterscheiden.
I. Überwachung und Entziehung von Emigrantenvermögen 1933-1937/38 1. Impulse von oben Tatsächlich setzte die F i n a n z v e r w a l t u n g ihren administrativen Apparat bereits seit F r ü h j a h r 1933 zu V e r f o l g u n g s m a ß n a h m e n gegenüber jüdischen A u s w a n d e r e r n ein. In enger Z u s a m m e n a r b e i t mit anderen Staats- und Parteiinstitutionen entfesselte sie eine w a h r e F l u t von V e r o r d n u n g e n , Verfügungen und regional initiierten Ü b e r w a c h u n g s m a ß n a h m e n , die sich über die E m i g r a n t e n ergoss und jeden Verm ö g e n s t r a n s f e r nur unter s c h w e r e n Verlusten zuließ.
Funktionsmechanismen
und I n t e r a k t i o n s m u s t e r des Fiskus bei der wirtschaftlichen Verfolgung der J u d e n werden daher anhand der Ü b e r w a c h u n g und E n t z i e h u n g von E m i g r a n t e n v e r m ö gen b e s o n d e r s deutlich sichtbar. B e v o r sich die U n t e r s u c h u n g der Verfolgungspraxis in den jeweiligen U n t e r s u c h u n g s r ä u m e n z u w e n d e t , sollen zunächst S t r u k t u r m e r k m a l e , gesetzliche G r u n d l a g e n und ministerialbürokratische
Initiativen
z u r steuerlichen D i s k r i m i n i e r u n g j ü d i s c h e r E m i g r a n t e n in den B l i c k g e n o m m e n werden. E i n e solche Vorgehensweise ist der Tatsache geschuldet, dass angesichts des hierarchischen O r d n u n g s p r i n z i p s der F i n a n z v e r w a l t u n g für das Verständnis der Verfolgung auf regionaler E b e n e der N o r m s e t z u n g von o b e n b e s o n d e r e B e deutung z u k a m . D i e E n t s c h e i d u n g e n auf zentraler E b e n e schufen grundlegende H a n d l u n g s v o r a u s s e t z u n g e n für die regionalen E x e k u t i v o r g a n e . D i e D e u t u n g und im Zweifelsfall auch die kritische A b w ä g u n g derartiger N o r m e n e r ö f f n e t e aber gleichzeitig nicht u n e r h e b l i c h e E r m e s s e n s s p i e l r ä u m e beim k o n k r e t e n Vollzug.-"'
4 3
In B e z u g auf die K o m m u n a l v e r w a l t u n g vgl. M e c k i n g / W i r s c h i n g , S t a d t v e r w a l t u n g , S. 19. D u r c h u n k l a r e G e s e t z e s v o r l a g e n o d e r d u r c h die M ö g l i c h k e i t , verschiedene N o r m e n geg e n e i n a n d e r a b z u w ä g e n , verfügen die B e a m t e n u n g e a c h t e t des h i e r a r c h i s c h e n A u f b a u e s ü b e r H a n d l u n g s s p i e l r ä u m e . A u f g r u n d w i d e r s p r ü c h l i c h e r A n f o r d e r u n g e n , denen sich B e a m t e g e g e n ü b e r s e h e n k ö n n e n , w e n n etwa verschiedene N o r m e n nicht o h n e weiteres m i t einander in E i n k l a n g zu b r i n g e n sind o d e r N o r m e n einer effizienten L ö s u n g im W e g e stehen, ist nach N i k l a s L u h m a n n ein gewisses M a ß an „ b r a u c h b a r e r Illegalität" sogar n ö t i g , um den S y s t e m b e s t a n d n i c h t d a u e r h a f t zu gefährden; L u h m a n n , T h e o r i e , S. 3 0 5 f.; ders., L e g i t i m a t i o n , S. 31; B e n z , N o r m a n p a s s u n g , S. 37.
126
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
„Reichsfluchtsteuer" und Devisengesetzgebung Die gesetzlichen Grundlagen einer harten Überwachungs- und Entziehungspraxis hatte die Reichsregierung aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage bereits Anfang der 1930er Jahre im Rahmen der Regelungen des Devisenverkehrs und der Besteuerung von Emigranten gelegt. 6 In dieser Hinsicht besonders gravierende Folgen sollte die Steuergesetzgebung durch die sogenannte Reichsfluchtsteuer erhalten, die allen Emigranten eine Abgabe von 25 Prozent ihres Vermögens auferlegte. 7 N u r wenn die Auswanderung im deutschen Interesse war oder ihr eine besondere volkswirtschaftliche Notwendigkeit zugrunde lag, konnte das zuständige Landesfinanzamt eine entsprechende Bescheinigung ausstellen und die Steuer erlassen. 8 Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmungen hatten die Finanzbehörden schon unter den Weimarer Präsidialregierungen ausgesprochen hart geahndet. Sie verlangten die Steuer ohne einen förmlichen Bescheid sofort bei der Ausreise. Säumige Zahler, die über mehr als acht Wochen im Rückstand waren, wurden mit Gefängnis nicht unter drei Monaten und einer Geldstrafe in unbeschränkter H ö h e bestraft. 9 Gegen den Steuerpflichtigen erließ das Finanzamt einen Steuersteckbrief, der zur Verhaftung des Betroffenen aufrief. Gleichzeitig waren die Finanzämter angehalten, das inländische Vermögen zu beschlagnahmen, um die Einziehung der Steuer, Säumniszuschläge und Geldstrafen zu sichern. 1 0 Neben der Veranlagung und Einziehung oblag den Finanzämtern auch die Überwachung der Steuerpflichtigen selbst und außerdem die genaue Prüfung des Sachverhaltes, die Einforderung der notwendigen Dokumente und gegebenenfalls die Anforderung polizeilichen Meldematerials. 1 1 Darüber hinaus besaßen sie das Recht, Auskünfte von Personen und Institutionen zu verlangen, die für die Steueraufsicht, für eventuelle Steuerermittlungsverfahren oder die Feststellung von Steueransprüchen von Bedeutung sein konnten. 1 2 Hierunter fielen etwa die Reichs-, Staats- und G e meindebehörden, Beamte, Notare oder Vertretungen von Betriebs- und Berufszweigen, die verpflichtet waren, den Finanzämtern sachdienliche Hilfe zu leisten. 1 3
Grundlegend hierzu Banken, Devisenrecht; Mußgnug, Reichsfluchtsteuer; aber auch Blumberg, Etappen; Bajohr, „Arisierung" in Hamburg, S. 154. 7 Diese wurde von Auswanderern, die über ein Vermögen von mehr als 2 0 0 0 0 0 R M oder über ein steuerpflichtiges Einkommen von mehr als 2 0 0 0 0 R M verfügten, sofort bei der Ausreise erhoben, wobei die verspätete Zahlung einen Säumniszuschlag von 5 % für jeden halben Monat nach sich zog; §§ 2 Art. 4, 3 Art. 1 und 6 Art. 1 der „Reichsfluchtsteuer"Bestimmungen; R G B l . I (1931), S. 732 ff. 8 § 2 Abs. 3; ebd. 9 § 9; ebd. 10 Ebd. 11 Bei einer fälligen „Reichsfluchtsteuer" wurde neben den Finanzämtern auch der Steueraußendienst eingeschaltet, um die Abschreckung vor Steuerhinterziehungen zu erhöhen; Mußgnug, Reichsfluchtsteuer, S. 2 5 - 2 9 . ι 2 § 175 der „Reichsabgabeordnung" vom 30. 5. 1931; R G B l . I (1931), S. 185. 1 3 § 188 der „Reichsabgabeordnung" vom 30. 5. 1931; R G B l . I (1931), S. 187. 6
I. Überwachung
und Entziehung
von Emigrantenvermögen
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In eine ganz ähnliche R i c h t u n g weist die G e n e s e der D e v i s e n g e s e t z g e b u n g , die in den letzten J a h r e n der W e i m a r e r R e p u b l i k erheblich verschärft w o r d e n war. 1 4 G e n e r e l l m a c h t e n die entsprechenden B e s t i m m u n g e n den E r w e r b von und die Verfügung über ausländische Z a h l u n g s m i t t e l oder die E i n l ö s u n g von F o r d e r u n gen in f r e m d e n W ä h r u n g e n genehmigungspflichtig. 1 5 A u ß e r d e m u n t e r w a r f die R e i c h s r e g i e r u n g den H a n d e l s v e r k e h r mit G o l d und Edelmetallen der G e n e h m i gungspflicht.16 A u c h in diesem B e r e i c h waren die Ü b e r w a c h u n g s m ö g l i c h k e i t e n bereits w ä h rend der W e i m a r e r Zeit umfassend. U m eine wirkungsvolle K o n t r o l l e zu gewährleisten, erhielten s o w o h l der R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r als auch die D e v i s e n b e wirtschaftungsstellen das R e c h t , von j e d e r m a n n A u s k ü n f t e zu verlangen, die A u f schluss ü b e r eine Z u w i d e r h a n d l u n g gegen das D e v i s e n g e s e t z geben k o n n t e n . 1 7 U m V e r s t ö ß e gegen die restriktiven D e v i s e n g e s e t z e zu verhindern, sollten die z u ständigen Devisenbewirtschaftungsstellen und die F i n a n z ä m t e r z u d e m eng mit den Zollfahndungsstellen, dem Steueraußendienst und den B e t r i e b s p r ü f u n g s a b teilungen der F i n a n z b e h ö r d e n z u s a m m e n a r b e i t e n . 1 8 D i e den L a n d e s f i n a n z ä m t e r n z u g e o r d n e t e n Zollfahndungsstellen erfüllten neben den Steueraußendiensten wesentliche F a h n d u n g s - und Ü b e r w a c h u n g s f u n k t i o n e n . D a r u n t e r fiel unter anderem die A u f g a b e , S c h m u g g e l zu b e k ä m p f e n und mit kriminalpolizeilichen M e t h o den A u s - und D u r c h f u h r v e r b o t e zu ü b e r w a c h e n . I h n e n oblagen d a r ü b e r hinaus die P a s s k o n t r o l l e sowie die E i n z i e h u n g von Steuern bei P e r s o n e n , die aus dem Ausland einreisen w o l l t e n . 1 9 S o w o h l K e r n i n s t r u m e n t e als auch die O r g a n i s a t i o n der D e v i s e n b e w i r t s c h a f tung des „ D r i t t e n R e i c h e s " waren damit bereits v o r 1933 etabliert. D i e E n t w i c k lung weg v o m freien A u ß e n h a n d e l hin zu einem staatlichen D e v i s e n b e w i r t s c h a f t u n g s s y s t e m mit G e n e h m i g u n g s - und A b g a b e z w a n g unter Beteiligung m e h r e r e r staatlicher G e n e h m i g u n g s i n s t a n z e n w a r bereits angelegt. D i e E x e k u t i v o r g a n e verfügten ü b e r einen entsprechenden E r f a h r u n g s f u n d u s , und auch die Ö f f e n t l i c h k e i t w a r an zahlreiche staatliche E i n g r i f f e in diesem B e r e i c h bereits g e w ö h n t . 2 0 F ü r die B e u r t e i l u n g der späteren Verfolgungspraxis ist dieser U m s t a n d wichtig. D i e umfassende Ü b e r w a c h u n g und B e s t e u e r u n g von A u s w a n d e r n d e n war ur-
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N a c h der B a n k e n k r i s e u n d der K ü n d i g u n g z a h l r e i c h e r K r e d i t e d u r c h das A u s l a n d hatte die R e i c h s r e g i e r u n g im J a h r 1931 den D e v i s e n v e r k e h r e r h e b l i c h e n B e s c h r ä n k u n g e n u n t e r w o r f e n ; V o r t r a g des R e i c h s b a n k i n s p e k t o r s Z e p p e i ü b e r die w i c h t i g s t e n N e u e r u n g e n im Devisenrecht, o.J.; S t A M / O F D / 3 0 9 . G l e i c h e s galt z u m einen für die V e r f ü g u n g ü b e r W e r t p a p i e r e ; zu den in dem G e s e t z festgelegten B e s c h r ä n k u n g e n siehe v. a. § § 2, 3 und 4 d e r „ V e r o r d n u n g des R e i c h s p r ä s i d e n t e n ü b e r die D e v i s e n b e w i r t s c h a f t u n g " v o m 1. 8. 1931; R G B l . I ( 1 9 3 1 ) , S. 4 2 2 f.; zur D e v i s e n b e w i r t s c h a f t u n g siehe auch S c h r e i b e n der A b t e i l u n g I I I , R e f e r a t I I I / l des R d F , an die R e f e r a t e I / V I I b , I / I V u n d I / I I I v o m 9. 2. 1935; B A B / R 2 / 1 4 1 9 2 . R u n d s c h r e i b e n des R W M an die L a n d e s f i n a n z ä m t e r v o m 2 8 . 10. 1 9 3 1 ; S t A M / O F D / 2 3 8 . § 14 der „ V e r o r d n u n g des R e i c h s p r ä s i d e n t e n ü b e r die D e v i s e n b e w i r t s c h a f t u n g " v o m 1. 8. 1 9 3 1 ; R G B l . 1 ( 1 9 3 1 ) , S. 4 2 3 . R u n d s c h r e i b e n des P r ä s i d e n t e n des L F A B e r l i n an die P r ä s i d e n t e n d e r L a n d e s h n a n z ä m t e r v o m 1. 3. 1942; S t A M / O F D / 3 0 9 . L e e s c h , G e s c h i c h t e , S. 163. B a n k e n , D e v i s e n r e c h t , S. 125.
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
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sprünglich keine antisemitische, sondern vornehmlich eine Maßnahme zur Sicherung des Staatshaushaltes und damit - nach fiskalischen Gesichtspunkten - haushaltspolitisch motiviert. Sowohl hinsichtlich der Routinen bürokratischer Verfahrensweisen als auch der Erwartungsstruktur der Beamten waren Kontinuitäten über die Zäsur von 1933 hinweg gewährleistet und daher von vorneherein keine frühzeitigen und abrupten Brüche notwendig. Da an Emigranten kein längerfristiges fiskalpolitisches Interesse bestand, ließ sich die Zweckrationalität der Fiskalverwaltung in diesem Bereich vergleichsweise einfach mit der neuen und ideologisch begründeten Zielsetzung der Ausplünderung aller deutschen Juden verbinden. 21 Der nationalsozialistische Staat konnte also formal an die Regelungen aus der Weimarer Zeit anknüpfen, verschob jedoch die Rahmenbedingungen für die Devisengesetzgebung grundlegend und verkehrte die Leitprinzipien geradezu in ihr Gegenteil. Denn aufbauend auf bereits bestehenden Grundlagen verschärfte das NS-Regime die Devisengesetzgebung vor allem in den Jahren 1933 und 1934 durch eine verwirrende Vielzahl von permanent veränderten Gesetzen und Verordnungen. Durch ständige Eingriffe mit dem Ziel der absoluten Kontrolle über den Devisenmarkt drehte sich so vor allem ab 1934 die Interventionsspirale ständig weiter. 22 Zusätzlichen Einschränkungen unterwarf die neue Regierung etwa den Transfer von Devisen oder vergleichbaren Zahlungsmitteln. 23 Am 2. Februar 1934 begrenzte die Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung die Zuteilung von Devisen an Auswanderer auf maximal 10000 Reichsmark. 24 Im Juni desselben Jahres senkte sie die Höchstgrenze dann erneut von 10000 auf 2000 Reichsmark. 25
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Nach Niklas Luhmann sind dem Verwaltungssystem zugrunde liegende N o r m e n generalisierte Verhaltenserwartungen, die mit dem Organisationszweck in Verbindung stehen. Grundlegende Erwartungen sind formalisierbar, u m Erwartungssicherheit erreichen zu können. Ihre Anerkennung ist Mitgliedschaftsbedingung für die Beamten. Damit das System auf veränderte Umweltbedingungen reagieren kann, sind Erwartungsstrukturen zwar auch elastisch, Veränderungen können sich aber nur langsam vollziehen. Es muss immer Konstanten geben, da eine O r d n u n g absolut, aber eben nicht simultan veränderbar ist. Konkret bedeutet dies, dass die Systemmitglieder — also die Beamten - nicht von heute auf morgen entgegengesetzte Verfahren und Gepflogenheiten adaptieren können, ohne die Funktionsfähigkeit des Systems zu gefährden; Luhmann, Theorie, S. 37 und 140ff. Sind Erwartungen nicht ohne weiteres miteinander in Einklang zu bringen, also nicht hinreichend zu stabilisieren - bezogen auf das NS-Regime etwa widersprüchliche ideologische und zweckrational begründbare N o r m e n - , erwachsen daraus wiederum Handlungsspielräume für die vollziehenden Beamten; hierzu auch Seibel, Perspektiven, S. 348. Banken, Devisenrecht, S. 144. Seit Mai 1933 durften Wertpapiere nur noch mit Genehmigung erworben, Geldsorten oder Gold- und Edelmetalle nicht mehr mit der Post versandt werden. Devisen und Goldbesitz mussten zudem beim zuständigen Finanzamt angezeigt werden, wobei bereits die Anzeige als Verkaufsangebot galt; „Vierte Verordnung zur D u r c h f ü h r u n g der Verordnung über die Devisenbewirtschaftung" vom 9. 5. 1933; RGBl. I (1933), S. 278 ff.; „Fünfte Verordnung zur D u r c h f ü h r u n g der Verordnung über die Devisenbewirtschaftung" vom 20. 7. 1933; RGBl. I (1933), S. 531 ff. und § 3 (1-5) und § 5 (1) des „Gesetzes gegen den Verrat an der deutschen Volkswirtschaft"; RGBl. I (1933), S. 360. Rundschreiben der Reichsstelle für die Devisenbewirtschaftung an die Präsidenten der Landesfinanzämter vom 2. 2. 1934; BAB/R 2/14064. Beträge, die darüber hinausgingen, durften nur über Sperrmarkkonten mit hohen Wechselverlusten getauscht werden; Schreiben der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung an
I. Überwachung
und Entziehung
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Emigrantenvermögen
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F ü r den D e v i s e n t r a n s f e r erforderliche A b s c h l ä g e waren an die D e u t s c h e G o l d d i s k o n t b a n k ( D e g o ) zu entrichten und stiegen innerhalb k u r z e r Zeit i m m e n s . B e t r u g ein derartiger A b s c h l a g im J a n u a r 1934 n o c h 2 0 P r o z e n t , so stieg er bereits im A u gust 1934 auf 65, im O k t o b e r 1 9 3 6 auf 81 und ab S e p t e m b e r 1 9 3 9 gar auf 9 6 P r o z e n t . 2 6 D i e F r e i g r e n z e für den Reisegeldverkehr p r o K a l e n d e r m o n a t sank schließlich im Mai 1934 von 2 0 0 auf 5 0 R e i c h s m a r k . 2 7 Bereits 1935 wurden die A u s f u h r b e s c h r ä n k u n g e n auf Edelmetalle aller Art ausgedehnt und der Freibetrag von auszuführenden D e v i s e n auf zehn R e i c h s m a r k herabgesetzt
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Generell wurde
j e t z t auch die A u s f u h r von Devisen von der Z u s t i m m u n g der Devisenstelle, die neben der R e i c h s b a n k ein uneingeschränktes A u s k u n f t s r e c h t erhielt, abhängig gemacht.29 D e b a t t e n in der M i n i s t e r i a l b ü r o k r a t i e D i e rasante Verschärfung der B e s t i m m u n g e n hinsichtlich einer möglichst l ü c k e n losen Ü b e r w a c h u n g und Sicherung des D e v i s e n a u f k o m m e n s begleiteten D i s k u s sionen verschiedener M i n i s t e r i e n , die v o r d e m H i n t e r g r u n d m ö g l i c h e r Z i e l k o n flikte der N S - F i s k a l p o l i t i k v o r allem um die Frage des haushaltspolitisch N o t w e n d i g e n und ideologisch M ö g l i c h e n kreisten. D i e harten legislativen B e s t i m m u n g e n gegen E m i g r a n t e n spülten z w a r G e l d in die Kassen des R e i c h e s und ließen sich mit d e m Ziel der wirtschaftlichen „ A u s s c h a l t u n g " p r o b l e m l o s verbinden, standen aber der e r w ü n s c h t e n massenhaften A u s w a n d e r u n g der jüdischen B e v ö l k e r u n g im Wege. D i e H a l t u n g , die v o r allem Staatssekretär R e i n h a r d t innerhalb der D e b a t t e n einnahm, beeinflusste die E n t z i e h u n g s p r a x i s v o r O r t einerseits d u r c h die durch ihn a n g e s t o ß e n e n ministeriellen V e r o r d n u n g e n und Erlasse, die das Verhalten gegenüber den Steuerpflichtigen k o n k r e t determinierten, andererseits aber auch auf der E b e n e der allgemeinen politischen P r o g r a m m f o r m u l i e r u n g , die - weitergeleitet etwa durch S c h u l u n g e n , Tagungen und K o n f e r e n z e n - E i n gang in den internen Willensbildungsprozess der regionalen
Administrationen
f a n d . 3 0 V o r dem H i n t e r g r u n d der aus der weitgehenden K o n z e p t l o s i g k e i t der
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die Präsidenten der L a n d e s f i n a n z ä m t e r v o m 2 3 . 6. 1934; B A B / R 2 / 1 4 0 6 5 und R S t B I . 1934, S. 1098. B r u n s - W ü s t e f e l d , L o h n e n d e G e s c h ä f t e , S. 105. A r t . 1 § 1 der „ A c h t e n V e r o r d n u n g z u r D u r c h f ü h r u n g der V e r o r d n u n g ü b e r die D e v i s e n b e w i r t s c h a f t u n g " v o m 17. 4. 1 9 3 4 ; R G B l . I ( 1 9 3 3 ) , S. 3 1 3 . § 6 (5) und § 2 8 (1) des „ G e s e t z e s ü b e r die D e v i s e n b e w i r t s c h a f t u n g " ; R G B l . I ( 1 9 3 5 ) , S. 106. § 8 ( 1 ) und § 3 4 ( 1 ) ; ebd. H i e r b e i wird d a v o n ausgegangen, dass die P o l i t i k P r o g r a m m e für die V e r w a l t u n g f o r m u liert, die dann d u r c h die A d m i n i s t r a t i o n s y s t e m i n t e r n und nach eigenen V e r f a h r e n s a b l ä u fen verarbeitet u n d in k o n k r e t e E n t s c h e i d u n g e n g e g e n ü b e r d e m P u b l i k u m u m g e w a n d e l t w e r d e n . D i e B e z i e h u n g von V e r w a l t u n g und P o l i t i k findet also p r i m ä r auf der E b e n e der P r o g r a m m f o r m u l i e r u n g statt, diejenige von V e r w a l t u n g und P u b l i k u m auf d e r E b e n e des p r o g r a m m i e r t e n E n t s c h e i d c n s . D a h e r ist z w i s c h e n allgemeinen politischen I m p u l s e n und V e r o r d n u n g e n , die k o n k r e t als H a n d l u n g s a n l e i t u n g fungieren, zu u n t e r s c h e i d e n ; L u h m a n n , T h e o r i e , S. 86; ders., P o l i t i k b e g r i f f e , S. 2 2 5 . Z u r B e d e u t u n g der p o l i t i s c h e n S c h u lung der B e a m t e n etwa in den R e i c h s f i n a n z s c h u l e n vgl. Kuller, E n t z i e h u n g - V e r w a l t u n g V e r w e r t u n g , erscheint v o r a u s s i c h t l i c h E n d e 2 0 0 8 .
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
Reichsregierung resultierenden erheblichen regionalen Dynamik des Verfolgungsprozesses ist die Gegenüberstellung von politischer Planung und administrativer Umsetzung auch ein Gradmesser für die Durchsetzungsfähigkeit zentraler Steuerungsmechanismen. Diskussionen über den Vorrang von Auswanderungsförderung oder Ausplünderung wurden vorwiegend von Vertretern des Reichsfinanz- und des Reichswirtschaftsministeriums und den ihnen untergeordneten Institutionen geführt. 3 1 Das Reichsfinanzministerium favorisierte eine funktionale Lösung: Es sah in der Emigration primär eine Chance der Etatsicherung und Etatvergrößerung. Dies zeigte sich besonders deutlich im Jahr 1935, als die verschiedenen Dienststellen Möglichkeiten der Verbindung von Exportsteigerung und jüdischer Auswanderung diskutierten. 3 2 Bereits am 27. August 1933 hatte das Reichswirtschaftsministerium ein A b k o m m e n (Haavara) mit Vertretern des Zionismus aus Deutschland getroffen, das jüdischen Emigranten den indirekten Transfer von Vermögensbeständen nach Palästina ermöglichte und gleichzeitig den Export von Waren nach Palästina erleichterte. 3 3 I m März 1935 wurde dann die Frage der Palästina-Auswanderung erneut thematisiert. Die Bereitstellung von Devisen sollte nach Meinung des Wirtschaftsministeriums eingeschränkt werden. Das galt zunächst für Vorzeigegelder, für die nicht mehr Devisen zur Verfügung gestellt werden sollten, als die jüdischen Organisationen der Reichsbank auch wieder zuführten. 3 4 Darüber hinaus kürzte die Regierung die monatliche Devisensumme, die für den Palästinatransfer bereitgestellt wurde, von einer Million auf 3 2 5 0 0 0 Reichsmark. 3 5 In einer Reihe von ressortübergreifenden Besprechungen zur Verhinderung von „Devisenschmuggel" zeigte sich die unterschiedliche Intention der beiden kooperierenden Ministerien in der Auswanderungspolitik. Anlass dieser Beratungen, die Ende 1935 bis Anfang des Jahres 1936 im Reichsfinanz- und Wirtschaftsministerium stattfanden, waren der zunehmende Auswanderungsdruck auf die jüdische Bevölkerung und die daraus resultierenden vermehrten Versuche des „Kapitalschmuggels". U b e r die katastrophale Situation der jüdischen Bevölkerung war man sich dabei durchaus im Klaren. Die mit der Auswanderung verbundenen realen Werteinbußen lagen nach einer Schätzung des Reichswirtschaftsministeriums bereits 1935 aufgrund der Auswanderersperrguthaben und der „Reichsfluchtsteuer" bei etwa 80 Prozent. Das Wirtschaftsministerium befürchtete daher eine
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Entscheidend waren hier v. a. die aus dem Reichswirtschaftsministerium ausgegliederte Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung, die in sachlicher und personeller Hinsicht dem Ministerium unterstand, darüber hinaus aber auch die seit September 1934 vom Reichswirtschaftsministerium eingerichteten Uberwachungsstellen, die, zuständig für den Warenverkehr, den entsprechenden Unterbau für die Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung lieferten; „Gesetz über die Schaffung einer Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung" vom 18. 1 2 . 1 9 3 3 ; R G B l . 1(1933), S. 1079; und „Verordnung über den Warenverkehr" vom 4. 9. 1934; R G B l . I (1933), S. 816. Eine erste entsprechende Ressortbesprechung fand am 25. O k t o b e r 1935 statt; Schreiben des „Stellvertreters des Führers" vom 4. 11. 1935; B A B / R 2/56014. Friedländer, Verfolgung, S. 76; zum A b k o m m e n vgl. Nicosia, Hitler. Schreiben der Reichsstelle für die Devisenbewirtschaftung an das Reichsbankdirektorium vom 13. 3. 1935; B A B / R 2/14518. Aufzeichnung des Referats von Pilger vom 11. 3. 1935; ebd.
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V e r a r m u n g der j ü d i s c h e n B e v ö l k e r u n g und einen damit v e r b u n d e n e n A u s w a n d e rungsstopp auch aufgrund des U n w i l l e n s anderer Länder, mittellose E m i g r a n t e n aufzunehmen. D i e D i v e r g e n z z w i s c h e n „rassenpolitisch" W ü n s c h e n s w e r t e m und haushaltspolitisch N o t w e n d i g e m versuchte man unter anderem durch eine erleichterte Warenausfuhr zu ü b e r b r ü c k e n . D i e Ü b e r l e g u n g e n zielten darauf, derartige E r l e i c h t e rungen mit der Pflicht des A u s w a n d e r e r s zu k o p p e l n , langfristige deutsche A u s fuhraufträge zu
finanzieren.
E i n kleiner Teil der dadurch entstehenden Devisen
sollte d e m E m i g r a n t e n zur D e c k u n g eines durch das R e i c h gewährten Kredites belassen werden, die restlichen D e v i s e n sollten aber direkt d e m R e i c h z u f l i e ß e n . 3 6 D a s s es dabei auch d e m W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m nicht um eine Verbesserung der A u s w a n d e r u n g s b e d i n g u n g e n ging, verdeutlichen die D i s k u s s i o n e n um die jüdische A u s w a n d e r u n g im H e r b s t 1935. A n g e s i c h t s der z u n e h m e n d e n F l u c h t der j ü d i s c h e n B e v ö l k e r u n g nach Erlass der „ N ü r n b e r g e r G e s e t z e " berieten das W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m , der F i n a n z - und J u s t i z m i n i s t e r s o w i e der „Stellvertreter des F ü h r e r s " am 2 5 . O k t o b e r 1935 in einer ressortübergreifenden B e s p r e c h u n g ü b e r die M ö g l i c h k e i t e n des Devisentransfers. Das Reichswirtschaftsministerium
erklärte sich dort aus
haushaltspolitischen
E r w ä g u n g e n nicht m e h r bereit, außerhalb des H a a v a r a - A b k o m m e n s Devisen für die A u s w a n d e r u n g z u r Verfügung zu stellen. Wegen der dadurch z u n e h m e n d e n „Kapitalfluchtgefahr" und des tatsächlichen „illegalen" Vermögenstransfers wurde b e s o n d e r s auf ein fehlendes umfassendes W a r e n a u s f u h r v e r b o t a u f m e r k s a m gemacht. Vorgeschlagen w u r d e deshalb eine Verschärfung der D e v i s e n v o r s c h r i f t e n , die eine klare G r u n d l a g e für die strafrechtliche B e s c h l a g n a h m e und E n t z i e h u n g z u r ü c k g e b l i e b e n e r Werte e r m ö g l i c h e n würde. G e n e r e l l sollte eine Verfügung ü b e r im Ausland befindliche Waren von E m i g r a n t e n nur nach vorheriger G e n e h m i gung erlaubt sein. E i n e F r e i g r e n z e bis 1 0 0 0 R e i c h s m a r k sollte aber weiterhin den A n r e i z zur A u s w a n d e r u n g s c h a f f e n . 3 7 In den darauffolgenden U n t e r r e d u n g e n waren sich die Vertreter des R e i c h s wirtschaftsministeriums und des F i n a n z m i n i s t e r i u m s einig, dass die Steuerleistungen v o r einer F ö r d e r u n g der A u s w a n d e r u n g Vorrang genießen sollten. A l l g e m e i n bestand auch mit den anderen beteiligten Stellen, etwa dem A u s w ä r t i g e n A m t oder d e m „Stellvertreter des F ü h r e r s " , K o n s e n s ü b e r die N o t w e n d i g k e i t , den i m m e r n o c h existierenden Fluss von Waren, Devisen und R e i c h s m a r k b e s t ä n d e n ins Ausland zu u n t e r b i n d e n . D i s k u t i e r t wurden daher die verschiedenen M ö g l i c h k e i ten, die A u s w a n d e r u n g s f ö r d e r u n g mit wirtschaftlichen Vorteilen für das R e i c h zu verbinden, w o b e i aus Sicht s o w o h l der Partei- als auch der Staatsorganisationen die ideologische Vorgabe der raschen und vollständigen E m i g r a t i o n an wirtschaftspolitischen H i n d e r n i s s e n scheitern musste. G e g e n eine e r z w u n g e n e A u s w a n d e r u n g sprach aus Sicht der K o n f e r e n z t e i l n e h m e r neben der Verarmung der jüdischen B e v ö l k e r u n g auch die Verschlechterung der E f f e k t e n m ä r k t e oder eine
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S c h r e i b e n des Innenminister S c h r e i b e n des Justizminister
R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s an den „Stellvertreter des F ü h r e r s " , den und das R e i c h s b a n k d i r e k t o r i u m v o m 6. 12. 1935; B A B / R 2 / 1 4 0 6 9 . W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s an das A u s w ä r t i g e A m t , den F i n a n z m i n i s t e r , den u n d den „Stellvertreter des F ü h r e r s " v o m 19. 10. 1935; ebd.
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und
Judenverfolgung
Verzögerung der Verminderung der Auslandsverschuldung durch die Vermögensübertragung ins Ausland. Zur Disposition standen weiterhin die begünstigte Verwendung von Auswanderersperrguthaben, die Bezahlung von Warenbezügen zur eigenen Verwendung, die Gründung ausländischer Betriebstätten bei inländischer Kapitalbeteiligung oder die Ablösung jüdischer Beteiligungen an inländischen Unternehmungen durch ausländische Sperrmarkbesitzer. Lediglich graduelle Meinungsverschiedenheiten bestanden hinsichtlich der als notwendig erachteten Auswanderungsförderung. Das Finanzministerium und das Wirtschaftsministerium betonten verstärkt die wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte der Emigration, während etwa das Auswärtiges A m t oder der „Stellvertreter des Führers" mehr auf die Notwendigkeit der Auswanderung an sich aufmerksam machten. 3 8 Bezeichnend war hier ein vom Finanzministerium begrüßter Diskussionsbeitrag von Ministerialdirigent Wohltat aus dem Reichswirtschaftministerium, der sich dagegen aussprach, den Juden zu erlauben, größere Warenmengen mit ins Ausland zu nehmen, „da 6 0 0 0 0 0 im Reich befindliche J u d e n " über mehrere Milliarden Reichsmark verfügen würden, auf die das Reich unter keinen U m ständen verzichten könne. 3 9 Die Frage nach ideologisch Wünschenswertem und fiskalpolitisch N o t w e n digem führte nach der „Machtergreifung" auch im Bereich der „Reichsfluchtsteuer"-Bestimmungen zu Diskussionen zwischen den verschiedenen Ministerien und Institutionen, allen voran dem Finanz- und dem Wirtschaftsministerium. Einerseits befürworteten die Ministerialbeamten die Auswanderung der jüdischen Bevölkerung grundsätzlich, andererseits bestand die Sorge um den deutschen A r beitsmarkt, die Abwanderung leistungsfähiger Steuerzahler sowie die Angst vor einer zunehmenden Verarmung der inländischen jüdischen Bevölkerung und den daraus resultierenden notwendigen Fürsorgeleistungen auf Kosten des Reiches. Das Reichsfinanzministerium bezog eine relativ eindeutige und rein fiskalpolitisch geprägte Stellung zugunsten des Steueraufkommens und des etatmäßigen Erfolges, eine Haltung, die sich bei den Diskussionen um eine Reform der „Reichsfluchtsteuer" deutlich offenbarte. Grundsätzlich erachtete das Reichsfinanzministerium die „Reichsfluchtsteuer" und insbesondere die Verschärfung ihrer Bestimmungen nach 1933 wegen der ab-
38
Bei einer Besprechung am 17. D e z e m b e r 1935 gab es hierüber leichte Meinungsverschiedenheiten des Innenministeriums mit dem „Stellvertreter des Führers". Beide beriefen sich auf die „Führermeinung", die der Innenminister in die Richtung interpretierte, dass ein D r u c k zur Auswanderung wegen wirtschaftspolitischer Rücksichtnahmen nicht ausgeübt werden solle, während die Abgeordneten des „Stellvertreters des Führers" der Meinung waren, der „Führer" bevorzuge zwar die Schaffung von Anreizen für die Auswanderung, wolle dann aber die Juden zur Auswanderung zwingen. Das Finanzministerium hingegen betonte die Notwendigkeit, die wirtschaftlichen Gesichtspunkte der jüdischen Auswanderung zu diskutieren und nicht etwa Möglichkeiten zum Anreiz für eine verstärkte Auswanderung zu schaffen; Sitzungsvermerk vom 17. 12. 1935; B A B / R 2 / 1 4 0 6 9 .
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Vermerk des Reichsfinanzministeriums über die Besprechung vom 26. 10. 1935; ebd.; zu den verschiedenen Ressortbesprechungen generell siehe den Vermerk vom 8. 11. 1935 des Finanzministeriums über eine Sitzung im Reichswirtschaftsministerium vom 4. 11. 1935; Sitzungsvermerk des R d F vom 17. 12. 1935; Schreiben des Wirtschaftsministers an den Finanzminister und an die Reichsbank vom 6. 12. 1935; ebd.
I. Überwachung
und Entziehung
von
133
Emigrantenvermögen
s c h r e c k e n d e n W i r k u n g , vor allem aber als eine letzte g r o ß e A b g a b e v o r der A u s w a n d e r u n g als z w i n g e n d n o t w e n d i g . 4 0 D i e s e H a l t u n g behielt das M i n i s t e r i u m auch bei, als sich R e f e r a t e verschiedener Ministerien E n d e A u g u s t 1935 mit der A u s w i r k u n g der „ A r i e r f r a g e " auf die Steuergesetzgebung beschäftigten. D i e M i nisterialbeamten diskutierten einen m ö g l i c h e n Wegfall der „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " zugunsten einer verstärkten A u s w a n d e r u n g o d e r die E i n f ü h r u n g anderer steuerlicher Vergünstigungen z u r F ö r d e r u n g der E m i g r a t i o n der jüdischen B e v ö l k e rung. Prinzipiell sah das R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m die N o t w e n d i g k e i t , als A n r e i z für die E m i g r a t i o n der jüdischen B e v ö l k e r u n g eine gewerbliche E x i s t e n z im Ausland zu sichern und überlegte daher, zugunsten einer forcierten A u s w a n derung auf die „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " zu verzichten. D a s R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r i u m widersprach mit dem H i n w e i s auf die U n v e r z i c h t b a r k e i t der A b g a b e .
Dabei
bediente sich das M i n i s t e r i u m der z y n i s c h e n A r g u m e n t a t i o n , die jüdische B e v ö l kerung habe weiterhin die M ö g l i c h k e i t im R e i c h zu bleiben, u m einer steuerlichen M e h r b e l a s t u n g aus dem Weg zu gehen. Andernfalls müssten J u d e n , wie jeder andere auch, die F o l g e n der A u s w a n d e r u n g tragen. 4 1 A m Beispiel der A u s w a n d e r u n g jüdischer U n i v e r s i t ä t s p r o f e s s o r e n
verdeut-
lichte das M i n i s t e r i u m 1936 seine grundsätzliche H a l t u n g . D i e Tätigkeit eines deutschen P r o f e s s o r s im A u s l a n d , so ein R u n d s c h r e i b e n , k ö n n e nur dann im deutschen Interesse liegen, w e n n „deutsche A r t und deutsches W e s e n " gefördert sowie die B e l a n g e der nationalsozialistischen R e g i e r u n g in g e e i g n e t e r W e i s e b e r ü c k s i c h tigt w ü r d e n . F ü r J u d e n wurde eine solche I n t e n t i o n grundsätzlich ausgeschlossen, u n t e r anderem mit d e m H i n w e i s auf die deutsche Studentenschaft im Ausland, die nach M e i n u n g des M i n i s t e r i u m s u n t e r keinen U m s t ä n d e n die Vorlesung eines jüdischen P r o f e s s o r s besuchen d u r f t e . 4 2 A u c h Vorschläge des R e i c h s w i r t s c h a f t s ministeriums hinsichtlich einer M o d i f i z i e r u n g der harten B e s t e u e r u n g von E m i g ranten lehnte das F i n a n z m i n i s t e r i u m kategorisch ab. D i e s e H a l t u n g lag bereits der Verschärfung der „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " - B e s t i m m u n g e n ab 1933 zu G r u n d e , die offensichtlich im Z u s a m m e n h a n g mit den rasch w a c h s e n d e n Z a h l e n von E m i g r a n t e n stand. I m Juli 1933 stellte der Staatssekretär im R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r i u m , F r i t z R e i n h a r d t , für die „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " klare R i c h t l i n i e n auf, die durch A n t r ä g e j ü d i s c h e r A u s w a n d e r e r auf E r m ä ß i g u n g dieser Steuer n o t w e n d i g g e w o r d e n waren. Zahlreiche jüdische E m i g r a n t e n , so R e i n hardt, würden V e r m ö g e n s v e r m i n d e r u n g e n durch E i n n a h m e e i n b u ß e n seit dem 1. J a n u a r 1933 angeben. M a n b e g r ü ß e z w a r die A u s w a n d e r u n g der jüdischen B e v ö l k e r u n g , wolle aber allen E m i g r a n t e n eine letzte g r o ß e A b g a b e abverlangen. Daher
sollten
eine
Freistellungsbescheinigung
und
Ermäßigungen
von
der
„ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " grundsätzlich nur in den Fällen gewährt werden, in denen das E i n k o m m e n unter 2 0 0 0 0 R e i c h s m a r k lag. Freistellungsbescheinigungen sollten auch dann ausgestellt w e r d e n , w e n n das E i n k o m m e n der Steuerpflichtigen
40
V o r t r a g eines O R R des F i n a n z a m t s Steinen, O F P - B e z i r k F r a n k f u r t am M a i n , v o n 1939; B A B / R 2 / 5 7 5 0 0 ; M u ß g n u g , R e i c h s f l u c h t s t e u e r , S. 3 0 ft.
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S c h r e i b e n des R e f e r a t s 111/15 an das R e f e r a t Z ü l o w v o m 11. 12. 1935; B A B / R 2 / 5 6 0 1 4 . R u n d s c h r e i b e n des F i n a n z m i n i s t e r i u m s an die F i n a n z ä m t e r v o m 17. 12. 1936; S t A N / F i nanzamt/12937.
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134
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
zwar höher als 20 000 Reichsmark war, das Vermögen aber den realen Wert von 3 0 0 0 0 Reichsmark nicht überstieg. Die Ermäßigung oder Aufhebung der „Reichsfluchtsteuer" war dem Reichsfinanzminister vorbehalten. 4 3 Das Ministerium verfuhr in der Frage einer möglichen Ermäßigung nach harten Richtlinien. Es legte bei jüdischen Emigranten einen besonders strengen Maßstab an und ermöglichte eine Reduzierung nur dann, wenn eine Verminderung der Steuerschuld positive Auswirkungen auf die prinzipielle Zahlungsfähigkeit des Steuerpflichtigen hatte. 4 4 Ein Verzicht auf die Steuer oder deren Ermäßigung zugunsten einer forcierten Auswanderung, bedingt etwa durch Fristen der Einwanderungsländer im Hinblick auf berufliche Zulassungen, wurde zumindest in München durch den Reichsfinanzminister offensichtlich nicht gewährt. 4 5 1934 verschärfte eine Gesetzesnovelle die „Reichsfluchtsteuer"-Bestimmungen zusätzlich. D e r Freibetrag wurde von 200 000 auf 50 000 Reichsmark herabgesetzt. Betroffen waren außerdem weiterhin alle Steuerpflichtigen mit einem E i n k o m men von mehr als 10000 Reichsmark jährlich. 4 6 Darüber hinaus änderte die N o velle auch die Bedingungen für die vorläufige Sicherung der Steuer. D e r Gesetzgeber erweiterte in den neuen Vorschriften von 1934 den Ermessensspielraum der Finanzämter bei einer möglichen Sicherheitsleistung, die der Steuerpflichtige entrichten musste, um Ansprüche auf vor der Auswanderung zu leistende Steuern oder andere steuerliche Geldleistungen zu gewährleisten. D e m Finanzamt wurde ein erheblicher Interpretationsspielraum eingeräumt. Hierunter fielen bestehende Ansprüche des Fiskus genauso wie solche, deren Entstehung lediglich als wahrscheinlich anzusehen war. Gegen einen solchen Sicherheitsbescheid war nur die Beschwerde beim Landesfinanzamt zulässig. 47 Mit der Möglichkeit, im Rahmen der „Reichsfluchtsteuer"-Pflicht Vermögenswerte von Emigranten zu sichern, hatte die Finanzverwaltung eine äußerst wirksame Waffe der Überwachung und Vorbereitung von Eigentumsentziehungen in der Hand. Auch die meisten Kooperationsformen mit anderen Institutionen dien43
Dies galt auch für Billigkeitsanträge. Wenn der Pflichtige akut und auch zukünftig nicht in der Lage war, sein Vermögen flüssig zu machen, aber einen baldigen Bescheid herbeiführen wollte, konnte das Reichsfinanzministerium eine Ermäßigung der „Reichsfluchtsteuer" um 2 5 % bewilligen. Es konnte zudem über die Stundung der Steuer entscheiden. Bei Beträgen bis zu 1000 R M und bei geringer Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen konnten allerdings auch die Präsidenten der Landesfinanzämter Ermäßigungen gewähren; Anordnung Reinhardts bezüglich der „Reichsfluchtsteuer" vom 26. 7. 1933; O F D N ü r n berg/Münchner Keller/NS 3.
44
Schreiben des Referats XV, Abteilung III, vom 23. 8. 1935; B A B / R 2/56014. Antrag des jüdischen Arztes Dr. Moses G., der wegen der Niederlassungsmöglichkeiten in Palästina schnell auswandern wollte und den Erlass der Steuer beantragte, um sich eine Praxis aufbauen zu können. Sowohl der Erlass als auch eine Ermäßigung wurden durch den Reichsfinanzminister abgelehnt; Schreiben Dr. G.s an das Finanzamt München-West vom 30. 9. 1935; Schreiben des R d F an das Finanzamt München-West vom 25. 10. 1935; StAM/Finanzamt/17569. Art. 1 § 2 des „Gesetzes über die Änderung der Vorschriften über die Reichsfluchtsteuer" vom 18. 5. 1934; R B G 1 . 1 (1933), S. 3 9 2 f . § 7; ebd. Die Frist für eine Begleichung der Steuerschuld wurde schließlich von zwei M o naten auf einen Monat herabgesetzt; § 9; ebd.
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47
I. Überwachung und Entziehung von Emigrantenvermögen
135
ten l e t z t l i c h der S i c h e r u n g der „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " . D u r c h d i e R e c h t s p r e c h u n g des R e i c h s f i n a n z h o f e s w a r es d e n F i n a n z ä m t e r n m ö g l i c h , bei allen r e l e v a n t e n Stellen I n f o r m a t i o n e n e i n z u h o l e n . 4 8 Selbst d e r W e r b e r a t der d e u t s c h e n W i r t s c h a f t teilte V e r a n s t a l t u n g e n w i e z u m Beispiel M o d e s c h a u e n mit, bei d e n e n der V e r k a u f seltener K l e i d u n g s s t ü c k e auf eine m ö g l i c h e A u s w a n d e r u n g h i n d e u t e n k o n n t e . 4 9 S c h l i e ß l i c h w a r e n a u c h die R e i c h s b a n k a n s t a l t e n d a z u a n g e h a l t e n , M i t t e i l u n g e n z u m a c h e n , w e n n S t e u e r p f l i c h t i g e u n d i n s b e s o n d e r e J u d e n M a ß n a h m e n trafen, u m „ h e i m l i c h " ins A u s l a n d a u s z u w a n d e r n . 5 0 D i e D i s k u s s i o n e n auf m i n i s t e r i e l l e r E b e n e ü b e r p r i n z i p i e l l e F r a g e n der E m i g r a tion v e r d e u t l i c h e n g r u n d l e g e n d e F u n k t i o n s m e c h a n i s m e n fiskalischer H a n d l u n g s p r a x i s . T r a d i t i o n e l l e fiskalische Z i e l s e t z u n g e n u n d V e r f a h r e n s w e i s e n f ü r d i e S i c h e r u n g des S t e u e r a u f k o m m e n s v e r b a n d e n sich nach 1933 mit d e m K a l k ü l , d i e E m i g r a t i o n als ein M i t t e l d e r h a u s h a l t s p o l i t i s c h e n K o n s o l i d i e r u n g e i n z u s e t z e n . D e r W e g f a l l der i n d i v i d u e l l e n F r e i h e i t s r e c h t e d u r c h das t o t a l i t ä r e R e g i m e e r m ö g lichte d a n n eine O p t i m i e r u n g d e r U b e r w a c h u n g s - u n d E n t z i e h u n g s t e c h n i k e n nach 1933. F ü r die r e g i o n a l e n E x e k u t i v o r g a n e bot die v o r a n g a l o p p i e r e n d e Entw i c k l u n g h i n z u einer u m f a s s e n d e n K o n t r o l l e u n d S t e u e r u n g d e s D e v i s e n v e r k e h r s d a h e r v e r m e h r t M ö g l i c h k e i t e n f ü r k o n k r e t e E i n g r i f f e . 5 1 G l e i c h z e i t i g f ü h r t e sie t r a d i t i o n e l l e P r i n z i p i e n des S t e u e r r e c h t s w i e das d e r V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t o d e r G l e i c h b e h a n d l u n g d e r S t e u e r p f l i c h t i g e n e n d g ü l t i g ad a b s u r d u m . D e r B r u c h mit r e c h t s s t a a t l i c h e n N o r m e n m a n i f e s t i e r t e sich d a r ü b e r h i n a u s in d e n a n m a ß e n d e n , c o n t r a l e g e m g e f ä l l t e n E n t s c h e i d u n g e n des R e i c h s f i n a n z h o f e s . D e r H e b e l d e r Verweigerung von Steuererleichterungen oder von Steuererlassen w u r d e schließlich in einer e i n d e u t i g a n t i s e m i t i s c h e n S t o ß r i c h t u n g a n g e w a n d t . A u f die g r o ß e B e d e u t u n g d e r R e i c h s f i n a n z v e r w a l t u n g bei der E n t z i e h u n g v o n E m i g r a n t e n v e r m ö g e n i m N S - S t a a t i n s b e s o n d e r e im Z u s a m m e n h a n g mit der „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " ist in der F o r s c h u n g s l i t e r a t u r bereits m e h r f a c h h i n g e w i e s e n w o r d e n . 5 2 Z u R e c h t w u r d e betont, dass sich d u r c h d i e neue „rassisch" b e g r ü n d e t e
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49 30
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Zu den weitreichenden Kooperationsformen mit verschiedenen Institutionen vgl. Schreiben der Zentralen Steuerfahndung an das Finanzamt M ü n c h e n - N o r d vom 2 1 . 2 . 1934; StAM/Finanzamt/19345. Die Transportunternehmen informierten die Polizeidirektionen über „Abwanderung von Vermögenswerten ins Ausland", und diese gaben dann die Auskünfte an die Finanzverwaltung weiter; Schreiben der Polizeidirektion vom 12. 11. 1935; StAM/Polizeidirektion/13331. Grundstücksverkäufe von Juden sollten ab J a n u a r 1937 darüber hinaus der Gestapo mitgeteilt werden, die dann ihrerseits auch gegen die „heimliche A b w a n d e r u n g " vorgehen konnte; Schreiben des Gestapa an den Reichsjustizminister vom 25. 1. 1937; RGVA/SoA Moskau/Fond 500c/op. 1/d. 290/1. 117 ob. Arbeitsbericht der Steuerfahndung vom 26. 9. 1938; BAB/R 2/5979. Zu den weitreichenden Ü b e r w a c h u n g s m a ß n a h m e n siehe Rundschreiben des Präsidenten des LFA Berlin an die Präsidenten der Landesfinanzämter vom 16.6. 1936 und R u n d schreiben der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung an die Devisenstellen vom 18.6. 1936; StAM/OFD/2487. Eingriffsentscheidungen sind konkret auf das Verhältnis zum Empfänger abgestellt (Verhinderung von Handlungen der Pflichtigen, die nicht wünschenswert sind). Sie beruhen auf mit Zwangsgewalt gestützter Macht, weshalb sich das Fehlen rechtsstaatlicher Schranken hier besonders gravierend auswirken musste; Luhmann, Opportunismus, S. 175 f. Friedenberger, Finanzverwaltung, S. 10 ff.; Blumberg, Etappen, S. 16 ff.; Mehl, Reichsfinanzministerium, S. 41 ff.; Kuller, Finanzverwaltung.
136
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
Emigrationspolitik die normative Intention der strengen Devisengesetze und Vorschriften nach der „Machtergreifung" de facto ins Gegenteil verkehrt habe. Lag die A b s i c h t der „Reichsfluchtsteuer" ursprünglich in der Verhinderung der E m i gration, gestaltete das N S - R e g i m e die Steuer zu einer letzten großen A b g a b e vor einer erwünschten beziehungsweise letztlich sogar erzwungenen Auswanderung der jüdischen B e v ö l k e r u n g . 5 3 N a c h der „ M a c h t ü b e r n a h m e " sahen sich die B e a m ten bei der Behandlung von Auswanderern damit tatsächlich mit einer neuen Situation konfrontiert. Das N S - R e g i m e erzwang durch seine Verfolgungsmaßnahmen eine deutliche Verschiebung in der G r u p p e der Auswanderer. Diese waren in der Anfangszeit des Regimes vor allem politische Flüchtlinge, bereits nach kurzer Zeit aber zu einem ganz überwiegenden Teil J u d e n , so dass das Erreichen des etatmäßigen Erfolges und die extreme Benachteiligung einer Minderheit der B e v ö l k e rung hier zwangsläufig zusammenfielen. D e n antisemitischen Unrechtscharakter der Steuer kaschierten allerdings die hinter das „Dritte R e i c h " zurückreichende Tradition der Steuer sowie die formaljuristischen B e s t i m m u n g e n , die sich nicht explizit gegen J u d e n , sondern gegen alle Emigranten richteten. D i e umfassenden und harten M a ß n a h m e n zur Verhinderung der „Kapitalf l u c h t " führten zu einer potentiellen Kriminalisierung der Auswanderungsbestrebungen und damit der jüdischen B e v ö l k e r u n g schlechthin. 5 4 E s ist daher die M e i nung vertreten worden, die U m k e h r der ursprünglichen Bedeutung der „Reichsfluchtsteuer" habe sich gravierend auf die R e c h t s m o r a l der Finanzbeamten ausgewirkt, weil diese eine U n r e c h t s m a ß n a h m e mit formalrechtlicher Legitimation durchzuführen hatten. 5 5 Das von der Reichsregierung installierte U b e r w a c h u n g s netz war zwar engmaschig geknüpft, beließ den regionalen Institutionen aber einen nicht unerheblichen Ermessensspielraum bei der grundsätzlichen B e w e r t u n g und den M a ß n a h m e n im Einzelfall. Inwieweit sich die Praxis der Beamten vor O r t tatsächlich radikalisierte und wie sich die Zusammenarbeit mit den anderen an der Ü b e r w a c h u n g und Enteignung jüdischen Vermögens beteiligten Institutionen gestaltete, soll im Folgenden anhand der regionalen Verwaltungspraxis analysiert werden.
2. Entziehungspraxis
im
Vergleich
D i e Devisenstellen M ü n c h e n und N ü r n b e r g Wie die Diskussionen innerhalb der Ministerialbürokratie zeigen, stand die F i nanzverwaltung in Fragen der Behandlung der J u d e n in engem Austausch mit anderen Ressorts. A u c h auf regionaler E b e n e gab es eine enge Verflechtung verschiedener Institutionen bei der Ü b e r w a c h u n g und Sicherung von E m i g r a n t e n v e r m ö gen. D i e breite Beteiligung - hierzu gehörten die Industrie- und H a n d e l s k a m m e r n genauso wie Anstalten der R e i c h s b a n k , die Bayerische Politische Polizei oder
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Mehl, Reichsfinanzministerium, S. 49. So Martin Friedenberger, der dies im Zusammenhang mit den Steuersteckbriefen feststellt, die bei Nichtbezahlung der „Reichsfluchtsteuer" den Vermögensentzug einleiteten; Friedenberger, Finanzverwaltung, S. 13. Mehl, Reichsfinanzministerium, S. 49.
I. Überwachung
und Entziehung
von Emigrantenvermögen
137
O r g a n e der Justizverwaltung - band die Finanzverwaltung von vornherein in ein durch verschiedene Interessenslagen geprägtes regionales Herrschaftsgefüge ein. Prägnantes Beispiel für eine solche Einbindung waren die den Landesfinanzämtern zugeordneten Devisenstellen, die sich zu einem der D r e h - und Angelpunkte der D e v i s e n - U b e r w a c h u n g s m a ß n a h m e n entwickelten. 5 6 Bereits in ihrer B i n n e n struktur spiegelten sich die Interaktionsmuster der Ü b e r w a c h u n g und E n t z i e hung von Emigrantenvermögen wider. Sie war durch die Weisungsbefugnis verschiedener Hoheitsträger gekennzeichnet. Organisatorisch waren die Devisenstellen zwar den Landesfinanzämtern zugeordnet, ihre Entscheidungen und M a ß nahmen beruhten aber auf den Richtlinien der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung, der auch die oberste Sachleitung zustand. Ihre Handlungsgrundsätze mussten sie im Einvernehmen mit dem Reichsfinanz- und dem Landwirtschaftsminister aufstellen. D i e Aufsicht über die regionalen Devisenstellen hatte der Präsident des Landesfinanzamts, der auch in organisatorischer Hinsicht für sie verantwortlich war. Ihr Personal rekrutierte sich reichsweit weitgehend aus Beamten der R e i c h s b a n k , die wiederum über Versetzungen auch ohne Fühlungnahme mit dem Präsidenten des Landesfinanzamts entscheiden konnten. D a m i t waren letztlich in sachlicher H i n s i c h t die Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung, in personeller Hinsicht das Reichsbankdirektorium und in haushaltsrechtlicher Hinsicht der Reichsfinanzminister für die Devisenstellen verantwortlich. D i e Hauptaufgabe der Devisenstellen waren die seit O k t o b e r 1931 durchgeführten Devisenprüfungen. Hierbei handelte es sich um turnusmäßig durchgeführte B u c h - und Betriebsprüfungen, die unter spezieller Berücksichtigung der Devisengesetzgebung die Devisenstelle, aber auch die Finanzämter vornahmen. 5 7 Derartige Uberprüfungen betrafen sowohl international agierende U n t e r n e h m e n als auch mittlere Betriebe oder Freiberufler, bei denen mit einer baldigen A u s w a n derung und damit auch einer Veräußerung der Firma gerechnet wurde. Eng verzahnt mit anderen Fiskalinstitutionen und insbesondere mit den Finanzämtern, die von den Devisenstellen bei der Sicherung der „Reichsfluchtsteuer" unterstützt wurden, kooperierten diese mit zahlreichen anderen Institutionen. Hinweise auf Auswanderungsabsichten oder auf „Kapitalschmuggel" erhielten die Devisenstellen unter anderem von den Reichsbankanstalten und anderen Bankhäusern. B e sonders eng arbeiteten Devisenstelle und Zollfahndung zusammen. Die Zollfahndungsstellen fungierten dabei als eine Art Vollzugsorgan. Sie unterstützten die Devisenstellen bei den B u c h - und Betriebsprüfungen, sicherten Beweismittel, unterhielten enge Verbindungen zu Polizei und Staatsanwaltschaft und beteiligten sich an Befragungen und F e s t n a h m e n . 5 8 Seit 1935 besaßen die Devisenstellen eigene Abteilungen für die Ermittlung und Bearbeitung von Strafverfahren, denen zur A h n d u n g von Vergehen weitreichende Möglichkeiten zur Verfügung standen. Hierzu gehörten Ausfuhr- und Lieferver-
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S c h r e i b e n der A b t e i l u n g I I I , R e f e r a t I I I / l , v o m 9. 2. 1935 an v e r s c h i e d e n e andere R e f e r a t e im R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r i u m ; B A B / R 2 / 1 4 1 9 2 . P r ü f u n g s p l ä n e und -listen für die J a h r e 1 9 3 2 - 1 9 3 5 ; S t A M / O F D / 3 9 9 und 4 0 8 . R u n d s c h r e i b e n des P r ä s i d e n t e n des L F A B e r l i n an die L a n d e s f i n a n z ä m t e r v o m 1. 3. 1942; StAM/OFD/309.
