Geschichtliche Voraussetzungen für die Entstehung der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands [Reprint 2021 ed.] 9783112537985, 9783112537978


160 28 2MB

German Pages 34 [37] Year 1963

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Geschichtliche Voraussetzungen für die Entstehung der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands [Reprint 2021 ed.]
 9783112537985, 9783112537978

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

D E U T S C H E A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N VORTRÄGE U N D

SCHRIFTEN

H E F T 76

HEINZ

HEITZER

GESCHICHTLICHE VORAUSSETZUNGEN FÜR D I E ENTSTEHUNG DER SOZIALISTISCHEN EINHEITSPARTEI DEUTSCHLANDS

AKAD E M I E - V E R LAG 1962



BERLIN

Vortrag, gehalten am 27. April 1961 auf der Plenartagung des Instituts für Geschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Straße 3 — 4 Copyright 1962 by Akademie-Verlag G m b H Lizenznummer: 202 • 100/202/62 Gesamtherstellung: Druckhaus „Maxim Corki", Altenburg Bestellnummer: 2003/76 • E S 14 E • Preis: DM 2,50

I. Die E n t s t e h u n g der S E D — Teil eines w e l t u m s p a n n e n d e n Prozesses Die Entstehung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands ist ein Teil eines großen weltumspannenden Prozesses. Als der VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale im Sommer 1935 dazu aufrief, die Einheitsfront der Arbeiterklasse als Kern einer breiten Volksfront gegen Faschismus und Krieg zu schaffen, zog er die Schlußfolgerungen aus den Erfahrungen der Arbeiterbewegung in Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien und sprach aus, was Millionen von Werktätigen in vielen Ländern der Welt fühlten und erstrebten. Der verstärkte Kampf und die erhöhte Bereitschaft für die Einheit der Arbeiterbewegung Anfang der dreißiger Jahre und besonders während des zweiten Weltkrieges und unmittelbar danach waren eine internationale Erscheinung. Das äußerte sich besonders im gemeinsamen Vorgehen von Kommunisten und Sozialdemokraten. Fast in allen europäischen Ländern schlössen die kommunistische und sozialdemokratische Partei Bündnisse ab. Selbst notorische Antikommunisten wie Saragat und Mollet schworen damals der geeinten Arbeiterklasse die Treue. In einigen Ländern kam es auf Initiative der Kommunisten zu festen Vereinbarungen. Die Aktionseinheit der Arbeiterklasse und die Volksfront wurden in Spanien und Frankreich Wirklichkeit. Im Mai 1944 schlössen sich die Kommunistische und die Sozialdemokratische Partei Rumäniens zur festen Einheitsfront zusammen. Im November 1946 trafen die Polnische Sozialistische Partei und die Polnische Arbeiterpartei ein Abkommen über die Aktionseinheit. Ein Jahr später bildeten die Kommunistische und die Sozialistische Partei Italiens einen gemeinsamen Wahlblock. In den europäischen Ländern, die aus dem kapitalistischen Weltsystem ausbrachen, fand in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg die Aktionseinheit ihre Krönung in der politischen Einheit der Arbeiterbewegung. In den beim kapitalistischen Weltsystem verbliebenen Ländern wurde dagegen die Einheitsfront der Arbeiterklasse von den rechten Führern der Parteien der II. Internationale wieder gesprengt. Mit Hilfe der Saragat und Mollet vertiefte das Monopolkapital die Kluft zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten erneut. Die Kommunisten und mit ihnen die klassenbewußten Sozialdemokral»

4

I. Die Entstehung der SED

teil lassen sich jedoch von dem festen Kurs auf die Einheit der Arbeiterbewegung nicht abbringen. Sie kämpfen in der Gewißheit, daß sich der Strom zur Einheit auf die Dauer nicht aufhalten läßt. Und in der Tat: Gegenwärtig, da der Weltimperialismus in eine neue Etappe seiner allgemeinen Krise eingetreten ist, zeichnet sich ein neuer, mächtiger Aufschwung der Einheitsbewegung der Arbeiterklasse ab. In Japan und Belgien, in Chile und Brasilien, in Dänemark und in Frankreich kämpfen Kommunisten und Sozialdemokraten, parteilose und christliche Arbeiter Seite an Seite. Gleichzeitig verstärken sich die Krisensymptome in den sozialdemokratischen Parteien. Rechtsopportunisten, die bisher gewöhnlich mit liberalen Kreisen der Bourgeoisie zu paktieren pflegten, biedern sich immer unverhüllter bei den reaktionärsten Gruppen der Bourgeoisie an und werfen diesen zuliebe jede sozialistische Verkleidung, den letzten Uberrest sozialistischer Tradition über Bord. Andererseits gewinnen unter den Sozialdemokraten linkssozialistische Gruppen bzw. Strömungen, Journale und Organisationen, die sich „linkssozialistisch" nennen, immer mehr Ansehen und Gewicht. In Frankreich, Österreich, Finnland und anderen Ländern sind linkssozialistische Parteien entstanden, die in verschiedenen Fragen die Politik der Rechtssozialisten ablehnen und bekämpfen. Links orientiert sind die sozialistischen Parteien Chiles, Ekuadors und Uruguays. Unter dem Einfluß der nach links neigenden Sozialistischen Partei Japans steht die Mehrheit der fast 4 Millionen Mitglieder des größten japanischen Gewerkschaftsbundes, des SOHYO. Die Haltung dieser Parteien, Gruppen und Organisationen widerspiegelt die Bereitschaft und oft auch den Drang der Arbeiter zur Einheit. In der Moskauer Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien vom November 1960 heißt es hierzu: „Es wachsen die Kräfte, die für gemeinsame Aktionen der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen im Kampf um Frieden, Demokratie und sozialen Fortschritt eintreten. Die überwältigende Mehrheit der sozialdemokratischen Parteimitglieder, besonders die Arbeiter, sind Anhänger des Friedens und des sozialen Fortschritts." 1 Die Probleme der Einheitsfront der Arbeiterklasse sind somit in erster Linie nicht historischer Natur, sondern Fragen der praktischen, gegenwärtigen Politik, Lebensfragen für die internationale Arbeiterbewegung, ja, für die Menschheit. Die Antwort auf die Frage, was eine einheitlich handelnde 1

Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien. In: „Einheit", 15. Jg., 1960, H. 12, S. 1818.

I. Die Entstehimg der SED

5

Arbeiterklasse, eine einheitliche revolutionäre Partei der Arbeiterklasse vermag, auf die Frage, wie sich Sozialdemokraten und Kommunisten zusammenschließen können, ist für Millionen Menschen wichtig zu wissen. Wir sind den Weg zur Einheit schon gegangen und sind denen, die ihn noch suchen, Rechenschaft und Antwort schuldig. Die historischen Voraussetzungen für die erhöhte Bereitschaft und das Streben der Arbeiterklasse zur Einheit sind heute zum Teil andere als in den dreißiger und vierziger Jahren. Damals war. es vor allem der gemeinsame antifaschistische Kampf, der die Arbeiter zur Einheitsfront zusammenschloß. „Der Sieg des Faschismus und die Zerschlagung der Arbeiterbewegung und der demokratischen Bewegung in einer Anzahl von Ländern Europas während der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts", schreibt der österreichische Kommunist Erwin Scharf, „erwiesen sich gleichsam als ein Blitzstrahl, bei dessen Licht viele Werktätige erkannten, daß die antikommunistische und antisowjetische Politik der rechten Führer der internationalen Sozialdemokratie eine tödliche Gefahr für die Arbeiterklasse war, weil sie zu deren Spaltung angesichts der faschistischen Gefahr geführt hatte. Die Erkenntnis der den sozialistischen Idealen treu gebliebenen Sozialdemokraten, daß sie Fehler begangen haben, das heroische Verhalten der Kommunisten in den Kämpfen gegen den Faschismus, die gemeinsamen Interessen im demokratischen Kampf - das alles hat dazu geführt, daß die Kommunisten und die Sozialdemokraten während des zweiten Weltkrieges fast in allen Ländern Europas - und in einigen Staaten auch vor dem Krieg - gemeinsam vorgingen." 2 Der Zusammenschluß der Arbeiter war der Gegenschlag auf die Offensive der reaktionärsten Kräfte des Monopolkapitals. Im gemeinsamen Kampf gegen die Reaktion formierte sich die Einheitsfront der Arbeiter. Angespornt wurde die Einheitsbewegung durch den erfolgreichen Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion und vor allem durch die Heldentaten der Sowjetvölker im Kampf gegen den Hauptfeind der friedliebenden Menschheit, den räuberischen deutschen Faschismus. Heute sind es vor allem die stürmische Entwicklung des sozialistischen Weltsystems und die Erfolge der kommunistischen Parteien, die der Einheitsbewegung der Arbeiterklasse mächtige Impulse verleihen. Dazu kommt, daß der antagonistische Charakter der Beziehungen zwischen Bour2

S c h a r f , E r w i n : Die Rolle der Linkssozialisten in der Arbeiterbewegung. In: „Probleme des Friedens und des Sozialismus", 4. Jg., 1960, H. 10, S. 54 f.