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
bote genauso wie horrende Ordnungsgelder von bis zu 3 0 0 0 0 0 Reichsmark. 5 9 D a lediglich in Fällen von entscheidender exportwirtschaftlicher Bedeutung Weisungen der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung eingeholt werden mussten, und dies auch nur dann, wenn keine Gefahr im Verzuge bestand, waren die Ermessensspielräume der leitenden Angestellten bei den Devisenstellen umfangreich. 6 0 Besonders das Devisenstrafrecht verdeutlicht das Bedrohungspotential einer Ermittlung der Devisenstellen. D a Devisenvergehen als Landesverrat galten, drohte in schweren Fällen nach einer gerichtlichen Verurteilung die Todesstrafe. Nicht mehr Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Individualschutzes waren damit ausschlaggebend für die Schwere der Strafe, sondern der Grad der Unerwünschtheit des Verhaltens. 61 D i e Devisenstelle München gliederte sich reichsweiten Strukturen entsprechend in eine Uberwachungs- und eine Genehmigungsabteilung sowie eine Strafsachenstelle. Dabei zeigt die personelle Besetzung der Behörde die Bedeutung, die man der Überwachung des Devisentransfers in der Finanzverwaltung beimaß. Die äußerst komplexe Devisengesetzgebung und das deshalb erforderliche hohe fachliche Niveau der Beamten und Angestellten spiegelte sich in dem Personalprofil der Münchner Behörde wider. Die Devisenstelle München war in diesem Bereich zum überwiegenden Teil mit jungen, um die Jahrhundertwende geborenen, oftmals promovierten Juristen und Ö k o n o m e n besetzt 6 2 , ein Profil, das sie von ihren meist älteren und schlechter ausgebildeten Kollegen anderer Institutionen der Finanzverwaltung unterschied. Entsprechend der Binnenstruktur ihrer Dienststelle waren sie mit der Überwachung und Genehmigung sowie der Bestrafung von D e visenvergehen beschäftigt. Die jungen Mitarbeiter sahen sich durch die stetig anwachsende Zahl der jüdischen Emigranten vor ein gewaltiges und angesichts der
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Zur Organisation der Überwachung in den Devisenstellen siehe das Rundschreiben der Reichsstelle für die Devisenbewirtschaftung an die Devisenstellen vom 23. 12. 1936; S t A M / O F D / 3 7 7 . Der Maßnahmenkatalog gründete sich ursprünglich auf § 18 der „Verordnung des Reichspräsidenten über die Devisenbewirtschaftung" vom 1 . 8 . 1931; R G B l . I (1931), S. 421. In § 5 der „Zweiten Durchführungsverordnung zum „Gesetz über die D e visenbewirtschaftung" vom 24. Juli 1935 wurde dann der Katalog von vorsätzlichen oder fahrlässigen Zuwiderhandlungen spezifiziert; R G B l . I (1935), S. 1047; zu den Maßnahmen vgl. v. a. auch Rundschreiben der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung an die Devisenstellen vom 19. 10. 1936; Β AB/R 2/5978. D e r Strafrahmen mit den Ordnungsstrafen bis zu 3 0 0 0 0 0 R M fand Eingang in den § 47 des „Gesetzes über die Devisenbewirtschaftung" vom 4. 2. 1935; R G B l . I (1935), S. 112.
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Rundschreiben der Reichsstelle für die Devisenbewirtschaftung an die Devisenstellen vom 23. 12. 1936; S t A M / O F D / 3 7 7 . Banken, Devisenstrafrecht, S. 218. D a die Personalakten der Devisenstelle nur noch vereinzelt und Generalakten nur noch teilweise erhalten geblieben sind, wurden für die Rekonstruktion der Lebensläufe zusätzlich Spruchkammerakten herangezogen. Die Auswahl richtete sich hier nach dem Aufgabenbereich der Beamten. Ausgewählt wurden Beamte, die durch ihr Tätigkeitsfeld in die fiskalischen Überwachungs- und Entziehungsmaßnahmen besonders involviert waren, also Betriebsprüfer sowie die für die Kontensperrung zuständigen Beamten der Genehmigungsabteilung oder das Personal der Strafsachenstelle. Insgesamt konnten die Lebensläufe von 18 Beamten rekonstruiert werden, so dass zumindest die Tendenzen in der Personalstruktur erkennbar werden. D e r Altersdurchschnitt der Beamten bei ihrem Dienstantritt lag bei 2 8 - 3 0 Jahren. Lediglich zwei Beamte waren über 35 Jahre alt.
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/. Überwachung und Entziehung von Emigrantenvermögen
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erheblich verschärften G e s e t z g e b u n g auch neues A u f g a b e n g e b i e t gestellt. N a c h d e m M a c h t w e c h s e l schuf die Devisenstelle M ü n c h e n d a h e r neben d e n zwei bereits existierenden Referaten z u n ä c h s t ein weiteres Sachgebiet f ü r A u s w a n d e r u n g , das sich mit d e n zahlreichen G e n e h m i g u n g s v e r f a h r e n auseinandersetzte. 6 3 D i e w a c h s e n d e B e d e u t u n g der Ü b e r w a c h u n g u n d E r m i t t l u n g zeigt d a r ü b e r hinaus die e n o r m e Steigerung der A n z a h l der Devisenfälle u n d den engen A u s t a u s c h der Devisenstelle mit anderen I n s t i t u t i o n e n der F i n a n z v e r w a l t u n g , aber auch mit G l i e d e r u n g e n der Partei u n d der K o m m u n a l v e r w a l t u n g . A m wichtigsten w a r die K o o p e r a t i o n mit der Z o l l f a h n d u n g s s t e l l e M ü n c h e n , die ebenfalls auf die M e h r b e lastung d u r c h die v e r m e h r t e A u s w a n d e r u n g reagierte. I m R a h m e n der Verfolgung von Devisenvergehen f u n g i e r t e die Z o l l f a h n d u n g als Schnittstelle z w i s c h e n Fiskalverwaltung u n d Parteigliederungen u n d sorgte so f ü r eine enge Z u s a m m e n a r beit mit diesen Stellen. D a z u zählte die ständige K o o p e r a t i o n mit den G r e n z a u f sichtsdiensten der SA u n d der SS, die mit den H a u p t z o l l ä m t e r n u n d der Z o l l f a h n d u n g z u s a m m e n a r b e i t e t e n . 6 4 Schon im Mai 1933 beklagten sich M i t a r b e i t e r der Z o l l f a h n d u n g s s t e l l e ü b e r die erhebliche V e r m e h r u n g des G e s c h ä f t s u m f a n g s d u r c h die Verfolgung v o n Devisenvergehen. 6 5 Ein J a h r später w u r d e d a n n die Zahl der Planstellen v o n 14 auf 17 e r h ö h t . Bereits im N o v e m b e r 1934 baten die Beamten d a n n h ä n d e r i n g e n d u m sechs weitere Beamtenstellen, d a m i t der steigende A r b e i t s a u f w a n d bewältigt w e r d e n k ö n n e . 6 6 D i e Ü b e r l a s t u n g der B e h ö r d e n resultierte aus d e m steigenden U m f a n g der zu b e a r b e i t e n d e n Devisensachen. Allein bei der Z o l l f a h n d u n g M ü n c h e n v e r d o p p e l t e sich die Zahl der Ermittlungsfälle 1934 g e g e n ü b e r d e m Vorjahr. N a h e z u alle Beamten w a r e n d a d u r c h mit der B e k ä m p f u n g v o n Devisenstrafsachen beschäftigt. D i e E r m i t t l u n g s a r b e i t k o n z e n t r i e r t e sich auf den „ R e g i s t e r m a r k s c h m u g g e l " , d e n „ W a r e n s c h m u g g e l " , die B u c h p r ü f u n g u n d die D e v i s e n z u w i d e r h a n d l u n g e n , die meist den g r ö ß t e n F a h n d u n g s a u f w a n d a u s m a c h t e n . Allein im M ä r z 1935 ermittelte die Z o l l f a h n d u n g s s t e l l e M ü n c h e n gegen 60 U n t e r s u c h u n g s g e f a n g e n e wegen Devisenvergehen 6 7 Bis 1936 n a h m e n die Ermittlungsfälle einen derartigen U m f a n g an, dass der
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Niederschrift über den Vortrag: „Die wichtigsten Bestimmungen des Devisenrechts unter besonderer Berücksichtigung der letzten Änderungen", o.J.; S t A M / O F D / 3 6 4 ; Aussage Karl M.s, Sachbearbeiter bei der Devisenstelle, während eines Verfahrens bei der Wiedergutmachungskammer am LG München am 13. 5. 1951; StAM/NSDAP/211. Die Einzelfallakten der Devisenstelle und der Zollfahndungsstelle sind für München allerdings nicht mehr erhalten geblieben, so dass für den Einzelfall nur auf Sekundärquellen zurückgegriffen werden kann. Die Verhaltensmuster dieser Behörden spiegeln sich aber angesichts des hohen Kooperationsgrades oftmals auch in den Steuerakten der Finanzämter oder der Polizeidirektion wider. Dies äußerte sich auch in den reichsweit hohen Mitgliederzahlen der Zollfahndungsbeamten in der SS; Rundschreiben Staatssekretär Reinhardts an die Präsidenten der Landesfinanzämter vom 8. 3. 1935 und 2. 11. 1936; StAM/Finanzamt/19863; Schreiben des RdF an den O F P München vom 2. 6. 1937; Β AB/R 2/29798; Blumberg, Zollverwaltung, S. 296. Schreiben der Zollfahndung an den Präsidenten des LFA München vom 9. 5. 1933; BAB/ R 2/5956. Schreiben des Präsidenten des LFA München an den RdF vom 21.5. 1935; ebd. Schreiben des Präsidenten des LFA München an den RdF vom 26.3. 1935 und 21. 5. 1935; ebd.
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
Reichsfinanzminister im O k t o b e r 1936 anordnete, alle verfügbaren Kräfte der Fahndung zur Bearbeitung derartiger Fälle einzusetzen und die Fahndungstätigkeit auf dem G e b i e t der Verbrauchssteuern bis auf weiteres zurückzustellen. 6 8 Entsprechend h o c h waren auch die Devisenstraffälle des Hauptzollamts M ü n chen, das über eine eigene Devisenüberwachungsstelle für die Bearbeitung von Devisenstrafsachen verfügte, die nicht nur Strafbescheide entwarf und Strafakten anlegte, sondern auch F a h r p o s t und Postsendungen auf Devisen überprüfte. I m J a h r 1934 schloss das H a u p t z o l l a m t M ü n c h e n allein 2 8 7 Straffälle ab. 6 9 E i n e Anzeige und ein darauffolgendes Verfahren wegen Devisenvergehen hatte für die Betroffenen drastische Folgen. Bei Devisenstrafverfahren verhängte die Devisenstelle astronomische B u ß g e l d s u m m e n . D e r wirksamste H e b e l der D e v i senstelle zur Sicherung und E n t z i e h u n g jüdischen Vermögens bestand allerdings durch die bereits im S o m m e r 1933 geschaffene M ö g l i c h k e i t des kompletten Vermögensentzuges wegen „staatsfeindlichen" Verhaltens, das häufig mit Devisendelikten begründet wurde. E i n e solche Vorgehensweise war durch die Gesetze über den „Widerruf von Einbürgerungen und die A b e r k e n n u n g der deutschen Staatsangehörigkeit" und über die „Einziehung kommunistischen V e r m ö g e n s " m ö g lich. 7 0 Beide Gesetze enthielten zwar zunächst keine antisemitischen B e s t i m m u n gen, erlaubten j e d o c h die E i n z i e h u n g sogenannten staatsfeindlichen Vermögens und wurden s o w o h l gegen politische G e g n e r als auch und später vor allem gegen jüdische Emigranten angewandt. 7 1 E i n e Durchführungsverordnung v o m 26. J u l i 1933 bestimmte, dass sich die Ausbürgerung und damit auch der Vermögensentzug nach „völkisch-nationalen" Gesichtspunkten zu richten habe, w o b e i „rassis c h e " , staatsbürgerliche und kulturelle Kriterien im Vordergrund stehen sollten. 7 2 D i e so geschaffene Möglichkeit, auf das Vermögen der jüdischen B e v ö l k e r u n g direkt zugreifen zu k ö n n e n , wandte die Finanzverwaltung zunächst überwiegend bei politisch tätigen oder aus O s t e u r o p a eingewanderten jüdischen Erwerbstätigen an. Prominentes O p f e r war etwa der ehemalige sozialdemokratische F i n a n z minister und jüdische Kinderarzt Dr. R u d o l f Hilferding, der bereits im F r ü h s o m mer 1933 das D e u t s c h e R e i c h fluchtartig verlassen musste und letztlich nach Frankreich emigrierte. 7 3 Dr. Hilferding entzog die Finanzverwaltung zwei J a h r e später, im O k t o b e r 1935, das Vermögen wegen „staatsfeindlichen" Verhaltens. N e b e n dem S P D - P o l i t i k e r waren die meisten O p f e r dieser frühen E n t z i e h u n g s m a ß n a h m e n prominente G e g n e r des Regimes, darunter auch viele N i c h t j u d e n . So
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Blumberg, Zollverwaltung, S. 317. Schreiben des Präsidenten des L F A Berlin an den R d F vom 21. 5. 1935 und 26. 3. 1935; B A B / R 2/5956. „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit"; R G B l . I (1933), S. 480; „Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens"; R G B l . I (1933), S. 293. Präambel, ebd. Abs. 1 S. 1 der „Zweiten Verordnung zur Durchführung des G W S t " ; R G B l . I (1933), S. 538. Zu Bedeutung und Interpretation dieser beiden Gesetze siehe v. a. Tarrab-Maslaton, Strukturen, S. 154 f. StAM/Polizeidirektion/13932. Das dem Reich verfallene Vermögen wurde dann durch das Finanzamt Moabit West zugunsten des R d F verwertet.
I. Überwachung
und Entziehung
von
Emigrantenvermögen
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versuchte etwa T h o m a s M a n n mit einem mehrseitigen B r i e f die B e s c h l a g n a h m e der k o m p l e t t e n E i n r i c h t u n g seiner Villa in M ü n c h e n zu verhindern, letztlich jed o c h vergeblich: 1 9 3 6 b e s c h l a g n a h m t e n die B e h ö r d e n sein ganzes V e r m ö g e n , sein H a u s w a r damit v e r l o r e n . 7 4 S c h o n früh wandten die F i s k a l b e h ö r d e n die B e s c h l a g n a h m e wegen
„Staats-
f e i n d l i c h k e i t " auch gegen weniger p r o m i n e n t e und verstärkt gegen jüdische B ü r ger an. I n n e r h a l b der F i n a n z v e r w a l t u n g lag die reichsweite Zuständigkeit für beschlagnahmte V e r m ö g e n s w e r t e b e i m F i n a n z a m t M o a b i t - W e s t in Berlin. N a c h d e m V e r m ö g e n s w e r t e durch das zuständige F i n a n z a m t unter M i t h i l f e der D e v i s e n stelle, der G e s t a p o o d e r durch e n t s p r e c h e n d e gerichtliche B e s c h l ü s s e vorläufig beschlagnahmt w o r d e n waren, sandten die M ü n c h n e r F i n a n z ä m t e r die Steuerakten an das B e r l i n e r F i n a n z a m t , das entsprechende V e r m ö g e n s e r h e b u n g e n
erstellte
und die Personalien der B e t r o f f e n e n sowie v o r h a n d e n e W e r t e katalogisierte. D a s G e h e i m e Staatspolizeiamt leitete die A u s b ü r g e r u n g s v e r f a h r e n ein und das F i n a n z a m t M o a b i t - W e s t führte dann die endgültige B e s c h l a g n a h m e zugunsten des R e i c h e s durch. N a c h einer Verfügung des R e i c h s i n n e n m i n i s t e r i u m s über die A b e r k e n n u n g der R e i c h s b ü r g e r s c h a f t und die B e s c h l a g n a h m e des V e r m ö g e n s k o n n t e schließlich das V e r m ö g e n endgültig zugunsten des R e i c h e s eingezogen und verwertet w e r d e n . 7 5 D e m arbeitsteiligen und zentralisierten P r o z e s s der B e s c h l a g n a h m u n g und Verw e r t u n g zwischen dem G e h e i m e n Staatspolizeiamt und dem B e r l i n e r F i n a n z a m t entsprachen weitere I n t e r a k t i o n s m u s t e r auf zentraler und regionaler E b e n e , die die Verfolgungspraxis beschleunigten und verschärften. E i n e enge Z u s a m m e n arbeit ergab sich bei jeder E r m i t t l u n g s a r b e i t in D e v i s e n s a c h e n . 7 6 Wegen der verstärkten A u s w a n d e r u n g der J u d e n im S o m m e r 1935 hatte das R e i c h s f i n a n z m i n i s terium eine B e s p r e c h u n g anberaumt, in der die Politische Polizei auf die N o t w e n digkeit einer verstärkten K o o p e r a t i o n a u f m e r k s a m m a c h t e . 7 7 D e r a r t i g e U b e r legungen goss R e i n h a r d H e y d r i c h in seiner F u n k t i o n als politischer P o l i z e i k o m mandeur der L ä n d e r im S e p t e m b e r 1935 in k o n k r e t e F o r m e n . In einer U n t e r redung mit Sachbearbeitern der Reichsstelle für D e v i s e n b e w i r t s c h a f t u n g b e m ä n gelte er die n o c h u n z u r e i c h e n d e Z u s a m m e n a r b e i t mit der G e s t a p o bei A u s w a n d e rungsfällen. U m die politische Zuverlässigkeit des Steuerpflichtigen besser einschätzen zu k ö n n e n und den K o n t r o l l r a h m e n der A u s w a n d e r u n g zu v e r g r ö ß e r n , führte die G e s t a p o ein entsprechendes F o r m b l a t t zur Vorlage bei den eigenen Dienststellen ein. D a r ü b e r hinaus sollten die Devisenstellen und F i n a n z ä m t e r mit-
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D e M e n d e l s s o h n , Z a u b e r e r , B d . 3, S. 2 7 2 ff. B e s c h l a g n a h m e des V e r m ö g e n s eines M ü n c h n e r j ü d i s c h e n V i e h h ä n d l e r s 1933; S t A M / W B I / a / 3 0 6 5 ; Friedenberger, Finanzamt. I m O k t o b e r 1934 m a h n t e Staatssekretär R e i n h a r d t die vertrauensvolle Z u s a m m e n a r b e i t von Z o l l - und P o h z e i v e r w a l t u n g bei E r m i t t l u n g s a r b e i t e n an. E r stützte sich dabei auf eine A n w e i s u n g des I n n e n m i n i s t e r s im H i n b l i c k auf eine enge Z u s a m m e n a r b e i t von Z o l l f a h n dung und P o l i z e i v e r w a l t u n g . N a c h M e i n u n g R e i n h a r d t s war eine gegenseitige U n t e r r i c h tung ü b e r E r m i t t l u n g s a r b e i t e n d r i n g e n d n o t w e n d i g ; S c h r e i b e n R e i n h a r d t s an das R e i c h s i n n e n m i n i s t e r i u m v o m 23. 10. 1934; B A B / R 2 / 6 0 0 2 . S c h r e i b e n des P r ä s i d e n t e n des L F A B e r l i n an die A b t e i l u n g I I I des R d F v o m 2 7 . 2. 1936; B A B / R 2/5978.
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
tels Rundverfügungen die Gestapo über alle Fahndungsmaßnahmen unterrichten. 7 8 Die Gestapo verpflichtete sich ihrerseits, in den Fällen jüdischer Auswanderungsvorbereitungen und insbesondere bei jüdischen Geschäftsleuten umgehend die Zentrale Nachrichtenstelle beim Landesfinanzamt Berlin zu informieren. 7 9 Hierunter fielen vor allem die von der Gestapo durch Post- und Fernsprechüberwachung gesammelten Informationen, die sie von da an unmittelbar an die Finanzverwaltung weitergab. 8 0 Auf die „kriminellen" Methoden der Emigranten und auf die Fahndung nach straffälligen Auswanderern machten auch die Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung und die Landesfinanzämter aufmerksam. 8 1 Derartige Mitteilungen enthielten eine enorme Bandbreite an Informationen. Sie reichten von warnenden Hinweisen auf die Benützung „unsichtbarer Farben" durch Auswanderer bis hin zu den Steuerhinterziehungsmethoden von Zeitschriftenhändlern. 8 2 Diese Informationen bewerteten die Berliner Institutionen in eindeutiger Weise: „Nach den in dieser Hinsicht gemachten Wahrnehmungen", so der Präsident des Landesfinanzamts Berlin in einem an den Reichsfinanzminister gerichteten Schreiben, „erscheint es mir angebracht zu sein, das gesunde Misstrauen zu haben, dass die Juden in den letzten Jahren verschiedentlich unrichtige Steuererklärungen abgegeben haben und dementsprechend handelten." 8 3 Auf regionaler Ebene finden sich entsprechende Kooperationsvereinbarungen mit der Bayerischen Politischen Polizei. Diese enge Zusammenarbeit war bis 1936 in den Augen der Finanzverwaltung eine zwingende Notwendigkeit, hatten ihre Fahndungsbeamten doch vor der Sperrung von Wertgegenständen oder Bankguthaben relativ hohe rechtliche Schranken zu überwinden. 8 4 Schnelle Sicherungsmöglichkeiten bestanden für die Reichsfinanzverwaltung lediglich im Rahmen der Maßnahmen zur Sicherung der „Reichsfluchtsteuer", weshalb die Finanzämter auch meist umgehend in den Uberwachungs- und Sicherungsprozess einbezogen wurden. Die Interaktionsmuster äußerten sich in der Praxis auf verschiedene Weise. Der Anfangsverdacht der „Devisenverschiebung", hervorgerufen etwa durch Denunziation, löste in der Devisenstelle zunächst die üblichen fiskalischen U b e r w a chungs- und Sicherungsroutinen aus. Dies betraf zum einen die sofortige Einzie-
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Rundschreiben des politischen Polizeikommandeurs der Länder an die Präsidenten der Landesfinanzämter vom 20. 9. 1935; BAB/R 2/5977. Gestapoerlass vom 11. 9. 1935; Schreiben des Präsidenten des LFA Berlin an die Abteilung III des RdF vom 27. 2. 1936; BAB/R 2/5978. Ebd. Zu den Fahndungsinformationen der Landesfinanzämter untereinander vgl. Rundschreiben der Devisenstelle des LFA Würzburg vom 9. 4. 1934; StAM/OFD/364. Richtlinien des Präsidenten des LFA München für den Steuerfahndungsdienst vom 24. 7. 1934; StAM/Finanzamt/19864; und Rundschreiben des LFA München an die Finanzämter des Bezirks vom 29. 5. 1934; ebd. Schreiben des Präsidenten des LFA Berlin an die Abteilung III des RdF vom 27. 2. 1936; BAB/R 2/5978. Noch Ende Februar 1936 beklagte sich daher der Präsident des LFA Berlin über die fehlenden Möglichkeiten der Zollfahndungsstelle, Sperrkonten oder Depots einzurichten; Schreiben des Präsidenten des LFA Berlin an die Abteilung III des RdF vom 27. 2. 1936; ebd.
I. Überwachung
und Entziehung
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Emigrantenvermögen
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hung des Reisepasses und die e n t s p r e c h e n d e A u f f o r d e r u n g an das F i n a n z a m t z u r Sicherung der „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " . D e r a r t i g e V e r d a c h t s m o m e n t e oder Verfahren meldete die Devisenstelle aber auch der Z o l l f a h n d u n g , dem G a u w i r t s c h a f t s b e r a ter der Partei, den P o l i z e i d i r e k t i o n e n und der B a y e r i s c h e n Politischen Polizei, die daraufhin weitere Schritte einleitete und S c h u t z h a f t a n o r d n e n k o n n t e , wie im Falle des jüdischen A r z t e s Dr. F., der unter dem Verdacht des „ D e v i s e n b e t r u g e s " s t a n d . 8 5 Verhaftungen wegen D e v i s e n v e r f e h l u n g e n j ü d i s c h e r B e t r o f f e n e r nahm die Z o l l f a h n d u n g auch selbst vor, u m die Verdächtigen danach an die B a y e r i s c h e Politische Polizei zu ü b e r s t e l l e n . 8 6 Bereits im S p ä t s o m m e r 1933 verhafteten B e amte der Z o l l f a h n d u n g M ü n c h e n beispielsweise den jüdischen Textilhändler E l kan F., der dann, nach einer A n h ö r u n g durch den Ermittlungsrichter, zu einer mehrjährige H a f t s t r a f e verurteilt w u r d e . 8 7 D i e B e d e u t u n g engmaschiger zentraler und regionaler
Uberwachungsnetze
veranschaulicht auch die fiskalische Verfolgungspraxis in N ü r n b e r g . D i e dortige Devisenstelle war, wie in M ü n c h e n , M i t t e l p u n k t eines lokalen Sicherheitssystems zur V e r h i n d e r u n g von „ K a p i t a l f l u c h t " , w o b e i die meisten I n f o r m a t i o n s w e g e direkt zur Devisenstelle liefen, die diese dann weiterleiten k o n n t e . 8 8 D e r Verteiler der E r m i t t l u n g s b e r i c h t e der B u c h - und B e t r i e b s p r ü f u n g umfasste alle relevanten E r m i t t l u n g s b e h ö r d e n : die R e i c h s b a n k , das F i n a n z a m t , die Staatsanwaltschaft und P o l i z e i b e h ö r d e n , den Reichswirtschaftsminister, die Zollfahndungsstelle und einen eigenen U m l a u f für den i n n e r b e h ö r d l i c h e n D i e n s t v e r k e h r . 8 9 A u c h die e r h e b liche Z u n a h m e von Devisenfällen nach 1933 ist in N ü r n b e r g zu b e o b a c h t e n . G e nau wie in der Landeshauptstadt beklagte sich die mit sechs Planstellen allerdings wesentlich bescheidener ausgestattete Zollfahndungsstelle N ü r n b e r g im J a h r 1934 ü b e r die m o n a t l i c h e Z u n a h m e von Devisenstrafsachen und den dadurch entstandenen v e r m e h r t e n A r b e i t s a u f w a n d . 9 0 Z u r I n f o r m a t i o n s b e s c h a f f u n g bedienten sich die
fiskalischen
Stellen auch hier
der Ü b e r w a c h u n g des B r i e f v e r k e h r s mit dem A u s l a n d , um etwaige Devisenvergehen aufdecken zu k ö n n e n . 9 1 B e s o n d e r s häufig - und hier spiegelt sich die B e d e u tung der allgemeinen antisemitischen Stimmungslage einer R e g i o n auch für den Fiskalbereich wider - waren Verdächtigungen der Parteiortsgruppen, die die D e -
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A k t e n v o r m e r k u n g der P o l i z e i d i r e k t i o n M ü n c h e n v o m 1 7 . 9 . 1935; S t A M / P o l i z e i d i r e k tion/12276. V e r h a f t u n g des j ü d i s c h e n M ü n c h n e r F r a u e n a r z t e s und U n i v e r s i t ä t s p r o f e s s o r s Dr. E r w i n Z. w e g e n D e v i s e n v e r g e h e n ; U r t e i l des L G M ü n c h e n von 1936 und A k t e n v o r m e r k u n g der B a y e r i s c h e n P o l i t i s c h e n Polizei v o m 18. 1. 1936; S t A M / S t a a t s a n w a l t s c h a f t e n / 8 2 6 1 . S c h r e i b e n der P o l i z e i d i r e k t i o n an die Z o l l f a h n d u n g u n d den E r m i t t l u n g s r i c h t e r v o m 16. 8. 1933; S t A M / P o l i z e i d i r e k t i o n / 1 2 3 8 5 . S o k a m e n relevante H i n w e i s e v o n B a n k i n s t i t u t e n , etwa d e r R e i c h s b a n k o d e r der A n m e l destelle f ü r A u s l a n d s s c h u l d e n ; Ü b e r w a c h u n g der H o p f e n h a n d l u n g M . - D . ; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/10454. Verteilung der P r ü f u n g s b e r i c h t e der A b t e i l u n g Β der D e v i s e n s t e l l e N ü r n b e r g v o m 27. 3. 1935; S t A N / O F D N ü r n b e r g / D e v i s e n s t e l l e / m 2 . S c h r e i b e n des P r ä s i d e n t e n des L F A N ü r n b e r g an den R d F v o m 6. 10. 1934; Β A B / R 2 / 5960. S c h r e i b e n der D e v i s e n s t e l l e v o m 2 5 . 10. 1933 bei der Ü b e r w a c h u n g der jüdischen H o p fenfirma Moritz R.; S t A N / O F D N ü r n b e r g ( B u n d ) / 1 0 7 1 7 .
144
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
visensteilen z u m Einschreiten gegen die der Kapitalflucht verdächtigen J u d e n veranlassen wollten. Bei derartigen Anzeigen zeigte sich die ö k o n o m i s c h e Seite des Antisemitismus besonders deutlich. In einem Schreiben an die Devisenstelle meinte etwa die N S - H a g o , einen jüdischen Textilhändler beim Kapitalschmuggel ertappt zu haben: „ D e r J u d e R . erklärt", so die N S - H a n d e l s - und H a n d w e r k s organisation, „dass er keine E i n k o m m e n s s t e u e r zu bezahlen braucht, dabei macht dieses Schwein im Winter Reisen nach A r o s a (Schweiz) und im S o m m e r nach Italien. D e r J u d e U . sagt wiederholt, dass er keine Bürgersteuer zu bezahlen braucht, da auch er kein E i n k o m m e n hätte. Wie er seine jährlichen Reisen ins Ausland z . B . an das Adriatische M e e r bezahlt, ist uns nach diesem klassischen Ausspruch schleierhaft." 9 2 D i e R e a k t i o n e n der Devisenstelle N ü r n b e r g auf derartige Denunziationen blieb allerdings zwiespältig. D i e zahlreichen Hinweise radikal antisemitisch agierender Akteure führten zwar unmittelbar zur Einleitung eines U b e r w a c h u n g s v e r fahrens, auf die Ermittlungsarbeit selbst hatten sie aber nur sehr begrenzten E i n fluss. Dies galt insbesondere für die Fälle, in denen zwar Anzeigen der N S D A P vorlagen, die Devisenstelle aber keine G r ü n d e für die Erhärtung der Verdachtsm o m e n t e finden k o n n t e . 9 3 D i e Betrachtungsweise der Emigration als M ö g l i c h k e i t der Einnahmesteigerung war hier offensichtlich eng mit dem Ziel verknüpft, die jüdische Auswanderung nicht zu gefährden. Hinsichtlich der jüdischen B e v ö l k e rung wurde auch nicht pauschal der Verdacht der „Vermögensverschiebung" erhoben. A u c h wenn ideologisch unverdächtige Bankinstitute, etwa die R e i c h s b a n k oder die Anmeldestelle für Auslandsschulden, den Devisenstellen H i n w e i s e gaben, zogen diese nicht automatisch entsprechende M a ß n a h m e n nach sich. D i e Verfahrensweise blieb in weiten Teilen an konkreten Tatbeständen orientiert. 9 4 Innerhalb der rechtlichen Möglichkeiten genehmigte die Devisenstelle N ü r n b e r g jüdischen Emigranten daher auch den Transfer von Vermögenswerten. E n t s p r e chende Zahlen liegen für den Zeitraum v o m 1. Januar 1935 bis zum 31. Januar 1936 vor. I m Januar 1935 transferierten 17 Familien aus N ü r n b e r g insgesamt 365 2 7 0 Reichsmark, also etwa 2 1 5 0 0 R e i c h s m a r k pro auswandernder Familie. N a c h der starken Z u n a h m e der Auswanderung nach der Verabschiedung der „ N ü r n b e r g e r G e s e t z e " wuchs der Betrag auf 1 025 776 R e i c h s m a r k bei 48 F a m i lien an. Eine jüdische Familie transferierte in diesem M o n a t also - ähnlich wie ein J a h r zuvor - etwa 25 000 Reichsmark. D i e vorliegende Statistik verrät nichts über die A b g a b e n , die die jüdischen Emigranten zu bezahlen hatten, auch führte die Devisenstelle die genaue Anzahl
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Schreiben der N S - H a g o an die Devisenstelle vom 6. 9. 1935; StAN/Finanzamt NürnbergOst/5220/5232; mit ähnlichem Wortlaut: Schreiben der N S D A P Gau Franken vom 15. 6. 1935; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/9645; Schreiben an das L F A Nürnberg vom 24. 8. 1935; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/10548. Bericht der Devisenstelle vom 11.8. 1934; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/10548; Bericht der Devisenstelle vom 5. 8. 1935; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/9645. Überprüfung der Hopfenhandlung Η. B. am 7. 2. 1936; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/ 9587; Überprüfung der Hopfenhandlung S. Sch. am 13. 4. 1934; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/10851; Buchprüfung vom 29. 8. 1934; StAN/Finanzamt N ü r n b e r g - 0 s t / 7 0 7 3 .
I. Überwachung
und Entziehung
145
von Emigrantenvermögen
Statistische Übersicht über die Auswanderung in der Zeit vom 1. Januar 1935 bis zum 31. Januar 1936 im Bezirk des Landesfinanzamts Nürnberg 1935
Bardevisen
Verrechnungskonten
Waren- und
Gesamt-
Wertpapiere
summe
Familien
Januar
38070
150500
Februar
49350
52 0 0 0
März
61470
108000
64000
233470
7
April
24000
30500
19800
74 3 0 0
6
Mai
18000
20050
2000
Juni
6000
39000
Juli
14 7 0 0
66000
August
27200
9100
18990
55290
9
September
51600
250181
29300
331081
12
176700
365 270
17
101350
6
40050
6
45000
4
80 7 0 0
6
Oktober
264 500
169200
40123
473823
27
November
232915
755481
7300
995696
45
Dezember
262 800
687 076
75 9 0 0
1 025 776
48
175000
348603
42632
566235
33
1225605
2685691
476745
4388041
226
1936 Januar Insgesamt
der F a m i l i e n a n g e h ö r i g e n nicht auf. E s ist zu b e d e n k e n , dass allein die A b g a b e n an die D e u t s c h e G o l d d i s k o n t b a n k für den Transfer von Devisen bereits 6 0 P r o z e n t betrugen. Z u d e m w u r d e die „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " auf der Basis der S u m m e vor A b z u g der A b g a b e n berechnet. D a r u m stellten die o b e n angeführten tatsächlich transferierten S u m m e n also nur einen kleinen Teil des ursprünglichen V e r m ö g e n s der E m i g r a n t e n dar. D i e Zahlen zeigen aber, dass das Verhältnis zwischen der A n zahl der auswandernden Familien und der transferierten Werte weitgehend k o n stant blieb. H i n w e i s e n auf „ K a p i t a l s c h m u g g e l " ging die Dienststelle aber in jedem Fall gewissenhaft nach. Schloss sie von einem anfänglichen Verdacht auf ein tatsächlich vorliegendes Vergehen o d e r waren J u d e n bereits ausgewandert, wandte sie in ihrer internen Verfahrensweise gegenüber E m i g r a n t e n die ganze H ä r t e der F i s k a l p o l i tik an: Sie gewährte bereits ausgewanderten J u d e n nur die A b h e b u n g der B e t r ä g e von den A u s w a n d e r e r s p e r r m a r k k o n t e n , die nach M e i n u n g der Dienststelle z u m b l o ß e n U b e r l e b e n benötigt w u r d e n . Weitere V e r m ö g e n s w e r t e blieben gesperrt. Offensichtlich
beanspruchte sie nicht nur die K o n t r o l l e ü b e r
entsprechende
Werte, sondern ging bereits von der späteren E i n z i e h u n g zugunsten des R e i c h e s aus. D e u t l i c h wird diese Verfahrensweise gegenüber L u d w i g N . , einem jüdischen H o p f e n h ä n d l e r , der 1934 in die S c h w e i z ausgewandert war. Von der S c h w e i z aus k o n n t e er weiterhin geschäftliche Verbindungen mit Brüssel pflegen und w a r da-
93
D i e Statistik b e r ü c k s i c h t i g t z w a r alle A u s w a n d e r e r , es handelte sich aber nach A n g a b e n der D e v i s e n s t e l l e um weit ü b e r 9 0 % jüdische E m i g r a n t e n ; Statistik enthalten in B A B / R 2/ 5978.
146
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
rüber hinaus in der Lage, auf erhebliche Reichsmarkbeträge eines Schweizer K o n tos zurückzugreifen. Dies veranlasste die Devisenstelle N ü r n b e r g zu der Sperrung seiner Vermögenswerte im R e i c h , da er diese zur Bestreitung seines L e b e n s u n t e r haltes nicht b e n ö t i g e . 9 6 Sicherung und Entziehung der „Reichsfluchtsteuer" in M ü n c h e n , N ü r n b e r g und U n t e r f r a n k e n E i n weiteres wirksames Mittel, u m präventiv gegen vermeintliche Kapitalflucht vorgehen zu k ö n n e n , war die E n t z i e h u n g der Reisepässe. A m 1. April 1933 hatte die Reichsregierung einen sogenannten Ausreisesichtvermerk eingeführt. Bei Verdacht von Devisenverstößen oder „staatsfeindlichen" Betätigungen im Ausland k o n n t e der Sichtvermerk verweigert werden. 9 7 D i e weitgehenden Bestimmungen des Ausreisesichtvermerks machte die Regierung zwar im D e z e m b e r 1933 wieder rückgängig, der Finanzminister verwies danach jedoch auf die Möglichkeiten der Vorschriften der Passbekanntmachung v o m 7. J u n i 1932. H i e r n a c h k o n n t e der Pass in den Fällen versagt oder entzogen werden, in denen eine Steuerhinterziehung vermutet wurde. 9 8 Z u r Prävention des „Kapitalschmuggels" diente die K o o p e r a t i o n mit anderen Institutionen. D i e Passbehörden waren angehalten, die Finanzämter bei der Erstellung oder Verlängerung der Reisepässe zu hören, u m gegebenenfalls eine unerwünschte Ausreise verhindern zu können. D a r ü b e r hinaus sollten die zuständigen B e h ö r d e n die Listen der Personen, die vor 1933 den Sichtvermerk nicht erhalten hatten, systematisch überprüfen und im Falle fortbestehender Verdachtsmomente bei der Passbehörde einen Antrag auf E n t z i e hung des Reisepasses stellen. 9 9 Bei schweren Zuwiderhandlungen gegen die D e visengesetze k o n n t e das Vermögen eingezogen werden und verfiel dann dem Reich.100 Aufbauend auf die reichsweiten Regelungen für die Ausstellung von Reisepässen bei Emigranten gab der Präsident des Landesfinanzamts M ü n c h e n im M ä r z 1934 Anweisungen für die Versagung des Reisepasses bei Devisenvergehen mit weitreichenden Auswirkungen. D e r Generalverdacht, unter den das Landesfinanzamt M ü n c h e n die Emigranten stellte, äußerte sich in den einzelnen B e s t i m -
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97
98
99
100
Schreiben eines O s t l an die Abteilung Β der Devisenstelle Nürnberg vom 2 6 . 2 . 1935; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/11054. „Bekanntmachung über die vorübergehende Wiedereinführung des Ausreisesichtvermerks" vom 1.4. 1933; R G B l . I (1933), S. 160; Mußgnug, Reichsfluchtsteuer, S. 36f.; Rundschreiben des R d F an die Präsidenten der Landesfinanzämter vom 18. 12. 1933; StAM/Finanzamt/19864. „Bekanntmachung zur Ausführung der Passverordnung" (Passbekanntmachung) vom 7. 6. 1932; R G B l . I (1932), S. 257. Ab Dezember 1934 konnte darüber hinaus die Devisenbewirtschaftungsstelle die Inanspruchnahme einer Freigrenze für die Ausfuhr von Devisen von einer Eintragung in den Reisepass abhängig machen; Rundschreiben des R d F an die Präsidenten der Landesfinanzämter vom 18. 12. 1933; StAM/Finanzamt/19864. § § 4 und 6 der „Zehnten Durchführungsverordnung zur Verordnung über die Devisenbewirtschaftung" vom 22. 12. 1934; R G B l . I (1934), S. 1290; Rundschreiben der Reichsstelle für die Devisenbewirtschaftung an die Devisenstellen vom 22. 12. 1934; B A B / R 2/ 14067.
I. Überwachung
und Entziehung
von Emigrantenvermögen
147
m u n g e n : D e m n a c h sollten Reisepässe in allen Fällen eingezogen o d e r ihre G e l tung auf das Inland b e s c h r ä n k t w e r d e n , in denen ein Strafverfahren mit Verdacht auf S t e u e r h i n t e r z i e h u n g s c h w e b t e , erhebliche, nicht gesicherte S t e u e r r ü c k s t ä n d e v o r h a n d e n waren, erhebliches A u s l a n d s v e r m ö g e n existierte und auf nur geringfügige W e r t e im Inland zurückgegriffen werden k o n n t e . Ebenfalls o h n e A u s r e i s e d o k u m e n t e stand derjenige da, dessen W a r e n b e s t ä n d e o d e r E i n r i c h t u n g s g e g e n s t ä n d e versteigert w u r d e n . D i e H a u p t z o l l ä m t e r forderte der Präsident des L a n d e s f i n a n z amts auf, jeden U m z u g ins Ausland den F i n a n z ä m t e r n zu melden, die dann wied e r u m e n t s p r e c h e n d e S i c h e r h e i t s m a ß n a h m e n einleiten k o n n t e n . D i e
Beamten
sollten gleichzeitig prüfen, o b ein Teil des U m z u g s g u t e s v o r der Verladung als Sicherheit für eine eventuell anfallende „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " dienen k o n n t e . 1 0 1 Den
fiskalpolitischen
Zielsetzungen des R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r i u m s entsprechend,
schlugen die A n w e i s u n g e n auch deutlich antisemitische T ö n e an. D e n n Steuerpflichtige, deren A u s w a n d e r u n g vermutet werden k o n n t e - und hierunter
fielen
nach Auffassung des L a n d e s f i n a n z a m t s M ü n c h e n ausschließlich jüdische Steuerpflichtige
mussten d e m W o h n f i n a n z a m t u m g e h e n d mitteilen, w e n n ihr V e r m ö -
gen u m m e h r als 1 0 0 0 0 R e i c h s m a r k a b g e n o m m e n h a t t e . 1 0 2 G e m ä ß den B e s t i m m u n g e n des Staatssekretärs im R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r i u m R e i n h a r d t sollte die E r mäßigung der Steuer u m 2 5 P r o z e n t z u d e m nicht zur M i n d e r u n g der H ä r t e für den Steuerpflichtigen gewährt w e r d e n , sondern nur, um ü b e r h a u p t Leistungen im R a h m e n der „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " sicherstellen zu k ö n n e n . 1 0 3 Bei mittleren und g r ö ß e r e n B e t r i e b e n sollte schließlich prinzipiell v o r der E m i g r a t i o n eine B u c h p r ü fung v o r g e n o m m e n werden. G l e i c h e s galt für A n g e h ö r i g e der Freien B e r u f e . 1 0 4 D e n Weisungen gemäß beantragten die F i n a n z ä m t e r in den J a h r e n 1934 und 1935 generell die E i n z i e h u n g des Reisepasses von J u d e n und deren B e s c h r ä n k u n g auf das Inland aus steuerlichen G r ü n d e n , w e n n die B e t r o f f e n e n e n t s p r e c h e n d e U n b e d e n k l i c h k e i t s b e s c h e i n i g u n g e n nicht vorlegen k o n n t e n . A n f a n g 1935 traf den jüdischen A r z t P r o f . Dr. E r i c h B e n j a m i n eine derartige P r ä v e n t i v m a ß n a h m e . In seinem Fall vertrat die Z o l l f a h n d u n g M ü n c h e n die A n s i c h t , er veräußere eines seiner G r u n d s t ü c k e , u m einen „illegalen" V e r m ö g e n s t r a n s f e r v o r z u b e r e i t e n . Tatsächlich hatte der A r z t die I m m o b i l i e veräußert, u m sein zwischenzeitlich geschlossenes K i n d e r s a n a t o r i u m wiedereröffnen zu k ö n n e n . 1 0 5
,C1
R u n d s c h r e i b e n des P r ä s i d e n t e n des L F A M ü n c h e n an die F i n a n z ä m t e r , die D e v i s e n s t e l len und Z o l l f a h n d u n g s s t c l l e n v o m 9. 3. 1934; S t A M / O F D / 1 9 8 6 4 .
R u n d s c h r e i b e n des L F A M ü n c h e n an die F i n a n z ä m t e r des B e z i r k s v o m 6. 3. 1934; S t A M / Finanzamt/12937. i " Ebd. 1 = 4 R u n d s c h r e i b e n des P r ä s i d e n t e n des L F A M ü n c h e n an die F i n a n z ä m t e r v o m 8. 5. 1934; StAM/Finanzamt/19843. 1=2
103
G r u n d s t ü c k s v e r k a u f dos K i n d c r p s v c h o l o g e n P r o f . E r i c h B e n j a m i n 1935 v o r einer geplanten Auslandsreise. D i e Z o l l f a h n d u n g M ü n c h e n f o r d e r t e die E i n z i e h u n g des R e i s e passes und sandte einen F u n k s p r u c h an alle Z o l l f a h n d u n g s s t e l l e n im R e i c h ; H i n w e i s der Z o l l f a h n d u n g s s t e l l e M ü n c h e n an die P o l i z e i d i r e k t i o n v o m 9. 2. 1935; S t A M / P o l i z e i d i r e k t i o n / 1 1 5 5 9 . Pässe wurden auch w e g e n S t e u e r r ü c k s t ä n d e n e i n g e z o g e n ; S c h r e i b e n der V o l l s t r e c k u n g s s t e l l e des F i n a n z a m t s M ü n c h e n - S ü d an die P o l i z e i d i r e k t i o n M ü n c h e n v o m 30. 12. 1933; S t A M / P o l i z e i d i r e k t i o n / 1 2 3 9 8 .
148
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
Auch bei geplanten Auslandsreisen und dementsprechenden Anträgen auf Devisenausgabe zogen die Finanzämter die Pässe von Juden ein und gaben sie erst nach eingehender Prüfung der steuerlich relevanten Vermögensverhältnisse wieder frei. U m dem „Kapitalschmuggel" vorzubeugen, beschränkten sie zudem die Genehmigung von Auslandsreisen auf nur ein Familienmitglied. Ein weiteres Beispiel sei genannt: Die Frau des jüdischen Arztes Dr. T. Josephine hatte bei der Passstelle der Polizeidirektion im Dezember 1935 um eine Reisegenehmigung nach Osterreich nachgesucht. Als Finanzamt und Polizei daraufhin feststellten, dass ihr Ehemann noch über einen unbefristet gültigen Reisepass verfügte, zogen sie diesen umgehend ein und verweigerten ihm trotz mehrmaligen Nachsuchens jede Reise ins Ausland. Als Begründung führten die Beamten im behördeninternen Schriftwechsel an, er wolle „abkassieren und sein Vermögen nach Italien verschieben". Die Zollfahndungsstelle nahm ihre Ermittlungen wegen „heimlicher Wohnsitzverlegung" ins Ausland auf. Die Ausstellung eines Reisepasses blieb dem Ehepaar bis zur Emigration verwehrt. 1 0 6 Im Zuge der „Präventivmaßnahmen" zur Sicherung jüdischen Vermögens erstellten die Münchner Finanzämter, wohl aufgrund einer entsprechenden zentralen Anweisung, darüber hinaus ein Verzeichnis aller „Nichtarier", die über ein Vermögen von über 50000 oder über ein Einkommen von mehr als 10000 Reichsmark jährlich verfügten. 1 0 7 Mit Hilfe derartiger Listen konnten dann Reisepässe eingezogen und bis zur Sicherung rückständiger Steuern einbehalten werden. 1 0 8 Die „sachdienlichsten" Hinweise auf Auswanderungsabsichten erhielt die Finanzverwaltung durch die Passämter der Bezirkspolizeibehörden. 1 0 9 Vor der Ausstellung eines Reisepasses informierten sich die Polizeistationen der Polizeidirektion München bei den Finanzämtern über Steuerrückstände. Diese beantragten bei allen „Reichsfluchtsteuer"-Pflichtigen und als „politisch unzuverlässig" geltenden Personen die Einziehung des Reisepasses. 1 1 0 A m 31. Dezember 1935 informierte dann das bayerische Innenministerium über grundsätzliche Beden106
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110
Schreiben der Polizeidirektion vom 19. 12. 1935 und Schreiben Dr. T.s an die Polizeidirektion vom 28. 5. 1936; StAM/Polizeidirektion/15169; Schreiben der Gestapo an das Polizeipräsidium vom 1. 2. 1937; Vorbemerkung der Polizeidirektion vom 28. 7. 1937; ebd. Schreiben des Finanzamts München-West an die Polizeidirektion vom 18. 11. 1935; StAM/Polizeidirektion/13331 und 12413. Bereits 1934 hatte der preußische Ministerpräsident die Staatspolizeistellen aufgefordert, Listen aller Emigranten zu erstellen, wobei die Finanzämter die Polizei dabei mit Informationen unterstützen sollten; Schreiben des Präsidenten des LFA Berlin an die Abteilung III beim RdF vom 27. 2. 1936; Β AB/R 2/ 5978. U m eine entsprechende Anweisung könnte es sich auch in diesen Fällen gehandelt haben. Einziehung des Reisepasses von Max C. am 18. 11. 1935; Schreibendes Finanzamts München-Süd an die Polizeidirektion vom 16. 12. 1935; StAM/Polizeidirektion/11878; und von Max Julius G. am 18. 11. 1935; Schreiben des Finanzamts München-West an die Polizeidirektion vom 18. 11. 1935; StAM/Polizeidirektion/13331; sowie von Eugen F. am 20. 10. 1935; Einzelfall in StAM/Polizeidirektion/12556. Schreiben des Präsidenten des LFA Würzburg an den RdF vom 29. 2. 1936; BAB/R 2/ 5978. Schreiben des Präsidenten des LFA München an den RdF vom 27. 2. 1936; BAB/R 2/ 5987.
I. Überwachung
und Entziehung
von
149
Emigrantenvermögen
ken, die gegen die Erteilung von Auslandsreisepässen an J u d e n b e s t ü n d e n . 1 1 1 L e diglich für eine G e w ä h r l e i s t u n g des D e v i s e n v e r k e h r s und zur Verhinderung der B e e i n t r ä c h t i g u n g von E x p o r t g e s c h ä f t e n k o n n t e n jüdische G e w e r b e t r e i b e n d e eine B e s c h e i n i g u n g der Industrie- und H a n d e l s k a m m e r vorlegen, die die wirtschaftliche B e d e u t u n g einer Auslandsreise b e s t ä t i g t e . 1 1 2 H i n w e i s e auf m ö g l i c h e A u s w a n d e r u n g s a b s i c h t e n und die damit v e r b u n d e n e F o r d e r u n g nach E i n z i e h u n g des Reisepasses kamen aber auch von B ü r g e r n , die wegen vermeintlicher E m i g r a t i o n s a b s i c h t e n der Schuldner b e f ü r c h t e t e n , Z a h lungsrückstände nicht m e h r eintreiben zu k ö n n e n . Prägnantes Beispiel ist hier die Vorgehensweise
der
Inhaberin
einer
Kommissionsbuchhandlung,
die
durch
H ö r e n s a g e n die vermeintlichen A u s w a n d e r u n g s a b s i c h t e n des jüdischen A r z t e s Dr. G . in E r f a h r u n g gebracht und daraufhin im F e b r u a r 1934 die E i n z i e h u n g von dessen Reisepass gefordert hatte. Dr. G . hatte B ü c h e r auf R e c h n u n g gekauft und n o c h nicht b e z a h l t . 1 1 3 Tatsächlich z o g e n F i n a n z a m t und Polizei den Reisepass des A r z t e s ein und verpflichteten ihn zu einer Sicherheitsleistung wegen eventuell anfallender „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " . 1 1 4 N a c h der g r ö ß e r e n A u s w a n d e r u n g s w e l l e , die der Verabschiedung der „ N ü r n berger G e s e t z e " im H e r b s t 1935 folgte, verschärfte die B a y e r i s c h e Politische P o lizei im J a n u a r 1 9 3 6 die Richtlinien für die Ausstellung eines Reisepasses an J u d e n erneut, nach denen nicht nur die einwandfreie F ü h r u n g des Antragstellers, s o n dern auch dessen G e s c h ä f t s b e z i e h u n g e n ins Ausland und n e n n e n s w e r t e U m s ä t z e für den Erhalt des R e i s e d o k u m e n t s ausschlaggebend waren. A u f jeden Fall sollte die Devisenstelle eine P r ü f u n g der F i r m a v o r n e h m e n . D a n e b e n waren n o c h B e scheinigungen der Industrie- und H a n d e l s k a m m e r und des F i n a n z a m t s erforderlich. N a c h seiner R ü c k k e h r sollte der jüdische G e s c h ä f t s m a n n den E r f o l g seiner R e i s e nachweisen, den E i n - und A u s g a n g von Devisen hatte die Devisenstelle permanent zu ü b e r w a c h e n . 1 1 5 F a k t i s c h errichteten diese zahllosen G e n e h m i g u n g s v o r b e h a l t e und E i n s c h r ä n k u n g e n derartig h o h e H ü r d e n , dass es jüdischen G e schäftsleuten u n m ö g l i c h gemacht wurde, n o r m a l e B e z i e h u n g e n ins Ausland zu unterhalten. Wer nach den massiven E i n b u ß e n , die die jüdischen G e w e r b e t r e i b e n den im Inland bereits hatten h i n n e h m e n müssen, n o c h auf das Auslandsgeschäft gesetzt hatte, sah sich m e h r und m e h r auch dieser E x i s t e n z g r u n d l a g e beraubt. M i t diesen umfassenden K o n t r o l l m a ß n a h m e n war i m m e r auch eine im B e h ö r d e n j a r g o n sogenannte präventive Sicherung der Steuer verbunden. A u c h hierfür 111
S c h r e i b e n des b a y e r i s c h e n I n n e n m i n i s t e r i u m s an die b a y e r i s c h e Staatskanzlei v o m 2 1 . 12. 1935; B a v H S t A M / S t K / 6 2 3 2 . A u c h das R e i c h s i n n e n m i n i s t e r i u m hatte am 26. N o v e m b e r 1 9 3 5 die P o l i z e i p r ä s i d i e n darauf h i n g e w i e s e n , dass die R e i s e d o k u m e n t e von J u d e n wegen „ f o r t g e s e t z t e r V e r m ö g e n s v e r s c h i e b u n g e n " streng zu prüfen und ihr G e l t u n g s b e r e i c h ggf. auf das Inland zu b e s c h r ä n k e n seien; R u n d s c h r e i b e n des I n n e n m i n i s t e r s an die B e z i r k s ämter, die P o l i z e i p r ä s i d i e n und die P o l i z e i d i r e k t i o n e n v o m 26. 11. 1935; R G V A / S o A M o s k a u / F o n d 5 0 0 c / o p . 1/d. 290/1. 31.
112
B e s c h e i n i g u n g der I H K M ü n c h e n v o m 17. 12. 1935; S t A M / P o l i z e i d i r e k t i o n / 1 2 3 8 9 . S c h r e i b e n der B u c h h ä n d l e r i n an das P o l i z e i p r ä s i d i u m v o m 1 6 . 2 . 1934; S t A M / P o l i z e i direktion/13331.
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S c h r i f t w e c h s e l mit d e m I-'inanzamt M ü n c h e n - W e s t am 23. 1. 1936; S t A M / F i n a n z a m t / 17569. R u n d s c h r e i b e n der B a y e r i s c h e n P o l i t i s c h e n Polizei v o m 13. 1. 1936; S t A M / G e s t a p o / 5 9 .
150
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
hatte der Präsident des Landesfinanzamts M ü n c h e n am 24. Juli 1934 Richtlinien erlassen. Sie informierten die Steuerfahndungsbeamten über verschiedene M e t h o den sowohl des „illegalen" Vermögenstransfers jüdischer Emigranten als auch der Steuerhinterziehung der jüdischen Bürger. D i e K o n s e q u e n z e n , die daraus für die B e a m t e n des Fahndungsdienstes erwachsen sollten, waren durch die ideologischen Vorgaben vor allem Staatssekretär Reinhardts geprägt. D e r B e a m t e habe im nationalsozialistischen Staat, so die Richtlinien, den K a m p f gegen die „Steuerlüge" besonders aufzunehmen und darüber hinaus an der „Schaffung einer neuen Steuermoral" mitzuwirken. Diese Steuermoral sollte die vitale Bedeutung des F i s kus für die L e b e n s f u n k t i o n e n der „Volksganzheit" verdeutlichen. D e m e n t s p r e chend hatte sich die Strafpraxis, insbesondere die Bemessung der Strafe und die Entscheidungen über Erlasse bei der Strafvollstreckung an der Schwere der Schuld, die ein Steuervergehen an Volk und Staat bedeutete, zu orientieren. 1 1 6 Tatsächlich erstellten die M ü n c h n e r F i n a n z ä m t e r bei allen Erwerbstätigen „ U n b e denklichkeitsbescheinigungen", die für eine Ausreise notwendig waren, nur gegen eine Hinterlegung von Sicherheiten für eine eventuell anfallende „Reichsfluchts t e u e r " . 1 1 7 D i e B e a m t e n vermuteten bei jeder Auslandsreise eines J u d e n , auch zu E r h o l u n g s z w e c k e n , die Vorbereitung einer Emigration und äußerten damit einhergehend den Verdacht eines „illegalen" Vermögenstransfers. 1 1 8 D i e Sicherungsm a ß n a h m e n führte zwar das zuständige F i n a n z a m t durch, Anregungen für entsprechende M a ß n a h m e n gingen aber häufig von den Fahndungsbeamten aus, die zu einem radikalen Vorgehen durch das Landesfinanzamt aufgefordert w o r d e n waren.119 D i e harten Ü b e r w a c h u n g s - und Sicherungsmaßnahmen verfehlten die beabsichtigte W i r k u n g nicht. Ein B e r i c h t des Finanzamts M ü n c h e n - N o r d von F e b r u a r 1936 stellte fest, dass in letzter Zeit keine „ N i c h t a r i e r " mehr ins Ausland geflüchtet seien und die Emigranten sich ordnungsgemäß die „ U n b e d e n k l i c h k e i t s b e scheinigungen" hätten ausstellen lassen. D e r Berichterstatter führte diesen U m stand unter anderem auf die flächendeckende präventive Einziehung der Reisepässe z u r ü c k . 1 2 0 Ähnlich argumentierte auch der Präsident des Landesfinanzamts M ü n c h e n gegenüber dem Reichsfinanzminister nur wenige Tage später. E r schloss eine „illegale" Auswanderung wegen der Zusammenarbeit der verschiedenen B e hörden im B e z i r k des Landesfinanzamts M ü n c h e n nahezu aus. D o r t vernetzten die verschiedenen F i n a n z - und Polizeibehörden ihre Aktivitäten bereits seit 1933 116 117
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Richtlinien des Präsidenten des LFA München vom 24. 7. 1934; StAM/Finanzamt/19864. Sicherung der „Reichsfluchtsteuer" bei dem jüdischen Viehhändler Adolf F.; Schreiben der Bayerischen Politischen Polizei an das Finanzamt vom 18. 8. 1936; StAM/Polizeidirektion/12398. Schreiben der Gestapo, Staatspolizeistelle München, an das Polizeipräsidium München vom 1.2. und 30. 11. 1937; StAM/Pol.Dir./15165. Schreiben des Leiters der Zollfahndung München an den Steuerfahndungsdienst des Finanzamts München-Nord vom 23. 10. 1935 und Sicherung des Vermögens durch einen R R am 23. 11. 1935; StAM/Finanzamt/18381. Die Hilfe der Zollfahndung wurde allerdings nur selten in Anspruch genommen. Besonders aktiv scheint der finanzamtseigene Steuerfahndungsdienst geworden zu sein; Schreiben des Finanzamts München-Nord an das L F A München vom 18. 2. 1936; B A B / R 2/5987. Bericht des Finanzamts München-Nord an das L F A München vom 18. 2. 1936; ebd.
I. Überwachung
und Entziehung
von Emigrantenvermögen
151
nicht nur in Passangelegenheiten. Z u r Verhinderung von Steuerflucht k o o p e r i e r ten die g r o ß e n F i n a n z ä m t e r mit den Polizeidienststellen, der Z o l l f a h n d u n g und den Devisenstellen v o r allem im H i n b l i c k auf den gegenseitigen I n f o r m a t i o n s a u s tausch schon b e i m b l o ß e n Verdacht einer A u s w a n d e r u n g . In den J a h r e n 1934 und 1935 verdichteten sich die K o o p e r a t i o n s m u s t e r , wie es der Präsident des L a n d e s finanzamts
M ü n c h e n bezeichnete, „zu einer engen F i i h l u n g s n a h m e unter den B e -
h ö r d e n " . 1 2 1 A u s g a n g s p u n k t hierfür w a r - den T e n d e n z e n in der G e s e t z g e b u n g e n t s p r e c h e n d - die in M ü n c h e n deutlich zutage tretende z u n e h m e n d e K r i m i n a l i sierung der Auswanderer. In zahlreichen S c h u l u n g e n und B r i e f w e c h s e l n wurde i m m e r wieder auf die „ k r i m i n e l l e n " M e t h o d e n der A u s w a n d e r e r a u f m e r k s a m gemacht. „Was diese L e u t c h e n nun nicht genehmigt e r h a l t e n " , so ein R e i c h s b a n k i n s p e k t o r in einem Vortrag ü b e r das D e v i s e n r e c h t im L a n d e s f i n a n z a m t M ü n c h e n , „versucht man oft auf den k r ü m m s t e n Wegen h e r a u s z u b e k o m m e n . " D a h e r sei eine e n t s p r e c h e n d e Ü b e r w a c h u n g dringend erforderlich. D i e s e solle sich vor allem in einer strengen und von Misstrauen geprägten U b e r p r ü f u n g sämtlicher Bücher, des U m z u g s g u t e s etc. n i e d e r s c h l a g e n . 1 2 2 D a b e i blieben die M a ß n a h m e n der R e i c h s f i n a n z v e r w a l t u n g offensichtlich weiterhin primär d e m Ziel des m o n e t ä ren E r f o l g e s u n t e r g e o r d n e t . J u d e n , bei denen aufgrund der V e r m ö g e n s v e r h ä l t nisse lediglich geringes steuerliches Interesse bestand, gerieten nicht ins F a d e n k r e u z des Fiskus und wurden durch die Institutionen der R e i c h s f i n a n z v e r w a l t u n g weitgehend i g n o r i e r t . 1 2 3 I m G e g e n s a t z zu dem willkürlichen Vorgehen der Partei und den G e s e t z e s übertretungen der B a y e r i s c h e n Politischen Polizei blieb das b ü r o k r a t i s c h e Verfahren der M ü n c h n e r F i n a n z v e r w a l t u n g z u d e m weiterhin an die - allerdings diskriminierenden - G e s e t z e gebunden. A u f g r u n d k o n k u r r i e r e n d e r N o r m e n stellte sich die Fiskalpolitik in Teilbereichen daher auch uneinheitlich dar. A n s c h a u l i c h e s Beispiel sind die D i s k u s s i o n e n u m die W a h r u n g des Steuergeheimnisses, die dem B e h a r r e n der B e a m t e n auf f o r m a l e R e c h t m ä ß i g k e i t entsprangen. U n g e a c h t e t der ansonsten reibungslosen Z u s a m m e n a r b e i t mit der B a y e r i s c h e n Politischen Polizei und den u m f a n g r e i c h e n M ö g l i c h k e i t e n des I n f o r m a t i o n s a u s t a u s c h e s mit anderen I n s t i t u t i o n e n wies der Präsident des L a n d e s f i n a n z a m t s M ü n c h e n im M ä r z 1934 auf die prinzipielle G e l t u n g des Steuergeheimnisses h i n . 1 2 4 O b g l e i c h ein solcher H i n w e i s angesichts der tatsächlichen Politik gegenüber der jüdischen B e v ö l k e rung und des regen gesetzlich legitimierten I n f o r m a t i o n s a u s t a u s c h e s de f a c t o w i r kungslos g e w o r d e n war, b e s c h w e r t e sich die B a y e r i s c h e Politische Polizei noch im Juli 1936 ü b e r die ablehnende H a l t u n g der Finanzämter, die bei b e s t i m m t e n Tatbeständen mit B e r u f u n g auf das Steuergeheimnis die E r t e i l u n g von A u s k ü n f ten beziehungsweise die H e r a u s g a b e von A k t e n verweigern würden. Im gleichen
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'-4
S c h r e i b e n des P r ä s i d e n t e n des L F A M ü n c h e n an den R d F v o m 27. 2. 1936; ebd. V o r t r a g ü b e r „ D i e w i c h t i g s t e n B e s t i m m u n g e n des D e v i s e n r e c h t s u n t e r b e s o n d e r e r B e r ü c k s i c h t i g u n g der letzten Ä n d e r u n g e n " von e i n e m R e i c h s b a n k i n s p e k t o r , o. D . ; S t A M / OFD/364. B e r i c h t e r s t a t t u n g des Präsidenten des L F A M ü n c h e n an den R d F v o m 27. 2. 1936; B A B / R 2/5987. R u n d s c h r e i b e n des P r ä s i d e n t e n des L F A M ü n c h e n an die F i n a n z ä m t e r , D e v i s e n s t e l l e n und Z o l l f a h n d u n g s s t e l l e n v o m 9. 3. 1934; S t A M / F i n a n z a m t / 1 9 8 6 4 .
152
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
Jahr wies der Finanzminister die Landesfinanzämter jedoch an, der Staatspolizei Einzelfallakten zur Verfügung zu stellen. 1 2 5 Dass sich die grundsätzliche Kriminalisierung der Emigranten durch die Finanzverwaltung mit einer antisemitischen Stoßrichtung verband, verdeutlicht der Vergleich mit Nürnberg. Gleichzeitig zeigt sich die durch die Einbindung in das regionale Herrschaftsgeflecht bedingte regionale Prägung des fiskalischen Verfolgungsprozesses. Denn angesichts der Agitation Julius Streichers setzte hier die Emigration der jüdischen Bevölkerung vergleichsweise früh ein. U m der damit zusammenhängenden Gefahr der „Vermögensverschiebung" von „Nichtariern" Einhalt gebieten zu können, trafen die zuständigen Abteilungen des Landesfinanzamts, die Zollfahndung, die Polizeidirektion, die Industrie- und Handelskammer, die Finanzämter und auch die Devisenstellen bereits im September 1933 eine umfassende Kooperationsvereinbarung mit dem Ziel, auf die lokalen Besonderheiten der Auswanderung reagieren zu können. Sie gewährleistete vor allem einen ungehemmten Informationsflusses zwischen der Finanzverwaltung und den außerfiskalischen Institutionen. Damit war man gerade im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der Bayerischen Politischen Polizei reichsweiten Regelungen über zwei Jahre voraus. 1 2 6 Die deutlichste Ausprägung dieser Zusammenarbeit war auch in Nürnberg die Kontrolle und Einziehung der Reisepässe. Bei dem Sichtreisevermerk und ab 1934 bei den „Unbedenklichkeitsbescheinigungen", die für die Ausstellung der notwendigen Papiere erforderlich waren, setzte der Überwachungs- und Prüfungsprozess ein. Das Wohnfinanzamt teilte Auswanderungsabsichten umgehend den Zollfahndungs- und Devisenstellen mit, die daraufhin ihre Ermittlungen einleiteten. Die Pässe wurden ohne entsprechenden Antrag der Emigranten auf Erteilung einer „Unbedenklichkeitsbescheinigung" beim Verdacht der „Vermögensverschiebung" eingezogen. 1 2 7 Bereits die Entziehung des Reisepasses oder der Verdacht einer bevorstehenden Auswanderung reichte aus, dass die Finanzämter Sicherheiten für die eventuell fällige „Reichsfluchtsteuer" verlangten. 128 Neben den Hinweisen anderer Institutionen brachten „verdächtige" Geschäfte wie zum Beispiel getätigte oder bevorstehende Immobilienveräußerungen oder der Ankauf größerer Mengen an Edelmetallen oder Edelsteinen, die sich besonders gut für den Transfer ins Ausland eigneten, die Maschinerie der Finanzbehörden ins Rollen. 1 2 9 Durch die konsequente Entziehung der Papiere entstand bereits im Som125
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Rundschreiben der Bayerischen Politischen Polizei an die Polizeidirektionen vom 1 1 . 7 . 1936; StAW/LRA Hammelburg/4244. Schreiben des Präsidenten des L F A Nürnberg an die Finanzämter vom 11. 12. 1935; B A B / R 2/5978. Schreiben des Finanzamts N ü r n b e r g - O s t an die Zollfahndungsstelle vom 18. 10. 1933; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/9560; Feststellung der Devisenstelle vom 12. 12. 1936; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/10671. Sicherung bei der Textilhändlerin Emma K.; Feststellung der Devisenstelle vom 25. 10. 1935; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/10250. Schreiben des Finanzamts N ü r n b e r g - N o r d an eine jüdische Textilfirma vom 3. 4. 1936; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/10452; Erhebungen des Finanzamts N ü r n b e r g - O s t bezüglich der Vermögensteuer des jüdischen Arztes Dr. Moritz R.; StAN/Finanzamt Nürnberg-0st/7608.
I. Überwachung
und Entziehung
von
Emigrantenvermögen
153
m e r 1933 ein regelrechter S c h w a r z m a r k t für Reisepässe mit S i c h t v e r m e r k e n , den die B a y e r i s c h e Politische Polizei v e h e m e n t b e k ä m p f t e . 1 3 0 F ü r die Sicherung im R a h m e n der „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " reichten den F i n a n z b e amten bereits vage und an den H a a r e n h e r b e i g e z o g e n e V e r d a c h t s m o m e n t e aus, u m mit eindeutig antisemitischer S t o ß r i c h t u n g V e r m ö g e n s w e r t e von E m i g r a n t e n u n t e r die K o n t r o l l e der F i n a n z v e r w a l t u n g zu bringen. E i n e B u c h p r ü f u n g des F i nanzamts N ü r n b e r g N o r d von 1936 kam zu d e m E r g e b n i s : „ D a s S y s t e m , nur weibliche Angestellte auf Verantwortungsstellen zu verwenden, die gefühlsmäßig dazu neigen, wenig zu k o m b i n i e r e n oder zu vermuten, die Spannung, die unter diesen Angestellten in dem U n t e r n e h m e n v o r h a n d e n ist und sich darin äußert, dass gegenseitig nur geringes Vertrauen herrscht, die h o h e n G e h ä l t e r an weibliche jüngere leitende Angestellte, erscheinen verdächtig." E s erfolgten die Sicherung der „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " , die persönliche Ü b e r w a c h u n g des F i r m e n i n h a b e r s , die Überwachung
seiner K o n t o f ü h r u n g
und seines
„allgemeinen
Geschäftsgeba-
rens".131 W i e w e i t die neuen „rassischen" N o r m e n bereits 1934 E i n g a n g in die regionalen A d m i n i s t r a t i o n e n gefunden hatten, zeigt die I n t e r a k t i o n von F i n a n z v e r w a l t u n g und J u d i k a t i v e . In einem U r t e i l m a c h t e das S c h ö f f e n g e r i c h t in Z u s a m m e n h a n g mit einem v o m F i n a n z a m t N ü r n b e r g - O s t in diesem J a h r gegen einen jüdischen Textilhändler erlassenen S t e u e r s t e c k b r i e f deutlich, dass diesen nicht nur wegen der Raffinesse in der D u r c h f ü h r u n g des Steuervergehens b e s o n d e r e Schuld treffe, sondern auch, weil die Frage der „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " zu einem der G e g e n w a r t s p r o b l e m e der jüdischen B e v ö l k e r u n g gehöre und entsprechende B e s t i m m u n g e n dem A n g e k l a g t e n daher hinlänglich b e k a n n t gewesen sein müssten. 1 3 · 2 D i e d u r c h den antisemitischen D r u c k der N ü r n b e r g e r G a u l e i t u n g ausgelöste ü b e r s t ü r z t e F l u c h t vieler j ü d i s c h e r E r w e r b s t ä t i g e r bedeutete angesichts der Steuersteckbriefe im R a h m e n der „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r "
und Strafverfahren
wegen
„ D e v i s e n s c h m u g g e l s " de facto eine V e r m ö g e n s k o n f i s k a t i o n . 1 3 3 D i e systematische E n t e i g n u n g des V e r m ö g e n s von „ O s t j u d e n " und „ D e v i s e n v e r b r e c h e r n " war bereits im S e p t e m b e r 1934 vorbereitet w o r d e n . D i e dem I n n e n m i n i s t e r i u m unterstehende und für die A b e r k e n n u n g der Staatsbürgerschaft zuständige K a m m e r des Innern der R e g i e r u n g von O b e r - und M i t t e l f r a n k e n forderte zu dieser Zeit im R a h m e n der G e s e t z e ü b e r den „ W i d e r r u f von E i n b ü r g e r u n g e n und die A b e r k e n nung der Staatsbürgerschaft" von der Polizeidirektion und dem Stadtrat Listen derjenigen N ü r n b e r g e r Bürger, bei denen eine A b e r k e n n u n g der R e i c h s a n g c h ö -
133
S c h r e i b e n der B a y e r i s c h e n P o l i t i s c h e n Polizei an die P o l i z e i d i r e k t i o n N ü r n b e r g - F ü r t h v o m 8. 8. 1933 u n d V e r n e h m u n g des j ü d i s c h e n R a d i o l o g e n D r . L e o F. am 24. 8. 1933; St A M / P o l i z e i d i r e k t i o n / 1 2 2 8 9 .
S c h r e i b e n des F i n a n z a m t s N ü r n b e r g - N o r d an die T e x t i l f i r m a Ignaz M . v o m 3 . 4 . 1936 und P r o t o k o l l einer B u c h - und B e t r i e b s p r ü f u n g des F i n a n z a m t s am 6. 3. 1936; St A N / O F D Nürnberg (Bund)/10452. I 3 - U r t e i l des S c h ö f f e n g e r i c h t s N ü r n b e r g v o m 2 7 . 11. 1934; S t A N / F i n a n z a m t Nürnberg0st/5306. 131
133
S i c h e r u n g und S t e u e r s t e c k b r i e f bei der T e x t i l h ä n d l e r i n E m m a K . ; S t A N / O F D N ü r n b e r g ( B u n d ) / 1 0 2 5 0 ; E n t z i e h u n g des V e r m ö g e n s von H e i n r i c h F.; B a y H S t A M / E G / 8 1 8 5 0 ; Verm ö g e n s e n t z i e h u n g bei Phillip B.; S t A N / F i n a n z a m t N ü r n b e r g - 0 s t / 5 3 0 4 .
154
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
rigkeit nach den Buchstaben des Gesetzes ohne weiteres möglich war: Personen, die sich schwere Devisenstraftaten zuschulden kommen ließen oder die vor dem 9. N o v e m b e r 1918 die deutsche Staatsbürgerschaft noch nicht innehatten, also vor allem „ O s t j u d e n " . 1 3 4 Bereits 1935 konnte der Präsident des Landesfinanzamts Nürnberg feststellen, dass der Versuch des illegalen Vermögenstransfers ungeachtet der starken Emigrationsbewegungen nach Erlass der „Nürnberger Gesetze" stark abgenommen habe. Ahnlich wie in München wurde allerdings auch in Nürnberg konstatiert, dass die meisten der Auswanderer fiskalisch uninteressant seien, weil sie ohnehin nichts besaßen. 1 3 5 Die Abhängigkeit der fiskalischen Entziehungspraxis von Charakteristika des regionalen Herrschaftsgeflechts und der besonderen Prägung der regionalen Wirtschaft zeigt auch ein Blick auf die ländliche Region Unterfrankens. Für die Überwachung der Emigranten in der Region Bad Kissingen/Hammelburg war grundsätzlich die in Würzburg ansässige Devisenstelle und Zollfahndung zuständig. Insgesamt verfügte das Landesfinanzamt Würzburg im April 1935 über 900 Beamte in der Zollverwaltung. Die Zollfahndung war neben der Buch- und Betriebsprüfung mit der Verfolgung von „Devisenvergehen" beschäftigt. Hierunter fiel vor allem die regelmäßige Überprüfung der Postsendungen von „Verdächtig e n " . 1 3 6 Die größte Zollfahndungsstelle im L F A - B e z i r k mit neun Beamten war die grenznahe Behörde in Ludwigshafen. Darüber hinaus besaßen die Stadt Würzburg eine weitere Fahndungsstelle mit drei und das ebenfalls zum Bezirk gehörige Saarbrücken eine solche mit fünf Beamten. 1 3 7 Wie sehr die regionalen G e gebenheiten Einfluss auf das Tätigkeitsprofil der Zollfahndungsbeamten hatte, verdeutlicht das Beispiel der Zollfahndungsstelle Ludwigshafen. Durch die Grenznähe dieser Dienststelle waren die dortigen Beamten weit mehr als ihre Kollegen in den bayerischen Großstädten mit Auswanderungssachen aller Art beschäftigt. Ihr Aufgabenbereich bestand zu 80 Prozent aus der Bearbeitung von Devisensachen. Eine besondere Steigerung des Arbeitsaufwandes hatte ihren Grund hier in der zunehmenden Auswanderung der jüdischen Bevölkerung. Die Dienststelle erfasste bereits 1935 getrennt Auswanderersachen und sonstige Devisensachen, wobei sich der Arbeitsanfall bei einzelnen Beamten zu etwa zwei Dritteln aus Auswanderersachen zusammensetzte. 1 3 8
134
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137 138
Eine Stellungnahme des Präsidenten des Landesfinanzamts über die Vermögensverhältnisse der Betroffenen sollte auch eingeholt werden; Schreiben der Kammer des Innern der Regierung von O b e r - und Mittelfranken an die Polizeidirektion Nürnberg-Fürth vom 27. 9. 1934; StAN/Polizeidirektion Nürnberg-Fürth. In einem Rundschreiben an die Regierungen hatte der Innenminister am 30. August 1933 explizit darauf hingewiesen, dass Einbürgerungen nachträglich zu überprüfen seien und dass v. a. „Ostjuden" genauestens überprüft werden sollten; ebd. Schreiben des Präsidenten des L F A Nürnberg an den R d F vom 28. 2. 1936; B A B / R 2 / 5978. Schreiben des Präsidenten des L F A Würzburg an den R d F vom 4. 5. 1934; B A B / R 2 / 5968. Schreiben des Präsidenten des L F A Würzburg an den R d F vom 9.12.1935; ebd. Niederschrift über die Uberprüfung der Zollfahndungsstelle Ludwigshafen durch den Präsidenten des L F A Würzburg vom 13. 12. 1935; B A B / R 2/5968.
I. Überwachung und Entziehung von
Emigrantenvermögen
155
Der lange A r m von Zollfahndung und Devisenstelle, vor allem aber auch der E i n f l u s s d e r B a y e r i s c h e n P o l i t i s c h e n P o l i z e i W ü r z b u r g reichte z w a r a u c h in d i e R e g i o n B a d K i s s i n g e n / H a m m e l b u r g , die A u s f ü h r u n g der K o n t r o l l - u n d E n t z i e h u n g s m a ß n a h m e n oblag aber den örtlichen Finanzämtern und Gendarmeriestat i o n e n . I m l ä n d l i c h e n M i l i e u g r i f f e n also a n d e r e s t r u k t u r e l l e G r u n d v o r a u s s e t z u n gen als in d e n b a y e r i s c h e n M e t r o p o l e n . A u c h f ü r die l o k a l e n I n s t i t u t i o n e n in U n t e r f r a n k e n w a r die E i n z i e h u n g d e r R e i s e p ä s s e u n d d e r e n B e s c h r ä n k u n g auf das I n l a n d das w i r k s a m s t e I n s t r u m e n t f ü r die Verhinderung der „Kapitalflucht". Mit der systematischen Entziehung der A u s w a n d e r e r p a p i e r e b e g a n n m a n in d e r R e g i o n a l l e r d i n g s erst E n d e d e s J a h r e s 1935 u n d d a m i t n a c h d e m Z e n t r a l e r l a s s der B a y e r i s c h e n P o l i t i s c h e n P o l i z e i f ü r eine v e r s t ä r k t e Z u s a m m e n a r b e i t der P o l i z e i - u n d F i s k a l b e h ö r d e n z u r Ü b e r w a c h u n g der E m i g r a n t e n . O f f e n b a r w a r die s t r i k t e r e H a n d h a b u n g der U b e r w a c h u n g s t ä t i g k e i t nicht n u r eine R e a k t i o n auf z e n t r a l e A n w e i s u n g e n , s o n d e r n a u c h auf die g r o ß e E m i g r a t i o n s w e l l e E n d e des J a h r e s 1935. Erst jetzt w u r d e n in der R e g i o n e n t s p r e c h e n d e V o r d r u c k e f ü r E m i g r a n t e n v e r w e n d e t , in d e n e n nicht n u r der G r u n d der A u s w a n d e r u n g , s o n d e r n a u c h die V e r m ö g e n s v e r h ä l t n i s s e d e t a i l liert a n g e g e b e n w e r d e n m u s s t e n . 1 3 9 N e g a t i v f ü r die V e r f o l g t e n w i r k t e n sich hier d i e i d e o l o g i s c h m o t i v i e r t e n U r t e i l e d e r G e n d a r m e r i e s t a t i o n e n aus, die, w i e bei d e r E n t z i e h u n g d e r G e w e r b e l e g i t i m a tion a u c h , h i n t e r j e d e r T ä t i g k e i t j ü d i s c h e r E r w e r b s t ä t i g k e i t „ d e u t s c h l a n d f e i n d l i che H e t z e " v e r m u t e t e n u n d d i e A u s s t e l l u n g v o n R e i s e p ä s s e n k o n s e q u e n t z u v e r h i n d e r n s u c h t e n . Ein Beispiel h i e r f ü r ist die B e u r t e i l u n g des I n h a b e r s eines M a n u f a k t u r w a r e n g e s c h ä f t s in H a m m e l b u r g J u l i u s M . D e r d o r t i g e G e n d a r m e r i e h a u p t w a c h t m e i s t e r m e i n t e , g e g e n d e n K a u f m a n n sei eigentlich p o l i t i s c h nichts v o r z u b r i n g e n , als J u d e w ü r d e er aber d e n n o c h i m A u s l a n d g e g e n D e u t s c h l a n d H e t z e b e t r e i b e n . 1 4 0 B e r e i t s e i n i g e W o c h e n v o r h e r hatte das B e z i r k s a m t H a m m e l b u r g eine A n f r a g e an d i e Z e n t r a l e N a c h r i c h t e n s t e l l e in B e r l i n gerichtet, u m in E r f a h r u n g z u b r i n g e n , mit w e l c h e n r e c h t l i c h e n M i t t e l n J u d e n die R e i s e p ä s s e v e r w e i g e r t w e r d e n k o n n t e n . G l e i c h z e i t i g hatte sich das B e z i r k s a m t an die Z o l l f a h n d u n g W ü r z b u r g mit d e m s e l b e n A n l i e g e n g e w a n d t , u n d hier mit s c h n e l l e m E r f o l g : D i e u n t e r f r ä n k i s c h e F i s k a l i n s t i t u t i o n v e r a n l a s s t e a u f g r u n d der A n f r a g e des B e z i r k s a m t s d i e E i n z i e h u n g des R e i s e p a s s e s des b e t r o f f e n e n G e s c h ä f t s m a n n e s . 1 4 1 R e g i o n a l e B e s o n d e r h e i t e n , die den B e g i n n der V e r f o l g u n g u n d die Z u s a m m e n s e t z u n g des Ü b e r w a c h u n g s - u n d S i c h e r u n g s n e t z w e r k e s b e t r e f f e n , d ü r f e n allerd i n g s nicht ü b e r ü b e r r e g i o n a l e G e m e i n s a m k e i t e n in der V e r f a h r e n s w e i s e h i n w e g t ä u s c h e n . In der R e g i o n e n t w i c k e l t e sich eine K o o p e r a t i o n des B e z i r k s a m t s , der G e n d a r m e r i e s t a t i o n e n u n d d e r F i n a n z ä m t e r . Vor d e r A u s s t e l l u n g e n t s p r e c h e n d e r
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I4=
141
Erklärung eines Viehhändlers aus Westheim an das L R A H a m m e l b u r g am 27. 1. 1936; S t A W / L R A Hammelburg/4472. Schreiben an das Bezirksamt H a m m e l b u r g vom 13. 11. 1935; StAW/LRA Hammelburg/ 4472; Schreiben des Gendarmerieoberkommissars H a m m e l b u r g an das Bezirksamt H a m melburg vom 19. 11. 1935; StAW/LRA Hammelburg/3589. Schreiben des Bezirksamts H a m m e l b u r g an die Zentrale Nachrichtenstelle vom 16. 10. 1935 und an die Zollfahndung vom 13. 11. 1935; StAW/LRA Hammelburg/3573.
156
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
Papiere wandten sich die Bezirksämter neben den Gendarmeriestationen sowohl an die Finanzämter als auch an die Zoll- und Devisenstelle in Würzburg. 1 4 2 Vor der Ausstellung der Reisepässe wurde schließlich auch die Zentrale Nachrichtenstelle in Berlin kontaktiert. 143 U m „Kapitalschmuggel" verhindern zu können, waren Zollfahndung und Devisenstelle seit November 1935 dazu übergegangen, Papiere für Informationszwecke nicht mehr auszustellen. N u r der Nachweis der wirklichen Ausreiseabsicht ermöglichte die Aushändigung von Reisepässen. 144 Im September 1935 hatte die Bayerische Politische Polizei zudem an die Bezirksämter Vordrucke für den Fall der Ausstellung eines Reisepasses versandt. Die Abreise des Betroffenen sollte demnach durch Zollfahndung, Devisenstelle und Finanzamt überwacht und nach der Abreise musste über die Ergebnisse der Überwachung sowie über die politischen und persönlichen Verhältnisse der Emigranten berichtet werden. 145 Schließlich vereinbarte die Devisenstelle Würzburg mit den örtlichen Passbehörden, dass Reisepässe nicht ohne die Genehmigung der Devisenstelle ausgehändigt werden durften, was dieser ermöglichte, die Aushändigung der Ausreisedokumente an die restlose Zahlung rückständiger Steuern zu koppeln. 146 Die überregional steigende Bedeutung der Sicherungs-, Uberwachungs- und Entziehungsmaßnahmen für die Finanzverwaltung manifestierte sich auch im Landesfinanzamtsbezirk Würzburg durch die Bindung nicht unerheblicher personeller Ressourcen. Die dramatische Zunahme der Überwachungstätigkeit in der Region Bad Kissingen/Hammelburg entsprach der allgemeinen Entwicklung in diesem Finanzbezirk. So klagte im Dezember 1935 die Zollfahndungsstelle Ludwigshafen über den mangelnden Personalbestand. Die Devisensachen hätten so stark zugenommen, dass die vorhandenen neun Beamten für die Bearbeitung nicht mehr ausreichen würden. Zu ihrem Leidwesen konnte aufgrund des Personalmangels wichtigen Hinweisen auf Steuerstraftaten nicht mehr nachgegangen werden. Zur Arbeitsüberlastung trugen auch die zahlreichen Kooperationsverhältnisse mit anderen Stellen bei: „Angesetzte Arbeiten", so der Bericht, „müssen durch häufige Anrufe und Fragen anderer Stellen, etwa des Finanzamts, der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder des SD ständig unterbrochen werden." 1 4 7 In eine ähnliche Richtung zielte auch der Bericht des Leiters der Zollfahndungsstelle Würzburg. Die drei Beamten der Zollfahndungsstelle seien nicht in der Lage, die zunehmende Arbeitsbelastung wegen der Devisengesetze und hier vor allem der „Auswanderungssachen" alleine zu bewältigen. 148
142 143
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Vorgänge in StÄW/LRA Hammelburg/4472. Schreiben des Bezirksamts Hammelburg an die Zentrale Nachrichtenstelle Berlin vom 13. 11. 1935; ebd. Schreiben der Zollfahndung W ü r z b u r g an das Bezirksamt Hammelburg vom 15. 11. 1935; ebd. Rundschreiben der Bayerischen Politischen Polizei an die Bezirksämter vom 4. 11. 1935; ebd. Bcricht des Präsidenten des LFA W ü r z b u r g an den R d F vom 29. 2. 1936; BAB/R 2/5978. Niederschrift über die U b e r p r ü f u n g der Zollfahndungsstelle Ludwigshafen am 13. 12. 1935; BAB/R 2/5968. Ebd.
I. Überwachung
und Entziehung
von Emigrantenvermögen
157
In einem Bericht an den Reichsfinanzminister v o m 29. F e b r u a r 1936 bilanzierte der Präsident des Landesfinanzamts W ü r z b u r g dementsprechend: „Als sehr zweckmäßig hat sich die A n o r d n u n g der B P P v o m 26. 9. 1935 erwiesen, aufgrund derer den J u d e n die Pässe teilweise entzogen, teilweise auf das Inland beschränkt wurden. Das erschwert den Juden den Vermögenstransfer ins Ausland wesentlich. Sie können dann auch nicht ohne einen formellen Auswanderungsantrag einfach verschwinden."149 D i e Ü b e r w a c h u n g und gegebenenfalls auch die strafrechtliche Verfolgung der Emigranten, mithin vor allem der jüdischen Bevölkerung, entwickelte sich - dies ist zunächst zu betonen - in allen drei Untersuchungsräumen schnell zu einem zentralen Aufgabengebiet der Finanzverwaltung. D i e K o n n o t a t i o n der Auswanderung als „kriminell" verband sich im „Dritten R e i c h " mit einem starken vom Regime erzwungenen Anstieg der Emigration einer rassisch definierten Minderheit. Angesichts der engmaschigen fiskalischen Ü b e r w a c h u n g griffen jüdische Auswanderer tendenziell zu „illegalen" Mitteln des Vermögenstransfers, worauf die Finanzverwaltung wiederum mit einer Verschärfung des Vorgehens gegen jüdische Emigranten reagierte. Betrachtet man den relativ reibungslosen und schnellen Ablauf entsprechender Ü b e r w a c h u n g s - und Sicherungsmaßnahmen, so ist als U r s a c h e hierfür wohl vor allem auf die Kontinuität in Struktur und Zielsetzung zu verweisen. Zudem standen im H i n b l i c k auf die jüdischen Emigranten ideologische N o r m - der Ausschluss der Juden aus der Rcchtssphäre der „Volksgemeinschaft" allgemein und die Stigmatisierung jüdischer Auswanderer als „Diebe am Volksvermögen" - und fiskalische Zweckrationalität nicht im Widerspruch. Die Verbindung beider Sphären ist deshalb so wichtig, weil sich fiskalische Routinen weiter an Effizienzkriterien und haushaltspolitischen Gesichtspunkten orientierten konnten. Eine quantifizierende Gesamtbilanz der fiskalischen Verfolgung der jüdischen Emigranten bis 1937/38 ist kaum möglich. D i e meisten Auswanderer bezahlten angesichts der Amtsautorität der Finanzbehörden ihre Abgaben. Viele der frühen Emigranten waren auch wegen ihres jungen Alters und ihrer nur geringen Vermögenswerte für die Finanzverwaltung weitgehend uninteressant. 1 3 2 Gerade das Desinteresse der Finanzverwaltung an dieser G r u p p e der jüdischen Emigranten zeigt aber, dass der Verfolgungs- und Strafrechtscharakter nicht im Vordergrund stand. Die Kontinuität rechtsstaatlicher Verfahren in der fiskalischen Praxis rührte aber offensichtlich nicht von einer fortdauernden Geltung von N o r m e n im Sinne des liberalen Rechtsstaates her. Zumindest gibt es für Interventionen zugunsten der jüdischen Bevölkerung so gut wie keine Belege. 1 : > 1 Bußgelder wurden in teilweise horrender H ö h e erhoben. Bewusst verhinderte etwa die M ü n c h n e r Finanzverwaltung darüber hinaus eigenmächtig die Teilnahme der Betroffenen an den Verfahren selber, indem sie den im Ausland befindlichen Juden die Ausstellung
149
B e r i c h t d e s P r ä s i d e n t e n d e s L F A W ü r z b u r g an d e n R d F v o m 2 9 . 2 . 1 9 3 6 ; B A B / R L e d i g l i c h in z e h n d e r u n t e r s u c h t e n F ü l l e w u r d e v o n 1 9 3 3 b i s 1 9 3 6 e i n
2/5978.
Vermögensbe-
schlagnahmeverfahren eingeleitet. >
1: I
Vgl. zu den w e n i g e n überlieferten Fällen der H i l f e s t e l l u n g e n Z w e i t e r Teil, Z w e i t e s K a p i tel, I I . d e r v o r l i e g e n d e n S t u d i e .
158
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
entsprechender Reisepapiere prinzipiell verweigerte. 1 5 2 W o h l aber ist das Festhalten an der Rechtsförmigkeit des Handelns und an bürokratischen Verfahrensregeln zu beobachten. Diese Feststellung ist wichtig: I m Gegensatz zu den Willkürakten regionaler Parteigliederungen und ungeachtet durchaus existierender Handlungsspielräume blieben die U b e r w a c h u n g s - , Sicherungs- und Entziehungsroutinen ein gleichförmiger und weitgehend zentral gesteuerter Prozess, der regionalen Willkürakten anderer A k t e u r e einen Riegel vorschieben k o n n t e und Unterschiede in den Verfahrensweisen weitgehend einebnete. Lokalspezifische Prägung erhielt die Enteignungspraxis der Finanzverwaltung durch Impulse von außen - etwa durch die schnellere Vertreibung der jüdischen Bevölkerung in N ü r n b e r g oder den Einfluss der Gendarmeriestationen auf die jüdische B e v ö l k e r u n g in Unterfranken. Eingebunden in ein engmaschiges U b e r wachungsnetz nahm die Finanzverwaltung derartige A n s t ö ß e auf und k o n n t e dies verdeutlicht die E n t z i e h u n g der Reisepässe in N ü r n b e r g - im Einzelfall nun auch ihrerseits entsprechende Ü b e r w a c h u n g s r o u t i n e n verschärfen. Sie orientierte sich aber weiterhin an den weitgefassten N o r m e n der Devisengesetzgebung, band das antisemitische Aggressionspotenzial also in bürokratische Entscheidungsprozesse ein. Stellt man diese Verfahrenspraxis in Zusammenhang mit dem bisher beschriebenen regionalen Herrschaftsgeflecht bei der wirtschaftlichen Verfolgung, so bleibt festzuhalten: D i e Zusammenarbeit administrativer Eliten, K o m m u n a l v e r waltung und N S D A P ist bei der Ü b e r w a c h u n g , Sicherung und E n t z i e h u n g von Emigrantenvermögen offensichtlich weitgehend reibungslos verlaufen. D i e zentrale Einbindung und die bürokratischen Verfahrensweisen des Fiskus sorgten für eine administrative Steuerung des Verfolgungsprozesses, die ihn perfektionierte und an Effizienzkriterien ausrichtete. Inwieweit den Handlungsmustern der Beamten antisemitische M o t i v e zugrunde lagen, ist schwer zu beurteilen. E i n e eindeutige A n t w o r t auf diese Frage erlauben die Quellen nicht; vor generalisierenden Urteilen ist daher Vorsicht geboten. H i e r muss zunächst zwischen den Handlungsspielräumen der regionalen B e h ö r d e n und des einzelnen B e a m t e n unterschieden werden. D e r Gesetzgeber überließ zwar formal den einzelnen Beamten Interpretationsspielräume, diese wurden aber, wie bereits gezeigt, durch klare Anweisungen der Präsidenten der Landesfinanzämter eingeengt. D a r ü b e r hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Initiative für die U b e r w a c h u n g s - , Sicherungs- und E n t z i e h u n g s m a ß n a h m e n nicht nur von den Institutionen der Finanzverwaltung ausging. N a c h Einschätzung eines erfahrenen und prominenten M ü n c h n e r Wiedergutmachungsanwalts war zumindest die Überwachungsabteilung der Devisenstelle bei inländischen P e r s o nen überhaupt nie tätig geworden, es sei denn, es handelte sich um J u d e n . 1 5 3
152 153
Schreiben der I R S O an die W B I vom 14. 1. 1952; S t A M / W B I / a / 3 0 6 5 / N r . 10. Schreiben eines Rechtsanwalts an die W B I vom 23. 1. 1951; S t A M / F i n a n z a m t / 1 9 1 8 3 .
II. Die Einziehung konventioneller
Steuern
159
II. Die Einziehung konventioneller Steuern 1933-1938 D i e n a h e z u u n g e b r o c h e n e K o n t i n u i t ä t in der F i n a n z v e r w a l t u n g zeigt sich im Bereich der Steuergesetzgebung gegenüber I n l ä n d e r n b e s o n d e r s deutlich. Diesen Bereich ließ die nationalsozialistische R e g i e r u n g ü b e r m e h r e r e J a h r e n a h e z u u n verändert. Lediglich organisatorisch b e w i r k t e die N o t v e r o r d n u n g v o m 18. M ä r z 1933 in der Steuerveranlagung u n d E n t z i e h u n g V e r ä n d e r u n g e n , da sie in den Fin a n z ä m t e r n ein straffes F ü h r e r p r i n z i p e i n f ü h r t e . 1 5 4 Z u Beginn des J a h r e s 1934 w u r d e n d a n n s o w o h l eine Vereinfachung der Verwaltung als auch entscheidende Schritte f ü r eine verstärkte Zentralisierung der R e i c h s f i n a n z v e r w a l t u n g u n t e r n o m m e n , jedoch z u n ä c h s t keine antisemitischen M a ß n a h m e n eingeleitet. 1 5 5 D e n eingespielten R o u t i n e n gegenüber E m i g r a n t e n d u r c h a u s ähnlich k o n n t e das N S Regime auf bereits etablierte u m f a s s e n d e Regelungen z u r Ü b e r w a c h u n g u n d E n t z i e h u n g v o n V e r m ö g e n s w e r t e n der Steuerpflichtigen z u r ü c k g r e i f e n . F ü r die B e u r teilung fiskalischer Veranlagung u n d E n t e i g n u n g v o n V e r m ö g e n s w e r t e n vor O r t ist dieser U m s t a n d wichtig. D e n n abgesehen v o n der E i n f ü h r u n g des F ü h r e r p r i n zips m u s s t e die N S - R e g i e r u n g b e s t e h e n d e S t r u k t u r e n lediglich an einigen Stellen ausbauen, grundsätzliche V e r ä n d e r u n g e n n a h m sie z u n ä c h s t nicht vor. Fragt man nach der Beibehaltung g r u n d l e g e n d e r b ü r o k r a t i s c h e r S t e u e r u n g s m e c h a n i s m e n im Sinne f u n k t i o n i e r e n d e r Verfahrensabläufe beziehungsweise nach d e m Z e i t p u n k t der V e r ä n d e r u n g d u r c h das N S - R e g i m e u n d der damit in engem Z u s a m m e n h a n g stehenden A u f n a h m e antisemitischen G e d a n k e n g u t e s i n n e r h a l b der B e a m t e n schaft, so müssen, b e v o r die Praxis regionaler I n s t i t u t i o n e n der F i n a n z v e r w a l t u n g analysiert w i r d , drei U n t e r s u c h u n g s s c h r i t t e vorgeschaltet w e r d e n . D i e Studie w e n d e t sich erstens g r u n d l e g e n d e n F u n k t i o n s m e c h a n i s m e n der S t e u e r v e r w a l t u n g zu. In einem zweiten Schritt richtet sich der F o k u s dann auf die partiellen Veränd e r u n g e n d u r c h I m p u l s e v o n o b e n nach 1933, u m schließlich drittens K o n t i n u i t ä ten u n d Brüche der P e r s o n a l s t r u k t u r a n h a n d eines ausgewählten L a n d e s f i n a n z a m t s b e z i r k s in den Blick zu n e h m e n .
1. Instrumente
fiskalischer
Entziehung
In w e l c h e m M a ß e sich bereits etablierte b ü r o k r a t i s c h e Verfahrensweisen p o t e n tiell gegen jeden Steuerpflichtigen w e n d e n k o n n t e n u n d ü b e r welche E r m e s s e n s spielräume die vollziehenden Beamten v e r f ü g t e n , verdeutlichten die bereits in den 1920er J a h r e n etablierten, g r u n d l e g e n d e n Verfahrensabläufe innerhalb der Finanzämter. I h n e n oblag die U m s e t z u n g der zentralen fiskalischen Zielsetzungen
154
Misera, O r g a n i s a t i o n s v e r ä n d e r u n g , S. 246. D u r c h das „ G e s e t z ü b e r d e n N e u a u f b a u des R e i c h e s " v o m 30. J a n u a r 1934 w u r d e die s t e u e r l i c h e S o u v e r ä n i t ä t d e r L ä n d e r e n d g ü l t i g a u f g e h o b e n ; A r t . 2 des G e s e t z e s bes t i m m t e , dass alle H o h e i t s r e c h t e d e r L ä n d e r auf das Reich ü b e r g i n g e n ; R G B l . 1 (1934), S. 75. D a s „ G e s e t z z u r V e r e i n f a c h u n g u n d Verbilligung d e r V e r w a l t u n g " v o m 27. 2. 1934 v e r m i n d e r t e die Z a h l d e r O b e r f i n a n z p r ä s i d e n t e n , ließ aber die b e s t e h e n d e n S t r u k t u r e n a n s o n s t e n u n v e r ä n d e r t ; K a p . III, §§ 11-14; R G B l . I (1934), S. 131; M e h l , R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r i u m , S. 29; E l l w e i n , Staat, S. 239.
160
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
durch Veranlagung und Einziehung von Steuern. Entscheidend für die Bearbeitung der Steuererklärungen war die Veranlagungsabteilung, die in mehrere örtliche Steuerbezirke eingeteilt und durch ein hierarchisches System gekennzeichnet war. M i t der Verwaltung der B e z i r k e waren sogenannte Bezirksarbeiter aus dem mittleren oder gehobenen D i e n s t betraut. 1 5 6 Ein Sachbearbeiter hatte weitreichende K o m p e t e n z e n . E r leitete die Ermittlungsarbeit bei einer Steuererklärung und besaß neben dem Vorsteher das alleinige Zeichnungsrecht. Wesentlich für den U m g a n g mit den Steuerpflichtigen auf dem G e b i e t der Veranlagung waren vor allem Stundungen und Steuererlasse, für die es in den Finanzämtern eigene Stellen gab. 1 5 7 D e r Ermessensspielraum der Beamten war hier relativ groß, da erst bei Stundungen, die über den Zeitraum von einem J a h r hinausgingen, die G e n e h m i gung des Landesfinanzamts eingeholt werden musste. 1 5 8 Entscheidende Bedeutung für die direkte K o n f r o n t a t i o n mit dem Steuerpflichtigen und dessen Ü b e r w a c h u n g kam dem Vollstreckungsdienst zu. Zu ihm gehörten B e a m t e des Innen- und des Außendienstes. Außendienstbeamte waren Vollzugsbeamte, die hinsichtlich der Einziehung rückständiger Steuern dieselben A u f gaben wie Gerichtsvollzieher wahrnahmen. Häufig besaßen die F i n a n z ä m t e r darüber hinaus eine Stelle für die sogenannte N a c h s c h a u , die diejenigen Personen überprüfen konnte, bei denen die Beamten Steuerschulden vermuteten. 1 5 9 U m die Richtigkeit der Steuererklärungen vor O r t überprüfen zu k ö n n e n , überwachten auch die den Landesfinanzämtern unterstehenden B u c h - und Betriebsprüfungsstellen die Steuerpflichtigen. G r o ß b e t r i e b e prüfte z u m Beispiel die Betriebsprüfung der Landesfinanzämter turnusmäßig. A u c h die großen F i n a n z ä m t e r besaßen derartige Stellen, deren Zuständigkeit sich meist auf mehrere F i n a n z b e z i r k e erstreckte und die vorwiegend für die Ü b e r p r ü f u n g kleinerer Betriebe verantwortlich z e i c h n e t e n . 1 6 0 F ü r eine rechtliche Auswertung zogen die Betriebsprüfer die Strafsachbearbeiter der B e h ö r d e h i n z u . 1 6 1 D i e s e hatten erhebliche Sanktionsmöglichkeiten: U m
Sie ermittelten die Steuerpflichtigen, führten die Steuerlisten und bearbeiteten die Steuerfestsetzung. Die Beaufsichtigung mehrerer Steuerbezirke und Bezirksarbeiter oblag wiederum den Sachbearbeitern, meist Oberregierungsräten, die neben dieser Kontrollfunktion jeweils ein Sachgebiet verwalteten. Ein solches Sachgebiet entsprach immer einer bestimmten Steuerart. Während etwa der Finanzamtsvorsteher die Veranlagung des Sachgebiets I der Einkommensteuer innehatte, waren die verschiedenen Sachbearbeiter mit den anderen Steuerarten, wie etwa der Gewerbe- oder der Vermögensteuer, betraut. 1 5 7 Leesch, Geschichte, S. 168 ff.; Ellwein, Staat, S. 188 f.; Misera, Organisationsveränderung, S. 60 ff. 1 5 8 Eine Stundung konnte in der Regel nur dann gewährt werden, wenn die spätere Zahlung der Steuer gesichert war, wie etwa durch Eintragung einer Hypothek. Ein teilweiser oder vollständiger Erlass von Steuern stand hingegen nur dem Reichsfinanzminister zu; § 127 der „Reichsabgabenordnung" vom 22. 5. 1931; R G B l . I (1931), S. 179f. 1 5 9 Leesch, Geschichte, S. 170; Misera, Organisationsveränderung, S. 165. 160 Prüfungsgeschäftspläne des L F A München von 1932 und 1933 und Schreiben des Präsidenten des L F A München an das Finanzamt München-Nord vom 27. 1. 1933; StAM/ O F D / 3 9 7 . Zu Aufgaben und Struktur der Betriebsprüfung generell Leesch, Geschichte, S. 171; Misera, Organisationsveränderung, S. 252 f. 161 Vonrag eines R R im Rahmen einer Besprechung über Betriebsprüfungen beim O F P Würzburg 1939; B A B / R 2 / 5 7 5 0 0 . 156
II. Die Einziehung
konventioneller
Steuern
161
A n o r d n u n g e n im Besteuerungsverfahren zu erzwingen, waren die Finanzämter ermächtigt, Geldstrafen bis zu 5000 Reichsmark oder vier Wochen H a f t zu veranlassen. 162 Bei der Ermittlung k o n n t e n sie sich der Ortspolizeibehörden oder sonstiger Sicherheitsdienste bedienen. 1 6 3 Für eine tatsächliche Sicherung der Steuern standen dem Finanzamt aber noch weitere Mittel zur Verfügung. So w u r d e n zur D e c k u n g einzuziehender Geldbeträge vom Finanzamt Pfändungsverfügungen erlassen, die dem Schuldner durch einen Vollzugsbeamten mitgeteilt wurden. 1 6 4 Bestand Gefahr im Verzuge, k o n n t e n auch einzelne Beamte der Finanzämter das Vermögen der Betroffenen mit Beschlag belegen, hatten aber binnen drei Tagen die Bestätigung des Vorstehers des Finanzamts einzuholen. 1 6 5 Für die schnelle u n d reibungslose Vollstreckung von Steuersachen verfügten die Landesfinanzämter u n d die großen Finanzämter schließlich über einen eigenen Steueraußendienst (Steuerfahndung), dessen Leitung ebenfalls einem Sachbearbeiter oblag. Die Beamten des Steueraußendienstes hatten die Aufgabe, Ermittlungen gegen Steuergesetzesverstöße einzuleiten und diese Verstöße zu verfolgen. N e b e n Ermittlungs- und Fahndungsdiensten waren die hier tätigen Beamten auch mit der Buch- u n d Betriebsprüfung befasst. Die Beamten des Steueraußendienstes, die den Strafsachenstellen untergeordnet waren, leiteten dann ihre I n f o r m a tionen an die Nachrichtenstelle des Landesfinanzamts weiter, die ihrerseits selbständig Ermittlungen aufnehmen beziehungsweise die übermittelten Informationen weiter an den zentralen Nachrichtendienst beim Reichsfinanzminister leiten konnte. 1 6 6 U m ihren Aufgaben gerecht werden zu können, waren Steueraußendienstbeamte Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, was ihnen das Recht auf Wohnungsund körperliche D u r c h s u c h u n g sowie auf Beschlagnahmen oder Vernehmungen gewährte. In einer gemeinsamen Verfügung vom 25. Juli 1934 unterstrichen der Finanz- und Justizminister noch einmal die Bedeutung der Fahndungsbeamten. Die Rechte und Pflichten der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft übertrugen sie auf alle Steueraußendienst-, Zollfahndungs- und Steuerfahndungsbeamten sowie auf die im Grenzdienst tätigen Beamten der Reichsfinanzverwaltung. Das Recht, Beamte zu Zollfahndungs- oder Außendienstbeamten zu ernennen, besaß der Präsident des Landesfinanzamts. 1 6 7 Dieses polizeiähnliche Profil schlug sich auch
1W
§ 202 der „ R e i c h s a b g a b e n o r d n u n g ' ' v o m 22. 5. 1931; R G B l . I (1931), S. 189. §§ 421 ff. der „ R e i c h s a b g a b e n o r d n u n g " vom 22. 5. 1931; R G B l . I (1931), S. 215. 164 D a n e b e n w a r das F i n a n z a m t zusätzlich ermächtigt, Leistungen v o n d e m Pflichtigen als Sicherheit f ü r S t e u e r r ü c k s t ä n d e zu f o r d e r n , siehe §§ 132 ff., 343 u n d 348 der „Reichsabgab e n o r d n u n g " v o m 22. 5. 1931; R G B l . I (1931), S. 206. ">5 § 430 der „ R e i c h s a b g a b e n o r d n u n g " v o m 22. 5. 1931; R G B l . I (1931), S. 216. F ü r weitere M ö g l i c h k e i t e n z u r E r h e b u n g von Sicherheitsleistungen siehe auch §§ 378 ff. der „Reichsa b g a b e n o r d n u n g " v o m 22. 5. 1931; R G B l . 1 (1931), S. 209f.; Vortrag eines N ü r n b e r g e r S t e u e r i n s p e k t o r s ü b e r den F a h n d u n g s d i e n s t am 9. 1. 1939; B A B / R 2 / 5 9 7 3 . 166 Bericht des Präsidenten des L F A N ü r n b e r g an den R d F vom 8. 1. 1934; B A B / R 2 / 5 9 7 8 ; Vortrag eines N ü r n b e r g e r S t e u e r i n s p e k t o r s v o m 9. 1. 1939; B A B / R 2 / 5 9 7 3 . U)7 V e r f ü g u n g des J u s t i z m i n i s t e r s u n d F i n a n z m i n i s t e r s v o m 2 5 . 7 . 1934; B A B / R 2 / 6 0 0 4 . Diese V e r f ü g u n g s t ü t z t e sich auf eine gesetzliche Vorlage vom M ä r z 1934, die insbesondere bei der B e k ä m p f u n g v o n Schmuggel, Steuerflucht oder anderen S t e u e r z u w i d e r h a n d lungen die Ü b e r t r a g u n g der R e c h t e u n d Pflichten der H i l f s b e a m t e n der Staatsanwalt163
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
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Judenverfolgung
in der Personalpolitik nieder. Die meisten Beamten entstammten den Reihen der Kriminal- oder uniformierten Polizei. 168 Auf die Ausbildung der Außendienstbeamten mit ihren zahlreichen Befugnissen gegenüber den Steuerpflichtigen legte die Finanzverwaltung besonderen Wert. Wegen ihrer Kompetenzen als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft besaßen sie besondere Qualifikationsmerkmale. Dies schlug sich unter anderem in besonderen Lehrgängen nieder, in denen die Beamten über Rechte und Pflichten, aber auch über Fahndungsmethoden besonders gründlich informiert wurden. 169 Kennzeichnend war damit bereits vor 1933 die enge Verzahnung zwischen den verschiedenen hierarchischen Ebenen, die den Austausch und die Koordinierung von Informationen auf breiter Basis ermöglichte. Durch die Verschränkung von Fahndungs-, Kontroll- und Strafsachenstellen konnten Informationen rasch in Geldwerte, sei es durch Nachzahlungen oder Strafbescheide, umgewandelt werden. Darüber hinaus hatte die Finanzverwaltung umfassende Sanktionsbefugnisse, die von hohen Geld- über Haftstrafen bis hin zur vollständigen Vermögenskonfiskation reichten. 2. Impulse von oben Etablierte Strukturen ließen sich insofern den Zielvorstellungen des NS-Regimes dienstbar machen, als dieses zur Sicherung des Steueraufkommens bereits früh mit dem Ausbau des Uberwachungsapparates für eine verschärfte Kontrolle auch gegenüber inländischen Steuerpflichtigen begann. Dies geschah zunächst durch die Einrichtung neuer Zentralbehörden. Aufbauend auf Bestimmungen der „Reichsabgabenordnung" von 1931 setzte Staatssekretär Reinhardt zwei Jahre später eine Zentrale Steuerfahndungsstelle zur Bearbeitung von Anzeigen zur Kapitalflucht und von Hinweisen zur Bekämpfung strafbarer Handlungen ein. In besonderem Maße sollte die Behörde bei der Verfolgung weitverzweigter und komplizierter Steuervergehen tätig werden, für deren Bekämpfung sie unmittelbar mit den Staatsanwaltschaften und Gerichten zusammenarbeitete. Enge Kooperation bestand zudem mit den Finanzämtern. Behörden und berufsständische Verbände waren dazu angehalten, diesen regelmäßige Kontrollnachrichten zu überbringen. Darin sollten Zahlungen an Gewerbetreibende, Rechtsanwälte oder Bücherrevisoren, die über einen Betrag von 100 Reichsmark hinausgingen, aufgelistet werden. Derartige „Beschaffungsmitteilungen" dienten als wichtiges Hilfsmittel zur Veranlagung der Steuerpflichtigen und wurden durch die Steuerfahndung regelmäßig überprüft. 170 Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben war der Steuerfahnschaft ermöglichte; § 23a des „Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und des Waffengebrauchsgesetzes" vom 24. 3. 1934; RGBl. I (1934), S. 235. 168 Vortrag des Steuerinspektors des Finanzamts Nürnberg-West vom 9. 1. 1939; B A B / R 2 / 5973. 1 6 9 Voraussetzung für den Dienstantritt waren einerseits eine gute körperliche Verfassung, andererseits das Einstellungsalter der Bewerber, die das 40. Lebensjahr nicht überschritten haben durften; vgl. etwa die speziellen Anforderungen im LFA Nürnberg; Schreiben des Präsidenten des LFA Nürnberg an den R d F vom 8. 1. 1934; BAB/R2/5978. 1 7 0 Die „Rcichsabgabenordnung" von 1931 bestimmte in Paragraf 175, dass alle Institutio-
II. Die Einziehung konventioneller
Steuern
163
d u n g s s t e l l e d i e E r f ü l l u n g einer w e s e n t l i c h e n fiskalpolitischen Z i e l v o r g a b e des N S - R e g i m e s z u g e d a c h t . G a n z a l l g e m e i n hatte sie d u r c h s c h a r f e Ü b e r w a c h u n g d i e S t e u e r m o r a l u n d die S t e u e r e h r l i c h k e i t d e r B e v ö l k e r u n g z u steigern. J e d e r S t e u e r p f l i c h t i g e sollte das G e f ü h l h a b e n , dass alle A r t e n v o n S t e u e r e n t z i e h u n g e n e n t d e c k t u n d bestraft w ü r d e n . D a b e i g i n g es d e m Staat v o r a l l e m u m die A n h e b u n g des S t e u e r a u f k o m m e n s . D i e T ä t i g k e i t der r e g i o n a l e n S t e u e r f a h n d u n g s s t e l l e n , d a r a u f w i e s die Z e n t r a l e S t e u e r f a h n d u n g s s t e l l e in B e r l i n a u s d r ü c k l i c h hin, zielte nicht p r i m ä r auf d i e B e s t r a f u n g , s o n d e r n v o r a l l e m auf die S i c h e r s t e l l u n g d e r S t e u ern.171 Neben der Zentralen Steuerfahndung wies Staatssekretär Reinhardt die Land e s f i n a n z ä m t e r i m J u n i 1933 a u c h auf die E x i s t e n z einer n e u g e g r ü n d e t e n z e n t r a len N a c h r i c h t e n s t e l l e b e i m L a n d e s f i n a n z a m t B e r l i n hin. Sie d i e n t e ebenfalls p r i m ä r d e r U n t e r s t ü t z u n g der F i n a n z b e h ö r d e n bei b e s o n d e r s s c h w i e r i g e n u n d w e i t verzweigten Fällen von Steuervergehen, Kapitalflucht oder Vermögensentziehungen. In e n g e r Z u s a m m e n a r b e i t mit d e n L a n d e s f i n a n z ä m t e r n u n d a n d e r e n an d e r S t r a f v e r f o l g u n g b e t e i l i g t e n I n s t i t u t i o n e n sollte diese B e h ö r d e v o r allem als S a m m e l - u n d K o o r d i n i e r u n g s s t e l l e f ü r I n f o r m a t i o n e n f u n g i e r e n , in b e s o n d e r e n Fällen a b e r a u c h in die B e a r b e i t u n g v o n E i n z e l f ä l l e n e i n g e s c h a l t e t w e r d e n . 1 7 2 D i e v e r s c h ä r f t e K o n t r o l l e d e r S t e u e r p f l i c h t i g e n z e i g t e sich bereits in d e r U m b e n e n n u n g des S t e u e r a u ß e n d i e n s t e s in S t e u e r f a h n d u n g s d i e n s t . D a h i n t e r v e r b a r g sich w e i t m e h r als eine b l o ß e N a m e n s ä n d e r u n g . A u f s c h l u s s r e i c h ist hier ein B e richt des P r ä s i d e n t e n des L a n d e s f i n a n z a m t s N ü r n b e r g an d e n R e i c h s f i n a n z m i n i s ter v o m 8. J a n u a r 1934. D e r r a n g h ö c h s t e N ü r n b e r g e r F i n a n z b e a m t e w i e s d a r i n auf die B e d e u t u n g d e r E i n n a h m e n f ü r d e n n e u e n Staat hin. In A b g r e n z u n g z u d e m die Ö f f e n t l i c h k e i t t ä u s c h e n d e n „ N o v e m b e r s y s t e m " h a b e d e r h e u t i g e Staat nicht m e h r nötig, die F a h n d u n g u n d B e s t r a f u n g v o n S t e u e r v e r g e h e n z u t a r n e n . Vielm e h r v e r s u c h e das n e u e R e g i m e , in aller O f f e n h e i t u n d mit allen M i t t e l n die Steuermoral zu heben.173
nen und Personen, die nicht als nahe Verwandte galten, dem Finanzamt über Tatsachen Auskunft erteilen müssen, „die für die A u s ü b u n g der Steueraufsicht oder in einem Steuerermittlungsverfahren für die Feststellung von Steueransprüchen von Bedeutung sind". Der Paragraf 188 präzisierte dann: „Die Reichs-, Staats- und Gemeindebehörden, die Beamten und Notare sowie die Verbände und Vertretungen von Betriebs- oder Berutszweigen haben den Finanzämtern jede zur Durchführung der Besteuerung und der den Finanzämtern obliegenden Prüfung und Aufsicht dienliche Hilfe zu leisten, insbesondere Einsicht in ihre Bücher, Verhandlungen, Listen und U r k u n d e n zu gewähren." Friedenberger, Finanzverwaltung, S. 15 ff.; und „Reichsabgabenordnung" vom 2 2 . 5 . 1931; RGBl. 1(1931), S. 185 und 187. 171 Zu Tätigkeits- und Aufgabenbereich der Zentralen Steuerfahndungsstelle vgl. Arbeitsbericht der Zentralen Steuerfahndungsstelle vom 26. 9. 1938; BAB/R2/5979. ' 7 - Rundschreiben des Staatssekretärs Reinhardt an die Präsidenten der Landesfinanzämter vom 9. 6. 1933; BAB/R2/5972; Rundschreiben des Politischen Polizeikommandeurs der Länder an die Staatspolizeistellen vom 11.9. 1935; BAB/R2/5977; Rundschreiben der Bayerischen Politischen Polizei vom 26. 9. 1935; S t A W / L R A Bad Kissingen/2016. 173 Schreiben des Präsidenten des LFA Nürnberg an den R d F vom 8. 1. 1934; BAB/R2/5972.