6

I. Die Entstehung der SED

geoisie und Proletariat, den die Bourgeoisie und ihre rechtsopportunistischen Gefolgsleute lange Zeit - vor allem in Perioden der Prosperität mit gewissem Erfolg verwischten, mit dem Eintritt des Imperialismus in eine neue Etappe seiner allgemeinen Krise profilierter zutage tritt. Die eigenen Erfahrungen der Arbeiter im Klassenkampf bringen diese immer häufiger in offenen Gegensatz zum einheitsfeindlichen, antikommunistischen Kurs rechtssozialistischer Führer. Viele Arbeiter beginnen zu erkennen, daß die Kommunisten mit ihrer Forderung, über alles Trennende hinweg die Einheitsfront der Arbeiterklasse herzustellen, recht haben. Die besonderen Ursachen für den Aufschwung der Einheitsbewegung in unseren Tagen führen uns zu der allgemeinen Gesetzmäßigkeit, die auch der Einheitsbewegung in den dreißiger und vierziger Jahren zugrunde lag: Der gesetzmäßige Obergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, der eingeleitet wurde durch die Große Sozialistische Oktoberrevolution, war und ist der Boden, auf dem die Einheitsbewegung der Arbeiterklasse erwuchs und weiter gedeiht. Um ihre historische Mission zu erfüllen und die Gesetzmäßigkeit des Ubergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus zu vollstrecken, muß die Arbeiterklasse einig sein, muß sie in revolutionärem Geist einheitlich handeln. Die Einheit der Arbeiterklasse ist ebenso gesetzmäßig und notwendig wie der Ubergang vom Kapitalismus zum Sozialismus. Sie ist zugleich dessen Folge und Voraussetzung. Jedoch wäre es falsch, daraus den Schluß zu ziehen, daß die Entstehung der Arbeitereinheitsfront in gradliniger, glatt ablaufender Prozeß sei, der sich sozusagen im Selbstlauf vollziehe. Die antikommunistische Hetze ist tief in das Bewußtsein von vielen Werktätigen, besonders von Sozialdemokraten, eingedrungen. Es gibt Rückfälle und Niederlagen. Immer wieder gelingt es der Bourgeoisie und ihren rechtssozialistischen Handlangern, die Arbeiter in den kapitalistischen Ländern erneut zu zersplittern, die Kluft zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten erneut aufzureißen. Wie die historische Erfahrung lehrt, sind die Grundlagen für die Spaltung und Zersplitterung der Arbeiterbewegung erst dann völlig und endgültig beseitigt, wenn die Wurzeln des Opportunismus beseitigt sind. Solange das imperialistische System besteht, wirken außerordentlich starke Kräfte gegen die Einheit der Arbeiterbewegung, sind Gegenkräfte am Werk, deren Druck und Einfluß nur in einem erbitterten, langwierigen, beharrlichen Kampf paralysiert und zurückgedrängt werden kann. Uberblickt man den Kampf um die Einheit der Arbeiterbewegung seit dem Beginn unseres Jahrhunderts, so wird deutlich, daß die Erfolge gewöhnlich in Zeiten akuter Krisen des imperialistischen Systems am größten

1. Die Entstehung der SED

7

waren, wenn sich der Klassenkampf verschärfte und die Lebensinteressen der Arbeiter besonders stark berührt wurden, so gegen Ende und unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg, in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, während des zweiten Weltkrieges und in der ersten Nachkriegszeit, ja schließlich heute, wo das sozialistische Weltsystem zum ausschlaggebenden Faktor der Weltpolitik wird, das imperialistische Kolonialsystem zusammenbricht und die Entwicklung der allgemeinen Krise des Kapitalismus in eine neue Etappe eingetreten ist. Es ist in diesem Rahmen nicht möglich, die einzelnen Phasen oder Etappen des Kampfes u m die Einheit der Arbeiterbewegung näher zu erläutern, ihre charakteristischen Besonderheiten herauszuarbeiten, ihren Zusammenhang mit den Etappen der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems zu analysieren 3 usw. Hier soll lediglich darauf hingewiesen werden, daß in unseren Tagen besonders der gemeinsame Kampf der Arbeiter für die Erhaltung des Friedens und gegen die großen Monopole, die die Hauptschuld am Wettrüsten tragen, charakteristisch ist. Kennzeichnend ist des weiteren der Einfluß des sozialistischen Weltsystems, der auch darin zum Ausdruck kommt, daß sich immer größere Teile der Arbeiter in den nichtsozialistischen Ländern auf das sozialistische Weltsystem orientieren, die von diesem betriebene Politik billigen und unterstützen und unter Führung der kommunistischen Vorhut die Einheitsfront im Kampf gegen Krieg, Kolonialismus, soziale und politische Reaktion schaffen. Das unaufhaltsame Erstarken des sozialistischen Weltsystems und die bisherigen Fortschritte im Kampf u m die Einheitsfront der Arbeiterklasse führen uns zu der Uberzeugung, daß dieser Kampf heute von noch größeren Erfolgen gekrönt sein wird als je zuvor. Die Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands erfolgte, weltgeschichtlich betrachtet, zu Beginn der neuen Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus, die durch den zweiten Weltkrieg eingeleitet wurde. Der Zusammenschluß von Kommunisten und Sozialdemokraten in einer revolutionären Partei war damals etwas Neues, in dieser Form noch nicht Dagewesenes. Im ehemaligen Sowjetrußland hatte sich die Herausbildung der einheitlichen revolutionären Partei der Arbeiterklasse noch auf anderem Wege vollzogen. Die Partei Lenins konnte sich nicht mit der reformistischen Partei der Menschewiki vereinigen. Die Partei der Menschewiki war 3

Offenbar besteht ein solcher Zusammenhang, denn sowohl der Ausbruch der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems als auch der Beginn einer neuen Etappe dieser Krise waren bzw. sind mit einem Aufschwung der Einheitsbewegung der Arbeiterklasse verbunden.

8

I. Die Entstehung der SED

zum Instrument der Konterrevolution herabgesunken und erlitt das Schicksal der Konterrevolution. Als sich nach dem ersten Weltkrieg in einigen Ländern Gruppen der Sozialdemokratie mit den Kommunisten vereinigten, so in Deutschland der linke Flügel delr USPD mit der KPD, war das immer nur die Vereinigung von Teilen der Arbeiterbewegung. Erst nach dem zweiten Weltkrieg - von der Vereinigten Sozialistischen Partei Kataloniens, die bereits in der Zeit des Spanischen Bürgerkrieges gegründet wurde, soll hier abgesehen werden - schlössen sich die kommunistischen und die sozialdemokratischen Parteien in mehreren europäischen Ländern zu einheitlichen revolutionären Parteien der Arbeiterklasse zusammen. Wir haben es also offenkundig mit einer neuen Stufe oder Etappe der Einheitsbewegung der Arbeiterklasse zu tun, einer Etappe, die das neue Kräfteverhältnis zwischen Kapitalismus und Sozialismus widerspiegelt. Der Sozialismus begann zu einem Weltsystem zu werden. Das neue Kräfteverhältnis fand auch seinen Ausdruck in der neuen Form und Qualität der Herausbildung der einheitlichen revolutionären Partei der Arbeiterklasse.

II. Ü b e r die Notwendigkeit u n d Möglichkeit der Vereinigung v o n K o m m u n i s t e n u n d Sozialdemokraten in Deutschland Deutschland war das erste Land, in dem die organisatorische und politische Einheit der Arbeiterbewegung auf dem Wege des Zusammenschlusses von Kommunisten und Sozialdemokraten hergestellt wurde; in den europäischen volksdemokratischen Ländern geschah das erst 1948/49. Welche Gründe waren dafür maßgebend? Stefan Doernberg verneint in seiner Arbeit „Die Geburt eines neuen Deutschland" 4 mit Recht die Annahme, daß etwa in Deutschland die Bedingungen für die Herstellung der organisatorischen Einheit der Arbeiterbewegung besonders günstig gewesen wären. Im Gegenteil: In anderen Ländern bestand die Aktionseinheit der Arbeiterklasse schon früher; die reformistischen Einflüsse, ganz zu schweigen von den faschistischen, waren geringer. Auch die äußeren Hemmnisse, besonders der Druck des internationalen Monopolkapitals, hatten beispielsweise in Ungarn oder in Rumänien nicht ein solches Ausmaß wie in Deutschland. „Der Hauptunterschied zwischen Deutschland und den volksdemokratischen Ländern Europas", schreibt Doernberg, „bestand darin, daß die deutsche Arbeiterklasse einen weit mächtigeren und erfahreneren Feind vor sich hatte, der sich unmittelbar auf die Hilfe des amerikanischen, englischen und französischen Monopolkapitals stützen konnte. Außerdem hatte die revolutionär-demokratische Bewegung in Deutschland nicht jenen zusätzlichen starken Auftrieb erhalten, den sie in den volksdemokratischen Ländern durch die nationale Befreiungsbewegung erfahren hatte. Auch die Tatsache, daß der Bauernbewegung in Deutschland auf Grund der unterschiedlichen sozialökonomischen Struktur nicht ganz jenes Gewicht in der Gesamtbewegung zukam wie in den volksdemokratischen Ländern, mußte sich auswirken. Diese ungünstigeren Umstände für die revolutionäre Bewegung in Deutschland", so schlußfolgert Doernberg, „konnten nur durch eine Zusammenfassung aller Kräfte der Arbeiterklasse wettgemacht werden. Deshalb ergab sich in Deutschland die zwingende Notwendigkeit, bereits in der Etappe der anti4

D o e r n b e r g , S t e f a n , Die Geburt eines neuen Deutschland 1945—1949. Berlin 1959, S. 7 6 - 7 8 .

10

II. Notwendigkeit und Möglichkeit der Vereinigung

faschistisch-demokratischen Revolution eine machtvolle einheitliche politische Organisation der Arbeiterklasse zu schaffen." 0 W a s nun die Möglichkeiten für eine rasche Vereinigung betrifft, so wird hier meist auf die langjährigen revolutionären Traditionen und großen Erfahrungen der deutschen Arbeiterklasse sowie darauf verwiesen, daß der Einfluß der einheitsfeindlichen reformistischen Kräfte zeitweilig zurückgedrängt war. Damit ist jedoch noch nicht erklärt, wie es in so kurzer Zeit möglich war, den Schritt von der Aktionseinheit zur organisatorischen Einheit zu gehen - und dies trotz mächtiger Gegenkräfte und obwohl das Klassenbewußtsein großer Teile der deutschen Arbeiter verschüttet war, obwohl viele mutlos geworden waren und pessimistisch in die Zukunft blickten, obwohl Tausende der Wertvollsten und Besten dem Wüten der faschistischen Bestie erlegen waren, und dies trotz des tiefeingewurzelten Reformismus bei vielen Sozialdemokraten, trotz der sektiererischen Vorbehalte bei manchen Kommunisten und obwohl zahlreiche junge, politisch unerfahrene Menschen der neugegründeten K P D und S P D beigetreten waren. Diese außerordentlich erschwerenden Umstände konnten nur wettgemacht werden durch die zielklare, meisterhafte Politik des Z K der K P D und die Bereitschaft führender Sozialdemokraten zur Einheit, durch den unermüdlichen, opfervollen Einsatz der kampfgestählten kommunistischen Kader und der klassenbewußten Sozialdemokraten. Uber diese Frage

-

die entscheidende Rolle der revolutionären Führung - wird noch ausführlich zu sprechen sein. Zunächst soll jedoch eine andere Seite des Problems beleuchtet werden: die Rolle der objektiven historischen Umstände, mit denen sich die Menschen auseinandersetzen mußten und unter deren Einfluß sich ihr Bewußtsein veränderte. Anders ausgedrückt: Es muß objektive Faktoren gegeben haben, die die Bewußtseinsentwicklung, vor allem der organisierten Vorhut, gewaltig beschleunigten. Es müssen Ereignisse eingetreten sein, die den Menschen, besonders den

fortgeschrittensten

Werktätigen, solche intensiven und fruchtbaren Erfahrungen vermittelten, daß die Bereitschaft und der Wille, die Spaltung der Arbeiterbewegung zu überwinden, zur bergeversetzenden Kraft wurden. Diese Ereignisse und Erfahrungen hat es auch tatsächlich gegeben. Am Anfang stand das überaus tiefe und schmerzhafte Erlebnis der nationalen Katastrophe. Weite Teile Deutschlands waren verwüstet, viele Städte und Dörfer zerstört, Millionen Menschen umgekommen, Hunderttausende obdachlos. Deutschland war besetzt von den Heeren der Anti-Hitler-Koali6

Ebenda, S. 77.

II. Notwendigkeit und Möglichkeit der Vereinigung

11

tion. Dazu kam bei vielen die Scham über das, was Deutsche anderen Völkern angetan hatten, Scham auch wegen der Versäumnisse und Fehler der Vergangenheit. „Die Scham ist schon eine Revolution...", schrieb der junge Marx einmal. „Scham ist eine Art Zorn, der in sich gekehrte. Und wenn eine ganze Nation sich wirklich schämte, so wäre sie der Löwe, der sich zum Sprunge in sich zurückzieht."6 Das Ergebnis der Politik jener Kräfte, die Deutschland bisher beherrscht hatten, lag vor aller Augen. Und große Teile des deutschen Volkes, besonders der Arbeiterklasse, sahen auch klarer als je zuvor den inneren Zusammenhang zwischen Krieg, Reaktion, nationaler Katastrophe und der fehlenden Einheit der Arbeiterbewegung. Noch im Banne dear grauenhaften zwölf Jahre Nazidiktatur führten viele Arbeiter den Triumph der Reaktion in erster Linie auf die Spaltung der Arbeiterbewegung zurück. Die schmerzliche Erfahrung des Faschismus, die gemeinsam erduldeten Leiden und der gemeinsame Kampf gegen die Nazis hatten Kommunisten und Sozialdemokraten gerade in Deutschland die Notwendigkeit der Einheit zwingend und nachhaltig vor Augen geführt. Der feste Wille, nie wieder einen Faschismus zuzulassen, wurde geradezu identisch mit der Bereitschaft und dem Drang zur Einheit der Arbeiterbewegung. Mancher von uns kann das sicher aus seinen persönlichen Erfahrungen bestätigen. Bei den meisten, die damals mit heißem Herzen die Einheit erstrebten, war nicht eine festgegründete wissenschaftliche Weltanschauung der Nährboden, aus dem dieser Wille erwuchs. Auch das sozialistische Endziel war vielfach noch nicht bestimmend. Der entscheidende Antrieb war der leidenschaftliche, tiefe Antifaschismus, war der Wille, den Faschismus für immer auszurotten. „Die blutige Lehre der 12jährigen Hitlerdiktatur... heißt für alle schaffenden Männer und Frauen eindeutig: Einigkeit - Einheit! Und nie wieder Spaltung und Bruderkampf!" heißt es im Aktionsprogramm der Vertreter der Kommunisten und Sozialdemokraten Hamburgs vom 24. Juli 1945. 7 „Immer wieder haben wir in den Kriegsgefangenenlagern Frankreichs zusammengesessen", schrieben antifaschistische ehemalige deutsche Kriegsgefangene in Frankreich an das Zentralorgan der SED „Neues Deutschland", „und wurden uns klar darüber, daß es nur eines geben kann, die abermalige Vernichtung demokratischer Grundsätze zu verhindern, die abermalige Zusammenballung reaktionärer Kräfte für kapita1

7

M a r x an R ü g e im März 1843. In: Marx/Engels, Ausgewählte Briefe. Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 15. Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Dietz Verlag, Berlin 1959, Reihe III, Bd. 1, S. 73.

12

II. Notwendigkeit und Möglichkeit der Vereinigung

listisch-imperialistische Ziele zunichte zu machen, ein abermaliges Massenmorden und die endgültige Auslöschung Deutschlands im Keime zu ersticken, eines nur, nämlich: die Einheit der deutschen Arbeiterklasse!" 8 „Die Arbeiterklasse und die Werktätigen", schreibt Walter Ulbricht, „die jahrzehntelang unter dem Einfluß bürgerlicher und reformistischer Propaganda gestanden hatten und danach die nazistische Hetze über sich ergehen lassen mußten, waren sich zunächst darüber klar, daß der Faschismus mit der Wurzel ausgerottet werden mußte." 9 „Die Bereitschaft der kommunistischen und sozialdemokratischen Genossen, die Spaltung zu überwinden, war eine wesentliche Voraussetzung, um den jahrelangen Bruderzwist endgültig zu beseitigen. Die Genossen hatten verstanden, daß sich die Nacht des Faschismus nur auf Grund der Uneinigkeit der Arbeiterklasse hatte ausbreiten können." 10 Der feste Wille, den Faschismus auszurotten, der gepaart war mit der Bereitschaft und dem Drang, die Einheit der Arbeiterbewegung herzustellen, war eine außerordentlich starke ideelle Triebkraft und schuf günstige Voraussetzungen für die Herbeiführung der organisatorischen Einheit. Jedoch garantierte allein dieses Streben noch nicht, daß eine revolutionäre Partei geschaffen wurde, wie sie die deutsche Arbeiterklasse brauchte, um siegen zu können. In den ersten Wochen nach dem Zusammenbruch des Faschismus äußerte sich der Wille zur Einheit vielfach in der Forderung, sofort eine einheitliche Partei der deutschen Arbeiterklasse zu bilden. Von notorischen Antikommunisten in der sozialdemokratischen Führung wurde diese Forderung mißbraucht mit dem Ziel, eine reformistische Partei unter „Einbeziehung" der Kommunisten zu schaffen, in der sie, auf Grund ihrer Routine, die Zügel in die Hand zu bekommen hofften. Das hätte bedeutet, die deutsche Arbeiterklasse erneut der von den Opportunisten verkörperten bürgerlichen Ideologie und Politik zu unterwerfen. Die Partei, die die deutsche Arbeiterklasse brauchte, mußte jedoch völlig unabhängig sein von der Bourgeoisie. Eine Partei mit verschiedenen, miteinander konkurrierenden Anschauungen und Strömungen konnte weder stabil noch fähig sein, die geradezu übermenschlichen Aufgaben zu lösen, die vor ihr standen. Wie bereits Marx und Engels nachgewiesen haben, ist die Bildung der 8

9

Zit. in: „Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung", 3. Jg., 1961, Sonderheft anläßlich des 15. Jahrestages der Gründung der SED, S. 249. U l b r i c h t , W a l t e r , Des deutschen Volkes Weg und Ziel. In: „Einheit",

14. Jg., 1959, S. 1179. 10

Ebenda, S. 1180.

II. Notwendigkeit und Möglichkeit der Vereinigung

13

einheitlichen revolutionären Partei der Arbeiterklasse keine mechanische Zusammenfügung verschiedener Parteien der Arbeiterbewegung, sondern das Ergebnis eines länger andauernden Prozesses, in dessen Verlauf die bestehenden Meinungsverschiedenheiten geklärt und die bürgerlichen Einflüsse zurückgedrängt und ausgeschaltet werden. Daher ist die Aktionseinheit der Arbeiterbewegung die notwendige Vorstufe für die einheitliche revolutionäre politische Partei der Arbeiterklasse. Die Aktionseinheit, sagte Georgij DimitrofI auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, ist „wohl möglich und notwendig, noch bevor die Mehrheit der Arbeiter sich auf der gemeinsamen Plattform des Sturzes des Kapitalismus vereinigt. Hingegen fordert die Herausbildung der Einheit der Auffassungen über die grundlegenden Wege und Ziele des Kampfes des Proletariats, ohne die die Vereinigung der Parteien nicht möglich ist, eine mehr oder weniger lange Z e i t . . . Die sofortige Vereinigung statt der Einheitsfront vorschlagen heißt, das Pferd hinter den Wagen spannen und glauben, daß der Wagen vorwärts fahren wird. Gerade weil die Frage der politischen Einheit für uns kein Manöver ist, wie für viele sozialdemokratische Führer, bestehen wir auf der Verwirklichung der Aktionseinheit als einer der wichtigsten Etappen im Kampf für die politische Einheit." 11 Dieser Weg, erst die Aktionseinheit herzustellen und im gemeinsamen Kampf die Fragen zu klären, deren Klärung für die Herbeiführung der politisch-organisatorischen Einheit unumgänglich war, hat sich auch in Deutschland als völlig richtig erwiesen. Im gemeinsamen Kampf um den Aufbau demokratischer Selbstverwaltungsorgane, bei der Bodenreform, f ü r die Entfernung von Kriegsverbrechern und aktiven Faschisten aus den Betrieben und um das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter kamen Kommunisten und Sozialdemokraten einander näher, überwanden tiefeingewurzelte Vorurteile und eigneten sich einende Erfahrungen an. Der demokratische Neuaufbau rückte zwangsläufig gerade die Fragen in den Mittelpunkt, in denen es bisher die größten Meinungsunterschiede gab, besonders die Frage der Macht. Im gemeinsamen Kampf f ü r den Aufbau demokratischer Selbstverwaltungsorgane wurde manchem Werktätigen, der bisher reformistischen Einflüssen unterlag, und auch vielen ehemals rechtssozialistischen Politikern klar, daß auch die Demokratie letztlich eine Machtfrage ist. Charakteristisch für diesen Fortschritt in der Erkenntnis ist das Auftreten von Georg Spiegel, 11

Zit. nach: P i e c k / D i m i t r o f f / T o g l i a t t i , Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben im Kampf für die Volksfront gegen Krieg und Faschismus. Berlin 1957, S. 173 f.