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
Das „Steueranpassungsgesetz" Die primäre Ausrichtung an der dienenden Funktion der Finanzverwaltung für den „Volkskörper" durch Kontrolle der „moralischen" Anpassungsfähigkeit seiner Mitglieder innerhalb des Steuersystems unterstrich das im Herbst 1934 erlassene „Steueranpassungsgesetz". Galten die bisher geschilderten verschärften Überwachungsroutinen für die inländische Bevölkerung gleichermaßen, so etablierte die Reichsregierung nun das erste ideologische Einfallstor für die „rassische" Separation in der Steuergesetzgebung. Der erste Absatz des Paragraphen 1 legte fest, dass Steuergesetze nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen seien. Entsprechendes galt für die Beurteilung von Tatbeständen. „Fragen der Billigkeit und der Zweckmäßigkeit", so das Gesetz in Paragraph 2 weiter, „sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung zu beurteilen." 1 7 4 In NS-typischer Weise gab das Gesetz damit zwar einen ideologischen Handlungsrahmen vor, über die konkrete Ausgestaltung sagte es aber wenig. Mit dem „Steueranpassungsgesetz" bildete der Gesetzgeber das für die Stellung der Juden im Wirtschaftsleben bereits geschilderte typische Spannungsverhältnis zwischen ideologisch Wünschenswertem und dem Zwang zu wirtschaftlicher Rücksichtnahme ab. Denn die Benachteiligung jüdischer Steuerpflichtiger bedeutete gleichzeitig nicht nur deren Schwächung im Hinblick auf die längerfristige steuerliche Leistungsfähigkeit, sondern angesichts der Ertragskraft jüdischer Unternehmen auch eine Gefahr für die noch angeschlagene deutsche Wirtschaft. Über die Bedeutung des „Steueranpassungsgesetzes" und insbesondere des Absatzes 1 für die fiskalische Handlungspraxis ist entsprechend kontrovers diskutiert worden. Während einige Autoren der Auffassung sind, der Absatz 1 habe sich als „Geschwafel" entpuppt, da auch der NS-Staat nicht an Auslegekünsten, sondern an der strikten Befolgung von Anweisungen interessiert gewesen sei, fassen ihn andere als eine wirkungsvolle Waffe im Kampf gegen das Judentum auf. 1 7 5 Aufgrund seiner Pauschalität bedeutete diese Regelung sicherlich keine konkrete Programmierung der Steuergesetzgebung im Hinblick auf die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Es blieb zunächst nur bei dieser einen Vorschrift, die gegen Gegner des Regimes angewendet werden konnte, was wiederum die inhaltlichen Ermessensspielräume der Beamten einschränkte. 1 7 6 Dennoch hatten der finanzpolitische Staatssekretär Fritz Reinhardt, aus dessen Feder der Gesetzestext stammte, und die weiteren Unterzeichner einen Grundstein für die steuerliche Verfolgung der jüdischen Bevölkerung gelegt. Gerade schwammige Begriffe wie „Weltanschauung" boten die Möglichkeit, entsprechende Bestimmungen im Zweifelsfall gegen jüdische Steuerpflichtige auszulegen. 1 7 7 Vor allem hatte die
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§ lAbschnitt I, Unterabschnitte 1 und 2 und § 2 des „Steueranpassungsgesetzes" vom 16. 10. 1934; RGBl. I (1934), S. 925. Geringe Bedeutung misst dem Gesetz v. a. Ellwein bei; Ellwein, Staat, S. 185; vgl. dagegen v. a. Blaich, Grundsätze, S. 110; Mehl, Reichsfinanzministerium, S. 36; Ulimann, Steuerstaat, S. 141-176. Misera, Organisationsveränderung, S. 300. Zum Geist dieses Gesetzes siehe auch Birkwald, Finanzverwaltung, S. 259; Pawellek, Finanzverwaltung, S. 81.
II. Die Einziehung konventioneller
Steuern
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R e i c h s r e g i e r u n g d a m i t das P r i n z i p d e r s t e u e r l i c h e n G l e i c h h e i t definitiv d u r c h b r o c h e n . In S t e u e r b e l a n g e n k o n n t e sich hier d e r nationalsozialistische E i g e n t u m s b e griff negativ f ü r j ü d i s c h e S t e u e r p f l i c h t i g e a u s w i r k e n . A u s g e h e n d v o n einer „volksg e n ö s s i s c h e n " R e c h t s a u f f a s s u n g stellte die n e u e R e g i e r u n g , wie bereits gezeigt, d u r c h die inhaltliche B e s t i m m u n g dieses Begriffes die i m m a n e n t e P f l i c h t b i n d u n g des E i g e n t u m s d e r individuellen V e r f ü g u n g s g e w a l t e n t g e g e n u n d sprach dabei J u d e n t h e o r e t i s c h jedes R e c h t auf E i g e n t u m ab. 1 7 8 U n g e a c h t e t des relativ h o h e n A b s t r a k t i o n s n i v e a u s d e r a r t i g e r juristischer P r o b l e m s t e l l u n g e n d ü r f t e n solche A u f f a s s u n g e n z u m i n d e s t d e n h ö h e r e n B e a m t e n in d e r R e i c h s f i n a n z v e r w a l t u n g , die in d e r Regel das z w e i t e juristische Staatsexamen absolviert h a t t e n , b e k a n n t gew e s e n sein. 1 7 9 D a s „ S t e u e r a n p a s s u n g s g e s e t z " k o d i f i z i e r t e so v e r s c h i e d e n e i d e o l o gisch b e d i n g t e inhaltliche U m - u n d N e u d e u t u n g e n v o n B e g r i f f e n wie „ S t e u e r m o ral" o d e r „ S t e u e r e h r l i c h k e i t " seit 1933, w o b e i sich d a m i t s o w o h l z w e c k r a t i o n a l e als a u c h i d e o l o g i s c h e Z i e l s e t z u n g e n v e r b a n d e n . J e d e r V e r s t o ß gegen die Steuerm o r a l u n d jede U n e h r l i c h k e i t in S t e u e r s a c h e n - nicht n u r v o n J u d e n - sollten beispielsweise nicht m e h r als Kavaliersdelikt b e t r a c h t e t w e r d e n . V i e l m e h r stellten d e r a r t i g e Vergehen, so ein S c h r e i b e n des J u s t i z m i n i s t e r s v o m 13. A p r i l 1935, ein V e r b r e c h e n gegen d e n Staat dar. „ S t e u e r v e r b r e c h e r " h a t t e n prinzipiell als Staatsf e i n d e u n d d a m i t als F e i n d e d e r „ V o l k s g e m e i n s c h a f t " zu gelten u n d w a r e n a u c h als solche zu b e h a n d e l n . 1 8 0 „ M a n g e l an E h r l i c h k e i t " , so lautete d e r D i e n s t b e f e h l eines leitenden K r i m i n a l b e a m t e n , „bei E r f ü l l u n g d e r steuerlichen V e r p f l i c h t u n g e n b e d e u t e t M a n g e l an T r e u e z u m Staat u n d z u r V o l k s g e m e i n s c h a f t . W e r sich seiner V e r p f l i c h t u n g e n z u r Z a h l u n g v o n Steuern e n t z i e h t , n i m m t d e m Staat die Mittel, die er b r a u c h t , u m seine A u f g a b e n g e g e n ü b e r d e m Volk zu erfüllen. E r ist mit Schuld d a r a n , w e n n die Steuerlast, die auf d e r e i n z e l n e n P e r s o n r u h t , nicht in d e m M a ß e gemildert w e r d e n k a n n , wie es n o t w e n d i g ist, u m eine d u r c h g r e i f e n d e G e s u n d u n g d e r sozialen, w i r t s c h a f t l i c h e n u n d finanziellen Lage des Volkes h e r b e i z u f ü h r e n . W e r gegen die Z o l l g e s e t z e v e r s t ö ß t o d e r d e n aus p o l i t i s c h e n , w i r t s c h a f t l i chen, g e s u n d h e i t l i c h e n o d e r a n d e r e n G r ü n d e n erlassenen E i n - , A u s - u n d D u r c h f ü h r v e r b o t e n z u w i d e r h a n d e l t , z e r s t ö r t den Wall, d e r die d e u t s c h e A r b e i t u n d die d e u t s c h e W i r t s c h a f t s c h ü t z t , u n d schädigt das W o h l des V o l k s g a n z e n . D e r Steuerb e t r u g darf nicht m e h r als ,Kavaliersdelikt', d e r S c h m u g g e l nicht m e h r als eine .Gewohnheit' der G r e n z a n w o h n e r angesehen u n d behandelt werden."181 D e b a t t e n im M i n i s t e r i u m D i e nationalsozialistische W e l t a n s c h a u u n g als „ o b e r s t e R i c h t s c h n u r " , wie sie v o n R e i n h a r d t bereits als einer d e r z e n t r a l e n G r u n d s ä t z e fiskalischer S t e u e r p o l i t i k im J u n i 1934 g e f o r d e r t w o r d e n war, f a n d auch E i n g a n g in k o n k r e t e E n t w ü r f e f ü r eine antisemitisch m o t i v i e r t e Ä n d e r u n g d e r S t e u e r g e s e t z g e b u n g im R e i c h s f i n a n z m i -
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Z u m „ g e r m a n i s c h e n " E i g e n t u m s b e g r i f f , d e r sich an V o r b i l d e r aus d e m 19. J h . a n l e h n t e , vgl. K r o e s c h e l , E i g e n t u m s l e h r e . Misera, O r g a n i s a t i o n s v e r ä n d e r u n g , S. 204. D e r Erlass des J u s t i z m i n i s t e r s e r g i n g am 13. 4. 1935; A r b e i t s b e r i c h t d e r S t e u e r f a h n d u n g v o m 26. 9. 1938; B A B / R 2 / 5 9 7 9 . D i e n s t b e f e h l des Leiters d e r K r i p o K ö l n v o m 24. 10. 1942; S t A M / P o l i z e i d i r e k t i o n / 7 5 C 6 .
166
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
nisterium. 1 8 2 Die Überlegungen einiger Referate gingen vor allem dahin, jüdische Vereinigungen von Steuervergünstigungen auszunehmen, da diese weder kirchlich noch gemeinnützig tätig sein könnten. Kopfzerbrechen bei den Vorschlägen für Gesetzesnovellierungen bereitete der Ministerialbürokratie lediglich die „prinzipielle Veranlagung" jüdischer Erwerbstätiger. Denn generell sah man sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass Juden gerade in den Erwerbszweigen, in denen sie besonders häufig vertreten waren, die Mehrbelastung einfach auf den Verbraucher abwälzen konnten. Zudem bereitete die Definition des „Rassejuden" nach wie vor erhebliche Probleme. 1 8 3 Ungeachtet bestehender Unklarheiten erörterte man im Reichsfinanzministerium aber Möglichkeiten, auf dem Verwaltungswege gegen jüdische Erwerbstätige vorzugehen. Dazu bot zunächst die generelle Ablehnung von Billigkeitserlassen eine Handhabe. Einen Weg zur bürokratisch gangbaren Restriktion sahen die Ministerialbeamten insbesondere bei jüdischen Viehhändlern, denen man die Befreiung vom Umsatzsteuerheft versagen konnte. 1 8 4 Zunächst blieb es allerdings bei Empfehlungen. Die Entwürfe für die Gesetzesnovellen wurden erst in den darauffolgenden Jahren in Gesetzesform gegossen. Auf dem Verwaltungswege war lediglich die Versagung der Befreiung jüdischer Viehhändler vom Umsatzsteuerheft bereits vor den Vorschlägen des Reichsfinanzministeriums vom Sommer 1935 gängige Praxis. 1 8 5 Die Bedeutung der antisemitisch motivierten Diskussionen und judenfeindlichen Planspiele auf höchster ministerieller Ebene bemisst sich freilich nicht nur an der legislativen Umsetzung. Wichtiger erscheint vielmehr die Tatsache, dass in einem Ministerium, dem von der Forschung bis vor kurzem noch bescheinigt wurde, sich in den ersten Jahren des NS-Regimes einer aktiven Judenpolitik enthalten zu haben, noch vor den „Nürnberger Gesetzen" derartige Überlegungen konkretes Planungsstadium erreichten und innerhalb der Zentralverwaltung auch diskutiert wurden. 1 8 6 Die Grundvoraussetzungen für eine antisemitische Diskriminierung der inländischen jüdischen Bevölkerung und jüdischer Emigranten, so lässt sich die Bedeutung der Impulse von oben zusammenfassen, unterschieden sich in einigen Aspekten, die für die Beurteilung fiskalischer Praxis vor O r t wesentlich sind. Bei den Überwachungs- und Entziehungsroutinen gegenüber der inländischen jüdi-
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Punkt 1 der vier „Grundsätze nationaler Steuerpolitik"; RStBl. vom 26. 6. 1934, S. 753 ff.; Pawellek, Finanzverwaltung, S. 80. Bericht des Referats Zülow vom 21. 8. 1935 und des Referats Kühne vom 22. 8. 1935; BAB/R2/56014; Friedenberger, Finanzverwaltung, S. 16 f. Schließlich mündeten die Überlegungen in Vorschläge für drei Gesetzesänderungen: erstens den Ausschluss von Juden von der Erleichterung im Umschlagsverkehr, zweitens eine Änderung der Befreiungsvorschrift für jüdische Hausgewerbetreibende dahingehend, dass diese nur Mitgliedern der D A F gewährt werden könne, und drittens die Aufhebung der Sondervorschrift für Werbungsmittler sowie für Wein- und Hopfenkommissionäre; Schreiben des R d F an Dir. des Referats I I I im Hause vom 22. 8. 1935; BAB/R2/ 57247. Schreiben an den Dir. des Referats III vom 22. 8. 1935; ebd. Stefan Mehl ist der Meinung, das Finanzministerium habe sich in den ersten Jahren aus der Judenpolitik herausgehalten; Mehl, Reichsfinanzministerium, S. 39.
II. Die Einziehung
konventioneller
Steuern
167
sehen Bevölkerung ist potentiell von einem doppelten Spannungsverhältnis auszugehen. Erstens trafen hier wie generell bei der ö k o n o m i s c h e n Seite der J u d e n verfolgung rassistische und wirtschaftliche Aspekte z u s a m m e n . 1 8 7 D i e Z w e c k rationalität des Fiskus, die A b s c h ö p f u n g steuerlicher Leistungen, k o n n t e dem Ziel der raschen Ausschaltung der J u d e n weit mehr entgegenstehen, als dies bei der Ausplünderung von Auswandernden der Fall war. D i e Finanzbeamten sahen sich zweitens mit der formalen Fortdauer liberaler R e c h t s n o r m e n konfrontiert, die nicht durch die Kriminalisierung einer Minderheitengruppe faktisch bereits 1931 ausgehebelt und die daher ebenfalls mit dem Ziel der „rassisch" bedingten D i s k r i minierung nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen waren.
3. Fachbeamte ohne Parteibuch: Merkmale der Personalstruktur am Beispiel Landesfinanzamts München und des Finanzamts München-Nord
des
Das janusköpfige Gesicht der Finanzverwaltung, das zwischen der Bewahrung bürokratischer R o u t i n e n einerseits und ideologisch motivierter Neuerungen andererseits wechselte, bildete sich auch in der Personalpolitik innerhalb der regionalen Administrationen ab. Dies verdeutlicht beispielhaft die Personalstruktur des Finanzamts M ü n c h e n - N o r d . F ü r die Ü b e r w a c h u n g der jüdischen steuerpflichtigen Bevölkerung war neben dem Landesfinanzamt das Finanzamt M ü n c h e n - N o r d die entscheidende Behörde. M ü n c h e n - N o r d oblag als einzigem Finanzamt die B u c h - und Betriebsprüfung von Firmen, Praxen und Kanzleien im gesamten F i n a n z b e z i r k . 1 8 8 Die nahezu bruchlose Kontinuität über 1933 hinaus zeigte sich hier in der Personalpolitik besonders deutlich. In der B u c h - und Betriebsprüfungsstelle des Finanzamts arbeiteten 16 Prüfer. 1 8 9 Von 1931 bis 1935 blieben Personal und Anzahl der durchgeführten Prüfungen sowohl im Landesfinanzamt M ü n c h e n als auch im Finanzamt M ü n c h e n - N o r d weitgehend unverändert. 1 9 0 A u c h die Sach- und B e zirksarbeiter in der Veranlagungs- und Vollstreckungsabteilung waren altgediente F i n a n z b e a m t e mittleren Alters, die zu einem überwiegenden Teil erst 1937 oder in späteren Jahren der Partei beitraten. 1 9 1 Ihre Karrieren begannen im Laufe der
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H i e r z u g r u n d l e g e n d auch Kuller, E n t z i e h u n g - V e r w a l t u n g - V e r w e r t u n g , im E r s c h e i n e n begriffen. In der vorliegenden Studie w u r d e n A k t e n b e s t ä n d e ( v o r w i e g e n d P e r s o n a l a k t e n ) d e r j e n i gen B e a m t e n a u s g e w e r t e t , die m a ß g e b l i c h mit der fiskalischen J u d e n v e r f o l g u n g betraut w a r e n . D i e s b e t r a f v. a. B u c h - und B e t r i e b s p r ü f e r , S a c h b e a r b e i t e r für „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " - S a c h e n , B e a m t e in den Strafsachenstellen bzw. das für Billigkeitsfragen und E r lasse zuständige P e r s o n a l . N e b e n den P e r s o n a l a k t e n w u r d e n auch S p r u c h k a m m e r a k t e n h i n z u g e z o g e n , die, u n g e a c h t e t q u c l l e n t e c h n i s c h c r E i n w ä n d e , unerlässliche I n f o r m a t i o nen ü b e r S o z i a h s a t i o n und K a r r i e r e v e r l a u f enthielten. I n s g e s a m t w u r d e n die K a r r i e r e v e r läufe v o n 18 B e a m t e n des F i n a n z a m t s , die in f ü h r e n d e r F u n k t i o n ( B e z i r k s a r b e i t e r / S a c h b e a r b e i t e r ) tätig w a r e n , r e k o n s t r u i e r t . H i n z u g e z o g e n w u r d e d a r ü b e r hinaus A k t e n m a t e rial v o n f ü n f B e a m t e n des O b e r f i n a n z p r ä s i d i u m s , die als S a c h b e a r b e i t e r für S t e u e r f r a g e n , Billigkeitserlasse etc. v e r a n t w o r t l i c h w a r e n . P r ü f u n g s g e s c h ä f t s p l a n des L E A M ü n c h e n von J a n u a r bis M ä r z 1932; S t A M / O F D / 3 9 7 . P r ü f u n g s g e s c h ä f t s p l ä n e v o n 1 9 3 3 - 1 9 3 5 ; ebd. Von den 18 u n t e r s u c h t e n B e a m t e n des F i n a n z a m t s M ü n c h e n - N o r d w a r e n vier seit dem
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Viertes Kapitel: Finanz verwaltung und
Judenverfolgung
1920er Jahre. In den ersten Jahren nach 1933 wurden alle Beförderungen noch turnusmäßig durchgeführt. Die „Machtergreifung" hatte also nicht zu einem Karriereknick geführt. Die Anzahl von „Altparteigenossen" oder Beamten, die 1933 der N S D A P beitraten, nahm sich dagegen verschwindend gering aus. Eine besondere Parteiaktivität konnte nur in wenigen Fällen nachgewiesen werden. 1 9 2 Die meisten Beamten waren 1933 zwischen 45 und 55 Jahre alt und verfügten über lange Berufserfahrung und einen hohen Ausbildungsgrad, ein Altersdurchschnitt, der mit dem aller Beamten im Landesfinanzamtsbezirk korrespondierte: Hier lag er bei 45 Jahren und mehr. N o c h Mitte 1937 war lediglich ein einziger Finanzbeamter Oberbayerns unter 40 Jahre alt und nur fünf waren unter 45 Jahre. 1 9 3 Die meisten hatten Anfang der 1920er Jahre mit Einführung der ersten devisengesetzlichen Regelungen ihren Dienst in der Finanzverwaltung angetreten. Ein ganz ähnliches Profil kennzeichnete die Spitzenbeamten des Landesfinanzamtsbezirkes Oberbayern. D e m Oberfinanzpräsidenten in München, O t t o Ritter von Dandl, folgten im August 1933 Ludwig Pissl und dann ab Mai 1934 der spätere Chefpräsident des Reichsfinanzhofs in München, Ludwig Mirre. 1 9 4 Keiner dieser Oberfinanzpräsidenten war bei Amtsantritt Parteiangehöriger. Alle drei waren auch vor der „Machtergreifung" bereits hohe Funktionsträger der Reichsfinanzverwaltung.195 Ludwig Mirre etwa begann seine Karriere 1921 als Beamter der preußischen Staatsverwaltung. Erst 1937 wurde er N S D A P - M i t g l i e d . 1 9 6 Diese Personalstruktur stimmt auch mit der Feststellung des Reichsministers überein, die Oberfinanzpräsidenten seien in der N S - Z e i t überwiegend Fachleute gewesen, die schon vor 1933 über entsprechende Spitzenämter in der Verwaltung verfügt hätten. 1 9 7 Hieran änderte auch die Durchführung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" in München nur wenig. Im Landesfinanzamtsbezirk gab
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1. Mai 1933 Parteimitglieder, drei traten der Partei 1937 bei, weitere drei 1938, drei erst 1941. Drei Beamte gehörten wegen ihrer jüdischen Ehefrau gar nicht der Partei an, und bei zweien konnte die Parteiaktivität nicht mehr nachvollzogen werden. Hierbei handelte es sich in den Untersuchungsräumen auf der mittleren hierarchischen Ebene um zwei, maximal drei Beamte. Herausstechende Tätigkeiten für die N S D A P waren nur im Falle des Würzburger Beamten Georg Treutlein nachzuweisen. Treutlein trat 1930 der Partei bei und war Propagandaleiter und Gauredner für den Bereich Kitzingen. Wohl auch aufgrund seiner besonderen Beziehungen zur Parteispitze im Gau Mainfranken wurde der Beamte, vormals Obersteuerinspektor im L F A Würzburg, zum Leiter der Steuerfahndung ernannt; Schreiben des Beamten W. an das Finanzamt Würzburg vom 1. 7. 1946; StAW/Spruchkammer W ü r z b u r g / 1 2 0 0 6 ; Schreiben der O F D Nürnberg an das bayerische Finanzministerium vom 15. 12. 1949; B a y H S t A M / M F / P e r s o n a l a k t e n / 1 0 9 5 / 1099. Vortrag eines L F A - D i r e k t o r s während einer Finanzamtsvorsteherbesprechung im L F A München am 26. und 27. 2. 1937; S t A M / F i n a n z a m t / 1 2 8 1 5 . Bathe/Kumpf, Mittelbehörden, S. 50. Sein systemkonformes Verhalten stellte Mirre allerdings frühzeitig unter Beweis, als er 1934 Adolf Hitler von der Steuerpflicht befreite; zu Mirre vgl. auch Kumpf, Reichsfinanzhof, S. 146 ff. Ebd., S. 147. Schwerin von Krosigk, Staatsbankrott, S. 258.
II. Die Einziehung
konventioneller
Steuern
169
es kaum Entlassungen. 1 9 8 Personelle Kontinuitäten beschränkten sich allerdings nicht auf die M ü n c h n e r Finanzadministration. Gleiches galt für die bayerische Staatskanzlei, das bayerische Wirtschaftsministerium und die bayerische G e m e i n debank. Lediglich das Kultusministerium beschäftigte zwei jüdische Lehrer, die im R a h m e n dieses Gesetzes in den Ruhestand versetzt w u r d e n . 1 9 9 D i e personellen Strukturen korrespondierten darüber hinaus mit reichsweiten Entwicklungen. Von den 7 3 0 0 0 B e a m t e n , die 1933 in der Reichsfinanzverwaltung tätig waren, wurden insgesamt 1732, also etwa 2,4 Prozent in den Ruhestand versetzt. 2 0 0 D a runter waren allerdings einige prominente Angehörige der Finanzverwaltung wie etwa Staatssekretär A r t h u r Zarden oder der Referent für B u c h - und Betriebsprüfungsangelegenheiten im Reichsfinanzministerium R o l f Grabower. Das Ministerium entledigte sich des ungeliebten jüdischen Finanzexperten, indem es ihn 1933 als Reichsrichter z u m F i n a n z h o f nach M ü n c h e n weglobte und 1936 in den R u h e stand versetzte. I m Juni 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert. 2 0 1 Erst in den Jahren 1 9 3 5 / 3 6 traten dann größere Veränderungen ein. Diese betrafen etwa die Personalaufstockung im B u c h - und Betriebsprüfungsbereich, hervorgerufen durch die wachsende Anzahl der Prüfungen. 2 0 2 N u n legte auch das Finanzministerium in der Personalpolitik mehr Wert auf die politische Linientreue der Beamten. Mit dem neuen Präsidenten des Landesfinanzamts M ü n c h e n , C h r i s tian Weissensee, der im April 1935 sein A m t antrat, lenkte ein überzeugter N a t i o nalsozialist mit persönlichen Bindungen zu Hitler das G e s c h i c k der oberbayerischen F i s k a l b e h ö r d e n . 2 0 3 D e r neue Präsident sorgte für eine enge Verzahnung zwischen Partei und Staat. D i e Personal- und Geschäftsstellen besetzte er mit Parteimitgliedern, zugleich intensivierte er die Zusammenarbeit mit den Hoheitsträgern der Partei. Ausfluss der neuen betont regimenahen Personalpolitik waren 198
N i e d e r s c h r i f t der A m t s v o r s t e h e r b e s p r e c h u n g StAM/Finanzamt/12815.
am 6 . 7 .
1934 im L F A M ü n c h e n , S. 6;
V g l . die e n t s p r e c h e n d e n A u f s t e l l u n g e n u n d B r i e f w e c h s e l des F i n a n z m i n i s t e r i u m s mit den a n d e r e n M i n i s t e r i e n : S c h r e i b e n der b a y e r i s c h e n S t a a t s k a n z l e i v o m 2 7 . 9. 1936; S c h r e i b e n des W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s v o m 6 . 1 0 . 1 9 3 6 u n d S c h r e i b e n des K u l t u s m i n i s t e r i u m s v o m 1. 10. 1936; B a y H S t A M / M F / 6 6 9 1 2 . 200 D i e Z a h l e n bei G ö s s e l , B e a m t e n t u m , S. 100. U b e r das G e s e t z u n d seine A u s w i r k u n g e n ist bereits viel diskutiert w o r d e n . I n s g e s a m t waren hiervon w o h l weit w e n i g e r B e a m t e b e t r o f f e n als eigentlich v o r g e s e h e n ; M o m m s e n , B e a m t e n t u m , S. 5 2 ff.; T a r r a b - M a s l a t o n , S t r u k t u r e n , S. 4 1 ; z u r V e r t r e i b u n g v o n H o c h s c h u l l e h r e r n und den F o l g e n der antisemitischen G e s e t z e allgemein siehe auch S z a b o , V e r t r e i b u n g , S. 32 f.; L o n g e r i c h , P o l i t i k , S. 4 6 ff. 199
2S1
2=2
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A n t r a g G r a b o w e r s auf E n t s c h ä d i g u n g für S c h a d e n im w i r t s c h a f t l i c h e n F o r t k o m m e n v o m 2 6 . 2 . 1950 und eidesstattliche E r k l ä r u n g des S t a a t s k o m m i s s a r s für p o l i t i s c h e V e r f o l g t e in B a y e r n v o m 14. 3. 1948; B a y H S t A M / B E G / 7 2 3 2 9 ; S c h ö p f , G r a b o w e r , S. 2 7 3 - 2 7 8 . D i e Z a h l der A n g e s t e l l t e n des L a n d e s f i n a n z a m t s b e z i r k e s w u c h s in den J a h r e n 1 9 3 3 - 1 9 3 7 um m e h r als das D o p p e l t e ; V o r t r a g des R e g i e r u n g s r a t s D r . H . bei der B e s p r e c h u n g der F i n a n z a m t s v o r s t e h e r des L F A M ü n c h e n in G a r m i s c h im J u l i 1937; S t A M / F i n a n z a m t / 12815. U b e r F i n a n z p r ä s i d e n t Weissensee liegen leider keine P e r s o n a l a k t e n vor, und die S p r u c h k a m m e r a k t e k o n n t e t r o t z intensiver R e c h e r c h e nicht gefunden w e r d e n . In einem Vortrag eines S t e u e r i n s p e k t o r s w u r d e Weissensee als „ A l t e r K a m p f g e f ä h r t e " des F ü h r e r s b e z e i c h net; V o r t r a g eines O S t l bei der B e s p r e c h u n g der F i n a n z a m t s v o r s t e h e r des L F A M ü n c h e n in G a r m i s c h im J u l i 1937; S t A M / F i n a n z a m t / 1 2 8 1 5 .
170
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
unter anderem die Einschätzungen in den Befähigungsberichten der Beamten, bei denen die von den Dienststellen der Partei vertretene Meinung als die maßgebende angesehen werden musste. 2 0 4 Sowohl auf der höchsten als auch auf der mittleren hierarchischen Ebene stellte das Jahr 1933 in personalpolitischer Hinsicht also keine Zäsur dar. In anderen B e reichen der staatlichen Verwaltung waren die personellen Kontinuitäten hingegen weniger ausgeprägt und der Bruch in der personellen Struktur größer als bei der Reichsfinanzverwaltung. 2 0 5 Die Ursache dieser Sonderstellung der Finanzbeamten lag offensichtlich am Bedarf an fachlich geschultem Personal. Ein ähnliches Bild hat jüngst die Untersuchung der gesundheitspolitischen Funktionseliten ergeben. 2 0 6 Kriterien wie Parteizugehörigkeit, Dienstalter oder fachliche Qualifikation der Beamten lassen jedoch nur sehr bedingt Rückschlüsse auf antisemitische Verhaltensmuster zu. Kollaboration mit den Nationalsozialisten oder die rasche „politische Selbstanpassung" waren, wie dies auch in der Forschung hervorgehoben wird, trotzdem ohne weiteres möglich. 2 0 7 D e r Willensbildungsprozess in den regionalen Finanzbehörden war zudem von zahlreichen Faktoren abhängig. Hierzu gehörten bürokratische Funktionsmechanismen genauso wie Traditionen und Stile der Beamten, deren Einbindung in regionale Netzwerkstrukturen oder ihr Verhältnis zum Publikum. Die Frage, inwieweit die radikalen Umbrüche des NS-Regimes diese unter dem Stichwort der Verwaltungskultur zusammengefassten Merkmale beeinflussten, erlaubt angesichts der stark formalisierten Akten keine generalisierbaren Antworten. 2 0 8 Kaum noch nachvollziehbar ist etwa der tatsächliche Einfluss der wenigen politisch äußerst aktiven Beamten, deren Dienstgrad in der Reichsfinanzverwaltung nicht immer ihrer tatsächlichen Machtfülle entsprechen musste. Prägnantes Beispiel eines Finanzbeamten der mittleren hierarchischen Ebene, der gleichzeitig ranghohe N S D A P - Ä m t e r bekleidete, ist Oberinspektor Georg Treutlein, ein Steuersachbearbeiter in verschiedenen Finanzämtern und ab 1940 Leiter der Steuerfahndungsstelle beim Finanzamt Würzburg. Als Altparteigenosse und Gauredner der N S D A P in Kitzingen war er Teil des Netzwerkes von Gauleiter Hellmuth, und seinen Einfluss im unterfränkischen Landesfinanzamt bezeichneten Kollegen als „maßgeblich". 2 0 9 Schwer messbar ist auch das durch die Säuberungen im Zuge des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" entstandene Bedrohungspotential. 2 1 0 Dennoch:
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Vortrag eines O S t l bei der Besprechung der Finanzamtsvorsteher des L F A München in Garmisch im Juli 1937; ebd. Rebentisch, Führerstaat, S. 545 ff. Süß, Volkskörper, S. 95 ff. Ebd., S. 110; Gössel, Beamtentum, S. 113. Zur Bedeutung der Verwaltungskultur für den internen Willensbildungsprozess innerhalb administrativer Apparate vgl. Fisch, Verwaltungskulturen, S. 304; Jann, Verwaltungskulturen, S. 331. Brief des Finanzbeamten W. an das Finanzamt Würzburg vom 1. 7. 1946; StAW/Spruchkammer Bad Kissingen/2765; Schreiben der O F D Nürnberg an das bayerische Finanzministerium vom 15. 12. 1949; BayHStAM/MF/Personalakten/1095/1099. Das Gesetz zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 bot die Möglichkeit, sowohl jüdische als auch politisch missliebige Beamte in den Ruhestand zu versetzen.
II. Die Einziehung
konventioneller
Steuern
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B a y e r n w e i t waren die meisten B e a m t e n lange Zeit nicht zu einem Parteieintritt zu bewegen und partizipierten damit offensichtlich nicht an den von den Gauleitern etablierten Seilschaften. N o c h im J u n i 1941 m o n i e r t e der b a y e r i s c h e M i n i s t e r p r ä sident die h o h e A n z a h l von A n g e h ö r i g e n des h ö h e r e n D i e n s t e s , die nach wie v o r keine Parteimitglieder seien. E r s t in diesem J a h r m a h n t e Siebert, der gleichzeitig das A m t des F i n a n z m i n i s t e r s bekleidete, den baldigen Eintritt in die N S D A P an, damit die Einstellung z u m neuen Staat endgültig h e r v o r t r e t e . 2 1 1 P e r s o n a l s t r u k t u r und grundlegende F u n k t i o n s m e c h a n i s m e n hatte das N S - R e gime, dies sei n o c h einmal b e t o n t , im Wesentlichen u n b e r ü h r t gelassen und damit gewollt o d e r ungewollt der nur langsamen Veränderungsfähigkeit und dem B e h a r r u n g s v e r m ö g e n der administrativen A p p a r a t e R e c h n u n g getragen. D i e R e i c h s regierung k o n n t e sich dabei nicht nur auf eingespielte U b e r w a c h u n g s - und E n t ziehungsroutinen, s o n d e r n auch auf etablierte Verhaltensmuster der B e a m t e n verlassen. G e g e n ü b e r den Steuerzahlern
hatte die F i n a n z b e a m t e n s c h a f t
früh
spezifische und v o n Misstrauen geprägte Stile entwickelt. In B e s p r e c h u n g e n und Vorträgen sahen sich die B e a m t e n generell als „Streiter" für den „ A u f b a u des R e i c h e s " . I h r A u f g a b e n g e b i e t , die E i n t r e i b u n g von Steuern, b e s c h r i e b e n sie als „ F r o n t " . 2 1 2 D i e i m m e n s e haushaltspolitische B e d e u t u n g ihrer A u f g a b e und ihre F a c h - und A m t s a u t o r i t ä t dürften den G l a u b e n an die eigene G r ö ß e und die skeptische H a l t u n g gegenüber dem Steuerzahler begründet haben. E r befand sich in der W a h r n e h m u n g der F i s k a l b e h ö r d e n folgerichtig in einem „ U n t e r t ä n i g k e i t s v e r hältnis", schlimmstenfalls galt er gar als F e i n d , d e m der B e a m t e als „ K ä m p f e r " entgegentreten musste
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G l e i c h z e i t i g s c h u f das N S - R e g i m e durch die in G e s e t z e s f o r m gegossenen ideologischen Einfallstore W i d e r s p r ü c h e hinsichtlich der steuerlichen B e h a n d l u n g der J u d e n im R e i c h und wälzte die L ö s u n g politisch bedingter P r o b l e m e auch in diesem B e r e i c h auf die regionalen Verwaltungsapparate ab.
4. Entziehungspraxis
vor Ort
München A u f g r u n d der B e i b e h a l t u n g traditioneller N o r m e n des Steuerrechts gab es in den regionalen G l i e d e r u n g e n der Fiskalverwaltung keine gesonderten E i n r i c h t u n g e n für die Veranlagung j ü d i s c h e r Steuerpflichtiger. D e r e n B e h a n d l u n g durch die I n -
R u n d s c h r e i b e n des M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n S i c h e r t v o m 1 . 6 . 1941; B a v H S t A M / M F / 9 6 2 . - V o r t r a g des M i n R a t D r . B l ü m i c h im R a h m e n einer A m t s v o r s t e h e r b e s p r e c h u n g am 6. 7. 1934 im L F A M ü n c h e n ; S t A M / F i n a n z a m t / 1 2 8 1 5 ; A u s s a g e eines StI in einem E n t s c h ä d i gungsvertahren; B L E A / A . Z / 4 5 2 7 3 . - 1 3 U b e r das h e r r i s c h e A u f t r e t e n v o n F i n a n z a m t s v o r s t e h e r n gab es auch nach d e m K r i e g n o c h B e s c h w e r d e n , etwa im H e r b s t 1951 in G r i e s b a c h . D e r d o r t i g e G e m e i n d e r a t rügte das Verhalten des aus N o r d d e u t s c h l a n d s t a m m e n d e n F i n a n z a m t s v o r s t e h e r s w e g e n seiner E i n s t e l l u n g g e g e n ü b e r der s t e u e r z a h l e n d e n B e v ö l k e r u n g . D e r F i n a n z a m t s v o r s t e h e r , so die R e s o l u t i o n des R a t s an das b a y e r i s c h e F i n a n z m i n i s t e r i u m , gehe v o n einem Verhältnis K ö n i g zu U n t e r t a n aus. E r schade mit seinem a u t o r i t ä r e n Verhalten dem A n s e h e n der ges a m t e n b a y e r i s c h e n F i n a n z v e r w a l t u n g ; R e s o l u t i o n des G e m e i n d e r a t s G r i e s b a c h an das b a y e r i s c h e F i n a n z m i n i s t e r i u m v o m 14. 11. 1951; B a v H S t A M / M F / 7 1 7 . 21
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
stitutionen der Finanzverwaltung in M ü n c h e n ist daher zunächst im K o n t e x t allgemeiner Aspekte der Entziehungspraxis zu sehen. H i e r schlug sich vor allem die durch das N S - R e g i m e geforderte A n h e b u n g der Steuermoral und des Steueraufk o m m e n s nieder. Prinzipiell galt das besondere A u g e n m e r k den großen und kapitalkräftigen U n t e r n e h m e n . D i e s e Schwerpunktsetzung ging bereits auf eine A m t s vorsteherbesprechung im Landesfinanzamt M ü n c h e n von 1932 zurück, in der der Ministerialrat und spätere Finanzpräsident H a n s R a u c h gefordert hatte, in enger Zusammenarbeit mit den Veranlagungsstellen der F i n a n z ä m t e r die B u c h p r ü f u n g vorwiegend dort durchzuführen, w o ein fiskalischer E r f o l g zu erwarten war. 2 1 4 D i e s e r Praxis hatte auch die N S - R e g i e r u n g N a c h d r u c k verliehen. I m Januar 1934 war von ihr eine A n o r d n u n g ergangen, nach der vorrangig die Pflichtigen mit steuerlicher Bedeutung zu veranlagen seien. Als wesentlichen G r u n d hierfür gaben Mitarbeiter des Reichsfinanzministeriums an, etwa acht bis zehn P r o z e n t aller Steuerpflichtigen würden über 75 P r o z e n t des Einkommensteuersolls aufbringen. I m selben J a h r wies daher auch das Landesfinanzamt M ü n c h e n n o c h einmal eindringlich darauf hin, entsprechend vorzugehen und nicht, wie dies in einigen A m t e r n offensichtlich der Fall war, nach der Reihenfolge der Pflichtigen in den Steuerlisten zu veranlagen. 2 1 5 D e r F o r d e r u n g nach scharfer K o n t r o l l e und A n h e b u n g der Steuermoral gemäß arbeiteten die M ü n c h n e r Finanzämter bei der Ü b e r w a c h u n g und Veranlagung der Steuerpflichtigen eng mit den Steuerfahndungsdiensten z u s a m m e n . 2 1 6 Allein der Landesfinanzamtsbezirk M ü n c h e n verfügte über insgesamt 146 A u ß e n d i e n s t b e a m t e . 2 1 7 D i e Fahndungstätigkeit war dabei an das reichsweit gespannte I n f o r m a t i o n s n e t z gekoppelt. Viele Informationen, die zu einer verstärkten Kontrolltätigkeit führten, gingen von der zentralen Steuerfahndungsstelle beim Landesfinanzamt Berlin aus. Diese setzte die zuständigen Stellen der F i n a n z ä m t e r aufgrund der bei ihr eingegangenen Hinweise auf versteckte K o n t e n , Kapitalverschiebungen oder Aktienverkäufe in K e n n t n i s . 2 1 8 D i e enge Zusammenarbeit der regionalen Fahndungsdienste mit den zentralen Berliner Stellen war im O k t o b e r 1933 durch den zuständigen Ministerialrat Dr. H e d ding aus dem Reichsfinanzministerium nachdrücklich gefordert worden. A u c h er hatte darauf hingewiesen, dass vor allem die A u f d e c k u n g größerer Steuerhinter-
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Vortrag des MinRat Rauch bei der Vorsteherbesprechung des L F A München am 6. 7. 1934; StAM/Finanzamt/12815. Ausführungen eines O R R über die Veranlagung der Einkommensteuer bei der Vorsteherbesprechung des L F A München am 6. 7. 1934; ebd. Der Steuerfahndungsdienst war im Bezirk des L F A München sowohl auf das L F A als auch auf sämtliche Finanzämter des Bezirks verteilt; Besprechung am 3. 12. 1934 im L F A Würzburg; B A B / R 2 / 6 0 0 4 . Während im L F A selber acht Beamte tätig waren, verteilten sich die SteueraußendienstBeamten im Münchner Innenstadtbereich auf die Finanzämter Nord mit sechs Beamten, Ost mit zwei Beamten, Süd mit vier Beamten, West mit drei Beamten und Zentral mit vier Beamten. Das Finanzamt München-Land verfügte über zwei Beamte; Bericht des Präsidenten des L F A München an den R d F vom 9. 1. 1934; B A B / R 2 / 5 9 7 2 ; Geschäftsplan der Abteilung für Besitz- und Verkehrsteuern des L F A München, Stand 1.10. 1933; StAM/ Finanzamt/19840. Vgl. exemplarisch den Brief der Zentralen Steuerfahndung an das Finanzamt München vom 21. 2. 1934; StAM/Finanzamt/19345.
II. Die Einziehung
konventioneller
Steuern
173
ziehungsfälle mit d e m Ziel des m o n e t ä r e n E r f o l g e s a n z u s t r e b e n sei. F ü r Fälle von geringerer B e d e u t u n g sollten keine A r b e i t s k r ä f t e unsinnig in A n s p r u c h g e n o m men w e r d e n . 2 1 9 F ü r die U m s e t z u n g der geforderten Ü b e r w a c h u n g s m a ß n a h m e n waren in M ü n chen neben der B u c h - und Betriebsprüfungsstelle des L a n d e s f i n a n z a m t s das F i n a n z a m t M ü n c h e n - N o r d und die Devisenstelle v e r a n t w o r t l i c h . D i e A u f g a b e n der B e a m t e n waren umfangreich, w o b e i die nahezu u n g e b r o c h e n e K o n t i n u i t ä t strenger K o n t r o l l v e r f a h r e n ü b e r die Z ä s u r von 1933 hinweg deutlich zur G e l t u n g kam. D u r c h den M a c h t w e c h s e l änderte sich in der täglichen U b e r p r ü f u n g s r o u t i n e nicht viel. Z u m i n d e s t blieben s o w o h l die A n z a h l der durchgeführten Prüfungen als auch die P r ü f e r selbst weitgehend k o n s t a n t . Von 1932 bis 1935 b e w e g t e sich die A n z a h l der Prüfungen der Devisenstelle bei etwa 3 5 0 , die Zahl der B e a n s t a n d u n gen bei ungefähr 4 0 . 2 2 0 Ä h n l i c h e s galt für die M ü n c h n e r F i n a n z ä m t e r : In den J a h ren 1932 und 1933 überprüften sie innerhalb eines Vierteljahres in der L a n d e s hauptstadt etwa 50 B e t r i e b e , w o b e i das L a n d e s f i n a n z a m t lediglich ein F ü n f t e l der durchgeführten P r ü f u n g e n und dabei ausschließlich G r o ß b e t r i e b e ü b e r n a h m . 2 2 1 D i e zentrale Steuerung der Ü b e r w a c h u n g s m a ß n a h m e n behielt die M i t t e l b e h ö r d e , die ebenfalls auf etablierte R o u t i n e n zurückgriff. D i e A n w e i s u n g e n zur Ü b e r p r ü fung eines B e t r i e b e s gingen i m m e r v o m L a n d e s f i n a n z a m t aus, das e n t s p r e c h e n d e Listen an das F i n a n z a m t M ü n c h e n - N o r d übersandte. In diesen Listen w a r bei jeder zu ü b e r p r ü f e n d e n F i r m a gesondert v e r m e r k t , w o r a u f bei der P r ü f u n g vorrangig zu achten s e i . 2 2 2 D i e ausführenden B e a m t e n des F i n a n z a m t s waren dann u n m i t t e l b a r mit den Pflichtigen k o n f r o n t i e r t . D i e B u c h - und B e t r i e b s p r ü f e r k o n trollierten vor O r t die steuerlichen A n g a b e n des B e t r o f f e n e n . E t w a i g e Mängel trugen sie in den „roten B o g e n " des B e t r i e b s p r ü f u n g s b e r i c h t s ein. H i e r fanden bes o n d e r e Tatbestände ihren N i e d e r s c h l a g , die nur für die F i s k a l b e h ö r d e n b e s t i m m t waren, etwa, w e n n der Pflichtige versucht hatte, B e w e i s m i t t e l während der U n t e r suchung beiseitezuschaffen. D i e A u s w e r t u n g und gegebenenfalls die Verhängung von S a n k t i o n e n oblag dann der zuständigen Stelle des F i n a n z a m t s . 2 2 3 In einer S c h l u s s b e s p r e c h u n g mit den B e a r b e i t e r n von der B e t r i e b s p r ü f u n g legten diese dann die S t e u e r h ö h e endgültig fest. A n s c h l i e ß e n d prüften die S a c h b e a r b e i t e r in Z u s a m m e n a r b e i t mit der Vollstreckungsabteilung, o b die entsprechenden Steuern ü b e r h a u p t einzubringen w a r e n . 2 2 4
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R u n d s c h r e i b e n des R d F , M i n R a t D r . H e d d i n g , an die P r ä s i d e n t e n der L a n d e s f i n a n z ä m t e r v o m 16. 10. 1933; S t A M / F i n a n z a m t / 1 9 8 6 3 .
D e v i s e n p r ü f u n g s l i s t e n 1932 bis 1935; S t A M / O F D / 3 9 9 ; A u f t r a g s b ü c h e r für die D e v i s e n prüfungen; S t A M / O F D / 4 0 8 . 2 2 1 P r ü f u n g s g e s c h ä f t s p l ä n e des L F A M ü n c h e n v o n 1932 u n d 1933 und S c h r e i b e n des Präsid e n t e n des L F A M ü n c h e n an das F i n a n z a m t M ü n c h e n - N o r d v o m 2 7 . 1. 1933; S t A M / O F D / 3 9 7 . Zu A u f g a b e n und S t r u k t u r der B e t r i e b s p r ü f u n g generell vgl. L e e s c h , G e s c h i c h t e , S. 171; M i s e r a , O r g a n i s a t i o n s v e r ä n d e r u n g , S. 2 5 2 f. - - - S c h r e i b e n des L F A M ü n c h e n an das F i n a n z a m t M ü n c h e n - N o r d v o m 27. 1. 1933; S t A M / OFD/397. 223
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B e s p r e c h u n g beim L F A W ü r z b u r g 1939 ü b e r B u c h - und B e t r i e b s p r ü f u n g e n ; B A B / R 2 / 57500. V o r t r a g des M i n R a t R a u c h bei d e r V o r s t e h e r b e s p r e c h u n g des L F A M ü n c h e n am 6. 7. 1934; S t A M / F i n a n z a m t / 1 2 8 1 5 .
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
Die kontinuierliche Verfahrenspraxis und die durch das NS-Regime nachdrücklich geforderte besondere Berücksichtigung leistungsfähiger Steuerzahler war aus Sicht der Fiskalbehörden von Erfolg gekrönt, die freilich auch von der spürbaren ökonomischen Erholung nach der Weltwirtschaftskrise profitieren konnten. Seit 1933 hatte die Münchner Finanzverwaltung das Steueraufkommen kontinuierlich erhöhen können. Betrug die Steigerungsrate 1933 gegenüber dem Vorjahr noch 5,35 Prozent, so stieg sie 1934 bereits auf annähernd 20 Prozent an und erreichte 1935 fast die 30 Prozentmarke. München lag damit über dem reichsweiten Zuwachs, der sich 1935 bei etwa 24 Prozent eingependelt hatte. Insgesamt betrug das Steueraufkommen Münchens im Jahr 1935 266889000 Reichsmark, womit die industriearme Stadt allerdings nur auf Rang zwölf im Reichsdurchschnitt lag. 2 2 5 Wie hoch dabei das Steueraufkommen der jüdischen Bevölkerung war, lässt sich nicht mehr ermitteln. Die großen und kapitalkräftigen Textilfirmen, Kaufund Bankhäuser hatten aber zu einem überwiegenden Teil jüdische Inhaber, und diese waren daher in besonderem Maße den entsprechend scharfen Kontrollmechanismen unterworfen. Vor allem die breite Masse der jüdischen Gewerbetreibenden, Arzte und Rechtsanwälte, deren Einkommen meist den durchschnittlichen Verdienst in der jeweiligen Erwerbsbranche überstieg, musste ins Visier der Finanzverwaltung geraten. 2 2 6 Tatsächlich bemängelten die Beamten bei nahezu jeder Uberprüfung der jüdischen Betriebe fehlerhafte Buchführungen oder andere Unzulänglichkeiten und bemaßen die Umsätze und Gewinne entsprechend höher. Wichen die angegebenen Gewinne von Richtsätzen ab, veranlagten sie bei angeblich mangelhafter Buchführung nach den entsprechenden Richtsätzen. Als Schätzungsgrundlage legten sie ihre Ermittlung des Umsatzes zugrunde, der meist beträchtlich höher war als der von den Steuerpflichtigen angegebene. Dabei handelten sie auch eigenverantwortlich. Die Prüfung der Berechnungsbogen etwa lag in der Verantwortung der Bezirksarbeiter, die diese in München entgegen bestehender Verwaltungsvorschriften meist ohne spätere Kontrolle durch das Landesfinanzamt fertigstellten und oftmals auch selbst unterzeichneten. 2 2 7 Angesichts der harten Veranlagungspraxis sahen sich die Finanzbeamten mit zahlreichen Beschwerden jüdischer Unternehmer konfrontiert, insbesondere mit Einsprüchen gegen Einkommensteuerbescheide. Aufgrund einer fehlerhaften Veranlagung reichten etwa der Besitzer eines Modehauses, der jüdische Kaufmann Ernst B., im Oktober 1933 und der jüdische Viehhändler Max S. 1937 Beschwerde gegen ihren Einkommensteuerbescheid ein. 228
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Übersicht über das Steueraufkommen im Reich und im LFA-Bezirk München; Anlage 1 der Niederschrift über die Finanzamtsvorsteherbesprechung des LFA München in Garmisch am 26. und 27. 2. 1937; ebd. Statistik über die Reihenfolge der Landesfinanzämter nach der Steuerkraftziffer; Anlage 2 der Niederschrift über die Finanzamtsvorsteherbesprechung des LFA München am 26. und 27. 2. 1937 und Bericht eines O R R ; ebd. Niederschrift über die Finanzamtsvorsteherbesprechung des LFA München in Garmisch am 26. und 27. 2. 1937; ebd. Brief Ernst B.s an das Finanzamt München-Nord vom 5. 10. 1933; StAM/Finanzamt/ 16727; Einspruch der Firma Max und Heinrich S. vom 12. 7. 1937; StAM/Finanzamt/
II. Die Einziehung
konventioneller
175
Steuern
A u c h bei den wenigen Erlasssachen, die die M ü n c h n e r F i n a n z v e r w a l t u n g bei j ü d i s c h e n Steuerpflichtigen zu bearbeiten hatte, gewährten die B e a m t e n J u d e n in k e i n e m Fall Vergünstigungen. F ü r die B e a r b e i t u n g derartiger A n t r ä g e gab es in M ü n c h e n bis z u m D e z e m b e r 1936 eine zentrale S t u n d u n g s - und Erlassstelle, die in enger Z u s a m m e n a r b e i t mit den zuständigen Veranlagungsabteilungen
und
Vollstreckungsstellen e n t s c h i e d . 2 2 9 I m L a n d e s f i n a n z a m t M ü n c h e n war das S a c h gebiet 10 mit drei B e a m t e n für Stundungen, B e i t r e i b u n g e n und N a c h l ä s s e verantw o r t l i c h . 2 3 0 A u c h hier fielen weitreichende E r m e s s e n s s p i e l r ä u m e in den K o m p e tenzbereich der regionalen I n s t i t u t i o n e n der F i n a n z v e r w a l t u n g . D i e Präsidenten der L a n d e s f i n a n z ä m t e r k o n n t e n seit 1934 bis zu einem Betrag von 2 0 0 0 0 und die Vorsteher der F i n a n z ä m t e r bis zu einem Betrag von 1 0 0 0 0 R e i c h s m a r k selbst ü b e r Steuererlasse entscheiden. D a r ü b e r hinaus hatte das R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r i u m die V e r a n t w o r t l i c h e n in den B e h ö r d e n ausdrücklich dazu aufgefordert, auch bei h ö h e r e n B e t r ä g e n k o n k r e t e Vorschläge zu m a c h e n , die dann dem R e i c h s m i n i s t e r der F i n a n z e n lediglich z u r G e n e h m i g u n g vorgelegt werden sollten. 2 3 1 D i e g r o ß e Zahl der Ü b e r p r ü f u n g e n und die h o h e Q u o t e der B e a n s t a n d u n g e n spricht dafür, dass j ü d i s c h e B e t r i e b e z u n e h m e n d ins F a d e n k r e u z der F i n a n z b e h ö r d e n gerieten. E i n e antisemitische M o t i v a t i o n der B e a m t e n bei der Veranlagung und E i n z i e h u n g von V e r m ö g e n s w e r t e n der in M ü n c h e n lebenden jüdischen B e v ö l k e r u n g lässt sich an H a n d der vorliegenden Q u e l l e n - in der Regel B e s p r e c h u n g s p r o t o k o l l e und amtliche F o r m u l a r e - j e d o c h nicht nachweisen. A u c h nach 1934, als der K o n t r o l l a u f w a n d wahrscheinlich als R e a k t i o n auf die zahlreichen Vorgaben aus Berlin erheblich intensiviert w o r d e n war, sind judenfeindliche E i n stellungen nicht explizit aktenkundig. G l e i c h e s gilt für die Zeit nach der erheblichen Z u n a h m e der K o n t r o l l e n , also ab 1936, in der die Zahl der geprüften G r o ß händler sogar auf 5 5 0 0 anstieg, w o b e i in 45 P r o z e n t der Fälle B e a n s t a n d u n g e n vorlagen; auch hier k o n n t e n judenfeindliche M o t i v a t i o n e n nicht
nachweislich
festgestellt w e r d e n . 2 3 2 I m Einzelfall waren die zuständigen B e a m t e n des F i n a n z amts M ü n c h e n - N o r d selbst bei jüdischen Pflichtigen bereit, die Steuerschuld nach unten zu korrigieren, w e n n sie dies im Sinne der G e s a m t v e r a n l a g u n g für n o t w e n dig e r a c h t e t e n . 2 3 3 D i e offiziell weitgehend neutrale H a l t u n g auch anderer M ü n c h ner F i n a n z b e h ö r d e n zeigt sich z u m einen bei den B e s p r e c h u n g e n und Vorträgen in den bayerischen F i n a n z - und L a n d e s f i n a n z ä m t e r n . Bis 1936 finden sich in den P r o t o k o l l e n von B e s p r e c h u n g e n , V e r m e r k e n und F o r m u l a r e n weder antisemiti-
1 9 3 4 4 ; vgl. d a r ü b e r hinaus den B r i e f der D A T A G an das F i n a n z a m t M ü n c h e n - N o r d v o m 6. 9. 1934; S t A M / F i n a n z a m t / 1 8 3 1 7 . 229
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A u s f ü h r u n g e n eines O R R des F i n a n z a m t s M ü n c h e n - N o r d bei der F i n a n z a m t s v o r s t e h e r b e s p r e c h u n g am 2 6 . und 2 7 . 2. 1 9 3 7 ; S t A M / F i n a n z a m t / 1 2 8 1 5 . G e s c h ä f t s p l a n d e r A b t e i l u n g für B e s i t z - und V e r k e h r s t e u e r n des L F A M ü n c h e n , Stand 1. 10. 1 9 3 3 ; S t A M / F i n a n z a m t / 1 9 8 4 0 . V o r t r a g des M i n D i r P r o f . Dr. H e d d i n g aus dem R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r i u m bei der F i n a n z a m t s v o r s t e h e r b e s p r e c h u n g am 2 6 . und 2 7 . 2. 1937; S t A M / F i n a n z a m t / 1 2 8 1 5 . A u s f ü h r u n g e n des M i n R a t P r o f . R a u c h ; ebd. E i n g a b e des bereits g e n a n n t e n T e x t i l h ä n d l c r s B . an das F i n a n z a m t M ü n c h e n - N o r d v o m 2 1 . 2 . 1 9 3 4 und die d a r a u f f o l g e n d e e r n e u t e V e r a n l a g u n g der E i n k o m m e n s t e u e r in der B e hörde; S t A M / F i n a n z a m t / 1 6 7 2 7 .