14

II. Notwendigkeit und Möglichkeit der Vereinigung

damals Landesvorsitzender der SPD in der Mark Brandenburg, auf dem 1. Bezirksparteitag der SPD der Mark Brandenburg Anfang November 1945. Spiegel forderte eine „Demokratie", die ein „Bollwerk gegen jene Mächte des Verfalls" sein müsse, „die nie wieder zu neuem Leben erwachen dürfen ...", daß darum „Faschismus und Militarismus ausgemerzt" werden müßten und daß die „Voraussetzung der Demokratie die Einigkeit der Arbeiterparteien" sei, „trotz mancher ideologischer Unterschiede", die noch bestünden. 12 Zahlreiche Beispiele ähnlicher Art ließen sich nennen. Dieses Umdenken, diese Annäherung an die Positionen des revolutionären Marxismus, die sich bei vielen vollzog, wäre nicht denkbar ohne die neuen Erfahrungen des gemeinsamen Kampfes. In der demokratischen Bodenreform bewährte sich die Einheitsfront der Arbeiterklasse als Einheit in der Aktion. Diese größte erfolgreiche revolutionäre Massenaktion des deutschen Volkes stärkte das Vertrauen der Arbeiter in ihre eigene Kraft, erhöhte ihr Verantwortungsbewußtsein für das Schicksal des gesamten Volkes und half das bei nicht wenigen Arbeitern noch tief eingewurzelte Sektierertum gegenüber den Bauern überwinden. Und schließlich rückte auch der Kampf gegen die Junker und aktiven Nazis auf dem Lande die Machtfrage in den Vordergrund und begünstigte deren Klärung. Karl Urban, der diese Entwicklung im Land Brandenburg untersuchte, kommt zu dem Schluß: „Der Kampf gegen die Feinde der Demokratie war die beste Schule für die Uberwindung des Opportunismus und damit der verhängnisvollen Spaltung der Arbeiterbewegung. So forcierte beispielsweise im Land Brandenburg der gemeinsame Kampf um die Bodenreform den Einheitswillen sehr stark. Andererseits wirkte sich jede Stärkung der Aktionseinheit wiederum auf die Dynamik des revolutionären Kampfes der Werktätigen aus." 13 Diese Schlußfolgerung kann ohne weiteres auch für die übrigen Länder der damaligen sowjetischen Besatzungszone verallgemeinert werden. Von besonderer Bedeutung für die Herausbildung der Sozialistischen Einheitspartei war der gemeinsame Kampf der Arbeiter in den Betrieben. In einer Arbeit über die ersten Monate des Neuaufbaus in Berlin untersucht Siegfried Thomas das Zusammenwirken von Kommunisten und Sozialdemokraten im Kampf um die Säuberung der Betriebe von aktiven Nazis, für das Wiederanlaufen der Produktion und um die Verwirklichung 12

13

Zit. nach: U r b a n , K a r l , Der Kampf um die Wiedervereinigung der Arbeiterbewegimg in der Provinz Brandenburg (Mai 1945 bis April 1946). In: „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft" (ZfG), 7. Jg., 1959, H. 7, S. 1554. Ebenda, S. 1545.

II. Notwendigkeit und Möglichkeit der Vereinigung

15

des gewerkschaftlichen Mitbestimmungsrechts. 14 „Wenn es bis Ende 1945 gelang", schreibt Thomas, „in den Betrieben die auf der ersten Großberliner Funktionärkonferenz der KPD genannten drei Aufgaben — Säuberung, Ingangsetzung der Produktion, Durchsetzung des Mitbestimmungsrechts der Werktätigen - im wesentlichen zu erfüllen, so liegt die entscheidende Ursache dafür allein in der Aktionseinheit der Arbeiterparteien begründet." 15 Gleichzeitig festigte sich die Aktionseinheit im gemeinsamen Kampf. Geradezu unübersehbar ist die Zahl der Resolutionen aus Betrieben, in denen die Einheit der Arbeiterparteien gefordert wurde. So forderten die Arbeiter des größten Werkes in der damaligen sowjetischen Besatzungszone, des Leuna-Werkes, am 18. Februar 1946 in einer Entschließung: „Nur weil wir gemeinsam marschierten, ist die Produktion in dem schwer angeschlagenen Werk in Gang gebracht worden. Und auf Grund dieser Zusammenarbeit ist das Produktionssoll nicht nur erreicht, sondern sogar um ein Bedeutendes überboten worden. Diese Erfolge der Aktionseinheit verstärken die Sehnsucht nach endgültiger Vereinigung der beiden Arbeiterparteien. Wir Sozialdemokraten und Kommunisten des Leuna-Werkes sind der Ansicht, daß schon genug von der Einheit geredet worden ist. Wir müssen jetzt die Einheit durchführen." 16 Solche Forderungen kamen nicht nur aus den Betrieben der damaligen sowjetischen Besatzungszone, sondern auch aus den Westzonen. So wurde in der Sitzung der Aktionsgemeinschaft KPD/SPD München vom 18. Dezember 1945 festgestellt: „Die Betriebe verlangen stürmisch die Einheit." 17 Diese Beispiele, die noch beliebig vermehrt werden könnten, machen deutlich, daß der Drang zur Einheit bei den Industriearbeitern, dem Kern der Arbeiterklasse, am stärksten war. Das ist eine wichtige Tatsache, deren Bedeutung manchmal unterschätzt wird. Der entscheidende Anteil der Industriearbeiterschaft an der Einheitsbewegung verlieh dem Einheitsstreben Intensität und Massencharakter. Dadurch erhöhte sich auch der Grad " T h o m a s , S i e g f r i e d , Die Rolle der Aktionseinheit zwischen KPD und SPD beim Beginn der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung und bei der Überwindung der Kriegsfolgen in Berlin (Juni bis Dezember 1945). In: ZfG, 9. Jg., 1961, H. 2, S. 373-404. 15 Ebenda, S. 394. 16 Befreites Leuna (1945—1950). Die Geschichte des Kampfes der Leuna-Arbeiter. Teil II, Berlin 1959, S. 116. 17 Zit. nach: W r o b e l , K u r t , Traditionen des Kampfes westdeutscher Arbeiter um die Aktionseinheit der Arbeiterklasse 1945/46. In: „Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung". 2. Jg., i960, H. 1, S. 62.

16

II. Notwendigkeit und Möglichkeit der Vereinigung

der Bewußtheit. In den Industriebetrieben waren die organisierten und fortgeschrittensten Arbeiter konzentriert. Auf diese Betriebe konzentrierte sich die Kommunistische Partei. In den Industriebetrieben war der erste bleibende Erfolg der Einheitsbewegung, die einheitliche Gewerkschaftsbewegung, am stärksten wirksam. Die Entwicklung des Bewußtseins der Industriearbeiter wurde nicht zuletzt dadurch gefördert, daß in der ersten Nachkriegszeit der Zusammenhang von Politik und Ökonomie geradezu mit Händen greifbar war, wodurch die Klärung insbesondere der Machtfrage begünstigt wurde. Bei der Wiederingangsetzung der Produktion begann mancher Arbeiter einzusehen, daß ein Betrieb nicht ohne Werktätige, wohl aber ohne Kapitalisten auskommen kann. Im Kampf um das Mitbestimmungsrecht und bei der politischen Säuberung der Betriebe erkannten viele Arbeiter, daß nur durch eine Veränderung der Macht- und Eigentumsverhältnisse auch ihre unmittelbaren ökonomischen und sozialen In*

teressen befriedigt werden können. „Die Einheit der Arbeiterklasse", sagte Bernard Koenen anläßlich der Konstituierung der KPD-Parteiorganisation der Leuna-Werke am 9. Oktober 1945, „muß in den Betrieben geschmiedet werden, sie muß von unten kommen. Dann wird sich der Einheitswille unaufhaltsam durchsetzen und die Einheitspartei der Arbeiterklasse Tatsache."18 Zusammenfassend kann man also sagen: Die Einheit der Arbeiterklasse wuchs und festigte sich im Kampf. „Einheitsfront heißt gemeinsamer Kampf", schrieb Walter Ulbricht in einem erst kürzlich wieder veröffentlichten Artikel vom 15. Februar 1933. Den Rechtsopportunisten, die lediglich über die Einheit redeten und sich mit dem Austüfteln irgendwelcher abstrakter Voraussetzungen und Bedingungen für die Einheit beschäftigten, hielt er entgegen: „Die Arbeiterschaft braucht keine Einheitsfrontphilosophie, sondern unmittelbar gemeinsame Kampfmaßnahmen gegen den gemeinsamen Feind.. ."19 Die Geschichte hat diese marxistisch-leninistische Erkenntnis vollauf bestätigt. Im Kampf um demokratische Selbstverwaltungsorgane bei der Bodenreform, bei der Säuberung der Betriebe von aktiven Nazis und Kriegsinteressenten erstarkte die Aktionseinheit, rückten die Fragen in den Vordergrund, die bis18 19

Befreites Leuna (1945-1950), Teil II, a. a. 0 . S. 92. U l b r i c h t , W a l t e r , Alles für die antifaschistische Einheitsfront. Zit. in: „Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung", 3. Jg., 1961, Sonderheft anläßlich des 15. Jahrestages der Gründung der SED, S. 229.

II. Notwendigkeit und Möglichkeit der Vereinigung

17

her Kommunisten und Sozialdemokraten trennten, besonders die Frage der Macht. Die theoretisch-programmatische Annäherung und Ubereinstimmung wurde erleichtert durch die praktische Annäherung und Ubereinstimmung. Die objektiven Bedingungen des Klassenkampfes waren also derart, daß Möglichkeiten für eine rasche Entwicklung des Bewußtseins der Werktätigen, besonders der organisierten Arbeiter, bestanden. Indes waren diese Möglichkeiten nur in der damaligen sowjetischen Besatzungszone in vollem Maße vorhanden. Warum? In der westdeutschen Historiographie, auch bei den rechtssozialdemokratischen Geschichtsschreibern, werden die Dinge gewöhnlich so dargestellt, als sei die Vereinigung von K P D und S P D im Osten Deutschlands von der sowjetischen Besatzungsmacht „erzwungen" worden. 20 Man könnte diese Legende von der „Zwangsvereinigung" mit der Feststellung abtun, daß es keinen einzigen Fall von Einmischung der sowjetischen Besatzungsmacht in innerparteiliche Angelegenheiten von K P D und S P D gibt. Man könnte verweisen auf das weit stärkere Wachstum der S P D im Osten, verglichen mit dem Westen Deutschlands, ein Wachstum, das nicht zuletzt auf die vielfältige Unterstützung der antifaschistischen Kräfte, darunter der Sozialdemokratie, durch die sowjetischen Besatzungsbehörden zurückzuführen war. Man könnte demgegenüber zahllose Beispiele anführen, die zeigen, wie die Tätigkeit der zur Einheit drängenden Kommunisten und Sozialdemokraten von den westlichen Besatzungsmächten behindert wurde, wie Antifaschisten, kaum dem KZ entronnen, wegen antifaschistischer Betätigung wieder ins Zuchthaus gesperrt wurden. Man könnte Bände füllen mit Beispielen über die rigorose Unterdrückung der Einheitsbewegung der Arbeiterklasse durch die westlichen Besatzungsmächte, über das Verbot von Vereinigungskomilees, über den Entzug von Lizenzen, über die ganze fortlaufende und zielgerichtete Einmischung der westlichen Imperialisten in innerparteiliche Angelegenheiten von K P D und SPD, eine Einmischung, die das Ziel verfolgte, die politische Einheit der deutschen Arbeiterbewegung auf revolutionärer Grundlage um jeden Preis zu verhindern. Wenn also etwas erzwungen wurde, dann die erneute Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung, und dieser Zwang wurde nicht zuletzt ausgeübt von den imperialistischen Besatzungsmächten. 20

2

Vgl. B e n s e r , G ü n t e r , Klarheit über die Entstehung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands — eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung der Aktionseinheit der deutschen Arbeiterbewegung. In: „Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung", 2. Jg., 1960, Sonderheft zum 15. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus, S. 150—169. Heitzer

18

II. Notwendigkeit und Möglichkeit der Vereinigung

Jedoch wäre diese Argumentation nicht vollständig. Sie erfaßt nur eine Seite des Problems, die äußere, wenn man so will. Der Kern der Frage besteht darin, daß die sowjetische Besatzungsmacht konsequent im Geiste des Potsdamer Abkommens handelte, das heißt, sie achtete das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes und legte der Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender, demokratischer Staat keine Hindernisse in den Weg, ja, sie half, diese Hindernisse aus dem Wege zu räumen, nachdem ihre Truppen das größte Hindernis für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes, den faschistischen Machtapparat, zerschlagen hatten. Die westlichen Besatzungsmächte dagegen verzögerten die Zulassung antifaschistischer Organisationen und behinderten deren Tätigkeit. Sie verwarfen die von Deutschen geforderten und von deutschen Parlamenten eingebrachten Gesetze zur Bodenreform, sie sabotierten den Aufbau demokratischer Selbstverwaltungsorgane und die Säuberung der Betriebe von aktiven Nazis und Kriegsverbrechern. Die westlichen Besatzungsmächte stellten sich schützend vor die Machtgrundlagen des deutschen Imperialismus, sie brachen das Potsdamer Abkommen, kaum, daß es unterzeichnet war, und verhinderten damit die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes. Welche Bedeutung hat das für unsere Frage? Während die sowjetische Besatzungsmacht Bedingungen schaffen half, die dem deutschen Volk, besonders der Arbeiterklasse, ein rasches politisches Wachstum, die beschleunigte Entfaltung der eigenen, lange Zeit unterdrückten Kräfte ermöglichten und die Arbeiterklasse befähigten, in verhältnismäßig kurzer Zeit den Schritt von der Aktionseinheit zur politischen Einheit zu tun, verhinderten die imperialistischen Besatzungsmächte gemeinsam mit der deutschen Reaktion und unterstützt von der Schumacher-Gruppe in der SPD, daß sich das deutsche Volk Verhältnisse schuf, die seinen politischen Reifeprozeß, die insbesondere die Einheitsfront der Arbeiterbewegung gefördert hätten. Bildlich ausgedrückt: Im Osten Deutschlands wurde der Boden umgepflügt, so daß die Saat der Einheit zur reifen Frucht gedeihen konnte, im Westen nicht. Indes gedieh die Saat nicht ohne sorgsame Pflege. Weder das machtvolle Streben zur Einheit noch die günstigsten objektiven Bedingungen reichen aus, um jene höchste Form der Klassenorganisation hervorzubringen, wie sie die Arbeiterklasse braucht, um siegen zu können. Auch bei der Herbeiführung der politisch-organisatorischen Einheit der Arbeiterbewegung ist die Rolle des subjektiven Faktors von entscheidender Bedeutung.

I I I . Die r e v o l u t i o n ä r e P a r t e i — die höchste F o r m der E i n h e i t der A r b e i t e r k l a s s e Das Streben zur Einheit ist ein objektiver elementarer Prozeß in der Arbeiterklasse selbst, der auf der Klassenlage des Proletariats und der daraus resultierenden Gemeinsamkeit der proletarischen Klasseninteressen basiert. Die Gemeinsamkeit ihrer grundlegenden Klasseninteressen beginnt den Arbeitern bewußt zu werden in gemeinsamen Kämpfen, durch gemeinsame oder gleichartige Erfahrungen. Die gesamte Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ist ein Beweis dafür. Gemeinsame Kämpfe und Erfolge, aber auch gemeinsam erlittene Verfolgungen und Niederlagen förderten vielfach die Bereitschaft und das Streben zur Einheit, so der Waldenburger Streik 1869, die Verfolgung von Eisenachern und Lassalleanern Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, der gemeinsame Kampf und schließlich der Sieg über das Bismarcksche Sozialistengesetz. Nach der Spaltung der Arbeiterbewegung durch den Opportunismus waren es vor allem der große Generalstreik gegen den KappPutsch, die Abwehr der faschistischen Offensive in der Weltwirtschaftskrise, endlich der gemeinsame Kampf gegen den Faschismus und für den Neuaufbau einer demokratischen Ordnung, die in der Arbeiterklasse die Bereitschaft und das Streben zur Einheit weckten und stärkten. Unter bestimmten Umständen kann bei Vorhandensein verschiedener Organisationen der Arbeiterbewegung mit unterschiedlicher ideologisch-politischer Grundlage das Streben zur Einheit in der Aktionseinheit seinen Niederschlag finden. Wie bereits erwähnt, ist unter den Bedingungen der Spaltung der Arbeiterbewegung die Aktionseinheit die notwendige Vorstufe für die höchste Form der Einheit des Proletariats, die einheitliche revolutionäre politische Partei der Arbeiterklasse. Erst diese höchste Form der Einheit garantiert die Stabilität und Dauer der Einheit des Proletariats. Erst sie ermöglicht es, daß die Arbeiterklasse zu einer bestimmenden politischen Kraft bzw. zum Hegemon in der bürgerlich-demokratischen und sozialistischen Umwälzung wird. Diese durch die Geschichte der Arbeiterbewegung vielfach erhärtete Grunderkenntnis wird auch bestätigt durch das Verhalten der Bourgeoisie. Solange die Arbeiterklasse sich noch nicht als selbständige politische Kraft organisiert hat, sieht die Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung noch keine große Gefahr für ihre Herrschaft. 2

20

III. Die revolutionäre Partei

Sobald sich jedoch die Arbeiterklasse politisch organisiert, beginnt die Bourgeoisie ernsthaft um ihre Herrschaft zu bangen. Sobald die Arbeiterklasse gar eine einheitliche revolutionäre Massenpartei bildet oder anstrebt, setzt die Bourgeoisie Himmel und Hölle in Bewegung und konzentriert ihren ganzen Machtapparat auf die Bekämpfung der politischen Partei der Arbeiterklasse. Politische Einheit der Arbeiterklasse heißt Einheit auf der Grundlage der wissenschaftlich erkannten und formulierten Interessen der Arbeiterklasse. Eine „Einheit", die nicht auf den wirklichen Interessen der Arbeiterklasse beruht, ist nur formal, ist im Grunde eine Fiktion und kann ein ernstes Hindernis auf dem Wege zur wirklichen Einheit der Arbeiterklasse sein. „Einheit der Arbeiterklasse" ist also kein abstrakter, klassenindifferenter Begriff. Einheit ist keine bloße Form, die vom Inhalt unabhängig ist und etwa bei vielfältigem Inhalt möglich wäre. Inhalt der Einheit der Arbeiterklasse sind die Klasseninteressen des Proletariats, die im Marxismus bzw. im Marxismus-Leninismus ihren wissenschaftlichen Ausdruck finden. Folglich ist die Arbeiterklasse nur geeint, wenn sie politisch-organisatorisch

zusammengeschlossen

ist auf der Grundlage

des

Marxismus, heute des Marxismus-Leninismus. Daher heißt es in den Thesen des Politbüros des Z K der S E D zum 15. Jahrestag der Vereinigung von K P D und S P D : Solange die deutsche Sozialdemokratie „unerschütterlich auf dem Boden des Marxismus stand, verkörperte sie die Einheit der Arbeiterklasse" 2 1 . Die Einheit der deutschen Arbeiterklasse wurde unterhöhlt und schließlich zerstört durch den Opportunismus. Mit Hilfe der Opportunisten spaltete das Monopolkapital die einheitliche Partei zuerst politisch-ideologisch und dann auch organisatorisch. Die Wiederherstellung der Einheit der deutschen Arbeiterbewegung wurde vorbereitet durch den heroischen Kampf der deutschen Linken. Der entscheidende Schritt zur Überwindung der Spaltung, zur Wiederherstellung der Einheit der deutschen Arbeiterbewegung auf revolutionärer Grundlage war die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands. W a r schon vorher die Uberwindung der Spaltung identisch mit der Uberwindung des Opportunismus und dem Hineintragen des Marxismus in die Arbeiterklasse, so wurde dieser K a m p f nunmehr vom Boden einer völlig von der Bourgeoisie unabhängigen revolutionären Vorhut des Proletariats aus geführt.