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
sehe Einstellungen, noch griff man auf judenfeindliche Floskeln zurück. 2 3 4 Die Personalreferenten in den südbayerischen Finanzbehörden beklagten darüber hinaus das Ignorieren nationalsozialistischer Rituale, wie etwa des Hitlergrußes. 2 3 5 In eine ähnliche Richtung verweist zum anderen die Überwachungstätigkeit der Devisenstelle. Uberprüfte Firmen und bei der Prüfung zutage getretene Mängel trugen ihre Mitarbeiter in ein Auftragsbuch ein. Auswahlkriterium für die regelmäßig durchgeführten Prüfungen auch bei jüdischen Firmen in München waren offensichtlich weiterhin die internationalen Verflechtungen der jeweiligen Firma und keine „rassischen" Gesichtspunkte. In den Auftragsbüchern der Devisenstelle für die turnusmäßige Devisenüberprüfung jüdischer Firmen finden sich auch keine gehäuften Mängeleintragungen oder gar antisemitisch motivierte Anmerkungen. 2 3 6 Angesichts des antisemitischen Aktionismus des Gauleiters und dessen Entourage sowie der engen Verwicklung der Münchner Finanzverwaltung in die antisemitische Praxis gegenüber jüdischen Emigranten ist dieser Befund bemerkenswert. Während sich die generell verschärfte Gangart bei der Überwachung der Steuerpflichtigen ohne weiteres auf entsprechende Anordnungen des Reichsfinanzministeriums zurückführen lässt, waren die Beamten ungeachtet der erheblichen antisemitischen Dynamik in der Landeshauptstadt offenbar bereit, ideologische Prämissen zugunsten einer funktionalistischen Fiskalpolitik zurückzustellen. In einer Besprechung beim Oberfinanzpräsidium Würzburg kritisierte ein Referent noch 1939, dass die Zurückhaltung gegenüber der jüdischen Bevölkerung auf steuerlichem Gebiet nicht nur auf politische Ursachen zurückzuführen sei. Vielmehr hätten sich die Beamten dem fiskalischen Prinzip der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen nicht entledigen wollen 2 3 7 Ob die Veranlagung- und Entziehungspraxis in München Rückschlüsse auf grundsätzliche Denk- und Verhaltensmuster der Beamten zulässt, ist allerdings zweifelhaft. Zunächst konnte sich hinter der allgemein harten Gangart durchaus Antisemitismus als Motivation verbergen, der aber in den stark routinisierten Verwaltungsvorgängen keinen nach außen erkennbaren Niederschlag fand. So meinte auch der Referent in Würzburg im selben Atemzug, in dem er die Existenz des Gleichheitsgrundsatzes beklagte, es sei „ungeschriebenes Recht" und „Verwaltungsübung" gewesen, Juden grundsätzlich keine Stundungen zu gewähren beziehungsweise Steueraufschübe nur in seltenen Ausnahmen zuzulassen. 2 3 8 Einen ähnlichen Tenor hatte eine Besprechung mit den Leitern der Zollabteilungen der Landesfinanzämter in Weimar im
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Niederschrift über die am 6. 7. 1934 beim LFA abgehaltene Amtsvorsteherbesprechung; StAM/Finanzamt/12815; Niederschrift über die Besprechung mit den Vorstehern der Hauptzollämter und Zollfahndungsstellen am 24. und 26. 11. 1934; BAB/R2/25279; Niederschrift über eine Besprechung in der Zollfahndungsstelle Ludwigshafen am 13. 12. 1935; BAB/R2/5968. Niederschrift über die Finanzamtsvorsteherbesprechung im Februar 1937 in Garmisch, S. 5; StAM/Finanzamt/12815. Devisenprüfungslisten 1932 bis 1935; StAM/OFD/399; Auftragsbücher für die Devisenprüfungen; StAM/OFD/408. Umsatzsteuerbesprechung beim OFP Würzburg im Jahr 1939; Β AB/R 2/57500. Ebd.
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Steuern
O k t o b e r 1935, an der auch Vertreter aus M ü n c h e n , N ü r n b e r g und W ü r z b u r g teiln a h m e n . H i e r wiesen die R e d n e r zunächst mehrfach auf die B e d e u t u n g der richtigen Einstellung z u m N a t i o n a l s o z i a l i s m u s hin. In B e z u g auf jüdische Steuerpflichtige machte man z w a r auf Vorbereitungen von G e s e t z e s v o r l a g e n im I n n e n m i n i s terium a u f m e r k s a m , die sich gegen die „jüdische R a s s e " richteten. Vor d e m Erlass e n t s p r e c h e n d e r legislativer R a h m e n b e d i n g u n g e n müssten J u d e n aber in den G e nuss von Vergünstigungen k o m m e n , wenn sie die Voraussetzungen erfüllten. Ein Alleingang einzelner L a n d e s f i n a n z ä m t e r wurde dabei ausdrücklich
als
uner-
w ü n s c h t bezeichnet, weil dort die politischen A u s w i r k u n g e n weder ü b e r b l i c k t n o c h v e r a n t w o r t e t werden k ö n n t e n . W e n n es allerdings keine generellen R e g e l u n gen für Vergünstigungen gebe, dann seien diese J u d e n auch nicht zu g e w ä h r e n . 2 3 9 Nürnberg Angesichts des selbst für N S - V e r h ä l t n i s s e u n g e w ö h n l i c h g r o ß e n antisemitischen Eifers der N ü r n b e r g e r Gauleitung und deren w e i t r e i c h e n d e m Einfluss auf k o m munale H e r r s c h a f t s t r ä g e r im Verfolgungsprozess bietet sich die U n t e r s u c h u n g fiskalischer
Veranlagungs-
und
Entziehungspraxis
in
der
mittelfränkischen
H a u p t s t a d t als Vergleichsmaßstab zu den bisher geschilderten primär an f u n k t i o nalistischen G e s i c h t s p u n k t e n orientierten administrativen R o u t i n e n
besonders
an. W e n n im F o l g e n d e n die Ü b e r w a c h u n g des Devisentransfers der inländischen F i r m e n durch die Devisenstelle N ü r n b e r g exemplarisch aufgezeigt werden soll, so ist dies der b e s o n d e r e n A k t e n l a g e in N ü r n b e r g geschuldet. H i e r ist der B e s t a n d der Einzelfallakten der D e v i s e n p r ü f u n g erhalten geblieben, ihre Tätigkeit im mittelfränkischen L a n d e s f i n a n z a m t s b e z i r k lässt sich daher gut n a c h z e i c h n e n . 2 4 1 I m L a n d e s f i n a n z a m t s b e z i r k N ü r n b e r g nahm die Devisenstelle bereits seit 1931 turnusmäßige
Devisenprüfungen
S t r u k t u r der N ü r n b e r g e r
bei F i r m e n
Wirtschaft
vor. A u f g r u n d
der
besonderen
richtete sich ein H a u p t a u g e n m e r k
der
Dienststelle auf den H o p f e n h a n d e l mit seinen traditionellen internationalen Verbindungen v o r allem nach Saaz auf dem G e b i e t der T s c h e c h o s l o w a k e i . Sie ü b e r prüfte die G e s c h ä f t s b ü c h e r , w o b e i besonderes Interesse G e n e h m i g u n g e n für den E i n - und Ausgang von Devisen beziehungsweise der A u s f u h r von R e i c h s m a r k b e trägen galt. D e r spezielle B l i c k w i n k e l der Prüfer erklärt sich durch die G e n e h m i gungsvorschriften für D e v i s e n : D e r E r w e r b ausländischer Zahlungsmittel o d e r F o r d e r u n g e n in ausländischer W ä h r u n g mussten bei der Devisenstelle beantragt werden, e b e n s o wie die M i t n a h m e von Zahlungsmitteln für R e i s e z w e c k e ins A u s land. D i e Erlaubnis für einen D e v i s e n t r a n s f e r machten die B e a m t e n v o m zu erwartenden wirtschaftlichen E r f o l g der Auslandsreise abhängig. Als
Entschei-
dungsgrundlage dienten behördlicherseits angestrengte R e c h e r c h e n genauso wie N a c h w e i s e , die der U n t e r n e h m e r selbst zu erbringen hatte. D i e hierzu n o t w e n d i -
239
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N i e d e r s c h r i f t ü b e r die B e s p r e c h u n g mit L e i t e r n der ä m t e r am 23. 10. 1935; B A B / R 2 / 5 6 1 0 1 . A u s g e h e n d von den u n t e r s u c h t e n B e r u f s g r u p p e n als zelfallakten der D e v i s e n s t e l l e N ü r n b e r g ausgewertet. prinzipielle S t r u k t u r m e r k m a l e o d e r die personelle k ö n n t e n , sind nicht m e h r erhalten.
Z o l l a b t e i l u n g e n der L a n d e s f i n a n z A u s w a h l k r i t e r i u m wurden 4 0 L i n G e n e r a l a k t e n , die A u f s c h l u s s ü b e r B e s e t z u n g der D i e n s t s t e l l e geben
178
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
gen Papiere mussten vorhergehende Erfolge im Auslandsgeschäft genauso z u m Inhalt haben wie eine zustimmende Stellungnahme der örtlichen Industrie- und Handelskammer. Ein entsprechender Bescheid lag dann im Ermessen des Sachbearbeiters der Genehmigungsabteilung, der im Auftrage des Dienststellenleiters selber Zeichnungsrecht besaß. 2 4 1 Betrachtet man die Ausgestaltung der erheblichen Ermessensspielräume, so zeigen sich zahlreiche Parallelen bei der Handlungsweise der N ü r n b e r g e r Devisenprüfer zur administrativen Praxis in M ü n c h e n . D i e Ü b e r w a c h u n g und E n t z i e hung von Vermögenswerten orientierten sich zwar an strengen Kriterien und waren mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen verbunden, aber auch in diesem Bereich war die Kontinuität in der Verwaltungsroutine vorherrschend und zunächst keine gravierenden Veränderungen nach 1933 erkennbar. D i e unverhältnismäßige Härte, mit der die Zollfahndung N ü r n b e r g gegen Steuerpflichtige vorging, war zunächst auch hier kein auf die Zeit des Nationalsozialismus beschränktes P h ä n o m e n . Bereits im J u n i 1932 ermittelten die Beamten etwa gegen eine nach 1933 als „jüdisch" deklarierte H o p f e n f i r m a . D a s U n t e r n e h m e n hatte eine F o r d e rung über 1 5 0 0 0 0 R e i c h s m a r k gegenüber einem schwedischen Handelspartner nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, am 10. O k t o b e r 1931, sondern erst im Juni 1932 der Reichsbankanstalt N ü r n b e r g angeboten. Ungeachtet dieser zwar verspäteten aber dennoch freiwillig erfolgten A n m e l d u n g der Devisenforderung leitete die Zollfahndung umfangreiche Ermittlungen ein und drängte auf ein Verfahren gegen die Firma. O b g l e i c h auch das Amtsgericht N ü r n b e r g anerkannte, dass es sich u m ein Versehen handelte, wurde die F i r m a im September 1932 zu einer h o hen G e l d b u ß e verurteilt. 2 4 2 Generell ermittelten Zollfahndung und Devisenstelle besonders intensiv bei dem Verdacht des „Kapitalschmuggels". 2 4 3 Gerade bei Hopfenhändlern, die oftmals große Teile ihrer P r o d u k t i o n im Ausland veräußerten, gleichzeitig aber auch Waren in entsprechendem U m f a n g erwarben, waren derartige Verdächtigungen und entsprechende U b e r p r ü f u n g e n häufig. 2 4 4 D a b e i konnten die Strafzumessungen drastische F o l g e n für die Betroffenen haben. I m Einzelfall kam die H ö h e des Bußgeldes praktisch einer Vermögenskonfiskation gleich. D i e Strafe wurde also ohne R ü c k s i c h t auf die tatsächlichen Vermögensverhältnisse des Angeklagten verhängt. Ein O p f e r dieser ausgesprochen harten Bußgeldbemessungen war der eink o m m e n s s c h w a c h e jüdische H o p f e n h ä n d l e r J o s e p h B . G e g e n ihn ermittelte die Devisenstelle N ü r n b e r g 1936 wegen des A b h e b e n s von D i n a r e n im Ausland ohne vorherige Genehmigung. N a c h d e m der Sachbearbeiter den Fall bearbeitet und
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Antrag auf Erteilung einer Genehmigung zum Erwerb ausländischer Zahlungsmittel vom jüdischen Textilhändler Martin B. 1936 und Genehmigungsbescheid der Devisenstelle vom 23. 9. 1936; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/9564. Schreiben der Devisenstelle an Zollfahndungsstelle Nürnberg vom 2 1 . 6 . 1932 und Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 7. 9. 1932; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/10587. Uberprüfung der Hopfenhandlung M . - D . in Nürnberg; N o t i z der Buchprüfung der Devisenstelle Nürnberg an die Abteilung Β im Hause vom 13. 11. 1935; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/10671. Überprüfung der Hopfenfirma S., die in Nürnberg und in Prag ansässig war; S t A N / O F D Nürnberg/Devisenstelle/1312.
II. Die Einziehung
konventioneller
179
Steuern
R ü c k s p r a c h e mit d e m Dienststellenleiter gehalten hatte, zwang die Devisenstelle dem G e s c h ä f t s m a n n eine Geldstrafe von 5 0 0 R e i c h s m a r k auf und e n t z o g ihm damit de f a c t o sein gesamtes V e r m ö g e n . 2 4 5 In einem W i e d e r g u t m a c h u n g s v e r f a h r e n der späten 1950er J a h r e rechtfertigte der zuständige S a c h b e a r b e i t e r der Devisenstelle N ü r n b e r g die Praxis der B e h ö r d e : D e r a r t i g e Vorgehensweisen seien nicht als antisemitische U b e r g r i f f e zu b e w e r t e n , vielmehr sei das generell harte Verhalten der F i n a n z v e r w a l t u n g gegenüber der strafmündigen B e v ö l k e r u n g ausschlaggebend g e w e s e n . 2 4 6 Tatsächlich, dies zeigt auch die A u s w e r t u n g der Einzelfallakten, blieb die U b e r w a c h u n g s t ä t i g k e i t der N ü r n b e r g e r Devisenstelle offensichtlich an sachliche und rechtliche Kriterien geb u n d e n . Viele V e r d a c h t s m o m e n t e im H i n b l i c k auf Devisenvergehen erhärteten sich nicht, und auch viele r o u t i n e m ä ß i g e B u c h - und B e t r i e b s p r ü f u n g e n blieben o h n e B e a n s t a n d u n g e n gegenüber den F i r m e n e i g n e r n . 2 4 7 Stellte sie „ G u t g l ä u b i g k e i t " fest, dann sah die N ü r n b e r g e r Devisenstelle auch bei j ü d i s c h e n G e w e r b e t r e i b e n d e n im Einzelfall v o n einer B e s t r a f u n g ab und beließ es bei einer Verwarnung oder suchte die Schuld bei B a n k h ä u s e r n o d e r anderen beratenden I n s t a n z e n . 2 4 8 In weiteren E r m e s s e n s e n t s c h e i d u n g e n , wie etwa bei der Frage, in w e l c h e r H ö h e D e v i s e n für den G e s c h ä f t s r e i s e v e r k e h r zu genehmigen seien, verwiesen B e a m t e der Devisenstelle n o c h im S o m m e r 1936 auf das „aufrichtige G e s c h ä f t s g e b a r e n " und den „guten R u f " jüdischer H o p f e n h ä n d l e r . 2 4 9 U n g e a c h t e t der heftigen antisemitischen A t t a c k e n gegen die „jüdische D o m i n a n z " in dieser B r a n c h e ließ die Devisenstelle N ü r n b e r g die jüdischen F i r m e n i n h a b e r , die aufgrund ihrer internationalen G e s c h ä f t s b e z i e h u n g e n als wichtige „ D e v i s e n b e s c h a f f e r " für das R e i c h betrachtet w u r d e n , bis 1938 weitgehend unbehelligt. D i e Z w e c k g e b u n d e n h e i t der Dienststelle an die
fiskalische
Zielsetzung der
H a u s h a l t s k o n s o l i d i e r u n g n a h m bei der B e h a n d l u n g der in der H o p f e n b r a n c h e üblichen Schmiergelder fast skurrile F o r m e n an. D i e s e wurden z u s a m m e n mit G e s c h e n k e n und Spesen für die Vertragspartner in fünfstelligen R e i c h s m a r k b e t r ä gen gezahlt. B e s t o c h e n wurden die B r a u m e i s t e r und Mittler, die entsprechende
- 4 : > S c h r e i b e n eines R e c h t s a n w a l t s an die D e v i s e n s t e l l e v o m 26. 5. 1936 und S c h r e i b e n der Z o l l f a h n d u n g s s t e l l e an die D e v i s e n s t e l l e v o m 2 8 . 7. 1936 s o w i e U n t e r w e r f u n g s v e r h a n d lung gegen J o s e f B . am 4. 7. 1936; S t A N / O F I ) N ü r n b e r g ( B u n d ) / 9 5 7 3 . 2 4 6 A u s s a g e w ä h r e n d eines V e r f a h r e n s v o r der W i e d e r g u t m a c h u n g s k a m m e r b e i m L G N ü r n berg v o m 7. 3. 1957; B a v H S t A M / E G / 8 1 8 5 0 . :47
-4S
B e i 2 8 v o n 4 0 U b e r p r ü f u n g e n e r g a b e n sich keine H i n w e i s e auf U n r e g e l m ä ß i g k e i t e n ; vgl. e x e m p l a r i s c h etwa die Ü b e r p r ü f u n g e n der r e n o m m i e r t e n H o p f e n h a n d l u n g B e r n h a r d H u g o B . von 1933 bis 1937; S t A N / O F I ) N ü r n b e r g ( B u n d ) / 9 7 0 0 . A n k l a g e gegen eine j ü d i s c h e H o p f e n h a n d l u n g , die gegen die D e v i s e n b e s t i m m u n g e n vers t o ß e n hatte. D i e D e v i s e n s t e l l e kam zu dem E r g e b n i s , dass die C o m m e r z - und Privatb a n k falsch beraten habe, u n d erteilte der B a n k daraufhin eine V e r w a r n u n g ; S c h r e i b e n der D e v i s e n s t e l l e an die Staatsanwaltschaft N ü r n b e r g v o m 16. 10. 1933; O F D N ü r n b e r g / D e v i s c n s t c l l e / 1 3 1 2 . A u c h bei der j ü d i s c h e n H o p f e n h a n d l u n g S. T. w u r d e ermittelt, und es w u r d e n V e r s t ö ß e gegen die D e v i s e n o r d n u n g festgestellt. A u f eine S t r a f a n z e i g e w u r d e allerdings v e r z i c h t e t ; S t A N / O F D N ü r n b e r g ( B u n d ) / 1 1 0 5 4 .
- 4 9 F e s t s t e l l u n g eines O S t l v o m 15. 7. 1936 in B e z u g auf den j ü d i s c h e n R i c h a r d L.; S t A N / O F D N ü r n b e r g ( B u n d ) / 1 0 4 1 4 .
Hopfenhändler
180
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
Verträge mit H o p f e n f i r m e n in die Wege leiten k o n n t e n . 2 5 0 D i e hierfür notwendige G e n e h m i g u n g für die Mitführung entsprechender Devisenbeträge ins Ausland erteilte die Devisenstelle N ü r n b e r g auch bei J u d e n ausnahmslos. Auslandsschmiergelder k o n n t e n sogar beim W o h n f i n a n z a m t steuerlich abgesetzt w e r d e n . 2 5 1 Ein ähnliches Bild zeigt auch das Ergebnis der Interaktion mit anderen Institutionen der Finanzverwaltung. Bei ihrer Uberwachungstätigkeit bediente sich die Devisenstelle N ü r n b e r g schon seit 1931 der U n t e r s t ü t z u n g der Finanzämter und der Zollfahndungsstellen. W ä h r e n d die Zollfahndungsstelle oftmals die E r m i t t lungsarbeiten vor O r t vornahm, führte in N ü r n b e r g das F i n a n z a m t - O s t auf A u f forderung der Devisenstelle und mit besonderer Berücksichtigung des Devisentransfers B u c h - und Betriebsprüfungen durch 2 5 2 D i e Berichterstattung und die Ermittlungsergebnisse orientierten sich auch hier an sachlichen G e s i c h t s p u n k t e n . 2 5 3 In diese R i c h t u n g verweist schließlich auch ein Vergleich mit den U b e r prüfungsroutinen der Zollfahndung, Devisenstellen und Finanzämter bei nichtjüdischen F i r m e n , etwa der renommierten N ü r n b e r g e r Sportzeitschrift Kicker, die sowohl hinsichtlich der Ermittlungsberichte als auch der Verfahrensweise und Gründlichkeit der U n t e r s u c h u n g e n keine Unterschiede zu der Ü b e r w a c h u n g jüdischer Firmen aufweisen. 2 5 4 D u r c h die nahezu vollständige Zerstörung der A k t e n des Landesfinanzamts N ü r n b e r g und der Generalakten der N ü r n b e r g e r Finanzämter ist eine Analyse der internen Strukturen in den Finanzämtern kaum möglich. Aufschluss über die Handlungspraxis der Beamten k ö n n e n allenfalls die erhaltenen Steuerakten der Steuerpflichtigen geben. D i e U n t e r s u c h u n g der Einzelfallakten der N ü r n b e r g e r Finanzämter bestätigen den durch die Ü b e r w a c h u n g s - und Entziehungspraxis der Devisenstelle vermittelten E i n d r u c k . N e b e n dem Landesfinanzamt nahm in N ü r n b e r g vorwiegend das F i n a n z a m t N ü r n b e r g - O s t die B u c h - und Betriebsprüfungen vor. Entsprechende K o n t r o l l e n führten die B e a m t e n sowohl bei den großen jüdischen G e w e r b e b e t r i e b e n als auch bei den Praxen und Kanzleien regelmäßig durch. Hierbei arbeiteten die Ermittlungsstelle des Landesfinanzamts, der Steueraußendienst und die B e a m t e n der Finanzämter eng z u s a m m e n . 2 5 5 I m B e -
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Bericht des Finanzamts Nürnberg-Ost vom 8. 3. 1935; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/ 10073. Ebd. sowie der Einzelfall in S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/11054; Feststellung der Devisenstelle vom 4. 3. 1935; StAN/Finanzamt Nürnberg-Ost/6757. Prüfung der Hopfenhandlung M . - D . des Finanzamts Nürnberg-Ost vom 16. 5. 1934; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/10454; sowie Ermittlungsbericht der Zollfahndungsstelle an die Devisenstelle über die Hopfenhandlung Joseph B. vom 5. 8. 1936; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/9573. Bei entsprechender Buchführung wurden auch durch das Finanzamt oder die Devisenstellen bei jüdischen Firmen keine Beanstandungen erhoben; Devisenprüfung des Finanzamts Nürnberg-Ost bei der Fa. Bernhard B. vom 9. 2. 1933; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/9700; Ermittlungsbericht der Zollfahndung über den jüdischen Textilhändler Josef L. an die Devisenstelle vom 14. 7. 1936; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/10386. Stichprobenhaft wurden die Einzelfallakten der Devisenstelle Nürnberg von 20 nichtjüdischen mittelständischen Firmen in die Untersuchungen einbezogen, wobei sich die Auswahl zwangsläufig an den vorhandenen Beständen ausrichtete. Schreiben der Ermittlungsstelle des L F A Nürnberg an den Steueraußendienst des Fi-
II. Die Einziehung konventioneller
Steuern
181
zirk N ü r n b e r g besaßen 1933 14 F i n a n z ä m t e r eigene S t e u e r f a h n d u n g s d i e n s t e . D i e insgesamt 30 Beamten verteilten sich auf die einzelnen Amter, w o b e i der f ü n f k ö p fige S t e u e r a u ß e n d i e n s t des L a n d e s f i n a n z a m t s eine f e d e r f ü h r e n d e F u n k t i o n innehatte.^ 5 6 F ü r den S t e u e r a u ß e n d i e n s t des innerstädtischen Bereiches waren die Fin a n z ä m t e r N o r d , O s t u n d West z u s t ä n d i g . 2 5 7 In vielen Fällen ergab auch hier die Ü b e r p r ü f u n g der B ü c h e r eine N e u v e r a n l a g u n g u n d damit die E r m i t t l u n g erheblicher Beträge, die nachversteuert w e r d e n mussten. 2 5 8 Eine antisemitische M o t i v a tion der Beamten kann hierbei nicht explizit nachgewiesen w e r d e n . Z u m einen ergab ein g r o ß e r Teil der B u c h - u n d B e t r i e b s p r ü f u n g e n keine B e a n s t a n d u n g e n . H i n w e i s e auf die religiöse o d e r gar „rassische" Z u g e h ö r i g k e i t der Steuerpflichtigen sind nicht zu finden.259 Z u m anderen sind zwischen den bereits vor 1933 d u r c h g e f ü h r t e n P r ü f u n g e n u n d d e n e n in der A n f a n g s z e i t der N S - H e r r s c h a f t weder in personeller H i n s i c h t n o c h in der A r t u n d Weise der D u r c h f ü h r u n g entscheidende V e r ä n d e r u n g e n erkennbar. 2 6 0 A u c h bei der d i r e k t e n Veranlagung in den Bereichen G e w e r b e - , E i n k o m m e n s - o d e r Vermögenssteuer f a n d e n sich in keinem Fall H i n w e i s e auf antisemitische D i s k r i m i n i e r u n g e n . D i e E i n z i e h u n g s p r a x i s der N ü r n b e r g e r F i n a n z v e r w a l t u n g ist nicht n u r in A n betracht der b e s o n d e r e n M a c h t s t e l l u n g des N ü r n b e r g e r Gauleiters u n d der a u ß e r g e w ö h n l i c h stark ausgeprägten antisemitischen D y n a m i k der Parteibasis bei der J u d e n v e r f o l g u n g b e m e r k e n s w e r t . Sie ü b e r r a s c h t u m s o mehr, als Gauleiter Streicher offensichtlich auch die F i n a n z b e a m t e n in seinem Sinne zu i n d o k t r i n i e r e n trachtete, so etwa in einer V e r s a m m l u n g vor S t e u e r b e a m t e n 1936, in deren Verlauf er d e m A u d i t o r i u m Möglichkeiten schilderte, sich der „Juden auf administrativem Wege zu entledigen". 2 6 1 Teilbereiche der F i n a n z v e r w a l t u n g in N ü r n b e r g wie auch in M ü n c h e n stellten ein von der Praxis der Parteigliederungen weitgehend u n b e einflusstes System dar. D e r traditionellen V e r w a l t u n g inhärente S t r u k t u r e n wie ein h o h e r Professionalisierungsgrad, routinierte A b l ä u f e sowie eine p r i m ä r z w e c k r a t i o n a l e A u s r i c h t u n g prägten die U b e r w a c h u n g s - u n d E n t z i e h u n g s p r a x i s m e h r als der Einfluss regionaler P a r t e i f u n k t i o n ä r e . W ä h r e n d sich die H a n d l u n g s praxis der N S D A P - G l i e d e r u n g e n bei der wirtschaftlichen Verfolgung in M ü n -
nanzamts Nürnberg-West vom 19. 9. 1933; StAN/Finanzamt Nürnberg-Wcst/183; Feststellung des Steueraußendiensts des Finanzamts N ü r n b e r g - O s t vom 6. 4. 1933; StAN/Finanzamt N ü r n b e r g - 0 s t / 6 5 9 0 . 256 Bericht des LFA N ü r n b e r g an den R d F im Jahr 1933; BAB/R2/5978. 257 Besprechung beim LFA Würzburg am 3. 12. 1934; BAB/R2/6004. 2:,s Schreiben Andreas S.s an das Finanzamt N ü r n b e r g - O s t vom 10. 4. 1934; StAN/Finanzamt Nürnberg-Ost/6757; Schreiben der Ermittlungsstelle des LFA Nürnberg an den Steueraußendienst des Finanzamts Nürnberg-West vom 19. 9. 1933; StAN/Finanzamt Nürnberg-West/183. 259 Bericht eines Buchprüfers des Finanzamts N ü r n b e r g - O s t vom 17. 11. 1933; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/11054; Buchprüfungsbericht des Finanzamts N ü r n b e r g - O s t vom 11. 12. 1934; S t A N / O F D N ü r n b e r g (Bund)/10711; Bericht des Finanzamts NürnbergOst vom 9. 2. 1933; S t A N / O F D N ü r n b e r g (Bund)/9700. 2bz Vgl. etwa die verschiedenen Betriebsprüfungsberichte des Finanzamts N ü r n b e r g - O s t bei einer Hopfenhandlung mit jüdischem Inhaber; StAN/Finanzamt N ü r n b e r g - O s t / 5 4 9 8 5507; oder beim Kaufhaus Zum Strauss; StAN/Zentralfinanzamt/3908. 261 Deutschlandberichte der Sopade, 3. Jg., S. 1655.
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
chen und Nürnberg vor allem durch eine nahezu unkontrollierbare antisemitische Aktionsmacht, das Streben nach individuellem wirtschaftlichem Vorteil und der Bündelung umfassender Kompetenzen in den Händen weniger Regionalfürsten auszeichnete, blieb die Finanzverwaltung weiterhin an Effizienzkriterien orientiert. Die zurückhaltende Politik der Nürnberger Beamten gegenüber jüdischen Steuerpflichtigen verrät allerdings noch nichts über deren ideologische Prägung. Fielen utilitaristische und ideologisch bedingte Absichten zusammen, wie dies bei der Überwachung und Entziehung von Emigrantenvermögen in Nürnberg der Fall war, dann legte die Finanzverwaltung rigorose und diskriminierende Verhaltensweisen gegenüber der jüdischen Bevölkerung an den Tag. Unterfranken Durch die nahezu vollständige Zerstörung der Akten des Landesfinanzamts Würzburg ist für die Region Bad Kissingen/Hammelburg, ebenso wie für N ü r n berg, eine Untersuchung der internen Strukturen der Finanzbehörden kaum möglich. Auch in den dortigen Finanzamtsbezirken sprechen die Einzelfallakten allerdings auf den ersten Blick für eine Verwaltungsroutine, die der in München und Nürnberg weitgehend entsprach. Die Betriebsprüfungen, die wohl vorwiegend das Landesfinanzamt durchgeführt hatte, weisen keine judenfeindlichen Tendenzen auf. Die Handlungsmuster bei der Buch- und Betriebsprüfung waren vor und nach 1933 ähnlich. 2 6 2 Gleiches kann auch für die Veranlagungspraxis der Finanzämter bei den verschiedenen Steuerarten festgestellt werden. Wie in München verteilten sich die Beamten des Steueraußendienstes in Würzburg neben dem Landesfinanzamt auf die meisten Finanzämter im Bezirk. 2 6 3 Insgesamt existierten dort sieben Steuerfahndungsstellen, die ebenfalls bei den B u c h - und Betriebsprüfungen mit den Finanzämtern eng zusammenarbeiteten. 2 6 4 Auffällig ist allerdings die relativ hohe Anzahl von Strafbescheiden, die das Finanzamt Hammelburg gegen Juden erließ. Auch bei geringfügigen Vergehen strengten die Beamten in der unterfränkischen Kleinstadt ein Strafverfahren an. Zielscheibe der regen Ermittlungstätigkeit war etwa ein jüdischer Viehhändler, der vergessen hatte, die E r tragszinsen seiner Erbschaft zu versteuern, nachdem er das aus der Erbschaft stammende Reinvermögen korrekt angegeben hatte. Trotz aller Bereitschaft, entsprechende Steuersummen nachzuzahlen, verurteilte ihn das Finanzamt Hammelburg zu einer horrenden Geldstrafe. Nach der Beschwerde des Viehhändlers bestätigte das Landesfinanzamt die Geldbuße mit der Begründung, er hätte sich über seine gesetzlichen Pflichten informieren müssen. 2 6 5
262
263 264
265
Bericht des L F A vom 12. 3. 1935; StAW/Finanzamt Bad Kissingen/53; Bericht vom 17. 4. 1931; StAW/Finanzamt Bad Kissingen/Veranlagungssteuern/70. Besprechung am 3. 12. 1934 im L F A Würzburg; B A B / R 2 / 6 0 0 4 . Schreiben des Präsidenten des L F A Würzburg an den R d F vom 19. 10. 1938; B A B / R 2 / 5973. Protokoll der Strafsachenstelle des Finanzamts Hammelburg vom 23. 1. 1935; Beschwerdebrief an das L F A Würzburg vom 11. 2. 1935; Entscheidung des L F A Würzburg vom 20. 3. 1935; StAW/Finanzamt Bad Kissingen/Veranlagungssteuern/61.
II. Die Einziehung
konventioneller
Steuern
183
E i n weiteres Beispiel: B e i Willi S., einem jüdischen V i e h h ä n d l e r aus O b e r thulba, fand 1934 eine N a c h s c h a u d u r c h das F i n a n z a m t H a m m e l b u r g statt. W ä h rend der Ü b e r p r ü f u n g stellte das F i n a n z a m t das F e h l e n einiger w i c h t i g e r B ü c h e r fest. D e r Steuerpflichtige gab z w a r an, er habe einen jährlichen U m s a t z von etwa 3 0 0 0 0 R e i c h s m a r k und sei auch bereit, diesen zu versteuern. D a s F i n a n z a m t s c h e n k t e i h m aber keinen G l a u b e n und verließ sich lieber auf die dreisten B e h a u p tungen des nationalsozialistischen B ü r g e r m e i s t e r s . D e r nutzte die G e l e g e n h e i t , gegen den unliebsamen Viehhändler vorgehen zu k ö n n e n , indem er dessen U m satz auf v o l l k o m m e n unrealistische 6 0 0 0 0 R e i c h s m a r k , mithin auf das D o p p e l t e der von Willi S. angegeben S u m m e schätzte. O b g l e i c h auch den erfahrenen F i n a n z b e a m t e n klar sein musste, dass ein solcher U m s a t z für einen kleinen V i e h h a n delsbetrieb m e h r als u n w a h r s c h e i n l i c h war, leitete das F i n a n z a m t ein Strafverfahren wegen S t e u e r h i n t e r z i e h u n g e i n . 2 6 6 D e r a r t i g e Strafverfahren strebte das F i n a n z a m t sogar gegen den ausdrücklichen Willen von nationalsozialistisch orientierten Interessenvertretungen an. E i n e davon w a r der gleichgeschaltete R e i c h s v e r b a n d des nationalen Viehhandels, G a u B a y e r n , der im S e p t e m b e r 1934 die M e i n u n g vertrat, viele Viehhändler seien ü b e r haupt nicht dazu in der Lage, die k o m p l i z i e r t e U m s a t z s t e u e r r e g e l u n g zu verstehen. W e n n die B u c h p r ü f u n g vorheriger J a h r e nicht zu beanstanden sei, m ö g e man daher bei den B e t r o f f e n e n keine Strafverfahren einleiten. D a s F i n a n z a m t H a m melburg zeigte sich gegenüber derartigen E i n g a b e n resistent. E s w a r nur dann bereit, auf E r m i t t l u n g e n zu v e r z i c h t e n , wenn die Verfahren keinen
finanziellen
M e h r w e r t v e r s p r a c h e n . 2 6 7 G r u n d s ä t z l i c h sah die B e h ö r d e daher von einer Strafverfügung nur in den Fällen ab, in denen das S t r a f m a ß nicht h ö h e r als 5 0 0 R e i c h s mark l a g . 2 6 8 Dafür, dass sich derartige Strafbescheide explizit gegen j ü d i s c h e H ä n d l e r richteten, sprechen die antisemitischen N i s c h e n r e g e l u n g e n , die die R e i c h s r e g i e r u n g explizit gegen j ü d i s c h e Viehhändler geschaffen hatte. W i e bereits gezeigt, strebte die M i n i s t e r i a l b ü r o k r a t i e ab 1935 den Ausschluss jüdischer Viehhändler von der B e f r e i u n g der U m s a t z s t e u e r a n . 2 6 9 E n t s p r e c h e n d e A n w e i s u n g e n an die jeweiligen F i n a n z ä m t e r sind also durchaus wahrscheinlich. D a r ü b e r hinaus ist zu b e r ü c k sichtigen, dass die Strafverfahren vielfach nicht nur m o n e t ä r e F o l g e n hatten. D i e zuständigen Stellen n u t z t e n eine B e s t r a f u n g durch die F i n a n z ä m t e r dazu, den jüdischen Viehhändlern die G e w e r b e e r l a u b n i s zu entziehen. S o entschieden z u m Beispiel s o w o h l das Schiedsgericht für die landwirtschaftliche M a r k t r e g e l u n g des R e i c h s n ä h r s t a n d e s als auch die R e g i e r u n g von U n t e r f r a n k e n und das B e z i r k s a m t
- 6 6 S c h r e i b e n des F i n a n z a m t s H a m m e l b u r g an Willi S. v o m 2 0 . 6. und 2. 7. 1934 s o w i e S c h r e i b e n des F i n a n z a m t s an den B ü r g e r m e i s t e r v o n O b e r t h u l b a v o m 22. 10. 1934; S t A W / F i n a n z a m t B a d K i s s i n g e n / V e r a n l a g u n g s s t e u e r n 76. - 6 7 S c h r e i b e n des R e i c h s v e r b a n d s des nationalen V i e h h a n d e l s , G a u B a y e r n , an A d o l f S. v o m 2 5 . 9. 1934 u n d P r o t o k o l l der Strafsachenstelle des F i n a n z a m t s H a m m e l b u r g v o m 2. 7. 1934; S t A W / F i n a n z a m t B a d K i s s i n g e n / V e r a n l a g u n g s s t e u e r n / 3 2 4 . 168 V e r f ü g u n g des F i n a n z a m t s H a m m e l b u r g v o m 12. 12. 1934; S t A W / F i n a n z a m t B a d K i s s i n gen/Veranlagungssteuern/68. - 6 9 G e n e r e l l sollten j ü d i s c h e V i e h h ä n d l e r von der F ü h r u n g eines U m s a t z s t e u e r h e f t s nicht befreit w e r d e n ; S c h r e i b e n an den Dir. des R e f e r a t s I I I v o m 22. 8. 1935; B A B / R 2 / 5 7 2 4 7 .
184
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung und Judenverfolgung
Hammelburg, wegen Strafbescheiden von nicht mehr als 150 Reichsmark die Gewerbelegitimation zu entziehen. 2 7 0 Entsprechende Absprachen zwischen den Behörden sind zwar nicht nachweisbar, aber angesichts der gesetzlichen Bestimmungen nahe liegend. D e n n eine der normativen Voraussetzungen f ü r den Entzug der Handelserlaubnis war das Vorliegen einer Straftat, wobei Besteuerungsstrafverfahren bei einer Geldstrafe bis zu 5000 Reichsmark im Ermessen des jeweiligen Finanzamts lagen. 271 Auf der Grundlage des geltenden Normengefüges gab es offenbar auch in der Finanzverwaltung frühzeitig Tendenzen, sich an der „Ausschaltung" der inländischen jüdischen Bevölkerung zu beteiligen und so zum Bestandteil des arbeitsteiligen Verfolgungsprozesses zu werden. D u r c h die hohen Strafen und die dadurch bedingte Kriminalisierung jüdischer Viehhändler kam den Finanzämtern Bad Kissingen und Hammelburg eine Schrittmacherfunktion im wirtschaftlichen Ausschaltungsprozess der inländischen jüdischen Bevölkerung zu.
5. Der „Doppelstaat"
im Lichte fiskalischer Überwachung
und
Entziehung
Vor dem Hintergrund fiskalischer Uberwachungs- und Entziehungspraktiken zeichnet sich die parallele Geltung primär an Effizienzkriterien ausgerichteter und funktionalistischen Gesichtspunkten häufig widersprechender ideologischer N o r m e n bei der wirtschaftlichen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung deutlich ab. Angesichts unterschiedlicher Verfahrensweisen von Parteigliederungen und administrativer Apparate verstärkt sich dieser Eindruck noch zusätzlich. Denn auf Seiten der N S D A P oder der Bayerischen Politischen Polizei dominierte die antisemitische Aktion die Handlungslogik und weniger die Bindung an geltendes Recht. Dies galt darüber hinaus f ü r Teilbereiche der Stadtverwaltungen und die bayerische Regierung; vor allem Innenminister und Gauleiter Wagner nutzte die Übergriffe gegen die jüdische Bevölkerung auch als Druckmittel, u m die Reichsregierung frühzeitig auf einen radikal antisemitischen Kurs zu zwingen. Innerhalb der Finanzverwaltung herrschte ein komplexeres Mischungsverhältnis. Auf der einen Seite konnte an der primären Ausrichtung der Steuerpolitik auf das Ziel der vollen Kassen kein Zweifel bestehen. Im Bereich der Fiskalpolitik beließ es die NS-Regierung bei der Geltung bereits bestehender N o r m e n , u m monetär begründete Zielsetzungen mit einer reibungslos funktionierenden Verwaltung erreichen zu können. Die Beamten scheinen diesen Absichten weitgehend Folge geleistet zu haben. 2 7 2 U m des Staatsziels der haushaltspolitischen Konsolidierung willen hatte das NS-Regime zudem weitgehend auf einen Wechsel der Funktionseliten verzichtet. Zu den Kontinuitäten über die Zäsur von 1933 hinweg gesellten sich auf
270
Schreiben des Bezirksamts Hammelburg an das Schiedsgericht für landwirtschaftliche Marktregelung vom 3. 3. 1938; StAW/LRA Hammelburg/3573; Beschwerdebrief zweier Rechtsanwälte an das Bezirksamt Hammelburg vom 12. 3. 1936; StAW/LRA Hammelburg/3548; Schreiben der Regierung von Unterfranken an das Bezirksamt Hammelburg vom 3. 11. 1937; BayHStAM/EG/20195. 2/ l § 202 der „Reichsabgabenordnung" vom 22. 5. 1931; RGBl. I (1931), S. 189. 272 Zu den Zielen der NS-Steuerpolitik vgl. Henning, Steuerpolitik, S. 197 f.
IL Die Einziehung
konventioneller
Steuern
185
der anderen Seite aber auch schnell ideologisch bedingte Brüche. Tiefe Risse erhielten die Grundfesten traditioneller Steuergesetzgebung durch die drastische Verschärfung der Devisen- u n d „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r g e s e t z g e b u n g " genauso w i e d u r c h das „Steueranpassungsgesetz". W i e schnell die regionalen G l i e d e r u n g e n der F i n a n z v e r w a l t u n g die neuen gesetzlichen R a h m e n b e d i n g u n g e n akzeptierten und im Sinne des N S - R e g i m e s umsetzten, haben die zahlreichen Einzelbeispiele verdeutlicht. „An Stelle liberalistischer und individualistischer G e s i c h t s p u n k t e " , so schlossen die bereits zitierten Richtlinien des L a n d e s f i n a n z a m t s M ü n c h e n v o m Juli 1934, „gelangt jetzt w i e d e r der Gesichtspunkt des Willenstrafrechts u n d des U b e l c h a r a k t e r s der Strafe zur H e r r s c h a f t . " 2 7 3 Versuche, die parallel v o r h a n d e n e O r i e n t i e r u n g der Beamten an Prinzipien der W e i m a r e r R e p u b l i k p r i m ä r mit deren rechtsstaatlichen Traditionen u n d einem daraus resultierenden Gegensatz von Staat und Partei erklären zu wollen, sind daher untauglich. Einen anderen E r k l ä r u n g s a n s a t z bietet Ernst Fraenkels prominentes M o d e l l des „Doppelstaats". M i t d e m Begriffspaar M a ß n a h m e n - und N o r m e n s t a a t versucht der Autor, die seiner Ansicht nach g r u n d l e g e n d e n F u n k t i o n s p r i n z i p i e n des NS-Staates darzustellen. Die parallele Geltung beider O r d n u n g s s y s t e m e - das hat Fraenkel eindringlich h e r v o r g e h o b e n - bildet keinen Gegensatz von Staat und Partei ab. F ü r die D e u t u n g fiskalischer U b e r w a c h u n g s - und E n t z i e h u n g s r o u t i n e n ist v i e l m e h r die These von Interesse, ein D o p p e l s t a a t s p r i n z i p habe auch innerhalb der verschiedenen Institutionen des N S - R e g i m e s W i r k s a m k e i t erlangt. 2 7 4 Zwei verschiedene H a n d l u n g s o r i e n t i e r u n g e n erklären den dualistischen C h a r a k t e r : Im Gegensatz z u m N o r m e n s t a a t fällt der M a ß n a h m e n s t a a t seine Entscheidungen p r i m ä r nach M a ß g a b e der politischen N o t w e n d i g k e i t und nicht nach derjenigen festgeschriebener Rechte u n d Pflichten 2 7 5 „Recht", so erklärt es der N S - I d e o l o g e A l f r e d R o s e n b e r g , „ist das, w a s arische M ä n n e r für Recht b e f i n d e n . " 2 7 6 Die w e l t anschaulich so bedeutende „ J u d e n f r a g e " gehörte in die Sphäre des M a ß n a h m e n staates. A u c h hier k o n n t e es F o r m e n der N o r m e n b i n d u n g geben, diese bezogen sich aber auf den G e d a n k e n der „Volksgemeinschaft" u n d nicht auf klassische rechtsstaatliche Prinzipien. O r d n u n g und Kalkulierbarkeit w a r e n also möglich, zumal das N S - R e g i m e vom M a ß n a h m e n s t a a t a n g e w a n d t e Mittel mit „legalistischen Tricks" verschleierte. Es fehlte allerdings die in feste F o r m e n g e b u n d e n e Gerechtigkeit. 2 7 7 Lediglich w e n n der M a ß n a h m e n s t a a t keine K o m p e t e n z e n an sich zog, dann k o n n t e gesetzmäßiges H a n d e l n , also der N o r m e n s t a a t , z u m Tragen k o m m e n . 2 7 8 H i n t e r g r u n d und Vorbehalt dieser Selbstbeschränkung w a r nach Fraenkel die politische Z w e c k m ä ß i g k e i t . Der M a ß n a h m e n s t a a t mache von seinen Befugnissen i m m e r dann keinen Gebrauch, w e n n es der E f f i z i e n z diene, e t w a im Wirtschaftsbereich oder Steuerrecht, w o eine K a l k u l i e r b a r k e i t a u f g r u n d festgeRichtlinien des Präsidenten des L F A M ü n c h e n vom 24. 7. 1934; StAM/Finanzamt/19864. - 7 4 Fraenkel, Doppelstaat, S. 51; zur R e z e p t i o n Fraenkels in der historischen Forschung vgl. Schulte, Konvergenz; Bajohr, „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g ; als U b e r b l i c k vgl. auch Wildt, O r d n u n g ; N o l z e n , Editorial. 2 7 3 Fraenkel, Doppelstaat, S. 55. 27f> Ebd., S. 161. 2 7 7 Ebd., S. 55, 67 und 102. 2 7 s Ebd., S. 114. 273
186
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
schriebener N o r m e n für das Funktionieren des Staates zwingend notwendig erschien. 2 7 9 In der Betonung der an funktionalistischen Kriterien ausgerichteten N S - P o l i tik, die ideologische Vorgaben zumindest zeitweise beiseite zu lassen bereit war, liegt die Stärke des Ansatzes. „Im nationalsozialistischen Deutschland", so der Autor, „ist das Evangelium der Effizienz an die Stelle des Kults der Freiheit getret e n . " 2 8 0 D i e unterschiedliche Verfahrensweise der Finanzverwaltung gegenüber der inländischen jüdischen Bevölkerung und jüdischen Emigranten in München und Nürnberg demonstriert die Selbstbeschränkung des Maßnahmenstaates zugunsten der Effizienzorientierung im Sinne steuerlicher Leistungsfähigkeit. Gleichzeitig wird die Durchsetzungsfähigkeit zentraler Steuerungselemente sichtbar: Tendenzen antisemitisch motivierter Uberwachungs- und Entziehungsroutinen gegenüber der inländischen jüdischen Bevölkerung, wie sie in Bad Kissingen/ Hammelburg aufgezeigt wurden, finden sich nur dort, wo es entsprechende Vorgaben des Reichsfinanzministeriums gab. Erst unterhalb dieser Ebene, bei Stundungen und Erlassen, lässt sich die individuelle Prägung der Handlungen nachverfolgen, die sich generell durch Härte auszeichneten, sich im Einzelfall, der Steuergesetzgebung entsprechend, aber auch positiv für die Betroffenen auswirken konnten. 2 8 1 In dem Versuch, die grundlegenden Charakteristika der NS-Herrschaft auf zwei Strukturmerkmale zu reduzieren, liegt allerdings dessen Problematik begründet. Denn Fraenkel geht zwar von der prinzipiellen Vorherrschaft maßnahmenstaatlicher Prinzipien bei der Judenverfolgung und deren legalistischer Verschleierung aus, definiert den Normensstaat aber letztlich immer vom Blickwinkel des liberalen Rechtssystems der Weimarer Republik. 2 8 2 Besonders die daraus resultierende Annahme, es habe auf Seiten der traditionell nach normenstaatlichen Kriterien arbeitenden Behörden bis 1936 Widerstand gegen die Organe der D i k tatur gegeben, bestätigt sich nicht. 2 8 3 Die analytische Trennung beider Sphären verleitet dazu, ihr komplexes Mischungsverhältnis genauso zu übersehen, wie die neue Definition von N o r m , die aus ihrer Verbindung entstand. Im Sinne eines funktionierenden administrativen Apparates behielt das N S - R e g i m e zwar eingespielte bürokratische Verfahrensabläufe bei, veränderte aber das dem Verwaltungshandeln zugrunde liegende politische Programm früh und umfassend. Wie schnell die Institutionen der Finanzverwaltung bereit waren, auf der neuen normativen Grundlage zu arbeiten, wenn diese Effizienzkriterien nicht widersprach, verdeutlicht die rasche und konsequente Ausplünderung der jüdischen Emigranten. Die Reichsregierung konnte sich hierbei nicht nur auf die Durchsetzungsfähigkeit des hierarchisch ausgerichteten bürokratischen Apparates verlassen, son-
279 Ebd. Ebd., S. 124. D e r so entstandene Dualismus in der Behandlung der jüdischen Bevölkerung war auch Ernst Fraenkel bewusst. Er führte die Zurückhaltung der Reichsregierung in diesem Bereich auf wirtschaftspolitische Notwendigkeiten zurück; ebd., S. 142. 2 8 2 Ebd., S. 4 1 , 5 5 , 102 und 123. 283 Ebd., S. 49.
280 281
IL Die Einziehung
konventioneller
187
Steuern
d e m a u c h a u f die „ b r a u c h b a r e I l l e g a l i t ä t " d e r B e a m t e n v o r O r t , die im E i n z e l f a l l I m p u l s e v o n o b e n n a c h M a ß g a b e r e g i o n a l e r V e r h ä l t n i s s e im S i n n e e i n e r e f f i z i e n ten V e r w a l t u n g v e r s c h ä r f t e n o d e r a b f e d e r t e n . D i e s e z w e c k r a t i o n a l e A u s r i c h t u n g verrät daher auch nichts über dahinterstehende M o t i v e , diente der wirtschaftliche und
finanzielle
Erfolg der N S - R e g i e r u n g doch letztlich nur der Verwirklichung
der u t o p i s c h e n u n d „ r a s s i s c h " b e g r ü n d e t e n Z i e l s e t z u n g e n der n a t i o n a l s o z i a l i s t i schen Ideologie. A n d e r s gesagt: D i e a d m i n i s t r a t i v e n V e r f a h r e n s w e i s e n d e r
Finanzverwaltung
b l i e b e n bis 1 9 3 8 i m W e s e n t l i c h e n g l e i c h , v o r h a n d e n e N e u e r u n g e n b a s i e r t e n a u f b e r e i t s e t a b l i e r t e n R o u t i n e n . A u f die sich radikal v e r ä n d e r n d e n I m p u l s e d e r p o l i t i s c h e n U m w e l t r e a g i e r t e sie a b e r m i t e i n e m h o h e n M a ß an A d a p t i o n s b e r e i t s c h a f t . D i e Verarbeitung der neuen politischen P r o g r a m m f o r m u l i e r u n g nach traditionellen b ü r o k r a t i s c h e n
S p i e l r e g e l n e r m ö g l i c h t e die K o p p e l u n g i d e o l o g i s c h e r
und
f u n k t i o n a l i s t i s c h e r G e s i c h t s p u n k t e u n d m a c h t e d a m i t die e f f i z i e n t e A u s p l ü n d e r u n g der j ü d i s c h e n B e v ö l k e r u n g ü b e r h a u p t erst m ö g l i c h . „ D e r J u d e s e l b s t m a g a u s w a n d e r n " , so f o r m u l i e r t e es d e r B e r i c h t e r s t a t t e r des F i n a n z a m t s
München-
N o r d i m J a h r 1 9 3 6 , „sein V e r m ö g e n d a r f a b e r erst t r a n s f e r i e r t w e r d e n , w e n n es s o w o h l bei d e r E i n k o m m e n s t e u e r als a u c h bei d e r V e r m ö g e n s - u n d , R e i c h s f l u c h t s t e u e r ' t u n l i c h s t r e s t l o s erfasst w o r d e n i s t . " 2 8 4 N i c h t eine u n e i n h e i t l i c h e D e f i n i t i o n v o n R e c h t , s o n d e r n die u n t e r s c h i e d l i c h e Verarbeitung ideologischer Impulse durch verschiedene Herrschaftsträger
mit
u n t e r s c h i e d l i c h e n S y s t e m v o r a u s s e t z u n g e n stellte m i t h i n d e n e i g e n t l i c h e n U n t e r s c h i e d z w i s c h e n M a ß n a h m e n - u n d N o r m e n s t a a t dar. F r a g t m a n nach d e n g r u n d legenden
C h a r a k t e r i s t i k a des N o r m e n s t a a t e s ,
s o ist die i d e o l o g i s c h
bedingte
T r a n s f o r m a t i o n d e r N o r m u n d die d a d u r c h h e r v o r g e r u f e n e v e r ä n d e r t e V e r w a l tungspraxis gegenüber dem Publikum hervorzuheben. N a c h E r n s t F r a e n k e l trat i m L a u f e d e r N S - H e r r s c h a f t im N o r m e n s t a a t die T e n d e n z in E r s c h e i n u n g , das freie E r m e s s e n bis z u r M i s s b r ä u c h l i c h k e i t hin a u s z u d e h n e n . „ M e h r u n d m e h r v e r s t ä r k t sich a u c h die T e n d e n z , die i n n e r e A n p a s s u n g des N o r m e n s t a a t s an d e n M a ß n a h m e n s t a a t als B e w e i s f ü r die D u r c h d r i n g u n g des , D r i t t e n R e i c h s ' m i t n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e m G e i s t zu b e g r ü ß e n . " 2 8 5 H i e r f ü r h a t t e b e r e i t s das „ S t e u e r a n p a s s u n g s g e s e t z "
ein erstes E i n f a l l s t o r g e ö f f n e t .