21

Gründung der SED — ein historischer Sieg des Marxismus-Leninismus. Thesen des Politbüros des ZK zum 15. Jahrestag der Vereinigung von KPD und SPD. In: „Neues Deutschland" vom 12. Februar 1961.

III. Die revolutionäre Partei

21

Damit begann eine qualitativ neue Etappe des Kampfes um die Wiederherstellung der Einheit der Arbeiterbewegung. Jetzt wurde es überhaupt erst wieder real möglich, die Spaltung der Arbeiterbewegung zu überwinden. Dies hängt damit zusammen, daß die Arbeiterklasse zwar zum Sozialismus neigt, aber nicht von selbst zur wissenschaftlichen Erkenntnis ihrer Lebensinteressen gelangen kann. Ähnlich verhält es sich mit der politischen Einheit: Die Arbeiterklasse neigt zur Einheit, die politische Einheit basiert auf dem elementaren Streben der Arbeiter zur Einheit, sie stellt dessen Krönung und Erfüllung dar; die endgültige Herausbildung der politischen Einheit der Arbeiterbewegung vollzieht sich jedoch nicht auf dem Wege des elementaren, spontanen Klassenkampfes. Die politische Einheit ist nicht möglich, kann nicht verwirklicht werden ohne Bewußtheit, ohne den beharrlichen, zielstrebigen, von wissenschaftlicher Erkenntnis geleiteten Kampf der organisatorisch, politisch und ideologisch völlig von der Bourgeoisie unabhängigen revolutionären Vorhut des Proletariats gegen jegliche Form der bürgerlichen Ideologie und Politik. - So war es auch in Deutschland. Die entscheidende politische Triebkraft der Einheit war die Kommunistische Partei Deutschlands, waren die kampfgestählten, erprobten, von Ernst Thälmann erzogenen Vorkämpfer der Arbeiterbewegung, war insbesondere der leninistische Führungskern der Partei um Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht. Seit ihrer Gründung hatte der Kampf um die Einheit der Arbeiterbewegung zu den obersten Prinzipien der Politik der KPD gehört. Gestützt auf die Beschlüsse des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, forderte die Partei auf der Brüsseler Konferenz 1935 und der Berner Konferenz 1939 eine feste Einheitsfront von KPD und SPD als Kern einer breiten Volksfront. Trotz der starrsinnigen einheitsfeindlichen Politik rechter SPD-Führer, trotz des grausamen Terrors der Faschisten, trotz schier unüberwindbarer Hindernisse hielt die KPD selbst in den schwersten Stunden der deutschen Nation unverrückbar an diesem Ziel fest. Es gibt kaum eine gemeinere Verleumdung imperialistischer Geschichtsfälscher als die, daß das Einheitsstreben der Kommunisten erst aus der akuten Notlage nach dem Zusammenbruch des Hitlerfaschismus erwachsen sei. Unmittelbar nach dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges, im November 1939, forderte das ZK der KPD „alle Antifaschisten in Deutschland und in der Emigration auf, jetzt erst recht zäh und beharrlich im Sinne der Einigung der deutschen Arbeiterbewegung und der deutschen Opposition zu w i r k e n . . . Wir sind überzeugt", heißt es in der Stellungnahme, „daß aus der Zusammenarbeit von Kommu-

22

III. Die revolutionäre Partei

nisten und Sozialdemokraten an der Front wie im Hinterlande, aus der Kameradschaft der Soldaten und Arbeiter untereinander, aus dem einheitlichen Kampf der Arbeiterklasse die revolutionäre Einheitspartei hervorwachsen wird, die in der Lage ist, das ganze deutsche Volk zu führen." 2 2 Der erste Ruf der Kommunisten nach dem Zusammenbruch des Hitlerfaschismus war: Einheit. In ihrem historischen Aufruf vom 11. Juni 1945 entwickelte die KPD das Programm zur Errichtung einer antifaschistischdemokratischen Ordnung, das zugleich ein Programm zur Verwirklichung der Aktionseinheit der Arbeiterbewegung war; dies nicht nur in dem Sinne, daß die Realisierung des Programms die Aktionsgemeinschaft zwingend voraussetzte, sondern auch in dem Sinne, daß der Aufruf das Einende zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten hervorhob und jene Nahziele enthielt, die damals sowohl von den Kommunisten als auch von der Mehrheit der Sozialdemokraten angestrebt wurden. Im Kampf um die Verwirklichung des Aktionsprogramms der KPD mußte die Einheitsfront der Arbeiterklasse weiter erstarken, mußten Bedingungen entstehen, die die Schaffung einer einheitlichen revolutionären Partei ermöglichten. Wie bereits angedeutet wurde, nahm die Geschichte diesen Weg. Während die Beschlüsse von Brüssel und Bern zu vielen Menschen in Deutschland noch nicht gedrungen waren, wurde mit dem Aufruf der KPD vom 11. Juni die Politik der Partei, die Politik der Arbeitereinheit und der antifaschistischen Volksfront erstmals an das ganze Volk herangetragen. Der Aufruf erlangte eine gewaltige Verbreitung. In der sowjetischen Besatzungszone, in den Westzonen - allein in Hessen wurden 150000 Exemplare verteilt - , in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern, ja in der Schweiz und in England wurde der Aufruf bekannt. 23 In Ost- und auch in Westdeutschland wurde der Aufruf zur Grundlage für viele Aktions Vereinbarungen von Kommunisten und Sozialdemokraten, wie an zahllosen Beispielen nachgewiesen werden kann 24 Die Zustimmung von Vertretern der SPD zum Aktionsprogramm der KPD am 12. Juni 1945 war der erste 22

23

24

U l b r i c h t , W a l t e r , Zur Geschichte der neuesten Zeit, Berlin 1955, Bd. I, 1-. Hbd., S. 334. Vgl. A r n o l d , W i l h e l m , Zur Bedeutung und Verbreitung des Aufrufs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands vom 11. Juni 1945. In: „Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung", 2. Jg., 1960, Sonderheft zum 15. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus, S. 111—128. Vgl. Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Berlin 1959, Reihe III, Bd. 1, S. 41 ff.

III. Die revolutionäre Partei

23

Schritt von Seiten der SPD zur Verwirklichung der Aktionseinheit. 25 Mit der Bildung eines gemeinsamen Arbeitsausschusses aus je 5 Mitgliedern der zentralen Leitungen der beiden Parteien am 19. Juni und dem gemeinsamen Aufruf, ähnliche Ausschüsse in den Ländern und Kreisen zu schaffen, wurde die Aktionsgemeinschaft von KPD und SPD besiegelt. 26 „Es war ein Beschluß von geschichtlicher Bedeutung", sagte Walter Ulbricht in seiner Festansprache zum 15. Jahrestag der Gründung der SED, „als der Zentralausschuß der SPD unter Führung des Genossen Otto Grotewohl diesem Vorschlag (dem Aufruf vom 11. Juni 1945 - H. H.) zustimmte." 2 7 Im Zentralausschuß der SPD, der in ganz Deutschland als Führung der Partei anerkannt wurde, wirkten klassenbewußte Sozialdemokraten, die die Lehren aus der unseligen Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung gezogen hatten. Unter Führung Otto Grotewohls bekannte sich der Zentralausschuß - im Gegensatz zur Schumacher-Gruppe in Westdeutschland - zu einer selbständigen Arbeiterpolitik und führte diese in der Praxis durch. Während die Schumacher-Leute erneut ihr Heil in der prinzipienlosen Klassenzusammenarbeit mit der Bourgeoisie suchten und die unter ihrem Einfluß stehenden Werktätigen erneut der bourgeoisen Ideologie und Politik unterwarfen, trug die Politik des Zentralausschusses und der in den Ländern und Kreisen wirkenden klassenbewußten Sozialdemokraten wesentlich dazu bei, daß sich die Arbeiter, vor allem in der damaligen sowjetischen Besatzungszone, vom Einfluß der Bourgeoisie lösten und als einheitliche, selbständige politische Kraft formierten. Der Aufruf vom 11. Juni 1945 übte auch eine große Wirkung auf die kleinbürgerlichen Schichten und selbst auf bürgerliche Kreise aus. Er stand Pate bei der Bildung des antifaschistisch-demokratischen Blocks am 14. Juli 1945. „Hatte schon 1848", schreibt Leo Stern, „und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Bündnisfrage in der deutschen Arbeiterklasse im Kampf gegen das reaktionäre Preußentum und für die Durchsetzung der Demokratie in Deutschland eine dominierende Rolle gespielt, so ist dies besonders seit der Jahrhundertwende im Kampf gegen Imperialismus, Militarismus und Krieg der Fall. Nach dem Erlebnis der beiden 25

26 27

B e c h e r , J o h a n n e s R'., Walter Ulbricht — ein deutscher Arbeitersohn. Berlin 1958, S. 198. U l b r i c h t , W a l t e r , Zur Geschichte der neuesten Zeit. A. a. 0., S. 121f. Derselbe, Die große Vereinigung der Arbeiterschaft ganz Deutschlands wird kommen. Ansprache auf der Festveranstaltung „15 Jahre SED". In: „Neues Deutschland" vom 22. April 1961, S. 3.

24

III. Die revolutionäre Partei

Weltkriege . . . ist die Bündnisfrage... zum Schlüsselproblem des Kampfes um die Erhaltung des Friedens geworden . . ," 28 Die Einigung der Arbeiterklasse auf dem Boden des revolutionären Marxismus war die entscheidende Voraussetzung, um ein festes unzerstörbares Bündnis der Arbeiterklasse mit den anderen Werktätigen zu schmieden. Die einig handelnde Arbeiterklasse erwies sich als Kraftquell, der auch Kreise des Bürgertums in seinen Bann zog. Einmal mehr bestätigte sich, daß die verstaubte „These" rechtssozialistischer Politiker und Ideologen, wonach ein Zusammengehen der Sozialdemokraten mit den Kommunisten bürgerliche Kreise „abstoßen" würde, lediglich eine verleumderische Ausrede ist, die die Einheitsfeindschaft der Opportunisten bemänteln soll. Die einheitlich handelnde Arbeiterklasse stößt ab, was abgestoßen werden muß: reaktionäre Bourgeoispolitiker vom Schlage der Schwennicke, Lemmer, Thedieck und Strauß. Sie ermuntert und stärkt alle ehrlichen, aufbauwilligen, antiimperialistischen Kräfte des Bürgertums und gewinnt sie für die Einheitsfront des Volkes. Durch ihre Politik, die auf dem Aufruf vom 11. Juni basierte, verlieh die KPD dem Streben der Arbeiter zur Einheit Bewußtheit und Zielstrebigkeit. Das zeigte sich in der vielfältigsten Weise, so in der Koordinierung und Zusammenfassung der verschiedenen Arbeits- und Volksausschüsse, Aktionskomitees und anderer größtenteils örtlicher Organe, die vielfach spontan entstanden waren und isoliert vorgingen 29 , in geduldigen und beharrlichen Diskussionen mit Sozialdemokraten und Vertretern bürgerlicher Parteien, mit Arbeitern, Bauern, Angehörigen der Intelligenz, mit Gewerbetreibenden, Einzelhändlern und Unternehmern. Gewaltiges ist in dieser Zeit von den kommunistischen Genossen geleistet worden, in den ersten Wochen und Monaten besonders von den führenden Initiativgruppen, wie der Gruppe Ulbricht in Berlin, der Gruppe Matern in Sachsen und der Gruppe Sobottka in Mecklenburg, später von den Genossen der führenden Organe und des zentralen Parteiapparats. Gewaltiges ist geleistet worden von den Genossen der Landes-, Kreis- und Ortsleitungen, von all den zahllosen namenlosen Arbeiterfunktionären, die, oft kaum den 28

29

S t e r n , L e o , Zur nationalen Grundkonzeption der deutschen Arbeiterklasse im Kampf um die Lösung der Lebensfragen der'deutschen Nation. In: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Vorträge und Schriften, Berlin 1961, H. 72, S. 22. Vgl. u. a. T h o m a s , S i e g f r i e d , Der Wiederbeginn des politischen Lebens in Berlin und die Aktionseinheit der Arbeiterparteien (Mai bis Juli 1945). In: ZfG, 8. Jg., 1960, H. 6, S. 1316 ff.

III. Die revolutionäre Partei

25

Folterhöllen der Nazis entronnen, dem Hunger und der Not, dem Mißtrauen vieler Menschen und der Skrupellosigkeit des Feindes trotzten und T a g und Nacht unermüdlich tätig waren, um die Einheitsfront der Arbeiter Wirklichkeit werden zu lassen. Die Fragen, die der praktische K a m p f , die antifaschistisch-demokratische Umwälzung, in den Vordergrund rückte, wurden von den Kommunisten, denen sich die klassenbewußten Sozialdemokraten anschlössen, im marxistisch-leninistischen Sinne beantwortet. Eine große Rolle spielten dabei die Presseorgane der Partei (bereits a m 13. J u n i war die „Deutsche Volkszeitung" erstmals erschienen; im August und September folgten die Landeszeitungen) sowie die seit Ende 1945 gemeinsam durchgeführten Schulungen von Kommunisten und Sozialdemokraten, in denen die Fragen der Macht und der Notwendigkeit, die Einheit auf revolutionärer Grundlage herzustellen, im Mittelpunkt standen. Mit R a t und Tat standen den deutschen Antifaschisten die sowjetischen Freunde zur Seite. Im Geiste des proletarischen Internationalismus halfen sie den deutschen Arbeitern, Schritt um Schritt das fürchterliche Erbe der Vergangenheit zu überwinden. Bereitwillig übermittelten sie dem deutschen Volk ihre reichen Erfahrungen im Kampf u m die Aneignung und Anwendung des revolutionären Marxismus und u m die Erziehung des Volkes im Sinne des friedlichen Aufbaus und der Völkerfreundschaft. Im Kampf um die einheitliche revolutionäre Partei der deutschen Arbeiterklasse konnte es gar keine besseren Lehrmeister geben als die sowjetischen Kommunisten, die Schüler und Erben des großen Lenin, unter deren Führung die Arbeiterklasse Rußlands als erste der Welt die Macht erobert und die unzerstörbare Einheit des werktätigen Volkes geschaffen hatte.

IV. Von der Aktionseinheit zur politisch-organisatorischen E i n h e i t Durch ihre eigenen Erfahrungen sowie durch die beharrliche Arbeit der Kommunisten und klassenbewußten Sozialdemokraten überzeugten sich immer mehr Parteimitglieder und viele parteilose Werktätige davon, daß der vom ZK der KPD gewiesene Weg der richtige ist. Der elementare Drang der Arbeiter zur Einheit, dem die Kommunisten und klassenbewußten Sozialdemokraten Ziel und Richtung verliehen, wurde zur unwiderstehlichen Kraft. Um die Jahreswende 1945/46 war die Entwicklung in der damaligen sowjetischen Besatzungszone so weit gediehen, daß viele Parteiorganisationen von KPD und SPD, über die Beschlüsse der 1. Sechziger-Konferenz hinausgehend, die direkte Vorbereitung der Vereinigung in Angriff nahmen. Im Februar 1946 war bereits die Mehrheit der Parteiorganisationen von der Aktionseinheit zur organisatorischen Einheit übergegangen, so daß die 2. Sechziger-Konferenz den 21. April 1946 als den Tag der Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands festlegen konnte. Sie entsprach damit nicht nur dem Willen der Mitglieder, sondern darüber hinaus dem Willen Hunderttausender Werktätiger. Der Prozeß der Einigung - der hier nur in den allergröbsten Zügen skizziert werden konnte - zeigt ein Zusammenfließen und Sichverflechten, ein dialektisches Zusammenwirken des elementaren Strebens der Arbeiter zur Einheit und der bewußten zielstrebigen Führung der Massen durch die revolutionäre Vorhut. Die organisatorisch-politische Einheit ist sowohl ein Ergebnis des Massenkampfes als auch der bestimmenden zielstrebigen Politik der Kommunisten und revolutionären Sozialdemokraten. Die Einheit wurde geschmiedet von unten und zugleich von oben. Dadurch, daß vielfältige Triebkräfte zusammenflössen, daß Abertausende die Einheit wollten und die Partei gleichzeitig als Ergebnis einer wissenschaftlich begründeten Politik entstand, war die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, obwohl eine Reihe von wichtigen Fragen noch nicht endgültig geklärt war, von Anfang an so stabil und fest, so kraftvoll und mächtig, daß sie imstande war, ihrer historischen Verantwortung gerecht zu werden. Anfang 1946 war der Übergang von der Aktionseinheit zur politischen Einheit jedoch nicht nur möglich geworden angesichts der Veränderungen, die in der Arbeiterklasse selbst, wenigstens in der sowjetischen Besatzungszone, vor sich gegangen waren. Die politische Einheit war zugleich

IV. Aktionseinheit — politisch-organisatorische Einheit

27

zwingend notwendig geworden infolge von Veränderungen in der innerdeutschen und internationalen Lage. Die Feinde der Einheit - die deutsche Reaktion, die Exponenten der Politik des „roll back" unter den westlichen Imperialisten, die unverbesserlichen Opportunisten in der Sozialdemokratie - hatten von Anfang an keinen Tag ungenutzt verstreichen lassen, um das Einheitsstreben der Arbeiter aufzuhalten oder in falsche Bahnen zu lenken. In den ersten Monaten nach dem Zusammenbruch des Hitlerfaschismus wurde der Druck der einheitsfeindlichen Kräfte noch dadurch in gewisser Weise paralysiert, daß sich die deutsche Reaktion in ihre Schlupfwinkel zurückgezogen hatte und noch nicht offen aufzutreten wagte. Auch hatte sich die sowjetfeindliche Politik des „roll back" und der Sprengung der Anti-HitlerKoalition im Lager der westlichen Imperialisten noch nicht völlig durchgesetzt. Die Einheitsfeinde in der Sozialdemokratie schließlich wagten es angesichts der offenkundigen nationalen Katastrophe und des leidenschaftlichen Willens großer Teile der Werktätigen, vereint und geschlossen das fürchterliche Erbe der Vergangenheit zu beseitigen, noch nicht, unverhüllt gegen die Einheit der Arbeiterbewegung aufzutreten. Entscheidend war, wer in dieser Situation die politische Initiative ergriff und die neugewonnenen Positionen durch gesellschaftliche und politische Umgestaltungen festigte und untermauerte. Wie bereits angedeutet wurde, gelang das den demokratischen Kräften in den Westzonen Deutschlands - vor allem wegen der Sabotage des Potsdamer Abkommens durch die imperialistischen Westmächte im Zusammenwirken mit der deutschen Reaktion - in weit geringerem Maße als in der damaligen sowjetischen Besatzungszone. Mit der erneuten Formierung der Reaktion, besonders im Westen Deutschlands und darüber hinaus im internationalen Maßstab, wurden die negativen Faktoren immer wirksamer, der Druck auf die Arbeiterbewegung mit dem Ziel, deren Einheit zu verhindern, immer stärker. 30 Die Verbote gegen Einheitskomitees in den Westzonen häuften sich. Die antikommunistische Hetze schlug wieder höchste Wellen. Die Schumacher-Gruppe forcierte Anfang 1946 ihre Wühlarbeit. Westberlin wurde zum imperialistischen Brückenkopf, zur Agentur gegen die Einheit der Arbeiterbewegung ausgebaut. Die Konzerne spönnen wieder ihre Fäden. In den Westzonen traten Separatisten auf den Plan und schickten sich an, Deutschland zu zerreißen. 30

Vgl. für das Folgende: U l b r i c h t , L o t t e , Die Gründung der SED — ein Ereignis von historischer Bedeutung. In: „Einheit", 11. Jg., 1956, H. 4, S. 320 ff.