Erheblich
r a d i k a l e r gestaltete sich j e d o c h die n u n e x p l i z i t a n t i s e m i t i s c h e S t e u e r g e s e t z g e b u n g n a c h 1 9 3 7 / 3 8 . W i e die r e g i o n a l e n G l i e d e r u n g e n der F i n a n z v e r w a l t u n g auf diese n e u e A u s g a n g s s i t u a t i o n r e a g i e r t e n , d a r a u f w i r d i m F o l g e n d e n e i n z u g e h e n sein.
Schreiben des Finanzamts München-Nord an den Präsidenten des LFA München vom 18.2. 1936; B A B / R 2/5987. 285 Ebd. 284
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
III. Die systematische „Ausschaltung": Finanzverwaltung, „Arisierung" und Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung 1937/38-1941 1. Zur Bedeutung
der Zäsur
1938
Das Jahr 1936 ist im Hinblick auf die wirtschaftliche Verdrängung der jüdischen Bevölkerung in Arbeiten jüngeren Datums als eine entscheidende Zäsur gewertet worden. Die neuere Forschung hat damit den Beginn der systematischen „Ausschaltung" der Juden aus dem Wirtschaftsleben und ihrer vollständigen Ausplünderung im Gegensatz zu älteren Studien um ein bis zwei Jahre vordatiert. 2 8 6 Dabei wurde die Bedeutung des Jahres 1938 als Beginn einer weiteren Phase der Judenverfolgung keinesfalls negiert. Das Augenmerk richtete sich allerdings mehr und mehr auf die Grundlagen der vollständigen „Ausschaltung" und Expropriation, die das NS-Regime bereits zwei Jahre vorher legte. Vor allem die neue Devisengesetzgebung hatte das Potential einer erheblichen Verschärfung der „Judenpolitik" seitens der lokalen Finanzbehörden. Da die Reichsregierung die Devisengesetzgebung erst Ende 1936 novellierte und verschärfte Verfolgungsmaßnahmen frühestens im Jahr darauf greifen konnten, ist eine Zäsur im Hinblick auf die lokalen Behörden der Reichsfinanzverwaltung 1937 zu setzen. Bereits zwölf Monate später begann die Reichsregierung dann mit der umfassenden „Ausschaltung" der jüdischen Bevölkerung aus dem Wirtschaftsleben, an der auch die Reichsfinanzverwaltung maßgeblich beteiligt war. Die Jahre 1937 und 1938 veränderten das Aufgabenprofil der lokalen Institutionen des Fiskus erheblich und führten zu drastischen Veränderungen bei der erwerbstätigen jüdischen Bevölkerung. Die Phase der raschen Verschärfung der Verfolgung bis zur endgültigen „Ausschaltung" 1937/38 bestimmt deshalb die Gliederung der vorliegenden Arbeit, wenngleich die Grundlagen, auf die im Folgenden auch eingegangen werden muss, auf zentraler Ebene bereits im Laufe des Jahres 1936 vorbereitet und geschaffen worden sind. Die „Juden-" und Devisenpolitik radikalisierte sich 1936 aus mehreren Gründen. Das Ende der Olympischen Spiele und die in diesem Jahr erreichte Vollbeschäftigung führten zu einem Einsturz der Dämme, die vorher noch für ein mäßiges Vorgehen in der „Judenpolitik" gesorgt hatten. Auch die im Jahr 1936 auftretende Rohstoff- und Devisenkrise muss als Ursache berücksichtigt werden. Für die jüdische Bevölkerung hatte vor allem die Machtverschiebung zugunsten Hermann Görings in wirtschaftspolitischen Fragen gravierende Folgen. 1936 avancierte er zunächst zum Leiter des Rohstoff- und Devisenstabes, um dann noch im selben Jahr von Hitler zum Beauftragten für den Vierjahresplan ernannt zu werden, womit er eine Schlüsselstellung in der deutschen Wirtschaftspolitik erhielt. 286 Ältere Autoren wie etwa Helmut Genschel haben v. a. die Zäsur 1937/38 mit der Ausschaltung Hjalmar Schachts als Wirtschaftsminister und dem 1938 einsetzenden vollständigen Ausschluss der Juden aus dem Wirtschaftsleben als Beginn der Radikalisierung der wirtschaftlichen Verdrängung gesehen; Genschel, Verdrängung, S. 144ff.; und v. a. auch der Uberblick bei Bajohr, „Arisierung" in Hamburg, S. 174.
III. Die systematische
189
„Ausschaltung"
Als Beauftragter für den Vierjahresplan b e k a m G ö r i n g in den folgenden J a h r e n eine umfassende W e i s u n g s k o m p e t e n z , w o d u r c h auch die jüdische erwerbstätige B e v ö l k e r u n g unter seinen Einfluss g e r i e t . 2 8 7 I n s b e s o n d e r e Peter L o n g e r i c h hat auf den f u n k t i o n a l e n Z u s a m m e n h a n g z w i schen der durch die V i e r j a h r e s p l a n b e h ö r d e forcierten R ü s t u n g s p o l i t i k für einen Krieg gegen die „ j ü d i s c h - b o l s c h e w i s t i s c h e B e d r o h u n g " und der wirtschaftlichen „ A u s s c h a l t u n g " der jüdischen B e v ö l k e r u n g in D e u t s c h l a n d a u f m e r k s a m gemacht. M i t j ü d i s c h e m V e r m ö g e n sollte unter anderem der K r i e g
finanziert
werden.288
Wegen des erheblichen Einflusses, den H e r m a n n G ö r i n g auf die D e v i s e n p o l i t i k ausüben k o n n t e , hatte der neue K u r s , der die A u s p l ü n d e r u n g der jüdischen B e v ö l kerung im R a h m e n der V i e r j a h r e s p l a n b e h ö r d e bereits k o n z e p t i o n e l l einschloss, auch A u s w i r k u n g e n auf die R e i c h s f i n a n z v e r w a l t u n g .
2. Zollfahndung,
Devisenstellen
und die Ausplünderung
jüdischen
Vermögens
D e r institutionelle R a h m e n : G ö r i n g , H e y d r i c h und die B e d e u t u n g des Devisenfahndungsamts D a s E r g e b n i s der o b e n genannten M a c h t v e r s c h i e b u n g e n auf dem D e v i s e n g e b i e t w a r die G r ü n d u n g eines D e v i s e n f a h n d u n g s a m t s im Juli 1936, mit der G ö r i n g den C h e f der Sicherheitspolizei und des S D , S S - G r u p p e n f ü h r e r R e i n h a r d H e y d r i c h , b e a u f t r a g t e . 2 8 9 D e r G e s t a p o - C h e f und spätere L e i t e r des R S H A hatte in m e h r facher H i n s i c h t E i n f l u s s m ö g l i c h k e i t e n auf die Fiskalverwaltung. N a c h G ö r i n g s A n w e i s u n g e n w a r die ihm unterstehende neue B e h ö r d e gegenüber den Z o l l f a h n dungsstellen, den Steuerfahndungsdiensten sowie den H a u p t z o l l ä m t e r n und ihren G l i e d e r u n g e n in Sachfragen weisungsberechtigt. B e i umfangreichen D e v i s e n v e r gehen o d e r der V e r w i c k l u n g führender P e r s ö n l i c h k e i t e n in D e v i s e n a n g e l e g e n h e i ten musste das D e v i s e n f a h n d u n g s a m t u m g e h e n d informiert werden. Es gab seine A n w e i s u n g e n direkt an die Präsidenten der L a n d e s f i n a n z ä m t e r weiter. A n o r d nungen allgemeiner A r t sollte der R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r schließlich nur n o c h im E i n v e r n e h m e n mit H e y d r i c h s neuer B e h ö r d e t r e f f e n . 2 9 3 F ü r die neuen A u f g a b e n stellte G ö r i n g H e y d r i c h hauptsächlich B e a m t e aus der Zollverwaltung zur V e r f ü g u n g . 2 9 1 D a n e b e n bestand offensichtlich auch eine enge personelle V e r b i n d u n g und institutionelle V e r z a h n u n g mit dem G e h e i m e n Staatspolizeiamt ( G e s t a p a ) , dessen M i t a r b e i t e r - unter anderem W e r n e r B e s t - für Wei-
287 j ) ; e e n t s c h e i d e n d e R o l l e der D i e n s t s t e l l e für den Vierjahresplan und H e r m a n n G ö r i n g s wird in der L i t e r a t u r einhellig h e r v o r g e h o b e n ; L o n g e r i c h , P o l i t i k , S. 117 f.; D r e ß e n , „ A k t i o n 3 " , S. 21 f.; A l y / H e i m , V o r d e n k e r , S. 2 2 f.; B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 1 9 0 f . ; Friedländer, V e r f o l g u n g , S. 1 9 6 f . ; R u c k , V e r w a l t u n g , S. 2 8 . L o n g e r i c h , P o l i t i k , S. 118. ' S c h r e i b e n G ö r i n g s an H e y d r i c h 13623/Fotokopie.
2SS
2S J
2 K
291
vom
7.7.1936;
StAN/KV-Anklagedokumente/NI/
S c h r e i b e n des R d F an die P r ä s i d e n t e n der L a n d e s h n a n z ä m t e r v o m 5. 12. 1936; B A B / R 2 / 3927. D i e s betraf Z o l l k o m m i s s a r e aus v e r s c h i e d e n e n L a n d e s f i n a n z a m t s b e z i r k e n ; S c h r e i b e n G ö r i n g s an den R d F v o m 8. 7. 1936; ebd.
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
sungen des Devisenfahndungsamts verantwortlich zeichneten. 2 9 2 Zu den Hauptaufgaben des Amts gehörte die bessere Koordination der Zollfahndung, der Devisenstellen und der Staatsanwaltschaft, um dem Devisen- und Kapitalschmuggel durch „Aufarbeit" des Vierjahresplanes ein Ende setzen zu können 2 9 3 Das Devisenfahndungsamt legte naturgemäß einen Schwerpunkt auf die Fahndungstätigkeit und betonte daher besonders die Rolle der Zollfahndung im Uberwachungsprozess. Sie wurde wegen der schwierigen Devisenlage dazu aufgefordert, mehr Devisensachen als bisher zu bearbeiten und die Ermittlungsgesuche für Devisensachen möglichst umgehend zu erledigen. Dafür sollte die Behandlung von Verbrauchsteuersachen zurückgestellt werden. 2 9 4 Die Devisenstellen waren angehalten, ihrerseits vermehrt Zollprüfer bei ihrer Uberwachungstätigkeit einzusetzen. Zusätzlich sollten sie den Zollfahndungsstellen Buchprüfer für die Effizienzsteigerung zur Verfügung stellen. 2 9 5 Schließlich gab es das Bestreben, die Vorsteher der Devisenstellen und der Zollfahndung bei der Bearbeitung von Devisensachen einander gleichzustellen, wobei beide für die enge Zusammenarbeit der Institutionen Sorge zu tragen hatten. 2 9 6 Auch der Fahndungs- und Streifendienst der Bahn war aufgefordert, strenger zu kontrollieren und häufiger Stichproben durchzuführen. 2 9 7 In den klassischen Finanz- und Wirtschaftsverwaltungen sorgte die Machtfülle und der zunehmende Einfluss der Funktionseliten der Geheimpolizei offenbar für einige Irritationen. Der Reichswirtschaftsminister nahm von der Gründung des Devisenfahndungsamts zwar Kenntnis, gab aber gleichzeitig seinem Willen Ausdruck, dass es bei den ihm unterstehenden Institutionen zu keiner Änderung in der Arbeitsweise kommen werde. Im Mittelpunkt der Ermittlungsarbeit sollten weiterhin die ihm unterstehenden Devisenstellen stehen, die ihrerseits die Zollfahndungsstellen heranziehen und Strafanzeige stellen konnten, aber auch über die Hinzuziehung der Staatsanwaltschaft informiert werden sollten 2 9 8 Auf ähnliche Gesichtspunkte machten auch die Reichsstelle für die Devisenbewirtschaftung und der Reichsfinanzminister als dritte den Devisenstellen vorgesetzte Instanz aufmerksam. Sie betonten die rein sachliche Weisungsbefugnis des Devisenfahndungsamts in Devisensachen und negierten die ursprünglich geplante
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Schreiben des Devisenfahndungsamts, Dr. Best, an die Vorsteher der Zollfahndungsstellen vom 23. 11. 1937; BAB/R2/5978. Schreiben des Staatssekretärs des Reichsmarschalls an den RdF vom 4. 4. 1941; BAB/R2/ 5927. Rundschreiben des RdF an die Präsidenten der Landesfinanzämter vom 23. 10. 1936; ebd. Im August 1937 forderte das Devisenfahndungsamt gesonderte Berichte von den Zollfahndungsstellen, da die Devisenstellen Anordnungen der Zollfahndungsstellen nicht immer bestätigten und das Amt hier Abhilfe schaffen wollte; Schreiben des RdF an den OFP Leipzig vom 16. 3. 1938; BAB/R2/56071. Schreiben des Devisenfahndungsamts an die Zollfahndung Berlin vom 22. 10. 1936; BAB/R 2/5927. Rundschreiben der Reichsstelle für die Devisenbewirtschaftung an die Devisenstellen vom 20. 10. 1937; ebd. Rundschreiben der Deutschen Reichsbahn, Hauptverwaltung, an die Reichsbahndirektionen vom Dezember 1936; ebd. Schreiben des R W M an Göring vom 29. 7. 1936; ebd.
III. Die systematische
„Ausschaltung"
191
übergeordnete Stellung der H e y d r i c h - B e h ö r d e gegenüber der Zollfahndung und den Hauptzollämtern, die dann auch die Dienstaufsicht miteingeschlossen hätte. 2 9 9 A u c h in der Folgezeit bereiteten die Pläne H e y d r i c h s im Finanzministerium Kopfzerbrechen. Besonders argwöhnisch beäugte man die Pläne des Devisenfahndungsamts aus dem Jahr 1938, sich mit der Einrichtung von Devisenfahndungsstellen einen eigenen örtlichen U n t e r b a u zu schaffen. Die damit verbundenen Konsequenzen gaben der Finanzverwaltung aus mehreren G r ü n d e n Anlass zur Sorge. In Wien war es nach dem „Anschluss" Österreichs zur Einrichtung einer Wirtschaftspolizei gekommen. Die G r ü n d u n g einer ähnlichen Institution im Altreich, so glaubte man, w ü r d e zu einer Machtsteigerung des Reichswirtschaftsministeriums auf Kosten des Finanzministeriums führen. N o c h beunruhigender war die K o n k u r r e n z von Heydrich selbst. Die Ministerialbeamten fürchteten nicht nur den Abgang der besten Zollfahndungsbeamten an die Devisenfahndungsstellen, sondern vor allem eine vollständige Ü b e r n a h m e des G r e n z k o n t r o l l dienstes durch das Gestapa und die SS. Die G e g e n m a ß n a h m e n , die der Finanzminister ergreifen wollte, um dem u m triebigen H e y d r i c h den Wind aus den Segeln zu nehmen, hatten erhebliche Auswirkungen auf die Ü b e r w a c h u n g u n d Entziehung des Emigrantenvermögens. N e b e n der Überlegung, strukturelle Veränderungen d u r c h z u f ü h r e n wie etwa die Zusammenlegung von Steuer- u n d Zollfahndung, u m somit den Angriffen anderer Ressorts besser widerstehen zu können, galten die Bestrebungen des Finanzministeriums vor allem dem personellen Ausbau und der Ausweitung der Ü b e r w a chungstätigkeit schon bestehender Fahndungsdienste. 3 0 0 Tatsächlich hatte das Reichsfinanzministerium bereits im O k t o b e r 1936, wenige Wochen nach G r ü n dung des Devisenfahndungsamts, eine Verschärfung in der Handlungspraxis der Fahndungsdienste gegenüber Emigranten forciert. „Eine große Rolle spielt auch die B e k ä m p f u n g der Steuerhinterziehung der Emigranten", so ein ministeriumsinternes Papier, „ihrer Anhänger und solcher, die es werden wollen." 3 0 1 Auf der Grundlage einer engeren Zusammenarbeit mit Gestapo und Staatsanwaltschaften sollten sich die Steuerfahndungsstellen vor allem mit den „großen Kalibern" unter den Emigranten auseinandersetzen. 3 0 2 Der veränderte Kurs fand auch in neuen Begrifflichkeiten seinen Niederschlag. Ein halbes Jahr später, im April 1937, w u r d e die zentrale Nachrichtenstelle beim Oberfinanzpräsidenten Berlin, wie bereits geschildert, in Zentrale Steuerfahndungsstelle u m b e n a n n t . Damit einherging eine Ausweitung der Überwachungstätigkeit. Künftig sollte die Zentrale Steuerfahndungsstelle Nachrichten über alle Einkünfte, U m s ä t z e und Vermögen von
299
R u n d s c h r e i b e n der Reichsstelle f ü r D e v i s e n b e w i r t s c h a f t u n g an die Devisenstellen v o m 16. 9. 1936 u n d R u n d s c h r e i b e n des R d F an die Präsidenten der L a n d e s f i n a n z ä m t e r v o m 19. 10. 1936; ebd. 300 Vertrauliche A b s c h r i f t : B e m e r k u n g e n des Referats V I / 9 zu einem v o n Prof. M i r r e verfassten Brief an G ö r i n g , o.J. ( a u f g r u n d der E r w ä h n u n g Wiens als Präzedenzfall w a h r scheinlich 1938/39); B A B / R 2/5973. 351 Schreiben des Referats I II/1 an das Referat T r a p p v o m 17. 10. 1936; ebd. Ebd.
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
mehr als 5 0 0 0 R e i c h s m a r k von Personen erhalten, bei denen „Tatsachen" auf eine baldige Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland schließen ließen. 3 0 3 F ü r das Verständnis spezieller F u n k t i o n s m e c h a n i s m e n der wirtschaftlichen Verdrängung der J u d e n ist das von 1936 bis 1941 existierende Devisenfahndungsamt in zweifacher H i n s i c h t von B e d e u t u n g : 3 0 4 Z u m einen für die Radikalisierung der Ü b e r w a c h u n g und E n t z i e h u n g von Vermögenswerten jüdischer Emigranten, die das A m t i m m e r stärker forcierte. D u r c h dessen direkten Einfluss auf die F a h n dungsdienste der Finanzverwaltung wurden von jetzt an traditionelle Bereiche der Fiskal- und Wirtschaftsressorts, wie etwa die Devisenpolitik, durch die späteren Architekten der „ E n d l ö s u n g " mitbestimmt und damit die Emigration weithin sichtbar kriminalisiert und direkt mit der „Judenfrage" verknüpft. D a b e i begnügte sich das Devisenfahndungsamt nicht mit der Herausgabe von Erlassen und Verordnungen, sondern griff auch in die Ausbildung des Personals vor O r t mit ein. Schulungen gab es z u m Beispiel für die Referenten des Steuerfahndungsdienstes, die in Bayern nicht Finanzbeamte, sondern hochrangige Funktionsträger der Partei, vor allem aber der G e s t a p o und des S D durchführten. B e i einer Veranstaltung in W ü r z b u r g standen etwa weitgehend „Sicherungsfragen" von Vermögenswerten im Vordergrund, wobei Referenten des Volksgerichtshofes, von der Z e n tralstelle für wirtschaftspolitische Organisation der N S D A P , der Vierjahresplanbehörde, des Reichsführers SS oder der Sicherheitspolizei (hier O b e r f ü h r e r und Ministerialdirigent Werner Best) auftraten. 3 0 5 Z u m anderen wirkten die durch die G r ü n d u n g des Devisenfahndungsamts hervorgerufenen polykratischen K o n f l i k t e zwischen den klassischen Ressorts und der H e y d r i c h - B e h ö r d e in den J a h r e n 1937 bis 1941 auch als Katalysator bei der Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung. D i e verschärften Regelungen zur Verhinderung der „Kapitalflucht" der jüdischen Emigranten fanden am deutlichsten in einer N o v e l l e des Devisengesetzes v o m D e z e m b e r 1936 ihren Niederschlag. D e r legislative R a h m e n : Paragraph 37a Devisengesetz Hitlers Planungen für den Vierjahresplan schlossen auch die legislative Radikalisierung der „Judenfrage" im D e z e m b e r 1936 ein. Sie standen im Zusammenhang mit den Besprechungen auf ministerieller E b e n e im September 1936 über die wirtschaftliche Betätigung der jüdischen B e v ö l k e r u n g . 3 0 6 E i n e Verschärfung der D e v i -
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Rundschreiben des R d F an die Oberfinanzpräsidien vom 28. 4. 1937 und Schreiben der Zentralen Steuerfahndungsstelle an die Präsidenten der Kammergerichte vom 10. 5. 1937; B A B / R 2/5972. Durch die 1941 eingetretene Entwicklung des Krieges spielte die Devisenpolitik nach Meinung Hermann Görings keine so wesentliche Rolle mehr. Mit Wirkung vom 1. April 1941 wurde das Amt daher aufgelöst, die Beamten wurden in den besetzten Gebieten eingesetzt und die Zuständigkeiten an den R d F übergeben; Schreiben des Reichsmarschalls an den R d F vom 4. 4. 1941 und Schreiben des R d F an das A A im Mai 1941; B A B / R 2/ 5907 und 5927. Schreiben des Devisenfahndungsamts an die Referenten für den Steuerfahndungsdienst des O F P Würzburg vom 24. 10. 1937; B A B / R 2/5927. In einer Denkschrift über den Vierjahresplan hatte Hitler Forderungen nach Maßnahmen gegen den Transfer jüdischen Vermögens erhoben; Longerich, Politik, S. 119ff.
III. Die systematische
„Ausschaltung"
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sengesetzgebung hatte die M i n i s t e r i a l b ü r o k r a t i e bereits 1935 durch r e s s o r t ü b e r greifende B e r a t u n g e n ü b e r die E m i g r a t i o n vorbereitet. D e r a r t i g e G e s p r ä c h e z o gen sich bis weit in das J a h r 1936 hin. S o w o h l das Wirtschafts- als auch das F i n a n z m i n i s t e r i u m hielten das i n z w i s c h e n nahezu lückenlose U b e r w a c h u n g s s y s t e m i m m e r n o c h für u n z u r e i c h e n d . B e a m t e beider Ministerien bemängelten v o r allem die oftmals ungenügende Verfügungsgewalt ü b e r inländische V e r m ö g e n s w e r t e im Falle der „ K a p i t a l f l u c h t " sowie die fehlenden M ö g l i c h k e i t e n für ein präventives Eingreifen zur S i c h e r u n g von W e r t g e g e n s t ä n d e n . 3 0 7 I m N o v e m b e r 1936 diskutierten dann der R e i c h s f i n a n z - , R e i c h s w i r t s c h a f t s - , R e i c h s i n n e n - und R e i c h s j u s t i z m i n i s t e r sowie der R e i c h s b a n k p r ä s i d c n t und der „Stellvertreter des F ü h r e r s " k o n k r e t ü b e r eine Ä n d e r u n g des Devisengesetzes, die den Devisenstellen durch eine Sperre des G e s a m t v e r m ö g e n s einen schnellen Z u griff auf das E m i g r a n t e n v e r m ö g e n e r m ö g l i c h e n s o l l t e . 3 0 8 D u r c h eine N e u g e s t a l tung der E x p o r t v a l u t a e r k l ä r u n g e n im O k t o b e r 1936 war bereits die Z u s a m m e n a r beit z w i s c h e n R e i c h s b a n k , Z o l l f a h n d u n g und Devisenstellen intensiviert w o r d e n . Falls die R e i c h s b a n k Verdacht auf „ K a p i t a l f l u c h t " o d e r D e v i s e n v e r s c h i e b u n g e n schöpfte, sollten Devisenstelle und Z o l l f a h n d u n g innerhalb von 4 8 Stunden die verdächtigen B e t r i e b e ü b e r p r ü f e n und gegebenenfalls - dies lag im E r m e s s e n der Devisenstelle - durch A u s f u h r v e r b o t e , durch ein V e r b o t von K o m m i s s i o n s l i e f e rungen o d e r andere M a ß n a h m e n den vermuteten K a p i t a l v e r k e h r v e r h i n d e r n . 3 0 9 N o c h im D e z e m b e r desselben J a h r e s verschärfte die N S - R e g i e r u n g die D e v i sengesetzgebung durch den neuen Paragraph 37a, der eine S i c h e r u n g s a n o r d n u n g ü b e r V e r m ö g e n s w e r t e bereits bei dem Verdacht auf Kapitalflucht e r m ö g l i c h t e . 3 1 0 D e r ebenfalls neu eingefügte Paragraph 3 7 b erlaubte es schließlich der D e v i s e n b e wirtschaftungsstelle, auch in anderen als den in Paragraph 37a genannten Fällen A n o r d n u n g e n z u r Sicherung der D e v i s e n b e s t ä n d e zu t r e f f e n . 3 1 1 E n t s p r e c h e n d der neuen S i c h e r u n g s - und E n t z i e h u n g s m ö g l i c h k e i t e n präzisierte die D e v i s e n b e w i r t schaftungsstelle ihren A u f g a b e n b e r e i c h und ihre Vorgaben: D i e vollstreckenden B e h ö r d e n für die S i c h e r u n g s a n o r d n u n g e n nach Paragraph 3 7 a waren d e m n a c h die Devisenstellen, die sich, angelehnt an die bisher schon gängige Praxis, der M i t h i l f e der Z o l l - und Steuerfahndungsstellen bedienen sollten. F ü r „ G e w a l t a n w e n d u n g e n " , E n t z i e h u n g von Pässen o d e r F e s t n a h m e n w a r die K o o p e r a t i o n mit den ö r t lichen P o l i z e i b e h ö r d e n anzustreben. D i e K o s t e n für diese umfangreichen Sicher u n g s m a ß n a h m e n hatte der B e t r o f f e n e zu t r a g e n . 3 1 2 D e r Paragraph 37a e r m ö g -
3:7
3=s
S c h r e i b e n des W i r t s c h a f t s m i n i s t e r s an den J u s t i z m i n i s t e r , den F i n a n z m i n i s t e r , das A A und den „Stellvertreter des F ü h r e r s " v o m 22. 7. 1936; B A B / R 2 / 1 4 0 7 0 . S c h r e i b e n des R W M an den R d F , den I n n e n m i n i s t e r , den J u s t i z m i n i s t e r , H e ß und die R e i c h s b a n k v o m 7. 11. 1936; S c h r e i b e n des J u s t i z m i n i s t e r s v o m 16. 11. 1936 und S c h r e i ben des R W M an den C h e f der R e i c h s k a n z l e i v o m 24. 11. 1936; ebd.
R u n d s c h r e i b e n der R e i c h s s t e l l e für D e v i s e n b e w i r t s c h a f t u n g an die Devisenstellen v o m 19. 10. 1936; B A B / R 2 / 5 9 7 8 . 3 1 2 „ Ä n d e r u n g des G e s e t z e s ü b e r die D e v i s e n b e w i r t s c h a f t u n g " v o m 1. 12. 1936, § 37a (1); R G B l . I ( 1 9 3 6 ) , S. 1000. 311 E b d . 3 I - R u n d s c h r e i b e n der R c i c h s s t e l l e für D e v i s e n b e w i r t s c h a f t u n g an die D e v i s e n s t e l l e n vom 28. 1. 1937; B A B / R 2 / 1 4 0 7 0 . 3:9
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und
Judenverfolgung
lichte es außerdem, dem Inhaber beziehungsweise Vertreter oder Geschäftsführer die Vertretungsbefugnis über seine Firma zu entziehen. Im Einvernehmen mit dem Reichstreuhänder der Arbeit konnte die Devisenstelle in diesem Fall einen Betriebsführer als Treuhänder einsetzen. 3 1 3 Die institutionellen Schranken für eine derart umfassende Verfügung waren allerdings hoch. Sie konnten nur durch Oberbeamte erlassen werden. Zulässig war die Vermögenssicherung im Übrigen nur dann, wenn eindeutige Tatsachen vorlagen, die auf eine beabsichtigte Vermögensentziehung schließen ließen. Nach eingehender Prüfung sollten die Beamten Sicherungen über einzelne Vermögensbestandteile nur dann anordnen können, wenn der Verlust der Verfügungsgewalt den Betroffenen in seinem täglichen Leben nicht eingeschränkte. 3 1 4 Diese Maßnahmen richteten sich aber - und darin lag ihr eigentliches Radikalisierungspotential - speziell gegen die jüdische Bevölkerung und sollten auch nur bei dieser Anwendung finden.315 Zusätzliche Brisanz erhielt die antisemitische Ausrichtung der neuen Vorschriften noch durch eine Verschärfung der strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen: Das „Gesetz gegen die Wirtschaftssabotage" vom 1. Dezember 1936 drohte für die Vermögensverschiebung ins Ausland die Todesstrafe an. 3 1 6 Aufbauend auf den neuen gesetzlichen Bestimmungen sollten, wie dies der Reichsführer SS später ausführte, Devisenvergehen grundsätzlich als politische Straftaten angesehen werden, wodurch Verstöße als „staatsfeindlich" und damit als Landesverrat galten. 3 1 7 Vor allem mit der radikalen Judenpolitik im Jahr 1938 und der daraus resultierenden verstärkten Auswanderung der jüdischen Bevölkerung in München gewann die „Sicherungsverfügung" erheblich an Bedeutung. Frank Bajohr hat mit Anspielung auf das Modell Ernst Fraenkels hervorgehoben, durch die Sicherungsverfügung gemäß Paragraph 37a habe die Finanzverwaltung den Normenstaat selber radikalisiert, ihre Beamten hätten sich tendenziell von normengebundenem Verhalten verabschiedet „und dies als Erweiterung der Handlungsspielräume, ja Befreiung von Restriktionen" empfunden, was auf einen inneren Wandlungsprozess des Normenstaates selbst hinweisen würde. 3 1 8 Insgesamt, so Bajohr weiter, entwickelten sich die Devisenstellen und die Zollfahndung zu „Schrittmachern
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Schreiben des Arbeitsministers an den Reichstreuhänder der Arbeit und die Zentrale Steuerfahndungsstelle vom 13. 4. 1937; B A B / R 2/5978. Rundschreiben des R W M vom 7. 11. 1936; ebd. Begründet wurde das „rassische" Selektionskriterium mit den Erfahrungswerten, die den vermehrten Schmuggel durch Juden angeblich bewiesen; Rundschreiben des R d F an die Oberfinanzpräsidien vom 1 1 . 7 . 1938 und Schreiben des A A an den R d F vom 19. 7. 1938, die sich auf eine entsprechende Anordnung des R d F vom 6. 3. 1937 bezogen; B A B / R 2/ 56071. 1938 wurden dann die Bestimmungen dahingehend gelockert, dass die „Sicherheitsverfügung gemäß § 3 7 a " auch von anderen Beamten als den Oberbeamten ausgesprochen werden konnte. Es blieb aber bei dem eindringlichen Hinweis, die Vorschrift nur gegen jüdische Emigranten anzuwenden; Schreiben des R d F an den R W M vom 22. 6. 1938; ebd. § 1 des „Gesetzes gegen die Wirtschaftssabotage" vom 1. 12. 1936; R G B l . I (1936), S. 999. Schreiben des Devisenfahndungsamts an die Zollfahndungsstellen vom 16. 6. 1939; B A B / R 2/5927. Bajohr, „Arisierung" in Hamburg, S. 216.
III. Die systematische „ Ausschaltung"
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der L i q u i d i e r u n g " . 3 1 9 F ü r eine Beurteilung dieser T h e s e und die kritische Ü b e r prüfung der U m s e t z u n g gesetzlicher Vorgaben durch die Devisenstelle M ü n c h e n müssen zunächst die Überlegungen zu einer Verschärfung der entsprechenden Vorschriften auf Reichsebene im J a h r 1938 berücksichtigt werden, die die F o r schung bisher kaum thematisiert hat. Zunächst ist hervorzuheben, dass es sich beim Paragraph 37a Devisengesetz um eine Kann-Vorschrift handelte, die den lokalen Behörden Ermessensspielräume ermöglichte, deren H a n d h a b u n g die M i nisterialbürokratie im J a h r 1938 jedoch durch zahlreiche Erlasse und Verordnungen präzisierte. N a c h d e m die Reichsregierung im J a h r 1937 die Bestimmungen des Paragraph 37a des Devisengesetzes zunächst kaum verändert hatte, stieß das Devisenfahndungsamt im F r ü h j a h r 1938 erneut Diskussionen über die Sicherungsverfügungen an. D i e Auffassungen der H e y d r i c h - B e h ö r d e zielten vor allem in Richtung einer prinzipiellen Ausnahmeregelung bei jüdischen Emigranten. „Bemerkenswert ist", so ein vertrauliches Schreiben des Devisenfahndungsamts an die Zollfahndungsstellen, „dass Sicherungsanordnungen gegen J u d e n künftig in allen Fällen getroffen werden können, in denen bekannt wird oder die U m s t ä n d e darauf schließen lassen, dass J u d e n auszuwandern b e a b s i c h t i g e n . " 3 2 0 D i e A n w e n d u n g der Sicherungsanordnung, so die Auffassung des A m t s , müsse dafür Sorge tragen, dass hochwertige Gegenstände von J u d e n generell im Inland verblieben 3 2 1 N e b e n der verschärften A n w e n d u n g des Paragraph 37a forderte das Devisenfahndungsamt die planmäßige Sicherung jüdischer Vermögenswerte. 3 2 2 Es bezog sich dabei auch auf einen vertraulichen Erlass des Reichswirtschaftsministeriums v o m Mai 1938, in dem ebenfalls darauf hingewiesen wurde, Sicherungsverfügungen seien in jedem Fall bei dem Verdacht der Auswanderung anzuwenden. Bestehende und künftige Exportforderungen von J u d e n sollten von dem E x p o r t e u r sofort auf ein S p e r r k o n t o einer Devisenbank bezahlt werden. 3 2 3 Entsprechend sollte auch an der G r e n z e verfahren werden, w o J u d e n - so die Auffassung des Reichswirtschaftsministeriums - Gegenstände wie Waren aus Edelmetall, Photoapparate oder Pelze abgeben sollten, auch wenn es sich um Gebrauchsgegenstände handelte. 3 2 4 U m jüdisches Vermögen „in Einklang mit den Belangen der deutschen Wirtschaft zu b r i n g e n " , wie dies bereits in der Verordnung vom 26. April 1938 formuliert worden war, bestimmte das Wirtschaftsministerium im Juni 1938, dass Anträge von J u d e n auf Vermögenstransfer grundsätzlich abgelehnt werden sollten. Ausnahmen waren lediglich dann möglich, wenn das Vermögen 2 0 0 0 0 R e i c h s m a r k nicht überschritt. 3 2 5 D e r Anwendungsbereich des Paragraph 37a ver-
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E b d . , S. 190. R u n d s c h r e i b e n des D e v i s e n f a h n d u n g s a m t s an die Z o l l f a h n d u n g s s t e l l e n v o m 2 1 . 5 . 1938; B A B / R 2/56071. S c h r e i b e n des D e v i s e n f a h n d u n g s a m t s an das Α Α und den P r o p a g a n d a m i n i s t e r v o m 27. 7. 1938; B A B / R 2 / 5 6 0 7 1 . R u n d s c h r e i b e n des D e v i s e n f a h n d u n g s a m t s an die Z o l l f a h n d u n g s s t e l l e n v o m 14. 11. 1938; StAM/OFD/413. A l l g e m e i n e r v e r t r a u l i c h e r Erlass des R W M v o m 1 4 . 5 . 1938; B A B / R 2 / 5 6 0 7 1 . S c h r e i b e n des R d F an den R W M v o m 2 9 . 7. 1938; ebd. R u n d s c h r e i b e n des R W M an die D e v i s e n s t e l l e n v o m 7. 6. 1938; S t A M / O F D / 3 1 4 .
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
schob sich durch die neue Interpretation der N o r m erheblich. War vorher nur die Prüfung im Einzelfall vorgesehen, stellte sie nun generell ein Instrument ersten Ranges zur Sicherung und Entziehung der Vermögenswerte von Emigranten dar. Gleichzeitig konnte die Reichsregierung auf diese Weise eine propagierte Vorgabe der Judenpolitik in die Tat umsetzen. Das ideologisch motivierte Ziel war es, die umfassende Auswanderung und vollständige Ausplünderung der Juden mit einer finanziellen Unterstützung der Rüstungswirtschaft zu verbinden. Eine erhebliche Erweiterung der Bestimmungen über die Sicherungsverfügungen erfolgte schließlich im Dezember 1938 durch das „Gesetz über die Devisenbewirtschaftung." Nach Paragraph 58 durften Juden nur noch die im Reiseverkehr unbedingt notwendigen Gegenstände mitführen. Die Mitnahme anderer Gegenstände musste genehmigt werden. Lag eine Genehmigung nicht vor, bestand der Verdacht des Kapitalschmuggels, und Devisenstellen, Zollverwaltung und der Steuerfahndungsdienst konnten bei Gefahr im Verzuge eine Sicherungsverfügung anordnen. 3 2 6 Standardisierte Formulare legten das Prozedere der Sicherungsanordnung genau fest: Den jüdischen Kontoinhabern war nahezu jede eigenständige Transaktion hinsichtlich des eigenen Vermögens untersagt. Innerhalb von fünf Tagen nach Eingang der Sicherungsanordnung war ein beschränkt verfügbares Sicherungskonto zu errichten. Andere Konten der Betroffenen sollten zwar bestehen bleiben, über diese durfte aber nur mit Genehmigung der Devisenstelle verfügt werden. Die Erlaubnis, Rechnungen zu begleichen, besaßen die Verfolgten nur noch dann, wenn es sich um Steuern, Gebühren oder anfallende Strafzahlungen handelte. Die Devisenstelle legte schließlich Beträge fest, die monatlich zur freien Verfügung standen. Barmittel, die diesen Betrag überschritten, musste der Betroffene auf das Sicherungskonto einzahlen. 327 Durch die dichte Aufeinanderfolge von Verordnungen und Durchführungserlassen hatte sich das NS-Regime in einem kurzen Zeitraum die Möglichkeit der nahezu vollständigen Kontrolle über jüdisches Vermögen verschafft. Die regionalen Gliederungen besaßen nun die Möglichkeit, den Geld- und Warenfluss zu kontrollieren und Vermögenswerte über den Umweg der präventiven Sicherung zu konfiszieren.
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§§ 58, 59 und 61 des „Gesetzes über die Devisenbewirtschaftung" vom 12. 12. 1938; RGBl. I (1938), S. 1742. Eine Beurteilung der Vorgehensweise der Devisenstelle München im Rahmen der sich verschärfenden Devisengesetzgebung ist relativ gut möglich, da N o tizen und Protokolle von Besprechungen erhalten geblieben sind und Sicherungsanordnungen gegen jüdische Kontoinhaber auch in den Steuerakten ihren Niederschlag gefunden haben. Sicherungsverfügung über das Vermögen von O t t o S. aus München vom 31. 8. 1940; StAM/Kanzlei Roquette/Privatarchiv 20. Die generelle Einrichtung von beschränkt verfügbaren Sicherungskonten forderte ein Erlass des Reichswirtschaftsministeriums vom 16. August 1939; Informationsschrift über die „Devisenrechtliche Sicherungsanordnungen gegen jüdische Inländer" von 1950; StAM/Staatsanwaltschaften/17856.
III. Die systematische
„Ausschaltung"
197
Ü b e r w a c h u n g s - und E n t z i e h u n g s p r a x i s vor O r t München
D i e Ü b e r w a c h u n g s a b t e i l u n g der Devisenstelle M ü n c h e n hielt sich z u -
nächst weitgehend an die gesetzlichen Vorschriften. A m 2. Mai 1938, also vor d e m G e h e i m e r l a s s des Reichswirtschaftsministeriums 3 · 2 8 , hatte ein Assessor ein M e r k blatt für die vorläufige S i c h e r u n g s a n o r d n u n g herausgegeben. D o r t wies er ausdrücklich auf die N o t w e n d i g k e i t der E i n z e l p r ü f u n g hin. D i e B e a m t e n sollten Sicherheitsverfügungen nur dann a n o r d n e n , w e n n tatsächlich eine strafbare Z u w i derhandlung vollendet o d e r nachweislich geplant war. Sie mussten darüber hinaus alle Beteiligten v e r n e h m e n , u m einen angemessenen U b e r b l i c k ü b e r die Sachlage zu erhalten. Verfügungen sollten auch niemals das gesamte V e r m ö g e n der B e t r o f fenen der Sperre u n t e r w e r f e n , s o n d e r n i m m e r nur die Werte, die leicht flüssig zu machen w a r e n . 3 2 9 D i e minutiösen A u s f ü h r u n g s b e s t i m m u n g e n präzisierten ein Verfahren, das innerhalb des M a ß n a h m e n k a t a l o g s der F i n a n z v e r w a l t u n g zunächst nur eine n a c h g e o r d n e t e R o l l e spielte. Bis E n d e O k t o b e r 1937 hatten Z o l l f a h n dung und Devisenstelle in M ü n c h e n aufgrund Paragraph 37a lediglich 19 Sicherungsverfügungen
erlassen. Z e h n Verfügungen
gingen von der
Devisenstelle
selbst aus, die restlichen neun hatte die Z o l l f a h n d u n g initiiert und die D e v i s e n stelle anschließend bestätigt. I m m e r h i n sicherten die beiden Institutionen dabei ein V e r m ö g e n von fast vier M i l l i o n e n R e i c h s m a r k . D a s H a u p t k r i t e r i u m für die U b e r w a c h u n g s p r a x i s stellte auch nach O k t o b e r 1937 o f f e n b a r die Vermögenslage des A u s w a n d e r n d e n dar. W a r e n e n t s p r e c h e n d e V e r d a c h t s m o m e n t e v o r h a n d e n , argumentierte die Devisenstelle meist mit der „rassischen" Z u g e h ö r i g k e i t des Verfolgten. E r f a h r u n g s w e r t e würden bestätigen, so die Devisenstelle bei einer Sicherungsverfügung im April 1938, dass „ N i c h t a r i e r " versuchten, ihre G e s c h ä f t e zu verkaufen und den E r l ö s in bar zu erhalten. D a h e r sah sich der zuständige Sachbearbeiter veranlasst, ü b e r K o n t e n und G r u n d s t ü c k e eine Sicherungsverfügung zu e r l a s s e n . 3 3 0 N a c h einer Schrift ü b e r „ D e v i s e n r e c h t l i c h e S i c h e r u n g s a n o r d n u n g e n gegen jüdische I n l ä n d e r " , die im R a h m e n eines Strafprozesses 1 9 5 0 in M ü n c h e n von einem M i t a r b e i t e r der Devisenstelle angefertigt wurde, änderte sich die Praxis der D e v i senstelle erst nach dem Erlass des R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r s im Mai 1938 grundl e g e n d . 3 3 1 D i e Steuerakten „rassisch" Verfolgter bestätigen diese E i n s c h ä t z u n g . 3 3 2 Von diesem M o n a t an ging die Devisenstelle M ü n c h e n dazu über, bei allen jüdischen E m i g r a n t e n Sicherungsverfügungen a n z u o r d n e n . A u c h die Z o l l f a h n d u n g verhängte während ihrer E r m i t t l u n g s a r b e i t V e r m ö g e n s s p e r r e n , die die D e v i s e n stelle dann bestätigte. Als R e c h t f e r t i g u n g gaben beide Institutionen die „rassi-
Siehe dazu o b e n S. 2 0 1 . - 9 M e r k b l a t t für eine vorläufige S i c h e r u n g s a n o r d n u n g , e n t w o r f e n v o n Dr. K. am 2. 5. 1938; StAM/OFD/413. 3 3 2 S c h r e i b e n der D e v i s e n s t e l l e an O t t o S. v o m 23. 4. 1938; S t A M / K a n z l e i Roquette/Privat32S 3
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archiv 20. S c h r i f t ü b e r „ D e v i s e n r e c h t l i c h e S i c h e r u n g s a n o r d n u n g e n gegen j ü d i s c h e I n l a n d e r " v o n 1950; S t A M / S t a a t s a n w a l t s c h a f t e n / 1 7 8 5 6 . S i c h e r u n g s a n o r d n u n g e n gegen j ü d i s c h e K o n t o i n h a b e r fanden auch in den Steuerakten der B e t r o f f e n e n ihren N i e d e r s c h l a g .
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
sehe" Zugehörigkeit der Verfolgten an. So schrieb etwa die Zollfahndung M ü n chen als Begründung für eine Sicherungsverfügung über das K o n t o des M ü n c h n e r jüdischen Arztes Albert W.: „Eine vorläufige Sicherungsanordnung ist dann gerechtfertigt, wenn sich aus irgendwelchen U m s t ä n d e n der Verdacht ergibt, dass Vermögenswerte unter U m g e h u n g der bestehenden Devisenvorschriften der Devisenbewirtschaftung entzogen werden oder entzogen werden sollen. D i e s e r Verdacht ist bei J u d e n stets gegeben." Als die Devisenstelle am 20. O k t o b e r 1938 das Vorgehen der Zollfahndung bestätigte, äußerte sie sich in ähnlicher Weise: „Die Betroffenen beabsichtigen ins Ausland zu reisen. Sie sind Nichtarier. E s hat sich insbesondere in letzter Zeit die Erfahrung bestätigt, dass Nichtarier ihre A u s landsreisen dazu benutzen, u m unter U m g e h u n g oder Verletzung der bestehenden Vorschriften ihre Vermögenswerte der Devisenbewirtschaftung zu entziehen. U m dies hier zu verhindern, war vorstehende A n o r d n u n g veranlasst." 3 3 3 D e r Oberfinanzpräsident M ü n c h e n vereinheitlichte das Verfahren unmittelbar nach der R e i c h s p o g r o m n a c h t am 12. N o v e m b e r 1938 im H i n b l i c k auf den U m gang mit jüdischen Bankguthaben. Aufgrund des Kapitalfluchtverdachtes bei der jüdischen B e v ö l k e r u n g sollten J u d e n in M ü n c h e n die Verfügungsrechte über ihre K o n t e n generell entzogen und ihnen nur n o c h ein Freibetrag in H ö h e von 100 R e i c h s m a r k gewährt werden. H ö h e r e Beträge gewährte die Finanzverwaltung in der „Hauptstadt der B e w e g u n g " nur dann, wenn sie Zahlungen an staatliche und gemeindliche Kassen sowie an Körperschaften des öffentlichen R e c h t s betrafen. D i e diskriminierenden B e s t i m m u n g e n rechtfertigte der Oberfinanzpräsident mit der nach dem P o g r o m einsetzenden Emigrationswelle. Ihr Z w e c k , so die offizielle Begründung, ist die „Verhinderung der Verletzung von Devisenvorschriften im Zuge der verstärkten A u s w a n d e r u n g " . 3 3 4 N i c h t einmal die N S - R e i c h s r e g i e r u n g k o n n t e mit einer derart schnellen und brutalen R e a k t i o n auf die Fluchtwelle im Zuge der gewaltsamen Ubergriffe und Inhaftierungen nach der sogenannten Reichskristallnacht Schritt halten. E r s t das „ G e s e t z über die Devisenbewirtschaft u n g " v o m 12. D e z e m b e r 1938 sah die Möglichkeit der Sicherungsanordnung in § 59 (1) und § 62 (1) vor, aufgrund derer dann die reichsweit einheitlichen Standardformulare für eine generelle Sicherung von Vermögenswerten jüdischer Emigranten eingeführt w u r d e n . 3 3 5 Allerdings beschränkte der Oberfinanzpräsident M ü n c h e n seine Verfügung auf die unmittelbare Zeit nach dem P o g r o m . M i t A b l a u f des 30. N o v e m b e r 1938 trat sie außer K r a f t . 3 3 6 A b 1939 vereinheitliche schließlich die Devisenstelle M ü n c h e n die Sicherungspraxis. D a m i t setzte der P o g r o m endgültig und für alle Emigranten aus der L a n deshauptstadt einen verheerenden Teufelskreis in Gang: zu panischer Flucht gezwungen, galten sie gerade deshalb als „kriminell" im Sinne der Devisengesetzgebung, eine Stigmatisierung, die der Devisenstelle die Begründung für umfassende
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Schreiben des O F P München, Devisenstelle, an den Arzt vom 20. 10. 1938; S t A M / W B 1/ N/3041. Runderlass des O F P München vom 12. 11. 1938; StadtAM/Yad Vashem/F 22 M l / D n 1; Walk, Sonderrecht, S. 255; siehe hierzu auch Heusler/Weger, „Kristallnacht", S. 172. „Gesetz über die Devisenbewirtschaftung" vom 12. 12. 1938; R G B l . I (1938), S. 1742. Runderlass des O F P München vom 12. 11. 1938; StadtAM/Yad Vashem/F 22 M l / D n 1.
III. Die systematische
„Ausschaltung"
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R e s t r i k t i o n e n lieferte. Laut Auffassung eines B e a m t e n der Devisenstelle M ü n c h e n v o n J a n u a r 1 9 3 9 f ü h r t e n die Eingriffe des 9. und 10. N o v e m b e r dazu, dass J u d e n ihre B a n k g u t h a b e n a b h e b e n w ü r d e n und versuchten, mit allen Mitteln ins A u s land zu k o m m e n , so dass der Verdacht der Kapitalflucht stets gegeben s e i . 3 3 7 N o c h schärfer als die Devisenstelle ging die Z o l l f a h n d u n g in ihrer Ü b e r w a chungspraxis vor. D e r Zollfahndungsstelle oblag neben den grenzsichernden M a ß n a h m e n die U b e r p r ü f u n g des G e p ä c k s der E m i g r a n t e n und die U n t e r s t ü t z u n g der Devisenstelle bei ihren sichernden M a ß n a h m e n . D i e genaue K o m p e t e n z v e r t e i l u n g zwischen Devisenstelle und Z o l l f a h n d u n g in M ü n c h e n bleibt z w a r unscharf, die u n t e r s u c h t e n Einzelfälle lassen j e d o c h die E n t s c h e i d u n g s b e f u g n i s in den meisten Fällen auf Seiten der Devisenstelle v e r m u t e n . 3 3 8 E i n Beispiel für die diskriminierende U b e r w a c h u n g s p r a x i s der Zollfahndungsstelle ab dem J a h r 1937 ist der Fall eines jüdischen A r z t e s aus M ü n c h e n . B e a m t e der M ü n c h n e r Dienststelle n a h m e n Dr. B e r t h o l d B . an der S c h w e i z e r G r e n z e wegen angeblichen D e v i s e n s c h m u g g e l s fest und überstellten ihn nach M ü n c h e n . Wie sich herausstellte, hatte das E h e p a a r eine B r i e f m a r k e n s a m m l u n g mitgeführt, die als „ N o t g r o s c h e n " für ihr bereits in der S c h w e i z befindliches K i n d gedacht war. W ä h r e n d der V e r h ö r e in M ü n c h e n setzten die B e a m t e n dem A r z t derart zu, dass er schließlich durch eine h o h e D o s i s M o r p h i u m den Q u a l e n zu entgehen versuchte. E r verstarb k u r z e Zeit später, w ä h r e n d ein G e r i c h t seine F r a u E l s e zu 2 0 0 0 R e i c h s m a r k Geldstrafe v e r u r t e i l t e . 3 3 9 N e b e n den S i c h e r u n g s m a ß n a h m e n bediente sich die Z o l l f a h n d u n g auch ungesetzlicher M e t h o d e n bei der A u s p l ü n d e r u n g . S o musste beispielsweise der ehemalige K l i n i k c h e f Alfred H . neben der „ R e i c h s f l u c h t s t e u e r " und der A b g a b e an die G o l d d i s k o n t b a n k einen erheblichen B e t r a g an die B e a m t e n der Z o l l f a h n d u n g bezahlen, b e v o r diese i h m die E m i g r a t i o n g e n e h m i g t e n . 3 4 0 A h n l i c h erging es der F r a u des nach dem A t t e n t a t im B ü r g e r b r ä u Keller verhafteten M ü n c h n e r A r z t e s H a n s H . , die sich nach K r i e g s e n d e gegenüber d e m L a n desentschädigungsamt erinnerte, dass er bei der B e a n t r a g u n g der Freilassung und E m i g r a t i o n der F a m i l i e eine A u f f o r d e r u n g erhalten hatte, dem F i n a n z a m t einen Betrag von 1 0 0 0 0 0 R e i c h s m a r k zu überweisen. D e r M e d i z i n e r beglich die F o r d e rung nach seiner E n t l a s s u n g aus der H a f t v o r seiner A u s r e i s e . 3 4 1
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S i c h e r u n g s v e r f ü g u n g ü b e r K o n t e n u n d W e r t p a p i e r d e p o t s des j ü d i s c h e n H o p f e n h ä n d l e r s M e i r M . am 13. 1. 1939; S t A M / W B I / a / 4 3 2 0 . F r a n k B a j o h r weist in diesem Z u s a m m e n h a n g auf den § 5 des „ G e s e t z e s ü b e r die D e v i s e n b e w i r t s c h a f t u n g " v o m 5. F e b r u a r 1 9 3 5 hin, der eine u n k l a r e K o m p e t e n z v e r t e i l u n g der e i n z e l n e n O r g a n e z u s ä t z l i c h u n t e r s t ü t z e n musste. In d e m A r t i k e l heißt es: „ D i e G ü l t i g keit einer E n t s c h e i d u n g wird n i c h t d a d u r c h b e r ü h r t , dass eine Devisenstelle sie g e t r o f f e n hat, o b w o h l eine U b e r w a c h u n g s s t e l l e o d e r die R e i c h s b a n k dafür zuständig gewesen wäre; e n t s p r e c h e n d e s gilt für die E n t s c h e i d u n g e n einer U b e r w a c h u n g s s t e l l e o d e r der R e i c h s b a n k . " R G B l . I ( 1 9 3 5 ) , S. 106. Z u der u n k l a r e n K o m p e t e n z v e r t e i l u n g siehe B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g , S. 191. A k t e n n o t i z des B L E A im R a h m e n des E n t s c h ä d i g u n g s v e r f a h r e n s gegen B . v o m 2 7 . 1. 1955; B L E A / B E G / 2 1 9 3 . A n m e l d u n g des A r z t e s f ü r eine R e s t i t u t i o n s l e i s t u n g im D e z e m b e r 1948; S t A N / W B I / a / 3 1 6 . D e r A r z t k o n n t e sich allerdings an die genaue S u m m e nicht m e h r erinnern. E i d e s s t a t t l i c h e V e r s i c h e r u n g v o n L u i s e H . im R a h m e n des E n t s c h ä d i g u n g s v e r f a h r e n s v o m 21. 11. 1 9 6 1 ; S t A N / W B I / N / 2 3 6 1 .
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
D u r c h die H a n d h a b u n g der Sicherungsverfügung etablierten sich Devisenstelle und Zollfahndung als Hauptinstanzen der Ü b e r w a c h u n g und Beraubung jüdischer Emigranten. D i e Sicherungsverfügung kam praktisch einer Enteignung gleich, zumal sich die U n t e r s t ü t z u n g der G e s t a p o bei der Verhinderung von D e visenvergehen besonders gravierend auswirkte. D i e G e s t a p o beantragte meist kurz nach der Sicherungsverfügung aufgrund des „Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die A b e r k e n n u n g der deutschen Staatsangehörigkeit" 3 4 2 beziehungsweise aufgrund des „Gesetzes über die Einziehung von volks- und staatsfeindlichem V e r m ö g e n " die A b e r k e n n u n g der Reichsangehörigkeit und konfiszierte das Vermögen endgültig. 3 4 3 N o c h vor Abschluss der Ausbürgerungsverfahren forderte die G e s t a p o die Finanzämter auf, jedes Freigabegesuch der Verfolgten vorsorglich abzulehnen. 3 4 4 W i e die aufgeführten Einzelbeispiele zeigen, lässt sich die Rolle der Devisenstelle M ü n c h e n nicht auf den Status eines Erfüllungsgehilfen reduzieren, der lediglich seine Aufgaben nach den Buchstaben des Gesetzes erfüllte. F ü r die B e u r teilung des Handelns der regionalen Institution sind allerdings mehrere F a k t o r e n zu berücksichtigen. Bedeutsam ist die Wechselwirkung zwischen Ministerialbürokratie, Mittelbehörde und lokaler Finanzinstitution. F ü r das Verständnis der Verfolgungspraxis der Devisenstelle ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass sie zwar Bestandteil der Finanzverwaltung war, aber eben nicht ausschließlich. Sie unterlag verschiedenen weisungsberechtigten O r g a n e n . In der Retrospektive waren einzelne Mitarbeiter sogar der Meinung, die Devisenstelle sei ein F r e m d k ö r per in der Finanzverwaltung gewesen. 3 4 5 S o w o h l das Wirtschaftsministerium als auch das Devisenfahndungsamt und das Reichswirtschaftsministerium übten E i n fluss auf die Devisenstellen aus. Vor allem die Verordnungen und Erlasse des D e visenfahndungsamts führten bei der Ü b e r w a c h u n g s - und Entziehungspraxis letztlich zu einer radikalen „Ausschaltung" der jüdischen Bevölkerung aus dem Wirtschaftsleben. D i e ungenaue Kompetenzverteilung und die daraus resultierenden polykratischen Strukturen verschlechterten die Lage für die B e t r o f f e n e n zusätzlich. Zunächst fungierte die Berliner Ministerialbürokratie durch die zahlreichen Verordnungen und Geheimerlasse, die die B e s t i m m u n g e n des Paragraphen 37a
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„Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit" vom 14. 7. 1933; R G B l . I (1933), S. 480. „Gesetz über die Einziehung von volks- und staatsfeindlichem Vermögen" vom 14. 7. 1933; R G B l . I (1933), S. 479. So beispielsweise bei Fritz F. am 11. 2. 1938; Brief der Gestapo an das Finanzamt München-West vom 11. 2. 1938; StAM/Finanzamt/17199. Auch im Falle von Erich G., bei dem die Gestapo am 2. November 1940 die Aberkennung der Reichsangehörigkeit beantragte und das Finanzamt München-West dann darauf hinwies, dass G. ausgewandert und deshalb jedes Freigabegesuch abzulehnen sei; StAM/Finanzamt/17583. Auch Walter P. konnte von seinem Konto im April 1939 bis auf den von der Devisenstelle genehmigten Betrag nichts mehr abheben, da auch hier die Gestapo geraten hatte, jedes Freigabegesuch abzulehnen; Brief der Gestapo an das Finanzamt München-West vom 29. 4. 1939; StAM/ Finanzamt/18755. Aussage Max S.s, Regierungsrat der Devisenstelle München, in einem Prozess vor dem L G München am 3. 7. 1950; StAM/Staatsanwaltschaften/17856.
III. Die systematische
„Ausschaltung"
201
verschärften, als S c h r i t t m a c h e r der Ü b e r w a c h u n g und E n t z i e h u n g . D a b e i warfen die Ministerien - und dies war auch den M i t a r b e i t e r n der Devisenstelle M ü n c h e n bewusst - f o r m a l r e c h t l i c h e Prinzipien über B o r d . S o veränderte etwa der G e heimerlass des R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s v o m Mai 1938, der die Ü b e r w a chungspraxis mittels der Sicherungsverfügungen
erheblich verschärfte,
beste-
hende Runderlasse, eine gesetzeswidrige Vorgehensweise der B e r l i n e r B e h ö r d e , denn G e h e i m e r l a s s e durften de jure die B e s t i m m u n g e n von Runderlassen nicht verändern.346 U n t e r h a l b dieser E b e n e n a h m die Devisenstelle H a m b u r g mit ihrer e i g e n m ä c h tigen und radikalen H a n d l u n g s w e i s e aber o f f e n b a r eine Sonderstellung ein. I m reichsweiten Vergleich stellte die N o v e l l i e r u n g der devisenrechtlichen
Bestim-
mungen von D e z e m b e r 1936 z w a r eine deutliche Zäsur dar, in der Verwaltungspraxis f ü h r t e sie aber in M ü n c h e n zunächst nicht zu derart einschneidenden Veränderungen, wie dies in der H a n s e s t a d t der Fall war. W i e die meisten Devisenstellen im R e i c h haben auch die bayerischen B e h ö r d e n f o r m a l r e c h t l i c h k o r r e k t e Verfahrensweisen, das heißt den v o r s c h r i f t s m ä ß i g e n und an den reichsweiten B e s t i m m u n g e n orientierten Weg, bis ins J a h r 1938 nicht verlassen. N o c h im M ä r z 1938 musste der R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r ganz generell feststellen, dass die Devisenstellen die vorläufigen S i c h e r u n g s a n o r d n u n g e n der Z o l l f a h n d u n g oftmals nicht bestätigen w ü r d e n . Sie seien „allem A n s c h e i n nach zu ängstlich und für b ü r o k r a t i s c h e H e m m n i s s e zu verfänglich gewesen, um e n t s p r e c h e n d e M a ß n a h m e n d u r c h z u s e t z e n " . 3 4 7 In einer B e s p r e c h u n g im R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m A n f a n g O k t o b e r 1938 wurde die F r a g e der S i c h e r u n g s a n o r d n u n g e n gemäß Paragraph 37a erneut diskutiert. D i e meisten der dort A n w e s e n d e n - v o r allem Vertreter der D e v i s e n stellen - vertraten auch zu diesem Z e i t p u n k t n o c h die Auffassung, dass sich die S i c h e r u n g s a n o r d n u n g e n nicht gegen alle J u d e n gleichermaßen richten dürften und weiterhin k o n k r e t e V e r d a c h t s m o m e n t e für das Ergreifen von M a ß n a h m e n n o t wendig s e i e n . 3 4 8 D i e an den V o r g a b e n der Reichsregegierung orientierte Vorgehensweise der M ü n c h n e r B e a m t e n zeigt z w a r die Beständigkeit administrativer Spielregeln in der R e i c h s f i n a n z v e r w a l t u n g , sie verrät allerdings n o c h nichts ü b e r die handlungsleitenden M o t i v e der M ü n c h n e r B e a m t e n bei der U m s e t z u n g der sich ständig radikalisierenden G e s e t z e und Vorschriften. H i e r f ü r ist zunächst ein B l i c k auf die organisatorischen G e g e b e n h e i t e n der Dienststelle n o t w e n d i g . Innerhalb der D e visenstelle herrschten die G r u n d s ä t z e der Amtsdisziplin und K o n t r o l l e . Ü b e r eine u n a n g e f o c h t e n e Spitzenstellung in der H i e r a r c h i e verfügte der L e i t e r der D e v i senstelle. Alle grundlegenden Fragen und wichtigen E n t s c h e i d u n g e n mussten die B e a m t e n ihm v o r l e g e n . 3 4 9 Seine B e d e u t u n g innerhalb der B e h ö r d e unterstrich er gegenüber seinen M i t a r b e i t e r n bei einer B e s p r e c h u n g am 21. April 1939, als er ihnen das grundsätzliche V e r b o t einschärfte, in irgendeiner F o r m K r i t i k an seiner
3+fl
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Schrift ü b e r „ D e v i s e n r e c h t l i c h e S i c h e r u n g s a n o r d n u n g e n gegen j ü d i s c h e I n l ä n d e r " von 1950; ebd. S c h r e i b e n des R d F an den O F P L e i p z i g v o m 16. 3. 1938; Β A B / R 2 / 5 6 0 7 1 . N i e d e r s c h r i f t aus der A b t e i l u n g S t e u e r des R d F v o m 3. 10. 1938; B A B / R 2 / 5 6 0 7 1 . Ebd.
202
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
Person zu ü b e n . 3 5 0 In Schulungen und Besprechungen war er es auch, der die Handlungsleitlinien vorgab, w o b e i er sich vor allem an funktionalistischen G e sichtspunkten orientierte. Als oberster G r u n d s a t z hatte i m m e r das volkswirtschaftliche Interesse des Reiches zu gelten. D a b e i ging der Leiter der Devisenstelle sogar ausdrücklich von einem Dualismus zwischen Staat und Partei aus: D e r Standpunkt der Partei - so der Dienststellenleiter bei einer Sitzung E n d e N o v e m ber 1938 - widerspreche oftmals dem Devisenrecht. D i e „ L ö s u n g der J u d e n f r a g e " im J a h r 1938 habe eine handfeste Wirtschaftskrise und einen R ü c k g a n g des E x portvolumens u m 800 Millionen R e i c h s m a r k ausgelöst. 3 5 1 D e r bei der Besprechung anwesende Ministerialdirigent Schletterer aus Berlin verurteilte zwar eine rein zweckrationale und nicht den ideologischen Zielsetzungen verpflichtete Sichtweise nachdrücklich. A u c h er war aber der Auffassung, das deutsche E x p o r t geschäft dürfe in keinem Fall Schaden erleiden. Prinzipiell, so schärften die Spitzenbeamten den Mitarbeitern der Dienststelle ein, hatten Einzelaktionen gegen den Willen des Reichswirtschaftsministeriums zu unterbleiben. 3 5 2 D e r Leiter der Dienststelle präzisierte außerdem die B e s t i m m u n g e n für die Sicherungsanordnungen: Bei J u d e n , die auswandern wollen, so führte er am 25. A u gust 1938 aus, sei die Einzahlung auf Sperrkonten zu genehmigen, die Verfügung über die K o n t e n allerdings generell zu sperren. 3 5 3 D i e Verordnungen der Ministerialbürokratie und die einflussreiche Stellung des Dienststellenleiters trugen zwar erheblich zur Orientierung an hierarchischen Strukturprinzipien und formalrechtlich weitgehend korrekten Handlungsweisen bei, ihre B e t o n u n g darf aber die Ermessensspielräume der B e a m t e n vor O r t nicht überdecken. U m zentrale Vorgaben für die Ü b e r w a c h u n g und E n t z i e h u n g umsetzen zu k ö n n e n , reagierte die Devisenstelle M ü n c h e n in zweifacher Weise. Z u nächst veränderte sich die Organisation der Dienststelle. N a c h d e m bereits 1933 die Auswanderungsabteilung gegründet w o r d e n war, entstand für den erheblichen Mehraufwand bei den Sicherungsverfügungen 1938 ein eigenes Referat. F ü r die Ü b e r w a c h u n g der inländischen jüdischen Bevölkerung blieb die Ü b e r w a chungsabteilung zuständig. 3 5 4 D i e Verwaltung der gesperrten K o n t e n übernahm dann die Genehmigungsabteilung. 3 5 5 D a r ü b e r hinaus kam es bereits seit 1934, verstärkt aber ab 1937 und 1938 zu Personalverschiebungen. In diesen J a h r e n wurden wichtige Positionen, die mit der Ü b e r w a c h u n g von J u d e n zusammenhingen, durch junge, hervorragend ausgebildete Fachleute neu besetzt.
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351
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Aufzeichnungen über eine Besprechung in der Devisenstelle München vom 21. 4. 1939; StAM/OFD/396. Aufzeichnungen über eine Besprechung in der Devisenstelle am 24. 11. 1938; ebd; Aufzeichnungen über eine Besprechung am 2. 12. 1938, in der noch einmal darauf hingewiesen wurde, dass die Devisenbelange des Reiches immer vorrangig zu behandeln seien; ebd. Besprechung der Devisenstelle am 24. 11. 1938; ebd. Besprechung der Devisenstelle am 25. 8. 1938; ebd. Aussage eines Rechtsanwalts, die Uberwachungsabteilung sei mit allen Fragen der noch im Inland verweilenden Juden betraut gewesen; Schreiben des Anwalts an die W B I vom 23. 1. 1951; S t A M / W B I/a/3339. Besprechung der Devisenstelle am 14. 12. 1939; S t A M / O F D / 3 9 6 .
III. Die systematische „ Ausschaltung"
203
Entscheidend für die Sicherung von jüdischen Vermögenswerten war ab 1938 das Referat „Sicherungsanordnungen", das Regierungsrat Dr. German H . leitete. German H . war promovierter Jurist und trat im O k t o b e r 1936 seinen Dienst als Sachbearbeiter in der Devisenstelle München an. 1939, bereits im Alter von 30 Jahren, wurde er zum Regierungsrat befördert und avancierte im gleichen Jahr zum Leiter der Prüfungsabteilung der Devisenstelle. 3 5 6 Ein ähnliches Profil kennzeichnete den in der Überwachungsabteilung als Sachbearbeiter tätigen Dr. Franz B. 1895 in Mainz geboren, kam er als promovierter Jurist 1938 zur Abteilung. Bereits ein Jahr früher war sein junger Kollege, der stellvertretende Leiter der U b e r wachungsabteilung Josef P., Jahrgang 1906, zur Devisenstelle München gestoßen. Für die Uberprüfung von Devisenfragen in Betrieben war unter anderem Hans H . verantwortlich. E r war 1904 in Bremen geboren, studierter Naturwissenschaftler und erfahrener Kaufmann und trat am 1. April 1938 seinen Dienst an. 3 3 7 Wegen der „erheblichen Mehrbelastung" durch die verstärkte devisenrechtliche Ü b e r prüfung von Betrieben kam 1936 auch der studierte Jurist Dr. Georg L. als Devisenprüfer zur Devisenstelle München. 3 5 8 D e m Auswanderungssachgebiet stand Dr. Fritz J . vor, ein promovierter Volkswirt. E r kam 1934 zur Devisenstelle und blieb bis Mai 1940. E r wurde dann an die Abteilung „Devisen" im Generalgouvernement versetzt. 3 5 9 Für die Entscheidung von Transferanträgen war schließlich Dr. Johannes C. verantwortlich. Er war im Juli 1937 zur Devisenstelle gestoßen und wurde 1938 Sachbearbeiter des entsprechenden Referats. Wegen seiner guten Sachkenntnisse wurde Johannes C . 1942 zur Vermögensverwertungsstelle beim Oberfinanzpräsidenten München versetzt, wo er für die Verwertung jüdischen Vermögens zuständig war. 3 6 0 Hinsichtlich der Veränderungen in der Personalstruktur der Devisenstelle verstärkten sich die Unterschiede zu den sonstigen Institutionen der Finanzverwaltung zusätzlich. Nicht erfahrene Beamte, sondern junge und gut ausgebildete Quereinsteiger waren für die Überwachung und Entziehung des Emigrantenvermögens verantwortlich. Die zunehmende Dezentralisierung der Aufgabenbereiche und der hohe Ausbildungsgrad der Beamten führten zu einer entsprechend professionellen Handlungsweise bei der Überwachung und Entziehung der Ver-
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Z u E c k d a t e n der Vita des B e a m t e n siehe sein S p r u c h k a m m e r v e r f a h r e n , etwa S p r u c h der S p r u c h k a m m e r M ü n c h e n I I v o m 3 0 . 8. 1 9 4 6 ; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r t o n 6 6 6 . W e g e n seiner „ h e r v o r r a g e n d e n b a n k t e c h n i s c h e n K e n n t n i s s e " w u r d e er 1951 z u m L e i t e r d e r D e visenstelle M ü n c h e n b e f ö r d e r t ; B e f ä h i g u n g s b e r i c h t der O F D M ü n c h e n 1950 u n d P e r s o n a l b o g e n für B e a m t e ; B a y H S t A M / M F / P e r s o n a l a k t e n / G e r m a n H .
3=7
Z u m b e r u f l i c h e n W e r d e g a n g des B e a m t e n siehe S c h r e i b e n des R W M an den O F P M ü n chen v o m 27. 5. 1 9 4 0 s o w i e die w e i t e r e n A n g a b e n in seiner P e r s o n a l a k t e ; S t A M / P e r s o nalakten/1986. S c h r e i b e n d e r D e v i s e n s t e l l e an den L e i t e r des L F A v o m 3. 11. 1936; S t A M / O F D M ü n chen/Personalakten/22243. L e b e n s l a u f des B e a m t e n in seiner P e r s o n a l a k t e ; S t A M / O F D M ü n c h e n / P e r s o n a l a k t e n / 1990. Z u m b e r u f l i c h e n W e r d e g a n g des B e a m t e n vgl. seinen A n t r a g auf W i e d e r e i n s t e l l u n g in die D e v i s e n s t e l l e v o m 2 6 . 4. 1 9 5 0 , sein D i e n s t z e u g n i s ausgestellt d u r c h den O F P M ü n c h e n v o m 3 1 . 8. 1943 s o w i e die weiteren A n g a b e n in seiner P e r s o n a l a k t e ; S t A M / O F D M ü n chen/Personalakten/21806.
358
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3f,c
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
mögenswerte und räumten ihnen - ungeachtet der zentralen Stellung des Leiters der Devisenstelle - durchaus Ermessensspielräume ein. U b e r weitreichende Handlungsoptionen verfügten die B e a m t e n etwa auf dem G e b i e t der Sicherungsverfügungen. W ä h r e n d bis 1938 nur B e a m t e in leitender F u n k t i o n die Verfügungen unterzeichnen durften, bestimmte das Reichsfinanzministerium im selben J a h r auf Anregung des Devisenfahndungsamts, dass alle B e a m t e n des höheren Dienstes die Sicherungsverfügungen anordnen k o n n t e n . 3 6 1 Entsprechend unterschrieben die M ü n c h n e r Beamten die Verfügung im Auftrag des Sachgebietsleiters.362 E i n e der Staatsanwaltschaft M ü n c h e n 1950 von der Devisenstelle vorgelegte Schrift betonte auch auf der E b e n e der Einzelentscheidung der B e a m t e n das Festhalten an formal korrekten Verfahrensweisen: „ D i e allgemeine Stellung, die die Devisenstelle gegenüber rechtswidrigen Verletzungen der wirtschaftlichen Interessen jüdischer Personen eingenommen hat, geht aus der Tatsache hervor, dass es nicht an Fällen gefehlt hat, dass jüdische Personen, die vor die Wahl gestellt waren, sich entweder freiwillig einem Unrechten G e s e t z zu unterwerfen oder aber sich einer gesetzlosen Willkür auszuliefern, die erste Alternative gewählt und bei der Devisenstelle selbst den Erlass einer Sicherungsanordnung beantragt h a b e n . " 3 6 3 D i e s e Einschätzung war w o h l nicht nur eine Schutzbehauptung zur Verhinderung rechtlicher K o n s e q u e n z e n . A u f die Handlungsweise einzelner B e a m t e r bei der Vermögenssicherung direkt angesprochen, urteilten auch die B e t r o f f e n e n in den wenigen vorhandenen Erklärungen meist mit „sachlich" oder „höflich". B e z e i c h nend ist die eidesstattliche Erklärung des bekannten M ü n c h n e r jüdischen Anwalts Dr. Siegfried N . , der im R a h m e n des Spruchkammerverfahrens gegen G e r m a n H . aussagte. D e m Urteil des verfolgten Juristen nach habe der B e a m t e der Devisenstelle dafür Sorge getragen, dass die W ü n s c h e der J u d e n auf beschleunigte A u s wanderung durch die Devisenstelle unterstützt wurden. „In all diesen Angelegenheiten bekundete er Wohlwollen und E n t g e g e n k o m m e n . " 3 6 4 Z w a r sind solche Aussagen in Spruchkammerverfahren besonders kritisch zu hinterfragen, angesichts der brutalen und willkürlichen Vorgehensweise der Parteifunktionäre überraschen sie aber nicht. H o b e n sich doch die scheinbar geregelten Verfahrensweisen und der sachliche Stil der B e a m t e n von den Verfolgungsmaßnahmen der N S D A P ab. E i n e derartige W i r k u n g war allerdings zu N S - Z e i t e n durchaus intendiert und ließ sich mit den ideologischen Zielsetzungen des NS-Staates in E i n klang bringen. So war etwa die vermeintlich großzügige U n t e r s t ü t z u n g der A u s wanderung ein haushaltspolitisch und ideologisch gewolltes Ziel der Fiskalpolitik. A u c h das korrekte Auftreten der B e a m t e n in der Öffentlichkeit entsprach den Intentionen der Devisenstelle. In der „Judenfrage", so der Tenor einer Bespre-
3 6 1 Schreiben des R d F an das R W M vom 22. 6. 1938; Β A B / R 2/56071. 362 Verfügung über das Konto von O t t o S. vom 31. 8. 1940; StAM/Kanzlei Roquette/Privatarchiv 20. 3 6 3 Schrift der Staatsanwaltschaft München über „Devisenrechtliche Sicherungsanordnungen gegen jüdische Inländer", vorgelegt während eines Strafverfahrens gegen den Münchner NSDAP-Funktionär Hans Wegner 1950; StAM/StaatsanwaItschaften/17856. 3 6 4 Eidesstattliche Versicherung von Dr. Siegfried N. vom 1. 10. 1946; StAM/Spruchkammer/Karton 666.
III. Die systematische
205
„ Ausschaltung"
c h u n g der Devisenstelle M ü n c h e n im D e z e m b e r 1938, sollten die B e a m t e n der Devisenstelle stets sachlich v e r f a h r e n . 3 6 5 Aufschlussreich ist hier auch eine B e sprechung der Devisenstelle v o m April 1939, in der ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass eine „weiße W e s t e " gewahrt werden sollte und daher das D i e n s t geheimnis unbedingt einzuhalten s e i . 3 6 6 Tatsächlich gingen einzelne M i t a r b e i t e r innerhalb der weitgefassten rechtlichen R a h m e n b e d i n g u n g e n die jüdische B e v ö l k e r u n g besonders hart an, wie dies B e amte der Devisenstelle nach B e e n d i g u n g des Krieges auch offen zugaben. S o meinte etwa Regierungsrat G e r m a n H . im M ä r z 1951: „Es ist klar, dass bei J u d e n eher gesichert w u r d e als bei A r i e r n und z w a r aus diesem G r u n d e , weil bei J u d e n die G e f a h r der A u s w a n d e r u n g und der V e r m ö g e n s v e r s c h i e b u n g grösser war. E i n zelne S a c h b e a r b e i t e r der Devisenstelle gingen gegen J u d e n b e s o n d e r s scharf vor." Dies galt nach G e r m a n H . auch für die Sicherungspraxis v o r dem Mai 1938, also vor der reichsweiten Verschärfung der S i c h e r u n g s a n o r d n u n g : wohl
richtig",
„dagegen ist es
so der B e a m t e weiter, „dass s c h o n v o r h e r gegen J u d e n schärfer als
gegen A r i e r vorgegangen w o r d e n ist und z w a r von einzelnen S a c h b e a r b e i t e r n . " 3 6 7 Vereinzelte antisemitische T e n d e n z e n zeigten sich ab 1 9 3 9 auch in der D i k t i o n der B e a m t e n . In A n m e r k u n g e n der Ü b e r w a c h u n g s a b t e i l u n g der Devisenstelle tauchte ab diesem J a h r die B e z e i c h n u n g „ J u d e " anstatt des eigentlichen N a m e n s des A n tragstellers auf, d e m t y p i s c h e
„rassische" C h a r a k t e r e i g e n s c h a f t e n
zugeordnet
wurden.368 N e b e n der Sicherungsverfügung im R a h m e n des Paragraphen 37a D e v i s e n g e setz stand Devisenstelle und Z o l l f a h n d u n g mit der A b g a b e für U m z u g s g u t ein weiteres Mittel zur Ü b e r w a c h u n g und Sicherung jüdischen V e r m ö g e n s zur Verfügung. Bereits im April 1937 hatte die M i n i s t e r i a l b ü r o k r a t i e die fehlenden M ö g lichkeiten einer effizienten K o n t r o l l e des U m z u g s g u t e s durch Z o l l f a h n d u n g und R e i c h s b a h n beklagt und daraufhin eine rechtzeitige A n z e i g e von S t ü c k g u t s e n d u n gen ins Ausland bei der Zollstelle zur Auflage g e m a c h t . 3 6 9 I m Mai 1938 wurde diese L ü c k e im Ü b e r w a c h u n g s s y s t e m durch eine neue Verfahrensregelung für die M i t n a h m e von U m z u g s g u t geschlossen, die das
Reichswirtschaftsministerium
explizit für „Juden und Kapitalfluchtverdächtige" ausgearbeitet hatte. I m R a h m e n der intensivierten Ü b e r w a c h u n g des U m z u g s g u t e s waren v o r allem die B e s t i m m u n g e n hinsichtlich der als U m z u g s g u t deklarierten G e g e n s t ä n d e entscheidend, die legal v o n J u d e n ausgeführt werden durften. Von der G e n e h m i g u n g ausge-
365 366 367
B e s p r e c h u n g der D e v i s e n s t e l l e M ü n c h e n am 2. 12. 1938; S t A M / O F D / 3 9 6 . B e s p r e c h u n g der D e v i s e n s t e l l e M ü n c h e n am 2 1 . 4 . 1939; ebd. A u s s a g e von G e r m a n H . im R a h m e n eines W i e d e r g u t m a c h u n g s v e r f a h r e n s bei der W i e d e r g u t m a c h u n g s k a m m e r des L G M ü n c h e n I am 13. 3. 1951; S t A M / N S D A P / 2 1 1 . A u f das radikale V o r g e h e n e i n z e l n e r B e a m t e r der D e v i s e n s t e l l e weist auch die A u s s a g e eines S a c h b e a r b e i t e r s der Z o l l f a h n d u n g s s t e l l e M ü n c h e n v o m 15. J a n u a r 1947 hin, der m e i n t e , e i n z e l n e M i t a r b e i t e r der D e v i s e n s t e l l e seien auch für die E r m i t t l u n g e n gegen A n g e h ö r i g e d e r R e i c h s f i n a n z v e r w a l t u n g v e r a n t w o r t l i c h gewesen; Aussage v o r der S p r u c h k a m m e r M ü n c h e n im V e r f a h r e n H a n s R a u c h ; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r t o n 3 4 0 5 .
3
S c h r e i b e n J u l i u s L.s an die R e g i e r u n g v o n O b e r b a y e r n v o m 30. 12. 1938 und B e r e c h n u n g der „ J u d e n v e r m ö g e n s a b g a b e " d u r c h das F i n a n z a m t M ü n c h e n - S ü d v o m 16. 12. 1938; StAM/Finanzamt/18347.
- S o war ein g e s o n d e r t e r H i n w e i s in d e m P r ü f u n g s b e r i c h t ü b e r den G r o ß h a n d e l mit B a u m w o l l w a r e n der F a . H e r m a n n L . u n d C o . enthalten: „L. ist J u d e " . E n t g e g e n seiner U n s c h u l d s b e t e u e r u n g e n w u r d e der B e t r o f f e n e w e g e n a n g e b l i c h e n D e v i s e n s c h m u g g e l s in ein e m späteren V e r f a h r e n 7.u 1 4 0 0 0 R M G e l d s t r a f e verurteilt; B e r i c h t eines D e v i s e n p r ü f e r s v o m 13. 1. 1938 und S t r a f b e s c h e i d der D e v i s e n s t e l l e ; O F D N ü r n b e r g / B A / 1 0 0 0 .
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F o r m s c h r e i b e n des F i n a n z a m t s M ü n c h e n - S ü d an die Veranlagungsstelle 9, S t a d t b e z i r k , in d e m festgestellt w u r d e , dass der j ü d i s c h e H o p f e n h ä n d l e r M e i r M . seinen steuerlichen V e r p f l i c h t u n g e n n a c h g e k o m m e n sei, w e s h a l b es keine Veranlassung gebe, einen A n t r a g g e m ä ß § 15 der „ V e r o r d n u n g ü b e r den E i n s a t z des j ü d i s c h e n V e r m ö g e n s " zu stellen, 30. 3. 1939; S t A M / W B I / a / 4 3 2 0 .
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S c h r e i b e n des O F P M ü n c h e n an das F i n a n z a m t M ü n c h e n - N o r d v o m 3 1 . 1 . 1939; St A M / Fi n a n z a m t / 1 9 3 4 5 .
226
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
Vermögensverhältnisse der Inhaber, wobei besonderes Interesse an Informationen darüber bestand, welche Familienmitglieder wann und wohin ausgewandert waren. Den „Arisierungsvertrag" nahm die Devisenstelle besonders genau unter die Lupe, wobei die Sachbearbeiter sowohl den Inhalt des Kaufvertrages, die Art von Bezahlung des Entgelts als auch eine eventuelle Vereinbarung von Nebenverträgen genau überprüften. Unregelmäßigkeiten auf Seiten des Erwerbers oder des jüdischen Verkäufers begegnete die Devisenstelle mit Sicherungsverfügungen. 4 5 5 Im Falle des Käufers richtete sich der Blick der Devisenprüfer vor allem auf den gerechtfertigten Kaufpreis, die H ö h e der geleisteten Anzahlungen oder die Fälligkeit von Kaufpreisrestforderungen. Bei Unregelmäßigkeiten konnten die Beamten auch hier eine Sicherungsverfügung erlassen. 456 Bei tatsächlich festgestellten „Unregelmäßigkeiten" im Sinne der NS-Devisengesetzgebung verhängte die D e visenstelle nicht nur Sicherungsverfügungen, sondern setzte auch selbständig A b wicklungstreuhänder ein, die die Firma dann unter Kontrolle der Devisenstelle liquidierten oder veräußerten. 4 5 7 A m 4. März 1939 regelte der Oberfinanzpräsident München in einem Erlass den Umgang der lokalen Finanzbehörden mit der „Arisierung" und der Entziehung von Grundstücken. E r hatte sich mit dem Regierungspräsidenten insoweit verständigt, als die Fiskalbehörden in jedem Fall die Ubernahmeverträge prüfen mussten, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Kaufpreis oder Abwicklungserlös für Ansprüche des Reiches sicherzustellen war. Bereits am 6. Februar, hierauf wies der Erlass besonders hin, hatte der Wirtschaftsminister die unverzügliche Mitteilung des Genehmigungsantrags auf „Arisierung" an das Finanzamt und die Devisenstelle angeordnet, damit diese in der Lage waren, die notwendigen Kontrollmaßnahmen einzuleiten. Die Finanzämter konnten dann bei noch ausstehenden Steuern oder aus anderen wichtigen Gründen Sicherheitsleistungen beantragen beziehungsweise für die Abwicklung des Vermögens Treuhänder in eigener Regie bestellen. 4 5 8 Die zunehmende Verschärfung der Verfolgungspraxis der Devisen- und Zollfahndungsstelle in den Jahren 1939 bis 1941 lässt sich anhand der Durchführung der Sicherungsanordnungen gemäß Paragraph 37a Devisengesetz eindrucksvoll verdeutlichen. Wie bereits gezeigt, verfügte die Devisenstelle seit Februar über die Möglichkeit, selbständig Treuhänder einzusetzen und war damit für die Abwicklung jüdischen Vermögens verantwortlich. Ein Runderlass des Reichswirtschaftsministeriums vom 26. August 1939 verfügte darüber hinaus die generelle Sicherung der Vermögenswerte von Juden. Sie mussten nahezu sämtliche Wertgegen-
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Richtlinien für die Prüfung größerer jüdischer Firmen der Devisenstelle München, o . D . ; StAM/OFD/413. „Merkblatt über Feststellungen, die beim Geschäftsverkauf durch Juden (Arisierung) zur Durchführung von Sicherungsanordnungen gem. § 37a DevGes. erforderlich sind"; StAM/OFD/413. Schreiben eines Abwicklungstreuhänders an den O F P München vom 22. 11. 1941 über seine Einsetzung als Treuhänder durch die Devisenstelle am 21. 6. 1939; StAM/Privatarchiv 20/Kanzlei Roquette. Schreiben des O F P München an die Finanzämter vom 4 . 3 . 1939; StAM/Finanzamt/ 12827.
III. Die systematische
„
Ausschaltung"
227
stände, darunter Schecks, Bargeld oder Schmuck durch die Devisenstelle sichern lassen. U b e r den von der Devisenstelle festgesetzten Freibetrag hinaus d u r f t e n die Betroffenen keine weiteren Barmittel mehr besitzen. „Die Einzahlungspflicht", so der Runderlass wörtlich, „schafft die Möglichkeit, die E m p f ä n g e r einer Sicher u n g s a n o r d n u n g strafrechtlich zu verfolgen." 4 5 9 Mit der weit gefassten Ermächtigung der Ministerialbürokratie in der Tasche gingen die Beamten der Zollfahndungs- u n d Devisenstelle in M ü n c h e n dazu über, W o h n u n g s d u r c h s u c h u n g e n bei Juden vorzunehmen. Im Mai 1941 durchsuchte etwa der Angehörige der Zollfahndungsstelle M ü n c h e n Max A. zusammen mit der Kripo und der Gestapo die W o h n u n g von Rosa B. u n d ihrem Mann, die bis 1938 eine kleine Textilhandlung besessen hatten. W ä h r e n d der D u r c h s u c h u n g beobachtete der Finanzbeamte, wie Rosa B. versuchte, einen Geldbetrag am Körper zu verstecken. N a c h ihren Angaben handelte es sich um den Erlös von verkauften Möbeln, mit dem sie den Lebensunterhalt bestreiten wollte. Für den E r w e r b von Nahrungsmitteln hatte sie einen Teppich, einen Läufer, einen Regulator, ein Speiseservice, eine Schreibmaschine, ein Tischbillard u n d eine C o u c h verkauft. 4 6 0 Die d a f ü r erhaltenen Barbeträge konfiszierte die Gestapo, da sie sich nicht, wie vorgeschrieben, auf einem von der Finanzverwaltung kontrollierten Sicherungskonto befanden. 4 6 1 Wie rigoros die Beamten vorgingen, zeigt das Beispiel der Verhandlung gegen Josef S. Auch bei ihm wurde eine H a u s d u r c h s u c h u n g v o r g e n o m m e n . Zu seiner Verteidigung gab der Betroffene an, er habe einen Freibetrag von 500 Reichsmark monatlich. Allein f ü r die Pension bezahle er aber 320 Reichsmark. Es würden ihm also nur 180 Reichsmark im Monat z u m Leben bleiben, weshalb er zwölf Reichsmark über den in der Sicherungsverfügung eingetragenen Betrag in der W o h n u n g aufbewahrt habe. D e n n o c h zog die Devisenstelle 50 Reichsmark ein u n d strengte darüber hinaus ein Strafverfahren an. 4 6 2 Ein Strafverfahren leitete die Devisenstelle auch gegen N a t h a n G. ein. Er hatte einen U m z u g im R a h m e n seiner „Entmietung" von der Trogerstraße in die Weinstraße nicht rechtzeitig der Devisenstelle angezeigt. G e m ä ß den Bestimmungen in der Sicherungsanordnung wäre er hierzu aber verpflichtet gewesen. Da er nicht unverzüglich seine neue Adresse angegeben hatte, verhängte die Devisenstelle eine Geldstrafe. 4 6 3 Die vollständige A u s p l ü n d e r u n g der Juden zugunsten der Staats-
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R u n d s c h r e i b e n des R W M an die Devisenstellen v o m 26. 8. 1939; B A B / R 2/56071. V e r h a n d l u n g bei d e r Z o l l f a h n d u n g am 28. 5. 1941; S t A M / O F D / 5 0 3 . E r m i t t l u n g s b e r i c h t der Z o l l f a h n d u n g s s t e l l e v o m 26. 6. 1941; ebd. Eines ähnlichen „Vergehens" m a c h t e sich auch Fritz B. schuldig. Bei i h m f a n d die Devisenstelle M ü n c h e n 150 R M vor, die er ü b e r den e r l a u b t e n Freibetrag hinaus in seiner W o h n u n g a u f b e w a h r t e ; U n t e r w e r f u n g s v e r h a n d l u n g der Devisenstelle am 3. 4. 1941; S t A M / O F D / 4 9 3 ; siehe auch die W o h n u n g s d u r c h s u c h u n g u n d die anschließende K o n f i s k a t i o n v o n Bargeld bei Benedikt F. am 10. 2. 1941; S t A M / O F D / 5 2 7 . 462 A k t e n v e r m e r k d e r U b e r w a c h u n g s a b t e i l u n g d e r Devisenstelle v o m 3 0 . 4 . 1941; S t A M / OFD/649. 4f 3 > U n t e r w e r f u n g s v e r h a n d l u n g der Devisenstelle am 6. 5. 1941; S t A M / O F D / 5 9 9 . Derartige H a u s d u r c h s u c h u n g e n sind in /.ahlreichen Fällen belegt; D u r c h s u c h u n g bei d e m A r z t Dr. Samuel G., bei d e m dabei eine H e r r e n u h r sichergestellt w u r d e . Gleichzeitig erlegte m a n 460 461
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
kasse durch den E i n z u g von Geldleistungen im R a h m e n der Strafverfahren vertuschten die B e a m t e n in Aktenvorgängen mit Tarnnamen wie „Silberne D a m e n handtasche".464 K o n n t e n derartige A k t i o n e n n o c h mit der äußerst harten Devisengesetzgebung gerechtfertigt werden, so finden sich im Zuge der Interaktion mit Parteidienststellen auch Nachweise für regionale Eigeninitiativen der Finanzverwaltung ohne entsprechende Gesetzesgrundlagen. D u r c h die umfassenden Möglichkeiten der Sicherung und „Arisierung" auf Seiten der Finanzverwaltung entstanden zwangsläufig direkte B e r ü h r u n g s p u n k t e mit dem „Treuhänder gemäß Beschluss des R e gierungspräsidenten", also dem Leiter der „Arisierungsstelle", H a n s Wegner. Das k o n k r e t e Verhältnis zwischen Finanzverwaltung und „Arisierungsstelle" ist - dies sei vorweggeschickt - aufgrund der komplexen Quellenlage nur schwer nachzuzeichnen. Zahlreiche H i n w e i s e deuten allerdings auf eine weitgehend funktionierende Zusammenarbeit. Schriftlich niedergelegt haben beide Institutionen gleich mehrere Kooperationsvereinbarungen. Die Vermögensverwertungs-GmbH M ü n c h e n sicherte der M ü n c h n e r Finanzverwaltung zu, im R a h m e n der „Arisierungen" alle n o c h offenen A b g a b e n an den Staat in voller H ö h e zu begleichen. Dies sollte auch dann geschehen, wenn bei den ehemaligen jüdischen E i g e n t ü mern sonstiges Vermögen nicht mehr im ausreichenden M a ß e vorhanden war. 4 6 5 Z u d e m überwies bereits die „ G m b H " E r l ö s e aus dem Verkauf jüdischer G e schäfte, Autos oder Warenlager auf Sperrkonten, die die Devisenstelle M ü n c h e n k o n t r o l l i e r t e . 4 6 6 Absprachen gab es darüber hinaus mit dem „Treuhänder gemäß Beschluss des Regierungspräsidenten" über den U m g a n g mit jüdischem G r u n d besitz. D i e Immobilienpreise legte die Preisprüfungsbehörde der Stadt M ü n c h e n fest. Diese befragte das Oberfinanzpräsidium nach möglichen Steuerrückständen. Bei Privatschulden des jüdischen Steuerpflichtigen musste sich der E r w e r b e r an die Devisenstelle wenden, die dann den entsprechenden Betrag für Steuerleistungen freigab. Kaufpreisreste hatten die E r w e r b e r auf Sperrkonten zu überweisen, die die Devisenstelle kontrollierte. 4 6 7 D i e Zweigstelle für bayerische Angelegenheiten beim Oberfinanzpräsidium M ü n c h e n war zudem vermittelnde Instanz zwischen den Interessen der bayerischen Regierung und der Gauleitung. U b e r den Schreibtisch von Oberregierungsrat G . v o m Zentralfinanzamt M ü n c h e n liefen Fälle, die die Finanzverwaltung und das Regierungspräsidium von O b e r b a y -
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ihm wegen Besitzes von Bargeld über den Freibetrag hinaus eine empfindliche Geldstrafe auf; Ermittlungsbericht der Devisenstelle vom 7. 5. 1941 und Schreiben der Devisenstelle an die Gestapo vom 7.5. 1941; StAM/OFD/634; vgl. auch die Vorgehensweise bei Richard S.; StAM/OFD/629. Aktenvermerk der Uberwachungsabteilung der Devisenstelle im Falle Josef S. vom 30. 4. 1941; StAM/OFD/649. Abschlussbericht der Vermögensverwertungs-GmbH München vom 25. 1. 1939, S. 9; StAM/NSDAP/37; Kuller, Finanzverwaltung und „Arisierung", S. 194. Buchprüfung beim „Treuhänder gemäß Beschluss des Regierungspräsidenten" am 16. 11. 1940; StAM/NSDAP/37. Aussage Hans Rauchs während eines Strafprozesses gegen Wegner im Jahr 1950; Urteil des LG München vom 11.7. 1950; StAM/Staatsanwaltschaften/17856.
III. Die systematische
„Ausschaltung"
229
ern betrafen, etwa w e n n das L a n d „arisierte" G r u n d s t ü c k e von der V e r m ö g e n s verwertungsstelle kaufen w o l l t e . 4 6 8 I m Z u g e ihrer umfassenden D u r c h s u c h u n g s m a ß n a h m e n k o o p e r i e r t e n B e a m t e der Z o l l f a h n d u n g s - und Devisenstellen darüber hinaus mit den antisemitischen Schlägern aus der „Arisierungsstelle". M i t a r b e i t e r beider Dienststellen
durch-
suchten die W o h n u n g e n von J u d e n nach u n e r l a u b t e m B e s i t z . 4 6 9 M a ß n a h m e n zur umfassenden A u s p l ü n d e r u n g der jüdischen B e v ö l k e r u n g planten B e a m t e beider I n s t i t u t i o n e n w o h l gemeinsam und führten sie anschließend d u r c h . 4 7 0 E i n z e l n e A n g e h ö r i g e der Devisenstelle, so die Aussage von B e t r o f f e n e n , sollen im R a h m e n dieser Z u s a m m e n a r b e i t nicht nur m a ß g e b l i c h für die Liquidierung von F i r m e n v e r a n t w o r t l i c h gewesen sein, sondern sich auch zentral in weitere Verfolgungsm a ß n a h m e n eingeschaltet h a b e n . 4 7 1 D i e eskalierenden A u s w i r k u n g e n der Interaktion von Parteidienststelle und F i n a n z v e r w a l t u n g verdeutlicht das Schicksal von Ilse K . Inge, die T o c h t e r der w o h l h a b e n d e n jüdischen A r z t g a t t i n Ilse K . aus D r e s d e n , versuchte, da sie durch eine privilegierte „ M i s c h e h e " geschützt war, 1939 ihre M u t t e r zu sich nach M ü n chen zu holen. K u r z e Zeit v o r h e r hatte die M u t t e r ihrer T o c h t e r ein A n w e s e n in D r e s d e n geschenkt. D i e E n t s c h e i d u n g der Tochter, ihre M u t t e r ausgerechnet in die „ H a u p t s t a d t der B e w e g u n g " zu holen, um sie dort b e s c h ü t z e n zu k ö n n e n , ging nicht zuletzt auf die ständigen B e d r ä n g u n g e n von J o h a n n Stumfall, einem engen F r e u n d H a n s Wegners, z u r ü c k . Beide sicherten - in K e n n t n i s der b e t r ä c h t lichen V e r m ö g e n s w e r t e von Ilse K . - ihren S c h u t z gegen ein „ E n t g e l t " zu, erpressten also Schutzgeld. E i n „Auge z u d r ü c k e n " wollten die beiden Parteiaktivisten zunächst beim ansonsten durch die „Arisierungsstelle" so brutal durchgesetzten Z w a n g , den gelben „ J u d e n s t e r n " zu tragen. V e r s c h o n t werden sollte Ilse K . den Versprechen Wegners und Stumfalls nach auch von der Verschleppung ins „Sammellager" M i l b e r t s h o f e n und sogar von der D e p o r t a t i o n in ein K o n z e n t r a t i o n s lager. Von D r e s d e n aus zahlte Ilse K . annähernd 1 0 0 0 0 0 R e i c h s m a r k an die „Arisierungsstelle". D i e S c h u t z g e l d z a h l u n g e n nutzten M u t t e r und T o c h t e r freilich w e nig. W e g e n „ D e v i s e n v e r g e h e n " und „unerlaubter S c h e n k u n g eines G r u n d s t ü c k s " ermittelten die Devisenstelle und die Z o l l f a h n d u n g M ü n c h e n unter Mitarbeit der G e s t a p o kurze Zeit nach der U b e r w e i s u n g des h o h e n Betrages gegen beide. Bei ihrer A n k u n f t in M ü n c h e n b e s c h l a g n a h m t e die Z o l l f a h n d u n g das U m z u g s g u t der 468
S c h r e i b e n des R e g i e r u n g s p r ä s i d e n t e n von O b e r b a v e r n an das M ü n c h n e r F i n a n z m i n i s t e r i u m v o m 9. 1. 1939; B a v H S t A M / M F / 7 1 2 0 .
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E i d e s s t a t t l i c h e V e r s i c h e r u n g von M a r i a G . im R a h m e n des S p r u c h k a m m e r v e r f a h r e n s gegen W e g n e r v o m 12. 2. 1947; A u s s a g e n des Z o l l f a h n d u n g s b e a m t e n M a x J o s e f S. am 2 3 . 8. 1947, der angab, er habe öfters mit der G e s t a p o und der „ A r i s i e r u n g s s t e l l e " zu tun gehabt. E r habe auch in d e r W i d e n m a y e r s t r a ß e , dem Sitz der „ A r i s i e r u n g s s t e l l c " , überall B l u t s p r i t z e r gesehen; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r t o n 1919. Vgl. die z a h l r e i c h e n Aussagen im R a h m e n des S t r a f p r o z e s s e s gegen M i t a r b e i t e r der „Arisierungsstelle"; S t A M / S t a a t s a n w a l t s c h a f t e n / 1 7 8 5 6 . N a c h Aussage eines j ü d i s c h e n R e c h t s a n w a l t s handelte es sich hierbei v. a. um H e r m a n n G . , einen M i t a r b e i t e r der D e v i s e n s t e l l e ; A u s s a g e vor der S t r a f k a m m e r des L G M ü n c h e n w ä h r e n d der ö f f e n t l i c h e n S i t z u n g v o m 1 5 . - 1 8 . 12. 1948; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r t o n 1919.
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
Arztgattin. Mutter und Tochter nahm die Polizei in Haft. Wegen der nach wie vor vorhandenen umfangreichen Vermögenswerte von Ilse K. setzte sich Hans Wegner mit der Devisenstelle in Verbindung. Nach mehreren Verhandlungen mit einem Oberzollsekretär der Zollfahndung München und gemeinsam durchgeführten Verhören der „Arisierungs-" und Zollfahndungsstelle kam es schließlich zu einer Vereinbarung beider Stellen. Ilse K. und ihre Tochter wurden aus der Haft entlassen, nachdem sie eine Schenkungsurkunde unterschrieben hatten. 75 Prozent ihres Immobilienvermögens im Wert von 3 8 7 0 0 0 Reichsmark fielen danach an das Land Bayern. Die „Arisierungsstelle" übernahm die Veräußerung der Grundstücke und konnte die anfallenden Gebühren vereinnahmen. Ihr Stück vom Kuchen sicherte sich die Zollfahndung, indem sie Silber- und Schmuckgegenstände im Wert von 9 6 0 0 0 Reichsmark bei weiteren Durchsuchungen sicherstellte und durch ein Auktionshaus zugunsten der Staatskasse verwerten ließ. Die „Arisierungsstelle" beschlagnahmte ihrerseits den wertvollen Kunstbesitz, den ein Versteigerer nach Abzug von Provisionen für sich und Wegners Dienststelle zugunsten der Staatskasse veräußerte. Nachdem die Familie schließlich auch noch einen fünfstelligen Reichsmarkbetrag an den Treuhänder für Kohlen- und Stromrechnungen des Barackenlagers Milbertshofen abgeführt hatte, wurde Ilse K. nach Treblinka deportiert und dort ermordet. Eine Villa aus ihrem Besitz verschenkte der Gauleiter später an seinen Rechtsanwalt für die „reibungslose Durchführung seiner Scheidung". 4 7 2 Eine derartige Zusammenarbeit der Devisen-, Zollfahndungs- und „Arisierungsstelle" ist in weiteren Fällen nachweisbar: 1939 verhandelte Wegner als Treuhänder und sogar im Auftrag des Finanzamts Moabit-West mit dem Arzt Dr. R o bert S. über dessen Vermögenswerte. Gegen das Versprechen einer Haftverschonung überließ die Familie Wegner einen Grundstücksanteil. Wenige Wochen später, am 16. O k t o b e r 1939, beschlagnahmte das Finanzamt das gesamte Vermögen der Familie und veräußerte eine Immobilie mit einem Wert von 2 0 0 0 0 0 Reichsmark für 2 8 3 0 0 Reichsmark an den Treuhänder. Wegner beschlagnahmte schließlich auch noch das Umzugsgut des Arztes. Die drei Schwestern des Arztes deportierte die Gestapo 1942 in ein Vernichtungslager. 4 7 3
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D e r Fall ist detailliert nachzuzeichnen, zumal die Aussagen der Verfolgten bzw. deren Angehöriger durch die Angaben der Verfolger bestätigt werden; eidesstattliche Versicherung von Inge de L. am 5. 9. 1945; Vernehmung Max A.s von der Zollfahndung München am 27. 10. 1949; Vernehmung des Versteigerers Johann B. am 16. 1. 1950; eidesstattliche Versicherung Maria G.s vom 12. 2. 1947; Schreiben Wegners vom 8. 1. 1942; S t A M / NSDAP/37. Kaufvertrag mit Auflassung des Notars Wilhelm R . vom 29. 4. 1940; Schätzung des Architekten Franz B. vom 16. 4. 1939; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r t o n 1919; eidesstattliche Versicherung von Leon G. vom 1 1 . 2 . 1947; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r t o n 1222; Schreiben eines Rechtsanwalts an die W B I vom 1 4 . 4 . 1950; S t A M / W B I/a/1784; Schreiben einer Speditionsfirma vom 26. 6. 1950; B a y H S t A M / E G / 7 3 0 3 8 ; Zeugenaussage der Ärztin Magdalena S. im Spruchkammerverfahren gegen Wegner am 18. 12. 1948; S t A M / S p r u c h kammer/Karton 1919. Auch die Textilhändlerin, Kommerzienrätin H . bezahlte 1 0 0 0 0 0 R M , um nicht zur Zwangsarbeit geschickt zu werden. Sie bezahlte zusätzlich eine Strafe an die Devisenstelle in H ö h e von 5 0 0 0 0 R M . D e r an Wegner zu zahlende Betrag wurde durch die Devisenstelle freigegeben; Erklärung des Rechtsanwalts Hans B. vom 10. 9.
III. Die systematische
„
Ausschaltung"
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B e a m t e der Z o l l f a h n d u n g beteiligten sich z u d e m direkt an den Deportationen der J u d e n in den von Wegner beaufsichtigten „ S a m m e l l a g e r n " Berg am L a i m u n d M i l b e r t s h o f e n . Die A u f g a b e der F i n a n z b e a m t e n bestand in der Ü b e r w a c h u n g u n d E n t z i e h u n g der V e r m ö g e n s w e r t e der Verschleppten, die laut A n w e i s u n g der Finanz- u n d P o l i z e i b e h ö r d e n nicht in die Konzentrations-, A r b e i t s - oder Vernichtungslager m i t g e n o m m e n w e r d e n durften. Fragen der genauen R e g e l u n g von „ Ü b e r w a c h u n g und V e r w e r t u n g " diskutierten M i t a r b e i t e r verschiedener Institutionen - Vertreter der Stadt, der F i n a n z v e r w a l t u n g , der „Arisierungsstelle" und des A r b e i t s a m t s - in mehreren Besprechungen vor den M a s s e n d e p o r t a t i o n e n . Schließlich w a r meist ein F i n a n z b e a m t e r zugegen, w e n n Kriminalpolizei und Gestapo Leibesvisitationen bei den in den B a r a c k e n eingepferchten J u d e n v o r n a h men. Gold, S c h m u c k , Edelmetalle o d e r Fotoapparate s o w i e Reisegepäck n a h m ein Zollbeamter in V e r w a h r u n g . W ä h r e n d das O b e r f i n a n z p r ä s i d i u m M ü n c h e n Lebensmittel direkt an die N S V abgab, katalogisierte es die V e r m ö g e n s w e r t e und versteigerte sie z u g u n s t e n des Reiches. A u c h die „ J u d e n w o h n u n g e n " verschlossen u n d versiegelten B e a m t e der Z o l l f a h n d u n g , n a c h d e m deren Inhaber deportiert worden waren.474 F ü r eine relativ reibungslose Z u s a m m e n a r b e i t z w i s c h e n den F i n a n z - u n d K o m m u n a l b e h ö r d e n s o w i e den Parteidienststellen spricht die D a n k s a g u n g im A b schlussbericht der „Arisierungsstelle", in d e m es wörtlich heißt: „Im B e n e h m e n mit der Geh. Staatspolizei, Staatspolizeistelle M ü n c h e n und mit der Devisenstelle u n d Zollfahndungsstelle des O b e r f i n a n z p r ä s i d e n t e n M ü n c h e n k o n n t e n hier w e sentliche u n d im Interesse der Staatssicherheit oft wichtigste Ergebnisse erzielt w e r d e n , w o b e i auch hier auf die d u r c h a u s erfreuliche u n d sachdienliche Z u s a m menarbeit mit diesen Dienststellen verwiesen sei." 4 7 5 O b dabei die Initiative primär von der Partei oder den F i s k a l b e h ö r d e n ausging, lässt sich anhand des Q u e l lenmaterials nicht mehr genau rekonstruieren. H i n w e i s e auf das eigenständige Vorgehen einzelner Beamter der Devisenstelle liegen aber vor. 4 7 6 Die beschriebenen Einzelfälle deuten z u d e m auf ein ähnliches Strickmuster hin: Die „Arisierungsstelle" d i s k r i m i n i e r t e die jüdische B e v ö l k e r u n g mit brutalen M e thoden, die, v o m Einzelfall abgesehen, nicht z u m Repertoire fiskalischer Entzieh u n g s r o u t i n e n gehörten. D e n n o c h schritt die F i n a n z v e r w a l t u n g nicht gegen das Vorgehen der Parteidienststelle ein, im Gegenteil: Sie leistete nicht nur Zuarbeit,
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1947; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r t o n 1222; eidesstattliche Versicherung im R a h m e n des Strafprozesses gegen Wegner; eidesstattliche E r k l ä r u n g vom 1 5 . 8 . 1941; StAM/Staatsanwaltschaften/17856. A u c h der B a n k i e r Eugen S. bezahlte einen Betrag von 6 0 0 0 0 R M , u m in seiner W o h n u n g bleiben zu können, die k u r z e Zeit später von Wegner geräumt w u r d e ; Urteil des L G M ü n c h e n v o m 1 1 . 7 . 1950; ebd. Vernehmungsniederschrift der Kripo M ü n c h e n v o m 30. 12. 1949; V e r n e h m u n g J o h a n n G.s am 10. 12. 1950; Vernehmungsniederschrift der Kripo M ü n c h e n v o m 9. 1. 1950; A k t e n n o t i z der Kripo M ü n c h e n v o m 17. 1. 1950; Vernehmungsniederschrift vom 19. 1. 1950; StAM/Staatsanwaltschaften/29499/1-3. T ä t i g k e i t s - und A b s c h l u ß b e r i c h t , S. 29. A u s s a g e eines R e c h t s a n w a l t s im S p r u c h k a m m e r v e r f a h r e n gegen H a n s Wegner. H e r m a n n G., ein Mitarbeiter der Devisenstelle, habe, so der Rechtsanwalt, viele Leute auf dem Gewissen u n d sei als Beamter der Devisenstelle maßgeblich für L i q u i d a t i o n e n v e r a n t w o r t lich gewesen; S t A M / S p r u c h k a m m e r / K a r t o n 1919.
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
sondern profitierte von der erheblichen Gewaltbereitschaft Wegners, in dem sie hinterher auf die Vermögenswerte der vertriebenen oder deportierten Juden zurückgriff. Mit anderen Institutionen der Finanzverwaltung, etwa den Finanzämtern, gab es allerdings weniger Berührungspunkte. Die Partei, allen voran die „Arisierungsstelle", fungierte meist als Schrittmacher der „Arisierung", während die Institutionen der Finanzverwaltung die Sicherung der Steuerschulden übernahmen. Nürnberg Die Ubergriffe der Partei im Rahmen der „Holzaktion" schränkten auch in N ü r n berg die steuerliche Leistungsfähigkeit der jüdischen Bevölkerung erheblich ein. In den Finanzämtern und beim Regierungspräsidenten in Ansbach häuften sich die Eingaben jüdischer Steuerpflichtiger auf eine Neuveranlagung der Vermögenswerte und Anträge auf Erlass der Sonderabgaben wegen der Enteignung von Grundstücken, Firmen oder Kraftwagen. 4 7 7 Nahezu jedes Finanzamt des Bezirks war massiv von der „Holzaktion" betroffen. In Fürth gab es 86 „Grundstücksarisierungen", in Hersbruck 24, in Neustadt an der Aisch 50. In Rothenburg waren es 18 „Arisierungen" von Betrieben, in Uffenheim 38 Grundstücke aus jüdischem Besitz, die von der „Entjudungsaktion" betroffen waren. Im Stadtbereich N ü r n berg berichtete das Finanzamt Nürnberg-West über die „Arisierung" von 100 Grundstücken, im Bereich des Finanzamts N ü r n b e r g - O s t zählten die Beamten 160 bis 170 entzogene Immobilien. Das Finanzamt N ü r n b e r g - N o r d verzeichnete 191 Anwesen, das Finanzamt Nürnberg-Augustinerstraße war schließlich über die „Arisierungen" nur unzureichend unterrichtet. 4 7 8 „Das Arisierungsverfahren hat", wie ein Beamter des Finanzamts N ü r n b e r g - N o r d bedauernd feststellen musste, „fast allgemein zu Unzuträglichkeiten bei der Zahlung der Juva geführt. Auch bei der .Reichsfluchtsteuer' ergaben sich Schwierigkeiten." 4 7 9 In einem G e heimbericht von Januar 1939 hielt die Nürnberger Finanzverwaltung verärgert fest, dass 25 Prozent der jüdischen Bevölkerung wegen der Abtretung der I m m o bilien und der „Arisierung" ihrer Unternehmen ihren Verpflichtungen gegenüber dem Finanzamt überhaupt nicht mehr nachkommen konnten. 4 8 0 D i e Zahlungsunfähigkeit gegenüber den Finanzbehörden brachten die Betroffenen auch gegen-
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So musste beispielsweise Bernhard H u g o B. sein Anwesen im Wert von 208 000 R M an die D A F für 3 0 0 0 0 R M verkaufen. Erheblich unter Wert musste er zudem sein Auto sowie eine Hypothekenforderung abgeben; Schreiben Bernhard H u g o B.s an die Regierung von Ober- und Mittelfranken vom 30. 11. 1938; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/9700; Schreiben R o b e r t B.s an das Finanzamt N ü r n b e r g - O s t vom 18. 7. 1939; S t A N / F i n a n z amt N ü r n b e r g - O s t / 5 5 1 4 . Schreiben der Finanzämter Fürth vom 7. 3. 1939, Günzenhausen vom 8. 3. 1939, Hersbruck vom 8. 3. 1939, Hilpoltstein vom 7. 3. 1939, Neustadt a.d. Aisch vom 9. 3. 1939, Nürnberg-West vom 9. 3. 1939, Nürnberg-Augustinerstraße vom 17. 3. 1939, NürnbergO s t vom 11. 3 . 1 9 3 9 , N ü r n b e r g - N o r d vom 9. 3 . 1 9 3 9 , Rothenburg vom 7. 3 . 1 9 3 9 , Schwabach vom 8. 3. 1939 an den O F P Nürnberg; S t A N / O F P Nürnberg-Land/8a. Schreiben des Finanzamts N ü r n b e r g - N o r d an den O F P Nürnberg vom 9. 3. 1939; ebd. Geheimbericht von Januar 1939; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/39.