28

IV. Aktionseinheit — politisch-organisatorische Einheit

Auch in der internationalen Lage hatten sich Veränderungen vollzogen, „Im Frühjahr 1946", schreibt Lotte Ulbricht, „wurde schon offensichtlich, daß die amerikanischen und englischen Imperialisten nicht die Absicht hatten, sich damit zufriedenzugeben, daß eine Anzahl europäischer Länder aus dem imperialistischen Weltsystem herausgebrochen und dadurch eine Kräfteverschiebung zugunsten der Kräfte der Demokratie und des Friedens erfolgt war. Nach der Niederlage ihres faschistischen Konkurrenten wollten sie um jeden Preis - auch den eines dritten Weltkrieges gegen die Sowjetunion - ihre eigene Weltherrschaft aufrichten. Die Hauptrolle in diesen imperialistischen Plänen war Deutschland zugedacht..." 3 1 Und um Deutschland zum antikommunistischen Bollwerk auszubauen, sahen die Truman und Churchill, die Adenauer und Kaiser samt ihren Schumacher-Leuten ihre taktische Hauptaufgabe in der Verhinderung der Einheit der Arbeiterbewegung. So wurde das Tempo der Vereinigung auch von den Feinden der Einheit mitbestimmt. Angesichts des erneuten Vormarsches der Reaktion war der Schritt von der Aktionseinheit zur politischen Einheit um die Jahreswende 1945/46 unaufschiebbar. Schließlich wurde diese Notwendigkeit auch diktiert von den Aufgaben, die in der sowjetischen Besatzungszone herangereift waren. Die Frage: Wer - wen? war noch nicht entschieden. Die schwerste und entscheidende Umwälzung, die völlige Entmachtung der Konzerne, war noch nicht zu Ende geführt. Für eine solche Aufgabe reichte jedoch die Aktionseinheit nicht mehr aus. Dazu war die politische Einheit der Arbeiterbewegung erforderlich. Die Einheit war somit zur unaufschiebbaren Notwendigkeit geworden, um die Pläne der Reaktion zu durchkreuzen und die bisherigen Errungenschaften im Osten Deutschlands zu sichern, sie war notwendig geworden, um alle demokratischen Kräfte um die Arbeiterklasse zu scharen und den Imperialismus und Militarismus in einem Teil Deutschlands völlig und für immer auszurotten. Mit Stolz können wir heute feststellen, daß unter Führung der SED alle diese Aufgaben, die die Geschichte damals stellte, erfolgreich gelöst wurden. Auch die späteren Aufgaben, die sich im Laufe der weiteren Entwicklung ergaben, hat unsere Partei gemeistert. Mit vollem Recht können wir daher sagen, daß die Gründung der SED den entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und des deutschen Volkes bildet. 31 Ebenda, S. 323.

V. Die historische B e d e u t u n g der G r ü n d u n g der S E D Die Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands war ein historischer Sieg des Marxismus-Leninismus. In einem Drittel Deutschlands wurde die Spaltung der Arbeiterbewegung überwunden und damit die wichtigste Lehre aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung gezogen. Es wurde eine wesentliche Voraussetzung geschaffen für die endgültige Überwindung des Opportunismus in der deutschen Arbeiterbewegung. Die Gründung der SED war die Krönung des Kampfes der revolutionären deutschen Marxisten seit Marx und Engels. Die Gründung der SED veränderte das Kräfteverhältnis in Deutschland bedeutend zugunsten der Kräfte des Fortschritts. Noch nie hatten •diese eine so starke und einflußreiche Führung wie jetzt. Die Arbeiterklasse wurde dadurch befähigt, erfolgreich den Kampf um die Macht zu führen. „Es entsprach der geschichtlichen Aufgabe der Arbeiterklasse", schrieb Walter Ulbricht, „in der neuen Epoche der Geschichte der Menschheit, die mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution begonnen hatte, den Kampf um die Eroberung der politischen Macht zu führen." Diese „geschichtliche Aufgabe konnte nur gelöst werden, indem sich die Vorhut zur einigen revolutionären Partei zusammenschloß, die sich von •der siegreichen Lehre des Marxismus-Leninismus leiten ließ" 32 . Dank der Führung durch die SED war die Arbeiterklasse imstande, die ' übrigen demokratischen Kräfte um sich zu scharen und ein festes Bündnis mit ihnen zu schließen. Die Existenz der einheitlichen revolutionären Partei der Arbeiterklasse ist die Voraussetzung für die Hegemonie der Arbeiterklasse in der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, die Voraussetzung für die Entstehung jener sozialen Kraft, die befähigt ist, den gesetzmäßigen Übergang zur sozialistischen Gesellschaftsordnung zu vollziehen, die Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte herzustellen. Wenn sich heute die Arbeiterklasse der Deutschen Demokratischen Republik die Aufgabe stel32

U l b r i c h t , W a l t e r , Die große Vereinigung der Arbeiterschaft ganz Deutschlands wird kommen. Ansprache auf der Festveranstaltung „15 Jahre SED". In: „Neues Deutschland" vom 22. April 1961, S. 3.

30

V. Die historische Bedeutung

len kann, die gesamte Bevölkerung für den Aufbau des Sozialismus zu gewinnen und im Geiste des Sozialismus zu erziehen, so ist das nur möglich dank der Existenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Die Gründung der S E D war auch ein Ereignis von internationaler Bedeutung. Unsere Erfahrungen nützten den Werktätigen in den volksdemokratischen Ländern, in denen die organisatorische Einheit später vollzogen wurde. Sie sind von großem Wert für die Werktätigen in den nichtsozialistischen Ländern, die nach Wegen suchen, um die Einheit der Arbeiterbewegung und des Volkes zu verwirklichen. Im Osten Deutschlands wurde bewiesen, daß die Uberwindung des Opportunismus auch in einem hochindustrialisierten Land, trotz tiefeingewurzelter reformistischer Traditionen und trotz starken Druckes der Bourgeoisie, möglich ist. Es wurde bewiesen, daß der Reformismus dem revolutionären Marxismus im offenen Kampf unterliegt. Die Entstehungsgeschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands lehrt, daß die beste Schule für die Einheit der Arbeiterbewegung der gemeinsame weltverändernde Kampf gegen die Feinde der Arbeiterklasse ist. Sie lehrt, daß in diesem Kampf auch Menschen umerzogen werden, die vorher jähre- und selbst jahrzehntelang vom Reformismus beeinflußt waren und im Geiste des Reformismus handelten. Diese Erkenntnis läßt uns den Kampf um die Aktionseinheit der Arbeiter in Westdeutschland mit noch größerer Zuversicht führen. Die Entstehungsgeschichte der S E D lehrt uns schließlich und vor allem, daß die Einheit der Arbeiterbewegung nur fest und unzerstörbar ist, wenn sie auf dem Boden des revolutionären, unbesiegbaren Marxismus-Leninismus gegründet ist. Die Erfahrungen aus der Entstehungsgeschichte der S E D bestärken uns in der Gewißheit, daß die Einheitsfront der Arbeiter auch in Westdeutschland zustande kommen wird. Notwendig ist die Aktionseinheit der kommunistischen, sozialdemokratischen, christlichen und parteilosen Arbeiter schon seit langem; und diese Notwendigkeit wird um so zwingender für unser Volk, je zügelloser die Meute der ehemaligen Hitlerschen Wehrwirtschaftsführer und Generale, der Blutrichter und notorischen Revanchepolitiker ihr Unwesen treibt. Sie fürchten die Aktionsgemeinschaft wie den Tod, und mit Recht: Die Aktionseinheit der Arbeiterklasse ist der Totengräber des Militarismus. Und die Aktionsgemeinschaft wächst, allem Terror, aller Hetze und Demagogie zum Trotz. Sie wächst in den Betrieben und Massenorganisationen, sie entsteht in der Zusammenarbeit zwischen westdeutschen Friedenskämpfern und den gesellschaftlichen Organisatio-

V. Die historische Bedeutung

31

nen in der Deutschen Demokratischen Republik. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands wurde Wirklichkeit trotz der Schumacher und Kaiser, trotz der Howley und MacCloy. Die Aktionseinheit der Arbeiter Westdeutschlands wird Wirklichkeit trotz der Brandt und Lemmer, trotz der Thedieck und Franz Josef Strauß. In einem Drittel Deutschlands ist die Arbeiterklasse schon in einer unzerstörbaren Kampfgemeinschaft zusammengeschlossen. „Und es wird noch die große Vereinigung der Arbeiterschaft ganz Deutschlands kommen." 33 33

Ebenda.

LEO

STERN

Zur nationalen Grundkonzeption der deutschen Arbeiterklasse im Kampf um die Lösung der Lebensfragen der deutschen Nation Zweite unveränderte Auflage (Vorträge und Schriften der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Heft 72)

1961. 77 Seiten — 8" — DM 1,—

In dieser Schrift behandelt der Verfasser eine entscheidende Frage der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft und aller anderen gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen. Es ist dies der erste Versuch, die zentralen Probleme der nationalen Grundkonzeption der deutschen Arbeiterklasse einer eingehenden Analyse zu unterziehen. Ihr Hauptinhalt ist die Sicherung des Friedens durch die Zügelung der aggressiven Pläne des wiedererstandenen deutschen Imperialismus und Militarismus in der Gegenwart und die völlige Überwindung dieser dem deutschen Volk zutiefst feindlichen Kräfte in der Zukunft.

AKADE MI E-VERLAG



BERLIN

HERWIG

FÖRDER

Marx und Engels am Vorabend der Revolution Die Ausarbeitung der politischen Richtlinien für die deutschen Kommunisten (1846-48) (Schriften des Instituts für Geschichte an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Reihe I: .Allgemeine und deutsche Geschichte, Band 7)

i960. VI, 334 Seiten - gr. 8° - Ganzleinen DM 19,50

Nach der ersten Grundlegung ihrer wissenschaftlichen Weltanschauung richteten Marx und Engels ihre Aufmerksamkeit immer mehr auf die politischen Probleme, die sich aus der in Deutschland heranreifenden bürgerlichen Revolution ergaben. Gleichzeitig mit der Hinwendung zur organisatorischen Arbeit, die durch die Gründung des Kommunistischen Korrespondenz-Komitees in Brüssel gekennzeichnet ist, begannen Marx und Engels jene Richtlinien auszuarbeiten, die damals die Politik der Kommunisten in der bevorstehenden Revolution bestimmen mußten und die dann vor allem auch für die Politik der ..Neuen Rheinischen Zeitung" ausschlaggebend waren.

AKAD E M I E - V E R LAG



BERLIN