III. Die systematische „ Ausschaltung"
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über den Parteigenossen der D A F vor, die allerdings auf die Irrelevanz derartiger Interessen hinwies und auf entsprechende Vereinbarungen zwischen D A F und den anderen Parteigliederungen aufmerksam machte. 4 8 1 I m D e z e m b e r 1938 sah sich das Reichswirtschaftsministerium aufgrund der umfassenden Plünderungen Streichers schließlich dazu veranlasst, eine Sonderregelung zu treffen. Es ermächtigte den Oberfinanzpräsidenten aufgrund der „Sonderaktion in F r a n k e n " , die „Judenvermögensabgabe" im Bedarfsfalle zu ermäßigen und verzichtete damit auf die eigene letztinstanzliche Entscheidungsbefugnis. 4 8 2 D i e Finanzverwaltung reagierte auf die eigenmächtigen A k t i o n e n zwiespältig. I m Einzelfall weigerte sich der Oberfinanzpräsident, der offenbar nicht zum N e t z w e r k des Gauleiters gehörte, sich dem Willen der N ü r n b e r g e r Partei zu beugen. D i e Standhaftigkeit gegenüber den mittelfränkischen Parteibehörden stellten ranghöchste N ü r n b e r g e r F i n a n z b e a m t e bei der Ausstellung steuerlicher „ U n b e denklichkeitsbescheinigungen" unter Beweis, die ohne eine Eintragung in das G r u n d b u c h keine Rechtskraft erlangten. Bei manchen Zwangsveräußerungen verweigerte der Oberfinanzpräsident die Ausstellung entsprechender Bescheinigungen, k o n n t e den Verkauf selbst allerdings nicht verhindern, da die G r u n d b u c h richter die Eintragungen zugunsten des stellvertretenden Gauleiters auch entgegen den gesetzlichen Vorschriften v o r n a h m e n . 4 8 3 Eine offene K o n f r o n t a t i o n wagte Zehran - wie die meisten anderen Funktionsträger in N ü r n b e r g auch - freilich nur in seltenen Fällen. Gangbarer war vielmehr ein Z i c k z a c k - K u r s zwischen einvernehmlichem Handeln nach außen und verdecktem Widerstand, auf den der Oberfinanzpräsident bereits bei der Vorbereitung der „ H o l z a k t i o n " Anfang D e zember 1938 eingeschwenkt war. U m der Veröffentlichung der „Verordnung zur Ausschaltung der J u d e n aus dem Wirtschaftsleben" vom 3. D e z e m b e r 1938 zuv o r k o m m e n zu k ö n n e n , hatten sich am W o c h e n e n d e des 1. und 2. D e z e m b e r der stellvertretende Gauleiter H o l z , die Mitarbeiter der D A F und andere F u n k t i o n s träger der Partei an einen Tisch gesetzt. Ziel der Clique von Gauleiter Streicher war es, Mittel und Wege zu finden, die bevorstehenden zentralen K o n t r o l l - und Verteilungsmodi zu umgehen, um die Gaukasse auch nach dem Erlass der Verordnung mit jüdischem Vermögen füllen zu können. N a c h d e m sich die G r u n d b u c h richter dem Ansinnen der Parteifunktionäre gebeugt hatten und bereits einen Tag nach dem Gau-Spitzentreffen mit der Übertragung jüdischer G r u n d s t ü c k e auf Karl H o l z begonnen hatten, wandten sich die N S D A P - F u n k t i o n ä r e mit der Bitte um pauschale Ausstellung steuerlicher „Unbedenklichkeitsbescheinigungen" auch an den Oberfinanzpräsidenten. Zehran wollte aber weder ja noch nein sagen und verwies auf die Zuständigkeit des Reichsfinanzministeriums und beendete so die Diskussion „in freundschaftlichem T o n " . 4 8 4
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S c h r e i b e n eines R e c h t s a n w a l t s an den j ü d i s c h e n T e x t i l h ä n d l e r L u d w i g L . v o m 18. 1. 1939; BavHStAM/EG/95900. B e r i c h t des O F P N ü r n b e r g an den R d F v o m 2 6 . 1. 1939; B A B / R 2 / 5 7 0 7 9 . D u r c h s u c h u n g s b e r i c h t u n d V e r h ö r der G e s t a p o im Falle des M a k l e r s N a g e l v o m 10. 2. 1939; S t A N / S t a a t s p o l i z e i s t e l l e N ü r n b e r g - F ü r t h / A r i s i e r u n g s a k t e n / 4 1 . S c h r e i b e n N a g e l s an die G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n v o m 2 4 . 2 . 1939 u n d V c r n e h -
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
W ä h r e n d die Finanzverwaltung mit dem illegalen Vorgehen der N ü r n b e r g e r Gauleitung offensichtlich P r o b l e m e hatte, war sie doch zu erheblichen K o n z e s sionen bereit, zumal sie letztendlich selbst nicht unerheblich davon profitierte. So überließen die N ü r n b e r g e r Finanzämter der Partei Listen der jüdischen G r u n d eigentümer, mit deren Hilfe die Partei die umfassenden Enteignungen vornehmen konnte. Letztlich verzichtete das Oberfinanzpräsidium in den meisten Fällen auch auf die steuerlichen „Unbedenklichkeitsbescheinigungen", die für die Eintragung ins G r u n d b u c h notwendig gewesen wären. 4 8 5 Z u d e m überließen die F i n a n z ä m t e r der D A F Vermögensaufstellungen der B e t r o f f e n e n . 4 8 6 Offensichtlich machte der Oberfinanzpräsident auch Zugeständnisse im H i n b l i c k auf den Verfahrensablauf bei der Befriedigung von Steuerforderungen aus jüdischem Vermögen. E r erklärte sich bereit, Z w a n g s h y p o t h e k e n zur Bezahlung der „Judenvermögensabgabe" und der „Reichsfluchtsteuer" zurückzuziehen und auf das Restvermögen der jüdischen Bevölkerung zurückzugreifen. 4 8 7 I m G e g e n z u g informierte die D A F die betroffenen J u d e n darüber, dass eine Endabrechnung erst nach Bezahlung aller n o c h ausstehenden Steuern erfolgen k ö n n e . 4 8 8 Tatsächlich bezahlten die E r w e r b e r jüdischer F i r m e n aus den F i r m e n k o n t e n zumindest Teile der n o c h offenen Steuerrückstände an die Finanzverwaltung. 4 8 9 D e r Oberfinanzpräsident sorgte auch für die Geheimhaltung der A k t i o n . A u f Anfragen anderer Institutionen, etwa der G e stapo, wegen der „Hausverkaufsangelegenheit" sollten die Referenten des O b e r f i nanzpräsidenten nicht ohne weiteres reagieren. Grundsätzlich sollte zunächst die Gauleitung informiert w e r d e n . 4 9 0 D i e F a h n d e r in den Finanzämtern wies Zehran an, keine Ermittlungen in der Sache vorzunehmen, da „höhere Persönlichkeiten" im Spiel seien. 4 9 1 Z u r Sicherung des Steueraufkommens beschritt die Finanzverwaltung in N ü r n berg Wege, die sich nicht oder nur kaum mit denen der Gauleitung kreuzten. Dies äußerte sich etwa bei der Möglichkeit, die Sondersteuern zu erlassen. Von dieser Möglichkeit machte der Oberfinanzpräsident nur dann G e b r a u c h , wenn tatsächlich keine Vermögenswerte mehr vorhanden waren. In anderen Fällen erkannten die Finanzämter Veränderungen in den Vermögensverhältnissen nach dem P o -
mung des Fürther Stadtrats Sandreuther am 22. 2. 1939; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/41. 4 8 5 Schreiben des Landgerichtsdirektors an den Oberstaatsanwalt vom 15.2. 1939; StAN/ KV-Anklagedokumente/NG/616/Fotokopie. 4 8 6 Bericht der Gestapo-Prüfungskommission vom 12. 2. 1939; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/ Arisierungsakten/21. 4 8 7 Schreiben Nagels an das Finanzamt Fürth vom 8. 12. 1938; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/37. 488 Teil II des Berichts der Gestapo-Prüfungskommission, S. 204; StAN/KV-Anklagedokumente/PS/1757. 489 Vernehmung Hans Stumfalls am 6. 3. 1939; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/ Arisierungsakten/169; Schreiben des Kreisobmanns der DAF, Emmert, an die Gestapo vom 4. 3. 1939; BAB/R 58/3514. 4 9 0 Geheimer Erlass des OFP vom Januar 1939; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/ Arisierungsakten/39. 491 Geheimer Bericht im Rahmen der Untersuchung der Gestapo, o.D.; ebd.
III. Die systematische
„ Ausschaltung"
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grom vom 9. N o v e m b e r 1938 nicht an, um das Steueraufkommen zu sichern. 4 9 2 In solchen Fällen verweigerten sie den Betroffenen die Ausstellung der für die E m i gration notwendigen „Unbedenklichkeitsbescheinigungen". 4 9 3 Zudem gingen einzelne Finanzämter dazu über, nun ihrerseits vermehrt Wertgegenstände von Juden zu pfänden, so etwa das Finanzamt N ü r n b e r g - O s t . Als man dort den Versuch einzelner Treuhänder registrierte, Einrichtungsgegenstände der Betroffenen aus den W o h n u n g e n zu entwenden, verpfändete das Finanzamt seinerseits alle Wohnungseinrichtungen von J u d e n im Bezirk der B e h ö r d e zu seinen Gunsten, um wenigstens Teile des Steueraufkommens sichern zu k ö n n e n . 4 9 4 D u r c h den Sturz des Gauleiters und seines Stellvertreters in den Jahren 1939 und 1940 gelang es der Finanzverwaltung in N ü r n b e r g , weitere Vereinbarungen zu treffen, die das Steueraufkommen der jüdischen Bevölkerung in ihrem Sinne „sicherten". D e r Oberfinanzpräsident und seine Mitarbeiter kooperierten eng mit den Beamten der Gestapo aus Berlin, wenn es um die Aufdeckung illegaler G e schäftsmethoden der Parteispitze ging. 4 9 5 Steuerfahndungsbeamte beteiligten sich etwa an den umfassenden Verhören der D A F - F u n k t i o n ä r e . 4 9 6 D e r O b e r f i n a n z präsident in N ü r n b e r g erhielt auch die K o n t r o l l e über die von der Partei angelegten S o n d e r k o n t e n . 4 9 7 Letztlich war es aber der exponierte G e g n e r Streichers, P o lizeipräsident B e n n o Martin, den G ö r i n g mit der A b w i c k l u n g der „Arisierung" beauftragte. D e n besonderen Gegebenheiten im G a u Streichers R e c h n u n g tragend, etablierte die G e s t a p o eine „Arisierungsstelle für G r u n d b e s i t z " in N ü r n berg. D i e Gestapo übernahm die Sonderkonten und die Verwertung des jüdischen Vermögens. F ü r die Geschäftsführung der „Arisierungsstelle" war die D e u t s c h e Allgemeine Treuhand A G verantwortlich. Im Auftrag der Gestapo übernahm der G r u n d - und Hausbesitzerverein in N ü r n b e r g die A b w i c k l u n g jüdischen G r u n d besitzes. D i e G e s t a p o bezahlte aus den Erlösen Steuerschulden an die Finanzämter. 4 9 8 Vor jeder Auszahlung des Kaufpreises auf das S o n d e r k o n t o richtete sie
492 Vgl. e x e m p l a r i s c h die B e r e c h n u n g d e r „ J u v a " bei B e r n h a r d H u g o B.; S c h r e i b e n von B e r n h a r d H u g o B . an die R e g i e r u n g von O b e r - u n d M i t t e l f r a n k e n v o m 30. 11. 1 9 3 8 ; S c h r e i b e n des F i n a n z a m t s N ü r n b e r g - O s t an den B e t r o f f e n e n v o m 1 8 . 2 . 1939; S t A N / O F D N ü r n b e r g ( B u n d ) / 9 7 0 0 ; S c h r e i b e n O . L . s an die R e g i e r u n g von A n s b a c h v o m 13. 12. 1938 und S c h r e i b e n des B e t r o f f e n e n an das F i n a n z a m t N ü r n b e r g - O s t v o m 2 1 . 5 . 1939; S t A N / F i n a n z a m t N ü r n b e r g - O s t / 7 1 2 1 ; siehe auch S c h r e i b e n des F i n a n z a m t s N ü r n b e r g - O s t an den j ü d i s c h e n A r z t D r . M o r i t z R . v o m 13. 11. 1939; S t A N / F i n a n z a m t Nürnberg-0st/7607. A u s s a g e der W i t w e des j ü d i s c h e n K a u f m a n n e s M a x H . vor der G e s t a p o am 30. 1. 1939; StAN/Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/39. 4 9 4 S c h r e i b e n des F i n a n z a m t s N ü r n b e r g - O s t an den O F P N ü r n b e r g v o m 1 1 . 3 . 1939; S t A N / O F P Nürnberg-Land/8a. 495 V e r m e r k der G e s t a p o - P r ü f u n g s k o m m i s s i o n b e z ü g l i c h eines T e l e f o n a t s mit d e m O b e r finanzpräsidenten Z e h r a n am 21. 2. 1 9 3 9 ; S t A N / S t a a t s p o l i z e i s t e l l e N ü r n b e r g - F ü r t h / A r i sierungsakten/41. 493
496 V e r n e h m u n g d u r c h den S t e u e r i n s p e k t o r T. am 2 9 . 3 . 1939; S t A N / S t a a t s p o l i z e i s t e l l e Nürnberg-Fürth/Arisierungsakten/169. 4 9 7 D u r c h s u c h u n g s b e r i c h t der G e s t a p o v o m 10. 2. 1939; S t A N / S t a a t s p o l i z e i s t e l l e N ü r n b e r g Fürth/41. 4 9 8 N o t i z der O F D N ü r n b e r g v o m 3. 7. 1 9 4 5 ; O F D N ü r n b e r g / N ü r n b e r g e r K e l l e r / W G M / 66.
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
eine entsprechende Anfrage an die Finanzämter. 4 9 9 Das Grundstücksamt der Stadt Nürnberg wies dabei auf die Möglichkeit hin, die Änderungen im Grundbuch auch ohne Zustimmung der Betroffenen durchzuführen. Wenn ein Jude nach der Änderung Verfügungsberechtigter werden würde, solle man einen Treuhänder einsetzen. „Nach der Lage der D i n g e " , so die städtische Behörde im Juni 1939, „ist Widerstand auf Seiten der Juden nicht zu erwarten." 5 0 0 D i e Stadt Nürnberg ermittelte den Wert der Anwesen und erwarb selbst zahlreiche Immobilien aus jüdischem Besitz. 5 0 1 Letztlich konnte so die Finanzverwaltung ihre Forderungen weitgehend eintreiben. Im Mai 1941 hatte nach Mitteilung eines Gestapo-Beamten die „Arisierungsstelle" aus den „Entjudungen" 24 Millionen Reichsmark eingenommen, weitere fünf Millionen befanden sich auf einem Sonderkonto des Reichsmarschalls. Die Erlöse überwies die Gestapo auf die von ihr oder der Devisenstelle bezeichneten Sonderkonten. Aus den Gewinnen beglich die Gestapo dann alle Restschulden, so dass bis zum Mai 1941 die Erlöse bereits weitgehend aufgebraucht waren. 5 0 2 Insgesamt bearbeitete die Gestapo weit mehr als nur die „Arisierungen" im Zuge der „Holzaktion". Sie verwertete 900 Vermögensgegenstände aus jüdischem Besitz, davon 400 Hausgrundstücke, 200 unbebaute Grundstücke und etwa 300 Forderungen. Bis Mai 1945 gelang es ihr, 90 Prozent des Besitzes der jüdischen Bürger zu verwerten. Zu diesem Zeitpunkt wies das Sonderkonto noch einen Gewinn von 9 2 0 0 5 1 , 5 2 Reichsmark aus. 5 0 3 Unterfranken Im Hinblick auf die Verhängung von Sicherheitsleistungen und die Verschärfung der Vorgehensweise bei generellen Überwachungsmaßnahmen - etwa im Rahmen der Betriebsprüfungen - lassen sich in Unterfranken allenfalls graduelle Differenzen im Vergleich mit München und Nürnberg ausmachen. Dennoch gab es zwei Unterschiede, die sich einerseits auf regions-, andererseits auf berufsgruppenspezifische Merkmale zurückführen lassen. Zunächst setzte die Auswanderungswelle bei den jüdischen Viehhändlern in Unterfranken, wie beim Großteil der jüdischen Bevölkerung Münchens, erst im Jahr 1938 ein, denn diese hatten erst Ende desselben Jahres durch die flächendeckenden gesetzlichen Maßnahmen zur beruflichen Verdrängung der Juden jede Möglichkeit der Erwerbstätigkeit verloren. Während sie von den steuerlichen Diskriminierungen und Sonderabgaben ebenso betroffen waren wie die jüdische Bevölkerung in den bayerischen Großstädten, verfügten die meisten Viehhändler dieser Region über kleine Parzellen landwirtschaftlichen
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Schreiben der „Arisierungsstelle für Grundbesitz" an das Finanzamt N ü r n b e r g - O s t vom 25. 6. 1941; S t A N / O F D Nürnberg (Bund)/9700. Schreiben des Referats I I I , Grundstücksamt, vom 8. 6. 1939; S t a d t A N / C 7 / V I I I / 5 0 9 . Schreiben des Grundstücksamts an das Referat I I I vom 30. 6. 1939 und Schreiben des Referats III an Referat II vom 10. 11. 1939; ebd. N o t i z des O R R T h . vom O F P Nürnberg vom 29. 5. 1941; O F D Nürnberg/Münchner Keller/NS 6. N o t i z der O F D Nürnberg vom 3. 7. 1945; O F D Nürnberg/Nürnberger K e l l e r / W G M / 66.
III. Die systematische
237
„Ausschaltung"
G r u n d b e s i t z e s . Als G e n e h m i g u n g s i n s t a n z für die „ A r i s i e r u n g " waren dort nicht nur der Regierungspräsident, s o n d e r n u n t e r anderem auch die B a u e r n f ü h r e r des R e i c h s n ä h r s t a n d e s zuständig. E i n e D u r c h f ü h r u n g s v e r o r d n u n g z u r „ V e r o r d n u n g ü b e r die A n m e l d u n g des V e r m ö g e n s von J u d e n " m a c h t e auch die Veräußerung land- und forstwirtschaftlichen B e s i t z e s von deren G e n e h m i g u n g a b h ä n g i g . 5 0 4 D i e jüdischen G r u n d b e s i t z e r k o n n t e n auf diese Weise zur V e r ä u ß e r u n g ihres B e s i t z e s g e z w u n g e n
werden.
D i e s e M ö g l i c h k e i t n u t z t e das b a y e r i s c h e Staatsministerium für Wirtschaft, A b t e i lung L a n d w i r t s c h a f t , indem es die jüdischen B e s i t z e r verpflichtete, landwirtschaftliche G r u n d s t ü c k e mit G e b ä u d e n sowie lebendes und totes Inventar u m g e hend zu m e l d e n . 5 0 5 M a ß g e b l i c h e I n s t a n z für die U b e r p r ü f u n g der M e l d u n g e n waren die Kreisbauernführer, deren H a u p t a u f g a b e d a n n bestand, jüdischen landwirtschaftlichen G r u n d b e s i t z zu erfassen, geeignete B e w e r b e r für die I m m o b i l i e n zu suchen und anschließend auszuwählen. „ B a u e r n l a n d " , so die dem A u s w a h l v e r fahren zugrunde liegende M a x i m e , sollte in „ B a u e r n h a n d " k o m m e n . D a h e r sollte j ü d i s c h e r B e s i t z in E r b h o f g r ö ß e geschlossen in das E i g e n t u m eines nichtjüdischen B e w e r b e r s ü b e r g e h e n , kleinere G r u n d s t ü c k e hingegen als Anliegerland an ben a c h b a r t e B a u e r n abgetreten w e r d e n . 5 0 6 1 9 3 8 / 3 9 setzte damit ein arbeitsteiliger P r o z e s s zur „ A r i s i e r u n g " des u m f a n g reichen jüdischen Besitzes ein, an dem ü b e r ein D u t z e n d Institutionen beteiligt waren. N e b e n dem L a n d w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m , dem R e i c h s f o r s t a m t , dem B e auftragten für den Vierjahresplan, dem R e i c h s k o m m i s s a r für die Preisbildung, dem R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m , der G e s t a p o , den F o r s t b e h ö r d e n , den R e g i e rungspräsidenten und den B a u e r n f ü h r e r n war auch die sogenannte B a y e r i s c h e B a u e r n s i e d l u n g s - G m b H in den E n t e i g n u n g s p r o z e s s involviert. Sie war an das b a y e r i s c h e W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m angegliedert und als „ O b e r s t e Siedlungsbeh ö r d e " in zahlreichen unterfränkischen O r t s c h a f t e n für die Ü b e r w a c h u n g und E n t z i e h u n g des G r u n d b e s i t z e s m i t v e r a n t w o r t l i c h . 5 0 7 In K o o p e r a t i o n mit der „Bayerischen
Bauernsiedlung"
und den
Kreisbauernführern
übersandten
die
L a n d r ä t e den jüdischen Viehhändlern der R e g i o n Bad Kissingen die A u f f o r d e rung, ihren G r u n d b e s i t z an einen durch den B a u e r n f ü h r e r zu b e s t i m m e n d e n E r w e r b e r zu veräußern. In einem detaillierten F r a g e b o g e n mussten die B e t r o f f e n e n G r ö ß e , E i n h e i t s w e r t und auf dem G r u n d s t ü c k befindliche G e b ä u d e a n g e b e n . 5 0 8 D i e F i n a n z b e h ö r d e n waren Teil dieses k o m p l e x e n Interaktionsgeflechts. B e v o r ein Kaufvertrag endgültig genehmigt werden k o n n t e , musste die K r e i s b a u e r n -
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R u n d s c h r e i b e n des R W M an die O b e r - u n d R e g i e r u n g s p r ä s i d e n t e n v o m 5. 7. 1938; S t A W / L R A M i l t e n b e r g / 2 5 4 1 ; z u r „ A r i s i e r u n g " l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n B e s i t z e s vgl. v. a. die Arbeit von Verse-Hermann, „Arisierungen." S c h r e i b e n des W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s an N a t h a n F. v o m 26. 4. 1939; S t A W / L R A H a s s furt/866.
'O6 S c h r e i b e n des b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s , A b t e i l u n g L a n d w i r t s c h a f t , an die L a n d e s b a u c r n s c h a f t B a y e r n v o m 2 1 . 4 . 1939; S t A W / L R A M i l t e n b e r g / 2 5 4 1 . 3 0 7 S c h r e i b e n des b a y e r i s c h e n W i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m s , A b t e i l u n g L a n d w i r t s c h a f t , an die L a n d e s b a u e r n s c h a f t B a y e r n v o m 2 1 . 4 . 1939; ebd; V e r s e - H e r m a n n , „ A r i s i e r u n g e n " , S. 79. 3 0 8 A u f f o r d e r u n g z u r V e r ä u ß e r u n g an den V i e h h ä n d l e r B e r n h a r d A . aus W e s t h e i m vom 2 6 . 7. 1939; S t A W / L R A H a m m e l b u r g / 3 5 5 1 .
238
Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
schaft das Wohnfinanzamt anhören, das den Einheitswert der Liegenschaften zu ermitteln hatte. 5 0 9 Während die oberste Siedlungsbehörde, das bayerische Wirtschaftsministerium, den Kaufpreis festlegte, wurden die Immobilien dann an private Erwerber oder die „Bayerische Bauernsiedlungs-GmbH" weiterveräußert. 5 1 0 D i e Finanzbeamten achteten darauf, dass der „Arisierungsprozess" die steuerliche Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen nicht zu sehr einschränkte. Im Zweifelsfall beharrten die Finanzämter daher auf höheren Preisen für die jüdischen Liegenschaften, wenn dadurch das Steueraufkommen gesichert werden konnte, wie etwa im Falle des jüdischen Viehhändlers Max S. aus Völkersleier. Dieser war von der Gauleitung gezwungen worden, seinen Grundbesitz zu veräußern. D i e Kreisbauernschaft Hammelburg hatte am 16. Juni 1939 den Käufer Karl Z. vorgeschlagen und den Preis auf 6000 Reichsmark festgesetzt, ein Betrag, der erheblich von der Taxierung eines Sachverständigen in H ö h e von 10000 Reichsmark abwich. Max S. selbst hatte den Grundbesitz bei der Anmeldung seines Vermögens im April 1938 mit 1 3 0 0 0 Reichsmark noch einmal deutlich höher veranschlagt, und seinen Angaben entsprechend hatte das Finanzamt die „Judenvermögensabgabe" berechnet. D a Max S. mit seiner vierköpfigen Familie kurz vor der Auswanderung stand und die Finanzbehörde die erfolgreiche Emigration nicht gefährden und vor allem auf die damit verbundenen horrenden Abgaben nicht verzichten wollte, beharrte sie gegenüber Partei und Erwerber mit Verweis auf den realen Wert der Immobilie und letztlich erfolgreich auf einem Verkaufspreis von 13000 Reichsmark. 5 1 1 A m deutlichsten trat der Unterschied zwischen der gesamten Region Unterfranken und den beiden Städten Nürnberg und München bei der engen Kooperation zwischen Finanzverwaltung und Gauleitung bei der „Arisierung" jüdischen Vermögens hervor, die aus der personellen Verschränkung beider Institutionen resultierte. In Unterfranken war der bei der „Arisierung" federführende Gauwirtschaftsberater bis 1938 gleichzeitig als Betriebsprüfer beim Oberfinanzpräsidium Würzburg tätig. Gauwirtschaftsberater Vogel war 1927 als B u c h - und Betriebsführer zum Landesfinanzamt Würzburg gekommen. 5 1 2 Bis 1938 arbeitete Vogel als Regierungsrat in der Betriebsprüfungsabteilung. D e r Gauwirtschaftsberater war also ein ausgesprochener Finanzfachmann, der sogar persönlichen Briefkontakt mit Staatssekretär Reinhardt unterhielt. 5 1 3 Auch nachdem er Anfang 1938 hauptamtlich zur Partei übergewechselt war, verbanden ihn weiterhin enge K o n -
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Rundschreiben der Regierung von Mainfranken an die Bezirksverwaltungsbehörden vom 11. 11. 1938; StAW/LRA Miltenberg/2541. Entziehung des Grundstücks von Justus S.; Schreiben des bayerischen Wirtschaftsministeriums an den Betroffenen vom 8. 3. 1939; StAN/KV-Anklagedokumente/NI/14598/ Fotokopie. Schreiben eines Rechtsanwalts an das bayerische Staatsministerium für Wirtschaft vom 27. 6. 1939; StAW/LRA Hammelburg/3552. Vorladung Vogels am 26. 9. 1950; StAW/Staatsanwaltschaft Würzburg/588/I. Tagebucheintrag Vogels vom 25. 9. 1937 und Brief vom 22. 12. 1935; StAW/Gau Mainfranken/72.
III. Die systematische
„Ausschaltung"
239
takte vor allem mit der Devisenstelle Würzburg. 5 1 4 Unter seiner Regie wurde der Verkauf jüdischer Unternehmen und Immobilien erzwungen, wobei er noch während der „Arisierungsverhandlungen" dafür Sorge trug, dass die Betroffenen aus dem Verkaufserlös auch ihre sämtlichen Steuerschulden beglichen. Sämtliche E r löse aus der „Arisierung" jüdischen Vermögens mussten auf ein Devisenkonto überwiesen werden, über das nur mit Genehmigung der Devisenstelle verfügt werden konnte. Waren die Betroffenen nicht in der Lage, ihre „Judenvermögensabgabe" zu bezahlen, so sollten die Finanzämter ihrerseits die Möglichkeit prüfen, die Zwangsveräußerung von Vermögenswerten aufgrund der „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens" zu erwirken. Derartige Anträge mussten über die Kreiswirtschaftsberater an Vogel weitergegeben werden, der dann bei der Regierung von Mainfranken für die Einleitung der notwendigen Maßnahmen sorgte. 5 1 5 Der Gauwirtschaftsberater fungierte dabei gleichzeitig als Sachverständiger der Finanzverwaltung. Als Betriebsprüfer hatte er vom Oberfinanzpräsidenten Würzburg den Auftrag erhalten, die Revision der Rhön-Spessart-Werbestelle zu übernehmen. 5 1 6 Diese Funktion hinderte ihn jedoch nicht daran, als Gauwirtschaftsberater aus den de jure den jüdischen Inhabern zustehenden Verkaufserlösen erhebliche Geldbeträge auf die Konten der Werbestelle überweisen zu lassen. 5 1 7 Auch in Unterfranken beteiligten sich schließlich Beamte der Zollfahndungsund Devisenstellen seit Anfang der 1940er Jahre an Hausdurchsuchungen, um „illegal" aufbewahrte Vermögenswerte zu konfiszieren. 5 1 8 A b 1941 waren die Fiskalbehörden zudem an der Deportation der jüdischen Bevölkerung beteiligt. Im April 1942 „zentrierte" die Gestapo die Betroffenen über die Mittagszeit am „Platzschen Garten" in Würzburg. Die Juden aus Oberthulba, Untererthal, Völkersleier und Westheim, insgesamt 26, kamen um 11.26 U h r dort an. Sie wurden von Würzburg aus nach Osteuropa deportiert. 5 1 9 N o c h im Angesicht der bevorstehenden Deportation und Ermordung waren die Betroffenen mit dem bürokratischen Übereifer der Finanzverwaltung konfrontiert, der sich in Unterfranken in besonders zynischen Handlungsanweisungen manifestierte: Kurz vor der totalen Ausplünderung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung im Zuge der Deportationen in die Todeslager hatte die Zollfahndung Würzburg eindringlich darauf hingewiesen, dass die „Abzuschiebenden" immer wieder versuchen würden, Geld in den „Osten" zu schmuggeln. Es gebe Verstecke wie Blindenstöcke oder Damenbinden. Hierbei handele es sich um einen Verstoß gegen die Devisengesetzge-
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S o k a m es zu privaten Treffen mit d e m L e i t e r der D e v i s e n s t e l l e ; T a g e b u c h e i n t r a g Vogels v o m 2 2 . 2. 1938; S t A W / G a u M a i n f r a n k e n / 7 3 . R u n d s c h r e i b e n des stellvertretenden G a u l e i t e r s an die Kreisleiter und K r e i s w i r t s c h a f t s b e r a t e r v o m 4. 1. 1 9 3 9 und V e r f ü g u n g des O F P W ü r z b u r g v o m 31. 12. 1938; S t A W / Staatsanwaltschaft W ü r z b u r g / 5 5 8 / I I .
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V o r l a d u n g Vogels am 2 6 . 9. 1950; S t A W / L R A W ü r z b u r g / 5 5 8 / I .
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V g l . die z a h l r e i c h e n A u s s a g e n in dem „ A r i s i e r u n g s p r o z e s s " in U n t e r f r a n k e n ; ebd. N o t i z der G e s t a p o v o m 13. 10. 1 9 4 1 ; S t A W / G e s t a p o / 3 4 6 ; N o t i z der W B I V v o m 19. 6. 1958; S t A W / W B I V / N / 2 2 0 . A u f s t e l l u n g der G e s t a p o ; S t A W / G e s t a p o / 1 8 8 7 6 .
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Viertes Kapitel: Finanzverwaltung
und
Judenverfolgung
bung. D i e G e s t a p o solle ihre B e a m t e n entsprechend in K e n n t n i s setzen. 5 2 0 Bereits vorher hatten die Betroffenen, die die K o s t e n für die D e p o r t a t i o n selbst zu tragen hatten, bei der Devisenstelle u m eine entsprechende E r h ö h u n g der Freibeträge nachsuchen müssen. 5 2 1 M i t dem Begriffspaar Interaktion und Eskalation lässt sich die Verfolgungspraxis der Finanzverwaltung bei der „Arisierung" und D e p o r t a t i o n nach 1937 treffend charakterisieren. Auswirkungen auf die Entziehungspraxis des Fiskus hatte das Verhältnis zu den Gauleitern der N S D A P , das oftmals eine zusätzliche Verschärfung im antisemitischen Vorgehen zur F o l g e hatte. M i t B l i c k auf die n o c h vorhandenen Vermögenswerte begann ein regelrechter Bereicherungswettlauf, der aufgrund der eigenmächtigen Vorgehensweise der Gauleiter stark regionalspezifisch geprägt war: W ä h r e n d in U n t e r f r a n k e n die gemeinsame E i n b i n d u n g der N S D A P und Finanzverwaltung in personelle N e t z w e r k s t r u k t u r e n die Tragfähigkeit regionaler Kooperationsgeflechte bei der wirtschaftlichen Verfolgung bestätigt, ist in M ü n c h e n - neben durchaus vorhandener Zusammenarbeit im Einzelfall - von einer konfliktfreien K o e x i s t e n z auszugehen. In N ü r n b e r g prägten hingegen polykratische Konfliktstrukturen und kumulative Radikalisierungstendenzen das spannungsreiche Verhältnis zwischen Fiskus und Gauleitung. Kompetenzstreitigkeiten zwischen Devisenfahndungsamt und Reichsfinanzministerium und die daraus resultierende Verschärfung der Verfolgung spiegelten sich dort auf regionaler E b e n e wider. D i e neuen Interaktionsmuster mit den anderen an der „Arisierung" beteiligten Institutionen hatten erhebliche Auswirkungen auf die Entziehungspraxis der B e a m t e n . I m m e r deutlicher tritt die Tendenz zutage, den eigenen K o m petenzbereich weit über den gesetzlichen R a h m e n zur Verfolgung antisemitischer Zielsetzungen auszuweiten und den Verfolgungsprozess zu verschärfen. D i e explizit antisemitischen Äußerungen von Finanzbeamten verweisen darüber hinaus auf die breite Adaption der ideologischen Zielvorgaben des Regimes. Auffallend ist die zunehmende Ausdehnung der Handlungsspielräume in den J a h r e n 1940 und 1941, in denen die v o l l k o m m e n e Rechtlosigkeit und Verarmung der jüdischen Bevölkerung in B a y e r n in den Sammellagern der Partei und Gestapo und schließlich in den K o n z e n t r a t i o n s - und Vernichtungslagern ihren Abschluss gefunden hatte. Ihr endgültiger Ausschluss aus der „Volksgemeinschaft" und die daraus resultierende vogelfreie Rechtsstellung hatte spätestens jetzt Eingang in die b ü r o kratischen R o u t i n e n gefunden. Hält man sich noch einmal die T h e s e E r n s t F r a e n kels von der inneren Anpassung des Normenstaats an den Maßnahmenstaat durch ständige Ausdehnung von Ermessensspielräumen vor Augen, so bestätigt die R o l l e der Finanzverwaltung bei der „Arisierung" diesen Transformationsproz e s s . 5 2 2 E r lässt sich aber nur in Teilbereichen beobachten, vor Generalisierungen ist Vorsicht geboten. In anderen K o n t e x t e n , etwa der Einziehung von Sondersteuern und A b g a b e n oder der H a n d h a b u n g von Sicherungserlassen, erfolgte die fiskalische Enteignung innerhalb der Kontinuitäten administrativer Spielregeln, die
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Schreiben der Zollfahndungszweigstelle Würzburg an die Gestapo vom 3 0 . 3 . 1942; StAW/Gestapo/18876. Schreiben der Israelitischen Kultusgemeinde an die Devisenstelle vom 29. 3. 1942; ebd. Ebd.
III. Die systematische
241
„Ausschaltung"
sich v o m V o r g e h e n der r e g i o n a l e n P a r t e i g l i e d e r u n g e n bei d e r w i r t s c h a f t l i c h e n Verfolgung unterschieden. E s w ä r e j e d o c h f a l s c h , der E n t z i e h u n g s p r a x i s des F i s k u s n u r d e n b l i n d e n A k t i o n i s m u s der N S D A P e n t g e g e n s t e l l e n zu w o l l e n . I n s g e s a m t w a r die w i r t s c h a f t l i c h e V e r f o l g u n g in i h r e r z w e i t e n P h a s e e i n e m a d m i n i s t r a t i v e n S c h u b u n t e r w o r f e n . A u c h die P a r t e i b e g a n n , mit u n t e r s c h i e d l i c h e r A u s p r ä g u n g , in d e n drei U n t e r s u c h u n g s r ä u m e n z u n e h m e n d p r o f e s s i o n e l l e r u n d s y s t e m a t i s c h e r auf das V e r m ö g e n d e r J u d e n z u r ü c k z u g r e i f e n , w a s sich n e b e n d e m G a u w i r t s c h a f t s b e r a t e r u n d d e m im Z u s a m m e n h a n g m i t d e r w i r t s c h a f t l i c h e n V e r f o l g u n g n u r w e n i g b e a c h t e t e n riesigen A p p a r a t d e r D A F v o r a l l e m in v o n d e n G a u l e i t e r n g e s c h a f f e n e n S o n d e r e i n r i c h t u n g e n f ü r die „ A r i s i e r u n g " m a n i f e s t i e r t e . U m s o e r s t a u n l i c h e r e r s c h e i n t die F ä h i g k e i t d e r F i n a n z v e r w a l t u n g , sich l e t z t l i c h in allen F ä l l e n gegen a n d e r s l a u t e n d e I n t e r e s s e n d e r ü b r i g e n S t a a t s - u n d P a r t e i s t e l l e n d u r c h z u s e t z e n , sei es a u f d e m W e g e des K o n f l i k t a u s t r a g s o d e r d e r K o o p e r a t i o n . In d i e s e m Z u s a m m e n h a n g ist n o c h e i n m a l auf die B e d e u t u n g e i n g e s p i e l t e r R o u t i n e n zu v e r w e i s e n . I h r e w e i t g e h e n d e B e i b e h a l t u n g e r m ö g l i c h t e d e r M i n i s t e r i a l b ü r o k r a t i e , die A u s p l ü n d e r u n g d e r J u d e n d e r z e n t r a l e n S t e u e r u n g zu u n t e r w e r f e n u n d s e l b s t d e n g r ö ß t e n m o n e tären G e w i n n aus i h r z u z i e h e n . D e n K o n t i n u i t ä t e n der V e r f a h r e n s w e i s e n s t e h t die d r a s t i s c h e V e r s c h i e b u n g der z u g r u n d e l i e g e n d e n N o r m e n g e g e n ü b e r . F ü r e i n z e l n e B e a m t e m a g das F o r t w i r k e n r e c h t s s t a a t l i c h e r T r a d i t i o n e n zu K o n f l i k t e n g e f ü h r t h a b e n . I m G a n z e n g e s e h e n ist die A d a p t i o n i d e o l o g i s c h e r H a n d l u n g s o r i e n t i e r u n g e n
a b e r b e r e i t s ab 1 9 3 3
zu
b e o b a c h t e n . N i c h t d e r S c h u t z v o n M i n d e r h e i t e n , s o n d e r n das I n t e r e s s e an d e r steuerlichen
Leistungsfähigkeit
beziehungsweise
Z i e l v o r g a b e n w a r e n a u s s c h l a g g e b e n d , w e n n sich
konkurrierende fiskalische
ideologische
Praktiken zugunsten
d e r B e t r o f f e n e n a u s w i r k t e n . I m G l e i c h s c h r i t t m i t d e r V e r w i r k l i c h u n g der „ V o l k s g e m e i n s c h a f t " d u r c h die z u n e h m e n d d r a s t i s c h e S e p a r a t i o n i h r e r „ G e g n e r " v e r s c h ä r f t e n sich a u c h die V e r f o l g u n g s p r a k t i k e n
der Finanzbehörden.
Besonders
d e u t l i c h w i r d dies im J a h r 1 9 3 8 : A u c h die n u n o f f e n s i c h t l i c h e n U n r e c h t s m a ß n a h m e n s e t z t e n die B e a m t e n in allen drei U n t e r s u c h u n g s r ä u m e n w e i t g e h e n d e f f i z i e n t und ohne erkennbaren Widerstand um. D a s M i s c h u n g s v e r h ä l t n i s aus z e n t r a l e r a d m i n i s t r a t i v e r S t e u e r u n g u n d F l e x i b i l i tät d e r B e a m t e n i m U m g a n g m i t d e m N o r m e n g e r ü s t f ü h r t e , dies sei a b s c h l i e ß e n d h e r v o r g e h o b e n , n i c h t zu e i n e r w i e a u c h i m m e r g e a r t e t e n A t o m i s i e r u n g , s o n d e r n g a n z im G e g e n t e i l , zu e i n e r g l e i c h b l e i b e n d s t a r k e n S t e l l u n g der ö f f e n t l i c h e n V e r w a l t u n g bei d e r w i r t s c h a f t l i c h e n V e r f o l g u n g . F ü r die B e t r o f f e n e n w a r e n die F o l gen v e r h e e r e n d : D i e im R e i c h V e r b l i e b e n e n v e r l o r e n j e d e n H e l l e r u n d P f e n n i g , b e v o r sie d e r a r t a d m i n i s t r a t i v a b g e w i c k e l t i h r e r e i g e n e n E r m o r d u n g sehen mussten.
entgegen-
Zweiter Teil Im Netz der Verfolger
Zweiter Teil: Im Netz der Verfolger
245
Die zahlreichen Institutionen von Partei und Staat waren zweifellos M o t o r und Hauptnutznießer der Ausplünderung. Vor allem sie waren es, die das engmaschige N e t z aus Verfügungen, Verordnungen und Boykotten geknüpft und über die Betroffenen geworfen hatten. Gehalten wurde es allerdings von vielen Händen. Neben Staatsbeamten und Parteifunktionären waren zahlreiche gesellschaftliche Akteure wie Immobilienmakler, Schätzer, Versteigerer, Wirtschaftsprüfer und Kollegen direkt oder indirekt an der wirtschaftlichen Verfolgung beteiligt. Als Erwerber profitierten sie unmittelbar, als dienstleistende Vermittler oder K o n kurrenten mittelbar von der Entziehung jüdischen Vermögens. Die Frage nach grundlegenden Funktionsmechanismen des „Ausschaltungsprozesses" ist daher mit der Untersuchung von Handlungsmustern der maßgeblichen regionalen und zentralen Entscheidungsträger bei Staat und Partei nicht erschöpfend zu beantworten. Vielmehr müssen auch diejenigen Teile der Bevölkerung in den Blick genommen werden, die über keine entsprechenden administrativen oder politischen Funktionen verfügten. Nachdem bereits für einige Regionen und Kommunen des „Dritten Reiches" das Verhalten der Profiteure Gegenstand von Untersuchungen war 1 , hat unlängst G ö t z Aly die gesellschafspolitische Dimension der „Arisierung" und Ausplünderung auf eine heftig umstrittene These zugespitzt: D e r NS-Staat habe große Teile der Raubzugsbeute weitergegeben, um sich durch die Umverteilung das Wohlwollen der Bevölkerung zu sichern, und damit den Charakter einer „Gefälligkeitsdiktatur" angenommen, die sich die Zustimmung der „Volksgemeinschaft" zu erkaufen suchte. 2 An der Beteiligung und Mitwisserschaft eines Teiles der Bevölkerung an der wirtschaftlichen Verfolgung kann tatsächlich kein Zweifel bestehen. 3 Die „Ausschaltung" der Juden aus der deutschen Wirtschaft fand vor den Augen der Ö f fentlichkeit statt. Die großen gelben Schilder mit der Aufschrift „Kauft nicht bei Juden", die beim Einkauf dem Kunden die „rassische" Zugehörigkeit des Besitzers zeigten, und die ständig wachsende Anzahl jüdischer Geschäfte, die den Besitzer wechselten, und deren Produkte nun die Etikette „arisch" trugen, waren ein weithin sichtbares Zeichen der zunehmenden Isolation und Entrechtung der jüdischen Erwerbstätigen. Während mit Blick auf die Judenvernichtung bisher die Frage im Vordergrund stand, ob die Bevölkerung Kenntnis der entsprechenden Vernichtungsmaßnahmen hatte, stellt sich bei der wirtschaftlichen Verdrängung die Frage, wie die Bevölkerung auf die entsprechenden antisemitischen Maßnahmen reagierte und inwieweit sie selber in den Verfolgungsprozess einbezogen war. 4
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L i t e r a t u r ü b e r b l i c k in der E i n l e i t u n g . Aly, Volksstaat, S. 3 6 . L o n g e r i c h , „ D a v o n h a b e n wir nichts g e w u s s t ! " ; B a j o h r , V e r f o l g u n g ; B a j o h r , „ A r i s i e r u n g " in H a m b u r g . D i e D e b a t t e ü b e r die H a l t u n g der G e s e l l s c h a f t hat sich bisher in H i n b l i c k auf die J u d e n v e r f o l g u n g v. a. auf den H o l o c a u s t u n d die „ R e i c h s k r i s t a l l n a c h t " b e z o g e n ; Kershaw, M v t h o s ; B a n k i e r , M e i n u n g ; B a n k i e r , D e p t h s ; mit einer etwas anderen zeitlichen A k z e n t u i e rung und einem anderen m e t h o d i s c h e n Z u g r i f f vgl. die A u f s ä t z e v o n F r a n k B a j o h r und C h r i s t i a n e K u l l e r : B a j o h r , Skandal; K u l l e r / D r e c o l l , V o l k s z o r n .
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Zweiter Teil: Im Netz der
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D i e Bemessung des konkreten Beteiligungsgrades und die Beurteilung dahinterstehender M o t i v e ist aber mit methodischen Schwierigkeiten verbunden. 5 D i e regelmäßig verfassten Stimmungsberichte verschiedener N S - I n s t i t u t i o n e n zeichnen in A n b e t r a c h t der zentral gesteuerten und weitgehend gleichgeschalteten K o m m u n i k a t i o n s r ä u m e des NS-Staates nur sehr unscharfe Meinungsbilder der Bevölkerung. 6 Selbst wenn die Betroffenen zu W o r t kamen, wie etwa in den W i e dergutmachungsakten, wurden Lebensgeschichten zu Rechtsfällen, die im Verfahren auf anspruchsberechtigende und rechtserhebliche Geschehensabläufe zugeschnitten werden mussten. 7 Aufgrund derartiger quellentechnischer Schwierigkeiten ist bei Aussagen über die generelle Haltung der Bevölkerung zur Ausplünderung der J u d e n Zurückhaltung geboten. D i e vorliegende U n t e r s u c h u n g wählt den Einzelfall als zentralen Zugriff, w o b e i hierfür folgende Überlegungen ausschlaggebend waren. Einigermaßen zuverlässige Aussagen über das Verhalten des sozialen Umfeldes sind erstens nur biographisch anhand von Fallstudien der „Arisierung" und Ausplünderung zu treffen, die dann jeweils auch Rückschlüsse auf die Handlungsmuster der Beteiligten zulassen. 8 M i t dem primären Zugriff auf Einzelschicksale wird zweitens die wirtschaftliche Verfolgung als eine A r t Begegnungsgeschichte von jüdischen und nichtjüdischen D e u t s c h e n erkennbar, die das L e b e n beider Seiten erheblichen Veränderungen unterwerfen konnte. Im Z e n t r u m der U n t e r s u c h u n g steht damit auch die W i r k u n g der Verfolgung und - soweit möglich - die Wahrnehmung der Betroffenen, in der sich die komplexen und unüberschaubaren Interaktionsmuster der zahlreichen T ä t e r und A k t e u r e in einem Erlebniszusammenhang bündelten. A u f der Zeitachse der J a h r e 1 9 3 3 - 1 9 4 1 / 4 2 war der H e r b s t des Jahres 1938 ein entscheidender Wendepunkt. In den ersten J a h r e n der N S - H e r r s c h a f t stand vor allem die Verdrängung aus dem B e r u f im Vordergrund der wirtschaftlichen Verfolgung, entsprechend groß war die Bedeutung, die dem Verhalten von Kunden, Patienten oder Kollegen zukam. D i e vollständige Negierung der beruflichen und die flächendeckend wirksame drastische Einengung der privaten Gestaltungsmöglichkeiten durch den Staat setzte dann ab E n d e 1938 ein. 9 D u r c h die endgültige Vertreibung der J u d e n aus dem Berufsleben und die nahezu vollständige K o n t r o l l e über ihr Vermögen veränderte sich die Situation für die Betroffenen grundlegend. M i t der umfassenden
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Über allgemeine Reaktionen der Bevölkerung sind wir hauptsächlich durch die Berichterstattung der NS-Organisationen informiert; hierzu die jüngste Kritik bei Longerich, „Davon haben wir nichts gewusst!", S. 38ff. Saul Friedländer kommt noch 2006 zu dem Schluss, dass grundlegende Fragen zur Einstellung und Reaktion von Zuschauern immer noch nicht zu beantworten seien; Friedländer, Vernichtung, S. 20. Zur Quellenkritik auch an den Berichten von Exilorganisationen vgl. v. a. Longerich, „Davon haben wir nichts gewusst!", S. 23; zu anderen Interpretationen von Öffentlichkeit in Diktaturen vgl. v. a. Sabrow, Skandal. Winstel, Bedeutung, S. 201; zur Quellengattung der Wiedergutmachungsakten siehe auch Winstel, Gerechtigkeit, S. 13 ff. So auch Kratzsch, Gauwirtschaftsapparat, S. 234. Siehe hierzu Erster Teil, Viertes Kapitel, III. 1. der vorliegenden Studie.
Zweiter Teil: Im Netz der Verfolger
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A u s p l ü n d e r u n g stieg z u d e m die Zahl der N u t z n i e ß e r s t a r k an. N e b e n d e r Zahl d e r direkten Erwerber jüdischen Vermögens wuchs vor allem die Bedeutung der mitt e l b a r e n P r o f i t e u r e , die, w i e bereits a n g e d e u t e t , als S p e d i t e u r e , Versteigerer, S c h ä t z e r o d e r N o t a r e an der J u d e n v e r f o l g u n g v e r d i e n t e n . In d e r Zeit v o n 1938/39 bis 1941 ist i h r e B e t e i l i g u n g d e s h a l b v o n b e s o n d e r e m Interesse. D i e B e t r o f f e n e n s a h e n i h r e r A u s p l ü n d e r u n g u n d S t i g m a t i s i e r u n g nicht t a t e n l o s zu, viele F ä l l e sind ü b e r l i e f e n , in d e n e n sie sich g e g e n ihre V e r f o l g u n g v e h e m e n t z u r W e h r setzten. A b s c h l i e ß e n d soll d a h e r d e u t l i c h g e m a c h t w e r d e n , dass die Verf o l g t e n i m m e r a u c h A k t e u r e w a r e n , d i e mit v e r s c h i e d e n e n „ G e g e n s t r a t e g i e n " d i e W i r k u n g der Verfolgung zu umgehen und abzumindern trachteten.
Erstes Kapitel: Die Verdrängung aus dem Beruf 1933-1938/39 I. Der ländliche Bereich: Die „Ausschaltung" jüdischer Viehhändler Die heikle Situation der jüdischen B e v ö l k e r u n g in ländlichen R e g i o n e n am Vorabend und w ä h r e n d des „Dritten Reiches" ist bereits Gegenstand mehrerer einschlägiger Studien. Die fehlende A n o n y m i t ä t der Großstadt u n d der besondere A l l m a c h t s a n s p r u c h der Partei, der in der Enge der dörflichen U m g e b u n g den D r u c k zu k o n f o r m e m H a n d e l n vergrößerte, begünstigten, so die mehrfach geäußerte These, von N S D A P - F u n k t i o n ä r e n vorangetriebene U b e r g r i f f e gegen J u d e n . Körperliche G e w a l t u n d B o y k o t t e w a r e n daher im ländlichen R a u m eine erfolgreiche Strategie, die Inklusion der „Volksgemeinschaft" d u r c h Exklusion ihrer Gegner v o r a n z u t r e i b e n . 1 In einem anderen Tenor w i r d hingegen das Kundenverhalten bewertet. H i e r habe Z u r ü c k h a l t u n g und partielle A b l e h n u n g gegenüber körperlicher G e w a l t gegen J u d e n vorgeherrscht. 2 Die A n a l y s e des Verhältnisses von jüdischen E r w e r b s tätigen u n d N i c h t j u d e n w a r daher auch A u s g a n g s p u n k t , u m in Anbetracht der zahlreich v o r h a n d e n e n ö k o n o m i s c h e n B e z i e h u n g e n die G r e n z e n der Durchsetz u n g s f ä h i g k e i t ideologischer Zielsetzungen in der B e v ö l k e r u n g w ä h r e n d der N S Herrschaft ausloten zu können. Vor allem z w e i zentrale A s p e k t e gelten als w e sentlich für Verhaltenstendenzen des sozialen U m f e l d s der Betroffenen: erstens konfessionelle Scheidelinien vor allem z w i s c h e n den protestantisch dominierten R e g i o n e n M i t t e l f r a n k e n s mit einem traditionell weit verbreiteten A n t i s e m i t i s m u s und d e m katholisch dominierten S ü d b a y e r n , dessen B e v ö l k e r u n g d e m „rassischen" G e d a n k e n g u t grundsätzlich skeptischer gegenüberstand 3 ; z w e i t e n s ö k o n o m i s c h e Verflechtungen, die die G r e n z e n weltanschaulicher D u r c h d r i n g u n g s kraft insofern zeigen, als die monetären Interessen an einem intakten jüdischen H a n d e l s l e b e n häufig zu langanhaltenden B e z i e h u n g e n von jüdischem H ä n d l e r u n d nichtjüdischem Kunden auch weit über die Zäsur von 1933 hinaus führten. 4 Als Gradmesser für die S t i m m u n g s l a g e gegenüber J u d e n in den ländlichen Gemeinden B a y e r n s bietet sich die Erwerbssparte des Viehhandels besonders an. In S ü d d e u t s c h l a n d w a r die Konzentration der jüdischen B e v ö l k e r u n g in den länd-
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Zu diesem Prozess allgemein H o f f m a n n , Verfolgung, S. 379; Wildt, G e w a l t p o l i t i k , S. 25 und 30 f.; Reichardt, K a m p f b ü n d e ; ders., Vergemeinschaftung. Wildt, G e w a l t p o l i t i k , S. 37; P l u m , Wirtschaft, S. 292. Kershaw, A n t i s e m i t i s m u s , S. 310; z u r B e d e u t u n g der konfessionellen P r ä g u n g beim W a h l verhalten siehe Falter, Wähler, S. 169 ff. W i e s e m a n n , J u d e n auf d e m Lande, S. 389; Kershaw, A n t i s e m i t i s m u s , S. 298f.; aber auch Maurer, die die intakten privaten B e z i e h u n g e n über die Zäsur von 1933 hinweg betont; Maurer, Kunden, S. 154ff.
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liehen G e m e i n d e n auffallend hoch. R u n d ein Fünftel der jüdischen Bevölkerung im R e i c h lebte in kleinen Städten oder D ö r f e r n . 5 D i e dominierende B r a n c h e für jüdische Erwerbstätige war vielerorts der Viehhandel. D i e s galt nicht nur für das berufliche Profil innerhalb der jüdischen Bevölkerung, vielfach waren jüdische H ä n d l e r die einzigen A b n e h m e r und Verkäufer von Vieh überhaupt. S c h o n aufgrund ihrer hohen Anzahl in einigen bayerischen R e g i o n e n kam ihnen durch die zahlreichen K o n t a k t e mit den B a u e r n der U m g e b u n g eine A r t M i t t lerfunktion zwischen der häufig isolierten jüdischen G e m e i n d e und der nichtjüdischen B e v ö l k e r u n g zu. 6 Ö k o n o m i s c h bedingte Berührungspunkte ergaben sich darüber hinaus wegen der erforderlichen Spezialkenntnisse bei der Schächtung, die nicht nur bei der jüdischen G e m e i n d e als nahezu unersetzlich galten. A u c h die nichtjüdischen Landwirte schätzten das besonders geschulte A u g e jüdischer E r werbstätiger bei der Qualitätsprüfung des Fleisches. 7 Gleichzeitig gerät mit den Viehhändlern eine G r u p p e jüdischer Erwerbstätiger in den Blick, die durch ihren durchschnittlich geringen Verdienst zu den mittleren bis unteren E i n k o m m e n s s c h i c h t e n gehörten. E i n e deutlich spürbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage hatte für sie bereits im J a h r 1927 eingesetzt, als sich eine Agrarkrise durch anhaltend schlechte E r n t e n und einen zunehmenden Preisverfall für Fleisch ankündigte. N a c h einer kurzen E r h o l u n g sanken die Preise ab 1929 unter das Vorkriegsniveau von 1913 ab. O b g l e i c h die Krise aus einer Ü b e r p r o d u k t i o n resultierte, senkten die Landwirte mit ihren meist vorkapitalistischen B e t r i e b s f o r m e n das Produktionsniveau nicht. Entsprechend h o c h verschuldet waren viele Betriebe E n d e der 1920er J a h r e . D i e Gesamtverschuldung der deutschen Landwirtschaft lag 1928 bei 11,5 Milliarden R e i c h s m a r k . 8 D u r c h die U b e r s c h u l d u n g und mit dem rapiden Verfall der Fleischpreise sank die Zahlungsmoral der Bauern, was wiederum zu Zahlungsunfähigkeiten und Insolvenzen bei den Viehhändlern führen konnte. D i e jüdischen Viehhändler, die neben der allgemein schwierigen wirtschaftlichen Situation auch n o c h gegen die zunehmenden antisemitischen Pressekampagnen und B o y k o t t e Anfang der 1930er J a h r e zu kämpfen hatten, waren von dieser E n t w i c k l u n g in besonderem M a ß e betroffen. 9
1. Die unterfränkische
Region
D i e an die Städte Bad Kissingen und H a m m e l b u r g angrenzenden G e m e i n d e n repräsentieren eine bayerische R e g i o n mit einer außergewöhnlich hohen D i c h t e jüdischer Gewerbetreibender, deren hauptsächliches Betätigungsfeld der Viehhandel war. 1 0 D e r K o n z e n t r a t i o n auf diesen E r w e r b s b e r e i c h entsprechend waren zahlreiche jüdische Viehhändler mit wirtschaftlichen P r o b l e m e n konfrontiert.
5 Maurer, Alltag, S. 348.